I. Das Umwelt-Desaster im Atommülllager Asse

Mai 6, 2010

Stand der Untersuchung

Dieser Zwischenbericht fasst Erkenntnisse und Einschätzungen aus den ersten neun Monaten der Arbeit im 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Asse im Niedersächsischen Landtag (PUA) aus Sicht der Grünen Fraktion zusammen. Er soll das Verständnis der komplexen Abläufe erleichtern und eine Gewichtung der vielen unterschiedlichen Einzelinformationen ermöglichen.

Aufgelistet sind Fehler, Fehlentscheidungen und Beispiele dafür, wie verantwortungslos im Zusammenhang mit der Asse gehandelt wurde.

Mit diesem Zwischenbericht sollen die Erkenntnisse erweitert werden, die von der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Broschüre „Verscharrt in alle Ewigkeit?! Das Atommüll-Desaster in der Asse und die Konsequenzen“ im Mai 2009 veröffentlich wurden.

Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf die Fragen

  • welche Rolle die Asse für die Entsorgungsvorsorgenachweise der laufenden Atomkraftwerke hatte und hat,
  • welche Folgen sich daraus für die aktuelle Diskussion über Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken ergeben,
  • welche Bedeutung die für Gorleben relevanten Versuche in der Asse hatten,
  • wie sich die Standsicherheit des Bergwerks Asse, die diesbezüglichen Erkenntnisse von Politik, Wissenschaft und Industrie entwickelt haben und
  • welche Konsequenzen aus dem Laugenzufluss gezogen wurden, der seit 1988 bis heute andauert.

Nicht abschließend erörtert werden können die Frage des Inventars und die Frage, wann die niedersächsischen Behörden erstmals Kenntnis vom Auftreten radioaktiver Laugen hatten. Zu diesem Komplex stehen noch eine ganze Reihe von Zeugenaussagen und Akten aus.

Bestmögliche Kenntnisse über das radioaktive und chemisch-toxische Inventar sind für die Stilllegung der Asse und die Rückholung der Abfälle von großer Bedeutung. Leider zeigt sich aber gerade bei diesem Thema, dass Zeugen und Institutionen, die über Akten verfügen oder verfügen müssten, nur unzureichend zur Aufklärung des Inventars beitragen.

Die Frage, warum einige vorgeblich „Gorleben relevante“ Versuche in der Asse, wie der Einlagerungsversuch mit hochaktiven Abfällen überraschend abgebrochen wurden, konnte bislang noch nicht geklärt werden.

Aussagen zu den gesundheitlichen Folgen für Anwohner und Beschäftigte der Asse werden zurückgestellt, bis die Ergebnisse des Gesundheitsmonitorings der Beschäftigten vorliegen, das gegenwärtig vom Bundesamt für Strahlenschutz erarbeitet wird.

Die Beantwortung der Fragen, welche Personen und Institutionen in erster Linie für das Desaster verantwortlich sind, welche Konsequenzen für den Aufbau der staatlichen Verwaltung und Aufsicht, für das Atom- und Bergrecht, für eine unabhängige Wissenschaft und Forschung, für die Lagerung von Atommüll und für die Zukunft der Nutzung von Atomkraft insgesamt zu ziehen sind, bleiben dem Abschlussbericht vorbehalten.


II. Die Abläufe im Untersuchungsausschuss

Mai 6, 2010

Der 21. Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtages besteht aus 13 Mitgliedern und 13 StellvertreterInnen aus den Fraktionen von CDU, SPD, FDP, GRÜNEN und LINKE. Er verhandelt in der Regel öffentlich. Alle Verfahrensfragen werden jedoch in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt.

Der Ausschuss hat bislang 43 Sitzungen absolviert und 44 Zeugen gehört. Es wurden 46 Beweisbeschlüsse gefasst. (Stand: 15.04.2010)

Für den Beschluss zur Ladung eines Zeugen ist ein Quorum von 20 Prozent der Ausschussmitglieder erforderlich –  eine starke, aber dennoch nur unzureichende Stellung der Ausschussminderheit. Denn für die Terminierung der Zeugenladung ist ein Mehrheitsbeschluss notwendig, so dass die Regierungsfraktionen mit ihrer Mehrheit den Fortgang der Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses allein bestimmen können. So können sie Zeugen laden, die zum Kern des Untersuchungsauftrages wenig beizutragen haben und andererseits die Vernehmung – aus Sicht der Opposition – wichtiger Zeugen verzögern. Die Regierungsfraktionen haben diese Möglichkeiten genutzt und eine konstruktive Abarbeitung des Untersuchungsauftrags behindert. Dadurch ist die Arbeit des Ausschusses schon fast durch ritualisierte Konflikte geprägt. Die öffentliche Kommunikation der Regierungsfraktionen von Vorgängen und Aussagen aus einzelnen Sitzungen hat teilweise nur wenig bis gar nichts mit den tatsächlichen Inhalten der Sitzung gemein. Die Sprecher der CDU-Fraktion haben offenbar die sachliche und politische Notwendigkeit des Untersuchungsauftrages bis heute nicht akzeptiert.

Die Bereitstellung der Akten insbesondere durch die Landesregierung erfolgt extrem schleppend. Sie wurden ab Juli 2009 in insgesamt 33 Tranchen (letzte Tranche: 16.04.2010) bereitgestellt. Offenbar sind die Akten auch Blatt für Blatt geprüft worden. Teilweise sind Schriftstücke entfernt worden, weil sie nach der Definition der Landesregierung zum „Kernbereich der Willensbildung der Landesregierung“ gehören. Relativ große Teile der Akten sind für vertraulich erklärt worden. Die Gründe dafür erscheinen oft fadenscheinig. Dies gilt zumal dann, wenn 32 Jahre alte Akten noch für „vertraulich“ erklärt werden. Geheime Akten „Verschlusssachen“ sind bisher nur vom Bundesumweltministerium (BMU) unter Minister Gabriel zur Verfügung gestellt worden.

