Zum transatlantischen "Culture Gap"

(siehe auch: Irans Nuklearprogramm und Deutschland als weltweites Zentrum des Handels mit Uran-Anreichungstechnologie)

Ein Brief an Siegfried Buschschlüter

Zum Beitrag: Condoleeza Rice (cache, Mitschrift)
Sendezeit: 19.01.2005 13:11
Autor: Buschschlüter, Siegfried
Programm: Deutschlandfunk
Sendung: Informationen am Mittag
Länge: 04:37 Minuten


Weitere Quellen:
  1. Deborah Tate, Voice Of America, Washington, "Rice Urges World Unity in Pressing Iran and North Korea to End Their Nuclear Programs", Payvand's Iran News 1/19/05 (cache)
  2. TRANSCRIPT, Confirmation Hearing of Condoleeza Rice, New York Times, January 18, 2005. (cache)



28. Januar 2005
Sehr geehrter Herr Buschschlüter,

darf ich Ihnen zu allererst dafür danken, daß Sie der Öffentlichkeit Ihre email-Adresse mitteilen. So können wir Ihnen danken für Ihre hier in Deutschland ungewöhnlich genaue, spannende und komprimierte Berichterstattung aus einem breiten Spektrum der amerikanischen Kultur -mit Betonung der politischen. Das Mittel, das Sie anwenden und das ich sehr begrüße, ist Ihre wortgenaue Übersetzung (mit erklärendem Kommentar) aus dem Amerikanischen und die anschließende Wiedergabe des Originals (Beispiele). Ich freue mich immer wieder darüber, wie gut Sie diese schwierige Aufgabe lösen.

Der überwiegende Teil meiner amerikanischen Freunde ist seit Beginn der ersten Amtsperiode der derzeitigen US-Administration aktiv system- und selbstkritisch. Sie, Herr Buschschlüter, berichten -zu meiner Freude- sorgfältig über die Transparenz, die dadurch in der amerikanischen Kultur herrscht, in weit größerem Maße als in der deutschen.

Ich empfand Ihre Berichte häufig auch als Aufforderung an uns. Mit Ihrer Darstellung des transatlantischen "culture gap" wirken Sie -wie ich meine- positiv systemverändernd und zukunftsweisend in Deutschland.

Nach Ihrer längeren Abwesenheit im vergangenen Herbst glaube ich nun in Ihrer Berichterstattung eine Abkehr von Ihrer Präzision hin zu deutscher Ideologie-Lastigkeit zu erkennen. Auf Grund eigener Erfahrung vermute ich dahinter einen culture clash zwischen Ihrer Washingtoner Umgebung und Ihrem deutschen Auftraggeber,

Im folgenden Es tut mir sehr leid, daß es mir nicht gelingt, diese email kurz zu halten. Hoffentlich macht es Ihnen meine Gliederung leicht, den Text nach Belieben zu überfliegen. Am wichtigsten sind mir Ihre Empfehlungen zu (D), d.h. dafür, wie ich dazu beitragen könnte, daß Sie Ihre frühere Linie der Berichterstattung weiterführen können.


(A) Kritik an Ihrem Bericht über das "Confirmation Hearing of Condoleeza Rice" im US Council on Foreign Affairs

Zusammenfassung:
Ich finde darin zwei unerklärliche Fehler, nämlich
  1. eine Sinnentstellung und
  2. einen nicht unerheblichen Übersetzungsfehler.

(A 1) Die Sinnentstellung

Zusammenfassung:

Beleg:

Hier ist zunächst das Original (Quelle. die von Ihnen berichtete Hearingumgebung zu den Fragen von Lugar):

RICE: "But I think that we believe at this point that there is a path ahead. If the Europeans are unable to get satisfactory understanding with the Iranians about their international obligations, I think we have to go back and look at the process that was prescribed, which is that this would go to the Security Council and we would go from there.

RICE: Nobody is saying that there have to be sanctions right away or anything of the sort, but we are saying that Iran has to be held to account for its international obligations."

