Das Neue Denken - Politik im Zeitalter der Globalisierung

Michail Gorbatschow . Vadim Sagladin . Anatoli Tschernjajew 

Originalausgabe Juli 1997

Wilhelm Goldmann Verlag MŸnchen


Zusammenfassung in
Michail Gorbatschow, Das neue Russland: Der Umbruch und das System Putin, 2015,
Teil III - Beunruhigende Neue Welt, Seiten 353 - 356

Hšrbuch, Zeitintervall 4:55:30 - 5:00:55


Inhaltsverzeichnis

Die †berwindung des Kalten Krieges

Mit dem Neuen Denken entstand eine všllig neue Grundlage fŸr die praktische Au§enpolitik der Sowjetunion.

Vor allem wurde damit die frŸheren Konzeptionen innewohnende WidersprŸchlichkeit Ÿberwunden. Denn wieviel man auch von friedlicher Koexistenz sprechen mochte, solange man davon ausging, da§ die Welt geteilt war und letzten Ende der eine Teil den Sieg Ÿber den anderen davontragen mu§te, blieb es unweigerlich bei einer Politik der Konfrontation, die durch die Auseinandersetzung mit der anderen Seite vorbestimmt war.

Das Neue Denken schuf die reale Mšglichkeit, die richtig verstandenen Interessen unseres Landes und die Interessen der gesamten Menschheit miteinander in Einklang zu bringen. Beim †bergang vom 20.zum 21. Jahrhundert eršffnete sich die Mšglichkeit, mit allen Staaten fruchtbar zusammenzuarbeiten, genauer gesagt mit denen, die zu einer solchen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf gleichberechtigter Grundlage bereit waren. Schlie§lich setzte die Methodologie der Politik, die auf dem Neuen Denken beruhte, auf das Primat einer Politik der Vernunft (und nicht auf die Unvernunft der Politik der StŠrke), auf die gegenseitige Achtung der Rechte und Interessen der Staaten (und nicht darauf, anderen die eigene Position aufzuzwingen), auf Toleranz und die Suche nach gegenseitig annehmbaren Lšsungen durch Verhandlungen. Diese Methodologie eršffnete neue Mšglichkeiten, alle, auch Šu§erst schwierige, komplexe und vernachlŠssigte Probleme einer Lšsung zuzufŸhren.

Das erste Dokument, in dem die neuen konzeptionellen Ideen und praktischen VorschlŠge umfassend dargelegt wurden, war die bereits erwŠhnte ErklŠrung des GeneralsekretŠrs vom 15. Januar 1986, die ErklŠrung, die den Weg zu einer atomwaffenfreien Welt wies. Die darin enthaltenen VorschlŠge wurden im Westen und zum Teil auch in unserem Land zunŠchst fŸr utopisch und unrealisierbar erklŠrt. Im besten Fall sah man sie als geschickte PropagandaŸbung an. Aber die sowjetische Diplomatie arbeitete beharrlich an der Verwirklichung dieser Ideen, formulierte Schritt fŸr Schritt ganz konkrete und realisierbare Initiativen, bewies in den entsprechenden Verhandlungen die notwendige Bereitschaft zu gegenseitig annehmbaren und beiderseitig nŸtzlichen Kompromissen, die die Sicherheit keiner Seite verletzte. Das war eine schwierige Sache, die es erforderte, da§ nicht nur Diplomaten und Wissenschaftler, sondern auch MilitŠrs, Verantwortliche der Wirtschaft, Vertreter des militŠrisch-industriellen Komplexes und der …ffentlichkeit einbezogen wurden. Diese Diskussionen und Abstimmungen fŸhrten zu einer PrŠzisierung und Vervollkommnung der Verhandlungsplattform, die flexibler, aber auch fester und hŠrter wurde, um die Gegenseite zu entsprechenden Schritten zu bewegen.

Als Ergebnis dieser BemŸhungen wurde im Dezember 1987 der sowjetisch-amerikanische Vertrag Ÿber die Liquidierung der Raketen mittlerer und geringer Reichweite unterzeichnet. Das war der erste Vertrag in der Geschichte, der die Vernichtung einer ganzen Klasse atomarer Waffen auf beiden Seiten festlegte. Die Bedeutung dieses Schrittes kann nicht hoch genug bewertet werden.

Im Ergebnis lang andauernder, sehr komplizierter und angespannter Verhandlungen kam es dann im Juli 1991 zur Unterzeichnung des sowjetisch-amerikanischen Vertrages Ÿber die bedeutende Reduzierung der strategischen Offensivwaffen. FŸr seine Realisierung ist viel getan worden. Mehr noch, im Jahr 1992 folgte die Grundsatzvereinbarung, die strategischen Atomwaffen weiter zu reduzieren. 1996 wurde der Vertrag Ÿber die vollstŠndige Einstellung der Atomwaffenversuche (in ErfŸllung des im Jahre 1995 auf unbefristete Zeit verlŠngerten Vertrages Ÿber die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen) unterzeichnet.