Die europäische Kontrollbehörde Euratom hat sich über Monate als unkooperativ erwiesen. Eine Kontrollbehörde, die sich selbst Parlamenten gegenüber weigert, das Ergebnis ihrer „Kontrollen“ offen zulegen, verfehlt den Sinn und Zweck ihres Daseins auf ganzer Linie. Auch das Kanzleramt hat nur eine einzige dünne Akte geliefert, die den Zeitraum 1978 bis 1981 betrifft. Die Begründung, die mit dem Hinweis auf den „Kernbereich politischer Willensbildung“ argumentiert und die fehlende Verpflichtung hervorhebt, dem Wunsche eines Landesparlamentes auf Amtshilfe nachzukommen, geht fehl, wenn es um die Aufklärung von möglichen Rechtsverstößen und die mögliche Mittäterschaft von staatlichen Behörden auf niedersächsischem Gebiet geht.

Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der mangelnden Aussagebereitschaft oder den Erinnerungslücken von Zeugen bzw. der Tatsache, dass Zeugenaussagen im Widerspruch zu Aktenaufzeichnungen stehen, stellen die vorliegenden Aktenbestände trotz mancher Lücken die Grundlage für die Aufklärung der Vorgänge um die Asse dar. Die Auswertung der Akten wird fortgesetzt.


III. Die Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

Mai 6, 2010

Angesichts des sowohl zeitlich als auch inhaltlich-fachlich und politisch außerordentlich komplexen Umfanges des Untersuchungsgegenstandes werden die Auswertungen der bisherigen und der weiteren Befragungen sowie des Aktenstudiums vermutlich langwierige Nacharbeiten notwendig machen.
Schon heute jedoch lässt sich eine Reihe von Erkenntnissen über Fehler, Falschangaben, Verstöße und Manipulationen auflisten.
Die folgenden sechs Punkte fassen die Ergebnisse zusammen, die in früheren Jahren unter Umständen als Gerüchte, Mutmaßungen und Verdachtsmomente im Umlauf waren, und die heute, nach der ersten intensiven Arbeitsphase des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, durchaus als gesicherte Erkenntnisse bilanziert werden können.

1. Das radioaktive Inventar der Asse ist deutlich höher als offiziell deklariert

Weder Behörden noch Betreiber noch Wissenschaft haben Wert darauf gelegt, dass die Ablieferer des Atommülls 1967 bis 1978 genauere Angaben über das radioaktive Inventar ihrer Asse-Abfälle machten.

Ausnahmen gab es lediglich bei Plutonium und Uran, die als Spaltmaterial einer besonderen Überwachung durch Euratom unterlagen und bilanziert werden mussten.

  • Nach vorläufiger Kenntnis wurden ca. 28,1 Kilogramm Plutonium in die Asse eingelagert. Eine vollständige Kernbrennstoffbilanz liegt bis heute nicht vor. Die europäische Kontrollbehörde Euratom verschleppt seit acht Monaten die Datenlieferung an den Untersuchungsausschuss.
  • Nachdem die Stilllegung der Asse beschlossen war, begann die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) Ende der 90er Jahre den mühsamen Versuch einer Rekonstruktion des Inventars. 2002 wurde der Abschlussbericht vorgelegt (Gerstmann, Meyer & Tholen), der eine überraschende Reduzierung der Plutoniummengen auf 9,6 Kilogramm enthält. Grund war die Annahme, dass die Abfälle aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe praktisch allein aus der dortigen Wiederaufarbeitungsanlage stammen sollten. Das hat sich aber als falsch herausgestellt.

Die Unsicherheiten und Unterschätzungen des Inventars betreffen auch andere Stoffe wie

  • Uran,
  • Americium und
  • Neptunium sowie
  • Tritium. Von Tritium wurde etwa das Sechzehnfache der offiziell deklarierten Menge eingelagert.
  • Offiziell wurden etwa 1300 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen (MAW) in der Asse eingelagert. Die tatsächliche Menge ist mehr als zehn mal größer, denn etwa 14.000 Fässer mit angeblich schwachaktivem Abfall (LAW) enthielten tatsächlich MAW aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe, der durch dicke Ummantelung mit Beton wundersamerweise zu LAW wurde.

In der Asse wurden auch chemisch-toxischer Müll, darunter arsenhaltige Pflanzengifte, und Tierkadaver eingelagert. Die Unsicherheit über das tatsächliche radioaktive Inventar der Asse ist bis heute groß. Eine Arbeitsgruppe des Bundesforschungsministeriums, die seit August 2009 die Daten überprüft, hat bislang noch keine Ergebnisse vorgelegt.

2. Die Asse war die billige Müllkippe der Atomindustrie
Neunzig Prozent des bislang bekannten radioaktiven Inventars stammt aus Leistungsreaktoren der Industrie. Die abgebrannten Brennelemente wurden über die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe und die Abteilung „Dekontaminationsbetriebe“ des Kernforschungszentrums Karlsruhe in der Asse angeliefert und als „Forschungsabfall“ deklariert. Noch 2008 sprach Ministerpräsident Christian Wulff hingegen nur von „Krankenhausabfällen“.

3. Die Asse war das Versuchsendlager – der Prototyp – für das Endlager Gorleben
In der Asse wurden die für Gorleben relevanten Versuche durchgeführt oder sollten durchgeführt werden, die als unverzichtbar für die Genehmigung eines Endlagers im Salzstock von Gorleben-Rambow galten. Aus geologischer Sicht könne der Asse-Sattel als Modell für den Salzstock bei Gorleben angesehen werden, hieß es. Man wählte für die Versuche „jungfräuliche Zonen“ in der Asse, um eine Vergleichbarkeit mit Gorleben herzustellen.

Einige Versuche, wie der Versuch mit hochaktivem wärmeentwickelnden Atommüll (High Active Waste – HAW) wurde jedoch 1992 aus bislang unbekannten Gründen abgebrochen bzw. nicht mehr durchgeführt, obwohl bereits immense Kosten angefallen waren.

