Die Bedeutung von Sozialen Netzwerktechnologien:
breitband spricht mit Micah Sifry

Übersetzung: Jochen Gruber (pdf)

26. März 2011
Quelle: breitband, The revolution will be facebooked, Deutschlandradio Kultur, 12.2.2011

Fragen: breitband

Antworten: Micah Sifry


Frage:

Wir haben zur Zeit eine ausgedehnte Diskussion darüber, ob soziale Webtechnologien einen politischen Einfluß haben. Leute wie Clay Shirky und Cory Doctorow sehen einen positiven Einfluß, während Leute wie Evgeny Morosow haben Zweifel, daß das Internet zu mehr Demokratie und zu politischem Wandel führen wird. Glauben Sie, daß es einen Bedarf gibt für eine irgendwie geartete Theorie des Webaktivismus, welche diese Effekte erklärt?

Antwort:

Nun, was ich glaube, das wir wirklich brauchen, ist mehr Daten und weniger Anekdoten. Soviel ist sicher, weil im Augenblick argumentieren wir alle meist einfach mit Anekdoten. So z.B. im Fall der USA, denke ich, kann ich mit Sicherheit sagen, Barak Obama wäre nicht Präsident, hätte er nicht so geschickt das Internet genutzt. Hillary Clinton hätte wahrscheinlich die Nominierung der Demokraten gewonnen. Im Iran waren die Proteste gegen die kürzlichen Wahlen nicht so erfolgreich, und Leute wie Clay Shirky lagen falsch, die dachten, dies war ein großes Positiv-Beispiel. Ich meine das in dem Sinne, daß die sozialen Medien halfen, die Weltaufmerksamkeit darauf zu schärfen, was innerhalb des Iran passierte, aber daß änderte nicht die internet Machtdynamik. Was gerade in Ägypten abläuft, ist ein Kampf, und interessanterweise untersuchten offensichtlich einige der jungen Organisatoren der Bewegung im Herzen dieser Erhebung, was im Iran nicht funtioniert hat, und paßten ihre Taktiken an, die sie benutzen konnten, um die Polizei zu umgehen.


Also, das ist eine noch laufende Auseinandersetung. Ich persönlich denke, daß die Wirklichkeit am Ende zweifesfrei zeigen wird, daß das Internet das Spiel verändert: Es ändert die Dynamik der Organisation, Kommunikation auf Weisen, welche die Macht subtil aber beträchtlich in Richtung auf die einfachen Bürger und weg von geschlossenen hierarchischen Institutionen verschiebt. Ich denke, wenn man Morosows Buch "Netsolutions" liest, wird man finden, daß er auf beiden Seiten der Frage steht.


F:

Am Anfang sagten Sie, wir brauchen weniger Anekdoten und mehr Daten. Wie kann man eigentlich die Wirkung von online Politikaktivismus messen? Ist das möglich?


A:

Natürlich ist die Schwierigkeit, daß man es nicht schafft, dieses Experiment mit einer Test- und einer Kontrollgruppe zu machen. Hier hat man das reale Leben. Und es gibt Fälle, wenigstens in den USA, in denen z.B. die Wahlbeteiligung steigt, wenn man Leute bei einer bevorstehenden Wahl mit SMS daran erinnert, daß heute Wahltag ist, und daß man hier klicken kann, um herauszufinden, wo das Wahllokal ist.


Das deckt sich mit anderer Literatur, welche zeigt, daß unmittelbare persönliche Kontakte in der Politik die Beteiligung antreiben. Das wirksamste Werkzeug, Leute in die Politik einzubeziehen, ist, an deren Türen zu klingeln und zu ihnen zu sprechen, oder wenn sie von ihren Freunden hören.


