Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung

Globale UmweltverŠnderungen

(WBGU)


Hauptgutachten

Welt im Wandel

Gesellschaftsvertrag fŸr eine Gro§e Transformation

(17.3.2011)


7.1 Herausforderung Transformation zur KlimavertrŠglichkeit

Eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur KlimavertrŠglichkeit ist nach Ansicht des WBGU dringend notwendig, um die sich verschŠrfende Umwelt- und Entwicklungskrise zu Ÿberwinden und die Lebensgrundlagen und Zukunftschancen der Menschheit zu erhalten. Die Vermeidung des anthropogenen Klimawandels ist in den letzten Jahren in der Mitte des gesellschaftlichen Diskurses angekommen. Es gibt einen globalen politischen Konsens darŸber, dass die ErderwŠrmung auf hšchstens 2¡C gegenŸber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden muss, wenn gefŠhrliche, irreversible und kaum beherrschbare Risiken fŸr Natur und Gesellschaft vermieden werden sollen (Kap. 1.1.1; WBGU, 2009b). DafŸr ist eine drastische Reduktion der Treibhausgasemissionen unverzichtbar. Die im Zeitraum 2011Ð2050 kumulierten CO2-Emissionen aus fossilen Quellen dŸrfen 750 Gt CO2 nicht Ÿberschreiten (Kasten 1.1-1). Dieses globale CO2- Budget wŠre bereits in rund 25 Jahren erschšpft, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau eingefroren wŸrden. 


Es ist also ein schnelles, transformatives Gegensteuern notwendig. 


Die Dekarbonisierung der Energiesysteme (Kap. 4.6; Kasten 7.3-1) ist das KernstŸck der Transformation. Ohne eine Umsteuerung der rasanten Urbanisierung auf klimavertrŠgliche Entwicklungspfade (Kap. 7.3.6) kann die Transformation nicht gelingen. Auch die Minderung der Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung einschlie§lich eines Stopp der Entwaldung (Kap. 7.3.7) ist unverzichtbar.


Bereits seit geraumer Zeit befindet sich das auf fossilen EnergietrŠgern beruhende škonomische System international im Umbruch. Dieser Strukturwandel wird vom WBGU als Beginn einer ãGro§en TransformationÒ zur nachhaltigen Gesellschaft verstanden (Kap. 3). 


Das Ausma§ des vor uns liegenden †bergangs ist kaum zu ŸberschŠtzen und wird zu Recht als gro§e Menschheitsherausforderung bezeichnet. 


Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: 


Anders als diese beiden historischen †bergŠnge muss die Transformation zur klimavertrŠglichen Gesellschaft innerhalb der planetarischen Leitplanken der Nachhaltigkeit (Kasten 1-1) und wesentlich schneller verlaufen. Sie ist zudem keineswegs ein Automatismus, sondern muss aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht vorangetrieben werden, wenn sie in dem engen Zeitfenster gelingen soll, das zur VerfŸgung steht. 


Dies ist historisch einzigartig, denn die gro§en Transformationen der Vergangenheit waren Ergebnisse allmŠhlichen evolutionŠren Wandels. Langzeitstudien zeigen, dass sich immer mehr Menschen weltweit einen solchen Wandel in Richtung ZukunftsfŠhigkeit wŸnschen (Kap. 2). †berdies verdeutlicht das atomare Desaster in Fukushima, dass schnelle Wege in eine klimavertrŠgliche Zukunft ohne Kernenergie beschritten werden sollten.


Das Ziel ist formuliert und der Zeitdruck hoch, aber aufgrund unzureichender nationaler und internationaler politischer Anstrengungen ist die gro§e Herausforderung dieser Transformation ungelšst. Die Weichenstellungen dafŸr mŸssen im Verlauf dieses Jahrzehnts gelingen, damit bis 2050 die Treibhausgasemissionen weltweit auf ein Minimum reduziert und gefŠhrliche KlimaŠnderungen noch vermieden werden kšnnen. Der Zeitfaktor ist also von herausragender Bedeutung: Je spŠter gehandelt wird und je grš§er die kumulierten Treibhausgasemissionen werden, desto schwieriger wird es, gefŠhrliche KlimaŠnderungen zu vermeiden.


Es ist jetzt eine vordringliche politische Aufgabe, die Blockade einer solchen Transformation zu beenden und den †bergang zu beschleunigen. Dies erfordert nach Ansicht des WBGU die Schaffung eines nachhaltigen Ordnungsrahmens, der dafŸr sorgt, dass Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die natŸrlichen Grenzen des Erdsystems gestaltet werden. Insbesondere mŸssen Entwicklungspfade beschritten werden, die mit der 2 ¡C-Klimaschutzleitplanke kompatibel sind, auf die sich die Weltgemeinschaft 2010 in Cancœn verstŠndigt hat.


