MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 04. Dezember 2021 #252

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 04. Dezember 2021

Wann kommt die Corona-Schluckimpfung?  Gibt es überhaupt schon ein Isolat des

Coronavirus?  Wieso sind wir bei der Medikamentengabe

gegen Corona so zurückhaltend?  Kann der mRNA-Impfstoff im Blutkreislauf

zum Tod führen?  Ergibt eine Booster-Impfung für einen 45-

Jährigen nach schon fünf Monaten Sinn?  Wäre es möglich, eine ansteckendere, aber

kaum krankmachende Virusvariante zu entwickeln, damit der Pandemie der Schrecken genommen werden kann?

Camillo Schumann

Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:49

Camillo Schumann

Diese Hörerin hat angerufen und folgende Frage:

„Da wir ja wissen, dass das Coronavirus über die Schleimhäute in den Körper eindringt, die Frage: Wie weit oder wo steht denn aktuell die Entwicklung der Impfstoffe, die oral aufgenommen werden können?“

Alexander Kekulé

Ja, da geht es letztlich nicht um einen Schluckimpfstoff, sondern um Impfstoffe, die als Spray inhaliert werden, damit die auf den Schleimhäuten der Atemwege landen. Das ist in der Forschung im Moment in der Pipeline. Anders kann man es nicht sagen. Es gibt keine Zulassung, die beantragt wurde. Es gibt mehrere Hersteller, die daran arbeiten. Und das ist natürlich eine Hoffnung, die man hat. Erstens, weil es leichter zu verabreichen ist. Und zweitens, weil gerade mit Covid eigentlich unser Verständnis vom Immunsystem sich insoweit erweitert, dass wir immer deutlicher sehen, dass eigentlich eine Immunität der Atemwege fast ein bisschen unabhängig existiert von der Immunität, die wir im Blut haben. Und das wäre natürlich zielgerichteter, uns in den Atemwegen immun zu machen gegen diese Viren, weil dort die Viren ja typischerweise als erstes ankommen. Leider, also, ich würde mal so grob sagen: Im nächsten Jahr können wir nicht darauf hoffen. Früher oder später wird es solche Impfstoffe geben. Bei Influenza gibt es sowas ja schon. Und ich bin ziemlich sicher, dass das bei Covid dann langfristig gesehen eine Option sein wird.

02:15

Camillo Schumann

Und wie sieht es mit dem Thema Schluckimpfung aus? Gibt es ja schon gegen bestimmte Infektionskrankheiten: Rotaviren, Cholera oder so. Wird da überhaupt dran geforscht?

Alexander Kekulé

Naja, eine echte Schluckimpfung – man muss nochmal unterscheiden. Also, wenn Sie jetzt Rotaviren ansprechen, oder Polio war früher auch mal – also, die Kinderlähmung – war eine Schluckimpfung. Das sind ja Viren, die typischerweise über den Magen-Darm-Trakt dann auch aufgenommen werden. Die Rotaviren machen ja Durchfall bei Kindern. Und das passt dann eigentlich ins Bild, dass man am besten optimal dort impft, wo das Virus normalerweise seinen Schaden anrichtet. Bei denen, die Magen-Darm-Entzündungen machen oder dort aufgenommen werden, impft man durch eine Schluckimpfung, wenn das geht. Und bei Viren, die eben in den Atemwegen was kaputt machen, da ist es dann sinnvoll, die Schleimhäute der Atemwege zu schützen, indem man dort

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gezielt immunisiert, weil dann einfach die lokale, die örtliche Antwort stärker ist. Also, das Immunsystem hat sowas, dass sich das merkt, wo es einen Erreger zum ersten Mal gesehen hat, wenn ich mal so sagen darf. Und wenn das Immunsystem darauf trainiert ist, dass so ein Erreger typischerweise auf den Atemwegen zum ersten Mal erscheint, dann kann das dann auch, wenn ähnliche Erreger wiederkommen oder der gleiche wiederkommt, kann das gezielt da in den Atemwegen reagieren.

03:37

Camillo Schumann

Wir haben eine Mail bekommen vom A. Er hat ein Video mitgeschickt. In dem Video ist Dr. Wodarg zu sehen. Er ist SPD-Politiker und Arzt, der ja in Corona-kritischen Kreisen sehr oft geteilt wird. Und er hat in diesem Video etwas gesagt, das unser Hörer gerne eingeordnet bekommen würde. Herr Wodarg kritisiert, dass beim Impfen nicht mehr aspiriert wird und so die Gefahr besteht, dass der Impfstoff versehentlich intravenös gegeben wird – mit weitreichenden Folgen:

„Wenn die in die Vene gehen, dann lässt sich sehr schön erklären, sehr deutlich erklären, dass diese mRNA oder die Nanopartikel, dass die mit dem venösen Blut in das rechte Herz, in den rechten Vorhof gehen. Im rechten Herzvorhof, da ist der Sinusknoten, da ist der Schrittmacher für unser Herz. Und wenn da diese Nanopartikel dann in die Zellen hineingehen, der Herzinnenwand, dann kann es zu Entzündungen und Schäden kommen. Und dann wird dort ein immunologischer Prozess stattfinden, denn diese Spike-Proteine werden dann da gebildet. Und dann kommt das Immunsystem und zerstört diese Zellen. Und dann kann das HerzReizleitungssystem in kurzer Zeit sehr stark verändert werden. Das geht ziemlich schnell. Und dann kriegt man Herzrhythmusstörungen und dann fällt man tot vom Fahrrad.“

Alexander Kekulé

Oh weh, jetzt habe ich aber Angst gekriegt. Ganz ehrlich gesagt: Das ist wie meistens bei so Verschwörungstheorien. Da ist immer so ein Fünkchen Wahrheit mit drin, was dann so verdreht ist und so überhöht eigentlich ist, dass es dann eben leider nicht mehr stimmt. Also, das eine ist: Ja, das ist ja eine der Theorien, wie

Nebenwirkungen entstehen können, dass möglicherweise diese Lipid-Nanopartikels, in denen diese kleinen Fettbläschen, in denen die RNA drin ist, nicht nur an der Stelle, wo man sie injiziert, bleiben, sondern irgendwo anders im Körper anfangen, in die Zellen einzudringen. Und diese Zellen produzieren dann Spike-Proteine. Das war ja von Anfang an eine der Gefahren, die man gesehen hat bei diesen Impfstoffen. Ich habe ja vor über einem Jahr ein Buch darüber geschrieben, wo ich diese eine Möglichkeit relativ ausführlich schon beschrieben hatte. Diese Befürchtung hatten viele Leute vorher, dass man gesagt hat: Auweia, mal gucken, was das Immunsystem dann sagt, wenn jetzt so eine Leberzelle z.B. anfängt, Spike-Proteine zu produzieren. Oder eben eine Herzmuskelzelle. Es ist nur so: Wenn das ein häufiges Phänomen wäre, dann hätten wir ganz, ganz oft akute immunologische Reaktionen. Weil: Das wäre ja nicht nur bei einem von Zehntausenden. Sondern: Das wäre ja dann ein generelles Problem. Das heißt also: Das ist offensichtlich eine unbegründete Befürchtung gewesen, die theoretisch annehmbar war. Aber – nachdem wir jetzt Milliarden Geimpfte haben – sich halt einfach nicht bewahrheitet hat. Und darum finde ich es immer ein bisschen problematisch, wenn er da immer wieder drauf rumreitet. Jetzt sagt er konkret, das seien Nanopartikel. Ja, also diese Lipid-Nanopartikels sind in der Tat im Nanometerbereich – also, zehn hoch minus neun Meter Bereich. Trotzdem muss man nochmal vorsichtig sein: Bloß, weil die so heißen, hat das jetzt nichts damit zu tun, wie bei Michael Crichton diese Welt von den Nanorobotern, die uns irgendwie befällt und die in uns implantiert werden – Sie wissen, da gibt es einen Roman, der das als Dystopie quasi beschreibt. So ist es hier nicht. Sondern: Das sind einfach nur winzige Fetttröpfchen. Die haben diese Größenordnung von Nanometern und darum ist es nicht ganz falsch, von Nanopartikels zu sprechen. Aber: Es ist natürlich so ein bisschen angstmachend. Dann: Ja, es kann schon sein, dass der Herzmuskel irgendwie auf die eine oder andere Weise immunologisch attackiert wird. Das ist ja wahrscheinlich bei denen, die diese Herzmuskelentzündungen haben, der zugrundeliegende Mechanismus. Das hat aber nichts zu tun mit dem Sinusknoten. Also, dieser Schrittmacher,

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der da im Herzmuskel ist, das ist der sog. Sinusknoten. Der sitzt da im Vorhof tatsächlich, wie er das richtig beschrieben hat. Der ist aber keineswegs insbesondere befallen bei den Leuten, die dann eine Myokarditis haben. Sondern: Das ist eine allgemeine Herzmuskelentzündung, die diffus im ganzen Muskel ist und die eben gerade nicht dieses Nervengewebe betrifft. Weil: Der Sinusknoten ist ja keine Muskulatur, sondern ist eine Nervenstruktur, die im Herzen drin ist. Das heißt also: Diese Assoziation, die er da macht, dass er sagt: Das kann dann quasi den Rhythmusgeber des Herzens direkt befallen, ausschalten und dann fällt man tot vom Fahrrad. Das ist natürlich Unsinn. Sondern: Bei einer Herzmuskelentzündung hat man eine Leistungsschwäche, die man manchmal bemerkt, manchmal nicht. Aber die, die aufpassen, merken halt, dass sie nicht mehr so gut die Treppen raufkommen, kurzatmiger werden. Manche haben sogar Schmerzen. Und das ist eben ein Zeichen, dass der Muskel insgesamt entzündet ist. Also, das nur nochmal zur Richtigstellung. Aber jetzt gehe ich noch eins weiter: Wenn es so wäre, wie Herr Wodarg sagt, dass tatsächlich durch diese Aspiration, die man unterlässt – klar, ich bin auch oldschool und habe mich, glaube ich, hier schon mal blamiert, dass ich gar nicht wusste, dass man das nicht mehr macht mit der Aspiration, ganz am Anfang dieser Pandemie. Dass man die jetzt weglässt, sagt er, und dann könnte man das aus Versehen in die Vene injizieren. Also, er will jetzt quasi eine extrem seltene Nebenwirkung dadurch erklären. Die würde ja dann noch seltener werden, wenn man jetzt jedes Mal aspirieren würde. Da kann man sagen: Ja, grundsätzlich – falls es diesen mechanistischen Zusammenhang geben sollte – wäre das ein guter Vorschlag, etwas, was jetzt in einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 50.000 oder so auftritt, dann noch seltener zu machen. Alle, die sich mit so Medikamentenzulassung beschäftigen, haben halt gesagt: Die Nebenwirkung ist so selten und verläuft normalerweise gutartig, dass wir die so, wie sie ist, in Kauf nehmen. Wenn Herr Wodarg einen Vorschlag hat, sie noch seltener zu machen, finde ich, sollten wir dem grundsätzlich mal nachgehen. Aber: Das ist jetzt nichts, weswegen man davor warnen sollte. Nicht jeder, der ein Brecheisen in der Hand hat, hat die Absicht, in ein Haus

einzubrechen. Und deshalb muss man nicht vor allen Leuten warnen, die ein Brecheisen in der Hand haben. Und hier ist es eben so: Das Ereignis ist extrem selten im Verhältnis zu der Tatsache, dass – natürlich, sage ich mal, klar, wenn man das intravenös injizieren würde, also richtig in die Vene spritzen würde, dann würde es wahrscheinlich häufiger Nebenwirkungen geben. Das ist theoretisch schon ableitbar.

10:05

Camillo Schumann

Aber dadurch, dass die Aspiration ja nicht mehr empfohlen wird, hat man doch überhaupt keine Basis, so eine Aussage treffen zu können, weil man ja nicht weiß, ob man es dann tatsächlich getroffen hat oder nicht.

Alexander Kekulé

Ja, also, es gibt Studien, da beruft er sich in dem Video – ich habe mir das natürlich angeschaut – ja auch drauf und sagt: Man weiß, dass mit einer gewissen Frequenz man da auch mal eine kleine Vene erwischt. Ich weiß nicht mehr genau, wir hatten das tatsächlich mal rausgesucht für diesen Podcast: War es 1 zu 200 oder 1 zu 400? In der Größenordnung erwischt man dann ausnahmsweise mal eine Vene. Und die Frage ist dann immer: Wie viel von dem Zeug wird überhaupt dann über dieses venöse System aufgenommen? Und wo landet das? Wird das nicht möglicherweise dann auch ruckzuck eliminiert? Da kann ich für die, die vor so etwas Angst haben, vielleicht nochmal auf die Tierexperimente verweisen. Als man diese Impfstoffe geprüft hat, hat man natürlich diese Nanopartikel mit der RNA drin bei den Tieren in den Tierversuchen auch mal direkt in die Vene gespritzt. Das Experiment wurde natürlich gemacht. Also, die Tiere sind nicht tot umgefallen. Also, vom Fahrrad sowieso nicht. Also, es war nicht tödlich, das intravenös zu injizieren und hat auch nicht irgendwie zu ganz brutalen Nebenwirkungen geführt. Ich weiß jetzt nicht mehr, was es genau war. Aber es war halt dann so, dass die Reaktogenität natürlich heraufgesetzt war. Da haben sie dann eher mal ein Fieberschub o.Ä. Das heißt, wenn man jetzt wüsste – das gibt's ja bei manchen Medikamenten – dass man das auf gar keinen Fall in die Vene spritzen darf, dann

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würde man andere Vorsichtsmaßnahmen treffen.

11:43

Camillo Schumann

Die STIKO, um das abschließend noch dazuzusagen, schreibt auf ihrer Seite dazu:

„Die Blutgefäße an den Körperstellen, die für die Injektion von Impfstoffen empfohlen sind und in Reichweite der Nadel liegen, sind zu klein, um eine versehentliche intravenöse Gabe zu ermöglichen. Berichte über Verletzungen von Patienten aufgrund unterlassener Aspirationen gibt es nicht.“

Das ist von dieser Seite auch noch dazu zu sagen. Kommen wir zur nächsten Frage. Frau L. aus Hamburg hat angerufen. Sie treibt folgende Frage um:

„Ich habe gehört, dass es noch gar kein Isolat von dem Virus gibt, von dem Coronavirus. Und ich wollte fragen, ob das überhaupt stimmt? Denn: Sonst könnte man doch gar keine Impfungen herstellen? Ich bin ja ein Laie, aber man hört eben doch von Ärzten auch, dass es kein Isolat gibt. Stimmt das, oder nicht? Das ist also meine Frage.“

Alexander Kekulé

Da gibt es zwei Dinge, die da wichtig sind. Das eine: Ja, ein Isolat gibt es natürlich. Und zwar massenweise. Wir sprechen immer dann von einem Virus-Isolat, wenn man von einem Patienten dann typischerweise aus dem Blut ein Virus isoliert hat. Eben quasi in Reinform sozusagen im Labor zur Verfügung hat. Wenn solche Isolate dann charakterisiert sind und die Gensequenz dieser Isolate irgendwo eingetragen ist, dann spricht man typischerweise von einem Stamm. Und wenn dieser Stamm sich dann durchsetzt und bestimmte Eigenschaften hat – entweder, was die Infektiosität betrifft oder was irgendwelche immunologischen Eigenschaften betrifft – dann spricht man von einer Variante. Also, sozusagen Isolat, Stamm, Variante ist irgendwo das Gleiche. Nur: Hängt damit zusammen, wie genau die Sache charakterisiert ist. Man hat natürlich Isolate. Die Hörerin hat das völlig richtig gesagt. Man könnte das ja sonst gar nicht charakterisieren und keine Impfstoffe dagegen machen.

Das zweite, was aber in dem Zusammenhang natürlich interessant ist – und das, glaube ich, ist eine Sache, die wird ein bisschen unterschätzt. Also, es gibt auch viele Ärzte, die Dinge glauben, die nicht ganz so richtig sind und die vielleicht schlecht sich informiert haben oder die eben auch irgendwelchen Verschwörungstheorien anhängen. Ich glaube schon, dass einige Ärzte Teil dieses Netzwerks sind, was Informationen, die nicht richtig sind, zumindest aufrechterhält. Jetzt nicht gerade erfindet, aber doch aufrechterhält. Und ich glaube, man könnte viel tun, indem man für Ärzte auch nochmal sehr konsequent Fortbildungen anbietet, dass die wirklich verstehen, was überhaupt los ist, wie die Impfstoffe funktionieren. Weil: Nur, wenn die als Multiplikatoren wirklich das erklären können, dann sind am Schluss die Patienten natürlich dann auch zu gewinnen, sich impfen zu lassen. Weil: Vertrauen zum eigenen Arzt hat man natürlich eher als zu irgendwelchen Leuten vom Robert-Koch-Institut.

14:43

Camillo Schumann

Weil Sie gerade Fortbildungen angesprochen haben: Da haben wir auch einen Vorschlag bekommen von diesem Hörer, der angerufen hat. Er kapriziert sich aber auf Menschen, die sich noch nicht haben impfen lassen oder die Maske schief tragen oder falsch oder wie auch immer:

„Wie wäre es nun, wenn man alle Menschen in diesem Land zu obligatorischen, digitalen Corona-Seminaren einbestellen würde? So ähnlich, wie man junge Temposünder zwangsläufig zum Seminar einbestellt. Wäre etwas weniger gravierend als ein Impfzwang. Und in einem solchen quizähnlichen, digitalen Seminar – wer nicht kommt, muss eine Gebühr bezahlen oder wer daran nicht teilnimmt, muss eine Gebühr bezahlen. Wenn man in einem solchen Seminar Menschen also nun praktisch ganz genau unterrichtet mit Bildern etc. und Gegenfragen, wie man eine Maske wirklich dicht trägt und vor allem, was man sonst gegen Corona alles machen kann: Grundlageninformationen über Ernährung, Vitamine, Spurenelemente, Gesundheitssport, etc.“

Also, so ein Corona-Idiotentest.

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Alexander Kekulé

Lustige Idee. Das wird natürlich praktisch nicht funktionieren. Da müssen Sie ja praktisch alle einladen. Ich glaube, dass die Behörden schon mit den Temposündern überfordert sind, denen allen was beizubringen. Und bei den Temposündern ist ja die Wiederholungsfrequenz leider ziemlich hoch, trotz dieser Seminare. Ich fürchte, Sie werden da auch niemanden dazu bewegen können, sich dann impfen zu lassen. Weil: Der Mensch ist einfach so, der hört immer, was er gerne hören will. Und an den Stellen im Seminar, wo irgendwas kommt, wenn dann einer sagt, ja, was weiß ich: Vitamine zu nehmen ist gut. Dann sagen die einen: Ja, in dem Seminar habe ich gelernt, ich muss mich nicht impfen lassen, es reicht, Vitamine zu nehmen. Und so ist es immer: Die Leute hören irgendwas raus. Und bevor man denen die ganzen Kommunikationsstörungen, die da wieder entstehen – weil: Da haben Sie ja dann ganz viele Leute, die diese Seminare auch geben müssen. Da müssen sie erst mal die Seminarleiter trainieren. Also, bevor man das alles jetzt aufbläst – wir machen doch diesen Podcast. Ist das nicht inzwischen so eine Art Vorlesung? Sie haben letztes Mal schon geschimpft, dass ich zu viel Vorlesung mache. Und wem das zu langwierig ist, der kann sich ja quasi in allen möglichen Talkshows fortbilden oder zum Äußersten schreiten und das öffentlich-rechtliche Fernsehen sonst mal anmachen. Da gibt es ja rauf und runter Informationssendungen. Wer das alles nicht gemacht hat, ja, also, ich glaube, der geht auch nicht zum Seminar. Und wenn ich mir so anschaue, wie die Leute so ihre FFPMasken tragen: Ich glaube, dass viele auch ganz froh sind, dass die oben neben der Nase so ein ziemlich daumendickes Luftloch immer haben und dass man schön frei atmen kann, ohne dass die Luft irgendwie mühsam durch den Filter durch muss.

17:32

Camillo Schumann

Der S. hat gemailt. Er schreibt:

„Ein Arbeitskollege war die letzten zwei Wochen in den USA im Urlaub. Er hat eine Kreuzfahrt in der Karibik gemacht und war noch eine Woche in Florida unterwegs. Dabei war er in vollen Football-Eishockeystadien und er sagt,

dass allgemein keine wirklichen Corona-Maßnahmen zu sehen waren. Ab und zu sieht man Schilder, dass Masken empfohlen sind, tragen tut die aber niemand. Auch in Restaurants, Einkaufsläden usw. gibt es kein Corona. Ich habe mir die Frage gestellt: An was liegt das, dass dort das Gesundheitssystem nicht schon kollabiert ist? Haben die dort so viel mehr Kapazitäten, Behandlungsmöglichkeiten als bei uns in Deutschland? Oder sind die Risikopersonen einfach schon in den vorherigen Wellen weggestorben? Wenn ich richtig nachgelesen habe, sind die Impfquoten auch um einiges schlechter als bei uns. Mich würde schon mal interessieren, warum das offensichtlich gut geht. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Na, so richtig gut geht es nicht. In Florida haben die Riesenprobleme, da sind z.T. die Intensivstationen völlig überlaufen gewesen. Ist ja auch bekannt. Da gibt es den Ron DeSantis, Republikaner, der irgendwie dem Donald Trump irgendwie Konkurrenz machen will in diesen Dingen und der überschlägt sich mit Vorschlägen, wie man eben nicht sich schützen soll vor Covid. Das ist ja auch das Land – nochmal zur Erinnerung – der Bundesstaat der USA, wo quasi auf Anweisung des Gouverneurs, also, der DeSantis war das, die Schulen keine Maskenpflicht machen dürfen. Da gab es dann wirklich Schulen, die wollten das selber machen, Masken im Unterricht und er hat gesagt: Ihr dürft das nicht. Und in den USA ist die Situation ganz gruselig. Das kann man sich bei uns gar nicht vorstellen. Aktuell hat ein oberes Gericht in den USA festgestellt, dass eine Impfpflicht für medizinisches Personal nicht zulässig ist aus ihrer Ansicht, sodass der US-Präsident, der ja Demokrat ist, gerade nicht durchkommt mit seinem Versuch, wenigstens das medizinische Personal zur Impfung zu verpflichten. Das, was ja in Frankreich z.B. Standard ist inzwischen und in einigen Bundesstaaten der USA schon funktioniert. Das geht also bundesweit nicht. Und die Beobachtung ist richtig, dass man sich in Florida – Texas ist ein anderes Beispiel – an sowas nicht hält. Das heißt aber nicht, dass die keine schweren Erkrankungen haben. Und: Ja, die haben möglicherweise das Maximum hinter sich. Dadurch, dass die eben viele Tote hatten und eine Durchseuchung hat-

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ten, die stattgefunden hat. Und mit der Durchseuchung hat man natürlich hinterher irgendwann auch den Effekt, dass man eine weitgehend immune Bevölkerung hat.

20:09

Camillo Schumann

Herr B. aus Leipzig hat angerufen. Ein rüstiger, älterer Herr mit folgender Frage:

„Ich bin 86 Jahre alt, wurde noch nie geimpft gegen Grippe, habe noch nie eine Grippe gehabt und bin auch sonst nicht krank. Ich wollte wissen, ob ich mich impfen lassen muss. Vielen Dank.“

Also, muss schon mal gar nicht.

Alexander Kekulé

Muss nicht, aber sollen schon. Also, es ist einfach so: Die Grippe kann man gut gehabt haben, ohne es so richtig zu merken. Es gibt Leute, die tatsächlich im Leben zwei, drei Mal Kontakt mit den Grippeviren hatten, aber bei denen sich das so minimal nur abspielt auf den Schleimhäuten der Atemwege, dass die dann hinterher Antikörper haben und so halbwegs immun sind gegen die Grippe und es passiert eigentlich nichts Schlimmes, wenn sie dem Virus begegnen. Das würde ich jetzt bei Covid einfach nicht riskieren, weil die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen an Covid dann schwer erkranken, eben auch bei sonst völlig Gesunden relativ hoch ist. Diejenigen, die an Grippe sterben, da funktioniert es ja meistens so: Die haben dann einen Virusinfekt, auf den setzt sich dann zusätzlich eine bakterielle Infektion drauf, sodass Grippetote häufig eigentlich durch eine bakterielle Lungenentzündung gestorben sind. Also, das kann man dann notfalls auch mit Antibiotika behandeln, wenn man es schnell genug macht. Bei dem Covid ist ja das Tückische, dass das eine Virusinfektion macht, das sind gar keine Bakterien im Gange. Und diese Virusinfektion lässt sich bei älteren Menschen nicht so gut kontrollieren manchmal. Und dann spinnt das eigene Immunsystem. Also, gerade die mit dem guten Immunsystem sozusagen machen dann ihre eigene Lunge kaputt. Darum würde ich es einfach nicht riskieren. Kann gut gehen, aber früher oder später begegnet man ja diesem Virus. Und wenn man noch lange leben will, würde ich sagen: Lieber impfen lassen. Das ist auf jeden Fall

weniger gefährlich, als in dem Alter dem Virus zu begegnen.

22:11

Camillo Schumann

Eine Dame hat gemailt, die gern anonym bleiben möchte. Sie schreibt:

„Ich bin 45 Jahre alt, sportlich, gesund, keine Vorerkrankungen. Meine zweite Impfung mit BioNTech habe ich Ende Juli erhalten. Ich habe mich nun letzte Woche um einen Booster-Termin bemüht und kann mich Anfang Januar nun zum dritten Mal impfen lassen. Also, nach etwas mehr als fünf Monaten. Macht das aber überhaupt Sinn? Verbessert sich mein Impfschutz dadurch? Oder nehme ich hier jemand anderem den wieder knapperen Impfstoff weg und habe selbst keinen Mehrwert? Und die zweite Frage, die sich hier anschließt: Ich hatte kaum Impfreaktionen. Beim ersten Mal einen leicht schmerzenden Arm. Beim zweiten Mal habe ich gar nichts bemerkt. Kann ich nun darauf schließen, dass ich eine schlechtere Immunantwort hatte und deshalb ein frühzeitiger Booster vielleicht doch sinnvoll wäre? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja, die zweite Frage stellen viele: Ich habe da gar nichts gemerkt, hat es bei mir überhaupt gewirkt? Das korreliert komischerweise nicht. Also, das, was man da merkt, ist ja die sog. Reaktogenität. Also, dass der Impfstoff irgendwie dann Schwellungen und Rötungen und Schmerzen usw. macht. Und so ein bisschen vereinfacht sagen wir immer: Ja, die Reaktogenität ist ja die gewünschte Nebenwirkung sozusagen der Impfung. Und echte Nebenwirkungen sind die, die man unerwünscht hat. Da ist eine Unschärfe drin. Also, es gibt Leute, die haben keine Reaktogenität, aber ganz tolle Antikörper-Reaktionen. Und es gibt andere, die haben ganz schön was gemerkt und hinterher stellt man fest, dass die Antikörper gar nicht so gut reagiert haben auf den Impfstoff. Also, diejenigen, die wie die Hörerin jetzt in einer Situation sind, dass sie sagen: Mensch, bei mir hat es gar nicht wehgetan, hat es dann überhaupt gewirkt? Ja, das hat höchstwahrscheinlich gewirkt, obwohl es nicht wehgetan hat. Gratulation dazu. Also, Medizin muss nicht immer bitter sein. Die andere Frage ist: Ja, bei einer 45Jährigen nach einem knappen halben Jahr

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lohnt es sich, zu boostern. Also: Was man auf jeden Fall macht durch die Boosterung, ist, dass man diese angeborene Immunantwort nochmal anschubst. Das heißt also, es wird auf jeden Fall die Abwehrbereitschaft kurzzeitig erhöht. Das ist ja auch das, was wir in diesen ganzen israelischen Studien sehen, dass praktisch in jeder Altersgruppe ein gewisser Vorteil der Impfung besteht. Die Frage ist nur: Wie lange hält das an? Also, man stimuliert das Immunsystem so ähnlich, wie das wahrscheinlich ein anderer Virusinfekt auch machen würde und das schützt in gewisser Weise ein paar Wochen oder Monate, vielleicht sogar vor einer Covid-Infektion. Nicht 100 %, aber verbessert den Schutz. Sodass man schon sagen kann: Wenn im Januar jetzt dann die Welle noch vorhanden sein sollte, dann ist es auch für eine 45-jährige von Vorteil, geboostert zu sein. So kann man es mal so grob sagen. Ob das jetzt notwendig ist in dem Sinn, dass man damit jetzt signifikant Todesfälle, schwere Krankheitsverläufe verhindert oder sogar die Ausbreitung des Virus in der Gesellschaft bremst, indem es die Infektiosität herabsetzt, dafür gibt es in der Altersklasse kaum Daten. Also, für die Infektiosität gar keine Daten und für die Frage, ob man jetzt Hospitalisierung und schwere Verläufe vermeidet, nur ganz wenige Daten. Das ist bei Alten belegt und bei Jüngeren eben nicht so klar. Das ist der Grund, warum ich ja der Meinung bin, dass wir ganz stark priorisieren müssen: Von alt nach jung. Die Bundesregierung hat sich ja Großes vorgenommen. Ich weiß gar nicht, was da nochmal für eine Ansage war, aber bis Weihnachten wollen die ja boostern, was das Zeug hält, sodass ich jetzt sagen würde: Die Hörerin kann ja mal abwarten. Wenn im Januar wirklich Not am Manne ist und es so ist, dass es Aufrufe gibt, dass die Jüngeren sich vielleicht zurückhalten sollen, damit die Älteren geimpft werden, dann kann man ja den Termin nochmal verschieben. Und wenn niemand anderes da ist, der die Dosis haben will, dann würde ich sie nehmen, weil: Schaden wird es nicht.

25:57

Camillo Schumann

Kommen wir zur nächsten Frage. Die Zahl der Menschen auf Intensivstationen nimmt zu. Diese Dame hat angerufen und folgende Frage:

„Wo die Zahl ja so hochschnellt im Verlauf der Pandemie und es auch immer mehr Impfdurchbrüche gibt, auch in meinem Bekanntenkreis immer mehr Geimpfte Corona-positiv getestet sind: Warum sind wir so zögerlich mit Medikamenten? Wie z.B. Ivermectin, Budesonid? Ja, Dinge, die woanders schon benutzt werden. Was hält uns davon ab? Wir können doch gar nichts verlieren. Auf was warten wir? Wieso warten wir, bis alle immer erst im Krankenhaus sind? Das würde mich mal interessieren. Danke.“

Alexander Kekulé

Naja, es gibt ja neue Medikamente, die jetzt demnächst zur Verfügung stehen – die Frage ist, wie viel die Deutschen dann davon abbekommen? – die dann speziell ähnliche Effekte haben wie das Ivermectin, aber spezifischer mit weniger Nebenwirkungen. Und: Klar, es wird dann die Frage sein, wer die nehmen soll? Man kann nur nicht jetzt empfehlen, dass alle Menschen, die irgendwie Covid bekommen, wirklich gleich dann die Pillen einwerfen. Warum nicht? Weil diese Medikamente zum einen natürlich auch Nebenwirkungen haben und ja Covid gerade bei jüngeren Menschen selten schwere Verläufe macht. Und da ist die Frage: Will man jetzt wirklich flächendeckend diese Nebenwirkungen in Kauf nehmen? Der zweite Grund ist, dass man einfach nicht so viel hat. Die Medikamente werden nicht beliebig viel zur Verfügung stehen. Bei einem weiß ich noch auswendig, dass man 30 Tabletten insgesamt nehmen muss über einige Tage – und zwar ganz frühzeitig im Krankheitsverlauf. Das heißt: Das müsste jeder nehmen, der irgendwie merkt, dass er Covid hat. Man könnte nicht abwarten, wie schlimm es wird. Und das dritte ist, dass, wenn jetzt ganz viele Menschen diese Medikamente nehmen, dann wissen wir ja einfach von Viren generell und speziell von RNAViren, dass sie dann auch schnell Resistenzen entwickeln. Das heißt, dann ist das Schwert ganz schnell stumpf. Sodass mein Vorschlag ist – aber mal gucken, ob der sich umsetzen lässt. Mein Vorschlag ist, diese Medikamente wirklich ganz gezielt einzusetzen für Risikogruppen. Also, wenn ich wirklich weiß, jemand hat jetzt Covid und ist über 80 oder über 70 o.Ä. oder hat sehr, sehr starkes Übergewicht oder ist aus einem anderen Grund – vielleicht, weil er zu-

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sätzlich immunsuppressive Medikamente nehmen muss – besonders gefährdet, dass man bei denen dann ganz selektiv sagt: Okay, du kriegst jetzt dieses Medikament. Weil: Bei denen begründet sich das, erstens. Da sind die Nebenwirkungen natürlich nicht dann wirklich vertretbar auch. Und das andere ist, dass man dann verhindert, dass es so schnell Resistenzen gibt. Aber: Warten wir es mal ab. Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn die dann erst mal vorhanden sind, es wird so einen Run geben, dass die jeder nimmt panisch. Und man hat ja so genug Angst vor diesem Virus jetzt gemacht, dass das wahrscheinlich kaum zu stoppen sein wird. Und: wenn ich jetzt zynisch wäre, würde ich sagen, der eine oder andere Politiker will sich damit profilieren, dass er diese Medikamente allen zur Verfügung stellt. Und dann ist meine Vorhersage, dass die relativ schnell dann auch Resistenzen erzeugen werden.

Camillo Schumann

Na gut, die Frage ist, ob sich das wirklich dann jeder gleich reinschmeißen kann? Kostet ja auch eine Kleinigkeit, muss man ja auch dazu sagen.

Alexander Kekulé

Das habe ich jetzt gar nicht auf dem Schirm, was das tatsächlich kostet, aber: Ja, vom Zulassungsprozess her haben Sie recht. Das müsste dann, damit das eine Kassenleistung ist, natürlich vom gemeinsamen Ausschuss – da gibt es so einen extra Ausschuss, der sowas bewertet – da müsste dann festgestellt werden, ob das sinnvoll ist oder nicht. Die werfen aber meistens nicht mit in die Waagschale die Frage der Resistenzbildung. Sondern: Die sagen eigentlich nur: Hat es einen Effekt oder nicht? Also, wenn ich mich erinnere an die Diskussion bei Tamiflu und Relenza, das waren die zwei Medikamente, die man gegen Grippe einnehmen konnte. Ähnliches Problem: Muss man ganz schnell am Anfang nehmen, ohne zu wissen, wie schwer der Verlauf wird. Und da war eigentlich nicht die Diskussion: Wie könnte es zur Resistenzbildung kommen? Sondern: Da hat man nur gesagt: Wirkt es oder wirkt es nicht? Und letztlich hat es die Krankenkasse dann bezahlt. Und es ist natürlich zu diesen Resistenzbildungen gekommen – und zwar weltweit. Überall in den Ländern, wo die Menschen das Tamiflu und Relenza genommen haben.

Bei jeder Art von Erkältung, Grippe gab es ganz schnell resistente Influenzaviren. Und heute ist es so, dass es gegen viele, viele Stämme, die zirkulieren, gar nicht mehr funktioniert.

Camillo Schumann

Irgendwas ist immer.

Alexander Kekulé

Ja, irgendwas ist immer. Also, kann man vielleicht schon sagen, das ist schon als Aufruf zu verstehen, das hier in diesem Fall mal klug zu machen, weil wir ja nicht beliebig viele Mittel haben. Und das ist ja ganz toll, dass wir überhaupt diese Medikamente zur Verfügung haben, jetzt seit neuerdings – oder: Auf dem Markt sind sie noch nicht. Aber: Dass es die gibt. Und die können für die Menschen mit Vorerkrankungen, die ja, wie wir sehen, trotz der Impfung leider immer noch schwersterkranken, weil die Impfungen eben nicht so perfekt an Delta angepasst sind, für die können die das sein, was der Hersteller sagt. Nämlich: Ein Game-Changer, wie man so schön da sagt. Aber: Ich würde davor warnen, das jetzt so quasi mit dem Füllhorn auszuschütten.

31:03

Camillo Schumann

Eine habe ich noch, Herr Kekulé. Frau S. hat folgende Frage:

„Hallo, Herr Kekulé. Wäre es möglich, eine sehr ansteckende, aber kaum krankmachende Variante zu züchten und diese gezielt auf die Gesellschaft loszulassen, sodass wir dem Virus quasi den Schrecken nehmen? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Super Idee. Die ist uralt, die Idee, sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Irgendwann gibt es dafür einen Nobelpreis. Also, ich werde ihn nicht mehr kriegen und das nicht mehr erleben. Aber es wird so sein, dass man irgendwann Viren gegen Viren loslässt. Ich finde: Die Idee ist uralt, aber klasse. Es gab sogar einen Freund von mir, der ist Unternehmer und Biochemiker von der Ausbildung her, der hat ganz am Anfang mal die irre Idee gehabt – ich glaube, ich habe es schon mal erzählt – dass man doch mit den normalen Coronaviren – die gibt es ja schon, diese normalen, humanen Coronaviren, die nur Erkältungen machen – dass man die ausbreiten könnte, allgemeine

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Infektionen herbeiführen könnte, um es diesem Sars-CoV-2 schwerer zu machen, sich in der Gesellschaft zu verbreiten. Es kann sogar sein, dass das funktioniert hätte. Aber: Wer will das schon riskieren? Weil ja auch die normalen Erkältungsviren manchmal schwere Verläufe machen. Und es gibt auch im Winter eine zusätzliche Mortalität – also, eine Exzess-Mortalität, eine Übersterblichkeit – allein durch die Erkältungen. Da brauchen Sie die Influenza gar nicht dafür. Sodass das keiner riskieren würde, die ganze Bevölkerung damit zu infizieren. Aber: Klar, wenn man ein Virus hätte, wo man ganz sicher weiß, dass es ungefährlich ist, könnte man das quasi auch zur Infektion verwenden. So einen kleinen Effekt in diese Richtung gab es schon mal, und zwar bei dem Impfstoff gegen Kinderlähmung – Polio. Da hat man tatsächlich am Anfang lebende Viren genommen, die aber stark abgeschwächt waren. Man nennt die attenuierte, also abgeschwächte Viren. Und da gab es manchmal den Effekt, dass mit diesem Impfvirus, was fast nie schwere Verläufe gemacht hat – manchmal leider schon, aber fast nie – dass sich dann die Geschwister von den Geimpften einfach angesteckt haben und dann auf die Weise mitimmunisiert wurden. Das war ein gewünschter Nebeneffekt, dass das Virus sich dann lokal ein bisschen ausbreiten konnte. Nun ist Polio nicht so stark infektiös wie dieses Sars-Cov-2, sodass das alles noch ein bisschen begrenzt war. Man hat dann davor gewarnt, dass z.B. Kinder geimpft werden sollen, wenn die Geschwister gerade schwer krank sind o.Ä., weil man wusste, dass es diese lokalen familiären Ausbreitungen gab. Also, der Gedanke ist alt, nicht schlecht, und ich bin ganz sicher: Irgendwann wird es funktionieren, aber bisher klappt es noch nicht.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 252 Kekulés Corona-Kompass Fragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 07. Dezember wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne. Schönes Wochenende, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-

Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 02. Dezember 2021 #251

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Studie: Long-Covid nach Impfdurchbrüchen (08.11.) Six-month sequelae of post-vaccination SARSCoV-2 infection: a retrospective cohort study of 10,024 breakthrough infections | medRxiv

Donnerstag, 02. Dezember 2021

Der Chef der Ständigen Impfkommission würde sein eigenes siebenjähriges Kind aktuell nicht gegen Corona impfen lassen. Ist seine Begründung nachvollziehbar?

Dann: Gesundheitsämter und Testlabore kommen mit den positiven Testnachweisen kaum hinterher. Wie aussagekräftig ist die leicht sinkende Sieben-Tage-Inzidenz deshalb?

Außerdem: Long-Covid auch nach Impfdurchbrüchen. Wer ist am stärksten betroffen? Eine Studie gibt Hinweise.

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:57

Camillo Schumann

Wir starten mal mit einer, ja, wie ich finde, sehr deutlichen Aussage. Die kommt von Professor Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission. Er hat im FAZ-Podcast gesagt, dass er sein eigenes siebenjähriges Kind aktuell nicht gegen Corona impfen lassen würde. Nach seinen Worten gibt es jenseits der Daten aus der Zulassungsstudie des Impfstoffs keinerlei Daten über die Verträglichkeit des Impfstoffs in der Gruppe der Kinder zwischen fünf und elf Jahren. Die aktuellen Publikationen zeigten, dass Aussagen über Langzeitschäden kaum möglich seien. Das war ziemlich deutlich. Herr Kekulé, überrascht Sie diese Aussage?

Alexander Kekulé

Ja, dass er sie trifft öffentlich. Also, der ist ja irgendwie tiefenentspannt mit den Medien, das muss man schon sagen, nachdem er bei Markus Lanz ja mal so schnell fünf vor zwölf ausgeplaudert hat, was die Kommission zwei Tage später entschließen wird. Und jetzt so seine persönliche Meinung. Das Problem ist halt: Die Medien funktionieren ja so, dass die persönliche Meinung von Herrn Mertens eigentlich – ganz brutal gesagt – niemanden interessiert. Sondern: Er wird gefragt, weil er der Vorsitzende der STIKO ist. Und da hätte ich wahrscheinlich jetzt so meinen persönlichen Eindruck nicht so deutlich geäußert. Auch, wenn er den haben mag. Weil: Am Ende des Tages kommt es ja darauf an, wie die Kommission insgesamt das bewertet und was er dann sozusagen als deren Vorsitzender oder Sprecher dann nach außen gibt.

Camillo Schumann

Aber: Können Sie, wenn Sie sich jetzt sozusagen in den Menschen Professor Mertens reinversetzen, können Sie seine Aussage nachvollziehen?

Alexander Kekulé

Ja. Also, es ist so, dass natürlich das auch auf der Linie der STIKO bisher ist. Das ist ja öffentlich nicht so laut diskutiert worden, aber wir haben es, glaube ich, hier im Podcast schon ein paar Mal gesagt, dass die STIKO selber sehr

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deutlich gemacht hat, dass sie die Impfung bereits für 12bis 17-Jährige nur dann empfiehlt oder nur deshalb empfiehlt, weil sie die sozialen und psychologischen Faktoren mit in die Waagschale wirft. Ich habe so ein bisschen – sage ich mal, gehässig hätte ich fast gesagt, dass er so kommentiert: Impfung gegen die Politik oder Impfung gegen die Gegenmaßnahmen. Die Kinder kriegen die Nadel ab, weil die Erwachsenen sich nicht ausreichend impfen lassen. Jetzt müssen die sozusagen herhalten. Ich meine, dass die STIKO – die formuliert das natürlich diplomatischer – das ein bisschen auch so sieht, dass das hier so eine Ersatzhandlung ist für das, was eigentlich passieren müsste. Nämlich, dass die Erwachsenen gründlicher geimpft werden. Und vor diesem Hintergrund ist natürlich, wenn man jetzt an die noch jüngeren Kinder denkt – 12 bis 17 war es zuletzt, jetzt geht es um die Altersgruppe ab fünf – da ist ja das Verhältnis zwischen Risiken und Nutzen noch stärker so, dass zumindest der Nutzen praktisch bei null liegt für die Kinder selber medizinisch. Und diejenigen, die dann immer so nach Kinder-Impfungen schreien, schon bei den 12bis 17-Jährigen darf man sagen, die möglichen Gefahren durch Covid so ein bisschen übertreiben. Und da haben sich in der ganzen Diskussion – auch unter Fachleuten – so ein bisschen so Lager gebildet. Die einen machen die Sachen immer gefährlicher, als sie sind und die anderen wiegeln vielleicht eher ab. Das halte ich jetzt nicht für, sage ich mal, zielführend, weil natürlich die Bevölkerung, die da zuschaut, dann am Schluss niemandem mehr vertraut. Ich glaube, dass die STIKO im Prinzip ganz normal ihr Handwerk macht. Die geht da sozusagen wie ein Traktor, fährt die halt gemütlich übers Feld und versucht, das irgendwie zu bestellen. Ich bin immer so der Meinung. Bei dieser ganzen Debatte ist es wichtig: Bei jeder Kommission, bei jedem Fachmann, dass man seine Position kennt. Das ist dann wie bei einem Leuchtturm: Sie müssen sich mit dem Schiff nicht immer zu dem Leuchtturm hingezogen fühlen. Aber: Wenn Sie wissen, wo die Leuchttürme stehen, dann können Sie dazwischen ganz gut navigieren.

05:00

Camillo Schumann

Herr Mertens hat gesagt in dem Podcast:

„Falsche politische Entscheidungen können nicht durch eine Impfung korrigiert werden.“

Und er kritisiert da eben das, was Sie auch gesagt haben, dass die fehlende Impfbereitschaft der 18bis 59-Jährigen nun nicht durch eine Impfung der Kinder ausgeglichen werden soll. Das ist ja auch ein ziemlich deutliches Statement.

Alexander Kekulé

(lacht) Ja, das wusste ich nicht. Also, wenn ich so auf die Kacke haue, kriege ich normalerweise sofort die Antwort von einigen Leitmedien, die dann sofort erklären, dass ich von sowas keine Ahnung hätte. Ich bin jetzt mal gespannt, ob sie sich das bei Herrn Mertens auch trauen.

05:34

Camillo Schumann

Um jetzt mal nicht der STIKO-Entscheidung vorzugreifen, aber: Mit dem, worüber wir gerade gesprochen haben: Ergibt eine Impfung der Fünfbis Elfjährigen überhaupt Sinn?

Alexander Kekulé

Man muss das ein bisschen perspektivisch sehen. Also, wir haben ja jetzt, kann man so sagen, suboptimale Impfstoffe – aus verschiedenen Gründen. Das eine ist, dass sie relativ stark reaktogen sind. Das andere ist, dass einfach psychologisch manche eben Angst vor diesen RNA-Impfstoffen haben und dass es natürlich auch – gerade bei Kindern – besonders wichtig ist, bekannte Wirkprinzipien zu kennen, zu verwenden. Und das ist ja hier nicht der Fall. Wir haben kein Wirkprinzip, was seit Jahrzehnten erprobt ist. Und aus all diesen Gründen sind die jetzigen Impfstoffe, diese RNA-Impfstoffe, für Kinder suboptimal. Bis dahin, dass man natürlich sagen muss: Die sind ja nicht angepasst an die Delta-Variante. Wer weiß, was im nächsten Jahr noch so alles kommt. Und deshalb, finde ich, muss man das eher perspektivisch sehen. Langfristig ist es doch so, dass unsere Gesellschaft mehr oder minder durchimmunisiert sein wird, wahrscheinlich schon am Ende dieses Winters. Und da werden viele geimpft sein, viele auch auf die harte Tour sich immunisiert haben durch Infektionen, ganz viele dann auch beides, also geimpft plus eine Infektion oder dreimal Covid gehabt usw. Da gibt es ja alle Varianten. Und diejenigen, die aber dann in

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der Gesamtpopulation immer nachwachsen und eben gar keinen Schutz haben, sind immer die Kinder. Darum gibt es ja diesen Impfkalender für Kinder. Darum ist ja Impfung eigentlich ein Thema für Kinderärzte zum großen Teil. Und da wird sich dann irgendwann die Frage stellen: Wenn wir so einen eingeschwungenen Zustand haben mit dieser Covid-Erkrankung, lohnt es sich dann möglicherweise – mit einem anderen Impfstoff natürlich dann, der speziell an die Kinder angepasst ist und der vielleicht auch ein bisschen breiter wirksam ist, sodass er jetzt nicht nur bestimmte Typen abgreift, sondern vielleicht mehrere Covid-Varianten abgreifen kann – lohnt es sich dann vielleicht generell, die Kinder schon einmal zu impfen? Weil man sagt: Irgendwann später im Leben werden die diesem Virus sowieso begegnen und dann ist es einfach gut, so einen gewissen Grundschutz zu haben, um die Sterblichkeit dann auf die gesamte Lebenszeit gerechnet zu verringern. Oder lohnt sich das nicht? Aber vor dieser Diskussion sind wir jetzt mindestens ein halbes Jahr, möglicherweise ein bis zwei Jahre entfernt. Und deshalb finde ich: Zum jetzigen Zeitpunkt muss man sich da nicht überschlagen, jetzt unbedingt die Kinder zu impfen. Dass das epidemiologisch nichts bringt, hat die STIKO ja schon sauber runtergerechnet. Und dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

08:13

Camillo Schumann

Am 11. Dezember will die STIKO darüber entscheiden. Wird dann auch keine Überraschung mehr sein. Eine Überraschung wäre es, wenn die Empfehlung käme.

Alexander Kekulé

Die Empfehlung kann man ja jetzt schon ganz klar aussprechen, wenn man jetzt Kinder hat, die ein besonderes Risiko haben. Da gibt es ja einige. Leider in diesen jüngeren Jahren gibt es ja stark Übergewichtige oder Kinder, die mit Herzfehlern auf die Welt kamen und Medikamente nehmen müssen usw. Also, da wird es wahrscheinlich so sein wie in allen Altersgruppen, dass man sich dazu durchringt, für diese Risikopersonen auch bei Kindern eine Impfung zu empfehlen. Und es würde mich wundern, wenn jetzt in der Altersgruppe von fünf bis elf – aufgrund der jetzt vorliegenden Daten, muss

man ja immer dazu sagen, ich glaube, wir haben es tatsächlich im letzten Podcast so ähnlich besprochen – man sagen würde: Da können wir ganz klar die allgemeine Impfung empfehlen. Ich will aber nicht ausschließen, dass wir – nur nochmal betont: Diese RNA-Impfstoffe sind ja kein Teufelszeug. Sondern: Wir haben einfach zu wenige Daten für diese Altersgruppe. Und es kann sein, dass wir in einem halben Jahr so weit sind, dass wir massenweise Daten haben von den jüngeren Kindern und absolut keine Hinweise, dass da irgendwas Merkwürdiges passiert oder Verdächtiges im Raum steht. Dann kann man sich vielleicht etwas, sage ich mal, zuverlässiger Richtung Impfung, Impfempfehlung entscheiden. Bzw. es kann ja auch sein, dass bei genauerer Analyse sich herausstellt, dass Covid bei diesen jungen Kindern doch irgendwelche Schäden macht. Das ist ja nie ganz auszuschließen. Das ist ja auch der Grund, warum ich sage, einerseits: Ich persönlich hätte mich jetzt auch auf der jetzigen Datenbasis nicht für eine allgemeine Empfehlung entschlossen. Andererseits kann man von den Eltern nicht verlangen, dass sie ihre Kinder quasi absichtlich infizieren lassen, wenn sie Angst vor einem noch relativ unbekannten Virus haben. Und deshalb ist die einzige Option, die wir haben, die Schulen so halbwegs durch konventionelle Maßnahmen virusfrei zu halten oder virusarm zu halten.

10:12

Camillo Schumann

Also, schauen wir dann auf den 11. Dezember, wenn die STIKO dann ihre Empfehlung geben wird für die Fünfbis Elfjährigen. Werden wir besprechen hier im Podcast. Herr Kekulé, die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz, sie geht weiter leicht zurück, den dritten Tag in Folge. Liegt aktuell bei 439,2. Einige Experten warnen jetzt davor, diese Zahlen zu ernst zu nehmen:

„Ich gehe davon aus, dass die gemeldeten Zahlen nur einen Teil der positiven Nachweise sind.“

Das hat die Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, gesagt. So arbeiten derzeit Testlabore, Gesundheitsämter teils am Limit und kommen

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beim Bearbeiten der positiven Corona-Nachweise auch überhaupt nicht mehr hinterher. Könnte der Trend nur mit dem enormen Meldeverzug begründet werden?

Alexander Kekulé

Das nicht. Also, das sicher nicht, weil wir das Problem ja ständig und überall haben. Ja, es ist richtig, die Frau Teichert hat an einer Stelle Recht. Es ist so, dass, dadurch, dass jetzt an den Schulen viele so Pool-Tests gemacht werden – die sog. Lolli-Tests, die dann gemeinsam mit der PCR ausgewertet werden – da ist es so: Da kommt es zu Verzögerungen, da hat man sich viel vorgenommen. Die Schulen sind jetzt auch warmgelaufen, das dreimal die Woche zu machen. Und die Labore haben da viel versprochen – da stehen ihnen ja auch die Dollarzeichen ein bisschen in den Augen – und müssen jetzt liefern. Und das ist z.T. nicht ganz so einfach. Längst nicht so schwierig übrigens wie am Anfang der Pandemie. Da hatten wir echte Probleme, die Reagenzien überhaupt zu kriegen für die Maschinen. Die wurden dann so teilw. von den Ministerien handverteilt an die Labore in den jeweiligen Bundesländern. Da sind wir heute weit von entfernt. Aber es ist trotzdem so: Ja, es gibt ein paar Engpässe. Aber das ist überhaupt nicht der Grund, warum jetzt die Inzidenz runtergeht. Sondern: Im Gegenteil. Es wird ja z.T. jetzt wieder mehr getestet. Das ist auch immer so ein psychologischer Effekt, wenn da so eine Alarmstimmung ist, testen sich mehr Leute. Wir haben ja auch die neuen Vorschriften bekanntlich: 3G am Arbeitsplatz, 3G in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und dadurch wird natürlich insgesamt eher mehr als weniger getestet kam. Daher würde ich jetzt mal sagen: Die Frau Teichert will vor Optimismus warnen. Das ist grundsätzlich immer richtig. Aber ich habe schon mal ein Kerzchen angezündet. Ach ja, da war erster Advent. Aber trotzdem kann man ja mal ein Kerzchen anzünden und hoffen, dass man dann das zweite und das dritte auch noch freudig anmachen kann. Meinen Weihnachtswunsch kennen Sie ja, dass wir bis dahin von dem Maximum runtergekommen sind. Das wäre natürlich schon irgendwie ein bisschen skurril geradezu: Alle reden da in Berlin, heute wollen sie wieder irgendwas entscheiden, was sie machen sollen, stehen sozusagen ringsrum um das Feuer und

überlegen, wie sie das löschen sollen. Und irgendwie, während sie alle diskutieren und einige Alarm schreien und andere sagen, wir warten noch ein bisschen, fängt es an zu regnen. Feuer geht von selber aus. Wahrscheinlich werden sie hinterher alle sagen, es lag an unserer guten Zusprache, dass es ausgegangen ist. Aber letztlich habe ich schon den Eindruck: Wenn wir Glück haben, sind wir jetzt in so einer Phase, wo sich das Ganze selbst begrenzt. Mein Optimismus – den man genauso wenig ernstnehmen darf wie den Pessimismus von Frau Teichert natürlich, keins von beiden ist wirklich wissenschaftlich belegt. Mein Optimismus nährt sich daraus, dass die Kurve halt in Israel und in England so ähnlich aussah. Die hatten den gleichen Effekt. Wenn man es einfach laufen lässt, kriegt man dann nach einer Weile so eine Selbstbegrenzung dieser Welle. Heißt nicht, dass 100 % durchgeseucht sind, sondern nur die Blasen, die sozial besonders aktiv sind und den hohen Beitrag leisten. Auch natürlich die ganzen „Impfverweigerer“, über die immer gesprochen wird. „Impfverweigerer“ natürlich in Anführungszeichen. Also, die Ungeimpften, die sich dann munter weiter treffen, die haben natürlich dann irgendwann auch alle Covid gehabt, sodass wir letztlich dadurch so eine Selbstbegrenzung dieser Infektionswellen immer wieder haben.

14:08

Camillo Schumann

Auch Karl Lauterbach versucht, diese positiven Gedanken so ein wenig zu begrenzen. Er hat getwittert:

„Die Abschwächung der Dynamik kann wie vor einem Jahr Vorbote eines neuen Anstiegs sein.“

Kann man diese Dynamik jetzt überhaupt mit vor einem Jahr vergleichen?

Alexander Kekulé

So direkt nicht, weil wir ja jetzt insgesamt auf einem dicken Kissen von 80 % geimpften Erwachsenen uns bewegen. Sie merken, dass ich immer von den 80 % geimpften Erwachsenen spreche, was ja ganz gut klingt. Und wir sind damit auf jeden Fall auf Augenhöhe mit England und Israel übrigens, die immer so als Positivbeispiele genannt wurden. Andere sprechen von unter 70 % geimpfter Gesamtbevölkerung. Beide Zahlen sind natürlich richtig, aber wenn

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Sie jedes Baby ab null Jahren mitzählen, kriegen Sie halt mehr Ungeimpfte. Klingt irgendwie dramatischer, als wenn man sagt: 80 % der Erwachsenen sind schon geimpft. Das ist so ein bisschen je nachdem, welche Aussage sie treffen wollen. Ich finde trotzdem, dass meine Betrachtungsweise hier vielleicht richtig ist, weil: Es ist ja so, dass im Prinzip nur die Erwachsenen – und da insbesondere die Älteren – ein hohes Risiko haben durch Covid. Und wir sprechen ja nicht von einer Kosmetik für Inzidenzen, die wir hier betreiben wollen, sondern: Es geht darum, dass wir schwere Verläufe verhindern wollen, Überlastung der Intensivstationen und Todesfälle. Da müssen wir uns manchmal wieder zurückbesinnen, dass das der Kern dieses ganzen Problems ist, dass man den Wald vor lauter Bäumen da nicht übersieht. Und da geht es eben um die Erwachsenen. Und auch bei den ganzen Überlegungen, die wir haben: Welche Maßnahmen sind nötig? Warum lassen sich bestimmte Leute nicht impfen? Was machen wir da falsch da? Da sind ja auch immer die Erwachsenen die Zielgruppe. Es geht ja nicht darum, irgendwelche Kinder von sechs Jahren von irgendwas zu überzeugen. Und deshalb finde ich, die richtige Referenzgröße sind die 80 % geimpften Erwachsenen. Das ist ein Polster, auf dem man sagen kann: So einen Absturz wie letztes Jahr wird es nicht geben. Das halte ich für ausgeschlossen. Aber ich habe ja schon vor einigen Monaten mal gesagt, dass es im Herbst zu lokalen Überlastungen einzelner Regionen kommen kann bei den Intensivstationen. Das ist genau das, was wir jetzt sehen. Und wenn wir jetzt ein bisschen Glück haben, war es das mit der Inzidenz. Das heißt aber trotzdem, dass die Welle in den Intensivstationen in Krankenhäusern natürlich nachschlägt. Und da habe ich ja schon mal gesagt, da geht es letztlich um die Frage: Kommen wir ganz knapp links an der Boje vorbei oder ganz knapp rechts? Wenn wir Glück haben, schaffen wir sozusagen die Wende, ohne disqualifiziert zu werden an der Stelle. Ich hätte es nie so sportlich angegangen. Das ist so ein bisschen Methode Boris Johnson, nur, dass der Johnson das angesagt hat und die Deutschen es einfach ausgesessen haben oder totgeschwiegen, kann man fast sagen. Aber im Ergebnis ist es so ähnlich. Wir haben jetzt halt so eine Exit Wave und

müssen halt hoffen, dass es das war. Lauterbach denkt daran, es könnte die Schulter eines größeren Berges sein. Also, ich halte das für extrem unwahrscheinlich, weil: Wo sollen die alle sein? Es gibt ja die bundesweiten Studien und europaweiten Studien bzgl. der Durchseuchung. Und wenn wir dann so Zahlen haben – also, in ganz Europa, wenn man alle Länder vergleicht, die Studie haben wir hier mal besprochen. Die, die die schlechteste Durchseuchungsrate haben, die haben noch ungefähr 30 % Personen, die noch gar keinen Immunschutz haben. Die Deutschen, weiß ich jetzt nicht mehr auswendig, wo die lagen, aber wahrscheinlich irgendwo so bei 20 %, 10 bis 20 %. Und das sind ja letztlich die, die keinen Immunschutz haben. Also, die weder geimpft sind, noch immunisiert sind durch durchgemachte Erkrankung. Das sind ja unsere Problemfälle letztlich. Und da glaube ich nicht, dass das so viele sind, dass wir noch eine Riesenschulter erwarten können, die dann nochmal ein Problem im Krankenhaus erzeugt. Aber: Was ich glaube, ist eigentlich nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir uns absichern gegen die Möglichkeit. Und so hat Lauterbach natürlich im Prinzip Recht. Also, man kann das nicht riskieren, weil es keiner von uns weiß. Und deshalb müssen wir jetzt schon noch ein paar Maßnahmen treffen, um die Inzidenz einzubremsen und uns das dann die nächsten zwei Wochen anzuschauen. Und wenn wir das vierte Lichtlein anzünden, dann werden wir sehen, ob wir uns freuen dürfen oder ob wir Weihnachten im Lockdown haben. Ich glaube, ersteres.

18:33

Camillo Schumann

Ja, das hoffe ich auch. Heute, wie gesagt, ist ja wieder Treffen Bund, Länder mit der Kanzlerin. Am Dienstag wurde es ja schon vorbereitet. Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung des Podcasts beginnt das Treffen. Über die beschlossenen Maßnahmen können wir also jetzt noch nichts sagen, wir werden das dann nächste Woche natürlich nachholen. Die große Unbekannte im Moment ist die neue Virusvariante Omikron. Im Moment wissen wir sehr wenig über diese neue Virusvariante, die seit ein paar Tagen bekannt ist und jetzt auch in immer mehr Ländern nachgewiesen wird, auch in Deutschland.

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Es ist doch davon auszugehen, dass diese Variante schon länger bei uns ist, wir haben es nur noch nicht bemerkt, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz offensichtlich so. Ich glaube auch, dass es da zu lokalen Übertragungen schon gekommen ist. Das ist immer so die Epidemiologen-Frage: Waren es nur importierte Infektionen oder auch lokale, die sog. autochtonen Übertragungen? Weil: Wenn es zu lokalen Übertragungen gekommen ist, gehen wir eigentlich immer davon aus, kann man es nicht mehr endgültig einfangen. Aber es gab ja schon viele Virusvarianten, die versucht haben, sich auszubreiten und die kläglich gescheitert sind. Auch ein Vorläufer von Delta, auch ein Vorläufer dieser in Norditalien entstandenen B1-Variante hat es ja mal in Nordamerika versucht. Da hat man später festgestellt, dass dann, ich glaube, im Bundesstaat Oregon war das, es einen relativ massiven Ausbruch gab, offensichtlich Direktimport aus China. Und der ist aber erst hinterher festgestellt worden. Da gab es ein paar hundert Infektionen, die hat man dann an dem Blut der Menschen, die es mehr oder minder alle überlebt haben, festgestellt und gesehen: Au wie, da war schon mal Sars-Cov-2 im Land. Hat es aber nicht geschafft, sozusagen eine sich selbst tragende Infektionswelle auszulösen. Und so ähnlich könnte das jetzt bei Omikron auch sein, zumal ja hier Delta der Platzhirsch ist. Und sich gegen ein so weit optimiertes Virus, also eine soweit optimierte Variante durchzusetzen in einer Lage, wo Delta so stark dominant ist, wird schwierig sein, weil: Man muss Folgendes nochmal sich klarmachen: Unser Immunsystem ist ja so, dass, wenn wir von einem Virus infiziert sind, dann gibt es eben das, was wir immer so ein bisschen als unspezifische Antwort bezeichnen oder eben auch diese angeborene Immunität. Da ist dann alles auf Alarmzustand, und das macht es dann für ein anderes Virus relativ schwierig, sich dann zusätzlich noch reinzuschleichen. Also, in gewisser Weise sind die Zellen, die da zur Infektion zur Verfügung stehen in den Atemwegen, monogam. Wenn das Delta-Virus da gerade zu Gange ist, dann hat es ein anderes grundsätzlich schwer. Auch, wenn es vielleicht ein bisschen besser programmiert wäre, ist es einfach schwierig. Der erste kommt halt und hat das Immunsystem

schon aktiviert und der zweite kriegt es dann sozusagen ab. Wir nennen das Interferenz. Also, dass es zwei Viren quasi – oft auch, wenn sie ganz unterschiedlich sind – gar nicht schaffen, zugleich eine Zelle zu infizieren. Am Ende des Tages ist es so, dass wir aber auch letztlich nicht uns davor sorgen müssen, ob das jetzt Delta oder Omikron ist. Das sind sehr ähnliche Viren. Und es ist überhaupt nicht klar, ob Omikron sich durchsetzt, auch wenn es schon im Land ist.

21:51

Camillo Schumann

Wir wissen ja, dass die Delta-Variante sich im Vergleich zur Ursprungs-Wuhan-Variante ungefähr doppelt so schnell ausbreiten kann oder ausgebreitet hat. Nun scheint es ja Hinweise zu geben, wie es bei der Omikron-Variante ist. Was weiß man da? Welche Daten gibt es da? Wie zuverlässig ist das?

Alexander Kekulé

Da gibt es noch keine. Ich lese überall alles Mögliche. Das soll jetzt 1,2-fach sein, hat irgendein Radiosender in Israel gesagt. Also, ich wäre da sehr vorsichtig. Wir haben halt die Daten – kann man schon sagen, die Epidemiologie, auf die es ja letztlich ankommt – aus Gauteng. Das ist diese Region, wo Johannesburg und Pretoria dazugehören, in Südafrika. Da, muss man sagen, hat sich jetzt aktuell die Inzidenz jetzt nur in dieser Region verdreifacht im Vergleich zur Woche davor. Und man hat auch festgestellt: Die machen dort was ganz Interessantes, was ich vor langer Zeit für Deutschland ja auch empfohlen hatte, ist nur hier nie so richtig gemacht worden. Die untersuchen Abwasser systematisch und gucken: Wie ist es denn mit der Eintragung des Virus im Abwasser? Und da haben die eine deutliche Zunahme jetzt in dieser Region von positiven Tests auf Coronaviren. Das heißt also, das geht schon hoch. Die hatten jetzt gerade gestern – aktuelle Zahl aus dieser Region. Die hatten 6.000 Neuinfektionen. Da kann man bei uns sagen: Das ist ja gar nichts. Aber: Das waren ungefähr 72 % aller Neuinfektionen in Südafrika. Also, daher kann man schon sagen: Dort ist es zu einem relativ starken Anstieg der Infektionszahlen gekommen. Das kann aber eben daran liegen, dass vorher die Zahlen so klein waren und

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dass es einfach viele Superspreading-Ereignisse gibt. Und: Wie gesagt – hatten wir ja schon letztes Mal drüber gesprochen: Wir wissen nicht genau, vor welchem Hintergrund das Virus jetzt diese Infektionen macht. Vielleicht waren die Leute dort größtenteils vorher mit Beta infiziert. Also, dass sie gar keine Infektionen vorher hatten, glaube ich in Südafrika nicht. Es waren hauptsächlich junge Leute, die da betroffen sind. Aber: Wenn die zum großen Teil vorher Beta hatten, und nicht Delta, dann könnte das natürlich erklären, warum jetzt Omikron sich da so durchsetzt.

23:55

Camillo Schumann

Die Frage ist, von den 6.000 Neuinfektionen, ob da überwiegend Omikron bestimmt war. Also: Ist es da schon dominant?

Alexander Kekulé

Das ist nicht überall sequenziert. Aber: Davon würde ich schon mal ausgehen. Weil: Wir kennen ja die Daten der vorherigen Virusausbreitungen in Südafrika. Da gab es eben die BetaWelle und da gab es die Delta-Welle. Und das ist dort relativ eindeutig immer gewesen. Es gab eine Eintragung ins Land und dann lokale, massive, wie wir sagen, monoklonale Ausbreitungen. Das heißt also, das hat irgendwo angefangen. Und das ist leider ein typisches Zeichen dafür, wenn man überhaupt keine nicht-pharmakologischen Interventionen hat. Also, wenn die Leute das einfach laufen lassen mit diesen Eintragungen, dann kriegt man halt lehrbuchhaft quasi, dass an einer Stelle das Virus sich explosionsartig vermehrt, weil es einfach da ist und die Leute keine Schutzmaßnahmen ergreifen. Wer die Gegend da unten kennt, weiß, dass das ungefähr auch das Bild ist, was man da haben muss. Und so wird es natürlich jetzt mit Omikron auch sein. Das heißt also: Das ist schon sehr wahrscheinlich – auch, wenn das nicht komplett durchsequenziert wurde – dass das größtenteils jetzt auf Omikron zurückzuführen ist.

25:05

Camillo Schumann

Wenn sich Omikron schon eine Weile bei uns unerkannt an der einen oder anderen Stelle ausgebreitet hat: Hätte es sich denn dann eigentlich schon viel mehr verbreiten müssen,

wenn es sich denn auch deutlich schneller verbreiten könnte? Sie wissen, was ich meine?

Alexander Kekulé

Ich spüre Ihren Versuch, was Optimistisches dazu zu sagen. Ja, die Frage stellt man sich natürlich. Aber dafür haben wir zu wenige Daten. Also, bis jetzt ist es ja immer nur mal nachgewiesen worden direkt bei Einreisenden, die irgendwie aus Südafrika oder einem der benachbarten Länder kamen. Angeblich gibt es auch Fälle, die aus Ägypten eingeschleppt wurden. Mein Verdacht ist, dass sich Omikron in vielen afrikanischen Ländern ausgebreitet hat – ohne, dass wir es gemerkt haben. Da hat so eine Parallel-Evolution stattgefunden. Das ist quasi jetzt so der afrikanische Typ vielleicht, dieses Virus. Aber: Es gibt ja überhaupt keine Hinweise, dass das jetzt wirklich gefährlicher wäre. Das kann man nur betonen. Und am Ende wird die entscheidende Frage sein: Kann das mehr Impfdurchbrüche machen als Delta? Und: Kann das häufiger Menschen, die sich schon mal infiziert haben mit Delta, dann nochmal befallen? Und die Frage ist dann auch: Wie schlimm wird es? Und da, meine ich, sind wir jetzt ausnahmsweise mal vor der Welle, wenn man so sagen darf. Wenn die Prognose stimmt, dass wir im nächsten Frühjahr, sage ich mal, bei

90 % plus Durchseuchung sind bzw. Impfung – also, dass über 90 % auf die eine oder andere Art eine Art Grundimmunisierung haben – dann ist mir das relativ egal, wenn Omikron kommt. Weil: Selbst, wenn das dann Durchbrüche macht, dann haben Sie halt leichte Infektionen. So wie bei Leuten, die schon mal früher Covid hatten am Anfang. Was weiß ich, irgendwelche Skifahrer aus Ischgl. Wenn die dann nochmal zusätzlich von Delta betroffen werden, ist das natürlich kein schwerer Verlauf. Und so was Ähnliches stelle ich mir da auch vor. Das wird in den nächsten Jahren einfach unser Zustand sein. Da wird es immer neue Virusvarianten geben. Und ich kann nur sagen: Das ist ja bei anderen Viren auch so. Also, ist es nicht so, dass wir bei anderen Viren sagen könnten: Das ist genau dieser Typ und der verändert sich überhaupt nicht. Sondern: Alle Viren – bei Influenza z.B. kennt man es genau und passt deshalb jedes Jahr die Impfstoffe an. Alle Viren verändern sich irgendwie ein bisschen. Wir sprechen sogar eigentlich dann gar nicht mehr richtig von Virus-Arten, also Virus-

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Spezies, sondern: Wir nennen die dann QuasiSpezies, weil die so unterschiedlich sind, quasi nur noch eine Wolke möglicher, ähnlicher Zustände, dass das völlig normal ist, dass das Virus nicht immer das gleiche ist, was uns betrifft. Das ist ja auch der Trick, mit dem es immer wieder unser Immunsystem dann überlistet, doch wieder eine Infektion zu machen. Viren wollen halt auch irgendwie leben. Und deshalb würde ich mich jetzt, wenn es dann so ist, dass wir eine gewisse Grundimmunität haben auf die eine oder andere Weise, würde ich mich da nicht mehr über Omikron aufregen, sondern: Wir müssen dann die Frage beantworten: Wieviel zusätzliche Sicherheit wollen wir dann noch? Also, ich meine: Wenn es diese Grundimmunität gibt und wir insbesondere bei den Alten über 60 regelmäßig boostern – da ist es ganz dringend natürlich notwendig – dann, meine ich, ist das ein Zustand und ein Risiko, mit dem wir uns dann irgendwann mal auch abfinden müssen.

28:30

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, so im Vergleich: Wie sich Delta verbreitet hat, wie Delta am Anfang kam, wie es bewertet wurde und wie Delta dann tatsächlich durchgeschlagen hat, hat es ja schon unsere Sicht auf das Virus und wie wir damit umgehen, wie die Impfstoffe wirken, ja schon leicht verändert. Also, deswegen ist ja schon so eine gewisse Grundgefahr dar, dass jetzt doch wieder alles über den Haufen geworfen wird, weil man ja auch am Ende der Maßnahmen ist. Also: Was soll man denn noch machen?

Alexander Kekulé

Ja, gut, dass Sie das ansprechen, weil: Ich glaube, dass da viele so ein bisschen Angst vor haben. Also, das ist ja so: Also, das Delta hat ja bei uns ein völlig noch unbestelltes Feld gefunden. Das war ja so, dass wir in Deutschland keineswegs irgendwie durchimmunisiert waren, als Delta kam. Sondern: Delta hat sich durchgesetzt, ganz simpel. Deshalb, weil wir die Gegenmaßnahmen, die nicht-pharmakologischen Interventionen – also, Maske, Abstand usw. – das haben wir alles aufgemacht. Und deshalb ist in Deutschland Delta durchgebrochen wie in den anderen Ländern. Und hinterher haben – nach dem gleichen Schema, wie es in anderen

Ländern zuvor gelaufen ist – die Politiker gesagt: Das lag nicht daran, dass sie alles aufgemacht haben, sondern es lag daran, dass Delta kam. Jede Variante von Sars-CoV-2 hätte sich da durchgesetzt unter diesen Bedingungen. Und nun war es halt diesmal Delta. Aber jetzt ist die Situation anders, weil wir durch die natürliche Durchseuchung und durch die Impfung einfach eine Grundimmunität haben und deshalb das Virus nach und nach – ohne, dass man es natürlich unterschätzen darf – an Gefährlichkeit verliert. Es wird wahrscheinlich dann irgendwann in den Lehrbüchern der Medizin stehen, als Spezialproblem bestimmter Bevölkerungsteile. Wenn Sie immunsupprimiert sind – Sie nehmen nach einer Organtransplantation Medikamente, um das Immunsystem zu unterdrücken – dann gehören Sie zu den Risikogruppen. Oder bestimmte Vorerkrankungen, starkes Übergewicht oder auch hohes Alter. Da wird es dann so sein, dass man sagt: Mensch, das ist hier nach wie vor – auch mit einer Grundimmunisierung – ein Risiko, ist das ein Problem für diese Menschen. Aber bei den meisten, dem größten Teil der Bevölkerung sind wir jetzt in einer komplett anderen Lage als damals, als das Delta kam.

30:39

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, wie sich Omikron weiterentwickelt. Haben wir natürlich einen Blick hier im Podcast darauf. Damit zum nächsten Thema: Die Diskussion um eine Impfpflicht in Deutschland nimmt weiter Fahrt auf. Für Menschen, die mit vulnerablen Gruppen arbeiten, soll diese Impfpflicht ja offenbar recht schnell kommen. Heute, beim Treffen der Noch-Kanzlerin – heute Abend wird sie ja dann offiziell verabschiedet – mit den Ministerpräsidenten wird das auch ein wichtiges Thema sein. Nur, die Frage ist, ob es eine generelle Impfpflicht geben wird. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst, derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, hat in einem Interview gesagt, dass die Politik mit Blick auf eine generelle Impfpflicht Wortbruch begangen hat. Man kann das Wort nicht halten, was man gegeben hat. Das waren auch Versprechen, die gegeben worden sind vor dem Hintergrund, dass man geglaubt hat, es würden sich alle impfen lassen. Das ist nicht passiert. Und Herr Wüst befürwortet eine

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breite Diskussion zu diesem Thema. Ich weiß, das ist jetzt keine epidemiologische und keine virologische Frage, aber: Dass ein Politiker Wortbruch zugibt, das hat man ja auch nicht alle Tage.

Alexander Kekulé

Ja, das macht mir ein bisschen Angst, weil ich die Befürchtung habe, dass die vorhaben, die Impfpflicht einzuführen und das damit vorbereiten. Also, weil: Sowas sagen Politiker auch nicht umsonst. Also, dass jemand geglaubt hat, es würden sich alle impfen lassen – was Sie gerade vorgelesen haben: Das tut mir richtig weh, wenn ich das höre. Wie darf man Politiker werden, wenn man so einen Unsinn annimmt? Also, das ist ja wirklich fürchterlich. Aber man kann es so rum sagen: In der jetzigen Lage – um es ganz kurz zu machen – ist die allgemeine Impfpflicht Gift. In der jetzigen Lage. Also, die Impfung ist natürlich notwendig, aber man muss sich doch immer überlegen: Für die jetzige Welle wird es nichts mehr bringen. Möglicherweise – wir wissen nicht, ob Lauterbachs oder Teicherts oder Kekulés Optimismus und Pessimismus da richtig oder falsch ist – aber: Möglicherweise begrenzt sich die Welle gerade selber. Wenn sie sich nicht selber begrenzt, müssen wir nicht-pharmakologische Interventionen machen. Wir müssen dringend schon längst Versammlungen über 50 mal mit Maske machen und die üblichen Grenzen wieder einziehen. Das kann nicht sein, dass wir massenweise 2G-Veranstaltungen machen. Und, dass man jetzt sagt, einerseits: 2G soll weiterlaufen. Nach dem Motto: Das Versprechen für die Impfung – das muss man sagen, falsche Versprechen der Impfung – dass man nämlich dann hinterher sich völlig ungehemmt in dieses Risiko begeben könnte und nicht mehr zur Epidemie beiträgt, dieses falsche Versprechen wird weiter fortgetragen. Das wird sozusagen wiederholt einfach. Und zugleich sagt man: Ja gut, aber dafür zeigen wir jetzt, dass wir hier handlungsfähig sind, indem wir die Impfpflicht einführen. Schauen Sie sich mal an, was das für Leute sind, die sich nicht impfen lassen. Also, wie gesagt, es gibt aus meiner Sicht drei Gruppen. Die eine sind die, die einfach nur unentschlossen sind, die es noch nicht verstanden haben. Da wird es vielleicht ein paar geben, die sich dann vor der Impfpflicht beugen. Aber die werden sich ja früher oder später beugen,

wenn sie jeden Tag einen Schnelltest machen müssen. Das nervt sie. Und einfach den normalen, Unentschlossenen plagt es dann irgendwann so, dass er sich impfen lässt. Und dann gibt es die, die einfach gesagt haben: Nö, ich warte jetzt auf die neuen Impfstoffe. Da gibt es ja auch u.U. Gründe dafür. Zumindest bei Jüngeren kann man die Überlegung anstellen. Und die wird man dann auch nicht überzeugen. Die neuen Impfstoffe kommen sowieso viel früher, als die Impfpflicht dann einen Effekt zeigen würde. Und die dritte Gruppe, also, so diese Hardcore-Leugner, wenn ich mal so sagen darf: Also, was wollen Sie denn machen? Wollen Sie die an den Füßen voraus irgendwie zerren oder das Gatter treiben und dann zwangsimpfen? Oder wollen Sie die einsperren und dann in Beugehaft nehmen, wenn sie ihre Strafen nicht zahlen? Also, ich sehe da wirklich eine gefährliche Tendenz, dass man eine gewisse Spaltung in der Gesellschaft – Sie haben ja gesagt, das ist keine Frage an einen Virologen – aber: Das ist ja eine Spaltung der Gesellschaft, die nicht nur mit der Impfpflicht zu tun hat, sondern die wir in den deutschsprachigen Ländern in Europa sowieso beobachten. Und das verstärkt man dann noch, gleich zu Anfang der neuen Legislatur. Also, ich glaube, wir müssen in so einer Phase eher zusammenhalten und nicht sagen: Die da drüben sind die Idioten und wir sind die Guten und jetzt müssen diese Idioten sich mal beugen.

35:01

Camillo Schumann

Wir haben ja auch schon gelernt in der Pandemie, was so politische Kommunikation angeht: Man „droht“ – in Anführungszeichen – Maßnahmen an und dann reagiert das Volk ja schon, indem es in vorauseilendem Gehorsam dann auch dem entspricht. Und dann braucht man die Maßnahmen möglicherweise gar nicht. Weil Sie gesagt haben: Diese Welle, die vierte Welle, wird jetzt mit einer Impfpflicht nicht gebrochen. Ich glaube, da sind sich in Berlin alle einig, dass das sozusagen da gar nicht gemacht wird, sondern eher so Februar, März wird da angepeilt möglicherweise. Und hört man Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsidenten, so zu, dann wird das auch keine schnelle Entscheidung. Sein Kalkül ist folgendes:

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„Spätestens, wenn auch die dritte Form des Impfstoffes da ist – also, wenn neben dem Vektor-Impfstoff, dem RNA-Impfstoff auch der TotImpfstoff da ist – wenn die drei verschiedenen Varianten da sind, dann ist, meines Erachtens, der Zeitpunkt erreicht, wo wir uns auch für eine gesetzliche Regelung engagieren und einsetzen müssen.“

Die Frage ist, ob man, wenn alle Impfstoffarten und vorhanden sind, überhaupt noch über eine generelle Impfpflicht sprechen muss. Weil: Dann sind ja eben die Zweifler, die eben keinen neuartigen Impfstoff haben wollen, ja dann sowieso überzeugt, weil sie ja auf diesen TotImpfstoff schon gewartet haben.

Alexander Kekulé

Ja, es ist genau, wie Sie sagen. Und man kann hoffen, dass das, was Herr Ramelow sagt, so ein Rückzugsgefecht ist, dass sie von dieser allgemeinen Impfpflicht wieder abweichen wollen. Aber der künftige Bundeskanzler hat sich ja da schon festgelegt, darum bin ich etwas beunruhigt. Aber es ist so: In der Tat, wenn man so einen Paradigmenwechsel in unserer deutschen, sage ich mal, in unserem Verständnis von dem, wie man die Grundrechte einschränkt, wenn man so einen Paradigmenwechsel vollziehen will, dann muss da, meines Erachtens, wirklich eine knallharte Begründung im Raum stehen. Und wenn er quasi sagt: Ja, wenn dann die neuen Impfstoffe da sind, wollen wir die Impfpflicht. Ohne abzuwarten, ob dann vielleicht das überhaupt noch nötig ist. Die Frage ist ja auch: Wie gut sind unsere Impfstoffe dann noch wirksam? Also, die Juristen sagen immer: Das Mittel muss geeignet sein und angemessen sein. Und die Angemessenheit, das Thema mit den Grundrechtseingriffen – aber hier scheitert es ja schon an der Eignung, weil wir ja wissen, dass die Impfstoffe zunehmend unwirksamer werden und auch gar nicht klar ist, ob man jetzt nach sechs Monaten nachimpfen muss oder insbesondere bei Jüngeren wahrscheinlich erst nach ein, zwei Jahren. Wie ist es mit denen, die genesen sind? Die haben ja – rein, was der wissenschaftliche Datenstand ist – einen mindestens so guten Schutz wie die Geimpften, der übrigens auch besser gegen Varianten geht, weil der Impfstoff nur dieses S-Protein quasi anbietet und ein echtes Virus natürlich alle möglichen, sage

ich mal, Zielfläche für das Immunsystem dann hat. Das heißt also: Gibt es denn überhaupt dann sozusagen einen Grund, Leute, die z.B. genesen sind, zu einer Impfung zu verpflichten? Also, all diese Fragen sind unbeantwortet. Und dann in die Zukunft sagen: Ja, aber dann werden wir im Februar eine Impfpflicht brauchen. Das gefällt mir nicht. Das ist so politischer Aktionismus, der sich da vermischt mit letztlich dem Gefühl, dass viele Politiker wahrscheinlich schon verstanden haben, dass das eine Katastrophe ist, dass wir in Deutschland aus einer superguten Startposition mit einem der dichtesten Krankenhausnetze der Welt, mit einem der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, mit guten Wissenschaftlern, die z.T. ja auch richtige Prognosen und Empfehlungen abgegeben haben, dann am Schluss hier in einer Position sind, wo jetzt alle auf uns gucken, entsetzt, und sagen: Wie konnte das passieren? Also, heute habe ich vorhin mal aus einem anderen Grund nachgeguckt bei der Johns-Hopkins-Universität. Da sind wir jetzt auf Platz 2 – hinter den USA – bei den am schlechtesten performenden Staaten, was die CovidInzidenz betrifft. Lange vor Porto Rico oder Rumänien oder sonst was. Also, wir haben es echt ganz nach vorne auf dieser Liste geschafft. Und da muss man sagen: Das spüren die Politiker natürlich auch. Und das Ganze mit einem besonders großen, finanziellen Aufwand. Wenn das stimmt, was die Deutsche Bank mal ausgerechnet hat, dann sind wir ja im Bereich von Billiarden, die uns der Spaß hier kostet. Also: Wir haben maximal Geld dafür ausgegeben, wir haben maximal Gegenmaßnahmen gemacht und die Bevölkerung belastet, viel mehr als andere Länder, die das mit anderen Strategien gemacht haben. Und wir haben trotzdem über 100.000 Tote. Jetzt haben wir im Herbst nochmal so eine schlimme Welle gehabt. Also, das ist natürlich etwas, wo die Politiker jetzt alle so das Gefühl haben, sie müssen sich erklären. Aber ich kann wirklich nur nochmal sagen: Bitte nicht jetzt mit der Impfpflicht zündeln, das wäre im Moment das falsche Instrument zur falschen Zeit.

39:45

Camillo Schumann

Weil Sie gerade gesprochen haben, die Impfstoffe, die Wirksamkeit nimmt ein wenig ab: Impfdurchbrüche nehmen zu. Und die Frage ist

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ja: Welche Folgen haben solche Impfdurchbrüche für die betroffenen Personen? Wie schwer erkranken sie? Kann so eine Durchbruchsinfektion möglicherweise auch zu Long-Covid führen? Welche Altersgruppen sind da betroffen? Wichtige Fragen. Und diesen Fragen sind Wissenschaftler der University of Oxford nachgegangen. Sie haben dafür Patientendaten des TriNetX-Netzwerkes ausgewertet. Das ist eine ziemlich große Datenbank aus echten Patientendaten, auf die die Wissenschaft zugreifen kann. Eine wichtige Quelle von Real-World-Daten. Wie wichtig ist so eine Datenbank wie dieses TriNetX-Netzwerk?

Alexander Kekulé

Also, das ist goldwert. Das ist hauptsächlich in den USA. Das sind so diese Healthcare Organizations, also diese Versicherer letztlich, kann man sagen. So, wie es diese großen in Israel gibt, wo wir deren Datenbank immer benutzen, um zu gucken, wie gut BioNTech funktioniert. Das sind 59 solcher Healthcare Organizations, die das machen, mit 81 Mio. Personen, die da versichert sind. Das ist wirklich toll, weil man da eben gucken kann statistisch an einer sehr, sehr großen Zahl: Was ist mit was assoziiert? Ganz wichtig immer: Solche Beobachtungsstudien, die haben natürlich letztlich nicht die Eigenschaft, dass man echte Kausalität nachweisen kann. Aber man kann Zusammenhänge nachweisen. Und dadurch, dass die Zahlen so groß sind, dass man dann mal schnell ein paar Tausend Infizierte kriegt u.Ä. oder Geimpfte, die sich trotzdem infiziert haben, dadurch werden die Ergebnisse statistisch sehr schnell signifikant und haben, wie wir sagen, eine hohe Power. Das heißt also, die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis stimmt, ist dann sehr hoch.

41:28

Camillo Schumann

Und aus diesen Daten wurde jetzt eine retrospektive Kohortenstudie und eine Time-ToEvent-Analyse gemacht. Was können Sie zu diesen Verfahren sagen?

Alexander Kekulé

Erstens, man muss immer dazu sagen an der Stelle: Es ist ein Preprint. Das ist mir immer wichtig, weil: Das ist also noch nicht reviewed worden, also noch nicht von Gutachtern begutachtet worden, sieht aber extrem solide aus.

Ja, und was die gemacht haben, ist letztlich: Die sind auf die Frage losgegangen, die uns natürlich alle interessiert: Wenn ich mich dann impfen lasse, schützt mich das eigentlich dann auch von Long-Covid? Also, wenn ich dann trotzdem Covid bekomme – Impfdurchbrüche sind ja ein bekanntes Phänomen, gerade bei Delta – habe ich da eine geringere Wahrscheinlichkeit, Long-Covid zu kriegen? Soll ich das Ergebnis gleich sagen vielleicht an der Stelle? Die Antwort ist: Nein, leider, leider nicht. Die Impfung schützt nicht vor Long-Covid. Wenn man also trotz Impfung dann doch Covid kriegt, ist für die, die Covid haben, die Wahrscheinlichkeit, länger dauernde Symptome zu haben, genauso groß, als wenn man einfach nur so Corona bekommen würde. Und dann: Der Zeitraum, den die da angeguckt haben, ist sechs Monate. Das heißt, sie haben gesagt: Sechs Monate nach einer Infektion, wie sieht es dann eigentlich aus mit Leuten mit Symptomen, die noch da sind? Da haben sie zum einen mal geguckt: Bei wem ist registriert, dass er gestorben ist? Bei wem ist registriert, dass er auf der Intensivstation war oder beatmet werden musste. Also, so die klassischen Probleme, die eher mit der akuten Infektion zusammenhängen. Und dann haben sie eben vor allem auch diese klassischen Long-CovidSymptome sich zusammengeklaubt. Das heißt z.B. Atemstörungen Brustschmerzen, Schmerzen in der Brust, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen und vor allem so psychologische oder psychiatrisch-neurologische Probleme, wie Angststörungen, Depressionen und kognitive Symptome. Also, wenn da Leute dann Gedächtnisstörungen und sowas haben. Da gibt es überall so Codierungen in diesen Versicherungen, dass ist der sog. ICD-Code, mit dem jede kleine Krankheit eine ein bisschen andere Nummer hat. Und deshalb kann man relativ genau das runterbrechen, wie häufig da was ist.

43:44

Camillo Schumann

Und jetzt ist natürlich die Frage: Wer ist von diesen Symptomen – trotz Impfung – am häufigsten betroffen?

Alexander Kekulé

Ja. Am häufigsten betroffen – trotz Impfung – sind natürlich erwartungsgemäß die Älteren.

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Was da positiv dabei rausgekommen ist, kann man sagen: Es ist die Schutzwirkung nochmal bestätigt worden gegen die Dinge, die jetzt das Covid selber betreffen. Also, z.B. der Schutz vor tödlicher Erkrankung in diesem Verlauf von sechs Monaten liegt bei 30 %. Das heißt also: 30 % weniger tödliche Verläufe bei den Geimpften. Da sind aber die einmal Geimpften mit reingenommen – als Vergleich zu denen, die nicht geimpft sind. Ganz interessant ist: Die haben hier – und das ist eine Stärke dieser Studie – als Nicht-Geimpfte wirklich nicht irgendwas genommen, sondern die hatten insgesamt 9.479 Menschen, die also mit Covid geimpft waren und krank wurden und beobachtet wurden und nochmal Covid bekommen haben. Und dann haben sie 1:1 gematched, jeden einzelnen von denen. Da haben sie für jeden einzelnen jemanden gesucht, der bzgl. Geschlecht, bzgl. Grunderkrankungen, bzgl. Alter, bzgl. Wohnort usw. dazu passt. Das heißt also quasi, eine gematchte Kontrolle, eine dazu angepasste Kontrolle. Und als Kontrollen haben sie solche genommen, die mit Influenza geimpft wurden. Also, dass man so sagt: Na gut, das ist jetzt schon sehr gut vergleichbar. Also, methodisch das Beste, was man eigentlich so machen kann. Und da kommen eben, wenn Sie so wollen, nur noch 30 % Schutz vor tödlichen Verläufen raus. Also, 30 % weniger sterben, wenn sie geimpft waren in diesem langen Zeitraum. Und bei den anderen Daten sieht es auch nicht so viel besser aus. Also, mechanische Beatmung, also Intubation und Beatmung 28 %, Aufenthalt auf der Intensivstation 25 % Schutz. Also, das ist immer die Differenz zwischen denen, die gegen Covid geimpft waren, und denen, die gegen Influenza geimpft waren. Also, der Grund ist natürlich der, warum das nicht mehr so gut aussieht, dass das hier weit in die Delta-Phase reingeht und da viele alte Patienten dabei waren. Und bei Jüngeren ist der Schutz noch ein bisschen besser. Und bei den Älteren – muss man halt fairerweise sagen – ist es so: Auch die geimpften Alten haben, wenn sie Risikofaktoren, zusätzliche Grunderkrankungen haben, ein gewisses Risiko, auf der Intensivstation zu landen. Das ist ja auch das, was wir in Deutschland gerade beobachten.

46:01

Camillo Schumann

Genau, das sehen wir ja auch in den Daten. Ist

das jetzt ein klares Plädoyer für die BoosterImpfung nur für die Alten oder für, ich sage mal so, Leute ab 40?

Alexander Kekulé

Also, aus den Daten kann man rauslesen, dass ab 60 die Boosterung dringend erforderlich ist, weil die Impfstoffe einfach noch nicht angepasst sind. Das ist eine Krücke, dass wir das machen müssen. Viel besser wäre es natürlich, wir hätten gegen Delta angepasste Impfstoffe. Stattdessen nehmen wir das gleiche Zeug halt jetzt ein drittes Mal. Und das bewirkt ja auch was. Es ist aus Israel klar gezeigt, dass Ältere von der Boosterung profitieren. Und die sind ja hier nicht eingeschlossen. Daher, wie Sie richtig sagen: Klares Plädoyer für die Boosterung. Aber: Was halt schon erstaunlich ist, wenn Sie sich jetzt diese sechs Monate anschauen und jetzt gucken: Wie ist die Schutzwirkung sechs Monate nach der ursprünglichen Infektion bzgl. immer noch bestehender Stimmungsstörungen oder Angststörungen oder Kopfschmerzen oder dann insgesamt jede Art von Long-Covid? Da gibt es ja ganz viele Symptome, die damit assoziiert sind. Dann kriegen Sie interessanterweise keine Schutzwirkung, sondern die sog. Hazard Ratio. Also, das Verhältnis der Geimpften zu den Ungeimpften ist dann über 1. Ganz knapp über 1. 1,05 z.B. kommt da raus. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass z.B. Kopfschmerzen irgendwie 5 % mehr haben unter denen, die geimpft sind, sechs Monate nach der Covid-Erkrankung im Vergleich zu denen, die Covid bekommen haben, ohne geimpft gewesen zu sein. Da fasst man sich natürlich erstmal an den Kopf. Da kriegt man Kopfschmerzen, wenn man das merkt und sagt: Hä, wieso kann denn die Impfung jetzt dazu führen, dass man häufiger Long-Covid kriegt? Die Antwort ist natürlich, dass das ein ganz anderer Mechanismus ist. Also, die Autoren spekulieren – das finde ich ganz vernünftig. Die sagen: Na ja, also, jemand, der z.B. wusste, dass er geimpft ist und dann trotzdem krank wird, den stresst das natürlich mehr als jemanden, der wusste, dass er sich nicht impfen lässt und die Krankheit in Kauf nimmt. Und die sagen: Gerade diese neurologischen und psychiatrischen Langzeitfolgen, die man unter Long-Covid ja subsumiert, die sind natürlich abhängig von dem, wie schlimm man das empfindet. Und wenn jemand jetzt völlig

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gestresst ist, weil er trotz Impfung krank geworden ist, dann hat er eben häufiger diese neurologischen, psychiatrischen Long-CovidErscheinungen. Kann man sich auch gut vorstellen. Das ist natürlich auch eine andere Klientel, die sich nicht impfen lässt. Gerade in den USA, wo das ja zum großen Teil gemacht wurde, da sind die, die sich nicht impfen lassen ja, darf ich mal so sagen, so pauschal, so ähnlich wie bei uns. Was man so aus den Medien, so von manchen Dörfern in Ostbayern oder Sachsen so kennt. Das sind so Leute, die einfach glauben, dieses Virus kann mir nichts anhaben, so mancher Texaner. Und wenn die dann eben doch Covid kriegen, dann wollen die sich auch selber einreden: Ach, jetzt habe ich das blöde Virus und es ist nur ein Virus und ich werde bestimmt wieder gesund und das ist nicht so schlimm. Und deshalb sind diese psychologischen Folgen von Covid bei denen interessanterweise nicht so schlimm, sodass also die Impfung dann, rein statistisch gesehen – so paradox das klingt – häufiger zu Long-Covid führt in diesen neurologischen Symptomen als bei denen, die ungeimpft Covid bekommen haben.