Also in diesem Ausmaß bauen soziale Medien mehr Verbindungen zwischen den Menschen auf, als es vorher gab, und es beschleunigt gewiß das Bilden dieser Verbindungen. Stellen Sie sich einmal vor, wieviel Zeit es kosten würde, 100 Briefumschläge mit einem Flugblatt zu versehen, die Briefmarken daarauf zu kleben und die Adressen darauf zu schreiben, und dagegen sind heute 100 Emails in nullkommanichts verschickt. Ein sehr gutes Gegenargument ist, ob die Leichtigkeit des Einsatzes tatsächlich die Qualität der Kommunikation verringert. In anderen Worten, wir denken, daß wir wirklich etwas getan haben, als wir was weggeschickt haben, aber in Wirklichkeit haben wir die Machtstruktur nicht im Geringsten verändert, nur wir fühlen uns besser. Das ist eine Gefahr, daß symbolische Taten reale Taten ersetzen.


Aber die meisten Organisatoren, von denen weiß, daß sie in diesem Raum arbeiten und im Personal Democracy Forum, der Organisation, die ich betreibe (wir haben das jetzt seit 8 Jahren gemacht, also Internet-Organisatoren zusammengebracht, politische Aktivisten und Hacker), die werden Ihnen sagen, daß da eine Leiter des Engagements ist, und sie fängt auf einer sehr niedriegen Stufe an, und wenn alles, was man schafft, ist, jemanden zum Unterstützer einer Sache zu machen, einen Kandidaten einzubeziehen ("zum Freund zu machen"), das ist ein Eingangstor zu einem reicheren Gespräch. In der Vergangenheit hatte man nicht einmal diese Möglichkeit dazu, diese Verbindung herzustellen mit einem sehr entfertne Unterstützer und dann zu versuchen, ihm den Aufstieg auf der Leiter des Engagements zu ermöglichen. Also Organisatoren, denke ich, würden sagen, daß diese Werkzeuge ihnen helfen, nicht schaden.


F:

Abgesehen davon, daß man sagt, das Internet kann ein Eingangstor sein zu realer Aktivität, sagen Morosow und andere, daß es nicht genügend Menschen gibt, welche diese Werkzeuge (Internet, Facebook, Twittter) zür Aktivismus einsetzen. Also da gibt's immer die Diskussion über die Anzahl der Verbindungen, Anzahl der Leute, die dies tatsächlich benutzen. Glauben Sie nicht auch, daß wir über das Argument der Anzahl hinausgehen müssen?


A:

Na ja, die Wahrheit ist, daß wir bereits jenseits dieser Argumentation sind. Ich denke, was man sieht, ist es gibt jetzt eine Popularisierung des Gebrauchs dieser Werkzeuge, und deshalb sind Leute in den Mainstream-Medien, welche gewöhnlich die letzten sind, welche sich über irgendeine bedeutsame Bewegung zur Mobilisierung für sozialen Wandel im Klaren sind, deshalb sind diese Leute plötzlich aufgewacht und sagen "Ach, diese Sache mit Facebook, die ist keine Masche, die ist real! Ich täte gut daran, zu zeigen, daß ich das kapiert habe!" Also die sind es, welche am meisten über die Anzahl der Unterstützer reden, die jemand auf facebook hat, während die wirklichen Organisatoren -denke ich- weit darüber hinaus sind, und das, wonach sie schauen, ist sowas wie Supervolunteers. Wir wissen, daß es eine Hierarchie der online-Teilnahme gint. 90% der Leute, welche eine Website besuchen, halten sich versteckt, sie lesen nur, sie machen sich nicht einmal die Mühe, zu kommentieren. Das ist ein größerer Schritt. Und vielleicht 7 - 9% hinterlassen tatsächlich einen Kommentar, und es sind nur 1 - 2%, welche all das Gewichtheben machen. Wikipedia hat Millionen von Leuten, die vielleicht eine Veränderung angebracht haben, aber nur wenige Tausend, die tatsächlich der harte Kern sind, die diesen Server jeden tag am Laufen halten.


F:

Welche Bedeutung hat es, wenn Menschen in der Lage sind, online zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, ich meine Leute, die vor dem sozialen Netz das nicht tun konnten?


