Bündnis 90 / Die Grünen
"Soll Atommüll rückholbar endgelagert werden?"
Fachgespräch, Berlin, 9. Mai 2011
Das schweizerische Endlagerkonzept: eine Analyse
Marcos Buser, Geologe, Zürich
Geschätzte Vorsitzende, meine Damen und Herren,
meine Aufgabe besteht darin, Ihnen in den nächsten gut 20 Minuten einen Überblick über das Programm der Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz zu geben. Ich werde folgende zentrale Themen im schweizerischen Entsorgungsprogramm kurz angehen (Bild 1): die Fragen nach Wirtgestein und Standortwahl, das Thema Lagerkonzeptionen, die Problematik Rückholbarkeit und die Grundfragen nach der Validierung von Experimenten im Grossmasstab.
Bild 1
Zunächst werfen wir aber einen kurzen Blick in die Vergangenheit.
1 Ein Blick zurück in die Vergangenheit
Das schweizerische Entsorgungsprogramm stand schon von Beginn weg unter einem schlechten Stern. Das 1959 erlassene Atomgesetz enthielt nämlich keine Bestimmungen zur Endlagerung von radioaktiven Abfällen - nicht einmal für die damals schon anfallenden Abfälle aus Medizin, Forschung und Industrie. Als dann die ersten Atomkraftwerke zwischen 1970 bis 1972 den Betrieb aufnahmen, verschärfte sich der Druck auf die Entsorgung beträchtlich. Die Schweiz begegnete dieser Herausforderung, indem sie sich den internationalen Meeresversenkungsaktionen anschloss (Bild 2), die bis ins Jahr 1982 andauerten.
Bild 2
Dem seit 1972 unter der Leitung der nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) stehenden Entsorgungsprogramm für radioaktive Abfälle war wenig Erfolg beschieden. Die Auswahl der Wirtgesteine stellte sich als wenig vorteilhaft heraus. Insbesondere das kristalline Grundgebirge, das zunächst für die Aufnahme der hochradioaktiven Abfälle vorgesehen war, erwies sich als gänzlich ungeeignet (Bild 3).
Bild 3
Auch das Programm für schwach- und mittelaktive Abfällen blieb erfolglos (Bild 4).
Bild 4
Ungenügende und fehlerhafte Planungen, zu wenig konsequente Überwachung durch die zuständigen Behörden, Strukturdefizite wie auch politische Opposition an den Standorten verhinderten oder verunmöglichten ein erfolgreiches Fortschreiten der Bemühungen um die Lösung dieses ernsten Problems.
Bild 5
Im Herbst 2003, nach der Abstimmung über den Standort Wellenberg (Bild 5) für schwach- und mittelaktive Abfälle wurde das schweizerische Entsorgungsprogramm wieder auf Feld 1 zurückgeworfen: die Standortsuche musste von neuem beginnen.
2 Wirtgestein und Standortwahl: ist die Schweiz auf dem richtigen Weg?
Natürlich tauchte auch Fragen auf, ob die Schweiz geologisch überhaupt geeignet sei, radioaktive Abfälle im Tiefuntergrund zu lagern. Denn in der Tat ist die generelle geologische Ausgangslage nicht besonders günstig. Alpine Gebiete eignen sich nun einmal nicht für eine Lagerung von toxischen Abfällen über lange Zeiträume. Auch im Mittelland sind die geologischen Rahmenbedingungen nicht besonders günstig.
Bild 6
Allein in einem relativ kleinen Gebiet in der Nordostschweiz an der Grenze zur Bundesrepublik scheinen die Verhältnisse günstiger (Bild 6), vor allem was eine Einlagerung der Abfälle in einer ca. 100 m mächtigen Opalinuston genannten Tonschicht anbelangt. Heute, ist man sich in der Schweiz mehrheitlich einig, dass das Wirtgestein Opalinuston vorzügliche Eigenschaften für die Lagerung von radioaktiven Abfällen besitzt - Eigenschaften wie Homogenität, Selbstheilung, hohe Sorptionsfähigkeit von Schadstoffen, Undurchlässigkeit für Wasserdurchfluss usw. - und das die Nordschweiz unter Umständen auch wenige geologisch einigermassen ruhige und für die Lagerung radioativer Abfälle geeignete Standortgebiete aufweisen könnte.
Seit 2005 ist nun ein neues Standortauswahlverfahren - der sogenannte Sachplan geologische Tiefenlager - im Gang (Bild 7), das eine schrittweise Einengung geeignet erscheinender Standortregionen vorsieht.