Heute auf alle diese Schritte verweisen zu kšnnen, ist uns eine gro§e Befriedigung, denn die VorschlŠge vom 15. Januar 1986 sind somit keine Utopie geblieben. Der Weg zu einer atomwaffenfreien Welt mag lŠnger sein, als es wŸnschenswert wŠre, aber bei gutem Willen der Mitglieder der Weltgemeinschaft, vor allem der AtommŠchte, aber auch der SchwellenlŠnder, kann dieses edle, lebenserhaltende Ziel letzten Endes doch erreicht werden! Die ErklŠrung vom 15. Januar 1986 enthielt neben dem Vorschlag Ÿber die Errichtung einer atomwaffenfreien Welt auch Gedanken zur Reduzierung der konventionellen Waffen in Europa. Die Verhandlungen darŸber hielten bis 1990 an. Schlie§lich wurde im November dieses Jahres in Paris ein entsprechender Vertrag unterzeichnet. Auch die Reduzierung der konventionellen Waffen in Europa ist nun bereits eine Tatsache, wenn dieser Proze§ auch kompliziert und nicht ohne Konflikte verlŠuft und die geopolitischen VerŠnderungen der neunziger Jahre es notwendig machen, neue Elemente in diesen Vertrag einzubringen. Die Realisierung der VertrŠge sowohl Ÿber die Atomwaffen als auch Ÿber die konventionelle RŸstung geht unter strenger internationaler Kontrolle vor sich, die verschiedene Formen annimmt - vom Vertrag Ÿber die Zusammenarbeit bei BeobachtungsflŸgen ("Open Sky") bis zu Inspektionen vor Ort. Die BeschlŸsse Ÿber die Kontrolle (fŸr die ebenfalls komplizierte Verhandlungen erforderlich waren) beweisen fŸr sich genommen, wie stark das gegenseitige Vertrauen gewachsen ist. Zugleich regten sie zur Erweiterung der Kontakte zwischen den MilitŠrs der verschiedenen Seiten an, was wiederum das gegenseitige VerstŠndnis stŠrkt. In der Zeit der Perestroika werden die Verhandlungen Ÿber das Verbot der chemischen, bakteriologischen und biologischen Waffen spŸrbar vorangetrieben. Auch hier kann auf konkrete Ergebnisse verwiesen werden. Die Herstellung chemischer Waffen ist eingestellt, man kam Ÿberein, die vorhandenen VorrŠte dieser Waffen zu vernichten.

Auch wenn die Impulse des Neuen Denkens nur die genannten Ergebnisse - die Einstellung des atomaren WettrŸstens, die Reduzierung der Atomwaffen und der konventionellen Waffen in Europa sowie die Liquidierung der Chemiewaffenarsenale - gehabt hŠtten, so wŠren selbst das Ereignisse von enormer Bedeutung gewesen.

Denn das WettrŸsten war einerseits eine Folge des Kalten Krieges, zugleich aber auch die Triebkraft, die diesem immer wieder neue Impulse verlieh. Die BeschlŸsse Ÿber die RŸstungsreduzierung waren faktisch der wichtigste Schritt zum Abbau der Konfrontation, zur Gesundung des Ost-West-VerhŠltnisses. Wir haben bereits die VorschlŠge des XXVII. Parteitages der KPdSU zum Aufbau eines Systems umfassender internationaler Sicherheit erwŠhnt, die den ganzen Komplex dieser Probleme betrafen. Diese VorschlŠge wurden in die Sprache konkreter diplomatischer Dokumente und Initiativen umgesetzt, die man u.a. an die UNO richtete. In den Jahren bis 1991 beschlo§ diese weltweite Organisation vier Dokumente zur UnterstŸtzung der sowjetischen Konzeption und formulierte konkrete WŸnsche zur Art und Weise ihrer Umsetzung. Leider sind in der Folgezeit nicht alle dieses BeschlŸsse realisiert worden. Viele hat man einfach vergessen. Da aber ist auf  die VerŠnderungen in der Welt nach dem Zerfall der Sowjetunion (und in dessen Ergebnis) zurŸckzufŸhren.

Nach 1986 wurde die Idee der umfassenden Sicherheit in zwei VorschlŠgen fŸr stimmte Regionen konkretisiert.

Der erste betraf die Errichtung des Gemeinsamen Hauses Europa. Diese Idee, die Michail Gorbatschow bereits 1985 in Paris angesprochen hatte, wurde nun in der Rede des Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR auf der Sitzung des Europarates von 1989 ausfŸhrlich dargelegt. ErgŠnzungen und weitere Einzelheiten folgten 1990. Sie dienten der Weiterentwicklung des Grundgedankens.

ZunŠchst ging es darum, zum Abbau der Konfrontation in Europa und zur Anbahnung normaler, gegenseitig vorteilhafter und natŸrlich friedlicher Beziehungen zwischen allen Staaten des Kontinents beizutragen. Bei der Realisierung dieser Idee entwickelten sich umfangreiche bilaterale Kontakte der UdSSR zu Frankreich, Italien, Spanien, der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten. In den Jahren 1989 und 1990 schlossen sie gewichtige VertrŠge Ÿber allseitige Zusammenarbeit ab. Das VerhŠltnis Moskaus zur EuropŠischen Union normalisierte sich (ist allerdings bis heute nicht endgŸltig formalisiert).

In der folgenden Etappe wurde das Ziel weiter gesteckt. Nach Beendigung der Konfrontation ging es nun  darum, in Europa ein verzweigtes System langfristiger und stabiler friedlicher Zusammenarbeit zu schaffen. Dem diente der Vorschlag, den europŠischen Proze§ weiter zu institutionalisieren, neue Strukturen aufzubauen, die in der Lage waren, die Entwicklung der Zusammenarbeit zu fšrdern, neue Konflikte in Europa zu verhindern und ihnen mit politischen Mitteln vorzubeugen.

Diese Ideen wurden von den europŠischen Staaten, den USA und Kanada positiv aufgenommen, was seinen Niederschlag in der Pariser Charta fŸr ein neues Europa vom November 1990 fand. In diesem Dokument sind die GrundsŠtze und Normen der internationalen Beziehungen in Europa ausfŸhrlich dargelegt, die die Erfordernisse der neuen Zeit widerspiegeln. Zwar wurden danach noch einige organisatorische Schritte gegangen, aber die in diesem Dokument festgehaltenen Aufgaben sind insgesamt nicht realisiert worden. Auch das ist in bedeutendem Ma§e auf den Zerfall der UdSSR zurŸckzufŸhren.