49:13

Camillo Schumann

Okay. Die Schlussfolgerung: Wir haben ja schon gesagt: Booster über 60. Reicht das an Schlussfolgerungen aus dieser Studie?

Alexander Kekulé

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man weiß: Ja, wir müssen boostern, das ist tatsächlich notwendig. Und wir sehen auch, dass insgesamt die Impfung nicht optimal ist. Auch ein Grund vielleicht gegen die Impfpflicht, nochmal an der Stelle. Entschuldigung, wenn ich das nochmal erwähne. Aber: Wir haben einfach suboptimale Impfstoffe im Moment. Das ist kein Vorwurf gegen die Hersteller, aber die werden ja bald mit neuen Impfstoffen rauskommen. Und: Wir brauchen eben Impfstoffe, die zuverlässiger die Erkrankung vermeiden, weil auch eine Covid-Erkrankung bei Geimpften mit ungefähr der gleichen Wahrscheinlichkeit zu Long-Covid führen kann, wie bei Ungeimpften.

50:01

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. K. aus Freiburg hat gemailt. Sie schreibt:

„Wenn ich bisher zweimal mit dem mRNAImpfstoff geimpft bin und nach der Freigabe des Tot-Impfstoffs Novavax dann diesen als dritte bzw. weitere Impfung bevorzugen würde: Ist der Wechsel von mRNA-Impfstoff auf einen Tot-Impfstoff möglich? Oder muss ich immer wieder auf den Impfstoff zurückgreifen, den ich bei der ersten bzw. den ersten beiden Impfungen erhalten habe? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Man kann da wechseln. Das wird man dann sehen, was die Impfstoffe für ein Profil haben werden. Ich muss immer ein bisschen davor warnen. Viele warten jetzt auf die neuen Impfstoffe. Aber wenn die dann zugelassen sind, dann werden die ja erst mal angewendet. Und dann ist natürlich das gleiche Prinzip wie bei den RNA-Impfstoffen. Man muss dann erst mal abwarten, was die wiederum für Nebenwirkungen haben. Das weiß man ja auch nicht sofort am ersten Tag. Nur so eine kleine Korrektur: Novavax, das ist ein Impfstoff, der wird proteinbasiert sein. Das heißt also, das ist quasi ein künstlich hergestelltes Eiweißmolekül und ein Wirkverstärker noch dabei, ein Adjuvans. Aber es ist kein Tot-Impfstoff. Vom Tot-Impfstoff sprechen wir dann, wenn es ein ganzes Virus ist, was inaktiviert wurde.

51:10

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 251. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Fragen-Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, das kostet auch nichts: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Po-

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dcasts gibt. An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung: Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 30. November 2021 #250

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

Covid-19-Trends in Deutschland (RKI):

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Covid19-Trends/Covid-19Trends.html?__blob=publicationFile

Dienstag, 30. November 2021

Erstmals seit drei Wochen geht die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz leicht zurück. Haben wir den Kipppunkt erreicht? Und was bedeutet die aktuelle Lage für neue Maßnahmen?

Dann die Omikron Variante sorgt für Aufregung. Was wir darüber wissen.

Außerdem: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt die Zulassung des Corona-Impfstoffs von BioNTech Pfizer für Kinder ab fünf Jahren. Was spricht für und was gegen eine Impfung von Kindern?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Ja 250. Ausgabe heute – Jubiläum quasi. Hätten Sie am 16. März 2020 gedacht, dass wir uns jetzt 20 Monate später immer noch über die Pandemie unterhalten müssen? Also ich nicht um ehrlich zu sein.

Alexander Kekulé

Natürlich habe ich das vorher gesehen. Was denken denn Sie? (lacht) Nee, man kann ja so Einiges vorhersehen. Ich habe ehrlich gesagt ganz am Anfang dieser Pandemie gedacht – da ist noch gar nicht die Pandemie erklärt worden dieses Ausbruchs – habe ich wirklich gedacht, das wird so ähnlich wie bei SARS 2003. Bis Ende des Jahres ist der Käse gegessen, so die ersten Wochen meine Hoffnung. Ehrlich gesagt.

Camillo Schumann

Aber die Hoffnungen wurden ja leider nicht erfüllt. An dieser Stelle muss man wirklich mal ein großes Dankeschön an unsere Hörerinnen und Hörer aussprechen, die uns die Treue halten. Viele sind auch neu dazugekommen. Ich will mal nur drei kurze Mails vorlesen, die wir in den vergangenen Tagen bekommen haben. Die Frau K. hat uns geschrieben. Sie schreibt: „Die Ausführungen sind sehr verständlich und mit einer angenehmen Prise Humor gewürzt.“ Das ist doch schön, oder?

Alexander Kekulé

Nein, ich finde so viel Späße machen wir gar nicht. Ich hätte noch viel mehr auf der Pfanne, aber das dürfen wir ja hier nicht.

Camillo Schumann

Wir sollten uns ein wenig zurückhalten. Das stimmt. Aber nichtsdestotrotz zeichnet das, glaube ich, auch den Podcast aus. Was viele Hörerinnen und Hörer schreiben, dass man die aktuelle Lage so schwer sie auch ist, einordnet, aber trotzdem immer noch mit einem positiven Grundton. Ich glaube, dass ist wichtig. Das gelingt ihnen besser als mir, muss ich dazu sagen. Ich bin ja eher ein bisschen zurückhaltend.

Alexander Kekulé

Ich sehe es immer so ein bisschen historisch. Wissen Sie, ich habe natürlich mich intensiv

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auch mit vergangenen Pandemien beschäftigt, weil wir die letzten Jahrzehnte viel Pandemieplanung gemacht habe. Und irgendwie ist der Mensch immer mit diesen Dingen klargekommen. Das waren zwar zum Teil fürchterliche Einschnitte, aber unser Immunsystem ... In das hab ich größtes Vertrauen. Und das wird auch letztlich dann gemeinsam mit den Impfstoffen auch mit diesem Virus klarkommen.

Camillo Schumann

N. hat geschrieben „Ich habe im letzten Jahr viel durch sie viel gelernt, vielen Dank dafür.“ Und B. hat vor ein paar Tagen geschrieben und das finde ich wirklich spannend, was er schreibt. „Ihr Podcast hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich habe impfen lassen. Ich war anfänglich v.a. wegen der unknown Unknowns zögerlich. Sie haben mich dann aber überzeugt.“ Das ist doch was oder?

Alexander Kekulé

Na wegen dem Einen hat es sich jetzt auf jeden Fall gelohnt. Haben Sie auch ein paar negative? Oder haben Sie die alle den Schredder gesteckt?

Camillo Schumann

Ganz zum Schluss der Sendung haben wir eine Anruferin, die was nicht ganz verstanden hat. Das ist schon Kritik, und das besprechen wir dann. Das muss man wirklich sagen. Fast im Minutentakt flattern wieder Mails mit ihren Fragen in unser Postfach. Wir geben unser Bestes, Ihre Fragen zu beantworten. Extra dafür gibt es ja jeden Samstag ein Fragen Spezial.

Herr Kekulé, die zweihundertfünfzigste Sendung wird eine Sendung, in der wir über eine neue Virusvariante sprechen müssen, über die EMA Entscheidung zur Impfung von Kindern und über das aktuelle Infektionsgeschehen, von dem es mal keine neuen Hiobsbotschaften zu vermelden gibt. Die deutschlandweite 7Tage-Inzidenz ist erstmals seit drei Wochen minimal zurückgegangen, liegt aktuell bei 452,2. Rund 46.000 Neuinfektionen wurden dem RKI innerhalb von 24 Stunden gemeldet, etwa soviel wie vergangene Woche. Sie haben sich alle weiteren wichtigen Kurven angeschaut. Wie

fällt Ihre Bewertung aus? Haben wir den Kipppunkt erreicht? Oder noch nicht?

Alexander Kekulé

Ich würde es gerne sagen, aber man muss ja immer sehr vorsichtig sein mit Prognosen. Sie wissen, v.a., wenn sie die Zukunft betreffen. Es ist so, dass wir ja schon seit einigen Wochen so ein bisschen rätseln, warum sich jetzt die Geschwindigkeit der Neuinfektionen verlangsamt. Und dieser Trend hat sich fortgesetzt oder andersherum gesagt: Es ist einfach ziemlich deutlich, dass die Inzidenz, die Neuinfektionen, die bremsen sich gerade ab. Wir haben jetzt eigentlich so ein Maximum gehabt, wenn man jetzt absolut nur die Zahlen vom RKI nimmt. Jeder weiß, dass die fehlerbehaftet sind – am 26.11. war, glaube ich, 402 das Maximum. Und seitdem geht es so ganz langsam wieder runter. Aber das Interessantere ist eigentlich: Das RKI veröffentlicht ja auch auf dieser Webseite, wo man sich die Daten anschauen kann. Übrigens noch mal. Ich habe es schon mal gelobt, aber an der Stelle wirklich, da haben sie ganz tolle Arbeit gemacht. Das ist also eine der inzwischen eine der besten Websites von allen Instituten, die weltweit so etwas veröffentlichen, am Anfang hatte man es gar nicht. Jetzt haben wir es wirklich sehr gut. Und auf dieser Seite kann man ja auch die Veränderung der Inzidenz sich anschauen, sozusagen wie sich die 7-Tage-Inzidenz von Woche zu Woche ändert. Und da muss man sagen seit 11.11. – ausgerechnet Karnevalsbeginn – ist das stetig rückläufig. Und da schaut man natürlich dann, wenn man so statistisch so etwas anschaut, genauer hin, weil eine stetige Abnahme dieser Zunahme, wenn Sie so wollen, dass die Veränderung stetig runtergeht. Und das ist schon ein Hinweis darauf, dass das ein Trend ist, der anhalten könnte. Oder andersherum gesagt: Ich will jetzt nicht zu optimistisch sein. Aber meine Hoffnung, die ich ja schon ein paar Mal geäußert habe, dass die Welle sich irgendwie selbst begrenzt, da die Politik ja nicht tut bisher, und das wird deshalb an Weihnachten etwas entspannter auf die Sache sehen, die ist noch nicht aufgegeben.

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06:21

Camillo Schumann

Zumindest gibt es Hinweise. Nach wie vor der Landkreis mit der höchsten 7-Tage-Inzidenz ist der Landkreis Sächsische Schweiz / Osterzgebirge 2.133; gefolgt vom Landkreis Erzgebirgskreis: 1.950; dann Landkreis Bautzen usw. Der Epidemiologe der Uni Leipzig, Professor Markus Scholz, sieht in Sachsen jetzt auch bald eine Trend-Umkehr und war aus folgendem Grund:

„Also im Moment steuern wir – in Sachsen zumindest – ganz klar auf ein DurchseuchungsSzenario hinaus. Also, dass mehr oder weniger ein Großteil der Bevölkerung immunisiert wird, entweder durch Ansteckung oder durch Impfung. Also nicht alle. Das ist also nicht richtig, dass sich alle anstecken werden. Aber ein großer Teil, sodass dann schon Herden Effekte auftreten, die die Pandemie stoppen. Allerdings ist das noch ein weiter Weg. Wir werden zwar den Höhepunkt bald erreicht haben, wir rechnen mit Ende Dezember, aber dann wird auch der Abfall der Zahlen, sehr langsam laufen.“

Also der Kollege ist nicht ganz so optimistisch, vielleicht vor Weihnachten. Er sagt dann eher nach Weihnachten, und der Begriff Durchseuchung fiel. Den nimmt man ja gar nicht so gern in den Mund.

Alexander Kekulé

Ja, das kann man schon so sagen. Das ist deshalb gefährlich, weil es ja immer wieder Leute gibt, die sagen: Wir brauchen uns nicht impfen, die natürliche Durchseuchung sei besser. Aber letztlich ist es so: Herden-Effekte, das hat mir eigentlich gefallen. Er spricht da ja nicht von einer Herden-Immunität, wie das fälschlich viele andere machen und v.a. lange auch gemacht haben, sondern von Herden-Effekten, die sehen wir meines Erachtens jetzt schon. Also, dass wir jetzt eben bundesweit sehen, dass es da so ein Maximum scheinbar jetzt erreicht sein könnte, sage ich mal, wäre so ein HerdenEffekt. Was ich nicht ganz versteh, ist – das kann ich jetzt natürlich aus der Tonspur nicht ablesen – wie er das gerechnet hat... Wenn man die bundesweiten Daten ansieht, dann

sieht es schon so aus, als hätten wir so einen Trend, der jetzt bundesweit schon Richtung Abbremsung, also jetzt die nächsten Wochen Richtung Abbremsung geht. Dass jetzt ausgerechnet Sachsen, was ja eine stärkere Infektionstätigkeit im Moment hat, dass das dort später sein sollte, das Maximum – er sagte Ende Dezember – das wundert mich jetzt ein bisschen. Der eine Ausdruck: wir werden damit die Pandemie stoppen, habe ich gerade gehört. Das ist natürlich wahrscheinlich auch nicht so gemeint gewesen. Also es geht um den Übergang zwischen dieser quasi explosiven pandemischen oder epidemischen, wenn wir uns auf das lokale Geschehen beziehen, epidemischen Aktivität zu einem eingeschwungenen Zustand, wenn ich mal so sagen darf, ein steady state. Das nennen wir dann eben Endemie. Ich muss aber ein bisschen davor warnen. Also wir gucken ja jetzt schon wieder, obwohl der Bundesgesundheitsminister, der geschäftsführende, gesagt hat wir sollen es nicht mehr tun. Wir gucken ständig auf die Inzidenzen. Die Inzidenz ist ja so ein sehr nervöser Zeiger, wenn ich mal so sagen darf. Etwas weniger empfindlich ist im Vergleich dazu der R-Wert. Und der ist ja jetzt ganz aktuell auch unter 1 gesunken. Zumindest wenn man mal diese Prognose sich ansieht. Auch der ist stetig gesunken. Seit 17.11. habe ich noch mal nachgeguckt. Also etwa eine Woche später, als die 7-Tage-Inzidenz hat der sich auch nach unten bewegt, aber auch wirklich stetig. Also da gibt es keine Ausreißer, sondern er geht langsam runter. Von der Berechnung her ist es klar, dass der ein bisschen nachläuft, also der R-Wert ist relativ noch träger als die 7-Tage-Inzidenz. Und dann noch träger ist natürlich dann, weil es zeitversetzt ist, dann die Belegung der Krankenhäuser und Intensivstationen. Da muss man auch sagen das steigt zwar noch, aber ist in dem Bereich, wo auch da man nicht den Eindruck hat, wie die Prognosen von einigen Kollegen jetzt aussahen, so vor einer Woche so völlig durch die Decke geht. Wir haben ja im Moment in sieben Tagen eine Zunahme dieser Intensivstationsbelegungen um ungefähr 1,

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also 0,94, sagt das RKI. Noch einmal zur Erinnerung: Also wir sind jetzt bei einer IST-Belegung von 5,36 pro 100.000 Einwohner im Bundesschnitt, ja, muss man sagen. Und wenn man sich das anschaut, wenn das jetzt wirklich so wäre, dass wir bei der Inzidenz im Moment gerade so ein Maximum erreichen sollten, wofür Einiges spricht. Hoffentlich geht es dann auch nicht noch weiter hoch. Dann hieße das, dass wir noch so zwei Wochen Nachlauf haben bei den Intensivstationen. Dann würde das zwischen 7 und 8 ungefähr landen. Das wäre also überhaupt nicht mein Vorschlag, dass man das ausprobiert oder Ähnliches. Aber das würden wir sozusagen bundesweit von der Kapazität irgendwie noch verkraften. So ähnlich sieht es auch bei den Hospitalisierungen aus. Da will ich jetzt nicht die Zahlen runterbeten. Bei den Hospitalisierungen gibt es einen starken Meldeverzug, also für diejenigen, die sich das auf der Webseite anschauen. Die werden vielleicht sagen: Hui, die Hospitalisierungen nehmen ja ab seit einer Woche. Das liegt an den Meldeverzug. Also, das kann man jetzt im Moment noch nicht sagen. Aber ich würde mal so sagen, wenn man jetzt beim Segeln wäre, würde man sagen, wir segeln hart am Wind, und wir könnten knapp die Tonne nehmen bei der Wende, ohne auf der falschen Seite vorbeizufahren. Da es hier aber um Leben und Tod geht, würde ich dringend davor warnen, das zu sportlich zu machen, sondern da brauchen wir ein Sicherheitsabstand. D.h., wir können hier auf Maßnahmen, die also den Abstand sozusagen zur Disqualifikation oder umgekehrt dann zu einer unkontrollierbaren Überlastung der Intensivstationen sichern. Diese Maßnahmen, die können wir nicht weglassen.

Camillo Schumann

Weil Sie gerade Hospitalisierungesinzidenz von 7-8 in den Mund genommen haben. Also zum Vergleich: die höchste 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz lag bei 12-13. Nur mal so zum Vergleich.

Alexander Kekulé

Ja, das war letztes Jahr, das ist ja auch ein interessantes Thema, wo ich, ehrlich gesagt, nicht

ganz verstehe, warum das nicht mal genau auseinandergenommen wird. Es heißt ja immer, wir haben jetzt weniger Betten als früher. Und da muss man sich schon die Frage stellen: Wieso gibt es eigentlich jetzt in dieser Lage, wo wir ja jetzt viel mehr Zeit zur Vorbereitung hatten, weniger Betten? Die Antwort ist dann immer: Ja, wir haben weniger Personal. Aber es ist ja bekannt, dass es dann Rückfragen bei den Ländern gab, auch weil erhebliche Zuschüsse geflossen sind für die Bereitstellung von Intensivbetten, wie genau diese Zuflüsse verwendet wurden, warum jetzt das Personal weg ist, wo das Personal weg ist. Und wenn man den Mitteilungen da aus dem Gesundheitsministerium glauben mag, wo ich jetzt keinen Grund daran habe zu zweifeln, dann ist es so, dass die Länder nicht bereit waren, da die Daten im Einzelnen zur Verfügung zu stellen. Wie auch immer, ob es jetzt die Länder sind oder sonst wer. Ich würde schon mal genau sehen, woran liegt das? Weil ich kann jetzt nicht nachvollziehen, dass da jetzt so viele Leute gekündigt haben sollen. Klar ist ein Faktor, der eingetreten ist, dass da ungünstigerweise – ich glaube, seit Februar dieses Jahrs gilt der neue Intensivschlüssel. Ich meinte, das war schon länger, sozusagen beschlossene Sache. Und das führt dann dazu, dass jetzt rein numerisch gesehen, das Pflegepersonal weniger Intensivbetten betreuen muss, sodass die Krankenhäuser, wenn sie dann mit spitzem Bleistift rechnen, einfach auf dem Papier plötzlich weniger Betten ausweisen aufgrund dieses eigentlich für die Patienten natürlich letztlich besseren Personalschlüssels. Weil ein Intensivpfleger dann weniger Betten zu betreuen hat. Andererseits ist das natürlich eine Maßnahme, da muss man schon in der Pandemie sozusagen, in einer Notsituation sagen: Ja, das ist nice to have, aber dass ausgerechnet jetzt zu implementieren ist vielleicht ungeschickt. Und natürlich wissen wir auch, dass die Krankenhäuser sehr viel Geld bekommen haben für die Bereitstellung von Intensivbetten. Wir wissen auch, dass da zumindest lokal nicht ganz alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Die haben zum Teil Betten gemeldet wohl, die es gar nicht gab.

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Und jetzt muss man natürlich schon die Frage stellen, wenn jetzt plötzlich diese Betten alle weg sind, waren das Potemkinsche Dörfer? Sind die wirklich weg? Liegt es am Personalschlüssel? Oder sind uns wirklich die ganzen Pfleger von der Stange gesprungen? Also das hätte ja unterschiedliche Maßnahmen zur Folge. Und es wundert mich, dass das nicht genauer analysiert wird, woran es genau liegt.

14:47

Camillo Schumann

Mit anderen Worten, wenn ich es so durchhöre, hätten wir denselben Stand mit der Kapazität der Intensivbetten von vor einem Dreivierteljahr beispielsweise, würden wir jetzt beinahe Hospitalisierungsinzidenz, die wir aktuell haben, möglicherweise noch gar nicht nach noch drastischeren Maßnahmen rufen?

Alexander Kekulé

Naja, was wir jetzt haben, ist schon ein bisschen anders als in der berüchtigten zweiten Welle, wo wir wirklich viele Tote in Deutschland hatten. Wir haben jetzt so eine sehr starke regionale Belastung. Und Sie haben ja gerade das Beispiel Sachsen genannt. Das ist schon, sage ich mal, krass, wenn man sich anschaut, wie jetzt in einigen Regionen Sachsens oder Thüringens oder Bayerns, im Osten Bayerns wirklich Notstand – anders kann man es nicht sagen – herrscht in den Krankenhäusern und anderswo ist da noch Luft. Also, das ist mehr ein sehr stark regionales Problem. Wobei ich diesmal nicht glaube, dass sich das dann wie eine Welle durch die ganze Republik ausbreiten wird. Wir hatten ja vorher diese regionalen Probleme auch schon, als es um die Frage geht, wie groß ist die Compliance mit den nicht-pharmazeutischen Interventionen? D.h. also auf Hochdeutsch, wie sehr akzeptieren die Leute die Masken und die Abstandsregeln usw.. Da waren es ja genau die gleichen Regionen, muss man sagen, wo auch schon Menschen waren, die sich verweigert haben. Oder damals sagte man verweigert. Heute sage ich nicht so gerne Impf-Verweigerer, sondern „die haben sich halt anders entschieden“. Aber wie auch immer scheint es schon so die gleiche

Gegend zu sein, wo man zuerst gesagt hat, wir machen bei den Maßnahmen nicht mit. Jetzt macht man bei den Impfungen nicht mit. Damals war es aber so, dass diese Welle dann nach und nach irgendwie alle erwischt hat. Wenn man sich erinnert, gab es dann so Regionen gerade im Osten. Die haben zum Teil dann sich gefreut, dass bei ihnen noch alles in Ordnung ist, während im Westen der Blitz eingeschlagen hat und dann umgekehrt. Ich glaube, diesmal wird es nicht so sein, sondern diesmal sehen wir wirklich diese Schwerpunkte, die wir eben haben, in den genannten drei Bundesländern. Brandenburg hat auch regional solche Probleme. Aber es wird, glaube ich, eher bei den regionalen Problemen bleiben, weil die anderen das halt durch relativ hohe Impfquoten abgefedert haben und vielleicht auch eine Bevölkerung haben, die bei der Kontaktreduktion eher von sich aus vorsichtiger ist.

Camillo Schumann

Weil Sie gerade gesagt haben durch die hohen Impfquoten dann in den westlichen Bundesländern, wird es diese Welle nicht geben. Die Physikerin Viola Priesemann berät ja die Bundesregierung in Sachen Pandemiebekämpfung und Frau Priesemann die hatten wir ja auch schon hier mal im Podcast zu Gast. Und sie sagt Folgendes:

„Jede Welle geht irgendwann zurück. Im Zweifel über natürliche Immunisierung. Aber selbst bei einer Tausender-Inzidenz, die wir ja in manchen Bundesländern haben, selbst bei der Tausender-Inzidenz gibt es 1% nur pro Woche, die natürlich immunisiert ist. Plus die Krankenhausund Intensivbelastung ist massiv. Über das Impfen können wir 1-2% am Tag und nicht die Woche erreichen. Das ist viel, viel schneller. Und insofern würde es extrem helfen, um die Fälle früher zu brechen und auch natürlich, um das Gesundheitssystem zu entlasten.“

Sachsen könnte da noch eine Schippe drauflegen, um quasi vor die Durchseuchung zu kommen.

Alexander Kekulé

Ja, das Impfen hilft auf jeden Fall. Also ich

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würde die Frau Priesemann da natürlich bei der Intention die sie verfolgt hundertprozentig unterstützen. Ich kenne die Überlegungen. Da muss man immer ein bisschen aufpassen, wenn man so einfach so die Zahlen nimmt, die das Robert-Koch-Institut veröffentlicht und das dann in seine Daten eingibt. Das ist ja immer das Problem bei allen Modellierungen, wo die Daten herkommen. Also natürlich ist die Dunkelquote bei den Infektionen viel, viel höher als bei den Impfungen. Ich glaube nicht, dass sich Leute heimlich impfen lassen. Und es gibt natürlich auch noch eine riesige Zahl von Personen, die bereits immunisiert waren oder sind durch natürlich Infektionen, gerade in den Regionen, wo man sich nicht so richtig an die Maßnahmen zuerst gehalten hat und jetzt nicht impfen lassen will. Diese Faktoren einzuschätzen ist extrem schwierig, aber dann aufgrund der sozusagen gemeldeten Zahlen so eine Aussage zu machen: Wir sind mit der Impfung schneller als das Virus. So kann man es ja mal grob sagen. Die Ärzte sind schneller als die Viren. Da wäre ich ein bisschen vorsichtig, aber trotzdem: Egal, wie das dann akademisch sozusagen zu bewerten ist. Unterm Strich, dass die Frau Priesmann einen Aufruf zur Impfung macht, ist natürlich richtig.

19:12

Camillo Schumann

Die Frage ist ja: brauchen wir in so einer Situation wirklich noch strengere Maßnahmen? Das Infektionsschutzgesetz wurde erst verändert, und den Ländern wurde ein rechtlich solider Instrumentenkasten an die Hand gegeben, den aber nicht alle Länder voll ausschöpfen. So sieht zumindest Grünen-Chef Robert Habeck und verweist auf volle Fußballstadien. Nach Aussagen von Habeck hätten die Länder die Möglichkeit gehabt, Spiele vor leeren Rängen stattfinden zu lassen, haben es aber nicht umgesetzt. Beobachten Sie das auch?

Alexander Kekulé

Ja, also. Da gibt es natürlich eine ganz massive Diskrepanz. Einerseits schwören alle, sie wollen alles tun, damit die Schulen nicht wieder geschlossen werden, und zwar mit gutem Grund.

Andererseits machen sie erstens für die Schulen zu wenig. Da brauchen wir jetzt nicht noch einmal drüber reden. Aber zweitens ist dann natürlich ein bisschen mit zweierlei Maß gemessen, wenn dann riesige Fußballspiele stattfinden. Natürlich eine Veranstaltung im Freien ist mal grundsätzlich sicherer als eine Veranstaltung im geschlossenen Raum. Andererseits, so wie ich die Bilder von den Stadien gesehen habe, ist es ja so: Die waren ja sehr vollgepackt. Die Leute saßen wirklich Schulter an Schulter, und jeder weiß, dass ein Fußballspiel 15 Minuten Pause hat und man üblicherweise doch auch während der Halbzeiten da großen Flüssigkeitsbedarf hat. Und die Flüssigkeit muss dann wieder raus. Also wer irgendwie weiß, wie es da auf den Toiletten draußen zugeht, die natürlich nicht im Freien sind, kann sich vorstellen, dass da also die 1,5 Meter nicht gewahrt werden. Und ob die dann alle die Maske aufhaben, wenn sie da alleine sind oder nicht mehr unter Beobachtung ist auch die Frage.

Drum ist natürlich schon so, dass so ein Fußballspiel potenziell Infektionsgefahr darstellt, bei dieser irrsinnigen Dimension, anders als wenn ein paar Leute im Freien spazieren gehen und natürlich auch vom Signal her. Ja also, ich glaube schon, dass... Wir reden hier so ernst über die Pandemie und die Frau Priesemann natürlich beschäftigt sich ja auch von Anfang an sehr intensiv damit. Da verliert man dann so ein bisschen den Blick dafür, wie vielleicht andere Menschen das sehen, die irgendwie die Nachricht jetzt einfach verinnerlicht haben: Die Pandemie ist vorbei. Ich bin geimpft, und jetzt ist Schluss mit Ärgern über dieses Virus. Da ist es ein falsches Signal, solche Spiele stattfinden zu lassen.

Camillo Schumann

Wenn die Bundesländer trotz Maßnahmen auch nicht einheitlich agieren und auf möglicherweise notwendige bzw. auf die sich zuspitzende Infektionslage im Land nicht adäquat reagieren, muss möglicherweise dann wieder eine Entscheidung aus Berlin kommen. Heute Nachmittag gibt es ein Telefonschalte zwischen

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den Ländern, der Kanzlerin und dem baldigen Kanzler Olaf Scholz. Die Schalte ist deshalb heute Nachmittag, weil das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse abgewartet werden sollte. Da gab es ja nun mehrere Verfassungsbeschwerden. Und dieses Urteil ist nun rau. Es lautet:

„Die Kontaktund Ausgangsbeschränkungen der Bundesregierung vom Frühjahr dieses Jahres wurden als verhältnismäßig bewertet. Auch die Schulschließungen waren rechtens. Die Beschwerden gegen die Bundesnotbremse wurden zurückgewiesen.“

Aber d.h. jetzt nicht, dass eine neue Bundesnotbremse einfach wieder so in Kraft treten kann oder beschlossen werden kann. So zumindest schätzt das Frank Bräutigam aus der ARD-Rechtsredaktion ein.

„Ganz wichtig ist für künftige und jetzige Maßnahmen, dass man alle mit der aktuellen Lage begründen muss. Diese Entscheidungen heute beziehen sich auf das Frühjahr 2021. Und wenn jetzt z.B. die Politik den Plan hätte, wieder Ausgangsbeschränkungen oder sogar Schulschließungen zu beschließen, da müsste man sehr genau begründen, warum so eine äußerste Gefahrenlage auch jetzt da ist – trotz des hohen Impfstatus. Aber natürlich sind die Kliniken voll, und da müsste man dann Gründe auf den Tisch legen.“

Kurz nachgefragt, ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Wäre so eine ähnliche Gefahrenlage wie bei der Bundesnotbremse aktuell gegeben?

23:06

Alexander Kekulé

Man muss wirklich im Einzelnen das begründen. Ich hatte jetzt gerade, als Sie gesagt haben, jetzt kommt der O-Ton von Herrn Bräutigam, schon einen Schrecken bekommen, weil ich habe echt versucht, vor der Aufnahme dieses Podcasts dieses Urteil zu lesen und zu verstehen. Und habe es dann ehrlich gesagt aufgegeben, weil das sehr, sehr detailliert ist. Und wir werden es wohl am Donnerstag genauer besprechen. Jetzt habe ich gerade gedacht:

Mensch, der Bräutigam hat das alles durchgelesen in der kurzen Zeit. Aber das, was er da gesagt hat, war schon vorher klar. Also es war vorher natürlich klar, dass immer ein Gesetzgeber anhand der aktuellen Lage seine Maßnahmen treffen muss und dass da die Grundrechte abgewogen werden müssen. Das, was ein Jahr vorher Stand war oder ein paar Monate später, kann natürlich nicht Basis der Gesetzgebung sein. Und das steht nicht explizit in dem Urteil drinnen, aber das ist sowieso klar gewesen. Was in dem Urteil schon drinnen steht, und das ist schon ein ganz erstaunlich, ist, dass man der Bundesregierung sozusagen sehr viel Freiheit gibt bei der Feststellung der wissenschaftlich erforderlichen Dinge. Das ist ja der Punkt, wo eigentlich immer gestritten wurde, sage ich auch ganz offen, zwischen RKI und mir, mal in die eine Richtung, mal in die andere Richtung. Aber auch andere Fachleute hatten unterschiedliche Vorstellungen. Und da ist das Bundesverfassungsgericht gar nicht reingegangen, sondern die haben einfach gesagt: Aus Sicht des Gesetzgebers war das damals fachlich angezeigt. Das eine Beispiel hat mich gewundert, dass die das quasi durchgewunken haben: Die nächtlichen Ausgangssperren. Da haben ja einzelne Verwaltungsgerichte schon gesagt, dass das nicht unbedingt in Ordnung ist, die Leute von 22 Uhr bis 5 Uhr morgens zuhause zu halten, generell pro Landkreis auf Basis irgendwelcher Inzidenzen. Das war in dem Fall, wenn die Inzidenz über 100 gegangen ist. Das hat mich gewundert, dass das Verfassungsgericht da einfach gesagt hat: Ja, es ist in Ordnung, und darum habe ich da versucht, z.B. mal zu suchen. Wie ist denn die Begründung? Und da sagen Sie einfach: Zum damaligen Zeitpunkt erschien es dem Gesetzgeber angemessen, das zu machen. Das wird noch eine längere Diskussion geben. Ist ja bekannt, dass einige Parteien das nicht so gesehen haben, dass diese Ausgangssperre so in dieser generellen, automatischen, mechanistischen Form in Ordnung ist. Und der Herr Harbarth, der neue Präsident, wird da sicherlich noch ein bisschen erklären müssen, wie das genau gemeint ist. Aber wenn man so eine Situation hat, wo hier ja doch in

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ungewöhnlicher Weise der Gesetzgeber sehr weit ins Detail gegangen ist...Also er hat ja diesen Automatismus eingebaut. Hundert heißt ihr müsst das und das machen. Da hat er ja letztlich die Exekutive umgangen an der Stelle. Die Frage der Gewaltenteilung ist lange diskutiert worden. Aber wenn er das macht, ist das natürlich immer ein Problem, weil das nicht justiziabel ist. Ja, also wenn irgendwo lokal die Exekutive was anordnet, das Gesundheitsamt oder irgendein Ministerium, dann kann man es ja immer gerichtlich überprüfen lassen. Aber wenn es so im Gesetz steht, dann hilft eigentlich nur noch das Bundesverfassungsgericht. Und das ist ja keine reguläre Instanz, wo man so eine Art Berufung machen könnte. Deshalb ist es schon kritisch, finde ich, dass man so diesen Mechanismus da drinnen hat. Gerade dann ist es meines Erachtens wichtig, ob der wissenschaftlich begründet ist. Und das hat das Verfassungsgericht komplett außen vorgelassen. Die haben einfach gesagt, es kommt auf die subjektive Brille der Gesetzgeber an. Oder anders herum gesagt, wenn das Robert-KochInstitut sagte, wir brauchen das, dann darf das Parlament das beschließen. Also interessanter Punkt. Das werden wir noch besprechen. Aber unterm Strich, ja, brauchen wir generell jetzt eine neue Notbremse? Ich glaube, wir brauchen einen Instrumentenkasten. Das haben wir auch schon viele Andere gesagt. Wir brauchen natürlich das Instrument Kontaktbeschränkungen und von diesen ganzen Kontaktbeschränkungen die Sinnloseste ist einfach, Leute nachts einzusperren oder ihnen das Spazierengehen zu verbieten oder Ähnliches. Aber bei der Frage, die ja auch vom Verfassungsgericht jetzt bejaht wurde, ob man Kontaktbeschränkungen in der Weise machen darf, dass sich nur noch bestimmte Personen von Haushalt zu Haushalt treffen. Also da gab es ja mal die Regel, nur noch eine Person pro Haushalt, Kinder nicht mitgerechnet ab Inzidenz von 100. Wahrscheinlich werden wir so eine Art von Instrument weiterhin brauchen. Und es wird mich nicht wundern, wenn das sozusagen zumindest den Ländern zur Verfügung gestellt wird, als Ergebnis der heutigen Beratung.

Camillo Schumann

Da können wir ja nicht vorausgreifen, weil wir wissen nicht, wie die Beschlüsse fallen werden. Zur Aufzeichnungen des Podcasts hat diese Beratung noch nicht angefangen. Was wir aber wissen, dass im Vorfeld dieser Beratung Grünen-Chef Robert Habeck etwas vorgeschlagen hat, was man demnächst jetzt einführen sollte wir hören mal kurz rein.

„Ich halte es für richtig, wenn die Weihnachtsferien in den Ländern, wo die Inzidenzen sehr hoch sind, vorgezogen werden. Das können die Länder unterschiedlich machen. Baden-Württemberg, und das halte ich für eine sehr kluge Idee, wird die letzte Woche vor den Schulferien zum Impfen der Kinder nutzen, jedenfalls das Angebot bereitstellen. Natürlich sollten auch Betreuungsangebote möglich sein. Aber dass man die Schulferien verlängert, wird sicherlich in vielen Ländern immer mehr beschlossen werden, etwas abhängig von der Infektionslage. Das ist dann nicht eine verordnete Schließung, aber hätte den gleichen Effekt.“

Also Weihnachtsferien vorziehen, gegebenenfalls verlängern. Würden Sie sich dem anschließen?

28:53

Alexander Kekulé

Ja, das kommt einfach auf die Situation an. Das ist eine Ultima Ratio. Ich glaube, Herr Habeck hat es mit den ganzen Einschränkungen, die er dann hinten dazu gesagt hat, schon richtig formuliert. Die Länder sollen das je nach Infektionslage dann individuell beschließen. Das ist ja gerade der Unterschied zu dem vorherigen Gesetz, was vom Verfassungsgericht jetzt geprüft wurde, das es kein Automatismus ist. Da gab es ja den Automatismus, dass man ab einer Inzidenz von 100 Wechselunterricht machen musste und ab 165 dann den Präsenzunterricht nicht mehr machen durfte. Ich wäre da jetzt mal vorsichtig, zur jetzigen Situation nach Schulschließungen zu schreien. Ich weiß, jetzt sind alle nervös. Jetzt kommt auch noch dieses Omikron, wo wir gleich noch mal drüber reden werden. Aber lassen Sie uns doch erst einmal diese Zahlen anschauen. Wie verändert sich

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die Inzidenz? Im Moment sieht es so aus, als würde das von selber ein Plateau erreichen. Man kann in der Politik, das haben wir ja in der Ära der letzten Bundeskanzlerin auch gelernt, durch langes Hände in den Schoß legen, Dinge auch zur Selbsterledigung bringen. Und hier ist es ganz mechanistisch, so Frau Priesemann hat es ja vorhin kurz dargestellt, dieses Virus begrenzt sich einfach selber. Ja, das läuft sich tot sozusagen, indem es halt dann niemand mehr findet oder nicht mehr so viele Menschen findet, die es infizieren kann. Wenn es nur noch um die Infektionsquote von Geimpften und Genesenen geht, ist es halt nicht mehr so effektiv. Und deshalb glaube ich, dass wir schon hoffen können, dass wir um die Schulschließungen rumkommen. Ich wäre dagegen die jetzt schon zu beschließen. Sondern wir müssen uns aufmerksam beobachten und vielleicht dann relativ kurzfristig die Schulen zumachen. Es ist ja keine Weihnachtsprognose, sondern einen Weihnachtswunsch. Falls der nicht in Erfüllung geht, dann machen wir halt eine Woche früher Ferien.

Camillo Schumann

Also Schulschließungen und Ferien, das sind so zwei Begriffe, die dasselbe meinen. Aber hier in dem Fall ist sind es wirklich die Ferien, die vorgezogen werden. Aber die Konsequenz wäre: Die Schule wäre zu.

Alexander Kekulé

Naja, das ist eine Schulschließung. Ja, das muss man immer schön formulieren. Ich habe so ähnlich gedacht wie der Herr Habeck, als ich zum ersten Mal vorgeschlagen habe, dass wir Lockdown machen, der Begriff ist bei mir am Küchentisch erfunden worden damals. Ich habe das ja auch Corona-Ferien genannt. Das ist natürlich ein Euphemismus, aber aus damaliger Sicht erschien mir der militärische Ausdruck Lockdown erstens zu martialisch, um das öffentlich so zu vertreten. Zweitens erinnert ein bisschen an Wuhan. Dort hat man das Lockdown genannt. Und drittens ist es rein technisch, da will ich jetzt nicht noch einmal drauf eingehen, nicht ganz richtig, weil beim Militär Lockdown ein bisschen was anderes ist.

31:38

Camillo Schumann

Sie haben schon gesagt Omikron, da reden wir jetzt drüber. Eine neue Variante des Coronavirus. Diese Variante ist das erste Mal in Südafrika nachgewiesen worden und vergangene Woche von der Weltgesundheitsorganisation WHO zur besorgniserregenden Variante eingestuft worden. Und bevor wir über diese Variante sprechen mit allen Details erst einmal, wieso eigentlich dieser Name: Omikron. Seit dem Februar werden ja neue Varianten nach dem griechischen Alphabet benannt. Das wissen wir. Die neue Virusvariante wäre eigentlich jetzt der dreizehnte Buchstabe im griechischen Alphabet, die nach diesem Schema benannt wird. Aber Omikron ist der fünfzehnte und nicht der dreizehnte Buchstabe des griechischen Alphabets. Die Erklärung, warum zwei Buchstaben übersprungen wurden, ist doch ziemlich spannend. Oder? Mit der Umstellung, wollte man eigentlich die Stigmatisierung bestimmter Regionen und Länder aufheben. Und das Gleiche wollte man der jetzt auch wieder, oder? Wenn ich das richtig verstanden habe.

Alexander Kekulé

Da haben natürlich einige darüber geschmunzelt, auch Virologen echt ätzend drüber [ausgelassen, Anm.d.Red.]. Also Omikron, das kleine „o“, das kommt ja im Griechischen so ein bisschen anders als bei uns. Also Kappa, Lambda, My, Ny und dann kommt nicht O bei denen, sondern als nächstes Xi [K, Λ, M, N, Ξ; Anm. d. Red.]. Und da ist einfach ein Buchstabe mehr im griechischen Alphabet als bei uns an der Stelle. Also K, L, M, N, O bei uns. Und ja, das My war das letzte, das hatten wir hatten ja hier auch schon mal besprochen, da aus Südamerika. Und nach My hätte jetzt theoretisch unser Ny kommen sollen. Das Blöde ist nur, dass im Englischen das Ny (was wir als „ni“ aussprechen, zumindest die, die altgriechisch hatten), da sagen die im Englischen „new“ dazu. Und keine Ahnung, warum die das so aussprechen. Ich bin ganz sicher, dass die alten Griechen das so wie wir [ausgesprochen haben] und nicht wie die Engländer. Und weil aber das auf Englisch so ähnlich klingt wie „neu“, haben

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sie gesagt: Nein, das geht gar nicht, sonst heißt es „neues Virus“. Und dann kam eben als nächstes dieses ganz schwierige Xi (Ξ, ξ). Im Deutschen würde man es „ksi“ aussprechen, man schreibt es aber Xi. Und zumindest die Engländer schreiben Xi, wenn sie den meinen. Der Buchstabe sieht ja im Griechischen so ein bisschen ulkig aus [s.o., Anm. d. Red.]. Physiker wissen das, weil sie die ganzen Buchstaben immer als Abkürzungen für alles Mögliche in der Physik verwenden. Ja, und dieses Xi ist eben jemand, der eigentlich ganz anders ausgesprochen wird, nämlich Xi Jinping [sprich: Shi Tschinping; Anm. d. Red.]. Ich hoffe, ich habe das jetzt richtig gesagt, der chinesische Staatspräsident ausgerechnet, und das kann ich mir schon vorstellen, dass sie das heiße Eisen nicht anfassen wollten. Das hätte Donald Trump natürlich gefreut, wenn das Virus dann Xi heißt, weil die Amerikaner hätten das sicher so ausgesprochen. Naja, wie auch immer, haben sie jetzt aus politischer Correctness – das ist ja das, was sich weltweit zurzeit durchsetzt – sind sie jetzt noch eins weitergegangen. Wird natürlich schlimm, weil wir jetzt schon bei Omikron sind. Viel ist da nicht mehr. Sind wir bald bei Omega, also das große O, bekanntlich der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Man sagt ja auch das ist das A und O von einer Sache. Damit meint man der Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega. Und bei Omega ist dann finito. Ich weiß nicht, wie viele Buchstaben zwischendurch noch mit irgendwelchen Staatschefs oder sonstigen wichtigen Namen assoziiert werden. Also langsam sind wir am Ende des Alphabets angelangt.

Camillo Schumann

Und kurz nachdem die WHO Omikron als besorgniserregende Variante eingestuft hatte, haben die EU-Staaten, die USA, Russland, Reisebeschränkungen für Passagiere aus einigen südlichen Ländern des afrikanischen Kontinents beschlossen oder zumindest angekündigt. Deutschland hat Südafrika, dann relativ zeitnah noch weitere südliche Länder zur Virusvarianten-Gebieten erklärt. Fluggesellschaften dürfen damit im Wesentlichen nur noch

deutsche Staatsbürger oder in Deutschland lebende Person von dort nach Deutschland befördern. Das ist kein Flugverbot und für Einreisende gilt dann hier eine zweiwöchige Quarantäne. Und die kann man jetzt auch nicht mit einem negativen Test verkürzen. Also zwei Wochen muss man definitiv zu Hause bleiben. Wie schätzen Sie eigentlich so die internationale Reaktion auf Omikron ein? Dieses Mal ging es ja relativ schnell.

Alexander Kekulé

Also Deutschland war da richtig schnell. Auch das kann ich nur mal positiv vermelden. Am Dienstag kamen die Daten raus. Ich habe selber auch nur so diagonal gelesen. Dann hatte ich selber Mittwoch, Donnerstag viel zu tun. Und Freitag früh kam ich jetzt selber dazu. Das habe ich ja bei Twitter dann veröffentlicht, dass wir unbedingt eine Einreisesperre hier brauchen bzw. ein Variantengebiet ausweisen müssen. Und innerhalb weniger Stunden, also ungefähr zugleich, möchte ich mal sagen, hat das Robert-Koch-Institutes das Gleiche beschlossen. Und das ist ungewöhnlich, dass die so wirklich zack, zack ... Wenn Sie sich da mal erinnern an die Anfangszeit, als wir die Situation hatten, dass zuerst die Einreisenden aus Wuhan einfach nicht kontrolliert wurden, dann hatten wir die Einreisenden aus Teheran, die noch nach Deutschland konnten, wo damals eine gruselig hohe Inzidenz war. Bei uns war intern schon Lockdown, aber die Flüge kamen noch täglich aus Teheran an. Dann hatten wir das Problem mit den Importen aus Norditalien, wo man die Risikoregionen einfach viel zu spät ausgewiesen hat. Dann im Sommer 2020 war es ja so, dass man einfach zugesehen hat, wie massenweise Importe stattgefunden haben mit der bekannten Herbstwelle als Folge. Oder das war eine der Ursachen. Und diesen Sommer das gleiche Trauerspiel noch mal. Da hat man auch, während in Spanien und verschiedenen Regionen Europas insbesondere die Inzidenzen hoch waren, einfach zugeguckt, wie diese Delta Variante einfach in sehr großer Zahl importiert wurde. Und im Vergleich dazu muss ich sagen: Hey, da waren sie sehr schnell, und das ist auch richtig so. Man muss einfach

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sagen, das ist eine präventive Maßnahme. Wenn Sie so wollen, ist man hier höchst vorsorglich. Die Juristen sagen immer gerne „höchstvorsorglich“. Man glaubt eigentlich nicht, dass es wirklich nötig ist, aber für alle Fälle, weil einfach die Downside wirklich so schlimm wäre. Wenn jetzt eine neue Variante käme, die wir wieder möglicherweise immunologisch nicht in den Griff bekommen, dass man sagt: Wir machen es zur Sicherheit. Jetzt prüfen wir nach, wie gefährlich dieses Omikron ist. Und wenn wir das überprüft haben, hoffen wir alle – also zumindest die Fachleute, mit denen ich unmittelbar zu tun, habe sehen das so. Wir hoffen alle, dass wieder Entwarnung gegeben werden kann. Das hat man vielleicht, wenn sie nach der weltweiten Reaktion fragen, nicht ganz so konsequent gemacht, sondern dann schon sehr laut die Alarmglocke geläutet, sodass sie ein, zwei Schritte zurückgehen und sagen, naja, wir haben ja nur mal zur Sicherheit. Und jetzt machen wir die Grenzen wieder auf. Das wird relativ schwierig. Und in Südafrika beschwert sich Ramaphosa, der Präsident, sich natürlich jetzt zu zurecht, dass südafrikanische Wissenschaftler gesagt haben: Wir haben diese Variante hier jetzt quasi – und daraufhin sein Land abgeschnitten wird.

Camillo Schumann

Wieso zurecht? Also Sie haben gerade eben gesagt: Das war doch total gut, dass man eben schnell reagiert hat.

Alexander Kekulé

Ja, das ist richtig. Ich persönlich finde, die Kommunikation ist da doch einen Ticken alarmistisch gelaufen für das, was wir schon haben. Es ist einfach eine Vorsichtsmaßnahme. Und wenn man das eher so kommuniziert hätte und gesagt hätte: Wir brauchen zwei bis drei Wochen – das würde ich jetzt mal so schätzen – bis wir festgestellt haben, was da dran ist an den Befürchtungen, die zurecht jetzt im Raum stehen. Und dann werden wir das überprüfen. Und dann hätte das, glaube ich, eine ganz andere Wirkung gehabt. Aber jetzt wird ja schon gesagt, wegen Omikron muss ein weiterer

Booster daher, wegen Omikron müssen weitere Restriktionen in verschiedenen Ländern her. In Deutschland wird es ja auch diskutiert. Ich weiß jetzt nicht, ob Herr Habeck das vorher nochmal gebraucht hat, das Argument, aber viele Politiker, die sowieso schon irgendetwas durchsetzen wollten, die sagen halt – so wie sie früher dann gesagt haben „wegen Delta“, sagen sie jetzt „wegen Omikron“, und das ist meines Erachtens verfrüht. Und da hat natürlich Ramaphosa schon recht, wenn er sagt, so eine Vorverurteilung führt ja dann dazu, dass sich keiner mehr traut oder keiner mehr klug ist, wenn er zugibt, dass er eine Variante im Land hat.

40:11

Camillo Schumann

Ich habe mir das Statement der WHO-Sprecherin am Freitag angeschaut, und die hat das genauso gemacht, wie Sie es eigentlich gefordert haben. Die hat gesagt: So, wir haben da eine Variante. Wir haben jetzt darauf hingewiesen, wir werden uns jetzt zwei Wochen Zeit nehmen. Die Studien laufen im Feld, und wir werden Ihnen regelmäßig Informationen darüber geben, ob und wie gefährlich dann diese Variante tatsächlich ist. Also im Prinzip hat die WHO das ja gemacht. Nur das hat sich ja dann offenbar verselbständigt.

Alexander Kekulé

So kann man es nennen, so kann man es sagen. Das hat plötzlich so eine Dynamik bekommen, die an Hysterie grenzt. Ich will jetzt nicht sagen, dass die Omikron-Variante ungefährlich ist. Aber für das, was wir an Daten bisher haben, ist die Reaktion übertrieben. Und das hat dann die Presse daraus gemacht, die weltweite Politik daraus gemacht. Man muss natürlich immer sehen, da sind ja viele Politiker dabei, die stehen schon lange mit dem Rücken zur Wand, weil sie irgendwie nicht richtig reagiert haben. Ja, einschließlich Deutschland, wo ja sehr viel Kritik gerade mal wieder an der Politik herrscht. Und auch anderswo. Und hier wollten halt jetzt viele zeigen, dass sie hier jetzt mal ganz toll reagieren können.

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Ich weiß noch nicht, ob das, was wir wissen, das richtige Exempel dafür ist. Und die WHO, die Sie gerade genannt haben, die hat ja jetzt gerade am Montag gestern nochmal nachgezogen und von einem sehr hohen Risiko gesprochen, dass diese Variante sich weltweit verbreiten würde und ein Problem machen würde. Also hat auch die WHO selber von dieser –wie ich fand – richtigen, erst mal abgewogenen Einschätzung noch einmal eins draufgelegt.

Camillo Schumann

Aber die Reisebeschränkungen waren richtig, wenn ich Sie richtig verstanden habe.

Alexander Kekulé

Ja, das können Sie nicht anders machen. Wir sehen diese Variante. Vielleicht können wir nachher auch über ein paar Besonderheiten von der noch einmal sprechen. Die hat eben ein paar Besonderheiten, die man mit Besorgnis sieht. Das ist so ähnlich, wenn Sie mit Ihren Kindern im Wald spazieren gehen. Und die Kinder finden etwas, was aussieht wie eine Schlange. Also selbst wenn es Deutschland ist, gehen Sie wahrscheinlich davon aus, dass es eine Ringelnatter oder eine Blindschleiche ist. Ich weiß gar nicht, ob Blindschleichen Schlangen sind. Es könnte auch eine Kreuzotter sein. Aber man fasst ja so was erstmal nicht an, sondern sagt: Nein, erst mal zurück. Und dann schaut man erst mal, was es ist. Ist es was Gefährliches? Vielleicht ist es nur ein Stock, der im Wasser getrieben hat. Da die Schlangen ja fast ausgestorben sind, war es wahrscheinlich ein Stock in Deutschland. Aber so ist diese grundsätzliche Vorsicht, dass man einfach erstmal nicht auf die Herdplatte fasst, wenn man nicht weiß, ob sie heiß ist. Das gilt hier natürlich umso mehr, weil die Probleme mit einer 14-Tage-Schließung, die umsonst war. Das finde ich, kann man notfalls mit einer finanziellen Kompensation für Südafrika und die anderen betroffenen Staaten lösen. Aber wenn das Virus dann sich explosionsartig in Ländern verbreitet, die möglicherweise keinen gut wirksamen Impfstoff dagegen haben und keinen gut wirksamen natürlichen Immunschutz haben,

das wäre natürlich eine Katastrophe. Und deshalb muss man hier vorsorglich agieren.

Camillo Schumann

Die Blindschleiche ist übrigens eine Echsenart.

Alexander Kekulé

Da, sehen Sie. Haben Sie das jetzt gegoogelt? Oder waren sie so gut in Biologie? Ich habe es noch geahnt, dass da irgendetwas war mit der Blindschleiche.

Camillo Schumann

Das bleibt mein Geheimnis, ob ich das wusste oder gegoogelt habe. [beide lachen]

Also okay. In Südafrika wurde Omikron das erste Mal entdeckt, mittlerweile wurde sie auch in einigen deutschen Bundesländern nachgewiesen. In Südafrika wurde ja schon mal eine besorgniserregende Variante entdeckt, die Beta-Variante. Wir erinnern uns, die hat da jetzt aber keine große Karriere gemacht. Warum wieder Südafrika? Stammt Omikron tatsächlich aus Südafrika? Weiß man das?

43:52

Alexander Kekulé

Nein, es ist völlig unklar. Südafrika hat natürlich die Methoden, so etwas nachzuweisen. Die sind da im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten südlich der Sahara sehr gut. Oder man kann eigentlich sagen, insgesamt zu den afrikanischen Staaten sind die sehr gut bei den Sequenzierungen. Und man kann ja auch mal so sagen: Die haben das dort gefunden. Bestimmt gab es in Europa auch schon Importe vorher. Jetzt merkt man ja, dass hier und da Flugzeuge kommen, wo diese Variante verbreitet ist, wenn sie aus Südafrika kommt. Und es hat keiner bei uns gemerkt. Also, die waren schon gut, dass sie das festgestellt haben. In Deutschland ist der sportliche Ehrgeiz zum Sequenzieren ja so ein bisschen zurückgegangen, so wie insgesamt das Problem Coronavirus jetzt eine Zeitlang eben nicht mehr so vorne stand auf der Tagesordnung.

Wir wissen nicht genau, wo es herkam. Dass mit der Beta Variante ist ein relativ guter Ver-

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gleich. Die Beta-Variante hat sich in der Republik Südafrika und den benachbarten Ländern relativ schnell verbreitet, war dort auch dominant, aber sonst in Afrika eigentlich wenig. Wir haben ähnliche, lokal gebliebene Exoten, haben wir immer wieder gehabt. Also wir hatten ja vorhin mal kurz über das My gesprochen, was in Südamerika unterwegs war. Ich meine, das ist letztlich nur in Kolumbien, wenn ich das jetzt nicht verwechsle. Und dann ist es so gewesen, dass wir auch z.B. diese kalifornische Variante hatten, über die wir uns mal unterhalten haben. Kurz danach kam dann die New Yorker Variante. Also in Amerika gab es mehrere Varianten, die mit großem Alarm geklingelt, dann von den jeweiligen lokalen Gesundheitsämtern deklariert wurden. Die waren natürlich keine variants of concern im engeren Sinne. Aber da hat man auch Bedenken gehabt, die könnten sich ausbreiten, und die könnten möglicherweise das Immunsystem überlisten. Und es kam nicht dazu. Deshalb sage ich mal: Allein weil sich so eine Variante ändert, weil sie anders aussieht, weil sie viele Mutationen hat, ist noch nicht automatisch klar, dass sie wirklich gefährlich ist.

Camillo Schumann

Und das ist ja genau der Punkt. Also welche Besonderheiten hat Omikron zu vorangegangenen Varianten? Festzustellen ist, Sie haben es gerade gesagt, Omikron hat mehr Mutationen im Spike-Protein als die anderen Varianten, so um die 30. Die bei uns vorherrschende DeltaVariante hat nur zehn. Was sagt das aus?

Alexander Kekulé

Also das Spike-Protein interessiert uns aus mehreren Gründen besonders. Erstens, weil wir wissen, dass mit diesem Spike, also diesen Stacheln, die außen an den Viren dran sind, dass damit das Virus andockt an der Zielzelle und je besser es andocken kann – also bei uns hauptsächlich an den Schleimhäuten der Atemwege – desto weniger Virus-Dosis ist für eine Infektion notwendig. Und d.h. dann, das wäre dann stärker infektiös, wenn es besser an diesen sogenannten ACE2-Rezeptor andockt, der quasi das natürliche Ziel ist, wo das Virus in

die Zelle reinkommt. Das ist eine kleine Region, die also dieser Rezeptorbindungsregion ist. Und da sind tatsächlich auch mehrere Mutationen in dieser Rezeptorbindungsregion. Und der andere Grund ist aber, der fast noch wichtiger ist: Nicht nur die höhere Infektiosität die uns da eine Rolle spielt. Die muss nicht unbedingt mit dem S-Protein zusammenhängen, aber kann damit zusammenhängen. Und das andere ist eben die Frage: Wie gut schützen quasi unsere Impfstoffe? Und wie gut ist man geschützt, wenn man schon mit einem anderen Virus, jetzt mit Delta oder einem anderen, infiziert war? Und da ist es insbesondere bei den Impfstoffen ja so – das ist, glaube ich, inzwischen bekannt, dass die, die wir haben, diese RNA-Impfstoffe – die sorgen dafür, dass das Immunsystem abgerichtet wird, wenn Sie so wollen, auf genau dieses S-Protein. Und es hat sich ja sowieso schon erheblich verändert seit Wuhan und die Impfstoffe haben quasi den Wuhan-Prototypen genommen, und die präsentieren dem Immunsystem. Sodass wir bei Delta schon das Problem haben, dass es nicht mehr so gut erkannt wird. Mit der Folge, dass es Durchbrüche gibt.

Die Befürchtung ist jetzt, dass dieses Omikron, das also um die 32 veränderte Aminosäuren, also einzelne Bausteine in diesem Spike-Protein hat, dass das möglicherweise von Antikörpern, die wir gebildet haben nach der Impfung oder die wir gebildet haben nach einer Infektion mit einem anderen Typen, eben dann nicht mehr so gut erkannt wird. Also, das ist so die Befürchtung, die an der Stelle im Raum steht. Und rein anhand der Mutationen kann man das vermuten. 32 ist so ein Mittelwert. Das muss man sich so vorstellen. Jedes Virus, das bisschen anders. Die unterscheiden sich voneinander viel stärker als höhere Lebewesen. Also das wäre so, als wenn es Menschen mit zwei Armen, drei Armen oder fünf Armen gäbe. So stark unterscheiden sich die Viren, die aber alle irgendwie mehr oder minder infektionsfähig sind. Und deshalb ist auch die Zahl der Veränderungen dieser Mutationen – je nachdem, welches Isolat man nimmt, von welchem Patienten man das Virus hat – immer ein

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bisschen anders. Aber der Mittelwert ist in der Tat so, dass es hier über 30 ist und bei dem ursprünglichen Virus im Bereich von 8-10 lag, also 10 bei der Delta Variante.

Camillo Schumann

Delta-Variante haben Sie gesagt 10, dann Omikron so um die 30. Was sagen diese Zahlen so eigentlich aus? Man braucht doch eine Basiszahl, um zu verstehen, ob das jetzt viel oder wenig ist. Also steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus noch besser andocken kann? Also wie viele Stellen gibt es eigentlich auf diesen Spike Protein?

49:09

Alexander Kekulé

Insgesamt hat es 1.273 Aminosäuren und davon ist ungefähr die Hälfte in dem S1 und die andere Hälfte in dem S2. Da könnte man jetzt sagen: Ja, nur 32 sind verändert gegenüber den ursprünglichen Typen. Also erstens sind die Veränderungen an bestimmten Stellen. Wir sehen da mehrere Veränderungen, die wir kennen vom Delta, und zwar in der Weise, dass wir schon wissen, dass sich Delta durch bestimmte Mutationen dem Immunsystem entzogen hat. Oder andere Mutationen haben dazu geführt, dass es besser andocken kann. Also das ist relativ genau bekannt, an welcher Stelle die sein müssen. Und das Interessante ist, dass wir jetzt bei diesem Omikron nicht die gleiche Mutation finden, aber an der gleichen Stelle eine ähnliche, die zu so einer ähnlichen Veränderung des Proteins führt. Und davon dann eben insgesamt viel mehr. Sodass jetzt die Frage ist: Was sagt uns das eigentlich. Zur Befürchtung bezüglich der Infektionsgeschwindigkeit kann man sagen: Das Delta ist schon sehr weit ausentwickelt, das hat so einen Reproduktionsfaktor von 5 ungefähr, verglichen mit dem Reproduktionsfaktor von 2, der bei der ursprünglichen Wuhan-Variante war. Also, das ist schon deutlich ansteckender. R0 [sprich: R-null] würde man das dann in dem Fall nennen, also die Produktionsgeschwindigkeit ohne äußere Maßnahmen. Da ist die Frage: Hat es jetzt dieses Omikron wirklich in Südafrika geschafft, sich da noch einen Ticken besser

durchzusetzen oder noch schneller zu werden? Mein Verdacht ist, dafür ist für mich die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch. Weil dieses Omikron hatte es in Südafrika und auch den benachbarten Ländern ja gar nicht groß mit Delta zu tun, sondern wir müssen davon ausgehen, dass es das schon länger gibt, dass es erst jetzt entdeckt wurde, weil es sich durchgesetzt hat. Und kurz vorher war eine geringe Inzidenz. Die haben da eine ganz kleine Inzidenz gehabt, die in kurzer Zeit aber jetzt angestiegen ist. Die war immer so im Bereich von 1. Also 1 pro 100.000 war ungefähr die Inzidenz in Südafrika. Also kaum vorstellbar, dass es so gering ist. Und die ist jetzt angestiegen, ungefähr auf 12 in den Regionen, wo dieses Omikron nachgewiesen wurde. Aber da hat sich das Omikron durchgesetzt, wohl zumindest bei denen, die man untersucht hat. Aber da gibt es natürlich viele Erklärungen für. Erstens war vorher nicht nur Delta unterwegs, sondern eben auch Beta. Viele Menschen dort haben sich mit Beta infiziert und hatten sozusagen die Immunität, die man aufbaut, wenn man gegen Beta gefeit ist, oder die Infektion mit Beta durchgemacht hat. Jetzt ist die Frage, ob jemand, der mit Delta infiziert war, ob dessen Immunität auch sehr effektiv von dem Omikron überlistet werden könnte. In Europa haben wir ja das Delta-Virus und v.a. ist dann die Frage, wenn wirklich Delta sich sehr schnell gerade ausbreitet, ob Omikron sich dann noch schneller ausbreitet, weil bisher waren ja immer die Varianten, die sich durchgesetzt haben, so 40-50% schneller in der Ausbreitung als ihre Konkurrenten. Und das ist schon eine hohe Latte, wenn Sie so wollen. Also ich habe es mal verglichen. Das Omikron hat sozusagen in Südafrika gegen Beta in der Regionalliga gespielt. Und wenn es aber sich in Europa mit dem Delta anlegen will, muss es quasi in der Oberliga, in der Bundesliga quasi die Spiele gewinnen. Und dazu muss es schon ein sehr stark optimiertes Virus sein. Da bin ich nicht ganz sicher, ob das dort wirklich der Fall ist. Es kann sein. Aber da würde ich jetzt nicht automatisch immer den Teufel an die Wand malen.

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Camillo Schumann

Okay, weil sie sagen „kann sein“, das ist die Befürchtung. Man muss ja sagen – und das sagt die WHO ja auch – dass es jetzt noch einige Wochen, vielleicht zwei Wochen dauern wird, bis dann tatsächlich valide Erkenntnisse über diese Variante vorliegen, um dann genau solche Aussagen treffen zu können. Also mit anderen Worten zum jetzigen Stand zu sagen: Die Impfstoffe wirken nicht oder diese Virusvariante ist wesentlich gefährlicher, sorgt für mehr Hospitalisierung, kann man zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Alexander Kekulé

Ja, also das „gefährlicher“ ist so ambivalenter Begriff, der wird ja auch in Deutschland auch von den Medien mal so mal so benutzt. Also, Sie haben es gerade jetzt eingeschränkt. Hospitalisierungen, dafür haben wir absolut keinen Hinweis. Im Gegenteil, das waren junge Menschen in Südafrika. Das ist ursprünglich mal in der Region von Pretoria ein Ausbruch bei Studenten gewesen, den man dann weiter verfolgt hat. Und das sind von den Verläufen her ist es so, zumindest das, was man aus Südafrika hört, die durchwegs milde verlaufen. Man muss man natürlich sagen, die haben dort jüngere Menschen, das war ein Ausbruch unter Jungen. Die haben natürlich jetzt, wo die WHO quasi alles zugemacht hat, kein Interesse zu erklären, das Virus sei besonders gefährlich. Aber ich weiß, es gibt dann Leute, die sagen gleich wieder ja, das könnte ein besonders gefährliches Virus sein, im Sinne von schweren Verläufen und Hospitalisierungen. Also bis jetzt haben wir dafür absolut keinen Hinweis. Und die Südafrikaner behaupten sogar das Gegenteil, dass es eher harmlose Infektionen sind. Und ja, was wir eben sehen: Bis zum 21.11. – ist ja noch nicht so lange her – hatte man ungefähr 4.000 Fälle, die dort nachgewiesen wurden. Und jetzt aktuell sind es knapp 14.000 Fälle. Also es ist schon innerhalb von einer Woche von 4.000 auf 14.000 hochgegangen. Da kann man sagen: Das ist beunruhigend. Andererseits haben die ja dann auch gemerkt, dass es einen Ausbruch gibt und den Ausbruch nachverfolgt.

Und wenn sie natürlich so einen Ausbruch verfolgen und dann die, die sich da angesteckt haben, alle untersuchen. Natürlich finden sie dann mehr von diesem Omikron. D.h., es kann ein Effekt sein, dass man jetzt gründlicher danach gesucht hat. Es ist ja am Anfang eher zufällig festgestellt worden, und als man dann gemerkt hat: Hoppla, da ist eine neue Variante, hat man das jetzt systematisch untersucht. Und das andere ist eben, wenn sie vor dem Hintergrund von sehr wenigen Infektionen plötzlich eine Steigerung haben, dann sieht es immer dramatisch aus, aber insgesamt so eine Inzidenz von zwölf, da träumen wir in Deutschland nur von, und das ist in der Region Gauteng, also da, wo Johannesburg ist, und Pretoria, wo eben dieser Ausbruch sich gerade breit macht.

55:45

Camillo Schumann

Weil Sie gerade gesagt haben: Möglicherweise so hohe Infektionsrate mit dieser Variante, weil gründlicher nachgeschaut wurde. Es ist ja schon ziemlich verwunderlich, dass erst nach der Klassifizierung dieser Variante, diese jetzt auch plötzlich überall in Deutschland bei Neuinfektionen nachgewiesen wurde. Man schaut also seit vergangener Woche gezielt danach. Kein Wunder, könnte man sagen. Sie haben es auch schon angesprochen, es wird kaum noch sequenziert. Kurzer Auszug aus dem aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts:

„Für die KW45 ergibt sich aus der Zahl verfügbarer Genomsequenzen und bekannter laborbestätigter Infektionen in Deutschland bisher ein Anteil mittels Gesamtgenomsequenzierung untersuchter Sars-Cov-2-positiver Proben von knapp 2% insgesamt, und 0,6% im Rahmen der Stichprobe.“

Also wir waren ja mal richtig gut, wir waren ja mal bei 20%. Sollte man vielleicht diesen Blick wieder verschärfen?

Alexander Kekulé

Die Frage ist letztlich: Was wollen wir damit jetzt. Wenn Sie von einem Hund gebissen werden, ist Ihnen das doch egal, ob der Hasso oder

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Hugo geheißen hat. Sondern da ist die Frage: Hat sie der Hund gebissen oder nicht. Dass natürlich wir Akademiker, wir Virologen, diese Viren immer alle irgendwie benennen und dann sagen: Ja, da ist die Infektiosität um 10% hochgegangen oder um 40%. Da habe ich ja schon ein bisschen davor gewarnt, als dieses Delta gekommen ist. Das Delta ist infektiöser. Und falls jetzt Omikron infektiöser sein sollte, hätte das eigentlich für uns keine Auswirkungen, sondern wir müssten die gleichen Maßnahmen treffen. Bis es dann bei uns wirklich, sage ich mal, zu einem nennenswerten Effekt käme, würde es eine Weile dauern. Natürlich ist es wichtig zu gucken ist es schon im Land, wie weit ist es im Land. Das ist v.a. in dem Zusammenhang wichtig: Hat es einen Sinn, Einreisebeschränkungen zu machen? Weil wenn es bei uns sehr häufig wäre, dann wüssten wir das gar nicht aufgrund unserer Nachweisverfahren. Wir würden wir das gar nicht zufällig feststellen, weil dieses eine Verfahren, diese eine PCR, die da in Südafrika verwendet wurde, die das zufällig dann festgestellt hat, die ist hier nicht üblich in Deutschland. D.h., wir müssten wirklich durch Sequenzierung mal gucken, ob es da ist, kann ich ja vielleicht kurz erklären. Das war ja dieses ... Wenn Sie sich erinnern, diese Alpha-Variante in England. Die ist ja mal festgestellt worden dadurch, dass, wenn man PCR macht und das S-Gen sucht, dass man dann das S nicht mehr findet, aber andere Marker dieses Virus‘. Und das nannte man S-dropout und hat gesagt: Mensch, was ist denn da los. Und da hat man sequenziert und die Alpha-Variante entdeckt, Und diese S-Gen-Untersuchungen, das ist ein bestimmter Hersteller, der das hat im Panel, der wird in Deutschland kaum verwendet, und in Südafrika eben schon und zumindest von einem Institut dort. Und die haben eben dann genau den gleichen Effekt gesehen. Die hatten so ein S-Dropout und haben dann die neue Variante gefunden. In Deutschland hätten wir das gar nicht festgestellt in dieser Weise. Und jetzt ist die Frage: Brauchen wir mehr Sequenzierung? Ja, in der jetzigen Situation schon wieder. Aber wir sind, glaube ich, kein Land, wo bei uns die Gefahr

besonders groß ist, dass jetzt bei uns speziell neue Varianten entstehen. Das ist ja auch noch einmal interessant, die Frage, wo das im südlichen Afrika hergekommen ist. Es gibt letztlich zwei Spekulationen. Die eine ist so die offizielle Theorie, die man auch überall liest. Ja, da sind ja viele immunsupprimierte Menschen im südlichen Afrika, und zwar deshalb, weil dort viel HIV unterwegs ist, das Virus, was u.a. AIDS erzeugt, das ist dort weit verbreitet. Und da gibt es auch viele, die therapiert werden und die dann dadurch in einem immunsupprimierten Status sind. D.h. also, wenn die infiziert werden, kann das Virus sich in einem Menschen innerhalb weniger Wochen dann sehr weit entwickeln, immer neue Varianten entwickeln, und unter Umständen auch so eine Variante, die so viele Mutationen hat. Insgesamt hat dieses Omikron ja etwa 50 Mutationen, wenn man die anderen alle mitnimmt, die nicht im SGen sind. Und da ist also die gängige Theorie, dass das in einem Patienten entstanden ist, der z.B. immunsupprimiert gewesen sein könnte, z.B. weil es dort viele HIV-Infizierte gibt. Das ist die eine Variante. Da wäre das Virus in kürzester Zeit entstanden, wenn Sie so wollen, im Hochhaus mit dem Lift hochgefahren. Und die andere Variante ist die, die ich persönlich so immer noch mit in die Waagschale werfen will. Das ist, dass das Virus vielleicht ganz simpel bei dieser Anhäufung dieser Mutationen quasi die Treppe rauf gegangen ist. Und da ist es ja so alle 14 Tage haben sie eine Mutation im Durchschnitt. Das ist so der Schnitt quasi, der da gemessen wurde für diese Viren. Und das kann sein, dass sich das ganz langsam entwickelt hat. Und zwar, dass man das einfach nicht gemerkt hat. Das muss gar nicht in Südafrika gewesen sein. Irgendwo in einem anderen Land, wahrscheinlich dann südlich der Sahara, hat sich einfach nach und nach dieses Virus die Eigenschaften zugelegt, die so ein Coronavirus SARS-CoV-2eben braucht, um halbwegs schnell zu infizieren und halbwegs die bereits infizierten immunologisch zu überlisten, dass man dann Zweitund Drittinfektionen machen kann. Und das wäre ja dann eine gute Nach-

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richt. Weil das wäre sozusagen klassisches Beispiel einer konvergenten Evolution, das in verschiedenen Bereichen der Erde in dem Fall verschiedene Virusstämme die gleichen Eigenschaften erwerben, nämlich die genannten: Immunsystem überlisten und schneller infektiös sein, aber auf unterschiedlichem Weg. Das haben wir in der Evolution auch sonst in der Biologie oft – berühmt sind da die Darwinfinken, die ja auf irgendwelchen Inseln genau die gleichen Schnäbel haben wie die europäischen Finken, weil bei den Problemen, eine Nuss zu knacken, eben eine bestimmte Schnabelform hilft, obwohl die genetisch auf ganz unterschiedlichem Wege der gleiche Phänotyp, also das gleiche Ergebnis erzeugt wird. Was würde das für das Virus bedeuten? Da hat vielleicht dieses Omikron die gleichen Eigenschaften sich zugelegt, aber dabei andere genetische Schalter bedient, quasi sich anders entwickelt, sodass man Ihre Frage vorhin, was ist eigentlich der Prototyp wenn man 32 Mutationen zählt, ist da ganz wichtig. Da kann man vielleicht gar nicht davon ausgehen, dass das Mutationen von dem ursprünglichen Typ sind, sondern das hat einfach das gleiche Problem anders gelöst. Und es könnte sein – das ist ja natürlich absichtlich meine optimistische Sichtweise – es könnte sein, dass wir jetzt feststellen in den nächsten zwei Wochen, dass es nicht wesentlich infektiöser ist, vielleicht ein bisschen, aber nicht wesentlicher als Delta und sich deshalb nicht so schnell durchsetzen kann. Und das es v.a. – das ist ja viel wichtiger – bei den Menschen, die sich schon mit Delta infiziert haben, gut abgefangen wird von den Antikörpern. Und vielleicht sogar auch bei denen, die geimpft wurden mit den RNA-Impfstoffen noch gut abgefangen wird, weil sozusagen das Ergebnis, also wie dieses Protein dann von außen aussieht – wir sagen, welche „immunodominanten Domänen“ das hat. Also, welcher Bereich sozusagen vom Immunsystem erkannt wird. Das könnte durchaus relativ ähnlich aussehen, auch wenn die einzelnen Bausteine unterschiedlich sind. So wenn Sie zwei Lego-Häuser bauen, die genau gleich aussehen, können Sie ja verschiedene bunte Steine nehmen und von

außen sieht es dann trotzdem gleich aus. Und nur dieses Äußerliche ist quasi das, was das Immunsystem interessiert und nicht, welches Gen da irgendwie bedient wurde, um dieses Produkt herzustellen.

1:02:27

Camillo Schumann

Was ich mich frage jetzt aber gerade, um diesen Gedanken mal aufzugreifen: Warum sollte sich das Virus so entwickeln? Weil es ja auf eine ungeimpfte Population trifft? Also es muss sich ja gar nicht so viel Mühe geben. Also wenn es diese Entwicklung jetzt hier bei uns gemacht hätte, hätte ich das verstanden. Wir sind ja alle größtenteils geimpft und/oder genesen. Aber warum dort? Da sind eher die meisten nicht geimpft, und viele haben sich auch noch nicht infiziert. Also warum stellt sich das Virus da so auf den Kopf?

Alexander Kekulé

Gleiches Thema wie in Indien mit der Delta-Variante, die ja wahrscheinlich aus Indien kam. Aber das haben wir schon ein paar Mal gesagt, das muss nicht sein, aber es ist natürlich nicht unwahrscheinlich. Einfach weil so viele Menschen dort infiziert waren. Also in Südafrika ist jetzt angeblich, das sagen die selber, die Impfquote bei 25%. Das ist absoluter Rekord auf dem afrikanischen Kontinent – sonst kontinentweit liegt die Impfquote bei 6% im Moment, ist also desaströs. U.a. weil die RNAImpfstoff-Hersteller dorthin nicht geliefert haben, weil wir hier alle unsere Booster-Injektionen haben wollen, auch für jüngere Menschen. Das ist natürlich für die ein Riesengeschäft und stattdessen wird weniger nach Afrika verkauft. Man muss der Ehrenrettung halber sagen, dass dann Moderna zumindest gerade aktuell behauptet hat, das also größere Mengen von Impfstoff bereit wären, um das an die weniger entwickelten Länder zu verschicken, aber nicht abgerufen würden wegen Zollproblemen und wegen Kühlungsproblemen und anderer logistischer Probleme in diesen Ländern. Da gibt es also auch eine andere, sage ich mal Anekdote dazu. Aber ich glaube, sicherlich ist da was

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dran, dass wir, indem wir also die Märkte leerkaufen, also die reichen Länder dafür sorgen, dass dort nicht soviel geimpft wird. Und da reicht es also völlig aus, dass viele Menschen sich natürlich infiziert haben. „Natürlich“ soll jetzt nicht beschönigend sein, sondern sich infiziert haben das natürlich auch einige gestorben. Das ist auf dem afrikanischen Kontinent aufgrund der anderen Altersstruktur nicht so ein großes Problem, wie es das bei uns wäre in Deutschland. Damit hat das Virus dann zu tun und dabei versucht es sich eben anzupassen. Man kann sich das so vorstellen: Wenn jemand so eine Teilimmunität schon hat, weil er schon einmal infiziert wurde, z.B. mit Beta – das ist das, was in Südafrika schon anzunehmen ist –a dann muss ich eben stärker andocken an dessen Schleimhaut, damit kleinere Virusmengen reichen für die Infektion, und am besten das Immunsystem auch noch ein bisschen überlisten, sodass dessen Antikörper quasi mich nicht zuverlässig abfangen frühzeitig. Und deshalb ist es schon gut möglich, dass auf die Weise des Virus das trainiert hat. Was wir jetzt vermuten.

Camillo Schumann

Verstehe. Also wenn der reiche Westen mehr gespendet hätte und die Impfquote da höher gewesen wäre, müsste man jetzt nicht über Omikron reden?

Alexander Kekulé

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Also ja sicher, wenn das alles unter Kontrolle wäre. Aber wenn die gesundheitlichen Verhältnisse so ähnlich wie bei uns wären: Ja dann wäre das vielleicht weniger wahrscheinlich, dass solche Varianten entstehen. Aber es ist völlig unklar, wie das genau passiert. Die einen sagen natürlich ... Jeder versucht dann so seine Story draus zu machen. Das, was er schon immer begründen wollte, wird jetzt mit Omikron begründet. Die einen sagen, ihr verkauft viel zu wenige Impfstoffe dorthin. Albert Bourla, der Chef vom Pfizer, sagt wir müssen noch mehr Boostern in den reichen Ländern. In Klammern: Ich kann noch mehr verkaufen, weil mein Impfstoff ganz toll wirkt. Oder Pfizer/BioNTech

wirkt wahrscheinlich gegen Omikron auch. Dagegen hat interessanterweise der Chef von Moderna, der Stéphane Bancel, der hat gesagt, er hat Hinweise darauf, dass die Wirkung stark beeinträchtigt ist von den RNA-Impfstoffen bei Omikron. Klar, weil der jetzt gerade am Booster-Geschäft nicht so viel verdient und insgesamt (glaube ich) nur so ein Drittel oder ein Viertel vom Pfizer verkauft. Und für den wäre es natürlich super, wenn jetzt alle einen Reset machen und den neuen Impfstoff entwickeln, weil er dann sich vielleicht erhofft, höhere Marktanteile zu haben oder wieder schneller zu sein. Ein neues Rennen, neues Spiel. Jeder versucht jetzt, mit dem Omikron irgendetwas zu begründen, bis hin zu deutschen Politikern, die das, was sie schon immer gefordert haben, jetzt mit Omikron begründen.

01:08:09

Camillo Schumann

Und in zwei Wochen sind wir dann schlauer. Wenn dann die Wissenschaftler sequenziert, analysiert haben, dann werden wir es besprechen hier im Podcast.

Herr Kekulé, über noch eine wichtige Entscheidung müssen wir in dieser Ausgabe sprechen. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat eine Erweiterung der Zulassung des Covid19Impfstoffs von BioNTech und Pfizer auf Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren empfohlen. Die finale Entscheidung muss wie immer die Europäische Kommission fällen, das ist aber Formsache. Bislang ist der Impfstoff in der EU erst ab zwölf zugelassen. Was ändert sich für die Kinder im Alter zwischen fünf und elf? Im Prinzip ja nur die Dosis oder?

Alexander Kekulé

Genau. Die Dosis ist anders. Also es ist ja nur BioNTech/Pfizer zugelassen bisher. Moderna ist aufgrund der dort beobachteten etwas häufigeren Nebenwirkungen, insbesondere Herzmuskelentzündungen, hier ein bisschen im Hintertreffen. Das spiegelt so ein bisschen das, was ich gerade mit Omikron gesagt habe, noch einmal. Die haben ein besonders großes Interesse daran, dass da so eine Art Reset bei den

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Impfstoffen gemacht wird. Und bei Pfizer/BioNTech ist es so: Das ist ja zugelassen bis jetzt eben von 12-17. Und mit der EMA-Empfehlung ist es so ... Bisher ist es so ausgelegt worden, zumindest vom Paul-Ehrlich-Institut, dass damit – sobald die EMA dann eine offizielle Zulassung ausspricht (das war ja erst mal die Empfehlung des Fachkomitees) – dass es dann damit auch in Deutschland automatisch zugelassen ist. Das ist so die Lesart, die man in Deutschland hat, dass man da quasi nichts Weiteres braucht. Und dann wird natürlich das gleiche Rennen wie im Sommer wieder losgehen. D.h., die Ständige Impfkommission wird dann die Daten prüfen und wird natürlich dann „wie die Sau durchs Dorf getrieben“, auf jeden Fall von hinten mit Spießen aktiviert, sich zu bewegen, weil alle sagen: Jetzt schnell, schnell, sprich mal deine Empfehlung aus. Und die Frage ist dann, um im Bild zu bleiben, wie viel Sitzfleisch die haben, um gründlich dann noch einmal die Prüfung auch für die Kinder ab fünf Jahren durchzuführen.

1:10:13

Camillo Schumann

Also Reduzierung der Dosis von 30 auf 10 Mikrogramm und Abstand drei Wochen. Das sind so die Rahmendaten, die dem Ganzen zugrunde liegen. Marco Cavaleri leitet die Impfstoffstrategie der Europäischen Arzneimittel-Agentur und hat bei dieser Empfehlung gesagt:

„Auch die Kinder können von gesundheitlichen Langzeitfolgen nach einer Erkrankung an Covid19 betroffen sein. Das ist erwiesen, aber wir glauben, dass wir da bisher nur die Spitze des Eisbergs sehen, und auch noch sehr wenig über Long Covid bei Kindern und Jugendlichen wissen. Deshalb bin ich froh, dass die Vakzine von BioNTech/Pfizer heute auch für Kinder im Alter von fünf bis elf zugelassen sind.“

Würden sich dieser Aussage so anschließen?

Alexander Kekulé

Naja, er hat es ja, wenn man das genau hört, sehr geschickt formuliert. Er sagt: Sie können auch mal betroffen sein, das ist erwiesen. Also

die Frage ist ja, wie häufig. Und „wir glauben, dass es die Spitze des Eisbergs ist“. Also Glaube ist ja etwas, wenn man das in der Wir-Form macht, schon ein bisschen schwierig. Im Grunde genommen, abgesehen von Religionsgemeinschaften, der Glaube eigentlich etwas sehr Individuelles ist. Und deshalb bin ich eher für harte Fakten an der Stelle. Und ich hoffe sehr, dass die STIKO das genau auf die Waagschale legen wird, weil letztlich ist es doch so: Wir haben bei den Kindern von 12-17 jetzt die Situation gehabt, dass man bei Abwägung der Risiken und des Nutzens ungefähr in die Balance kommt. Also das war so, dass die STIKO sich rein medizinisch nicht dazu entscheiden konnte, die Empfehlung auszusprechen, wenn man jetzt nur guckt, was bringt es den Kindern selbst medizinisch. Hauptbedenken war hier die Herzmuskelentzündung. Da hat die STIKO ja noch den wirklich handwerklichen Fehler gemacht, dass sie Moderna und BioNTech zusammengeworfen hat, ohne zu differenzieren. Und das – sage ich mal – ist so ein bisschen Schnee von gestern. Aber trotzdem natürlich so ein Fakt, was noch ein bisschen nachhängt. Gut, jetzt sprechen wir nur noch über BioNTech und müssen bei BioNTech jetzt prüfen, wie ist es bei den noch jüngeren Kindern? Und da ist es natürlich so: Mal so grundsätzlich sind die schweren Erkrankungen noch seltener, und ob es Langzeitfolgen gibt, ist noch unklarer. Es gibt einfach überhaupt keine Daten bei Kindern, die z.B. Long Covid klar belegen würden. Und dieses Multi-Inflammationssyndrom bei Kindern, was eine extrem seltene Nebenwirkung ist, ist erstens so selten, dass das definitiv kein Grund wäre zu impfen. Und zweitens wissen wir nicht einmal, ob die Impfung die Kinder davor schützt, weil die Kinder können sich ja trotzdem noch infizieren. Und ob sie dann dieses MIS-C bekommen, also dieses ganz seltene Multi-Inflammationssyndrom bei Kindern, diese Entzündung quasi nach der Covid-Infektion, das ist völlig unklar, wird man auch so schnell nicht rauskriegen, weil da müsste man wirklich Unmengen von Kindern mit dieser sehr seltenen Erkrankung haben, um das auszuwerten.

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D.h. also das ist schwieriger, dann zu sagen, welchen Nutzen hat es? Und dann wird eben die Frage sein, wie hoch ist die Rate der Nebenwirkungen. Bisher haben wir gesehen, je jünger, desto häufiger war quasi die Rate der Herzmuskelentzündungen. Ob das jetzt sich fortsetzt in die Altersgruppe von 5-11, ist noch unklar. Das kann sein, dass es ein Häufigkeitsmaximum bei 12-16 gibt. Es kann aber auch sein, dass es dann bei Jüngeren noch häufiger ist. Und darauf ist die EMA überhaupt nicht eingegangen. Die EMA hat einfach nur die Daten zur Wirksamkeit ausgewertet und festgestellt, dass dieser Impfstoff wirksam ist mit dieser Dosisreduktion bei den jüngeren Kindern.

Camillo Schumann

Ich frag Sie jetzt einfach mal: Würden Sie diesen Impfstoff für 5bis 11-Jähigen empfehlen?

Alexander Kekulé

Ich würde mir sehr gründlich die Daten ansehen. Zum jetzigen Zeitpunkt bei den Daten, die es bis jetzt gibt, würde mir die Seite fehlen, die mir sagt, wie häufig wirklich die Nebenwirkungen sind in der Altersgruppe, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten natürlich haben, das Datenmaterial, weil ja in anderen Ländern schon geimpft wird, da machen in gewisser Weise die anderen für uns – ich möchte jetzt nicht, sagen die Versuchskaninchen – aber sozusagen den Vorreiter an der Stelle. Und dann müsste man sehr gründlich auswerten, wie häufig ist das dann eigentlich in dieser Altersgruppe? Wie ist das Nebenwirkungsprofil in dieser Altersgruppe auch jetzt mit der reduzierten Dosis? Das ist natürlich sehr gut, dass man die Dosis reduziert hat, denn man kann schon davon ausgehen, dass diese Herzmuskelentzündungen, obwohl die Entstehung ja völlig unklar ist. Das ist auch ein Grund, warum wir das mit Gewissen bedenken. Wir wissen nicht, warum die Kinder diese Herzmuskelentzündungen bekommen. Und etwas, was wir nicht verstehen, fordert uns natürlich zu größerer Vorsicht auf. Und deshalb sage ich mal, wir wissen nicht warum, aber wahrscheinlich hat die Herzmuskelentzündung was damit zu tun, dass das Immunsystem überstimuliert wird.

Drum war es der richtige Schritt, die Dosis zu reduzieren. Ich habe das ja auch schon mich immer gefragt, warum man das für die 12bis 17-Jährigen nicht gemacht hat. Vielleicht wäre dann die Herzmuskelentzündungen deutlich seltener gewesen. Und das wird man sich dann ansehen müssen. Und natürlich bleibt einfach auf der anderen Seite der Waagschale immer die Tatsache, dass wir extrem selten nur schwere Verläufe haben. Je jünger, desto seltener in dieser Gruppe. Also bei Neugeborenen ist es wieder ein bisschen anders. Und dadurch muss man sozusagen noch mehr Kinder impfen, um irgendwie ein einziges vor dem Krankenhaus zu bewahren. Und das war ja schon letztes Mal, als die STIKO das durchexerziert hat, in der Größenordnung – wenn ich es richtig erinnere – dass durch die ganze Aktion irgendetwas wie 30 bis 50 Kinder vor Hospitalisierung bewahrt werden sollen. Und davon auch noch bei einem Teil gar nicht klar ist, ob die überhaupt Covid haben. Also das war schon sehr, sehr auf Messers Schneide. Letztlich war das Argument, was ja die STIKO dann irgendwo – zurecht finde ich – bewogen hat zu sagen, wir empfehlen die Impfung. Das war ja, dass man gesagt hat, wir werfen jetzt zusätzlich in die Waagschale die sozialen und psychologischen Schäden, die die Kinder durch die sekundären Schäden haben, also durch Lockdown-Maßnahmen, Schulschließungen usw. Und wir hoffen, dass wir sie durch die Impfung vor diesen Schäden bewahren können.

Das muss man natürlich jetzt mal neu bewerten, weil wir wissen, dass auch Geimpfte und Genesene nicht komplette Freiheit genießen dürfen. Das ist, glaube ich ... Inzwischen hat sich das wohl allgemeinen rumgesprochen. Und wir wissen auch, dass wir jetzt in einer Welle sind, die nach dem, was ja nicht nur ich sage, sondern viele andere Epidemiologen sagen, dann im nächsten Frühjahr zu Ende sein wird. Und dann auch wenn man so hoffen darf, die letzte schwere, epidemische Welle war, die zu solchen Gegenmaßnahmen zwingt. Dann ist die Frage, wenn man jetzt die Impfung empfiehlt, wann greift es dann, bis wann sind die Kinder geimpft mit dem ganzen Verzug, der da

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einzurechnen ist? Würde ich mal sagen, dass würde dann vielleicht erst in die endemische Phase kommen. D.h. also in eine Phase, wo wir sowieso keine staatlichen, drastischen Gegenmaßnahmen mehr brauchen. Und dann ist wirklich die Frage: In welche Richtung geht denn dann die Waagschale, wenn man diese psychologischen und sozialen Nebenwirkungen eben nicht mehr mitberücksichtigen muss? D.h., es ist eine komplexe Entscheidung, ist jetzt noch viel schwieriger geworden bei den jüngeren Kindern und bezüglich der Perspektive, dass wir im nächsten Jahr eigentlich damit rechnen können, dass wir so ganz strikte Gegenmaßnahmen nicht mehr brauchen. Ich warne sehr davor, jetzt so diesen ganz billigen Reflex zu machen und zu sagen: Ja, aber da gibt es ja noch Omikron, und für alle Fälle müssen wir jetzt. Ich bin sehr dafür, dass man solche Dinge dann sehr differenziert sich anschaut. Es geht hier wirklich um Menschen, die noch ein sehr langes Leben vor sich haben. Und da hat man eine hohe Verantwortung, wenn man die gegen eine Krankheit impft, die bei ihnen selber eigentlich in der Regel harmlos verläuft.

1:18:15

Camillo Schumann

Und das ist mal eine Situation, wo eben Schnelligkeit, nicht das oberste Mittel in der Pandemie ist: Warten wir es mal ab und werden es dann besprechen hier im Podcast. Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau F. hat gemailt. Sie schreibt:

„Muss ich nach einer Booster-Impfung 14 Tage warten, bis ich wieder Impfschutz habe? Zur Erläuterung: Die Chefin meiner Ergotherapie behauptet das. Sie ist der Meinung, dass ich erst nach 14 Tagen Impfschutz habe. Sie selbst ist nicht geimpft. Nun darf ich 14 Tage nicht in die Praxis. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja, also das ist bei der Booster-Impfung ein bisschen anders. Also rein schematisch, sagen wir: Der Impfschutz besteht 14 Tage nach der

zweiten Impfung, sofern man nicht Johnson&Johnson hatte. Dann gilt es juristisch schon 14 Tage nach der einzigen und ersten Impfung. Was aber ganz klar ist inzwischen, dass die eine Impfung nicht ausreicht. Das ist bei der Boosterung anders. Bei der Boosterung kann man sich das so vorstellen, dass das Immunsystem dadurch, dass es insbesondere so Gedächtniszellen schon gebildet hat, die sich gemerkt haben, wie das Virus aussieht. Sobald man boostert geht also schlagartig – innerhalb von sage ich mal 24 Stunden – kann man eine ganz massive Reaktion im Immunsystem beobachten. Und da würde ich jetzt mal sagen, wenn man zwei Tage abwartet, reicht das vollkommen. Und dann ist die Boosterung, wenn man so will, wirksam. Es gibt aber meines Erachtens auch noch gar keine gesetzliche Regelung in Deutschland, die sagt, dass die Boosterung verpflichtend wäre, damit man einen Immunschutz hat. Das wird zwar diskutiert, aber es ist zum Glück noch nicht im Gesetz. Ich halte es auch jetzt als grundsätzliche Verpflichtung nicht für sinnvoll bisher. Wäre anders, wenn wir mal eine Boosterung hätten, die gegen Delta speziell geht oder welche Variante auch immer im nächsten Herbst dann dominant sein wird. Deshalb kurz gesagt: Also das kann man nicht eins zu eins übertragen. Die 14 Tage gelten auch bisher nur auf dem Papier. Könnte man jetzt lange drüber reden, warum das mehr so einen Mittelwert ist für den Abstand zur zweiten Impfung, aber nicht zur BoosterImpfung.

