Das Neue Denken - Politik im Zeitalter der Globalisierung

Michail Gorbatschow . Vadim Sagladin . Anatoli Tschernjajew 

Originalausgabe Juli 1997

Wilhelm Goldmann Verlag MŸnchen


Zusammenfassung in
Michail Gorbatschow, Das neue Russland: Der Umbruch und das System Putin, 2015,
Teil III - Beunruhigende Neue Welt, Seiten 353 - 356

Hšrbuch, Zeitintervall 4:55:30 - 5:00:55


Inhaltsverzeichnis

Die Herausforderung einer Politik der StŠrke


"Eine Welt ohne Waffen und ohne Krieg" - so lautet die Losung, die Nikita Chruschtschow einst herausgab. Eine attraktive Lšsung, in der das ewige Streben der grš§ten Geister der Menschheit seinen Ausdruck findet. Aber sie ist bis heute nicht Wirklichkeit geworden. Wann dies geschehen wird, kann niemand sagen. Dabei wŠre ihre Realisierung ein Segen fŸr die Menschen, fŸr die ganze Weltgemeinschaft.

Die Perestroika kam unter neuen Bedingungen auf dieses hochwichtige Thema zurŸck. Das Neue Denken nŠherte sich ihm unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen wurde festgestellt, da§ ein Atomkrieg ausgeschlossen werden mu§, weil er die Menschheit ins Verderben stŸrzt, da§ ein genereller Verzicht auf militŠrische Mittel zur Streitbeilegung, zur Konfliktlšsung notwendig ist. Denn nunmehr kann selbst ein mit konventionellen Waffen gefŸhrter Krieg, in dem Atomkraftwerke, Anlagen der chemischen Industrie und andere ProduktionsstŠtten zerstšrt werden, zu einer Katastrophe mit unabsehbaren Folgen fŸhren. Zum anderen ging das Neue Denken von der einfachen Wahrheit aus, da§ unter diesen UmstŠnden rationale Ziele mit Waffengewalt nicht mehr erreichbar sind. Der einzig mšgliche Weg schien zu sein, auf die Politik der StŠrke zu verzichten, zu einer Welt ohne Atomwaffen und Gewalt zu kommen, wie es im November 1986 in der Deklaration von Delhi formuliert wurde.

Es gibt auch andere Standpunkte, die den Krieg als unausrottbares †bel ansehen, das tief in der menschlichen Natur verwurzelt sei. Ein †bel, von dem sich die Menschheit nicht befreien kšnne. Die Geschichte scheint diese These zu bestŠtigen. Man hat ausgerechnet, da§ die Erde in Jahrtausenden nur wenige Jahre všllig frei von Kriegen war. Aber weshalb in die Ferne schweifen? Allein von 1945 - 1991 haben nach unterschiedlichen Berechnungen 150 bis 160 bewaffnete Konflikte stattgefunden. Sie haben 7,2 Millionen Soldaten das Leben gekostet. Die Opfer unter der Zivilbevšlkerung, die Verwundeten und KriegskrŸppel nicht mitgerechnet ... Von den etwa 2400 Wochen seit dem Jahr 1945 sind es lediglich drei, in denen nirgendwo Krieg tobte.

So war es. Und die Kette des Krieges rei§t bis heute nicht ab. Hei§t das aber, da§ es so weitergehen wird und immer so sein mu§? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn die Politik der StŠrke, die Lšsung von Problemen mit Waffengewalt ist uralte Tradition, sitzt tief im Bewu§tsein der Menschen und Všlker. Es ist nicht mšglich, diese Tradition mit einem Schlage zu beenden. Und dennoch gibt es Hoffnung. Sie stŸtzt sich auf durchaus reale Tatsachen, von denen auch das Neue Denken ausging.

Erstens setzt sich die Erkenntnis immer mehr durch, wie extrem zerstšrerisch Kriege in unserer Zeit sind, vor allem, wenn Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel zum Einsatz kommen. Schlie§lich fŸgen sie nicht nur dem Besiegten, sondern in nicht geringerem Ma§e auch dem Sieger unannehmbaren Schaden zu.

Zweitens ist die ideologische, politische und militŠrische Spaltung der Welt in zwei einander gegenŸberstehende Blšcke Ÿberwunden, die die Schreckensvision von einem atomaren Holocaust heraufbeschwor.