Bild 7
Die verschiedenen involvierten Behörden haben ihre Stellungnahmen zur Etappe 1 verfasst und der Nagra relativ gute Zeugnisse für die geleistete Arbeit ausgestellt. Grundsätzlich ist man hierzulande der Ansicht, dass neben dem günstigen Wirtgestein Opalinuston auch ein glaubwürdiges Standortwahlverfahren im Gang ist. Dieser erste von vier zentralen Sicherheitspfeilern der Entsorgung radioaktiver Abfälle scheint also tatsächlich belastbar zu sein.
3 Lagerkonzeptionen: wie soll ein Endlager tatsächlich aussehen?
Gegenwärtig steht das Verfahren am Ende der ersten von drei Etappen (Bild 8).
Bild 8
Ebenso wichtig für die Langzeitsicherheit ist aber auch die Frage, was für Auswirkungen das Auffahren eines Tiefenlagers auf Wirtgestein und Standort haben. Diese Frage wird bei neueren Forschungs- und Lagerprojekten zweifelsohne gestellt. Forscher und Planer sind sich bewusst, dass mit dem Auffahren eines Lagers das Gestein um Schächte, Ring- und Lagergalerien stark in Anspruch genommen wird. In der Schweiz - wie etwa in Frankreich - stehen Tonformationen für die Einlagerung der radioaktiven Abfälle im Vordergrund. Wie wir aus Beobachtungen beim Bau von Eisenbahn- oder Autobahn-Tunnels sowie aus Experimenten im internationalen Forschungslaboratorium Mont-Terri im Opalinuston des schweizerischen Juras wissen, entsteht auch beim Auffahren des Tongesteins ein zusammenhängendes Kluftnetz hinter den Stollenwänden, das eine potentielle Schwachstelle für mögliche künftige Wasser- und Gaszirkulation darstellt. Heute gehen die meisten Endlagerprojekte davon aus, dass sich diese Schädigungen im Fels durch geeignete Massnahmen bei der Verfüllung der Stollen wieder verschliessen lassen. Deshalb wird die Frage nach der Grösse und dem Gewicht der Lagerbehälter und deren Konsequenzen auf die Geometrie der Lagerstollen nicht aufgeworfen.
Der schweizerische Entsorgungsnachweis, der 2002 von der Nagra eingereicht wurde und von der schweizerischen Regierung 2006 akzeptiert wurde, geht bei Endlagern für hochaktive Abfälle, die in 500 bis max. 900 m Tiefe errichtet werden sollten, von Brennelementchargen von bis zu 28 t Gewicht aus, die in Lagerstollen mit 2.3 m Durchmesser und 800 m Länge eingebracht werden sollen (Bild 9, 10).
Bild 9
Bild 10
Es ist vorgesehen, 40 solche Brennelementchargen in einen dieser Lagerstollen von 800 m Länge zu versenken. Bei den schwach- und mittelaktiven Abfällen sind Lagerkammern für 6 verschiedene Typen von Abfällen vorgesehen. Jede dieser Lagerkammern ist 200 m lang, 13 m hoch und 11 m breit.
Bild 11
Wir haben beim Bau von Forschungsstollen im Opalinuston des Mont-Terri 320 m unter Tage festgestellt, dass das Gestein brüchig und oftmals zu unerwarteten Niederbrüchen und Steinschlag führt (Bild 11). Es sind umfangreiche Sicherungsmassnahmen der Stollen notwendig, um die Standfestigkeit der Stollen zu gewährleisten: Stahlanker und -netze, teils auch Stahlringe, zusätzlich und des öfteren noch mit Spritzbeton verkleidet. Die Technik der Verfüllung von kleinen Nischen mittels Bentonitblöcken und -kugeln wird im Labor Mont-Terri schrittweise entwickelt. Auch ein erster Versuch mit der künstlichen Aufsättigung dieser Bentonitverfüllung ist im Gang (Bild 12).