Die anstehenden VerŠnderungen reichen Ÿber technologische und technokratische Reformen weit hinaus: Die Gesellschaften mŸssen auf eine neue ãGeschŠftsgrundlageÒ gestellt werden. Es geht um einen neuen Gesellschaftsvertrag fŸr eine klimavertrŠgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung (Kap. 7.2). Dessen zentrale Idee ist, dass 



kollektive Verantwortung fŸr die Vermeidung gefŠhrlichen Klimawandels und fŸr die Abwendung anderer GefŠhrdungen der Menschheit als Teil des Erdsystems Ÿbernehmen. Der Gesellschaftsvertrag kombiniert 


Ein zentrales Element in einem solchen Gesellschaftsvertrag ist der gestaltende Staat (Kap. 5), der fŸr die Transformation 


Indem der WBGU 


veranschaulicht er die ãBedingungen der MšglichkeitÒ (Immanuel Kant) des †bergangs zu KlimavertrŠglichkeit und Nachhaltigkeit. Damit mšchte der WBGU der Politik, aber auch der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Akteuren Mut machen, den Wandel zu wagen.


Es ist jetzt eine vordringliche politische Aufgabe, die Blockade einer solchen Transformation zu beenden und den †bergang zu beschleunigen. Dies erfordert nach Ansicht des WBGU die Schaffung eines nachhaltigen Ordnungsrahmens, der dafŸr sorgt, dass Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die natŸrlichen Grenzen des Erdsystems gestaltet werden. 


7.3 Zehn Ma§nahmenbŸndel mit gro§er strategischer Hebelwirkung.


BŸndel 1: Den gestaltenden Staat mit erweiterten Partizipationsmšglichkeiten ausbauen


Zentrales Element in einem Gesellschaftsvertrag fŸr die Transformation ist der gestaltende Staat mit erweiterter Partizipation im Mehrebenensystem globaler Kooperation. Er vermittelt zwei Aspekte, die hŠufig getrennt oder kontrŠr gedacht werden: einerseits die StŠrkung des Staates, der aktiv PrioritŠten setzt und diese (etwa mit Bonus-Malus-Lšsungen) deutlich macht und implementiert, und andererseits verbesserte Mitsprache-, Mitbestimmungsund Mitwirkungsmšglichkeiten der BŸrgerinnen und BŸrger. Oft wird der starke (…ko-)Staat als AutonomiebeschrŠnkung der ãMenschen auf der Stra§eÒ gedacht, wŠhrend zugleich die Einmischung eben dieser Bevšlkerung (ãWutbŸrgerÒ) als Stšrung der politisch-administrativen RationalitŠt und Routinen beargwšhnt wird. Voraussetzung einer erfolgreichen Transformationspolitik ist aber die simultane StŠrkung des Staates und der BŸrgerschaft unter dem Dach nachhaltiger Politikziele.


Der gestaltende Staat steht fest in der Tradition der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie, entwickelt diese aber im Sinne der ZukunftsfŠhigkeit demokratischer Gemeinwesen und freier BŸrgergesellschaften weiter und berŸcksichtigt die Grenzen, innerhalb derer sich Wirtschaft und Gesellschaft auf einem endlichen Planeten entfalten kšnnen. WŠhrend Klimaschutz oft als FreiheitseinschrŠnkung und Verzichtszumutung aufgefasst wird, steht gestaltende und aktivierende Staatlichkeit unter der ausdrŸcklichen Zielsetzung, FreiheitsspielrŠume und Handlungsoptionen auch kŸnftiger Generationen zu bewahren und nach Mšglichkeit zu erweitern.


Der WBGU empfiehlt, diese Ziele auf vier miteinander zusammenhŠngenden Ebenen zu verfolgen: 


  1. verfassungsrechtlich durch eine entsprechende Staatszielbestimmung Klimaschutz, 
  2. materiell-rechtlich durch Festlegung von Klimaschutzzielen in einem Klimaschutzgesetz, 
  3. prozedural durch erweiterte Informations-, Beteiligungs- und Rechtsschutzmšglichkeiten der BŸrger und Nichtregierungsorganisationen und 
  4. institutionell durch ein klimapolitisches Mainstreaming der Staatsorganisation. 


