Das Neue Denken - Politik im Zeitalter der Globalisierung

Michail Gorbatschow . Vadim Sagladin . Anatoli Tschernjajew 

Originalausgabe Juli 1997

Wilhelm Goldmann Verlag MŸnchen


Zusammenfassung in
Michail Gorbatschow, Das neue Russland: Der Umbruch und das System Putin, 2015,
Teil III - Beunruhigende Neue Welt, Seiten 353 - 356

Hšrbuch, Zeitintervall 4:55:30 - 5:00:55


Inhaltsverzeichnis

Die Herausforderung der Demokratie

Als George Orwell sein "1984" vorlegte, war dies wie eine Prophezeiung, da§ die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Enthumanisierung der Gesellschaft, eine VerstŠrkung autoritŠrer oder gar totalitŠrer Tendenzen in der Welt bringen kšnnten. Mit seiner negativen Utopie zeichnete er das Schreckensbild einer unmenschlichen, repressiven Ordnung. Aber er hat sich geirrt.

Gerade in den achtziger Jahren zeigte sich eine starke Tendenz zur Demokratisierung der Innenpolitik vieler Staaten und des internationalen Austauschs. Der Herrschaftsbereich totalitŠrer Regime schrumpfte stark. Eine entscheidende Rolle spielten dabei die Perestroika in der UdSSR sowie die Wende in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Alle diese ihrem Wesen nach revolutionŠren VerŠnderungen trugen dazu bei, da§ die demokratischen Werte zu einem aktiven Faktor der gegenseitigen VerstŠndigung und Anziehung der meisten Staaten und Všlker wurden.

Bisher kann man allerdings nicht sagen, da§ die †berwindung des Totalitarismus in der UdSSR zu einer wirklichen Demokratisierung der Gesellschaft in Ru§land und in den anderen Nachfolgestaaten der Union gefŸhrt hatte. Die Perestroika hat ihnen die Freiheit der Entscheidung gebracht, sie haben sich aber durchaus noch nicht fŸr wahrhafte Freiheit entschieden.

Das heute in Ru§land herrschende Regime kann nur zum Teil als wirklich demokratisch bezeichnet werden. Die der Demokratie eigenen Formen und Institutionen sind vorhanden, der Inhalt, mit dem man sie fŸllt, ist aber stark autoritŠr geprŠgt. Au§erdem existieren in Ru§land und in den anderen GUS-Staaten weiterhin KrŠfte, die zur totalitŠren Vergangenheit zurŸckkehren mšchten (obwohl eine vollstŠndige RŸckkehr heute fŸr niemanden mehr mšglich ist).

Dabei ist es fŸr Ru§land selbst und auch fŸr die Ÿbrige Welt au§erordentlich wichtig, da§ dieses gro§e Land die Grundlagen einer wahrhaften Demokratie vertieft und erweitert. Man kann ohne †bertreibung sagen, da§ die kŸnftige Entwicklung Europas und der Weltgemeinschaft davon in bedeutendem Ma§e abhŠngt.

Zeitgleich mit der Welle der Demokratisierung und der antiautoritŠren Revolutionen zeigt sich jedoch in den meisten westlichen LŠndern, wo bereits seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten demokratische Bedingungen herrschen, eine schwere Krise der dort bestehenden Formen des politischen Lebens. Ein Paradox? Nein, ganz im Gegenteil! Auch diese Krise ist im Grunde genommen Ergebnis und Beweis fŸr den weltweiten Trend zur Demokratisierung.

Die im Westen in den vergangenen Jahrhunderten (vor allem im 19. Jahrhundert) entstandenen traditionellen politischen Systeme, die auf parlamentarische Demokratie und politischen Pluralismus beruhen, in denen zahlreiche politische Parteien und Organisationen funktionieren, sind in sichtbaren Widerspruch zu der in Erneuerung begriffenen Gesellschaft geraten. Der demokratische Charakter dieser Systeme, der (insbesondere in den frŸheren Entwicklungsetappen) immer begrenzt war, hat sich unter den neuen Bedingungen sichtbar erschšpft.