  • Noch bis Anfang der 90er Jahre wurden diese Versuche zu Radiolyse und zu Strahlenschäden im Steinsalz vom Bundesministerium für Umwelt (BMU), vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Reaktorsicherheitskommission (RSK), der Strahlenschutzkommission (SSK) und dem Niedersächsischen Umweltministerium (NMU) als unverzichtbar für die Genehmigung von Gorleben bezeichnet.
  • Der Bundesrechnungshof stellte 1992 fest, dass die anlagenbezogenen Vorhaben, d.h. die unmittelbar für Gorleben relevanten Forschungsarbeiten in der Asse dem Verursacherprinzip unterliegen und aus dem Aufkommen der Endlagervorausleistungsgebühr zu finanzieren seien. Nach § 21 b Atomgesetz waren diese Forschungsarbeiten vorausleistungspflichtig, hätten von den Atomkonzernen als Abfallverursacher finanziert werden müssen und nicht wie bisher aus dem allgemeinen Forschungsetat des Bundesforschungsministeriums (BMFT). Das haben das Bundesumweltministerium und das BMFT im Grundsatz anerkannt, aber nicht umgesetzt.
  • Die Forschung in der Asse wurde eingestellt, eine politische Entscheidung, für die sich in den Akten des PUA bisher keine fachliche Begründung gefunden hat.

4. Die Forschung und die Anlieferung des Atommülls in der Asse waren Teil des Entsorgungsvorsorgenachweises und damit der Betriebsgenehmigungen der laufenden deutschen Atomkraftwerke
Das politische Offenhalten der Option auf einen möglichen Weiterbetrieb der Asse als atomares Endlager bis in die 90er Jahre hinein diente als rechtliche Grundlage für den Betrieb deutscher Atomkraftwerke. Ein weiterer Teil der Entsorgungsvorsorge der laufenden Atomkraftwerke war die bloße Hoffnung auf die Eignung von Gorleben. Im Bergwerksjargon bezeichnet man das als „Eignungshöffigkeit“. Spätestens mit den immer weiter zunehmenden Problemen mit der Standfestigkeit, dem nicht kontrollierbaren Laugenzufluss und dem nicht auszuschließendem Absaufen der Grube Asse stand auch die so genannte „Eignungshöffigkeit“ von Gorleben in Frage. Durch das Desaster des Versuchsendlagers, Forschungsbergwerks und „Endlagers“ Asse II mussten die Entsorgungsvorsorgenachweise in den 90er Jahren umgeschrieben werden. Dabei kam dem alten DDR-Atommülllager Morsleben eine neue Funktion zu; mit dem Schacht Konrad wurde eine „Streckung“ der Entsorgungsvorsorge vorgenommen und Gorleben wurde zusätzlich als Ort für noch nicht durchgeführte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten definiert.

5. Salz ist als Endlagermedium diskreditiert – Planung sah Asse-Flutung mit Lauge vor

Fakt ist jedoch, dass alle bisherigen Annahmen zur Sicherheit von Endlagern im Salz falsch waren. „Forscher: Sicher für alle Zeiten“, dieses Zitat stand im Mai 1969 in fast allen großen überregionalen Zeitungen der Bundesrepublik Deutschland. Gemeint war die Schachtanlage Asse.

Weil seit dem Jahr 1988 ein ständiger Laugenzufluss verbunden mit einer zunehmenden Abnahme der Standfestigkeit der Grube festzustellen war, konnte ein plötzlicher Wassereinbruch als der größte anzunehmende Unfall nicht mehr ausgeschlossen werden. Die trockene Lagerung von Atom, ehemals als Grundbedingung für die sichere untertägige Endlagerung definiert, stellte sich als Illusion heraus. In den 90er Jahren erfolgte der radikale Strategiewechsel: Von der Trockenlagerung zur Nasslagerung. Diese Neubewertung war die Voraussetzung dafür, dass jetzt im Rahmen der Stilllegung die Asse geflutet werden sollte. Was in den 70er Jahren als „größter anzunehmender Unfall“ definiert wurde, sollte jetzt kontrolliert herbeigeführt werden. Die Herausforderung bei der „nassen Schließung“ der Asse stellte sich jedoch als ungleich größer heraus als der seinerzeit definierte „größte anzunehmende Unfall“. Wenn Wasser oder Lauge in das Bergwerk eindringen, lösen sich auch bis zu 3 Millionen Kubikmeter Carnallit, ein sehr leicht lösliches Kalisalz, und bilden einen unterirdischen Hohlraum. Würde dieser Fall eintreten, droht der „Tagesbruch“; dann würde das Deckgebirge nach innen stürzen, es würden sich nicht nur oberirdische Krater bilden, sondern Radionuklide würden in die Biosphäre gelangen. Mit diesem Schließungskonzept (auch wenn ein sogenanntes „Schutzfluid“ eingesetzt wird) konnte der ehemalige Betreiber die Langzeitsicherheit, den sicheren Einschluss der atomaren Abfälle in der Asse, nicht nachweisen.

6. Manipulierte Gutachten im Dienste der Atomindustrie statt kritischer Wissenschaft
Die Betreibergesellschaft GSF, Teil einer Großforschungseinrichtung des Bundes, schreckte vor der Verfälschung wissenschaftlicher Ergebnisse nicht zurück. Als ein Wissenschaftler im Jahr 1995 feststellte, dass die Laugenzuflüsse unmittelbar aus dem Deckgebirge und damit zumindest in Teilen von außen in das Bergwerk eintreten, durfte er seine Arbeit nicht veröffentlichen. Erst nach jahrelangen Verhandlungen erschien die Habilitation als Veröffentlichung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, allerdings in einer stark verfälschten Form. In dem entsprechenden Kapitel war nicht mehr vom Atommülllager Asse die Rede, sondern nur noch von einem exemplarischen Fall in einem norddeutschen Salzbergwerk.


IV. Das gesamte Entsorgungskonzept für den nuklearen Müll aus Atomkraftwerken ist gescheitert

Mai 6, 2010

Sicher für alle Zeiten

Die Asse wurde ausgewählt, weil das Lagermedium Salz als trocken galt, heißt es in alten Akten. Der Wassereinbruch wurde deshalb von den Betreibern als der „Größte Anzunehmende Unfall“ (GAU) bezeichnet. Dieser Fall wurde jedoch zugleich als völlig abwegig und unwahrscheinlich ausgeschlossen. In einem Gutachten heißt es,

„dass die Gefährdung für die Schachtanlage Asse II durch Wasser- oder Laugeneinbrüche als minimal anzusehen bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar auszuschließen ist. Vielmehr lässt sich die diesbezügliche Situation [in der Asse] – gerade auch im Vergleich mit anderen Salzvorkommen – als durchaus günstig bezeichnen.“[1]

Forscher von GSF und Euratom erklärten, die Asse sei „sicher für alle Zeiten“.[2]

Schon länger suchten die Industrie und die damalige Bundesregierung nach Möglichkeiten zur billigen Beseitigung von radioaktivem Müll.