Die nachfolgend eršrterten Ma§nahmen sind Ausdruck und Konkretisierung des Staatsziels Klimaschutz, das Legislative, Exekutive und Judikative zum Handeln verpflichtet. Das Ambitionsniveau und somit die transformative Wirkung dieser Elemente steigt durch Kombination und entsprechende inhaltliche Ausgestaltung.


7.3.1.1 Klimapolitische Verantwortung des Staates stŠrken 

Die generelle klimapolitische Verantwortung des Staates und seine gestaltende und aktivierende Rolle fŸr die Transformation sollte rechtlich verankert werden. Der WBGU empfiehlt, die umfassende Selbstbindung des Staates sowohl auf verfassungsrechtlicher als auch auf einfachgesetzlicher Ebene zu verdeutlichen.


EinfŸhrung eines Staatsziels Klimaschutz

Die klimapolitische Verantwortung des Staates sollte verfassungsrechtlich durch eine explizite ErwŠhnung hervorgehoben und gestŠrkt werden. Der WBGU empfiehlt die Aufnahme eines Staatsziels ãKlimaschutzÒ in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Denkbar wŠre eine ErgŠnzung von Art. 20a GG. 


Artikel 20

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeŸbt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmŠ§ige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht mšglich ist.


Ein derartiges Staatsziel ãKlimaschutzÒ trŠgt dem Charakter des Klimas als Gemeinschaftsgut bzw. als Ÿberindividuellem Schutzgut Rechnung. Der Staat und seine Organe wŸrden verpflichtet, den Klimaschutz bei Gestaltungs- und AbwŠgungsspielrŠume eršffnenden, klimarelevanten Entscheidungen zu berŸcksichtigen. Als impliziter Ma§stab dient ein derartiges Staatsziel auch der KontrolltŠtigkeit der Gerichte.


EinfŸhrung eines Klimaschutzgesetzes

Dieses Staatsziel sollte auf einfachgesetzlicher Ebene durch ein Klimaschutzgesetz, das Leit- bzw. Grenzwerte oder Emissionsreduktionsverpflichtungen enthŠlt, konkretisiert werden. Als zentrale Ma§nahme schlŠgt der WBGU ein Klimaschutzgesetz mit ambitionierten Minderungszielen bis 2050 vor. Daneben sollten begleitende Ziele fŸr den Anteil der erneuerbaren Energien am PrimŠrenergieverbrauch sowie Energieverbrauchsminderungsziele und Energieeffizienzsteigerungsraten festgelegt werden. Als Orientierung fŸr die quantitative Ausgestaltung von Verpflichtungen im Klimaschutzgesetz kšnnte der vom WBGU vorgeschlagene Budgetansatz (WBGU, 2009b) herangezogen werden. Danach sollte Deutschland die vollstŠndige Dekarbonisierung seiner Energiesysteme bis 2050 verbindlich festlegen. Dies entspricht einer Reduktion des in Deutschland emittierten CO2 aus fossilen Energiequellen um 100% bis 2050. FlexibilitŠt bei der Erreichung der Zwischenziele im Rahmen von Emissionshandelssystemen mit stringenten Obergrenzen sollte dabei erhalten werden; von einer Anrechnung von Minderungen, die in LŠndern ohne Emissionsobergrenzen erbracht werden (CDM), rŠt der WBGU jedoch ab. 


Mit der genannten Minderung (100% bis 2050) wŸrde Deutschland sein aus dem WBGU-Budgetansatz ableitbares CO2-Budget Ÿberschreiten. Daher sollte Deutschland ergŠnzend Zahlungen im Rahmen der internationalen Klimafinanzierung leisten (Kap. 7.3.10.1) und diese auch gesetzlich festlegen. 


Da ein solches Gesetz nur die allgemeine Verpflichtung zu Klimaschutzma§nahmen enthŠlt, sind weitergehende gesetzliche Regelungen zur Festlegung konkreter Ma§nahmen zum Erreichen der jeweiligen Zwischenziele und Mechanismen fŸr den Fall von Zielverfehlungen erforderlich. 


Wissenschaftliche Beratungs- und Kontrollfunktion kšnnte ein Klimaschutzausschuss nach dem Vorbild des britischen Committee on Climate Change Ÿbernehmen.


7.3.1.2 Informations-, Beteiligungs- und Rechtsschutzmšglichkeiten erweitern 

Eine StŠrkung des Staates in seiner aktivierenden Funktion kann nur LegitimitŠt beanspruchen, wenn die BŸrgerschaft an den zu treffenden Entscheidungen beteiligt wird. Erweiterte Informations-, Beteiligungs- und Rechtsschutzmšglichkeiten fŸr BŸrgerinnen und BŸrger sowie Nichtregierungsorganisationen bilden somit das Pendant zum gestaltenden Staat. 




