CO2-STEUER UND ZERTIFIKATE

Klimaschutz muss nicht teuer sein

EIN KOMMENTAR VON PATRICK BERNAU -AKTUALISIERT AM 31.03.2019-10:14

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung


So kann es mit dem Klima nicht weitergehen. Die Welt braucht einen wirksamen Klimaschutz. Der ist einfacher Ð und preiswerter Ð als viele denken.


So kann es nicht weitergehen, nicht mit dem Klima. Von Jahr zu Jahr wird die Erde wŠrmer, die Wetterlagen werden extremer, und die Menschheit kommt nicht dagegen an. Vergangene Woche hat sich gezeigt, dass die Menschheit 2018 schon wieder mehr Klimagase ausgesto§en hat. Dabei hat die Welt nur noch 30 Jahre, um ihren Aussto§ nahe Null zu bringen, soll das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden. Das ist besonders traurig, weil Deutschland schon einiges tut. Vierkšpfige Familien zahlen im Schnitt allein 1500 Euro im Jahr fŸr die erneuerbaren Energien, dazu kommen rund 2000 Euro an Steuern auf Benzin. Kraftwerke mŸssen eine Erlaubnis zum Aussto§ von Klimagasen haben Ð wenn ihnen ihre Menge nicht reicht, mŸssen sie Zertifikate von anderen kaufen. Und deren Kontingent sinkt von Jahr zu Jahr. Auch fŸr viele FlŸge gilt das System. Zudem werden HŠuser gedŠmmt, der CO2-Aussto§ von Autos beschrŠnkt, der Kohleausstieg beschlossen, und Staubsauger dŸrfen nur noch mit 900 Watt saugen. Dutzende Einzelma§nahmen bringen das Land an den Rand der Belastbarkeit, so lange, bis Gelbwesten-Proteste drohen. Doch der Erfolg ist bescheiden. Hinter den eigenen Zielen bleibt die Bundesregierung deutlich zurŸck. Einst war Deutschland stolz, dass seine Klimarettung Vorbild fŸr die anderen LŠnder ist Ð doch an diesem Stolz kšnnen wir uns nicht mehr aufrichten. So ein gutes Vorbild war Deutschland offensichtlich nicht, der Aussto§ von Klimagasen wŠchst immer noch. 


Ein anderer Weg ist besser 


Wenn man auf der Reise ist und nicht schnell genug zum Ziel kommt, dann gibt es zwei Mšglichkeiten: Man kann entweder mehr Gas geben und dabei einen Unfall riskieren. Oder man kann gucken, ob es noch einen besseren Weg gibt. Vielleicht ist es Zeit, noch einmal Ÿber den Weg zu sprechen. Bisher funktioniert Klimapolitik so, dass der Staat unter dem Druck von UmweltverbŠnden und Freitagsdemonstranten plant, wo Emissionen einzusparen sind Ð bis hin zum GlŸhbirnenverbot. Solche Detailregeln gŠngeln die BŸrger im tŠglichen Leben, bis einigen die Lust am Klimaschutz vergeht. Und sie sind teuer. Der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hat gerade erst betont: Der Kohleausstieg wird den deutschen Fiskus wohl 100 Milliarden Euro kosten. HŠtte die Bundesregierung stattdessen einige Emissionserlaubnis-Zertifikate am Markt gekauft und vernichtet, wŠren die Steuerzahler mit drei Milliarden Euro weggekommen Ð und Deutschland kšnnte sogar noch sein Klimaziel fŸr 2020 erreichen. Bei dieser Politik wŠren noch viele Milliarden Ÿbrig gewesen, um Strukturpolitik in den Kohleregionen zu finanzieren. 