Camillo Schumann

So weil ich am Anfang ja Mails von unseren Hörern und Hörern mit Lobhudelei vorgelesen habe, kommt jetzt eine kritische Stimme von dieser Dame, die angerufen hat und stellvertretend für viele Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts steht, die genau dieselbe Frage hat:

„Ich bin bestimmt nicht die einzige, die sich die ganze Zeit fragt, warum Sie fordern – regelmäßig, immer wieder hört man von Ihnen, Pflegekräfte sollten sich impfen lassen. Obwohl Sie selbst zugeben, dass der Fremdschutz mit der Impfung gar nicht so wirklich relevant ist. Ganz

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im Gegenteil: Auch weil wir ja eben 2G ablehnen, weil Geimpfte auch ansteckend sein können. Also Sie widersprechen sich da selbst und das kann nicht in Ihrem Sinne sein, Herr Kekulé. Sie reden die ganze Zeit so vernünftig und so nachvollziehbar. Aber das passt nicht.“

Alexander Kekulé

Tja, wenn man, wenn man immer versucht, alles vernünftig zu begründen, dann hat man Feinde auf beiden Seiten. Da gibt es ja immer Leute, da sind die Impfkritiker Fans. Und dann gibt es welche, da sind die, sage ich mal Leute, die große Angst haben und immer impfen wollen, Fans. Und der Mittelweg ist natürlich der, wo man viel Kritik kriegt. Ja, ich habe das tatsächlich genau die gleiche Frage schonmal beantwortet. Das müssten wir nachschauen, wann es im Podcast war. Aber ich mache es gerne nochmal. Das ist die grundsätzliche Frage: Bin ich im Bereich Pflegeheime – denn darum geht es ja letztlich, Pflegeund Altenheime. Bin ich da in der Situation, dass ich alle erst mal grundsätzlich geimpft habe und dadurch einen Basisschutz habe, der nicht 100% ist, ganz klar. Oder bin ich in dem Bereich, wo ich grundsätzlich die Impfung nicht vorgeschrieben habe, und dadurch mich bei jedem einzeln kümmern muss, ob der z.B. an dem Tag einen Schnelltest oder Ähnliches gemacht hat. D.h. also es geht mehr um das Praktikabilitätsargument. Ist es sicherer, alle erst mal geimpft zu haben und dann Einzelfälle, wo z.B. jemand die Impfung verweigert hat oder wo es nicht möglich ist, die dann nachzukontrollieren. Oder ist das umgekehrt, dass ich praktisch jeden Einzelnen kontrollieren muss, indem ich tägliche Tests mache. Letzteres halte ich einfach nicht für praktikabel. Die Hörerin hat insofern Recht, als dass das wirklich rein akademisch gesehen eine Alternative wäre, dass man sagt: Okay, alle, die in solchen Bereichen arbeiten, wo sie unmittelbar Menschen pflegen, die vulnerabel sind oder auch medizinisch behandeln, die müssen jeden Tag eine PCR machen. Ich betone PCR und keinen Antigen-Schnelltest. Und die müssen durchgehend eine fest schließende FFP-Maske tragen. Und was fest schließend ist, kann ich nur sagen. Im

Infektionsbereich weiß man das. Leute, die auf der Intensivstation arbeiten, die machen das zum Selbstschutz, dass sie die Maske so aufsetzen, dass sie wirklich dicht ist. Aber schauen Sie mal so rum, wie die FFP-Masken so getragen werden und auch dieses billige Zeug, was da viel unterwegs ist, wäre da nicht geeignet. Also ja, theoretisch könnte ich Ihnen das aufschreiben, wie man es auch machen könnte. Ich halte das nur aufgrund dessen, was wir so an Berichten von Altenund Pflegeheimen haben, und auch dem, was ich selber aus eigener Anschauung kenne, halte ich das für nicht praktikabel. Das ist einfach ein sehr löchriges Sicherheitssystem. Wenn Sie so wollen, ist die Frage: habe ich einen Topf, den ich irgendwie zuklebe mit einzelnen Pflasterstreifen? Die Pflasterstreifen sind dann die einzelnen Mitarbeiter, die ich testen muss und die die FFPMasken haben, wo ich das dann im Einzelfall auch überwachen muss. Oder arbeite ich umgekehrt mit einem System, wo der ganze Topf nur aus Pflasterstreifen besteht. Also habe quasi nur dieses improvisierte System. Das noch einmal vor dem Hintergrund, und das war für mich auch mit ausschlaggebend, dass es jetzt viele Berichte gibt, wo selbst die Heimleitungen dann zu den Impfkritikern gehören, und die Leute, die Impfkritiker sind, sind eben häufig dann auch identisch mit denen, die die nicht-pharmakologische Interventionen nicht ganz so eng sehen. Und wer soll das dann überwachen? Sollen sie in jedes Heim dann täglich das Gesundheitsamt schicken? Darum sage ich: Die Basis-Sicherheit ist auf jeden Fall höher, wenn alle geimpft sind und das verpflichtend ist. Und ich habe, glaube ich, auch sehr ausführlich begründet, warum ich finde, dass man das diesem Berufsstand auch zumuten kann. Das ist eine andere Situation, als wenn sie das für die Allgemeinbevölkerung machen. Daher finde ich nicht, dass da ein Widerspruch ist, sondern das ist für mich die Konsequenz dessen, was epidemiologisch geboten ist.

Camillo Schumann

Und wer sich ausführlich über die Beantwortung dieser Fragen informieren möchte, der

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hört in Ausgabe 239 rein. Da haben wir diese Frage noch mal beantwortet, und zwar in aller Ausführlichkeit. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 250. Vielen Dank, Herr Kekule! Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin!

Alexander Kekulé

Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

An dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in Rechthaber rein, der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 27. November 2021 #249: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 27. November 2021

Gibt es Impfdurchbrüche bei Sputnik V  Zeigt einen Schnelltest einen Impfdurch-

bruch an?  Sollte man sich nach einem Impfdurch-

bruch noch Boostern lassen?  Ist ein PCR-Test fürs Freitesten aus der

Quarantäne sinnvoll?  Wieso erhält Novavax keine Notfallzulas-

sung?  Ist künftig jedes Jahr eine Impfung für alle

notwendig?  Wie läuft ein Umzug mit ungeimpften Hel-

fern sicher ab?

Camillo Schumann

Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Frau M. hat uns gemailt. Sie schreibt:

„Es geht ja in den letzten Tagen viel darum, dass der Impfstoff viel früher seine Wirksamkeit verliert als ursprünglich gedacht. Gehört, habe ich da schon: BioNTech liegt nach vier Monaten bei einem Schutz von nur noch 40 Prozent, AstraZeneca noch geringer. Nun wird zum massiven Boostern aufgerufen. Leider vergeben

Hausärzte mittlerweile für die dritte Impfung Termine im Februar, teilweise März. Damit dürfte doch dann der Schutz vermutlich gar nicht mehr gegeben sein. Sieben oder vielleicht acht Monate nach der letzten Impfung. Was bedeutet das jetzt für Boostern? Ist das überhaupt noch Boostern? Oder stehen wir wieder am Anfang? Heißt, nach sieben Monaten gäbe es kaum noch Schutzwirkung. Also Impfung Nummer vier, die dann direkt wieder nach drei Wochen aufgefrischt werden muss? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Da gibt es leider wirklich widersprüchliche Informationen, auch von den Fachleuten. Ich kann jedem nur empfehlen, sich mal anzuhören, was der Leif Erik Sander von der Charité in Berlin dazu zu sagen hat. Der erklärt das nämlich auch immer sehr gut, er ist ja Immunologe. Also es ist so, dass wir bei älteren Menschen einen Teil haben, bei denen die Impfung von Anfang an nicht richtig wirkt. Das würde ich dann als Impfversager bezeichnen oder als Impfung, die zu schwach ist. Die brauchen die dritte Dosis. Die meisten sind über 60, aber natürlich gibt es auch Jüngere, bei denen es nicht so richtig funktioniert hat. Das wäre dann eine Erweiterung der Grundimmunisierung, den man quasi als dritte Dosis braucht. Wenn (...) es funktioniert, also nach der dritten Impfung dann eben die Immunantwort richtig angesprungen ist, dann ist es tatsächlich so, dass das lange hält, also auf jeden Fall länger als sechs Monate. Circa ein Jahr. Statistiken, also so Rechen-Modellierungen sagen, das könnte Richtung zwei Jahre gehen, auch je nachdem, wie sich das Virus dann weiter verändert. Und dann gibt es diejenigen, bei denen die Impfung von Anfang an super funktioniert hat. Bei denen geht leider zum Teil die Antikörper-Antwort die EGG Antwort trotzdem runter. Es ist aber so, dass man festgestellt hat, dass die Gedächtniszellen haben, sodass sie im Falle einer Infektion, obwohl der Antikörperspiegel gesunken ist, noch einen vollen Immunschutz haben. Zumindest einen Immunschutz haben bezüglich der schweren Erkrankungen oder Todesfälle. Das heißt also, man wird dann möglicherweise ein bisschen krank, man ist leider eben auch infektiös, darauf bezieht sich auch diese nachlassende Immunität. Sodass man sagen muss Boostern ist wichtig, wenn es darum

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geht, dass man selber alt ist, ein schwaches Immunsystem hat und dann Angst hat, daran zu sterben. Die Jüngeren können wahrscheinlich durch die Booster nicht einmal effektiv ihre mögliche Infektiösität beeinflussen. Zumindest gibt es da keinen sauberen Daten, die das sagen. Sodass man jetzt nicht sagen muss jeder muss alle halbe Jahre da wieder hin. Das werden wir im Laufe des nächsten Jahres sehen. Meine Vermutung ist, dass sich jetzt mehr und mehr bestätigt, dass wir einfach zwei Immunsysteme im Menschen haben. Das eine ist die Schleimhaut-Immunität, das ist das, worauf es eigentlich ankommt bei der sofortigen Abwehr der Viren. Und da ist es so, dass die nach der Infektion gut ist, dass die unmittelbar nach der Boosterung auch ganz gut ist, für eine kurze Zeit, weil das Immunsystem eben allgemein unspezifisch aktiviert ist. Und das andere ist, wenn ich das mal so sagen darf, die Blut-Immunität, wo es um diese Antikörper geht, die im Blut sind. Das ist die zweite Verteidigungslinie die verhindert, dass wir schwer krank werden. Und diese letztere, die man durch diese Spritzen (die man ja auch in den Arm bekommt und bisher leider nicht auf die Schleimhaut) bekommt ist wirklich gut. Auch dann, wenn man diese sechs Monate hat verstreichen lassen.

04:23

Camillo Schumann

Wir haben Post aus Leipzig bekommen. Von einer Dame, die nicht genannt werden möchte. Sie schreibt:

„Wir gehören zu den Familien, die bezüglich der Pandemie unterschiedlicher Meinung sind. Nun soll ein Umzug stattfinden, bei welchem geimpfte und ungeimpfte Personen miteinander agieren, schleppen, räumen, schwitzen. Wie kann man hier die größte Sicherheit für alle Beteiligten schaffen? Vielleicht, indem sich alle testen? Maske tragen wird beim Möbel tragen wohl ziemlich schwierig. Oder wäre es besser, unterschiedliche Teams zu bilden? Für eine Antwort wäre ich dankbar“

Alexander Kekulé

Also, was unsere Hörerin da gesagt hat, das Konzept ist eigentlich schon ganz gut so. Also das eine ist, wenn man jetzt wirklich weiß, man ist auch in geschlossenen Räumen, strengt sich stark an: Bei körperlicher Anstrengung ist es tatsächlich so, dass wenn man ansteckend ist,

man mehr Virus ausscheidet. Darum ist die Überlegung richtig, da besonders gut aufzupassen und verschiedene Teams zu bilden, wenn das möglich ist. *lacht* Wenn nicht in dem einen Team nur die Schwachen und in dem anderen die starken Möbelträger sind, dann kann man das sicherlich so machen. Ansonsten glaube ich jetzt ganz pragmatisch gesehen, da werden jetzt bei dem Möbelumzug nicht so viele Risikopersonen, die hochaltrig sind oder ähnliches, dabei sein. Deshalb würde ich sagen, die alle vorher zu testen ist auf jeden Fall eine Sicherheitsmaßnahme und gut ist. Anders ist es übrigens bei Faschingsumzügen *lacht*, da ist es ja tatsächlich so, dass da alle Altersgruppen dabei sein können. Ich habe zuerst gedacht, es geht um einen Faschingsumzug, aber als es dann um Möbelschleppen ging, ab der Stelle wusste ich, welcher Umzug gemeint ist.

05:59

Camillo Schumann

Diese Hörerin hat angerufen. Ich glaube, sie braucht ein bisschen argumentativen Beistand. Sie möchte sich demnächst impfen lassen, das war eine schwere Entscheidung. Ihr Partner ist auch noch ungeimpft, aber:

„Er zweifelt noch sehr und hat mit sehr großer Angst zu kämpfen, da er als Kind einen Impfschaden hatte und seitdem auch jegliche Impfungen elterlicherseits abgelehnt wurden. Er ist zudem auch in einer Heilpraktiker-Familie groß geworden und stellt sich daher auch ganz klar gegen das Impfen oder andere Medikamente. Dennoch ist es so, dass er nun sehr große Angst hat das Virus zu bekommen und er weiß nicht, was er tun soll. Haben Sie einen Rat für ihn?“

Tja, wir wissen jetzt leider nicht, wie alt das Pärchen ist, aber wahrscheinlich noch nicht sehr alt.

Alexander Kekulé

Ja das ist genau die Frage, um die es hier natürlich geht. Also ich kann jetzt nur grundsätzlich sagen, der Schaden von dem Virus ist immer schlimmer als der Impfschaden. Für Erwachsene kann man das definitiv sagen. Und deshalb würde ich immer sagen: es ist zwar ein Impfstoff wo man vielleicht denkt ‚Mensch, der könnte irgendetwas machen, was noch keiner weiß‘, aber auf der anderen Seite ist es auch ein Virus, was irgendetwas machen könnte,

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was keiner weiß. Wir haben ja gerade in diesem Podcast immer wieder neue, auch ziemlich unangenehme Eigenschaften dieses Virus kennengelernt, wo man vorher gedacht hat, das gibt es gar nicht. Und deshalb würde ich jetzt mal sagen: im Zweifelsfall ist die Impfung berechenbarer als das Virus an der Stelle. Das wäre so mein stärkstes Argument für die Impfung, wenn ich so am schwanken wäre.

07:37

Camillo Schumann

Herr B. hat gemailt, er schreibt:

„Ich höre den Podcast von Anfang an. Nun habe ich eine Frage: Ich bin 72 und der folgsame Deutsche, der sich inzwischen hat dreimal impfen lassen! Vermutlich haben Sie meine Frage bereits mal beantwortet gibt es schon Durchbrüche bei dreifach geimpften? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja also, die Frage ist sozusagen: wie wirksam ist die Boosterung? Da gibt es tatsächlich schon Daten aus Israel. Von Anfang an hat man das ganz gut festgestellt. Man kann so grob sagen, dass die Boosterung noch mal einen Schutz von 60 bis 80 Prozent vor schweren Verläufen hat. Das heißt, es ist ziemlich gut. Das ist noch mal ein guter zusätzlicher Schutz im Vergleich zu denen, die schon zweimal geimpft waren. Es waren natürlich tendenziell Leute, die man da geboostert hat, die älter waren und bei denen die Impfung auch schon eine Weile zurücklag. Also das macht es einen Unterschied. Wenn man jetzt Jüngere nimmt und die zweite Impfung noch nicht so lange her ist, dann ist der Unterschied nicht so offensichtlich. Und das heißt aber dann im Umkehrschluss natürlich, – ich sage jetzt mal so eine Zahl – wir hätten 80 Prozent Schutz vor schweren Verläufen zusätzlich durch die Boosterungen dieser Altersgruppe. Dann heißt es natürlich zwei von zehn a 20 Prozent, bei denen bringt es nichts. Das heißt, sie haben eine Durchbruch-Erkrankung und hinterher auch noch Krankenhaus trotz der Boosterung. Also ein Allheilmittel ist es nicht. Das liegt eben daran, dass hier geboostert wird mit dem gleichen Impfstoff, mit

dem die erste und die zweite Impfung im Prinzip gemacht wurde oder mit der gleichen Impfstoffgruppe. Und die alle miteinander sind ja gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ mal entwickelt worden. Das Problem ist, dass dieser Wuhan-Typ im Grunde genommen seit vielen Monaten, wenn Sie so wollen, eigentlich ins Virus Museum gehört. Und wir haben eine viel weiterentwickelte Variante inzwischen. Also bei so einer Pandemie sind ja zwei Jahre sowas wie sonst vielleicht ein Jahrhundert gewesen wäre in der Entwicklung von so einem Virus. Das ist ja dadurch, dass so viele Menschen neu infiziert werden, auch viel effektiver als sonst eine virale Entwicklung ist. Das kann man sich so vorstellen, als wenn das Virus sich inzwischen weiterentwickelt hat ins zwanzigste Jahrhundert. Es arbeitet inzwischen mit Ultraschall, hypersonischen Raketen, wie das Ding, was die Chinesen gerade entwickelt haben und wir mit unserer Gegenwehr haben nun quasi noch das Weltkriegs 1-Repetiergewehr auf der anderen Seite. Und so ist ungefähr der Unterschied zwischen dem Impfstoff, den wir haben, der ist eben einfach outdated im Moment. Und deshalb haben wir diese vielen Durchbrüche. Und deshalb bringt auch die Boosterung nicht hundert Prozent. Aber 80 Prozent ist doch auch gut oder andersherum gesagt auch mit einem alten WK 1 Repetierer können sie notfalls ihren Feind erlegen.

10:33

Camillo Schumann

Herr K. aus Schleiz hat angerufen. Er hat auch eine Frage zum Impfdurchbruch, allerdings beim russischen Impfstoff Sputnik V:

„Man hört nichts mehr von diesem Impfstoff, und ich hätte gern gewusst: Gibt es bei dem Sputnik V nach ihren Erkenntnissen genauso viele Impfdurchbrüche wie bei uns in Deutschland bei BioNTech, Moderna und anderen Impfstoffen? Oder ist das Verhältnis dort anders? Man hört auch über die Inzidenz in diesen geimpften Ländern nichts mehr. Ich wäre Ihnen für eine Antwort sehr dankbar.“

Alexander Kekulé

Ja also auch wir hören da in mehrerer Hinsicht 3

relativ wenig von. Also erstens, diese Daten über die Durchbrüche sind ja echt schwer zu bekommen. Also selbst das Robert Koch-Institut macht sich ja da Gedanken und hat es nicht immer leicht, an die Zahlen ranzukommen, wieviel Prozent in welcher Altersgruppe jetzt wirklich Durchbrüche sind. Die meisten Zahlen, die wir hier so verwenden, kommen aus Israel oder aus Großbritannien, weil dort einfach in dem einen Land sehr systematisch erhoben wird und in dem anderen dann hinterher systematisch gemeldet und geforscht wird. Und sowas haben wir natürlich in Russland überhaupt nicht. Also Sputnik V wird ja im Wesentlichen in Russland beziehungsweise in befreundeten Staaten verimpft. Und da macht man diese Studien nicht und wenn man sie macht, sind sie schlampig. Was in der Tat ein bisschen komisch ist, ist, dass es ja immer die Ankündigung gab, dass man für die europäische Arzneimittelkommission die vollständigen Daten vorlegen will, um eben hier die Zulassung zu bekommen. Das ist in der Tat so, dass da irgendwie nix mehr draus geworden ist. Und wir sehen leider, dass in den Ländern, wo mit Sputnik V geimpft wurde, tatsächlich das Virus oder die Epidemie gar nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Das hängt sicherlich auch mit der Impfbereitschaft in diesen Ländern zusammen. Also wir jammern ja hier immer in Deutschland über unsere Ungeimpften, aber wenn man mal, was weiß ich, in die Ukraine oder nach Russland schaut oder andere ehemalige Sowjetstaaten, dann ist es dort noch viel, viel schlimmer, weil die Menschen einfach dem Staat nicht trauen, den Ärzten nicht trauen und sich nicht impfen lassen.

12:35

Camillo Schumann

Frau K. hat gemailt:

„Ich habe jetzt schon des Öfteren in meinem Umfeld gehört, Selbstund Schnelltests würden bei doppelt geimpften Personen eine CoronaInfektion nicht anzeigen. Ist dem tatsächlich so? Ich selbst teste mich täglich dreimal selbst und jetzt, wo es wieder geht, zweimal im Testzentrum. Gerade in Hinblick auf Weihnachten

würde ich gerne wissen, ob dann ein PCR-Test besser wäre, bevor ich mit meiner Familie zusammentreffe.“

Alexander Kekulé

Ja, ich habe das auch schon gehört. Das ist so eine Vermutung, die in den Raum gesetzt wurde. Man muss immer aufpassen. Klar, jeder Virologe hat so seine Sachen im Kopf, wo er meint, das und das könnte noch als Problem auftauchen. Bis jetzt gibt es keine Daten dafür, dass bei Geimpften die Selbsttests weniger gut funktionieren würden. Es ist also eine reine Spekulation, aber ich weiß, die hat zu Schlagzeilen geführt. Es ist folgendermaßen: also wir wissen aus den Daten, dass Geimpfte, wenn sie dann infektiös werden, dass wenn sie das Virus ausscheiden, das kürzer machen und möglicherweise auch, das wissen wir nicht genau, ein Teil der ausgeschiedenen Viren gar nicht infektiös ist. Also dass wir die quasi mit der PCR feststellen können, aber weil sie nicht ansteckend sind und gar keine kompletten Viruspartikel sind, die Antigen-Tests nicht darauf anspringen. Weil die Antigen-Tests sind ja immer darauf angewiesen, dass das Viren sind, die auch Proteine enthalten, die also sozusagen dann mehr oder minder funktionstüchtig sind. Daher ist die Überlegung sicherlich richtig, dass bei jemandem, wo das Immunsystem tätig ist, möglicherweise die Viren, wenn da welche ausgeschieden werden, quasi nur anteilig vollständig sind und vielleicht dann dieser AntigenSchnelltest nicht so gut anspringt. Das ist aber eine reine Spekulation. Ich finde es wäre jetzt verfrüht, aufgrund dieser Spekulationen jetzt alle quasi fuchsig zu machen und zu sagen jetzt gehen die Schnelltests nicht mehr. Man kann sich vielleicht umgekehrt folgendes überlegen: wenn der Schnelltests keine Viren findet oder eben negativ ist, dann heißt es, wenn er richtig durchgeführt ist, dass zu dem Zeitpunkt eben nicht besonders viele Viruspartikel da im Rachen oder in der Nase, wo auch immer man das gemacht hat, auf dem Tupfer drauf waren. Das korreliert schon relativ gut mit der Ansteckungsfähigkeit. Das heißt also es kann schon sein, dass so jemand, den man da getestet hat, vielleicht wirklich, wenn man es jetzt mit der PCR machen würde, das Virus ausscheidet in kleiner Menge. Aber der ist eben, weil er wenig Virus ausscheidet, im Grunde genommen nicht

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relevant ansteckungsfähig. Sodass ich sagen würde, da gilt das allgemeine Prinzip (nach wie vor) so ein Antigen-Schnelltest filtert halt die, die möglicherweise Superspreader sind und besonders ansteckend sind ziemlich gut raus. Das reicht also meines Erachtens für Privatveranstaltungen. Wenn man aber jetzt ganz konkret weiß, man hat eine Risikoperson, um die es geht, wie zum Beispiel im Altenheim oder es kann ja auch mal an Weihnachten sein, wenn man weiß, der Opa wollte sich partout nicht impfen lassen, will aber jetzt mit uns Weihnachten feiern: das wäre so die einzige Situation, wo ich sagen würde, da kann man mal darüber nachdenken, ob man stattdessen eine PCR macht.

15:48

Camillo Schumann

PCR-Test ist genau das Stichwort für die nächste Frage. Herr K. aus Brandenburg hat angerufen. Er war infiziert und ist seit Wochen PCR positiv.

„Jetzt bin ich hier schon fast fünf Wochen in Quarantäne und irgendwann muss ja mal Schluss sein mit Quarantäne, ohne jetzt ungeduldig zu sein. Und die Frage ist, gibt es Erkenntnisse darüber, ab wann man als nicht mehr infektiös gilt und ab wann man mit noch positivem PCR-Test, aber nach durchgemachter COVID 19-Erkrankung dann doch auch wieder rausgehen und meinetwegen irgendeiner Arbeit nachgehen kann?“

Alexander Kekulé

Also Herr K. ist sehr geduldig. Fünf Wochen ist schon echt krass. Ja, wir haben solche Fälle immer wieder. Das ist so, dass wir auch wissen, dass die PCR leider bei manchen Menschen eben auch mehr oder minder tote Viren nachweisen kann. Und das kann sein, dass er gar nicht mehr so ansteckend ist, aber die PCR halt noch positiv ist. Solche Beispiele gibt es immer wieder. Wir haben ja deshalb auch bei den PCR-Tests im Lauf der Zeit immer strengere Cut-off-Werte eingeführt, also diese sogenannten CT-Werte, ab denen das dann wirklich als positiv gilt. Die wurden im Lauf der Zeit korrigiert. Manche sagen ab einem CT-Wert von 25 ist man schon nicht mehr positiv. Also wenn der größer als 25 ist, dann ist also die Viruslast so gering, dass man keine Angst mehr vor einer Ansteckung haben muss. Meine Empfehlung

ist, das konkret mit dem Gesundheitsamt noch einmal abzusprechen. Formal ist es ja eine Isolierung und keine Quarantäne. Quarantäne heißt das bei Kontaktpersonen. Also da ist jetzt hier jemand, der positiv ist in Isolierung und das Gesundheitsamt kann diese Isolierung aufheben. Und da würde ich vorschlagen, das mal zu diskutieren, ob man vielleicht noch mit einem anderen Labor nochmal die PCR macht und den wirklich quantitativ noch einmal diskutiert. Und wenn das Gesundheitsamt dann sagt, aufgrund der Gesamtumstände – ich gehe mal davon aus, dass jetzt die Symptomatik längst vorbei ist und also keine Krankheitszeichen mehr da sind – kann man den Isolierten wieder freigeben, dann ist es so. Aber das ist leider eine Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts. Das darf man nicht selber Kraft eigener Wassersuppe oder über Bande über einen Podcast machen.

18:15

Camillo Schumann

Frau H. hat gemailt, sie schreibt:

„Warum gibt die EMA Novavax oder Sinovac in dieser Notlage keine Zulassung beziehungsweise Notfallzulassung? Laut Daten sind beide Impfstoffe gut verträglich, haben eine hohe Wirksamkeit auch gegen die Varianten des Coronavirus. Besteht in Deutschland die Möglichkeit, sich mit einem dieser Impfstoffe impfen zu lassen, auch wenn diese noch nicht offiziell zugelassen sind. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Außerhalb der Studien geht das nicht. Es gibt natürlich Studien und wenn man sozusagen Glück hat, kommt man dann noch irgendwie rein als Studienteilnehmer. Wobei bei diesen Studien die Gemeinheit ist, dass die meistens blind laufen. Das heißt also typischerweise weiß man dann nicht, was man bekommen hat. Heutzutage werden solche Impfstoffstudien nicht mehr so gemacht wie am Anfang, dass man quasi der Hälfte der Probanden den Impfstoff gibt und die anderen kriegen quasi Salzwasser, sondern man impft zwei verschiedene Impfstoffe und testet die gegeneinander. Weil das ethisch nicht zu verantworten wäre, die Hälfte der Probanden komplett ungeimpft, dann wieder rauszuschicken. Die Zulassung bei der EMA, die geht so seinen normalen Gang. Fast hätte ich gesagt, bei uns in Halle sagt man

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immer: das geht seinen sozialistischen Gang, das läuft schon. Also das nennt man Rolling-Review. Das heißt also, die Hersteller schicken da ihre Daten parallel zu den Studienerhebungen schon mal hin. Die Zulassungsbehörde beugt sich da immer mal wieder drüber und gibt auch Tipps, wenn noch was fehlt. Ich sehe jetzt hier kein Problem, dass die Zulassung bald kommt. Und die Zulassung wird natürlich auf jeden Fall erst mal eine Notfallzulassung sein, die heißt im europäischen dann bedingte Zulassung, ist aber quasi das Äquivalent zu der Notfallzulassung in den USA. Und das wird natürlich so eine Notfallzulassung sein. Aber dafür müssen die Daten vollständig sein. Ich habe eher, für die, die ungeduldig sind, Bedenken, ob die Hersteller mit der Produktion so schnell nachkommen werden. Weil, was man so hört, zumindest von Novavax, ist, dass die zum Teil eben nicht so glücklich waren beim Hochfahren der Kapazitäten. Das mussten sie schon machen für die Studien, da müssen Sie auch Zehntausende impfen und da brauchen Sie auch große Mengen von Impfstoff. Und schon da gab es ein paar Probleme. Daher bin ich ein bisschen skeptisch, ob die jetzt, wenn dann wirklich überall Grünlicht ist und die USA lassen zu und Europa lässt zu und alle wollen den Impfstoff haben – Vorbestellungen gibt es ja schon – ob die dann aus dem Stand quasi da so viel liefern können. Warten wir mal ab. Also daher ist das eher das Nadelöhr und nicht die Frage, ob die Europäische Arzneimittelbehörde da ein bisschen früher oder später die Zulassung erteilt.

20:52

Camillo Schumann

R. aus Frankfurt am Main hat angerufen. Er wurde im Juni vollständig mit BioNTech geimpft. Im September hatte er einen Impfdurchbruch, hat sich also infiziert. Nun seine Frage:

„Jetzt stellt sich mir die Frage als 65 jähriger Genesener: ist es notwendig, eine Booster-Impfung zu erhalten? Und wenn ja, wann sollte ich diese Booster-Impfung durchführen lassen? Antikörpertests sind ja, wie ich gelesen haben, nicht sehr aussagekräftig und insoweit wäre ich Ihnen dankbar für eine Antwort“

Tja, also nach vollständiger Impfung, Infektion, genesen. Boosterung?

Alexander Kekulé

Also, ich würde jetzt mal so grundsätzlich sagen: Nein, das ist bringt im Moment nichts. Kann man machen, schadet natürlich auch überhaupt nichts, aber die Frage ist soll man sich Boostern lassen, würde ich sagen: nein, geimpft plus infiziert ist so ein breiter Immunschutz, der wird jetzt, gerade weil es erst im September passiert ist, erst mal eine Weile reichen. Für diese Wintersaison wird da nicht mehr viel passieren. Und wenn sich dann der R. sozusagen zusätzlich noch einmal infiziert, dann wird er eben noch einmal krank und wird auch nicht daran sterben. Sondern das Immunsystem wird damit klarkommen. Es ist eher die Frage, wenn wirklich dann hoffentlich mal im nächsten Jahr die an Delta angepassten Impfstoffe auf dem Markt sein werden, das wäre so der Zeitpunkt, wo ich mal darüber nachdenken würde, eine Boosterung zu machen, weil natürlich das Virus sich weiter verändert. Und je weiter das gerade zirkulierende Virus sozusagen entfernt ist von dem, was man zuletzt als Infektion erlebt hat, desto schlechter wird der Immunschutz natürlich.

22:34

Camillo Schumann

Herr D. hat gemailt:

„Wieso verimpfen wir immer noch den Impfstoff, der auf Basis des Wuhan-Virus entwickelt wurde, obwohl wir zwischenzeitlich schon einige Mutationen beobachten konnten. Anfangs hieß es BioNTech kann den Impfstoff binnen weniger Wochen anpassen. Macht das nicht mehr Sinn, die Menschen, die sich jetzt impfen oder boostern lassen, auf die Delta angepasste Variante zu impfen? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja, natürlich würde das Sinn machen. Ich bin da auch ein bisschen enttäuscht, sage ich mal ganz ehrlich. Die Ankündigungen waren genau so, sechs bis acht Wochen hieß es da irgendwie sportlich. Und ich muss sagen, ich war ja auch selber einer von denen, die landauf-landab gesagt haben, ein Riesenvorteil dieser RNA-Impfstoffe ist, dass man sie kurzfristig an Varianten anpassen kann. Sicher, als die Delta Variante in Indien und dann in Großbritannien aufgetaucht ist, wusste man noch nicht sofort, ob sie weltweit dominant wird. Aber Mensch, wann haben wir das hier im Podcast gesagt? Also, ich

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würde mal so grob sagen, also spätestens seit März, April oder so in dem Zeitraum, war eigentlich klar, dass das nicht mehr aufzuhalten ist. Damals war die Frage kommt es nach Deutschland? Und da habe ich nach meiner Erinnerung gesagt, das wird nicht nur in Deutschland, sondern weltweit dominant werden. Und dann kann man sagen, gut das war ja nur eine Prognose. Aber ich meine so im Mai ist es doch ganz eindeutig gewesen. Und wenn es sechs Wochen dauert den anzupassen, dann müssten wir eigentlich für die Herbstwelle längst einen an Delta angepassten Impfstoff haben. Die Hersteller haben sich dagegen entschieden, weil sie natürlich das Zeug, was sie sowieso schon verkaufen, auf die Weise ein drittes Mal loswerden. Und das braucht man, glaube ich, niemandem zu erklären, dass man damit mehr Geld verdienen kann als jetzt was Neues zu entwickeln und durch die Zulassungen zu bringen.

24:15

Camillo Schumann

Frau F. hat angerufen. Sie macht sich so ihre Gedanken, wie es mit der Corona Pandemie in den nächsten Jahren weitergehen wird:

„Mich würde mal interessieren, wie die ganze Situation in Zukunft weiter gehen soll, besonders nächstes Jahr. Der Herr Leif Erik Sander der sagte in einer Sondersendung, er gehe davon aus, dass der Impfschutz jetzt vielleicht sogar ein Leben lang anhält, wie bei Hepatitis. Das wäre da zumindest die Hoffnung. Das wäre für mich aber nicht logisch, wenn die CoronaViren ständig mutieren und man auch jedes Jahr gegen Influenza impfen muss. Müssen wir nun, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten, jedes Jahr achtzig Millionen Bürger impfen?“

Alexander Kekulé

Also ich kenne jetzt das Zitat von dem Herrn Sander nicht. Aber wir wissen tatsächlich nicht, wie diese Gedächtniszellen funktionieren und wir wissen nicht, welchen Beitrag Schleimhaut Immunität zur Abwehr dieses Virus leistet. Das ist ja ein Phänomen, dass eben Kinder zum Beispiel tendenziell weniger infektiös sind und weniger leicht angesteckt werden können als Erwachsene. Was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass sie irgendwie so eine Daueraktivität der angeborenen, also unspezifischen

Immunantwort auf der Schleimhaut haben. Wir wissen auch, dass es dort auf den Atemwegen noch eine spezifische Immunantwort gibt, also nicht nur diese allgemeine, sondern eine, die wirklich gelernt hat, wie so ein Virus aussieht und ganz konkret mit Antikörpern, die heißen ein IGA-Antikörper, auf dieser Schleimhaut ganz konkret das Corona Virus bekämpfen kann. Wie lange das dann anhält, im Sinne von Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe, das ist ganz schwer zu sagen. Da gibt es Modellierungen die sagen, bei den Corona-Viren müssen wir damit rechnen, dass es ein bis zwei Jahre hält. Es ist aber tatsächlich so, dass es auch Daten gibt, dass zumindest bei einem Teil der Menschen sich die Immunzellen etwas von diesem Virus gemerkt haben, was relativ unveränderlich ist. Das ist ganz interessant. Diese Viren haben ja, genau wie die eine Hörerin das gerade gesagt hat, die Frau F., Teile, die sich ständig verändern, so ähnlich wie bei Influenza. Es gibt aber andere Teile, die relativ konstant sind. Und wir wissen, dass es Menschen gibt, die gute Antikörper und eine gute Immunantwort haben, auch T-zelluläre Antwort, gegen diese konstanten Anteile, die nicht nur bei dem Sars-Cov-2, bei dem aktuellen Virus, immer gleich sind, sondern interessanterweise auch identisch sind bei anderen humanen Coronaviren, die wir also schon länger kennen. Und wenn man sozusagen so eine Art Generalschlüssel hat, mit dem man all diese Viren knacken kann, dann ist natürlich die Überlegung da, dass man vielleicht gar keine Auffrischung braucht. Also in diesem ganzen Spektrum ist das offen. Und ich gehe mal als Arbeitshypothese davon aus, dass jemand, der vollständig immunisiert ist, entweder durch eine Erkrankung oder durch eine vollständige Impfung -(der dann auch sehr gut angesprochen hat, also jetzt nicht eben Üsechzig ist, sondern gesundes junges Immunsystem hat), dass so jemand ein bis zwei Jahre vor dem Virus geschützt ist. Aber in der ganzen Rechnung ist ja noch nicht drin, wie stark sich das Sars-CoV-2 noch verändern wird. Deshalb würde ich jetzt sagen, wir müssen uns schon darauf einstellen, dass zumindest vielleicht sogar die Kinder dann später mal in dieser Pandemie einmal im Jahr geimpft werden. Oder dass man es in die Grundimmunisierung bei den Kindern mit reinnimmt, weil man dann sagen

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kann: die ganze Gesellschaft hat entweder durch Infektionen oder durch Immunisierung durch Impfung mal Kontakt mit dem Virus gehabt. Und der Zweit-Kontakt, Dritt-Kontakt das ist dann quasi ein Rest Risiko, von dem wir uns irgendwann wahrscheinlich eingestehen müssen, dass wir das nicht vermeiden können.

27:56

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 249 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 30. November wieder, dann zur zweihundertfünfzigsten Ausgabe, Jubiläum Herr Kekulé! Jubiläum!

Alexander Kekulé

Jubiläum! Da freue ich mich darauf in ein schönes Wochenende, Herr Schumann. Bis dahin.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 25. November 2021 #248

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zur Sendung:

Impfquoten-Monitoring (22.11.)

COVID-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland (COVIMO) (rki.de)

Donnerstag, 25. November 2021

Fast 76.000 Neuinfektionen über 100.000 Tote, immer mehr Intensivstation am Limit. Braucht es einen harten Lockdown?

Dann: die Ampelkoalition plant für die Corona-Pandemie einen Krisenstab und ein zusätzliches Expertengremium. Was ist von dieser Maßnahme zu halten? Und kommt sie rechtzeitig?

Außerdem die Stimmen, die sich für eine generelle Impfpflicht aussprechen, mehren sich. Was spricht dafür und was dagegen?

Dann 3G am Arbeitsplatz. Wie lange sollte diese Maßnahme durchgezogen werden?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie Herr Kekulé.

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Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Ja, wir müssen in dieser Ausgabe schon wieder über einen möglichen harten Lockdown sprechen. Wir sprechen über generelle Impfpflicht, die immer wahrscheinlicher wird. Grundsätzlich dieses Impfthema in zweiter Familien, zerstört Freundschaften. Wir müssen über fast 76.000 Neuinfektionen und über hunderttausend Corona-Tote sprechen. Diese ganzen Themen machen irgendwie alle sprachlos. Ich dachte, wir können den Podcast bald mal einstellen, was kaum noch Entwicklungen gibt. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe so das Gefühl, wir sind in einer Dauerschleife. Was macht das mit Ihnen?

Alexander Kekulé

Ach, Herr Schumann, wir werden zusammen alt. Ist es doch auch keine schlechte Nachricht also für mich ist es natürlich frustrierend. Ganz ehrlich gesagt, weil wenn man jetzt so tief drinsteckt, sich seit Jahrzehnten mit diesen Themen befasste. Sie wissen, ich habe einige der Pandemiepläne die ersten Prototypen mitgeschrieben. Wir haben diese Probleme geübt, weltweit und rauf und runter. Und dann dachte man eigentlich, ich war ja auch ganz optimistisch zumindest in diesem Sommer, dass in Deutschland die Politik inzwischen verstanden hätte, wie man mit so etwas umgeht. Die dritte Welle wurde ja eigentlich ganz gut gemanagt, meines Erachtens um Ostern herum. Und jetzt schlittern wir da so wieder, so rein. Also, da bin ich sprachlos. Was mich am meisten nervt. Ganz ehrlich gesagt aus dem Bauch raus ist dann, wie Lothar Wieler und Jens Spahn sich dann hinstellen und jetzt die Alarmisten geben. Ich meine, die Leute, die die Situation dahingefahren haben, die erklären jetzt irgendwie ist fünf nach zwölf. Ich kann es nicht mehr hören, aber wir versuchen immer optimistisch in die Zukunft zu blicken und irgendwie noch einen Lichtstreif am Horizont zu finden, wie es weitergehen könnte.

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02:48

Camillo Schumann

Ja, das zeichnet in diesem Podcast ja auch aus. Aber wir unterhalten uns da jetzt seit fast zwei Jahren. Ich habe jetzt mal ein bisschen großzügig aufgerundet. Zeit 16. März 2020 und ich hatte wirklich immer das Gefühl, und da schreiben wir uns ja auch ganz viele Hörerinnen und Hörer, dass sie die aktuelle Bewertung der Lage sehr schätzen. Und dann dieser positive Grundton, wir kriegen das schon irgendwie hin. Aber wenn man sich überlegt, dieses Gefühl in dieser Dauerschleife zu sein, und auch Freundschaften gehen auseinander und so weiter und sofort, da fällt es einem wirklich schwer, da noch Licht am Horizont zu sehen. Wie schwer fällt es Ihnen noch, positiv zu denken?

Alexander Kekulé

Ach, ich sehe mal den einen Rettungsring, der irgendwo noch rumschwimmt. Ich habe ja vor ein paar Wochen schon gesagt, wir müssen jetzt sofort die Alten impfen oder war es vor Monaten habe ich gesagt ab 60 alle Boostern. Da hat sich dann schweren Herzens irgendwann die STIKO dann auch dazu entschlossen, obwohl natürlich die Daten schon längst auf dem Tisch lagen. Aber jetzt ist doch grünlich die Alten zu Boostern, also Ü70 ja sowieso schon lange. Ü60 ist das, was ich schon lange vordere, und wenn wir die Ü60 durchhaben. Ich habe aber irgendwie gehört, es sind nur 15 Prozent oder so von denen geboostert. Dann kommt die Ü50 und so weiter. Wenn wir das so priorisiert machen und die anderen mal, wenn ich mal so bildlich sprechen darf, aus den Schlangen wegschubsen, weil die Alten das wirklich brauchen, dann haben wir da eine Chance, denen einen Rettungsring hinzuwerfen und das sollten wir auf jeden Fall versuchen. Und es gibt ja auch dieses eine Element, wenn man etwas Positives auspicken will in diesem unsäglich schlechten Gesetz, das mit Sicherheit auch noch einmal vom Parlament nachgebessert werden muss. Da ist schon das eine oder andere Gute drinnen. Und was wirklich Gut ist, dass es eben heißt, dass in den Altenheimen, Pflegeheimen und medizinischen Bereichen da ist es aber selbstverständlich -

jetzt wirklich die Ungeimpften täglich getestet werden müssen und die Geimpften dreimal pro Woche. Und das das ist schon mal ein großer Fortschritt. Viele werden sagen ein Wunder, dass es das noch nicht gab. Aber das ist eben jetzt eben deutschlandweit beschlossene Sache. Ich kann nur nochmal plädieren: macht es bitte mit der PCR, weil man übersieht einfach mit der PCR weniger positive. Und jeder einzelne positive im Altenheim kann einfach wie der Sensenmann da sozusagen rumgehen, ohne es zu wollen. Und deshalb müssen wir da konsequent sein. Und eben dann, wenn ich in dem Bild bleiben darf, wenn das Schiff eben jetzt gerade sinkt, dann müssen wir denjenigen, die nicht schwimmen können, Rettungsringe hinwerfen.

05:22

Camillo Schumann

Aber PCR ist natürlich eine enorme logistische Herausforderung für die Altenpflegeheime die sind ja froh, wenn sie ausreichend Schnelltests haben.

Alexander Kekulé

Nö, das wird doch in Bayern und in anderen Bundesländern wahrscheinlich auch sogar mit den Schülern gemacht. Die machen da bei den Schülern dreimal die Woche in den Ländern, wo es gut funktioniert, machen die die sogenannten Lolli-Tests. Und das wird als Pooltest, als PCR gemacht. Und klar gibt es da hier und da mal logistische Schwierigkeiten. Aber im Prinzip ist es so: morgens vor Schule werden die Tests genommen, und mittags sind die Ergebnisse da und landen bei den Eltern auf dem auf dem Handy. Und hier geht es ja um Personal, was fest angestellt ist und wenn man das sehr engmaschig überwacht. Sicher kann es mal einen Tag geben, wo irgendwie die Resultate nicht sofort kommen. Aber das geht ja hier sozusagen um die kontinuierliche Überwachung. Und dass man Ausbrüche nicht übersieht. Wir haben immer noch über 100 Ausbrüche in Altenund Pflegeheimen in Deutschland.

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06:19

Camillo Schumann

Weil Sie jetzt gerade Zahlen schon genannt haben. Kommen wir mal zu den Zahlen. Ich habe es ja eingangs schon so ein bisschen erwähnt. Die Zahl der Corona-Toten hat nun traurigerweise die Marke von 100.000 übersprungen. 100.119 Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind hat das Robert Koch-Institut heute gemeldet. Fast 76.000 Corona-Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden und die deutschlandweite sieben Tage-Inzidenz heute bei fast 420. Unfassbare Zahlen für Deutschland, nie dagewesen. Wir wissen aber, diese enormen Zahlen schlagen erste und zwei, drei Wochen Zeitverzug auf die Hospitalisierung durch. Aber wir sind schon jetzt bei über 4100 Menschen, die mit Covid 19 auf Intensiv liegen. Den bisher höchsten Wert der Intensivbettenbelegung hatten wir am 3. Januar mit 5745. Zwei Wochen vorher hatten wir rund 34.000 Neuinfektionen, eine Inzidenz von 185. Man kann in der Schule auch schlecht in Mathe gewesen sein, so wie ich. Aber es reicht, um einschätzen zu können, den Höchstwert an Intensivbettenbelegung werden wir vermutlich knacken?

Alexander Kekulé

Ja, das sieht so aus rein von den Zahlen her. Wobei man noch dazu sagen muss Folgendes: wir machen das ganze trotz einer ziemlich guten Impfquote. Wenn Sie daran denken, dass auch ungefähr 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sind, dass das ist ja gar nicht so schlecht. Wir stehen zum Beispiel im Vergleich zu Großbritannien ungefähr auf gleicher Höhe. Wir sind auch nicht so viel schlechter als Israel. Wir haben sozusagen zwei Schwachstellen. Ich will nicht noch einmal von zwei Achillesfersen sprechen. Da gab es mal ätzende Kommentare. Aber die eine Schwachstelle ist, dass wir eben bei den Hochaltrigen eine relativ schlechte Impfquote haben, also die, die über 80 sind, über 70. Da ist die Quote nicht so gut, wie sie sein müsste, auch schlechter im Vergleich zu Israel und zu Großbritannien. Und das andere Problem ist, dass wir die gleiche Gruppe eben schlecht geboostert haben. Also da haben wir

viel zu spät angefangen, breiter zu Boostern. Und jetzt im Moment ist es ja so: die Ärzte sind völlig überlastet, weil ihnen 25-Jährige die Türe eindrücken und einen Booster-Termin haben wollen, der in jeder Hinsicht überflüssig ist. Und ja, und deshalb wird es so sein, dass wir die Intensivstationen vollkriegen. Und das sind dann natürlich auch zum Teil Geimpfte und Genesene wesentlich weniger. Die haben besseres Risiko zu überleben. Ganz klar also Überlebenschance ist mindestens zehnmal so gut für den Geimpften aber heißt natürlich trotzdem, dass er mal auf der ITS landen kann vor allem, wenn sie ebenso viele Menschen haben, die geimpft sind. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Geimpfter auch auf der ITS liegt, relativ hoch, und die liegen dann länger, weil eben ein 80-Jähriger der ungeimpft ist, der hat eine faire Chance, nach drei Tagen tot zu sein. Es klingt jetzt zynisch, aber aus Sicht des Arztes auf der Station ist das Bett wieder frei. Und ein 40-Jähriger, der geimpft ist, der liegt daher gerne mal zwei Wochen.

09:14

Camillo Schumann

1600 ist die Differenz Stand jetzt und zum Höchstwert bei diesen enormen Neuinfektionszahlen. Noch mal gefragt: wir werden diese Höchstmarke vom Beginn des Jahres knacken?

Alexander Kekulé

Ich fürchte ja und wobei man sich eben noch mal drüber klar sein muss, dass wir ja weniger Betten haben. Also das hat verschiedene Gründe. Vielleicht ist damals auch ein bisschen mehr gemeldet worden, ist ja bekannt. Es gab es so eine Art Kopfkissen-Geld für die Intensivbetten, die Krankenhäuser haben für gemeldete Betten haben sie Geld bekommen. Zum Teil ist es vielleicht auch nicht alles ganz korrekt gewesen. Zumindest, wenn die Presse da recht hat. Aber unterm Strich ist es so, dass wir jetzt weniger Betten haben, auch weil das Personal völlig ausgelaugt ist, zum Teil sich abgemeldet hat. Ich merke es übrigens auch bei mir im Labor. Wir sind ja als labormedizinischer Bereich auch davon betroffen und kriegen übrigens nicht dieses Sondergeld. Das ist so eine

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Sache, die kann ich vielleicht an der Stelle mal loswerden. Es gibt da Extrageld für Pflegepersonal, aber das Laborpersonal, was also auch völlig überlastet ist, durch diese Situation kriegt also nix extra. Und insgesamt ist unser Gesundheitssystem in so einem Zustand, wo wir das nicht mehr so sage ich mal voll belasten können wie noch vor einem Jahr. Zusätzlich laufen die Zahlen eher auf ein höheres Niveau zu, die Zahlen der Patienten, sodass wirklich Handlungsbedarf besteht.

Camillo Schumann

Sachsens Intensivstationen, die sind am Limit, die in Bayern ebenfalls und wird jetzt auch damit begonnen, Patientinnen und Patienten nach dem sogenannten Kleeblattkonzept zu verlegen. Sachsen will 20 transportfähige Patientinnen und Patienten zum Beispiel nach Niedersachsen oder nach Schleswig-Holstein bringen. Dort sieht die Lage wesentlich besser aus. In Thüringen sind es 14, in Bayern schon 50. Mit diesem Kleeblattkonzept soll ja eine Triage in den Krankenhäusern verhindert werden, indem vorausschauend transportfähige Patienten frühzeitig verlegt werden, damit die Intensivbetten für nicht transportfähige Patienten freigehalten werden können. Da werden jetzt viele Krankentransporte über die Autobahn fahren und Rettungshubschrauber durch die Luft fliegen. Können Sie sich, mit Verlaub, Sie sind ja schon eine Weile im Geschäft, an so eine Situation erinnern, dass wir sowas schon machen?

Alexander Kekulé

Also so ein bisschen hat nur das tatsächlich am Anfang dieser Pandemie. Also ist es so, dass ich, wenn ich in meinem Büro in Halle bin oder bei uns gerade auch Wir haben so einen Labor gehabt, bis vor kurzem draußen im am Universitätsklinikum. Da kriegen Sie das schon mit, wenn die Sanitäter da kommen und irgendwelche Patienten einliefern. Das Universitätsklinikum Halle hat ja tendenziell Patienten übernommen damals von anderen und in München da habe ich das Vergnügen, nicht weit vom Schwabinger Krankenhaus am Wochenende zu sein. Und da ist es in der Tat so, dass man da

wirklich ein bisschen über das Fenster aufmachen musste, um festzustellen, dass irgendetwas los ist, weil eben ständig die Wagen mit Blaulicht hin und her fahren, die eben die Patienten verlegen. Das merkt man jetzt auch wieder. Es ist ja auch Pandemie. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass schonmal Pandemie war in Deutschland in diesem Sinne, sodass das allein nämlich nicht beunruhigt. Ich finde dieses Prinzip des Kleeblatts, dass man also Patienten verlegt, bevor sie kritisch krank werden, weil man ja weiß, wenn sie kritisch krank sind, kann man sie nicht mehr so gut verlegen. Das finde ich völlig richtig. Und das ist natürlich dann auch so, dass die eine oder andere Klinik, die im grenznahen Gebiet ist, mal jemanden ins Ausland verlegt. Das haben wir umgekehrt auch gehabt. Zugleich wird übernehmen wir derzeit in Deutschland weiterhin Patienten aus dem Ausland, beispielsweise da aus Holland gerade im Moment. Das wird in der Presse immer so ein bisschen hochgejubelt, so Hu, jetzt müssen wir schon einen Patienten ins Ausland verlegen. Das ist in so grenznahen Gebieten jetzt eigentlich auch sonst nicht ganz unüblich.

13:04

Camillo Schumann

Also das gleicht so ein bisschen das aus, was wir jetzt in den vergangenen Monaten an Intensivbetten quasi notgedrungenermaßen abbauen mussten?

Alexander Kekulé

Es gleich da nicht viel aus, weil das können sie letztlich nur im Einzelfall machen. Und sie können mit Auslands-Betten auch indem sie nicht rechnen. Das läuft dann eher so beim per kleinem Zuruf, dass man dann schneller anruft und sagt: habt ihr noch ein Bett frei? Wir haben gerade eins zu wenig. Wir müssen schon nüchtern unsere Kapazitäten, die wir haben, ansehen. Wir müssen alles tun. Das hab ich, glaube ich, in diesem Podcast auch schon vor längerer Zeit gesagt, um unsere Kapazitäten zu erweitern. Darüber höre ich relativ wenig. Es wird immer gesagt, wir haben keine Kapazitäten mehr. Aber da muss man eben dann wirklich auch versuchen, die Notreserven, die es

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angeblich gibt, zu erweitern. Ich kann mir vorstellen, dass das schon stattfindet. Aber es wäre vielleicht auch ganz gut, das mal zu kommunizieren, in welchem Umfang das möglich ist. Aber unterm Strich ja, jetzt braucht man nicht mehr lange rumreden. Also es ist zu spät gekommen mit diesen Booster-Impfungen. Das kann man jetzt 100-mal sagen, dass es zumindest hier schon immer gefordert worden. Fakt ist, dass es nicht gemacht wurde, systematisch die Alten zu Boostern. Es kommt auch relativ spät, dass jetzt die Anweisung ist, in den Altenund Pflegeheimen konsequenter zu testen. Wir haben immer noch keine Konzepte für die Schulen. Da ist es ja nach wie vor so, dass einige Bundesländer nur die Kinder in Quarantäne schicken oder nach Hause in Isolierung schicken, die positiv sind. Die anderen bleiben in der Klasse. Das heißt, das Ding ist so außer Kontrolle, wenn wir die Inzidenz irgendwie in den Griff bekommen wollen. Und die müssen wir anschauen. Es ist völlig sinnlos, nur auf die Hospitalisierungen zu starren. Dann muss man einfach sagen ja, ich glaube, Herr Wieler hat mal gesagt, dass es fünf nach zwölf und was heißt fünf nach zwölf: Wir brauchen leider so was wie den Lockdown. Es wird die Politik nicht Lockdown nennen, aber wir müssen die Kontakte begrenzen, das können wir so nicht weiterlaufen lassen.

Camillo Schumann

Doch das nennt die Politik genau so. Lockdown. Es gibt Berichte, wonach ein Lockdown sehr wahrscheinlich wird. Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping von der SPD sieht angesichts der dramatischen Lage im Freistaat keine Alternative mehr zu einem harten Lockdown. Sie hat gesagt: „Ich halte ihn dringend für notwendig, weil ich keine andere Möglichkeit mehr sehe.“. Das hat sie in Dresden heute gesagt. „Auch bei einem kompletten Lockdown könne man noch abstufen und etwa die Kitas und Schulen offen halten.“ Man sei mit Berlin in Kontakt, weil die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten. Sachsen habe alle Möglichkeiten auf Basis des bestehenden Infektionsschutzgesetzes ausgereizt. Und vorher hatte auch schon Ministerpräsident Michael

Kretschmer einen Lockdown vor Weihnachten nicht mehr ausgeschlossen. „Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Es wird nur zu verhindern sein, wenn es ein kollektives Verständnis und gemeinsames Bewusstsein gibt, Kontakte zu vermeiden und die Maßnahmen einzuhalten. Herr Kekulé, jetzt haben Sie sich ja quasi schon für einen harten Lockdown ausgesprochen, jetzt nur für einzelne Bundesländer oder flächendeckend?

Alexander Kekulé

Das muss man dann wirklich anhand der lokalen Fallzahlen ein bisschen entscheiden. Man wird es nicht überall zugleich machen. Aber das soll jetzt auch kein Aufruf sein, Klopapier und Nudeln einzukaufen. Aber es ist einfach so, man kann hundert Mal jammern, das hätten wir machen müssen. Hätte, hätte, Fahrradkette. Das ist halt alles nicht passiert. Und das Schema ist traurigerweise das gleiche wie bei den letzten Lockdowns. Es war immer so, dass es vorher sehr gute Optionen gab, das zu vermeiden. Und wenn man die Optionen nicht greift und wenn man ewig diskutiert und jetzt ganz konkret eben die Ampelkoalitionäre nach der Bundestagswahl sechs Wochen gewartet haben, bis sie sich mal zusammengerauft und mit dem Parlament irgendeine Lösung quasi verabschiedet haben. Das sind halt sechs Wochen, wo das Virus sich weiter vermehrt. Hinzu kommt, dass die Kommunikationsstrategie immer war: Geimpfte und Genesene können machen, was sie wollen. Ich übertreibe jetzt natürlich ein bisschen, aber letztlich fängt man das auch nicht wieder ein. Und das fängt man auch nicht wieder ein, wenn die gleichen Leute, die immer gesagt haben, geimpft tragen, nicht zum pandemischen Geschehen bei sich jetzt hinstellen und sagen es ist fünf nach zwölf. Ich glaube, wir haben es sowohl auf der Kommunikationsebene als auch, was viel schlimmer ist auf der Zeitebene, im Grunde genommen verpasst.

Camillo Schumann

Das ist der Blick zurück. Aber noch mal die

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Frage würden sich der Sachsen-Forderungen anschließend nach einem harten Lockdown?

Alexander Kekulé

Man muss den Lockdown selektiv machen. Es ist ja klar da, dass es Maßnahmen gibt, die früher mal ergriffen wurden, wo wir uns hier auch immer die Nase zu gerümpft haben. Also wir brauchen keine Ausgangssperren, wir brauchen kein Sitzverbot auf Parkbänken. Wir brauchen kein Maskengebot im Freien und solche Dinge ja, dass der Lockdown hatte nun wirklich viele Schildbürgerartige Blüten geschlagen. Aber ich hoffe doch sehr, dass inzwischen die Landespolitiker das alles verstanden haben. Und wenn man das selektiv macht. Also wenn man zum Beispiel sagt, wir müssen im privaten Bereich wieder die Kontakte einschränken. Wir müssen vor allem Veranstaltungen, Freizeitveranstaltungen kontrollieren. Es kann nicht sein, dass unter 2G weiterhin ohne irgendwelche Obergrenzen und Kontrollen und ohne dass man Nachverfolgung hat und so weiter alles weiterläuft. Da wird man schrittweise zudrehen müssen. Ich glaube, das ist der erste Schritt. Wenn Sie jetzt zum Beispiel konkret fragen, ja, Gaststätten schließen. Ja, also man kann natürlich mit einem guten Hygienekonzept die Gaststätten offenlassen. Das ist ohne weiteres möglich. Aber da muss es eben ganz konsequent überwacht werden, dass die Leute, die da reingehen, eben negativ getestet sind und dass es nachverfolgbar bleibt, falls es doch zum Ausbruch kommt. Da sehe ich jetzt rein von der von der Praxis her jetzt nicht, dass der flächendeckend in Deutschland die Logistik schon stehen würde.

Camillo Schumann

Ja, also indirekt, wenn ich ihn so zuhöre, interpretiere ich das als ja, sollte man nächste Woche machen.

Alexander Kekulé

Ja, würde ich so sagen. Also bis letzte Woche hatten wir quasi noch andere Optionen. Aber ich stelle jetzt nicht fest, dass eine Riesenheer von Gesundheits-Leuten und Soldaten ausgerückt ist, um die Ü60 zu Boostern. Und ich stelle auch nicht fest, dass das konsequent

überall umgesetzt wird mit den PCRs in Altenheimen. Ich muss deshalb davon ausgehen, dass weiterhin die besonders vulnerablen Gruppen nicht ausreichend geschützt sind. Und wenn die vulnerablen Gruppen aus diesen zwei Gründen nicht ausreichend geschützt sind, dann heißt es einfach: wir können uns so eine Monster Inzidenz nicht leisten. Ich habe irgendwann mal spaßig gesagt 500 ist die neue 50 heißt ab 500 gibt es Lockdowns. Da war ja noch gar nicht mit reingerechnet, dass wir jetzt so eine hohe Dunkelziffer haben. Die Dunkelziffer ist ja viel, viel höher als vor einem Jahr. Das heißt, wir haben diese 500 längst, von der ich damals sozusagen gesprochen habe. Solche Zahlen sind natürlich immer so ein bisschen nicht ganz auf die Waagschale zu werfen. Das heißt der vorhergesagte Moment für den Lockdown, wenn sie sozusagen eine Kommunikationsstrategie abfragen.

20:13

Camillo Schumann

Aus Berlin hört man jetzt von der Ampelkoalition auf erste Reaktionen der LockdownForderungen. Annalena Baerbock wird da zum Beispiel genannt, die gesagt hat: naja, wir wollen jetzt erst einmal zehn Tage gucken, wie die Booster-Impfung wirken, um dann zu entscheiden, ob wir möglicherweise noch einmal nachjustieren müssen. Also zehn Tage soll jetzt erst noch einmal geschaut werden. Können wir uns diese zehn Tage leisten?

Alexander Kekulé

Ja, das weiß ich jetzt nicht, In welcher Funktion Frau Baerbock, die wird als Außenministerin gehandelt, das gesagt hat, also aus der Sicht der Parlamentarier würde ich jetzt mal sagen in zehn Tagen das Infektionsschutzgesetz noch mal in Angriff zu nehmen, ist wahrscheinlich realistisch. Das muss ja noch durch den Bundesrat und dann am Schluss noch veröffentlicht werden und so weiter. Aber das ist ja die Legislative Seite das, was das Thema, um das es hier geht. Krisen sind bekanntlich immer die Stunde der Exekutive ist etwas, was sofort gemacht, exekutiert werden muss. Und da kann man nicht sagen man schaut sich das zehn

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Tage an, zumal ja, ich kann es nicht oft genug sagen, weil ich irgendwie jedes Mal, wenn ich eine Diskussion bin, merke, wie andere Fachleute auch das falsch erklären. Wir löschen hier das Feuer mit Kerosin, indem wir 2G als Heilmittel gegen die jetzige Inzidenz einsetzen, weil 2G Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Und wenn Frau Baerbock gesagt hat: jetzt schauen wir uns mal an, ob diese 2G Regelung noch was bringt. Da kann ich sagen: ja, die Fallzahlen mehr noch weiter hochgehen. Nehmen Sie die Frage stellt, bringt die BoosterImpfung aller Menschen ab 18 was da kann ich sagen: Nein, definitiv nicht. Es gibt überhaupt keinen wissenschaftlichen Beleg. Nirgendwo, der begründen würde, dass Menschen zwischen 18 und ich sage jetzt mal als Untergrenze 50, wenn man die Boostert, dass das irgendwie die Inzidenz drücken würde, da gibt's kein Beleg für das ist auch so, dass die STIKO zwar per Erklärung ihres Vorsitzenden bei einer Late Night Talkshow erklärt hat, das, dass sie jetzt das empfehlen will und zweitens eine Presseerklärung herausgegeben hat, wo drinnen steht ab 18 empfehlen wir demnächst dann die die Boosterung. Aber das sind zwei Dinge dabei. Das eine ist, dass die Empfehlung noch nicht offiziell ist, weil normalerweise da so ein Anhörungsprozess sicher vorgeschoben wird und zweitens die Begründung nicht auf den Tisch liegt. Die Empfehlung ist noch nicht in Kraft. Was heißt es? Ich bin sehr gespannt auf die Begründung, was die da aus dem Hut zaubern werden für Daten, die dafür sprechen, dass eine Impfung von einem 25-Jährigen irgendwie das epidemische Geschehen beeinflussen würde. Oder andersherum gesagt Frau Baerbock ist ja nun kein Fachmann für Epidemiologie oder für Virologie. Darum kann ich das verstehen, dass sie da diesen Experten erst mal Gehör schenkt. Aber ich kann es nur wirklich sagen: das wird nicht funktionieren. Es wird nicht so sein, dass man durch Boostern von Menschen unter 60 irgendwie diese Welle in Griff bekommt, ganz zu schweigen von dem Tempo, was wir hier gerade an den Tag legen.

Camillo Schumann

Ok, also die zehn Tage, sich Zeit geben zu lassen und das Ganze noch einmal zu evaluieren und zu schauen, wie sich das Ganze entwickelt. Diese zehn Tage Zeit haben wir nicht. Aber wenn ich das so raus höre. Jetzt haben Sie es schon angesprochen, dass man sich mit Experten zusammensetzen will. Die Koalition hat gestern bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrages gesagt, dass unverzüglich ein gemeinsamer Corona-Krisenstab eingerichtet werden soll, um die gesamtstaatliche Bekämpfung der Corona Pandemie besser zu koordinieren. Neben dem Krisenstab soll es auch ein zusätzliches Expertengremium geben, also ein Krisenstab, der koordiniert und ein interdisziplinär zusammengesetztes Beratungsgremium. So was hatten Sie ja schon mal gefordert. Nun soll es kommen, da dürften sie sich ja eigentlich freuen.

24:10

Alexander Kekulé

Ja und Nein. Also erstens ist es so: den Krisenstab, den gibt es ja schon. Also das ist so hat übrigens die Schutzkommission, meine ich damals mitentwickelt. Dieses Konzept, es gibt einen gemeinsamen Krisenstab der federführend beim Bundesinnenministerium ist, aber natürlich unter massiver Beteiligung auch des Gesundheitsministeriums und der anderen Ressorts. Da gibt es sogar so einen schönen Lageraum, der damals eingerichtet wurde und das hat man natürlich aktiviert. Das war ja dieser Krisenstab, der am Anfang sich getroffen hat und gesagt hat: wir lassen alles weiterlaufen wie bisher, als ich damals diese sogenannten Corona-Ferien, also den ersten Lockdown, gefordert habe, das ist dieser Krisenstab. Den gibt es nach wie vor. Der leidet darunter, dass er interministeriell ist und halt eben damals Herr Seehofer und Herr Spahn sich hätten zusammenraufen müssen. Und dass bei solchen nationalen Krisen nach der Definition, die sich damals die die Konstrukteure dieser Sache ausgedacht haben, eben das Innenministerium federführend ist, das war sicherlich dem Gesundheitsministerium ein Dorn im Auge und wahrscheinlich einer der Gründe, warum dieser

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Stab nie so effektiv funktioniert hat. Was ich so höre von Leuten, die da beteiligt waren, an diesem Stab, ist man auch extrem planlos gewesen. Da kamen dann irgendwelche exotischen Papiere des Innenministeriums auf den Tisch, wo keiner wusste, wo die herkamen, die irgendwelche ausländischen Professoren gemacht hatten, die da Zahlen aufgezählt hatten, die komplett unrealistisch waren und von der Schutzkommission ist nicht ein einziger in diesem Stab dabei gewesen. Also es diesen Stab den gibt es immer noch. Und ja, den will man jetzt einrichten, hätte man eigentlich fairerweise sagen müssen für die Bürger, die sich auskennen. Wir wollen den vielleicht neu besetzen oder ein Reset machen oder so ähnlich, weil den gibt's schon.

Zweitens Beratergremium ja, das ist die sogenannte Pandemiekommission. Das steht in allen Plänen drin, wäre dringend notwendig gewesen und finde ich eine gute Sache. Aber wie Sie es schon andeuten, erstens kommt auf das Wie an, wie das dann konkret gemacht wird, natürlich auch, Wer da drin sitzt, ob da die üblichen Verdächtigen dann nur einen anderen Titel bekommen oder ob das wirklich strukturell geändert wird. Und das Wichtigste ist natürlich ehrlich gesagt, das ist toll, so ein Koalitionsvertrag soll ja vier Jahre halten, und perspektivisch ist es richtig so. Aber für diese eine Welle bringt uns das nix mehr. Das ist viel zu spät.

Camillo Schumann

Okay, das Expertengremium soll ja, ich habe es ja gesagt, interdisziplinär zusammengesetzt werden. Welche Bereiche aus ihrer Sicht sollten mit dabei sein?

Alexander Kekulé

Da gibt es schon Vorschläge. Ich habe jetzt ganz ehrlich gesagt, nicht mehr so genau im Kopf, weil das in den Pandemieplänen drinsteht. Aber auch mal so grob gesagt: man braucht natürlich zum Beispiel einen molekularen Virologen, der sich mit dieser Art von Viren, die da gerade unterwegs sind, besonders gut auskennt, ein oder zwei. Da kommt bei uns

in Deutschland nur Christian Drosten für infrage. Das ist der Mann, der einfach sich seit Jahrzehnten in Deutschland mit diesen sonst relativ exotischen Coronaviren molekularbiologisch gut beschäftigt hat. Der hat es auch drauf mit den Tests. Der kann die Tests sehr gut beurteilen und solche Sachen also. Und dann würde man dazu vielleicht noch einen zweiten Molekularbiologen nehmen. Den würde ich dann aus dem Ausland nehmen, weil sonst ist das alles deckungsgleich. Und es hat nicht so viel Sinn, wenn einer so dominant ist wie bei uns. Christian hat halt einfach die Arbeitsgruppe, die sich da ja am intensivsten mit beschäftigt hat, dann noch irgendwie ein kleines Licht danebenzusetzen, sondern da bräuchte man jemanden auf Augenhöhe, der aus dem Ausland ist. In solchen Stäben muss man halt dann notfalls mit Übersetzer arbeiten oder Englisch sprechen. Und dann ist eigentlich die Molekularbiologie abgefrühstückt. Dann bräuchte man Leute, die sich mit Pandemieplanung auskennen.

Camillo Schumann

Ganz kurz: Warum einen zweiten mit dazu, wenn man damit den Fähigsten schon hat?

28:08

Alexander Kekulé

Ja, das ist so wissen Sie, ich selber bin ja ganz klar zum Beispiel nicht in die Molekularbiologie des Coronavirus. Das ist ja nicht mein hometurf sozusagen. Inzwischen kennen uns alle ein bisschen der aus. Aber es ist immer sinnvoll, gerade wenn sie so einen Experten haben. Und die anderen sind ja auch Experten. Aber für was anderes. Da ist meine Erfahrung, dass es gut ist, wenn man zuhören kann, wie sich zwei Leute unter Umständen auch unterschiedliche Positionen dann diskutieren, selbst wenn man nicht da so drinnen steckt, merkt man unter Kollegen dann schon, wer war wahrscheinlich die richtige Argumentation verfolgt. Und wenn einer ganz alleine ist, dann ist das so ein bisschen ex cathedra. Immer dann sagt der irgendwann alle anderen können nur nicken. Und deshalb ist meine Erfahrung es hat mir in der Schutzkommission genauso, dass es immer gut

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ist, zwei Leute zu haben, die genau das gleiche Gebiet haben. Aber die möglichst weit und unabhängig voneinander sind im Leben, dann der zweite aus dem Ausland. Das hat nichts mit, sage ich mal Misstrauen oder so zu tun. Das heißt nicht, dass einer besser ist als der andere, sondern das ist immer eine ganz gute Methode. Denn die sprechen dann so genau die gleiche Sprache, dass es da auf der Kommunikation dann auch sehr effektiv läuft der. Und deshalb würde ich das dringend so machen, dass man quasi so eine Art Pärchen hat, immer mindestens zwei Leuten, die eben ein Spezialgebiet abdecken. Das Gleiche gilt eben für die Pandemieplanung. Da ist ja bis jetzt überhaupt niemand drin. Also aus der ehemaligen Schutzkommission, die dann natürlich wahrscheinlich die einzigen in Deutschland sind, die da seit Jahrzehnten Expertise haben. Ist ja nicht ein einziger irgendwie in diese Planungen reingenommen worden.

Dann braucht man ganz dringend jemand, der in diesem Bereich Kommunikation, neue Medien, dsas da Leute wirklich mal festmachen. Wie kommen solche Sachen an? Wo müssen wir die Diskussionen führen? Welche Auswirkungen hat es zum Beispiel, wenn jetzt der Weltärztepräsident sagt, es gibt eine Tyrannei der Ungeimpften und solche Sachen, ist es die richtige Kommunikation, wenn der Gesundheitsminister jetzt ganz aktuell auch wieder sagt, man muss jetzt mal Zähne zeigen als Staat, um diejenigen zusammenzutreiben, die sich weigern, sich impfen zu lassen, die Sprache wird ja immer drastischer. Und da meine ich schon, ohne dass ich da wirklich Experte wäre. Das muss man einfach mal professionalisieren und überlegen, bringt man sozusagen mit der Argumentation und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Bringt man die Leute dazu, sich dann impfen zu lassen? Oder hat es vielleicht den gegenteiligen Effekt? Ich stelle es wirklich nur als Frage, weil ich finde, das müssen Experten dann beantworten. Und wenn man so ein Gremium hat, wo dann auch die Frage, was in der Schule passiert, was ist am Arbeitsplatz praktikabel oder auch wenn wir

jetzt mal dran denken, die Frage wer ist geimpft in den Altenheimen? Das ist doch eine Überraschung, die es nicht hätte geben dürfen, das durch einen Ausbruch in Brandenburg feststellen, dass in diesem Heim nur die Hälfte des Personals geimpft war und der Heimleiter offensichtlich so eine Art Impfkritiker war. Und wenn man dann eine Umfrage macht, dann stellt man fest, dass unter dem Pflegepersonal in den Alten und Pflegeheimen die durchschnittliche Impfung Quote schlechter ist als in der Allgemeinbevölkerung. Das kann es doch nicht sein und vor allem nicht, dass man das erst zu spät, dann mehr oder minder zufällig feststellt. Da hätte man viel früher durch entsprechende Studien parallel eben das machen müssen. Und so eine Kommission muss auch die Möglichkeit haben, dann eben auf die Schnelle paar kleine wissenschaftliche Studien in Auftrag zu geben, um bestimmte Fragen zu beantworten. Aber sie merkten an dem ganzen Konzept, was sich da im Kopf habe es muss diskutiert werden, es muss verschriftlicht werden. Ganz wichtig das nicht ein Experte in der einen Talkshow dieses sagt und der andere Experte in einer anderen Talkshow jenes, sondern die müssen zusammensitzen, diskutieren und am Schluss was zu Papier bringen, weil da kommt es dann für ein Wissenschaftler immer zum Schwur. Kein Wissenschaftler will was aufschreiben, was falsch ist. Und dieser Prozess ist richtig wichtig, längst überfällig, aber er ist langwierig sehen wir ja auch bei den Statements der STIKO, die zurecht eine Weile brauchen, sehen wir bei den Statements zum Beispiel auch des Ethikrats oder jetzt der Leopoldina. Die hat dann immer ganz gute Sachen gebracht. Aber halt spät. Und deshalb meine ich, man darf jetzt so ein Gremium nicht als Begründung nehmen dafür, dass jetzt alles schneller gehen könnte. Es geht dann professioneller, aber das beschleunigt uns nicht.

32:48

Camillo Schumann

Aber das ist ja genau das Problem. Das ist auch genau dieses Spannungsfeld. Warum wir ja der

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Pandemie, was Entscheidungen und Maßnahmen angeht, immer so ein bisschen hinterher hinken. Dazu kommen noch die große Baustelle der Kommunikation. Haben Sie recht, das sehe ich ähnlich. Aber haben wir damit wirklich ich sage mal so eine spontan schnelle EingreifTruppe, die wir jetzt aktuell brauchen?

Alexander Kekulé

Ne gar nicht. Es ist ja so, dass der Deutsche Bundestag, der hat es doch ganz gut gemacht, die haben doch am Montag letzte Woche haben sie eine Anhörung gemacht. Da haben sich die Parlamentarier noch mal von den Experten direkt die Meinung gehört. Braucht man heutzutage eigentlich nicht, wenn man den Fernseher zu Hause hat oder irgendwie Zugang zum Internet, dann kennt man ja die Positionen. Aber Nein, ich will eine Frage beantworten, die Sie vielleicht nicht so direkt gestellt haben. Was bräuchten wir stattdessen? Ich glaube, wir bräuchten so etwas wie einen sergeant general wie in den USA. Da gibt es den obersten Arzt oder in Italien haben es so in den so einen ehemaligen Gebirgsjäger und General meine ich ist der. Den haben sie beauftragt zum nationalen Pandemie-Manager oder auch der Anders Tegnell in Schweden, über den wir öfters geredet haben. Das war ein im Ruhestand befindlicher ehemaliger Leiter des Gesundheitsamts. Der wurde da reaktiviert und hat das Ganze gesteuert, am Anfang viele Fehler gemacht. Aber letztlich hat das enorme Vorteile. Wenn man einen hat, der sozusagen der Pandemiebeauftragte ist. Nicht nur deshalb, weil wenn alles schiefgeht, man den dann auch rausschmeißen kann und sagen kann lief nicht. Wir brauchen jemand anders, sondern eben, weil die Fäden da sich zusammenziehen. Und irgendjemand muss eben das ist anders als das meine geschätzten Kollegen zum Teil erklären. Wissenschaft ist nicht so, dass man da hinschaut. Und dann weiß man es, sondern ganz oft ist es so man hat Daten, die kann man so interpretieren. Dann wartet man bisschen, dann kommen noch mehr Daten. Sie müssen aber, um zu entscheiden in der Politik müssen sie die sogenannten 80/20 Entscheidungen treffen. Pareto-Prinzip das heißt ich weiß gehabt, nicht

alle Informationen. Ich muss den Educated Guesss als Fachmann machen. Und ich sage jetzt okay, ich hab nicht alle Daten. Aber ich empfehle jetzt das und ich kann nur sagen ich mache das in diesem Podcast ja auch von Anfang an so. Und ich kann nur sagen auf mit dieser Methode kommt man relativ weit. Ja, weil man dann manchmal: gut müssen sie zwei Monate später einräumen. Ich habe zwar gesagt es geht nur bis 300. Jetzt sind wir bei 400. Da haben Sie sich da mal geirrt, zum Beispiel bei der Vorhersage. Aber an vielen anderen Stellen sind sie einfach ein Fenster von vier bis acht Wochen schneller als das, was sonst die Politik als an Entscheidungstempo so hervorbringt. Und deshalb kann ich nur dringend empfehlen, dass das so gemacht wird. Sie brauchen jemand, der es dann macht. Ja, und wenn es am schlimmsten Fall für manche Impfkritiker wahrscheinlich der Horror. Aber wenn es jemanden wie Herr Lauterbach wäre, zum Beispiel als Pandemie-Manager fände ich das nicht so schlecht. Der entscheidet ja nicht, was passiert, sondern der würde dann die Vorschläge machen. Oder ein anderer, der ähnlich kompetent ist. Also ich glaube, so in der Art muss es laufen. Der muss dann wirklich erklären öffentlich, transparent von mir aus mit einer Powerpoint-Präsentation warum und weshalb, und dann müssen sich die politisch Verantwortlichen zusammensetzen. Stimmt, deshalb kann es eigentlich nicht der Lauterbach sein, weil der ja eigentlich selbst verantwortlich ist. Aber dann es muss jemand außerhalb sein. Und dann müssen die Verantwortlichen sagen: okay, wir haben das jetzt alles gehört. Wir haben es verstanden, wir verstehen die Empfehlung und wir machen uns jetzt so, oder wir machen es mit der Abwandlung. Meistens machen so Experten ja immer drei Vorschläge. Das ist der Klassiker. Und wir nehmen jetzt den Vorschlag Nummer zwei. Also so läuft es normalerweise. risikobasiert alle Unternehmen machen das so. Und ich glaube, als Staat müssen wir uns dann tick weiter beschleunigen und professionalisieren.

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36:45

Camillo Schumann

Birgt natürlich auch ein großes Risiko der Fehlentscheidung muss man natürlich auch dazu sagen. Weil vorher haben sie gesagt, in dem in dem Expertengremium immer Pärchen einsetzen, dass man sich dann auf die beste Lösung kaprizieren kann und in dem Fall wären es dann auch zwei?

Alexander Kekulé

Nein, habe ich falsch erklärt. Der fasst die Daten zusammen. Dieses Expertengremium brauchen sie natürlich trotzdem. Ja, aber sie brauchen ja einen am Schluss, der sozusagen die Aussagen zusammenführt. Das könnte der Vorsitzender dieses Gremiums sein. Das ist durchaus möglich. Wenn es aber wie gesagt also ich glaube, so einen Manager, der so an der Schnittstelle der jetzt auch nicht nur Wissenschaftler sein darf, der muss einer Schnittstelle sein und dann notfalls auch wissen, wie die Rettungsdienste funktionieren und wie der Katastrophenschutz funktioniert. Und diese ganzen anderen Dinge, das hatten wir doch bei Ebola auch – da hat die Bundesregierung ruckizucki, einen Ebola-Beauftragten ehemaliger Botschafter war das, der Erfahrungen in Afrika hatte, der wurde von der Bundeskanzlerin zum Ebola-Beauftragten für eine Krise ernannt, die uns gar nicht direkt betroffen hat. Das war ja Westafrika, und ich sehe das hier jetzt eben nicht. Ich glaube, so ein Pandemiebeauftragter, der diese Fähigkeiten hat, das wäre relativ gut, ohne dass er es entscheidet und ohne dass er natürlich auf den wissenschaftlichen Input verzichten darf.

Camillo Schumann

Was würde denn dieser Corona-Beauftragte zur 3G Regelung sagen, wie lange die noch Bestand haben soll? Ich frage Sie jetzt einfach mal 3G ist ja seit Mittwoch in Kraft, also geimpft, genesen oder getestete Mitarbeiter dürfen aufs Firmengelände ins Büro. Durchschnittlich 90 Prozent der Beschäftigten in Unternehmen sind bereits geimpft oder genesen. Das hat tagesschau.de aus Arbeitgeberkreisen erfahren. Also so viele sind das gar nicht mehr,

die sich da nur testen lassen müssen. Gibt auch enorme Strafen bis zu 25.000 Euro. Jetzt die Frage, wie lange braucht man diese Maßnahme?

Alexander Kekulé

Im Moment brauchen wir sie, und, man kann es ja ganz offen sagen 3G. Sie haben es ja gesagt, die meisten im Arbeitsleben sind ja geimpft oder genießen. Diese Maßnahme ist natürlich ein weiterer Versuch, die Ungeimpften zur Impfung zu überreden, sage ich mal. Es ist der berühmte Impfzwang durch die Hintertür natürlich auch. Aber ich finde an der Stelle das um Klassen besser als jetzt eine allgemeine Impfpflicht einzuführen und kam. Dann sagt man halt okay, wenn er nicht geimpft ist, müsste euch regelmäßig testen. Das finde ich richtig. Und das finde ich es auch eine Maßnahme, die jetzt zwar nicht super schnell greifen wird, aber die wird natürlich die Inzidenz bis zum gewissen Grad unter Kontrolle bringen.

Camillo Schumann

Ist das so?

Alexander Kekulé

Ja, wir haben da ja letztes Jahr haben wir ja, muss man ganz klar sagen haben wir den Bereich komplett vernachlässigt. Es war eines der Hauptprobleme, warum die Herbstwelle gelaufen ist, und man muss jetzt den Arbeitsbereich mit in die Pflicht nehmen. Und es ist gibt ja auch noch Verschärfungen. Also zum Beispiel im Krankenhausbereich ist es so, dass auch die Geimpften regelmäßig getestet werden müssen. Ich weiß gar nicht, wie das in Kitas und Schulen ist. Ich meine, es gibt auch noch andere Bereiche. Aber bei Krankenhaus ist es so, selbst wenn sie da geimpft sind und das ist die richtige Konsequenz, da sagt man da müssen sie dort bis zu dreimal die Woche müssen sie Selbsttests machen und das auch dokumentieren, dass sie zusätzlich noch sich getestet haben. Wer nicht geimpft ist, muss täglich getestet werden, beziehungsweise mit PCR alle 48 Stunden. Ich glaube, in diese Richtung wird es gehen. Also das wird so sein, dass wir mit diesem Prinzip das ist ja letztlich, sage ich noch

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einmal, doch schon ziemlich genau das SmartKonzept, was da umgesetzt wird. Dass man also über die Tests letztlich arbeitet und die Erkenntnis ist immerhin jetzt spät, aber doch eine angekommen. Dass man da auch die Geimpften mit einbeziehen muss, dass man nicht einfach sagen kann, wer geimpft ist, hat eine Greencard automatisch. Und auf die Frage wie lange brauchen wir das noch: auf jeden Fall in dieser Welle, und ich würde mir schon so vorstellen, dass ich zumindest stichprobenartige Tests, auch wenn die Fallzahlen runtergehen, weiterhin erforderlich sind in dem Sinn, dass man zumindest dann nicht übersieht, wenn es plötzlich zu Ausbrüchen kommt, mit denen man nicht gerechnet hat.

Camillo Schumann

Also 3G am Arbeitsplatz bis zum Frühjahr. Wenn Sie sagen bis zum Ende der Welle.

Alexander Kekulé

Ja, so sehe ich das. 3G am Arbeitsplatz bis zum Frühjahr. Das wäre so meine Vorstellung. Ich finde, das ist eine der Regelungen, die sinnvoll ist. Ich finde es auch absolut sinnvoll, dass man 3G plus Maske im Fernverkehr hat, ob das ein Flugzeug oder ein Bus oder ein Fernbus oder ein Zug ist. Im öffentlichen Nahverkehr habe ich, glaube ich, schon mal gesagt, halte ich das erstens für nicht notwendig, weil die Leute ja da durchgehend eine Maske tragen können. Sie müssen ja jetzt, wenn sie ein bisschen Bus fahren, müssen Sie nicht unbedingt die Wasserflasche rausholen oder in den Hamburger beißen? Unterwegs, das heißt da kann man einfach ganz scharf vorschreiben die Maske bleibt im Gesicht und fertig. Dann brauchen Sie eigentlich 3G im Nahverkehr nicht. Und der andere Grund ist, dass ich ehrlich gesagt, überhaupt nicht sehe, wie das kontrolliert werden soll. Aber das wäre ja eher die Baustelle der Politik, die da ihr Handwerk verstehen sollte.

42:07

Camillo Schumann

Weil das Stichwort schon fiel: Impfpflicht, Herr Kekulé. Lassen Sie uns über die allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus sprechen.

Aktuell wird darüber landauf-landab diskutiert, auch in Familien und Freundeskreisen. Und ich habe es eingangs schon gesagt die Impf-Debatte spaltet selbst langjährige Freundschaften scheinen an dieser Debatte zu zerbrechen. Viele erkennen diese Spannung aus dem aus dem privaten Umfeld jahrzehntelange Freundschaften, die dann einmal in Scherben liegen. Kennen Sie so etwas auch persönlich, dass sich diese ja freundschaftliche Diskussionen dann so zuspitzt?

Alexander Kekulé

In meinem Privatbereich nicht, weil ich tatsächlich so ein krankhafter, gutgläubiger Mensch bin. Der meint, dass man fast alle überzeugen kann, also manchmal schmunzeln auch Kollegen. Aber ich glaube wirklich, dass man fast alle ja überzeugen kann, sich impfen zu lassen, die jetzt sage ich mal die wichtige Gruppe hier die Ü60, die 3 Millionen, die uns da fehlen. Das sind ein paar dabei, die warten halt. Die haben halt irgendwie irrationale Ängste vor diesem Impfstoff, die warten auf was anderes. Dann gibt es welche, die haben es irgendwie einfach nicht so richtig verstanden. Dem muss man vielleicht ein paar Trivialitäten mal erklären, dass man im Dunkeln nicht leuchtet, wenn man geimpft wird.

Camillo Schumann

Oder dass man nicht magnetisch wird zum Beispiel.

Alexander Kekulé

Auch ein tolles Ding. Oder das Bill Gates da nicht alles hört, was man gesagt hat. Es gibt auch Gerüchte im Internet, dass man spätestens nach sechs Jahren tot ist habe ich festgestellt. Also jedenfalls all diese Dinge kann man den meisten Leuten erklären. Und am Schluss haben Sie eben diese ich sag mal fünf Prozent, die absolut unbelehrbar sind. Das haben wir bei allen möglichen sonstigen Debatten auch. Und da sage ich immer eine offene Gesellschaft muss mit so etwas leben können, dass es Leute gibt, die aus unserer Sicht vielleicht schräge Ansichten haben, bitteschön, und die fünf Prozent wären uns auch nicht in der Pandemie umbringen und nochmals Erinnerungen

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wenn 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sind, kommen wir schon in diese Richtung, dass es immer kleiner wird das Feld der komplett Ungeimpften und mit dieser Grundhaltung, die ich da habe, dass ich eigentlich immer sag, im ich lasse auch Leute, die ich wahrscheinlich als Idioten bezeichnen würde, die lasse ich auch irgendwie leben mit ihrer Meinung. Und es sind ja auch schon so oft Wissenschaftler, die ganz fest überzeugt waren von dem, was die da gefunden haben, sind dann auch zwei Jahre später als Idioten dagestanden, weil das, was sie da geglaubt haben, falsch war. Darum sage ich mit so einer Position Ecke ich jetzt im privaten Bereich eigentlich eher selten an.

Camillo Schumann

Okay aber trotzdem macht es ja was mit einem, wenn man das Gefühl hat, man kennt sich seit Jahrzehnten, konnte immer über alles sprechen. Man hatte schöne Abende, vielleicht auch Urlaube zusammen, und auf einmal spricht man über die Impfung. Und dann entzweien sich auf einmal ging Gemeinsamkeiten, und zwar extrem so nach dem Motto: ups, der jetzt auch. Wie gehen Sie damit um? Also ich mache das zum Beispiel so, dass ich dann über dieses Thema Impfen gar nicht mehr spreche und mich da versuche, darauf zurückzubesinnen, was diese Freundschaft eigentlich ausmacht. An der einen oder anderen Stelle zugegebenermaßen ein bisschen schwierig, weil sei schon sehr emotionales Thema.

Alexander Kekulé

Ah ja. Also ganz ehrlich gesagt für mich ist es nicht schwierig, weil das ist mein absoluter Alltag. Wissen Sie, ich darf beruflicher oft im Ausland sein, wo komplett andere kulturelle Verhältnisse sind. Wenn sie dann in irgendeinem afrikanischen Dorf sind und wollen sich um Gesundheitsthemen kümmern. Und sie stellen fest, dass die Männer ihre Frauen, sage ich mal ein bisschen krass, fast wie Tiere halten. Und die Frauen werden dann in manchen Ländern auch konsequent beschnitten und ja und dann trotzdem wollen Sie mit dem Bürgermeister irgendwie zu einem Ergebnis kommen, dass das

in den Brunnen künftig saubereres Wasser ist. Klar können Sie natürlich jetzt anfangen Grundsatzdiskussionen über den Glauben zu führen und über die Frage, wie die leben und was die für völlig hinterwäldlerische Ansichten möglicherweise ihrer Meinung nach haben. Aber ich finde, man muss immer versuchen, die Menschen da zu holen, wo sie subjektiv sind und die kommen subjektiv einfach in eine bestimmte Position. Und es gibt Leute, die haben einfach Todesängste, wenn Sie sich vorstellen, irgendetwas genetisch Verändertes wird in ihren Armen injizieren. Klar können Sie die alle in die Psychiatrie schicken deswegen. Aber ich finde, vielleicht ist das auch diese ärztliche Grundhaltung. Ich finde immer, das stört mich in meiner Kommunikation nicht. Was weiß. Ich kann vielleicht hier auch mal sagen ich bin ja nun konservativer Arzt und deutlich über 60. Ich war tatsächlich mal auch mit einer Heilpraktikerin liiert, bevor ich verheiratet war. Das geht also auch und wenn ich daran denke, in Israel gibt’s Paare, da ist der eine Israeli, und der andere Palästinenser oder umgekehrt, das ist schon möglich. Man muss halt genau wie Sie sagen, man muss sich auf das besinnen, was die Gemeinsamkeit ist und meistens hüllt dann auch der stete Tropfen in Stein. Also ich glaube, dass man, wenn man den anderen erst einmal grundsätzlich akzeptiert und nicht sagt, wegen dieser Meinung lehne ich dich grundsätzlich ab, sondern ich lehne ihnen nur dieses Detail ab. Dass man dann manchmal auch bei der Meinung nach und nach irgendwie einen Kompromiss findet.

47:34

Camillo Schumann

Die Gefahr ist da definitiv geben, dass man das dann tut, das man dann sozusagen gar nicht mehr objektiv ist, weil man dann in so einem emotionalen Strudel ist wie kann das eigentlich sein? Und ich muss versuchen ihm argumentativ entgegenzukommen.

Nur noch ist eine dazu: Mein Eindruck ist, dass wir in der politischen Kommunikation und auch in den Maßnahmen, die teilweise zu spät kam und teilweise auch irrer waren, ja auch sind wir

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den die durchaus Kritik erhaben an Impfungen oder wie auch immer auch ziemlich viel Nahrung gegeben haben. Also die argumentieren ja von einem relativ ich sage mal sattem Niveau oder?

Alexander Kekulé

Ja, klar, da gibt es Leute wie den Kollegen Bhakti, der ja eigentlich ein superintelligenter ehemaliger Chef der Mikrobiologie in Mainz ist, der inzwischen, muss man auch sagen Dinge behauptet, die einfach das klingt plausibel, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, eben keine plausiblen Dinge. Und so gibt es viele Fachleute, auch viele Ärzte, die sich gegen die Impfung aussprechen, darf man gar nicht unterschätzen. Gibt wirklich Leute, die sagen ja auch mein Arzt findet auch, ich soll mich impfen lassen, dass ich gar nicht selten und daher ist es schwierig, ja so der Moment, wo ich immer richtig genervt bin, wenn sie so einen gibt ist, wenn einer schwerstkrank ist und dann auf der Intensivstation liegt und dann sagt: jetzt aber bitte das ganze Programm ich bin doch versichert, ich hab doch eingezahlt. Aber impfen hat er sich nicht lassen. Also, dass an der Stelle bei vielen Leuten dann trotzdem nicht der Groschen fällt und die sagen sich wenigstens mal entschuldigen würden und sagen würden: okay, ich habe mich total geirrt. Jetzt merke ich, wie Mist das ist, das ist die Minderheit. Die meisten gehen ja sozusagen mit ihrem abtrünnigen Glauben im Notfall ins Grab.

Camillo Schumann

Uwe Steimle zum Beispiel, Kabarettist aus Sachsen. Ja, auch ich sage mal bisher eher impfkritisch eingestellt gewesen, hat jetzt bei seiner Tochter, in der in der Pflege arbeitet, jetzt auch seine Meinung geändert und gesagt Nein, ich lasse mich impfen. Meine Tochter hat mich überzeugt, und das ist ja auch ein Statement damit, dann auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Er wurde dann auch von seinen Anhängern stark angefeindeter. Merkt man mal, dass es eigentlich auch gar nicht mehr darum geht, sachlich und auch eine persönliche Mei-

nung zu haben und sich vielleicht auch nochmal zu hinterfragen, sondern er wird dann einfach draufgehauen.

Alexander Kekulé

Ja, den Fall kenne ich jetzt nicht. Aber es gibt einen ganz anderen Aspekt. Vielleicht ist ja interessant. Ich habe tatsächlich kürzlich einen Bundestagsabgeordneten ein Gespräch gehabt. Wir haben überlegt, ob man nicht in die Landkreise, wo man ja jetzt schwarz auf weiß oder rot auf Rot auf Rot sieht. Ob man da nicht einfach mal hinfährt, habe ich gesagt: Mensch, dann macht man in der Gemeindehalle dann laden wir die Leute mal ein, und dann lassen wir uns mal richtig die ganzen harten Argumente geben und versuchen, mal das Ganze zu glätten. Und habe ich gesagt, da stelle ich mich dann hin und beantworte so ähnlich wie im Podcast die Fragen, weil diese Leute hören natürlich den Podcast hier nicht. Wissen Sie, woran das gescheitert ist?

Camillo Schumann

Nein.

Alexander Kekulé

An 2G, weil das dürfen wir gar nicht. Wir dürfen diese Veranstaltungen nicht machen, wenn nicht alle geimpft oder genesen sind. Die anderen dürfen ja gar nicht kommen, die wir haben wollen. Das ist echt absurd. Aber manchmal schießt sich eben so eine Maßnahme selbst ins Bein.