Der zweite Vorschlag zur Konkretisierung der Idee, ein umfassendes System der internationalen Sicherheit aufzubauen, betraf die asiatische Region. Im Jahre 1986 und danach noch einmal 1989 ergriff die sowjetische FŸhrung die Initiative zur Schaffung eines Systems der Sicherheit und Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen Raum. Dabei hatte man nicht im Auge, die fŸr Europa bestimmten VorschlŠge einfach auf den asiatischen Kontinent zu Ÿbertragen. Von einem "Asiatischen Haus" war nicht die Rede, denn die Situation in dieser Region unterschied sich grundsŠtzlich von der in Europa. Aber auch auf diesem Kontinent mit hšchst gefŠhrlichen Konfliktherden war die Notwendigkeit offensichtlich, kollektive Anstrengungen zu unternehmen. ZunŠchst kamen diese Ideen in Asien nur mŸhsam voran. Und wenn es auch bis heute zu einem geschlossenen System friedlicher Beziehungen auf dem ganzen asiatischen Kontinent noch ein weiter Weg ist, kam es doch in den folgenden Jahren zu gewissen positiven VerŠnderungen. Die Ideen von Wladiwostok und Krasnojarsk beginnen zu wirken. Sie waren im GesprŠch. In Japan entstand ein "Runder Tisch", wo diese VorschlŠge regelmŠ§ig eršrtert werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Region entwickelte sich aktiver.

Von gro§er Bedeutung war in diesem Zusammenhang die mit der Regelung einer Reihe strittiger Probleme, darunter auch die Grenzfrage, verbundene Normalisierung der Beziehungen zwischen den UdSSR und China im Jahre 1990, in denen faktisch seit Ende der fŸnfziger / Anfang der sechziger Jahre gefŠhrliche Spannungen herrschten. Wichtig war auch die Wiederaufnahme des normalen Dialogs zwischen der UdSSR und Japan im Jahre 1991 und die všllig neue Anbahnung von Beziehungen zwischen der UdSSR und der Republik Korea.

Bereits im Jahr 1985 hatte der GeneralsekretŠr des ZK der KPdSU ein abgestimmtes Vorgehen der UdSSR, der USA und anderer Staaten der Weltgemeinschaft zur Regelung regionaler Konflikte mit politischen Mitteln vorgeschlagen. Viele dieser Konflikte waren entweder direkter Ausdruck der Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und den USO oder wurden von beiden Seiten aktiv dafŸr genutzt, um ihre Positionen in einzelnen Regionen gegenseitig zu schwŠchen.

Dabei wurden die wirklichen Interesse der Všlker dieser LŠnder, milde gesagt, nur in sehr geringem Ma§e berŸcksichtigt, zuweilen auch offen mi§achtet. Die Politik des Neuen Denkens zielte nun konsequent darauf, den Frieden Ÿberall wiederherzustellen, wo er gestšrt war, das Recht der betroffenen Všlker auf die freie Wahl ihres Entwicklungsweges uneingeschrŠnkt zu achten und jegliche Einmischung in deren innere Angelegenheiten zu unterbinden.

Bereits 1985 wurde im sowjetischen PolitbŸro Ÿber die Beendigung des Krieges in Afghanistan debattiert. Im politischen Bericht des ZK der KPdSU an den XXVII. Parteitag im Februar 1986 folgte dann die šffentliche ErklŠrung, da§ dieser Krieg eingestellt werden mŸsse. Bald darauf wurde ein Teil der sowjetischen Truppen aus Afghanistan abgezogen. Einige Zeit spŠter verlie§en alle sowjetischen Einheiten afghanisches Gebiet. Das geschah am 15. Februar 1989. Ein unglŸckseliges, schmachvolles Kapitel der Geschichte der Sowjetunion war damit zu Ende.

Heute wird oft die Frage gestellt, warum Gorbatschow diesem Krieg nicht schon 1985 ein Ende bereitete.

Hier gilt es erstens zu berŸcksichtigen, da§ es in der sowjetischen FŸhrung Leute gab, die der Meinung waren, Eile sei nicht geboten, wenn die Truppen Ÿberhaupt aus Afghanistan abgezogen werden sollte. Die Hauptsache ist jedoch, da§ zweitens auch andere Staaten an den Ereignissen in Afghanistan beteiligt waren, vor allem Pakistan und der Iran, aber auch die USA, die die afghanischen Mudjaheddin mit Waffen versorgten und Pakistan aktiv unterstŸtzten.

Um die Truppen abzuziehen, mu§ten zunŠchst die notwendigen Šu§eren Bedingungen geschaffen werden. DafŸr waren langwierige diplomatische Verhandlungen notwendig, die erst am 15. Mai 1988 mit den entsprechenden Vereinbarungen abgeschlossen werden konnten. Unmittelbar danach begann der Abzug der sowjetischen Truppen.

Bereits bei ihrer ersten Begegnung im November 1985 in Genf kamen die fŸhrenden ReprŠsentanten der Sowjetunion und der USA Ÿberein, zur Beendigung lokaler Konflikte beizutragen. Etwas spŠter setzten gemeinsame Aktionen beider Staaten ein, die sich ihrerseits mit den betroffenen Seiten abstimmten, um die Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent (in Namibia, Angola und Mozambique), in Asien (in erster Linie in Kambodscha) und Mittelamerika einer Lšsung zuzufŸhren. In einigen FŠllen brachten diese gemeinsamen BemŸhungen durchaus zufriedenstellende Ergebnisse. Das kann man fŸr Namibia und auch fŸr Mittelamerika sagen. In anderen FŠllen sind die Probleme bis heute nicht gelšst. Aber ein Friedensproze§ wurde Ÿberall eingeleitet. Hier soll auch daran erinnert werden, da§ seit dem Ausbruch des regionalen Konfliktes in Jugoslawien ganz am Ende der Perestroika der PrŠsident der Sowjetunion die Ereignisse von Anfang an mit grš§tem Interesse verfolgte, obwohl dies fŸr ihn die schwerste Zeit zwischen dem Augustputsch von 1991 und den Zerfall der Sowjetunion am Ende jenen Jahres war.