  • Im Sommer 1967 versenkte die Bundesrepublik zusammen mit den Niederlanden, Belgien und Frankreich „probeweise“ 1430 Tonnen radioaktiven Mülls im Atlantik. Von Emden fuhr der Frachter mit Atommüll aus dem Forschungszentrum Karlsruhe auf die Position 42.30 West und 14.30 Nord und versenkte den Müll 400 Kilometer vor der Küste von Portugal.
  • Entscheidendes Kriterium für den Entsorgungsweg waren damals offenbar nicht die Sicherheitsfragen, sondern allein die Kosten. Man entschied sich letztlich für ein billig erworbenes ehemaliges Kali- und Steinsalzbergwerk bei Wolfenbüttel: Den Schacht Asse II. Nach damals vorliegenden Berechnungen war diese Lösung billiger als Transport und Versenkung im Meer.

Im Jahr 1967 begann man in der Asse mit der Einlagerung von radioaktivem Müll, auch wenn von Anfang an klar war, dass auch diese Form der Entsorgung Gefahren für Mensch und Umwelt barg.

Die Pfütze: Schon immer feucht
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Asse im niedersächsischen Landtag hat  gezeigt, dass der Schacht Asse II eigentlich nie trocken war. Bei einigen Insidern hatte die Asse offenbar den Spitznamen „Pfütze“.

  • Erste Laugenzuflüsse sind für 1912 und 1939 dokumentiert.
  • 3 – 4 Kubikmeter Süßwasser flossen schon im Jahr 1964 täglich zu, dazu 0,7 Kubikmeter Lauge auf der 750 Meter Sohle.[3]
  • Am 6.3.1979 ereignete sich ein Laugeneinbruch bei dem im Bergwerk ca. 30-40 Kubikmeter Lauge mit ca. 70 atü Druck austraten, was einer etwa 50 Meter hohen Wassersäule entspricht.

Alle Zuflüsse hatte man immer wieder abgedichtet. Im Jahr 1988 kam es in der Asse jedoch zu einem Laugenzufluss, der sich bis zum heutigen Tag nicht mehr stoppen ließ.

  • Während in den Jahren 1988/89 zunächst nur 60 Kubikmeter pro Jahr zuflossen, sind es heute 12 Kubikmeter am Tag.

Erst im Jahr 2008 wurde bekannt, dass es schon vor dem Jahr 1988 immer wieder temporäre Laugenzuflüsse gegeben hatte. Die benachbarten Schächte Asse I und III sind schon früher abgesoffen und wurden aufgegeben.
Unerklärlich bleibt, wie Prof. Klaus Kühn vor diesem Hintergrund behaupten konnte, dass ein Laugeneinbruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Dies nährt immer wieder den Verdacht, dass die Asse noch andere Funktionen hatte. Der Historiker Detlef Möller dokumentiert ein Schreiben des ehemaligen Leiters der Asse an das Bundesschatzamt, heute Bundesfinanzministerium, wo es heißt:

„Wir wissen, dass es Bedenken gibt, die Asse zu nutzen, aber Sie wissen auch, dass es höchst gewichtige Gründe gibt, sie trotzdem zu nutzen.“

Im Bergwerk Asse II wurde von 1909 bis 1964 Kalisalz und Steinsalz gefördert. Zurück blieb ein Hohlraumvolumen, dass mit 3,35 Millionen Kubikmetern etwa 10 mal größer war als das derzeit im Salzstock Gorleben aufgefahrene Volumen. Andere Quellen sprechen von einem Volumen von 5 Millionen Kubikmetern.

Ende des Jahres 1978 wurde die offizielle Einlagerung beendet, weil die damalige Landesregierung wegen einer Änderung im Atomgesetz die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für atomare Endlager forderte.

Eine wahre Ikone
Über viele Jahre galt Prof. Dr. Klaus Kühn vom Institut für Tieflagerung der Gesellschaft für Strahlenschutz (GSF) und Honorarprofessor der Universität Clausthal als „Endlagerpapst“ und „wahre Ikone in der Endlagerforschung“ .[4] Für seine Tätigkeit bekam er das Bundesverdienstkreuz. Er „diente“ den Ministern Baum, Zimmermann, Wallmann, Töpfer und Merkel in der Reaktorsicherheitskommission (RSK) und galt als der „Verbindungsoffizier“ zu zahlreichen ausländischen Institutionen für radioaktive Endlagerung. Als Direktor des Instituts für Tieflagerung der GSF war er auch wissenschaftlicher Leiter der Schachtanlage Asse.

Im Jahr 2001 beschrieb Prof. Kühn die Arbeit in der Asse mit folgenden Worten:

„Ziel war es, für ein geplantes Endlager im Salzstock Gorleben die entsprechenden Techniken und die wissenschaftlich-technischen Daten zu ermitteln und bereit zu stellen. Der Salzstock Gorleben war in der Eignungsuntersuchung. Wir von der GSF sollten im Forschungsbergwerk Asse die entsprechenden Technologien und wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen.“

Bei dem Clausthaler Kolloquium zur Endlagerung 2003 erklärte Staatssekretär Christian Eberl für das niedersächsische Umweltministerium, die in der Asse erzielten Ergebnisse

„bildeten eine Grundlage für die von der Bundesregierung in Angriff genommenen Erkundungsarbeiten für ein Endlager auch Wärme entwickelnder hochradioaktiver Abfälle im Salzstock Gorleben.“

In der ersten Teilbetriebsgenehmigung des Atomkraftwerks Brokdorf von 1985 steht der Satz:

„Das Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel ist für die Endlagerung von radioaktiven Abfallstoffen vorgesehen. Im Einvernehmen zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung in Niedersachsen soll dieses Bergwerk jedoch in erster Linie als Versuchsanlage für Gorleben dienen.“

Entsorgung: Die schöne Illusion
Im Jahr 1977 hat die Bundesregierung im Einvernehmen mit der Mehrheit der Länder „Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke“ (Entsorgungsgrundsätze) aufgestellt, um den bundeseinheitlichen Vollzug des § 9a Abs 1 AtG [5] sicherzustellen und um den Antragstellern und Genehmigungsbehörden von Kernkraftwerken die schon im Rahmen der Genehmigungsverfahren herbeizuführenden Konkretisierungen einer Entsorgungsvorsorge zu verdeutlichen.[6]

  • Die Anlagenbetreiber müssen jährlich die Entsorgung detailliert nachweisen und Veränderungen des Entsorgungskonzepts unverzüglich melden.
  • Bei Wegfall der Voraussetzungen der Entsorgungsvorsorge kann die Betriebsgenehmigung für laufende Kernkraftwerke nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 bzw. Abs. 5 AtG widerrufen werden.
  • Der Betreiber eines Atomkraftwerkes ist nach dem Verursacherprinzip verpflichtet, bestrahlte Brennelemente und sonstige radioaktive Abfälle „schadlos zu verwerten oder als radioaktive Abfälle geordnet zu beseitigen“.