Zwar war, drittens, der Ausbruch zweier Weltkriege im 20. Jahrhundert in starkem Ma§e auf die WidersprŸche und den Konkurrenzkampf zwischen den Gro§mŠchten zurŸckzufŸhren. Heute dŸrfte jedoch dieser Faktor kaum noch militŠrische Konflikte auslšsen. Denn, wie gesagt, rationale Ziele sind mit Waffengewalt nicht mehr durchzusetzen. Ökonomische WidersprŸche werden mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln gelšst. Der Kampf geht weiter, aber als Wettstreit der Technologien, der ProduktivitŠt und der KonkurrenzfŠhigkeit.

Mit der †berwindung des Kolonialismus ist, viertens, auch der Kampf zwischen Metropolen und Kolonien als Quelle militŠrischer Konflikte Vergangenheit. Die WidersprŸche zwischen den ehemaligen MutterlŠndern und ihren Kolonien bestehen weiter und haben nicht an SchŠrfe eingebŸ§t. Aber erstere setzen auch hier eher auf wirtschaftlichen und politischen Druck als auf Waffengewalt.

FŸnftens hat die Menschheit in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr Erfahrungen bei der friedlichen Lšsung von Streitfragen und Konflikten gesammelt. Das ist ein steiniger Weg, aber es wŠchst die Erkenntnis, da§ diese Erfahrungen verbreitet und konsequent genutzt werden mŸssen.

Das sind die GrŸnde, die uns Hoffnung geben, da§ die Tradition der Gewalt Ÿberwunden werden kann. Das sind die Chancen. Aber nach wie vor ist es Šu§erst schwierig, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Denn gerade heute, da sich die Weltordnung nach der Einstellung des Kalten Krieges im †bergang befindet, wirken nach wie vor auch Faktoren, die zu keinerlei Optimismus Anla§ geben.

Vor allem aber sei hier die Belebung des aggressiven Nationalismus, die Zuspitzung nationaler und ethnischer Konflikte erwŠhnt. Sie sind bisher im Inneren einzelner Staaten aufgeflammt, kšnnen sich aber Ÿber deren Grenzen ausdehnen und internationalen Charakter annehmen.

Nicht ausgeschlossen sind auch schwere soziale Konflikte, besonders in EntwicklungslŠndern wie Mexiko. John Galbraith schlie§t nicht aus, da§ sie auch in entwickelten LŠndern ausbrechen. Er verweist auf die WidersprŸche zwischen dem Teil der Gesellschaft, der Arbeit hat und in materieller Sicherheit lebt, und den marginalen Schichten, den "Unterklassen", wie sie Galbraith nennt. Auch diese Konflikte spielen sich innerhalb der Staaten ab, kšnnen aber internationale Komplikationen auslšsen. Zuweilen stellen Staaten, darunter in Europa, einander territoriale Forderungen. Solche Unruheherde kommen vor allem unter EntwicklungslŠndern vor. (Erinnert sei z.B. an den Krieg zwischen Peru und Ecuador.)


Ein Teil der Politologen und Politiker geht davon aus, da§ die angestauten WidersprŸche zwischen Nord und SŸd auch bewaffnete Konflikte auslšsen kšnnen. Sie verweisen auf die Gefahr der Ausbreitung der Atomwaffen, besonders auf die SchwellenlŠnder, die entweder bereits derartige Waffen besitzen oder in KŸrze in der Lage sein werden, sie zu produzieren.


Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Gefahr neuer Kriege anwachsen lŠ§t, ist das anhaltende WettrŸsten im SŸden. (Viele Staaten haben dort im Unterschied zu den entwickelten LŠndern ihre MilitŠrausgaben in den letzten Jahren nicht gesenkt, sondern erhšht. So steigerte z.B. der Iran seine Aufwendungen fŸr militŠrische Zwecke von 1992 - 1985 nach SIPRI-Angaben um 42,5 Prozent, Pakistan um 19,5 Prozent und Saudi-Arabien um 12,92 Prozent.) Diese Ambitionen werden vom Norden stimuliert, der bestrebt ist, den Waffenhandel zu verstŠrken, sei es aus kommerziellem Interesse oder mit bestimmter politischer Absicht. Im Ÿbrigen wird auch in den entwickelten LŠndern, allen voran den USA, an Waffenarten gearbeitet, die auf grundsŠtzlich neuen Wirkprinzipien (elektronische, psychische und andere Waffen) beruhen.