50:56

Camillo Schumann

Okay. Dann aber natürlich das Plädoyer, diesen Podcast zu hören, indem wir jetzt über die Impfpflicht sprechen. Ich habe es ja schon, bevor wir vertiefend darüber sprechen, mal so ein paar Zahlen, weil ohne Zahlen macht er auch eine Diskussion wenig Sinn. Rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft. In etwa muss man ja auch sagen wie auch bei den Infektionsdaten gibt es ja Verzögerung, Datenverluste des Robert Koch-Institut geht von einer Unterschätzung von bis zu fünf Prozentpunkten für den Anteil mindestens ein-

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mal geimpft beziehungsweise vollständig geimpft aus. Die offiziellen Daten sind daher laut RKI Lothar Wieler als Mindest-Impfquote anzusehen. Und wir wissen außerdem nicht korrekt, wie sich die Booster-Impfung über die Altersgruppen verteilen. Das Robert Koch-Institut hat mir heute dazu geschrieben. Die niedergelassenen Ärzte übermitteln dem RKI nur die Info, ob eine geimpft Person unter 18 oder über 60 Jahre alt ist. Das ist die in der Impfverordnung festgelegte Differenzierung, wie sie auch in den täglichen Impfquoten berichtet werden. Aus genau dem Grund, dass wir die Daten nicht differenziert haben. Wir haben also eine sehr schwammige Zahl. Aktuell liegt die bei 86 Prozent der über 60-Jährigen, die vollständig geimpft sind. Und wir wissen aber nicht, wie hoch der Booster-Anteil ist. Das ist doch eigentlich die wichtigste Zahl, die wir gerade brauchen.

Alexander Kekulé

Ja, ich kann mich erinnern, dass der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission auch in so einer Talkshow wohl gesagt hat, elf Prozent der über 60-Jährigen seien geboostert, und ich habe jetzt vorhin einfach mal davon extrapoliert. Das ist schon eine Weile her, und deshalb habe ich mal 15 gesagt ganz falsch ist es sicherlich nicht. Wir wissen es nicht, wie groß die Zahl ist, aber Mensch von denen, die es am dringendsten bräuchten oder wie ich ja sage, dies eigentlich, wo die wissenschaftlichen Belege vorhanden sind, dass sie es überhaupt brauchen. Von denen haben wir die große, große Mehrheit. Lassen Sie es 15 Prozent geboostert oder 20, also vier Fünftel haben wir auf jeden Fall nicht erreicht bis jetzt. Und das geht nicht, weil wir ja wissen, dass diese Menschen wirklich sterben können, gerade weil sie glauben, sie seien jetzt geimpft.

Camillo Schumann

Wir haben mit den angefangen. Das ging ja im Januar mit denen los. Und wir haben jetzt November, bald Dezember. Also da sind ja schon mal wertvolle Monate ins Land gegangen.

Alexander Kekulé

Ja, was soll ich Ihnen sagen?

Camillo Schumann

Nichts.

Alexander Kekulé

Die Initiative ist eben jetzt an der Lockdown.

Camillo Schumann

Ja, ich wollte doch noch mal darauf hinweisen. Nur mal so zum Vergleich. Booster in Israel habe ich jetzt eine Zahl gefunden. In der Altersgruppe der 60 bis 90-Jährigen sollen es sogar 80 Prozent sein, die da geboostert sind. Das ist doch eigentlich genau die Marke, wo wir hinmüssen.

Alexander Kekulé

Ja, also 80 Prozent reicht eigentlich nicht. In dieser ganz hohen Altersgruppe in Israel haben die natürlich, ähnlich wie im Vereinigten Königreich, zusätzlich noch eine hohe Durchseuchung gehabt. Die hatten ja zwischendurch immer mal wieder lockergelassen und haben sich gewundert, dass die Fallzahlen so hoch gegangen sind. Viel früher, als wir quasi die Masken weggeschmissen und gesagt HalliGalli alles vorbei. Und dann haben sie es wieder eingefangen. Und durch diese natürlich auch nicht so tolle Methode gab es eine hohe DurchseuchungsQuote, ähnlich wie in Großbritannien im Sommer mit dieser Exit Wave. Und deshalb gehen die Schätzungen dahin, dass wir in Deutschland auch bei den Älteren eine Lücke nicht nur bei den Impfungen und Boosterungen haben, sondern wir haben auch eine Lücke bei den natürlichen Durchseuchungen. Und wenn sie das ganze Konzert sich dann insgesamt anschauen, muss man einfach sagen: wir als Staat sind eben ein Vulnerablen Staat im Moment. Aber weil wir diese vulnerablen Gruppen haben, können wir uns diese Inzidenz nicht leisten

Camillo Schumann

Und das Robert Koch-Institut schließt die Datenlücke, indem es regelmäßig repräsentativ Menschen Deutschland befragt. Das ist eine telefonische Befragung. Die Ergebnisse werden regelmäßig veröffentlicht. Die letzten sind vom 22. November also noch recht frisch. Und das sind wirklich spannende Daten. Man sieht, dass

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der Norden und der Westen eine höhere Impfquote hat als der Osten und der Süden. Man sieht, dass Menschen ohne Migrationshintergrund deutlich häufiger geimpft sind, dass die Impfquote in großen Städten wesentlich höher liegt als in Kleinstädten. Man muss ja auch dazu sagen das ist so eine Impfquoten Schätzung, um so eine Lücke zu schließen. Also sehr belastbar sind diese Daten nun auch nicht.

Alexander Kekulé

Die sind nicht sehr belastbar. Und wir brauchen auch diese Daten aktuell nicht, weil wir sehen, dass die Krankenhäuser volllaufen. Also diese Daten sind sag ich mal ja das ist nett zu haben. Nehmen wir mal an, wir hatten begrenzte Ressourcen für ein Aufklärungsteam, wo wir sagen würden, jetzt haben wir irgendwie 2000 Leute, die schicken wir los und machen das mit den Gemeindehallen, was ich vorhin empfohlen habe oder mir überlegt hatte und dann bräuchten sie diese Daten, um zu überlegen wo gehen wir dahin? Wo machen wir noch mal Feinarbeit? Wo machen wir zielgruppenspezifische Ansprache? Also Menschen mit Migrationshintergrund brauchen natürlich eine ganz andere Ansprache als irgendwelche Sturköpfe, die es aus anderen Gründen nicht verstehen wollen. Und so weiter. Aber dieses Team haben wir ja gar nicht. Also wir haben ja gar nicht solche Pläne. Weil wir eh nicht wissen, wie wir oder keine Pläne bestehen, jetzt zielgruppenspezifisch, dann noch mal was zu machen, glaube ich, dass diese Feinarbeit und diese feinen granulare Feststellung wer wo wie die Booster-Impfung bekommen hat, ist im Moment nicht das Vordringliche. Das Vordringliche ist doch, dass der Arzt in der Praxis im Grunde genommen das machen müsste, dass er alle über 60 anschreibt. Oder das noch besser, wie es übrigens in südeuropäischen Ländern zum Teil so gemacht wurde. Ich schätze mein Israel wahrscheinlich auch, da weiß ich es gar nicht. Da hat man einfach wirklich E-Mails und SMS geschickt an die Leute und gesagt: hier du bist so alt, brauchst die dritte Impfung da und da ist ein Termin, wenn du den Absagen bist willst. Hier ist die Telefon-

nummer, sodass man quasi so eine Art Verweigerungsregelung hatte. Dass man wirklich aktiv sagen musste Nein, ich mache es nicht umsonst wurden die Leute einfach zur Impfung einbestellt. Und das wäre für mich zum Beispiel eine Möglichkeit. Man muss es nicht genau so machen. Aber es wäre eine Möglichkeit, bei den Ü60 einfach mal zu Potte zu kommen, dass die bei uns geboostert werden.

Camillo Schumann

Also quasi wie bei der Organspende.

Alexander Kekulé

Ja, genau. Widerspruchslösung das wäre so eine Art Widerspruchslösung, dann wenn Sie so wollen. Das ist so ähnlich wie das Konzept, dass ich ja sage, ja, auch wenn es jetzt akut unser Feuer nicht löscht, es ist zumutbar, dass Personal in Altenund Pflegeheimen und denen eine Impfpflicht aufzuerlegen und mit so einer Art Widerspruchslösung, dass die dies partout nicht wollen, eben täglich getestet werden und eine Maske tragen. Jetzt macht man so, dass man sagt, der der Regelfall ist, die tägliche Testung aber ohne Maske dafür. Naja, also wie auch immer. Es ist so diese Widerspruchsidee. Oder ich sage mal so den Menschen einfach das ein bisschen abzunehmen, dass sich dann die Herrschaften, die ja zum Teil dann auch hochaltrig sind, selber kümmern müssen um einen Termin, das finde ich es keine so gute Lösung. Besser wäre es, dass die einfach einen Termin haben. Und wenn sie denn dann absagen oder verlegen wollen, müssen sie das dann eben aktiv tun.

58:00

Camillo Schumann

Weil Sie gerade die Impfpflicht für das Pflegepersonal angesprochen haben. Laut dieser Impfquoten Schätzung nach Berufsgruppen. Die sieht so aus: 92 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher sind geimpft. Jetzt wird es interessant: 90 Prozent des medizinischen Personals und auch fast 90 Prozent des Personals in Pflegeeinrichtungen. Das ist doch eine ziemlich gute Quote.

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Alexander Kekulé

Das sind neue Schätzungen. Sehen sie eben: früher hat man bei uns gesagt, aus Spaß traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Also alle anderen Daten sagen ja Folgendes: erstens bei dem Erziehungspersonal ist eine extrem hohe Impfquote da. Das glaube ich, weil das von so vielen Daten bestätigt wird, bisher auch schon immer. Und ich sage auch, dass es keine Begründung gibt, diese Berufsgruppe in eine Impfpflicht einzubeziehen, weil die eben nicht mit hoch gefährdeten Personen umgehen. Die jungen Menschen sind ja eher weniger gefährdet. Zweitens ist es so, dass die hohe Impfquote in Kliniken auch in ganz vielen Studien bestätigt ist. Das ist ja auch irgendwie klar, wenn sie im Krankenhaus arbeiten und ständig als sozusagen ärztlich tätig sind. Und auch, dass die Krankenschwestern und Krankenpfleger sind ja wirklich auf Augenhöhe mit den Ärzten heutzutage im Krankenhaus, dann ist es schon ein bisschen abwegig zu sagen, ich lasse mich nicht impfen, während sie da zugucken, wie auf der Station nebenan die Leute sterben an Covid. Aber die Probleme haben wir in den Altenund Pflegeheimen. Nicht in allen, sondern da gibt es extreme regionale Unterschiede und dass der Mittelwert so hoch ist, das würde ich einfach mal knallhart bezweifeln, sondern es gibt eben einzelne Einrichtungen, wo bekannt geworden ist, dass nur 50 Prozent des Personals geimpft waren. Es ist so, dass die Gesundheitsministerin von Brandenburg damals als der Ausbruch war, der massiv durch die Presse ging, erklärt hat, dass in ihrem Bundesland etwa 70 Prozent in diesen Einrichtungen geimpft sind. Das gilt ja für Erwachsene und ist damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, der bei 80 Prozent der Erwachsenen geimpft liegt. Und das kann nicht sein, dass in solchen Einrichtungen zumindest partiell zumindest lokal sich durchschnittlich weniger Personal impfen lässt als der Bundesdurchschnitt insgesamt von Erwachsenen. Also da, glaube ich, kann man jetzt überhaupt nicht aus so einer einzelnen Studie des Robert Koch-Instituts, wo sie irgendwelche Leute am Telefon

befragt haben, jetzt schließen, wir hätten da kein Problem.

Camillo Schumann

Sie sprechen sich ja, das haben sie ja im Podcast ja auch gesagt für eine Impfpflicht, für dieses Pflegepersonal ja aus. Aber aktuell bekommt die Diskussion um eine generelle Impfpflicht in Deutschland doch ziemlich viel Futter. In der künftigen Bundesregierung wird darüber gesprochen. Erst heute Morgen hat sich Katrin Göring-Eckardt von den Grünen im ARD-Morgenmagazin dazu geäußert. Sie ist klar für eine generelle Impfpflicht, nicht aber, wenn man die aktuelle Welle damit beeinflussen könnte, wir hören mal kurz rein.

„Und deswegen ist es gut, dass wir wirklich mal, wie man sagt, so technisch vor die Lage kommen. Die Impfpflicht hilft uns nicht jetzt, aber sie hilft uns später. Es ist ein harter Eingriff, aber sie hilft uns eben nicht wieder von einem Lockdown zum nächsten zu kommen. Ich schreck davor nicht zurück. Nein, schwerer Eingriff. Man muss überlegen, wie man das macht. Da hilft uns wahrscheinlich der Ethikrat, die Wissenschaftlerin, Wissenschaftler es geht auch nicht um Impfzwang. Aber es geht um eine Pflicht, wie wir ja andere Gebote und Verbote in unseren Gesetzen auch haben.“

Karl Lauterbach von der SPD hat getwittert dazu:

„In der Zwischenzeit sehe ich das auch so. Bei der Kombination R-Wert Delta Variante sind zu geringes Freiwilliges impfen würde spätestens im nächsten Herbst die gleichen Probleme erwarten. Sogar eine Frühjahrswelle sei nicht ausgeschlossen. Die Impfpflicht beendet den Horror.“

Gehen Sie in der Argumentation mit also vor die Lage kommen Frühjahrswelle dann mit so einer Impfpflicht dann vielleicht ausgeschlossen. Also gehen sie da mit?

Alexander Kekulé

Nein, das ist so Politikerspreche. Entschuldigung, vor die Lage kommen, das haben sie die

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letzten zwei Jahre nicht hingekriegt. Also natürlich wollen wir alle vor die Lage kommen, vor die Welle kommen, habe ich immer gesagt. Es ist folgendermaßen also es kann rein theoretisch eine Situation eintreten, wo wir im Frühjahr, das haben wir hier auch schon oft besprochen, wo man im Frühjahr feststellt die dann eingetretene Immunität, die ich mal so als Endemie, dann bezeichnen würde, so ein Gleichgewichtszustand. Das sagen ja eigentlich alle Modellierungen vorher, dass wir durch die natürlichen Infektionen und durch die Impfungen und ich die wahrscheinlich dann zusätzlich noch weiteren Infektionen immer wieder Kontakt mit dem Virus haben am Ende dieser Welle. Meine Vorhersage ist, dass wir im Frühjahr in einem Zustand sind, der dann so eine Welle, die so schwer wäre, dass die Krankenhäuser noch mal ganz massiv belastet, eigentlich nicht mehr zulässt. Ich glaube auch nicht, aber an der Stelle bin ich natürlich kein Prophet, dass das Virus sich jetzt so verändern wird, dass es aus dem Grund noch mal notwendig wäre. Das Virus macht eine konvergente Evolution mit, und da kann man schon so sagen, dass es vielleicht noch einmal zehn Prozent ansteckender werden. Das wird vielleicht diesen aktuellen Vakzinen noch mal ausweichen. Aber dass man jetzt sozusagen eine allgemeine Impfpflicht braucht...

Parallel muss man eigentlich eher überlegen brauchen wir eine Auffrischungsimpfung mit einem anderen Impfstoff? Das ist das, was man sagen muss, weil ja eigentlich unser Problem das ist, um das noch einmal ganz deutlich zu sagen, dass die Impfstoffe jetzt nicht gut genug wirken. Natürlich werden die Erfinder dieser Impfstoffe, die stehen also ganz hoch im Verdacht, Nobelpreis zu bekommen. Das ist eine ganz tolle Sache. Aber das ist keine Lorbeere, auf der man sich ausruhen darf. Und wir müssen, die müssen jetzt mal rüberkommen mit den an Delta angepassten Impfstoffen. Und vielleicht gibt es dann im Frühjahr wieder eine Variante, die einen ticken anders ist, wo man die Anpassung dann machen muss. Das war ja immer das Argument. Also für mich ist es so, eine weitere Impfung mit einem kam, dann

hoffentlich angepassten Impfstoff. Meine ich, ist durchaus möglich, dass wir das im Herbst noch einmal brauchen.

Camillo Schumann

Wenn ich mir überlege, dass zum Beispiel die Impfbereitschaft oder die Impfquote bei der Influenza Impfung, wenn die dann einmal so Gelerntes bei um die 30 Prozent liegt. Also da kommen wir doch da auch nicht raus aus dieser Endlosschleife.

Alexander Kekulé

Ja, aber wir haben jetzt eine Impfquote von 80 Prozent bei den Erwachsenen erstmal und da meine ich, wenn wir mit der Quote arbeiten würden. Und zusätzlich holt sich dieses Virus ja einfach selber auch seine Opfer. Ich sage immer auf die harte Tour immunisieren geht ja auch nicht, dass ich das irgendjemand empfehlen würde. Da steht bei mir immer so ein bisschen in Klammern selber schuld. Aber letztlich ist es so: dieses Virus wird mit der wie der Herr Lauterbach ja richtig zitiert an der Stelle mit der relativ hohen Infektiosität die wir haben, wird dieses Virus und zusätzlich bei 80 Prozent Impfquote unter den Erwachsenen, wird dieses Virus dann letztlich Richtung weit über 90 Prozent quasi Immunisierungen machen und zum Teil zweite, dritte und vierte Infektionen, die man dann kaum noch bemerkt, aber die natürlich das Immunsystem dann nochmal stärken. Deshalb finde ich jetzt den Teufel an die Wand zu malen und zu sagen, es könnte jetzt noch die Frühjahrswelle kommen und dann irgendwann in Zukunft ja, das ist jetzt alles nicht 100 Prozent auszuschließen. Aber man muss sich überlegen, wann man diese Dinge sagt, gerade wenn man Berufspolitiker ist wie die beiden. Und jetzt sind wir in der Lage, wo die die Nerven blank liegen bei den Menschen aus verschiedensten Gründen. Die einen haben Angst vom Lockdown, die anderen haben die Panik, dass sie trotz zwei Impfungen immer noch im auf der Intensivstation landen könnten, obwohl sie jung sind. Und die Dritten sind genervt, dass ihnen der Staat jetzt mit der Nadel quasi hinterherläuft, obwohl sie vielleicht auf

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die neuen Impfstoffe warten wollen. Und darum sage ich in dieser Lage jetzt da Öl ins Feuer zu schütten, das kann nicht sinnvoll sein wegen eines möglichen Szenarios, was wie die beiden ja sagen, dann irgendwann im nächsten Sommer oder nächsten Herbst eine Rolle spielt. Ja, es kann sein, dass wir nur mit jährlichen Impfungen dieses Covid in den Griff bekommen werden. Dann aber bitteschön, dass die Hersteller auch mal die neuen Impfstoffe auf den Markt bringen. Aber dann kann man doch nicht sagen, wir können dieses Desaster nur beenden, indem wir jetzt die allgemeine Impfpflicht aussprechen. Sondern das kann ja sein, dass die 80 Prozent sich weiterhin impfen lassen, das dann wirksamere Impfstoffe da kommen und dann diese 80 Prozent vielleicht locker reichen, um die Immunität herzustellen. Und alles andere ist erst mal Spekulation. Ich habe nichts dagegen, wenn Fachleute unter sich spekulieren. Aber im Moment legen sie letztlich Feuer an unserem gesellschaftlichen Konsens, den wir dringend brauchen, um diese schwierige nächste Phase durchzustehen. Und sie machen letztlich eine Nebelkerze. Sie lenken davon ab, was eigentlich die To-do-Liste ist. Und das ist die Boosterung Ü60, um es noch zum fünften Mal zu sagen und der Schutz der Leute in den Altenheimen. Und stattdessen reden die über so eine allgemeine Impfpflicht. Ich kann mir schon vorstellen, wie das in manchen Dörfern Bayerns und Thüringens und Sachsens ankommt, wenn man das macht.

Vielleicht sage ich noch ein letztes, was nix mit Epidemiologie oder Virologie zu tun hat. Aber wir müssen einfach aufpassen. Es ist doch Fakt, dass 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sind und sich auch gerne noch Boostern lassen. Wir haben hier eine satte Mehrheit, die über eine Minderheit im Grunde genommen jetzt Entscheidungen treffen. Und wenn sie zum hundertsten Mal Leute ans Mikrofon höher holen, die zu den 80 Prozent gehören und sagen ich bin aber jetzt für eine Impfpflicht, dann finde ich, ist das in einer freien Gesellschaft eine gefährliche Tendenz, die versteh ich psychologisch gewisser Weise auch, weil, es ist doch so,

wenn ich mich für etwas entschieden habe, gerade wenn ich vielleicht im letzten Moment nicht so sicher war, ob ich das Richtige tue. Aber ich mache es jetzt einfach mal, weil ich glaube, es ist gut. Jetzt habe ich mir die Spritze geben lassen. Dann ist im Grunde genommen derjenige, der sagt ich lasse mir das nicht geben, der ist im Grunde genommen so ein ständiger Vorwurf der bohrt einem irgendwie in der Wunde wie wäre es, wenn der doch recht hätte? Das darf einfach nicht sein und die Mehrheit jetzt quasi ihren Willen durchsetzen. Ja, ich glaube schon, dass das mehr wehtut, wenn man selbst schon geimpft ist. Wenn da Leute sind, die sagen ich lasse mich nicht impfen. Ich glaube, das ist schon noch dieser Effekt.

Deshalb warne ich einfach davor nur noch mal ich bin total für die Impfung. Ich rufe jeden auf, das bittet zu machen, der, der die Impfmöglichkeit hat. Aber ich warne wirklich vor so einer Polarisierung und diese Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt hilft uns in dieser Winterwelle null. Selbst mein Vorschlag, die Pflegenden für die betroffenen Risikogruppen zu impfen, der hilft uns aktuell ja überhaupt nicht, sondern wir müssen uns da jetzt mit den täglichen Tests behelfen, also daher wirklich first things first.

Lassen Sie uns nächstes Jahr im Frühjahr die allgemeine Impfpflicht diskutieren, wenn wir wissen, ob es neue Mutanten gibt, wenn wir wissen, ob es alternative Wirkstoffe gibt. Und wenn wir wissen, welche Impfquote wir wirklich brauchen, um die jährlich natürlich dann wieder gekommenen Corona Saisons unter Kontrolle zu bekommen.

1:09:28

Camillo Schumann

Und vielleicht reicht er auch schon die bloße Androhung 2G und auch die Diskussion um die Impfpflicht sorgt möglicherweise auch schon dafür, dass es lange Schlangen gibt in den Innenstädten, an den mobilen Impfzentren. Das darf man ja auch nicht von der Hand weisen. Und die Impfbereitschaft und die täglichen Impfquoten gehen er wieder nach oben. Das

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ist ja schon mal ein erfreulicher Trend. Darf man ja auch jetzt nicht unter den Tisch kehren

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein gewollter Effekt, und indem sie die die Freiheiten für Ungeimpfte einschränken, das ist ja auch ganz bewusst so gemacht, da werden sie noch einige kriegen. Und ob das Delta also der Unterschied zwischen denen, die jetzt quasi wegen der Einschränkung der Freiheit, sich haben impfen lassen und denen, die sich dann impfen lassen würden, wenn es eine allgemeine Impfpflicht, gibt aber keinen Zwang, wie ich gerade gehört hat. Wie soll das gehen? Aber jedenfalls eine Impfpflicht ohne Zwang soll es geben. Ob das sozusagen dann wirklich den Wellenbrecher macht und alles ändert. Das würde ich doch mal sehr stark bezweifeln.

Camillo Schumann

Weil sie ja auch um das abschließend von mir noch dazu war sie ja auch gesagt haben, was jetzt hier Herr Lauterbach und Frau GöringEckardt haben Sie auch gesagt, dass es ja auch Spekulationen. Aber bei Ihnen ist er auch viel Glaube und Hoffnung dabei, dass es dann im Frühjahr dann doch nicht mehr so ist. Aber macht es nicht Sinn, lieber jetzt einmal richtig auf den Tisch zu hauen, weil wir es auch nicht mehr ertragen zwei Jahre Pandemie? Und wir haben ja auch gedacht vor einem Jahr wir können jetzt einen entspannten Herbst und Winter haben. Mitnichten ist das der Fall. Wir haben ja die extremen Horrorzahlen ja am Anfang der Sendung schon genannt. Also es ist ja sozusagen von beiden Seiten sehr viel ich sage mal Spekulationen dabei.

Alexander Kekulé

Ich rede ja über das, was jetzt gemacht werden muss. Wenn Sie jetzt quasi fordern, diese Impfpflicht. Das ist ebenso wie diese Feuerwehrleute, die am Brand stehen und sich darüber unterhalten, ob es nicht eine gute Idee wäre, nächste Woche dem Spritzenwagen eine neue Leiter darauf zu bauen oder so was ja also ja, es gibt natürlich Dinge, die muss man perspektivisch mal diskutieren. Dass es auch ganz klar, dass das Thema Impfpflicht, insofern haben Sie

völlig Recht. Das hat man vor sich hergeschoben, das waren Tabu vor der Bundestagswahl. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und hätte man längst mal diskutieren können. Aber ob man das jetzt, wo wir alle gerade im Sturm stehen, mit einer vierhunderter-Inzidenz, ob man das gerade jetzt thematisiert? Ein Problem, was wir im nächsten Jahr lösen können und was sich viel entspannter diskutieren lässt, wenn wir alternative Impfstoffe haben, da muss ich doch schon sagen: das ist der falsche Zeitpunkt. Und da ist klar haben Sie recht: Voraussagen über die Zukunft kann keiner so richtig machen. Aber Leute zur Impfung in der jetzigen Lage, diese Impfpflicht durchzudrücken mit einer Prognose, die vielleicht eintreten könnte, wo ich übrigens auch keinen Fachmann höre, der sagt, das wird so sein. Also es ist ja so sowohl die Epidemiologen als auch die Virologen, die sich auskennen, mit so was. Die sagen ja alle, dass wir nächstes Frühjahr eine weitgehende Immunisierung der Bevölkerung haben, sodass man wirklich sagen muss, die einzige Situation, wo das nicht so sage ich mal einen gewissen positiven Verlauf hat, wäre ja ein komplett neue Monster-Mutante, die sich in kürzester Zeit durchsetzt. Ja weiß ich jetzt nicht. Wollen Sie da immer gleich mit der Kanone schießen? Wir sind doch als Bundesrepublik nicht einmal in der Lage, mit einer kleinen Wasserpistole rumzuballern. Und jetzt fordern die die Bazooka sollten Sie mal das Instrumentarium, was auf dem Tisch liegt, was gerade beschlossen wurde, was sofort möglich ist, nachdem die STIKO auch gesagt hat ab 18 darf man sogar Boostern. Es schließt ja die ab 60-Jährigen ein. Das wäre also möglich, das jetzt zu machen, also dass mal sozusagen handwerklich sauber umzusetzen. Das würde ich wirklich von der Regierung erwarten, statt jetzt irgendwie über das nächste Instrument zu diskutieren, was vielleicht nächsten Jahres möglicherweise im Worst Case gebraucht würde.

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1:13:32

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Wir haben von E. eine Mail bekommen. Sie schreibt:

„Seit Mittwoch gilt nach dem neuen Infektionsschutzgesetz 3G am Arbeitsplatz warum müssen sich nur Ungeimpfte testen lassen? Soweit ich verstanden habe, geht von Ungeimpften für Geimpfte und Genesene keine große Gefahr einer schweren Erkrankung aus. Umgekehrt aber schon, wie auch die aktuellen Zahlen beweisen. Zudem haben Geimpft und Genesene weitaus mehr soziale Freiheiten als Ungeimpft und können das Virus schneller und unbemerkt bekommen und weitergeben. Nun zu meiner Frage wäre es nicht sinnvoller, alle Arbeitnehmer zu testen, positiv Getestete zu isolieren und somit alle Beschäftigten vor einer möglichen Ansteckung am Arbeitsplatz zu schützen. Viele Grüße, Frau E.“

Alexander Kekulé

Ja, rein epidemiologisch, hat Frau E. genau richtig gedacht. Es wäre natürlich sinnvoll, gibt auch Kollegen von mir, die so eine Art Forderung quasi 1G Forderung schon gestellt haben. Also alle testen. Das ist einfach logistisch nicht hinzubekommen. Da muss man einfach mal die Zahlen aufrufen. Und es wäre ja dann auch so, den Geimpft ist ja versprochen worden, dass sie irgendwelche Freiheiten dafür bekommen. Und wenn man jetzt wirklich sagt, alle über einen Kamm scheren, dann würde man das zurückdrehen. Und deshalb ist es bei so normalen Arbeitsplätzen, wir sprechen ja jetzt nicht von irgendwelchen Heimen mit Schwerstbehinderten oder von Pflegeeinrichtungen, für Hochaltrige oder so. Da ist bei normalen Arbeitsplätzen muss man dann halt irgendwie so Mittelweg finden. Einerseits ist es ja schon ein gewaltiger Schritt überhaupt, die Arbeitswelt jetzt zum ersten Mal wirklich konsequent einzubeziehen als Bundesgesetz. Was bundeseinheitlich gilt das ist ja ein neuer Paragraf im Infektionsschutzgesetz, der hier eingefügt wurde, wenn man so will, der beste Teil dieses Gesetzes und deshalb finde ich es als erste

Stufe ist das schon ganz toll. Das reicht mir jetzt erst mal, auch wenn es natürlich ein Sieb ist als ein dichtes Netz oder ein dichter Stoff oder irgend so etwas. Es ist klar, da gibt es Lücken da drinnen, und ich kann nur noch einmal wiederholen für bestimmte Bereiche Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen ist es ja so, dass auch die Geimpften sich testen lassen müssen. Und das Gleiche gilt ja für die 2G plus Veranstaltungen, wo dann zusätzlich zum 2G-Status der Test notwendig ist. Meines Erachtens wird es in diese Richtung gehen. Also wir werden jetzt in der Welle tendenziell immer dann, wenn so Risikosituationen sind entweder dass Risikopersonen da sind die zu den vulbnerablen Gruppen gehören oder dass einfach ein besonders hohes Risiko eines Ausbruchs ist, weil viele Menschen im geschlossenen Raum sind. Da werden wir natürlich dazu übergehen, dass dann alle getestet werden.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 248. Vielen Dank, Herr Kekule. Wir hören uns dann am Samstag wieder dann zu einem Hörerfragen Spezial.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann. Ich freue mich darauf.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 23.November 2021 #247: Ein Plädoyer für Moderna

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

Nicht exponierte Bevölkerungsgruppen und potenzielle COVID-19-Belastung in europäischen Ländern (10.11.2021)

Studie: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.11.10.21266166v1

[0:00:10]

Camillo Schumann

Dienstag, 23. November 2021.

Angela Merkel sagt, wir haben eine hochdramatische Situation. Was jetzt gilt, ist nicht ausreichend. Was können die Änderungen im Infektionsschutzgesetz dann ausrichten?

Außerdem: mehr Moderna, weniger BioNTech. Warum diese Entscheidung Vorteile hat.

Außerdem: trotz Impfung ein milder Verlauf. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Fangen wir mal mit einer doch sehr provokanten Aussage des geschäftsführenden Bundesgesundheitsministers Jens Spahn gestern in der Bundespressekonferenz an.

[0:01:07] :

Bundesgesundheitsministers Jens Spahn

Wahrscheinlich wird am Ende dieses Winters so ziemlich jeder in Deutschland. Es wird nur da manchmal schon etwas zynisch genannt. – Es wird jeder geimpft, genesen oder gestorben sein.

[0:01:16]

Camillo Schumann

Würden Sie sich dieser Prognose anschließen?

Alexander Kekulé

Also, es ist ja so, dass ich diesen immer noch diesen sportlichen Aufschlag habe. Dass wir, wenn dieser Winter zu Ende ist, mit dieser Pandemie auch durch sind. Nicht in dem Sinn, dass die Pandemie weg sein wird. Aber in dem Sinn, dass sie kein so schweres soziales, gesellschaftliches Problem im weitesten Sinn mehr ist. Der Gedanke dahinter ist ja der, dass zu dem Zeitpunkt deutlich über 90 Prozent der Bevölkerung, wahrscheinlich sogar fast hundert Prozent entweder geimpft oder genesen oder beides sein werden. Ich würde es eher so formulieren: geimpft, genesen oder beides. Und natürlich gibt es auch Menschen, die sterben. Was mich noch ein bisschen wundert, ist: Wenn der Bundesgesundheitsminister, der nun wirklich, darf man sagen die Hauptverantwortung trägt, aber zumindest eine wesentliche Verantwortung getragen hat für die bisherige Entwicklung. Wenn der sich dann jetzt so mit erhobenem Zeigefinger hinstellt. Das finde ich doch erstaunlich.

[0:02:12]

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Camillo Schumann

Sie sagen bis zu hundert Prozent zum Ende des Winters geimpft, genesen. Also eine gewisse Immunität gegen das Virus beziehungsweise Kontakt dann auch damit gehabt. Ähm, alten Aussagen in diesem Podcast, da haben Sie gesagt, das könnte möglicherweise noch ein, zwei, drei Jahre dauern, bis tatsächlich jeder mal Kontakt gehabt hat. Haben Sie da etwas korrekt?

[0:02:34]

Alexander Kekulé

Bis jeder Kontakt gehabt hat mit dem Virus. Ja, das würde so lange dauern. Aber das sind zwei verschiedene Überlegungen. Das eine ganz am Anfang. Sie haben ein recht gutes Gedächtnis. Ganz am Anfang ging es mal um die Frage, ob in eineinhalb Jahren ... Das war ja die bekannte Prognose eines Kollegen von mir. Dass in relativ kurzer Zeit dann alle Kontakt mit dem Virus hatten. Mit der Folge, dass man, wenn man das damals hochgerechnet hat, auf über 500.000 Tote in der kurzen Zeit gekommen wäre. Da habe ich relativ massiv widersprochen. Das war ja damals, wenn ich das in Erinnerung bringen darf, so, dass die Bundeskanzlerin die Schätzung übernommen hat. Und dass das in der New York Times ja dann auch wiedergegeben wurde und die ganze Welt also erschüttert war von dieser Vorstellung, dass also in Deutschland über 500.000 Menschen jetzt quasi in kürzester Zeit sterben. Da habe ich gesagt Nein, das geht um einen wesentlich längeren Zeitraum, wenn man überhaupt so rechnen darf. Weil ich damals schon ins Spiel gebracht habe, das natürlich durch die Impfstoffe man das nicht einfach sagen darf. Flattened the curve. Das war ja damals das Konzept. Wir können die Zahl der Toten sowieso nicht verhindern. Oder der Schwersterkrankten. Wir können sie nur über einen längeren Zeitraum verteilen. Das war eine der ganz großen Fehlannahmen am Anfang dieser Pandemie. Als ich mich dagegen gewehrt habe, habe ich natürlich auch korrigiert, dass in so kurzer Zeit nicht so viele Menschen sterben werden,

[0:04:03]

Camillo Schumann

Weil wir gerade bei Zahlen sind. Schauen wir auf die aktuellen Zahlen. 399,8, so lautet die sieben Tage-Inzidenz, die das Robert KochInstitut heute vermeldet hat. Über 45.000 Neuinfektionen wurden innerhalb von 24 Stunden gemeldet, 13.000 mehr als vor einer Woche. 309 neue Todesfälle sind dazugekommen, fast 3.900 Menschen werden aktuell mit Covid 19 auf der Intensivstation behandelt. Wie fällt Ihre kurze Bewertung der aktuellen Lage aus?

[0:04:31]

Alexander Kekulé

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Anders kann man es nicht sagen. Die Lage ist völlig außer Kontrolle. Man muss natürlich dazu sagen, die Inzidenz sollte ja eigentlich nicht mehr als Stressmarker, Stresserzeuger herhalten. Das ist ja auch so eine gewisse, sage ich mal ... nd etwas unschlüssig, dass einerseits die Politiker immer gesagt haben, die Inzidenz hat ausgedient. Und andererseits jetzt ist es doch wieder die Inzidenz, die alle wuschig macht. Aber wenn ich mal daran erinnern darf, ich habe ja mal so spaßig gesagt als Daumenpeilung. Spaß kann man in diesem Zusammenhang kaum machen, aber als Daumenpeilung gesagt, na ja, so eins zu zehn kann man schließen aus den englischen Daten. Da reduziert sich die Belastung der Krankenhäuser durch eine gute Impfung. Das hieße dann quasi, dass man bei einer Inzidenz von 500 Lockdowns machen muss, statt früher bei 50. Und wozu bei 400. Wir starten also an der 400 noch im Aufwärtstrend vorbei. Das heißt, die Frage ist jetzt wirklich, lassen wir diese Inzidenz einfach weiterlaufen. Sehen wir zu, dass wir nur die Sterblichkeit irgendwie in den Griff bekommen? Oder müssen wir auch bei der Inzidenz was drehen? Und wenn man das entscheiden muss. Das ist eine komplizierte Diskussion, da muss man über Lockdowns nachdenken?

[0:05:46]

2

Camillo Schumann

Wir werden im weiteren Verlauf der Sendung darüber sprechen. Mal so zum Vergleich. Heute vor einem Jahr gab es ähnlich viele Hospitalisierung bei der Hälfte der Inzidenz, die wir haben. Was sagt uns das?

[0:05:55]

Alexander Kekulé

Da kann man jetzt nicht so viel draus so direkt lesen, weil da muss man immer die Kurve insgesamt angucken. Also dieses eins zu zehn, was ich damals in den Raum gestellt habe. Das ist ja auch ... Da muss man Folgendes dazusagen, das ist zwar jetzt rein akademisch ungefähr der Faktor. Wir wissen ja auch, dass das Risiko, ins Krankenhaus zu kommen, in der Größenordnung verringert wird. Und solche Sachen. Aber man muss ganz klar sagen, wir haben ja jetzt eine riesenhohe Dunkelziffer. Ich fürchte, dass die Dunkelziffer viel höher ist als vor einem Jahr, also die Zahl der tatsächlich Infizierten noch höher ist als das, was wir hier feststellen. Aus verschiedenen Gründen. Der eine ist, wenn man quasi so einen aufsteigenden Ast hat von einer von der Zahl der Neuerkrankungen. Dann ist das ganz rein mathematisch so, dass man dann nicht hinterherkommt, weil quasi immer, während man testet, schon die nächsten sich infiziert haben. Man läuft quasi mit dem Testen immer der aufsteigenden Welle hinterher. Deshalb ist die tatsächliche Dunkelziffer dann auf jeden Fall höher als das, was man misst.

Der zweite Faktor, der mindestens genauso wichtig ist, ist die Verfügbarkeit der Schnelltests. Da ist ja jetzt eine Änderung letzten Donnerstag oder in den letzten Wochen beschlossen worden. Aber trotzdem ist es so, dass die Tests nicht jetzt wieder im gleichen Maße im Einsatz sind wie vorher.

Und der dritte Faktor ist natürlich, dass die Bevölkerung selber zum großen Teil irgendwie, sage ich mal, coronamüde ist. Oder auch Leute, die geimpft sind oder wissen, Sie hatten die Krankheit schon. Dass die sagen, wieso soll

ich mich jetzt da ständig testen lassen. Das war ja früher, weil man da ja viel, viel vorsichtiger war. Und aus all diesen Gründen, glaube ich, gibt es eine massive Untererfassung, in dem Maße, wie wir es bis jetzt noch nicht hatten,

[0:07:35]

Camillo Schumann

Kann man sagen oder schlussfolgernd sagen, dass die Dunkelziffer in dieser Situation weniger dramatisch schlimm ist, was ihre Auswirkungen angeht, als vor einem Jahr?

[0:07:49]

Alexander Kekulé

Das Wichtige bei jeder Dunkelziffer ist ja eigentlich, dass man ungefähr einen Schätzer hat, wie groß sie ist. Dass man sie nicht aus den Augen verliert. Auch wenn man das Bild natürlich bei einer Dunkelziffer nicht so richtig strapazieren darf. Aber es ist so: wir dürfen nicht nur die reine Inzidenz ansehen. Sondern wir müssen einfach sagen, gut, die Dunkelziffer ist diesmal höher. Ich würde mal einen Faktor drei nehmen oder so was in der Größenordnung. Das können wir da schon einfach mal über einen Daumen peilen. Und das soll einfach unsere Basis für Entscheidungen sein, auch wenn wir überlegen, ob wir diese Welle überhaupt noch einfangen können. Die Bundeskanzlerin hat Recht. Das ist natürlich auch so eine Sache. Wer hat das Land regiert die letzten Jahre. Aber das ist ja der Blick in die Vergangenheit, den muss man in dieser Situation so ein bisschen vermeiden. Ein Blick nach vorne sage ich mal ... Die wichtige Entscheidung ist jetzt, können wir das noch einfangen, oder nicht? Meines Erachtens ganz ehrlich gesagt, es ist schwer, in so einer Lage noch überhaupt darüber nachzudenken, die Inzidenz quasi wieder runterzubremsen.

[0:08:49]

Camillo Schumann

Um mal was Positives in dieser Zahlen-Gemengelage zu sagen. Ich habe mir ein bisschen was

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rausgepickt. Die sieben Tage-Inzidenz in allen Altersgruppen nimmt ab. Bei den fünf bis 14Jährigen im Vergleich zur Vorwoche um fast 50 Prozent. In der Altersgruppe der 60 bis 69-Jährigen um fast 15 Prozent. Wir sehen in Sachsen, dass die Hospitalisierungs-Inzidenz um fast drei Prozent gesunken ist. Die deutschlandweite Hospitalisierungs-Inzidenz geht ebenfalls zurück. Lag sie vor rund zwei Wochen bei acht, liegt sie heute bei rund fünf. Das sind alles Zahlen aus dem Auswertungstool „Trends“ des Robert Koch-Instituts, des RKI. Herr Kekulé sind das so kleine Anzeichen der Hoffnung oder Momentaufnahmen ohne Aussagekraft?

[0:09:26]

Alexander Kekulé

Ich habe genau die gleichen Zahlen gesehen und mir die gleiche Frage gestellt. Ich kann sie nicht wirklich beantworten. Ich habe ja immer noch diese Hoffnung. Weihnachten ist ja ein religiöses Fest, da darf man ja auch mal unwissenschaftlich denken, dass es sein könnte, dass die Welle sich von selber begrenzt. Also wir hatten das in England gesehen. Wir hatten das in Israel gesehen. Natürlich werden sich dann alle möglichen Politiker auf die Schulter klopfen und sagen wir haben es hier geschafft und ausgebremst. Aber es ist einfach das Wesen einer solchen Infektionswelle, dass sie rauf und wieder runtergeht. Und je heftiger die raufgeht, desto mehr Menschen sind infiziert. Und auf die Weise kriegt man natürlich eine Immunität, eine Herden-Immunität. Das Wort Herden-Immunität ist natürlich falsch, weil nie die ganze Herde geschützt ist. Aber man kriegt eine gesteigerte Immunität der Bevölkerung in dem Sinn, dass nicht so viele Leute schwer krank werden. Sie kriegen trotzdem noch Infektionen. Sodass wir dann schon so einen Effekt kriegen: Die Infektionen laufen weiter. Aber spätestens, wenn man dann zum zweiten Mal oder zum dritten Mal Covid bekommt beziehungsweise infiziert wird, nachdem man vielleicht obendrein schon geimpft war, dann ist es irgendwann tatsächlich so, dass das Immunsystem damit klarkommt. Und zu diesem

Zustand arbeiten wir uns jetzt hin, auf diesen Zustand. Und das kann schon sein, dass das jetzt noch, was weiß ich, vier Wochen dauert und dann von selber sich deutlich wieder reduziert, obwohl Winter ist. Ich meine, das Problem ist einfach, dass wir es jetzt im Winter machen. Und das ist der unberechenbare Faktor hier.

Camillo Schumann

Okay also Sie wollen sich jetzt noch nicht bisschen positiv äußern?

Alexander Kekulé

Das kann ich an der Stelle noch nicht machen, weil das geht tatsächlich, wie Sie richtig sagen, mal rauf, mal runter. Aber ich schließe es nicht aus. Also man kann's ja auch mal so rum sagen. In diesen ganzen Prognosen, die da so gemalt werden und immerhin auch von meinen sehr geschätzten Kollegen gezeichnet werden. Die tun ja immer so, als würde das jetzt weiter nach oben gehen und als wäre jetzt der weitere Verlauf für den Rest des Winters. Dass so eine Welle in eine selbst begrenzende Tendenz haben kann, das wird in diesen Diskussionen nicht berücksichtigt. Aber das müssen wir schon. Natürlich. Gerade, wenn wir maximale mögliche Opferzahlen und solche Sachen dann plötzlich durch übergroße Zeitungen in den Raum werfen. Dann müssen wir natürlich darüber nachdenken, ob das dann noch stimmt. Wenn die Sache, wenn der Spuk sozusagen in vier Wochen vorbei ist.

[0:11:54]

Camillo Schumann

Die Frage ist ja auch, welches Potenzial hat diese Pandemie noch? Also wie wird sich die Lage weiter entwickeln? Weil es gerade gut passt. Also welche Rolle spielen die Genesenen, die Nichtgeimpften? Die Impfdurchbrüche, die Altersstruktur, die Wirksamkeit der Impfstoffe etc. Aber es gibt eine aktuelle britische Schätzung, die Wissenschaftler aus mehreren Parametern, die ich gerade genannt habe, berechnet haben. Wie schwer die vierte

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Welle in Europa werden könnte. Was haben die Wissenschaftler denn für Deutschland berechnet?

9 [0:12:21]

Alexander Kekulé

Vielleicht darf ich kurz vorher sagen, was es für eine Studie ist. Und zwar ist es dieses London School of Hygiene and Tropical Medicine. Das ist so eine der weltweiten führenden, sage ich mal, Infektions-Epidemiologen sind dort. Das ist aber nur ein Preprint. Das muss man ganz klar sagen. Das ist noch nicht peer-reviewed. Die hat doch ein paar Schwachstellen technischer Art. Aber die haben eigentlich ... Die Frage wollten die beantworten, die uns jetzt natürlich überall in Europa umtreibt. Eigentlich das, was ich gerade gesagt habe. Wann ist eigentlich die nächste Welle dann selbst begrenzend? Und wann kommt dann die Phase, wo man eigentlich so eine Art Endemie hat, also aus der pandemischen Phase eine endemische wird? Das könnte man zum Beispiel, wenn man so will, so definieren, dass man sagt, zu dem Zeitpunkt, wo fast alle, also alle, die irgendwie epidemiologisch relevant sind, irgendeine Art von Immunität haben. Zu diesem Zeitpunkt hat man dann den Beginn der Endemie. Der endemische Zustand, also der Zustand, wo diese, wenn man so will, diese Erkrankung quasi zum Haustier geworden ist. Nicht, dass sie deswegen total ungefährlich ist. Aber ab dem Zeitpunkt ist ja ganz klar, sage ich zumindest, müssen wir uns damit arrangieren. Da können wir dann keine Lockdowns und Ähnliches mehr machen. Und diese Frage zu schätzen ist gar nicht so einfach. Die wichtigste Frage ist ja, wieviel Menschen können sich denn noch so schwer infizieren, dass sie ins Krankenhaus müssen? Das oder dann sterben. Dass ist quasi das Fragezeichen. Und das haben die versucht, relativ sportlich mal zu schätzen für 18 europäische Länder. Plus England macht das dann 19. Da haben die Folgendes gemacht. Wir wissen ja ungefähr, wie viele Menschen prozentual sterben, nachdem sie infiziert wurden. Also das ist die Infection Fertility Rate, also der Anteil derer, die sterben an den Infizierten. Das kann

man inzwischen ... Am Anfang der Pandemie war das extrem schwer. Aber inzwischen kann man das für jedes Land ganz gut schätzen, wie groß die ist. Und dann heißt es ja umgekehrt, dass, wenn man die Infektionsraten, also, wenn man die Sterblichkeiten kennt ... Und Tote kann man ja relativ leicht zählen. Da ist die Zahl relativ hart. Dass man dann umgekehrt schätzen kann, wie viele haben sich infiziert? Ja, wenn man die Quote kennt und dann sozusagen eine von beiden, dann hat man eine einfache Gleichung, die man einfach nur umdrehen muss.

Das war übrigens der Grund, wenn Sie sich erinnern. ich habe ja damals massiv davor gewarnt, dass in Italien das Problem viel schlimmer war in Norditalien der Ausbruch als das die europäischen Gesundheitsminister behauptet haben, aus der ganz einfachen Überlegung, dass eben dort so viele gestorben waren und man klar dann eben im Umkehrschluss sagen konnte, da müssen sich mehr infiziert haben als entdeckt werden. Und genau das hat diese Studie. Diese relativ simple Überlegung, die übrigens damals aber nicht gemacht wurde und dazu geführt hat, dass dieser Ausbruch nicht erkannt wurde in Norditalien. Das haben die gemacht für Europa und haben jetzt gesagt, okay, jetzt schauen wir, wie viele infizieren sich dann eigentlich ... Wie viele haben sich infiziert? Dann haben sie n den Koeffizienten gebildet für die Durchbruchs-Infektionen. Das ist auch nicht so einfach. Die haben geschätzt, wie viel Prozent ungefähr von den Geimpften und von den Genesenen dann doch krank werden. Und aus dem ganzen haben sie dann rückgerechnet, wie viele Leute können sich denn überhaupt noch infizieren? Also wie viel sind noch, wie wir sagen, immunologisch, naiv. Und das Interessante ist jetzt, das für die ganzen europäischen Länder ganz wenige in der Altersgruppe über 40 noch immunologisch naiv sind. Deutschland steht relativ schlecht da, aber insgesamt nur. Mal so kurz gesagt, in Ungarn ist die Schätzung derer, die weder genesen, noch geimpft, noch beides sind null Prozent. Alle in Ungarn sind entweder geimpft o-

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der genesen. Natürlich gibt es einzelne Ausnahmen. Aber grob gesagt null. Alle haben es mal entweder gehabt oder sind geimpft. Und in Slowenien, das ist der Spitzenreiter bei den Ungeimpften, sind es 31 Prozent. Also doch noch relativ viele, die ungeimpft und auch nicht genesen sind. Aus der Rechnung haben die dann gesagt, okay für ganz Europa, also für diese 19 europäischen Länder insgesamt, wenn ich mal England mit reinnehmen darf. Da haben sie 900.000 Hospitalisierungen vorhergesagt für die jetzt noch laufende Saison, insgesamt für ganz Europa letztlich. Und bis zu 300.000 Todesfälle. Sozusagen das Maximum, was noch drin wäre, wenn es am schlimmsten insgesamt kommt, für die 19 Länder, also sozusagen für ganz Europa.

Voraussetzung dafür natürlich, dass es keine neuen Varianten gibt, dass unsere Impfquote nicht radikal nach oben geht in dieser Wintersaison. Was auch tatsächlich nicht zu erwarten ist. In den meisten Ländern ist das Thema wie in Deutschland mehr oder minder ausgereizt. Und Sie haben auch jetzt für die Wintersaison, die uns vor bevorsteht, also so bis eben bis Mai. Da haben Sie auch jetzt nicht eingerechnet, dass die Immunität groß nachlassen würde oder Ähnliches. Sondern das mal konstant gesetzt. Was glaube ich in Ordnung ist. Und Ihre Frage. Für Deutschland ist es eben ganz interessant. Wie steht Deutschland da? Deutschland hat jetzt also insgesamt, sagen sie, wir haben von den Hospitalisierungen zu erwarten, ungefähr was als Maximum 300 Hospitalisierungen pro 100.000 Personen. Also pro 100.000 haben wir 300. Damit stehen wir eigentlich relativ schlecht. Da sind wir so auf der Höhe sage ich mal, wie die Slowakei oder wie Griechenland oder so. Oder in Österreich natürlich auch ähnlich schlecht. Obwohl unsere Impfquote eigentlich nicht so schlecht ist im sonstigen Vergleich. Aber wir haben eben insbesondere in der Altersgruppe über 60 nach diesen Schätzungen relativ wenig Leute, die sich natürlich infiziert haben. Das ist gut, das ist ein Erfolg unserer Gegenmaßnahmen. Wenn man so will. Das heißt aber eben auch, dass dadurch, dass sie nicht exponiert sind und

zum Teil eben nicht geimpft sind. Dass die eben noch krank werden können, sodass wir quasi in diesem europäischen Konzert haben wir so Länder, das finde ich ganz interessant, wie Rumänien. Die werden noch richtig viele Hospitalisierungen und Tote kriegen nach dieser Rechnung. Bei denen ist klar, die haben eine Impfquote von nur zehn Prozent. Da ist es einfach, da ist es relativ einfach. Aber eben dann Deutschland auch relativ schlecht, weil wir eben bei den über 60-Jährigen noch mit bis zu, so schreiben die hier, mit bis zu 35.000 Toten im schlimmsten Fall rechnen müssen. Das ist so das Maximum, was bei der Rechnung rauskommt. Und andere Länder wie Großbritannien. Das ist ganz interessant, außer England hier. Die haben eben ungefähr eine ähnliche Impfquote wie wir. Also im Moment die Entwicklung bis hier war anders. Aber im Moment ist es gar nicht so weit weg. Die haben aber eine deutlich geringere Zahl von Krankenhauseinweisungen noch zu erwarten, ungefähr ein Zehntel von denen in Deutschland. Weil die erstens die Alten besser geimpft haben und zweitens mehr Menschen haben, die sich bei dieser berühmten Exit Wave vom Boris Johnson natürlich infiziert haben,

[0:19:16]

Camillo Schumann

Weil Sie gesagt haben, Sie meinen, dass die Impfungen jetzt im Winter dann keine Rolle mehr spielen werden bei uns. Sie haben doch auch die langen Schlangen vor den Impfzentren gesehen, die jetzt durch die Medien gehen. Dass sich da ganz viele Menschen die Booster-Impfung abholen. Aber was sehr, sehr erstaunlich ist, auch ihre erste Impfung. Offenbar haben auch Maßnahmen, die angekündigt werden, schon dazu geführt ... 2G ist da das Stichwort. Dass die Menschen sich dann doch für eine Impfung entschieden haben. Und die Quote geht ja auch ein bisschen nach oben. Also ich persönlich habe noch ein bisschen Hoffnung.

[0:19:46]

Alexander Kekulé

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Ja, also ich natürlich auch. Also das ist aber hier so ... Wissen Sie, wenn Sie so eine epidemiologische Studie für ganz Europa machen, dann ist jetzt die Frage, ob da 5000 Leute in irgendeinem Impfzentrum waren und erst geimpft wurden, nicht relevant. Ja, das ist quasi... Die haben schon recht, dass sie erst mal sagen, wir haben das hier konstant angenommen. Dafür haben sie ja auch die abnehmende Immunität zum Beispiel, die natürlich ohne Frage, insbesondere bei Älteren langsam abnimmt. Haben sie auch nicht berücksichtigt, weil solche Studien sowieso nur ungefähre Daumenpeilungen sind. Ich glaube, auch die Schwäche dieser Studie ist tatsächlich, dass wir wahrscheinlich, dass ist so meine Vermutung, viele Menschen haben, die Kontakt mit dem Virus hatten, ohne dass man das überhaupt bemerkt hat. Die haben das selber nicht bemerkt. Die haben so eine Schleimhautimmunität entwickelt, also auf den Atemwegen einfach eine AtemwegsImmunität, insbesondere bei jüngeren Menschen. Auch bei solchen, die vielleicht vorher schon mit anderen Coronaviren Kontakt hatten. Und da glaube ich, da gibt es auch eine Dunkelziffer derer, die immunologisch nicht vollkommen naiv sind, wie wir sagen. Und das andere, was die jetzt vielleicht so optimistisch gerechnet haben in der Studie ist. Dass sie bei der Wirksamkeit der Impfstoffe noch ältere Daten hatten und deshalb geschätzt haben, dass die Durchbruchs-Infektionen, also die Fälle, wo also trotz Impfung es mal zu einer Infektion kommt, dass die relativ gering sind. Ich glaube, die haben für die RNA-Impfstoffe eine Quote von ungefähr 20-30 Prozent angesetzt. Das war schon recht optimistisch als DurchbruchsQuote. So dass ich mal sage, insgesamt plusminus wird das schon stimmen, was da geschätzt wurde, trotz der Feinheiten zum Beispiel, ob die Impfquote Impfbereitschaft zunimmt, oder nicht.

[0:21:27]

Camillo Schumann

Trotzdem ist es zumindest ein Hinweis. Und wollen wir nicht hoffen, dass diese 34.000

dann tatsächlich eintreffen oder eintreten werden. Angela Merkel hat in einer Videoschalte am Montag gesagt, wir haben eine Lage, die alles übertreffen wird, was wir bisher hatten. Wir haben eine hochdramatische Situation. Was jetzt gilt, ist nicht ausreichend. Die Frage ist ja, meint sie die Maßnahmen bisher. Da hätte sie ja aktiv werden können. Oder meint sie die neuen Maßnahmen, die die Ampelkoalitionäre vorgelegt haben. Ich habe da so eine Vermutung.

[0:21:56]

Alexander Kekulé

Ich bin ziemlich sicher, dass die hier ihren Kollegen die Leviten gelesen hat. Das kann man nicht anders interpretieren. Ich meine, dass die Kanzlerin schon vorher eigentlich immer versucht hat, auf der sicheren Seite zu segeln. Das ist ja bekannt. Sie muss das wohl mit Grauen beobachten, was hier so passiert. Übrigens die 35.000, die da Maximum mal im Raum stehen. Das ist ein theoretisches Maximum, sozusagen die Decke. Ich glaube nicht, dass man da anstoßen wird bei uns. War aber die Rechnung für Über-60-Jährige dort in Deutschland.

Ja, also die jetzigen Maßnahmen. Das sehe ich ja so ähnlich wie die Kanzlerin. Also ich habe mir da mehr erwartet ganz ehrlich gesagt. Was da am Donnerstag rausgekommen ist, ist zum Teil unentschlossen gewesen, zum Teil unwirksam, zum Teil zu schwach oder zu langsam wirksam. Und man kann sogar bei einigen Maßnahmen überlegen, ob sie vielleicht sogar schädlich sein könnten oder zumindest gefährlich sein könnten.

[0:22:59]

Camillo Schumann

Wir reden über die Änderungen im Infektionsschutzgesetz letzte Woche Donnerstag erst vom Bundestag und dann einstimmig im Bundesrat beschlossen. Und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hat bei Maybrit Illner Folgendes dazu gesagt, warum die

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Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen wurden. Als Antwort auf das Auslaufend der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Wir hören mal rein.

[0:23:19]

Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin GöringEckardt

Weil es nicht gereicht hätte. Also das Schild epidemische Lage. Da ist ja erst mal nix drin. Und was wir damit erlebt haben, ist ja die Situation, in der wir gerade sind. Also mit der epidemischen Lage sind wir in genau die Situation gekommen, in der wir gerade sind. Und ich finde sie nicht sehr befriedigend. Und deswegen haben wir gesagt, wir brauchen mehr bundesweite, sehr klare Maßnahmen, zum Beispiel geimpft, getestet oder genesen am Arbeitsplatz. Das ist jetzt verbindlich. Verbindlich ist wieder Homeoffice. Das sind zwei Maßnahmen. Die gab es vorher nicht in der Kombination. 3G auch natürlich in den Zügen. Das ist auch eine Maßnahme, die gab es vorher nicht. Und weitere viele Maßnahmen für die Länder, die auch eine viel höhere Verbindlichkeit haben. Und das ist der Punkt. Nicht zu sagen, wir machen weiter wie bisher. Das ist keine gute Idee. Schon gar nicht, wenn, da bin ich ja bei Herrn Braun, die Situation so schlimm ist, wie sie noch nie war.

[0:24:09]

Camillo Schumann

Würden Sie sich dieser Einschätzung von Katrin Göring-Eckhardt anschließen? Dass hinter dem Schild epidemischer Lage von nationaler Tragweite nix war, was man hätte beschließen können?

[0:24:18]

Alexander Kekulé

Also so hört sich jemand an, der Unsinn verzapft hat und das dann hinterher rechtfertigen muss. Also nicht sie selber. Ich schätze die Katrin Göring-Eckardt sehr, aber sie hat natürlich

die unangenehme Position da bei Maybrit Illner gehabt, dass sie jetzt die Ampel-Beschlüsse oder Ampel-Vorstellungen alleine verteidigen musste. Gut, sie wird wahrscheinlich dann in einer neuen Regierung ein Ministerium übernehmen. Deshalb kann man schon davon ausgehen, dass sie da schon mal üben darf. Aber man muss es doch so sehen ... Wir haben sozusagen, das können Sie so vergleichen, ja, wir haben jetzt erst mal die Verkehrsschilder, die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen abgeschafft, weil, wir hatten ja die Geschwindigkeitsbegrenzungen, und es gab trotzdem Tote. So ist dieses Argument. Also weg mit den Schildern. Die haben doch überhaupt nichts gebracht. Schauen Sie, wir hatten so viele Verkehrstote im Jahr. Und das ist so. Ja, dass das ein Instrument war, das hätte man vielleicht nachschärfen müssen. Das ist ja das, was sie sagt. Aber was hier gemacht wurde, ist und das steht ja auch ganz klar in der Gesetzesbegründung drinnen. Dass die epidemische Lage beendet wurde, weil aufgrund der Impfungen, so hat es ja auch der Jens Spahn früher mal gesagt. Dass aufgrund der Impfungen die Lage sich so weit verbessert hat, dass man das nicht mehr braucht. Man braucht keine so strengen Maßnahmen mehr und der Kern des Gesetzes sollte eigentlich mal sein, dass man die ganzen strengeren Regelungen so Richtung Ausgangssperren und was das alles gab, Kontakt-Beschränkungen im engeren Sinne dass man das aufweicht, um der Bevölkerung ein goodie zu geben. So ist es vor der Wahl angekündigt worden. Das war vielleicht auch der Grund, warum die einen oder anderen ihr Kreuzchen an der einen oder anderen Stelle gemacht haben bei der Wahl. Und das will man jetzt hinterher auch einlösen. Und ich finde, das ist im Grunde genommen ein Schildbürgerstreich das Ganze.

[0:26:14]

Camillo Schumann

Machen wir es mal ein bisschen konkret. Es gibt ja Dinge im neuen Infektionsschutzgesetz, die weiterhin möglich sind, die schon bestanden haben, die nicht mehr möglich sind und

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die neu dazugekommen sind. Wir können ja vielleicht mal anfangen mit den Dingen, die nicht mehr möglich sind. Nicht mehr möglich sind flächendeckende Schließung von Schulen, Kitas, Betrieben und Geschäft. Nur einzelne Einrichtungen mit besonders hohen Infektionszahlen können dann geschlossen werden. Aber nicht alle in einem Landkreis oder in einem Bundesland. Auch Beschränkung von Reisen, Übernachtungsmöglichkeiten und Schließung von Restaurants sind mit dem neuen Gesetz tabu. Also da hat man doch eigentlich so die schärfsten Zähne gezogen, oder?

[0:26:49]

Alexander Kekulé

Ja, man hat die schärfsten Zähne gezogen. Und wenn man jetzt so hört, wie die Politiker das verteidigen, dann je nach Parteifarbe mal die ... Wir haben jetzt gerade die Variante der Grünen gehört. Bei der FDP hört das sich dann immer so an, dass man sagt, ja, wir wollten eben zum Beispiel diese pauschalen Ausgangsbeschränkungen. Ausgangssperren, die wollten wir nicht mehr haben, weil die grundgesetzwidrig waren. Das stimmt ja. Da waren natürlich ein paar Sachen drinnen, wo einige Fachleute ... Da waren sich die wichtigen, glaube ich, auch von Anfang an einig. Die schon von vornherein gesagt haben, das ist Unsinn. Also zum Beispiel, dass man Leuten verboten hat, überhaupt rauszugehen oder auch Maskenpflicht im Park. Wie oft haben wir uns darüber mokiert hier? Das sind die Dinge, die dann später auch von den Verwaltungsgerichten kassiert wurden. Und wo eigentlich inzwischen auch dem letzten Politiker klar sein muss, dass das Unsinn ist, dass man im Freien, sofern man halbwegs Abstände einhalten kann, sich nicht infiziert. Deshalb ist jetzt sozusagen das Erfolgserlebnis, ich habe dem Tiger diesen Zahn gezogen, eigentlich, das ist nix. Das ist keine Erfolgsmeldung. Und zwar aus dem Grund. Das hätte erstens sowieso keine Landesregierung mehr angewendet, weil sie gewusst hätten, erstens ist es sinnlos. Zweitens die Gerichte kassieren es gleich wieder. Und zweitens,

wenn man jetzt unbedingt der Meinung gewesen wäre, man musste ein, zwei Instrument rausnehmen, wie auch die berühmte 15 Kilometer-Leine. Wenn wir uns an die erinnern, wo da mal verboten wurde, weiter als 15 Kilometer von der eigenen Wohnung wegzugehen. Auch etwas, was wir hier ja scharf kritisiert haben. Wenn jemand auf die Idee käme, dass man das jetzt explizit wieder rausnehmen will aus diesen Möglichkeiten des damaligen Paragraf 28 Absatz eins im Infektionsschutzgesetz. Dann kann man sagen ja, dann streichen wir halt zwei Zeilen. Also das wäre doch ganz easy gewesen. Also was die ja gemacht haben, ist letztlich, sie haben alle Maßnahmen, die man nur bei der epidemischen Lage ergreifen durfte, umgetopft aus dem Absatz eins in einen neuen Absatz sieben dieses Paragrafen. Einfach nur, ich will fast sagen, Copy and Paste und ein paar weggelassen. Und weil natürlich das dann sozusagen unbegrenzt gelten würde, hat man jetzt statt epidemische Lage als Rahmen, die ja vom Bundestag jederzeit beendet werden kann, hat man gesagt, na gut, dann gilt es halt, bis wann, rgendwann im März nächsten Jahres also hat man sozusagen ein Ultimo gesetzt, mit dem das Gesetz automatisch sich selber wieder löscht und nicht mehr gültig ist. Es ist genau das Gleiche. Also es ist ein völliger Schildbürgerstreich. Wie gesagt, das ist völlig sinnlos, das nochmal neu aufzuschreiben. Und was man halt gemacht hat, ist, ein paar Maßnahmen rauszustreichen die aber über die Hintertür natürlich nach wie vor zur Verfügung stehen. Also es ist nicht so, dass man das jetzt nicht mehr machen kann. Sonst gibt es schon mehrere Möglichkeiten, auch härtere Kontakte Beschränkungen einzuführen. Es ist nur juristisch komplizierter geworden.

[0:29:48]

Camillo Schumann

Genau, weiterhin möglich sind ja Kontaktbeschränkungen, auch Vorschriften zum Abstandhalten, Maskenpflicht, auch Zutrittsbeschränkung nur für Geimpfte und, also dass ich Zutrittsbeschränkungen nur auf Geimpfte und Genesene kapriziere. Das ist weiterhin möglich.

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Neu: 3G Vorgaben am Arbeitsplatz, in Bussen und Bahnen für Pflegeheime und Kliniken, Testpflichten für Beschäftigte und Besucher und Homeoffice-Pflicht. Und wer Impfpässe fälscht, kann härter bestraft werden. So sieht sozusagen das Maßnahmenpaket aus. Und da sagen Sie, ist zu wenig, ist zu inkonsequent. Aber zumindest wie Robert Habeck sagt, es ist rechtssicher.

[0:30:25]

Alexander Kekulé

Es war vorher auch rechtssicher. Das ist totaler Unsinn, was die da sagen. Also, es ist so, da ist ein zusätzlicher Paragraf eingefügt worden. Also das eine ist. Man muss es ja nicht so juristische aufdröseln. Aber an der Stelle muss man es vielleicht doch mal erklären.

Es gibt den 28 A. Da hat man einfach nur aus Absatz eins alles in einen neuen Absatz sieben kopiert und gesagt, das dürfen alle machen, auch wenn die nationale Lage nicht besteht. Und dann hat man ein paar Sachen neu eingeführt, und die sind vernünftig. Die sind aber ein anderer Paragraf. Das ist 28 B. Da steht das drin, was Sie gerade gesagt haben, diese bundeseinheitlichen Maßnahmen. Das ist ja so gelaufen, den gab es zunächst mal nicht. Und am Montag letzter Woche gab es dann die Anhörung mit den Fachleuten. Da ist es scheinbar allen wie Schuppen aus den Haaren gefallen. Dass man plötzlich gemerkt hat einen Moment, das ist ja hier alles viel zu wenig. Weiß nicht, ob die Kanzlerin auch noch hinten rum was gemacht hat oder andere Leute. Jedenfalls ist dann im Hauptausschuss des Deutschen Bundestags quasi in der Nachbearbeitung dieser Gesetzesvorlage 5 Minuten vor zwölf oder andersherum gesagt, zwei Tage vor der Abstimmung noch schnell dieser 28 B reingebastelt worden. Den hätte man so oder so machen können. Und das ist der beste Teil des Gesetzes. Das ist sinnvoll. Dass man eben 3G am Arbeitsplatz hat. Wo ich nicht so einer Meinung bin, ist das 3G im öffentlichen Nahverkehr. Da bin ich, das halte ich für nicht praktikabel. Ganz

pauschal gesagt. Aber zum Beispiel 3G in Flugzeugen und in der Bahn im Fernverkehr halte ich für sinnvoll. Und deshalb meine ich diesen 28 B hätte man einfach einbauen können und sagen können, passt mal auf Leute. Die epidemische Lage ist nicht zu Ende. Es gibt auch keine Gesetzesbegründung, die da sagt, wir haben so toll geimpft. Deshalb können wir uns jetzt mehr Freiheiten leisten. Sondern es ist schlimmer als je zuvor. Deshalb ergänzen wir die nationale, epidemische Lage von nationaler Tragweite. Das ergänzen wir durch ein neues Maßnahmenpaket, was bundeseinheitlich gilt. Man hätte im Grunde genommen nur diesen 28 B einfügen müssen. Das wäre dann auch von, sag ich mal... die Signalwirkung des Ganzen wäre gewesen, hätte man gesagt, wir schärfen jetzt nach. Aber hier dieses einerseits andererseits und diese verquasten Sätze, wo man so Sachen begründet, die einfach nicht zu begründen sind. Das ist für mich ... Das ist für mich, möchte ich fast sagen, einer modernen Demokratie nicht würdig.

[0:32:49]

Camillo Schumann

Deutliche Worte. Ist dieser Instrumentenkasten jetzt eine gute Grundlage, damit die Länder gut durch den Winter kommen?

[0:32:58]

Alexander Kekulé

Die Länder wissen sich ja selber zu helfen. Da gibt es ja noch die kleine Übergangsregelung. Alles, was jetzt sozusagen noch ganz schnell beschlossen wird aufgrund des alten Status, also epidemische Lage nationaler Tragweite. Das darf fortgeführt werden bis Mitte Dezember. Ich meine, da gibt es sogar noch mal eine Verlängerungsmöglichkeit. Das habe ich jetzt gar nicht so genau im Kopf. Und deshalb beschließen die Gesetzgeber, das darf er dann der Verordnung, Entschuldigen, der Verordnungsgeber, also, das dürfen die Landesregierungen ja selber machen, das beschließen. Das ermuntert dann in Bayern und Sachsen und so die Landesregierungen noch schnell auf Basis

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der alten Regelung was ... Weil damit haben sie zumindest mal bis dahin ihr Schäfchen im Trockenen. Und das sind ja natürlich die Hauptbetroffenen, die Interesse daran haben, dass sie noch den vollen Instrumentenkasten benutzen können.

[0:33:43]

Camillo Schumann

Das haben sie ja auch gemacht. Sachsen und Bayern dann letzte Woche. Die noch auf den letzten Drücker ... In Sachsen sind zum Beispiel Kultureinrichtungen dicht, Bars, körpernahe Dienstleistungen, Restaurants nur mit 2G bis 20 Uhr, also Sachsen und Bayern haben dieses kurze Zeitfenster noch genutzt, weil es danach nicht mehr möglich ist, adäquat auf die Entwicklung der Pandemie zu reagieren?

[0:34:03]

Alexander Kekulé

Ja, das ist ja so. Der Deutsche Bundestag wird sich mit der Sache noch einmal befassen und muss halt dann, und das wird so sein, spätestens Anfang Dezember, je nach Entwicklung der Situation. Da wird er das Gesetz entweder nachschärfen oder eben dann so belassen. Das wird man dann sehen. Also wenn mein Weihnachtswunsch in Erfüllung geht, dann könnte es ja sein, dass die Fallzahlen von selber wieder runter gehen. Die Frage ist, wieviel Tote wir dann sozusagen zu beklagen haben und wie viel davon eigentlich vermeidbar gewesen wären. Aber rein dynamisch gesehen, ist es möglich, dass die Sache sich noch, bevor der Winter zu Ende ist, wieder nach unten, die Infektionszahlen wieder nach unten bewegt. Aber es ist ganz klar und auch vorgesehen, dass man sich dann noch mal zusammensetzt selbstverständlich. Und der Gesetzgeber kann dann nochmal tätig werden. Es ist nicht mehr so einfach wie vorher, weil natürlich, das ist ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Das heißt also, Sie brauchen eine Bundesratszustimmung und bis so was dann am Schluss der Präsident unterschrieben hat, da vergehen auch noch ein-

mal paar Tage. Und wirksam ist es mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Das heißt also, es ist viel komplizierter als vorher. Wo zum Beispiel, auch wenn die Sache zu Ende ist, der Bundestag einfach per Abstimmung gesagt hätte, die pandemische Lage ist zu Ende, Punkt. Und dann wäre eben quasi alles wieder unwirksam gewesen. Ich glaube, die Länder wissen sich schon zu helfen. Und es gibt ja noch ein ganz anderes Schlupfloch. Wenn da so immer gesagt wird von einigen Parteien eben, ja, wir haben jetzt mehr Demokratie, weil der Deutsche Bundestag redet da persönlich sozusagen mit rein ständig. Ja, das stimmt natürlich. Die Sache wird dadurch öffentlicher vielleicht diskutiert. Aber es ist natürlich schon so, was übersehen wird. Die Behörden können, Sie haben es vorhin gesagt, die können im Einzelfall entscheiden wie bisher. Die können machen, was sie wollen. Es ist übrigens auch dieser erste Paragraph 28 A, der nur gilt in der epidemischen Lage. Der ist ja nicht gestrichen worden. Und all diese Instrumente und noch mehr kann das Gesundheitsamt sowieso verfügen, wenn es im Einzelfall sozusagen sagt, also diese Flaniermeile hier, da sind jetzt schon an drei verschiedenen Kaufhäusern massive Ausbrüche gewesen. Wir sperren die ganze Fußgängerzone, das kann das Gesundheitsamt sofort machen. Und zwar ganz lokal, die Behörde selber. Und das können dann nur die Verwaltungsgerichte stoppen. Oder wenn jetzt in irgendeiner Großstadt man feststellt, in so einem Partydistrikt. Da sind einfach in zwei Diskotheken, in zwei Clubs irgendwelche Ausbrüche gewesen. Und dann sagt man, ja die Besucher frequentieren dann an einem Abend typischerweise mehrere von diesen Clubs. Dann sperren wir die, oder gar das ganze Viertel. Oder in einem Bezirk alle Schulen zumachen. Das kann das Gesundheitsamt ohne weiteres. Und dann zu sagen, ja, aber wir haben verhindert, dass das jetzt noch flächendeckend geht. Ja, das wäre natürlich nicht so toll, so etwas immer im ganzen Bundesland automatisch zu machen. Aber ich habe nicht so den Eindruck gehabt, dass die Bundesländer in letzter Zeit das noch so vorhatten. Und mir wäre es lieber

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gewesen, wenn das quasi auf Landesebene entschieden wird. Wie bisher. Dann muss das ja der Verordnungsgeber des Landes machen. Wenn jetzt jedes Gesundheitsamt schalten und walten kann, wie es will, dann ist das für mich eigentlich nicht mehr demokratische Kontrolle, sondern unter Umständen weniger. Je nachdem, wie die dann ihre Möglichkeiten nutzen.

[0:37:27]

Camillo Schumann

Okay, unterm Strich mal dazu zu sagen. Es gibt Maßnahmen, die ergriffen werden können. Die einzelnen Länder können sich aus diesem Maßnahmenkatalog ja auch bedienen. Aber am Ende entscheidet jedes Gesundheitsamt für sich, und das kritisieren Sie?

[0:37:43]

Alexander Kekulé

Diese harten Maßnahmen. Die kann das Gesundheitsamt entscheiden. Und die für die Länder, was die Länder machen können per Verordnung. Da sind sozusagen die Zähne gezogen worden. Und ich meine, das .... Wir haben ja sonst eigentlich immer das umgekehrte Prinzip in der Gewaltenteilung. Da sagen wir immer, dass die schärfer eingreifenden Maßnahmen eigentlich weiter oben angesiedelt sein müssen und im Zweifelsfall direkt vom Gesetzgeber legitimiert sein müssen. Das ist jetzt sozusagen das schärfste Instrument ganz unten, wenn Sie so wollen, in der operativen Basis sozusagen liegt bei der Exekutive. Das gefällt mir an der Struktur nicht. Aber das hängt natürlich sehr davon ab, wie die Gesundheitsämter das dann machen. Und die Verwaltungsgerichte sind ja notfalls auch noch da. Aber vielleicht um was Positives zu sagen. Es gibt schon eine ganz wichtige positive Sache. Also es ist wirklich ... Das ist dieser 28 B im Infektionsschutzgesetz, der neu eingefügt wurde. Also es war lange überfällig, dieses 3G am Arbeitsplatz. Wenn wir uns ans letzte Jahr erinnern. Das war doch eine Katastrophe, dass wir alle möglichen Bereiche geregelt haben, mit

Lockdowns und die ganze Republik quasi gelitten hat. Nur am Arbeitsplatz gab es überhaupt keine scharfen Regelungen oder nur Empfehlungen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Das ist jetzt anders. Und das ist die richtige Maßnahme. Sie kommt spät, sie kommt für mich ehrlich gesagt überraschend. War ja auch bis Montag noch überhaupt nicht in der Diskussion und wurde dann erst, am Donnerstag war Abstimmung im Bundestag und am Mittwochnachmittag, meine ich, lag das Ding dann vor. Das heißt also, das war sehr mit heißer Nadel gestrickt. Aber da gab es im letzten Moment scheinbar so eine soziale Dynamik. Das gibt es ja manchmal auch bei Politikern. Dass die dann in Berlin plötzlich gesagt hat, das machen wir, das finde ich zum Beispiel sehr gut. Ich finde es auch richtig, dass man dieses 3G im Fernverkehr hat und im Flugzeug. Ich finde es auch sehr gut, dass es da auch noch mit drinnen, das im medizinischen Bereich und im pflegerischen Bereich jeder getestet werden muss, also die, die geimpft sind. Die müssen sich dreimal, bis zu dreimal die Woche selbst testen, wenn sie in diesem Bereich arbeiten, also in der Altenpflege zum Beispiel oder im Krankenhaus am Patienten. Und die, die nicht geimpft sind, müssen täglich getestet werden, und zwar nicht per Selbsttest, sondern unter Aufsicht. Das ist da ja eine Impfung. Sie wissen, ich bin eigentlich für eine Impfpflicht in diesem Bereich. Aber da man da, so war es ja, nicht so schnell eine Wirksamkeit zeigen würde, ist jetzt diese sofort geltende Maßnahme „täglich testen“, wenn man nicht geimpft ist und dreimal die Woche testen, wenn man geimpft ist. Das ist vollkommen richtig. Also das ist so ein Teil da drinnen, wo ich sage, super, dass das durchgekommen ist. Das könnte uns viele Tote ersparen.

[0:40:32]

Camillo Schumann

Wir haben ja gesagt Sachsen und Bayern haben noch das Zeitfenster genutzt, noch schnell ihre Corona-Verordnung nach den alten Regelungen anzupassen. Und eine Maßnahme war unter anderem, in Bayern und Sachsen sind die

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Weihnachtsmärkte geschlossen worden, ganz hopplahopp. Aber das ist natürlich eine Katastrophe für die Händler, die ja viel bezahlt haben, viel Ware eingekauft haben. Die Frage ist nur, ist diese Maßnahme verhältnismäßig. Und in Thüringen, wo die Inzidenzen ähnlich hoch sind, da hat zum Beispiel Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach, ihren Weihnachtsmarkt offengelassen. Und sie will ihn auch offen lassen mit folgender Begründung.

[0:41:12]

Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach

Wir haben einen wunderschönen Marktplatz, der den Vorteil hat, dass er sich sehr schön auch abgrenzen lässt. Dadurch, dass er quadratisch ist, sehr einfach umzäunt ist und wir von Anfang an sehr konsequent auf die 2G Regelung gesetzt haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Freien mit Maskenpflicht und einer 2G Regel wirklich auf Nummer sicher gehen. Und ich habe die Sorge. Und das will ich auch unumwunden so sagen, dass, wenn wir die Chance für Geimpfte verbieten, sich zu treffen, dass man am Ende in einen privaten und eben unkontrollierbaren Raum sich zurückzieht. Oder anders ausgedrückt. Wenn es die Weihnachtsmärkte im Freien nicht gibt, dann ist meine Sorge, dass man sich im Partykeller oder in der Garage trifft, wo das Risiko einer Ansteckung viel, viel höher ist. Das halte ich persönlich für den falschen Weg.

[0:41:57]

Camillo Schumann

Und man muss dazusagen, vor der Kabinettssitzung in Thüringen ist so ein Entwurf für eine neue Corona-Verordnung des Landes bekannt geworden. Demnach sollen auch in Thüringen die Weihnachtsmärkte untersagt werden. Ist das verhältnismäßig?

[0:42:09]

Alexander Kekulé

Schwierig. Also Verhältnismäßigkeit ist ja so ein Prüfungs-Grundsatz, den die Gerichte, die Verwaltungsgerichte, das Verfassungsgericht ansetzen. Zunächst einmal geht es um die Frage, ob man die Maßnahme nicht mit anderen Mitteln, und das ist das Ziel, nicht mit anderen Mitteln, die weniger eingreifend sind, erreichen könnte. Und da, wenn Sie mich da so direkt nach der Verhältnismäßigkeit fragen, würde ich sagen Nein, weil es andere meines Erachtens geeignetere Mittel gibt. Das müssten aber letztlich wahrscheinlich die Betreiber selber sagen, ob das ginge. Also ich sag mal, so ein Weihnachtsmarkt, unter welchen Bedingungen man den laufen lassen könnte. Das erste hat die Bürgermeisterin hier gerade eben völlig richtig gesagt. Dass ist notwendig, dass man eine Kontrolle über den Zugang hat. Das geht nicht überall. Aber wenn es geht, dass man sagt, okay, wenn das zu voll wird, dann können wir zumachen. Dann, das ist schon mal eine ganz wichtige Voraussetzung. Das muss natürlich dann auch in der Praxis überwacht werden. Das Gesundheitsamt muss meines Erachtens vor Ort sein. Und wenn man dann sieht, dass so ein Abstand von 1,5 Metern ungefähr in der Größenordnung nicht mehr einzuhalten ist, dass die Leute sich wirklich drängen. Da muss man eben vorübergehend den Zugang beschränken, bis wieder weniger Leute da sind.

Das zweite, was unmittelbar damit zusammenhängt, mit diesem Abstand im Freien, ist. Ich bin überhaupt nicht dagegen, alkoholische Getränke auszuschenken. Weil meine Erfahrung ist, dass, bloß weil man Glühwein oder Grog oder sowas ausschenkt, jetzt nicht alle da betrunken sich in den Armen liegen, gerade in Corona-Zeiten. Aber natürlich muss die Aufsichtsbehörde dafür sorgen, dass, wenn es dann dazu kommt, dass sich kleine Gruppen da betrinken und überhaupt nicht mehr die Abstände einhalten und sich quasi gegenseitig grölend ins Gesicht spucken. Wenn ich das mal so direkt sagen darf. Dann müssen diese Leute

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halt sehr schnell auch entfernt werden können. Und das muss man konsequent machen. Ich traue es wirklich unseren Behörden zu, dass die so etwas in den Griff bekommen, dann haben wir sozusagen das Thema Abstand im Freien erledigt. Dann muss man die Frage stellen, wie ist es mit Toiletten und Ähnlichem. Da muss man halt relativ großzügige Toilettenanlagen haben, wo es kein Gedränge gibt. Man muss dringend darauf setzen, dass im Innenraum dann auch eine FFP-Maske getragen wird. Und das muss überwacht werden. Das halte ich aber auch für lösbar. Letztlich, weil beim Weihnachtsmarkt ja nun nicht alle ständig auf die Toilette rennen. Das ist ja nicht so ein ganz großes Thema. Und wenn sie die zwei Rahmenparameter kontrolliert haben. Dann ist die einzige Frage, die man noch stellen muss, ist der Weihnachtsmarkt möglicherweise ... Das trifft aber nur in wenigen Städten zu, ist der so eine Art Anziehungspunkt für Leute aus dem Umland, dass man dadurch wesentlich mehr soziale Kontakte auch außerhalb dieses Marktes hätte, weil die extra anreisen, ihre Freunde besuchen oder ähnliches. Ich glaube, das ist eher selten der Fall. Also die meisten Weihnachtsmärkte sind ja so, dass man da nur tagsüber ist und jedenfalls nicht übernachtet. Darum glaube ich, man kann ohne weiteres ein Sicherheitskonzept machen. 2G halte ich für völlig übertrieben. Das ist ja, glaube ich bekannt, dass ich davon nichts halte, weil im Gegenteil die Geimpften und Genesenen dann suggeriert bekommen, ihr müsst keine Angst mehr haben. Ihr tragt nichts zum Infektionsgeschehen bei. Da kann ich nur betonen, dass inzwischen alle auf diese neue, sage ich mal, Überlegungen übergeschwenkt sind, dass es auch eine Welle der Geimpften gibt. Selbst das Robert Koch-Institut hat es inzwischen formuliert an meine Fachkollegen, die zum Teil andere Argumente hatten, da sagen die inzwischen alle, das heißt also diese Idee, das 2G jetzt sicher war, die müssen wir leider aufgeben. Und wenn man aber, wie das jetzt gerade gesagt wurde, vielleicht sogar Maskenpflicht im Freien macht. So habe ich das gehört. Das finde ich jetzt ehrlich gesagt, ein bisschen

übertrieben. Aber wenn man einfach sagt, wir machen 3G und sorgen für einen Abstand und wann immer Innenräumen betroffen sind, gibt es eine FFP 2-Maskenpflicht. Dann könnte man so einen Weihnachtsmarkt durchaus betreiben. Da müssen die Veranstalter sagen, ob ihnen das unter solchen Rahmenbedingungen noch recht ist.

[0:46:12]

Camillo Schumann

Aber es gibt zumindest oder es gäbe ein Fenster aus virologischer, epidemiologischer Sicht zu sagen, wir machen trotz einer hohen Inzidenz ... Wir geben den Menschen zumindest so ein bisschen Weihnachtsgefühl wieder zurück.

[0:46:23]

Alexander Kekulé

Ja, genau. Also ich würde ja gar nicht mit dem Gefühl argumentieren, sondern relativ trocken. Irgendwie damit, wie man die Infektionen in den Griff bekommt. Und wie gesagt, dass es ein mögliches milderes Mittel gäbe, auch bei einer Gerichtsverhandlung, das dann so der Sachverständige erklärt. So ähnlich, wie sie es gerade gemacht hat, was die Alternative ist. Und die Entscheidung muss dann letztlich die Politik oder der Bürgermeister treffen. Aber wie sagt, dass er die Kröte schlucken will oder lieber gleich ganz zumacht. Ich meine, das würde ich dann verstehen, dass man sagt, ja, unter diesen Umständen machen wir den Markt zu.

[0:46:55]

Camillo Schumann

Aber offenbar auch in Thüringen bald die Weihnachtsmärkte vor der Schließung. Herr Kekulé zusätzlich zu den ganzen Maßnahmen, die wir besprochen haben. Im Infektionsschutzgesetz haben ja die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen auf ihrer Konferenz auch noch Maßnahmen beschlossen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich auf neue Schwellenwerte geeinigt. Die können ja auch

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noch mal ganz kurz durchgehend. Steigt der so genannte Hospitalisierungs-Index über einen Wert von drei, gelte flächendeckend im Freizeitbereich die 2G Regelung, also nur noch Zugang für Genesene und Geimpfte. Übersteigt die Hospitalisierungsrate den Schwellenwert von sechs, müssen laut Beschluss Geimpfte und Genesene zusätzlich einen Test vorweisen und ab einem Schwellenwert von neun muss das Instrumentarium des Infektionsschutzgesetzes inklusive Kontakt-Beschränkung voll angewendet werden. Das hat zumindest die Kanzlerin so gesagt. Nun müssen natürlich die Landtage zustimmen. Was halten Sie von diesem Stufenplan?

19 [0:47:52]

Alexander Kekulé

Dass man solche Stufen hat. Ja, das ist ganz in Ordnung. Aber mir hat eigentlich das vorherige Modell besser gefallen. Und ich habe so den Verdacht, dass das Robert Koch-Institut, das kann man ja in letzter Zeit leider viel feststellen, was sie falsch gemacht haben. Aber an der Stelle hatte ich nie den Eindruck, dass die bei ihren Bewertungen das gemacht haben, was der Bundesgesundheitsminister behauptet hat. Dass die Inzidenz quasi ausgedehnt hat als Parameter. Sondern wir haben es eigentlich immer sehr klug gemacht. Wir haben auf die Inzidenz geguckt. Das ist der Parameter, der am schnellsten anspringt, sozusagen das Thermometer, was am schnellsten raufund runtergeht. Und wir haben natürlich hinten dann auch die Hospitalisierung und die Intensivstations-Belegungen oder vielleicht sogar die Sterblichkeiten uns angesehen, weil das Ganze natürlich so eine Dynamik hat, die wichtig ist. Das ist so, als würden Sie beim Autofahren. Natürlich ist es am wichtigsten, das, was direkt vor Ihrer Stoßstange vorne ist. Wenn Ihnen da irgendwie ein Hund oder was vors Auto springt, müssen Sie sofort bremsen. Aber trotzdem haben Sie ja zugleich als routinierter Autofahrer immer den Blick in die Ferne und wissen auch, wenn weiter hinten irgendwo ein fetter Lkw abbiegt, was auf Sie zukommt. Und das macht man ganz organisch. Und deshalb ist

so dieses Rausnehmen jetzt des Langzeitparameters als einzigen ... Die Hospitalisierung ist ja ein sehr träger Parameter, der verzögert reagiert, der auch noch Fehler hat, dadurch, dass jedes Bundesland das anders berechnet, seine eigenen Hospitalisierungen, die da gemeldet werden. Das Robert Koch-Institut hat schon fast in bemitleidenswerter Weise erklärt, sie könnten auch nicht genau sagen, wie diese Zahlen zustande kommen. Und wenn man das alles weiß, und die Fachpolitiker wissen das natürlich. Dann zu sagen, dann machen wir so einen starren bundesweiten Index. Das halte ich mal grundsätzlich für gefährlich. Erstens von der Dynamik her, dass man nicht schnell genug ist. Und zweitens, weil es nicht so vergleichbar ist. Eine wichtige Schwäche ist ja auch das, wenn man sich das genauer anschaut. Sie merken schon, ich habe mir echt die Mühe gemacht, am Wochenende dieses Gesetz und die ganzen Vorschläge mal zu lesen. Also es ist so, und da heißt es ja letztlich, wenn der landesweite Index. Es geht nach Bundesländern. Wenn der landesweite Index diese Schwelle überschreitet, dann muss in einem ganzen Bundesland das und das gelten. Das kann irgendwie als Erfolg gewertet werden. Die Bundeskanzlerin wollte das ja dem Vernehmen nach unbedingt, dass so eine Schwelle in die Länder reinkommt, damit die Länder nicht wieder fuhrwerken, wie sie wollen. Der Nachteil ist natürlich folgender. Wenn Sie eine Region haben in dem Bundesland, wo die Inzidenz echt niedrig ist, weil da irgendwelche braven geimpften Bürger sind, die sonst auch nicht viel Party machen. Jetzt müssen die quasi dann mitleiden, wenn irgendwo anders quasi hohe Zahlen sind, hohe Hospitalisierungs-Inzidenzen sind. Und dadurch kann quasi für das ganze Land eine strengere Maßnahme verhängt werden. Das, glaube ich, wird zu sozialen Verwerfungen und zu Unverständnis führen. Oder aber. Der umgekehrte Fall ist fast noch schlimmer. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Region irgendwo. Ich brauche jetzt mal zum Beispiel im Osten Bayerns, wo halt da wenig Krankenhäuser sind und viele, die sich nicht geimpft haben. Und da geht jetzt alles durch die Decke.

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Und Sie haben wirklich viele, viele Tote dort. Ja, und es sterben die Leute, weil sie lokal nicht mehr ins Krankenhaus kommen. Vielleicht gibt es nur einen Rettungshubschrauber und zu wenig Rettungsfahrzeuge. Da geht es dann wirklich ans Sterben in diesen Regionen. Die müssen vielleicht schon Triage machen. Aber landesweit ist dann vielleicht der Durchschnitt noch so, dass die Inzidenz unterhalb irgendeines Grenzwertes. Lassen Sie die dann munter sterben und sagen, ja wir haben aber andere Regionen in Bayern, wo die Inzidenz noch nicht so ist. Sie merken es schon. Wenn man das mal so ausspinnt, kommt man auf Konflikte. Und deshalb halte ich das letztlich so, wie es jetzt beschlossen ist, eins zu eins für nicht praktikabel. Die Landesregierungen werden da wahrscheinlich ein bisschen nachbessern. Und das Nachbessern hat dann immer den Nachteil, dass jedes Land eben wiederum dann doch macht, was es will. Ob man jetzt also die erste Stufe... Sie haben es ja gerade gesagt. Ab einem Index von drei Hospitalisierungen pro 100.000 ist es ja so, dass man auf 2G übergeht bei Freizeitveranstaltungen. Da halte ich gar nichts von. Das macht epidemiologisch überhaupt kein Unterschied. Im Gegenteil 2G ist Teil des Problems und kann deshalb keine Lösung des Problems sein, weil ja unter der 2G Regel massiv das Virus noch weiter verbreitet wird. Wir wissen, dass die Menschen, wenn sie keine Masken haben, wenn es keine Höchstgrenzen gibt. Dass sie keinen Abstand einhalten und so weiter. Dass die da des Virus verbreiten. Und je mehr Geimpfte wir haben, desto wichtiger ist dieser Anteil. Natürlich. Also bei Stufe drei passiert schon mal nichts. Da kann man jetzt so ein bisschen zynisch sagen, na ja, als Stufe drei haben wir in Deutschland sowieso fast nirgendwo noch. Auch Stufe sechs. Dann, wo Sie 2Gplus Testung haben. Das ist grundsätzlich sehr vernünftig, dass man sagt ... In die Richtung, meine ich, müssen die Maßnahmen gehen, dass man sagt, ab einer bestimmten Inzidenz oder Hospitalisierungsrate, Inzidenz ist hier empfindlicher, da muss man dann zusätzlich testen. Ich hätte mir das sehr

gewünscht, auch für eine automatische Obergrenze bei den Veranstaltungen, dann also Teilnehmer-Obergrenze. Und dann kommt eben die Stufe neun, die wir in einigen Bundesländern meines Wissens schon haben, wo man dann an Kontaktbeschränkungen denken muss. Und das ist ja im Grunde genommen das, wo man jetzt mal drüber reden muss. Ja, da geht es ja letztlich um das ganze Instrumentarium, der letztlich Lockdown auf Raten oder Loch dann durch die Hintertür. Wenn Sie so wollen. Wollen wir das jetzt, dass wir die Inzidenz runterfahren? Ist es jetzt unser Wunsch in Deutschland? Um auf diese Weise das Sterben und die Hospitalisierung zu bremsen? Müssen wir das vielleicht machen, weil wir es anders nicht in den Griff bekommen? Ich glaube, die Diskussion muss man führen. Und da sage ich eben, es wäre besser gewesen, sich sehr stark zu fokussieren bei den Maßnahmen auf den Schutz der Alten. Das heißt also unbedingt die Boosterungen zu priorisieren. Da haben wir hier ja schon drüber gesprochen. Statt jetzt alle auf einmal zu boostern. Zum Beispiel auch bei diesen Tests. Wenn jetzt so viele Vorschriften sind. Wo sich die Menschen testen lassen sollen in allen möglichen Situationen. Ich kann es gar nicht alles aufzählen. Da habe ich ein bisschen Angst, dass da, wo es wirklich wichtig ist, nämlich, dass man in den Altenheimen, das Personal und auf jeden Fall mit PCR-Tests regelmäßig kontrolliert. Und zwar auch die Geimpften. Dass dort ein bisschen aus dem Auge verloren wird oder möglicherweise sogar die Kapazitäten dann nicht reichen. Also deshalb hätte ich mir gerade bei den Tests und bei den Boosterungen wirklich eine stärkere Priorisierung gewünscht. Weil ich einfach Sie wissen, ich war früher Notarzt. Wenn Sie in einer echten Notsituation sind, dann müssen Sie als Erstes das machen, was sofort was bringt. Da können Sie nicht darüber nachdenken, ob der Mensch, der da gerade einen Herzstillstand hat, vielleicht sich nebenbei noch einen Fuß gebrochen hat.