Reform des Planungs- und Genehmigungsverfahrens

FŸr den WBGU ist eine zentrale Aufgabe des gestaltenden und aktivierenden Staates, Strukturen fŸr eine effektive Beteiligung zu schaffen und einen ãkonstruktiven KommunikationsprozessÒ zu organisieren, so wie es auch die Aarhus-Konvention erfordert. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, die BŸrgerschaft Ÿber umweltrelevante Vorhaben zu informieren und den BŸrgern Informations-, Beteiligungs- und Rechtsschutzmšglichkeiten zu eršffnen. Voraussetzungen fŸr erfolgreiche Partizipation von BŸrgern und Betroffenen in Entscheidungsprozessen besonders bei Gro§projekten sind:


1. die mšglichst frŸhzeitige, umfassende und kontinuierliche …ffentlichkeits- und Betroffenenbeteiligung, einschlie§lich der gleichberechtigten PrŸfung von AlternativentwŸrfen,


2. die grš§tmšgliche Transparenz im Verfahren, z. B. durch verstŠrkte Nutzung von Radio- und FernsehŸbertragungen, neuen Medien oder zusŠtzlichen Informationsterminen bzw. -plattformen sowie


3. die Einschaltung unabhŠngiger Personen in KonfliktfŠllen. Behšrden mŸssen GestaltungsspielrŠume zur Streitschlichtung eršffnet werden. Eine Schlichtung sollte jedoch die Ausnahme bleiben.


Verbandsrechtsbehelfe ausweiten

Unter Verbandsrechtsbehelf wird ein Rechtsbehelf, z.B. eine Klage eines behšrdlich anerkannten Verbandes, verstanden, der ohne Verletzung eigener Rechte erhoben werden kann (Ÿberindividueller Verbandsrechtsbehelf). In Deutschland bedarf es aufgrund des Individualrechtsschutzsystems einer expliziten EinfŸhrung eines Verbandsrechtsbehelfs durch den Gesetzgeber. Verbandsrechtsbehelfe finden sich neben dem Zivilrecht vor allem im Umweltund Naturschutzrecht. Der naturschutzrechtliche Verbandsrechtsbehelf ermŠchtigt zur Geltendmachung von Vorschriften, die einen Naturschutzbezug aufweisen. Mit dem Ende 2006 in Kraft getretenen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz wurden die Mšglichkeiten der UmweltverbŠnde weiter ausgeweitet, mittels Verbandsklage Rechtsverletzungen geltend zu machen. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz setzt die EU-Richtlinie 2003/35/EG um, die ihrerseits der Umsetzung der Aarhus-Konvention diente. VerbŠnde kšnnen mit dem Umwelt-Rechtsbehelf allerdings keine Aspekte des Klimaschutzes als verletzt rŸgen, auch nicht bei einem Vorhaben wie z.B. dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks. Allerdings ist europarechtswidrig, dass die Geltendmachung von Verstš§en gegen klimaschŸtzende Vorschriften vom deutschen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ausgeschlossen werden soll. Es ist zu erwarten, dass der EuropŠische Gerichtshof diese europarechtswidrige Umsetzung demnŠchst in einem bereits anhŠngigen Verfahren feststellen wird. Die RŸgefŠhigkeit von Verstš§en gegen klimaschŸtzende Vorschriften durch Verbandsrechtsbehelfe kšnnte bewirken, dass Klimaschutz als Staatsziel von den zustŠndigen Behšrden auch tatsŠchlich respektiert wird.


Ombudsleute einsetzen

Rechtsschutz in einem weiten Sinne umfasst Ð neben den gerichtlichen Klagebefugnissen Ð auch au§ergerichtliche, alternative Kontrollmšglichkeiten, die ebenfalls der Durchsetzung Ÿberindividueller Interessen, wie etwa Klimaschutz, und zugleich der †berprŸfung klimaschutzrelevanter AktivitŠten staatlicher Organe dienen kšnnen. Neben Mediationsverfahren und Petitionsrecht (Art. 24 UAbs. 2 in Verbindung mit Art. 227 AEUV) zŠhlt hierzu die auf skandinavische UrsprŸnge zurŸckgehende Institution von Ombudsleuten. Seit dem Vertrag von Maastricht verfŸgt auch die EuropŠische Union Ÿber Ombudsleute: die BŸrgerbeauftragten (Art. 24 UAbs. 3 in Verbindung mit Art. 228 AEUV). Die Institution der Ombudsleute bezweckt in erster Linie eine au§ergerichtliche Streitschlichtung in VerwaltungsrechtsverhŠltnissen und eine Kontrolle der Staatsbzw. EU-Organe. Die Kontrollrechte der Ombudsleute ergŠnzen die Gerichtsbarkeit und dienen der Wahrung der Rechtsordnung. Der Einsatz von Ombudsleuten, die mit Beschwerdeund Kontrollrechten ausgestattet sind, kann so die vorhandenen Informations-, Beteiligungs- und Kontrollrechte von VerbŠnden und der …ffentlichkeit sachgerecht ergŠnzen und verbessern.