Die Zivilgesellschaft in den Staaten des Westens ist erwachsen geworden. Eine faktisch durchgŠngige Alphabetisierung, ein hohes professionelles Niveau in allen Bereichen, die wachsende Zahl von Personen, die in Produktion und Dienstleistungen mit geistiger Arbeit befa§t sind, all das fŸhrt ganz natŸrlich dazu, da§ die Menschen ihre Rechte umfassender durchsetzen, aktiver an der Entscheidung Ÿber Probleme der Gesellschaft teilhaben wollen und nach Selbstverwaltung streben.

Die moderne Gesellschaft lehnt den bŸrokratischen Zentralismus der politischen Systeme mit ihrem undurchschaubaren GestrŸpp von FormalitŠten und Bestimmungen, mit ihrer Bestechlichkeit mehr und mehr ab. Die politischen Parteien, die sich als Vertreter bestimmter Schichten oder Kreise der Gesellschaft anbieten, sind in Wirklichkeit zu gehorsamen Werkzeugen gewisser Eliten geworden, vertreten nicht mehr die Interessen ihrer WŠhler und verlieren deshalb an RŸckhalt. Die Wahlsysteme garantieren nicht mehr, da§ in den Machtorganen tatsŠchlich die Meinung der Mehrheit vertreten wird. Da immer weniger Menschen zur Wahl gehen, die WŠhlerstimmen sich aufsplitten, sind viele Parteien nicht in der Lage, aufgestellte quantitative HŸrden zu Ÿberspringen und in die Parlamente einzuziehen. Diese vertreten nicht mehr die Mehrheit der Bevšlkerung. Das gleiche trifft auch auf die hšchsten ReprŠsentanten zu, ob sie sich nun PrŠsidenten oder anders nennen. Das undemokratische Wesen der heutigen politischen Systeme kommt besonders deutlich darin zum Ausdruck, da§ die Machtorgane den sozialen Problemen bei weitem nicht die nštige Aufmerksamkeit schenken - und dies auch in den Staaten, die rein Šu§erlich durchaus einen demokratischen Eindruck machen. Besonders betrifft dies die Probleme der Schichten, die an den Rand der Gesellschaft gedrŠngt werden. Das sind Šltere Menschen, Arbeitslose, Arme, Menschen ohne Obdach. Sie werden nicht mehr gebraucht, und ihre Zahl wŠchst. Man behandelt sie wie Parias, denen die Gesellschaft ihre FŸrsorge verweigert.

Nicht zufŠllig werden (auch in Ru§land) immer hei§ere Debatten um die soziale Rolle des Staates gefŸhrt. Der klassische Liberalismus, der mit der Forderung auftritt, den Staat von den Sozialausgaben zu entlasten, bedeutet in der Praxis nichts anderes, als da§ der Staat die Sorge fŸr die nicht vermšgenden Schichten der Gesellschaft von sich weist. Was sich hier artikuliert, sind eindeutig historisch Ÿberlebte Vorstellungen von Demokratie. Aber sie werden hartnŠckig verbreitet und in vielen FŠllen auch angewandt. Ru§land ist da keine Ausnahme.

Die Wellen der sozialen Unzufriedenheit veranlassen allerdings auch Staaten, die einen absoluten Liberalismus propagieren, sich mit den sozialen Problemen eingehender zu befassen und ihre Politik entsprechend zu korrigieren. Zu all dem kommt die bereits erwŠhnte UnfŠhigkeit der heutigen politischen Systeme, die Probleme der Nationen und nationalen Minderheiten optimal zu lšsen. Hier zeigt sich der undemokratische Charakter der gegenwŠrtigen Ordnung, der Funktionsweise ihrer politischen Institutionen mit besonderer SchŠrfe.

Die Entfremdung der BŸrger von der Staatsmacht, die Quintessenz der gegenwŠrtigen Krise der Demokratie, ist eine gefŠhrliche Tendenz. Sie stŠrkt die Positionen demokratiefeindlicher KrŠfte, šffnet autoritŠren Tendenzen TŸr und Tor.