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Camillo Schumann

Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-EhrlichInstituts, hat auf der Bundespressekonferenz am Montag. Ich jedenfalls höre das raus, sich auch für eine Priorisierung der Booster-Impfung ausgesprochen. Wir hören mal kurz rein, vielleicht hören Sie das ja auch raus.

[0:55:09]

Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts

Es ist eindeutig so, dass im Moment angesagt ist, dass sich die Personen boostern lassen, die das können. Wir haben dazu ganz klare Empfehlung. Es müssen die Grundimmunisierung abgeschlossen werden. Wenn das noch nicht passiert. Aus epidemiologischer Sicht ist unbedingt wichtig, dass sich Personen, die gefährdet sind, besonders schützen oder boostern lassen. Dass aber auch die Verantwortung übernehmen, die in Kontakt sind mit Personen, die besonderer Gefährdung unterliegen. Dass insofern sich auch diese Person impfen lassen. Das ist aus virologischer und immunologischer Sicht angesagt.

[0:55:44]

Camillo Schumann

Hören Sie das auch raus?

Alexander Kekulé

Ich war jetzt ganz überrascht, dass das eins zu eins mit dem übereinstimmt, was ich, glaube ich schon seit längerem fordere. Er sagt letztlich durch die Blume, die Personen, die unmittelbaren Kontakt haben, sollen sich impfen. Das ist das Stichwort. Frage, wer hat die Impfpflicht? Und das zweite ist, dass er ganz klar sagt Grundimmunisierung. Und das ist ja das Problem. Wir haben bei der Altersgruppe über 60. Wenn wir da sagen, wir wollen denen eine dritte Impfung geben oder sogar die zweite Impfung bei den Johnson & Johnson Geimpften. Dann sprechen wir im Grunde genommen von einer erweiterten Grundimmunisierung, weil die eben noch nicht ausreichend immun

sind durch die ursprüngliche Impfung. Und da sage ich ja eben das kann man fast sofort machen. Vier Monate ab zu warten nach der zweiten Impfung ist schon das längste. Und wenn man diese Priorität setzen würde, wie Herr Cichutek des gerade gesagt hat, also Grundimmunisierung aller, die gefährdet sind. Und da haben wir ganz viele Menschen eben, die gar nicht immunisiert sind oder noch nicht geboostert sind. Und das ist die Gruppe, wo jede einzelne Impfung ein Leben retten kann, also jede einzelne Booster-Impfung auch ein Leben retten kann. Natürlich, die erste Immunisierung ist extrem wichtig. Da hört man noch mal zwei Stunden darüber reden, was man da alles machen könnte und machen müsste eigentlich, um die Leute zu motivieren. Aber meines Erachtens ist es so, dass man bei den Boosterungen wirklich sagen muss, das hat keinen Sinn, wenn jetzt die Arztpraxen verstopft sind mit 35-Jährigen, die man so wuschig gemacht hat, dass sie jetzt panisch in die Arztpraxis laufen und sagen, ich brauche jetzt aber unbedingt meine dritte Impfung. Und am besten noch, bevor die sechs Monate rum sind und stattdessen dann diejenigen, die über 60 sind, oder über 50, wo auch immer Sie die Grenze ansetzen, dann eben noch nicht geboostert wurden.

[0:57:31]

Camillo Schumann

Absolut. Das ist ja auch traurig zu sehen. Zum Beispiel am Wochenende. Vor dem Impfzentrum Chemnitz. Eine lange Schlange. Ab um sechs standen die Leute da bei Temperaturen um fünf Grad mit heißem Tee. Auch eine ältere Dame oder mehrere ältere Damen neben einer jungen Familie und neben einem 25-Jährigen. Also das ist ja schon verrückt, dass quasi die mit dem höchsten Risiko, sich jetzt diese Schlange anstellen müssen, um einem Impftermin zu ergattern.

[0:57:56]

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Alexander Kekulé

Das ist ohne Worte und liegt aber leider an der politischen, sage ich mal, Kommunikation. Wenn Sie den Leuten Angst machen, dass sie mit 40 irgendwie auch dann sterben könnten. Weil Sie behaupten, der Immunschutz würde nachlassen und dann noch behaupten, dass jüngere Menschen quasi durch die Boosterung was beitragen könnten, um die Epidemie zu dämmen. Es gibt, das kann ich nur noch mal sagen, keine belastbaren Daten. Egal, was die STIKO da gerade empfehlen will. Es gibt keine belastbaren Daten, die veröffentlicht sind, dass man, sage ich mal unter 40, da ist es ganz definitiv, irgendwie einen epidemiologischen Schutz verbessern kann, indem man die Leute boostert. Eigentlich sind die Daten so, dass man klar sagen kann, es gibt eine individuelle Verbesserung des Risikos, also weniger SterbeWahrscheinlichkeit, Hospitalisierungs-Wahrscheinlichkeit ganz klar, über 60. Diese Daten liegen schon ewig auf dem Tisch. Das war überfällig, dass man da nachgebessert hat von der vorherigen Empfehlung, wo es ja Ü70 hieß. Man kann vielleicht auch noch sagen über 50. Da gibt es zumindest Hinweise, dass es dort was bringt, sich boostern zu lassen, um die eigene Sicherheit zu erhöhen. Aber es ist ganz klar. Es gibt absolut keine Daten, die sagen, dass das epidemiologisch was bringt. Und Sie müssen sich das so vorstellen, wenn Sie eben einen boostern der 60 ist, dann haben sie möglicherweise ein Leben gerettet, könnte sein. Und wenn Sie ... Wieviel müssen Sie boostern die 30 sind. Nehmen wir mal an, es gäbe überhaupt so einen epidemiologischen Schutz. Da müssten Sie ja trotzdem Tausende boostern, damit sie irgendeinen epidemischen Effekt haben an der Stelle. Und wenn es nach Boosterung dann doch wieder Impfdurchbrüche gibt, dann müssen Sie 10.000 und Hunderttausende boostern, damit Sie ein Menschenleben am Schluss gerettet hätten. Und deshalb sage ich jetzt mal, warum man hier so mit der Gießkanne vorgeht und seine Kapazitäten verplempert, statt jetzt ganz gezielt diejenigen aus dem Feuer zu holen, die da in der Gefahr sind zu verbrennen. Das kann ich ... Sie merken schon,

das regt mich... Das kann ich nicht mit ansehen.

[1:00:00]

Camillo Schumann

Nicht nur Sie. Auch Professor Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, hat im Fernsehsender Phoenix gesagt, dass sich die vierte Welle durch die Impfung nicht mehr aufhalten lässt. „Es wird uns nicht gelingen, mit Impfungen die vierte Welle zu brechen.“ Also auch ein Plädoyer dafür. Da ist man sich ja eigentlich, was so die Bewertung angeht, von verschiedener Expertenseite eigentlich ziemlich einig?

[1:00:21]

Alexander Kekulé

Nein, leider nicht. Ist es so, dass da andere auch angehört wurden, die andere Positionen vertreten haben. Da nenne ich jetzt keine Namen. Aber das kann man vielleicht schon sagen. Also, es wird ja wohl nicht jeder alle Folgen dieses Podcasts anhören. Aber Cichutek und Mertens, da würde ich mal sagen und Kekulé. Da passt bisher kein Blatt dazwischen. Bei den anderen ist es leider nicht so. Und es ist tatsächlich so, wir haben das Problem, dass wir in der Republik inzwischen viele Leute haben, die unterschiedliche Empfehlungen geben. Auch abweichend von dem, was die drei genannten jetzt manchmal abgeben. Die Politik. Das muss man natürlich auch sehen. Die haben jetzt die Schwierigkeit einerseits, dass sie nicht wissen, auf wen sie jetzt hören sollen und andererseits auch den Luxus, dass sie sich dann dadurch aussuchen können, auf wen sie hören wollen. Und so funktioniert im Grunde genommen unsere Pandemiebekämpfung in den letzten Monaten.

[1:01:13]

Camillo Schumann

Aber wir sind uns alle einig. Geimpft werden muss. Der mRNA-Impfstoff von BioNTech ist ja bei den Deutschen extrem beliebt. Aktuell

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macht der Impfstoff von BioNTech über 90 Prozent der Bestellung aus, so hat es Jens Spahn gesagt. Allerdings steigt die Nachfrage nach Erstimpfung, Booster-Impfung et cetera, sodass jetzt mehr Impfstoff von Moderna ausgeliefert wird und weniger von BioNTech. Nach dieser Ankündigung von Jens Spahn letzte Woche gab es ein Riesenaufschrei in Deutschland. Klar, das hätte man den Arztpraxen besser kommunizieren können. Aber unterm Strich ist der Impfstoff von Moderna ein sehr guter. Und zwar wie gut, das hat Jens Spahn folgendermaßen beschrieben.

[1:01:48]

Gesundheitsminister Jens Spahn

Manche impfenden Ärzte sagen, BioNTech ist der Mercedes unter den Impfstoffen. Moderna ist der Rolls-Royce.

[1:01:56]

Camillo Schumann

Um sozusagen so ein bisschen der Verwirrung in Deutschland mal entgegenzutreten. Wenn jetzt mehr Moderna ausgeliefert wird und weniger BioNTech, ist das kein Problem. Es ist sogar ein Vorteil, oder?

[1:02:08]

Alexander Kekulé

Ja also, ich lache gerade noch über den RollsRoyce. Also Moderna kommt aus USA. Wenn er jetzt gesagt hat, Moderna ist der Chevrolet, dann glaube ich hätte das Bild nicht funktioniert. Aber Mercedes kommt aus Deutschland. Das ist schon mal richtig. Also es ist folgendermaßen. Moderna der Impfstoff ist mindestens genauso gut. Also die die Wirksamkeit von Moderna ist besser als von BioNTech in den Daten. Das muss man mal erstens sagen. Zweitens ist sozusagen der kleine Preis dafür, dass es aber dann häufig so, dass die Reaktogenität stärker ist, also zumindest durchschnittlich. Das heißt nicht, dass jeder Einzelne dann länger Schmerzen im Arm hat oder länger irgendwie sich ein bisschen schlapp fühlt. Aber, wenn

Sie eine große Statistik mit vielen, vielen Menschen machen, kriegen Sie eine kleine Tendenz bei Moderna Richtung stärkere Reaktogenität, auch Richtung stärkerer Wirksamkeit als bei BioNTech, insbesondere bei älteren Menschen. Und dann sehen Sie dann auch schon, warum das so ist. Klar die Älteren altes Immunsystem, die brauchen den Schupser etwas stärker, dass die Immunzellen da noch was tun. Und bei den Jüngeren genügt eben weniger. Und bei ganz Jungen könnte man vielleicht sogar die Dosis reduzieren. Und in diesem Spektrum sehe ich jetzt überhaupt nicht, da wir ja jetzt gerade vom Boostern sprechen. Das wäre ja eigentlich das Wichtigste, die Ü60er oder von mir aus Ü50er zu boostern. Und da ist Moderna ideal dafür. Das ist genau das Richtige. Und deshalb kann ich nur erst einmal sagen, also, das ist kein schlechterer Impfstoff. Ob das jetzt RollsRoyce oder Mercedes ist, weiß ich nicht. Es gibt natürlich schon das Problem. Also, das ist so ein kleines technisches Problem. Die Moderna Flaschen sind generell, also zumindest bei dem, was in Deutschland ausgeliefert wird. Die haben größere Ampullen. Und dann müssen Sie aus diesen aus diesen Ampullen mehrere Dosen rausziehen. Und weil man ja nicht wegwerfen kann, dass ja nicht aufheben kann, müssten Sie dann mehr Patienten einbestellen für den Tag. Das ist natürlich für eine Arztpraxis, die jetzt nicht nur impfen will, bisschen mühsam. Das heißt also Moderna ist so ein Impfstoff, der gut ist, wenn sie eine große Arztpraxis mit vielen zu Impfenden haben an einem Impftag oder wenn Sie gerade ein Impfzentrum haben. Ich glaube, dass das ein Teil ist, warum die Ärzte lieber BioNTech verimpfen. Ich weiß jetzt nicht, ob das der einzige Grund ist. Aber grundsätzlich, also der Jens Spahn ist ja, hat hier Folgendes gemacht. Er hat gesagt, wir haben einfach jetzt hier eine Ladung von Impfstoff, nämlich die von Moderna, die, aus welchen Gründen auch immer, zuerst verfällt. Das ist ja ein Verfallsdatum drauf. Und dann dürfen Sie das offiziell nicht mehr verimpfen. Und man könnte das privat machen. Aber man darf es nicht mehr machen, wenn es sozusagen staatlich gesteuert ist. Und dann hat

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er eigentlich nur gesagt, lass uns das damals zuerst aufbrauchen. So, wenn ich irgendwie feststelle, dass in unserer Speisekammer irgendwie von den Spiralnudeln noch ganz viele da sind und die Spaghettis irgendwie fast alle sind oder das Verfallsdatum erreicht ist bei den einen. Dann sage ich schon den Kindern, jetzt gibt es nur noch diese Nudeln. Ob die nörgeln oder nicht, ist mir dann egal, weil weggeschmissen wird nichts.

Der Ansatz war definitiv nicht falsch. [1:05:17] Camillo Schumann

Das hat natürlich was Pädagogisches. Aber es kann beim Volk so an wie Rudis Resterampe, dass ist altes Zeug. Gab ja auch kaum Erfahrung, muss man dazu sagen. Der überwiegende Anteil der Menschen haben sich ja mit BioNTech impfen lassen und nicht mit Moderna. Es gab auch keine Erfahrung. War ja ein unbekannter Impfstoff in Anführungszeichen in Deutschland, aber unterm Strich auch im Virologen-Impfschema sehr, sehr wirksam,

[1:05:45]

Alexander Kekulé

Sehr wirksam. Ich kann vielleicht nur Werbung machen. Die Bundeskanzlerin hat es ja quasi, fast hätte ich gesagt, illegal. Also natürlich nicht illegal. Aber entgegen der offiziellen Empfehlungen der STIKO hat die Kanzlerin sich ja schon mit Moderna impfen lassen, weil sie irgendwie auch nicht noch einmal AstraZeneca haben wollte. Übrigens zu einem Zeitpunkt wurde es noch gar nicht empfohlen. Wurde also ... Quod licet Iovi, non licet bovi, sagt man. Das heißt sozusagen, was dem Gott sozusagen geziemt, das darf der Bulle deswegen noch lange nicht machen. Also das Rindvieh noch lange nicht machen. Oder andersherum gesagt, die Obrigkeit nimmt sich manchmal so Dinge raus. Da hat eben die Bundeskanzlerin Sachen gewusst, die andere noch nicht so wussten, dass kurz darauf die STIKO genau das

empfehlen würde. Aber deshalb will ich nur sagen. Es ist keine Kritik an der Kanzlerin. An der Stelle hätte jeder von uns das so gemacht. Aber es ist so, dass ... Umgekehrt wird ein Schuh draus. Sie hat eben Moderna genommen und nicht BioNTech für die heterologe Impfung. Und deshalb kann ich nur sagen, das ist ein Super-Impfstoff. In den USA wird der massenweise verimpft, und es gibt überhaupt keinen Grund, da jetzt das eine oder das andere zu bevorzugen. Einzige Ausnahme und ich meine, das hat vielleicht irgendwie was zu dieser komischen Stimmung beigetragen. Die STIKO hat ja bei ihrer Empfehlung für die Kinder den Fehler gemacht, den sie übrigens bis heute noch nicht erklärt hat, dass sie Moderna und BioNTech in einen Topf geworfen hat, obwohl schon klar war, dass bei jungen Menschen die Herzmuskelentzündungen bisschen häufiger bei Moderna sind. Und das war ein handwerklicher Fehler. Den hat sie jetzt geschickt sozusagen annulliert, ohne es genau zu erklären, indem sie gesagt hat, wir empfehlen Moderna unter 30 generell nicht mehr. Von den Daten her ist es sicherlich berechtigt. Das heißt aber umgekehrt, da ist die STIKO sehr vorsichtig gewesen. Da hat sie mit Sicherheit auch nachbessern wollen diese fehlerhafte Entscheidung bezüglich der Kinder oder der Jugendlichen zwölf bis 17, war es ja. Und das ist jetzt eine besondere Vorsicht, die sie hier hat walten lassen. Das heißt aber nicht, dass, wenn man über 30 ist, dass man Angst haben muss, dass man eine Herzmuskelentzündung bei Moderna bekommt und bei BioNTech nicht. Das sind extrem seltene Ereignisse, also wirklich super seltene Ereignisse, insbesondere eben bei denen, die dann etwas älter sind. Und wenn man überhaupt ans Boostern dann denkt, dann ist es wirklich so, dass Moderna wahrscheinlich sogar besser ist.

[1:08:14]

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Nicole hat angerufen. Sie ist 47 Jahre alt, seit Juni vollständig mit Moderna geimpft. Seit ein paar Tagen liegt sie mit

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grippeähnlichen Symptomen flach. Nun hat sie folgende Frage ́:

[1:08:28]

Hörerin Nicole

Ein Indiz dafür oder wäre das ein Indiz dafür, dass ich ohne Impfung sehr viel kranker geworden wäre? Kann man das daran festmachen. Wenn man trotz Impfung krank wird, dass das ein Indiz dafür ist, dass man ohne Impfung einfach noch sehr viel kranker geworden wäre? Oder ist es das nicht? Steht das nicht im Zusammenhang?

[1:08:45]

Alexander Kekulé

Kommt drauf an, ob es Covid ist oder nicht. Grippeähnliche Symptome nehme ich einfach mal an. Im Moment haben wir auch eine ganz heftige Erkältungswelle. Im Herbst. Dann nehme ich mal an, es wird dann kein Covid sein. Und Nein, das macht dann nach so einem langen Abstand keinen Unterschied mehr. Also es ist so, dass so eine Impfung, die so relativ stark reaktogen ist wie bei diesen RNA-Impfstoffen, schon so einen kleinen Streueffekt hat. Das heißt also, wenn man gegen das eine geimpft wurde, gerade wenn das so eine Atemwegsinfektion ist. Kann schon sein, dass die Aktivierung des Immunsystems dazu führt, dass man dann kurzzeitig auch gegen andere Atemwegserreger etwas besser geschützt ist. Und dass das etwas harmloser verläuft. Das ist keine allgemeine Regel, aber man beobachtet das bei einzelnen Kombinationen. Aber hier ist es schon zu lange her. Das wäre ein Effekt,

den man nur in den ersten Wochen erwarten würde, vielleicht ein paar Monate. Aber hier ist es so. Es kommt auf die Frage an, ob jetzt spezifische Antikörper, spezifische T-Zellen sich gebildet haben, also diese sogenannte erworbene Immunität quasi ausgebildet wurde. Und die ist dann so spezifisch, dass die nur gegen das Sars-Cov-zwei geht nach der Impfung. Dass sie deshalb jetzt bei anderen Erregern keine Rolle spielen dürfte.

Camillo Schimann

Und wenn es Corona wäre?

Alexander Kekulé

Also da kann ich sagen, sowohl aus meiner ärztlichen Tätigkeit als auch aus meinem persönlichen Umfeld. Alle sind krank, irgendwie ist es... Fast hätte ich gesagt, ganz gruselig zurzeit. Also ich kenne, erlebe ständig Menschen, die tatsächlich Covid haben, und zwar teilweise geimpft, teilweise ungeimpft. Und da kann man nur sagen, bei denen, die geimpft sind, ist es so, dass in mehrerer Hinsicht, die Krankheit viel harmloser verläuft. Das eine ist, dass man tatsächlich sieht. Ich verteile dann immer so Sauerstoff-Messgeräte in meinem ärztlichen Umfeld, wo man feststellen kann, ob der Sauerstoffspiegel abfällt. Das ist zu Hause nicht ganz sinnlos, weil man dann frühzeitig sieht, wenn man vielleicht doch lieber ins Krankenhaus sollte, wenn man isoliert, wenn man in Isolierung ist. Und da muss ich sagen, bei den Geimpften ist es nicht zu vergleichen. Also denen geht es wesentlich besser, auch wenn sie natürlich so grippeartig krank sind. Und das andere, was ich ziemlich wichtig finde aus meiner Beobachtung, das ist. Wir haben natürlich alle irgendwie Angst vor diesem Covid. Ja, das ist ja jetzt eine Sache, das ist unheimlich. Da sehen wir, die Leute sterben dran. Und wenn man dann irgendwie die Informationen kriegt, jetzt habe ich Covid und ich bin nicht geimpft. Das fühlt sich einfach viel, viel schlechter an, als wenn man weiß, ich bin wenigstens geimpft, wird schon nicht so schlimm sein, verlaufen. Und das ist ja auch von den Zahlen her völlig klar. Das war jetzt gerade, wie Sie sicher gemerkt haben noch einmal der Aufruf, sich impfen zu lassen.

Camillo Schumann

Wie misst man denn zu Hause seinen Sauerstoffspiegel?

Alexander Kekulé

Ach so ja, da gibt es diese Dinger, die heißen Pulsoximeter, die technisch gesehen... Bei uns

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in der Familie heißt das Ding immer das Krokodil, weil es so etwas ist. So etwas Kleines ist das, was man an den Finger dran klemmt. Es hat so ein Maul wie ein Krokodil so ein bisschen, und da ist eine Batterie drinnen. Und da kann man dann nach ein paar Sekunden sehen, wie der Puls ist und wie die Sauerstoffsättigung ist. Und das haben einige amerikanische Kollegen generell empfohlen für die Überwachung zumindest von Risikopersonen, wenn sie zu Hause sind und infiziert sind, weil man dann feststellen kann, wann der Sauerstoff-Spiegel in einen Bereich, die Sauerstoffkonzentration, in einen Bereich geht, wo man doch lieber mal ins Krankenhaus sollte. Oder zumindest mal ein Arzt ruft, dass er mal draufschaut. Weil das Tückische bei Covid ist, dass man diesen Moment leicht verpassen kann. Also es gibt Leute, die dann ... Gerade so nach fünf bis sieben Tagen, wo die sich besser fühlen. Und aber in Wirklichkeit sind es so Kompensationsmechanismen. Sie atmen dann schneller, ohne es zu merken, atmen dadurch relativ viel Kohlendioxid ab. Dadurch ist es so, dass von der Steuerung des Kreislaufs her ein relativ schlechter Sauerstoffspiegel noch irgendwie kompensiert wird. Und das kann dann relativ schnell innerhalb von zwei Tagen so umkippen, dass die dann intensivpflichtig werden. Und weil man natürlich diesen Moment lieber nicht erleben will, sondern vorher lieber Sauerstoff im Krankenhaus bekommen will und die meisten Leute ja keine Sauerstoffflaschen neben dem Bett im Schlafzimmer stehen haben ist dieses Krokodil oder dieses Pulsoximeter zumindest bei Risikopatienten meines Erachtens sinnvoll. Und wer da so die Grenze, da gibt es verschiedene Studien, also die Vorsichtigen ... Wenn ich das so pauschal sage, 90 Prozent Sauerstoffsättigung. Wenn es nicht weiter runter geht als bis dahin, ist es gut. Natürlich, jetzt unter Ärzten würde man diskutieren, ob 87 oder so nicht auch noch gut ist. Aber ich würde mal so allgemein sagen, wenn jemand jetzt nicht selber Arzt ist und nicht gerade der Nachbar oder der Ehemann oder die Ehefrau Arzt ist. Dann würde ich sagen, ab 90 Prozent ist es Zeit, mal den ärztlichen Bereitschaftsdienst anzurufen

und entscheiden zu lassen, ob man ins Krankenhaus muss oder ob man es noch weiter zu Hause beobachtet. Also ab 90, nicht darunter. Ab 90 abwärts. Also 100 Prozent ist quasi der Bestwert. Die meisten Erwachsenen haben, wenn sie liegen und nicht gerade vorher am Fenster tief durchgeatmet haben, so was zwischen 95 und 97 Prozent Sättigung. Hängt auch ein bisschen von den Geräten ab. Die sind unterschiedlich genau, natürlich. Ehrlich gesagt, je teurer, desto genauer ist an der Stelle meistens der Fall. Aber wenn man gerade diese Ungenauigkeit der Geräte miteinbezieht, würde ich sagen, also die man sich so als Privatmensch eventuell kaufen will oder leihen will. Da würde ich sagen, alles, was unter 90 Prozent ist, sollte Anlass geben, mal mit einem Arzt zu sprechen.

Camillo Schumann

Weil wir gerade den Preis jetzt genannt haben. So um die 30 Euro kostet so was.

Alexander Kekulé

Okay, das wusste ich. Es nicht also... Das sind dann wahrscheinlich, die muss man zurückgeben. Das war viel teurer. Aber es gibt eben verschiedene. Das kann man sich ja mal anschauen. Ich will jetzt keine Werbung für irgendetwas machen. Aber es soll auch nicht dazu führen, dass man es bis Ultimo zu Hause aushält. Aber gerade weil Covid doch irgendwie Angst macht. Ja, und dann hat man eigentlich nur eine Grippe. So etwas, was man von jedem Jahr kennt und wo die meisten Leute ja sagen, das stehe ich jetzt mal durch. Und mit Covid kommt halt dieser Angstfaktor dazu, auch bei jüngeren Menschen. Und darum finde ich, wenn man so wirklich sieht, quasi schwarz auf weiß. Meistens ist es rot auf Schwarz. Dass die Sauerstoffsättigung noch okay ist. Dann weiß man, naja, es ist nichts. Ich bin offensichtlich keiner von den Patienten, die also dann ins Krankenhaus müssen. Umgekehrt wird es auch in den Studien so diskutiert in den USA. Man entlastet natürlich auch ein bisschen die Krankenhäuser, weil jeder, der da reinkommt, der muss natürlich erst einmal untersucht werden.

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Und das ist für einen Arzt. Gerade wenn dann jetzt vielleicht nicht so erfahrener Arzt da gerade Aufnahme-Dienst hat. Für ihn ist es auch immer schwierig, jemanden nach Hause zu schicken. Und deshalb ist diese häusliche Kontrolle des Sauerstoffpartialdruck eigentlich nicht völlig sinnlos. Übrigens keine Empfehlung, die jetzt nur von mir wäre. Es gibt auch viele deutsche Lungenfachärzte, die darüber schon diskutiert haben.

[1:15:51]

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 247. Vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage und wollen was wissen, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 20. November 2021 #246: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 20. November 2021

Verteilt sich der Impfstoff besser, wenn am Arm gerüttelt wird?

Sollte man Corona-Patienten mit Höhensonne behandeln?

Welche Impfstoffe haben die meisten Durchbrüche?

Droht eine Triage wegen Influenza-Patienten?

Sollte man nach Astra und Moderna nun mit BioNTech boostern?

Sind 2G-Kulturveranstaltungen sicher?

Camillo Schumann

Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:41

Camillo Schumann

Herr B. hat uns gemailt. Er schreibt:

„Ich bin Schauspieler und ab dem 27. November wird geplant, das diesjährige Weihnachtsmärchen i.d.R. als Doppelveranstaltung zu spielen. Jetzt die Frage: Wie verantwortungsvoll ist es, mitten in der vierten Welle Kinder zu Hunderten ins Theater zu bringen, vier Wochen lang? Ich bin arg besorgt. Auch, wenn ich mir

natürlich sehr wünschen würde, dass alles normal wäre. Ist es aber nicht. Viele Grüße, Herr B.“

Alexander Kekulé

Also, das wird man dann sehen, wie das dann am 27.11. ist. Das ist ja nicht mehr lange hin. Wenn die Inzidenz so weiter nach oben geht – also, natürlich kann man auf gar keinen Fall die Kinder da ohne Maske sitzen lassen o.Ä. Und gerade, wenn es Kinder sind: Die halten ja normalerweise nicht still im Theater. Bei Erwachsenen würde ich sagen: Wenn die ruhig im Theater sitzen, Masken aufhaben alle und sonst so ein bisschen Abstand eingehalten wird, kann man das verantworten. Wenn das Kinder sind, die ja dann natürlich auch nicht geimpft sind alle – hui. Also, ich kann mir vorstellen, ganz ehrlich gesagt – das wird die Behörde ja dann entscheiden – dass höchstens fifty-fifty die Chancen sind, dass das stattfindet.

01:51

Camillo Schumann

Die nächste Frage passt dazu, ist auch schon ein bisschen beantwortet worden. Herr M. aus Leipzig fragt sich so ganz grundsätzlich: Theater, Kino, Museen sind ja alle offen. Aber: Kann man bei der aktuellen, dramatischen Lage noch guten Gewissens Kultur genießen? Wenn ja, wie?

Alexander Kekulé

Also, ich würde mir wünschen, dass ab einer gewissen Veranstaltungsgröße – und da habe ich am Anfang mal so 100 als Grenze ins Spiel gebracht, inzwischen tendiere ich bei den steigenden Fallzahlen eher Richtung 50 – ab einer gewissen Größe von Teilnehmern, dass man wirklich dann die Maskenpflicht wieder hat, wenn es irgendwie geht. Oder eben alle testet, die Möglichkeit gibt es natürlich auch. Also, wenn man jetzt, was weiß ich, eine Party hat o.Ä. – auch im privaten Bereich – und sagt: Das sind also dann mehr als diese 50 Leute. Dann teste ich eben wirklich alle vorher. Ich glaube, in diese Richtung wird es gehen. Also, dass man wie bisher 2G-Veranstaltungen hat, wo man sagt, da gibt es quasi keine Obergrenze, und Tausende dürfen da zusammen alle ohne Maske, ohne Abstand: Das war gestern. Ich glaube, das hat die Politik jetzt endlich auch

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verstanden, auch die Fachleute, die sie beraten. Und damit glaube ich, ist das relativ klar, dass auch im kulturellen Bereich es so sein wird: Wenn man irgendwo ruhig sitzt, einer Veranstaltung folgt – ein Konzert oder ein Theater – und die Teilnehmer haben Masken auf, dann glaube ich, ist es zu verantworten. Und wenn es aber so ist, dass das unvermeidbar ist, dass es Kontakte gibt, dann geht es eben nicht mehr.

Camillo Schumann

Verstehe. Bei 50, na gut, da lohnt sich die Veranstaltung i.d.R. dann auch nicht mehr.

Alexander Kekulé

Naja, ab 50 dann eben die Maske. Also, wenn Sie jetzt so ein Theater mit, was weiß ich, da sitzen dann vielleicht 300 drin, dann müssen alle eine Maske aufhaben. Und dann müssen Sie eben vor allem überlegen, wie Sie dann die Pause gestalten. Weil: Für viele ist ja im Theater die Pause das Wichtigste, wo man dann die anderen mit dem Abo Blau alle trifft wieder. Und das ist der Teil, da habe ich ein bisschen Probleme mit. Aber ich glaube, da sind wir in Deutschland inzwischen relativ gut, solche Sachen zu managen. Und dann gibt es eben nur irgendwelche Care-Pakete statt dem üblichen Glas Sekt oder was auch immer da sonst gereicht wird.

Camillo Schumann

Okay. Also, wenn ich es richtig verstanden habe: Bis 50 Personen ohne Maske und getestet und ab 50 Personen getestet und mit Maske.

Alexander Kekulé

Bis 50 kann man meines Erachtens das 3G weiterhin machen. Und ab 50 ungefähr – weiß nicht, ob man jetzt mit 100 erstmal anfangen will oder gleich mit 50. Das muss dann eine Behörde vielleicht auch im Einzelfall entscheiden. Da würde ich dann sagen: Das ist die Grenze, wo man dann entweder alle Maske oder alle getestet, einschließlich der Geimpften.

04:23

Camillo Schumann

Wie sieht es mit Weihnachtsmärkten aus? Können die noch gehen?

Alexander Kekulé

Ja, Weihnachtsmarkt: Wenn es im Freien ist und man eine Überfüllung vermeiden kann – also, man braucht eine Zugangskontrolle, das ist ganz wichtig. Das haben ja viele Märkte nicht, wo man von allen Seiten rein kann. Aber wenn man die Möglichkeit hat beim Weihnachtsmarkt, zu sagen: Okay, wir können, wenn es zu voll wird, einfach zu machen, wenn wir sehen, da staut es sich an den Ständen, die Leute kommen nicht mehr aneinander vorbei. die ganzen Truppen von Glühwein-Beseelten sind zu nah aneinander im Freien. Wenn man da eingreifen kann an der Stelle, dann bin ich dafür, dass man die Weihnachtsmärkte macht. Und ich habe auch keine Bedenken im Freien grundsätzlich. Es gibt natürlich viele Weihnachtsmärkte, die haben dann doch so Abteilungen, wo man irgendwo reingehen kann. Das müssen sie dann im Grunde genommen schließen in der jetzigen Lage. Das ist nicht vereinbar.

Camillo Schumann

Weihnachtsmarkt in Leipzig z.B.: Der wird öffnen, aber es wird keinen Glühwein mit Alkohol geben. Ist das z.B. so eine Variante?

Alexander Kekulé

Ganz ehrlich gesagt: Also, ich sehe das wissenschaftlich. Also, die harte Evidenz, die Studien, die mir zeigen, dass, wenn ich keinen Alkohol ausschenke, dass dann weniger Infektionsübertragungen stattfinden, die gibt es nicht. Das ist mir ein bisschen zu bevormundend. Also, ich würde mir da eher wünschen, dass – und das brauchen Sie ja sowieso. Sie brauchen natürlich in der jetzigen Lage, bei all diesen Großveranstaltungen, mehr Personal, das aufpasst. Da muss dann das Gesundheitsamt da sein. Da muss die Aufsichtsbehörde, Polizei parat stehen, dass man da eingreifen kann. Das ist eine andere Situation als sonst. Und in diesem Fall ist es einfach so: Wenn Sie sehen, das wird voll, da muss ich eingreifen und wenn Sie sehen, das ist eine kleine Truppe von völlig Betrunkenen, die völlig außer Kontrolle gerät, muss ich die eben entfernen. Wenn die Möglichkeit für so ein Eingreifen besteht, dann, finde ich, gibt es doch keinen Grund, allen anderen den Spaß zu verderben, die da ein Glas

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Glühwein trinken wollen. Also, da wird sozusagen tatsächlich dann die große Mehrheit in Sippenhaft genommen für ein paar ganz wenige, die man ja bisher auch entfernt hat. Also, wenn Betrunkene anfangen zu randalieren, kommt ja eigentlich immer die Polizei.

06:33

Camillo Schumann

Herr F. hat angerufen. Er hat sich gerade seine Auffrischungsimpfung abgeholt und dabei folgende Beobachtung gemacht:

„Danach hat mir aber die Krankenschwester in einer Praxis, in der ich vorher noch nie war, am Arm gerüttelt, nachdem sie das Pflaster draufgemacht hatte. Am Arm gerüttelt und gemeint, dass sich der Impfstoff verteilt. Also, sie hat den Oberarm-Muskel so mit der Hand gerüttelt, dass sich der Impfstoff verteilt. Das hatte ich bisher noch bei keiner einzigen Impfung. Ist dieses Vorgehen normal, sinnvoll oder sogar kontraproduktiv? Muss ich jetzt schlimmstenfalls damit rechnen, dass der Booster nicht so gut wirkt?“

Sachen gibt's.

Alexander Kekulé

Ich würde mal sagen, kontraproduktiv ist es nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso es schaden sollte. Aber es gibt garantiert auch keine Studie, die belegt, dass das irgendwas bringt. Also, keine Ahnung, ob man dann am besten mit seinem Motorrad hinterher über eine Schotterpiste fährt, um sich durchschütteln zu lassen. Also, wissen Sie, das ist ja so: So ein Muskel ist ja eine relativ kompakte Angelegenheit, auch bei denen, die nicht besonders trainiert sind. Und da spritzt man jetzt einen halben Milliliter Flüssigkeit rein. Das ist erstmal an der Stelle als kleine Blase. Und das verteilt sich nicht so weit, sondern das ist eine Stelle. Und das spürt man ja auch manchmal, dass es so einen Druck erzeugt, weil das eben sich ausgebreitet hat bei der Injektion. Da können Sie durch rütteln nicht viel machen, sondern das muss so langsam resorbiert werden von den Zellen, die da außen rum sind. Man erzeugt da absichtlich so eine kleine Entzündungsreaktion und der Körper räumt das dann nach und nach weg.

Camillo Schumann

Dann müsste man es ja eigentlich nicht rütteln, sondern eher so langsam massieren, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das wäre dann eine Alternative. Also, ich will jetzt nicht ausschließen, dass wir vielleicht in fünf Jahren eine Studie haben, die sagt, dass leichte Massage über der Einstichstelle einen kleinen Vorteil hat, weil es die Resorption beschleunigen könnte. Das würde ich jetzt nicht völlig ausschließen. Aber wissen Sie: So eine Impfung ist eine Massenveranstaltung. Wir haben ja sogar mal gesprochen über die Frage, ob man den Kolben kurz zurückzieht, aspiriert, um zu schauen, ob man aus Versehen eine Vene erwischt hat. Auch das wird ja gar nicht mehr empfohlen. Einfach, damit es schnell geht und damit es nicht so wehtut und die Leute nicht so lange warten müssen, bis die Nadel wieder aus dem Arm draußen ist. Das heißt also, hier geht es jetzt darum, viele Menschen möglichst schnell zu impfen. Und ob man da 5 % mehr oder weniger Wirksamkeit durch eine kleine Oberarm-Massage hinkriegt oder nicht, kann ja dann jeder selber machen hinterher, wenn er meint. Was ich schon sagen würde, ist: Was ich vermeiden würde, ist, direkt nach der Impfung – weil wir jetzt Winter haben – vielleicht wirklich so ins richtig kalte rauszugehen. Also, direkt danach irgendwie Schlittenfahren oder wirklich länger in der Kälte aufhalten würde ich mich nicht, weil da in der Tat dann diese Resorptionsprozesse in der Muskulatur natürlich auch ein bisschen auf Eis gelegt werden.

09:34

Camillo Schumann

Dieser belesene Hörer hat angerufen und folgende Frage:

„Ich würde gerne wissen, warum eigentlich niemand auf die Idee kommt, die Patienten, die Corona haben, mit künstlichem Sonnenlicht zu behandeln. So, wie man das früher mit den Höhensonnen gemacht hat. Oder mit den Tuberkulosepatienten auf Sonnenterrassen z.B., beschrieben in dem Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann.“

Gutes Buch.

Alexander Kekulé

Ja, also bei Tuberkulose ist es in der Tat so,

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dass Licht was hilft. Das hat aber ein bisschen andere Gründe. Also, es ist in der Tat so, dass es verschiedene Gründe hatte, dass man bei der Tuberkulose in die Berge gegangen ist. Neben der Lichttherapie, die was bringt, ist es auch so, dass die Staubbelastung in der Höhenluft geringer ist. Und darum waren die Lungensanatorien traditionell irgendwo im Gebirge. Hier haben wir ein bisschen eine andere Situation. Also, bei den Menschen, die schwer Corona haben oder wo die Corona-Infektionen aus dem Ruder läuft, ist es ja nicht so, dass wir jetzt unbedingt unser Immunsystem anstupsen müssten, damit das mal was tut, um irgendwelche Bazillen wegzuräumen, wie es vielleicht bei der Tuberkulose der Fall ist. Sondern: Hier geht es ja eigentlich darum, dass die Menschen eine Überstimulation des Immunsystems haben. Also, die, die so schwer krank werden, die haben – der klassische Krankheitsverlauf ist, dass die ein paar Tage lang eigentlich keine so schweren Symptome haben. Manche denken dann nach einer Woche sogar: Es geht mir jetzt besser. Und dann kommt der schwerere Teil, wo es dann plötzlich wieder schlimmer wird. Und in dieser zweiten Phase dieser Erkrankung ist der Hauptschurke, wenn man so will, das eigene Immunsystem, das aus verschiedenen Gründen überreagiert. Und da ist natürlich überhaupt nicht gesagt, dass man da mit Lichttherapie irgendwas erreichen könnte. Und so ganz praktisch gesehen: Im Krankenhaus, also, wenn Sie jetzt Richtung Höhensonne denken, das müssten Sie dann im Krankenhaus auf der Intensivstation einbauen. Ich wüsste jetzt nicht, was das bringen sollte. Was man schon sagen kann – es geht ja in die gleiche Richtung: Es gibt ja immer diese Diskussion: Soll man Vitamin D nehmen oder nicht? Da haben die Studien alle gezeigt – weil: Vitamin D, vielleicht nochmal zur Erinnerung, wird in der Haut gebildet durch Sonneneinfluss. Und im Winter hat man weniger Vitamin D in der Haut. Und die Studien haben eben gezeigt – leider – dass das jetzt statistisch zumindest nichts bringt. Also, es verbessert die Erfolgsaussichten der Covid-Therapie nicht, da zusätzlich Vitamin D zu geben. Aber man kann vielleicht so ganz allgemein sagen, dass es in Mitteleuropa natürlich viele Menschen gibt, die im Winter einen Vitamin-D-Mangel haben, weil sie zu wenig

Licht abbekommen. Und den mal so grundsätzlich zu vermeiden, indem man dann ggf. Vitamin-D-Präparate in der kalten Jahreszeit nimmt, das kann auf gar keinen Fall schaden. Also, sozusagen einen Vitaminmangel vorzubeugen ist immer gut, in Bezug auf alle Infektionskrankheiten. Auch, wenn man mit Vitamin D – sofern der Spiegel normal ist – keine CovidTherapie machen kann.

12:28

Camillo Schumann

Herr B. aus Kitzbühel hat gemailt. Viele Grüße nach Österreich. Er will Folgendes wissen:

„Gibt es Erkenntnisse, bei welchem Impfstoff die meisten Impfdurchbrüche vorkommen? Könnte es generell an der mRNA-Technologie liegen oder haben klassische Totimpfstoffe auch so hohe Impfdurchbrüche? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Also, die mRNA-Impfstoffe haben besonders wenige Impfdurchbrüche, weil die besonders wirksam sind – also, speziell Moderna und BioNTech. Etwas häufiger Impfdurchbrüche gibt es bei AstraZeneca und noch häufiger bei Johnson & Johnson. Das war der Impfstoff, den man nur einmal gegeben hat. Das sind ja die, die bei uns in Europa jetzt im Moment verfügbar sind, sodass man wirklich schon sagen kann – also, Nummer eins ist: Müssen sich alle impfen lassen nochmal, die Johnson & Johnson bekommen haben? Das ist ja inzwischen auch von der Stiko empfohlen. Nummer zwei – dann nicht mehr ganz so hart, die Empfehlung, aber kann man sicherheitshalber auch sagen: AstraZeneca, vor allem Ältere natürlich, das ist das Wichtigste von allem, und bei den moderneren mRNA-Impfstoffen, da ist es so, dass man eine Boosterung eigentlich – aus meiner Sicht – nur bei Menschen über 60 jetzt im Moment unterschreiben kann. Das ist dringend nötig aus medizinischen Gründen. So ist die Abstufung. Und bzgl. der sog. Totimpfstoffe oder dann eher konventionellen Impfstoffe, da gibt es natürlich noch keine Daten, weil: Da müssten ja dann größere Kohorten geimpft worden sein. Und man müsste sehen: Was passiert dann mit der Delta-Variante? Und deshalb wissen wir das noch nicht. Natürlich wird es da auch Impfdurchbrüche geben, das ist eigentlich ganz klar.

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14:02

Camillo Schumann

Herr P. hat angerufen. Er hört den Podcast von Anfang an und hat wegen der nun anstehenden Grippesaison folgende Frage:

„Wenn dieses Jahr die Influenza-Welle stärker ausfällt, wovon alle ausgehen, sollte man dann nicht 2G-Veranstaltungen auch verbieten, weil die zwar vielleicht die Verbreitung von Coronaviren hemmen, aber sicherlich nicht von Influenza. Und: Wenn die Krankenhäuser voll belegt sind, würde es doch quasi zu einer TriageEntscheidung de facto gegen die InfluenzaKranken kommen. Vielen Dank.“

Interessantes Gedankenspiel.

Alexander Kekulé

Das ist wirklich interessant. Das habe ich mir noch nicht überlegt. Also, man kann sich so ein Szenario natürlich vorstellen. Also, eine Sache, vor der alle Fachleute warnen – auch das RKI übrigens ganz explizit, schon länger – ist, dass wir diesen Herbst mit einer relativ starken Influenza-Saison rechnen müssen. Heißt nicht, dass sie kommen wird. Aber wir müssen darauf vorbereitet sein. Und auch gerade bei Kindern vermehrt RSV – also, dieses sog. Respiratorische Synzytial-Virus, über das wir schon mal gesprochen haben. Und das ist auch tatsächlich so, dass wir auf den Kinder-Intensivstationen vermehrt RSV-Fälle jetzt auch sehen in einigen Regionen Deutschlands. Und jetzt hängt das natürlich damit zusammen – das ist ganz klar – dass man jetzt die Öffnungen hatte und die Menschen sich alle getroffen haben in großer Menge, in geschlossenen Räumen, ohne Maske, ohne Abstand, ohne alles. Und dabei haben sich alle möglichen Krankheiten verteilt. In den Kindergärten eben RSV und bei den Erwachsenen eher Covid. Es wäre eigentlich unwahrscheinlich, wenn sich Influenza da nicht mit verteilen würde. Das ist richtig. Und da wir natürlich weniger Schutz haben dadurch, dass viele Menschen letztes Jahr eben keine Influenza abbekommen haben im Lockdown und wo die Maßnahmen strenger waren, muss man vermuten, dass es da zum Anstieg kommt. Das wäre so ein Fall, wo man es tatsächlich mal modellieren müsste. Also, ich bin sonst jetzt so jemand, der eher die praktische Epidemiologie bevorzugt. Aber die Modellierer müssten mal überlegen, wenn man jetzt Influenza und Covid

hat, ob das tatsächlich zu einer relevanten Zusatzbelastung der Krankenhäuser führen könnte. Ich befürchte, dass da was dran ist. Die Frage ist natürlich dann, wenn man es modelliert hat und diese Warnung im Raum steht: Was macht dann die Politik? Die hat ja jetzt schon – auch wegen Corona, was ja das viel größere Risiko im Moment ist – nicht die 2GVeranstaltungen zugemacht, sondern gesagt: Macht mal alle Impfen für die Freiheit. Wenn die jetzt sozusagen wegen Influenza tätig würde, das wäre sozusagen in der Logik nicht mehr kommunizierbar und auch ein bisschen widersprüchlich. Sodass ich befürchte – selbst, wenn sich diese Befürchtungen des Hörers da bestätigen sollten – dass es dann zu einer Konkurrenz kommen könnte bei den Krankenhausbetten. Ich befürchte, das wird keine praktischen politischen Konsequenzen haben.

17:01

Camillo Schumann

Seine Befürchtung war ja die Triage. Und dem zugrunde müsste es ja dann auch ähnlich viele Menschen geben, die auf Intensiv landen, möglicherweise auch daran sterben. Ist denn das zu erwarten?

Alexander Kekulé

Also, wir haben glücklicherweise bei Influenza dieses Jahr – so, wie es jetzt aussieht, das hat sich in mancher Saison schon mal geändert – einen Virustyp, der nicht besonders gefährlich ist. Also, wir hatten bei den Influenzaviren immer dann Probleme mit sehr hohen Sterblichkeiten – bekanntermaßen gab es auch mal, auf dem Papier zumindest, über 25.000 Tote allein in Deutschland in einer Influenza-Saison. Das waren dann immer bestimmte Influenza Typen, die besonders häufig schwere Erkrankungen machen. Im Moment zirkuliert sowas noch nicht. Sodass wir sagen können: Ja, kann schon sein, dass wir – ich sage mal so eine Hausnummer – 3.000 Influenza-Tote dazu bekommen. Das wird aber wahrscheinlich dann nicht dazu führen, dass wir auf den Krankenhäusern wirklich so eine Doppelbelastung haben, die dann zu einer echten Triage führen würde. Also, Triage heißt ja dann definitionsgemäß, dass man einige Menschen, weil sie sowieso keine Chance haben, zu überleben, sterben lässt. Also, das ist sozusagen die Definition von Triage. Dass man die, die nicht mehr zu retten

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sind, einfach sterben lässt, um die effektiv zu behandeln, die noch eine Überlebenschance haben. Da waren wir in Deutschland noch nie. Ich weiß, dass auch sehr geschätzte Kollegen von mir, die Intensivstationen leiten, dass die sowas im Fernsehen dann gesagt haben, dass sie schon eine Triage machen würden. Das war es de facto nie. Wir haben jetzt auch noch lange nicht die Situation, wo wir sowas machen müssen, wie es in Italien am Anfang war bei der Corona-Pandemie. Wir haben die Situation, dass wir lokale Überlastungen haben. Das ist ja auch vorhergesagt worden. Und die können wir in Deutschland im Moment noch ganz gut durch Krankentransporte und Auslagerung in umliegende Krankenhäuser abfangen. Triage fängt ja erst dann an, wenn man die Menschen wirklich nicht mehr alle behandeln kann.

Camillo Schumann

Man muss ja auch mal sagen, dass ja auch Covid-Patienten ins Ausland geflogen werden. Also, deutsche Covid-Patienten schon ins Ausland geflogen werden. Also, da merkt man, dass die Situation in den Krankenhäusern ja mehr als zugespitzt ist.

Alexander Kekulé

Ja, aber das ist eben dann lokal. Also, das müssen Sie sich eher so vorstellen – jetzt ohne, dass ich jetzt konkret da was wüsste. Aber stellen Sie sich vor: In Garmisch, an der Grenze zu Österreich und Italien da unten, da ist jetzt einfach dann ein Ausbruch und das Krankenhaus hat 12 Intensivbetten, die geeignet sind, mit Beatmungsplätzen. Und dann melden sich dann am nächsten Tag fünf Schwestern krank, aus welchen Gründen auch immer. Und dann haben Sie plötzlich die Situation, dass Sie drei Betten weniger besetzen können. Und dann müssen Sie ad hoc schnell zwei, drei Patienten loswerden, weil es halt nicht mehr geht. Und dann rufen Sie natürlich nicht in Hamburg an, sondern – weil das eben meistens auch dann im Sanitätsfahrzeug passiert und nicht mit dem Hubschrauber – nehmen Sie natürlich Krankenhäuser in der Nähe. Und wenn dann in Innsbruck eins frei ist, drüben in Österreich, dann verlegt man eben dorthin. Und wenn dann in Bozen, in Südtirol, was frei ist, verlegt man dorthin. Das hat eher mit der lokalen Nähe dann zu tun. Und mit Praktikabilität. Wir sind als Bundesrepublik insgesamt nicht in der Lage,

dass wir jetzt schon so überlastet wären, dass wir das Ausland um Hilfe bitten müssten.

20:13

Camillo Schumann

Herr N. hat angerufen. Er ist 50 Jahre alt, arbeitet als Psychotherapeut, er ist zweimal geimpft. Er überlegt, sich ein drittes Mal impfen zu lassen. Er ist im April mit AstraZeneca und im Mai mit Moderna geimpft worden. Nun will er logischerweise Folgendes wissen:

„Die Frage ist nun: Soll ich mich grundsätzlich boostern lassen? Meine Tendenz geht schwer in diese Richtung, um mich, meine Patienten und meine Familie zu schützen. Und die spezielle Frage ist: Wäre es sinnvoll, jetzt als dritte Impfung BioNTech zu nehmen? Also, quasi eine dreifache Kreuzimpfung. Wäre das verträglich? Bzw.: Wäre das eben sogar dann wieder noch ein breiterer Impfschutz? Das wäre meine Frage. Danke.“

Alexander Kekulé

Über die Frage, jetzt sozusagen doppelte Kreuzimpfungen zu machen, gibt es keine Studien bisher. Aber man kann so ganz theoretisch sagen: Ja, immer, wenn das Immunsystem mit etwas Neuem konfrontiert wird, was so ähnlich aussah wie das alte, aber ein bisschen anders, dann reagiert es durch Ausweitung sozusagen der möglichen Immunantwort. Das heißt also, es wird ein breiteres Spektrum von Antikörpern und auch speziellen T-Zellen gebildet, die sich dann mit dem Erreger auseinandersetzen können. Das kann man sich entwicklungsgeschichtlich so vorstellen, warum haben wir sowas? Das bedeutet ja normalerweise: Das Immunsystem ist konfrontiert worden mit einem Erreger. Und jetzt kommt der gleiche Erreger nochmal und schafft es aber für das Immunsystem, zunächst mal überraschenderweise die Schleimhäute zu durchdringen und irgendwo im Blut oder sonst wo zu landen. Weil: Eine Impfung landet ja in der Muskulatur. Und jetzt reagiert das Immunsystem eben so, als hätte beim ersten Mal der Immunschutz nicht gereicht. Das heißt, es weitet dann sozusagen das Spektrum aus, weil es sich quasi auf die Situation einstellt, als hätte der Erreger sich ein bisschen verändert. Das machen die Erreger ja, dass sie Varianten bilden. Das ist dann so, als wäre man mit einer Variante infiziert. Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus

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würde ich sagen: Über Kreuz zu immunisieren ist immer gut. Das heißt also, hier jetzt beim nächsten Mal was Anderes zu nehmen, würde ich prinzipiell empfehlen. Wir haben auch tatsächlich Studien, die gezeigt haben – aber nur bei zwei Impfungen. Also, bei der normalen Booster-Impfung haben die gezeigt, dass es sinnvoll ist, über Kreuz zu boostern. Also, wenn man vorher BioNTech hatte, dann Moderna zu nehmen. Oder: Wenn man AstraZeneca hatte, dann BioNTech oder Moderna zu nehmen.

22:39

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen. Sie ist 82 Jahre alt, hat im März ihre zweite BioNTech-Impfung erhalten.

„Ich habe seitdem erhebliche nächtliche Schweißausbrüche, die immer noch anhalten. Meine Frage: Sollte ich die dritte Impfung mit dem Impfstoff Moderna nehmen? Und: Wo kann ich diesen Impfstoff bekommen? Bei meinem Hausarzt wird bloß BioNTech geimpft. Leider kann ich mich nicht so lange in die Warteschlange der Impfteams anstellen. Vielen Dank.“

Alexander Kekulé

Also, das eine Wichtige ist, dass der Hausarzt natürlich schon mal klären muss, was da mit den Schweißausbrüchen ist. Das ist ungewöhnlich, dass nach einer Impfung – solange danach – noch Probleme bestehen. Ja, man kann über Kreuz impfen. Es ist aber so, dass ich jetzt nicht garantieren würde, dass, wenn man wechselt von BioNTech auf Moderna, dann diese Nebenwirkung nicht auftritt. Also: Wenn das jetzt wirklich eine Nebenwirkung der Impfung sein sollte mit den Schweißausbrüchen – was ungewöhnlich wäre, jetzt auch nicht ins bisher bekannte Spektrum passt – dann könnte man nicht garantieren, dass das durch einen Wechsel dann auf Moderna nicht auch stattfindet. Einfach deshalb, weil die Impfstoffe sich bzgl. dieser Nebenwirkungen extrem ähnlich sind. Im Gegenteil: Diese Reaktogenität, wie wir das nennen – also, diese Effekte, die quasi unmittelbar nach der Impfung kommen, wie eben Schweißausbrüche, manchmal sogar Fieber, auch die Schmerzen an der Einstichstelle und so – das ist bei Moderna tendenziell etwas stärker als bei BioNTech. Sodass ich sagen würde: Wenn jetzt der Hausarzt partout nur

BioNTech hat und das andere nicht herbeibringen kann, würde ich mich da jetzt nicht drauf verkaprizieren und sagen: Dann nehme ich halt das BioNTech in dem Fall.

24:31

Camillo Schumann

A. aus München hat angerufen. Sie ist 45, seit Mai mit BioNTech geimpft, also durchgeimpft. Und nun denkt sie auch über eine dritte Impfung nach. Allerdings ist sie sich ziemlich unsicher. Und das nicht ohne Grund:

„Ich habe auf die zweite BioNTech-Impfung sehr stark reagiert mit ganz normalen Erkältungssymptomen, aber eben auch mit Herzrhythmusstörungen. Seit ungefähr zwei Wochen nach der zweiten Impfung habe ich die und sie sind auch immer noch da, sie gehen nicht weg. Relativ starke Herzrhythmusstörungen. Man sieht die auch auf dem EKG. Aber die Ärzte sagen, es ist eben nicht gefährlich. Man muss damit leben. Jetzt wäre meine Frage, nachdem sich jetzt eben die Frage einer Booster-Impfung stellt und ich überlege, ob ich das machen soll, um meine ungeimpften Kinder auch zu schützen und meine Eltern: Ist zu erwarten, dass ich nach dieser Booster-Impfung noch stärkere Herzrhythmusstörungen bekomme? Würde Herr Kekulé dazu raten, trotz dieser Herzrhythmusstörungen überhaupt eine Booster-Impfung zu machen? Oder sollte man das dann lieber lassen und darauf vertrauen, dass man mit zwei vollständigen Impfungen einen guten Schutz hat?“

Alexander Kekulé

Erstens: Das muss man im Einzelfall – jetzt mit den Herzrhythmusstörungen – das müssen natürlich die Ärzte dann dort entscheiden, weil ich das EKG jetzt nicht gesehen habe und all diese Dinge. Das ist wieder das berühmte Beispiel mit einer telefonischen, medizinischen Beratung. Aber ganz allgemein kann ich sagen: Also, jemand mit 45 Jahren, der keine Grunderkrankung hat, der ist mit zwei Impfungen für sich selber von einem medizinischen Risiko her zunächst mal ausreichend geschützt. Das kann man grundsätzlich so sagen. Zweitens ist es so, dass nicht klar ist, ob die Boosterung wirklich bzgl. des Schutzes anderer – also, der Übertragbarkeit der Erkrankung – wirklich was bringt und wenn ja, wie langfristig. Also, ob es dann überhaupt den ganzen Winter halten

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würde, die Kinder quasi indirekt zu schützen, das ist gar nicht geklärt. Drittens ist es so: Die Menschen, die Symptome vom Herzen her entwickeln nach solchen Impfungen – das ist ja eine Minderheit, das ist eine ganz seltene Sache. Das kann man nicht oft genug sagen. Kein Grund, jetzt die Impfung prinzipiell abzulehnen. Aber: Wenn ich jetzt schon weiß, ich gehöre zu so einer Gruppe, dann wissen wir ja nicht – das ist ja wiederum sozusagen das Fragezeichen bei der ganzen Sache. Wir wissen ja nicht genau, wie das entsteht mit diesen Herzrhythmusstörungen oder sogar Herzmuskelentzündungen, die ganz selten mal auftreten. Und deshalb würde ich sagen: Wenn ich jetzt weiß, ich gehöre nun mal zu dieser Minderheit, die ein Problem damit hatte, dann wäre ich eher zögerlich in dem Alter, mir noch eine dritte Impfung geben zu lassen.

27:02

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 246 Kekules Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekule. Wir hören uns dann am Dienstag, den 23. November wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann. Tschüss.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, das kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 18. November 2021 #245

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zur Sendung:

Studie: Characteristics and risk of COVID-19-related death in fully vaccinated people in Scotland (13.11.) Characteristics and risk of COVID-19-related death in fully vaccinated people in Scotland ScienceDirect

Donnerstag, 18. November 2021

Rekordneuinfektionen, Kliniken an der Belastungsgrenze: Wie kann das erneute Sterben verhindert werden?

Dann: Booster-Impfungen für alle ab 18? Die Ständige Impfkommission ist dafür. Ist diese Haltung plausibel?

Außerdem: Der US-Pharmakonzern Novavax hat für seinen Totimpfstoff eine Marktzulassung in der EU beantragt. Wann könnte er in Deutschland verimpft werden?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:56

Camillo Schumann

Wir starten mal mit sehr eindringlichen Worten des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Professor Lothar Wieler:

„Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern. Danke Ihnen, dass Sie mir die Gelegenheit geben, das zu sagen. Das ist eine klare Sprache, aber ich kann nach 21 Monaten es auch schlichtweg nicht mehr ertragen, dass es nicht vielleicht erkannt wird, was ich u.a. sage und wie auch viele andere Kolleginnen und Kollegen. Dankeschön.“

Der RKI-Präsident gestern bei einer Videoschalte mit der sächsischen Landesregierung zur aktuellen Corona-Situation. Herr Kekulé, ertragen Sie es auch nicht mehr, dass auf die Wissenschaft und Experten nicht gehört wurde?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein Teil des Problems. Das eine ist, dass Politiker ganz oft nicht auf die Experten hören. Ich meine, die Phasen, wo das so richtig krass war, die haben wir hinter uns. Das ist jetzt nicht im Moment so. Wir haben aber auch das Problem, dass manchmal die Kommunikation nicht ganz optimal ist. Also, Herr Wieler sagt jetzt, er erträgt es nicht mehr, dass man sozusagen auf ihn und seine Kollegen gehört hat. Andererseits ist ja gerade das 2G-Modell – diese Öffnungen, diese Ankündigung, dass Geimpfte keinen Beitrag mehr zum epidemischen Geschehen leisten, was das RKI ja ewig gemacht hat – das ist ja auch die Grundlage der politischen Entscheidungen gewesen. Also, auch übrigens der gerichtlichen Entscheidungen. Wenn man sich erinnert: Am Anfang gab es ja Klagen gegen 2G von solchen, die sich dann ausgesperrt fühlten. Und da hat zumindest das Verwaltungsgericht Berlin – da habe ich mir die Entscheidung mal ganz genau angesehen – konkret auf diese Aussage des RKI verwiesen, Geimpfte würden keinen relevanten Beitrag zum Infektionsgeschehen mehr leisten. Das heißt also: Es ist jetzt klar, dass man in so einer Situation, wo es – aus welchen Gründen auch immer – schiefgegangen ist, so ein bisschen versucht, auf den anderen zu zeigen. Ich glaube aber, dass da alle einen Beitrag dran

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hatten, einschließlich der Wissenschaftler. Und im Zweifelsfall wird man wahrscheinlich auch bei uns im Podcast irgendwas finden, was irgendwann mal zu optimistisch war. Das will ich jetzt nicht ausschließen.

03:03

Camillo Schumann

Es gibt vom Robert-Koch-Institut ein Modellierungspapier vom 22. Juli, wo exakt die Belegung der Intensivbetten berechnet wurde, die wir genau jetzt haben bei einer Impfquote von 75 % in etwa. Nämlich bei rund 3400 belegten Intensivbetten. Also, es kann doch keiner sagen, er hätte es im Sommer nicht gewusst, was jetzt passiert.

Alexander Kekulé

Naja, ich weiß, die Diskussion geht in diese Richtung. Aber, wissen Sie, das RKI macht Modelle. Das RKI hat in diesem Bericht aus dem Juli – den haben wir gar nicht besprochen. Erstens, weil wir da wohl gerade Sommerpause hatten. Zweitens, weil der nicht besonders wichtig war. Das war nur ein Bericht von vielen. Da haben die einfach mal modelliert: Was würde passieren, wenn? Und sie schreiben da ganz zurecht in den Bericht auch rein – ich meine sogar, in Fettdruck steht drin: Achtung, dies ist keine Vorhersage, sondern das sind nur Modelle, die wir machen, damit man mal so ungefähr sieht, welche Handlungsoptionen – insbesondere in dem Fall – welche Ergebnisse es geben könnte, wenn eine unterschiedliche Impfquote vorhanden ist in Deutschland. Das heißt also, das hätte drüber und drunter sein können. Und niemand hat gesagt: Das ist eine Vorhersage. Und wenn jetzt einer dieser Werte – und das sind ja viele dort gewesen – ich sage jetzt mal, mehr oder minder zufällig halbwegs stimmt – Sie haben gerade einen erwähnt, was die Krankenhausbelegung betrifft – dann heißt das noch lange nicht, dass das RKI sozusagen alles getan hat, um die richtigen Maßnahmen anzumahnen. Weil: Wenn man nichts tut, dass dann die Welle kommt, war ja klar. Bei dieser Berechnung aus dem Juli, weil die jetzt auch öffentlich immer wieder zitiert wird, muss man vielleicht schon noch dazusagen: Ja, die haben vor der Herbstwelle gewarnt. Ich glaube, ich kenne jetzt keinen Kollegen, der das nicht gemacht hat in dem Fall. Aber, es ist so: Die haben ja die Inzidenz natürlich zuerst berechnet,

modelliert und dann aufgrund dieser modellierten Inzidenz geschätzt, wie hoch die Krankenhausbelegungen sein würden. So macht man das richtigerweise. Aber wenn man sich das genauer anschaut, sieht man, dass die maximale Inzidenz, die dort vorhergesagt wurde, in der Größenordnung von 140 lag. Und wir wissen alle: Wir sind jetzt über 300. Das heißt, wenn sich jetzt manche Leute hinstellen und sagen: Ja, das RKI hat es damals schon richtig berechnet. Nein, die haben dort eine andere Rechnung gehabt, die zu anderen Ergebnissen kam, die natürlich auch alarmierend war. Aber man kann jetzt nicht sagen, dass genau das vorhergesagt worden wäre. Die wichtige Frage ist doch letztlich: Welche Empfehlungen werden dann der Politik gegeben für die Handlung? Und da, meine ich, ist es schon so, dass wir zu wenig strategisch gearbeitet haben, auch die Berater. Z.B. die Differenzierung zwischen der Frage: Welche Maßnahme ist notwendig, um ggf. die Inzidenz zu bremsen auf der einen Seite? Und welche ist notwendig auf der anderen Seite, um die Klinikbelegungen und die schweren Erkrankungen zu reduzieren? Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Stiefel, da haben wir schon öfters drüber gesprochen. Diese Differenzierung hat das RKI nicht besonders deutlich gemacht. Und man darf nicht vergessen: Es ist ja die obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministers. Wenn der Bundesgesundheitsminister sich immer wieder hingestellt hat und gesagt hat, sinngemäß: Die Geimpften spielen keine Rolle für die Pandemie, wir müssen denen alle Freiheiten geben. Er hat sogar gesagt: Im Herbst wollen wir die epidemische Lage auflösen und solche Dinge. Und er hat die 2G-Veranstaltungen favorisiert. Dann kann das RKI nicht sagen: Ja, das haben wir alles nicht gehört. Und: Was der da oben erzählt, das interessiert uns nicht. Sondern: Da muss man davon ausgehen, dass er sich, bevor er solche Sachen gemacht hat, natürlich von diesen Experten hat beraten lassen – von wem sonst? Und deshalb finde ich das jetzt schwierig, wenn jetzt der RKI-Chef quasi so ein bisschen auf Distanz zu seinem Meister geht. Da müsste er dann wirklich die E-Mails an Herrn Spahn vorlegen, wo er geschrieben hat: Du musst das und das machen. Und Spahn stellt

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sich dann möglicherweise in die Öffentlichkeit und tut es aber nicht.

07:00

Camillo Schumann

Aber Herr Spahn hat ja einen Tag vor der Veröffentlichung dieses Papiers selber gesagt, dass er im Herbst von einer Inzidenz von 800 ausgeht, wenn das alles so weitergeht. Also, da oben wusste man ja offenbar Bescheid. Nur: Man tat nichts.

Alexander Kekulé

Also, das wusste ich gar nicht, dass das tatsächlich ein Tag vorher war, diese berühmte Äußerung. Da war ich ja optimistischer. Also, wenn jetzt die 300 gerade geknackt wurde, muss ich sagen, bin ich mit meinem Optimismus da jetzt auch schon gebremst worden. Möglicherweise wird es ein Spahn-Winter, wenn wir dann auf die 800 kommen. Oder ein Stiko-Winter, wenn wir auf die 500 kommen, die die Stiko vorhergesagt hat. Insofern war mein Wetterbericht – wenn man denn das überhaupt ernst nehmen will, das war natürlich nicht so ernst gemeint. Aber: Wenn man das mal auf die Waagschale legt, muss man sagen, war der möglicherweise noch der Optimistischere. Aber, wie auch immer, ist es so: Was ja klar war, ist: Wir müssen was tun, um zu verhindern, dass wir wieder einen schlimmen Herbst kriegen. Ich glaube, da hat doch keiner Zweifel dran gehabt. Und die Frage ist halt: Welche Maßnahmen sind die richtigen? Und dabei meine ich dann schon, dass auch der wissenschaftliche Ratschlag – wo auch immer der herkam, das war ja nicht nur das RKI. Die Bundesregierung und die Minister haben ja noch mehr Berater. Der wissenschaftliche Ratschlag, so stark auf 2G zu setzen und zu sagen: Bei den 2G-Veranstaltungen kann nichts passieren. Und diese ganze Grundhaltung: Wir steuern jetzt auf die Herdenimmunität zu. Das ist ja ganz von Anfang an immer gesagt worden, auch von sehr prominenten Virologen. Wir werden dann eine Herdenimmunität haben. Ab so und so viel Prozent ist die Pandemie vorbei. Das ist ja übrigens auch in dem Bericht aus dem Juli interessanterweise – das habe ich erst jetzt gelesen – da steht tatsächlich so ein Satz drin an irgendeiner Stelle, ich darf den vorlesen: „Die Vorstellung des Erreichens einer „Herdenimmunität“ – in Anführungszeichen –

im Sinne einer Elimination oder sogar Eradikation des Virus ist jedoch nicht realistisch.“ Da sind die im Juli – ohne, dass ich das jetzt an dem Tag bemerkt hätte – komplett von ihrem bisherigen Duktus abgewichen und auch von dem, was alle gesagt haben. Das hätte man aber auch richtig knallhart dann kommunizieren müssen. Da hätte man sagen müssen: Passt mal auf, ihr könnt nicht die Freiheiten für Geimpfte so weitermachen. Diese Werbespots, über die ich mich sofort aufgeregt habe, die ihr da habt, wo ihr die Leute quasi im Fernsehen zeigt, wie sie wieder Party feiern, weil sie alle geimpft sind, Tausende von Menschen bei irgendeinem Rockkonzert: Das ist die falsche Message. Und ich möchte jetzt mal mutmaßen, dass das Robert-Koch-Institut das vielleicht nicht deutlich genug gemacht hat zum damaligen Zeitpunkt. Und wenn sie es deutlich gemacht haben, dann wäre es natürlich wirklich notwendig, das mal rauszuziehen: Wo sind die Belege dafür? Wo sind die Schreiben an den Minister? Und wenn dann wirklich die Politik quasi genau das Gegenteil gemacht hat, dann ist schon die Frage, wie so ein Politiker quasi – oder viele Politiker – anders handeln können als ihre eigenen, oberen Gesundheitsbehörden.

09:46

Camillo Schumann

Das ist, ja, der Blick zurück. Kommunikation in der Pandemie: Eine wirklich sehr, sehr große Baustelle. Zu einem anderen Kommunikationsdesaster kommen wir im Laufe der Sendung noch. Schauen wir, Herr Kekulé, auf die aktuellen Zahlen. Die sind spannend, erschreckend. Die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz: Aktuell bei rund 337. 65.000 Neuinfektionen wurden dem RKI gemeldet. Und das ist offenbar auch nicht das Ende der Fahnenstange. Dirk Brockmann, Chef-Modellierer beim Robert-Koch-Institut, hat im ARD-Morgenmagazin Folgendes gesagt:

„Momentan besorgt mich die Entwicklung sehr, weil wir in den Kurven – also, in dem Inzidenzverlauf – bundesweit, aber auch in vielen Landkreisen in Bayern und in Sachsen bspw., dass da noch kein Wendepunkt in den Kurven zu sehen ist. Also, man sieht noch nicht, dass es wieder einen Knick gibt, der vielleicht irgendwie ein Maximum ankündigt, das erreicht wird und

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dass es dann wieder runtergeht. Das sehe ich momentan nicht. Das ist also – in dieser vierten Welle ist diese Anstiegsflanke immer noch in der vollen Dynamik. Und wir wissen ja, dass sozusagen die Hospitalisierungen auf den Intensivstationen mit einer gewissen Verzögerung dem folgen. Und das ist sehr besorgniserregend.“

Tja, da scheinen die prophezeiten 800 von Herrn Spahn gar nicht mehr so weit weg zu sein.

Alexander Kekulé

Ja, könnten auch drin sein. Da muss man jetzt dazu erklären: Nur, weil man heute den Kopf schüttelt und sich fragt: Wie konnte das alles sein? Es gab ja da auch die Ansage – auch wiederum des Bundesgesundheitsministers – dass die Inzidenz als Parameter ausgedient hat, wenn es um die Steuerung solcher Maßnahmen geht. Und jetzt reden wieder alle von der Inzidenz, einschließlich Herrn Brockmann. Also, er guckt auf diese Kurve sehr pessimistisch und sagt: Da ist noch kein Wendepunkt. Nochmal so kurz Kurvendiskussion, 10. Klasse: Das, was er da gesagt hat, heißt ja nichts anderes, als dass die Kurve im Moment nicht wieder runtergeht. Also, ein Wendepunkt wäre sozusagen, dass die Kurve wieder runtergeht. Dann kann man sich die Steigerung anschauen. Hat sich die Steigerung verändert? Das wäre dann die erste Ableitung. Da muss man sagen: Wenn, dann ganz geringfügig. Aber: Entscheidend ist hier die Veränderung der Steigerung. Also die zweite Ableitung, die Dynamik. Ich nehme an, das meint er mit Dynamik. Das wollte er natürlich jetzt da im Morgenmagazin, wo man nur 30 Sek. hat, nicht so ausführlich erklären. Die zweite Ableitung – also, wie stark steigert sich die Steigerung? Die Beschleunigung der Beschleunigung? Da meine ich, wenn man auf die Zahlen guckt – zumindest am heutigen Tag, ich weiß nicht genau, wann das im MoMa war – dann ist es so, dass man schon sieht, dass die Beschleunigung der Beschleunigung abgenommen hat. Oder andersrum gesagt: Es ist jetzt nicht so, dass wir in einer Flanke sind, die, wenn man die Kurve jetzt imaginär weiter zeichnen würde, tatsächlich auf diese 800 mindestens hoch steuert. Sondern: Es kann auch durchaus sein, dass wir in den

nächsten, sage ich mal, vier Wochen so ein Plateau erreichen und das auch wieder runtergeht und in einem Bereich unter 500 bleibt. Das ist nicht auszuschließen aus der jetzt vorhandenen Kurve. Darauf soll man sich natürlich nicht verlassen. Aber ich will damit nur sagen: Wir haben so eine Dynamik. Und wir wissen nicht genau, was der Höchstwert sein wird. Davon hängt es dann auch ab, wie die Belastung im Krankenhaus ist. Und vor allem, wie breit die Kurve ist. Also, ich habe ja immer mal gesagt: Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass wir bis Weihnachten sogar wieder abnehmende Infektionszahlen haben. Nicht völlig ausgeschlossen heißt natürlich: Nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich. Und die Hoffnung soll man ja nicht aufgeben.

13:12

Camillo Schumann

Definitiv nicht. Deswegen gibt es ja auch diesen Podcast, dass wir alle durchhalten, dann auch noch die nächsten Monate, bis – was haben wir gesagt? Ende Mai?

Alexander Kekulé

(lacht) Ende Mai, ja. Schauen wir mal.

Camillo Schumann

Man braucht ja so eine Wurst, die man sich hinhält.

Alexander Kekulé

Ja, irgendwie eine Strafe müssen wir noch erfinden, falls das nicht eintritt.

Camillo Schumann

Nein, das wird schon eintreten. Die 65.000 Neuinfektionen heute, die 52.000 gestern: Das sind die offiziellen Zahlen. Wer diesen Podcast regelmäßig hört, der weiß ja auch: Die Untererfassung ist sehr, sehr groß. Ungefähr doppelt bis dreimal so viele Neuinfektionen sind es dann tatsächlich. Darauf hat Lothar Wieler gestern bei dieser Videokonferenz mit der sächsischen Landesregierung auch nochmal hingewiesen. Und auf diesen Fakt:

„Wir haben in den letzten Wochen eine Case Fertility Rate – also, eine Rate von Meldungen zu Verstorbenen – von etwa 0,8 %. Das heißt also: Von diesen 52.000 dort, werden – und da ist nichts mehr dran zu ändern – 400 etwa sterben. Und was mir wichtig ist – das müssen alle, die jetzt zuhören, ganz klar begreifen: Daran

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gibt es nichts mehr zu ändern. Wir können das nicht mehr ändern. Diese Menschen sind ja infiziert. Davon gehen dann eben 3.000 aufs Krankenhaus, davon gehen ein paar Hundert auf Intensiv und davon sterben eben so und so viele. Das können wir nicht ändern. Niemand von uns, der hier sitzt, kann diesen Typen noch helfen.“

Ja, und das heißt doch: Wenn heute das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen wird, die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin weitere Maßnahmen verabreden, werden – bis zum Eintreten der Effekte – Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Menschen das Weihnachtsfest nicht mehr erleben.

Alexander Kekulé

Also, es ist ganz richtig, dass Herr Wieler hier warnt. Und ich verstehe ihn auch völlig, dass ihm in seiner Position da jetzt natürlich langsam der Kragen platzt und die Luft auch dünn wird. Es ist auf der anderen Seite schon so: Wir können nicht sagen, dass die Sterblichkeit der nächsten 10.000 Infizierten genau unbedingt die gleiche sein muss wie vorher, weil wir natürlich hier auch so eine Art Abräum-Effekt des Virus haben. Das heißt also: Die, die schon alt waren und ungeimpft, um mal so ein Beispiel zu sagen, und multimorbid – also, die viele Erkrankungen hatten und nicht geimpft waren und riskantes Verhalten an den Tag gelegt haben – die sterben natürlich zuerst. Weil: Die infizieren sich zuerst, die sterben zuerst. Und dann haben Sie erstmal eine hohe CFR, also Case Fertility Rate. Also, der Anteil der gemeldeten Verstorbenen ist damit gemeint – in dem Fall – an den gemeldeten Infektionen. Jetzt ändert sich natürlich dann im Anblick dieser Situation das Verhalten der Bevölkerung. Und man kann schon davon ausgehen, dass die, die sich dann später infizieren, nicht mehr die sind, die so hoch im Risiko stehen. Oder andersrum gesagt: Wenn ich jetzt 80 bin und alle möglichen Zipperleins habe und ungeimpft bin, dann werde ich mich möglicherweise jetzt vorsichtiger verhalten als in diesem ersten Schub. Sodass die Schlussfolgerung von Herrn Wieler – Entschuldigung, wenn ich als Epidemiologe das sagen muss – epidemiologisch nicht ganz sauber ist, weil Sie eben das Verhalten der Personen und auch die Art der Personen, die betroffen sind, quasi gleichgesetzt haben. Und

das kann man hier nicht automatisch machen. Sondern, im Gegenteil: Wir wissen eigentlich, wenn sozusagen der Alarmzustand in der Gesellschaft hochgeht und wenn alle die Bilder sehen von den vollen Intensivstationen, dass dann die Menschen natürlich ihr Verhalten ändern und dann eher noch die jungen diejenigen sind, die es darauf ankommen lassen, sodass ich schon ein bisschen optimistischer wäre, dass man jetzt nicht mit dieser Sterblichkeitsquote von 0,8 % eins zu eins in die nächsten vier Wochen reingehen muss.

Camillo Schumann

Woher nehmen Sie eigentlich immer Ihren Optimismus, Herr Kekulé?

Alexander Kekulé

Sie merken es ja völlig nüchtern aus den Fakten. Also, ich nehme auch pessimistische Einschätzungen aus den Fakten, aber ich will vielleicht noch Folgendes dazu sagen – bloß, weil ich jetzt hier so ein bisschen genauer bin, wir haben ja einen Podcast: Ob das jetzt 400 Tote sind oder 300, spielt ja letztlich für die politische Entscheidung keine Rolle. Man darf natürlich nicht bei so einer Feinheit von ein paar Toten dann sagen: Auch egal. Aber es ist so: Jeder einzelne Tote zählt natürlich. Aber epidemiologisch gesehen ist es so: Herr Wieler hat völlig Recht. Auch, wenn diese Feinheit – weil er das ja gerade so erklärt hat, das für diese Menschen, die da jetzt infiziert sind, sozusagen schon geschrieben steht, dass sie die gleiche Sterblichkeitsquote haben werden. Weil unsere Hörer vielleicht ein bisschen detaillierter sich daran interessieren, habe ich das jetzt mal erklärt an der Stelle.

17:34

Camillo Schumann

Aber ich habe jetzt mal so wirklich eine ganz, ganz grobe Daumenpeilung gemacht. Sollte das alles so weiterlaufen und wir bleiben im Durchschnitt von 250 Toten – heute 265 – die gemeldet werden, Wochenende mal nicht mitgerechnet, fünf Wochen bis Weihnachten: Da hätten wir dann ungefähr über einen Daumen 9000 zusätzliche Tote, die jetzt noch auf uns zu kämen, bliebe alles wie gehabt. Das ist doch – das können wir doch nicht zulassen.

Alexander Kekulé

Das können wir nicht zulassen. Und das ist

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aber schon eine optimistische Schätzung. Also, da will ich sagen: Also, wenn man sich die Kurve so anschaut, also über 10.000 werden es, wenn es so weitergeht, natürlich werden. Wir haben ja schon über die 100.000er-Schätzung von Christian Drosten gesprochen. Da bin ich jetzt nicht ganz so pessimistisch. Aber wie auch immer: Wir sind in einer Situation – und das ist mir eben wichtig zu sagen, auch, wenn ich mich da möglicherweise wiederhole: Wir müssen jetzt wirklich in den Notfallmodus reingehen. Das heißt, wir können nicht jetzt diese grundsätzliche Frage lange diskutieren, wie es leider natürlich dann auch im Bundestag heute der Fall sein wird: Wie fangen wir die Welle wieder ein? Was können wir machen, um die Inzidenz zu bremsen? Wie wichtig ist die Inzidenz noch? Das ist alles gestern. Das Schiff sinkt gerade und wir müssen die Rettungsboote klarmachen und nicht mehr diskutieren, warum jetzt was irgendwie vielleicht anders gewesen wäre. Und das heißt: Alle, die über 60 sind, brauchen jetzt wirklich ein Notfallprogramm, dass die geboostert werden. Und wir müssen die Themen Altersheim und Infektionsübertragung in den Altenheimen – das müssen wir lösen.

19:03

Camillo Schumann

Über die Booster-Impfung werden wir im weiteren Verlauf der Sendung auch nochmal sprechen. Wir bleiben mal noch bei der aktuellen Situation. Der Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge ist deutschlandweiter InzidenzSpitzenreiter mit rund 1.370. Das ist eine unfassbare Zahl. Man fragt sich: Wie kann das eigentlich sein? Eine Antwort, logisch: Die niedrige Impfquote. Sachsen hat die niedrigste Impfquote von allen Bundesländern. Schauen wir uns mal die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ein bisschen genauer an. Herr Kekulé, erklären Sie uns doch mal, wie wir mit dieser 1.370 jetzt umgehen müssen. Also, welche Parameter wir auch beachten müssen, um diesen Extremwert zu interpretieren. Denn: Inzidenz ist ja nicht gleich Inzidenz.

Alexander Kekulé

Man muss sich das so vorstellen: Wir haben ja immer dieses Phänomen, dass wir jetzt plötzlich in so Landkreisen typischerweise diese

Weltraum-Zahlen haben, astronomischen Zahlen haben, was die Inzidenz betrifft. Dass das in so Landkreisen auftritt, hängt natürlich z.T. mit der, sage ich mal, informativen Abgeschlossenheit der Landbevölkerung in manchen Regionen zusammen. Also, die sind natürlich jetzt nicht so, dass sie alle jetzt Drostens oder meinen oder andere Podcasts hören und sich überall über wissenschaftliche Sachen informieren. Die haben auch anderes zu tun. Und die leben dann in so anderen Wahrheiten. Die sagen halt: Mensch, ich bin hier auf dem Land, ich esse gesund, meine Mutter ist auch mal an Influenza erkrankt und hat es einfach so überstanden. Und die setzen andere Bezüge, die eher so mit ihrem täglichen Leben zu tun haben und die in 99 % der Fälle ja auch richtige Entscheidungen dann hinterher nach sich ziehen. Und ich glaube, dass man hier viel noch mit Aufklärungsarbeit machen kann. Aber der Punkt ist der: Die haben viele Kontakte miteinander, es ist eine kleine Gemeinde. Und wenn jetzt der Nenner sozusagen klein ist bei der Inzidenz – also, es heißt ja immer: pro 100.000. Und wenn Sie jetzt nur 10.000 Einwohner haben, dann haben Sie ganz schnell eine hohe Inzidenz. Und der andere Effekt ist, dass die natürlich dort eher eine soziale Gruppe sind. Also, wenn Sie so ein Dorf haben mal, da ist es eher so, dass jeder mit jedem potenziell Kontakt hat, wenn es da, was weiß ich, nur einen Metzger gibt o.Ä. Und in einer Großstadt haben Sie eben ganz viele Unterblasen. Und bis dann sozusagen in der gesamten Großstadt, wo ganz viele Leute nichts miteinander zu tun haben – was weiß ich, die Partyszene aus Berlin-Mitte mit den Leuten, die in den Villen in Zehlendorf leben, möglicherweise kaum Kontakt haben – dann ist es eben so, dass es einfach viel länger dauert, bis sich so ein Virus dann allgemein ausbreitet. Und deshalb ist es so, dass wir in so kleineren Gemeinden schneller eine komplette Durchseuchung kriegen – klar. Und dann aber auch der Nenner klein ist – also, die Zahl der Einwohner. Und dadurch kommen dann diese hohen Inzidenzen auch zustande. Das ist einer der vielen Faktoren.

21:48

Camillo Schumann

Nur mal, um es mal ein bisschen konkret zu machen: Im Fall Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge – um mal die konkrete Zahl zu

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nennen – sind es 3352 Infizierte. Ergibt dann eben die Sieben-Tage-Inzidenz von 1.370. Und zum Vergleich SK München: 10.340 Infizierte, macht eine Sieben-Tage-Inzidenz von 694. Das ist das, was Sie uns gerade eben erklärt haben.

Alexander Kekulé

Ja. Und es kann ja sein, dass die paar Tausend aus der Sächsischen Schweiz – vielleicht gab es dort zwei Bürgerfeste, ja, reicht schon, wenn die da alle zusammen im Zelt waren. Also, bei der Delta-Variante ist es so, dass wir mit einer Veranstaltung da noch eine relativ gute Durchseuchung hinkriegen können, wenn sie lange genug dauert und im geschlossenen Raum ist – in Anführungszeichen. Und ich muss schon auch sagen: Es kommt sehr darauf an, wie sich diejenigen, die potenzielle Superspreader sind, verhalten. Also, es gibt wirklich einzelne CovidInfizierte, die nicht geimpft sind, die inzwischen richtiggehend aggressiv sind und die sind dann krank. Und ich kenne konkret so einen Fall jetzt gerade aktuell, der mich auch wirklich erschüttert hat. Das ist dann jemand, der war vorher quasi Impfleugner und ist dann im erkrankten Zustand noch durch die Republik gefahren, hat alle möglichen Meetings gemacht und eine lange Spur von Ansteckungen hinter sich gezogen. Da muss ich sagen: Sowas gibt es leider auch. Also, Leute, die dann selbst, wenn sie erkrankt sind, quasi das nicht ernst nehmen. Das gilt auch natürlich für solche, die geimpft sind. Weil: Auch ein Geimpfter kann das Virus verbreiten. Aber da ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn gerade an einem besonders ansteckenden Tag erwischt, nicht so hoch.

23:32

Camillo Schumann

Wir wissen ja, dass die Mehrheit der Menschen, die nach einer Infektion auf der Intensivstation landen, Menschen sind, die eben nicht geimpft sind. Es gibt aber auch Menschen, die trotz einer Impfung dort landen. Aktuell sind das so ungefähr rund 45 % der Menschen, die tatsächlich dann auf einer Intensivstation dann sind. Im Vergleich zu allen, die dort gelandet sind, sind 45 % eben geimpft. Einige Stimmen nehmen das dann zum Anlass, zu sagen: Seht her, die Impfung, die wirkt ja nicht. Dass dem aber, ich sage mal, ein funda-

mentaler Rechenfehler zugrunde liegt, ist denen dann auch nicht klar. Denn: Es gibt ja sehr viel mehr geimpfte Menschen als nicht geimpfte Menschen, sodass diese 45 % ja eigentlich auch kaum Aussagekraft haben, oder?

Alexander Kekulé

Das hat an der Stelle keine Aussagekraft. Vor allem so, wie es von diesen, sage ich mal, Impfgegnern manchmal benutzt wird. Das ist genau, wie Sie sagen, so in dem Sinne: Schaut her, die Impfung bringt ja gar nichts. Das, glaube ich, ist jedem klar. Rein theoretisch, Sie hätten jetzt 100 Personen, die alle geimpft sind. Und dann würden natürlich von diesen 100 Personen, wenn jemand auf die Intensivstation kommt, müsste man sagen: 100 % auf der Intensivstation waren geimpft. Und in Israel – wir haben das schon diskutiert vor vielen Monaten. Als in Israel die Zahlen in diesen Bereich gingen – die hatten dann auch so 50 % Intensivpatienten und Verstorbene aus der Gruppe der Geimpften. Aber wenn Sie sich das umgekehrt vorstellen: Jetzt mal so grob gesagt, bei den älteren Menschen über 60, sage ich mal, haben wir ja noch 3 Mio. ungefähr – das ist eine relativ kleine Zahl eigentlich, absolut gesehen auf die Bevölkerung – die jetzt ungeimpft sind. Und wenn Sie sich vorstellen, dass also in der Altersgruppe mehr als ein Drittel – also, die genauen, aktuellen Zahlen kenne ich nicht. Sie sagen, fast 50 %. Also, zumindest zwischen einem Drittel und die Hälfte der Menschen auf den Intensivstationen kommen aus dieser relativ kleinen Subpopulation. Da muss man sich sagen: Wow, da habe ich ja doch ein hohes Risiko. Also, grob gesagt, kann man sagen: Das Risiko, da zu landen, wenn man ungeimpft ist, ist ungefähr einen Faktor 10 höher. So ungefähr sind die allermeisten Studien. Zwischen 10 und 15, wenn man sehr optimistische Studien nimmt. Das ist der Faktor, um den man sein Risiko verringert, auf der Intensivstation zu landen, durch die Impfung.

Aber auf der anderen Seite ist das Argument wichtig für eine andere Überlegung, und zwar, wenn ich die Behauptung auf die Waagschale lege, die Herr Montgomery, den ich sonst natürlich schätze – der Präsident des Weltärzteverbandes. Wenn der also sagt: Wir haben eine Tyrannei der Ungeimpften. Und bezieht das auf die Krankenhausbelastungen, weil er sagt:

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Wegen der vollen Krankenhäuser müssen wir jetzt wieder Maßnahmen ergreifen und da sind die Ungeimpften schuld. Dann wird natürlich das Argument zur scharfen Klinge, weil dann sagt man: Moment mal, die Hälfte auf der Intensivstation ist ja geimpft, da können Sie ja nicht von einer Tyrannei der Ungeimpften sprechen. Also, so gesehen bei der Frage: Wie drakonisch müssen die Maßnahmen sein, um die Ungeimpften jetzt noch zur Nadel zu bringen? Da muss man schon die Frage stellen: Wer trägt dann sozusagen – oder, welchen Effekt hätte das insgesamt? Weil: Sie können ja mit diesen Maßnahmen immer nur die Hälfte beeinflussen, die jetzt auf der Intensivstation liegt und ungeimpft ist. Ich glaube, es ist sogar noch ein bisschen über die Hälfte im Moment. Aber das ist natürlich ein erheblicher Anteil. Wenn man so in der Praxis reinschaut, gibt es da ganz viele, die natürlich auch die Ärzte verärgern, weil sie selbst, wenn sie im Krankenhaus sind, noch völlig uneinsichtig sind. Aber da muss man aufpassen, dass einem da nicht sozusagen emotional die Pferde durchgehen. Sondern, wir müssen hier ganz nüchtern eben draufschauen und sagen: Wie können wir die Krankenhausbelastung reduzieren? Und dazu gehört eben insbesondere auch, diesen Wahnsinn mit den völlig unkontrollierten 2G-Veranstaltungen zu beenden. Und das sind ja Leute, wenn Sie so wollen, die noch uneinsichtiger sind. Weil: Die sagen ja: Moment mal, jetzt habe ich mich doch geimpft, jetzt habe ich doch alles gemacht, jetzt habe ich doch gemacht, was mir gesagt wurde. Jetzt bin ich auf die Party gegangen und jetzt liege ich trotzdem hier. Also, da glaube ich nicht, dass es einfacher ist, diesen Leuten zu erklären, dass sie jetzt Maske tragen und eigentlich einen Fehler gemacht haben.

27:48

Camillo Schumann

Schauen wir uns mal an, wer trotz Impfung ein erhöhtes Risiko hat, an einer Infektion zu sterben. Es gibt eine aktuelle schottische Studie zur Charakteristik dieser Patienten. Und welche Parameter sind denn nun entscheidend, dass man trotz Impfung an einer Corona-Infektion auch sterben kann?

Alexander Kekulé

Ja, das ist diese sog. EAVE-II-Studie. Für die, die

das nochmal nachschauen wollen: Wir haben die schon mal besprochen. Die Schotten haben da quasi so eine permanente Surveillance, so eine Überwachung, wo sie – so ähnlich, wie wir das aus England kennen und wie es auch in den USA z.T. gibt – wo sie sich eben kontinuierlich so eine Kohorte quasi anschauen. Und da haben sie eben insgesamt festgestellt bei der Untersuchung, die Sie da gemacht haben – der Stichtag war da am 18.08., also schon im Sommer. Und da haben sie festgestellt, dass insgesamt 236 Geimpfte verstorben sind. Ein bisschen mehr bei AstraZeneca, aber der Unterschied war jetzt nicht so deutlich. Die hatten BioNTechund AstraZeneca-Impfungen und haben eben dann ausgerechnet: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, sozusagen? Und das ist eben ganz interessant. Wenn Sie die gesamte Gruppe anschauen, von 65 bis 79 Jahre – also, Ältere in dem Fall, im weitesten Sinne – hat man doch noch einen ganz guten Effekt der Impfung. Es sind nämlich dann 64 von 10.000 dann gestorben von den Ungeimpften. Und nur 4,2 von 10.000 von den Geimpften. Also: 64 zu 4,2. Da ist also so ein Faktor von 15 ungefähr drin. Also, das ist schon sozusagen im optimalen Bereich. Vorhin habe ich gesagt: 10 bis 15. Das ist also hier so, dass das sogar Richtung 15 geht. Das wird noch deutlicher, wenn Sie nur die Gruppe der über 80Jährigen rausnehmen. Und diese Altersverteilung ist eben ganz entscheidend. Da ist es so, dass 14 über 80-Jährige von 10.000 gestorben sind von denen, die geimpft waren. Und 420 von denen, die ungeimpft waren. Und das entspricht eben einem Faktor von 30 ungefähr. Also, da ist der Schutz dann 30-mal höher. Also, da haben Sie ein 30-mal geringeres Risiko, an Covid zu sterben, wenn Sie geimpft sind. Und dann vielleicht nochmal eine andere Gruppe, die interessant ist. Dann eben die Jüngeren: 18 bis 64. Weil wir dann quasi schon die Biege machen zu der deutschen Diskussion aktuell. Da ist es so, dass der Faktor, also die Schutzwirkung, nur noch 3,9-fach ist. Also: 3,9fach weniger Sterbensrisiko haben Sie in der Altersgruppe bis 64, wenn sie geimpft sind. Und dann natürlich: Zusätzliche Risikofaktoren waren auch ein ganz wichtiges Ding. Fast alle, die da gestorben sind, hatten weitere Faktoren. Also, das Durchschnittsalter derer, die überhaupt gestorben sind, war bei 80 Jahren –

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die gestorben sind trotz Impfung. Also, der Median, um ganz genau zu sein. Und 97 % von denen hatten mehrere zusätzliche sog. Todesursachen, weil: Da wurden immer die Todesursachen in den entsprechenden Registern eingetragen. Und dann war natürlich Covid eine Todesursache, deshalb waren die da überhaupt in der Studie drin. Aber durchschnittlich hatten die, die gestorben sind, eben fast drei zusätzliche Todesursachen im Zettel stehen. Also: Nierenversagen, Herz-Kreislauf, irgendwas Weiteres. Und daran sieht man, dass die sog. CoMorbiditäten hatten. Also, weitere Erkrankungen.