Deliberative Diskurse und Verfahren unter Einbeziehung der …ffentlichkeit und Wissenschaft initiieren 

Ein VerstŠndnis der Notwendigkeit und Machbarkeit einer tiefgreifenden Transformation sollte sich in allen Teilen der Gesellschaft ausformen. Es sollte eine gesellschaftliche Grundstimmung gefšrdert werden, die Themen nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens ernst nimmt und ein ãWeiter-so-wie-bisherÒ immer weniger akzeptabel macht. Nur mit Hilfe einer deliberativen Politik, in der die Argumente und Perspektiven von BŸrgern, darunter auch der Wissenschaft, beratend einbezogen werden, kšnnen die notwendigen Weichenstellungen vorgenommen werden.


Einen derartigen breiten gesellschaftlichen Dialog zu initiieren, sollte Aufgabe der Politik sein. Die Themen Klimawandel, Dekarbonisierung der Energiesysteme, Lebensstile und Transformation sollten in der …ffentlichkeit in Richtung auf konkrete Transformationsszenarien eršrtert und diskutiert werden. Um eine blo§ symbolische oder durch oberflŠchlichen Parteienstreit verwŠsserte Befassung mit den Themen der Nachhaltigkeit zu vermeiden, sollte eine im Wesentlichen Ÿber digitale Informations- und Kommunikationsmedien laufende und sorgfŠltig moderierte Debatte unter der Schirmherrschaft (und aktiven Beteiligung) des BundesprŠsidenten und der genannten Ombudsleute sowie der weiter unten erlŠuterten Zukunftskammern stattfinden.


7.3.1.3 Klimapolitisches Mainstreaming institutionalisieren 

Die Bundesregierung hat als staatlicher Akteur die Mšglichkeit, durch institutionelle Reformen die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass Transformationsbelange mit hoher PrioritŠt in Regierung und Parlament verankert werden. Die Verwaltungen auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene sollten ein klimapolitisches Mainstreaming durchlaufen. Dies sollte nach Auffassung des WBGU folgende Elemente beinhalten:


Obligatorische KlimavertrŠglichkeitsprŸfung einfŸhren 

In Deutschland sollte eine umfassende, obligatorische KlimavertrŠglichkeitsprŸfung fŸr Gesetzesvorhaben institutionalisiert werden. Sie soll feststellen, ob einzelne Regelungsvorhaben Relevanz im Hinblick auf die Erreichung der Klimaschutzziele haben. Dabei wŠre jeweils die klimafreundlichere Alternative zur Erreichung des Regelungsziels auszuwŠhlen. 

Derartige PrŸfungen der Gesetzesfolgen sind grundsŠtzlich auch in Deutschland kein Neuland mehr. 


Es ist dabei zu berŸcksichtigen, dass die KlimavertrŠglichkeitsprŸfung hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs von der NachhaltigkeitsprŸfung und der UmweltvertrŠglichkeitsprŸfung von Vorhaben sowie von der strategischen UmweltprŸfung fŸr PlŠne und Programme abgegrenzt wird, um DoppelprŸfungen zu vermeiden. Dies kann Ÿber Abschichtung erreicht werden, das hei§t, alle Aspekte, die auf der vorangegangenen Stufe ausreichend geprŸft wurden, bedŸrfen auf der nachfolgenden Ebene keiner erneuten PrŸfung.


Empfehlungen fŸr die Exekutive

Damit die ressortŸbergreifende Befassung mit der Transformation zur klimavertrŠglichen Gesellschaft sichergestellt ist und Politiken zwischen den Ressorts besser abgestimmt werden, sollten die Dekarbonisierung der Energiesysteme, Mšglichkeiten zur Minderung der Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung sowie klimavertrŠgliche Urbanisierung zu Leitthemen im StaatssekretŠrsausschuss fŸr nachhaltige Entwicklung im Bundeskanzleramt werden. Zudem sollte die Rolle dieses StaatssekretŠrsausschusses als eigenstŠndiges Gremium gestŠrkt werden.