A:

Ich denke, das ist eine enorme Veränderung. Um mich zu wiederholen, ich meine, wir sprechen davon, einen Teil von früher verschwendeter sozialer Energie, welche Menschen darauf verwendet haben, fernzusehen, total passiv, eine unpolitische Verwendung ihrer Freizeit. Und wir sprechen davon, einige wenige Prozent davon, was Hunderte von Millionen Menschenstunden bedeutet, in Richtung auf sozial engagierter Aktivität zu verschieben, und wenn es einfach das soziale Engagement ist, eine seite von Wikipedia zu editieren, was letztendlich zur Schaffung der weltgrößten kostenlosen Informationsquelle geführt hat, die wir jemals gesehen haben. Oder es könnte das soziale Engagement sein, einen Politiker im Auge zu behalten, sicher zu stellen, daß Leute die Wahrheit über diese Person wissen. All diese kleinen Aktionen fangen an, sich aufzuaddieren zu eienr zusätzlichen Macht, welche eine Kraft auf den Prozeß ausübt, und das ist sehr verschieden davon, was die undichten Stellen tun. Also, was wir sehen, ist ein langsames aber bestimmtes Sprengen des alten Systems der Macht.


F:

Zwischen den Zeilen höre ich etwas von der Wirkung des "Netzwerks". Wie können diese Netzwerk-Wirkungen des sozialen Netzes sich in die offline-welt übersetzen, in wirkliche politische Aktionen?


A:

Ich denke, die Antwort wird Land für Land und wahrscheinlich Stadt für Stadt gegeben, und es wird an ernsthaften Organisatoren liegen, die ihre Zeit dem widmen, daß diese Umwandlungen etwas bewirken. Es ist gar keine Frage, daß es eine Menge von Rauschen und Geplpper gibt, und Menschen einfach nur danach sehen, ihre Karrieren zu befördern in all dem, was zurzeit läuft, aber daß der heilige Gral die Umwandlung ist: Hier geht es darum, herauszufinden, wie man diese Werkzeuge benutzen kann, die ja nicht viel kosten, und die Verbindungen, die sehr leicht zu schließen sind, um den Status Quo aufzulösen.


zum Beispiel: Wir sehen, wie Proteste in der ganzen Welt von einander lernen, wie verteilte Netzwerk-Tools zu verwenden, herauszufinden, wo die Polizei ist und nicht dahin zu gehen, wo sie sind. Das passiert in London, in England, wo diese Studentenproteste stattfinden, und Leute sich vernetzen, um zu vermeiden, daß die Polizei sie einkesselt. Und genau die gleichen Techniken sind es, wie wir glauben, die jetzt in Kairo verwendet werden.


Übrigens: Wir haben es auch hier in den USA im Jahr 2008 geschehen sehen. Um den Republikanischen Nationalen Konvent herum geschah genau dasselbe. Da war ein Typ auf Twitter, der alle Informationen, die er bekommen konnte darüber, wo die Polizei war, und die hat er mitgeteilt. Er war noch nicht einmal in Minneapolis, wo der Republikanische Konvent stattfand, aber er wurde zu einem Knoten von entscheidender Informatio, weil eine verteilte Maschen-Netzwerk-Kommunikation wie Twitter das möglich machte. Mehr und mehr Menschen lernen, wie man das macht.


Ganz ähnlich ist das, was Wikileaks darstellt: Falls Julian Assange ins Gefängnis gesteckt wird und Wikileaks abgeschaltet wird, macht das nichts, weil das Wissen jetzt weit verbreitet ist, wie man ein übernationales Informationsverteilungsnetzwerk herstellt, und da entstehen ähnliche Websites jetzt überall.

F:

Um auf die Ereignisse in Tunesien und jetzt in Ägypten zurückzukommen: Würden Sie sagen, daß all dies ohne Dinge wie Facebook und Twitter hätte passieren können?

A:

Ja, unbedingt. Man hat Leuten in jenen Ländern diese Frage gestellt, und die generelle Antwort, die sie bekamen, war: "Ja, die Revolution hätte stattgefunden, aber sie hätte länger gedauert und sie wäre blutiger gewesen."

Die Wahrheit ist: Natürlich sind Revolutionen schon vor der Existenz von social media passiert, oder sollte ich sagen: unter Verwendung anderer Arten von social media, also indem Leute in Cafes miteinander sprachen und Flugblätter herumreichten. Aber wir sind nun im 21. Jahrhundert, und dies sind die Werkzeuge, welche die Leute benutzen.

