Krise der Demokratie: Mehr Macht fŸr Experten?

Helmut Willke im GesprŠch mit Thorsten Jantschek,
Tacheles, DeutschlandradioKultur, 16.7.2016 

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AuszŸge des Interviews


Der Hintergrund ist, dass tatsŠchlich neue Spieler, internationale Spieler, internationale NGOs, aber auch viele andere, Stiftungen, Forschungsinstitute, nun in der Bearbeitung politischer Fragen mitwirken. Einerseits muss das so sein, denn viele der notwendigen Wissensbestandteile kommen nur von diesen Spielern. Die haben die Staaten und die Regierungen nicht. Zum anderen hat sich die klassische Politik noch nicht hinreichend darauf eingestellt, dass diese neuen Spieler wirklich wichtig sind.


Und in der Tat, es ist so, dass die Politik einen Kontrollverlust erlitten hat, weil sie gerade mit den gro§en Ÿbergreifenden Problemen alleine nicht mehr zurande kommt, aber noch keine Wege und Mittel und Methoden gefunden hat, die notwendigen anderen Spieler mit einzubeziehen und in ein Politiknetzwerk einzubinden, das dann natŸrlich fŸr sich selbst auch gesteuert werden muss, gemanagt werden muss. Und dafŸr gibt es noch ganz wenig Erfahrung und Expertise.


... Und ich denke, wir stehen im 21. Jahrhundert vor der Frage, ob wir das nicht weiterbauen mŸssen, ob wir nicht eine doppelte, eine reflexive ReprŠsentativitŠt brauchen, um die †berlastung der Parlamente, die †berlastung der Parlamentarier zu mildern und ihnen die Mšglichkeit zu geben, sich auf Kernaufgaben, auf Hauptaufgaben zu konzentrieren.


... Wir brauchen also eine Entlastung des Parlaments von allen diesen Detailaufgaben, aber auch von den gro§en Aufgaben, die das Parlament gar nicht lšsen kann. So dass dem Parlament noch die interessanten allgemeinen grundsŠtzlichen Fragen, etwa ethischer Art oder familienpolitischer Art, zugestanden werden kšnnen und dort auch interessante Debatten, wirkliche Diskurse stattfinden. Dass dort tatsŠchlich die Abgeordneten auch anwesend sein mŸssen, das ist ein wichtiger Punkt, und damit die Politik wirklich wieder interessanter wird.


...Und die Bereiche, mit denen das Parlament definitiv Ÿberfordert ist, die sollten in eigenstŠndige Institutionen ausgelagert werden.


Das ist ja keine všllig neue Idee. Etwa die Zentralbanken, die Bundesbank macht ja etwas genau in dieser Form fŸr die Geldpolitik und fŸr die GeldwertstabilitŠt oder das Verfassungsgericht macht es fŸr die Normenkontrolle. Das hei§t also, wir sind bereits dabei, bestimmte gro§e, komplizierte, wissensintensive Probleme auszulagern an Spezialinstitutionen, allerdings unter der Regie und unter der Kontrolle des Parlaments. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, weil diese Institutionen natŸrlich demokratisch legitimiert sein mŸssen, sehr genau auf demokratische Verfahren und auf eine pluralistische Zusammensetzung geachtet werden muss, damit tatsŠchlich diese Institutionen auch eine eigene LegitimitŠt haben.


... dass wir nicht die Demokratie reduzieren, sondern im Gegenteil dort, wo Bereitschaft zur Partizipation da ist, diese Partizipation auch nutzen und in diese Institutionen einbringen.


... Diese Bereitschaft zur Beteiligung, zum Engagement in allen denkbaren Bereichen sollte versammelt werden in NGOs, in sozialen Bewegungen, in Gruppen, in AktivitŠtszirkeln. Und diese neuen Akteure kšnnen dann in diese Institutionen aufgenommen werden, in eine sehr pluralistische Zusammensetzung, so dass tatsŠchlich das vorhandene Wissen, das vorhandene Engagement in diesen Institutionen zum Tragen kommt.


... Es gibt sehr viele allgemeine Fragen, wo sich der berŸhmte vernŸnftige und verstŠndige BŸrger und heute natŸrlich auch BŸrgerin tatsŠchlich ein eigenes Urteil bilden kšnnen. Ð Das alles gehšrt in das Oberhaus. Das gehšrt in die politische Debatte. Und dort kšnnen auch tatsŠchlich alle teilnehmen. Aber in vielen anderen Fragen, nehmen wir mal Finanzsystemsteuerung oder nehmen wir Migrationsthematik, die mit allen komplexen HintergrŸnden Ð von BŸrgerkriegen bis zur Entwicklungshilfe Ð ein riesiges komplexes Gebilde darstellt, das kein Mensch mehr Ÿberblickt, in diesen Fragen Partizipation aller zu fordern, ist Augenwischerei. Denn die Leute verstehen davon nichts. Also kšnnen sie auch nicht vernŸnftig entscheiden.


