Joseph Ratzinger

EinfŸhrung in das Christentum

Vorlesung im Sommersemester 1967

UniversitŠt TŸbingen


AuszŸge zu Glaube und Taufe


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Glauben bedeutet, 


Wenn es aber so ist, dann schlie§t das Wšrtchen Credo eine grundlegende Option gegenŸber der Wirklichkeit als solcher ein; es meint nicht ein Feststellen von dem und jenem, sondern eine Grundform, sich zum Sein, zur Existenz, zum Eigenen und zum Ganzen des Wirklichen zu verhalten. Es bedeutet die Option, 


[Das ist analog zur Option fŸr die Naturwissenschaften: Das Wesentliche sind die Naturgesetze hinter den sichtbaren Erscheinungen.]


Nochmal anders gesagt:


Seite 16

Solche Haltung ist freilich nur zu erreichen durch das, was die Sprache der Bibel "Umkehr", "Be-kehrung" nennt. Das natŸrliche Schwergewicht des Menschen treibt ihn zum Sichtbaren, zu dem, was er in die Hand nehmen und als sein Eigen greifen kann. 


Dies ist zugleich der tiefste Grund, warum Glaube nicht demonstrierbar ist: Er ist eine Wende des Seins [Denkens], und nur wer sich wendet, empfŠngt ihn. Und weil  unser Schwergewicht nicht aufhšrt, uns in eine andere Richtung zu weisen, deshalb bleibt er als Wende tŠglich neu, und nur in einer lebenslangen Bekehrung kšnnen wir innewerden, was es hei§t, zu sagen: Ich glaube. 


Von da aus ist es zu verstehen, dass Glaube nicht erst heute und unter den spezifischen Bedingungen unserer modernen Situation problematisch, ja nahezu etwas unmšglich Scheinendes ist, sondern dass er, vielleicht etwas verdeckter und weniger leicht erkennbar, dennoch immer schon das Springen Ÿber eine unendliche Kluft, nŠmlich aus der dem Menschen sich aufdrŠngenden Greifbarkeitswelt, bedeutet: Immer schon hat Glaube etwas von einem abenteuerlichen Bruch und Sprung an sich, weil er zu jeder Zeit das Wagnis darstellt, das schlechthin nicht zu Sehende als das eigentlich Wirkliche und Grundgebende anzunehmen. Nie war Glaube einfach die dem Ge-fŠlle des menschlichen Daseins von selbst zu-fallende Einstellung; immer schon war er eine die Tiefe der Existenz anfordernde Entscheidung, die allzeit ein Sichherumwenden des Menschen forderte, das nur im Entschluss erreichbar ist.


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FŸr ihn bedeutet nicht ein allumfassendes Bewusstsein oder eine einzige MaterialitŠt die ErklŠrung des Wirklichen insgesamt; an der Spitze steht vielmehr eine Freiheit, die denkt und  denkend Freiheiten schafft und so die Freiheit zur STRUKTURFORM allen Seins werden lŠsst.


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Wenn christlicher Glaube an Gott zunŠchst einmal [als Glaube an die Mathematik]


so ist er als Glaube an die Personhaftigkeit jenes Sinnes zugleich Glaube daran, dass der Urgedanke, dessen Gedachtsein die Welt darstellt, 


Wenn demgemŠ§ die christliche Option fŸr den Logos OPTION fŸr einen personhaften, schšpferischen Sinn bedeutet, dann ist sie darin zugleich Option fŸr den Primat des Besonderen gegenŸber dem Allgemeinen. 

Und darin ist er noch einmal Option fŸr den PRIMAT der FREIHEIT gegenŸber einem Primat kosmisch-naturgesetzlicher Notwendigkeit.

...

Dabei lŠsst sich zeigen, dass die 

ohne die zweite und dritte nicht mšglich ist, oder genauer: 

bedeutet die Wasserscheide zwischen Idealismus und christlichem Glauben 


Mein Kommentar

In seiner "EinfŸhrung in das Christentum" legt Joseph Ratzinger dar: Mit dem Glauben an das Christentum eršffnet man sich einen Kosmos der Liebe und Freiheit, der Šhnlich unermesslich ist wie der Kosmos, den sich unsere Zivilisation mit dem Glauben an die Mathematik und darauf aufbauend an die Naturwissenschaften eršffnet hat 


In diesem Sinn interpretiere ich die Taufe in der Kirche als ein Analog zur Immatrikulation in die UniversitŠt. In beiden wird dem Aufgenommenen der Kosmos der Welt nahegebracht:


Seiten 288, 289 

in 

Joseph Ratzinger 

"EinfŸhrung in das Christentum"

http://acamedia.info/literature/Ratzinger/Einfuehrung-in-das-Christentum-Benedikt-XVI.pdf

 


Auf dem 

Idealismus aufbauende Analogien 

aus dem 

naturwissenschaftlichem Kosmos


In diesem Sinn bleibt die Taufe als Anfang einer lebenslangen Bekehrung das grundlegende Vorzeichen der christlichen Existenz, an das uns das Wort vom "Nachlass der Sŭnden"« erinnern will.