Seine Position, die er George Bush, dem šsterreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky und danach auch den nach Moskau eingeladenen FŸhrern Kroatiens und Serbiens darlegte, lief darauf hinaus, da§ die an dem Konflikt beteiligten Seiten sich an den Verhandlungstisch setzen und dort ihre Probleme klŠren sollten. Man kšnne nicht zulassen, da§ es zu einer Tragšdie komme. Auf keinen Fall dŸrfe man zu den Waffen greifen, denn das werde den Všlkern schaden und sich lange hinziehen. Tudjman und Milosevic unterzeichneten sogar ein Kommuniqué Ÿber die Einstellung der Kriegshandlungen und die friedliche Lšsung der entstandenen Probleme. Aber diese Initiative wurde nach dem Zerfall der UdSSR nicht weitergefŸhrt.

In diese letzte Phase der TŠtigkeit des sowjetischen PrŠsidenten fiel auch die Eršffnung der internationalen Konferenz zur Lšsung der Nahostfrage am 1. Oktober 1991 in Madrid. Den Vorsitz teilten sich die UdSSR und die USA. Der Eršffnung dieser Konferenz waren langwierige vorbereitende Verhandlungen vorausgegangen.

Die Sowjetunion hatte sich seit Jahren fŸr die Einberufung einer solchen Konferenz ausgesprochen. Die Vereinigten Staaten nahmen lange Zeit eine abwartende Haltung ein. Erst als das VerhŠltnis zwischen Moskau und Washington eine wirkliche Normalisierung erfuhr und der Golfkrieg bewies, da§ eine Lšsung der Nahostfrage nicht lŠnger hinausgezšgert werden konnte, stimmten sie diesem sowjetischen Vorschlag zu.

Die Madrider Konferenz war der Auftakt zu einem Šu§erst komplizierten Proze§ - schlie§lich ging es um den Šltesten Konflikt der Nachkriegszeit -, der bis heute anhŠlt und durchaus sichtbare, wenn auch nicht endgŸltige positive Ergebnisse gebracht hat.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Beziehungen der UdSSR zu den Staaten Mittel- und Osteuropas. Bis heute wird gefragt, wie sich die UdSSR mit den "friedlichen Revolutionen" in diesen LŠndern abfinden konnte, warum sie nicht alles tat, was in ihrer Macht stand, um diese LŠnder in ihrer Einflu§sphŠre zu halten. Wer so fragt, hat nach unserer Meinung die Politik der Perestroika immer noch nicht verstanden oder will sich mit der tiefgreifenden Wende nicht abfinden, die diese herbeifŸhrte. Mit anderen Worten, dies zeugt vom Beharren auf einer alten Politik, die das Recht der Všlker auf die freie Wahl ihres Entwicklungsweges nach wie vor nicht anerkennt und an einem imperialen Kurs festhalten mšchte. Die Erneuerung der Au§enpolitik erfa§te, wie bereits gesagt, das gesamte Spektrum der Beziehungen der UdSSR zu anderen Staaten. Der sowjetischen FŸhrung war klar, da§ Inhalt und Charakter der Beziehungen der Sowjetunion zu den sozialistischen LŠndern gleichsam als Lackmustest fŸr ihre Absichten angesehen wurden. Dabei ging es nicht nur darum, bei anderen Staaten (die sozialistischen eingeschlossen) das notwendige Vertrauen zur sowjetischen Politik zu erwecken. Vor allem das sowjetische Volk selbst mu§te zu dieser Politik Vertrauen gewinnen.

Als die sowjetische FŸhrung die Perestroika einleitete, deren Sinn darin bestand, dem eigenen Volk die Freiheit zu bringen, konnte sie gegenŸber den Staaten Mittel- und Osteuropas nicht andere Kriterien anwenden. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der NachbarlŠnder wurde eingestellt. Aus Moskau kamen keine RatschlŠge oder gar Weisungen mehr. Die Sowjetunion, die die Perestroika durchfŸhrte und davon Ÿberzeugt war, da§ das Erbe des Stalinismus Ÿberall Ÿberwunden werden mu§te, hatte zugleich keinerlei Absicht, ihre Erfahrungen und Ziele zu exportieren. Wenn fŸhrende Vertreter der Sowjetunion Staaten des Warschauer Paktes besuchten, informierten sie natŸrlich darŸber, was in der Sowjetunion vorging und weiter beabsichtigt war. Dabei gab es keine Spur von Druck. Dies wurde uns zuweilen sogar Ÿbelgenommen, insbesondere von Politikern dort, die die Notwendigkeit von VerŠnderungen erkannten und wŸnschten, Moskau mšge ihre StaatsfŸhrer in diese Richtung drŠngen. Moskau blieb jedoch seiner Linie treu. Als in den Staaten Osteuropas VerŠnderungen einsetzten, wurden die Ergebnisse des Volkswillens unverzŸglich als legitim, als freie Entscheidung des jeweiligen Volkes Ÿber den eigenen Entwicklungsweg anerkannt.

Die neuen GrundsŠtze und Methoden der sowjetischen Au§enpolitik in der Zeit der Perestroika spielten bei der Vereinigung Deutschlands eine entscheidende Rolle. Die Sowjetunion, der bewu§t war, welch anomalen Zustand die Spaltung der deutschen Nation darstellte, hatte den WestmŠchten auch in der Vergangenheit, bis zum Jahr 1959, in verschiedener Form VorschlŠge zur Vereinigung Deutschlands unterbreitet. Der Westen hielt sie fŸr Propaganda und wie sie regelmŠ§ig zurŸck. In gewissem Ma§e waren sie tatsŠchlich propagandistischer Natur. Aber unsere GesprŠchspartner haben auch nicht ein einziges Mal versucht, Moskau beim Wort zu nehmen.