Zu einer Zeit, da die Menschheit dem 21. Jahrhundert entgegengeht, finden also nach wie vor Kriege statt, bleiben ihre Quellen erhalten, wird das WettrŸsten, das nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes zunŠchst etwas abgeflaut war, weiter fortgesetzt. Aber zugleich wachsen auch die Chancen, Kriege zu verhŸten. Die Herausforderung der Politik der StŠrke, der Kriegsgefahr, bleibt also bestehen. Sie ist nach wie vor von lebenswichtiger Bedeutung.

Angesichts dessen gewinnt das Problem der allgemeinen Sicherheit, der Wege und Mittel, wie diese erreicht werden kann, wachsendes Gewicht. Die LšsungsvorschlŠge, die das Neue Denken vorlegte, sind nach wie vor von Bedeutung. Sie mŸssen allerdings entsprechend den bisherigen und kŸnftigen VerŠnderungen weiterentwickelt werden. Nach unserer Auffassung kšnnen die Hauptaspekte der Sicherheit und ihrer GewŠhrleistung heute folgenderma§en umrissen werden:


Zum ersten ist Sicherheit unter den heutigen Bedingungen nur als gemeinsame Sicherheit vorstellbar. Den beim heutigen Grad der Interdependenz der Staaten und Regionen berŸhrt jeder Konflikt, wo er auch ausbrechen mag, eine Vielzahl verschiedener Interessen, beeinflu§t Lage und Entwicklung gleichzeitig an vielen Punkten unserer Erde. Zum zweiten behŠlt der militŠrpolitische Aspekt der Sicherheit ungeachtet dessen, da§ sich das VerhŠltnis der einzelnen Faktoren der StŠrke zueinander verŠndert hat und das Gewicht der technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Komponenten gewachsen ist, nach wie vor seine Bedeutung. Damit bleibt es auch weiterhin notwendig, aktiv daran zu arbeiten, die RŸstungen der Staaten zu reduzieren, vor allem die Massenvernichtungsmittel, beginnend mit den Atomwaffen, zu liquidieren.

Zum dritten sind der wirtschaftliche, der škologische und der soziale Aspekt zu hšchst wichtigen Bestandteilen des Sicherheitsbegriffs geworden, Konflikte zu verhŸten, die auf die Verschlechterung der Umwelt, auf klaffende Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsniveau oder auf nationale WidersprŸche zurŸckgehen, ist fŸr die Konsolidierung der Grundlagen des Friedens im globalen und regionalen Rahmen Šu§erst wichtig geworden. Zum vierten wŠchst das Gewicht der Innenpolitik der Staaten bei der Erhaltung des Friedens, da die jŸngste Zeit gezeigt hat, da§ Konflikte nicht mehr, wie noch bis vor kurzem, vor allem zwischen Staaten ausbrechen, sondern hŠufig in ihrem Inneren entstehen. Das ist eine neue Situation. Die Verantwortung jedes einzelnen Staates fŸr seine Innenpolitik ist um so grš§er, als die Weltgemeinschaft heute wieder Ÿber die juristischen noch die politischen Mittel verfŸgt, um auf den innerstaatlichen Verantwortungsbereich der nationalen Regierungen wirksamen Einflu§ zu nehmen. Von der bereits erwŠhnten notwendigen Steuerung der Entwicklung in der Welt sind wir noch weit entfernt. Die Lšsung dieses Problems ist ein SchlŸssel zur GewŠhrleistung der internationalen Sicherheit. Aus all dem ergibt sich, zum fŸnften, da§ die Aufrechterhaltung der StabilitŠt in den Staaten und Regionen zu einer wichtigen Voraussetzung fŸr die globale Sicherheit wird. Schritte, die der Aufrechterhaltung der StabilitŠt dienen, sind die beste Garantie fŸr die GewŠhrleistung der Sicherheit. PrŠventive Diplomatie, Organe, die entsprechende Ma§nahmen durchfŸhren kšnnen, gewinnen also grš§eres Gewicht. Dies sind in erster Linie die UNO und die mit ihr zusammenwirkenden regionalen Systeme fŸr Sicherheit und Zusammenarbeit.

