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von Joachim Gruber


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Zum Beschuß des Palestine Hotels in Bagdad

Plädoyer für einen kontinuierlichen Dialog mit den USA
Offener Brief an Volkher Just, 
Ressortchef, Zentrale Nachrichten, Deutschlandfunk Köln
zur Nachrichtensendung am 9.4.2003

Sehr geehrter Herr Just,

schönen Dank dafür, daß Sie sich am Gründonnerstag meines Briefs vom 9.4.2003 an Herrn Elitz angenommen haben. Darf ich Ihre Aufforderung am Briefende so schnell aufnehmen und unseren Dialog etwas weiterführen? 

Die Länge dieser email bitte ich zu entschuldigen. Ich gliedere sie zur besseren Übersichtlichkeit in folgende Teile: 

  1. Die amerikanische Kultur als Herausforderung an Deutschland und Wege des Kennenlernens
  2. Die Rolle der Medien bei unserer verantwortlichen Auseinandersetzung mit amerikanischer Kultur,
  3. Der von DLF-Nachrichten verbreitete Vorwurf des gezielten Journalistenmordes durch die "USA".

1. Die amerikanische Kultur als Herausforderung an Deutschland

Von meinem Jahrzehnt in den USA habe ich 5 Jahre dafür gebraucht, etwas für Deutschland Wesentliches in den USA zu erkennen. Es hat so lange gedauert, weil meine deutschen Begriffe, mein Bild von der Wirklichkeit in der deutschen Kultur geformt worden und beim Verstehen hinderlich waren. Wie ich es als Farbenblinder gelernt habe, Farben einigermaßen auseinander zu halten, so habe ich z.B. die folgenden in den USA wichtigen Begriffe in deutsch zu umschreiben gelernt:
  • demokratisches Selbstverständnis,
  • der Anspruch, soziale und politische Verantwortlichkeit aktiv zu leben,
  • ideologie- und vorurteilsarme, eng sachbezogene Diskussion,
  • empfindlicher Sinn für Rechtmäßigkeit.
Mir fallen spontan die drei folgenden Schienen ein, auf denen man in Deutschland dieses Wesentliche erleben kann, aber ihre Beschreibung sprengt den Rahmen einer email. Ich werde also -Ihr Einverständnis vorausgesetzt- thesenhaft formulieren, um deutlich zu machen, daß hier in Deutschland die Auseinandersetzung mit amerikanischer z.B. sozio-politischer und technisch-wissenschaftlicher Kultur eine fortgesetzte Anstrengung wert ist. 

Wenn ich also im folgenden "USA" sage, meine ich diese Seite der USA, die uns bereichern kann. Alles andere erscheint mir der Völkerverständigung zuwiderzulaufen, uninteressant, wertneutral oder einfach nur komisch zu sein, wie es eben Stereotype sein können.
 

Schiene 1: Der historische Roman

Arthur Solmssen, ein Rechtsanwalt aus Philadelphia, hat die Form des spannenden historischen Romans gewählt, um uns seine Kultur mitzuteilen. In "Alexander's Feast" beschreibt er die Leidenschaft, mit der ein paar amerikanische Harvard-Studenten 1947 in Salzburg ein Seminar auf Schloß Leopoldskron ins Leben gerufen haben. Es besteht nun schon über ein halbes Jahrhundert. In diesem Seminar untersuchen Europäer amerikanische Literatur, Geschichte, Politik, amerikanisches Rechtswesen und Geschäftsleben. Die Dozenten kommen aus den amerikanischen Forschungsinstituten, dem öffentlichen Leben, der Regierung, den Universitäten und der Industrie. Aus Europa kann sich jeder bewerben. Der finanzielle Rahmen wird durch effiziente Spendensammlungen in den USA, durch ehrenamtliche Mitarbeit -mitunter auch von Seiten der Dozenten- und einem geringen Unkostenbeitrag der Teilnehmer gesteckt (http://www.americansc.org.uk/Online/salzburg.html und http://www.salzburgseminar.org/).

Seinen in der Stimmung und Zielrichtung ganz ähnlichen historischen Roman, "A Princess in Berlin", haben Herr Solmssen und ich bereits ins Internet gelegt. Er handelt vom Engagement von Quakern im Berlin der 20'ger Jahre (http://www.acamedia.info/arts/literature/args/princess/germanad.htm).
 

Schiene 2: Die im Internet dokumentierte Arbeit von z.B. US-Forschungseinrichtungen

Ebenso arbeiten viele amerikanische Forschungseinrichtungen. Ich war, wie schon angedeutet, in der Stanford Universität, der University of California, in der New York University, in den Los Alamos National Laboratories, im Oak Ridge National Laboratory selbst Nutznießer davon. Man fördert den (in meinem Fall technisch-wissenschftlichen) Dialog durch Bereitstellen so gut wie aller Privilegien, die ein amerikanisches Mitglied der Einrichtung genießt (Arbeitsraum, kostenloser Besuch aller Veranstaltungen, Benutzung der im Vergleich zu Deutschland sehr umfangreichen Bibliotheken, der im Vergleich zur Auslastung überdimensionierten Rechenzentren, usw.).

