Sehr geehrter Herr Just,
schönen Dank dafür, daß
Sie sich am Gründonnerstag meines Briefs
vom 9.4.2003 an Herrn Elitz angenommen haben. Darf ich Ihre Aufforderung
am Briefende so schnell aufnehmen und unseren Dialog etwas weiterführen?
Die Länge dieser email bitte
ich zu entschuldigen. Ich gliedere sie zur besseren Übersichtlichkeit
in folgende Teile:
-
Die amerikanische Kultur als Herausforderung
an Deutschland und Wege des Kennenlernens
-
Die Rolle der Medien
bei unserer verantwortlichen Auseinandersetzung mit amerikanischer Kultur,
-
Der von DLF-Nachrichten verbreitete
Vorwurf
des gezielten Journalistenmordes durch die "USA".
1. Die amerikanische
Kultur als Herausforderung an Deutschland
Von meinem Jahrzehnt in den USA habe
ich 5 Jahre dafür gebraucht, etwas für Deutschland Wesentliches
in den USA zu erkennen. Es hat so lange gedauert, weil meine deutschen
Begriffe, mein Bild von der Wirklichkeit in der deutschen Kultur geformt
worden und beim Verstehen hinderlich waren. Wie ich es als Farbenblinder
gelernt habe, Farben einigermaßen auseinander zu halten, so habe
ich z.B. die folgenden in den USA wichtigen Begriffe in deutsch zu umschreiben
gelernt:
-
demokratisches Selbstverständnis,
-
der Anspruch, soziale und politische
Verantwortlichkeit aktiv zu leben,
-
ideologie- und vorurteilsarme, eng sachbezogene
Diskussion,
-
empfindlicher Sinn für Rechtmäßigkeit.
Mir fallen spontan die drei folgenden
Schienen ein, auf denen man in Deutschland dieses Wesentliche erleben kann,
aber ihre Beschreibung sprengt den Rahmen einer email. Ich werde also -Ihr
Einverständnis vorausgesetzt- thesenhaft formulieren, um deutlich
zu machen, daß hier in Deutschland die Auseinandersetzung mit amerikanischer
z.B. sozio-politischer und technisch-wissenschaftlicher Kultur eine fortgesetzte
Anstrengung wert ist.
Wenn ich also im folgenden "USA"
sage, meine ich diese Seite der USA, die uns bereichern kann. Alles andere
erscheint mir der Völkerverständigung zuwiderzulaufen, uninteressant,
wertneutral oder einfach nur komisch zu sein, wie es eben Stereotype sein
können.
Schiene 1: Der
historische Roman
Arthur Solmssen, ein Rechtsanwalt aus
Philadelphia, hat die Form des spannenden historischen Romans gewählt,
um uns seine Kultur mitzuteilen. In "Alexander's Feast" beschreibt er die
Leidenschaft, mit der ein paar amerikanische Harvard-Studenten 1947 in
Salzburg ein Seminar auf Schloß Leopoldskron ins Leben gerufen haben.
Es besteht nun schon über ein halbes Jahrhundert. In diesem Seminar
untersuchen Europäer amerikanische Literatur, Geschichte, Politik,
amerikanisches Rechtswesen und Geschäftsleben. Die Dozenten kommen
aus den amerikanischen Forschungsinstituten, dem öffentlichen Leben,
der Regierung, den Universitäten und der Industrie. Aus Europa kann
sich jeder bewerben. Der finanzielle Rahmen wird durch effiziente Spendensammlungen
in den USA, durch ehrenamtliche Mitarbeit -mitunter auch von Seiten der
Dozenten- und einem geringen Unkostenbeitrag der Teilnehmer gesteckt (http://www.americansc.org.uk/Online/salzburg.html
und http://www.salzburgseminar.org/).
Seinen in der Stimmung und Zielrichtung
ganz ähnlichen historischen Roman, "A Princess in Berlin", haben Herr
Solmssen und ich bereits ins Internet gelegt. Er handelt vom Engagement
von Quakern im Berlin der 20'ger Jahre (http://www.acamedia.info/arts/literature/args/princess/germanad.htm).
Schiene 2: Die
im Internet dokumentierte Arbeit von z.B. US-Forschungseinrichtungen
Ebenso arbeiten viele amerikanische
Forschungseinrichtungen. Ich war, wie schon angedeutet, in der Stanford
Universität, der University of California, in der New York University,
in den Los Alamos National Laboratories, im Oak Ridge National Laboratory
selbst Nutznießer davon. Man fördert den (in meinem Fall technisch-wissenschftlichen)
Dialog durch Bereitstellen so gut wie aller Privilegien, die ein amerikanisches
Mitglied der Einrichtung genießt (Arbeitsraum, kostenloser Besuch
aller Veranstaltungen, Benutzung der im Vergleich zu Deutschland sehr umfangreichen
Bibliotheken, der im Vergleich zur Auslastung überdimensionierten
Rechenzentren, usw.).