Zum sechsten, schlie§lich, ist unumstritten, da§ die GewŠhrleistung der Sicherheit sowohl im engen klassischen VerstŠndnis als auch aus der heutigen weiteren Sicht kollektives Handeln der Staaten erfordert. Die Unteilbarkeit der Welt ist fŸr jeden offensichtlich. Sowohl im regionalen als auch im globalen Rahmen kann es also nur noch um kollektive und kooperative Sicherheit gehen.

Hier kšnnen sicherlich nicht alle Seiten und aktuellen Aspekte eines so komplizierten Themas angesprochen werden. Aber die Hauptsache ist gesagt. Ausgehend davon kann man konkretere Vorstellungen entwickeln, was getan werden kann und mu§, um weitere Stšrungen des Friedens zu verhindern und die Sicherheit auf der Erde zu stŠrken. Vor allem mu§ noch viel unternommen werden, um eine všllige Beseitigung der atomaren Gefahr, genauer gesagt, der Gefahr eines militŠrischen Konflikts mit Atomwaffen zu erreichen. Denn die atomare Bedrohung ist ein direktes Ergebnis, der hšchste Ausdruck des in Jahrhunderten gewachsenen Kultes der Gewalt. Kšnnte man diese Bedrohung beseitigen, wŠre das ein harter Schlag gegen die Politik der StŠrke generell, gegen die so weit verbreitete politische MentalitŠt der Gewalt.

Welche Schritte zu diesem Ziel gegangen werden mŸssen, ist im wesentlichen bekannt. Trotzdem wollen wir hier einige noch einmal nennen und zum Teil aufgrund jŸngerer Erfahrungen ergŠnzen:


- Die USA und Ru§land mŸssen den realen Abbau ihrer Atomwaffen, der bereits begonnen hat, unbedingt fortsetzen. Ihnen mŸssen sich in nŠchster Zeit auch die Ÿbrigen AtommŠchte China, Gro§britannien und Frankreich anschlie§en. - Alle fŸnf AtommŠchte sollten ein besonderes Abkommen Ÿber Schritte zur Reduzierung und Beseitigung der Atomwaffen vereinbaren. - Das 1996 in Kraft getretene vollstŠndige Verbot der Atomwaffenversuche mu§ mit einer wesentlichen VerschŠrfung des Grundsatzes der Nichtweiterverbreitung dieser Waffen einhergehen. Bei Verletzung dieses Verbots sind harte Sanktionen der UNO vorzusehen. - Wichtig wŠre, unter UNO-Kontrolle und bei Mitarbeit der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) ein weltweites, wirksames Beobachtungssystem aufzubauen, das jegliche Versuche auf der Erde, in der Luft oder im Weltraum registriert, die Atomenergie zu militŠrischen Zwecken einzusetzen.

Weiterhin ist es notwendig, die reale Verwirklichung der bereits geschlossenen Abkommen Ÿber das Verbot und die Vernichtung chemischer und bakteriologischer (biologischer) Waffen unter strenger internationaler Kontrolle energisch voranzutreiben. Bislang kšnnen diese Abkommen bei weitem noch nicht als realisiert gelten. Au§erdem ist es, wie das Beispiel Irak gezeigt hat, durchaus mšglich, diese Abkommen zu verletzen, d.h. Massenvernichtungswaffen kšnnen produziert und sogar ihr Einsatz versucht werden. Strikte Kontrolle und Sanktionen bleiben auch in diesem Falle sehr wichtig.

Ein besonderes Problem sind die konventionellen Waffen. Es hat verschiedene Seiten.