Mit Blick auf die StŠrkung des Themas Transformation in der deutschen Au§enpolitik empfiehlt der WBGU die Schaffung der Funktion eines Staatsministers im AuswŠrtigen Amt, der fŸr globale Nachhaltigkeitsfragen, Dekarbonisierung der Energiesysteme und Rohstoffdiplomatie zustŠndig ist.


Klimaschutz, Naturschutz und nachhaltige Raumplanung sind heute thematisch in den Verwaltungen besser reprŠsentiert und hšher gewichtet als in der FrŸhphase der Umweltpolitik. Bestehen geblieben ist aber die institutionelle RandstŠndigkeit der bislang zustŠndigen Ressorts im VerhŠltnis zu Politikbereichen, die den historischen Kernproblemen von Industrie- und Wohlfahrtsgesellschaften gewidmet sind, z. B. die Finanz-, Infrastruktur- und Sozialressorts. Nach Auffassung des WBGU kšnnen Klimaschutz, Naturschutz und Raumplanung im gegebenen Ressortzuschnitt kaum das Gewicht erlangen, das sie fŸr die postfossile Zukunftsgestaltung einer nachhaltigen Wirtschaft haben sollten. Langfristig kšnnte daher ein partieller Umbau des derzeitigen Ressortzuschnitts, etwa durch Bildung eines Umwelt-, Klimaund Energieministeriums, geprŸft werden.


Mittel zum Zweck ãglobaler AufklŠrungÒ und konkrete Empfehlung an die Bundesregierung ist die Internationalisierung der ministeriellen Ressorts, etwa dadurch, dass Referate in Ministerien zukŸnftig zu 10Ð15 % mit Personal aus anderen OECD-Nationen sowie Entwicklungsund SchwellenlŠndern besetzt werden. Deutsches Personal kšnnte wiederum im Austausch gerade in Entwicklungsund SchwellenlŠndern den Aufbau ausreichender KapazitŠten unterstŸtzen. Auf diese Weise kšnnen nationale Interessen und Sichtweisen von vornherein besser mit internationalen Perspektiven und Diskursen abgestimmt, wechselseitige Lernprozesse beschleunigt und multilaterales Vertrauen generiert werden. Als konkreter Schritt in diese Richtung bšten sich z. B. Austauschprogramme fŸr Fachreferenten an, vergleichbar den einschlŠgigen DAAD-Programmen im Bereich der Wissenschaft


Empfehlungen fŸr die Legislative

ZusŠtzlich zur KlimavertrŠglichkeitsprŸfung empfiehlt der WBGU, Mšglichkeiten zur StŠrkung der Rolle des Parlaments zu prŸfen. So kšnnte etwa durch eine Aufwertung des Parlamentarischen Beirats fŸr nachhaltige Entwicklung (Mitglieder 2014) zu einem eigenen Ausschuss im Deutschen Bundestag dessen Handlungs- und DurchsetzungsfŠhigkeit verbessert werden.


Sowohl in zeitlicher als auch in rŠumlicher Hinsicht geraten nationale Politiken an ihre Grenzen. In der Diskussion ist daher, wie die (vermuteten) Interessen kŸnftiger Generationen bei gegenwŠrtigen Wahlen und Abstimmungen berŸcksichtigt und wie Personen au§erhalb der nationalen StaatsverbŠnde im Sinne transnationaler Demokratie einbezogen werden kšnnten. Das in die Diskussion gebrachte indirekte ãKinderwahlrechtÒ (durch stellvertretende Stimmabgabe von Eltern) wirft gro§e verfassungsrechtliche und praktische Probleme auf. Um Zukunftsinteressen institutionell zu verankern empfiehlt der WBGU deshalb zu erproben, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren um eine deliberative ãZukunftskammerÒ zu erweitern, die in den relevanten Politikagenden gehšrt werden muss und gegebenenfalls ein aufschiebendes Veto einlegen kann. Um dabei interessens- und parteipolitische Verzerrungen zu vermeiden, sollte die Zusammensetzung dieser Kammer durch Losverfahren ermittelt werden.