Bild 12
Trotz vielen guten Absichten, bleibt eine Vielzahl von grundsätzlichen Fragen offen, welche für die Langzeitsicherheit eines Endlagers von grösster Bedeutung sind. Sind wir tatsächlich in der Lage, 800 m lange horizontale Lagerkammern ohne grössere Probleme aufzufahren, dann zu verfüllen und sicher zu verschliessen? Welche Stabilisierungsmassnahmen sind für solche Bauten in der gewünschten Tiefe erforderlich? Wie viel Stahl ist zur Stabilisierung der Grube erforderlich und was für Korriosionsgase sind längerfristig zu erwarten? Stabilisieren die Einbauten, insbesondere die Anker, nicht auch das Kluftnetz hinter den Stollenwänden? Können Korrosionsgase entweichen, und wenn nein, ist hydro-frac möglich? Kann man die Einlagerung von Chargen von bis zu 28 Tonnen Gewicht überhaupt logistisch richtig einschätzen, besonders bei derart engen oder langen Stollen? Macht das heutige Lagerkonzept mit den Kilometer langen grossen Rampen, welche alle Grundwasser führenden Schichten zum Teil mehrfach durchschlagen, von der Wasserhaltung, der betrieblichen Sicherheit und der Langzeitsicherheit überhaupt Sinn? Oder soll ein Endlager nicht vielmehr auf dem kürzesten Weg und nur mit Schächten erschlossen werden? Und wie verhalten sich zusätzlich noch die Stahlbehälter für hochradioaktive Abfälle, die im heutigen Konzept vorgesehen sind? Usw, usf.
Bei all den Fragen der Auslegung von Tiefenlagern für radioaktive Abfälle stehen wir in der Schweiz - und ich würde auch sagen - weltweit ziemlich am Anfang. Ich werde zu diesem Thema zurückkehren, wenn es um die Validierung des Langzeitsicherheitsnachweises geht.
An dieser Stelle, möchte ich aber eine grundsätzlich andere Frage stellen. Haben wir die methodisch richtige Schiene gewählt?
Bild 13
Wir gehen heute bei der Planung von Endlagern von bestimmten Grössen und Tonnagen aus (Bild 13). Dies bedingt natürlich, dass wir entsprechend grosse Hohlräume schaffen müssen, und diese, weil sie gross sind und längere Zeit offen gehalten werden müssen, entsprechend sichern müssen. Wie ich weiter oben aufgezeigt habe, schliessen an die heute in Betracht gezogene Konzeption eine Vielzahl von Sicherheitsfragen an. Es sind derart viele Fragen, dass man sich fragen muss, ob das Grundkonzept welches heute verfolgt wird - also grosse Abfallchargen, grosse Löcher, massive Einbauten, überhaupt das Richtige ist.
Die Erfahrungen in Medizin und Chirurgie haben uns gelernt, dass die Grösse von Verletzungen und die Schwere eines Eingriffs die Heilung von Wunden massgebend mitbestimmen. Auch die langjährigen Erfahrungen mit alten Bergwerken und Atom- und Sondermüllagern in der Tiefe zeigen, dass es schwierig ist, Abfälle im Tiefuntergrund trocken zu verwahren. Dabei zeigt uns die Natur durchaus Wege auf, wie sich ein solches Ziel erreichen liesse. Damit eine trockene und dichte Verwahrung von Abfällen in der Tiefe über lange Zeiträume aber möglich wird, sollte von der absolut zentralen Frage ausgegangen werden, welches Mass an Verletzung einem bestimmten Wirtgestein zugefügt werden kann, bevor dieses nicht wieder gutzumachende Schäden erleidet, und welche Techniken zudem sicher beherrschbar sind, um solche Verletzungen zu beheben. Der Verschluss- und Heilungsprozess des Wirtgesteins ist deshalb eine der massgebenden Grössen, die der Lagerauslegung zugrunde gelegt werden sollte. Grundgedanken dieser Art müssen den Planungen von Tiefenlagern vorangestellt und geklärt werden, bevor mit der konkreten Ausgestaltung von Lagern begonnen wird. Die bisherigen Misserfolge mit allen möglichen Abfallendlagern zeigen uns auf, dass andere Wege bei der Planung von Tiefenlagern notwendig sind. Hier stehen wir auch in der Schweiz erst ganz am Anfang der Arbeit.
