Auferstanden von den Toten

(Auszug)

Joseph Ratzinger: "EinfŸhrung in das Christentum"

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Musik:
Giuseppe Verdi, Requiem, Leonard Bernstein,
Martina Arroyo, Josephine Veasey, Placido Domingo, Ruggiero Raimondi,
London Symphony Orchestra and Chorus, St. Paul's Cathedral, 1970

Seiten 257 - 262

1a

[N]ur einer [kann] wahrhaft Halt geben: der Gott der Lebendigen,

derjenige, der "ist",

der nicht wird und vergeht,

sondern mitten im Werden und im VorŸbergang bleibt:

der nicht nur den Schatten und das Echo meines Seins hŠlt,

dessen Gedanken nicht blo§e Nachbilder des Wirklichen sind.

1b

Ich dagegen, ich selbst bin sein Gedanke,

2

Sehen wir das Gleiche von einer etwas anderen Seite, bei den Worten Liebe und Tod anknŸpfend:


Seite 258

3

Wenn die Kraft der Liebe zum andern irgendwo so stark wŠre, dass sie nicht nur des Menschen GedŠchtnis, den Schatten seines Ich, sondern ihn selbst lebendig zu halten vermšchte, dann wŠre eine neue Stufe des Lebens erreicht, die den Raum der biologischen Evolutionen hinter sich lie§e und den Sprung auf eine ganz andere Ebene bedeuten wŸrde, in der Liebe nicht mehr an das biologische Leben geknŸpft wŠre, sondern sich dessen bediente.


4

Eine solche letzte Evolutionsstufe wŠre dann selbst keine biologische Stufe mehr, sondern wŸrde den Ausbruch aus der Alleinherrschaft des Biologischen bedeuten, die zugleich Todesherrschaft ist; sie wŸrde jenen Raum eršffnen, den die griechische Bibel "zoe" nennt, das hei§t endgŸltiges Leben, welches das Regiment des Todes hinter sich gelassen hat.


Die letzte Stufe der Evolution, deren die Welt bedarf, um an ihr Ziel zu kommen, wŸrde dann nicht mehr innerhalb des Biologischen geleistet, sondern vom Geist, von der Freiheit, von der Liebe. Sie wŠre nicht mehr Evolution, sondern Entscheidung und Geschenk in einem.


Seite 259

5

  1. Die Unsterblichkeit des Menschen, sein Weiterleben kann dadurch zustande kommen, dass er in einem anderen fortlebt.
  2. Nur die Liebe, die den geliebten anderen in sich selbst, ins Eigene aufnimmt, kann dieses Sein im andern ermšglichen.

Diese beiden sich ergŠnzenden Aspekte spiegeln sich, wie mir scheint, wider in den zwei neutestamentlichen Aussageformen fŸr die Auferstehung des Herrn:

  1. "Jesus ist auferstanden"
  2. "Gott (der Vater) hat Jesus auferweckt".

Beide Formeln treffen sich in der Tatsache, dass die totale Liebe Jesu zu den Menschen, die ihn ans Kreuz fŸhrt, sich in der totalen †berschreitung auf den Vater hin vollendet und darin stŠrker wird als der Tod, weil sie darin zugleich totales Gehaltensein von ihm ist.

  1. Liebe grŸndet Unsterblichkeit, und
  2. Unsterblichkeit kommt allein aus Liebe.

Diese Aussage, die wir nun erarbeitet haben, bedeutet dann ja auch, dass der, der fŸr alle geliebt hat, fŸr alle Unsterblichkeit gegrŸndet hat. Das genau ist der Sinn der biblischen Metapher, dass Jesu Auferstehung unser Leben ist.

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6

Trotzdem bleibt dabei bestehen, dass die Weise unserer Unsterblichkeit von unserer Weise zu lieben abhŠngen wird.

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7

Christus ist bei der Auferstehung nicht wieder in sein voriges irdisches Leben zurŸckgekehrt ist, wie solches etwa vom JŸngling zu Naim und von Lazarus gesagt wird. Er ist auferstanden ins endgŸltige Leben hinein, das nicht mehr den chemischen und biologischen Gesetzen eingefŸgt ist und deswegen au§erhalb der Todesmšglichkeit steht, in jener Ewigkeit, welche die Liebe gibt.