31:03

Camillo Schumann

Mit diesen Ergebnissen sind wir dann eigentlich ganz automatisch beim nächsten Thema: Das Boostern. Der Chef der Ständigen Impfkommission, Professor Thomas Mertens, hat ja bei Markus Lanz mal eben ausgeplaudert, dass die STIKO die Booster-Impfung für alle ab 18 Jahren empfehlen wird. Die Frage ist ja immer: Ist so eine Entscheidung auch plausibel? Ergibt es Sinn, alle ab 18 zu boostern? Gerade mit dem Blick auf diese Studie, die wir gerade besprochen haben. Ich weiß: Sie sehen das Ganze ja kritisch, klar. Es wird ja dann auch immer nach Israel geschaut, das wird als Beispiel genommen. Die boostern ja auch alle. Man muss ja auch dazusagen, dass die Israelis auch erst ihre Alten geboostert haben, bevor es für alle losging.

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Ich sag mal Folgendes, ich nehme gleich mal Folgendes vorneweg: Also, es wird niemandem – nach den Daten, die wir bisher haben – schaden, sich ab 18 boostern zu lassen. Mal so grundsätzlich. Wenn man da schwerste Nebenwirkungen, die ja selten sind, erwartet, dann ist es unwahrscheinlich, dass jemand, der die Impfung zweimal vertragen hat, aus welchen Gründen auch immer, dann beim dritten Mal zum ersten Mal jetzt diese Nebenwirkungen hat. Also, das kann man einfach so aus einer gewissen Plausibilität heraus sagen. Wir haben natürlich kaum Daten, das ist klar. Also, Langzeitbeobachtungen oder Beobachtungen: Wie häufig ist die Myokarditis bei geboosterten mit 22? Da haben wir null Daten darüber. Aber trotzdem ist es, kann

man schon sagen, unwahrscheinlich, dass da jetzt irgendwas völlig Unerwartetes auftritt. Ich war trotzdem überrascht von dieser Überlegung, von dieser wahrscheinlich jetzt im Raum stehenden Empfehlung der Stiko. Aus folgendem Grund: Wir müssen da systematisch, strategisch einfach unterscheiden: Welchen Zweck hat so eine Boosterung? Und das gilt so ähnlich wie bei jeder Impfung. Und hier kommt es eben darauf an: Will ich individuell für denjenigen, der die Spritze bekommt, eine medizinische Maßnahme machen? Also, für den sozusagen die Sicherheit vor der Krankheit erhöhen? Da ist, glaube ich – auch aus den Daten, die ich gerade erklärt habe – die Evidenz völlig eindeutig: 60 plus. Da gibt es kein wackeln und kein rütteln. Und deshalb habe ich seit Monaten gesagt: Wir müssen ab 60 boostern und nicht erst ab 70, wie die Stiko das macht. Jetzt hat die Stiko mich quasi dann spät, aber doch in meiner Forderung nach unten überholt und gesagt: Okay, wir empfehlen sie jetzt ab 18. Damit haben sie ja nicht nur mich überholt, sondern viele internationale Kommissionen auch. Es ist ja in den USA noch nicht klar, ab welchem Alter das empfohlen werden soll. Die USA haben es im Moment ab 65, wird aber gerade nochmal überprüft. Und bei den jüngeren Menschen, da ist die Entscheidung schwieriger. Also: Erstens muss man natürlich da auch formal mal auf mögliche Nebenwirkungen nochmal hinschauen. Aber wenn man das mal außen vorlässt, ist es ja so: Da geht es strategisch darum, die Epidemie einzugrenzen. Weil: Der einzelne, ob der jetzt ein bisschen besser geschützt ist durch die Boosterung? Das ist überhaupt nicht klar. Dieses Nachlassen des Immunschutzes über mehrere Monate hinweg, das ist ja etwas, was hauptsächlich bei älteren Menschen eine Rolle spielt und wo es auch bisher nur Daten gibt, die das Absinken der Antikörper zeigen. Da wissen wir: Das hat bei Jüngeren nichts mit nachlassender Immunität zu tun. Weil: Sobald die das Virus kriegen, gehen die Antikörper in vollem Umfang wieder hoch. Und es geht – zweitens – um die Frage: Sind die noch infektiös dann? Das ist natürlich wichtig, wenn es um Epidemiologie geht. Können die noch jemanden anstecken? Und auch da haben wir praktisch keine belastbaren Daten, insbesondere für jüngere Menschen schon gleich gar nicht. Aber wenn ich sage, ich

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boostere ab 18, dann ist quasi, wenn ich das mal so ein bisschen schematisch sagen darf, die Empfehlung für die, ich sag mal, 18bis 50Jährigen, um mal irgendeine Grenze zu nennen, eigentlich ausgesprochen aufgrund epidemiologischer Gründe. Und dafür, dass das irgendwas bringen soll, dass man mit der Boosterung sozusagen die Infektiosität in dieser Altersgruppe relevant heruntersetzt – und vor allem: Wie lange wirkt es dann? Wirkt es dann nur drei Wochen, sechs Wochen, zwölf Wochen? Da gibt es keine Daten drüber. Darum bin ich sehr, sehr gespannt auf die Begründung der Stiko in diesem Fall. Die wird sicherlich auch diese zweiteilige Begründung machen, das ist ganz klar. Da denkt, glaube ich, kein Immunologe anders. Aber wie sie vor allem für die untere Altersgruppe da die Begründung machen, weil: Nur zu sagen, die EMA hat es nun mal empfohlen – also, die Europäische Arzneimittelbehörde ist ja da vorgeprescht und hat diese Empfehlung ausgegeben – und deshalb wollten wir da keine, sage ich mal, abweichende Meinung äußern, weil wir sowieso schon angezählt waren, weil wir sowas Ähnliches schon mal bei den Jugendlichen gemacht haben, das wäre mir zu wenig. Und darum bin ich sehr gespannt, wie sie diesen epidemiologischen Effekt bei den, aus meiner Sicht, dann unter 60-Jährigen oder unter 50-Jährigen, wie das epidemiologisch begründet wird.

35:45

Camillo Schumann

Also, zum einen hat ja Professor Mertens da bei Lanz gesagt: Ab 18. Und in derselben Sendung hat er gesagt, dass bisher nur 11 % der über 60-Jährigen geboostert sind. Also, für mich ist das ein absoluter Widerspruch. Das eine sozusagen kritisieren, dass es noch so wenige sind der über 60-Jährigen, die geimpft sind. Aber im gleichen Atemzug zu sagen: Ja, aber eine Booster-Impfung für alle. Das ergibt aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn. Warum man nicht das eine erstmal abschließt, bevor man das andere macht. Gut, das war jetzt einfach mal so in den Raum geworfen.

Alexander Kekulé

Mein Bauchgefühl war, dass an der Stelle jemand die Hände – wie soll ich sagen? Da hat jemand die Waffen gestreckt. (...) Natürlich wissen die Leute in der Stiko auch alle, dass der

Impfstoff, wenn sie jetzt alle boostern ab 18, knapp ist. Und ich nehme an, dass auch bekannt ist, dass ich ja dringend empfohlen habe, eine Priorisierung hier zu machen. Jetzt ist es auch bekannt, dass das Wiederaufbauen der Impfzentren nicht so Hoppla-Hopp geht. Und Herr Mertens hat ja völlig zurecht gesagt, dass wir diese Booster-Lücke zusätzlich zu der

3 Mio.-Impflücke über 60 haben. Und ich glaube, wenn ich jetzt als Fachkollege mit ihm reden würde, würde er sagen: Du hast völlig Recht bei jedem Satz. Nur: Wir als Kommission, wir wollen jetzt einfach nicht mehr Politik machen. Das klingt so, als wollten sie keine Politik mehr machen und haben sich gesagt: Nein, wir blenden jetzt die Frage, ob genug Impfstoff da ist und wer den dann zuerst kriegt bei so einer Empfehlung, das blenden wir jetzt aus, weil: Wir sind hier nur wissenschaftliche Kommission und den Rest soll dann – macht doch euren Kram selber. Also, so ein bisschen so klang das für mich, weil: Natürlich die Frage, die jetzt offen im Raum steht, wenn diese Empfehlung kommt, ist doch die: Wer geht zum Arzt als erstes und sagt: Hallo, ich will die Boosterung haben. Ich kenne so viele 25-Jährige, die sagen: Oh, ich brauche unbedingt eine BoosterImpfung. Ich habe gehört, nach sechs Monaten wirkt das schon nicht mehr. Das ist ja völliger Quatsch. Sondern: Es wirkt bei denen nicht mehr, die alt sind, die angezählt sind vom Immunsystem. Und zwar insbesondere wirkt es nicht mehr, dass es richtig schützt vor schwerer Erkrankung. Da gibt es ja auch diese ClalitStudie, die ich meine, die wir schon mal besprochen haben, aus Israel, die jetzt auch viel zitiert wird. Clalit ist dieser große Versicherer. Die haben eben festgestellt, dass bzgl. schwerer Verläufe – also, Krankenhauseinweisung – diese Booster-Impfung, wenn man sie bei Menschen, die mindestens fünf Monate vorher die vollständige Comirnaty-Impfung hatten – also, Pfizer/BioNTech-Impfung hatten – dass bei diesen das einen sehr deutlichen Effekt hat. Also, ohne Frage. Da ist die Vaccine Efficiency, wie wir sagen – also, die Wirksamkeit des Impfstoffs – so bei 80 % bzgl. Verhinderung von Todesfällen und bzgl. Einweisungen in Krankenhäuser noch höher. Also, das ist ohne Frage. Aber, die Frage ist doch: Wer kriegt es dann jetzt in Deutschland? Und ich habe einfach

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Angst, dass wir – keine Ahnung, wie die Vorräte sind. Keine Ahnung, wie die Kapazitäten bei den Ärzten sind. Auch keine Ahnung, ob das jetzt bundesweit mit den Impfzentren so schnell wieder klappt. Aber: Wir haben jetzt diese vierte Welle. Wir haben jetzt diese Katastrophe. Und wie Herr Wieler richtig sagt: Da werden Menschen in kurzer Zeit jetzt sterben. Und um das zu verhindern, müssen wir eben – ich habe es schon mal gesagt – in den Blaulicht-Modus umschalten. Das heißt also, wir müssen die jetzt impfen. Und es hat keinen Sinn, wenn die Stiko sagt: Ja, jeder ab 18 darf jetzt antreten zum boostern. Das ist völlig wirkungslos. Darum hätte ich mir eine fokussiertere Empfehlung gewünscht.

39:21

Camillo Schumann

Und es herrscht ja beim Boostern bisher bei den Ärzten auch so eine gewisse Zurückhaltung. Man muss aber auch natürlich zur Verteidigung sagen, dass die Ärzte jetzt wieder sehr, sehr volle Praxen haben. Die Atemwegserkrankungen, die wegen der Maßnahmen ja in der letzten Saison nicht da waren, die sind ja jetzt mit voller Wucht auch zurück oder kommen zurück. Und da klingt es ja auch fast wie Hohn, wenn NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann zu den Ärzten sagt: Statt Golfplatz am Samstag bitte impfen am Samstag. Immerhin würden die Ärzte am Wochenende pro Impfung 36,00 Euro erhalten. Das ist also auch nochmal ein Schlag ins Gesicht für die, die ohnehin viel zu tun haben.

Alexander Kekulé

Also, den Laumann muss man sich dann natürlich dazu vorstellen, das ist ein ganz netter Kerl und der sagt öffentlich – und darum darf ich es hier auch sagen – immer: Ich bin ein Bauernsohn und denke auch so. Und ich will, dass Menschen wie ich auch Politik machen. Und ich verstehe, dass aus seiner Perspektive natürlich er denkt, dass die Ärzte so drauf wären. Das war bestimmt auch mal vor 50 Jahren. Ich kenne auch ein paar Kollegen, die haben angefangen zu studieren, weil sie gedacht haben, dass sie am Schluss zur Golfspieler-Fraktion gehören. Aber das Faktum ist leider, dass schon in meiner Kohorte das irgendwie abgeschafft wurde. Ich kenne ganz viele jüngere Arztfamilien, die sind nach dem zweiten Kind aufs Land

gezogen aus der Großstadt, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten. Also, Golfplatz eher so als Golfplatz-Betreuer und Golfplatzwart als Nebenbeschäftigung, um das Geld noch reinzubringen. Nein, aber Spaß beiseite. Also, natürlich müssen wir impfen. Aber die Politik muss natürlich die Strukturen dafür schaffen. Und dass die Ärzte z.T. so vorsichtig sind – vielleicht will ich noch eine Information geben, die nicht so bekannt ist: Wir reden ja immer darüber oder man liest ja auch darüber, dass die FDA in den USA jetzt prüft, ob die Booster-Impfung ab 18 zugelassen wird. Da ist nämlich ganz interessant: In den USA wird das ganz formal gemacht. Die Zulassung für die Booster-Impfung muss extra erteilt werden. Und bei der Europäischen Arzneimittelbehörde hat man diesen Schritt, da eine extra Zulassung zu machen für diese geänderte Applikation, das hat man einfach mal schnell übersprungen, obwohl ja bei der Boosterung die Dosis reduziert wird. Zumindest bei Moderna wird da nur noch die Hälfte gegeben. Und das ist ja schon etwas erstaunlich, dass man da keine eigene Zulassung bei der EMA hat. Da haben sich die Juristen lange hin und her gestritten. Und jetzt gibt es – kann man im Web nachlesen – vom Paul-Ehrlich-Institut die Information – fast wörtlich sage ich es jetzt aus dem Kopf: Das Paul-Ehrlich-Institut und das Bundesinnenministerium der Gesundheit sind der Auffassung, dass man rechtlich die Zulassung der EMA auch beziehen darf auf die Boosterung. Also, anders als in den USA hat man gesagt: Wir nehmen das einfach mal als Genehmigung. Und in dieser doch irgendwie etwas grauen Zone, wo der normale Weg – erst genehmigt die EMA was ganz offiziell, also auch die Boosterung und dann im nächsten Schritt wird sozusagen empfohlen – wo man das so ein bisschen abgekürzt hat an der Stelle, dass dann die Ärzte sagen: Ich weiß nicht genau, ob ich das machen darf oder nicht. Kann ich z.T. nachvollziehen. Das wird jetzt natürlich, wenn die Stiko ihre Empfehlung herausgegeben hat, klarer sein. Und dann wird es eine klare Ansage geben, dass man das machen darf und machen soll.

42:34

Camillo Schumann

Und Professor Wieler, Präsident des RobertKoch-Instituts, hat wegen der schleppenden

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Booster-Impfung auf Folgendes angeregt. Wir hören mal kurz rein:

„Es muss jetzt Schluss sein, dass irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen aufgrund von irgendwelchen Umständen nicht gestattet, zu impfen. Wir sind In einer Notlage und in einer Notlage muss man bestimmte Dinge großzügig gestalten. Darum bin ich hier ganz klar dafür, dass u.a. Apotheker impfen sollen.“

Sehen Sie das auch so?

Alexander Kekulé

Ja, da gab es ja schon vor ewig langer Zeit diesen Vorstoß. Ich habe damals auch mit diesem Bundesverband der Apotheker da Kontakt gehabt. Da ging es um Impfung und Schnelltests. Alles, was diese Apotheker machen in Deutschland und was die machen wollen – und die sagen schon länger, dass sie impfen wollen, in der Schweiz geht es ja auch – da ist es natürlich jedes Mal immer der deutsche Ständestaat vor. Und da geht es dann um die Pfründe, gerade um diese 36,00 Euro am Wochenende. Die Frage ist am Ende: Wer kriegt sowas? Und da sind die Verbände sehr stark dann immer für ihre eigene Klientel, dafür zu sorgen, dass die anderen das nicht machen dürfen.

Camillo Schumann

Also, Sie sind klar dafür, dass auch die Apotheker die Booster-Impfung jetzt machen?

Alexander Kekulé

Also, die müssen natürlich eine Ausbildung dazu machen. Ich würde das jetzt nicht jedem Apotheker empfehlen. Viele werden es auch nicht machen wollen, weil sie wissen: Nach der Impfung müssen sie die Personen dann 15 Minuten überwachen. Sie müssen das ganze Equipment haben. Also, ich habe ja lange Impfsprechstunde gehabt. Da hatten wir dann tatsächlich unter der Liege immer so einen Notfallkoffer mit Defibrillator und allem stehen, weil: Irgendeiner kriegt mal einen anaphylaktischen Schock. Das ist bei jeder Impfung so – ganz, ganz selten. Aber: Da müssen sie natürlich dann schnell sein und müssen Erste Hilfe draufhaben und der Notarzt muss schnell kommen. Und wenn das alles passiert, wird es normalerweise überlebt. Also, das ist jetzt heutzutage in Deutschland ganz selten, dass man an sowas stirbt. Aber das ist dann schon ein bisschen so, sage ich mal, eine Stresssituation für

alle Beteiligten. Und deshalb glaube ich, dass Apotheker da natürlich einen entsprechenden Kurs machen müssen. Aber die, die das machen wollen und die das tun, da wäre das richtig, das zuzulassen. Vielleicht noch ein Hinweis: Also, ich glaube, dass das auf der Zeitschiene – wir sprechen jetzt ja wirklich von einem Problem, dass wir in den nächsten Wochen lösen müssen – könnte es sein, dass diese ganze Schiene, jetzt die Apotheker da einzubinden, wie ich Deutschland so kenne, zu lange dauern wird. Es hat keinen Sinn, wenn wir das dann Mitte Januar am Start haben. Das ist dann zu spät.

45:03

Camillo Schumann

Bei den Ungeimpften gibt es ja auch noch viele Menschen, die auf einen anderen Impfstoff warten. Sie wollen eben nicht mit einem mRNA-Impfstoffe oder mit einem Vektor-Impfstoff sich impfen lassen. Viele Menschen setzen in einen traditionellen Totimpfstoff großes Vertrauen oder große Hoffnung. Und diese Hoffnungen werden jetzt genährt. Denn: Der US-amerikanische Hersteller Novavax hat gestern bei der EMA, der Europäischen Arzneimittelbehörde, eine Zulassung beantragt. Herr Kekulé, können sich die deutschen Impfwilligen Hoffnungen machen, vor Weihnachten noch so einen Novavax-Piks zu bekommen?

Alexander Kekulé

Also, vorhin habe ich gesagt: Hoffen soll man ja immer. Also, es ist so: Novavax ist, glaube ich, für viele einer – es gibt ja mehrere, die da in der Pipeline sind, jetzt auch von Sanofi und anderen gibt es das. Da werden mehrere kommen. Ich glaube, man darf sich darauf einstellen, dass im ersten Quartal des nächsten Jahres die Impfstoffe in Deutschland dann in größerem Stil verfügbar sein werden. Ja, die Zulassung, glaube ich schon, dass das jetzt sehr schnell gehen wird. Die Zulassungsdaten liegen schon lange vor. Novavax hatte Produktionsprobleme. Und das ist eine kleine Firma, die sehr schnell gewachsen ist. So eine BioTechBoutique, wie man sowas früher genannt hat. Und die Frage, die ich habe, ist nicht, ob sie die Zulassung kriegen, sondern die Frage, die ich habe, ist: Wie werden die die Weltmärkte bedienen? Wie schnell? Es gibt auch in Amerika einen ganz starken Bedarf für so einen, sage

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ich mal, mehr oder minder konventionellen Impfstoff. Und ich glaube, dass, wenn der dann in Deutschland kommt, dass viele der Menschen, die einfach wegen dieser neuen Technologie – RNA, Vektor-Impfstoffe – die da bisher gewartet haben, dass die sagen – klar wird man sich da erstmal die ersten 10.000 oder 100.000 Impfungen erstmal abwarten und gucken, wie da so die Nebenwirkungen sind. Aber dann wird man sagen: Okay, jetzt stelle ich mich in die Reihe. Ich glaube, da wird es einige geben, die sich dann umentscheiden an der Stelle. Vor allem jüngere Menschen. Für die, glaube ich, ist das eine gute Option. Aber wie gesagt, die Frage, erstens: Wieviel hat die EU sich reserviert? Und zweitens: Wann kann Novavax liefern?

47:03

Camillo Schumann

200 Mio. Dosen hat sich die EU gesichert. Die Frage ist aber in der Tat, wie Sie gesagt haben, ob sie es denn auch schaffen, dann zu liefern. Deswegen ist erstes Quartal wahrscheinlich auch sehr, sehr positiv gedacht.

Alexander Kekulé

Also, ich glaube schon, dass wir im ersten Quartal mit irgendeinem dieser, sage ich mal, konventionellen Impfstoffe rechnen können.

Camillo Schumann

Die Chinesen ja vielleicht auch, weil die haben ja die Zulassung eher beantragt.

Alexander Kekulé

Ja, eben. Es gibt mehrere – bei den ersten Daten, die man hatte, war der von Novavax der, der am wirksamsten war, der die höchste Vakzin-Effektivität hatte. Aber wissen Sie, es geht ja darum letztlich, zu verhindern, dass schwere Verläufe und Todesfälle auftreten. Und wenn ich sowieso – und bei Novavax geht es ja eher um diese Altersgruppe – an die Jüngeren denke, dann wäre mir das irgendwie wurscht, ob der Impfstoff jetzt 90 % oder 80 % wirksam ist. Hauptsache, ich kriege erstmal überhaupt einen und kann mir das ersparen, sozusagen auf die harte Tour immun zu werden.

48:03

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau H. hat angerufen. Sie

ist 71 Jahre alt, zweimal mit BioNTech geimpft. Nun wollte sie zum Boostern gehen:

„Ich habe mich aber trotzdem mal neugieriger Weise testen lassen, wie meine Antikörper eigentlich sind. Vom Hersteller Roche, der hat mich getestet. Und es stellt sich bei diesem Test raus, dass ich 1.070 BAU/ml habe. Also, es ist alles positiv. Meine ganzen Antikörper sind noch sehr gut. Muss ich da sofort zum Boostern gehen? Das ist meine Frage.“

Okay. Und jetzt die Antwort.

Alexander Kekulé

Also, erstens ist es so: Dieser BAU-Wert, da hat man jetzt versucht, das ein bisschen zu vereinheitlichen. Das heißt also, diese Werte sind halbwegs vergleichbar. Und ein Wert von 1.000 ist natürlich in der Tat sehr hoch. Gratulation dazu. Und wir können davon ausgehen, dass die Frau H. hier tatsächlich jemand ist, der im Gesamtbereich der Bevölkerung zu den wirklich gut Geschützten gehört, trotz ihres fortgeschrittenen Alters. Man kann auch sagen: Wenn sie sich jetzt zusätzlich boostert, wird es eben noch besser. Und vielleicht sage ich das eine noch dazu: Es gibt auch Menschen mit einem sehr guten Antikörper-Titer – jetzt nicht vielleicht gerade über 1.000, aber die haben ein paar 100 BAU, wo man sagt: Wow, das ist ja echt gut – und die sind trotzdem noch schwer an Covid erkrankt. Also, ich kenne jetzt persönlich keinen, der auf die Intensivstation kam. Aber ich kenne einige, die wirklich schwer krank zu Hause dann sind. Und man kann schon davon ausgehen, dass der Verlauf dann, wenn man gerade frisch geboostert ist, bei einer Infektion milder wird. Sodass man sich sicher mit 71 nichts Schlechtes tut, die Boosterung zu machen. Muss man es unbedingt machen? Naja, jemand, der sagt: Ein, zwei Wochen mit Covid im Bett liegen und platt sein, das will ich vermeiden, so oder so. Dann lasse ich mich doch lieber impfen. Der sollte das dann machen lassen. Vielleicht zur Erinnerung: Wir haben uns ja auch gegen Influenza impfen lassen. Und bei der Influenza war ja der Grund, dass wir uns haben impfen lassen, nicht, dass alle Angst hatten, daran zu sterben. Da sterben natürlich Menschen. Aber die meisten wollten eigentlich nur vermeiden, die ein, zwei Wochen da krank im Bett zu liegen. Und mit dem Ansatz, wenn das quasi reicht als Indikation

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fürs Impfen, dann würde ich der Frau H. empfehlen, sich boostern zu lassen.

50:34

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 245. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung: Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 16.November 2021 #244: Wir müssen auf SOS-Modus umstellen

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

Großbritannien: COVID-19 vaccine surveillance report Week 45

COVID-19 vaccine surveillance report week 45 (publishing.service.gov.uk)

Abortive Virusinfektion (10.11.)

Pre-existing polymerase-specific T cells expand in abortive seronegative SARS-CoV-2 (nature.com)

00:10

Camillo Schumann:

Dienstag, 16. November 2021.

Tägliche Testpflicht in Altenund Pflegeheimen, eine mögliche Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen, 3G-Regel in Bussen und Bahnen, Kontakt-Beschränkungen: die Ampelpläne für den Winter in der Bewertung.

Außerdem: Chaos bei den Auffrischungsimpfungen: Sollte für die Booster-Impfung zur Priorisierung zurückgekehrt werden?

Dann: Wie der Körper das Corona-Virus unbemerkt bekämpft. Eine Studie gibt Hinweise.

Und: Werden Re-Infektionen von Genesenen erfasst?

Und zuletzt: Wie verläuft eine erneute Infektion?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei „MDR aktuell, das Nachrichtenradio“. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Zu Beginn wie immer der Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen: Dem Robert Koch-Institut wurden in den vergangenen 24 Stunden rund 32.000 neue Infektionen gemeldet. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt zum 9. Mal in Folge auf einen Höchstwert von nun aktuell 312,4. 265 neue Todesfälle wurden übermittelt. Auf den Intensivstationen werden aktuell rund 3.200 Menschen mit Covid-19 behandelt. Zunehmend haben die Intensivstationen auch ihre Belastungsgrenzen erreicht. Herr Kekulé, es sieht so aus, als würde die Pandemie in weiten Teilen Deutschlands völlig aus dem Ruder laufen. Oder sehen sie irgendetwas Positives in der aktuellen Situation?

01:46

Alexander Kekulé:

Nein, es fällt mir auch schwer. Es ist tatsächlich so, dass jetzt guter Rat teuer ist. Meines Erachtens müssen wir jetzt auf einen Notfallmodus umschalten. Die Idee, diese Welle noch zu bremsen, oder irgendetwas entgegenzustemmen, das war alles gestern. Also, wir können jetzt uns auf den Kopf stellen, das Virus wird jetzt durchlaufen. Die Welle wird sich wahrscheinlich dann selbst begrenzen, so wie das immer bei solchen epidemischen Wellen ist. Hinterher wird es viel Finger-pointing, Schuldzuweisungen geben, jeder gegen jeden. Wer war jetzt dran schuld und wer nicht. Aber am Ende des Tages ja, das ist so ähnlich als wenn Sie am Anfang Wellenbrecher haben und die

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nicht funktionieren. Sie haben versucht, den Stöpsel rauszuziehen und das Wasser irgendwie abzulassen. Dann kommt irgendwann der Moment, wo Sie sagen, rette sich, wer kann. Wir müssen jetzt, weil wir das Wasser nicht wegbekommen, dafür sorgen, dass die, die nicht schwimmen können, einen Rettungsring bekommen.

02:44

Camillo Schumann:

Über die Ampel-Pläne, die Maßnahmen zur Bekämpfung der aktuellen Situation, werden wir im weiteren Verlauf der Sendung noch sprechen. Die Frage, die sich ja auch aufdrängt, ist: Wie schlimm könnte es eigentlich noch werden? Wir haben ja die aktuellen Todeszahlen gehört. Wir wissen, sehr viele ältere Menschen sind noch nicht geimpft. Es gibt impft Durchbrüche. Die Wirksamkeit der Impfstoffe lässt nach. Die Auffrischungsimpfung laufen jetzt auch nicht, wie sie sein sollten. Auf der anderen Seite haben wir aber über 85 Prozent der über 60-Jährigen, die vollständig geimpft sind. Wir haben 5 Millionen Menschen, die als genesen gelten. 4 Millionen Menschen haben schon ihre dritte Impfung erhalten, dazu noch eine hohe Dunkelziffer an Infizierten. Wir müssen auch eigentlich einen recht passablen Immunstatus aktuell haben, oder nicht?

03:28

Alexander Kekulé:

Den Immunstatus kennen wir nicht so genau. Da gibt es ja immer wieder die Möglichkeit, Blut abzunehmen und mal zu gucken, wer hat Antikörper gegen was? Aber das ist eine relativ unsichere Sache, zumal – da werden wir heute auch eine Arbeit besprechen müssen – einige Menschen möglicherweise gar keine Antikörper entwickeln beziehungsweise man die dann nicht mehr findet. Aber ja, die Beobachtungen aus anderen Ländern können da so ein bisschen helfen. Wir hatten so etwas ja in Israel. Wir hatten so etwas wie in Großbritannien jetzt gerade. Und da sieht man schon, dass diese Wellen, wenn sie dann kommen, insofern selbst begrenzend sind, als es eben, wie

Sie richtig sagen, Menschen gibt, die durch Infektionen immun geworden sind und auch Menschen gibt, die durch die Impfungen halbwegs immun sind. Und beides schützt nicht 100 Prozent vor Erkrankungen. Aber es führt natürlich dann letztlich irgendwann dazu, dass so eine Welle von selbst auch wieder aufhört. Und das vor allem die Zahl der Todesfälle in so einer Welle, wo das Virus jetzt schon zum vierten Mal kommt, das heißt jetzt auf immer mehr Immune und Geimpfte stößt, da ist einfach die die Sterblichkeit viel geringer. Das ist ganz klar.

04:34

Camillo Schumann:

Weil sie gerade die aktuellen Zahlen aus Großbritannien ansprechen: Da gibt es ja auch neue Daten aus der letzten Woche, wonach 98 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Antikörper gegen Sars-CoV-2 haben. Das ist ja eine ganze Menge, das sind ja fast alle.

04:48

Alexander Kekulé:

Es war eine spezielle Stichprobe. Die fand ich sehr spannend. Die haben im Vereinigten Königreich was gemacht. Ich schätze, das gibt es in Deutschland auch. Ich habe jetzt nur keine aktuellen Zahlen. Wir haben ja früher mal so Stichproben schon besprochen. Die haben die Blutspender genommen. Und das war jetzt konkret im Zeitraum von Mitte September bis Ende Oktober. Und die haben bei den Blutspendern vor allem nachgeguckt zunächst mal, haben die Antikörper gegen dieses S-Protein von Sars-CoV-2, also entweder durch Impfung oder durch eine durchgemachte Infektion. Das bedeutet das. Weil man diese Antikörper gegen das S-Protein, also gegen diesen Spike des Virus, die Gene erzeugt man ja auch, wenn man geimpft wurde. Und da haben diese Blutspender das, wie Sie sagen, 98 Prozent Antikörper gehabt, also fast alle. Man muss natürlich sagen, das ist eine besondere Auswahl von Menschen, die da getroffen wird. Weil Leute, die zur Blutspende gehen, sind etwas gesundheitsbewusster als der Rest. Sodass man davon

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ausgehen kann, dass da überdurchschnittlich viele Geimpfte dabei waren. Wahrscheinlich ist die wirkliche Quote, wenn man jetzt das Vereinigte Königreich insgesamt nehmen würde, deutlich geringer. Aber trotzdem sehr, sehr viele – ich schätze mal schon über 90 Prozent – haben entweder Kontakt mit dem Impfstoff oder Kontakt mit dem Virus gehabt.

06:00

Camillo Schumann:

Das ist natürlich auch teuer erkauft worden, muss man auch dazusagen. Bei der letzten Welle, die Großbritannien mitgemacht hat, waren ja die Infektionszahlen jenseits von Gut und Böse, ebenso die Sterblichkeit. Ähm, das ist ja sozusagen dann eine Folge.

06:15

Alexander Kekulé:

Ja, das war diese sogenannte Exit-Wave, wo wahrscheinlich ein Teil der Menschen sich diese Antikörper erworben hat. Auf die harte Tour sozusagen durch die Infektion, das ist natürlich unterschiedlich: der eine hat es vielleicht kaum gemerkt, der andere ist schwerstkrank gewesen. Es gab auch Tote.

Was ganz interessant ist: Die haben bei dieser aktuellen Studie – und das gibt es in Deutschland meines Wissens definitiv nicht – noch nach etwas Anderem geguckt. Und zwar haben die bei diesen Blutspendern mal nachgeschaut, wie viele Prozent von denen denn Antikörper gegen einen anderen Teil vom Coronavirus haben, der nicht im Impfstoff enthalten ist. Das haben die das sogenannte Nukleokapsid genommen. Also das ist sozusagen der innere Teil dieses Virus, der die Erb-Informationen in die RNA umschließt. Und diese Antikörper gegen das Nukleokapsid kann man auch feststellen. Es wird in der Diagnostik auch zum Teil gemacht. Und die tauchen nur auf, wenn man wirklich einen Kontakt mit dem echten Virus hatte, weil das eben nicht im Impfstoff drinnen ist. Und das waren 20 Prozent. Das heißt, jeder Fünfte. Und das ist wirklich interessant. Jeder fünfte von diesen Blutspendern, die ja eine

Gruppe sind, die sich wahrscheinlich vorsichtiger und gesundheitsbewusster verhält als der Bevölkerungsdurchschnitt, war mit dem Virus schon mal im Kontakt, mit dem echten Virus. Ein Teil davon hat sich vielleicht zusätzlich impfen lassen. Das kann man so nicht feststellen. Aber das ist doch ein relativ hoher Anteil. Und das ist das, wie Sie sagen, was wohl auch durch diese Brexit-Wave, nein Exit-Wave – das war ja der kleine Spaß von Boris Johnson – also durch die Exit-Wave quasi passiert ist. Es war ja ein fürchterliches Experiment, wo ich wirklich sagen muss, ich war absolut dagegen, so etwas zu machen mit 60 Millionen Briten. Aber letztlich hat Johnson gesagt, das machen wir lieber jetzt im Sommer, denn, wenn wir im Sommer quasi diese Durchseuchung haben, dann haben wir eine bessere Chance, als wenn das im Winter passiert. Denn da können wir es im Sommer besser kontrollieren. Und es geht ja jetzt in England die Infektionszahlen tatsächlich runter. Und jetzt ist die große Frage, die sich alle auf der Insel stellen. Das ist jetzt täglich Thema überall in den Medien und in den Diskussionen: War es das jetzt? Oder steuern wir jetzt auf so eine Art eingeschwungenem Zustand zu, wo quasi die Neuinfektionen auf niedrigem Niveau weiterköcheln? Man nennt das dann eine endemische Lage. Oder ist es jetzt nur so eine Vorwelle, wie wir das in Europa beobachten? Die sind ja entsetzt, wenn sie nach Deutschland schauen. Kommt das, was da in Deutschland gerade passiert, jetzt bei uns auch? Oder war das das gerade, was wir hinter uns hatten?

08:54

Camillo Schumann:

Das ist ja eben die große Frage. Also was könnte jetzt in Deutschland passieren mit dem Blick, was in Großbritannien schon passiert ist? Also ist das jetzt unsere Exit-Wave? Und ich sage mal: Vor Weihnachten haben wir es hinter uns? Ich übertreibe.

09:08

Alexander Kekulé:

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Die Frage würde ich auch gern beantworten können. Aber ich sage mal, ich würde schon sagen, es gibt eine Chance, wenn man nach England schaut. Das ist nicht auszuschließen. Und man darf ja vor Weihnachten Wünsche äußern. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass wir jetzt hier eine Exit-Wave sozusagen haben, die in einigen Wochen durch ist. So ähnlich wie es in England jetzt auch sicherlich im Winter stärker wird das Ganze, vielleicht auch länger dauern. Und da gibt es natürlich verschiedene Modellierungen. Wir sind definitiv vor dieser Welle. Aber es könnte sein, dass die sich selber begrenzen muss. Das ist ganz klar. Also wir werden ja gleich noch über Gegenmaßnahmen diskutieren. Aber das ist so, als wenn Sie beim großen Waldbrand irgendwie mit zwei Gießkannen dastehen und überlegen, welche Sie zuerst auf das Feuer schütten sollen, während drüben der Wald abbrennt. Also, das ist fast schon uninteressant. Was die Koalitionäre jetzt da in Berlin sich überlegen, um die Welle einzudämmen, weil diese Welle läuft ja, da könnte man einfach nur hoffen, dass sie sich selber begrenzt. Das ist aber meines Erachtens nicht ganz auszuschließen.

Camillo Schumann:

Was wäre denn die Grundlage für das Abflauen der Exit-Wave? Sie sagen, die Maßnahmen sind es nicht.

10:22

Alexander Kekulé:

Naja, das ist so, dass wir eben das Virus verbreitet sich in sozial aktiven Gruppen. Wir haben das natürlich in Deutschland jetzt ungeschickterweise künstlich befeuert durch diese ganzen 2G-Veranstaltungen, wo man ja zunächst mal davon ausgegangen ist und das auch so kommuniziert hat, dass die Geimpften quasi keinen wesentlichen Beitrag zum Infektionsgeschehen mehr leisten können. Das Gegenteil ist richtig. Da hat sich bei den 2G-Veranstaltungen durch das Verhalten der Geimpften eine riesige Welle, die mehr oder minder unerkannt geblieben ist, aufgebaut. Zugleich hat man die Situation in den Schulen, wo man

die Quarantäne aufgegeben hat und alle Nachverfolgung aufgegeben hat, alles hat laufen lassen. Und jetzt ist es natürlich schon so, dass diese Gruppen, die da jetzt durchseucht werden – das ist quasi eine Subpopulation, würde ein Epidemiologe sagen –, die ja nicht Bezüge zu allen Teilen der Bevölkerung hat. Also die Grundgesamtheit, um die es hier geht, sind ja nicht – was weiß ich – 83 Millionen Menschen, sondern das sind die, die sozial aktiv sind, die, die sich da jetzt quasi gegenseitig infizieren. Und da ist dann irgendwo ein Schluss. Die haben dann alle ihre Infektion hinter sich oder sind geimpft, haben vielleicht dann kleine unbemerkte Infektionen gehabt. Und dann hört diese Welle nicht völlig auf. Es ist nicht so, dass das Virus dann verschwindet. Das wäre ja Herdenimmunität – da haben wir, glaube ich, schon oft darüber gesprochen, dass das immer eine Illusion war –, aber dann bleibt das Virus auf kleinem Niveau da, es ist dann also sozusagen ein selbstlimitierender Effekt, so kann man das nennen.

11:55

Camillo Schumann:

Die Frage ist ja, wie viel Potenzial an Toten hätte dann diese „Exit-Welle“? Es gibt Kollegen von Ihnen, die 100.000 Tote an die Wand malen. Also womit rechnen Sie denn da?

12:09

Alexander Kekulé:

Ja, ich kenne die Zahl, das war Christian Drosten, der für erhebliche Schlagzeilen mit der Schätzung gesorgt hat. Ich sehe es nicht ganz so pessimistisch, mal wieder. Es gab ja schon mal ganz am Anfang die Frage, wie viel Tote wir in 18 Monaten haben. Da hieß es mal über eine halbe Million. Also, ich sehe es auch hier nicht ganz so pessimistisch, wenn man die Rechnung mal so aufmacht. Und zwar kann ich vielleicht erklären – sozusagen der Offenheit halber –, wie Christian Drosten sich das überlegt hatte. Ich habe mir das extra in seinem Podcast angehört, in dem Fall. Und zwar hat er gesagt: Okay, also, wir haben in Deutschland

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die Situation, dass wir weniger Tote als in England haben, auf die Bevölkerung bezogen, und zwar ungefähr halb so viele. Das stimmt. Also in England gibt es auch bezogen auf die Bevölkerung fast doppelt so viele Tote wie in Deutschland bisher in der gesamten Pandemie. Und dann sagt er, wir sind ungefähr genauso gut geimpft wie die Briten. Vom Durchschnitt her, das stimmt ungefähr. Die Briten waren viel schlechter geimpft, als sie ihren Freedom Day hatten. Damals, Mitte Juli, war es so, dass sie 50 Prozent vollständig geimpft hatten. Ungefähr. Und bei den Erwachsenen waren es etwa 60 Prozent, also schon weniger deutlich weniger als wir jetzt. Und dann sagt er also, ja, wenn wir also jetzt aufmachen würden, und wir hatten nur halb so viele Toten, und die Briten haben mehr Personen, die auf natürliche Weise sich immunisiert haben, dann wäre es so, dass quasi die andere Hälfte der Toten bei uns dann nachgeholt würde. Und da wir bisher 100.000 hatten, sagt er, sind dann noch einmal 100.000 fällig. Und das kann ich nicht ganz nachvollziehen, denn die 100.000 an Toten insgesamt in Deutschland – da ist ja die Anfangsphase dabei, wo wir erst mal überhaupt keinen Impfstoff hatten, wo wir keine Maßnahmen erst einmal getroffen haben, da ist diese fürchterliche zweite Welle dabei, wo man eben auch keinen Impfstoff und kaum Immune hatte – also am Anfang gibt es ja auch wenig Menschen, die natürlich immun sind. Und natürlich hat sich die medizinische Versorgung verbessert, weil man besser weiß, wie man die Menschen behandelt und die Schutzkonzepte in Altersheimen und so weiter. Also das heißt: Insgesamt kann man meines Erachtens nicht sagen das ganze Schlimme, was bisher in der Pandemie passiert ist, wird sich dann sozusagen noch mal wiederholen, bloß, weil die Engländer in der gesamten Pandemie bis jetzt schlechter abgeschnitten haben als wir. Wir wissen ja auch, dass Boris Johnson am Anfang in Großbritannien komplett so eine Art CoronaLeugner war. Anders kann man es nicht sagen. Es gibt ja auch einen Untersuchungsausschuss deshalb in England. Und das alles sozusagen noch mal auf das Konto zu schreiben und zu

sagen: deshalb wird bei uns jetzt die gleiche Zahl an Toten noch einmal kommen in dieser Wintersaison, also bei allem Respekt, dieser Rechnung kann ich nicht ganz folgen.

Aber was man trotzdem sagen muss, ist – vielleicht nur so als Größenordnung, im Vereinigten Königreich haben sie ihren Freedom Day, da hatten sie bis heute 13.000 Tote zusätzlich. 13.000 seit diesem Tag im Juli. Also nehmen wir mal an, die hätten alle was zu tun mit dieser Öffnung, rein theoretisch, dann würden wir in Deutschland – wir haben ungefähr 1,3mal so viel Bevölkerung – dann kämen wir ungefähr auf 16.000 Tote. Das wäre sozusagen der Worst Case, wenn man sagt, genau das Gleiche wie in England wird bei uns auch passieren in diesem Winter. 16.000 Tote für eine kurze Saison. Das ist natürlich fürchterlich, und keiner will das haben. Und deshalb kann man nur sagen, ob sie jetzt da die Zahl 100.000 aufrufen oder 16.000, vielleicht ein bisschen genauer gerechnet, es ist auf jeden Fall Grund genug, um jetzt Maßnahmen zu ergreifen, um die besonders vulnerablen Gruppen zu schützen. Das heißt, wie ich gerade gesagt habe, denjenigen einenj Rettungsring zuzuwerfen, die nicht selber schwimmen können.

16:05

Camillo Schumann:

Mal schauen, ob die Ampelkoalitionäre genau das vorhaben, denn sie haben Maßnahmen präsentiert, die sie nun ins Infektionsschutzgesetz reinschreiben wollen, wenn die epidemische Lage von nationaler Tragweite nächste Woche ja offiziell ausläuft am 25. November. Mit diesen Maßnahmen sollen die Länder dann einen rechtssicheren Instrumentenkasten an die Hand bekommen, um eben individuell auf die sich zuspitzende Lage zu reagieren. Wir wollen jetzt ein paar Punkte rausnehmen. Ausgangssperren zum Beispiel soll es nicht mehr geben, aber es soll weiterhin möglich sein, Kontaktbeschränkung im privaten und im öffentlichen Raum anordnen zu können. GrünenChef Robert Habeck dazu in den ARD Tagesthemen folgendermaßen:

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16:47

„Kontaktuntersagung oder 2G-Regeln heißt zu weiten Teilen: Lockdown für Ungeimpfte. Das ist die vulgäre Übersetzung dessen, was ich gesagt habe.“

16:57

Camillo Schumann:

Tja, die Kontaktbeschränkung wäre nach dem Auslaufen der epidemischen Lage nicht mehr möglich gewesen. Nun sollen sie trotzdem möglich sein. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?

17:08

Alexander Kekulé:

Kontaktbeschränkung ist leider, wenn man jetzt die Welle stemmen wollte also ich bin der Meinung, das kommt alles zu spät und wird nicht mehr funktionieren. Aber ich versuche, mich reinzudenken in die Leute, die da mit ihrer Gießkanne stehen und versuchen, wie sie das Feuer noch löschen können. Da sage ich jetzt mal, ja, das wäre ein wirksames Mittel. Also, man kann ganz simpel sagen, wenn Sie eine epidemische Welle einfangen wollen bei so einer Erkrankung, die von Mensch zu Mensch fliegt und bei Delta so R-Null von ungefähr fünf hat (also, wenn Sie nichts tun, infiziert einer ungefähr fünf Leute, statistisch), dann sind Sie in einer Situation, wo sie einfach die Kontakte reduzieren müssen. Das ist das, was man machen muss. Das ist ja auch das wesentliche Element, warum die Lockdowns eine Wirkung hatten am Ende des Tages: dass man die Ausgangssperren jetzt nicht mehr verhängt, also so ganz blind sagt, ihr dürft nicht mehr aus dem Haus, da sage ich mal ja, das ist richtig. Aber das hätte man mit dem Weiterlaufenlassen der epidemischen Lage ja sowieso wohl nicht gemacht, weil diverse Verwaltungsgerichte das kassiert haben, also zumindest zu bestimmten Zeitpunkten. Zunächst einmal auch in Bayern die Verwaltungsgerichte bis zur letzten Instanz haben gesagt, den Leuten zu verbieten, auf die Straße zu gehen oder alleine auf der Bank zu sitzen, das geht einfach nicht. Und ich glaube, da haben sie vielen aus der

Seele gesprochen. Mir auch. Das war einer der vielen Schildbürgerstreiche, die man gespielt hat in dieser Pandemie. Aber das war ja schon bekannt. Das war ja schon bekannt. Das muss ich jetzt nicht als große Neuerung verkaufen. Ich habe das Gefühl, die Politiker haben jetzt einfach einmal gesagt, wir machen das nicht mit diesem Verlängern der pandemischen Lage. Und jetzt müssen sie irgendwie erklären, warum das trotzdem klug ist, was sie da fabrizieren. Wir hatten ja ganz am Anfang in dieser Pandemie die Situation, dass Frankreich zum Beispiel oder Österreich – die haben ja echte Ausgangssperren gehabt, wo die Leute zu Hause bleiben mussten, so nach dem Modell China sozusagen, so ähnlich wie es in Wuhan ja auch war – und das hat ja zum Glück hier nicht stattgefunden. Damals gab es eine heiße Diskussion, wo – an der Stelle kann ich das auch noch einmal sagen – der Christian Drosten und ich die zwei waren, die gesagt haben: Nein, man soll die Leute nicht zu Hause einsperren. Und ich glaube, das hat schon eine gewisse Wirkung gezeigt bei der Politik. Und deshalb haben wir es ja so gehabt, dass man noch rausdurfte. Und man konnte mit den Kindern raus, mit den Hunden raus und so weiter. Und heute weiß man, dass im Freien die Infektionsgefahr, wenn man Abstand hält, extrem gering ist. Das ist ja alles letztlich vom Tisch gewesen. Darum sage ich mal, wenn Herr Habeck da sagt, naja, das wollen wir nicht mehr. Letztlich werden alle Elemente des Lockdowns wieder mit drinnen sein. Es wird alles mit drin sein, bis auf ein paar Sachen, die man rausgestrichen hat. Und der Ausgangssperre jedenfalls trauere ich nicht nach. Was ich problematisch finde, ist, dass man sagt, es gilt alles nur für Nichtgeimpfte. Das heißt also für die 2G-Leute gilt der Lockdown nicht. Das ist das Problem einfach, man muss sich überlegen, strategisch, was will ich, glaube ich immer noch, dass ich die Welle irgendwie brechen kann? Da muss ich natürlich den Lockdown oder was auch immer, wie man das nennen möchte, für alle machen, die Kontaktebeschränkungen, weil auch die Geimpften und die Genesenen natürlich das Virus massiv weitergeben. Und ich muss es leider auch für

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Kinder dann machen und in den Schulen und so weiter. Das wäre sozusagen der Ansatz, die Welle noch mal unter Kontrolle zu bringen, wenn man sagt, wir machen jetzt quasi Verbote wie in Österreich, nur für solche, die nicht geimpft oder genesen sind. Das wird nicht funktionieren, weil man eben dann einen Großteil dieser Welle überhaupt quasi ignoriert. Und das wird aber ganz massiv soziale Konflikte nach sich ziehen bis hin zu der Frage, wie leicht man dann solche Bescheinigungen fälschen kann und so weiter, sodass ich überhaupt nicht sehe, was das bringen soll, die 2GRegelungen und diese massiven Freiheiten für die 2G-Leute: also keine Masken, keine Tests, keine Höchstzahlen bei den Veranstaltungen und so weiter. Das ist ja ein großer Teil, warum wir jetzt in die Lage gekommen sind, in der wir sind. Und mit diesem Therapeutikum jetzt den kranken Patienten noch kränker zu machen, da sehe ich überhaupt nicht, was das bringen sollte.

21:20

Camillo Schumann:

2Plus wird er in vielen Bundesländern diskutiert, zum Beispiel spricht der Senat in Berlin darüber. In Bayern wird es auch gefordert. Manchmal, in manchen Regionen, wird es auch schon umgesetzt. Also 2G Plus heißt, das sind die Geimpften und Genesenen, bevor sie dann einen Club oder ein Restaurant besuchen, dass sie sich auch noch testen lassen können und dann erst auf Maske verzichten und Abstand. Wäre dann sozusagen in ihren Augen 2G Plus dann flächendeckend, deutschlandweit ein probates Mittel?

21:49

Alexander Kekulé:

Ich halte es für nicht praktikabel. Aber wenn man das umsetzen würde – ich lasse mich auch immer gerne überraschen –, aber wenn das wirklich machbar wäre, wäre das ein richtiges Mittel. Aber da muss man schon die Frage stellen: Wenn ich die sowieso alle teste, wieso kann dann ein Ungeimpfter, der auch getestet ist, nicht dabei sein? Also die Frage ist ja, was

ist das Ziel der Maßnahme? Und das, glaube ich – die Frage wird viel zu selten gestellt –, Ziel der Maßnahme ist entweder, die Welle zu brechen, das heißt die Inzidenz runterzubringeAber, wenn man das Ziel hat, dann kann man mit genau der gleichen Logik auch die Leute, die also nicht geimpft sind, dann natürlich reinlassen, wenn sie unmittelbar vorher getestet sind.

Oder das Ziel der Maßnahme ist es, speziell die Risikogruppen zu schützen. Dann müsste man sagen, Impfung für Ü60 muss man massiv vorantreiben. Da haben wir noch viel größere Lücken als die Engländer. Das ist übrigens unser Hauptproblem. Warum bei uns die Welle möglicherweise schwerer verläuft als im Vereinigten Königreich? Denn die haben viel bessere Impfquoten bei den über 80-Jährigen, die sind da fast 100 Prozent geimpft. Und bei uns laufen halt noch diese 3 Millionen rum, die über 60 sind und ungeimpft, das ist unsere Achillesferse, das ist unser großes Problem. Also, wenn man jetzt sagt, man will die Risikogruppen schützen, wenn das die Strategie wäre, da müsste man sagen: erstens eben Impfung für über 60-Jährige, das muss man vorantreiben. Zweitens die Booster und die Boosterung, weil viele in dem Alter keinen vollständigen Schutz haben aus verschiedenen Gründen, liegt am Impfstoff, liegt am Zeitablauf, liegt an den NonResponders dass man da dringend sofort quasi, Alarmstufe Rot, den Impfstoff auspackt und die alle impft, und die Altenheime schützt. Sie wissen, ich bin ja dafür, tatsächlich auch in den Altenheimen und in bestimmten Krankenhausabteilungen die Impfung für das Personal verpflichtend zu machen. Mit diesem Paket, was man natürlich noch weiterdenken kann, aber mit so einer Art von Paket kann man die, die selber nicht schwimmen können, vor dem Ertrinken retten. Aber das ist eine viel gezieltere Maßnahme, als jetzt zu sagen, bei diesen 2G-Veranstaltungen dürfen keine Getesteten rein. Und die Vorstellung – vielleicht den einen Satz noch – da ist jetzt so eine Party in so einem Partykeller, wo ich da nur eine 2Goder 3G-Veranstaltung mache, dass jetzt dort derje-

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nige reinkommt, den ich vor dem Virus schützen muss, also sozusagen der 60-Jährige Ungeimpfte, und sich dort dann vor Ort infiziert, das ist epidemiologisch einfach unwahrscheinlich. Mag schon sein, dass das mal vorkommt, aber das ist für die gesamte Epidemie völlig zu vernachlässigen. Weil die, wenn sie so eine hohe Inzidenz haben, können sich diese Leute, die da im Risiko stehen, doch überall infizieren. Und ob ich denen dann den Zutritt zu so einer Party verbiete, wenn sie sich am nächsten Tag zuhause infizieren oder am Arbeitsplatz oder sonst wo, das das bringt ja eigentlich nichts, wenn der Infektionsdruck zu groß ist.

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz, wenn ich Ihnen so zuhöre, wäre dann möglicherweise 1-G deutschlandweiter für alle öffentlichen Einrichtungen ein probates Mittel.

25:05

Alexander Kekulé:

Wenn Sie jeden testen würden, dann im öffentlichen Bereich, dann ist die Situation natürlich so, dass sie fragen müssen, wo habe ich denn vielleicht zusätzlich die Maske? Als Schutzmaßnahme glaube ich noch an die Maske als Schutzmaßnahme. Und da ist es natürlich so, wir haben in den Geschäften die Maske, wir haben im öffentlichen Nahverkehr die Masken und dann natürlichen bei den Behörden im öffentlichen Bereich. Und da jetzt zu sagen, da muss ich zusätzlich testen, das wäre meines Erachtens völlig übertrieben. Dann würden wir einen Sicherheitslevel einziehen an einer Stelle quasi, dann doppelt gemoppelt: Die Maske plus den Test, was meines Erachtens nicht erforderlich ist. Also da, da würden wir an einer Stelle übertreiben, an ganz vielen anderen Stellen im Topf sind solche Löcher, die man nicht unter Kontrolle hat. Vielmehr muss man sagen: Da, wo die Maske getragen wird, kann man diskutieren, ob FFP-2 sinnvoll ist, oder nicht. Aber da, wo die Maske getragen wird, da geht es darum, dafür zu sorgen, dass das auch konsequent gemacht wird. An der Stelle funktionierte schon vieles nicht. Und

dann zusätzlich alle zu testen, das halte ich in dieser Situation nicht für erforderlich. Erforderlich ist es dann, wenn Sie sich überlegen, darf man die Maske eventuell ausziehen. Und da würde ich ja keine Sekunde daran denken, irgendwo im öffentlichen Bereich, sondern da kann es nur um Freizeitveranstaltungen im privaten Bereich gehen. Und dann müsste im Grunde genommen auch ein Warnschild immer draußen dranhängen, so ähnlich wie in Raucherkneipen: Achtung, hier ist eine Raucherkneipe. Wer hier reinkommt, hat ein gewisses Risiko, seine Lungenkrebsgefahr zu erhöhen. So muss eigentlich allen, die nicht geimpft sind, klar sein, wenn sie da reingehen, dass Sie natürlich ein Risiko eingehen, sich anzustecken.

26:47

Camillo Schumann:

Wenn ich Ihnen so zuhöre, wäre das möglicherweise auch schon die Antwort auf die Diskussion um die 3G-Regel im öffentlichen Nahund Fernverkehr. Da soll es zusätzlich zur Maskenpflicht nun auch die 3G-Regel geben. Das ist zumindest in der Diskussion. Mal unabhängig von der Umsetzbarkeit: Ist diese Maßnahme epidemiologisch überhaupt sinnvoll?

27:06

Alexander Kekulé:

Nein, wir brauchen diese zweite Ebene dort nicht. Wir brauchen wirklich die Ebene – und ich kann Ihnen sagen, ich fahre wirklich oft Zug, die paar Schaffner im Zug kriegen das gar nicht hin, überhaupt dafür zu sorgen, dass die Leute die Maske aufhaben, das ist ja kaum möglich. Jeder hat da seine Wasserflasche danebenstehen, und im Zweifelsfall ist er gerade am Trinken, und man sieht ständig Leute, die, um zu sprechen, die Maske abziehen. Das ist also sehr beliebt, dass man besser sprechen kann, nimmt man die Maske runter. All das passiert ständig und dauernd. Und jetzt soll dieses Personal nicht nur das überwachen, sondern zusätzlich noch kontrollieren, ob die Leute geimpft oder genesen sind. Das wird nicht funktionieren.

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27:46

Camillo Schumann:

Es soll eine tägliche Testpflicht in den Altenund Pflegeheimen geben. Die soll sowohl für Personal und Bewohner als auch für Besucher gelten. Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wird unter den Ampelkoalitionären diskutiert. SPD, Grüne und FDP stehen dieser Impfpflicht offen gegenüber, allerdings nicht für bestimmte Berufsgruppen. Sie überlegen eher, ob eine Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen Sinn macht, also für Altenheime hieße das dann, dort würde die Impfpflicht für alle Mitarbeitenden gelten, vom Reinigungsbis zum Pflegepersonal. Da wäre man ja dann so richtig auf der sicheren Seite oder wäre das übertrieben?

28:23

Alexander Kekulé:

Naja, also als Virologe wünsche ich mir natürlich, dass so viele Leute wie möglich geimpft werden. Praktisch gesehen ist natürlich die Frage, wenn man jetzt so eine spezielle Plicht hat, wie begründet man das. Und mein Vorschlag ist ja deshalb so selektiv, weil ich finde, da ist die Begründung dann wirklich knallhart. Ich sage, es soll nur für diejenigen eine Impfpflicht bestehen, die regelmäßig unmittelbaren Kontakt haben, also sozusagen pflegeund körpernah tätig sind im Rahmen der Pflege, im Rahmen der Versorgung medizinischen Versorgung von Hochrisiko-Personen. Und dadurch ist es sehr stark eingegrenzt, aber dann im Grunde genommen auch völlig klar, dass da die Indikation besteht, ohne Wenn und Aber. Wenn Sie jetzt sagen, da muss dann auch quasi jeder vom Putzdienst in so einem Altenheim auch geimpft sein, sehe ich da erstens ein Begründungsproblem, weil es natürlich mildere Mittel gibt, die Sicherheit herzustellen. Zum Beispiel, indem man sagt, mobile Alte verlassen dann eben beim Putzen ihr Zimmer und hinterher wird kurz gelüftet, oder wenn das nicht möglich ist, dann muss eben der Putzdienst, wenn er in das Zimmer reingeht, eine FFP-Maske tragen. Da halte ich das wirklich für lösbar, das Problem. Und die regelmäßigen

Tests gibt es ja sowieso. Die Impfung ist ja quasi eine zusätzliche Sicherheitsebene, die man einzieht, zusätzlich zu den regelmäßigen Tests, und zwar deshalb, weil wir wissen, dass diese Tests einfach in der Praxis immer lückenhaft durchgeführt werden. Das kann nicht funktionieren. Und deshalb will ich sozusagen diese Basis-Sicherheit der Impfung zumindest für die Personen, die ganz nah dran sind.

Und das zweite Problem ist, das ist natürlich diese – wir haben ausführlich über die Impfpflicht, die ich empfohlen habe, gesprochen. Es ist so, das können Sie von sozialen Berufen gerade im medizinischen Bereich – ich sage jetzt mal so die klassische Ordensschwester, das ist ja da mal der Prototyp früher gewesen – da kann man das eher erwarten. Das ist mit der Berufswahl auch irgendwie verbunden, anderen zu helfen und sich selber mal zurückzunehmen. Ja, das erlebt ja jeder Assistenzarzt. Wenn er plötzlich zwei Nachtschichten nacheinander machen muss, weil die Ablösung nicht gekommen ist oder Ähnliches, das wäre am Fließband irgendwo natürlich anders. Da würden die Leute einfach sagen, ich gehe jetzt heim, da bleibt das Fließband eben stehen. Und so was können Sie von Leuten, die jetzt zum Beispiel putzen – oder was weiß ich, ein Techniker, der die Steckdose auswechselt – von so jemandem können Sie das nicht erwarten, dass der so diesen Ansatz hat.

Und aus zwei Gründen, finde ich, soll man es begrenzen, so stark wie möglich. Und vielleicht kann ich das gleich hinterherschieben: Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, jetzt zum Beispiel das Personal in Kitas zu verpflichten, sich zu impfen. Also da sehe ich es überhaupt nicht, weil die Kinder sind ja die, die am wenigsten gefährdet sind. Da gilt das gleiche Argument mit umgekehrten Vorzeichen.

31:18

Camillo Schumann:

Diese bloßen Ankündigungen dieser Maßnahme sorgt dafür, dass ich mir auch ganz viele Menschen, die sich bisher noch nicht geimpft haben, nun umentschieden haben, das Ganze

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nachzuholen. Die 2G-Regel, die es in vielen Bundesländern gibt, hat dann offenbar auch zum Umdenken geführt, die Diskussion um die mögliche Impfpflicht. Und dazu kommen auch viele Menschen, die sich ihre Auffrischungsimpfung abholen wollen. Das führt dann in ganz Deutschland zu Chaos. Lange Schlangen vor den mittlerweile ja auch teilweise reaktivierten Impfzentren bilden sich. Der Impfstoff wird hier und da auch schon knapp, hört man. Impfwillige werden auch wieder nach Hause geschickt. Also ein ziemliches Durcheinander. Herr Kekulé, sollte in dieser Situation wieder zur Priorisierung zurückgekehrt werden, was die Impfung angeht, also sowohl erst Impfung als auch Auffrischungsimpfung nach der altbekannten Priorisierung, also erst die mit dem höchsten Risiko?

32:07

Alexander Kekulé:

Ja, also, wir sind bei den ersten Impfungen ja mit dem hohen Risiko mehr oder minder durch. Aber bei den Auffrischungen, die so genannten Booster-Impfung, da sehe ich tatsächlich das Problem, dass wir jetzt einen Andrang haben, wie Sie richtig sagen. Das hat man übrigens in Österreich auch beobachtet. Da wurde dann das feierlich verkauft als großer Erfolg dieser 2G-Regelung, dass es so irren Andrang an den Impfzentren kurzzeitig gab. Und wenn man genauer hingeschaut hat, war also gut die Hälfte Leute, die noch mal hingegangen sind. Denn ich glaube, es hat keinen Sinn, jetzt 20Jährigen die dritte Booster-Impfung also die dritte Impfung zu geben während also die über 60-Jährigen zum Teil noch darauf warten müssen. Also das ist dann auch sehr willkürlich, weil der eine hat einen Arzt, der sagt, klar, mache ich dir, und der andere verfolgt eigentlich die Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Die sagt ja, unsere Empfehlung ist erst ab 70 und ab sechs Monaten nach der 2. Impfung die 3. zu geben. Und da gibt es heute Ärzte, die sagen, mache ich nicht. Und da, finde ich, wäre es viel besser, so etwas wie eine Priorisierung zu machen. Dazu gehört an allererster Stelle

noch einmal der Aufruf an die Stiko fast flehentlich inzwischen: Bitte zu empfehlen: Alle ab 60 kriegen jetzt den Booster. In England ist seit dieser Woche ab 40 Booster, die Empfehlung: ab 40. Und bei uns ringt man sich nicht einmal dazu durch, diese Grenze auf 60 zu erniedrigen. Also da an der Stelle verstehe ich die Welt nicht mehr, denn die Daten sind seit Monaten auf dem Tisch, und es ist völlig klar, dass die ab 60-Jährigen davon profitieren. Darüber haben wir auch schon oft von gesprochen. Und ich meine auch, dass die Boosterung nach vier Monaten nach der zweiten Spritze sinnvoll wäre. Ich habe auch schon mal erklärt, warum: hauptsächlich deshalb, weil wir jetzt mitten in der Welle stecken. Und wer jetzt nicht geboostert wird, hat nichts mehr davon, wenn er jetzt noch zwei Monate wartet und sich zwischendurch infiziert.

34:05

Camillo Schumann:

Sie haben es auch angesprochen, dass es manche Ärzte gibt, manche Hausärzte, die die Auffrischungsimpfung ablehnen und nicht machen. Der Städteund Gemeindebund hält außerdem noch eine kurzfristige Wiederaufstellung der Corona-Impfzentren für sehr, sehr unrealistisch. Impfzentren, so wie Sie waren, werden wir kurzfristig nicht wiederaufbauen können. Erst frühestens Ende Januar, Anfang Februar wieder. Das hat der Hauptgeschäftsführer, Gerd Landsberg der Rheinischen Post gesagt, mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag. Wo dann sicherlich auch wieder ganz, ganz viel gefordert wird. Also hat man es doch eigentlich versäumt, die Impfzentren, die auf Stand-by gehalten werden sollten, jetzt wieder zu reaktivieren. Das ist doch eigentlich Chaos mit Ansage.

34:48

Alexander Kekulé:

Naja, ich glaube, wir haben über dieses Thema schon vor ein paar Wochen mal gesprochen. Aber ich glaube schon damals war immer meine Einschätzung, dass das schwierig sein wird, das Personal wieder zu rekrutieren, weil

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die ja in neuen Tätigkeiten jetzt sind. Zum Teil hatten die ja überhaupt nur Zeit für diese Impferei, weil sie selber in irgendwelchen downgelockten Beschäftigungen waren. Zweitens: die Räume, um die es geht, die waren ja häufig irgendwelche, was weiß ich Turnhallen von Schulen, die geschlossen waren, oder in Berlin, da am Flughafen, irgendwelche Eventplätze, die da für andere Sachen sonst genutzt werden. Und da ist jetzt überall dadurch, dass der Lockdown ja zu Ende ist, die ursprüngliche Nutzung wieder herbeigeführt. Darum war das völlig klar, dass es ziemlich schwierig wird.

35:32

Camillo Schumann:

Aber ganz kurz: Es stand doch eigentlich schon vor Monaten fest, dass es diese Auffrischungsimpfung geben wird oder dass man sie braucht. Da hätte man doch schon vor Monaten anfangen können. Wie so fängt erst jetzt damit an?

35:41

Alexander Kekulé:

Ich bin immer so ein bisschen vorsichtig mit so in die Vergangenheit gucken. Aber Sie haben natürlich recht. Wenn man es jetzt mal analysiert, würde ich mal sagen, also richtig knallhart schwarz auf weiß: Der letzte Tropfen, das ist ganz klar die Auffrischimpfungen für die über 60-Jährigen, und zwar für alle, das ist seit zwei Monaten ungefähr klar, würde ich sagen. Also jetzt noch gut gerechnet für diejenigen, die sagen, ja, wir wussten ja nicht .... Das ist ja immer das gleiche Argument. Insbesondere wissenschaftliche Berater sagen da immer, ja, gestern ist wieder etwas ganz Neues publiziert worden, oder ich habe eine neue Studie gelesen, die ich vorher nicht kannte. Und jetzt bin ich aber der Meinung. Aber wenn man das alles mal mit dazu nimmt, dann ist seit zwei Monaten völlig klar, dass wir die über 60-Jährigen impfen müssen. Hätte die STIKO die Empfehlung sofort gegeben, hätten natürlich die Länder auch wahrscheinlich eher reagiert, weil jetzt wieder Impfzentren hochzuziehen, solange eine klare Empfehlung da ist, ist auch so

eine Sache. Ich sehe jetzt ein bisschen das Problem: ja, wir haben natürlich viel Impfstoff, mal grundsätzlich. Es war ja die Rede von 100.000 Dosen, die wir im Prinzip zu viel bestellt haben und die jetzt geliefert werden im letzten Quartal. Und deshalb müssten wir, wenn das noch stimmt ich weiß nicht, ob das noch gilt, da war ja auch die Idee, da eine nationale Reserve anzulegen oder das zu verschenken, oder sonst was. Also wenn wir das selber verwenden würden – mal den ganzen Egoismus den Entwicklungsländern gegenüber außenvorgelassen –, dann ist es so, dass wir einfach eine wahnsinnig logistische Aufgabe jetzt haben. Ich schaue gar nicht auf die Zentren. Es ist einfach SOS-Modus. Wir müssen jetzt in den SOS-Modus schalten. Es kommt diese Welle. Wir brauchen nicht mehr lange darüber nachzudenken, ob wir sie hier oder da noch ein bisschen dämpfen können, sondern wir müssen die besonders Gefährdeten schützen. Das ist jetzt Das-rette-sich-wer-kann sozusagen. Und deshalb bin ich wirklich dafür, dass man dieses Aufbauen der Impfzentren – wie auch immer man das nennen will, da braucht man jetzt eine Kreativität wie in der Katastrophensituation – notfalls soll halt die Bundeswehr Zelte aufbauen oder sonst was. Da wird den Politikern schon etwas einfallen. Wir sind ja in Deutschland jetzt nicht auf den Kopf gefallen bei so etwas. Da muss man einfach jetzt improvisieren und ganz schnell was machen, um diesen Punkt hinzubekommen, denn das ist eine der wichtigsten Maßnahmen.

Vielleicht nur noch einmal das eine: Durch die Auffrischungsimpfung wird ja auch – auch wenn sie vielleicht bei einigen gar nicht nötig sein wird, das wissen wir nicht, ob das jetzt bei allen wirklich dringend nötig ist –, aber durch die Auffrischungsimpfung wird diese angeborene Immunantwort noch einmal kurz stimuliert. Das ist quasi diese Reaktogenität dieser RNA-Impfstoffe. Das ist zum Teil eine ganz unspezifische Reaktion, die nicht so unbedingt was mit dem Sars-CoV-2 zu tun hat. Aber die führt dazu, dass man so zumindest mal ein paar Monate, ich sage mal so eine Hausnum-

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mer, vier Monate hat man dann eine verstärkte Bereitschaft des Immunsystems, falls das Sars-Cov-2 daherkommt. Und das ist genau die Welle, die wir vor uns haben. Das heißt, die Diskussion, ob das langfristig was bringt oder nicht oder epidemiologisch was bringt, ob man damit insgesamt Wellenbrecher machen kann und so, oder ob es die Herdenimmunität vielleicht doch gibt, das können wir alles verschieben. Aber durch diese Auffrischung verringern wir einfach die Zahl der Infektionen und der schweren Verläufe in dieser besonderen Altersgruppe, die besonders gefährdet ist. Und nur darum geht es doch, denn die Frage, wie viele Menschen ins Krankenhaus kommen, die wird in den bevorstehenden Monaten darüber entscheiden, ob wir an Weihnachten einen Lockdown haben oder nicht, um es mal so knallhart zu sagen.

39:20

Camillo Schumann:

Stichwort Bundeswehr: Die Bundeswehr bereitet sich auch gerade auf einen bundesweiten Corona-Notlagen-Einsatz vor. Das hat zumindest der zuständigen Generalleutnant Martin Schelleis gesagt. 12.000 Soldaten und Soldatinnen sollen zur Unterstützung der überlasteten Kliniken und Gesundheitsämter mobilisiert werden. Und die sollen dann auch helfen bei der Booster-Impfung, und bei den Schnelltests in Pflegeheimen und Hospitälern dann auch bereitstehen. Also die Bundeswehr mobilisiert sich gerade. Das ist es ja schon mal ein gutes Gefühl.

39:50

Alexander Kekulé:

Das ist zumindest mal ein Schritt in die richtige Richtung. Das sind die Dinge, die Priorität haben. Also wir müssen in die Altenheime. Die Infektionen und Ausbrüche in den Altenheimen gehen ja wieder massiv hoch, sogar in Krankenhäusern haben wir wieder Ausbrüche. Ich erinnere mich an die Situation vor einem Jahr. Und das Ganze aber in einer Lage, wo ein Total-Lockdown erstens zu spät käme, das muss man ganz klar sagen. Und zweitens politisch

natürlich überhaupt keine Chance hat durchzukommen. Ich verstehe das auch, dass natürlich die Geimpften und Genesenen sagen, was soll das jetzt? Ich mache doch keinen Lockdown. Also das würde wahrscheinlich zur Revolution führen. Auf jeden Fall würden sich viele nicht daran halten. Und deshalb haben wir nur diese eine Möglichkeit. Da wir die Wellen nicht brechen können, haben wir nur die Möglichkeit, möglichst viele Leute vor Ansteckung zu schützen oder zu impfen und damit Leben zu schützen. Und vielleicht müsste man auch noch einmal darüber nachdenken, wie viele Leute man in die Dörfer schickt, die es da so in Bayern gibt und im Süden Sachsens und in Thüringen, natürlich auch in anderen Teilen Deutschlands, wo besonders viele Ungeimpfte leben und ob man nicht dort noch einmal gezielte Kampagnen macht, an denen noch mal ganz gezielt vor Ort erklärt, wie wichtig die Impfungen sind.

41:04

Camillo Schumann:

Weil die Lage so dramatisch ist, wird dann auch die Verteidigungsministerin, die NochVerteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag beim Bund-LänderTreffen zur aktuellen Corona-Situation mit dabei sein. Das ist auch ein Novum. Aber da hoffen wir mal, dass da ein Signal davon ausgeht.

Kommen wir noch zu einer spannenden Studie. Sie hatten es eingangs schon erwähnt: Es geht um eine unbemerkte Infektion mit dem Coronavirus, eine sogenannte apportive Virusinfektion, also eine Infektion, die so unbemerkt ist, dass sie weder PCR-Tests noch in Antikörpertest nachgewiesen werden kann, aber der Körper sich erfolgreich gegen das Virus gewährt hat. Bevor wir über die Studie sprechen: Erst einmal: Wie kommt es eigentlich zu so einer apportiven Virusinfektion?

41:45

Alexander Kekulé:

Ja, also das ist so die große Unbekannte immer in dieser ganzen infektiologischen Welle gewesen. Das könnte unser Bild auf die ganze Pandemie noch einmal ändern. Und zwar ist es so:

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Wir kennen doch alle das Phänomen: der eine wird krank, der andere wird nicht krank. Beide wurden angehustet. Der eine ist hinterher eine Woche lang im Bett, und der andere hat gar nichts. Da sagt man, ich habe ja auch ein gutes Immunsystem. Und was da passiert biologisch ist: Natürlich fliegen einem die Viren auf die Schleimhaut. Und bei diesen Infektionen wird eben auf der Schleimhaut das Virus unter Umständen so schnell erledigt, dass es weder zu einer positiven PCR kommt (zumindest, wenn man sie dann macht. Man kann die PCR nicht Tag und Nacht ständig alle 5 Minuten machen. Aber wenn man es in regelmäßigen Abständen macht, sieht man keine positive PCR. Und vor allem es gibt keine Antikörper, weil die Schleimhautimmunität quasi völlig autonom, ohne dass, wenn ich das mal so nennen darf, die Blutimmunität überhaupt eingeschaltet wird. Schon da draußen an der Vorfront das Problem erledigt wird, also der Bandit wird gleich sozusagen dort verhaftet, wo er zum ersten Mal einbrechen will und muss gar nicht mit hinein aufs Polizeirevier, wo dann sozusagen die Antikörper in den Lymphknoten unterwegs sein werden. Das gibt es schon länger. Wir kennen das von anderen Viren. Aber hier ist es jetzt ganz konkret, sodass wir aufgrund dieser Studie sagen können, es gibt einen relativ hohen Anteil offensichtlich von Menschen, die in der Lage sind, das Virus und zwar nicht nur Kinder, bei Kindern wissen wir das ja, dass die diese angeborene Immunität auf der Schleimhaut haben, aber dass die wirklich in der Lage sind, dieses Virus abzuwehren, ohne dass man das hinterher an den Antikörpern oder währenddessen mit der PCR feststellen könnte.

43:33

Camillo Schumann:

Und bei wem könnte das am häufigsten sein? Sie haben gesagt bei den Jüngeren ist es wahrscheinlich, aber dann auch, möglicherweise bei Älteren.

43:41

Alexander Kekulé:

Ja, wir haben es ja hier schon ein paar Mal diskutiert für die Kinder. Da muss ich, glaube ich, nicht noch mal Bezug darauf nehmen. Die haben auf den Schleimhäuten einfach diese generelle Aktivierung, wo auch immer so die Idee war, dass vielleicht andere Virusinfektionen, die sie ja ständig haben, gerade so im Kita-Alter, dass die dazu führen, dass das Immunsystem auf den Schleimhäuten schon im Verteidigungsmodus ist und dadurch eben, wenn das Sars-Cov-2 daherkommt, das einfach mal so nebenbei noch mit abgeräumt wird. Zweitens ist es so, dass wir ja in diesem Podcast schon mal überlegt haben vor vielen Monaten: Es ist ja immer dieses Phänomen, das so Kita-Betreuer, dass die irgendwie seltener krank werden. Also mich hat das schon immer umgehauen. Also wenn bei mir die Kinder irgendwelche Erkältungen nach Hause bringen, dann stecken Sie mich eigentlich immer an, weil ich so ein Bürohocker bin. Ich kriege relativ wenig, sage ich mal, Viren ab, wasche mir auch immer brav die Hände. Aber wenn man dann mit den eigenen Kindern, bei denen steckt man sich an und peng, ist man dann krank, dann denke ich mir immer, wie machen das so Leute, die in der Kita arbeiten? Und da ist wahrscheinlich einer der Gründe, dass die ständig mit anderen Viren bombardiert wurden und deshalb auch seltener an diesem Sars-CoV-2 erkranken. Dahaben wir schon länger Daten dafür gehabt, dass es Menschen gibt, die durch Kontakt insbesondere auch mit anderen Coronaviren so eine Art Kreuzimmunität entwickeln. Und es gab ja mal diese ganz irre Idee, die mir ein Freund mal vor langer Zeit (der ist Unternehmer und Biochemiker), der hat mir vor langer Zeit mal gesagt, Mensch, wäre es nicht eine Idee, wenn wir quasi alle künstlich infizieren mit einem der anderen Coronaviren, mit diesen harmlosen Erkältungsviren würde man vielleicht eine Kreuzimmunität erzeugen, mit der Folge, dass die dann auch bei Sars-CoV-2 leichtere Verläufe haben. Also im Nachhinein gar nicht so schlecht, der Vorschlag. Aber das sind so Sachen. Alle infizieren mit einem Virus, da weiß man nie, was auskommt. Deshalb hat

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das natürlich keiner ernsthaft versucht. Und vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, was die da gemacht haben. Eine englische Studie der Universität London und andere haben Folgendes gemacht: Die hatten 53 Personen. Die haben so eine Kohorte, die sie schon seit Anfang der Pandemie wöchentlich untersuchen, Leute, die im Krankenhaus arbeiten, Health Care Workers. Und mit denen werden einmal die Woche PCRs gemacht, einmal die Woche Blut abgenommen, das ganze Programm, um zu gucken, ob die sich infizieren oder nicht, das sind sozusagen staatlich anerkannte Versuchskaninchen. Und in dieser Gruppe haben die 52/53 gehabt, die sich überhaupt nicht angesteckt haben bis jetzt. Obwohl sie quasi in einem Umfeld waren, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, sich anzustecken. Die waren nie sehr positiv. Die waren nie PCR-positiv, obwohl sie sich verhalten haben wie ihre Kollegen, die reihenweise natürlich Infektionen bekommen haben. Und dann haben wir gesagt, okay, jetzt schauen wir doch mal nach. Was ist bei denen im Blut los und haben die verglichen mit den 52 anderen, die vor der Pandemie quasi Blut abgenommen bekommen haben, also Blutabnahmen vor der ganzen Pandemie. Und dann haben die festgestellt, die haben natürlich keine Antikörper gegen das Spike-Protein, also klassische Antivirus-Antikörper haben die nicht. Aber die haben etwas, das ganz merkwürdig ist: Die haben T-Zellen, reaktive T-Zellen, die gegen einen ganz anderen Teil dieses Coronavirus‘ aktiv sind, nämlich innendrinnen gegen die sogenannte RNA-Polymerase, oder so einen Komplex von der RNA-Polymerase. Das ist das Enzym dieses Virus‘. Das Coronavirus hat ja RNA als Erb-Informationen, und die muss es ganz am Anfang, wenn es sich replizieren will, wenn sie sich vermehren will, muss es diese RNA kopieren. Und diese Polymerase ist zwischen verschiedenen Coronaviren relativ gut konserviert. Dass es überall sehr ähnlich ist, hängt damit zusammen, dass das Ganze am Anfang der Replikation, also des Vermittlungsprozesses, stattfindet. Und diese RNA-Polymerase, gegen die haben diese Menschen, diese Health Care Workers, die keine Infektion

gebildet haben, die haben reaktive T-Zellen dagegen, und zwar überdurchschnittlich oft. Und dann hat man gedacht, das ist ja erstaunlich, da hat sich das Virus einen ganz anderen Teil vom Immunsystem ausgesucht und hier offensichtlich T-Zellen, also keine Antikörper, sondern T-Zellen gebildet, die das erkennen können. Und dann haben Sie das beobachtet, wie sich das verändert, bei denen, wo sie während der Pandemie das Blut abgenommen haben und bei denen, wo sie Kontrollen von vorher hatten. Und da hat man festgestellt, dass diese Reaktivität von diesen speziellen T-Zellen stärker und breiter geworden ist. Also die haben sozusagen so reagiert, als hätten sie den Feind gesehen. Die hatten quasi, wenn man so will, das Spiegelbild des Coronavirus noch vor den Augen. Aber es ist so, dass die Menschen ja nicht krank wurden.

Und es gab auch noch einen anderen Parameter: Da gibt es Interferon-Proteine, an denen man erkennen kann, ob jemand wahrscheinlich Covid hatte oder nicht. Und das ist bei diesen Leuten auch erhöht gewesen, sodass man jetzt indirekt bewiesen ist es nicht, aber ich sage mal so mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit ist die richtige Interpretation dieser Daten folgende: Diese Menschen hatten Kontakt mit dem Coronavirus, die sind sozusagen infiziert worden. Aber weil sie vorher schon andere Coronaviren, also nicht dieses Sars-Cov-2, sondern die harmlosen Coronaviren abbekommen haben, hatte das Immunsystem gegen einen ganz anderen Teil nicht dieses Spike-Protein, was wir für die Impfung nehmen, sondern diese Polymerase als eine Antwort entwickelt, die wir nicht genau verstehen, wie sie funktioniert, die aber etwas mit dieser angeborenen Immunantwort wahrscheinlich zu tun hat. Und die führte dazu, dass da nichts passiert ist. Kontakt mit dem Virus und keine PCR-positiv, keine Antikörper, nichts.

Das nennen wir eben dann apportive Infektion. Und das ist natürlich superspannend, dass es so etwas überhaupt gibt, es ist bewiesen. Und es hat viele Konsequenzen für das, wie wir weiter über dieses Virus nachdenken müssen.

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Camillo Schumann:

Das wäre jetzt meine Frage: Was bedeutet das jetzt für den Verlauf der Pandemie und auch den Umgang mit dieser Infektion in unseren Maßnahmen?

Alexander Kekulé:

Naja, das heißt eben, wenn Sie sich mal erinnern, wir haben doch diese Studien, zum Beispiel aus Baden-Württemberg, besprochen, damals die Frage: Wie häufig sind so Infektionen bei Kindern? Und dann haben natürlich die Leute, die jetzt wollten, dass die Schulen offenbleiben, gesagt, schaut mal her, wir haben schon so viele Kinder untersucht, die hatten alle keine Antikörper, also keine Infektion. Und deshalb ist doch klar, dass sie sich nicht angesteckt haben. Diese Daten deuten jetzt darauf hin, dass die durchaus Kontakt mit dem Virus hatten, aber eben reagiert haben. Also, dass man quasi aus den Antikörper-Daten nicht mehr darauf schließen kann, ob sich jemand infiziert hat oder nicht. Und die ganzen antiepidemischen Maßnahmen, die wir daraus ableiten, nach dem Motto: in den Schulen müssen wir nichts machen, denn die haben ja keine Antikörper, also infizieren die sich nicht, die stimmen dann nicht mehr, weil die Kinder ganz offensichtlich selbst sehr wohl Kontakt mit dem Virus gehabt haben könnten.

Das andere, was möglicherweise Zukunftsmusik ist, aber für Wissenschaftler natürlich interessant ist: Wenn das Immunsystem sich so ein anderes Ziel aussucht im Virus, also nicht dieses Spike, sondern ein ganz anderes Ziel, und da auf der Schleimhaut jetzt eine Abwehr stattfindet, dann muss man darüber nachdenken, ob künftige Impfstoffe nicht so etwas verwenden könnten. Nicht nur, um universell auch gegen neue Coronaviren wirksam zu sein, weil das ja offensichtlich eine virusübergreifende Abwehr ist, also universal ist, wir sagen: eine immuno-dominante Domäne, die wir hier haben, die bei verschiedenen Viren auch vorhanden ist. Das ist das eine: dass man in Richtung Impfstoff gehen könnte. Das andere aber: Es sind offensichtlich zwei völlig verschiedene Paar Stiefel, wie der Körper, das Immunsystem,

reagiert, auf den Schleimhäuten zum einen, und wie es reagiert im Blut, wenn ich mal so sagen darf zum anderen. Und unsere Impfstoffe haben halt immer die Schwäche, dass man die in den Muskel im Oberarm injiziert. Und das soll schon so ein bisschen ein indirekter Reiz dafür sein, dass jetzt was auf der Schleimhaut, in den Atemwegen, bitteschön, was passieren soll. Und wir wissen aber aus tausend anderen Beispielen, dass diese Immunantwort auf der Schleimhaut eigentlich ganz entscheidend und sehr früh reagieren kann. Und deshalb heißt es: Wir brauchen auch Impfstoffe, die dort zum Beispiel wirksam sind, sage ich mal, beispielsweise als Spray verabreicht, direkt auf die Schleimhaut.

52:05

Camillo Schumann:

Kann es nicht auch sein, dass diese von Ihnen beschriebene Schleimhautimmunität jetzt auch darf für verantwortlich war, vielleicht auch nur bei ganz exponierten Berufsgruppen permanent da ist und das so wegräumt, wie sie es beschrieben haben und das so generell gar nicht anwendbar wäre?

52:22

Alexander Kekulé:

Ja, genau, das gibt es. Das ist genau die Diskussion, die man führen muss: Wie lange hält das an? Also es ist nicht klar, ob das, was wir hier beobachten, letztlich nur ein Auswuchs der sogenannten angeborenen Immunität ist. Dann wäre der Zeitrahmen 3-4 Monate, ungefähr in der Größenordnung. Oder ist es ein Teil der adaptiven Immunität, den wir bis jetzt überhaupt nicht verstanden haben? Dann wäre es etwas, was lang bis lebenslänglich, zumindest ein paar Jahre lang, funktionieren würde. Meine Arbeitshypothese ist, dass wir es hier hauptsächlich mit dieser angeborenen Immunität zu tun haben und so einen Kurzzeiteffekt haben. Das heißt, der möglicherweise bei diesen Berufsgruppen, wie Sie richtig sagen, dadurch zustande kommt, dass die ständig gechallenged werden, irgendwie dann immer

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wieder doch mal eine kleine Dosis von dem Virus abgekriegt haben und auf die Weise sozusagen durch so eine mini-homöopathische Virus-Dosis quasi immun geworden sind. Umgekehrt muss man natürlich dann schon sagen: Wenn man überlegt, welche Konsequenzen hat das, sich folgendes überlegen: Wir haben ja jetzt ganz viele Menschen durch die Kontaktunterbrechung eigentlich davon abgehalten, sich mit normalen anderen Viren zu infizieren. Und wenn es jetzt für diese Schleimhautimmunität scheinbar von Vorteil ist, immer mal wieder so ein harmloses Virus abzukriegen, insbesondere natürlich im Kindesalter, da kann man vermuten, dann ist die Frage, ob wir jetzt durch diese Lockdown-Maßnahmen, die wir gemacht haben, nicht so eine Art immunologisches Kaspar-Hauser-Syndrom, sage ich mal, erzeugt haben. Das heißt also, dass die Kinder dadurch, dass sie jetzt diesen ständigen Schubser nicht bekommen habe, oder auch die Betreuer in den in den Kitas und so weiter, die waren ja sonst eben ständig mit Viren konfrontiert, jetzt sind sie es plötzlich nicht mehr, und dass dadurch möglicherweise die Immunantwort für Menschen, die dann Sars-CoV-2 kriegen, schlechter ist, als sie wäre, wenn sie die ganze Zeit mit anderen Viren noch Kontakt gehabt hätten. Oder andersrum: Möglicherweise hat diese immunologische Deprivation, dieses Abschirmen vor Keimen aller Art, was man da durchmacht, dass man diese Kontaktbeschränkungen und die Maske hat, möglicherweise hat das die Immunität der Schleimhäute herabgesetzt. Das wäre für die weitere Strategie, wie man so mit einem Arten, mit so einer Pandemie von einem Atemwegserreger umgeht, eine ganz entscheidende Erkenntnis.

54:44

Camillo Schumann:

Also auch nach 1,5-2 Jahren Pandemie überrascht uns unser Immunsystem in Bezug auf Sars-CoV-2 immer noch.

54:52

Alexander Kekulé:

Ja, das Immunsystem, ich finde es selber immer wieder faszinierend. Sie merken schon, dass ich die Studie klasse finde. Also das Immunsystem ist ja so komplex wie unser Gehirn. Und es gibt einfach Tricks im Immunsystem, von denen wir absolut nichts ahnen. Das Immunsystem kennt irgendwelche Tricks, von denen unser Verstand nichts ahnt.

55:11

Camillo Schumann:

Kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau Barthel aus Dresden hat angerufen. Sie treibt eine Frage zu Menschen um, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben:

55:22

„Vor dem Hintergrund der Impfdurchbrüche: ob sich die Situation der Genesenen vergleichbar darstellt und wie der Verlauf eines Genesenen ist, ob das vergleichbar ist mit dem Impfdurchbruch eines Geimpften.“

Camillo Schumann:

Zum ersten Teil der Frage kann ich die Antwort geben: Also, ob sich die Situation von Genesenen mit einer erneuten Infektion ähnlich verhält wie die von Geimpften mit Impftdurchbrüchen? Bisher werden die Genesenen mit einer erneuten symptomatischen Infektion nicht erfasst. Ich habe das Robert Koch-Institut mal angefragt, ob das jetzt noch gemacht wird. Die Antwort: Bisher kann das noch nicht systematisch in der Software erfasst werden. Eine entsprechende Aktualisierung der Software ist fürs vierte Quartal geplant. Im Anschluss können dann entsprechend Analysen von RKI-Seite durchgeführt und Daten veröffentlicht werden. Also, da ist man ja auf dem Weg, das zu erfassen, wie das mit den genesen und der Re-Infektion aussieht. Herr Kekulé, jetzt die Frage: Wie verläuft das in so eine Re-Infektion eigentlich?

56:24 Alexander Kekulé:

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Wir haben natürlich nicht so viele gut dokumentierte Fälle. Das kann man jetzt wieder kommentieren, dass die das immer noch nicht erfassen. Aber es ist letztlich klar, auch gerade aus der Studie, die wir gerade besprochen haben: Das Immunsystem hat viel mehr Optionen als nur Antikörper und zytotoxischen T-Zellen gegen das Spike-Protein zu machen. Und die Impfung macht ja nichts anderes, als dieses Protein letztlich indirekt präsentieren und das Immunsystem dazu bringen, dagegen zu reagieren. Also das Spektrum der möglichen Reaktionen, einschließlich auch der Reaktionen gegen neue Varianten, ist natürlich beinahe natürlichen Infektion theoretisch breiter, obwohl ich noch einmal sagen muss, das ist keine Empfehlung, sich natürlich infizieren zu lassen. Jede Impfung ist ungefährlicher als eine echte SarsCoV-2-Infektion. Das gilt in jedem Alter, grundsätzlich. Aber trotzdem würde ich davon ausgehen, dass Genesene eine mindestens solange Immunität haben und mindestens so breite Immunität haben, wie Geimpfte. Und dass es, wenn es zu Durchbrüchen kommt, aus verschiedenen Gründen harmlose Verläufe gibt, der eine ist, dass man eben davon ausgehen kann, dass die Antikörper, die sich bilden und die T-Zellen, die sich bilden, und die sonstige Immunreaktion, einschließlich natürlich der angeborenen unspezifischen Immunreaktion, die ist breiter und stärker oder zumindest genauso breit.

Und das andere ist aber ein ganz pragmatischer Ansatz. Wir wissen ja, dass bei einigen Leuten diese Sars-CoV-2-Infektion einfach ganz fürchterlich schlimm verläuft. Die sind nach fünf Tagen auf der Intensivstation. Fünf Tage nach dem ersten Auftreten von Symptomen werden die beatmet und haben zum Teil jetzt gar nicht so die Risikofaktoren. Es trifft auch Jüngere manchmal. Und bei anderen ist es so, Die merken es gar nicht, dass sie infiziert wurden. Das ist nicht nur altersspezifisch. Deshalb ist es völlig klar, dass es genetische Faktoren gibt, die eine Rolle spielen. Bei der Frage, werde ich schwerkrank oder nicht? Gehöre ich zu denen, die sterben oder nicht. Leider können wir da vorher keinen Test machen, sonst

wäre es natürlich schöner, könnte man die Risikopersonen eingrenzen. Aber es gibt ja so eine Art unfreiwilligen Test, wenn sie nämlich schon mal Covid hatten. Also wenn Sie Covid hatten, und das ist bei Ihnen leicht verlaufen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man jetzt keine genetischen Faktoren hat, die so einen besonders schweren Verlauf begründen, natürlich hoch. Und das heißt, wer es einmal überlebt hat, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass beim nächsten Mal wieder zu überleben. Wer einmal keinen besonders schweren Verlauf, mit Intensivstationen und Co. hatte, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es beim nächsten Mal nicht schwerer, sondern natürlich leichter verläuft. Und deshalb kann man so grundsätzlich sagen: Ein Genesener ist aus verschiedenen Gründen höchstwahrscheinlich besser vor einem schweren Verlauf geschützt als ein Geimpfter.

59:11

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 244. Vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé:

Bis dahin Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie wollen auch etwas wissen. Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00.

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MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 13. November 2021 #243: Hörerfragen SPEZIAL

Tim Deisinger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 13. November 2021

Ein weiteres Hörerfragen Spezial von Kekulés Corona-Kompass. Einen angenehmen Tag wünsche ich. Fragen heute u.a. zu den Booster-Impfungen, zu befürchteten oder vielleicht auch schon eingetretenen Nebenwirkungen, zu stillenden Müttern, zu Therapeuten, die nicht geimpft sind und ohne Maske arbeiten. Und ganz allgemein zum Verhalten in der aktuellen, kritischen Situation.

Tim Deisinger

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Und Ihre Fragen beantwortet wie immer der Virologe und Epidemiologe Professor Alexander Kekulé. Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Tag, Herr Deisinger.

00:49

Tim Deisinger

Wir haben, Herr Kekulé, in dieser Woche mal über Weißwedelhirsche gesprochen, die offenbar auch Corona infiziert sind. Und dazu schreibt uns Frau A. Folgendes. Ich zitiere mal:

„Diese Tatsache hat mich sehr nachdenklich gemacht hinsichtlich der möglichen Infektionswege. Es ist ja davon auszugehen, dass wildlebende Hirsche den Menschen zu Lebzeiten nicht näher als 1,50 kommen und sich auch nicht mit ihnen in Innenräumen aufhalten. Wenn die Infektion tatsächlich so erfolgte wie von Ihnen vermutet – dass die Hirsche von Menschen zurückgelassene Nahrungsmittel

verzehrt haben – bedeutet das dann nicht auch, dass auch wir Menschen uns über Nahrungsmittel – z.B. im Restaurant oder über das Brötchen beim Bäcker – infizieren könnten? Müssten wir dann nicht unsere Schutzmaßnahmen auch auf diese Infektionsquelle ausdehnen? Und: Was bedeutet es für uns, dass sich die Hirsche auch untereinander infiziert haben, obwohl sie sich ja dauerhaft im Freien aufhalten? Ist also auch im Freien mehr Vorsicht geboten als bisher? Vielen Dank und herzliche Grüße.“

Und nun Sie.