Übrigens: Der zentrale Punkt für mich ist das Ausmaß, in dem das Internet ein vergleichsweise freierer Raum ist für einige Arten von Gesprächen und Zusammenarbeit: Es ist sehr wichtig zu verstehen: Es ist nicht vollkommen. Es gibt da viele, viele Arten und Weisen, auf die die Leute wirklich, wie ... in seinem Buch aufzeigt ... Wenn man naiv darangeht beim Aufbau einer Facebook-Seite, um damit anzufangen, einen Protest zu organisieren, dann hat man eine tolle Methode geschaffen, mit der man der Geheimpolizei mitteilen kann, wen sie (die Geheimpolizei) festnehmen soll. Und Facebook hat da eine gewisse Verantwortung, welcher es nicht vollkommen nachgekommen ist, die Nutzer entweder zu warnen: "Benutzt uns nicht, weil das könnte es den Leuten leicht machen, herauszufinden, wen sie festnehmen sollen!", oder: "Hier ist eine sichere Methode, uns zu benutzen." Bisher macht Facebook nichts von beidem. Es verlangt sogar, daß die Leute ihre wirklichen Namen verwenden, was toll ist für die Polizei, sofort herauszufinden, wer die Organisatoren sind. Also im Augenblck sind wir noch im Niemandsland. Die klugen Organisatoren benutzen Verschlüsselung, und sie verwischen ihre Spuren auf andere Weisen. Das ist ein Fall, bei dem es möglich ist, daß man die Methoden der alten Macht, der Polizei, die Bürger auszuspionieren, etwas neutralisieren kann, nicht vollständig, aber ein wenig.

F:

Zum Teil haben Sie schon die Frage zur Hälfte beantwortet, die ich Ihnen jetzt stellen werde: Sagen wir einmal vereinfacht: Das Internet hat einen bedeutenden Einfluß auf Politik und deshalb auf die Gesellschaft: Was würde sich ändern, wenn das wirklich wahr wäre - und von allen akzeptiert würde. Welchen Einfluß wird das haben darauf, wie wir das Internet sehen, und insbesondere wie Regierungen das Internet sehen?


A:

Nun, das ist ein doppelschneidiges Schwert. Ich glaube, es stört total den Status Quo. Wir gewöhnen uns mehr und mehr an den Gedanken, daß wir die Macht in unseren eigenen Händen halten, im wörtlichen Sinne, mit unseren Smartphones, daß wir sofort wissen, was tatsächlich passiert, und daß wir das einander mitteilen können. Per definitionem haben Regierungen lange Zeit exisitieren können, indem sie Information monopolisierten und manipulierten. Also diese Dinge stehen jetzt in schärferem Gegensatz zueinander.


Die Kehrseite ist allerdings, was wir in einigen Teilen der Welt zu sehen beginnen: Eine neue Art von "Offener Regierung", die auf eine neue Weise Kooperation und Zusammenarbeit mit Bürgern erlaubt, um die Dinge besser funktionieren zu lassen. Das gilt besonders auf der Stadt-Ebene, also wo die Städte eine Menge ihrer Daten öffnen und Hacker und Entwickler in die Lage versetzen, wundervolle neue Werkzeuge (apps) zu schaffen, so daß Dienstleistungen in Städten besser funktionieren und Bürger einander helfen können, sich am Ende gegenseitig helfen können, selbst regieren können. Wir nennen es "We-Government", nicht wahr, lieber als "E-Government".


Also die Frage unserer Zeit ist, ob die Menschen, welche die zerstörerischen Wirkungen der Offenen Regierung fürchten, zu Einschränkungen greifen. Und das sind wirklich starke Kräfte. Wir haben eine Menge Menschen in der US-Regierung, die argumentieren ... wissen Sie ... sie winken mit dem Notstand des Cyberkriegs and sprechen über Cybersicherheit, und sie verlangen tatsächlich nach einer Umstrukturierung des Internets, damit sie eine Hintertür in jede Kommunikation haben, die irgend jemand führt - was ich, offen gestanden, für verrückt halte.