Der ehemalige Abteilungsleiter der niedersächsischen Atomaufsicht im Umweltministerium, Horst zur Horst, stellte fest, dass die Entsorgung und der Fortschritt bei der Forschung in der Asse ein Bestandteil des Entsorgungsvorsorgenachweises der laufenden Atomkraftwerke war: Dies hatte

„unmittelbar erhebliche Konsequenzen für die Frage der Entsorgung der Kernkraftwerke. Es folgte nach den Verhandlungen über die Asse zwischen Bund und Land die Frage, wie sich für die atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der Länder für die Kernkraftwerke die Genehmigungszulassung darstellt; dies sind die berühmten Entsorgungsvorsorge-Grundsätze, die dann zwischen Ländern und Bund beraten wurden.“[7]

Weiter führte zur Horst aus:

„Asse war Forschungsbergwerk und war natürlich wichtiger Bestandteil in der Forschung und Entwicklung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle im Salz. Asse war nicht nur in der Bundesrepublik – Niedersachsen selbstredend nicht nur -, sondern in der ganzen Welt eigentlich das Forschungszentrum, was für die Endlagerung im Salz die entsprechenden Forschungstätigkeiten durchführte“.

„Die Entsorgungsvorsorge wurde [darüber hinaus] durch die Aufarbeitungsverträge mit Großbritannien und Frankreich, durch die Brennelementezwischenlager in Gorleben und Ahaus sowie durch die positive Einschätzung der direkten Endlagerung und die bestätigte Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben als gesichert angesehen“,

schreibt ein intimer Kenner, ehemaliger Mitarbeiter der Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft (KEWA), der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) und des Kernforschungszentrums Karlsruhe (KfK) im Jahr 2003.[8]

Hoffnung auf Eignung
Unterschiedliche Quellen belegen: Die Asse war das Versuchsbergwerk für ein Endlager im Salzstock von Gorleben. Die „Hoffnung auf Eignung“, für die der bergmännische Begriff „Eignungshöffigkeit“ steht, war eng verknüpft mit den Fortschritten bei den Forschungsarbeiten in der Asse und dem Nachweis der Eignung von Salz als Endlagermedium. Hier fand so genannte „Gorleben-relevante Forschung“ statt.

Drei dieser „Großversuche“ galten noch bis Anfang der neunziger Jahre als unverzichtbar für die Genehmigung von Gorleben. Das war einhellige Auffassung des BMU und des BMBF. Bis Ende der achtziger Jahre vertrat die Regierung Albrecht und der Leiter der zuständigen Abteilung für nukleare Entsorgung, Horst zur Horst, ebenfalls diese Auffassung.[9] Zu den Versuchen gehörten insbesondere

  1. der Radiolyseversuch mit hochradioaktivem Abfall aus den USA,
  2. der Versuch mit Hochtemperaturreaktor-Brennelementen [10] und
  3. der Dammbauversuch.

Unverzichtbare Großversuche: Strahlenschäden durch HAW

Mai 6, 2010

Der Versuch mit hochradioaktiven Strahlenquellen in der Asse war laut Atomaufsicht des Landes Niedersachsen für die Genehmigung von Gorleben unverzichtbar.[11] Diese Anforderung an ein Genehmigungsverfahren wurden auch von der RSK und SSK der Bundesregierung erhoben, um die Wirkung von radioaktiver Strahlung auf Salz beurteilen zu können. Der Versuch wurde von der GSF und dem BMBF vorbereitet. Er wurde von Organisationen aus Frankreich, Holland, Spanien, den USA und von der EU finanziell unterstützt.[12] In Hanford, der Atomwaffenschmiede der USA, wurden Glaskokillen mit hochradioaktivem Müll (High Active Waste: HAW) für die Durchführung des Versuchs bestellt.

Im Jahr 1989 berichtete der Spiegel, dass der Gorleben-relevante HAW-Versuch in der Asse 60 Mio. DM kosten solle. Ziel sei u.a. die Wirkung der Radiolyse und der Strahlenschäden im Steinsalz zu prüfen, die zur Auflösung der Salzkristallgitter von Natrium und Chlorid führen könnten und zu Rückreaktionen mit Temperaturen bis 5000 Grad Celsius.[13] Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofes sollte die radiolytische Wirkung der Gammastrahlung und die thermische und radiolytische Freisetzung von Wasser und Gas im Steinsalz untersucht werden.

USA mit dem Salz am Ende
Aus niederländischen Laboren kam Ende der achtziger Jahre ebenfalls die Nachricht, dass sich Salz bei Strahlenbelastung in Chlorgas und Natrium zerlegen kann – ein Metall, das sehr heftig mit Wasser und Luft reagieren kann. Aus dem Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico berichtet die Zeit [14], dass mitten im trockenen Salzstock unerwartet große Mengen an Wasser auftraten. Das hielt Prof. Kühn, der Mitglied einer International Peer Review Group für das WIPP war, für völlig unerheblich und vertrat die Auffassung, dass diese Salzlagerstätte in den USA nicht mit dem Salz in der Asse oder in Gorleben vergleichbar sei.