Alexander Kekulé

Oh weh, da haben wir was losgetreten. Also: Keiner weiß, wie die Hirsche sich untereinander infizieren. Und ich habe da einfach mal so ins Blaue geredet, wie die möglicherweise das aufgeschnappt haben könnten. Die Infektionswege müssen nicht bei jeder Tierart gleich sein, so wie ich da jetzt Menschen mal als Tierart bezeichnen würde, in dem Fall. Und bei den Menschen wissen wir das nun ganz genau. Bei den Hirschen wissen wir es nicht. Aber bei den Menschen ist ziemlich klar, dass diese Schmierinfektionen nur eine ganz kleine Rolle spielen. Also, die ganze Sache mit Händewaschen und Straßen desinfizieren und was man da alles gemacht hat. Fast hätte ich gesagt: 90 % des Aufwands in dieser Pandemie, um Infektionen zu verhindern, waren für die Katz, weil man doch sehr stark auf die Kontaktund Schmierinfektionen abgestellt hat. Sondern: Menschen infizieren sich hauptsächlich über Aerosole. Also, durch die Luft oder natürlich auch durch unmittelbaren Kontakt von Schleimhäuten im Gesicht usw., wenn man sich küsst o.Ä. Und bei den Hirschen wissen wir es nicht. Also, da kann man wild spekulieren. Wir wissen, dass die Viren bei anderen Tierarten dann anders aufgenommen werden können. Und es ist aber nicht klar, wie die das untereinander übertragen, sodass man jetzt keine Sorge haben muss, weil das bei den Hirschen festgestellt wurde, müssen wir beim Menschen nochmal auf andere Übertragungswege achten. Also, das ist nicht logisch, das ist keine Schlussfolgerung, die man ziehen muss.

03:13

Tim Deisinger

Die weitaus meisten Fragen kommen nach wie 1

vor zu den Impfungen – ob nun ganz generell oder zu den Booster-Impfungen. Wir hören mal diese Dame:

„Aus aktuellem Anlass der steigenden Neuinfektionen und Impfdurchbrüchen würde ich gerne wissen, was Sie meiner 79-Jährigen COPD-lungenkranken Mutter, die zweimal mit Astrazeneca geimpft wurde, raten würden? Soll sie jetzt besser erstmal einen Antikörpertest machen und sich dann bei schlechtem Titer ggf. jetzt schon nach vier Monaten boostern lassen? Oder soll sie abwarten, bis sechs Monate rum sind? Der Hausarzt findet den Antikörpertest unnötig und möchte sich strikt an die StikoEmpfehlung halten. Vielen Dank und freundliche Grüße von Frau S. aus Darmstadt.“

Alexander Kekulé

Ja, also, das ist ein Problem. Die Stiko empfiehlt ja erst ab 70, zu boostern. Da gehört jetzt ihre Mutter rein. Es ist so, dass die Stiko empfiehlt, nach sechs Monaten zu boostern. Also, meine Empfehlung ist ausnahmsweise – das habe ich, glaube ich, schon mal gesagt – hier abweichend von der Stiko. Es fällt mir wirklich schwer, aber: Die Stiko ist an der Stelle nicht auf dem Stand der Zeit. Also, wir haben einfach die Daten, die belegen, dass man mindestens ab 60 profitiert von der Boosterung. Und deshalb habe ich mich schweren Herzens entschlossen, hier eine abweichende Empfehlung zu geben, wenn ich das mal so sagen darf. Ich weiß natürlich, dass so eine Empfehlung für einen Hausarzt nicht unbedingt wertvoll sein muss. Aber meine Empfehlung heißt ganz klar: Jeder, der über 60 ist und wo die zweite Impfung vier Monate oder länger zurückgelegen hat, sollte eine Boosterung bekommen mit einem RNA-Impfstoff. Der Grund dafür ist eben der, dass wir einen Teil Non-Responder haben in der Altersgruppe. Also, Menschen, die zu wenig reagiert haben bei der ersten und zweiten Impfung. Insbesondere auch bei Astrazeneca ist es so, dass der Schutz vor der DeltaVariante im Vergleich zu den RNA-Impfstoffen deutlich geringer ist. Einfach, weil da die Reaktion nicht so breit ist, wenn ich mal so sagen darf. Das Immunsystem reagiert spezifischer bei der Astrazeneca-Impfung. Und bei den RNA-Impfstoffen, durch die allgemeine Stimulation dieser angeborenen Immunantwort, reagiert das Immunsystem breiter, sodass also

auch am Rand die Delta-Variante mit abgedeckt wird. Und wir wissen eben, dass jetzt die Herbstwelle kommt. Ja, also, da gibt es ja keinen Wenn und Aber. Ich glaube, jeder, der Nachrichten guckt, weiß, dass das RobertKoch-Institut täglich neue Rekorde vermeldet. Mein Kollege Christian Drosten hat gerade öffentlich von 100.000 Toten in dieser Winterwelle gesprochen. Das finde ich jetzt, ehrlich gesagt – kann ich nicht genau nachvollziehen, wie er das gerechnet hat, um es mal vorsichtig auszudrücken. Aber: Selbst, wenn es nur 10.000 oder 20.000 wären, sind das natürlich Zahlen, die wirklich Angst machen müssen. Anders kann man es nicht ausdrücken. Und deshalb müssen wir die Menschen, die im Risiko stehen, jetzt schützen. Und darum habe ich gesagt: Okay, die sechs Monate zu warten ist hier nicht mehr gerechtfertigt – auch, wenn das vielleicht immunologisch einen besseren Erfolg bringen würde. Aber was nützt mir das, wenn ich dann sage: Okay, wenn ich im Januar geimpft hätte, dann hätte die Impfung zu einem noch besseren Antikörperanstieg geführt als zwei Monate vorher. Aber leider ist der Patient zwischenzeitlich verstorben, weil er Covid hatte. Deshalb sage ich: Alle vier Monate ist sozusagen eine vernünftige Grenze nach der zweiten Impfung. Und alle, die über 60 sind, sollten sich boostern lassen. Und zwar sofort. Wenn das den Hausarzt nicht überzeugt, dann würde ich vielleicht sogar einen anderen Arzt mal fragen, weil ich glaube, wenn man sich die medizinischen Daten anschaut – wir haben im Podcast die ganzen Studien ja auch besprochen, die kommen aus Israel, die kommen aus England – dann ist es ganz eindeutig, dass man mindestens ab 60 profitiert von der Boosterung.

07:21

Tim Deisinger

Jetzt haben Sie gesagt: Alle vier Monate. Ich muss nochmal nachfragen, weil dazu gab es auch eine Reihe von Mails.

Alexander Kekulé

Ja, das mit dem „alle“ ist ja im Deutschen doppeldeutig. Man sollte alle Menschen vier Monate nach der zweiten Impfung boostern, die über 60 sind. Also, nicht alle vier Monate sozusagen im Intervall boostern, sondern jeden

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boostern, bei dem die zweite Impfung mindestens vier Monate zurückliegt und der 60 oder älter ist.

Tim Deisinger

Aber es gab ja trotzdem eine Menge Mails mit der Frage: Müssen wir uns jetzt darauf einstellen, dass wir uns jedes halbe Jahr impfen lassen müssen gegen Corona? Wie sehen Sie das?

Alexander Kekulé

Naja, das ist die grundsätzliche Frage: Wie geht es dann danach weiter? Ich gucke jetzt so ein bisschen absichtlich nur in die Herbstwelle und in die Winterwelle rein. Da müssen wir jetzt noch durch. Meines Erachtens ist es so, dass nächstes Jahr die Lage sich insgesamt verändert haben wird. Und zwar insofern wir in Deutschland so viele Menschen haben, die durch natürliche Infektionen oder durch Impfungen oder beides zusammen eine Immunität haben, dass wir jetzt keine so, sage ich mal, tödliche Welle im Herbst 2022 mehr bekommen werden. Da wird dann die Frage sein: Wie gut ist die Immunität in der Allgemeinbevölkerung? Und zu dem Zeitpunkt wird man auch zum ersten Mal besser beurteilen können, ob wirklich der Impfschutz bei denen, wo am Anfang eine gute Reaktion da war, wirklich so stark nachlässt. Das ist ja überhaupt nicht klar. Man hört das leider auch von Fachkollegen immer wieder. Die bringen da ehrlich gesagt was durcheinander. Ich schaue manchmal auch Talkshows und dann sitze ich dann irgendwie so etwas elektrisiert auf dem Stuhl, wenn irgendeine Virologin eben das missverstanden hat. Also, es ist so: Wir haben bei denen, die geimpft sind, eben Menschen, die sind – das hat man früher Non-Responder genannt. Also, da hat die Impfung einfach nicht ausreichend funktioniert. Und das sind fast immer ältere, weil das Immunsystem einfach dann auch alt geworden ist und nicht mehr so gut reagiert. Die profitieren theoretisch sofort von der Boosterung, weil ja da sozusagen die Impfung nicht gereicht hat. Da könnte man sagen, die brauchen eigentlich einen dritten Schuss für die Grundimmunisierung, weil es halt nicht reicht, zweimal zu impfen. Und dann gibt es die anderen – und da ist eben ein großes Fragezeichen, das wissen wir gar nicht genau – bei denen eigentlich die Impfung gut funktioniert hat, die z.B. nach drei Wochen hervorragende

Antikörper-Titer hatten, wo dann aber im Laufe der folgenden Monate die Antikörper abnehmen. Das ist gar nicht so selten. Das ist eigentlich eher die Mehrheit, wo das so ist. Und da gibt es dann eben Virologen-Kollegen auch, die sagen: Daran sehen wir, dass jetzt der Impfschutz nicht mehr reicht, da müssen wir gleich boostern. Das ist nicht so. Sondern: Richtig ist, dass das Immunsystem ökonomisch ist. Das stellt die Produktion von Antikörpern ein und zieht auch diese reaktiven T-Zellen zurück aus dem Blut, wenn der Reiz nicht mehr da ist, wenn der Krankheitserreger weg ist. Und so eine Impfung ist ja quasi ein vorgetäuschter Krankheitserreger und das ist eine reine Ökonomie, dass die Antikörper dann zurückgefahren werden. Und man sieht: Die Antikörper-Titer – also, dieses IgG – geht dann im Laufe der Monate zurück, was kein Alarmsignal ist, weil nämlich das Immunsystem sich sozusagen die Gebrauchsanweisung, wie es reagieren kann gegen diesen Erreger, falls er wiederkommt, sich ins Regal gelegt hat – sozusagen ins Archiv – in Form von sogenannten Gedächtniszellen. Und dann kann jemand, der auf diese Weise immun ist, für den Fall, dass er dann krank wird oder dass das Virus kommt, in kürzester Zeit wieder Unmengen von Antikörpern produzieren. Weil: Sonst müssten wir ja gegen alles Mögliche ständig, dauernd hohe Antikörper-Titer haben. Das ist einfach nicht so. Sondern: Das Immunsystem reagiert dann auch bei denen, wo das IgM – oder IgG, in dem Fall – ein bisschen abgenommen hat. So und jetzt ist die Frage: Irgendwann nimmt natürlich der Immunschutz schon ab. Wir wissen nicht genau, wann. Aber die Modellierungen und auch die Erfahrungen mit anderen Coronaviren sehen so aus, dass man in der Größenordnung von 1x im Jahr oder 1x alle zwei Jahre aufgrund der nachlassenden Immunität eine Boosterung oder, sagen wir mal, eine neue Impfung bräuchte. Da ist aber dann typischerweise das Virus auch bis dahin ein bisschen verändert. Jetzt haben wir Delta, wer weiß, was nächsten Herbst kommt. Und deshalb ist es eigentlich dann sinnvoll, einen angepassten Impfstoff zu haben, der nicht mehr genau der gleiche ist. So ähnlich wie bei der Influenza. Und das wird man dann sehen. Das wird man wahrscheinlich im nächsten Sommer entscheiden müssen, ob

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man dann sagt: Okay, wir impfen jetzt tatsächlich mit einem angepassten Impfstoff alle nochmal nach. Oder man sagt: Nein, der alte Impfschutz greift eigentlich die dann zirkulierenden Varianten mit ab. Und als dritte Variante kann man sagen: Okay, die Menschen infizieren sich ja dann, wenn sie alle immun sind, mehrheitlich im Prinzip in der Kindheit, wenn sie eben noch nicht immun sind beim ersten Kontakt. Und da wird man die ganzen Daten dieser kindlichen Infektionen auswerten und wirklich mal genau schauen: Wie häufig sind eigentlich schwere Verläufe bei Kindern? Die sind extrem selten. Aber kann ja sein, dass man sagt: Nein, natürliche Infektionen wollen wir dann doch nicht generell zulassen. Und dann würde man so weit gehen und sagen: Okay – bis dahin gibt es ja auch andere Impfstoffe dann wahrscheinlich – dass man sagt, das kommt in den Katalog der Regelimpfungen in der Kindheit. Da gibt es ja so einen ganzen Katalog von Masern bis Mumps und sonst was. Und da würde dann möglicherweise Covid mit reinkommen, weil man ja damit sozusagen bei der Erstinfektion im Leben mal so eine Grundimmunisierung hat, die dann schwerere Verläufe selten macht. Aber das ist alles Zukunftsmusik, wird man im nächsten Herbst entscheiden. Im Moment jedenfalls gibt es keinen Grund, aufzufrischen wegen nachlassender Antikörper im Blut.

13:12

Tim Deisinger

Eine Mail hat uns von Frau M. erreicht. Da geht es um mögliche Nebenund Nachwirkungen:

„Guten Tag, liebes MDR-Team. Seit Wochen leide ich unter unerklärlichem Haarausfall. Mittlerweile habe ich von einigen weiteren, vor allem weiblichen Betroffenen erfahren. Die Gemeinsamkeit ist, dass der Haarausfall ab ca. 4 Wochen nach der zweiten BioNTech-Impfung auftritt. Bei den Nebenwirkungen laut PEI – also, Paul-Ehrlich-Institut – findet man keinen Hinweis. Lediglich in Online-Foren wird der Zusammenhang thematisiert. Wie ist Ihre Meinung dazu, Herr Kekulé? Vielen Dank.“

Alexander Kekulé

Ganz ehrlich gesagt: Ich habe da keine besseren Informationen. Ich höre das auch öfters. Aber es ist natürlich so: Sie können sich vor-

stellen, wir kriegen ständig E-Mails, Briefe, Anfragen – auch im Zusammenhang mit diesem Podcast – wo die Menschen natürlich ihre Sorgen, die sie haben im Zusammenhang mit dieser Impfung, zunächst mal schildern. Das heißt deswegen nicht, dass da ein kausaler, ursächlicher Zusammenhang besteht. Ja, es gibt Haarausfall. Und wenn ich Ihnen jetzt die Liste der sonstigen Sorgen aufzählen würde, dann wäre das quasi schockierend. Fast schlimmer, als wenn man so einen Beipackzettel von einem Medikament durchliest. Aber es sind eben alles nur zunächst mal zeitliche Zusammenhänge und Haarausfall haben Menschen aus verschiedensten Gründen. Es ist ja auch sehr unterschiedlich, was man unter Haarausfall versteht. Die allermeisten, die dann zum Dermatologen gehen, kriegen dann gesagt: Naja, wenn du da mal so 100 Haare irgendwo in der Badewanne findest, heißt das nicht viel. Das müsste über einen längeren Zeitraum sein und sozusagen intermittierend, immer mal wieder kommt das bei jedem vor, dass er zwischendurch mehr Haare verliert als sonst und die wachsen dann dafür auch vermehrt nach. Sodass man also erstens feststellen muss: Ist das ein normaler Haarausfall gewesen, der nur aufgefallen ist, vielleicht, weil man wusste, jetzt bin ich gerade geimpft worden? Und wenn es wirklich mehr als normal ist, dann ist die Frage: Ist dieser Haarausfall bei Menschen, die gerade geimpft wurden, wirklich häufiger? Und solche Sachen untersucht natürlich das Paul-EhrlichInstitut. Also, die kriegen diese Meldungen und deshalb kann ich immer nur dazu aufrufen: Wer auch immer irgendwas bemerkt im Zusammenhang mit seiner Impfung, der muss dann wirklich auch seinen Arzt drängen, das dem Paul-Ehrlich-Institut zu melden. Weil: Ich habe auch den Eindruck, dass der eine oder andere Arzt schon so eine Art Vorfilter-Funktion hat – oder meint, sie haben zu müssen – indem er sagt: Ja, das kann gar nichts mit der Impfung zu tun haben. Und dann wird es nicht gemeldet. Also: Das Wichtigste ist, dass beim Paul-Ehrlich-Institut alles, was auch noch so abwegig ist, zunächst mal auf dem Tisch landet. Und die machen dann die Statistik. Und wenn die merken: Mensch, Leute, die gerade geimpft wurden, haben tatsächlich häufiger Haarausfall – als Beispiel – als die, die jetzt

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nicht geimpft wurden. Dann werden die natürlich diesem Signal nachgehen. Und dafür sind die da. Und das machen die nach meiner Beobachtung wirklich mit sehr großer Gründlichkeit. Da kann man sich drauf verlassen, dass denen nichts durch die Lappen geht.

16:05

Tim Deisinger

Dann eine Frage von Herrn U. aus Plauen. Könnte ich mir vorstellen, dass man die ganz kurz und knapp beantworten kann:

„Eine Bekannte hat ethische Bedenken, sich impfen zu lassen, weil sie gelesen hat, dass die Vektor-Impfstoffe mit Hilfe von – in Anführungszeichen – „Zelllinien“ aus abgetriebenen Kindern produziert werden. Die Info soll vom Verein „Ärzte für das Leben e.V.“ stammen. Für mich klingt das wie eine Verschwörungstheorie. Aber vielleicht können Sie hierzu eine sachliche Information geben? Herzliche Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja, das ist eine Verschwörungstheorie. Es ist tatsächlich so, dass man aus abgetriebenen Föten z.T. Zellen gewinnt, die in der Forschung verwendet werden. Das hatte ich in einem Podcast auch schon mal ausführlicher erklärt, warum das notwendig ist. Das ist aber meines Wissens jetzt gar nicht notwendig gewesen für die Entwicklung dieser Impfstoffe. Sondern: Es geht um ganz andere Forschung. Und es wird natürlich, muss man ganz klar sagen, auch für die Forschung niemals ein Kind abgetrieben oder eine Schwangerschaft abgebrochen. Und die Vektoren, die werden in Zelllinien generiert. Ja, das ist richtig. Aber das sind keine aus abgetriebenen Kindern, sondern: Das sind sogenannte permanente Zelllinien, die man dafür verwendet.

17:18

Tim Deisinger

Dann nochmal Thema Impfung. Hier mit besonderem Blick auf Kinder. Wir hören mal:

„Grüß Gott, hier spricht Frau M. aus München. Ich habe neulich in einem Podcast die Bedenken gehört, dass bei Kleinkindern – jetzt wird ja auch schon über Impfstoffe für Kinder in jungen Jahren nachgedacht – vielleicht doch die Sorge besteht, dass man das Immunsystem zu stark herausfordert. Gerade in einer Zeit, wo es ja

doch auffällig ist, dass die Autoimmunerkrankungen zunehmen. Wie Typ-1-Diabetes z.B. Sehen Sie da auch ein Problem gegenüber anderen Impfstoffen? Denn die Kleinen werden ja auch schon mit anderen Impfstoffen geimpft, die ganze Zeit. Meinen Sie, dass durch diesen mRNA-Impfstoff da eine größere Gefahr besteht?

Alexander Kekulé

Also, das sind eigentlich zwei Fragen. Die eine ist, ob die Impfungen von Kindern, die man macht, insgesamt, sage ich mal, bei der natürlichen Immunität irgendetwas verschieben können – jetzt mal unabhängig von den CovidImpfstoffen? Da sage ich mal: Da sind einige Kinderärzte dabei, das genauer zu untersuchen. Das wird genau beobachtet, weil man natürlich grundsätzlich sagen muss: Da sind ja inzwischen nicht nur eins, zwei, drei Impfungen, sondern so ein ganzer Kalender, der da empfohlen wird. Da muss man immer die Frage stellen: Könnte es sein, dass wir da irgendwas verstellen in der kindlichen Immunität, in der Entwicklung, was langfristig Nebenwirkungen hat? Da kann ich nur wirklich beruhigend sagen: Das wird sehr genau beobachtet und bis jetzt gibt es gar keine Hinweise darauf. Nur mal so grundsätzlich, weil ich weiß, dass Eltern z.T. deshalb Bedenken gegen Impfungen überhaupt im Kindesalter haben. Also, da gibt es keine Hinweise darauf, dass das die natürliche Entwicklung der Immunität irgendwie hemmt oder Einfluss auf Autoimmunkrankheiten, Diabetes usw. hätte. Jetzt hat man bei Covid natürlich überhaupt keine Erfahrungen, weil es ja erst seit kurzem diesen Impfstoff gibt und es diese neue Technologie erst seit kurzem gibt. Da weiß man letztlich nicht, ob da langfristig irgendwelche Stimulationen Nachteile haben. Ich würde mal grundsätzlich davon ausgehen, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist. Es ist eine starke Reaktogenität, aber man hat ja jetzt, gerade bei den hier angesprochenen jüngeren Kindern von fünf bis 12, das ja bei uns noch gar nicht zugelassen. Oder fünf bis elf wäre das dann bei uns, noch gar nicht zugelassen. Da hat man in den Studien ja endlich, sage ich mal, die Dosis ja stark reduziert. Meines Erachtens hätte man auch bei den 12bis 17-Jährigen über eine Dosisreduktion nachdenken können. Dann hätte man wahrschein-

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lich weniger Nebenwirkungen. Und das Problem von Moderna, was ja bekannt ist, hätte man vielleicht vermieden. Das hat man aber nicht gemacht, sondern in dieser Altersgruppe noch mit der vollen Erwachsenendosis geimpft. Ich sage mal: Schnee von gestern. Sie wissen, die Ständige Impfkommission hat jetzt endlich entschieden, dass eben jüngere Menschen – sogar unter 30 – gar nicht mehr mit Moderna geimpft werden sollen. Und deshalb würde ich sagen: Es kann schon sein, dass wir feststellen, dass die Dosis auch noch zu hoch ist für die Fünfbis Elfjährigen, dann irgendwann. Aber das sind dann so Feinheiten. Ich glaube nicht, dass das grundsätzlich bei so einem kindlichen Immunsystem dann einen großen Schaden macht. Das ist ja nur so ein kurzer Reiz, der gesetzt wird. Das ist dann, was weiß ich, genauso schädlich, wie wenn Sie das Kind mal zu heiß oder zu kalt gebadet haben. Das wird momentan was durcheinanderbringen, aber langfristig natürlich keinen Schaden machen.

20:41

Tim Deisinger

Dann ebenfalls mit Blick auf die Jüngeren – ein bisschen was klang jetzt in der Antwort dazu schon an. Man kann ja sicher nachvollziehen, dass das Zuhause auch nicht ganz einfach ist, wenn die Eltern verschiedene Meinungen haben zum Impfen von Kindern. Dazu eine Mail von Familie B. Wenn ich das recht sehe, hat uns der Vater geschrieben:

„Sehr geehrter Herr Kekulé, bei uns zuhause kippt langsam die Stimmung. Die Diskussionen werden hitziger. Wir haben eine 14-jährige Tochter, die mit Ausnahme einiger Allergien – Pollen, Gräser usw. – gesund ist. Wir haben unsere Tochter bisher nicht impfen lassen. Ich argumentiere mit der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in diesem Alter in aller Regel nicht schwer an Corona erkranken und dass Herr Kekulé seine Kinder auch nicht hat impfen lassen und ebenfalls einer Impfung von Jugendlichen skeptisch gegenübersteht. Meine Frau hingegen tendiert jetzt ganz klar zur Impfung, weil sie durch zunehmenden Impftruck Nachteile für unsere Tochter befürchtet und sich im Falle einer Corona-Erkrankung vor Long-Covid fürchtet. Unsere Tochter geht Tag für Tag mit zunehmend unsichererem Gefühl zur Schule, weil

da die Corona-Einschläge immer näher kommen. Jetzt die Frage: Hat sich Ihre Einstellung gegenüber der Impfung von Jugendlichen angesichts rasant steigender Fallzahlen geändert? Oder halten Sie an Ihrer Haltung, gesunde Jugendliche nicht impfen zu lassen, fest?“

Alexander Kekulé

Ja, da ist möglicherweise ein kleines Missverständnis drin. Also, erstens muss ich sagen: Ich habe keine Kinder in dem Alter. Also, ich habe ein paar jüngere und ein paar ältere, aber ich habe keine Kinder – weiß nicht, wo das herkommt. Ich habe jedenfalls sicherlich nie behauptet, dass ich jetzt ein Kind zwischen 12 und 17 nicht geimpft hätte. Also, da habe ich jetzt sozusagen zumindest nicht die Situation, dass ich da entscheiden müsste. Es ist so – ja, ich kann das ja, glaube ich, sagen: Also, ich habe ihn jetzt nicht gefragt, aber mein 21-jähriger Sohn, der ist geimpft. Ohne Wenn und Aber. Und die anderen sind zu jung. Und jetzt kann man sich also jetzt an mir direkt nicht orientieren, würde ich auch nicht empfehlen, weil jeder soll ja diese Entscheidung sehr subjektiv und für sich selber treffen. Und da ist es Folgendermaßen: Also, das Argument, dass man erstens soziale Nachteile hat, dass es in der Schule mühsam ist, wenn man nicht geimpft ist, dass man ständig aufpassen muss als junger Mensch, weil man ja die Infektion nicht haben will, das gilt natürlich sehr stark. Das hat ja auch die Ständige Impfkommission in die Waagschale geworfen, als sie gesagt hat: Wir haben lange überlegt, aber wir sind jetzt der Meinung, dass die 12bis 17-Jährigen auch geimpft werden sollen. Da war das Zünglein an der Waage die Nachteile, die Ungeimpfte haben im Sinne von Restriktionen, sozialen Einschränkungen. Es gibt aber jetzt doch auch aktuell – und darauf zielt die Frage hin und darum finde ich die eigentlich sehr klug. Es gibt natürlich jetzt die Situation, da kann man lamentieren, aber der Politik ist ja die Lage völlig außer Kontrolle geraten. Wir haben jetzt diese, wie ich das mal genannt habe, virale Detonation, die uns im Herbst drohen würde. So habe ich das, meine ich, im Juni oder so mal angekündigt, wenn wir das mit den Schulen nicht kontrollieren, die Ausbrüche in Schulen nicht kontrollieren und wenn wir die Welle der Geimpften nicht berücksichtigen. Also, 2G-Veran-

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staltungen machen, ohne irgendwelche Limitationen. Und genau das ist jetzt passiert. Die Politik hat sozusagen sehenden Auges sich hier in diese neue Welle hineingestürzt. Und das ist natürlich jetzt einfach ein Fakt, auch für die Kinder. Sodass man sagen muss: Wenn die Einschläge näher kommen – wie da ganz schön formuliert wurde – dann kommt irgendwann der Punkt, wo man sagen muss: Okay, also entweder nehme ich jetzt mein Kind aus der Schule – das ist aber eigentlich keine Option, weil: Es gibt eine Schulpflicht. Oder: Ich lasse es impfen. Dann habe ich eine gute Chance, dass es zumindest, wenn es eine natürliche Infektion noch obendrauf gibt, das Kind das überhaupt nicht mehr bemerkt. Oder ich lasse es auf eine Infektion ankommen. Und da ist dann einfach die Frage: Wie wahrscheinlich ist das? Wenn in der Schule keine Masken mehr sind, wie es ja in vielen Bundesländern ist, wenn keine Abstandsregeln mehr sind und dann auch noch – man hört das jetzt in immer mehr Bundesländern, ich weiß, das ist gerade aktuell in Sachsen-Anhalt beschlossen worden – dieser, meines Erachtens, kapitale Fehler gemacht wird, dass man nur noch die Kinder rausnimmt – im positiven Fall – die selbst positiv getestet wurden. Und alle anderen bleiben in der Klasse. Also, es gibt quasi eine Isolierung des positiven Kinds, im Falle eines Covid-Falls, aber keine Quarantäne der Kontaktpersonen mehr. Dann erzeugen Sie mit Sicherheit Ausbrüche, weil: Dieses Delta-Virus ist so infektiös, da kann man nicht die Regel von vor einem Jahr nehmen und sagen: Naja, damals gab es das auch oft, dass nur ein, zwei Kinder in der Klasse infiziert waren und die anderen hatten nichts, also machen wir es jetzt so, dass wir nur die Infizierten herausnehmen. Diese Logik steckt da so ein bisschen dahinter. Das ist also virologisch völliger Unsinn. Und ich weiß, da gibt es auch prominente Virologen, die das empfohlen haben. Aber da riskieren Sie einfach oder da riskieren Sie es nicht, sondern da sorgen Sie dafür, dass der Rest der Klasse letztlich dann auch durchinfiziert wird. Wenn ich mir diese knallharte Realität anschaue, die sich keiner von uns gewünscht hat, wo ich wirklich auch einer derer war, der immer gesagt hat: Das dürft ihr nicht machen. Aber in dieser Lage kann ich nur sagen: Wenn Sie die Wahl haben, impfen oder infizieren, dann ist impfen immer

besser, in jeder Altersgruppe. Das heißt: Wenn man meint, die Infektion nicht mehr vermeiden zu können, dann soll man die Kinder impfen lassen.

26:18

Tim Deisinger

Dann noch ein Anruf, der auch mit Impfungen zu tun hat:

„Hier ist Frau R. , mich würde mal interessieren, ob man auch schon mal was davon gehört hat, dass infizierte Geimpfte auch unter Long-CovidFolgen leiden? Vielen Dank, auf Wiederhören.“

Alexander Kekulé

Ja, das wüsste ich auch gerne. Also, da gibt es keine Daten darüber. Es ist in der Tat so, dass wir viele Menschen haben – das ist ja erst seit Neuerem, sage ich mal so, auch auf dem Radar – die sind geimpft und kriegen trotzdem Covid. Ganz häufig so, dass sie es wirklich überhaupt nicht merken. Also, das kann man wirklich nur so sagen. Das sind wirklich Leute, die fallen aus allen Wolken, wenn sie bei irgendeiner Gelegenheit, wo das halt mal gefordert wurde, getestet werden. Sonst zeigt man ja immer so seinen Impfpass vor und alles ist gut. Und dann plötzlich wird dann doch ein Test verlangt und dann – Bingo – ist man also positiv gewesen und versteht die Welt nicht mehr. Und die haben keine Symptome z.T., absolut nichts. Ob jetzt so jemand trotzdem Long-Covid kriegen kann, darüber gibt es keine Studien. Long-Covid heißt ja letztlich – wir nennen das heute Post-Covid-Syndrom eigentlich. Das heißt ja letztlich, dass die Symptome, die man hatte während der Covid-Erkrankung, während der akuten Erkrankung, nach einem Monat nicht vollständig weggehen und tendenziell nach drei Monaten z.T. dann immer noch da sind bei etwa 20 %. Wer aber am Anfang keine Symptome hat, hat dann auch kein Problem damit, dass Symptome nicht weggehen. Das heißt also: Wäre unlogisch, wenn jemand, der also fast keine Symptome hatte oder eine asymptomatische Erkrankung hatte, dann später plötzlich was entwickeln würde. Also, daher würde ich mal sagen: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr hoch, dass man durch die Impfung LongCovid weitgehend verhindert. Es wird wahrscheinlich da auch nicht 100 % sein. Und richtige Daten haben wir noch nicht.

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28:15

Tim Deisinger

Und ich will mal noch zwei Sachen nachschieben, ohne gesonderte Namensnennung. Vielleicht kann man die auch relativ kurz beantworten. Es geht da um stillende Mütter, dazu haben uns auch viele Mails erreicht. Im Wesentlichen geht es um zwei Punkte. Der erste ist: Können Antikörper mit der Muttermilch übertragen werden?

Alexander Kekulé

Ja, das ist eine Frage, die tatsächlich noch nicht ganz gelöst ist, beantwortet ist, für diese Corona-Antikörper. Grundsätzlich ist es so: Man kann Antikörper der Mutter in der Muttermilch nachweisen. Also, wenn die Mutter gegen irgendwas immun ist, dann hat die auch die Antikörper z.T. in der Muttermilch. Die Frage ist nur immer: Wie viel davon nimmt das Kind auf, weil: Antikörper sind ja Proteine und die werden grundsätzlich zerstört bei der Verdauung. Jetzt wissen wir, dass das bei Säuglingen nicht ganz so ist. Die haben ja noch nicht so diese Magensäure, die also in großer Menge jetzt Proteine zerstört in dem Ausmaß. Und die Schleimhäute sind auch eher in der Lage, Proteine von der Mutter aufzunehmen. Und es gibt zumindest die Theorie, dass Kinder deshalb – also, Säuglinge – tatsächlich Antikörper von der Mutter aufnehmen können, auch durch die Nahrung. Das würde sonst nicht funktionieren. Also, wenn Sie jetzt einen Antikörper als Erwachsener schlucken würden, da würde gar nichts passieren. Darum muss man ja die meisten Impfungen injizieren und kann die nicht einfach als Tablette nehmen. Also, auch die passive Immunisierung, wo dann Antikörper z.T. verwendet werden. Das müssen Sie immer spritzen, weil es im Magen zerstört wird. Aber bei Säuglingen ist das unklar. Und speziell bei Covid ist es so – da gibt es schon Untersuchungen dazu: Die präliminären, die vorläufigen Studien, die wir dazu haben, die sagen: Ja, grundsätzlich können die Säuglinge Antikörper der Mutter aufnehmen, tatsächlich beim Stillen. Aber wir gehen davon aus, dass das nicht reicht, um die Kinder zu immunisieren gegen eine Infektion. Also, da ist so ein bisschen jetzt gerade die Forschungslage. Sobald es da was gibt, was brauchbare Daten liefert in dem Sinn, dass man sagen kann: Okay, es passiert eine relevante Aufnahme, die auch

vor Infektionen schützt, oder das passiert eben gerade nicht, wird man es in diesem Podcast hören. Wichtiger ist aber die Information, dass – das wissen wahrscheinlich die meisten, aber ich sage es trotzdem nochmal – dass das Kind natürlich vor der Geburt über die Plazenta und den mütterlichen Kreislauf, da steht es ja quasi über das Blut in Verbindung, da werden definitiv die Antikörper übertragen. Sodass also eine Mutter, die gegen Covid immun ist, tatsächlich dem Kind das, was wir Nestschutz nennen, mit der Geburt mitgibt. Und das ist auf jeden Fall wirksam. Ob dann nach der Geburt mit der Muttermilch noch viel übertragen wird, das wissen wir nicht genau.

30:58

Tim Deisinger

Und damit sind wir beim zweiten Punkt, der ist ein eher sorgenvoller: Wenn die Schwangere Mama mit mRNA-Impfstoff geimpft wurde, kann die mRNA in die Blutbahn des Kindes gelangen und zu unerwünschten Nebenwirkungen führen?

Alexander Kekulé

Also, bei der Schwangerschaft ist nicht ausgeschlossen, dass die Impfstoffe tatsächlich auch über die Plazenta auf das Kind übertragen werden. Das ist interessanterweise nicht genau untersucht worden. Also, man hat untersucht tatsächlich die Nabelschnur und festgestellt, dass die Antikörper gegen Covid auf das Kind übertragen werden. Also diese Schutzfunktion, wenn man so will, die ist bestätigt. War auch eigentlich klar, weil wir wissen, dass das bei praktisch allen Infektionskrankheiten so ist. Der Impfstoff selber, diese mRNA-Impfstoffe sind ja kleinste Fett-Bläschen, und ob die sozusagen über die Plazenta rübergehen und auf der anderen Seite dann wieder auftauchen und auch in das Kind geraten können, das ist unklar. Also, da kenne ich zumindest keine Daten darüber und war auch ein bisschen verwundert, dass man diese Daten nicht erhoben hat. Andererseits ist natürlich jetzt die gängige Überlegung: Selbst, wenn es so wäre, wäre das für das Kind höchstwahrscheinlich nicht schädlich, weil das eigentlich dann höchstens die Folge hätte, dass das Kind dadurch eine gewisse zusätzliche Immunisierung möglicherweise sogar bekommen würde. Das ist alles völlig unklar. Also, ob jetzt ein Kind fetal – also,

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in dem Zustand, wo es noch in der Mutter drin ist – dann selber in der Lage wäre, Antikörper zu bilden, wenn so ein mRNA-Impfstoff da wäre, das weiß keiner. Und wir wissen auch nicht ganz genau, ob nicht irgendwelche Spuren von diesen Impfstoffen übertragen werden auf den Fötus.

32:39

Tim Deisinger

Dann ein Anruf, zu dem sich auch getrost noch einige weitere Mails gesellen könnten, weil es darin um das Verhalten von medizinischem Personal geht. Stellvertretend mal diese Dame:

„Hallo, hier ist Frau B. aus Magdeburg. Mein Ehemann leidet an einer erblich bedingten Muskelkrankheit, Muskelschwund. Er braucht ständige Therapie: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Die Physiotherapeutin ist nicht geimpft und trägt bei den Behandlungen keine Maske. Wir machen uns Sorgen, ob er trotz vollständiger Impfung noch diese Behandlungen wahrnimmt oder lieber für diese Zeit aussetzt? Dankeschön.“

Alexander Kekulé

Ja, also, es ist, glaube ich, bekannt, dass ich mich schweren Herzens für eine Impfpflicht ausgesprochen habe. Ich war immer ein absoluter Gegner von Impfpflicht aus verschiedenen Gründen. Aber ich finde die pandemische Lage, die Katastrophe, in der wir alle sind, rechtfertigt dann in dem Fall schon, dass so helfende, soziale Berufe, therapeutische und pflegende Berufe, da über ihren Schatten springen und ihre eigenen Bedürfnisse, wenn man mal so sagen darf, hintenanstellen. Und deshalb bin ich dafür, dass Menschen, die in solchen Berufen sind, wo sie unmittelbar mit Schwerkranken oder aber auch besonderen Risikopersonen, Alten zu tun haben, dass es für die tatsächlich eine berufliche Impfpflicht gibt. Heißt andersrum: Wenn man dann als Krankenschwester oder Krankenpfleger oder Arzt partout sich nicht impfen lassen will, aus welchen Gründen auch immer, dann muss man halt in die Orthopädie gehen oder in die Augenarztpraxis oder sowas, wo das dann vielleicht nicht so relevant ist. Das so grundsätzlich dazu. Also, ich habe da überhaupt kein Verständnis dafür, wenn man Schwerkranke behandelt und sagt: Ich mache das hier ohne

Maske und ungeimpft. Ja, also meine Empfehlung wäre deshalb konsequenterweise, sich einen anderen Physiotherapeuten zu suchen. Also, es wird ja da wohl nicht nur einen geben. Und ich finde auch, dass muss dann die Konsequenz sein. Stellen Sie sich vor, ein Chirurg würde sagen: Ich bin Chirurg, aber ich habe keine Lust, mir die Hände zu desinfizieren, bevor ich operiere, mache ich nicht. Da würden Sie dem ja auch einen Vogel zeigen. Und darum finde ich: Das kann man in der jetzigen Lage nicht mehr verantworten, dass die Leute, die jetzt unmittelbaren Umgang mit den Risikopersonen haben, ungeimpft sind.

35:09

Tim Deisinger

Dann schauen wir mal darauf, wie man sich verhalten sollte, unter jeweils gegebenen Umständen. Zunächst mal eine Mail eines Herrn, dessen Namen wir nicht nennen sollen und der gerne Sport macht. Also, dann kann ich es ja schon mal nicht sein. Also, der Sachverhalt:

„Ich, 45 Jahre alt, zweifach mit BioNTech geimpft, bin Corona positiv. Aktuell befinde ich mich mit milder Symptomatik in Quarantäne. Da ich begeisterter Freizeitsportler bin (ca. zehn Stunden Ausdauersport in der Woche) würde mich interessieren, wie lange die Sportpause nach der Genesung ausfallen sollte? Und: Ab wann sind wieder intensivere Trainingseinheiten möglich, ohne die Gesundheit zu gefährden? Mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé

Das muss man wirklich im Einzelfall entscheiden. Ich würde mal grundsätzlich sagen: Nach so einem Virusinfekt, der möglicherweise auch den Herzmuskel unbemerkt mitbefallen kann – die Myokarditis gibt es ja auch bei der CoronaErkrankung, bei der Covid-Erkrankung. Nicht nur, wo immer alle von reden, bei der Impfung. Und vielleicht nochmal: Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Corona-Infektion eine Herzmuskelentzündung zu bekommen, eine Myokarditis zu bekommen, die ist wesentlich höher. Ich weiß den Faktor nicht genau, aber ungefähr sechsmal so hoch – in der Größenordnung – wie nach einer Impfung. Also, das ist ein wesentlich höheres Risiko. Also, ich würde sagen: 14 Tage Pause danach kann man grundsätzlich mal sagen, würde ich empfehlen. Und alles Weitere sollte vielleicht der Internist machen,

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weil: Jeder ist da ein bisschen anders von seiner Leistungsfähigkeit. Da muss man mal dann das EKG anschauen. Und wenn man sieht, das EKG ist völlig in Ordnung, vielleicht beim Internisten mal ein Belastungs-EKG vorsichtig machen. Und wenn man dann sieht, da ist alles im grünen Bereich, dann kann man natürlich auch das Training wieder aufnehmen.

36:54

Tim Deisinger

Dann ebenfalls eine Verhaltensfrage mit Blick auf die nächsten Wochen: Das Fest steht ja bevor und es hoffen sicher viele, dass als Geschenk nicht doch noch Corona unterm Baum liegt. Aber feiern will man ja dennoch. Die Frage von Herrn S. – und vielleicht kann man mal kurz die Augen schließen, damit man sich das Setting auch vorstellen kann:

„Wie jedes Jahr zur Nikolauszeit plane ich eine Veranstaltung mit etwa 30 bis 35 Personen. Hierbei würde es sich nicht um ein gemütliches Beisammensein mit Gebäck und Glühwein handeln, sondern eher um eine Party. Diese würde in einem Partyraum stattfinden, der keine Fenster hat, sondern nur eine Abzugsanlage. Für Frischluftzufuhr würde eine geöffnete Außentür sorgen, die ca. fünf Meter entfernt zum Raum ist. Mit Blick auf das Infektionsgeschehen und dem Wissen, dass Geimpfte und Genesene durchaus das Virus weitergeben können, bin ich mir meiner Verantwortung bewusst und möchte – wenn überhaupt – eine 2G bzw. 2GPlus Veranstaltung organisieren. Das Plus soll in dem Fall dafür stehen, dass sich alle vorher nochmals testen lassen. Außerdem würden sich alle Gäste über die Corona-App registrieren. Ist der Gedanke an sich schon verwerflich, solch eine Veranstaltung in dieser Zeit explodierender Infektionszahlen überhaupt zu planen? Oder würden die Regeln, die ich aufstelle, solch eine Veranstaltung vertretbar machen?“

Alexander Kekulé

Also, ich finde es vertretbar, weil: Sonst wäre ja alles wie vor einem Jahr. Also, vor einem Jahr hätte man gesagt: Nein. Da hatten wir aber keine Geimpften. Die einzige Einschränkung, die ich machen würde – da gehe ich mal davon aus, wenn es so einen Partycharakter hat – dass da, einschließlich dessen, der den Nikolaus spielen darf, niemand dabei ist, der eine Risikoperson ist. Also, wenn jetzt einer

COPD hat und 70 ist, dann soll er sich bitte nicht den weißen Bart ankleben und den Nikolaus machen bei der Party. Sondern: Dann müsste man insgesamt dafür sorgen, dass da Menschen, die ein besonders hohes, individuelles Risiko haben, da nicht dabei sind. Aber genau so stelle ich mir das vor. Wir müssen ja überhaupt überlegen: Wie gehen wir jetzt im Herbst mit der Sache um? Die Politik hat ja gesagt, es wird keine Lockdowns geben, aber die Maßnahmen, die Ingredienzien des Lockdowns werden natürlich die gleichen sein. Und deshalb ist die Frage: Was für Freiheiten können wir uns überhaupt noch erlauben? Und da, glaube ich, geht es genau in die Richtung. Man braucht eine Obergrenze für diese Veranstaltungen. Man kann die 2G oder 3G machen. Und wenn man sie 2G-Plus macht, ist es natürlich die sicherste Variante. Dann heißt es dann letztlich, dass man eine Obergrenze braucht: Wie viele Teilnehmer geht denn überhaupt noch? Und mein Vorschlag ist ja, dass man sagt: Also, in der ersten Stufe auf 100 Personen begrenzen. Das heißt also: Jede Veranstaltung, die 100 Personen oder mehr hat, da muss wirklich dann jeder getestet werden oder die Maske getragen werden. Das wäre ja schon mal ein gewaltiger Schritt Richtung Sicherheit im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben. Es gibt ja tatsächlich – man mag das kaum glauben – in den meisten Bundesländern keine richtige Obergrenze. Oder irgendwo im Bereich von ein paar Tausend liegen die dann. Im weiteren Schritt wird man sicherlich, wenn die Inzidenz weiter nach oben geht, dann darüber nachdenken, ob man das vielleicht auf 50 reduziert. Aber so in der Art müssen wir das machen, dass wir sagen: Ganz zumachen werden wir nicht. Diese Veranstaltungen ganz abzusagen wäre auch völlig inkonsequent. Wofür hätten wir uns dann geimpft? Sondern man muss sagen: Wir nehmen jetzt ein gewisses Risiko in Kauf – zumindest für die Leute, die es machen wollen. Und das heißt: Ich bin geimpft oder genesen, kann mich natürlich trotzdem infizieren, aber ich sorge eben insbesondere durch die Nachverfolgbarkeit – das ist extrem wichtig, heißt, nicht zu große Veranstaltungen – und dadurch, dass ich zusätzlich eben auch teste – entweder alle oder einen Teil – dafür, dass solche Ausbrüche nicht unerkannt bleiben und dann sozusagen keine Dritten von so einer

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Party Schaden nehmen. Darum geht es ja letztlich. Die, die dahin gehen, die können sich dasselbe überlegen. Aber die Frage ist, ob die Teilnehmer hinterher andere anstecken. Und wenn ich das im Griff habe – und das war jetzt ein Beispiel für jemanden, der sich das gut überlegt hat – dann, meine ich, sollten wir uns jetzt von dem Virus nicht völlig einschüchtern lassen, sondern insofern im Herbst noch in diesem Rahmen die Dinge erlauben. Das ist aber, ganz klar, ein Riesenrückschritt zu dem, was jetzt erlaubt ist in allen Bundesländern. Und: Ja, im Grunde genommen müssen wir den Gürtel extrem eng schnallen, damit wir durch den Winter kommen.

41:26

Tim Deisinger

Okay. Dann noch eine Bonusfrage sozusagen zum Schluss. Bonusfrage deswegen, weil sie gar nicht so sehr direkt was mit Corona an sich zu tun hat. Eine Frage von Herrn L.:

„Herr Kekulé behauptet oft, dass die Politik in Hinsicht der Corona Pandemie falsch beraten worden sei/ist. Wie funktioniert diese Beratung überhaupt? Wie werden die Berater ausgewählt? Warum haben sie was genau falsch gemacht? Es wäre schön, wenn das etwas verständlicher und transparenter gemacht werden würde.“

Alexander Kekulé

Naja, was sie genau falsch gemacht haben, das wäre jetzt ein langer Vortrag. Aber das Problem ist letztlich: Die Politik braucht ja, wenn man sich das so praktisch vorstellt, so ähnlich wie ein Richter bei Gericht natürlich fachlichen Rat. Das sind ja oft Leute, die haben Jura studiert, wenn Sie Politiker sind oder sind Lehrer, die freigestellt wurden für die Tätigkeit im Bundestag usw. Das heißt, die können sich mit den ganzen Dingen, mit denen sie über diese entscheiden müssen als Gesetzgeber oder auch dann in der Exekutive, können Sie sich ja nicht auskennen. Und da hat man für die Pandemie eigentlich schon ganz früh – da gab es Pandemiepläne, die das festgelegt haben. Da hat man gesagt: Im Fall der Pandemie ist das so komplex und muss so schnell gehen, dass wir empfehlen, eine Pandemiekommission als Allererstes einzurichten. Das steht quasi auf Seite eins aller Pandemiepläne – und die sind ziemlich dick. Diese Kommissionen, da wären

dann z.B. ein, zwei Virologen drin, Epidemiologen drin, aber auch Leute, die sich mit Schule auskennen oder im Polizeiwesen Ahnung haben. Solche Dinge haben ja ganz viele Einflüsse in alle Richtungen bis hin zu Versorgungsketten für Lebensmittel und was es nicht alles gibt. Krankenhäuser, Masken in Krankenhäusern usw. Und diese Kommission, die so eine Expertenkommission sein soll, die also die Bundesregierung beraten hätte, das steht in den Pandemieplänen, das ist nicht eingerichtet worden. Man hat diese Kommission nicht gemacht. Am Anfang haben sich die Leute, die die Pandemiepläne geschrieben haben, alle die Haare gerauft, warum das nicht so ist. Sondern: Stattdessen gab es quasi das Gesundheitsministerium, was die Sache so ein bisschen an sich gezogen hat. Eigentlich zuständig nach der Planung wären gemeinsam Gesundheitsund Innenministerium gewesen. Aber da gab es ja bekanntlich dann auch persönliche Animositäten zwischen den beiden Bundesministern mit der Folge, dass das Gesundheitsministerium mit dem Robert-Koch-Institut das Kraft eigener Wassersuppe gemacht hat. Das RKI hatte wenige spezialisierte Experten für dieses Thema und hat sich den Christian Drosten aus Berlin zu Recht als Berater dazu genommen, weil der sich halt molekularbiologisch extrem gut mit Corona auskennt. Eigentlich so der einzige war, der diese Viren gründlich erforscht hat. Ja, und dann ist das immer so im kleinen Flüsterweg passiert. Dann haben die eben irgendwie dem Bundesgesundheitsminister irgendwas erzählt. Die Landesministerpräsidenten waren ja eigentlich zuständig zunächst mal und haben dann, wenn es ihnen nicht gefallen hat, was da aus Berlin kam, ihre eigenen Berater dazu gezogen. Und das ist ja auch z.T. aus der Presse bekannt, wer das dann so alles war. Und dann gab es eben so eine, sage ich mal, Meinungsvielfalt. Man könnte auch sagen, eine babylonische Wissenschaftsverwirrung. Und das hat dann den Vorteil für die Politiker wiederum, um es plastisch zu erklären, dass die sich dann aussuchen können, nach welchem Rat sie sich entscheiden wollen und haben dann maximale Freiheit, im Grunde genommen, politisch zu entscheiden. Und das ist das, warum in den Demokratien – nicht nur in Deutschland – das so richtig schiefgegangen ist, wenn man es mal vergleicht mit asiatischen Ländern, die einfach

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die Pandemiepläne abgearbeitet haben. Daher die Frage: Wie funktioniert Beratung? Wäre die kurze Antwort: Sie funktioniert eben nicht.

45:17

Tim Deisinger

Aber ist es nicht besser, wenn verschiedene Meinungen existieren und man dann drüber diskutiert. Sie wollen doch jetzt nicht sozusagen dem asiatischen Weg den Mund reden, oder?

Alexander Kekulé

Doch. Es ist so, ich meine ja jetzt nicht das totalitäre System in China. Sondern, es ist so: In Asien hat man halt die Pandemiepläne, die bei uns auch in den Schubladen liegen, einfach rausgeholt und hat gesagt: Okay, jetzt machen wir das so. Und da stand eben z.B. drin, dass man bei dieser Art von Erkrankungen erstmal die Einreise kontrolliert. Das haben wir bei uns nicht gemacht. Dann stand drin, dass man eben verdächtige Krankheitsfälle, die Husten und influenzaartige Symptome haben, grundsätzlich mal testet, um zu schauen, ob da der neue Erreger da ist. Da hat man bei uns gesagt – der Präsident des Robert-Koch-Instituts: Das Virus kommt nicht nach Europa. Und der wichtigste Berater des RKI und der Bundesregierung hat gesagt: Es ist zu früh, Alarm zu schlagen. Und das ist natürlich für die Politik dann sehr bequem, zu sagen: Ja, okay, ich habe da jemanden, der sagt, ich soll nichts tun. Das ist immer besser, als unangenehme Wahrheiten zu verbreiten. Und es wissen wahrscheinlich alle noch, wie die Reaktion war, als ich gesagt habe: Wir brauchen einen Lockdown an Ostern im Jahr 2020. Da hat man gesagt: Der macht ja hier nur Panik, was soll das? Und wenn es nach einem Plan gegangen wäre, dann wäre da nicht lange diskutiert worden. Also, deshalb ist es nicht so, dass ich jetzt natürlich für, sage ich mal, sehr autoritäre asiatische Methoden plädiere. Aber man kann es auch so formulieren: Wir haben eigentlich auf die Pandemie keine westliche und demokratische Antwort gefunden.

46:51

Tim Deisinger

Und damit sind wir auch heute erstmal wieder durch. Also, für heute. Und für mich auch erstmal auf einige Zeit. Zumindest am Dienstag nächste Woche ist Camillo Schumann aus dem

kurzen Urlaub wieder da. Danke fürs Interesse und danke, Herr Kekulé. Wir hören uns dann, wie gesagt, erst in ein paar Wochen wieder.

Alexander Kekulé

Gerne. Ich freue mich darauf, Herr Deisinger. Vielen Dank, dass Sie da übernommen haben. Und der nächste Urlaub kommt ja bestimmt bei Herrn Schumann.

Tim Deisinger

Und wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek, bei Spotify, Apple, bei Google, YouTube und auf mdraktuell.de. Ein angenehmes Wochenende wünsche ich, bleiben Sie allesamt gesund.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 11.11.2021 #242

Tim Deisinger, Redakteur und Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Besprochene Studien und Dokumente:

Impfung vs. Genesung:

https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/pdfs/mm7044e1-H.pdf

UK Health Security Agency:

https://www.gov.uk/government/publications/covid-19-vaccine-weekly-surveillance-reports

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

Tim Deisinger

Donnerstag, 11. November 2021, diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

11:11 Uhr war Karnevalsauftakt. Werden all die Feiern, die jetzt kommen, die Prunkund Stunksitzungen, die Corona-Zahlen noch mal so richtig in die Höhe schießen lassen? Soll man nicht die eine oder andere Veranstaltung dann doch absagen?

Dann: Eine US-Studie sagt, eine Corona-Impfung schützt besser vor einer schweren Erkrankung als eine durchgemachte Infektion. Bislang hatte man ja doch immer das Gegenteil gehört. Was ist da dran?

Und: Die britische UK Health Security Agency registriert mehr Infektionen unter Geimpften als unter Ungeimpften, nicht nur in absoluten Zahlen auch

anteilig. Angeblich kommen auf 100.000 Geimpfte mehr Infektionen als auf 100.000 Ungeimpfte. Kann oder muss man daraus schließen, dass Impfungen vielleicht doch nutzlos sind?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rund um das Coronavirus einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Ich bin Tim, Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Und Einschätzungen holen wir ein, wie immer, beim Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Tach, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Tach, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Oder soll ich Sie heute, damit wir das kleine Versehen von vorgestern gleich ausgeräumt haben, Siegfried nennen? Oder Achilles?

Alexander Kekulé

Sie sind gemein.

Tim Deisinger

Wir haben ja gleich einige Hinweise bekommen so nach dem Motto, der Professor hat die Sagen verwechselt. Aber Sie kennen die Sagen noch?

Alexander Kekulé

Nö, ich kenne sie nicht wirklich. Aber wir haben überlegt, ob das jetzt ein Blatt war und auf welcher Ferse das Blatt war. Und da haben wir offensichtlich Siegfried und Achilles durcheinandergebracht. Also ich habe es durcheinandergebracht. Ich habe mir noch gedacht, irgendwie müsste doch da eine Möglichkeit bestehen, dass die zweite Achillesferse auch noch existiert. Also so, wie wir es ja jetzt gelernt haben von aufmerksamen Hörern. Vielen Dank. Ich hatte das ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr auf dem Schirm. Ach, ich habe das meinen Kindern tausendmal vorgelesen und alles wieder vergessen.

Tim Deisinger

Ich hätte beinahe gesagt, Mensch, zumindest wissen wir, dass Sie Ihren Kindern offenbar

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nicht so viel aus der griechischen Mythologie erzählen wie andere Geschichte.

Alexander Kekulé

Doch Schwab, Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Asbachuralt. Die habe ich meinen diversen Kindern rauf und runter vorgelesen, und die können das zum Teil noch. Aber ich natürlich nicht. Und auch die nordischen Sagen. Das war also extrem hoch bei uns auf der Beliebtheitsskala zum Einschlafen. Aber da jetzt offensichtlich die Mutter den Achill gehalten habt, wie wir gelernt haben an der Ferse. Also die Mutter war schuld, dass die Ferse bedeckt war als er in dem Fluss Styx gebadet wurde. Da bin ich jetzt doch da, dass es eigentlich schon sein könnte, dass es doch zwei Achillesfersen gibt. Weil eine Mutter, die hält ein Kind nicht an einem Fuß fest, wenn sie es in den Fluss taucht. Die hat das an beiden Füßen festgehalten. Und deshalb komme ich darauf zurück, dass wir die letztes Mal gesuchten zwei Achillesfersen vielleicht doch haben könnten.

Tim Deisinger

Dann wissen wir: griechische Mythologie ist nicht Ihre Achillesferse.

Alexander Kekulé

Doch genau.

Tim Deisinger

Und wir wissen auch, es gibt dann doch so etwas wie einen zerstreuten Professor. Und das ist nicht nur eine Redensart, keine Ahnung.

Alexander Kekulé

Ich war zuerst zerstreut und wurde dann Professor. Genau wie mein Handschrift. Meine Handschrift war zuerst fürchterlich. Die war das schon immer. Und man hat dann hinterher gesagt, na ja, du bist Arzt, darum schreibst du so schrecklich.

Tim Deisinger

Dann das kurz dazu. Wesentlich unerfreulicher ist die aktuelle Lage, obwohl für viele Karnevalisten heute natürlich ein schöner Tag sein sollte. Jetzt sind wir schon bei 50.196 Fällen an einem Tag angekommen. Das ist auch wieder ein neuer Höchststand. Das muss man sicher

niemandem erzählen. Sieben Tage-Inzidenz 249,1. Die Tausender-Marke hat der Landkreis Rottal-Inn heute wieder überschritten, das liegt im Südwesten von Bayern. Bundesweit 235 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid 19 sindheutedazugekommen. Dannhabenwir ja heute den 11.11. Ich habe jetzt nicht gehört, dass in großem Maßstab Karnevalsfeiern abgesagt worden sind. Das kann man sich doch quasi schon ausmalen. Dass die Welle dann in den nächsten Tagen noch mal was obendrauf bekommt?

Alexander Kekulé

Ja, also, da kenne ich mich wieder ein bisschen aus mit der Epidemiologie zumindest. Nicht so sehr mit dem Karneval. Da kann man ganz klar sagen. Was da passiert, ist das, was wir immer von so angeblichen Outdoor-Veranstaltungen kennen. Die Leute treffen sich draußen, dann wird es langsam kühl, und dann gehen sie irgendwie auf ein Bier oder einen Kaffee oder sonst was in die geschlossenen Räume. Sie reisen auch an in die Karnevalshochburgen, wo sie natürlich irgendwo übernachten müssen. Meistens bei Freunden. Und diese Nebenveranstaltungen, die natürlich dann im Inneren stattfinden. Das sind die Orte, wo die Infektionen übertragen werden, gar nicht so sehr im Freien. Aber eben dann in dem ganzen Drumherum, was da stattfindet.

Tim Deisinger

Nun könnte man sich überlegen, Karnevalsfeiern vielleicht doch abzusagen. Allein passieren wird das offenbar nicht. Jetzt noch mal. Stellvertretend zum Hören der frühere CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Der spricht wahrscheinlich vielen aus dem Herzen.

Ehem. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach Wir haben uns ja von einem stärkeren Impfgeschehen versprochen, dass wir doch wieder ein Stück Normalität zurückbekommen. Und wenn wir jetzt sagen, es ist ganz egal, ob wir eine hohe Impfquote haben oder nicht, es wird sowieso alles abgesagt. Dann werden natürlich viele die andere Frage stellen, warum soll ich

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mich impfen lassen, wenn es danach sowieso wieder einen Lockdown gibt.

Tim Deisinger

Das sagt Wolfgang Bosbach. Aber Herr Kekulé, könnte man nicht trotzdem sagen, es wäre vernünftig, Leute, das abzusagen oder vernünftig, zumindest nicht hinzugehen.

Alexander Kekulé

Natürlich ist es vernünftig, Infektionen zu vermeiden. Das ist ganz klar. Was Bosbach da ausspricht, der ist ja sozusagen professioneller Jecke kann man auch sagen. Und was er da richtig ausspricht, ist natürlich, die Menschen sind bisschen betrogen worden. Das ist das sogenannte falsche Versprechen der Impfung. Da hat man dann Bundes-Werbung gemacht und volle Konzertsäle gezeigte. Leute, die also munter Party machen. Man hat die Devise ausgegeben, wir impfen uns für die Freiheit, damit alles wieder so ist wie vorher. Ich meine, so ähnlich waren die Slogans auch dann. Das war ja für die Hörer dieses Podcasts von Anfang an klar, dass das ein falsches Versprechen ist, weil es eben keine sterilisierende Immunität gibt bei dieser Impfung, weil die Herden-Immunität, von der da immer gesprochen wird, eine Illusion ist und schon immer war. Und auch die Behauptung des Robert Koch-Instituts, die übrigens von der Website jetzt getilgt wurde, dass Geimpfte zum Infektionsgeschehen keinen wesentlichen Beitrag leisten würden. Das war ja alles falsch.

Und deshalb hat er natürlich recht, eine gewisse Enttäuschung auszudrücken. Das müsste er aber dann seinen Kollegen in der Politik mal rüberschieben. Die sind ja nicht so weit weg von ihm, die das behauptet haben. Und es bleibt natürlich die knallharte Wahrheit, dass man sagen muss, ja auch Geimpfte übertragen dieses Virus in erheblichem Maße. Das ist inzwischen meine ich Konsens. Ich kenne inzwischen keinen Kollegen mehr, der das bestreitet. Und das Robert Koch-Institut, das muss man fairerweise sagen, die räumen des jetzt auch ein. Sein Argument greift ein bisschen ins Leere. Auch gemeinerweise, wenn ich jetzt ganz fies bin, dann sage ich, naja, die haben

sich ja alle schon impfen lassen. Und diejenigen, die sich noch impfen lassen sollen, also diese 30 Prozent Ungeimpfte in der Gesamtbevölkerung oder 13 Millionen Erwachsenen in Deutschland, um die es ja hauptsächlich geht. Das sind ja alles Menschen, die sich schon entschieden haben, sich nicht impfen zu lassen. Und ich glaube nicht, dass bei denen jetzt die Frage aufkommt, ob sie beim Karneval mitmachen dürfen oder nicht. Dass das bei denen irgendwie eine Rolle spielt für die Entscheidung, sich doch impfen zu lassen.

Tim Deisinger

Aber es gibt vielleicht auch Leute, bei denen dann die eine dritte Impfung ansteht. Und dann, wenn wir das mit dem falschen Versprechen noch ein bisschen weiter denken. Könnte es dann sein, also wenn man solche Sachen jetzt absagen würde, dass das für die gesamte Impfkampagne schlicht kontraproduktiv ist, dass man das auch schon deswegen nicht machen kann?

Alexander Kekulé

Ich bin da immer für Fairness. Also ich bin immer dafür, ganz offen zu sagen, wie die Fakten sind. Hier müsste man einfach sagen, die Politiker könnten das ja, wir haben uns geirrt. Wir sind falsch beraten worden. Da kam jemand zum Beispiel vom Robert Koch-Institut oder andere Regierungsberater, die da der Grund dieser Fehlsteuerung waren. Die kann man ja glücklicherweise nicht feuern oder abwählen. Die bleiben sowieso im Amt. Das müsste man eigentlich meines Erachtens so transparent machen, dass man sagen müsste, okay, das ist eigentlich schiefgelaufen. Wir haben euch da das Falsche versprochen. Jetzt zu sagen, wir propagieren, sozusagen perpetuieren diese Falschaussage, indem wir jetzt weiterhin sagen, ja, also irgendwie lasst euch impfen. Dafür habt ihr dann die Freiheiten. Und deshalb sagen wir den Karneval nicht ab oder schränken die Veranstaltungen nicht ein. Das würde, glaube ich, zu weit gehen, weil es ist ja tatsächlich so. Sie haben anfangs die Zahlen vorgelesen. Wir haben jetzt wirklich ein Problem im Herbst. Das ist wirklich ganz ernst, sodass wir

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die Gefahr haben, dass in einigen Regionen dann zumindest lokal die Intensivstationen wieder volllaufen. Das ist ja auch im Moment schon der Fall. Da ist sozusagen nicht mit zu spaßen, um in Karnevals-Kategorien zu sprechen. Ich wäre konkret dafür, dass man Außenveranstaltungen ... in Ordnung ... Aber dass man Karnevals-Innenveranstaltungen ... Dass man da wirklich daran denkt, die Teilnehmerzahlen zu begrenzen.

Tim Deisinger

Wenn man selbst hingehen möchte. Was wäre dann vernünftig zu tun?

Alexander Kekulé

Man kann sich da in die Schlange stellen und warten, bis die Bonbons kommen. Ich habe jetzt gerade vergessen, wie die heißen. Die haben irgendeinen Namen im Rheinland.

Tim Deisinger

Kamellen.

Alexander Kekulé

Kamellen genau, super. Sie kennen sich ja doch aus. Und da werden die Kamellen geworfen. Das kann man machen. Und die Kamellen hinterher verspeisen. Da wird es einem in der Regel schlecht davon, weil nicht alle so lecker sind wie die bekannten Markenhersteller, die da zum Teil verteilt werden. Aber ich würde dringend davon abraten, dieses Nebenprogramm in den geschlossenen Räumen hinterher zu machen. Was natürlich für die meisten Karnevalisten der Hauptspaß ist. Es geht ja um Kommunikation. Aber diesen Teil, da bin ich sowieso dafür. Sie wissen, ich bin einer der letzten Mohikaner, die gegen das 2G-Modell sind. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil man da eben suggeriert, es gäbe Sicherheit, wenn alle geimpft oder genesen sind. Hauptsache die Getesteten sind draußen. Und dann gibt es keine Obergrenzen mehr, was die Teilnehmerzahlen betrifft. Keine Abstände, keine Masken, gar nichts. Und genau das droht ja jetzt zu passieren, an Fasching oder am Karneval. Und da meine ich dringend, da muss man nachschärfen. So bitter das sein mag,

Tim Deisinger

Weil Sie 2G angesprochen haben. Nun gibt es auch Gremien, die einen großen Namen haben, die Empfehlungen abgeben. Zum Beispiel die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften. Die sagen auch, 2G sei wichtig. Das sollte eine größere Geltungs-Reichweite bekommen. Die Leopoldina. Sie haben gesagt, Sie sehen das nicht so. Ist es nicht doch Zeit einzuknicken?

Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt, ich will Ihnen jetzt nicht aufzählen, was die Leopoldina in dieser Pandemie schon für Ansagen gemacht hat, die dann nicht ganz richtig waren hinterher.

Also es ist so, das ist ja jetzt eine Statement, was in einem Vorwort einer Studie steht, die um etwas ganz anderes geht. Und ich finde mal so grundsätzlich ist es doch so ... also eine wissenschaftliche Fachgesellschaft qualifiziert sich dadurch und zeichnet sich aus, setzt sich letztlich dann auch positiv ab von dem ganzen Geplauder, was in den Talkshows passiert, und dem ganzen Geschreibe, was man so in den Qualitätsmedien lesen kann. Dadurch, dass sie eben wirklich wissenschaftliche Aussagen macht und die wissenschaftlich basiert. Also das wäre zumindest mein Wunsch. So ähnlich, wie die Ständige Impfkommission sich auch sehr große Mühe gibt, das so zu machen.

Und wenn jetzt, also in einem Vorwort irgendwie so ein allgemeines politisches Statement rausgehauen wird. ‚Wir sind übrigens für dies und jenes.‘ Dann ist das eigentlich nicht mehr wert, als wenn der Herr Lauterbach oder ich das in einer Talkshow von sich geben, weil das eben nicht auf einer wissenschaftlichen Basis beruht zunächst mal. Und damit kann sich die Leopoldina meines Erachtens auch ihre besondere Qualifikation verbrennen. Wenn sie so Stellungnahmen zu aktuellen Themen macht, die dann in dieser Stellungnahme zumindest nicht begründet sind. Also das natürlich jeder eine Meinung hat, ist klar. Aber ich finde, es ist in dieser Pandemie insgesamt so ein bisschen das Problem. Man muss bei so Organen und

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dann auch Funktionären, die die Organe repräsentieren, immer überlegen, ja ... bekannt ist ja, dass ich nicht so ganz übereinstimme mit der Äußerung des Präsidenten des Weltärztebundes Montgomery, der da die Ungeimpften ganz massiv angegriffen hat. Was hat er noch einmal gesagt?

Tim Deisinger

Tyrannei der Ungeimpften.

Alexander Kekulé

Der hat ja von einer Tyrannei der Ungeimpften gesprochen. Und da muss man wirklich fragen, in welcher Funktion macht so jemand sowas? Ist es jetzt eine Umfrage gewesen unter allen Ärzten dieser Welt. Weil er ja der Präsident oder Geschäftsführer oder was, des Weltärztebundes ist. Er sitzt ja da, weil er diese Funktion hat. Aber er gibt natürlich auf gar keinen Fall sozusagen das Ergebnis einer Mitgliederbefragung oder Ähnliches wieder. Und das finde ich bei vielen Funktionären ... Ich will jetzt nicht alles aufzählen. Dann muss man die Frage stellen. In welcher Funktion macht er das hat jetzt, der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Hat er jetzt vorher alle Kassenärzte gefragt, und die haben ihn gebeten, als irgendein Vertreter das zu äußern? Oder hat er sich das vorher am Abend beim Abendessen ausgedacht? Und darum mache ich gerne einen Vergleich. Ich greife Herrn Lauterbach damit nicht an und mich selber hoffentlich auch nicht. Aber wenn man nur sagt, man spricht für sich selber, ist es natürlich einfacher. Dann können die Zuhörer das einordnen und sagen, okay, die Meinung kaufe ich, die finde ich plausibel oder nicht. Aber Leopoldina, da würde man schon erwarten, es ist mehr als eine Meinung, sondern es muss wissenschaftlich begründet sein. Und das ist bei diesem Vorwort zu einer ganz anderen Studie eben nicht der Fall.

Tim Deisinger

Bei Herrn Montgomery haben Sie quasi virtuell jetzt das Schild hochgehalten und draufgeschrieben, er ist nicht mein Präsident.

Alexander Kekulé

Stimmt, habe ich gar nicht darüber nachgedacht. Ich muss zugeben, ich weiß jetzt gar nicht. Egal. Ganz ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was dieser Weltärzteverband ... Das ist mir sonst nicht begegnet. Müsste man mal eine Umfrage machen irgendwo im Ausland, wie viele Leute wissen, wer ihr Verbandsvorsitzender tatsächlich ist von den Ärzten dieser Welt. Aber dass ich muss da passen.

Tim Deisinger

Wir sind bei 2G stehengeblieben. Sie sind heute ein toller Stichwortgeber. Talkshow, Lauterbach. Herr Lauterbach war gestern wieder bei Sandra Maischberger und hat dort erklärt, warum er 2G befürworte. Ich sage das mal mit meinen Worten. Er hat gemeint hat, der Unterschied zu 3G ist, dass sich bei 2G zwar auch Leute anstecken, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ins Krankenhaus und dort dann irgendwelche Maschinen möglicherweise müssen. Bei 3G würde es viel mehr erwischen. Ist das nicht nachvollziehbar?

Alexander Kekulé

Ja, das ist das Argument, was immer gebracht wird, das ist ja klar. Das hat er auch schon öfters gesagt, auch schon bei der Konkurrenz Talkshow im ZDF, wo er angeblich ein Bett aufgestellt hat. Nein, es ist so. Folgendermaßen. Also die Überlegung ist falsch. Die hat einen Haken. Wenn Sie eine Veranstaltung haben unter 2G, dann ist ja meine Kritik an diesen 2G Veranstaltungen die Wichtigste, dass Sie dann alle Grenzen fallen lassen. Sie haben keine Abstände, keine Masken, keine Höchstzahlen, keine Nachverfolgung, keine Tests. Und dadurch merken Sie nicht, wenn Ausbrüche sind. Die Leute verhalten sich so, als wären sie nicht ansteckend. Es wird wurde ihnen ja auch früher so gesagt. Und dadurch haben sie die Multiplikationen der Infektion. Das ist meine Kritik an 2G. Jetzt ist die Frage, würde sich daran etwas ändern oder schlimmer werden, wenn man auch Getestete dazu nimmt. Von der Epidemiologie erst mal nicht. Das bestreitet offensichtlich Herr Lauterbach auch nicht. Im Gegenteil, wenn man einzelne testet bei 3G, für das ich plädiere, dann hat man die Situation, dass man die als Kanarienvögel hat. Und wenn die hinterher positiv sind oder währenddessen positiv sind, dann sieht man, da hat es einen Ausbruch gegeben. Das ist das eine.

Das andere ist, dass der Test, wenn er gut gemacht ist und kurz vorher gemacht wurde, genauso sicher ist letztlich bezüglich der Gefahr, andere anzustecken, wie der Mittelwert aller Geimpften, die wir so haben. Da gibt es sehr unterschiedliche Impfstoffe, unterschiedliche Zeit seit der Impfung. Jetzt ist sein Argument, dass er sagt, ja aber die, die dann da sind unter 3G. Die können sich doch anstecken und liegen am nächsten Tag auf Intensivstation. Und dann können die ganzen Braven, die sich haben impfen lassen, hinterher nicht mehr operiert werden oder sonstwas. Dazu muss man sagen, so funktioniert das nicht. Sondern die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei so einer Veranstaltung die mag natürlich gegeben sein. Aber diejenigen, die bei diesen Veranstaltungen sind, das sind ja nicht die, die hinterher im Krankenhaus liegen. Sondern im Krankenhaus liegen die Alten und liegen die Gebrechlichen. Und da liegen nicht die, die vorher quasi kalkuliertes Risiko irgendwo auf einer Party im Berghain oder sonstwo waren. Sondern da sind die, die mittelbar angesteckt wurden. Also die 2G Veranstaltungen sind der Durchlauferhitzer, und hinterher verbrennen sich sozusagen die alten Leute, manchmal auch ganz kleine Kinder und eben die Ungeimpften, hauptsächlich die Ungeimpften, die es dann später erwischt und dem Krankenhaus landen. Und diesen mittelbaren Effekt, den haben Sie eben nicht auf der Veranstaltung selbst. 


Also, Herr Lauterbach betrachtet quasi nur die Veranstaltung, sagen wir mal drei Stunden irgendwo am Abend. Bei der Veranstaltung ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass einer, wenn er dann ungeimpft ist und dann krank wird, schwer erkrankt. Also auf dieses Minikollektiv bezogen, stimmt das. Aber sobald die dann draußen sind, stecken die ja andere an. Das heißt also die Infektionen finden im Umfeld und im Nachgang statt und nicht in nur während dieser drei Stunden. Und da ist im Grunde genommen das, was auf der Veranstaltung selber passiert, völlig vernachlässigbar. Sondern es kommt darauf an, wo haben sich die Leute angesteckt, die auf den Intensivstationen liegen. Und das ist mit Sicherheit nur ein absoluter Bruchteil, wenn überhaupt, war er dann vorher auf einer 3G Veranstaltung, hat sich auf die Weise angesteckt. Weil das Risiko woanders sehr viel höher ist. Also das ist sozusagen der Haken an der ganzen Sache.


Tim Deisinger

Wer auf einer 2G Veranstaltung war, der kann ja, das wissen wir ja mittlerweile auch, Infektionen weitergeben an andere Personen. Den Personenkreis, den Sie gerade genannt hatten. Es kommen ja noch eine ganze Reihe von Maßnahmen dazu in der nächsten Zeit. Heute Vormittag ist im Bundestag beraten worden, was SPD, Grüne und FDP am Infektionsschutzgesetz ändern wollen. U.a., weil ja die epidemische Lage von nationaler Tragweite in 14 Tagen enden soll. Das war zunächst mal die erste Lesung heute. Da haben Sie sicher nächste Woche mit Camillo bestimmt genügend Stoff zum Diskutieren. Eine Sache will ich aber fragen. Es kommt ja nun auch noch eine Verordnung, die der amtierende Gesundheitsminister auf den Weg bringen will, möglicherweise auch für solche Veranstaltungen wie Karneval. Wie man hört sollen ab nächster Woche Tests wieder kostenlos sein sollen. Das nehme ich an, freut Sie?


Alexander Kekulé

Ja natürlich. Sie wissen, ich war absolut dagegen, diese kostenlosen Tests abzuschaffen, aus ganz verschiedenen Gründen. Aber das ist ganz wichtig, dass wir hier niederschwellig den Leuten anbieten, sich testen zu lassen. Das gilt sowohl für die nicht Geimpften und Nichtgenesenen als auch natürlich für die Geimpften und Genesenen. Ich höre das ganz oft. Bei privaten Veranstaltungen ist es so, dass Leute, die, obwohl sie geimpft sind. Wenn sie dann wirklich mit Risikopersonen zusammen sind, dass die sagen, nee, ich teste mich zusätzlich. Also im privaten Bereich wird das ganz oft gemacht. Habe ich auch schon oft empfohlen, dass man da, wenn man wirklich weiß, man hat jetzt Kontakt, zum Beispiel mit einer Mutter, die ein Neugeborenes hat. Oder mit jemanden, der wirklich alt ist und Risikofaktoren hat. Wo man sagt, da will man trotz der Impfung auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Oder man weiß, die Oma ist bisher nur mit Johnson und Johnson geimpft und hat den Booster noch nicht bekommen. Aus welchen Gründen auch immer. Dass man sich vorher eben testen lässt. Und was ich jetzt höre. Ich weiß nicht, ob das repräsentativ ist. Das habe ich in dem konkreten Fall aus Bayern gehört. Da ist es zum Teil echt schwer, diese Schnelltests überhaupt zu bekommen. Wie früher. Weil diese ganzen Discounter, wo man die kaufen konnte. Da waren ja früher die Regale voll. Die sind jetzt, selbst wenn man sie kaufen will, nicht mehr so leicht verfügbar. Also das ist so, dass insgesamt dieser Markt für diese Schnelltests so ein bisschen zusammengebrochen ist nach meiner Beobachtung. Und das wird so ähnlich wie bei den Impfzentren, die man jetzt plötzlich wieder hochfahren will. Das wird wahrscheinlich nicht so einfach sein. Jetzt hier den Bedarf so schnell zu decken. Bin ich mal gespannt, weil die Verordnung ist eins. Und das andere ist natürlich die Frage: wenn man dann sagt, okay, jeder kriegt einen Test pro Woche oder so. Wer produziert den, wo kommt der her? Ist das alles bestellt? Gibt es da Lieferengpässe? Und Sie wissen ja, das Zeug kommt zum größten Teil aus Fernost nach wie vor. Und da sind ja aus verschiedenen Gründen unter anderem wegen der Corona-Krise, die Lieferungen nicht mehr so flüssig wie früher.


Tim Deisinger

Ein Test pro Woche, vorausgesetzt der ist lieferbar. Ist das eine Größenordnung, von der Sie sagen, das ist okay. Oder müssten das mehrere sein?


Alexander Kekulé

Also ich bin eigentlich dafür, die Teststationen aufzumachen. Es ist ja letztlich so. Wir wollen ja Tests haben, die zertifiziert sind. Also wir wollen, dass das professionell gemacht wird. Ist ja auch bekannt, dass da viel gefälscht wurde und wahrscheinlich immer noch gefälscht wird. Das kann man so offen sagen. Genauso wie der gelbe Impfpass, was man von Apothekern hört, in großem Stil gefälscht wird tatsächlich. Und vor diesem Hintergrund wäre es natürlich ganz gut, wenn man jetzt bei diesen Tests zumindest weiß, dass das von der Einrichtung gemacht wird, die, auf welche Weise auch immer, etwas besser kontrolliert wird als beim letzten Mal. Und da fand ich jetzt eigentlich diese Teststationen, die überall in der Stadt waren. Die haben, glaube ich, in Tübingen damit angefangen. Das fand ich eigentlich eine ganz gute Sache. Da haben Sie in der Fußgängerzone so einen Test. Und wenn da genug von diesen Stationen sind und man nicht zu lange Schlange steht, dann kriegt man da seinen Zettel. Und dann ist es für die nächsten 24 Stunden eben der Ausweis, irgendwo reinzukommen oder eben auch um eine zusätzliche Sicherheit zu haben, wenn ich das nur privat machen will. Ich glaube, das ist von Vorteil, dass so anzubieten. Ein Test pro Woche. Wie soll das funktionieren? Soll dann jeder den Test nach Hause geschickt bekommen und selber machen? Oder glaubt der Bundesgesundheitsminister im Ernst, dass wir alle Testzentren der Republik in der Kürze der Zeit durch irgendein perfektes Datennetz miteinander verbinden? Dass also die Fußgängerzone in Halle an der Saale feststellt, wenn ich dahin komme. Dass ich mich aber in der gleichen Woche schon mal in der Fußgängerzone in Hamburg habe testen lassen. Da will ich mal Fragezeichen dranmachen. Daher weiß ich nicht, wie das mit dem einen Test pro Woche gehen soll. Aber wird man ja dann hören. Ich meine, da muss der geschäftsführende Minister ja erklären, wie er das umsetzen will.


Tim Deisinger

Aber es wird ja nicht nur getestet, es wird auch weiter geimpft. Und es gibt eine neue Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Nämlich an unter 30-Jährige nur noch den Impfstoff von BioNTech zu verabreichen. Ich habe da glaube ich, großes Aufatmen von Ihnen gehört.

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Alexander Kekulé

Ja, ich wollte gerade schnell einen Sektkorken knallen lassen. Richtig so.

Das entspricht der Datenlage. Was mich ein bisschen irritiert oder was ich glaube, was einfach gefährlich ist. Wir haben in Deutschland so die Tendenz, dass Fachleute fast schon so sagen, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Und wenn jetzt die Politiker mal so die Position wechseln und dann unter Umständen die Medien das feststellen und sagen, Mensch, der hat aber letzte Woche etwas Anderes gesagt. Da haben wir schon ein bisschen Routine.

Aber wir haben in Deutschland nicht so viel Routine, das zu beurteilen, was Fachleute sagen. Und bei der STIKO muss man ganz klar sagen, dass die einen Fehler gemacht hat, war in dem Moment klar, wo sie die Impfempfehlungen für Kinder 12 bis 17 rausgegeben und begründet hat. Ich sage nicht, dass diese Impfempfehlung ein Fehler war. Ganz und gar nicht. Die STIKO hat ja da in die Waagschale geworfen, den gesellschaftlichen Druck, dem die Kinder ausgesetzt sind, wenn sie nicht geimpft sind. Dieses eine Gramm hat quasi die Waage für die Impfung umschlagen lassen. Das hat die STIKO ja sehr transparent gemacht. Und an der Stelle hat sie auch recht. Aber sie hat einen handwerklichen Fehler gemacht an einer ganz anderen Stelle. Nämlich, dass sie, die Moderna-Impfstoffe, den Moderna-Impfstoff und den BioNTech -Impfstoff bei diesen Kindern, um die es da ging, alle quasi zusammen abgefrühstückt hat. Auch Jungs und Mädchen gleichermaßen behandelt hat. Sie hat nicht differenziert, obwohl es völlig klar war zu dem Zeitpunkt, dass Moderna, deutlich stärker reaktogen ist und auch mehr Nebenwirkungen hat. Damals stand schon im Raum, dass Jungs, die mit Moderna geimpft sind, möglicherweise viermal so häufig Myokarditis kriegen als Mädchen, die mit mit BioNTech geimpft sind. Und da ist ein Risikofaktor von vier, was natürlich hier enorm viel ist, überhaupt nicht berücksichtigt. Das war ein schwerer handwerklicher Fehler, den sie bis heute nicht eingestanden

haben. Und es gab ja noch einen zweiten. Da war ja auch eine nicht richtige Behauptung in diesem Gutachten drinnen, weil sie nämlich behauptet haben, soweit ich es in Erinnerung habe, das über 10 Millionen Kinder in diesem Alter zwischen zwölf und 17 in den USA und Kanada bereits mit Moderna und BioNTech geimpft worden wären. Diese Behauptung ist falsch, weil es nämlich keine Zulassung für Moderna in USA und Kanada gab zu dem Zeitpunkt für diese Altersgruppe. Das aber sowas in einer offiziellen Empfehlung drin steht und als Begründung auch noch eine falsche Behauptung. Und dass das und nie korrigiert wird. Jetzt machen sie es so ein bisschen elegant. Jetzt sagen sie ein paar Monate später, okay, alle unter 30 sollen es nicht mehr nehmen. Und wir haben es natürlich begründet, dann immer mit angeblich neuen Daten. Aber das macht ja diesen Fehler von damals nicht wett. Und ich sage deshalb, weil ich meine, wir müssen uns Institutionen erhalten. Es ist ein bisschen so ähnlich wie über die Leopoldina von vorhin. Wo wir einfach wissen und glauben, dass die wissenschaftlich sauber und korrekt arbeiten. Und das ist das Vertrauen, was wir brauchen in Deutschland. Und warum es bei uns jetzt so schiefgeht, es ist ja ein ganz interessantes Phänomen. Die ganzen deutschsprachigen Länder in Europa. Das muss man sich mal klarmachen. Deutschland, Österreich, Schweiz. Wir sind ja die Schlusslichter bei der Impfung. Das möchten wir gar nicht glauben. Aber irgendwie scheint das beim Teutonischen drinnen zu sein. Wir sind die, die 30 Prozent Ungeimpfte von der Gesamtbevölkerung haben ungefähr. Und dass bei denen jetzt die Fallzahlen so hochgehen. Die Italiener und die Spanier schütteln den Kopf. Alle anderen sind oder viele andere sind besser durchgeimpft als wir. Und ich glaube, das liegt daran, dass so was dann irgendwie bei uns eben besonders schnell Misstrauen sät. Wenn man dann sagt: „Mensch, nach wieviel Monaten kommen die jetzt daher und sagen doch nur die unter 30. War da nicht früher was mit AstraZeneca? Da haben die auch gesagt, es ist ein Super-Impf-

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stoff und jetzt wird er gar nicht mehr empfohlen.“ Und so weiter. Und dann sagt man: „Warte ich doch noch einmal zwei Monate. Mal gucken, was sie dann sagen.“ Und das ist einfach nur menschlich. Dass man dann unter Umständen verunsichert ist. Weil nicht jeder ist ja Virologe und kann das selber beurteilen. Und deshalb warne ich einfach davor. Ich finde, solche wissenschaftlichen Kommissionen müssen dann sehr, sehr transparent machen ... Auch wenn sie mal Ihre Meinung ändern und wenn sie feststellen, wir haben damals was übersehen.

Tim Deisinger

Aber Misstrauen kann man ja eigentlich auch schon aus einer anderen Richtung riechen. Nämlich wenn man auf die Impfstoffe guckt, dann haben wir tendenziell quasi nur noch BioNTech. Wir haben ja dann quasi ein Monopol. Ist das ist das gut?

Alexander Kekulé

Grundsätzlich: ein Monopol ist natürlich immer schlecht. Das ist aber eher ein Marketingoder marktwirtschaftliches Thema. Es ist einfach hier letztlich ein Wettrennen. Wir haben das auch früher immer, als die Impfstoffe entwickelt wurden. Dass wir das sozusagen hautnah verfolgt haben. Das haben wir ja immer, wie ein Wettrennen beschrieben. Wer gerade die Nase vorn hat und so weiter. Und da ist ein bisschen die Situation, dass das Beste sich durchsetzt. Also wenn ein Medikament einen Makel hat, aus welchem Grund auch immer. Dann ist es bei so Medikamenten eigentlich noch schlimmer als bei iPhone oder anderen Smartphones. Viele Leute wollen halt einfach unbedingt immer das Neueste und Beste haben. Und bei Medikamenten verstehe ich das bis zum gewissen Grad. Wenn Sie irgendwie hören. „Naja, das eine hat mehr Nebenwirkungen, das andere bisschen weniger. Nehme ich doch das mit weniger Nebenwirkungen.“

Für Moderna spricht übrigens, um da eine Lanze zu brechen. Dass ist stärker reaktogen. Deshalb wahrscheinlich, kann man zumindest mal spekulieren, auch die häufigeren Neben-

wirkungen bei den jungen Menschen, einschließlich der häufigeren Myokarditis. Aber diese stärkere Reaktogenität ist von Vorteil bei älteren Menschen. Weil da müssen Sie dem Immunsystem eventuellen einen richtigen Schubser geben, damit das sozusagen nochmal auf seine alten Tage Antikörper und so weiter produziert. Und deshalb wissen wir, dass Moderna gerade bei der Generation Ü60 durchaus, wenn es verglichen wurde, eine tendenziell bessere Wirkung hatte. Also es ist nicht nur nachteilig. Und so der Grundsatz, wenn man jetzt zum Beispiel sagt, okay, ältere Menschen, für die die Boosterung empfohlen wird. Nochmal, ich empfehle es ausdrücklich inzwischen ab 60. Die STIKO empfiehlt immer noch nur ab 70 leider. Es ist so, wenn Sie ab 60 also dann nach meiner Empfehlung hier Boostern würden, dann gilt nach wie vor, dass eine Überkreuz Impfung, also eine heterogene Impfung. Heterologe-Impfung. Das ist etwas, was auf jeden Fall Vorteile hat. Also jemand, der zweimal BioNTech bekommen hat. Der sollte meines Erachtens darüber nachdenken, ob er beim dritten Mal dann Moderna nimmt. Und da soll man sich jetzt bitte nicht von dieser Empfehlung der STIKO verunsichern lassen, die für unter 30-Jährige sagt kein Moderna mehr.

Tim Deisinger

Aber da muss man auch einen Arzt finden, der der Moderna verimpft. Weil die meisten Hausärzte, wenn sie denn Impfstoff haben, haben offenbar BioNTech. Damit zum nächsten Thema. Es gibt ja auch Ärzte, Hausärzte, die offenbar nicht impfen, sicher aus verschiedensten Gründen, oder nicht mehr impfen. Eine Begründung, das würde ich ganz kurz noch gerne mit Ihnen besprechen, die ich jetzt gelesen habe. Da weiß ich nicht so recht, was ich sagen soll. Ein Hausarzt, Name sage ich jetzt mal nicht. Nur, dass es ein Sachse ist. Der schreibt auf seiner Website Folgendes. Jetzt zitiere ich mal kurz. „Ab sofort werden in unserer Praxis keine Impfungen gegen Corona vorgenommen. Nachdem wir uns in der Vergangenheit auch an den Impfungen gegen Corona beteiligt haben, beende ich nun die Impfungen gegen Corona in meiner Praxis. In letzter Zeit kamen

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vorwiegend Patienten zu mir, die als Grund für die Impfung den Druck der Gesellschaft, Druck durch Arbeitgeber und allgemeine Einschränkungen im öffentlichen Leben angaben, für eine medizinische Maßnahme wie eine Impfung. Es sind eine medizinische Notwendigkeit und das Einverständnis des Patienten ist Grundvoraussetzung. Um Einverständnis zu geben, muss der Patient aber umfassend aufgeklärt sein. Und die Entscheidung darf nicht unter Druck oder unter Androhung von Sanktionen erfolgen. Und da die freie Entscheidung aktuell nicht mehr gegeben ist, kann die Aufklärung nicht mehr nach medizinisch ethischen Aspekten erfolgen. Und die Impfung würde ohne Aufklärung und ohne Einverständnis erfolgen. Das entspricht aber einer Körperverletzung, zu der ich nicht berechtigt und Willens bin. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“ Was halten Sie denn davon?

Alexander Kekulé

Also, der überzieht da völlig etwas. Denn so Einzel-Argumente, die jedes für sich nicht ganz falsch sind, aber hier im Konzert insgesamt nicht funktionieren. Mal so kurz gesagt, es gibt ja ganz oft für medizinische Maßnahmen gewisse gesellschaftliche Gründe. Ich sag mal, die meisten Schönheitsoperationen haben damit zu tun. Und wenn Sie bei einem Kind, das also enorme Segelflieger-Ohren hat, als Eltern beschließen, wir lassen die anlegen. Dann ist das ja eigentlich eine Operation, die Sie da verlangen, die hauptsächlich wegen befürchteter gesellschaftlicher Sanktionen gemacht wird. Von den ganzen Schönheitsoperationen bei Erwachsenen ganz zu schweigen. Aber auch viele Dinge, die sonst die Medizin macht. Bis hin zur Frage, muss ich jetzt unbedingt abnehmen. Da gibt es medizinische Gründe, aber bei vielen dann eben auch gesellschaftlichen Druck. Das heißt also, das ist gemischt. Also die Frage, Gesundsein im ärztlichen Sinne, um jetzt sozusagen den niedergelassenen Kollegen da beim Wort zu nehmen. Die ärztliche Indikation und das Gesundsein geht ja weit über das rein medizinisch festgestellte Kranksein hinaus. Die WHO definiert das auch viel weiter inzwischen.

Und dieses seelische und allgemeine Wohlbefinden. Das hat sehr viel damit zu tun, wie man in der Gesellschaft akzeptiert wird und wie nicht. Deshalb glaube ich schon, dass es da eine Brücke gibt, selbst auf diese Argumentation. Um dann zu sagen ich mache das. Das andere ist, wenn er hier sagt, jemand, also ich gehe jetzt mal von Erwachsenen aus, kann jetzt nicht mehr nicht mehr rechtskräftig eine Willenserklärung abgeben, dass er einverstanden wäre. Oh also ich meine, das sind ja erwachsene Leute. Die haben sich das überlegt. Einige, die nörgeln natürlich beim Arzt und sagen, eigentlich will ich das nicht machen. Aber ich mache es jetzt doch. Aber sie haben sich eben dann entschieden, das doch zu machen. Sonst wären sie nicht gekommen, sodass am Ende des Tages ... Das kann man politisch vielleicht kritisieren, dass der Druck hier sehr stark ist. Wir haben ja auch vorhin kurz besprochen, dass sogar die Ständige Impfkommission bei der Empfehlung der Impfung für zwölf bis 17Jährige ganz entscheidend sagt, wir wollen die nicht so starken gesellschaftlichen Repressionen aussetzen. Und deshalb wollen wir sie impfen lassen. Also eine ganz ähnliche Überlegung. Aber am Ende des Tages glaube ich, wenn so ein erwachsener Patient sich entschieden hat, kann der Arzt nicht sagen, nö, mache ich nicht. Und das finde ich, würde hier zu weit gehen. Vielleicht ein bisschen andere Situation. Wenn sie wirklich einen Jugendlichen hätten, was weiß ich, ein Mädchen, was irgendeine Operation machen soll, weil die Nase schief ist und die Eltern das verlangen. Und sie sagt, ich finde meine Nase eigentlich ganz hübsch. Aber meine Mutter sagte ich, musste jetzt begradigen. Das wäre so ein Grenzfall bei den Minderjährigen insbesondere, wo man dann schon als Arzt mal sagen kann, im Moment, da will ich noch mal genauer wissen, was da die Hintergründe sind. Aber ein Erwachsenen, der sich impfen lassen will. Verstehe ich nicht ganz.

Tim Deisinger

Sie kennen ja die Ärzteschaft sicher besser als

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ich. Auch wenn Sie nicht wissen, ob Herr Montgomery auch Ihr Präsident ist. Ist das ein Einzelfall?