4 Rückholbarkeit? Und wie lange?
Genau diese Unsicherheiten haben etliche Schweizer Geologen schon früh zur Vorsicht gemahnt. Franz Allemann, ein kürzlich verstorbener Geologie-Professor der Uni Bern, wie auch Professor Wildi von der Uni Genf und meine Wenigkeit verwahrten uns schon 1979 gegen die Absicht, radioaktive Abfälle in nicht rückholbarer Art und Weise im Tiefuntergrund zu versenken. Die Probleme, die sich bei der Bergung von Sonderabfällen oder radioaktiven Abfällen stellen, haben sicher das ihre dazu beigetragen, dass diese Thema heute mit sehr viel mehr Vorsicht angegangen wird. Und nicht nur in der Schweiz. StocaMine, eine elsässische Untertagedeponie, die zwischen 1999 und 2002 nach dem Muster der deutschen Untertagedeponien erbaut und betrieben wurde, steht heute vor der technischen wie finanziellen Herausforderung, die bisher eingelagerten 44'000 Tonnen Sondermüll wieder auszulagern. Auch das Projekt StocaMine gehört zu jenen Endlagern mit ungenügender Planungsqualität und daraus resultierenden massiven Sicherheitsproblemen. Und dies, obschon diesem Projekt die Rückholbarkeit der Abfälle im Sinne eines allgemeinen Reversibilitätsprinzips zugrunde gelegt wurde.
Bild 14: Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle: Schlussbericht (2000) (im acamedia-Cache)
In der Schweiz hat sich vor allem die von Bundesrat Leuenberger bestellte Kommission "Entsorgungskonzepte radioaktive Abfälle EKRA" mit der Frage der Rückholbarkeit auseinandergesetzt (Bild 14). EKRA hat sich klar für die Rückholung von Abfällen ausgesprochen. Dazu hat EKRA folgende Konzeption vorgeschlagen.
Bild 15
Zunächst sollte die standortspezifische Eignung des Wirtgesteins in einem Testlager im Tiefuntergrund nochmals überprüft und experimentell nachgewiesen werden (Bild 15). Erst danach könnte mit dem Bau des Endlagers begonnen werden.
Es wären zwei Lager vorgesehen.
Die Lagerkammern würden aufgefahren, die Abfallgebinde eingebracht, und die Lagerkammern möglichst rasch wieder verschlossen. Anschliessend würde die Entwicklung des Hauptlagers in nahe gelegenen Stollen mit geeigneten Techniken überwacht.
Währenddessen würden im offen gelassenen Pilotlager über 100 oder mehr Jahre die Entwicklung des Lagers verfolgt und die Einlagerungsmodelle verifiziert. Erst nach dem Nachweis, dass hinreichende experimentelle Kenntnisse und Sicherheiten vorliegen, könnte ein Verschluss des gesamten Endlagers angeordnet werden. Bei unvorhergesehenen oder negativen Entwicklungen müsste das Hauptlager wieder geöffnet und die Abfälle zurückgeholt werden.
EKRA war sich im Klaren, dass die Rückholbarkeit der eingelagerten Abfallgebinde nur über einen gewissen Zeitraum möglich sein würde und Rückholbarkeit keineswegs mit der Sanierung von radioaktiv verseuchten Opferzonen gleichzustellen sei.
Bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2000, hat das EKRA-Konzept breite Zustimmung von allen politisch relevanten Institutionen und Kreisen erhalten. Auch AKW-kritische Organisationen haben sich grundsätzlich hinter dieses Konzept gestellt. Das EKRA-Konzept wurde in der Folge in der schweizerischen Kernenergiegesetzgebung von 2003 vollständig übernommen. In der Zwischenzeit sind allerdings die politischen Gräben wieder etwas aufgebrochen. Alte Zweifel an der Konzeption der Endlagerung sind wieder neu thematisiert worden. Auch heute tauchen in der Schweiz von Oppositionsseite mit Regelmässigkeit Konzepte auf, welche das ewige "Hüten" der radioaktiven Abfälle vorhersehen. Den Unsicherheiten einer dauerhaften Endlagerung in der Tiefe könnte nur durch ein dauerhaftes "Hüten" in speziellen Bunkern an der Oberfläche, welche von einer speziell geschulten Gemeinschaft sichergestellt würde, begegnet werden.