Das 20. Jahrhundert hat unwiderlegbare Beweise dafŸr geliefert, welche Gefahren von autoritŠren oder gar diktatorischen Machtsystemen ausgehen. Wie perfekt sie auch organisiert sein mšgen, treiben sie die Gesellschaft doch letzten Endes in eine Sackgasse, erzeugen Chaos und stellen die Menschen vor unlšsbare Probleme. Nicht zufŠllig brachen am Ende dieses Jahrhunderts starke Bewegungen gegen Totalitarismus und Diktatur aus, die zum Sturz vieler derartiger Regime fŸhrten. Aber in einer betrŠchtlichen Zahl von Staaten bestehen und funktionieren sie noch immer.

All das spitzt ein Problem der Demokratie extrem zu und lŠ§t es zu einer der wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte werden.

Diese Herausforderung ist nicht nur fŸr die Innenpolitik der Staaten von Belang. Einerseits deswegen, weil, wie wir lŠngst wissen, Wesen und Orientierung der Innenpolitik auch Wesen und Orientierung der Au§enpolitik bestimmen. Ein demokratisches politisches System bedeutet, da§ sich ein Staat der Au§enwelt šffnet, was die Voraussetzungen fŸr gegenseitiges Vertrauen und VerstŠndigung mit anderen ebenso demokratischen Gesellschaften schafft.

Umgekehrt - auch das ist unzŠhlige Male bewiesen worden - bedeutet eine autoritŠre und mehr noch eine totalitŠre Ordnung die Abschottung und Isolierung eines Landes von der Au§enwelt. FŸr derartige Regime ist die Konfrontation die gŸnstigste Variante der Au§enpolitik, das es ihnen ermšglicht, das eigene Volk im Zaume zu halten und jegliche Zwangsmittel anzuwenden. Eine stŠndige Begleiterscheinung der Au§enpolitik des Totalitarismus ist au§erdem die UnterstŸtzung Šhnlich strukturierter Regime in anderen LŠndern.

In der Sowjetunion kannten wir das alles aus eigener Erfahrung. Die sogenannte Breschnew-Doktrin, die sich besonders in solchen Aktionen wie dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 zeigte, hatte durchaus nicht nur eine au§enpolitische, sondern auch eine innenpolitische Komponente. Die UnterdrŸckung des Prager FrŸhlings zielte unter anderem auch darauf ab, das in unserem Lande bestehende System zu konsolidieren. Nicht zufŠllig nahmen mit dieser Aktion auch die Repressalien selbst gegenŸber wohlmeinenden Kritikern tatsŠchlicher MŠngel und IrrtŸmer der sowjetischen Politik zu.

Die †berwindung der gegenwŠrtigen Krise der Demokratie in den Staaten des Westens sowie eine wirkliche Demokratisierung der Innenpolitik Ru§lands und der anderen Nachfolgestaaten der UdSSR sind also unabdingbare Voraussetzung dafŸr, da§ die Lage in der Welt sich grundlegend verbessert.

Andererseits mŸssen weitere Schritte unternommen werden, um die Beziehungen zwischen den Staaten und Všlkern im eigentlichen Bereich der internationalen Politik weiter zu demokratisieren.

Die †berwindung des Kalten Krieges und seiner Folgen sind zweifellos ein wichtiger Faktor dieser Demokratisierung gewesen. In der im November 1990 angenommenen Pariser Charta fŸr ein neues Europa sind, wie es damals schien, die gemeinsamen Vorstellungen von einer demokratischen Umgestaltung der internationalen Beziehungen (zumindest in Europa) wie auch die GrundsŠtze einer weiteren Entwicklung in dieser Richtung eindeutig formuliert. Dieses Dokument und einige andere, die damals bilateral vereinbart wurden, enthielten weitere Einzelheiten derartiger VerŠnderungen. Denn die Durchsetzung demokratischer VerhŠltnisse ist zwar im Grunde genommen ein einheitlicher Proze§, nimmt jedoch in den einzelnen Staaten durchaus spezifische Formen an.

Im Bereich der internationalen Politik kann es nicht darum gehen, die Regeln der parlamentarischen Demokratie oder andere Prinzipien rein innenpolitischen Charakters anzuwenden. Demokratisierung der internationalen Beziehungen bedeutet vor allem, da§ die Rechte und Interessen aller LŠnder und Všlker anerkannt und wirklich gleich behandelt werden, da§ Vorschriften ausgeschlossen werden, da§ kein Land einem anderen seinen Willen aufzwingt oder zu diesem Zwecke gar Gewalt - in welcher Form auch immer - anwendet.

