Gedanken zur TTIP-Demo am 10. Oktober 2015 - Rede von Christoph Bautz

von Jochen Gruber und Marianne Steenken


Nun sind seit der TTIP-Demo 4 Wochen vergangen - Zeit, über die uns Christophs TTIP-Rede immer wieder beschäftigt hat. Dass Campact den ersten Redner an der Berliner Siegessäule gestellt hat, ist für uns ein Zeichen dafür, wie viele Menschen Campact inzwischen erreicht, welch breites Anliegenspektrum Campact füllt. Es ist eine wunderbare Erfolgsgeschichte, hinter der Campacts kluge, kreative Gedanken stecken und viel Arbeit!


Mit der Breitenwirksamkeit kommt mehr Verantwortung bei der Themen- und damit einhergehend bei der Wortwahl, und auch die nimmt Campact sehr ernst. Das erkennen wir überall auf der Campact Website. 


In diesem Zusammenhang möchten wir zum Nachdenken anregen. Seine Rede endete Christoph nach einem Hinweis auf die begrüßenswerte bunte Vielfalt der Bewegung mit diesen Worten: 


"Nur in dieser Vielfalt werden wir TTIP und CETA besiegen. Aber zum Schluss ein Letztes. An einer Stelle zeigen wir klare Kante, und das ist gegen Rechts und dagegen, dass [viele?] den Protest gegen TTIP und CETA für antiamerikanische Ressentiments nutzen wollen und ihr nationalistisches Süppchen kochen. Mit dem ekelhaften braunen Sumpf von Pegida, mit den Hetzern von der AfD, mit den Nazis in Nadelstreifen, mit denen haben wir nichts, aber auch garnichts gemein."


Wir haben im Internet keine Aussagen von Pegida zu TTIP/CETA gefunden. Die AfD ist TTIP-kritisch, in Brandenburg rief sie zur Teilnahme an der TTIP-Demo auf.

http://www.afd-brandenburg.de/afd-brandenburg-ruft-zur-unterstuetzung-der-grossdemo-stoppt-ttip-ceta-am-10-oktober-2015-in-berlin-auf/

http://www.afd-brandenburg.de/wp-content/uploads/2015/09/TTIP-Risiken-für-die-Bürger-30.9.2015.pdf


Man mag mit den Programmen von Pegida und AfD nicht einverstanden sein. Aber Menschen, die sich diesen Parteien angeschlossen haben, waren Teil der Demo, haben unsere Ziele mit unsterstützt, standen vielleicht neben uns auf der Straße. Ist es nicht traurig, wenn wir meinen, sie von uns wegschieben, sie ausgrenzen zu müssen? Hilft das unseren Argumenten? 


In einer komplexen Gesellschaft wie der unsrigen ist der fortwährende, engagierte inhaltliche Dialog zwischen allen Bürgern unerlässlich. Polarisierungen sind gefährlich, wie wir in der Geschichte erfahren mussten ("The Values of Perestroika", Gorbatschow Foundation, August 2015, http://www.gorby.ru/en/presscenter/news/show_29551/). 


Campact unterstützt einen faktengestützten Dialog auf und mit seiner Website. Dieser Stil sollte nach unserer Ansicht auch bei Christophs Reden erkennbar sein. Unsere konkrete Frage: Brauchen Christophs Reden auf großen öffentlichen Auftritten nicht einen Vorab-Check durch die Campact Aufsichtsgremien, z.B. durch Günter Metzges (für die journalistisch-redaktionellen Inhalte verantwortlicher Vorstand) oder die 12 gewählten Vereinsmitglieder?



III. Erläuterungen 

Inhalt

1. Gorbatschows Nobel-Rede

2. The Values of Perestroika

3. Klare Haltung ist einfach bei streng inhaltlicher Rede



1. Gorbatschows Nobel-Rede

In seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises (1990) sagte Gorbatschow:


"The more I reflect on the current world developments, the more I become convinced that the world needs Perestroika no less than the Soviet Union needs it. "

http://www.gorby.ru/userfiles/file/gorbaghev_book_speeches_en.pdf


Später hat er das wiederholt, indem er sagte, der Westen habe Perestroika nicht richtig aufgenommen.