5 Validierung eines Grossmassstab-Experiments mit Pilot-Lagern?
Diese Argumentation trifft natürlich eine der grossen Schwachstellen des Projektes der Tiefenlagerung: Der Nachweis der Sicherheit durch Pilotlager wird lange dauern, sehr lange sogar. Jede geplante technische Grossanlage muss zunächst den Nachweis erbringen, dass sie in industriellem Massstab tatsächlich umsetzbar ist und dann auch funktioniert. Stör- und Unfälle müssen beherrschbar sein oder ausgeschlossen werden können. Die Erfahrung mit grossen Projekten zeigt immer wieder, dass Grossanlagen sehr lange Zeit brauchen - vielfach geht es in die Jahrzehnte oder sogar noch länger - und an vielen Orten verbessert werden müssen, bis sie die industrielle Reife erlangen und als umweltverträglich gelten können. Nicht jede Anlage oder Technik schafft dieses Ziel. Auch Endlager werden dereinst den Nachweis erbringen müssen, dass sie tatsächlich in der Lage sind, das radioaktive Abfallgut über die geforderten langen Zeiträume trocken zu verwahren und den Transport von radioaktiven Stoffen soweit verzögern können, dass keine schädigenden Beeinflussungen auf Mensch und Umwelt mehr zu befürchten sind.
Die Validierung dieses Grossmasstabs-Experiments im Untergrund bereitet natürlich Kopfzerbrechen. Wie soll beispielsweise die Dichtigkeit der Verschlüsse - Rampen, Schächte, Lagerkammern usw. überprüft werden, wenn das Lager geschlossen ist? Man kann ja nicht Piezometer - also Wasserstandsmessgeräte zur Bestimmung der hydrostatischen Drücke - in eine solche Anlage versetzen, ohne den Verschluss der Anlage wieder in Frage zu stellen. Oder wie verhält sich die durch den Ausbruch entstandene dreidimensionale Kluftzone entlang der Stollen, wenn diese mit Ankern stabilisiert wurde? Wie kann man einen solchen Prozess frühzeitig überwachen?
Anderes Beispiel: wie könnten Korrosionsprozesse an Behältern durch Porenwässer im Opalinuston und starke Gasbildung im Endlager nach dem Verschluss nachgewiesen werden? Oder wie soll überprüft werden, ab wann Porenwasser des Opalinustons wieder in die Endlagerzone zurückdifundiert? Entsprechen die entwickelten Modelle dann tatsächlich der Realität?
Natürlich stellt sich auch die Frage nach der Zeitdauer der Validierung. Da die Prozesse im Endlager langsam ablaufen, wird man vermutlich Zeiträume in dreistelliger Grössenordnung brauchen, um die Modelle mit hinreichender Zuverlässigkeit zu überprüfen. Diese Aufgabe stellt eine völlig neue Herausforderung für die Wissenschaft dar. Das Experiment der Validierung der Grossanlage Endlager wird sich über viele Generationen von Wissenschaftlern erstrecken. Auch dies dürfte ein Novum in der Wissenschaftsgeschichte werden.
Schliesslich stellt sich bei diesen experimentellen Grossanlagen immer die Frage nach der Korrektur von Fehlplanungen und Fehlentscheidungen. End- oder Tiefenlager wurden ja schliesslich bisher noch nirgendwo erfolgreich betrieben. Ganz in Gegenteil: die bisherige Praxis von Endlagern für radioaktive Abfälle wie auch für Lager von Sonderabfällen in alten Salzbergwerken haben immer wieder schwerwiegende Irrtümer bei der Planung, Ausführung und Umsetzung offenbart. Interessant ist in diesem Zusammenhang daher, wie Institutionen bisher mit Fehlern umgegangen sind und ob sich eine Fehlerkultur entwickeln konnte, die bestrebt ist, Fehler an der Quelle zu vermeiden. Ich werde zum Schluss nochmals eingehender auf diese Frage eingehen.
6 Ausblick
Wenn wir also die heutige Situation der Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz zusammenfassen, sehen wir, dass wir erst ganz weit am Anfang eines unglaublich langen und komplexen Prozesses stehen. Positiv ist zweifelsohne, dass sich die Gewissheit abzeichnet, dass wir in der Schweiz ein Wirtgestein haben, dass die notwendigen günstigen Eigenschaften für eine langzeitlich sichere Verwahrung des radioaktiven Abfallguts besitzt. Bei der Standortwahl sind wir auf dem Weg, mögliche geeignete Gebiete für ein Endlager auszuscheiden. Bis zum Abschluss dieses Prozesses und einer gesicherten Antwort dürften ohne Zweifel noch einmal 15 bis 20 Jahre vergehen. Wenn der oder die Standorte dann ausgewählt werden sollten, werden Testlabors die Eignung des Standortes nochmals bestätigen müssen. Für Planung, Bewilligung, Bau und 20 jährigem Testlauf einer solchen Installation ist ein Zeitraum von rund 40 Jahren zu veranschlagen.