7.3.1.4 Den gestaltenden Staat im Mehrebenensystem globaler Kooperation stŠrken 

Staatlichkeit Ÿbersteigt gerade im Klima-, Energie- und Umweltbereich nationale Grenzen und SouverŠnitŠten; auch hier sollten supraund transnational institutionelle Neuerungen stattfinden. Ein ausbaufŠhiges Vorbild ist nach Auffassung des WBGU das Institutionengeflecht der EuropŠischen Union, die nicht zuletzt Ÿber eine gemeinsame bŸrgernahe Klima-, Umweltund Energiepolitik Impulse fŸr die Vertiefung der Integration erhielte (Kap. 7.3.3). Auf der internationalen Ebene mŸssten fŸr die Transformation zentrale Arenen globalen Regierens fŸr Energie, Urbanisierung und Landnutzung aufgebaut werden (Kap. 7.3.10). Modellhaft fŸr die Aktivierung der Weltgesellschaft ist die bisher auf Europa beschrŠnkte Aarhus-Konvention.


SchwellenlŠnder als gestaltende Staaten stŠrken

Damit die globale Transformation gelingt, mŸssen vor allem auch die SchwellenlŠnder Akteure eines klimavertrŠglichen Umbaus werden. Wollen Deutschland und Europa Anstš§e zu einer klimavertrŠglichen Transformation in SchwellenlŠndern geben oder bestehende Reformtendenzen verstŠrken, mŸssen sie den unter-schiedlichen Ausgangsbedingungen Rechnung tragen (Kap. 5.3.3).


China beispielsweise kšnnte zu einem Treiber klimavertrŠglicher Entwicklung werden. DafŸr spricht, dass die Herausforderungen des Klimawandels in der chinesischen Diskussion in den vergangenen Jahren von einem Umweltzu einem Wirtschaftsund Innovationsthema umkodiert wurden. Dies ist auch im neuen, 2011 veršffentlichten FŸnfjahresplan der Regierung in AnsŠtzen erkennbar. China besitzt schon heute die weltweit grš§ten KapazitŠten zur Herstellung von Solarmodulen und hat ambitionierte Ausbauziele fŸr erneuerbare Energien. Teile der chinesischen Elite sehen Chancen in einer ãgrŸnenÒ Entwicklung sowohl fŸr die nationale Wohlfahrt als auch fŸr die au§enpolitische Reputation. Ansatzpunkte fŸr Transformationsallianzen mit China bestehen vor diesem Hintergrund in mšglichst breitenwirksamen Innovationsund Technologiepartnerschaften, insbesondere in den Transformationsfeldern Energie und Urbanisierung, in denen Deutschland und Europa aus chinesischer Perspektive Ÿber hohe technologische Kompetenz verfŸgen.


Auch Brasilien hat das Potenzial, sich zu einer klimavertrŠglichen Pionierškonomie weiterzuentwickeln, insbesondere weil die naturrŠumlichen und die politischen Ausgangsbedingungen (Demokratie, institutionelle HandlungskapazitŠten, hohe Legitimation der Regierung) fŸr die Nutzung erneuerbarer Energien gŸnstig sind und eine globale Bereitschaft besteht, den Regenwald zu schŸtzen. Dem steht eine in traditionellen Modernisierungsvorstellungen verhaftete Mehrheitsgesellschaft gegenŸber. Brasilien sollte als ein wichtiger strategischer Partner fŸr nachhaltige Entwicklung gewonnen werden, denn das Land verfŸgt neben seinen WŠldern und landwirtschaftlichen Ressourcen Ÿber erhebliche technische Erfahrungen im Bereich erneuerbarer Energien. Klimapartnerschaften mit Brasilien sollten daher primŠr auf Kooperationen im Energieund Transportbereich sowie im Waldschutz setzen.


Allianzen fŸr klimavertrŠgliches Wachstum sollten auch mit Indien geknŸpft werden. Das Land hat Ð im Gegensatz zu China Ð noch die Chance, seinen Modernisierungsprozess ohne einen ãfossilen UmwegÒ zu gestalten und frŸhzeitig auf einen klimavertrŠglichen Entwicklungspfad zu setzen. In Indien steht die šffentliche Debatte zur klimavertrŠglichen Entwicklung im Schatten der Diskussion um wirtschaftliche LeistungsfŠhigkeit und Armutsreduzierung, auch wenn die Regierung die Themen Energieeffizienz und Emissionskontrolle auf die Agenda gesetzt hat. Hier kommt es vor allem darauf an, Ÿber Modellallianzen, z.B. im Bereich der erneuerbaren Energien und des Infrastrukturausbaus, zu demonstrieren, wie ArmutsbekŠmpfung und

Wirtschaftswachstum kombiniert werden kšnnen. 


Insgesamt gilt: Nur wer zeigen kann, dass Klimaschutz, WettbewerbsfŠhigkeit und Wachstum erfolgreich verbunden werden kšnnen, wird als Kooperationspartner interessant und schafft eine glaubwŸrdige Basis fŸr die Zusammenarbeit. Die Transformation in Richtung klimavertrŠgliche Wirtschaft muss daher vor allem auch in den hochentwickelten …konomien konse-

quent vorangetrieben werden.