Vor allem sei hervorgehoben, da§ der Begriff der konventionellen Waffen total veraltet ist. Die neuen modernen Arten dieser Waffen haben Eigenschaften, die sie mit Massenvernichtungswaffen vergleichbar machen (von denen sie sich lediglich in der FlŠchenwirkung unterscheiden). Es werden auch Typen entwickelt, die die amerikanische MilitŠrterminologie als "non-lethal weapons" (nicht-tšdliche Waffen) bezeichnet. Einige, z.B. die Fernmelde- und Informationstechnik des Gegners stšren oder au§er Betrieb setzen, die schŠumende Substanzen produzieren, welche die Bewegung von MilitŠrtechnik unmšglich machen, elektronische und elektromagnetische Mittel, die die Energieversorgung oder die Fernmeldeverbindungen beeintrŠchtigen, kann man wirklich als solche bezeichnen. Andere wiederum fŸgen der Gesundheit der Menschen schwere SchŠden zu und setzen sie damit au§er Gefecht. Aus diesen GrŸnden mu§ das Problem der konventionellen Waffen auf neue Weise angepackt werden. Es wŠre sicher zweckmŠ§ig, weltweit eine Diskussion Ÿber die Grenzen der qualitativen Vervollkommnung der konventionellen Waffen in Gang zu bringen, wie schwierig ein solches Unterfangen auch sein mag.


In Europa gilt der Vertrag Ÿber die Reduzierung von Truppen und RŸstungen. Seine Realisierung hat bei allen Schwierigkeiten sehr positive Erfahrungen gebracht. Wenn es gelŠnge, ihn auf andere Regionen oder gar Kontinente auszudehnen, wŠre das nur zu begrŸ§en.

Dort, wo benachbarte Staaten dem zustimmen, wŠre es zweckmŠ§ig, Zonen verdŸnnter oder minimaler RŸstungen zu schaffen, selbst wenn sie anfangs relativ klein sind. LŠnder, die diesen Weg eingeschlagen haben, gibt es bereits. Denken wir nur an Neuseeland oder Costa Rica. Sie kommen hervorragend ohne SuperrŸstung aus und haben lediglich ein Minimum an Vernichtungsmitteln behalten. Ihr Beispiel sei anderen zum Studium und zur Nachahmung empfohlen. Ein schwerwiegendes Problem ist der Waffenexport, vor allem in die EntwicklungslŠnder. Er bringt den Produzenten und auch den betreffenden Staaten mŠrchenhafte Gewinne. NatŸrlich fŠllt es schwer, auf derartige GeschŠfte zu verzichten. Aber gerade der Waffenexport erhšht die Gefahr neuer Konflikte, ermuntert Extremisten jeglicher Couleur, darunter den internationalen Terrorismus.

FŸr die Zukunft wŠre es wichtig, den RŸstungsexport všllig einzustellen oder zumindest auf ein international vertraglich vereinbartes Niveau zu senken. Was den Waffenexport in Konfliktregionen betrifft, so mu§ er unverzŸglich gestoppt werden. Illegalen Waffenexport in derartige Gebiete sollte man mit internationalem Terrorismus und Drogenhandel gleichsetzen. Angesichts der politischen Tendenzen und der Situation, die in jŸngster Zeit entstanden ist, wŠre es durchaus mšglich, ein institutionalisiertes Zusammenwirken der Geheimdienste der stŠndigen Mitglieder des Sicherheitsrates (und langfristig weiterer demokratischer Staaten) zur Abwehr von Staatsterrorismus, Drogenhandel und illegalen WaffengeschŠften zu erreichen.

Die RŸstungskonzerne werden derartigen Ma§nahmen natŸrlich nicht zustimmen. Aber die Weltgemeinschaft sollte in der Lage sein, eine solche Reife zu erreichen, da die Konversion, die Umstellung eines bedeutenden (und spŠter des Ÿberwiegenden) Teils der RŸstungsindustrie auf zivile Produktion weltweit zumindest als Zukunftsaufgabe gestellt werden kann. Die Menschheit darf nicht bis an die ZŠhne bewaffnet ins 21. Jahrhundert gehen. Sie mu§ sich auf ein Leben in Frieden vorbereiten und die freiwerdenden Mittel einsetzen, um auf solche Herausforderungen unserer Zeit wie z.B. die Umwelt oder die Versorgung mit Energie und Lebensmitteln die notwendigen Antworten zu geben. Ausgehend von einer unvoreingenommenen Analyse der Erfahrungen, die im Nahen Osten, in Afrika, in SŸdostasien, in Ex-Jugoslawien und im Kaukasus gesammelt wurden, sollten bei der UNO und bei den regionalen Organen fŸr Sicherheit und Zusammenarbeit Sonderorgane geschaffen werden, die das Recht haben, regionale Konflikte vorwiegend mit politischen, aber, wenn notwendig, auch mit wirtschaftlichen und militŠrischen Mitteln zu verhŸten, prŠventive Diplomatie zu betreiben, zu regeln und zu beenden.