Als die Perestroika begann, stand die Wiedervereinigung Deutschlands nicht als aktuelles Problem auf der Tagesordnung. Dabei war in Moskau von Anfang an klar, da§ es frŸher oder spŠter akut werden mu§te.

Wie sich die Entwicklung dann konkret gestaltete, wurde in vielerlei Hinsicht durch die Situation in der DDR bestimmt.

Dort lebte das Volk materiell besser als in anderen Staaten des Ostblocks. Was jedoch die politischen Freiheiten betraf, so war es um sie nicht gŸnstig bestellt. Die Demokratisierungsprozesse in unserem Lande fŸhrten dazu, da§ die Unzufriedenheit der BŸrger der DDR Ÿber die HŠrte des Regimes immer deutlicher sichtbar wurde. Die Bundesrepublik sprach gegenŸber Moskau die Frage der Wiedervereinigung nicht offen an, allerdings wiesen die Bonner ReprŠsentanten auf den anomalen Zustand der Spaltung des Landes hin. Darauf folgte in der Regel die Antwort: Die Spaltung Deutschlands ist ein Ergebnis der Geschichte, und die Geschichte wird das Problem eines Tages lšsen. Da hei§t, die sowjetische Seite schlo§ die Mšglichkeit der Wiedervereinigung nicht kategorisch aus, wollte sie aber der Zukunft Ÿberlassen. Diesen Gedanken bekrŠftigte Michail Gorbatschow bei seinem Besuch in Bonn im Juni 1989.

Im Herbst desselben Jahres jedoch ŸberstŸrzten sich die Ereignisse - ausgelšst von den BŸrgern der DDR selbst.

Eine Massenflucht in die BRD setzte ein - zunŠchst aus Ungarn, dann Ÿber die Tschechoslowakei. Manchem war jeder Web recht, auch Ÿber die Mauer, was Gefahr fŸr Leib und Leben bedeutete. Im Land selbst verstŠrkten sich die Äu§erungen des Unmuts. Den Deutschen in der DDR war zu diesem Zeitpunkt klar, da§ die Sowjetunion keine Gewalt anwenden wŸrde, um die Wiedervereinigung zu verhindern. Das war fŸr sie das Signal, da§ der Wille zur Einheit eine Chance hatte. Der Druck auf die FŸhrung der DDR wuchs. Er fŸhrte schlie§lich dazu, da§ die alte FŸhrung unter Erich Honecker zurŸcktrat, die Berliner Mauer, dieses Symbol der Spaltung nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas, fiel und schlie§lich das Brandenburger Tor gešffnet wurde. Unter diesen Bedingungen handelte Moskau optimal: Es schlo§ die Anwendung von Gewalt, den Einsatz der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen aus und tat alles, was in seiner Macht stand, damit die Prozesse friedlich abliefen und die Lebensinteressen weder der UdSSR noch der DDR noch der BRD verletzt wurden oder der Frieden in Europa in Gefahr geriet. Hier ist allerdings zu betonen, da§ es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Aktionsprogramm oder konkreten Lšsungsplan gab.

Anfang November hoffte man in Moskau noch, die neue FŸhrung der DDR (an deren Spitze inzwischen Egon Krenz stand) kšnnte die Situation in den Griff bekommen und, falls die Frage der Vereinigung akut wŸrde, diese in Etappen realisieren und die DDR noch mšglichst lange erhalten. Aber die Dinge entwickelten sich immer schneller. Bereits im November setzte im Grunde genommen der Zerfall der staatlichen Strukturen der DDR ein.

Ende November 1989 trat Bundeskanzler Helmut Kohl mit seinen zehn Pulten hervor, die einen Plan der schrittweisen Vereinigung Deutschlands darstellten. Dieser wurde zunŠchst von Gorbatschow scharf zurŸckgewiesen.

Er sah darin einen Versuch des Kanzlers, gegen alle LoyalitŠt die Situation auszunutzen und einseitig zu bestimmen.

Die VerbŸndeten der Bundesrepublik Deutschland Šu§erten sich ebenfalls besorgt. US-PrŠsident George Bush sprach dieses gegenŸber Gorbatschow offen aus. Auch in den Kontakten Gorbatschows mit den fŸhrenden Vertretern anderer Staaten, zum Beispiel Frankreichs, klang diese Sorge an.

Der neue MinisterprŠsident der DDR, Hans Modrow, brachte jedoch bereits Anfang 1990 seinen eigenen Plan zur Vereinigung Deutschlands ins GesprŠch. Ende Januar fand in Moskau eine gro§e Beratung zur Deutschlandfrage statt.

Nach hitzigen Debatten (das Protokoll dieser Beratung ist nicht veršffentlicht worden) formulierte Michail Gorbatschow seine Position so: - Die Sowjetunion ergreift die Initiative zur Bildung einer Sechsergruppe (die vier SiegermŠchte UdSSR, USA, Gro§britannien und Frankreich sowie die beiden deutschen Staaten DDR und BRD), um alle Šu§eren Aspekte des Vereinigungsprozesses zu eršrtern.

- In der Politik gegenŸber der Bundesrepublik Deutschland konzentriert sich die UdSSR auf Kohl, ohne dabei die SPD zu ignorieren. - Der neue MinisterprŠsident der DDR, Hans Modrow, und der neue Parteivorsitzende, Gregor Gysi, werden nach Moskau eingeladen.

- In der Deutschlandfrage wird enger Kontakt zu London und Paris gehalten.

- Marschall Sergej Achromejew bereitet den Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR vor.