Die Menschen wissen selbst, wie sie das Klima schŸtzen 


Kann Klimaschutz wirklich so billig sein? Ja. Weil Industrie und Verbraucher selbst gut wissen, wie sie auf Emissionen verzichten kšnnen und welche Alternativen die attraktivsten sind Ð sie sind nŠher dran als die Planer in den UmweltverbŠnden. Bis heute gibt es Klimaschutz fast kostenlos: Wenn Hausbesitzer eine alte Heizung auswechseln, sparen sie teils so viel Gas oder Heizšl, dass sich die Kosten schnell amortisiert haben Ð und es entfŠllt so viel CO2, als wŸrde die Familie zu Vegetariern. Solche Ideen gehen oft unter, wenn Klimaschutz zentral geplant wird. Wenn die BŸrger aber am Geldbeutel gepackt werden, lassen sie sich solche Chancen nicht entgehen. Deshalb kšnnte alles recht einfach sein: indem ein Mindestpreis auf den Aussto§ von Klimagasen in allen Branchen festgelegt wird, sei es in einem System mit handelbaren Emissionszertifikaten oder in Form von Steuern. Der Preis steigt Ÿber die Jahre, der CO2-Aussto§ sinkt immer weiter. Wenn andere LŠnder nicht mitziehen, kann man ihnen durchaus mit Klimazšllen drohen, die den CO2-Preisen in Europa entsprechen. Das eingenommene Geld muss in Steuersenkungen flie§en, vielleicht auch in hšhere Sozialleistungen Ð so, dass klimaschŠdliche Produkte einerseits teurer werden, aber die Menschen andererseits mehr Geld haben. Dann kann jeder selbst bestimmen, ob er anfangs lieber aufs Benzinauto verzichtet oder auf UrlaubsflŸge, oder ob er eine neue Heizung einbaut. Die Politik sollte sich in diese Entscheidungen dann nicht mehr einmischen. Das ist vielleicht das schwierigste an diesem Plan.



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Rechtsbruch als Protestform

Widerstand gegen das System ist schšn und gut. Doch SchŸler sollten nicht so weit gehen und mit dem Rechtsstaat brechen, um Einfluss zu nehmen.


Aufmerksamkeit erzielt man in der Regel durch den Regelbruch. Das Au§ergewšhnliche ist interessant Ð und schon deshalb wird oft darŸber berichtet. Leider, so mag man hinzufŸgen. Denn das Schrille ist ja noch kein Argument an sich.


Andererseits ist klar, dass Protest, um Wirkung zu erzielen, nicht immer in geordneten Bahnen verlaufen kann. So muss in einem freiheitlichen Rechtsstaat auch eine Spontanversammlung mšglich sein. Das hei§t: Wenn sich aus aktuellem Anlass ein Demonstrationszug bildet, dann darf dieser nicht etwa wegen einer fehlenden Anmeldung aufgelšst werden. Das Grundgesetz kennt sogar ein Widerstandsrecht aller Deutschen ãgegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigenÒ Ð allerdings nur, ãwenn andere Abhilfe nicht mšglich istÒ. Diese Voraussetzung wird gern Ÿberlesen. Solange der Rechtsstaat funktioniert, ist nŠmlich andere Abhilfe mšglich.


Ein allgemeines Recht auf "zivilen Ungehorsam" gibt es dagegen nicht. Wogegen auch? Gegen jede einzelne staatliche (und im Grunde auch sonstige) Ma§nahme steht jedem nicht nur der Rechtsweg offen. Es gibt zahllose Mšglichkeiten, Einfluss zu nehmen, um gegen MissstŠnde vorzugehen.


Umso bedenklicher ist es, wenn sogar Mitglieder von Verfassungsorganen den Eindruck erwecken, rechtliche Regeln, die fŸr alle gelten, seien nicht ernst zu nehmen. Gemeint ist hier weder der Versto§ gegen Schuldenbremse noch eine problematische Euro-Rettungspolitik, noch der Umgang mit Grundnormen des fšderalen Staates, selbst wenn das alles als Zeichen einer Erosion der rechtsstaatlichen Ordnung gedeutet werden kann.


