Gedanken zum Jahr 2020


Eine ebenso anspruchsvolle wie herausfordernde Spaltung geht wieder einmal durch die Gesellschaft, sie geht mitten durch unser Alltagsleben. Eine Grippe ist zur neuen Religion geworden und überall lauert die Frage: Sag', wie hältst du es mit der Pandemie?

Nach Wanja Wiese (Arbeitsbereich Theoretische Philosophie, Uni Mainz) erzeugt unser Gehirn 

ein Modell von uns selbst ("phänomenales Selbstmodell"), das eingebettet ist in ein ebenfalls im Gehirn erzeugtes Modell der Welt. So erleben wir uns als Teil einer selbsterzeugten, virtuellen Realität. Unser Gehirn erzeugt also nicht nur eine virtuelle Realität und simuliert dadurch die Außenwelt, sondern es simuliert den Benutzer dieser virtuellen Realität gleich mit. Das ist offenbar eine sehr erfolgreiche Repräsentation, da sie flexible und effektive Interaktionen mit unserer Umgebung ermöglicht. Durch sie erhalten wir ein immenses Repertoir an Handlungsmöglichkeiten.

Es geht also darum, eine Auswahl zu treffen. Die Philosophie der Stoa hilft uns zu finden, was im Einklang mit den Naturgesetzen und -Kräften steht, damit wir uns die Nische bewahren, in der wir auf unserem Planeten leben. Heute haben diese Gesetze Namen wie "Energieerhaltungssatz". Aber noch bis in Luthers Zeit waren Religion und Wissenschaft eine Einheit, und daher wurden die Naturkräfte z.B. im Pantheismus Gott oder Göttern gleichgesetzt. 

Friedrich Hölderlin versuchte im Rahmen seiner gesellschaftspolitisch revolutionären Arbeit, den Menschen im beginnenden 19. Jahrhundert Ideen der Stoa in seiner neu entwickelten pantheistischen Lyrik nahezubringen. Das Problem damals war das wenig geliebte restaurativ repressive politische System, das -die Gesellschaft spaltend- den Menschen den Rückzug in Verantwortungslosigkeit (jetzt als Biedermeier bekannt) nahelegte. Die Alternative war, in Gedankenfreiheit den schon erkennbar vielversprechenden Weg in die moderne Aufklärung einzuschlagen, dabei aber von Politik und Gesellschaft stigmatisiert und ruiniert zu werden. Georg Büchner und Friedrich Hölderlin empfinde ich in diesem Sinn Vorfahren von Julian Assange und Edward Snowden (mit dem Unterschied, dass die Exekutive heute in unserem Namen handelt). Sie verschlüsselten ihre Kommunikation in Literatur (weshalb sie heute als Schriftsteller und Dichter gelten, was sie ursprünglich aber nicht anstrebten), andere taten das in Musik.

http://acamedia.info/letters/christmas_2020/Hoelderlin_d_2020.mp4


In seinem Interview 4 Tage vor Weihnachten (2020) mit John Stoessel gibt Edward Snowden uns ähnliche Gedankenhilfen, aber in heute gebräuchlicher Verschlüsselung.

https://www.youtube.com/watch?v=ZSu4rCizyUM


Vielleicht helfen uns solche Gedanken, im neuen Jahr eben gerade wegen der Verschiedenheiten bei der Bewertung der gegenwärtigen Gesellschafts- und Gesundheitskrise aus der Angst zu kommen und ein liebevolles Miteinander zu entwickeln.  „Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch“ (Hölderlin).

Der Jahreswechsel schenkt uns Tage der Meditation und des Nachdenkens über die Dinge. Jetzt ist Gelegenheit, Lautstärke herabzuregeln und den Gedanken Raum zu schaffen. Vielleicht werden wir sie dann hören: Die Engel auf dem Felde, die den Hirten die wahre frohe Botschaft bringen.

Die Tage werden wieder länger. Das Licht kehrt zurück in die Welt.

Wir wünschen also ein glückliches und gesundes neues Jahr!

Marianne und Jochen

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Version: 12. Januar 2021

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Jochen Gruber