Eine wichtige Aufgabe nicht nur der Zukunft, sondern bereits der Gegenwart sind nach unserer Auffassung VerstŠndigung und friedliche Zusammenarbeit in Regionen, wo verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, wie z.B. auf dem Balkan, im Mittelmeerraum oder im Nahen Osten. Hier ist es in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder zu Konflikten gekommen. Man kann sie auch in Zukunft nicht ausschlie§en. Hier sind besondere Anstrengungen Europas und der Weltgemeinschaft, besonderer SensibilitŠt und aktive prŠventive Diplomatie geboten. Auf lange Sicht sind energische Anstrengungen notwendig, um eine allseitige friedliche Zusammenarbeit der Staaten und Všlker unterschiedlicher kultureller Herkunft in diesen Regionen zu entwickeln.

All dies sind nach unserer Meinung notwendige Schritte, mit deren Hilfe das Schwergewicht von gewaltsamen Mitteln der Politik auf friedliche, zivilisierte verlagert werden kšnnte. Bisher sind derartige Bestrebungen aber leider nicht festzustellen. Wir beobachten, da§ sich erneut ein Klima ausbreitet, das besser der Vergangenheit angehšrten sollte. †ber diese Entwicklung zutiefst beunruhigt, haben die Internationale Stiftung fŸr sozialpolitische und politologische Studien in Moskau, die Rajiv-Gandhi-Stiftung in Neu Delhi und die Gorbatschow-Stiftung in San Francisco (USA) gemeinsam ein Programm der globalen Sicherheit ausgearbeitet und zur allgemeinen Eršrterung vorgelegt.

Dieses Programm besteht aus vier Teilen: Atomare AbrŸstung; Reduzierung der konventionellen Waffen unter zuverlŠssiger Kontrolle; StŠrkung regionaler Sicherheitsstrukturen; PrŠvention und Regelung von Konflikten (bei Beteiligung besonderer Gruppen der Öffentlichkeit, einer Kommission der UNO-Vollversammlung und eines Korps politischer Beobachter und Vermittler, dessen Aufbau vorgeschlagen wird, sowie eines Instituts zur Konfliktforschung und -verhŸtung). Das Programm ist dem UNO-GeneralsekretŠr zugeleitet worden.

Ein besonderes Thema, das in diesem Kapitel unbedingt behandelt werden mu§, ist die Sicherheit in Europa. Wir mŸssen sicher niemandem erklŠren, wie wichtig der Frieden auf diesem Kontinent fŸr die globale Sicherheit ist. Dazu braucht man nur einen Blick in die Geschichte zu werfen. Die gegenwŠrtige Situation gibt nicht gerade zur Beruhigung Anla§.

Er ist erst wenige Jahre her, da Europa von einer dramatischen Entscheidung stand: Sollte es weiter dem verhŠngnisvollen Kurs der Konfrontation folgen oder das Steuer herumrei§en und neue, gutnachbarliche Beziehungen zwischen den Staaten des Kontinents anstreben? Diese Entscheidung wurde gemeinsam gefŠllt. Es kam zu einer historischen Wende. Es schien, als habe das Gipfeltreffen vom November 1990 in Paris die Grundlagen fŸr neue Beziehungen, fŸr eine neue europŠische Politik gelegt und deren wichtigste Prinzipien formuliert.


Heute steht Europa wieder vor einer Entscheidung: Soll es am Kurs von Paris festhalten oder sich erneut in die regionalen, vielleicht sogar die nationalen Quartiere zurŸckziehen? Soll es in frŸhere ZustŠnde der Zersplitterung zurŸckfallen? Mit anderen Worten, wird Europa zu einem wahrhaft gro§en Kontinent, dessen Interessen sich immer stŠrker integrieren, oder zerfŠllt es erneut in mehrere Kleineuropas, die kaum Verbindung zueinander halten oder sogar miteinander verfeindet sind?