Ähnlich konkrete Forschungsarbeiten wie hier beispielhaft aufgeführt, kann ich in Deutschland nicht entdecken.

  • Das Monterey Institute of International Studies, MIIS (http://www.miis.edu/), und das in ihm beheimatete Center for Nonproliferation Studies, CNS (http://cns.miis.edu/), haben Rußland auf diese Weise unentgeltlich die zur Bewältigung seiner nuklearen und chemischen Abrüstung/Konversion notwendige Hilfe gewährt. 
  • Die UNSCOM hat ganz wesentliche Hilfe in Form eines Zugangz auch zum nicht-öffentlichen Teil des CNS-Archivs bekommen.
  • Unsere nukleare Forschung und Entwicklung gehen auf Eisenhowers Genfer Konferenz "Atoms for Peace" (http://www.iaea.or.at/worldatom/About/atoms.html) und die IAEA zurück. Ohne amerikanische Kooperation hätte sich trotz der staatlichen Subventionen bei uns keine wirtschaftliche Nuklearindustrie entwickelt. Der in Deutschland gebaute Druckwasserreaktor der Firma Siemens-Interatom ist ein direkter Nachkomme des in den USA entwickelten Antriebsreaktors für U-Boote.
  • David Albright und Mitarbeiter (Ende der 1980'er Jahre junge Wissenschaftler von der Federation of American Scientists) haben das brasilianische Parlament ("National Congress") in Fragen der Nukleartechnologie unterrichtet, sodaß es in die Lage versetzt wurde, den nuklearen Ambitionen des brasilianischen Militärs zu widerstehen (siehe auch Michael Barletta, Pernicious Ideas

  • in World Politics: “Peaceful Nuclear Explosives”, Monterey Institute of International Studies, Annual Meeting of the American Political Science Association, San Francisco, CA, 30 August ­ 2 September 2001). In Lateinamerika ist ein nuklearer Rüstungswettlauf vermieden worden.
  • Der amerikanische Präsident Jimmy Carter hat in seiner Amtszeit versucht, die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffentechnologie den Völkern, speziell Deutschland und Brasilien, nahezubringen. Deutschlands SPD-geführte Regierung Ende der 1970'ger Jahre hat diese Anstrengungen unterlaufen und an Brasilien Komponenten des gesamten nuklearen Brennstofkreislaufs geliefert, obwohl Brasilien nicht dem nuklearen Nichtweiterverbreitungsvertrag beigetreten war und die Entwicklung nuklearer Explosivkörper verfolgte. Gleichzeitig belieferte Deutschland Brasiliens damaligen Feind, Argentinien, mit Nukleartechnologie. Brasilien hat später deutsche Technologie zur Anreicherung von Uran -die man fast ausschließlich beim Bau von Atombomben einsetzt- an den Irak weitergegeben. (J. Gruber, Proliferaton of "Dual-Use" Technology from Germany to Latin America, zur Charakterisierung der gegenwärtigen Problematik siehe: J. Carter, A Nuclear Crisis, Washington Post, 23. Februar 2000).  
Die amerikanische oftmals weitgehend unentgeltliche Hilfe ist angesicht der Qualität des Beistands bemerkenswert, besonders weil sich die amerikanischen Institutionen meist bei kaum nennenswerter Staatshilfe selbst finanzieren.
 

Schiene 3: Die medizinische Literaturdatenbank Medline

Google (in Stanford aufgebaut) oder vor allem die Medline-Datenbank (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/PubMed/). Letztere kostenlos einsehbare Sammlung praktisch der gesamten medizinischen Fachliteratur hat die medizinische Welt und das Arzt-Patienten-Verhältnis verändert. Durch Medline konnte ich als Physiker z.B. problemlos im Gebiet der Medizin einen Beitrag zur Therapie der Neuroborreliose leisten (z.B. http://www.Lymenet.de/nonlinde.htm). Das funktionierte auch deshalb schnell, weil ich nach Fertigstellung meines Arbeitspapiers Zugang zu jeder gewünschten Forschungseinrichtung und zu jedem Arzt in den USA erhielt (Schiene 2).
Der multilaterale Dialog wird von den USA gesucht, und dieses Land (im oben erwähnten Sinne) ist sich seiner eigenen intellektuellen Beschränkungen bewußt. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, dabei unsere Beschränkungen zu thematisieren.

Es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen, welche Leistungen dabei gemeinsam erbracht werden können. Aus meinen Fachgebieten kann ich den wissenschaftlichen Dialog mit den USA nicht mehr wegdenken.
 