Ihr Bericht:

"Nach einigen belanglosen Ausführungen über die enge Zusammenarbeit der Amerikaner mit den Europäern und der Internationalen Atomenenergiebehörde ließ die designierte Außenministerin die Katze aus dem Sack. Sie glaube zum jetzigen Zeitpunkt, daß es einen Weg nach vorn gebe, wenn es den Euroäaern nicht gelinge, zu einer zufriedenstellenden Vereinbarung mit den Iranern über ihre internationalen Verpflichtungen zu gelangen."

An dieser Stelle unterbrechen Sie für Ihre Interpretation:
"Im Klartext: Die Bush-Administration geht davon aus, daß die Verhandlungen zwischen den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens und dem Iran scheitern.

Senator Lugars Frage nach einem stärkeren amerikanischen Engagement mit dem Ziel, die Verhandlungen zum Erfolg zu führen, verpuffte. Damit aber auch Rices Bild vom Weg nach vorn. 'Dann müssen wir zurückgehen und schauen, welcher Prozeß für diesen Weg vorgesehen ist.'

Sie übersetzen weiter: "Die Sache geht vor den UN-Sicherheitsrat und dann, so Rice, sehen wir weiter. Und damit sich ja niemand unnötig Sorgen machen muß, fügt sie im gleichen Atemzug hinzu, daß es nicht gleich zu Sanktionen oder dergleichen kommen muß. Aber der Iran muß zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er seine internationalen Verpflichtungen nicht einhält."

Meine Bewertung:

(a) Sie haben Rices Sätze falsch zusammengesetzt. Die direkt sichtbare Botschaft ihrer 5 Zeilen ist doch: "Die Europäer versuchen etwas. Wenn das nicht klappt, gibt es immer noch den vom NPT vorgezeichneten Weg." In der Vergangenheit hat Europa meines Wissens keine Anstrengungen zur Eindämmung der Proliferation unternommen, sondern vielmehr die amerikanischen unterlaufen.

(b) Ihre Interpretation, Washington vermutete ein Scheitern der europäisch-iranischen Verhandlungen, ist sehr umfassend und fällt, wie ich meine. aus dem Rahmen, den Sie sich früher gesetzt hatten.

Müssen wir nicht zunächst hinhören, ernsthaft aufnehmen, was Rice als Gründe dafür angibt, warum die USA nicht an den Verhandlungen teilnehmen? Es handelt sich hier um ein komplexes Spektrum von Gründen, hinter denen ein culture gap zwischen Europa und den USA steht, dessen Sie sich seit langem angenommen haben.

Ich habe in den USA erst nach vielen Jahren diese Distanz als Bereicherung, als absolut notwendige Arbeitsgrundlage für eine inzwischen lebenswichtige Synergie verstanden. Das Salzburg Seminar hat sich dies zum Thema seiner 50-jährigen Arbeit gemacht.

Unterschiedliche Fähigkeit und Bereitschaft, sich für funktionsfähige Lösungen einzusetzen, sind ein interessanter Teilaspekt (siehe B, C), wo wir Deutschen unseren Teil zur Konvergenz beitragen können. Aus meinem amerikanischen Freundes- und Kollegenkreis vernehme ich oft die freundliche Aufforderung, die bestehende Divergenz nicht mit unserer kulturspezifischen Ethik zu werten.

(A 2) Der Übersetzungsfehler

Zusammenfassung:

Beleg:

Original (Quelle. Die von Ihnen berichtete Hearingumgebung)

BIDEN: "Seymour Hersh wrote in the New Yorker that the quote,

hawks in the Pentagon, in private discussions, have been urging a limited attack on Iran, because they believe it could lead to the toppling of the religious leadership, end of quote.

I'm not asking you whether there's any discussion about an attack. But do you believe that it is possible to topple, quote the religious leadership in Iran, and by any short-term military action? And is that a goal, not militarily, is it a goal of the United States to change the regime in Iran?"

Ihre Übersetzung

Sie ergänzen die bei Biden fehlenden abschließenden Zitat-Anführungsstriche an einer sinnlosen Stelle seines 2. Satzes: "...do you believe that it is possible to topple "the religious leadership in Iran" and by any short-term military action?"

und übersetzen: "Unter Hinweis auf Seymour Hershs Artikel im New Yorker wollte der demokratische Senator Jo Biden wissen, ob die Regierung wirklich glaube, daß es möglich sei, die religiöse Führungsspitze des Iran durch eine kurzfristige Militäraktion auszuschalten, oder anders gefragt: ob Regimewechsel im Iran das Ziel der Regierung sei."