Und dann gibt es Leute, die ausdrücklich sagen, daß eine Offene Regierung in der Lage sein wird, weit verstreute Informationsquellen anzuzapfen, daß die Öffentlichkeit tatsächlich klüger ist als die Bürokraten, und daß -wenn wir eine durchlässigere Beziehung erlauben, wo es Austausch und einen Prozeß von "Trial and Error" gibt- die Dinge besser funktionieren und wir Geld sparen werden, und vielleicht brauchen wir dann nicht mehr so viele Bürokraten.


Also, man sieht, da kommt eine Art von Riesenkonflikt auf uns zu zwischen diesen beiden Zukunftsvisionen, und ich weiß nicht, welche siegen wird.


F:

Sie erwähnten schon das Problem der Geschwndigkeit. Ist der Rest unserer Gemeinschaftsstruktur, oder gar die politische Struktur bereit für die möglichen schnellen Veränderungen, welche das Internet erlauben würde? Die Geschwindigkeit der Information und Kommunikation und ihr möglicher Einfluss ist so viel größer als die mögliche Reaktion in der realen Welt. Politische Entscheidungen brauchen manchmal Jahre oder gar Jahrzehnte, und im Gegensatz dazu fließt Information innerhalb von Sekunden. Also, ist die reale politische Welt bereit für diese Geschwindigkeit?


A:

Ich finde, Sie sprechen da ein wirklich wichtiges Problem an. Das ist es, worüber ich mir am meisten Sorgen mache. Zu allererst würde ich vielleicht nahelegen, daß man aufhört, zwischen online und offline zu unterscheiden, weil beides inzwischen vollständig ineinander geflossen ist, nicht wahr? Ein Beamter mit einem Blackberry in der Tasche ist beides, online und offline, nicht?


Ja, nun zu Geschwindigkeit und Volumen: Das Internet kennt keine Grenzen der Kapazität, wie es die alten Medien hatten. Also ist das Problem, ob wir uns anpassen und bessere Filtersysteme für diese Flutwellen von Informationen entwickeln können, die da immerfort auf uns zu kommen. Hier gibt's einen Markt von Möglichkeiten für neue Medienformen. In den alten Medien, in den Zeitungen, den Magazinen, hatte man berufliche Editoren, die im Effekt Rohinformationen filterten und einem sagten, was jeden Tag wichtig war. Nicht wahr? Jetzt wissen wir aber alle, daß das ein fehlerhaftes System ist wegen der Voreingenommenheit dieser Leute, und abgesehen davon können wir alle diese Informationen selbst bekommen. Das Problem ist -wie Sie sagen- es gibt zuviel davon.


Was ich passieren sehe, ist: Leute bauen sich ihre eigenen Zensur-Netzwerke auf durch ihre Freunde und die Menschen, denen sie vertrauen, auf, und daß diese Netzwerke in Wirklichkeit wieder herausfiltern, was wichtig ist. Ich schaue mir nur die Dinge an, welche Leute mir zuschicken oder welche Leute finden, von denen ich schon herausgefunden habe, daß sie vertrauenwürdige Typen sind. Problem Nummer 1 ist, ob wir am Ende in Silos leben, und ich nur Menschen zuhöre, mit denen ich übereinstimme, vielleicht, und so das Internet möglicherweise mehr Polarisierung schafft. Wr wissen das nicht, die Fachliteratur ist da geteilt. Aber das andere Problem ist: Es ist keine Frage, daß die Geschwindigkeit der Information unsere Fähigkeit durchaus beschädigt, etwas mit Sicherheit zu wissen.


Wissen Sie, wir hatten einen Fall hier in den USA vor ein paar Wochen, wo auf eine Kongressabgeordnete geschossen worden war -ein Attentatsversuch- und natürlich schwärmten die Medien um die Story, und einige wenige machten Fehler und sagten, daß sie umgebracht worden sei, und dann später mußten sie ihre Aussage zurückziehen. Ja, wir hatten dieses Problem der Fehler früher, und jetzt wird's noch schneller und sichtbarer geschehen.