Der Spiegel zitierte 1989 den Geologieprofessor Roger Andersen von der Universität New Mexico, der nach den Erfahrungen im WIPP feststellte, dass die Endlagerung im Salz „out“ sei. Dort passiere „alles, was man eigentlich vermeiden will“. Prof. Klaus Kühn hielt dagegen und erklärte: „Die grundsätzliche Eignung des Lagermediums Salz ist erwiesen“.[15]

Die Transportgenehmigung für die Kokillen aus den USA verzögerte sich mittlerweile, weil die Kokillen auch Kernbrennstoffe enthielten. Anfang des Jahres 1992 wurde die Forschungspolitik des BMFT von dem Vorstandsvorsitzenden der Preußen Elektra und Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), Hermann Krämer, kritisiert. Ein zentrales Argument waren dabei die Kosten. Im selben Jahr hatte der Bundesrechnungshof die alleinige Kostenträgerschaft des Bundes für die drei Großversuche in der Asse gerügt. In der Folge schlug BMFT dem BMU am 23.10.1992 vor, die drei Versuche weiterzuführen und eine Finanzierung über die Endlager-Vorausleistungsverordnung vorzusehen. Nach der Verordnung zu § 21b AtG wären die EVU damit kostenpflichtig heranzuziehen.

Dazu kam es jedoch nicht. Stattdessen wurden die Großversuche, darunter der HAW-Versuch, im Dezember 1992 abgebrochen. Der eigentliche Grund für den Abbruch bleibt jedoch unklar. Die Finanzierung war höchstwahrscheinlich nur ein Aspekt für diese Entscheidung. Referatsleiter Besenecker, vom niedersächsischen Umweltministerium (NMU) schreibt in einem Vermerk [16], dass er am 3.12.1992 von Prof. Kühn telefonisch die Mitteilung erhalten habe, dass der HAW-Versuch eingestellt wird. Der Sprechzettel für den Staatssekretär vom 10.11.1992 stellt noch fest:

„Im Rahmen eines im Mai 1992 eingerichteten Diskussionskreises BMFT/BMU – VDEW/EVU [17] brachte der BMU eindeutig zum Ausdruck, dass die drei Großversuche für notwendig erachtet werden.“

Weiter heißt es, dass die RSK diese Versuche „am 17.6.1992 ebenfalls für notwendig bewertet hat.“
Allein für den HAW-Versuch fielen trotz Abbruch des Versuchs mehr als 200 Mio. DM Kosten an. Weitere ca. 150 Mio. DM für die beiden anderen Versuche. Offizielle Begründung lautet, dass sich die zuständigen Ministerien nicht über die Restfinanzierung für die „Großversuche“ einigen konnten.

Angeblich aus dem gleichen Grund wird das Institut für Tieflagerung von Prof. Dr. Klaus Kühn 1995 aufgespalten und deutlich verkleinert.

Die Versuche werden ersatzweise mit Wärme-Simulatoren durchgeführt. Der zunächst für Gorleben unverzichtbare Radiolyseversuch wird in der Asse nicht durchgeführt. Auch an anderen Orten wird der Versuch angeblich nicht durchgeführt. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der GSF behauptet allerdings, entsprechende Versuche seien zusammen mit Russland erfolgt.[18] Andere leitende GSF-Mitarbeiter dementieren dies. [19] Der ehemalige Projektkoordinator für den HAW-Versuch schliesst es nicht definitiv aus. [20]


Radiolyse: „Explosive Rückreaktionen“
Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) der Bundesregierung hat sich in den Jahren 2003 und 2004 dreimal mit Strahlenschäden im Steinsalz und den Grenzwerten für explosionsartige Rückreaktionen befasst. Grundlage war eine Literaturstudie der GRS von Jörg Mönig. In dem RSK-Bericht heißt es:

„Explosionsartige Rückreaktionen stellten sich in Experimenten mit hohen Dosisleistungen von ca. 1 Mio. Gy/h erst ab einem Gehalt an kolloidalem Natrium von 7,5 mol% ein. Ein entsprechender Schwellenwert für geringe Dosisleistung ist bisher nicht ermittelt worden.“[21]

Der Bericht der Reaktorsicherheitskommission (RSK) zeigt, dass es hier noch erhebliche Lücken in der Erforschung dieser Phänomene gibt. Um die Bedingungen in einem Endlager für hochradioaktive Abfälle beurteilen zu können, reichen die bekannten Studien nicht aus. Das bestätigt auch der ehemalige Projektkoordinator für die HAW-Versuche in der Asse. [22] Dennoch kommt der Autor der RSK-Studie, ebenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter von Prof. Klaus Kühn am Institut für Tieflagerung der GSF, und die RSK zu dem Schluss, dass die Eignung von Steinsalz als Endlagermedium „nicht in Frage“ stehe.


Umgestaltungen

Mai 6, 2010


Der Rückbau des Instituts für Tieflagerung
Am 20.10.1993 stellt der BMFT intern seine neue Planung für die Asse vor:

  • Umwandlung des IfT in ein Institut auf Zeit,
  • Projektfinanzierung statt institutioneller Förderung,
  • Institutsbeirat für FuE-Programm,
  • möglichst baldige Verfüllung,
  • Verwendung auch von Abfall zur Verfüllung und
  • Beschluss dieses Konzepts im Aufsichtsrat der GSF am 7.12.1993.

BMFT teilt mit, dass die Verfüllung der Südflanke aus Sicherheitsgründen von den Bergbehörden angeordnet worden sei.[23]

  • BMWi fürchtet „Auswirkung der Diskussion um Asse-Schliessung auf die Arbeiten in Gorleben und damit auf den Betrieb der laufenden Kernkraftwerke“.
  • Strittig ist der rechtliche Status der Asse-Schließung: Die Frage, ob die Schließung nach Bergrecht oder Atomrecht erfolgen soll.

Der Beschluss dieses neuen Konzeptes erfolgt jedoch nicht.

Gefahr für laufende Atomkraftwerke
Am 9.5.1994 kommen BMFT, BMU, BMWi und BKA [24] zu einem erneuten Ressortgespräch [25] über die Zukunft der Betreibergesellschaft GSF, des Instituts für Tieflagerung und der Schachtanlage Asse zusammen. Als Gründe für die Notwendigkeit der Umgestaltung werden die Kritik der EVUs an der Forschungspolitik des Ministers Riesenhuber, ein Bundesrechnungshofgutachten und die Einstellung der Großversuche genannt.