Im Februar 1990 wurde auf der Konferenz zur "Open Sky" - Initiative in Ottawa eine †bereinkunft Ÿber die Bildung der Sechsergruppe (Zwei plus Vier) erzielt. Danach fanden drei Verhandlungsrunden in diesem Kreise statt.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, da§ die neue FŸhrung der DDR in dieser Zeit selbst Eile an den Tag legte, ohne dabei die mšglichen Folgen zu bedenken. Am 13. Februar begannen in Bonn Verhandlungen zwischen der DDR und der BRD Ÿber die Bildung einer Wirtschafts- und WŠhrungsunion. Nach ihrem Abschlu§ verkŸndete Modrow die baldige Vereinigung beider Staaten. Am 24. Juni bestŠtigte die Volkskammer der DDR den in aller Eile ausgearbeiteten Entwurf eines Staatsvertrages Ÿber die Wirtschafts-, WŠhrungs- und Sozialunion mit der BRD. Dieser trat am 1. Juli in Kraft. Inzwischen wurden in den GesprŠchen im Kreise Zwei plus Vier, aber auch in den bilateralen Verhandlungen zwischen der UdSSR und der BRD die Šu§eren Aspekte der Vereinigung Deutschlands lebhaft eršrtert. Dazu gehšrten die Bedingungen, nach denen sich die Vereinigung vollziehen sollte, die Anerkennung der bestehenden Grenzen (vor allem zu Polen) durch Deutschland, der Verzicht auf die Stationierung von NATO-Einheiten auf dem Gebiet der DDR (unter der Voraussetzung, da§ das vereinigte Deutschland NATO-Mitglied blieb), der Zeitplan des Abzuges der sowjetischen Truppen von diesem Gebiet, die (finanzielle) UnterstŸtzung des Abzuges durch die Bundesrepublik und andere Fragen von beiderseitigem Interesse. Entsprechende Vereinbarungen wurden getroffen und im Vertrag Ÿber die abschlie§ende Regelung in bezug auf Deutschland fixiert. Die Unterzeichnung des Vertrages fand am 12. September 1990 in Moskau statt. Am 3. Oktober war die Vereinigung Deutschlands RealitŠt.

Heute kann man zweifelsfrei feststellen: HŠtte im Zentrum Europas die ZeitzŸnderbombe des geteilten Deutschlands fortbestanden, dann wŠre es nicht mšglich gewesen, die Konfrontation endgŸltig zu Ÿberwinden; der Frieden zwischen den Gro§mŠchten in Europa wŠre instabil geblieben. Die Vereinigung verlief ruhig, ohne Komplikationen fŸr eine der beiden Seiten, vor allem aber ohne jede ErschŸtterung der StabilitŠt in Europa. Sie ist ein weiterer Beweis dafŸr, da§ das Neue Denken, das neue au§enpolitische Vorgehen der Sowjetunion in der Zeit der Perestroika FrŸchte getragen hat.

Wenn von diesem neuen Vorgehen die Rede ist, kann ein weiteres wichtiges Ergebnis vom Anfang der neunziger Jahre - die Krise im Persischen Golf - nicht mit Schweigen Ÿbergangen werden. Ohne auf bekannte Einzelheiten einzugehen, wollen wir hier nur folgendes darlegen: Bis 1985 war die Sowjetunion mit dem Irak durch eine Reihe von VertrŠgen und Abkommen verbunden, wodurch dieses Land de facto zu ihren VerbŸndeten zŠhlte. Wenn eine derartige Krise vor der Zeit des Neuen Denkens und der Beendigung der globalen Konfrontation ausgebrochen wŠre, hŠtte das fŸr die UdSSR eine schwierige Situation bedeutet. Aber die neu au§enpolitische Orientierung gab ihr die Mšglichkeit, die Grundsatzposition einzunehmen, da§ eine Aggression nicht begŸnstigt werde, da§ ein Aggressor aus einem Konflikt keine Vorteile ziehen darf. An diese Linie hielt sich Moskau von Anfang bis Ende der genannten Ereignisse.

Die Golfkrise war die erste ernste PrŸfung fŸr das neue VerhŠltnis, das sich zwischen der UdSSR einerseits, den USA und den anderen Staaten des Westens andererseits herausgebildet hatte. Diese PrŸfung wurde bestanden, wenn auch nicht mit der Idealnote. Die Position der UdSSR unterschied sich in Nuancen von den USA - aber eben nur in Nuancen, wenn diese auch bedeutsam waren. Moskau hielt es fŸr zweckmŠ§ig, es nicht zum Krieg kommen zu lassen. Aus seiner Sicht wŠre es richtiger gewesen, den Irak mit friedlichen, politischen Mitteln zu zwingen, seine Verpflichtungen gegenŸber der Weltgemeinschaft zu erfŸllen, vor allem Kuwait in Frieden zu lassen und sich von seinem Territorium zurŸckzuziehen.

Entsprechende diplomatische Schritte wurden eingeleitet. Sie wurden jedoch vom Irak selbst zunichte gemacht, dessen FŸhrung verbrecherischen Starrsinn an den Tag legte.

Der Golfkrieg konnte nicht verhindert werden. Damit war es nicht gelungen, den Weg einer politischen Beendigung des Konflikts zu gehen, die im Bereich des Mšglichen lag. Man entschied sich wiederum fŸr Gewalt als dem wirksamsten Mittel, das in der Zeit des Kalten Krieges vielfach erprobt war. In den USA ist man bis heute bei dieser Vorgehensweise geblieben.

FŸr die Weltpolitik war es jedoch ein Šu§erst wichtiger PrŠzedenzfall, da§ alle Aktionen zur Unterbindung der Aggression und zur Bestrafung des Aggressors mit Zustimmung der UNO und im Rahmen entsprechender BeschlŸsse ihres Sicherheitsrates erfolgten. Hier sei auf den Hauptaspekt der au§enpolitischen Wende der Sowjetunion verwiesen.

Diese hŠtte nicht vollzogen werden kšnnen, wenn die Perestroika im Land selbst nicht ein solches Niveau der Demokratisierung hervorgebracht hŠtte, das schlie§lich zur †berwindung des Totalitarismus fŸhrte, und wenn unser Land nicht den Weg von Glasnost und Freiheit eingeschlagen hŠtte.