Ja, in den letzten Jahren seit Beendigung der Konfrontation hat sich in Europa vieles verŠndert. Eine bedeutsame Evolution ist in seiner politischen Geographie, in den verschiedenen Regionen vor sich gegangen. Aber nach unserer Meinung heben diese VerŠnderungen die AktualitŠt der in Paris festgelegten Prinzipien nicht auf.

Funktionieren diese aber? Offenbar nicht. Oder Šu§erst ungenŸgend. Denn auf europŠischem Boden wŸten heute Konflikte (in Ex-Jugoslawien, im Kaukasus). Eine neue Spaltung des Kontinents droht. Sie ist in erster Linie auf den Plan zurŸckzufŸhren, den Wirkungsbereich der NATO nach Osten auszudehnen, was in einigen Staaten des Kontinents zu einer erneuten Aktivierung der RŸstungsanstrengungen fŸhren wird.

Dabei fordern die GrundsŠtze von Paris, auf dem ganzen Kontinent zusammenzuarbeiten, die vorhandenen Mechanismen einer gesamteuropŠischen Politik zu vervollkommnen und neue zu entwickeln.

Europa besitzt eine gesamteuropŠische Organisation - die Organisation fŸr Sicherheit und Zusammenarbeit OSZE, die die 1975 in Helsinki begonnene Sache fortsetzt. Bislang hat sie es nicht vermocht, sich auf die BedŸrfnisse des Kontinents und auf die neue Situation einzustellen, in der sie sich heute befindet. Die Dokumente, die sie beschlossen hat, enthalten viel NŸtzliches. Manches davon wird ignoriert, anderes kann einfach nicht durchgesetzt werden, weil die OSZE nicht Ÿber die dafŸr notwendigen Organe verfŸgt.

Es besteht kein Zweifel, da§ die OSZE weiter institutionalisiert werden mu§. Vor allem sollte sie einen Sicherheitsrat einrichten. FŸr diesen Gedanken setzen wir uns bereits seit vielen Jahren ein. Wir meinen damit ein Organ, das sich tatsŠchlich damit befa§t, Konflikte zu verhŸten und zu beseitigen, sollten sie dennoch ausbrechen. Wie dieser Rat gebildet und mit welchen Funktionen er ausgestattet werden soll, ist Sache aller OSZE-Staaten. Aber ein solches Organ mu§ es geben. Als gesamteuropŠische Institution, die mit dem UNO-Sicherheitsrat eng verbunden ist.

Solange es sie nicht gibt, versucht die NATO sich ihre Funktionen anzueignen. Dazu ist sie jedoch angesichts der Ziele und Aufgaben, fŸr die sie geschaffen wurde, nicht in der Lage. Zwar gehen auch in der NATO, wie bereits erwŠhnt, gewisse VerŠnderungen vor. Sie hat einen Kooperationsrat gebildet, an dem die Mehrzahl der europŠischen Staaten beteiligt sind. Die Berliner NATO-Ratstagung hat gro§e Aufmerksamkeit darauf verwandt, die Rolle der europŠischen Staaten in ihren Strukturen zu stŠrken. Die Funktionen der NATO werden nach und nach politisiert. Aber dieser Transformationsproze§ ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Wenn sie sich entsprechend den neuen Bedingungen weiter verŠndert, kann die NATO bestimmte nŸtzliche Funktionen in Europa erfŸllen. Jedoch nicht, wenn sie sich der OSZE entgegenstellt und gegen die gesamteuropŠische Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer, agiert.

Kurz gesagt, Frieden und Sicherheit in Europa erfordern neue Anstrengungen. Bislang sind diese in der europŠischen Politik nicht oder nicht ausreichend zu erkennen. Aber:

- Die friedliche Zukunft Europas kann nur eine gemeinsame Zukunft sein, oder es wird sie nicht geben.
- Eine gemeinsame Zukunft und gemeinsame Sicherheit des Kontinents erfordern vor allem eine tiefgreifende, weit verzweigte gesamteuropŠische Zusammenarbeit in allen wichtigen Lebensbereichen. Diese Zusammenarbeit hat eine solide Grundlage
- die gemeinsamen Wurzeln der europŠischen Kultur, die gemeinsame Geschichte und das starke gemeinsame Interesse an Frieden und StabilitŠt jedes europŠischen Staates und aller zusammengenommen.


Version: 14.1.2017
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