  • Lübbert und Komorowski für BMFT wollen die GSF aus der Grundfinanzierung entlassen, Mittel streichen und Teile über Projektmittel finanzieren.
  • Hohlefelder für BMU und Siepmann für BMWi sträuben sich und fordern, im Aufsichtsrat der GSF noch keine Entscheidung zu treffen.
  • BMU ist auf Ministerebene (Töpfer) festgelegt und will den Status Quo erhalten. Zudem wird geltend gemacht, dass der Eindruck entstehen könne, die Bundesregierung wolle sich von der Endlagerung im Salz verabschieden. Das habe Folgen für den Entsorgungsvorsorgenachweis der laufenden Atomkraftwerke. Die Entscheidung berühre die Frage der Stabilisierung bzw. Destabilisierung der Kernenergie.
  • Heidborn stützt für das Bundeskanzleramt (BK) die Position von BMU und BMWi.

Stabilität in Gefahr

Mai 6, 2010

Gefürchtet wird von BMU eine Debatte über eine Stilllegung nach Atomrecht. Um die Debatte „politisch und gerichtlich“ durchzustehen, seien noch Gutachten von „unangreifbaren“ Experten erforderlich.

Während BMFT und BMU die Modalitäten der Schließung und Stilllegung der Asse beraten, entwickelt sich die Stabilität des Bergwerks immer prekärer.

  • Im Jahr 1974 hatten Kühn [26] und andere behauptet, dass die Konvergenz im Bergwerk abnehme, d.h. dass sich die Standsicherheit verbessere.
  • Schon bei einer Besprechung [27] im Jahr 1977 beim Oberbergamt stellte sich diese Einschätzung als falsch heraus. Seit dem Jahr 1966 sei die „Verformung  des oben genannten Pfeilers [und anderer Pfeiler] nahezu linear“. Anzeichen für eine Verringerung der Einengungsgeschwindigkeit gebe es nicht. Im Vermerk wird festgehalten, dass „Überlegungen anzustellen sind ob und ggfls. welche bergtechnischen Gegenmaßnahmen (Versetzen von Abbaukammern) möglich sind.“ Für eine Kammer sei das „vom Bergamt geforderte Verfüllungskonzept schnellstmöglich zur Betriebsplanreife zu entwickeln“.

Spätestens seit dem Vorliegen des ersten gebirgsmechanischen Gutachtens zur Stabilität der Abbaue der Schachtanlage Asse im Jahr 1979 war klar, dass die Südflanke verfüllt werden muss.[28] Die BGR [29] sah zwar keine akute Gefahr für die Standsicherheit und hielt eine Standsicherheit für 10 Jahre für gegeben, fordert aber eine Verfüllung der Südflanke, um die Stabilität des Gebirges entscheidend zu verbessern.[30]

Ignorierter Weckruf
In diesem Jahr (1979) erscheint zudem die Studie von Hans-Helge Jürgens [31], der die Gefahr eines Wassereinbruchs über die Südflanke thematisiert, das Carnallit-Problem verdeutlicht und die Gefahr eines Tagesbruchs beschreibt. In Jürgens Studie werden genau die Probleme und Szenarien beschrieben, die auch in dem nichtöffentlichen BGR-Gutachten thematisiert werden. In der Öffentlichkeit sieht sich der Kritiker Repressalien und Beschimpfungen ausgesetzt. Die Studie von Jürgens ist am 27.08.1980 auch Thema einer Beratung in der Reaktorsicherheitskommission (RSK).

Mit einem kleineren Teil der Verfüllung wird 1980 begonnen, um das abgebaute Salz aus dem Tiefenaufschluss zu verwerten.

  • Eine erste Fortschreibung des BGR-Gutachtens von 1984 bekräftigt die Notwendigkeit der Stabilisierung. Seit 1985 kommt es zu verstärkten Deformationen im Bereich der Südflanke. Im Jahr 1988 begann der Laugenzufluss, der bis heute anhält.
  • Im Jahr 1989 drängt das Oberbergamt die Verfüllung „möglichst bald“ zu beginnen.
  • Im Jahr 1991 fordert das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld die Fortsetzung der Verfüllung ohne Verzögerung.
  • Im Jahr 1992 weist das Bergamt Goslar darauf hin, dass die Verfüllung nicht verzögert „werden sollte“.
  • Im Jahr 1993 stellt die zweite Fortschreibung des BGR-Gutachtens fest, dass mit der Verfüllung unverzüglich zu beginnen ist.
  • Trotzdem kommen die Entscheidungen zur Verfüllung nur schleppend voran. Nach Ausschreibung des Materialeinkaufs wird erneut ein Gutachten in Auftrag gegeben.

Kühne Abwehrmaßnahmen
Im März 1994 besprechen Prof. Kühn und der Aufsichtsratsvorsitzende der GSF, Dr. Knut Bauer (BMFT), Wege zur Abwendung der Kürzungen im Haushalt der GSF. Dabei wird offenbar über Möglichkeiten zur Verschiebung der Entscheidung zu Schließung und Verfüllung hinter die Bundestagswahl vom 16.10.1994 beraten. Günstig erscheint ihnen dabei, dass der Haushaltsentwurf 1995 erst nach der Wahl öffentlich vorgelegt werden soll.[32]

Am 9.5.1994 hält BMU-Abteilungsleiter Hohlefelder für Minister Töpfer und BMU „die Frage der Asse-Schließung von der Sache her für noch nicht entscheidungsreif“. Er fordert ein Gesamtkonzept zu Schließung, Finanzierung und Entsorgungsnachweis. BMFT stimmt einer weiteren Verschiebung der Entscheidung im Aufsichtsrat der GSF zu.[33] BMWi empfiehlt die Verfüllung der Südflanke ganz aussetzen.


Ohne Entsorgungsnachweis keine Betriebsgenehmigung

Mai 6, 2010

Offen bleibt, welche Finanzierungsanteile für die anlagenbezogene Forschung in der Asse die Stromkonzerne als Verursacher des Atommülls hätten übernehmen müssen.

  • Nach der Endlager-Vorausleistungsverordnung und nach Auffassung des Bundesrechnungshofes waren wesentliche Teile der Asse-Forschung vorausleistungspflichtig.
  • Spätestens nach Vorlage des Rechnungshofberichtes hätten Kostenbescheide erstellt werden müssen.
  • Bundeskanzleramt, Bundesforschungsministerium und Bundesumweltministerium war die Rechtslage zur Vorausleistungspflichtigkeit der EVUs klar,
  • die Gelder wurden jedoch nicht eingefordert.