Ähnlich konkrete Forschungsarbeiten wie hier beispielhaft aufgeführt, kann ich in Deutschland nicht entdecken.
-
Das Monterey Institute of International
Studies, MIIS (http://www.miis.edu/),
und das in ihm beheimatete Center for Nonproliferation Studies, CNS (http://cns.miis.edu/),
haben Rußland auf diese Weise unentgeltlich die zur Bewältigung
seiner nuklearen und chemischen Abrüstung/Konversion notwendige Hilfe
gewährt.
-
Die UNSCOM hat ganz wesentliche Hilfe
in Form eines Zugangz auch zum nicht-öffentlichen Teil des CNS-Archivs
bekommen.
-
Unsere nukleare Forschung und Entwicklung gehen auf Eisenhowers Genfer Konferenz "Atoms for Peace" (http://www.iaea.or.at/worldatom/About/atoms.html)
und die IAEA zurück. Ohne amerikanische Kooperation hätte sich
trotz der staatlichen Subventionen bei uns keine wirtschaftliche Nuklearindustrie entwickelt. Der in Deutschland gebaute Druckwasserreaktor der Firma Siemens-Interatom ist ein direkter Nachkomme des in den USA entwickelten Antriebsreaktors für U-Boote.
-
David Albright und Mitarbeiter (Ende
der 1980'er Jahre junge Wissenschaftler von der Federation
of American Scientists) haben das brasilianische Parlament ("National
Congress") in Fragen der Nukleartechnologie unterrichtet, sodaß es
in die Lage versetzt wurde, den nuklearen Ambitionen des brasilianischen
Militärs zu widerstehen (siehe auch Michael Barletta, Pernicious
Ideas
in
World Politics: “Peaceful Nuclear Explosives”, Monterey Institute of
International Studies, Annual Meeting of the American Political Science
Association, San Francisco, CA, 30 August 2 September 2001). In Lateinamerika
ist ein nuklearer Rüstungswettlauf vermieden worden.
-
Der amerikanische Präsident Jimmy
Carter hat in seiner Amtszeit versucht, die Nichtweiterverbreitung von
Atomwaffentechnologie den Völkern, speziell
Deutschland und Brasilien, nahezubringen. Deutschlands SPD-geführte
Regierung Ende der 1970'ger Jahre hat diese Anstrengungen unterlaufen
und an Brasilien Komponenten des gesamten nuklearen Brennstofkreislaufs
geliefert, obwohl Brasilien nicht dem nuklearen Nichtweiterverbreitungsvertrag
beigetreten war und die Entwicklung nuklearer Explosivkörper verfolgte.
Gleichzeitig belieferte Deutschland Brasiliens damaligen Feind, Argentinien,
mit Nukleartechnologie. Brasilien hat später deutsche Technologie zur Anreicherung von Uran -die man fast ausschließlich beim Bau von Atombomben einsetzt- an den Irak weitergegeben. (J. Gruber, Proliferaton
of "Dual-Use" Technology from Germany to Latin America, zur Charakterisierung der gegenwärtigen Problematik siehe: J. Carter, A Nuclear Crisis, Washington Post, 23. Februar 2000).
Die amerikanische oftmals weitgehend
unentgeltliche Hilfe ist angesicht der Qualität des Beistands bemerkenswert,
besonders weil sich die amerikanischen Institutionen meist bei kaum nennenswerter
Staatshilfe selbst finanzieren.
Schiene 3: Die
medizinische Literaturdatenbank Medline
Google (in Stanford aufgebaut) oder
vor allem die Medline-Datenbank (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/PubMed/).
Letztere kostenlos einsehbare Sammlung praktisch der gesamten medizinischen
Fachliteratur hat die medizinische Welt und das Arzt-Patienten-Verhältnis
verändert. Durch Medline konnte ich als Physiker z.B. problemlos im
Gebiet der Medizin einen Beitrag zur Therapie der Neuroborreliose leisten
(z.B. http://www.Lymenet.de/nonlinde.htm).
Das funktionierte auch deshalb schnell, weil ich nach Fertigstellung meines
Arbeitspapiers Zugang zu jeder gewünschten Forschungseinrichtung und
zu jedem Arzt in den USA erhielt (Schiene 2).
Der multilaterale Dialog wird von den
USA gesucht, und dieses Land (im oben erwähnten Sinne) ist sich seiner
eigenen intellektuellen Beschränkungen bewußt. Wir sollten die
Gelegenheit nutzen, dabei unsere Beschränkungen zu thematisieren.
Es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht
abzusehen, welche Leistungen dabei gemeinsam erbracht werden können.
Aus meinen Fachgebieten kann ich den wissenschaftlichen Dialog mit den USA nicht mehr wegdenken.
2. Die Rolle der Medien
bei unserer verantwortlichen Auseinandersetzung mit amerikanischer Kultur
Die Medien können uns dabei helfen,
den von den USA angebotenen Dialog anzunehmen und ihn inhaltlich mit unserer
Kultur positiv und aktiv auszufüllen.