Nachlass der SŸnden = die Gnade des Erkennens der Defizite im eigenen Weltbild

Wenn aber Christsein nicht als eine zufăllige Gruppenbildung angesehen wird, sondern als Wende ins eigentliche Menschsein hinein, dann besagt dieses Bekenntnis ŭber den Kreis der Getauften hinaus, dass der Mensch nicht zu sich selbst kommt, wenn er sich einfach dem naturhaften Schwergewicht ŭberlăsst. Um wahrhaft Mensch zu werden, muss er diesem Schwergewicht entgegentreten, muss er sich wenden: Auch die Wăsser seiner Natur steigen nicht von selber nach oben.



dem naturhaften Schwergewicht ŸberlŠsst = dem angeborenen ungeformten Denken ŸberlŠsst.


Um wahrhaft Mensch zu werden, muss er diesem Schwergewicht entgegentreten, muss er sich wenden = Um wahrhaft Mensch zu werden, muss er diesem Schwergewicht entgegentreten, braucht er die geistige Weiterentwicklung. 



[In der Taufe wird einem Menschen die Liebe und der Segen Gottes zugesagt. Zugleich wird der Tăufling in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Der Vollzug der Taufe bezeichnet die sicht- und erkennbare Schwelle zwischen dem alten Sein des Menschen in der Sŭnde und dem neuen Sein seines Lebens in Christus.]



Wenn wir alles Bisherige zusammenfassen, kŏnnen wir feststellen, dass in unserem Bekenntnis die Kirche vom Heiligen Geist her verstanden wird als seine Wirkstătte in der Welt. Konkret wird sie gesehen von den zwei Angelpunkten Taufe (Bu§e) und Eucharistie [Sakrament der heiligen Kommunion] her. 



Dieser sakramentale Ansatz bewirkt ein ganz theozentrisches Verstăndnis von Kirche: Im Vordergrund steht nicht die Gruppierung von Menschen, die sie ist, sondern die Gabe Gottes, die den Menschen herumwendet auf ein neues Sein zu, das er sich nicht selbst geben kann, auf eine Gemeinschaft zu, die er nur als Geschenk zu empfangen vermag. 


Analogie Kirche - UniversitŠt:

Im Vordergrund steht nicht die Gemeinschaft der Gelehrten sondern die Wissenschaft. Das bindet an die Kultur, die man nur im Rahmen der Wissenschaft in Frage stellt. Dem StudienanfŠnger wird das Geschenk der Aufnahme in die UniversitŠt gemacht.



Und doch ist gerade dieses theozentrische Kirchenbild ganz menschlich, ganz real: Indem es um Bekehrung und Vereinigung kreist und beides als innergeschichtlich unabschlie§baren Prozess versteht, deckt es den menschlichen Sinnzusammenhang von Sakrament und Kirche auf.


Sinnzusammenhang von Sakrament und Kirche = Sinnzusammenhang von Wissenschaft und UniversitŠt

So bringt die "sachliche"« Betrachtungsweise (von der Gabe Gottes her) von selbst das personale Element ins Spiel: Das neue Sein der Vergebung fŭhrt ins Mitsein mit denen, die von der Vergebung leben; Vergebung stiftet Gemeinschaft, und die Gemeinschaft mit dem Herrn in der Eucharistie  fŭhrt notwendig zur Gemeinschaft der Bekehrten, die alle ein und dasselbe Brot essen, um darin "ein Leib"« ( 1 Kor 10,17), ja, "ein  einziger neuer Mensch"« zu werden (vgl. Eph 2,15). 


das neue Sein der Vergebung = die neue gebildete Existenz. Sie erlaubt die Gemeinsamkeit mit den Gelehrten. 


Auch die abschlie§enden Worte des Symbols, das Bekenntnis zur "Auferstehung des Fleisches"« und zum "ewigen Leben", sind als Ausfaltung des Glaubens an den Heiligen Geist und seine verwandelnde Macht zu verstehen, deren letzte Auswirkung sie schildern. 



Denn der Ausblick auf die Auferstehung, in den hier das Ganze mŭndet, folgt notwendig aus dem Glauben an die Verwandlung der Geschichte, die mit der Auferstehung Jesu erŏffnet ist. 



Mit diesem Geschehnis ist, wie wir sahen, die Grenze des Bios, das hei§t der Tod, ŭberschritten und ein neuer Zusammenhang erŏffnet: Das Biologische ist ŭbergriffen vom Geist, von der Liebe, die stărker ist als der Tod. Damit ist die Todesgrenze grundsătzlich durchbrochen und eine endgŭltige Zukunft fŭr Mensch und Welt erŏffnet. Diese †berzeugung, in der Christusglaube und Bekenntnis zur Macht des Heiligen Geistes ineinander treffen, wird in den letzten Worten des Symbolums ausdrŭcklich auf unser aller Zukunft angewandt.

Mit den Naturwissenschaften hat der Mensch etwas Unsterbliches geschaffen.


In den Naturwissenschaften bedeutet Liebe AffinitŠt.   Sie fŸhrt zu ZusammenschlŸssen, d.h. neuen Strukturen, fŸr die sich eine neue Freiheit der Entwicklung eršffnet. Beispiel: Atome schlie§en sich zu MolekŸlen zusammen, die ihr eigenes Leben entwickeln kšnnen.


Ebenso eršffnet Liebe den Menschen einen Kosmos der Freiheit.


Version: 31.3.2024

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