Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)


... Da sa§ ich an deinen BŸchern, Eigensinniger, und versuchte sie zu meinen wie die andern, die dich nicht beisammen lassen und sich ihren Anteil genommen haben, befriedigt. Denn da begriff ich noch nicht den Ruhm, diesen šffentlichen Abbruch eines Werdenden, in dessen Bauplatz die Menge einbricht, ihm die Steine verschiebend.


Junger Mensch irgendwo, in dem etwas aufsteigt, was ihn erschauern macht, nŸtz' es, da§ dich keiner kennt. Und wenn sie dir widersprechen, die dich fŸr nichts nehmen, und wenn sie dich ganz aufgeben, die, mit[782] denen du umgehst, und wenn sie dich ausrotten wollen, um deiner lieben Gedanken willen, was ist diese deutliche Gefahr, die dich zusammenhŠlt in dir, gegen die listige Feindschaft spŠter des Ruhms, die dich unschŠdlich macht, indem sie dich ausstreut.


Bitte keinen, da§ er von dir sprŠche, nicht einmal verŠchtlich. Und wenn die Zeit geht und du merkst, wie dein Name herumkommt unter den Leuten, nimm ihn nicht ernster als alles, was du in ihrem Munde findest. Denk: er ist schlecht geworden, und tu ihn ab. Nimm einen andern an, irgendeinen, damit Gott dich rufen kann in der Nacht. Und verbirg ihn vor allen.


Du Einsamster, Abseitiger, wie haben sie dich eingeholt auf deinem Ruhm. Wie lang ist es her, da waren sie wider dich von Grund aus, und jetzt gehen sie mit dir um, wie mit ihresgleichen. Und deine Worte fŸhren sie mit sich in den KŠfigen ihres DŸnkels und zeigen sie auf den PlŠtzen und reizen sie ein wenig von ihrer Sicherheit aus. Alle deine schrecklichen Raubtiere.


Da las ich dich erst, da sie mir ausbrachen und mich anfielen in meiner WŸste, die Verzweifelten. Verzweifelt, wie du selber warst am Schlu§, du, dessen Bahn falsch eingezeichnet steht in allen Karten. 


Wie ein Sprung geht sie durch die Himmel, diese hoffnungslose Hyperbel deines Weges, die sich nur einmal heranbiegt an uns und sich entfernt voll Entsetzen. Was lag dir daran, ob eine Frau bleibt oder fortgeht und ob einen der Schwindel ergreift und einen der Wahnsinn und ob Tote lebendig sind und Lebendige scheintot: was lag dir daran? 


Dies alles war so natŸrlich fŸr dich; da[783]gingst du durch, wie man durch einen Vorraum geht, und hieltst dich nicht auf. Aber dort weiltest du und warst gebŸckt, wo unser Geschehen kocht und sich niederschlŠgt und die Farbe verŠndert, innen. Innerer als dort, wo je einer war; eine TŸr war dir aufgesprungen, und nun warst du bei den Kolben im Feuerschein. 


Dort, wohin du nie einen mitnahmst, Mi§trauischer, dort sa§est du und unterschiedest †bergŠnge. Und dort, weil das Aufzeigen dir im Blute war und nicht das Bilden oder das Sagen, dort fa§test du den ungeheuren Entschlu§, dieses Winzige, das du selber zuerst nur durch GlŠser gewahrtest, ganz allein gleich so zu vergrš§ern, da§ es vor Tausenden sei, riesig, vor allen. 


Dein Theater entstand. 


Du konntest nicht warten, da§ dieses fast raumlose von den Jahrhunderten zu Tropfen zusammengepre§te Leben von den anderen KŸnsten gefunden und allmŠhlich versichtbart werde fŸr einzelne, die sich nach und nach zusammenfinden zur Einsicht und die endlich verlangen, gemeinsam die erlauchten GerŸchte bestŠtigt zu sehen im Gleichnis der vor ihnen aufgeschlagenen Szene. 


Dies konntest du nicht abwarten, du warst da, du mu§test das kaum Me§bare: ein GefŸhl, das um einen halben Grad stieg, den Ausschlagswinkel eines von fast nichts beschwerten Willens, den du ablasest von ganz nah, die leichte TrŸbung in einem Tropfen Sehnsucht und dieses Nichts von Farbenwechsel in einem Atom von Zutrauen: dieses mu§test du feststellen und aufbehalten; denn in solchen VorgŠngen war jetzt das Leben, unser Leben, das in uns hineingeglitten war, das sich nach innen zurŸckgezogen[784] hatte, so tief, da§ es kaum noch Vermutungen darŸber gab.


So wie du warst, auf das Zeigen angelegt, ein zeitlos tragischer Dichter, mu§test du dieses Kapillare mit einem Schlag umsetzen in die Ÿberzeugendsten GebŠrden, in die vorhandensten Dinge. Da gingst du an die beispiellose Gewalttat deines Werkes, das immer ungeduldiger, immer verzweifelter unter dem Sichtbaren nach den €quivalenten suchte fŸr das innen Gesehene. 


Da war ein Kaninchen, ein Bodenraum, ein Saal, in dem einer auf und nieder geht: da war ein Glasklirren im Nebenzimmer, ein Brand vor den Fenstern, da war die Sonne. Da war eine Kirche und ein Felsental, das einer Kirche glich. Aber das reichte nicht aus; schlie§lich mu§ten die TŸrme herein und die ganzen Gebirge; und die Lawinen, die die Landschaften begraben, verschŸtteten die mit Greifbarem Ÿberladene BŸhne um des Unfa§lichen willen. Da konntst du nicht mehr. 


Die beiden Enden, die du zusammengebogen hattest, schnellten auseinander; deine wahnsinnige Kraft entsprang aus dem elastischen Stab, und dein Werk war wie nicht.


Wer begriffe es sonst, da§ du zum Schlu§ nicht vom Fenster fortwolltest, eigensinnig wie du immer warst, Die VorŸbergehenden wolltest du sehen; denn es war dir der Gedanke gekommen, ob man nicht eines Tages etwas machen kšnnte aus ihnen, wenn man sich entschlšsse anzufangen.


Vertonung eines Auszugs mit "Moments musicaux" (1896) von Sergeij Rachmaninow (1873 - 1943), 


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Version: 15.4.2023

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Joachim Gruber