2. Die Rolle der Medien bei unserer verantwortlichen Auseinandersetzung mit amerikanischer Kultur

Die Medien können uns dabei helfen, den von den USA angebotenen Dialog anzunehmen und ihn inhaltlich mit unserer Kultur positiv und aktiv auszufüllen.

In diesem Sinne war meine Kritik an der Ausstrahlung von Herrn Glattfelders Interview und der nachfolgenden Zusammenfassung in den Nachrichten gemeint: Interview und Nachrichten untermauerten nach meinem Dafürhalten gänzlich unnötig eine Grundhaltung der Ablehnung gegenüber den USA, z.B. in Form der Aussagen 1 - 4 meines Ihnen vorliegenden Briefs vom 9. 4. 2003, also im wesentlichen des unkritischen, unmenschlichen und unverantwortlichen Ausführens eines -aus der Luft gegriffenen- Befehls zum Mord an Journalisten, was einem amerikanischen Bürger nicht unterstellt werden kann. (Zusatz vom 15.12.03: Es wurde von Medien Tenor, dem deutschen Insitut für Medienanalyse und Internetanalyse, nachgewiesen, daß deutsche Medien extrem USA-feindlich voreingenommen sind: "Who's the Most Biased? A Surprising Answer, Newsweek, Dec.15, 2003, p. 5, lokales Link).

Wie es Ihr Herr Buschschlüter mit bewundernswerter Anstrengung verwirklicht,  wäre z.B. eine ernsthafte Diskussion des Palestine-Hotel-Beschusses angebracht gewesen. Statt dessen entschied sich Herr Glattfelder für die Bekanntgabe seines nicht weiter erläuterten (und daher nicht hilfreichen) Mordvorwurfs und schob damit einen Riegel vor die Tür zu einer intelligenten Kommunikation in Deutschland. 
 

3. Der in DLF-Nachrichten verbreitete Vorwurf des gezielten Journalistenmordes durch die "USA".

Ich darf abschließend noch auf das konkrete Problem des DLF und Ihre freundliche Stellungnahme eingehen: 
  • Qualitätsanspruch: Das Recht auf freie Meinungsäußerung zu Sachthemen gilt nach meinem Dafürhalten für Inhalte, die der Betreffende entsprechend seinen Fähigkeiten begründet. Wenn der DLF eine gegen diesen Grundsatz grob verstoßende Äußerung in seinen Nachrichten (also nicht als Kommentar) ausstrahlt, erscheint mir die Qualität von DLF-Nachrichten gefährdet (zum Qualitätsanspruch siehe Ernst Elitz, Chancen und Probleme einer Fusionierung von Rundfunkanstalten: Das Beispiel DeutschlandRadio, Institut für Rundfunkökonomie an der Universität Köln, Reihe Arbeitspapiere, Heft 34/1995).
  • Verantwortlichkeit: Wie Sie in Ihrem Brief andeuten, hätten Hetze (Mediendienste Staatsvertrag, Paragraph 5 (5) 1)., Verleumndung oder Fehlinformation Konsequenzen für den Betreffenden. Da nun aber die Richtung eines Interviews dem DLF-Moderator generell vorher bekannt ist, darf ich vielleicht fragen, warum der DLF Herrn Glattfelder ein Forum für seine substanzlose Meinung geboten, also nicht im Sinne des Staatsvertrags über Mediendienste, Paragraph 6 "Allgemeine Grundsätze der Verantwortlichkeit", Paragraph 11 "Sorgfaltspflicht" oder nach Deutschlandradio-Staatsvertrag (DLR-StV), Paragraph 7, 1 "Berichterstattung" gehandelt hat?
  • Völkerverständigung: Ein Vorstandsmitglied des Journalistenverbands muß sich der qualifizierten Recherche, der Untermauerung mit Argumenten und einer der Tiefe seiner Recherche angemessenen präzisen Sprache bedienen (entsprechend seiner Sorgfaltspflicht). Da Herr Glattfelder diese Basis ganz eindeutig verließ, wäre es nach meinem Dafürhalten in der Verantwortung der Nachrichtenredaktion, entsprechend Paragraph 6 des DLR-StV im Geiste der Völkerverständigung zu handeln und seine Vorwürfe nicht in die Nachrichten zu übernehmen (bitte korrigieren Sie mich, wenn ich mich hier irre). 


Ich möchte diesen Brief zusammen mit dem an Herrn Elitz auf meinem Webserver im Internet zugänglich machen. Darf ich auch Ihre Antwort dort publizieren? (Sie hätten natürlich jederzeit Gelegenheit, Änderungen und Ergänzungen an der Internet-Version Ihrer Antwort vorzunehmen.) Ich bin überzeugt, daß wir (Sie und ich) Themen ansprechen, die generell in Deutschland diskutiert werden sollten. 

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir unseren Dialog bei Gelegenheit fortsetzen könnten.

Mit freundlichen Grüßen und meinen Wünschen für einen schönen rheinischen Frühlingstag.

Joachim Gruber
 


Version: January 20, 2005
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