Zur Demokratisierung der internationalen Beziehungen gehšrt auch, da§ alle Staaten die bestehenden gemeinsamen internationalen Organisationen, angefangen bei der UNO, respektieren, ihre Pflichten ihnen und der Weltgemeinschaft gegenŸber uneingeschrŠnkt erfŸllen. Die internationalen Organisationen sind zu achten, weil in ihnen die Gleichberechtigung aller an den internationalen Beziehungen beteiligten Staaten unmittelbaren Ausdruck findet. An dieser Stelle mu§ eines deutlich ausgesprochen werden: Wenn die Vereinigten Staaten unablŠssig betonen, Ÿberall in der Welt demokratische VerhŠltnisse durchsetzen zu wollen (was eigentlich nur begrŸ§t werden kann), dann pa§t das Ÿberhaupt nicht damit zusammen, da§ sie versuchen, anderen Staaten ihre VerhŠltnisse (als Muster an Demokratie) aufzuzwingen oder gar ganz unverhŸllt die FŸhrungsrolle Amerikas in der Welt anstreben. UnterstŸtzung der Demokratie - ja, aber ausschlie§lich in demokratischen Formen. Sonst gerŠt auch der Wunsch, zur Verbreitung der Demokratie beizutragen, ins Zwielicht.

Zu den von den USA beanspruchten Rolle als HŸter der Demokratie pa§t auch nicht, da§ Washington die UNO bereits mehrfach mi§achtete, ihre BeschlŸsse ignorierte oder sie in Fragen, die eindeutig in ihre Kompetenz gehšren, zu umgehen versuchte (wie es z.B. bei den BombenabwŸrfen in Bosnien und Herzegowina geschah). Das ist im Grunde genommen nichts anderes als die Mi§achtung der Weltgemeinschaft durch eine Gro§macht.

Bei der Verletzung demokratischer GrundsŠtze der Weltpolitik stehen die USA nicht allein. Leider ist die Welt noch weit davon entfernt, die Gleichheit der Staaten wirklich zu achten und sich jeglicher Einmischung, ob nun direkt oder indirekt, in deren Angelegenheiten zu enthalten. Beispiele dafŸr lassen sich auf allen Kontinenten finden. NatŸrlich mŸssen die grš§eren und stŠrkeren Staaten einen wichtigen Beitrag zur Regelung internationaler Probleme leisten. Aber stets bei Anerkennung und Achtung der Rechte aller Ÿbrigen Staaten. Sie haben keine grš§eren Rechte als andere. Sie tragen hšchstens eine hšhere Verantwortung fŸr das Schicksal der Welt. Auch dafŸr, da§ in den internationalen Beziehungen wirkliche Demokratie einzieht.

Gerade die Gro§mŠchte mŸssen dafŸr sorgen, da§ die kleinen und mittleren Staaten die reale Mšglichkeit erhalten, am weltweiten Austausch teilzunehmen. Deshalb mŸssen gerade die Gro§mŠchte bei der tatsŠchlichen Achtung ihrer Rechte und Interessen mit gutem Beispiel vorangehen.

In den Jahren der Konfrontation war  es genau umgekehrt: Die Gro§mŠchte benutzten die kleinen und mittleren Staaten als Schachfiguren der Weltpolitik. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollte sich dies eigentlich Šndern. Einige Anzeichen dafŸr sind vorhanden. Aber zu einem radikalen Wandel ist es bislang nicht gekommen.