Einerseits hŠtte es ohne die Perestroika im Land selbst nicht die Mšglichkeit gegeben, die Au§enpolitik zu verŠndern.

Andererseits war die Perestroika im Innern fŸr die Au§enwelt der Ÿberzeugendste Beweis fŸr die ehrlichen Absichten der Sowjetunion und ihrer FŸhrung. Denn wie zahlreich Dokumente des Westens bezeugen, sahen dessen FŸhrer die Hauptgefahr fŸr sich in der inneren Ordnung der UdSSR, im Totalitarismus, im Erbe des Stalinismus. Die †berwindung der totalitŠren Ordnung, der Verzicht auf die Stalinschen Dogmen in Theorie und Praxis waren fŸr den Westen wie fŸr die gesamte Au§enwelt der Beweis fŸr die Ehrlichkeit und wirkliche Friedensliebe der sowjetischen Politik. Wie bereits erwŠhnt, war die Haltung des Westens zur neuen sowjetischen Politik argwšhnisch und widersprŸchlich - und das nicht nur in der ersten Zeit. Die Last der Vergangenheit das tief im Bewu§tsein sitzende Feindbild zeugten Wirkung. Auch durchaus reale unterschiedliche Interessen der UdSSR von den Staaten des Westens (die untereinander allerdings ebenfalls nicht immer Ÿbereinstimmen) spielten eine Rolle. Und natŸrlich hatte jedes Land auch seine spezifische Sicht auf die Sowjetunion, seine eigenen Bedenken und Ziele.

Ausgehend davon waren die Staaten des Westens in allen damaligen Verhandlungen gemeinsam (und jeder im einzelnen) bestrebt, den Druck zu verstŠrken, hier und da mehr Vorteile fŸr sich herauszuholen, als vernŸnftig gewesen wŠre. Wir widersetzten und diesen Forderungen, waren unsererseits stŠndig auf der Hut und zeugten entsprechende HŠrte.

Insgesamt war es aber das konsequent ehrliche Vorgehen der sowjetischen FŸhrung bei den konkreten AbrŸstungsproblemen und anderen Fragen der internationalen Beziehungen, das Prozesse wieder in Gang brachte, die 1985 in einer gefŠhrlichen Sackgasse steckten.

Das war nicht einfach - nicht nur in rein diplomatischer Hinsicht, sondern mehr und mehr auch im Bereich der Innenpolitik. Die innere Perestroika demokratisierte nicht nur wesentlich die Au§enpolitik, sondern auch die Art und Weise, wie au§enpolitische BeschlŸsse erarbeitet und gefa§t wurden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die XIX. Parteikonferenz, wo offen die Forderung gestellt wurde, das Zustandekommen au§enpolitischer BeschlŸsse zu demokratisieren, Entscheidungen im engen Kreis (wie den Beschlu§ Ÿber den Truppeneinmarsch in Afghanistan) kŸnftig auszuschlie§en, das Parlament aktiv in die Eršrterung von Problemen der Au§enpolitik einzubeziehen. Diese Demokratisierung, die der Au§enpolitik im Lande selbst stŠrkeren Halt gab, erschwerte in gewisser Weise zugleich die diplomatische TŠtigkeit.

Je hšher die Wellen der innenpolitischen Debatten und Meinungsverschiedenheiten schlugen, die schlie§lich zu offener Konfrontation verschiedener Auffassungen und Stršmungen fŸhrten, desto mehr wurde auch die Au§enpolitik Gegenstand dieses Kampfes, stie§ auf wachsenden Widerstand der konservativen KrŠfte, der Parteinomenklatura und der ideologischen GralshŸter der poststalinistischen Schule.

Ungeachtet aller dieser inneren und Šu§eren Schwierigkeiten brachte die Au§enpolitik der Perestroika, die von den Ideen des Neuen Denkens inspiriert war, substantielle und unbestreitbar positive Ergebnisse.

Das erste und wichtigste besteht darin, da§ die Politik der Perestroika und des Neuen Denkens zur Beendigung des Kalten Krieges fŸhrte. Damit fand eine lang andauernde und potentiell Šu§erst gefŠhrliche Periode der weltweiten Entwicklung ihren Abschlu§, da die gesamte Menschheit mit der stŠndigen Gefahr eines atomaren Infernos gelebt hatte.

Bekanntlich wird seit Jahren darŸber gestritten, wer in diesem "Krieg" gewonnen und wer verloren hat. Nach unserer Meinung ist allein diese Fragestellung ein RŸckfall in die Vergangenheit, in das Denken nach den Kategorien der Konfrontation. Aus der Position der Vernunft ist unbestreitbar, da§ die ganze Menschheit, jedes Land und jeder Mensch gewonnen haben. Die Gefahr eines atomaren Holocaust ist heute Geschichte. NatŸrlich nur, wenn es keinen generellen RŸckfall gibt. Das aber hŠngt von der Reife der Politik und der Politiker ab.

Von der Last des Kalten Krieges befreit, erhielten zahlreiche Všlker Europas und der "Dritten Welt" die Mšglichkeit, Ÿber ihr Schicksal frei zu entscheiden, konnte sich der Ÿber Jahrzehnte kŸnstlich gebremste, weltweite demokratische Proze§ frei entfalten. Das ist das zweite wichtige Ergebnis der Perestroika und ihrer Politik auf internationalem Gebiet. Der Wirkungsbereich der KrŠfte des Totalitarismus wurde stark eingeschrŠnkt, der Spielraum fŸr demokratische Entwicklung erweitert.

Das dritte Ergebnis der Perestroika auf internationalem Gebiet liegt darin, da§ sie zu einem Faktor der Vervollkommnung und Humanisierung der internationalen Beziehungen wurde.