Darum sind die Begegnungen mit ihm "Erscheinungen"; darum wird der, mit dem man noch zwei Tage zuvor zu Tische gesessen war, von seinen besten Freunden nicht wiedererkannt und bleibt auch als Erkannter fremd: Nur wo er das Sehen gibt, wird er gesehen; nur wo er die Augen auftut und das Herz sich auftun lŠsst, kann mitten in unserer Todeswelt das Angesicht der todesŸberwindenden ewigen Liebe erkennbar werden und in ihr die neue, die andere Welt: die Welt des Kommenden.


Seite 262

8

Sein geheimnisvolles Auftauchen, sein nicht minder geheimnisvolles Entschwinden, die Tatsache, dass er auch hier dem gewšhnlichen Auge unerkennbar bleibt (man kann ihn nicht feststellen wie zur Zeit seines irdischen Lebens) zeigen: er wird allein im Bereich des Glaubens entdeckt; durch die Schriftauslegung macht er den beiden Wanderern das Herz brennend, und durch das Brotbrechen šffnet er ihnen die Augen.


Die Begegnung mit dem Auferstandenen liegt auf einer ganz neuen Ebene.


Er gibt damit ebenso eine Theologie der Auferstehung wie eine Theologie der Liturgie: Dem Auferstandenen begegnet man im Wort und im Sakrament; der Gottesdienst ist die Weise, wie er uns berŸhrbar, als der Lebendige erkenntlich wird.


Und umgekehrt: Liturgie grŸndet im Ostergeheimnis; sie ist zu verstehen als das Zutreten des Herrn auf uns, der darin zu unserem WeggefŠhrten wird, uns das stumpfe Herz brennend macht und die gehaltenen Augen šffnet. Er geht noch immer mit uns, er trifft uns noch immer grŸbelnd und mutlos, er hat noch immer die Kraft, uns sehend zu machen.


9

Mit alledem ist freilich erst die HŠlfte gesagt; das neutestamentliche Zeugnis wŠre verfŠlscht, wollte man dabei allein stehen bleiben. Die Erfahrung des Auferstandenen ist etwas anderes als das Zusammentreffen mit einem Menschen dieser unserer Geschichte, aber sie darf erst recht nicht zurŸckgefŸhrt werden auf TischgesprŠche und auf Erinnerungen, die sich schliefllich zu dem Gedanken verdichtet hŠtten, dass er lebe und seine Sache weitergehe. Mit einer solchen Auslegung wird das Geschehen nach der anderen Seite hin ins blo§ Menschliche eingeebnet und seines Eigentlichen beraubt.


10

Die Auferstehungsberichte sind etwas anderes und mehr als verkleidete liturgische Szenen: Sie machen das GrŸndungsgeschehen sichtbar, auf dem alle christliche Liturgie beruht. Sie bezeugen ein Zukommnis, das nicht aus dem Herzen der JŸnger aufstieg, sondern von au§en an sie herantrat und gegen ihren Zweifel sie ŸbermŠchtigte und sie gewiss werden liefl: Der Herr ist wahrhaft auferstanden. Der im Grabe lag, ist nicht mehr dort, sondern er - wirklich er selber - lebt. Er, der in die andere Welt Gottes hineinverwandelt war, zeigte sich doch mŠchtig genug, um bis zur Handgreiflichkeit hin klarzumachen, dass er selbst ihnen wieder gegenŸberstand, dass in ihm die Macht der Liebe wirklich sich stŠrker erwiesen hatte als die Macht des Todes.


11

Man kann nicht den christlichen Glauben und die Religion innerhalb der Grenzen der blo§en Vernunft haben. Dem, der glaubt, wird freilich immer mehr sichtbar werden, wie voller Vernunft das Bekenntnis zu jener Liebe ist, die den Tod Ÿberwunden hat.



Version: 3.4.2023
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Jochen Gruber