Am 13.5.1994 entscheidet Staatssekretär Ziller (BMFT), dass zur Asse ein zusätzliches Rechtsgutachten eingeholt werde. Die Entscheidung zur Schließung wurde erneut verschoben, da das Bundeskanzleramt vor den Wahlen auf Konsens zwischen den Ressorts bestand.[34] „Ich sehe nicht, wie dieser erreicht werden kann“, schreibt der Abteilungsleiter Lübbert. Am 27.5.1994 teilt BMU mit, dass man ebenfalls ein Gutachten zur rechtlichen Lage beauftragen wolle.


Ungeeignete Verfüllung

Mai 6, 2010

Auftrag für Rüttgers und Merkel
Damit war absehbar, dass die Entscheidung in dieser Wahlperiode nicht mehr fallen konnte. Auch eine Verschiebung der Aufsichtsratssitzung auf September 1994 wurde verworfen. Mithin lag die Entscheidung nunmehr beim neuen Kabinett und damit bei Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers und Bundesumweltministerin Angela Merkel.

Die HAZ zitiert später Referatsleiter Besenecker (NMU) mit den Worten

„bereits im August 1995 habe man mit der Verfüllung begonnen“.

Ganz offenbar hatte man allein seit der Warnung durch das BGR-Gutachten 16 Jahre (!) verstreichen lassen. In dieser Zeit ist die Standsicherheit des Bergwerks immer prekärer geworden. Zudem trat seit 1988 der Laugenzufluss auf, der sich nicht mehr stoppen ließ, den man aber bis zum 6.11.1998 [35] vertuschte, weil man weit reichende Folgen für das Endlagerkonzept in Salz, für das geplante Projekt in Gorleben und für den Entsorgungsvorsorgenachweis der Atomkraftwerke fürchtete. Spätestens 1995 war durch die Arbeit von Herbert [36] klar, dass dieser Laugenzufluss aus dem Deckgebirge und damit von außen liegenden Grundwasser führenden Schichten kam.

Billige Verfüllung
Schließlich haben BMFT, BMU, GSF und Bergbehörde auch beim Material zur Verfüllung der Südflanke eine krasse Fehlentscheidung getroffen, obwohl es schon 1964 einen Hinweis des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung und 1979 ein Gutachten der BGR gab, das einen festen Versatz zur Stabilisierung der Südflanke für erforderlich hielt. Im Jahr 1991 stellte die Bergbehörde zudem fest, dass die nach § 7.3 der Allgemeinen Bergverordnung geforderte Flutung der Grube wegen der radioaktiven Abfälle nicht erfolgen darf. Zur Verfüllung müssten „trockene Feststoffe“ eingesetzt werden, um die Bildung „großer Hohlräume“ durch Auflösung des Carnallits zu vermeiden.[37]

  • Durch die Verwendung  des Abraumsalzes von der Grube Ronnenberg wird erst nach Jahrzehnten der Konvergenz eine Stützwirkung des Grubengebäudes erreicht. Damit wurde allerdings das Ziel der Maßnahmen zur Verbesserung der kurzfristigen Standsicherheit der Grube völlig konterkariert. Das Material von der Grube Ronnenberg war mit Kosten von 100,- DM zwar ziemlich teuer, wegen der niedrigeren Transportkosten aber trotzdem billiger als ein schwerer Versatz. Für den verfolgten Zweck war es nicht geeignet.
  • Erst seit dem Betreiberwechsel auf das BfS im Jahr 2009 wurde mit der Firstspaltverfüllung begonnen, die den Kraftschluss beschleunigen soll.

Kurz vor Ende der Wahlperiode wurde zwischen den Staatssekretären Stroetmann (BMU) und Ziller (BMFT) vereinbart das Thema „Asse Schließung“ ggfls. in die Konsensgespräche mit der Industrie einzubringen, die am 16.3.1995 beginnen sollten.


Wende zum Bergrecht

Mai 6, 2010

Zwischenzeitlich lagen jedoch Rechtsgutachten von Kühne und Haedrich vor, die eine Schließung der Asse nach Bergrecht absichern sollten, obwohl noch immer ein Antrag des Bundes auf atomrechtliche Planfeststellung vom 28.8.1979 vorlag, der allerdings seit 1981 „ruhte“ [38].

Die niedersächsischen Landesregierungen hatten seit der AtG-Novelle von 1976 die Auffassung vertreten, dass für weitere Einlagerungen in der Asse ein Planfeststellungsverfahren erforderlich sei. Wenn für weitere Einlagerungen Atomrecht zwingend anzuwenden war, mussten alle Beteiligten davon ausgehen, dass das Atomrecht auch für den Fall der Stilllegung anzuwenden war. Auch die im Jahr 1990 gewählte rot-grüne Landesregierung vertrat offenbar die Auffassung, dass für die endgültige Stilllegung und Schließung der Anlage ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren gefordert sei [39], genehmigte die Verfüllung der Südflanke aber nach Bergrecht. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vertrat offenbar eine ähnliche Einschätzung, wie aus einem Vermerk von Kühn hervorgeht.“ [40]

Mit den neuen Rechtsgutachten haben Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers und Bundesumweltministerin Angela Merkel die Wende zum Bergrecht eingeleitet. Die Verfüllung der Südflanke wurde zunächst von dem Gesamtkonzept zur Schließung und Stilllegung der Asse abgetrennt, „um nicht ein negatives Signal für die weitere Erkundung des Salzstockes Gorleben zu setzen“.[41] Auch zum Ende des Jahres 1995 lag noch immer kein Beschluss im Aufsichtsrat der GSF vor, BMU und BMFT waren sich aber einig, dass die Schließung nach Bergrecht erfolgen soll. Ein Schließungskonzept des Betreibers GSF lag noch nicht vor. Es sollte noch erarbeitet werden. Dabei sollte auch die Beherrschung der starken Laugenzuflüsse beachtet werden. BMFT wollte auf den Aufsichtsratsbeschluss verzichten, wenn BMU der Übertragung der Zuständigkeit für die Asse auf die DBE zustimmt. Dieser Punkt blieb strittig, weil BMU fürchtete dass in Folge der Übertragung der Eindruck entstehen könne, dass es sich bei der Asse doch um ein Bundesendlager nach § 9a AtG handeln könnte.


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