Was hat das Neue Denken der Weltpolitik als Erbe hinterlassen? - Eine umfassende Konzeption der Internationalen Sicherheit, die den neuen Bedingungen der zunehmenden Interdependenz der Staaten und Všlker entspricht, eine Konzeption, bei deren Realisierung gleiche Sicherheit fŸr alle erreichbar ist. - Ein weites VerstŠndnis der internationalen Sicherheit, das nicht nur den militŠrpolitischen Aspekt, sondern alle Seiten der Existenz der Weltgemeinschaft umfa§t und alle Erscheinungen, die Gefahren fŸr die Sicherheit der Menschen, der Nationen und Staaten heraufbeschwšren kšnnen, berŸcksichtigt. - Die Konzeption einer atomwaffen- und gewaltfreien Welt als unverzichtbarer Aspekt des †bergangs der Menschheit zu einem neuen, qualitativ hšheren Niveau der Zivilisation, eines †bergangs ohne Katastrophen, ohne Tragšdien mit Millionen Opfern.

- Eine neue Methodologie fŸr die praktische Realisierung der internationalen Politik, die auf einem ideologiefreien Umgang miteinander, auf Interessensausgleich, auf dem bedingungslosen Primat politischer Mittel, auf der Suche nach vernŸnftigen Kompromissen beruht; einer Politik, die auf dem †bergang zu gemeinsamer Entwicklung, zu gegenseitig vorteilhafter Zusammenarbeit fŸr die Lšsung nicht nur der aktuellen, sondern auch der langfristigen Probleme der gesamten Menschheit ausgerichtet ist, vor allem des Problems ihres †berlebens.

Was hat das Neue Denken unserem Land - zu jener Zeit der Sowjetunion - gebracht? Seine Sicherheit wurde wesentlich gestŠrkt. Die Beziehungen zu allen Staaten in Ost und West wurden in normale Bahnen, frei von Konfrontation, gelegt. Unter Land kam auf dem Weg zu gleichberechtigter Partnerschaft, die den Interessen aller entsprach, weiter voran. Es wurden Voraussetzungen dafŸr geschaffen, die Last der MilitŠrausgaben und der RŸstung wesentlich zu verringern. Die Frage, die die BŸrger unseres Landes jahrzehntelang bewegte - "Wird es Krieg geben?" -, brauchte nicht mehr gestellt zu werden.

Bis heute ist die Au§enpolitik der Jahre 1985 - 1991 allerdings auch Gegenstand von Kritik, SchmŠhung und zuweilen sogar offener Verleumdung.

Es hei§t, die Sowjetunion sei bei der Reduzierung der Raketen mittlerer und geringer Reichweite Ÿbereilt vorgegangen und habe zudem mehr Raketen abgebaut, als z.B. die USA. Letzteres trifft zu. Aber hŠtte man etwa nicht jeglichen Reduzierungen zustimmen mŸssen, um die riesige reale Gefahr von unserem Land abzuwenden - hochprŠzise amerikanische Raketen, die sowjetisches Gebiet bis zum Ural in Minutenschnelle erreichen konnten, ohne da§ wir Gegenma§nahmen hŠtten ergreifen, vor allem aber die Menschen hŠtten retten kšnnen? Wir brachten Opfer bei der QuantitŠt, erzielten aber einen unschŠtzbaren Gewinn bei der QualitŠt. Das war und bleibt das Wesentliche.

Weiter hei§t es, wir hŠtten unsere VerbŸndeten in Osteuropa verloren und diese Staaten ohne Gegenleistung "abgetreten". Aber an wen haben wir sie abgetreten? An ihre eigenen Všlker. Diese haben in freier WillensŠu§erung den Entwicklungsweg gewŠhlt, der ihren nationalen Erfordernissen entspricht. Die gesellschaftliche Ordnung, die in den LŠndern Mittel- und Osteuropas bestand, war von der Geschichte ebenso zum Scheitern verurteilt wie in unserem Land. Sie hatte sich lŠngst Ÿberlebt und war den Všlkern eine Last geworden.

Diese Ordnung zu retten und zu konservieren hŠtte bedeutet, die Position unseres Landes noch mehr zu schwŠchen, es in den Augen des eigenen Volkes und der ganzen Welt zu kompromittieren. Eine "Rettung" wŠre ohnehin nur auf eine Art mšglich gewesen - mit Panzern (wie 1968 in der Tschechoslowakei) und allen sich daraus ergebenden Folgen bis hin zu einem gro§en Krieg in Europa.

Zur Vereinigung Deutschlands: Die Machtposition des DDR-Regimes fiel Šhnlich einem Kartenhaus in sich zusammen.

Die Menschen flohen vor ihm und riskierten dabei sogar ihr Leben. Dieses Regime retten? Wieder Panzer in Marsch setzen? Bei der Bedeutung, die Deutschland fŸr Ost und West hatte, bei der Konzentration der Truppen, die in diesem Land standen, hŠtte jedes gewaltsame Vorgehen gegen den Willen der Deutschen zur Vereinigung bedeutet, einen Krieg, vielleicht sogar einen Weltkrieg zu riskieren.

Wir sollen damit nicht behaupten, da§ in der Zeit der Perestroika auf au§enpolitischem Gebiet alles ideal gewesen wŠre und es keine Mšglichkeit gegeben hŠtte, manches effektiver und besser zu tun. Solche Mšglichkeiten gab es.

Zugleich ist  ohne jeden Zweifel festzustellen: Was in den entscheidenden Bereichen geplant und ausgefŸhrt wurde, entsprach den Interessen und BedŸrfnissen unseres Landes, trug zur StŠrkung seiner Sicherheit und zur Festigung seiner internationalen Position bei und natŸrlich zur Festigung der Grundlagen des Friedens in der Welt.



Version: 14.1.2017
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Joachim Gruber