... Und es ist sehr wichtig zu sehen, dass dieses Unterhaus nicht beliebig viele Fragen behandelt, sondern eine sehr begrenzte Zahl, wei§ ich was, also, ein halbes Dutzend und maximal ein Dutzend von Fragen, wie etwa Klimawandel oder Finanzsystemregulierung oder Migration oder Beseitigung des atomaren Abfalls, also wirklich sehr wissensintensive, schwierige, komplexe Fragen, nicht viele davon. Und diese Fragen werden in Spezialeinrichtungen - Senate nenne ich das - des Unterhauses, delegiert mit einer klaren Aufgabenstellung durch das Oberhaus, durch den SouverŠn, das Parlament, mit klaren Vorgaben fŸr Entscheidungsregeln, also fŸr demokratische Verfahren, fŸr Pluralismus, fŸr die Einbeziehung aller Positionen. Und dann, denke ich, kann man begrŸnden, dass diese Senate des Unterhauses tatsŠchlich auch eine legitime Form der politischen Entscheidungen darstellen.


... das Charter oder die Verfassung dieser Institutionen, die werden von der Politik formuliert. Und dort werden die Aufgabenstellungen, sozusagen die Mission dieser Institutionen definiert. Das kann man sicherlich nicht im Detail regeln, aber man kann die Rahmen festlegen und den Korridor festlegen, innerhalb der diese Institution Entscheidungskompetenz hat.


Wenn nun eine Situation eintritt, und das ist fŸr mich schon eine ziemlich massive Krisensituation mit der Eurokrise und der Staatsschuldenkrise, wo die Politik aus vielen GrŸnden, auch die EU-Politik nicht fŠhig ist und auch nicht in der Lage ist und nicht bereit ist, die Krise angemessen zu managen, dann, denke ich, ist die EZB tatsŠchlich versucht ihre Kompetenzen zu Ÿberschreiten und man muss vermutlich aus diesem Prozess auch dann SchlŸsse ziehen Ð etwa die Korridore enger festlegen oder den Auftrag der EZB genauer fassen.


... Mein Vorschlag lŠuft darauf hinaus, diese Infrastruktur an Expertise offenzulegen, demokratischen Regeln zu unterwerfen, damit wir wissen, wer mit welchen GrŸnden die Entscheidung oder die Optionen getroffen hat.


... In der Tat gibt es die empirisch beobachteten PhŠnomene, dass solche Institutionen sich abschlie§en, abkapseln. Wir nennen das "regulatory closure" in der Fachsprache. Aber dem kann man entgegen wirken.


Es kommt darauf an, dass innerhalb dieser Institutionen bei den Experten unterschiedliche Positionen vertreten sind, dass sie nicht einem Paradigma, sozusagen einer Theorie folgen, sondern dass dort auch Kritiker, NGOs, andere Positionen mit drin sind. Und wenn hier tatsŠchlich ein Diskurs mit Dissens und mit unterschiedlichen Positionen gefŸhrt wird, dann haben wir die Voraussetzung fŸr die eigentlich beste, fŸr die optimale Lšsung.


NatŸrlich muss man dafŸr sorgen, dass eben diese Abschottung, diese Autarkie der Institutionen vermieden wird. Aber das geht. Man kann dort entsprechende Regeln machen. Und es kommt darauf an, sozusagen das, was sowieso gegenwŠrtig in allen Parlamenten passiert, dass sie im Grunde gesteuert werden von einer Expertise, die irgendwo versteckt ist, und der Lobbyismus ist ja nur das Paradebeispiel dafŸr, dass das offen gelegt wird und dann in der Tat Transparenz erzeugt wird. ... Wer mitentscheidet, wer Expertise einbringt, muss das offen in einem demokratischen, pluralistischen Prozess tun. ... wenn wir vermeiden, dass sich eine Theorie, ein Ansatz, ein Risikomodell, ein Paradigma durchsetzt, sondern dagegen der Streit, die Kritik, der Dissens das treibende Moment ist, dann haben wir eben einigerma§en die Sicherheit, dass eine Ÿberlegte, reflektierte Lšsung herauskommt.


... Wir haben keine endgŸltige Wahrheit mehr. Davon muss man ausgehen. Das ist das Grundprinzip jeder Wissenschaft. Jede Wahrheit Ð in AnfŸhrungsstrichen Ð ist nur eine vorlŠufige Festlegung, bis wir bessere Empirie, bessere Methoden und bessere Konzeptionen haben. Das hei§t, davon mŸssen wir ausgehen. Es sind immer nur vorlŠufige Lšsungen, vorlŠufige Festlegungen. Und genau das macht eigentlich die Intelligenz des demokratischen Prozesses, genauso wie die Intelligenz des wissenschaftlichen Prozesses aus. Wir kšnnen nicht mehr mit endgŸltigen Lšsungen rechnen.


Version: 17. Juli 2016

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Joachim Gruber