Aber sehen Sie mal: Wir sind Menschen. Wir haben's geschafft, uns an all die anderen Aspekte der Informationsrevolution anzupassen über die letzten -wieviel- 500 Jahre, nachdem Gutenberg die beweglichen Lettern erfunden hat. Damals, in den ersten 100 Jahren, gab es keine Unterscheidung zwischen Dichtung und Wahrheit, Fiktion und Sachliteratur. Es waren nur gedruckte Worte! Und dann sagten auf einmal die Leute "Warte mal, einige dieser Worte sind ganz offensichtlich nicht Ausdruck von Wirklichkeit, nicht wahr, das ist Erfindung." Aber wir hatten kein Etikett dafür. Ich denke, wir werden ähnliche

Systeme zur Handhabung dieser neuen Informationsflüsse entwickeln. Die Frage ist, ob wir als Gesellschaft lernen werden, mehr medien-kundig, medien-literat, zu werden.


F:

Ich denke, wir als Individuen können uns anpassen, da gibt es meiner Meinung nach keine gravierenden Zweifel. Aber glauben Sie nicht, daß es wesentlich schwieriger für diese alten, gewachsenen Strukturen und politischen Systeme ist? Wie können die sich anpassen? Wie, meinen Sie, werden die sich adaptieren? Sie haben Open Data erwähnt, also Regierungen öffnen sich und schaffen Übergänge zur online-Sozialsphäre. Aber wie sehen Sie Regierungen reagieren -oder adaptieren- bei dieser neuen Realität, und im Gegensatz dazu: Wie, glauben Sie, sollten sie reagieren?


A:

Das Problem ist ..., es gibt zwei Teile des Problems. Die eine ist: Was sollten Regierungen in normalen Zeiten tun? Und das andere ist: Was sollten sie in Krisen tun? Ich würde argumentieren, daß sie mit ihren Vorsorgeplänen nicht warten sollten, bis Krisen passieren, und Teil der Realzeitmedien sein.


Sie müssen jetzt schon engagiert sein und -wenn man so will- eine vertrauensvolle Beziehung mit der Öffentlichkeit entwickeln, und sie können nicht annehmen, daß das alte Vorgehen, welches darin bestand, Informationen zurückzuhalten und auf sehr kontrollierte Weise herauströpfeln zu lassen, ihnen weiterhin gut dienen wird. Diese Haltung erzeugt Mißtrauen.


Und wenn eine Krise zuschlägt, dann sieht man die Kluft zwischen der alten Praxis und der neuen Realität besonders deutlich. Dann sollten Regierungen zugeben, daß auch sie sich an die Öffentlichkeit wenden müssen, um Hilfe zu erhalten dabei, zu verstehen, was passiert, und sollten zugeben, daß die Öffentlichkeit tatsächlich belastbar ist, und daß wir alle zusammen filtern und ein Verständnis finden können, und nicht daß ein Regierungssprecher hervortritt und sagt: "Die Lage ist ....".


Das passierte in London, als die U-Bahnen bombardiert wurden. Die Regierung sagte zunächst, daß es nur eine Überspannungswelle war, und das mußte sie später zurücknehmen. Die Öffentlichkeit war schon ..., wissen Sie, Leute machten Photos direkt innerhalb der U-Bahn-Tunnel mit ihren Mobiltelefonen und schickten sie zur BBC mit den Worten "Das waren Bomben", während die Regierung immer noch sagte, das war eine Überspannungswelle.


Also, wissen Sie, man will nicht in einer Position erwischt werden, in der plötzlich die eigene Authorität und Glaubwürdigkeit schrecklich beschädigt worden ist, weil die Informationsmethoden so altmodische waren.


Wie sind alle in der Lage, die Wirklichkeit um uns herum zu sehen, zu beobachten und einander mitzuteilen. Da liegt eine große Stärke drin, und das ist sehr wichtig. Warum die Bewegung in Ägypten Erfolg hatte, glaube ich, ist deshalb: Sie waren in der Lage, Photos zu bekommen davon, wie die Polizei gewöhnliche Bürger verprügelt hat, und "Vorher-Nachher"-Photos von Leuten, die umgebracht worden sind, -und sie dann auf youtube publizieren konnten, auf facebook, wo Leute die Realität selbst sehen konnten und was die Polizei machte. Das ist ein sehr mächtigen Korrigens gegenüber staatlichen Medien, die uns sagen, alles sei in Ordnung.


Version: 7. December 2011
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