Jetzt aber, immer wieder freitags, geht es um die allgemeine Schulpflicht. Gerade weil zuvšrderst Kinder betroffen sind, muss auch hier der Rechtsstaat verteidigt werden. NatŸrlich ist nichts dagegen einzuwenden, das Engagement der SchŸler fŸr den Umweltschutz zu loben sowie ihre Ideen, das Organisationstalent und die FŠhigkeit zu wŸrdigen, das Thema šffentlichkeitswirksam zu besetzen und auch Lehrer, Eltern und eben Politiker in ihrem Bann zu ziehen.


Das ist aller Ehren wert. Wobei zu gro§es Lob durch die Politik leicht in eine Anbiederung umschlagen kann, welche die eigenen Existenzberechtigung in Frage stellt: Wenn bis hinauf zum BundesprŠsident Steinmeier der Eindruck erweckt wird, endlich sei das Problem des Klimawandels erkannt und wirkmŠchtig addressiert, dann desavouiert die Politik sich selbst, die zahllosen Beamten und Fachleute, die sich seit Jahrzehnten genau darum kŸmmern.


Es ist in jedem Fall bezeichnend, dass der Versto§ gegen die Schulpflicht allenfalls am Rande erwŠhnt wird. Wer wird denn so streng sein angesichts von ein paar Stunden Fehlzeit! NatŸrlich wŠre nichts dagegen einzuwenden, wenn aus besonderem Anlass heraus, im Einzelfall, auch einmal wŠhrend des Unterrichts demonstriert wird. Auch ist das Argument ja nicht ganz falsch, der Unterricht falle doch ohnehin alle naselang aus. Und ist nicht das Schulziel entscheidend? Ist es nicht sogar wichtiger fŸr die heranwachsenden StaatsbŸrger, fŸr den Klimaschutz auf die Stra§e zu gehen?


Doch schon hier beginnt der Rechtsstaat zu bršckeln. Es gibt eine allgemeine Schulpflicht. Punkt. Die wird auch polizeilich durchgesetzt, zugegeben eher bei armen Migrantenkindern als bei privilegierten Einheimischen, die stets gut "entschuldigt" sind. Diese Pflicht muss auch durchgesetzt werden, sonst gilt  sie bald nicht mehr. Hier mit dem Schulziel zu argumentieren ist im Grunde schon der Abschied von der Schulpflicht. Sonst kšnnte jeder sein Kind beliebig zu Hause lassen, solange es nur irgendwann das Schulziel erreicht.


Katrin Gšring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der GrŸnen im Bundestag, zog kŸrzlich gar einen wohlwollenden Vergleich zwischen den SchŸlerprotesten und dem Aufbegehren in der Endphase der DDR 1989. Sie muss es wissen. Aber dann ist alles erlaubt. Wenn hinter den Protesten und der offiziellen Sympathie dafŸr die Haltung steht, diese staatliche Ordnung, das System sei nicht in der Lage, die geeigneten umweltpolitischen Ma§nahmen zu treffen, um das Land und den Planeten zu retten, dann ist der Weg zu reichsbŸrgerhaften AuswŸchsen nicht mehr so weit.


Solch ein "Widerstand" hat Folgen. Warum nicht Kriechen auf den Stra§en oder Rasen aus Protest gegen die Verkehrspolitik, das Verweigern von Steuerzahlungen als Zeichen gegen die Finanzpolitik? Zur Klimarettung sollte das doch erlaubt sein. Aber warum eigentlich nur aus GrŸnden des Umweltschutzes? SchwŠnzen fŸr Europa? Das Verweigern der RundfunkgebŸhr, weil das Programm nicht gefŠllt? In jedem Fall gŠbe es immerhin einen Zusamenhang. Der besteht zwischen Schulpflicht und Klimaschutz nicht unmittelbar. Die eindrucksvollen Proteste gegen eine atomare Bedrohung waren nicht immer gewaltfrei, aber im Kern rechtmŠ§ige Versammlungen mit gro§er Breitenwirkung. Die Missachting der Schulpflicht darf nicht Schule machen. Verantwortlich fŸr diese Erosion ist nicht zuletzt hyperverstŠndnisvolle, opportunistische Politik.


Version: 1.4.2019

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Joachim Gruber