Frame und Peer Group - Ein Kommentar

Theater und Netz Vol. 5

Veranstalter: Nachtkritik, Heinrich-Bšll-Stiftung, 

Berlin, 6. - 7.5.2017

von

Joachim Gruber


ãMedia discourse can be conceived of as a set of interpretive packages that give meaning to an issue. A package has an internal structure. At its core is a central organizing idea, or frame, for making sense of relevant events, suggesting what is at issueÓ

Definition des Frame nach Gamson und Modigliani, (zitiert nach Brad Jones, ãMoral FramingÒ, 22 October 2013


Frame

Wir kennen Frames in anderen Wissensgebieten unter anderen Namen als


Peer Group

Der im Inhaltlichen definierte Frame hat eine Entsprechung in der Gesellschaft: die Peer Group. Ganz analog zum Frame bestimmt sie unser Denken und Handeln.


Daniel Ellsberg (seine Website), Whistleblower der 1970er Jahre gegen den Vietnamkrieg, hat in den vergangenen Jahren mit Whistleblowern wie Julian Assange, Edward Snowden und William Binney gesprochen, um im Vergleich ihrer Erfahrungen mit den eigenen neue Wege zu gesellschaftlich-politischer Verantwortung offenzulegen.


DarŸberhinaus hat er in seinem autobiographischen Buch "Secrets" und in seinem 12-teiligen Interview "Lied to Death" auf eindringliche und anschauliche Weise gezeigt, wie wir es nur in AusnahmefŠllen schaffen, unserer Gruppe (z.B. unserer sozialen oder beruflichen Umgebung) zu widersprechen. Um von unserer Gruppe weiterhin akzeptiert zu werden, ignorieren wir unsere ethischen Prinzipien und unsere Fachkenntnisse, wenn diese uns von der Gruppe trennen. Wir glauben, rational abzuwŠgen, sind aber tatsŠchlich emotional und fast ausweglos gruppenkonform. 


Ellsberg schildert sein EinverstŠndnis mit der US-Regierung, die ihm fŸr seine Forschungs- und BeratertŠtigkeit Zugang zu mehr geheimen Informationen gewŠhrte als jedem anderen hohen Regierungsangestellten und -Mitglied. Obwohl er schon an seinem ersten Arbeitstag feststellte, dass sowohl der US-PrŠsident als auch US-Minister die …ffentlichekit bewusst hinters Licht fŸhren und sogar belŸgen, empfand er es als seine Aufgabe, innerhalb der politischen Machtelite zu arbeiten und sie zu beraten. In diesem Rahmen setzte er auch sein Leben als Kommandeur einer militŠrischen Einheit, die in Vietnam kŠmpfte, aufs Spiel.


Wechseln der Peer Group

Weil seine Peer Group keinen Ausweg aus dem Morden in Vietnam fand, wechselte er in die Gruppe der Kriegsgegner. Er beschreibt, wie schwierig es fŸr ihn war, sich von seinen alten Kompromissen und Werten im Regierungsestablishment zu lšsen und neuen Kompromissen und einer neuen Ethik in der Antikriegsbewegung zuzuwenden.


In 3 Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit zur Langzeitsicherheit von hochradioaktiven nuklearen Abfalllagern habe ich Erfahrungen mit der geschilderten Gruppendynamik gemacht. Mir scheinen Ellsbergs Analysen einen Weg aufzuzeigen, wie wir diesen fast unmšglichen Schritt aus unserer eigenen Gruppe  hinaus vollziehen kšnnen.


George Lakoff und Michail Gorbatschow: VerŠnderung unserer Frames und Peer Groups

Unser Denken und Handeln ist also neurobiologisch gelenkt durch


Wir tun uns sehr schwer, den Ansichten unserer Gruppe zu widersprechen oder sie zu verlassen, selbst wenn wir zuweilen wesentlich andere Werte vertreten. Statt dessen Šndern wir lieber unser Denken aus dem GefŸhl heraus, wir seien im Irrtum.


George Lakoff in "The Political Mind - A Cognitive Scientist's Guide to Your Brain and its Politics" und Michail Gorbatschow in "Das Neue Denken" legen an praktischen Beispielen aus der Gesellschaft und der Politik dar, wie wir unsere bisherigen, nicht nachhaltigen Denkweisen Šndern kšnnen.


Elisabeth Wehling

Berkeley International Framing Institute

1. Vorsicht vor diesen Wšrtern

Ein GesprŠch mit der Linguistin Elisabeth Wehling, Interview: Marc Brost und Petra Pinzler

DIE ZEIT, 12. MŠrz 2016 (im Cache)

... ZEIT: Aber unser Ideal ist doch, dass WŠhler in einer Demokratie durch Fakten Ÿberzeugt werden und die BŸrger sich ihre Meinung aufgrund von Fakten bilden.

Wehling: Und das ist ein Irrtum. Kein Wort kann au§erhalb von Frames gedacht, ausgesprochen und verarbeitet werden. Wann immer Sie ein Wort hšren, wird in Ihrem Kopf ein Frame aktiviert.

2. Framingmanual - unserer gemeinsamer freier Rundfunk ARD

Elisabeth Wehling, Berkeley International Framing Institute, 2017 (im Cache - Exzerpte)

Im Wesentlichen spezifiziert dieses Manual Aufgaben und Ideale der ARD, an denen diese sich messen kšnnte, es aber nicht tut, an denen sie (im Vergleich zu den 60er und 70er Jahren) keine Freude mehr hat, in die sie keine Energie mehr zu stecken vermag. Die ARD scheint mir ein Symbol zu sein der geistig eingeschrŠnkten, selbstgerechten Langeweile, die unsere Zeit (die 2010er Jahre) zu prŠgen versucht. In ihr drŠngt sich Intoleranz vor fundiertes Wissen und bleierne Indifferenz vor schšpferischen Optimismus. Die ARD, und nicht allein sie, verbreitet Apathie und Verzweiflung als LebensgefŸhl und letztendlich die Hoffnung auf den eigenen Tod vor dem Einbrechen der Katastrophen, die sie in hilfloser Dummheit vorzubereiten hilft. Mir scheint, damit spricht die ARD nicht das Deutschland der Gegenwart an, das sich z.B. auf den Demonstrationen Fridays for Future zeigt.

Zwei Beispiele dafŸr: Die ARD beleuchtet

kritisch.

Interessanterweise kšnnte man Wehlings Manual mit einiger Anstrengung auch als konkrete Anleitung, als eine Roadmap lesen, die spezifiziert, wie leicht die ARD zu lebensbejahender Verantwortung, zu einem ansteckenden Optimismus zurŸckfinden kšnnte.


Version: 15.3.2019

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