Unter den heutigen Bedingungen mu§ die Demokratisierung der internationalen Beziehungen auch bedeuten, da§ kollektive Aktionen, kollektive Diplomatie immer breitere Anwendung finden. Faktisch berŸhren alle Arten von Konflikten, besonders wenn Waffengewalt im Spiel ist, die Interessen ganzer Staatengruppen. Hier mŸssen alle betroffenen oder interessierten Staaten gemeinsam handeln und ihre Politik dem Ziel unterordnen, den Konflikt zu verhŸten oder zu beenden. Auch hier ist die Gleichberechtigung aller Beteiligten zu gewŠhrleisten. Vor allem aber ist ein selektives Vorgehen, sind doppelte Standards gegenŸber den Konfliktparteien und den an der gemeinsamen Aktion beteiligten LŠndern auszuschlie§en. Das ist bislang hŠufig nicht der Fall. Man braucht nur an die Situation in Ex-Jugoslawien zu erinnern. Die USA und auch andere westliche LŠnder (mit bestimmten Abstufungen) nahmen deutlich eine einseitig feindselige Haltung gegenŸber den Serben ein und Ÿbersahen geflissentlich ebenso rechtswidrige Aktionen der moslemischen und der kroatischen Seite (ethnische SŠuberungen, Massenmorde an BŸrgern der Gegenpartei u.a.) Man mu§ allerdings sagen, da§ auch Ru§land sich nicht immer gerecht und unparteiisch verhielt.

In der UNO-Charta sind die wichtigsten Prinzipien demokratischer internationaler Beziehungen niedergelegt. Dies ist ein wichtiges Grundsatzdokument. Heute jedoch, da eine Demokratisierung der  internationalen Beziehungen immer dringlicher und zugleich komplizierter wird, wŠre es sicherlich zweckmŠ§ig, einen Kodex der Rechte und Pflichten der Staaten im Rahmen der einheitlichen Weltgemeinschaft auszuarbeiten. Das kann sehr schwierig werden, da nicht alle Staaten (auch diejenigen, die die Demokratie als obersten Grundsatz verkŸnden) bereit sein werden, einheitliche Verhaltensregeln fŸr alle in einem gemeinsamen internationalen Dokument festzulegen. Solche Regeln kšnnen fŸr die, die gewohnt sind, willkŸrlich und rŸcksichtslos vorzugehen, beengend und unbequem werden. Man kann auch nicht sicher sein, da§ sie eingehalten werden, selbst wenn es gelingt, ein solches Dokument zu unterzeichnen und - als Voraussetzung fŸr sein Funktionieren - zu ratifizieren. Aber es kšnnte eine gewisse zŸgelnde Wirkung auf potentielle Verletzer der demokratischen Normen des friedlichen Zusammenlebens ausŸben.

Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt der Demokratisierung der internationalen Beziehungen besteht darin, da§ alle Staaten die Menschenrechte in ihrer Innenpolitik uneingeschrŠnkt achten und darauf hinwirken, da§ alle anderen Mitglieder der Weltgemeinschaft sie einhalten. Dabei ist es notwendig, nicht nur vom Grundsatz der Achtung der Menschenrechte auszugehen (die in UNO-Dokumenten eindeutig niedergelegt sind), sondern auch zu berŸcksichtigen, wie dieser Grundsatz von einzelnen Staaten und Všlkern betrachtet wird.

Obwohl die internationalen Menschenrechtskonventionen von den meisten Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurden, sind Nuancen zu beobachten, wie diese ausgelegt und realisiert werden. Es gibt genŸgend Beispiele, da§ offensichtliche Menschenrechtsverletzungen von den Staaten nicht als solche akzeptiert werden. Dabei beruft man sich gewšhnlich auf nationale Traditionen. Wenn andere Staaten einen Verletzer der Menschenrechte im VerstŠndnis der UNO auffordern, diesen Zustand zu korrigieren, lšst dies hŠufig noch grš§eren Widerspruch aus und wird nicht selten als Verletzung der SouverŠnitŠt des jeweiligen Staates angesehen.

In solchen FŠllen zeigt sich, da§ es an allgemein anerkannten všlkerrechtlichen Normen fehlt, wie die Grenzen der internationalen ZustŠndigkeit in dieser Fragen definieren, da§ Prinzip der Unverletzlichkeit der Menschenrechte und das Recht der Weltgemeinschaft, auf ihrer Einhaltung zu bestehen, zueinander ins VerhŠltnis setzen. Aber nicht allein darum geht es.