Bei allen anderen Fragen stehen wir erst am Anfang. Die Konzepte für die Lagerauslegung im Opalinuston sind erst im Entstehen und im Moment so viel Wert, wie das Papier, auf dem sie gedruckt wurden. Die Methoden des Auffahrens, die Auslegung des Lagers, die Sicherungskonzepte, die Lagerkammern und Lagerbehälter, die Wahl der Materialien usw.usf. werden allesamt entwickelt, produziert, getestet und verbessert werden müssen. Die Rückholung von Abfallgebinden wird entwickelt und konkret ausgeführt werden müssen - zunächst nur mit leeren Gebinden, irgendwann einmal im Masstab 1 zu 1 mit den verpackten radioaktiven Abfällen.
Die Planung, die Bewilligung, der Bau und der Betrieb des Pilotlagers wird ähnliche Etappen durchlaufen, wie jene für das Testlager, nur dass hier sehr viel kompliziertere und auf längere Dauer ausgelegte Prozesse untersucht und geprüft werden müssen. Die Validierung der gesamten Endlagerungskette im Pilotlager wird sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Persönlich gehe ich von Zeiträumen von mindestens 100 bis 200 Jahren aus, während dem ein Pilotlager betrieben werden muss, bis ein experimentell gut untermauerter Langzeitsicherheitsnachweis eines Endlagers vorliegt und ein Endlager definitiv verschlossen werden kann. Danach beginnt die lange Zeit der Verwahrung, die nicht einmal im Ansatz definiert ist: wer soll sich um die Erinnerung kümmern und wie soll diese Erinnerungskultur organisiert werden? Und wie soll sichergestellt werden, dass das Endlager nicht doch später angebohrt oder wieder geöffnet wird? Usw. usf.
Alles in allem ist heute davon auszugehen, dass das Endlagerprojekt Schweiz die nächsten 10 Generationen beschäftigen wird, bevor es sicher verschlossen den künftigen abertausenden von Generationen der Zukunft überlassen werden muss.
Bei all diesen komplexen Planungen und Arbeiten und bei solch langer Projektdauer ist davon auszugehen, dass auch entsprechende Fehler gemacht werden. Wenn wir auf die Geschichte der Endlagerung von Abfällen zurückschauen, sind die erzielten Ergebnisse in der Tat ernüchternd. Diese Feststellung gilt nicht nur für die Abfallanlagen an der Oberfläche, wie etwa für koventionelle Abfall-Deponien. Auch die Anlagen unter Tage haben bisher vielfach für negative Schlagzeilen gesorgt, was ihre Langzeitsicherheit anbelangt. Sanierungen, dies zeigen Beispiele wie die Sondermülldeponien von chemischen Abfällen in Koelliken und Bonfol oder jene in alten Bergwerken wie dem Bergwerk und Sondermülllager St-Ursanne oder der Untertagedeponie StocaMine, sind risikobehaftet und teuer und der günstige Ausgang ist nicht in jedem Fall von Anfang an sichergestellt.
Es ist daher zentral, Planungen für Abfallendlager unter anderen Voraussetzungen an die Hand zu nehmen. Karl Popper sprach deshalb von einer neuen Fehlerkultur, die in den Wissenschaften zu erlernen sei. Nicht Fehler vertuschen und Experimente und Planungen beschönigen, sei das Ziel, sondern nach Fehlern Ausschau halten, sie erkennen, um sie besser zu vermeiden zu können und um Korrekturen zu erwirken, dies sei der Weg, auf dem die Wissenschaft fortschreiten sollte und müsse. Bei Risikotechnologien mit Langzeitcharakter wie der Atomtechnologie oder bei der Endlagerung von toxischen Stoffen trifft diese Erkenntnis in besonderem Masse zu.
Bild 16
In den letzten Jahrzehnten haben Planer, Behörden und Wissenschaft in der Entsorgungsfrage viel Schaden angerichtet und damit enorm viel Kredit verspielt. Spötter treten deshalb auf den Plan (Bild 16) und Karikaturisten nehmen sich dieser Themen an. Ab diesem Zeitpunkt, ist die Glaubwürdigkeit aber vielfach schon ernsthaft ramponiert. Deshalb müssen wir gerade in den Fragen der Langzeitrisiken und ihrer Bewältigung beginnen, neue, bessere und glaubwürdigere Wege der Ausführung zu beschreiten. Dazu gehört auch eine offene und ehrliche Kommunikation über die effektiven Zustände, so schlecht die auch sein mögen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Version: 6.11.2011