(Seite 299)

7.3.2 BŸndel 2: CO2-Bepreisung global voranbringen

Nach Auffassung des WBGU ist die Bepreisung von CO2 die wichtigste politische Ma§nahme fŸr die Dekarbonisierung der Energiesysteme und notwendiger Bestandteil eines regulatorischen Rahmens fŸr die Transformation zu einer klimavertrŠglichen Gesellschaft. Ein CO2-Preissignal kann grundsŠtzlich durch die EinfŸhrung einer CO2-Steuer (Preissteuerung) oder eines Emissionshandelssystems (Mengensteuerung) gesetzt werden (Kap. 5.2.2). Sofern die institutionellen Voraussetzungen dafŸr gegeben sind, hŠlt der WBGU Emissionshandelssysteme fŸr das grundsŠtzlich erfolgversprechendere Konzept zur CO2-Bepreisung, um eine zielgenaue Begrenzung der Emissionen zu erreichen. Dabei kann ein Emissionshandel nur mit einer sehr strikten Mengenbegrenzung einen ausreichend hohen CO2-Preis sowie langfristige Erwartungssicherheit garantieren und somit eine transformative Wirkung entfalten. Wo die notwendigen institutionellen Mšglichkeiten nicht gegeben sind, stellt eine CO2-Besteuerung in entsprechender Hšhe ein alternatives Instrument fŸr eine effektive transformative Steuerung dar. Als Richtwert mŸsste ein CO2-Preis aus heutiger Sicht in OECD-LŠndern im Jahr 2020 mindestens bei 40Ð50 US-$ pro t CO2 liegen, um eine transformative Wirkung im Sinne der Einhaltung der 2¡C-Leitplanke auszuŸben (SchŠtzungen auf Basis von Modellrechnungen der IEA sowie der Szenarien aus den Kapiteln 4.2.4 und 5.2.2). FŸr eine hohe Wirksamkeit der CO2-Bepreisung sollten au§erdem die in vielen LŠndern noch existierenden Subventionen fŸr fossile EnergietrŠger schnellstmšglich abgebaut werden.


Ziel deutscher und europŠischer BemŸhungen sollte der Aufbau eines globalen Emissionshandels auf Unternehmensebene sein, um die Umwelt- und Effizienzvorteile dieses Instruments voll ausschšpfen zu kšnnen. Allerdings scheint ein umfassendes und verpflichtendes Klimaschutzabkommen, in dem ein globaler Emissionshandel auf Unternehmensebene etabliert werden kšnnte, auch nach der Vertragsstaatenkonferenz von Cancœn kurz- bis mittelfristig nicht realisierbar. Noch immer blockieren kurzfristige nationale Interessen zeitnahe und wirksame weltweite Klimaschutzvereinbarungen.


Als BrŸckenschlag zur Schaffung eines globalen Kohlenstoffmarktes sieht der WBGU verschiedene Wege mit unterschiedlich starker Transformationswirkung. 


Dabei gilt: Je stŠrker die Transformationswirkung der hier beschriebenen Wege und je mehr LŠnder in ein System zur CO2-Bepreisung eingebunden sind, desto hšher sind auch die Anforderungen an staatliches Handeln.



(Seite 322)

7.3.8 BŸndel 8: Investitionen in eine klimavertrŠgliche Zukunft unterstŸtzen und beschleunigen

Vier SŠulen der Investitionsfšrderung fŸr eine Transformation zur klimavertrŠglichen Gesellschaft Um eine solche Risikominderung zu erreichen, mŸssten VerŠnderungen in vier Bereichen vorgenommen werden, die im Folgenden als ãvier SŠulenÒ der Investitionsfšrderung fŸr eine Transformation zur KlimavertrŠglichkeit bezeichnet werden: Erstens mŸssten vom Staat und der internationalen Staatengemeinschaft stabile Rahmenbedingungen fŸr klimavertrŠgliche Investitionen geschaffen werden. Zweitens mŸssten die Staaten neue Finanzierungsquellen erschlie§en, um staatliche Investitionen und Finanztransfers an Šrmere LŠnder zu ermšglichen. Drittens wŠren neue Finanzierungsmechanismen zur UnterstŸtzung privater Investitionen zu etablieren und vorhandene Mechanismen zu stŠrken. Viertens sollten neue GeschŠftsmodelle gefšrdert werden, die die Belastung durch hohe Anfangsinvestitionen reduzieren.



Version: 25.5.2014

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