Der Begriff der Menschenrechte und insbesondere die Mšglichkeit, von au§en einzugreifen, um ihre Einhaltung durchzusetzen - diese sind relativ neue Erscheinungen. Sie sind Ergebnis einer langen Entwicklung der politischen Kultur und der Rechtskultur insbesondere in Europa und Nordamerika. Im gesamteuropŠischen Proze§ ist die UniversalitŠt der Menschenrechte z.B. von allen Staaten anerkannt worden. Das schlie§t auch ein internationales Eingreifen fŸr ihre Durchsetzung ein. Aber ein besonderes Gericht, das sich mit Fragen befa§t, besteht nur im Rahmen der EuropŠischen Union und des Europarates (die Ÿber von allen Teilnehmerstaaten ratifiziert Konventionen verfŸgen). Einige andere Staaten, die die UniversalitŠt der Menschenrechte anerkennen, halten sich bei weitem nicht in allen FŠllen an die entsprechenden Regeln. Nach Beispielen braucht man nicht lange zu suchen. Die Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte in Ru§land stellt jedes Jahr eine Vielzahl schwerster Verletzungen dieser Rechte fest. Das beginnt bei den politischen und endet bei den BŸrgerrechten, es betrifft die TŠtigkeit von Journalisten oder FŠlle von Folterungen durch Organe des Innenministeriums. Aber die Feststellung derartiger FŠlle bedeutet nicht, da§ die Verletzungen ein Ende haben.

Ein gewisses Mi§trauen gegenŸber internationalen Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte gegen Staaten, die erst vor relativ kurzer Zeit ihre UnabhŠngigkeit und SelbstŠndigkeit errungen haben. Die SouverŠnitŠt ist fŸr sie ein so hoher Wert, da§ sie schon derartige Forderungen als Anschlag gegen sie betrachten. Das kann man durchaus verstehen. Die Geschichte dieser Staaten kennt so viele Formen und Methoden offener und verdeckter Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten (hŠufig unter hšchst wohlklingenden VorwŠnden), da§ sie heute durchaus das Recht auf Zweifel haben.

Es ist keine Frage, da§ Staaten, wo autoritŠre Regime oder ihre †berreste vorhanden sind, die Einhaltung der Menschenrechte auf ihrem Gebiet hŠufig umgehen. Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, da§ die Sowjetunion die Menschenrechte lange Jahre als etwas kŸnstlich Erdachtes betrachtete (weshalb dieser Begriff in unserem Lande stets nur in AnfŸhrungszeichen benutzt wurde). FŸr das totalitŠre Regime war selbst die Frage nach der Einhaltung der Menschenrechte eine Herausforderung, ein bšswilliger Angriff auf das Wesen seiner Politik. Erst die Perestroika hat dem ein Ende gesetzt.

Wir glauben jedoch, da§ die Demokratisierung der internationalen Beziehungen nicht vollstŠndig sein kann, wenn nicht Mšglichkeiten gefunden werden, die Menschenrechte Ÿberall auf der Erde zu sichern. Denn dies ist das Fundament dafŸr, da§ sich in den zwischenstaatlichen Beziehungen weltweit demokratische Prinzipien durchsetzen. Vielleicht halten es die UNO wie auch die regionalen Organisationen fŸr Frieden und Zusammenarbeit letzten Endes fŸr notwendig, Strukturen aufzubauen, die die Einhaltung der Menschenrechte nicht nur beobachten, sondern auch Sanktionen verhŠngten und andere Zwangsma§nahmen anwenden, wenn es zu groben Verletzungen der Menschenrechte kommt. Das betrifft auch nationale Minderheiten und andere Bevšlkerungsgruppen, die unterdrŸckt, diskriminiert oder ihrer legitimen Rechte beraubt werden.

Die Demokratisierung der internationalen Beziehungen ist zu einem aktuellen Erfordernis geworden. Sie ist eine PrŠventivma§nahme gegen Verletzungen des Friedens, gegen willkŸrliches Handeln jedes Staates in der internationalen Arena. Zugleich ist sie ein wichtiger Faktor, der zur Demokratisierung des Lebens in den einzelnen Staaten der Weltgemeinschaft beitrŠgt. Ohne die Demokratisierung der internationalen Beziehungen wird es nicht mšglich sein, eine neue, wirklich demokratische Weltordnung zu errichten.


Version: 14.1.2017
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