(B) Culture Gap behindert Zusammenarbeit

Deutschlands offenbares, fehlendes Engagement

Hier ist Rices eingehendere Stellungnahme entsprechend Deborah Tates anfangs genanntem Artikel:

"Senator Biden asked why the United States does not join the so-called Euro-three in approaching Iran with incentives to drop its nuclear weapons ambitions.

Ms. Rice suggested that is impractical because of the United States' turbulent past history with Iran and differences with Tehran on other issues including human rights and its alleged involvement in terrorism.

She expressed skepticism about the Europeans' chances of success but said she hopes they will succeed, saying someone needs to test the Iranians' willingness to live up to their international obligations."

Nach meinen Erfahrungen mit europäisch-amerikanischen Wissenschafts-Projekten sind Intransparenz, unkompetente Verhandlungskultur und mangelnde Verantwortlichkeit der Europäer ein großes Hindernis auf dem Weg zu funktionierenden Lösungen.

Beispiel 1: Das Auswärtige Amt der deutschen Bundesregierung hat ab März 2004 nichts weiter von den Verhandlungen mit dem Iran zu berichten (Stand 28.1.2005), obwohl -wie man annehmen muß, Deutschland ein Drittel der Delegation stellt. Zum Vergleich: Das Center for Nonproliferation Studies hat eine Seite "IAEA Board Gives Iran Yet Another Chance" mit Datum 27. September 2004 im Internet.

Beispiel 2: Wie man an Veröffentlichungen im Internet sieht, bezieht die amerikanische Kultur Wissenschaftler und Technologiefachleute ein, die ein Ausmaß an Qualifikation und Engagement mitbringen, das z.B. in Deutschland nicht zu erkennen ist. Soweit ich es sehen kann, handelt unsere Außenpolitik -im Gegensatz zur amerikanischen- praktisch ohne wissenschaftlich-technische Beratung.

Beispiel 3 aus meinen 70ger Jahren: Wir europäischen Naturwissenschaftler mußten lernen, vor Workshop-Beginn qualitativ ausreichende Diskussionsbeiträge vorzubereiten.

Die Parallele zu den Verhandlungen der EU-Three, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, mit dem Iran ist aufschlußreich: Wenn man die Website des Auswärtigen Amts nach Verhandlungen mit dem Iran absucht, findet man keinerlei Information über Vorschläge zur Überwindung des Stillstands der Verhandlungen über Irans Nichteinhaltung des nuklearen Nichtweiterverbreitungsvertrags (NPT).

(C) Vorlieben einer vergehenden Kultur

Weite, Bildungunterschiede übergreifende Kreise des deutschen Establishments bevorzugen noch den grobschlächtig Amerika-feindlichen Ton, vermögen dies aber wegen ihrer Einbettung in ihre (vergehende) Kultur nicht zu erkennen. Im Salzburg Seminar berichtete ein Kommentator vom schwedischen Dagens Nyheter, daß mit der Altersverschiebung in der Gesellschaft diese Art der Berichterstattung aus Schweden verschwunden sei.

Ich meine, diese Kreise brauchen wir nicht weiter zu bedienen.

(D) Meine Frage

Ich habe im Frühjahr 2003 in einem offenen Brief an Ernst Elitz, den Intendanen des Deutschlandfunks und Volkher Just, den Leiter der DLF-Nachrichtenredaktion, Ihre präzise, für die deutsche (auch die journalistische) Kultur ausgesprochen wichtige Berichterstattung und Recherche hervorgehoben.

Was könnte ich weiter an welcher Stelle des Rundfunks für Sie tun, damit Sie dem von mir vermuteten Druck im Sender widerstehen und Ihre traditionelle Linie weiter verfolgen können?

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Joachim Gruber


Das folgende Informationsmaterial zum iranischen Atomprogramm war nicht Teil des offenen Briefs an S. Buschschlüter


version: 17. Juni 2010
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