2. The Values of Perestroika

Auf der Website der Gorbachev Foundation for Socio-Economic and Political Studies haben wir eine Analyse der Werte von Perestroika gefunden. 

1985–2015. The Values of Perestroika in the Context of Today's Russia

http://www.gorby.ru/en/presscenter/news/show_29551/


Daraus scheinen mir diese Sätze auch für uns Deutsche wichtig:

Modern society can only effectively exist and evolve only when a broad social consensus based on democratic values is reached. Any attempt to divide people into the right and wrong, “us and them”, the majority and renegades, leads not just to a split but in fact to a civil war. The alternative to it is a social system in which different groups/elites do not alternate in suppressing one another but maintain the balance, a political compromise. The attempts of Russian society to embark on this path have not so far been too successful.


Perestroika has also clearly revealed the extreme danger posed by radical nationalism and related ethnic conflicts. ...


The experience of Perestroika shows the need for open and free public discussion of the more pressing issues. The existence of areas closed to debate leads to distrust, and distrust breeds conflicts, which brew for the years but break out in a matter of days or even hours. It is time to understand that censorship and areas closed to debate can not protect us from problems, while the lack of timely information about the existence of a certain problem usually has very sad consequences. Therefore, the policy of glasnost remains to be one of the most important values of Perestroika and its relevant legacy.


3. Klare Haltung ist einfach bei streng inhaltlicher Rede

Vielleicht ist es eine Alterserscheinung bei mir (74, http://acamedia.info/sciences/J_G/), und dann wäre es glücklicherweise irrelevant: Ich mache mir Sorgen, dass einige von uns (mich eingeschlossen, aus dem Gefühl der Verantwortung für unsere Gesellschaft heraus versucht sind, zu weit zu gehen und doch wieder Menschen in "richtig" und "falsch", "uns" und "sie", die "Mehrheit" und die "Widerspenstigen" einzuteilen und dabei die Balance, den politischen Kompromiss in schwieriger Problemlage zu vernachlässigen. Demgegenüber finde ich es notwendig und ok, Inhalte klar als richtig und falsch einzuordnen.


Wieso kann ich in unserem Land zuweilen politische Selbstgerechtigkeit sehen? Weil ich auch das Gegenteil weit verbreitet sehe und daher vergleichen kann: Beispiel der Chaos Computer Club (http://www.ccc.de) und seine jährlichen Kongresse (http://www.ccc.de/de/tags/congress)

https://www.youtube.com/results?search_query=30C3

https://www.youtube.com/results?search_query=31C3


Ich lerne mit Freude von Informatikern wie Constanze Kurz, Linus Neumann, Jacob Appelbaum, Edward Snowden, von den Juristen Ulf Buermeyer, Matthias Bäcker, Wolfgang-Hoffmann-Riem und Hans-Jürgen Papier wie man in einer sehr aufgeladenen Atmosphäre schwierige Probleme streng sachlich darstellt.

C. Kurz: Staatstrojaner in Karlsruhe, CCC-Camp 2015,

U. Buermeyer: Trojaner-Blindflug [29c3],

M. Bäcker: NSA-UA-Stellungnahme, 2014,

W. Hoffmann-Riem: NSA-UA-Stellungnahme, 2014,

Hans-Jürgen Papier:  NSA-UA-Stellungnahme, 2014,


So viele Menschen in Deutschland beweisen: Die klare Haltung geht nicht verloren, wenn man bei Reden stilistisch gleich verfährt, egal ob man vor Fachleuten oder vor interessierter Öffentlichkeit spricht. Christoph Bautz macht da einen Unterschied. Anders ausgedrückt: Er lässt auf großen Demos Inhaltliches nicht für sich sprechen, sondern teilt uns direkt seine Bewertung mit. 


Version: 23.12.2015

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