In diesem Sinne war meine Kritik
an der Ausstrahlung von Herrn Glattfelders Interview und der nachfolgenden
Zusammenfassung in den Nachrichten gemeint: Interview und Nachrichten untermauerten
nach meinem Dafürhalten gänzlich unnötig eine Grundhaltung
der Ablehnung gegenüber den USA, z.B. in Form der Aussagen
1 - 4 meines Ihnen vorliegenden Briefs vom 9. 4. 2003, also im wesentlichen
des unkritischen, unmenschlichen und unverantwortlichen Ausführens
eines -aus der Luft gegriffenen- Befehls zum Mord an Journalisten, was
einem amerikanischen Bürger nicht unterstellt werden kann.
(Zusatz vom 15.12.03: Es wurde von Medien Tenor, dem deutschen Insitut für Medienanalyse und Internetanalyse, nachgewiesen, daß deutsche Medien extrem USA-feindlich voreingenommen sind: "Who's the Most Biased? A Surprising Answer, Newsweek, Dec.15, 2003, p. 5, lokales Link).
Wie es Ihr Herr Buschschlüter
mit bewundernswerter Anstrengung verwirklicht, wäre z.B. eine
ernsthafte Diskussion des Palestine-Hotel-Beschusses angebracht gewesen.
Statt dessen entschied sich Herr Glattfelder für die Bekanntgabe seines
nicht weiter erläuterten (und daher nicht hilfreichen) Mordvorwurfs
und schob damit einen Riegel vor die Tür zu einer intelligenten Kommunikation
in Deutschland.
3. Der in DLF-Nachrichten
verbreitete Vorwurf des gezielten Journalistenmordes durch die "USA".
Ich darf abschließend noch auf
das konkrete Problem des DLF und Ihre freundliche Stellungnahme eingehen:
-
Qualitätsanspruch: Das Recht
auf freie Meinungsäußerung zu Sachthemen gilt nach meinem Dafürhalten
für Inhalte, die der Betreffende entsprechend seinen Fähigkeiten
begründet. Wenn der DLF eine gegen diesen Grundsatz grob verstoßende
Äußerung in seinen Nachrichten (also nicht als Kommentar) ausstrahlt,
erscheint mir die Qualität von DLF-Nachrichten gefährdet (zum
Qualitätsanspruch siehe Ernst Elitz, Chancen
und Probleme einer Fusionierung von Rundfunkanstalten: Das Beispiel
DeutschlandRadio, Institut für Rundfunkökonomie an der Universität
Köln, Reihe Arbeitspapiere, Heft 34/1995).
-
Verantwortlichkeit: Wie Sie in
Ihrem Brief andeuten, hätten Hetze (Mediendienste Staatsvertrag,
Paragraph
5 (5) 1)., Verleumndung oder Fehlinformation Konsequenzen für
den Betreffenden. Da nun aber die Richtung eines Interviews dem DLF-Moderator
generell vorher bekannt ist, darf ich vielleicht fragen, warum der DLF
Herrn Glattfelder ein Forum für seine substanzlose Meinung geboten,
also nicht im Sinne des Staatsvertrags
über Mediendienste, Paragraph 6 "Allgemeine
Grundsätze der Verantwortlichkeit", Paragraph 11 "Sorgfaltspflicht"
oder nach Deutschlandradio-Staatsvertrag (DLR-StV),
Paragraph 7, 1 "Berichterstattung" gehandelt hat?
-
Völkerverständigung:
Ein Vorstandsmitglied des Journalistenverbands muß sich der qualifizierten
Recherche, der Untermauerung mit Argumenten und einer der Tiefe seiner
Recherche angemessenen präzisen Sprache bedienen (entsprechend seiner
Sorgfaltspflicht).
Da Herr Glattfelder diese Basis ganz eindeutig verließ, wäre
es nach meinem Dafürhalten in der Verantwortung der Nachrichtenredaktion,
entsprechend Paragraph 6 des DLR-StV
im Geiste der Völkerverständigung zu handeln und seine Vorwürfe
nicht in die Nachrichten zu übernehmen (bitte korrigieren Sie mich,
wenn ich mich hier irre).
Ich möchte diesen Brief
zusammen mit dem an Herrn Elitz auf meinem Webserver im Internet zugänglich
machen. Darf ich auch Ihre Antwort dort publizieren? (Sie hätten natürlich
jederzeit Gelegenheit, Änderungen und Ergänzungen an der Internet-Version
Ihrer Antwort vorzunehmen.) Ich bin überzeugt, daß wir (Sie
und ich) Themen ansprechen, die generell in Deutschland diskutiert werden
sollten.
Ich würde mich sehr freuen,
wenn wir unseren Dialog bei Gelegenheit fortsetzen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
und meinen Wünschen für einen schönen rheinischen Frühlingstag.
Joachim Gruber
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