Alexander Kekulé

Diese bisschen verquere Argumentation ist natürlich an der Grenze zwischen juristisch und und medizinisch. Und die ist meist ein Einzelfall. Es ist in der Tat so, dass es doch einige Ärzte gibt, die nicht gerne impfen und das auch offen ihren Patienten sagen. Und ich glaube, das in der Arztpraxis von manchen Ärzten, natürlich nicht allen. Die große Mehrheit ist da anderer Auffassung. Dass da schon auch Bedenken gegen die Impfstoffe geschürt werden, die nicht berechtigt sind. Das ist meine persönliche Umgebung und das, was ich so höre. Das kommt sicher öfters mal vor. Vielleicht nicht so krass, dass es einer auf der Webseite dann veröffentlicht wird. Aber im kleinen Kreis gibt es natürlich Ärzte, die dem kritisch gegenüberstehen.

Tim Deisinger

Okay, dann schauen wir mal auf eine Studie aus den USA, die besagt, dass man mit einer Impfung besser geschützt sei als mit einer durchgemachten Infektion. Da bin sicherlich nicht nur ich verwirrt. Ich hatte im Kopf, dass es eigentlich andersrum ist. Was stimmt denn nun?

Alexander Kekulé

Wollen Sie die kurze oder lange Fassung haben? Also diese Studie. Das ist interessant, die wird sicherlich auch viel diskutiert werden. Die sagt genau das. Die sagt also, im Vergleich ... Das ist von der CDC herausgegeben worden, also die amerikanische Gesundheitsbehörde, die eigentlichsehr professionell arbeitet in der Regel. Die haben diese Studie rausgegeben und haben gesagt, ja, die Impfung würde besser schützen vor Krankenhausaufnahme bei Covid als die durchgemachte Infektion. Genau wie Sie sagen. Sogar einen Faktor von fast 5,5 haben die angegeben. Das heißt also, das Risiko für jemanden, der nur sozusagen genesen ist, sei fünfmal höher, im Krankenhaus zu landen wegen Covid als das Risiko von jemandem, der vollständig geimpft ist. Das ist natürlich

mal ein steiler Aufschlag und widerspricht den bisherigen Daten. Und deshalb muss man sich das genauer anschauen. Sie hören schon so durch, ich habe gewisse Bedenken, ob das dann aus dieser Studie hervorgeht. Meines Erachtens geht es daraus nicht hervor. Aber wenn Sie wollen, können wir da im Detail noch mal drüber sprechen.

Tim Deisinger

Sagen Sie mal, warum es aus für Ihre Begriffe nicht daraus hervorgeht.

Alexander Kekulé

Ganz interessant, wenn man das sich dann so anschaut. So ein klassisches, fast könnte man jetzt sagen Vorlesungs-Beispiel für eine epidemiologische Studie. Die haben also diesen Faktor 5,5. Und wenn man dann also die genauen Zahlen anschaut, stellt man fest, sie hatten insgesamt ungefähr 6.300 Patienten, die voll geimpft waren. Und von denen haben 324 Covid dann gehabt, also 324 von 6.328. Also etwa fünf Prozent hatten Covid von den Geimpften bekommen. Und wenn man sich jetzt die Zahl der Rekonvaleszenz anschaut, dann ist es so. Da hatten sie nur etwas über tausend. Und von denen haben 89 Covid bekommen, also 89 sozusagen, trotz durchgemachter Infektion. Wo man denkt, die müssten eigentlich immun sein. Und 324 trotz Impfung, wo es dann quasi klassische Impf-Durchbrüche sind. Und wenn man das in Prozenten anschaut, ist es eben so: 5,1 Prozent der Geimpften hatten diese Durchbrüche und 8,7 Prozent derer, die quasi immun, in Anführungszeichen durch durchgemachte Infektion waren. Da sagt man Moment mal, 5,1 und 8,7 Prozent. Das ist doch gar nicht so weit auseinander. Wie kommen die auf einen Faktor von 5,5? Ja, die rechnen eben dann, machen eben dann Statistik. Ja, und dann machen Sie Folgendes. Sie nehmen diese relativ kleine Zahl von Probanden. Die Rekonvaleszenten sind ja nur 89, die Covid bekommen haben insgesamt in der Studie. Die haben, dass über viele Monate beobachtet, das wird dann, wie man sagt, statistisch adjustiert. Das heißt also, man muss das dann nach Alter sozusagen aufteilen, damit das Alter keinen Einfluss in der

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Studie hat. Man muss es nach geografischer Verteilung nochmal runterrechnen. Damit nicht quasi Effekte, die mit dem Wohnort zu tun haben, eine Rolle spielen. Man muss es auch nach dem Zeitpunkt der Infektion runterrechnen. Weil wegen dieser neun Monate, wo die Studie gelaufen ist, von Januar bis September dieses Jahres. Da ist in den USA gerade die Delta Variante gekommen, ungefähr auf Halbzeit zu. Im Juni kam die. Deshalb spielt es eine Rolle, war Delta da oder nicht. Also wann haben die sich im Infektionsgeschehen infiziert? Es ist ja auch so, dass die Impfungen am Anfang hauptsächlich bei älteren Menschen in den USA gemacht wurden. Und dann haben sie es noch einmal adjustiert nach der lokalen Inzidenz. Das heißt nach der Frage, wie stark war der Infektionsdruck in der jeweiligen Region. Was bedeutet das? Das kann man sich so vorstellen. Jetzt hat man einen Topf von ... Ich nehme jetzt mal nur die Rekonvaleszenten, die also die Krankheit durchgemacht haben. Das sind 89 einzelne Personen insgesamt gewesen. Die werden aber noch einmal in diese Töpfe unterteilt, den Untergruppen. Sodass die eigentliche Berechnung dieses Risikofaktors dann am Schluss nur noch mit einer Handvoll Patienten geschieht. Es ist also am Schluss eine ganz kleine Zahl von Patienten auf denen diese Berechnung am Schluss beruht. Das wird quasi gewichtet, dann am Schluss ja. Und dann, wenn das so ist, dass man so eine kleine Zahl hat. Ja, da muss man natürlich ... dann schaut also derjenige, der sich so eine Studie anschaut. Er sagt dann, okay, jetzt will ich mal genauer sehen, wie eigentlich die Untergruppen ausschauen. Und dann ich sag mal nur paar Beispiele. Da gibt es relativ viele. Aber zum Beispiel ist ganz interessant. Es ist so, dass in den zwei Gruppen, die da verglichen wurden, also Rekonvaleszente versus Geimpfte. Da waren bei den Rekonvaleszenten wesentlich mehr Jüngere dabei. Da war das Verhältnis 31 Prozent zu neun Prozent, also viel mehr junge Menschen in der Rekonvaleszenten-Gruppe. Ist auch nicht ganz unwahrscheinlich. Ist ja klar. Erstens, wenn ich alt bin und Covid hatte, ist

die Wahrscheinlichkeit, dass ich daran gestorben bin, natürlich höher. Aber es ist auch so, dass die Jüngeren natürlich sozial aktiver sind. Wenn sie aber in der Gruppe, die sie da vergleichen, hinterher am Ende des Tages Altersunterschiede haben. Also die einen, waren viel jünger als die anderen. Und sie sagen dann hinterher, das lag an der Tatsache, dass die einen geimpft waren und die anderen aber nur genesen. Dann muss man sagen, Moment mal, die verhalten sich auch unterschiedlich. Weil die Genesenen. Das waren die Jüngeren. Die sind natürlich sozial aktiver, die riskieren vielleicht mehr. Wer einmal Covid hatte, hat ja auch schon irgendetwas falsch gemacht. Dass er sich infiziert hat, vielleicht die Maske nicht getragen oder sonstwas. Der ist wahrscheinlich ein risikobereiter, ist eine risikobereitere Population. Und wenn ich die jetzt vergleiche mit Älteren, die vielleicht vorsichtiger sind. Dann ist doch klar, dass bei den Risikobereiteren häufiger Infektionen auftreten. Das darf ich da nicht der Tatsache zuschreiben, dass sie nicht geimpft, sondern nur genesen war. Anderes Beispiel nur kurz mal. Bei denen, die also ... bei denen, die rekonvaleszent waren, waren wesentlich mehr Schwarze und wesentlich mehr Hispanics dabei. Das heißt also hispanisch zum Beispiel 19 Prozent versus zwölf Prozent, also 19 Prozent bei den Rekonvaleszenten und nur zwölf Prozent bei den Geimpften. Und da wissen wir auch, in den USA aus ganz anderen Gründen, die jetzt nichts mit Risikobereitschaft zu tun haben. Da ist es so, dass die wahnsinnige Überlast an schweren Covid-Verläufen und an Covid Erkrankungen bei diesen und farbigen Amerikanern. Das hängt mit der sozialen Benachteiligung zusammen. Und die werden aber dann verglichen mit den anderen. Also die haben letztlich Birnen mit Eiern verglichen und am Schluss dann gesagt, ja, es liegt aber alles daran, dass die einen geimpft waren und die anderen nur rekonvaleszent. Und das kann man aus dieser Studie eben nicht herauslesen.

Tim Deisinger

War das jetzt die Kurzfassung oder die Langfassung?

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Alexander Kekulé

Das war die sehr kurze Fassung. Ich hätte noch fünf andere Punkte. Aber ich will Ihnen jetzt vor unseren Hörern keine Vorlesung reindrücken. Aber es ist wirklich so. Ich sage vielleicht nur noch ein letztes. Es gab überhaupt keinen Effekt. Interessanterweise, was die Delta Variante betrifft. Also vor Beginn der Delta-Zeit in Amerika. Also dann bei dieser Studie so ungefähr die zweite Hälfte und die erste Hälfte und danach. Da gibt es keinen Unterschied bei diesem bei diesem angeblichen Faktor von 5,5. Jetzt wissen wir aber, dass der Impfstoff ja klipp und klar gegen die ursprüngliche, gegen das ursprüngliche Wuhan-Virus gemacht wurde. Und wir wissen aus X Studien, dass der Impfstoff gegen Delta viel schlechter wirkt als gegen die vorherigen Varianten. Mindestens zehn Prozent schlechter. Jetzt habe ich also diesen, weiß ich, dass dieser Unterschied da ist. Ich sehe den aber nicht in meiner Studie. Und dann sage ich, Moment, da stimmt irgendwas nicht. Weil jemand, der sich mit Delta infiziert hat, der hat natürlich hinterher logischerweise gegen Delta in besseren Schutz als jemand, der gegen den Wuhan-Typ geimpft wurde und hinterher mit Delta infiziert wurde. Aber dieser ganz klar zu erwartende Unterschied, den auch andere Studien gezeigt haben, ist nicht vorhanden.

Tim Deisinger

Gottseidank kann man im Podcast ein bisschen zurückgehen und kann das Ganze noch mal hören. Noch einmal langsam.

Alexander Kekulé

Vielleicht noch ein ganz leichtes hinterher, weil ich mir vorstellen kann ... ich weiß, Sie wollen zum nächsten kommen. Aber ich sage noch eins. Hinterher können wir das dann auch reinstellen. Es gibt ja eine andere Studie, die wir, glaube ich, schon mal besprochen haben. Das war die aus Israel aus dem August. Die hat damals das Makkabi Health Care Service gemacht, also der zweitgrößte Versicherer in Israel. Jetzt Achtung! Die Zahlen: die haben 2,5 Millionen Versicherte da vertreten, fast mehr

als ein Viertel der Bevölkerung in Israel. Die haben über 670.000 einzelne Daten ausgewertet, mit drei verschiedenen statistischen Methoden verglichen ab 16 Jahre. Und sie haben dann mit drei Methoden jeweils einige 10.000 Paare gebildet. Geimpfte versus Genesene. Und die haben festgestellt, die natürliche Immunität hält erstens länger und schützt zweitens stärker. Und deshalb würde ich sagen, es gibt starke Daten, die die bisherige Position stützen. Aber es werden sich viele Leute, die natürlich jetzt für die Booster-Impfung sich einsetzen, sagen, schaut mal her. Die sich für die Impfung einsetzen. Die werden sagen, schaut mal her, da gibt's eine CDC-Studie. Die zeigt eben, dass das Impfen besser ist als die Krankheit durchmachen.

46:15

Tim Deisinger

Ich glaube, die Erkenntnis, dass eine Infektion wahrscheinlich besser schützt. Die sitzt ja bei vielen eh schon ziemlich tief. Wir haben auch einige Mails zu diesem Thema bekommen. Ich will eine einfügen, stellvertretend an dieser Stelle. Und zwar von Rüdiger Mark aus Friedrichsdorf. Der schreibt Folgendes: „Macht es für mich Sinn, mich einige Wochen nach der Booster-Impfung bewusst mit Corona zu infizieren, da dann meine Immunabwehr vermeintlich am stärksten ist. Mit Corona werden wir ohnehin alle irgendwann in Kontakt kommen. Ich bin 60 Jahre alt. Besten Dank. Viele Grüße.“ Was meinen Sie?

Alexander Kekulé

Bloß nicht. Das muss man immer dazusagen. Wenn so Wissenschaftler so ein bisschen trocken sagen, naja, die Immunreaktion nach der durchgemachten Erkrankung ist besser als nach der Impfung. Das ist natürlich überhaupt nicht ein Hinweis darauf, dass man sich absichtlich infizieren lassen sollte. Also bitte auf gar keinen Fall. Eins ist klar, von den Nebenwirkungen her oder von den Schadwirkungen her. Da ist eine Infektion praktisch in jeder Altersgruppe schlimmer als eine Impfung. Das ist völlig klar. Also wenn Sie die Wahl haben, sich ab-

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sichtlich infizieren lassen oder absichtlich impfen lassen. Dann gibt es keine Ausnahme. Dann müssen Sie in jeder Altersgruppe immer auf impfen gehen. Das ist völlig klar. Nur die Frage ist ja umgekehrt. Da geht es mehr um die Frage, wie lange ist der Impfpass zum Beispiel gültig? Und da hat ja jetzt Dänemark, möglicherweise sogar in Bezug auf diese Studie. Die ist schon Ende Oktober veröffentlicht worden, die wir gerade besprochen haben. Da hat Dänemark ja gerade gesagt. Also bei uns gilt jetzt der Impfpass für Genesene. Also die haben mit diesem grünen Pass quasi. Der gilt für Genesene nur noch fünf Monate statt sechs Monate. Und für Geimpfte länger. Die setzen sehr stark auf Impfung statt Genesung. Und das kann sein, dass solche Daten da mit einfließen. Aber die Empfehlung, sich infizieren zu lassen, bitte sein lassen.

Tim Deisinger

Also ganz klare Antwort an dieser Stelle. Kommen wir zum nächsten Thema. Es wird immer wieder auch diskutiert. Wie wirksam die Impfstoffe tatsächlich sind. Das haben wir ja auch hier im Podcast schon öfter besprochen. Und mancher verweist nun auf Zahlen der UK Health Security Agency. Die stellt fest, dass sich von 100.000 Geimpften in fast allen Altersgruppen mehr infizieren als von 100.000 Ungeimpften. Wie denn das?

Alexander Kekulé

Ws gibt so News, die sind irgendwie ein gefundenes Fressen für Querdenker. Zum Teil übrigens auch Sachen, die wir hier im Podcast gesagt haben. Wenn wir uns auf irgendwelche Studien beziehen, dann klippen die einen Satz raus und finden das ganz tolle. Sie meinen, das stützt ihre Position. Im Moment ist das von dieser ... früher hieß das Public Health England. Und jetzt heißt es Health Security Agency. Die machen ja immer regelmäßig diese Berichte. So ähnlich wie bei uns das Robert Koch-Institut mit seinen Wochenberichten. Da kommen die mit relativ aufwendigen Berichten, die wir hier auch schon öfters zitiert haben. Und da gibt es einen Bericht. Den können wir ins Internet noch mal stellen. Das war der Bericht Nummer

42. Damals haben sie so eine schöne Grafik gemacht. Und dann haben sie eben tatsächlich gezeigt, dass also praktisch fast in allen Altersgruppen es so ist, dass die Geimpften tatsächlich häufiger krank waren, häufiger Covid hatten als die Ungeimpften. Jetzt muss man da Folgendes zu sagen. Diese Altersgruppen verhalten sich eben unterschiedlich. Das ist das Problem. Das eine, was es natürlich immer gibt, ist ... eenn man es auf die Gesamtgesellschaft bezieht, nimmt die der Anteil der Geimpften ja ständig zu. Und dadurch ist klar, dass zum Beispiel jetzt aktuell immer mehr Geimpft auf unseren Intensivstationen liegen. Im Moment in Deutschland liegt ungefähr, ist ungefähr die Hälfte der Patienten im Krankenhaus, und auch die Hälfte der Verstorbenen sind ja geimpft gewesen in Deutschland. Das muss man sich klarmachen. Aber das ist ja der gesamtgesellschaftliche Effekt. Wenn man es jetzt auf die Gruppen bezieht. Wenn man also schaut, wieviel Prozent der Geimpften im Vergleich zu wieviel Prozent der Ungeimpften an werdenden krank mit Covid, dann kriegt man tatsächlich diesen Effekt, den wir auch hier schon mal besprochen haben, als wir so eine schwedische Studie aus Norland besprochen haben. Und zwar ist das der, dass sich Geimpfte anders verhalten. Das muss man ganz klar sagen. Es ist so, dass der Geimpfte glaubt. Das gilt weltweit auch in den USA, auch in England. Der Geimpfte glaubt, ihm kann nichts mehr passieren.

Und der Genesene, der ist zum Teil interessanterweise so, dass die, weil die die Krankheit durchgemacht haben. Dann gibt es Unterschiede. Aber bei denen, denen es schlecht ging, die sind tendenziell vorsichtiger hinterher. Und die, die keins von beiden hatten. Naja, die sind eben so dazwischen. Und deshalb kriegen Sie, wenn Sie das vergleichen, immer das Verhalten damit reingespielt. Und das ist so ein Paradox, was wir ja zum Beispiel kennen, von denen Geimpften. Die mit Astrazeneca geimpft wurden. In der Studie, die wir aus Schweden besprochen haben. Da gab es ja sogar 19 Prozent Minus bei der Schutzwirkung. Und diese negative Schutzwirkung, beruht

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eben darauf, dass die Leute geimpft sind mit einem Impfstoff, der nach ein paar Monaten nicht mehr so gut wirksam ist. Die sich aber verhalten, als könnte ihnen nichts passieren. Und dadurch haben die mehr Infektionen. Das ist das Missing Link an der Stelle.

Tim Deisinger

Man kann also aus diesen Zahlen keine Rückschlüsse ziehen auf die Wirksamkeit der Impfstoffe?

Alexander Kekulé

Nein, man kann auf das ... Das sind ja immer Zahlen, die vergleichen die Häufigkeit von Krankenhausaufnahmen oder die Häufigkeiten von Infektionen und beziehen das quasi auf diese Subpopulationen geimpft oder nicht geimpft. Und diese absolute Häufigkeit. Die hat eben insbesondere zu tun damit, wie sich die Menschen verhalten. Also die Wirksamkeit so um Dreiecken können Sie sagen, also impfen und dann hinterher unvernünftig sein. Das ist schlimmer als Nicht-Impfen und aufpassen. Das könnte man daraus schließen tatsächlich. Womit wir wieder bei 3G wären. Aber da will ich natürlich nicht noch einmal das Fass aufmachen.

Tim Deisinger

Dann kommen wir zu den Hörerfragen. Mehrere Mails und Anrufe haben uns erreicht. Nachdem wir am Dienstag in Folge 241 dieses neue Pfizer-Medikament besprochen haben. Weil es mehrere Anfragen sind, lasse ich mal die ganzen Namen weg. Ist nicht das schon bekannte Ivermectin viel besser als das PfizerMedikament und letztlich auch billiger?

Alexander Kekulé

Also billiger stimmt auf jeden Fall. Ivermectin kostet sozusagen nix. Da ist das Patent ausgelaufen. Ja also, der Hintergrund ist folgender. Ivermectin ist extrem umstritten. Es ist eigentlich ein Mittel, was gegen Parasiten genommen wird, was Pferde als Wurmmittel kriegen und was in den USA im großen Stil in Apotheken verkauft wurde. Es kam dann zu massiven Vergiftungen. Die Leute waren deswegen im Krankenhaus. Das sind hauptsächlich, so sage ich

mal Trump-Anhänger, die das statt der Impfung nehmen. Und weil sich eben verbreitet hat, dass das angeblich gegen Covid wirkt. Da sind wir hier nicht so darauf eingegangen, weil dieser Ivermectin-Hype in Deutschland eigentlich nicht existiert. Aber in USA ist es ein Riesenthema, kein Witz. Sie müssen zum Teil einer Apotheke nachweisen, in den Südstaaten der USA, dass Sie ein Pferd haben, wenn sie Ivermectin kaufen wollen. Am besten mitbringen, weil die eben wissen, das Zeug wird anderweitig verwendet. Was ist der Hintergrund? Man weiß aus Laborexperimenten schon länger, dass Ivermectin ein Enzym hemmt, was in dem Virus drinnen ist, in dem Sars-CoV-2 Virus, das ist eben diese sogenannte 3CL Protease. Das ist dieses Enzym, was Proteine kleinschneiden kann. Man muss sich das so vorstellen. Proteine werden als ganz lange Vorläufer produziert, sozusagen wie eine ganz lange Wurst. Oder wenn das Virus was daraus bauen will wie ein langes Stück Holz oder so ein Baumstamm. Das müssen Sie kleinschneiden, damit Sie das als Baumaterial im weitesten Sinn verwenden können. Und um das kleinzuschneiden hat das Virus eben dieses Enzym, die 3CL Protease. Und diese Protease wird durch Ivermectin gehemmt. Das ist schon länger bekannt, und zwar ziemlich massiv und ziemlich gut. Und das ist auch das Ziel des neuen Pfizer-Medikament. Also der neue Wirkstoff vom Pfizer sieht molekular ganz anders aus, wird deshalb auch patentiert und schweineteuer werden. Es ist aber in der Lage, gezielt diese 3CL Protease zu hemmen. Das Virus, könnte man sagen. Na ja, die haben eigentlich nur die Wirkung des Ivermectin nachgebaut. Aber Ivermectin macht eben ganz viele andere Sachen auch noch. Das kann positiv und kann negativ sein. Ein positiver Effekt ist, sagen die Befürworter, diese Ivermectin-Therapie ist, das wissen wir zumindest aus Laborexperimenten. Das dockt sich irgendwie auch an dieses S-Protein von dem von dem Coronavirus oder hält das fest. Und jetzt sagen die Befürworter, ja im Moment, das ist ja doppelt wirksam. Das tut irgendetwas beim S-Protein und hemmt diese Protease. Das Pfizer-Medikament hemmt nur diese Protease.

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Lassen Sie uns doch gleich das billigere nehmen, was gleich mehrfach wirkt. Das ist aber meiner Ansicht nach falsch gedacht. Weil etwas, was so eine breite Wirkung hat, die man auch bisher ja nicht aus klinischen Studien nachweisen konnte, sondern nur in Laborexperimenten. Das hat eben auch Nebenwirkungen. Und das kennen wir ganz oft, dass wir quasi, wenn Sie so wollen, Ausgangssubstanzen haben, in der pharmazeutischen Forschung, die viele Wirkungen haben. Und die werden dann weiterentwickelt. So lange, bis man eine spezialisierte Wirkung rauskristallisiert hat. Velleicht kennen das einige. Früher hat man sehr viel Kortison verschrieben, um das Immunsystem unter Druck, unter Kontrolle zu halten. Es hat aber Nebenwirkungen. Darum gibt es inzwischen speziellere Medikamente, die selektiver nur den Teil des Immunsystems in Schach halten, den man bei bestimmten Erkrankungen kontrollieren will. Also weniger Nebenwirkungen, selektivere, spezifischere Wirkung. Und das ist so der Unterschied zwischen dem Ivermectin auf jeden Fall und dem neuen Medikament vom Pfizer. Was man natürlich schon fragen kann. Das eine ist sehr, sehr teuer. Das wird das sein. Und das andere ist quasi für ein paar Pfennige zu haben. Ob man nicht die klinischen Studien mit dem Ivermectin mal massiv vorantreibt und guckt, wie stark sind die Nebenwirkungen wirklich? Gibt es vielleicht einen Dosierungs-Bereich, wo man das sinnvoll einsetzen kann und wo das dann ein Medikament für diejenigen, die nicht so viel Geld in der Tasche haben, tatsächlich sein könnte? Also dieser Aufruf, der stimmt sicher. Aber ich würde niemandem empfehlen jetzt quasi, wenn ich es mal so sagen darf, das allgemein wirksame Zeug zu nehmen, wenn es was Spezifischeres gibt.

Tim Deisinger

So ein Pfennigbetrag für Ivermectin wird es ja auch nicht sein. Wenn ich mir da noch ein Pferd dazu kaufen muss, dann wird es ja auch teuer.

Alexander Kekulé

Und wenn es dann noch treten wird dieses Pferd.

Tim Deisinger

Fragen zu Impfstoffen. „Sehr geehrter Professor Kekulé, in den letzten Podcast Folgen haben Sie erwähnt, dass die Tuberkulose-Impfung das Immunsystem triggert. Mich würde nun interessieren, ob jene, die noch auf den Tot-Impfstoff warten, ihr Immunsystem vielleicht mit der Grippeschutzimpfung triggern können. Vielen Dank und so weiter. Matthias Schumacher aus Berlin.“

57:22

Alexander Kekulé

Nein, das wird nicht laufen. Also die Grippeschutzimpfung ist eine, wenn Sie so wollen, besonders milde Impfungen. Diesen allgemeinen Alarmzustand im Immunsystem ruft das kaum hervor. Das machen eigentlich dann Impfstoffe, wenn sie ein starkes Adjuvans haben, also einen starken Wirkverstärker dabeihaben. Oder wenn das, womit man impft, selber sehr stark das Immunsystem reizt. Dass ist eben bei den RNA-Impfstoffen offensichtlich diese RNA selbst, die vom Immunsystem eben für einen Virus gehalten wird. Weil diese merkwürdige freie RNA sieht eben für unser Immunsystem so ähnlich aus wie ein Virus. Drum schlägt es da massiv Alarm. Vielleicht auch mit den Nebenwirkungen. Und so etwas Ähnliches ist es bei dieser Tuberkulose-Impfung gewesen. Da ist es eben so, diese Hülle von den Tuberkeln von diesen Tuberkulose-Bazillen. Das sind ja keine Viren, sondern Bakterien. Diese Hülle. Die stimuliert das Immunsystem ganz massiv. Deshalb kann man das in diesem Fall beobachten. Aber das ist eher eine Ausnahme. Das gilt für die allermeisten Impfungen nicht.

Tim Deisinger

Und dann hat uns noch Hans D. geschrieben. „Mir stellt sich die Frage, warum wir uns bis heute mit einem Impfstoff impfen, der gegen die seinerzeitige Wuhan-Variante wirkt. Wenn es so einfach ist, die Sequenz des RNA Impf-

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stoffes an die aktuelle Delta Variante anzupassen. Warum wurde das bis heute nicht gemacht? Wird aus reinem Geschäftsinteresse die Urform des Impfstoffs vermarktet? In Klammern das Leben vieler Menschen aufs Spiel gesetzt, nur um danach, mit der neuen Delta Variante des Impfstoffs ein weiteres Mal ein großes Geschäft zu machen? Oder steckt noch was ganz Anderes dahinter? Über eine aussagekräftige Antwort würde ich mich und voraussichtlich viele andere freuen. Mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé

Man wäre blind, wenn man nicht den Pharmaunternehmen unterstellen würde, das sie auch wirtschaftliche Interessen verfolgen. Und was der Hörer da gesagt hat, ist völlig plausibel. Das wäre ja geradezu dumm, mit einem neuem Impfstofftypen rauszukommen, wenn man an dem alten noch richtig verdient. Und natürlich haben die Pharma-Firmen im Hintergrund ganz massiv gerührt, um die Booster-Impfung voranzubringen. Da gab es ja zwischen Pfizer und der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Da kam es jetzt zu einem offenen Streit vorübergehend, bezüglich der Booster-Impfungen. Und da ist nicht immer alles so im Grünen. Moderna, um nicht nur einen zu nennen, steht gerade in der Kritik. Aus verschiedenen Gründen. Einer ist, weil sie angekündigt haben, sie geben soundsoviel Dosen für die Dritte Welt raus, also für die weniger entwickelten Länder. Und das machen sie jetzt einfach nicht. Also die verkaufen munter an die reichen Staaten. Und die versprochenen Dosen für die armen Länder, die kommen nicht. Deshalb ist es so. Das ist eine Reibungsfläche das Ganze. Ja, Sie müssten jetzt halt richtig viel Geld in die Hand nehmen, um neue Zulassungen dann zu bekommen. So einfach ist es nicht. Wir haben ja hier jetzt bei einem Zulassungsverfahren das sogenannte Rolling Review. Das ist ein Teil der Notfallzulassung. Der klassische Teil der Notfallzulassung sowohl in Europa als auch in USA. Funktioniert so, dass, während das Ganze in der Pipeline ist und in der Testung. Da schaut die Zulassungsbehörde parallel schon mal in die Daten rein. Damit dann, wenn die Daten

vollständig sind, man sofort die Notfallzulassung geben kann.

Das, was man jetzt bräuchte, um das zu ändern, ist ein bisschen was Anderes. Das ist das sogenannte Mock-up Verfahren. Mock-up Zulassung. Also ein Mock-up ist quasi ein Prototyp von so einem Impfstoff, der als Prototyp genehmigt ist. Und man sagt, ihr dürft dann noch was verändern an der Formel mit bestimmten Vorgaben natürlich. Und es ist dann sofort automatisch zugelassen, obwohl da was verändert wurde. So etwas hat man bei Influenza zum Beispiel in der Schublade, falls die nächste Influenza Pandemie kommen sollte. Aber das hat man für dieses Covid bis jetzt nicht gemacht. Aus verschiedenen Gründen. Der Wichtigste ist, dass bei den RNA-Impfstoffen das eben nicht so selbstverständlich ist, dass man dem Hersteller sagen kann, okay, du änderst da ein bisschen was. Wird schon okay sein. Und das ist dann automatisch auch gleich zugelassen. Sondern da will man natürlich genauer reinschauen, weil das ganz neue Impfstoffe sind und man die Wirkprinzipien noch nicht so gut versteht. Deshalb werden die Hersteller da schon ziemlich viel Papier machen, müssen, auch Studien machen müssen. Wenn sie dann, die in der Tat sehr einfach bei den RNA-Impfstoffen zu generierenden neuen Impfstoffe haben oder Prototypen haben. Dann muss sich natürlich beweisen, ob die wirklich wieder dann so wirksam sind. Es kann auch sein, dass es ein bisschen Glückstreffer war, dass die da bei 95 Prozent mal lagen. Und da haben natürlich alle Angst davor. Jetzt kommen sie dann zum Beispiel mit dem DeltaImpfstoff. Und was machen Sie dann, wenn der nur in Anführungszeichen 60 Prozent auf Anhieb wirksam ist? Das könnte die ganze Marketingstrategie dieser Hersteller natürlich zerstören. Und deshalb setzen die lieber auf das Pferd, um noch einmal in dem Bereich des Tierreichs zu bleiben, von dem Sie einfach wissen, dass das läuft. Und dass bis jetzt sich damit auch ganz gut Taler verdienen lässt.

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Tim Deisinger

Und damit sind wir erst mal wieder durch. Das war es für heute. Samstag wieder eine Spezialausgabe nur mit Ihren Fragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. Bis zum Samstag dann.

Alexander Kekulé

Gerne. Bis dahin Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 09.11.2021 #241

Tim Deisinger, Redakteur und Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

Pfizer-Medikament: Pfizer’s Novel COVID-19 Oral Antiviral Treatment Candidate Reduced Risk of Hospitalization or Death by 89% in Interim Analysis of Phase 2/3 EPIC-HR Study | Pfizer

Weißwedelhirsche: Multiple spillovers and onward transmission of SARS-Cov-2 in free-living and captive White-tailed deer | bioRxiv

Dienstag, 09.11.2021

Der sächsische Ministerpräsident weist immer wieder auf den Ernst der Lage hin und betont immer wieder, dass man handeln müsse, wenn man keinen Lockdown haben will. Geht es aber wirklich noch ohne den?

Dann: Nach Merck hat auch Pfizer ein Medikament vorgestellt, das Krankenhausaufenthalte und Tod wegen Corona verhindern kann, angeblich zu 89 %. Auch das ein Game Changer?

Und: muss es uns beunruhigend, wenn der nordamerikanische Weißwedelhirsch Corona hat? Wenn er auch mit Sars-CoV-2 infiziert ist? Sterben jetzt auch großflächig Tiere an Corona?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rund um das Coronavirus einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Ich bin Tim Deisinger, Redakteur, Moderator bei MDR aktuell. Diese Woche wieder einmal in Vertretung für Camillo Schumann, der nicht etwa krank ist, sich aber natürlich auch mal erholen darf und den Kopf frei von Corona kriegen darf.

Einer darf es nicht. Nämlich derjenige, von dem wir Einschätzungen einholen: beim Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Erstmal zur allgemeinen Lage heute. Das RKI gibt die bundesweite Inzidenz mit 213,7 an. Das ist also der bundesweite Durchschnitt. Auf die Bundesländer runtergebrochen sieht das natürlich deutlich unterschiedlich aus. Ein Teich ist auch im Durchschnitt 1 Meter tief und trotzdem ist die Kuh ersoffen. Niedrigster Wert Schleswig-Holstein mit 77,0 danach kommt Bremen mit 87,8. Und am anderen Ende der Skala ist Sachsen mit einer Inzidenz von 483,7 gefolgt von Thüringen mit 439,3. Ja, und mit einigem Abstand dann Bayern mit 348. Mit welchem Wort mögen Sie denn diese Lage heute beschreiben?

Alexander Kekulé

Also es ist uns entgleist. Also man muss sagen die Kontrolle über die Infektionszahlen ist uns entglitten. Das wird jetzt weiter nach oben gehen, weil das einfach selbstverstärkende Prozesse sind. Das ist ganz klar. Wenn ganz viele Leute infiziert sind, gibt es viele, die sich anstecken. Und dann gibt es wieder viele Infizierte. Die Gesundheitsämter kommen nicht mehr nach. Ja, ich glaube, wir haben ... Die Politik, hat eigentlich schon vorher an verschiedenen Positionen den Kampf aufgegeben. Und das Virus freut sich, wenn ich das so sagen darf und vermehrt sich munter.

02:44

Tim Deisinger

Und wenn man an die Landkreise schaut. Da wird es ja noch deutlich schlimmer. Höchste Inzidenz hier im Landkreis Miesbach. Das ist ganz im Süden Bayerns, Tegernsee, wer sich da besser orientieren kann. 868,4 gibt hier das RKI als Inzidenz an. Nicht besser in Sachsen, im Landkreis Sächsische Schweiz / Osterzgebirge, 864,2, gefolgt vom Landkreis Sonneberg im Süden Thüringens. Hier werden 843,2 angegeben. Wenn es bundesweit schon so schlimm ist. Wie nennen Sie denn das, was in diesen Kreisen passiert?

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Alexander Kekulé

Man muss es ein bisschen entschärfen, weil natürlich das ja immer pro 100.000 Bevölkerung geht. Und wenn man dann einen relativ kleinen Landkreis hat, dann kann das schnell hohe Zahlen geben, wenn da sage ich mal viele Menschen infiziert sind. Trotzdem ist es mir auch ein bisschen so ein Rätsel. Es gibt da kein Ost-West-Gefälle, auch kein richtiges NordSüd-Gefälle, sondern einfach gewisse ländliche Regionen. Wahrscheinlich, da, wo man relativ stark heimatverbunden ist, glaubt man irgendwie, dieses Virus wäre nicht so schlimm. Also, ich weiß es nicht. Aber man hat schon so ein bisschen den Eindruck, dass das was mit Mentalität zu tun hat. Ich kann es mir anders nicht erklären, dass es das immer wieder in solchen Regionen... In Bayern hatten wir ja schon verschiedene Landkreise, die da aufgefallen sind, wo das Virus dann so hochpoppt.

Tim Deisinger

Sie haben „entschärfen“ gesagt. Wenn man bei Sachsen bleibt, Spitzenreiter unter den Bundesländern. Dort unterscheidet man ja auch immer noch zwischen einer Inzidenz unter Geimpften und Ungeimpften. Unter den Ungeimpften auf jeden Fall unter 100, unter den Ungeimpften deutlich über 1.000. Und das bei einer landesweiten Inzidenz von 483. Da kann man doch ausmalen, dass in den Kreisen die doppelt so hoch ist?

Alexander Kekulé

Ja, ja. Das stimmt. „Entschärfen“ meine ich nur insofern, als natürlich das. ... Wenn man nur den Landkreis anschaut, wird die Zahl dann manchmal überschätzt, je nachdem, wie viele Menschen da leben. Bei der Inzidenz bei den Ungeimpften muss man ein bisschen aufpassen. Es gibt natürlich in Deutschland deutlich weniger Ungeimpfte inzwischen als Geimpfte. Und wenn regional die Zahl der Ungeimpften gering ist, dann würde natürlich die Inzidenz dort sehr schnell hochgehen. Also wenn Sie sich vorstellen, Sie hätten nur 10.000 Ungeimpfte und hunderttausend Geimpfte in einer Region. Dann würden natürlich zehnmal so viele Fälle erst die gleiche Inzidenz bei den Geimpften machen. Also darum muss man ein bisschen aufpassen, wenn man so Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften vergleicht. Aber eins ist ganz klar, wir haben da v.a., was

die Krankenhauseinweisungen betrifft, wirklich eine Pandemie der Ungeimpften. Das ist ja schon oft gesagt worden. Und das ist tragisch, weil wir ja nicht völlig überraschend jetzt wieder Herbst haben.

Tim Deisinger

Sie sagten, die Sache ist uns entgleist. Was kann man noch tun? Also wenn was entgleist ist, dann kann man nur noch grob aufräumen. Und alles wieder probieren bis zum nächsten Mal.

Alexander Kekulé

Ja, also, ich ärgere mich natürlich schon ein bisschen, dass man so etwas, was hier passiert ist, von einer Dynamik hier ist . Man hat eben diese absehbare Initialzündung gehabt. Noch einmal zur Erinnerung, bei so einem Sprengstoff ist es so, die Haupt-Sprengladung wird durch eine kleine Sprengladung sozusagen zur Explosion gebracht, und die kleine Sprengladung ist eben, dass wir eine Welle völlig unkontrolliert haben laufen lassen. Zum einen bei Schülern. Da hat man ja in großen Teilen die Nachverfolgung völlig aufgegeben, zum Teil die Quarantäne aufgegeben, einfach quasi die Schüler wissentlich infiziert.

Zum zweiten hat man völlig die Augen verschlossen vor der Welle der Geimpften, die es ja auch gibt, dass ganz viele Menschen geimpft sind und trotzdem das Virus weitergeben können, obwohl sie nicht schwer krank sind. Und dadurch kriegen Sie einen starken Anstieg der Inzidenz, ohne dass man es zunächst mal merkt, Schüler oder Jugendliche, ja auch nicht so schwer krank werden. Und dass durch diesen hohen Infektionsdruck, der dann vorhanden ist, auch noch unsichtbar ist, weil auch weniger getestet wird. Die Tests wurden ja leider dann auch kostenpflichtig gemacht. Dann haben Sie plötzlich Infektionen, dann auch von denen, die also vulnerabel sind. Heißt also, die etwas Älteren, die dann ungeimpft sind und die landen im Krankenhaus. Ja, das ist das, was jetzt passiert ist. Das wieder einzufangen. Wenn Sie danach fragen. Ja, also letztlich ist es so, wenn ich jetzt was empfehlen sollte. Die Liste wird halt immer länger. Ja, erstens habe ich schon länger gesagt, wir müssen unbedingt boostern ab 60. Und zwar meines Erachtens im Abstand von vier Monate

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schon nach der zweiten Impfung. Da ist die Datenlage völlig eindeutig. Wir müssen, habe ich auch schon mal gesagt, meines Erachtens Pflegende, sowohl in den Altenals auch in Pflegeheimen und in Krankenhäusern, wenn sie mit Risikopatienten zu tun haben, tatsächlich impfen. Ich bin da ja für eine Impfpflicht inzwischen. Und noch verschiedene andere Maßnahmen. Vielleicht eine, die wir jetzt noch machen müssten, ist: Tatsächlich mal gucken, wie überhaupt unsere Intensivkapazitäten sind in Deutschland. Weil wir hatten ja vor einem Jahr mal ziemlich viele Kapazitäten, weil man sehr, sehr viel Angst eigentlich dann auch plötzlich vor dem Virus hatte. Ich habe so den Verdacht, dass diese Kapazitäten von anno dazumal gar nicht mehr zur Verfügung stehen, weil die Krankenhäuser die extra für Corona-Patienten vorbereiteten Stationen wieder zurückgebaut haben. Weil auch der Personalnotstand noch schlimmer ist als damals. Und deshalb, glaube ich, wäre es an der Zeit, mal wirklich genau zu gucken, ob man in allen Landkreisen in allen Bereichen ausreichend Intensivkapazitäten hat für das, was uns jetzt bevorsteht.

Tim Deisinger

Aber mehr Betten hinzustellen, bringt ja nicht viel, wenn man das Personal nicht hat. Das hat man nicht verkündet, dass da viele Leute gegangen sind, aus welchen Gründen auch immer.

08:31

Alexander Kekulé

Ja, das ist genau das Problem. Da sind Leute gegangen. Aber natürlich können die Krankenhäuser strukturell da schon einiges machen. Es ist halt dann letztlich so wie am Anfang der Pandemie. Da hat man dann Operationen verschoben, die also nicht unbedingt sofort sein mussten. Hat in den Krankenhäusern die Strukturen so geändert, dass man einfach mehr Personal auf den Intensivstationen und auf den Covid-Stationen hatte. Sozusagen die Schotten dicht gemacht für den herannahenden Sturm. Und ja, leider sind wir jetzt genau wieder in der gleichen Situation. Nur habe ich so den Eindruck, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber ich habe schon den Eindruck, dass man es weniger ernst nimmt. Die Situation sieht eigentlich identisch aus. Selbst mit den Impfungen,

die wir jetzt haben, mit der ganz guten Impfquote. Wir müssen damit rechnen, dass wir zumindest lokal dann überlaufen Intensivstationen haben und dass wir dann Patienten wieder verlegen müssen. Und das Schlimmste, was uns passieren könnte, dass wir dann ... Selbst, wenn es nur in bestimmten Regionen oder in einzelnen Krankenhäusern wäre, dass wir in Deutschland dann Triage machen müssten. Das heißt also nicht mehr alle Schwerstkranken richtig behandeln könnten. Und dem muss man jetzt vorbeugen, indem man eben die Kapazitäten aufbaut für das, was uns da jetzt im Herbst wahrscheinlich bevorsteht.

Tim Deisinger

Nun haben wir darüber geredet, wie es dazu gekommen ist. Sie haben ein paar Punkte aufgezählt, was man tun könnte. Aber in Anbetracht der Lage muss man doch erwarten, dass beispielsweise Politik auch handelt. Und da denken sich sicher viele, Deutschland ist wieder ziemlich spät ran, wenn nicht gar zu spät. Aber es scheint ja auch nicht schneller zu werden.

10:10

Alexander Kekulé

Ja, das ist tatsächlich so. Also nicht nur nicht schneller. Das ist einfach jetzt wohl auch der Situation geschuldet, dass wir keine richtige Bundesregierung haben. Die eine ist noch geschäftsführend, die andere ist noch nicht im Amt. Der mögliche neue Bundeskanzler hat sich noch gar nicht zu dem Thema geäußert, wenn ich das richtig verstanden habe. Und dadurch ist so ein bisschen ein Handlungs-Vakuum entstanden. Krisen sind, das ist einfach so, ja bekanntlich die Stunde der Exekutive. Da müsste man jetzt eigentlich einen ganz schnellen Plan für den Herbst haben. Man hätte ihn schon längst haben müssen. Aber es hat ja keinen Sinn, über die Vergangenheit zu jammern. Da ist die Politik zu langsam. Und ich kann nur nochmal sagen, was ich glaube ich, vor eineinhalb Jahren zum ersten Mal irgendwo vorgerechnet habe. Wir haben es halt mit Exponentialfunktionen zu tun. Und bei so Exponentialfunktionen, wo sie so selbstverstärkende Effekte haben. Da ist es so, dass jede Zeitverzögerung wirklich im Menschenleben kostet. Und deshalb kann man da nicht lange rumdiskutie-

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ren, sondern, man muss jetzt halt ein paar Sachen machen. Und zudem, was ich genannt habe dazu, meines Erachtens dringend diese sogenannten 2-G-Regel noch einmal überdenken und auch in den Schulen dafür sorgen, dass dort diese Ausbrüche eben nicht weiter unkontrolliert laufen.

11:26

Tim Deisinger

Den Ernst der Lage erkannt, hat möglicherweise auch der sächsische Ministerpräsident. [Michael Kretschmer]. Wenn man dem so zuhört. Wir können mal ganz kurz rein hören, was er gestern Abend in den Tagesthemen gesagt hat.

„Bei Corona ist es so, wenn man zu spät handelt, bleibt nur ein knallharter Lockdown. Und das wollen wir gerade verhindern. Da brauchen wir aber wirklich jetzt das gemeinsame Agieren von Allen.“

Ja, es ist ja hier nicht nur schlicht die Feststellung dieser dramatischen Lage. Man trägt sowas auch in die Köpfe, Dinge in die Köpfe. Zumal Herr Kretschmer das quasi derzeit bei jedem Interview sagt. Die Leute sind sich nur nicht sicher, so nehme ich das zumindest wahr: Ist das jetzt ein Appell von Herrn Kretschmer an alle? Oder bereitet man schon verbal das Feld für etwas vor, von dem man längst weiß, dass es kommt, sprich Lockdown. Wie sehen Sie das?

Alexander Kekulé

Das weiß ich natürlich nicht wirklich. Ich bin immer ganz gut darin gewesen, Viren vorherzusagen und relativ schwer fällt es mir aber, Politiker-Gehirne sozusagen zu extrapolieren. Also meine Vermutung wäre, das kann ich als Virologe sozusagen nicht sagen, sondern nur als zeitungslesender Normalbürger. Meine Vermutung wäre tatsächlich, dass man so etwas macht wie eine Lockdown durch die Hintertür. Man wird es nicht Lockdown nennen, weil das einfach politisch inzwischen tabu ist. Die Bevölkerung möchte das nicht. Es ist ja auch schon erklärt worden von vielen möglicherweise künftigen Ministern. Es wird keine Lockdowns mehr geben. Aber wenn Sie natürlich beispielsweise in den baden-württembergischen Corona-Plan reinschauen. Dann ist es ja so,

dass ab einer bestimmten Belastung der Krankenhäuser dann wieder Kontaktbeschränkungen auch im privaten Bereich gelten. Ich habe nicht mehr genau vor Augen, was dort steht. Aber es gibt eine bestimmte Anzahl pro Haushalt, die sich dann wieder treffen darf usw. Plus natürlich Lockdown für Nichtgeimpfte. Das heißt also, die die strenge 2G-Regel plus Schulschließungen, ganz wichtig. Da wird man meines Erachtens überhaupt nicht drumherum kommen. Weil wenn Sie einen massiven Ausbruch in der Schule haben, können Sie die Eltern nicht nötigen, ihre Kinder, v.a. wenn Sie ungeimpft sind, dann in die Schule zu schicken. Selbst Geimpfte kann man nicht zwingen, in die Schule zu gehen. Und da es ja eine Schulpflicht gibt, ist dann keine Alternative mehr, als die Schule zu schließen. Ich glaube, davor habe ich oft gewarnt, dass das auf uns zukommen könnte. Sodass Sie quasi die einzelnen Ingredienzien des Lockdowns haben, aber das nicht mehr Lockdown nennen. Und genauso ist es, wenn Sie die ... Es soll ja die pandemische Lage sozusagen nicht weiter verlängert werden. Jetzt im November. Da ist dann auch die Frage, ist es wirklich besser, wenn die einzelnen Bundesländer dann sozusagen kraft eigener Wassersuppe jeweils Maßnahmen entscheiden können, die doch ganz massiv in die Grundrechte eingreifen. Oder wäre es nicht besser, wenn man das bundesweit sozusagen dann auch mit unmittelbarer Übersicht des Bundesverfassungsgerichts dann hat. Und eine große, breite demokratische Debatte, was notwendig ist und was nicht? Also deshalb weiß ich nicht, ob es besser wird. Jetzt wird wahrscheinlich so ein Lockdown durch die Hintertür. So würde ich das nennen.

14:34

Tim Deisinger

Vielen Leuten würde es wahrscheinlich nicht gefallen, wenn es mal hier ein bisschen ist und da ein bisschen. Sondern wenn wirklich mal was passiert, ob man mit den Maßnahmen und einverstanden ist oder nicht. In Österreich z.B., da hat es ja zumindest den Anschein, dass man auch mit Maßnahmen z.B. die Zahl der Geimpften nochmal ein bisschen puschen kann. Indem man dort flächendeckend 2G einführt. Ist das jetzt auch nur Pseudopolitik, nur Anschein? Oder hilft das tatsächlich?

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Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt, die Berichterstattung über 2G in Österreich, die jetzt ja seit dieser Woche gilt, ist ein bisschen tendenziös, würde ich fast sagen. Das hat dieser sogenannte Schnitzel-Lockdown nennen die das in Österreich gerade gerne. Weil wenn man sein Schnitzel essen will, kann man sich nicht mehr testen lassen, sondern muss geimpft sein, zumindest wenn man es im Restaurant essen will. Und die haben jetzt quasi 2G flächendeckend für das öffentliche Leben eingeführt. Und da sind sie jetzt ganz stolz drauf. Und das ist das, was man bei uns auch in Deutschland in den Medien hört. Natürlich hauptsächlich von denen, die auch für 2G bei uns werben. Die sagen, ja, es hat an dem ersten Wochenende in Österreich 17.000 Erst-Impfungen gegeben. Also 10.000 am Samstag 7.000 am Sonntag. Großer Erfolg. Jetzt muss man aber dazu sagen, wenn man es genauer anschaut. Eine gewisse Steigerung der Impfungen insgesamt hat es in Österreich schon seit drei Wochen gegeben, was hauptsächlich davon getragen wird, dass sich Leute zur Booster-Impfung melden. Das ist relativ stark, also 50 % der Geimpften in Österreich sind Booster-geimpft in den letzten Wochen gewesen. Und die kamen dann so alle zusammen auf etwa 25.000 Impfungen pro Woche. Das war so die letzten drei Wochen in Österreich der Status. Ja, das wird dann so ein bisschen erhöht. Ich sag mal so sehr optimistisch, vielleicht dann um 10.000 oder so geht es dann vielleicht hoch. Ja, das kann schon sein. Ich glaube, das ist ein kurzzeitiger Effekt. Ganz viele haben sich die zweite Impfung geben lassen, weil sie gesagt haben, ab Montag gilt es, meine zweite Impfung fehlt noch. Dann haben sie sich die noch schnell geholt. Und es gab natürlich auch einige Erst-Impfungen. Das wird nicht viel anders sein als diese berühmte Impfwoche, die wir hier in Deutschland hatten. Die ist ja mit großem Tamtam angekündigt worden.

Tim Deisinger

Aber keiner hat es mitgekriegt.

Alexander Kekulé

Die Hörer des Mitteldeutschen Rundfunks haben es auch mitgekriegt, weil es da auch immer wieder gesagt wurde. Aber es ist so letztlich, wenn man das analysiert hinterher. Da hat

man so einen Mitnahmeeffekt. Dann gibt es ein paar mehr Impfungen. Aber ich würde für Österreich vorhersagen, dass das nicht auf diesem Niveau bleibt. Und man muss mal sagen, die haben in Österreich, in der Gruppe der, die geeimpft werden können, also mal die Kinder abgezogen, da haben die noch 2,1 Mio. Ungeimpfte bei einer Bevölkerung von knapp 9 Mio. Und wenn Sie die 2,1 Mio. ... Warten Sie mal. 10.000 pro Tag, die da extra geimpft werden. Dann sind Sie bei 210 Tagen. Wenn ich mich nicht verrechnet habe. Bis sie die ... Selbst wenn alle sich impfen würden. Bis Sie die durchgeimpft hätten. Das käme also dann gerade rechtzeitig für den nächsten Herbst. Also, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wird aber so verkauft natürlich, dass die Leute sagen, ja, schaut mal her, 2G ist ganz toll, man muss die Leute nur ein bisschen drangsalieren und ihnen das Schnitzel wegnehmen, dann lassen sie sich schon impfen. Die zweite Frage, die man stellen muss, ist, Sie wissen natürlich, ich bin gegen die 2G Regelung. Drum sage ich das ja auch so kritisch. Die zweite Frage, die man sich stellen muss, ist, wer geht denn da zum Impfen? Weil für uns ist das Wichtigste tatsächlich, dass die Risikogruppen sich impfen lassen. Das heißt v.a. die Menschen über 60, 60 plus. Und ich weiß nicht, ob jetzt die gerade, die da in den bayerischen und sächsischen Dörfern irgendwo auf dem Land sitzen. Die älteren Herrschaften, die sagen: „Nee, ich lasse mich nicht impfen.“ Oder: „Ich warte bis nächstes Jahr, bis andere Impfstoffe kommen.“ Ob die da jetzt gerade in der Schlange gestanden haben, das bezweifle ich.

Tim Deisinger

Wissen Sie, was mich so aufregt? Ich kann das ja mal so sagen, weil ich bin ja nur derjenige, der hier ein paar Fragen stellt. Der Experte kann mich dann wieder einfangen, wenn der mag. Also ich kann es nur vom Gefühl her sagen, da ich ja kein Experte bin. Aber dass sich die Ständige Impfkommission hier in Deutschland so viel Zeit lässt mit ihren Empfehlungen. Ich will nicht sagen, dass die STIKO daran schuld ist, dass es so langsam vorwärtsgeht. Aber schneller macht sie das garantiert auch nicht.

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18:51

Alexander Kekulé

Ja, ich nehme die STIKO eigentlich immer in Schutz. Wir haben halt in Deutschland, und das ist schon richtig, eine Kommission, die ist eine wissenschaftliche Kommission. Die hat einen bestimmten Auftrag. Und der Auftrag heißt ganz klar, du musst nachgucken, wo ist die wissenschaftliche Evidenz, also der Beweis dafür, dass es was bringt. Jeder, der Empfehlungen abgeben will, so aus der Hüfte kann es ja machen. Aber die STIKO kann das eben gerade nicht, sondern die guckt. Und das ist ja auch die Stärke dieser Empfehlungen. Die guckt wirklich, haben wir die Daten dafür. Und sie erklärt auch, aufgrund welcher Daten sie was empfiehlt. Ich finde, dass die das im Prinzip immer richtiggemacht hat bis jetzt in der CoronaPandemie. Übrigens vorher, auch die letzten Jahrzehnte habe ich das natürlich auch beobachtet. Ich habe tatsächlich an einer Stelle jetzt ein bisschen Magenschmerzen. Und zwar dass die STIKO die Booster-Impfung nur ab 70 empfiehlt und natürlich sich viele Menschen daranhalten, obwohl wahrscheinlich einem 50Jährigen der Hausarzt auch nicht die Impfung verweigern würde. Aber ist die ...? Da muss man wirklich sagen, die knallharten wissenschaftlichen Daten reichen völlig aus, um die Impfung auf jeden Fall ab 60 zu empfehlen. Die Booster-Impfung. Die Daten liegen schon seit vielen Wochen wenn nicht Monaten klar auf dem Tisch. Wir haben die Daten aus Israel. Da haben wir Auswertungen aus Großbritannien, wo es sehr, sehr eindeutig ist. Da frage ich mich, warum sie das nicht empfehlen. Die STIKO hat ja gesagt, wir prüfen jetzt, ob wir die Boosterung ab 18 schon empfehlen. Und das machen wir dann in den nächsten Wochen so nach und nach. Ja, die Boosterung ab 18 ist natürlich noch mal ... Dafür sozusagen eine Evidenz zu finden, dass das unbedingt sein muss oder dringend empfohlen werden soll, das ist viel schwieriger, weil da gibt es viele Fragezeichen bei den Jüngeren. Aber ab 60 ist es so eindeutig. Dass man das vielleicht als eine Art Vorspeise mal servieren könnte. Dann wäre die STIKO auch aus dem Druck raus, jetzt sofort was sagen zu müssen. Man hätte das, was ich für dringend notwendig halte: die Risikogruppen wirklich gezielt im Visier. Das müssen wir jetzt im Winter machen. Und da gehört für

mich diese Empfehlung, ab 60 impfen und zwar sofort, ganz klar dazu. Also, da stimme ich Ihnen zu, dass die da so ein bisschen langsam sind an der einen Stelle.

Tim Deisinger

Aber Booster ab 18. Da kommt dann Israel und sagt, hier Leute, wir haben die Erfahrungen. Und die STIKO ist offenbar so langsam, dass sie sich halt auch mittlerweile eine heftige Kritik aus Israel eingefangen hat vom dortigen Corona-Papst. Ist ja auch nicht so gewöhnlich, dass der das macht.

Alexander Kekulé

Also Israel ist ja sehr ... Die haben ja nur BioNTech, und die sind sehr pro BioNTech-Impfung. Das ist ja so fast das Privatlabor vom Pfizer/BioNTech. Und der Ronni Gamzu, auf den Sie ansprechen, das ist da so der Impfpapst, könnte man fast sagen, der Lauterbach in Israel. Also jedenfalls jemand, der sich auch oft öffentlich meldet aus Tel Aviv. Ein sehr eloquenter Typ. Und der schimpft halt jetzt auf Deutschland, dass die so langsam sind. Wiederum umgekehrt: Die Israeli boostern ja ab 18 und in USA ist es ja auch die Diskussion. Aber dort ... Interessanterweise will das auch die Politik. Joe Biden, der US-Präsident hat die Impfung ab 18 angekündigt, und die Behörden sind sich noch nicht so einig. Warum ist das mit der Impfung ab 18 viel schwieriger ist als ab 60 zu sagen? Ab 60 geht es um den Eigenschutz. Da geht es wirklich darum, jemand, der entweder, weil er Non-Responder war, bei der Impfung also nicht richtig reagiert hat, oder seit der Impfung die Antikörper so ein bisschen verloren hat, die Immunität ein bisschen verloren hat. Was auch bei Älteren typischerweise dann der Fall ist. So jemand profitiert einfach bezüglich der Gefahr, ins Krankenhaus zu kommen oder zu sterben von der Impfung. von der Booster-Impfung. Punkt.

Bei der Impfung ab 18. Es ist ein anderer Grund oder anderer Hintergrund. Und zwar geht es da um die Frage: Können wir durch eine Impfung so etwas wie „Herdenimmunität“ erzeugen? Und da wissen die Hörer dieses Podcasts wirklich, dass Herdenimmunität eine Utopie war von Anfang an. Es gibt doch inzwischen kaum noch jemanden, der das wagt, das so offen in den Mund zu nehmen. Und deshalb ist es völlig aussichtslos, jetzt durch Booster-

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Impfung von 25-Jährigen, um mal so einen Alter zu nennen, oder 30-Jährigen, irgendwie in Deutschland eine Herdenimmunität zu erzeugen. Aus mehreren Gründen. Einer ist, dass das Virus sich ständig verändert. Der zweite ist, dass die Impfung selber immer unvollständig wirkt. Weil die Impfstoffe eben nicht gegen Delta sind, sondern gegen die Wuhan-Variante. Und es gibt aber noch einen dritten Grund, und die Daten aus Israel haben damit zu tun. Es ist so, dass die Impfung ja sehr stark reaktogen ist. Also diese Reizung, die man quasi macht. Diese Stimulation des Immunsystems, die den Zweck, hat, dass das ganz generell mal anspringt. Dieser Mechanismus gehört zur sogenannten angeborenen Immunantwort, hat erstmal nichts mit Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen usw. zu tun. Und diese angeborene Immunantwort ist aber ein Kurzzeiteffekt. Das kennen wir auch von Impfungen in Afrika. Wenn Sie da Tuberkulose impfen, haben Sie fast ein Jahr lang noch den Effekt, dass die gegen Tuberkulose geimpften Kinder auch keine anderen oder weniger andere Infektionskrankheiten kriegen, weil das Immunsystem quasi im Alarmzustand ist. Und diesen Effekt macht ganz stark dieser RNA-Impfstoff eben auch oder die RNA-Impfstoffe auch. Das ist wahrscheinlich das, was wir sehen. Wenn wir jetzt 30-Jährige oder 40-Jährige boostern, haben Sie eben nur so eine allgemein einschaltende Alarmanlage. Das hält ein paar Monate und dann ist wieder gut. Bei den 60-Jährigen wäre selbst dieser Minimal-Effekt wichtig, auch wenn man sagen kann, man hat keine Langzeitwirkung. Das ist trotzdem wichtig, weil jetzt ist ja der Winter. Jetzt ist die Gefahr vor der Tür. Und wenn man dann dadurch das Immunsystem so ein bisschen kitzeln kann, ist das für jemanden, der daran sterben könnte, natürlich relevant. Aber wenn Sie auf die „Herdenimmunität“ schauen, hat es eben keine Bedeutung. Und drum tut sich meines Erachtens die STIKO auch schwer damit, die Boosterung ab 18 zu empfehlen.

24:54

Tim Deisinger

Ich bin da auch im Zweifel – sorry, wenn ich jetzt noch ein bisschen bei den Bedenken bleibe – ob man mit dem aktuellen Impfsystem, also mit der Struktur, das Tempo erreichen kann, was man da braucht. Ich kann es ja

mal erzählen. Ich habe mich vorige Woche boostern lassen. Ich bin mit meiner Mutter zum Hausarzt gegangen. Ich hab mir gesagt, ja, mein Gott, die STIKO, und jetzt mit Verlaub, auch die anderen Virologen, die können mir alle mal den Buckel runterrutschen. Ich mache das jetzt so, wie ich das für mich für richtig halte. Und ich habe die 60 noch nicht erreicht. Wollen Sie jetzt noch mal schimpfen mit mir?

Alexander Kekulé

Nein, jetzt müsste ich Sie natürlich fragen, wie alt Sie sind, was ich nie öffentlich wagen würde.

Tim Deisinger

Dann antworte ich auch nicht. Aber ich wollte eigentlich das wegen der Impfstruktur sagen. Ich war wie gesagt, beim Hausarzt. Ellenlange Schlange. Er impft einmal in der Woche zwischen 11 und 15 Uhr. Da kann man eigentlich froh sein, dass er überhaupt impft. Weil viele tun es ja nicht. Und dann habe ich mir mal angeschaut, wie das in einem festen Impf-Punkt in Leipzig aussieht. Das ist dann ein mobiles Impfteam in einem Einkaufszentrum. Jeden Tag wird dort geimpft, auch dort eine ellenlange Schlange. Das ist doch nicht zu schaffen. Erst-Impfung Zweit-Impfung. Dritt-Impfung und alles gleichzeitig.

Alexander Kekulé

Ja, also das da haben Sie völlig Recht ist. Was Sie da im Einzelfall beobachten, ist ja ein bundesweiter Trend. Das Problem ist einfach, dass durch die Ansage, dass allein schon die Boosterung bei den über 70-Jährigen empfohlen wird und de facto auch von vielen Ärzten oder von vielen Privatpersonen dann schon ab 60 gemacht wird, und möglicherweise bei manchen Moderatoren des Mitteldeutschen Rundfunks schon jünger. Dann ist es einfach so ... Sie haben einfach jetzt eine Nachfrage. Das ist so wie in Österreich auch, wo die Hälfte der Impfungen Booster-Leute sind. Das hilft uns nicht viel in der Pandemie war. Wir bräuchten ja gerade die, die sich noch gar nicht impfen lassen. Die, die sowieso willig sind, dass die jetzt noch mal kommen. Das ist schön, aber sozusagen epidemiologisch nicht so relevant.

Ja, und wir haben natürlich die Impfzentren zugemacht. Es gab die Forderungen, die wieder aufzumachen und, glaube ich, auch die Ankündigung, die wieder aufzumachen, wenn ich

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mich nicht irre. Das Problem ist nur, die Impfzentren, die ich kenne, haben alle so funktioniert, dass irgendeine Mehrzweckhalle, Turnhalle oder sonstwas verwendet wurde, die sowieso schon mal einen anderen Zweck hätte. Aber wegen Corona-Lockdown im weitesten Sinne halt nicht gebraucht wurde. Und wenn Sie jetzt an das Flugfeld in Tempelhof in Berlin denken, da ist ja längst wieder Party angesagt. Da können Sie kein Impfzentrum mehr aufmachen. Und die geschlossenen Schulen gibt es auch nicht mehr. Und irgendwelche Messehallen, die man verwendet hat. Da ist jetzt halt wieder Vorbereitungen für die nächste Messe drin, weil man die Wirtschaft wieder hochfährt. Das Gleiche gilt für das Personal. Das waren ja oft Leute, die abgestellt waren aus irgendwelchen Berufen, die sie gerade nicht ausüben konnten. Die haben sich dann eine Mark im Impfzentrum dazu verdient, weil sie Corona-bedingt nicht arbeiten konnten. Aber dass jetzt wieder sozusagen zu reaktivieren wird gar nicht so leicht sein. Und klar, die Hausärzte. Wenn Sie da einmal die Woche so einen Impftermin haben, dann brauchen Sie zwei Leute am Telefon, die den koordinieren. Das ist echt mühsam.

28:00

Tim Deisinger

Da passt vielleicht eine Mail rein, die wir bekommen haben, von Frau R., selbst Ärztin, wenn ich das recht weiß. Sie schreibt:

„Sehr geehrtes Team Corona Kompass Kekulé, dank der mitgegebenen schwedischen Studie zur nachlassenden Wirksamkeit der Impfstoffe [...]“

Darüber ist hier im Podcast ja gesprochen worden. „[...] hat meine 80-jährige Mutter es heute tatsächlich geschafft, die unwillige Impfärztin zu überzeugen, sie doch fünfeinhalb Monate nach zweimal AstraZeneca zu boostern. Hat also schon geklappt. Ist für mich nur haarsträubend, dass Impfärzte sich dabei noch unwillig zeigen.“

Ist das für Sie nachvollziehbar?

Alexander Kekulé

Solche Mitteilungen höre ich öfters. Da ist leider auch inzwischen in Deutschland unter den Ärzten... Ich muss natürlich da aufs Robert-

Koch-Institut dann zeigen. Zwischen den Ärzten ist da einfach ein bisschen Chaos ausgebrochen oder zumindest Informationsnotstand. Leider auch, weil eben die Empfehlung, die klare Empfehlung der STIKO, hier fehlte. Bis jetzt heißt es ja, es soll nach sechs Monaten erst geboostert werden. Aber nur, um das nochmal zu sagen. Es ist so, dass ein Teil der Menschen eben direkt nach der Impfung schon nicht richtig reagiert, nicht optimal reagiert. Die nennen wir Non-Responder. Gemeines Wort. Aber die reagieren sozusagen nicht ausreichend auf die Impfung. Und das könnte man theoretisch gleich drei Wochen später durch einen Antikörpertest nachweisen. Weil wir aber wissen, dass das meistens ältere Menschen sind, also insbesondere über 70 ist es sehr häufig. Da kann man so grundsätzlich sagen, jemand ab 70 profitiert generell von der Booster-Impfung. In der Regel profitieren die davon. Da ist es so, jeder Monat, den Sie länger warten, bewirkt, dass die einen Monat ungeschützt sind. Und das ist jetzt, wo die Fallzahlen so hoch gehen kann das tödlich sein. Umgekehrt ist es leider so, wenn man sehr kurz nach der zweiten Impfung schon die dritte gibt, dann wirkt sie weniger gut. Also je länger man wartet, desto besser der Effekt der Boosterung. Je schneller man's macht, desto besser jetzt für den Herbst, der gerade beginnt, und die hohe Inzidenz. Deshalb habe ich gesagt aus meiner Sicht ist es vernünftig, als Mittelwert vier Monate zu nehmen und zu sagen vier Monate nach der zweiten Impfung alle, die 60 Jahre und älter sind, boostern und Punkt. Das ist das natürlich pragmatisch über den Daumen gepeilt. Ganz klar. Aber das wäre wesentlich großzügiger als das, was bisher empfohlen wird. Und das würde dann auch hier von dieser Hörerin z.B. dann die Ärztin entlasten. Und da wüsste die dann auch, sie macht das alles nach den Regeln der Kunst.

Tim Deisinger

Aber ich habe recht verstanden. Also man muss sich ja nicht unbedingt an die Empfehlungen der STIKO halten, weil man kann sich doch schon mal vorzeitig boostern lassen, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das sehen einzelne Ärzte eben unterschiedlich. Jeder Arzt ist natürlich anders, wie jeder Mensch immer anders ist. Einige haben viel

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Angst davor, dass irgendwann der Staatsanwalt kommt und ihnen Ärger machen könnte. Grundsätzlich ist es so, wenn Sie was machen außerhalb der Zulassung, dann wäre das quasi Off Label Use, außerhalb des Beipackzettels sozusagen. Da müssen Sie dann relativ genau begründen, dass das wissenschaftlich korrekt ist. Das würde z.B. gelten, wenn Sie jemanden impfen, der zu jung ist. Wenn Sie da ein zehnjähriges Kind impfen, dann ist es im Moment außerhalb des Beipackzettels usw. Und dann bräuchten Sie schon irgendwo ein Zettel in Ihren Unterlagen, wo Sie sich aufgeschrieben haben, warum das jetzt dringend notwendig war aus wissenschaftlichen Gründen, falls der Staatsanwalt hinterherkommt, damit Ihre Versicherung bezahlt. Etwas anders ist es, wenn Sie einen zugelassenen Impfstoff im zugelassenen Alter geben. Da ist es grundsätzlich mal einfacher, weil Sie sagen können, für das Alter ist der Impfstoff zugelassen. Ich habe ja nur eine Dosis mehr gegeben. Da würde ich jetzt mal sagen, ich kann mir kaum vorstellen, dass da ein Richter sagen würde: Ja, aber diese eine Extradosis, dafür gab es jetzt keine besondere Zulassung. Jetzt kriegst du hier ein Problem von mir. Ich glaube, die Ärzte werden höchstwahrscheinlich geschützt. Wenn Sie bei Erwachsenen boostern, mal so grundsätzlich. Da kann natürlich jeder Arzt selber entscheiden. Er kann sagen, nein, das ist mir zu wenig, was da irgendwo ein Virologe glaubt. Mein Versicherungsvertreter hat gesagt, tu es lieber nicht, sonst zahlt deine Versicherung nicht. Und dann machen die das deshalb nicht. Das ist ja auch verständlich.

32:22

Tim Deisinger

Also generell gleich die angeschlossene ganz konkrete Frage, nämlich, wie es um die Booster-Möglichkeiten für diejenigen steht, die sich vorzeitig Boostern lassen möchten. Da ist als Beispiel angeführt, 59 Jahre alt und Autoimmunerkrankung. Also man kann das offenbar nicht generell sagen, sondern man muss wahrscheinlich einen Arzt finden, der es macht.

Alexander Kekulé

Man muss einen Arzt finden, der es macht. Aber es ist hier eben die, wie gesagt, die Schwelle viel kleiner, als wenn Sie außerhalb

der zugelassenen Altersgruppe impfen würden. Drum versteh ich ehrlich gesagt Hausärzte nicht, die dann sagen: Nö, mache ich nicht. Klar es gibt natürlich Leute, die haben möglicherweise Impfunverträglichkeiten. Also wenn Sie jetzt schon bei den letzten drei Impfungen anderer Art jeweils dann irgendwie mit einem Sanka [Rettungswagen, Anm.d.Red.] ins Krankenhaus gefahren wurden hinterher, weil sie irgendwie kollabiert sind oder einen anaphylaktischen Schock oder sonst was gekriegt haben. Dann hätte ich wahrscheinlich auch Schwitzehändchen, wenn ich als Arzt so jemandem impfen muss. Aber wenn das jemand ist, wo ich nicht besonders mit Komplikationen rechnen muss, und das sind ja absolute Ausnahmen, wo sowas passiert, dann würde ich sagen, gibt es keinen Grund, jetzt jemanden, der über 50 ist, nichts zu boostern. Aber von der Indikation nochmal, also von der medizinischen Notwendigkeit sind die Daten, so wie ich sie sehe, ganz klar sind vorhanden, dass wir ab 60 boostern. Alles, was da drunter ist, ist halt so ein bisschen aus der Hüfte geschossen.

33:45

Tim Deisinger

Zwischendurch zum Wort Sanka, das versteht man vielleicht nicht? Haben Sie gedient?

Alexander Kekulé

Nein, ich habe nicht gedient. Ich war „ZuvielDienst-Leistender“ (lacht) Zivildienstleistender. Ich war Sanka-Fahrer auf einem Rettungswagen, früher Sanka genannt, tatsächlich. Da bin ich mit Blaulicht durch München geflitzt. Das war so mein erster Kontakt mit der Notfallmedizin. Später habe ich dann auch die Ausbildung zum Notarzt gemacht. Darum ist es mir das so rausgerutscht.

Tim Deisinger

Ich habe da noch eine Frage zum Impfen, bevor wir auf andere Themen kommen. Viele wollen ja, dass diese Impfquoten weiter nach oben gehen. Anderen ist das herzlich egal. Können Sie vielleicht noch mal plastisch machen, welchen Unterschied es macht – also epidemiologisch – ob nun beispielsweise 65 % der Leute geimpft sind oder 85?

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34:34

Alexander Kekulé

Ja, die 20 % Unterschied ist natürlich erheblich, weil Sie dann schon ... Es gibt keine Herdenimmunität in dem Sinn, dass man plötzlich das Virus damit wegimpfen könnte, wie ein prominenter Virologe behauptet hat. Sondern es ist so, dass man natürlich einen verbesserten Herdenschutz hat. Dadurch, dass viele Menschen das Virus dann schon mal hatten oder geimpft wurden, verlaufen die Krankheiten grundsätzlich leichter, wenn es überhaupt zur Krankheit kommt. Es gibt natürlich ganz viele Infektionen, die nicht stattfinden. Man muss sich einfach vorstellen, wenn Sie jemanden treffen, der nicht geimpft ist, im Vergleich zu jemandem, der geimpft ist. Und Sie unterhalten sich mit dem eine halbe Stunde lang relativ nah, haben also einen engeren Kontakt irgendwo im geschlossenen Raum. Dann ist der Unterschied zwischen geimpft und ungeimpft ein Faktor von mindestens zehn. Vom Risiko, was Sie haben, sich anzustecken. Und wenn Sie auch noch beide geimpft sind, dann geht es eher so Richtung Faktor 20. Mal so ganz grob gesagt. Und wenn Sie das dann auf die Gesamtbevölkerung sich anschauen, dann ist es natürlich besser, je mehr Menschen geimpft sind. Auch wenn Sie nicht von einer echten Herdenimmunität sprechen können.

Wichtiger als die Zahl der Geimpften ... Unser Anteil in Deutschland bei den erwachsenen Geimpften ist jetzt nicht so schlecht. Also wir sind jetzt nicht in einer katastrophalen Lage. Das finde ich eigentlich ganz gut, was wir da jetzt bisher erreicht haben. Viel wichtiger ist, wie viele Ungeimpfte gibt es in den Risikogruppen. Und da haben wir eben noch fast 3 Mio. über 60-Jährige. Das ist unsere Achillesferse, wenn Sie so wollen, zum einen. Und wir haben die zweite Achillesferse. Man hat immer zwei Fersen. Die zweite ist eben tatsächlich, dass es auch bei den älteren Menschen – das sind dann eher so die Generation Ü70 – dass die eben häufiger, obwohl sie vollständig geimpft wurden, dann, wenn sie Risikofaktoren haben, schwer erkranken können und auch sterben können. Und wir haben auf den Intensivstationen eine Reihe, also vielleicht so 10 % der Menschen auf den Intensivstationen sind tendenziell alt und auf der ITS, obwohl sie doppelt geimpft sind.

Und das sind unsere zwei Schwächen: Also die Durchbrüche, schwere Erkrankungen bei den Doppelgeimpften, meistens dann älteren Menschen, und zweitens eben die Ungeimpften. Und da müssen wir was machen. Und der Rest der Quote in Deutschland, das wird meines Erachtens ein bisschen überbewertet. Aber die eine müssen wir eben durch die Booster-Impfung abfangen. Und bei den anderen muss man weiter Kampagnen machen, dass man die irgendwie davon überzeugt, dass das kein Teufelszeug ist, wenn man sich mit diesen Impfstoffen impfen lässt, insbesondere, wenn man über 60 ist.

Tim Deisinger

Aber Achilles hatte doch nur eine Ferse, die verletzt wurde, oder muss ich noch was dazu lernen?

Alexander Kekulé

Da ist dieses Blatt draufgefallen, in der Tat haben Sie recht. Wir haben dann an der Stelle zwei Achillesfersen. Und bei Achill war es eben so, dem ist auf eine Ferse unbemerkt und unverschuldet ein Blatt gefallen, bevor er sich da gebadet hat und geschützt wurde. Bei uns ist es ein bisschen anders. Wir haben das ja sehenden Auges und absichtlich gemacht. Also wir haben sozusagen die Fersen abgeklebt, damit sie nicht geschützt sind. Und das ist dann schon besonders dumm. Also so was kommt denn in griechischen Sagen, glaube ich nicht vor.

37:42

Tim Deisinger

Dann belassen wir es damit bei den Impfungen, über die wir jetzt ausführlich gesprochen haben. Lassen Sie uns reden über das, was passieren kann, wenn das Kind mal in den Brunnen gefallen ist. Also sprich, wenn man krank geworden ist. Es gibt Medikamente, ein neues von Merck haben Sie mit Camillo Schumann schon letzte Woche Donnerstag gesprochen in Folge 239. Dann gab es später am Tag auch noch von Pfizer eine Erfolgsmeldung über ein weiteres Medikament. Da soll das Risiko, ins Krankenhaus zu müssen oder gar zu sterben, um 89 % senken. Worum geht es dabei genau?

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Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz wie Sie es richtig sagen: Bemerkenswert. Die großen Pharmariesen wollen ja alle erst einmal Geld verdienen. Und kaum hat Merck eben da so die große Welle gemacht, hat dann Pfizer sofort nachgezogen. Die wissen ja auch, wie man Pressemeldungen macht, und haben gesagt, wir haben auch was ganz Tolles gerade erforscht. Und unsere Ergebnisse sind noch besser. Das ist ein Medikament, das ist ganz interessant. Das haben die angefangen zu entwickeln nach der Sars-Krise von 2003. Das jetzige Virus war ja 2003 schon mal da. Das Sars-Virus von 2003 war eigentlich eine Variante, würde man heute sagen, von dem heutigen Virus. So wie sich Delta, Alpha usw. voneinander unterscheiden. Da war das eigentlich gar nicht so weit weg, die gleiche Art von Virus. Und da hat man damals schon ... Man wusste ja nicht, ob das wiederkommt. Man wusste auch nicht, wie lange das bleibt. Da hat man angefangen, Wirkstoffe dagegen zu finden. Und da haben die einen ganz interessanten Wirkstoff gefunden. Dieses Virus, wenn sich das vermehrt. Bei der Vermehrung stellt es so ganz lange Proteine her, also so ganz lange Fäden von Eiweißmolekülen. Das sind aber Vorstufen. Die müssen dann kleingehackt werden, quasi so, wie man mit einem Messer in der Küche eine Gurke kleinschneidet. Konkret in elf einzelne Teile wird das zerhackt oder in zwölf Teile elfmal geschnitten. Und das ist quasi diese Vorstufe dieses Virusproteins. Und wenn es dann kleingeschnitten ist, wird es erst richtig wirksam. Und das wirksame Protein braucht dieses Virus natürlich insbesondere, um sich zu vermehren. Und das Enzym, was diesen Schnitt macht, was also sozusagen aus der langen Gurke die einzelnen Stückchen macht. Das Enzym wird selektiv gehängt. Das ist ein sogenannter ... 3CL-Protease-Inhibitor. So heißt das technisch. Diese 3C-like-Proteasen, das sind Enzyme, die Proteine schneiden. Die kennt man aus anderen Viren. Und drum herum heißen die so. Und das ist ganz interessant. Das haben sie schon damals in der Pipeline gehabt. Und das haben die jetzt angefangen zu testen. Im Juli und von Juli bis September haben die das mit ungeimpften Personen, Probanden getestet. Sie hatten ungefähr 1.200 Probanden. Die Hälfte hat das Mittel gekriegt, die andere

Hälfte Placebo. Und der Erfolg dieser Medikation war durchschlagend. Also vier Wochen nach der Feststellung, dass jemand krank, war es so, dass von den etwas über 600, die das Medikament bekommen haben, sind nur sechs ins Krankenhaus gekommen und keiner ist dran gestorben. Und von denen, die die Kontrolle bekommen haben. In dem Fall würde man sagen die A-Karte gezogen haben. Die haben dort die Kontrolle, also ein Placebo, unwirksame Tabletten, die genauso aussehen. Da sind 41 von 612 ins Krankenhaus gekommen, also 6,7 % sind das. Und zehn sind gestorben. Also 1,6 % sind gestorben. Also die hatten in der einen Gruppe zehn Tote, in der anderen null. Und dann haben sie gesagt: Okay, wir hören auf mit dieser Studie. Das Ergebnis publizieren wir jetzt und stellen den Antrag auf Notfallzulassung.

Tim Deisinger

Aufgehört weil Leute gestorben sind? Weil man denkt sich ja, wenn man so etwas hört. Mein Gott, man weiß doch, dass die krank sind. Warum gibt man nicht denen versuchsweise auch das Medikament, sondern irgendetwas, von dem man weiß, dass es gar nicht wirkt und dann sterben sie halt.

Alexander Kekulé

Ja, es ist immer das Dilemma bei solchen Medikamenten. Sie wissen ja vorher überhaupt nicht, ob es wirklich wirkt. Dass kann auch sein, dass sie viel besser dran sind, wenn Sie das Placebo bekommen haben, weil vielleicht die in der Therapiegruppe massenweise Nebenwirkungen haben, o.Ä. Dass ist bei diesen Studien immer das Problem, dass man es nicht genau weiß. Sie brauchen die Kontrollgruppe, damit Sie wirklich eine Aussage machen können über die Wirksamkeit. Man nennt das dann hier eine kontrollierte Doppelblindstudie. Das heißt also, weder der Patient oder der Proband, noch der Arzt weiß, was jetzt Placebos und was nicht. Da werden die Tabletten extra liebevoll so gemacht, dass die wirklich genau gleich aussehen und werden in codierten Schächtelchen verteilt. Und keiner weiß, außer natürlich der Studienleitung, was da was ist, damit man eben keinen Einfluss hat. Damit jetzt der Patient selber nicht irgendwie, wenn er weiß, er hat das Medikament bekommen, hinterher an-

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gibt, ja, mir ging es gleich viel besser. Oder umgekehrt der Arzt seine Beobachtungen anders aufschreibt. Oder was auch ganz interessant ist, ist der sogenannte Rosenthal-Effekt, dass der Arzt einfach unterbewusst, weil er ja weiß, was los ist, dem Patienten was suggeriert, ohne es ihm zu sagen und dadurch das Studienergebnis beeinflusst. Das gibt es also auch. Deshalb ist es relativ eine Wissenschaft für sich, wie man solche Studien macht. Und ein Element davon ist immer, dass man so eine Art Ethikkomitee hat, das Data Monitoring Committee. Das sind Leute, die sind extern. Die dürfen also mit den anderen nichts zu tun haben und sind unabhängig. Und die kriegen als einzige, während die Studie blind läuft, also ohne, dass die Beteiligten wissen, wer die Medikamente bekommen hat. Da kriegen die die Daten offen während der Studie. Schon bevor die Ergebnisse geöffnet werden. Und dieses Data Monitoring Committee kann eben dann irgendwann sagen, nee, stopp! Und die wollten eigentlich 3.000 Teilnehmer haben. Sie haben dann bei 1.219 aufgehört, weil das Data Monitoring Committee gesehen hat: Moment mal, die, die da gestorben sind. Also, wenn ein Patient stirbt, merken das die Ärzte natürlich schon, klar. Aber sie wissen nicht, hat der das Medikament gekriegt oder nicht. Und das Data Monitoring hat gesehen, zehn Leute tot nur in der Kontrollgruppe. Schluss wir, wir wollen jetzt, dass das gestoppt wird. Und das geschieht typischerweise auch in Rücksprache mit der Zulassungsbehörde. Also in dem Fall ist es in den USA die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde. Die werden dann gefragt, also auch vertraulich, wie sieht es aus. Wir haben jetzt folgende Daten. Würde euch das reichen für die Zulassung? Das nennt man Rolling Review. Also während die Studie läuft, schauen die schon ein bisschen mit rein. Und wenn die dann sagen: Nee, Schluss, ihr müsst nicht weitermachen, wir machen euch die Notfallzulassung so. Dann hört eben die Pharmafirma auf mit der Studie.

Tim Deisinger

Kurzer Ausflug. Rosenthal, Mann oder Frau? War das der, der als Arzt einen dummen Fehler gemacht hat? Oder der diesen Effekt entdeckt hat.

Alexander Kekulé

Jetzt haben Sie mich erwischt. Ich glaube, das war irgendein Psychologe, der sich das ausgedacht. Okay, aber ich habe das irgendwann mal vor ganz lange Zeit ... Ich nehme an, da hat sich ein Wissenschaftler, der quasi den Effekt beschrieben hat, selber ein Denkmal gesetzt, und nicht jemand, der es vergeigt hat.

Tim Deisinger

Aber zurück zum Medikament. In der Pressemitteilung war auch der Begriff Game Changer zu lesen, also etwas, das das Blatt dann wirklich wenden kann. Lesen Sie auch aus den Daten heraus?

Alexander Kekulé

Ja, die Daten sind natürlich jetzt verglichen mit denen . Also wir haben ... Einfacher: Die gute Nachricht ist, um das wirklich ganz positiv darzustellen: Es ist natürlich super, dass wir jetzt eine echte Therapie-Option im Prinzip haben, die so leistungsfähig ist, dass Sie ja ... Wenn man sozusagen anguckt, wie wieviel Prozent ändert sich sozusagen die Sterblichkeit oder die Krankenhauseinweisungen. Die Zahlen sind da gleich. Also die Krankenhauseinweisung wird, wenn Sie das innerhalb von fünf Tagen nehmen nach Symptombeginn, um 85 % reduziert. Das heißt also 85 % Reduktion oder Wirksamkeit. Wenn Sie so wollen. Wenn Sie es innerhalb von drei Tagen nehmen, sind es sogar 89 %. Zum Vergleich: Diese Impfstoffe, die wir haben, die sind ja so bei der Wirksamkeit bezüglich Krankenhauseinweisungen auch so im Bereich von 80 -90 %, je nachdem, welchen Impfstoff Sie haben. Das heißt, es ist schon vergleichbar gut. Ich sehe aber jetzt ... Vielleicht noch einmal. Wir haben ja das Medikament von Merck besprochen kam schon vor kurzer Zeit. Merck, Sharp & Dohme heißt das bei uns. Das ist also nicht Merck, Darmstadt, sondern Merck, Sharp & Dohme, dieser internationale Konzern. Da ist es ja so, dass, wenn man das innerhalb von fünf Tagen nimmt, nach Symptombeginn, die Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit ungefähr um 50 % reduziert wird. Das heißt, es ist schon deutlich besser als Merck. Und noch einmal zur Erinnerung, wenn man monoklonale Antikörper gibt. Also dieses Trump-Medikament. Donald Trump hat es ja bekommen, ganz frühzeitig. Was sauteuer ist, weil das in Hamsterzellen hergestellt werden

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muss. Das hat eine Wirksamkeit von 70 %. Also reduziert die Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit um 70. Jetzt haben wir also hier sozusagen den Champion. Und insofern verstehe ich dann den Albert Bourla, den Chef von Pfizer, wenn er sagt, es ist ein Game Changer. Andererseits muss man sagen, wie stellt er sich das jetzt vor? Also da müssen Sie sich vorstellen: Fünf Tage lang müssen Sie insgesamt

30 Tabletten futtern, also sechs Tabletten pro Tag. Und das müssen Sie machen, sobald Sie die ersten Symptome haben von Covid. Nicht irgendwann später. Hier hat man als Probanden ausschließlich Erwachsene genommen, die einen besonderen Risikofaktor hatten, um zu sterben oder ins Krankenhaus zu kommen. Also z.B. stark Übergewichtige, Herzkranke, Hochaltrige. Und bei denen kann man sich ja noch irgendwie vorstellen, dass es dann vielleicht, wenn sie z.B. ungeimpft sind und sie merken dann, oh weia jetzt habe ich Corona, dann nehmen die schnell diese Tablette. Aber wenn es jetzt jeder machen würde, dann hätten Sie mehrere Effekte, die natürlich nicht so toll sind. Der eine ist: Möglicherweise lassen sich dann einige Leute nicht mehr impfen. Also sagen: Naja, ich habe ja die Tablette, falls ich es kriege. Das zweite ist, Sie hätten wahnsinnige Kosten, denn das ist ein proprietäres neues Medikament, das seinen Preis hat. Pfizer hat den Preis noch nicht bekanntgegeben. Aber da können Sie davon ausgehen, dass die Ihnen da richtig tief in die Tasche greifen dafür. Das andere ist, dass wir natürlich immer bei solchen Medikamenten ... Das ist ein RNA-Virus dieses Sars-Cov2. Und gerade bei RNA-Viren wissen wir schon aus der Vergangenheit, da ist es immer so gewesen, dass Sie, wenn Sie so ein einzelnes Medikament einsetzen (noch nicht gleich eine Kombination), dass Sie dann relativ schnell Resistenzen züchten. Das heißt, Sie machen das Virus resistent, weil ganz viele Leute, die es vielleicht gar nicht bräuchten, dieses Medikament nehmen. Ich sage mal so, ein 30Jähriger, der irgendwie Schnupfen kriegt und sagt, her mit den Tabletten, egal, was es kostet. Und wenn das ganz viele machen weltweit. Dann haben Sie dann Resistenzen und möglicherweise sogar züchten Sie, das ist noch nicht ganz klar, Sie züchten damit sogar Varianten, weil Sie natürlich dann durch die antivirale Therapie Viren haben, die neue Eigenschaften

haben. So und das Ganze heißt letztlich: Für mich ist die einzige Indikation – das gilt hier genauso wie für das Medikament vom Merck Sharp & Dohme. Die einzige Anwendung, die sinnvoll ist, ist die bei wirklich Hochrisikopatienten, die es irgendwie versäumt haben, sich impfen zu lassen. Oder wo ich den Verdacht haben muss, dass der Impfschutz nicht richtig funktioniert hat. Dass man denen ganz am Anfang was gibt. Weil, wenn sie das erst am siebten Tag oder so geben, ist es zu spät. Und noch mal zur Erinnerung. Das Gemeine an der CovidErkrankung ist ja, die erste Woche läuft immer ganz gut, und die meisten Leute denken so nach fünf, sechs Tagen, ach, es geht mir ja besser. Eigentlich geht es jetzt wieder bergauf, wie man das so kennt von der Grippe. Und in der zweiten Woche wird es dann so schlimm, dass sie ins Krankenhaus müssen und manche sterben. Und deshalb wissen Sie am Anfang einfach nicht, zu welcher Gruppe Sie gehören. Wenn das jetzt alle nehmen, von Anfang an, weil es nur wirkt, wenn man innerhalb von drei bis fünf Tagen nach Symptombeginn nimmt. Dann sehe ich da die genannten Probleme.

Tim Deisinger

Also nicht wirklich ein Game Changer?

Alexander Kekulé

Deshalb global kein Game Changer. Aber für Pfizer sicherlich eine Cash Cow, das ganz sicher. Das wird das, was die Pharma-Leute Blockbuster nennen, also alles, was über

1 Mrd. Umsatz macht pro Jahr. Das ist dann ein Blockbuster. Und das wird es natürlich auf jeden Fall. Und wie man so sagt. Da gibt es mehrere Sprichwörter dafür, die ich mir jetzt verkneife. Aber die, die besonderes Glück haben, haben dann auch meistens gleich zweimal Glück. Und Pfizer hat ja bekanntlich den Impfstoff mit BioNTech zusammen und ist damit schon an sich vergoldet. Und jetzt haben Sie hier auch noch das beste im Moment verfügbare Medikament, was mit Sicherheit Wahnsinnsgeld einbringen wird. Die USA haben praktisch schon die ganze Jahresproduktion für dieses Jahr vorbestellt, wenn man den Behörden zumindest glauben mag. Also sie können für dieses Jahr, sagen sie, noch 180.000 Behandlungen herstellen, also Medikamente für 180.000 Menschen herstellen. Im ersten Halbjahr 2022 wollen sie über 21 Mio. herstellen.

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Damit kann man natürlich auch nicht weltweit, das ist ja mal die weltweite Produktion . Damit können sie nicht weltweit alle Covid-Fälle behandeln. Das ist klar. Und deshalb: Wenn wir hier in Deutschland überhaupt drankommen und das nicht in Amerika sowieso schon erst mal ausverkauft ist. Dann wird es so sein, dass wir uns genau überlegen sollten, wem wir es geben. Und wie gesagt, das würde ich dringend einschränken. Es ist übrigens nicht ungewöhnlich, dass der Mikrobiologe der Pharmaindustrie irgendwie sozusagen Wermut einschenkt. Es ist so, die Pharma-Leute wollen natürlich, dass ihre Medikamente ... Sie kennen das von den Antibiotika. Dass die möglichst breit eingesetzt werden. Also die haben dann so Breitbandantibiotika, so eine Kugel, die alles trifft, und wollen, dass das überall eingesetzt wird. Dann kommen wir mit dem Mikrobiologen und sagen, nein, wir wollen aber uns das aufheben als Resistenz-Mittel, als Reservemittel für Resistenzen. Und hier ist es auch so ähnlich. Ich hätte es gerne als Reservemittel für besondere Fälle. Aber Pfizer wird natürlich ganz massiv weltweit die Werbetrommel rühren, dass das möglichst viele Leute möglichst früh nehmen. Und der Boden dafür ist ja gesät, weil viele Menschen, auch Politiker, Angst vor dieser Erkrankung gemacht haben. Und dann werden ganz viele, wenn sie merken, auweia, jetzt bin ich positiv. Dann werden die das nehmen, auch wenn sie erst 30 sind.

52:29

Tim Deisinger

Okay, dann wollen wir kurz noch über eine andere Studie sprechen. Die hat nichts mit Pillen oder Impfungen zu tun. Forscher sind besorgt, weil es Sars-CoV-2 Infektionen bei Tieren gibt, konkret bei sogenannten Weißwedel-Hirschen. Ich habe mal nachgeguckt, die kommen in Nordamerika häufig vor und heißen übrigens auch so – das hab ich nachgelesen – weil das Schwänzchen hinten an der Unterseite weiß ist und an der Oberseite braun, aber eben unten weiß. Wenn die fliehen, dann richtet sich das Schwänzchen auf und leuchtet sozusagen weiß, wahrscheinlich auch als Signal, dass andere Artgenossen auch fliehen. So, kleiner Exkurs beendet.

Diese Tiere haben also offenbar auch Corona, Sars-CoV-2. Ich glaube, knapp 300 hat man untersucht, und bei einem knappen Drittel hat man was gefunden. Wie kommt das dahin?

Alexander Kekulé

Ja, das ist schon länger so gewesen, dass man bei diesen Weißwedelhirschen ... Das ist quasi wie das Rotwild wie bei uns das häufigste Wild in Nordamerika. Ein bisschen kleiner als unsere Rothirsche. Die haben aber auch noch diese anderen, die echten Roten, die Wapitis, also diese Riesenviecher, die die auch haben. Und das ist schon länger klar, dass jedenfalls bei den Weißwedelhirschen – bei den anderen hat man das nicht untersucht – dass da schon in älteren Studien [...] 40 % Antikörper hatten gegen Sars-CoV-2. 40 % der untersuchten Tiere. Und das war natürlich ein Alarmzeichen. Da hat man gesagt, Moment, wo haben die eigentlich Antikörper her? Was ist da los? Und dann hat eben diese Gruppe da in Iowa da irgendwo – ist das noch Mittlerer Westen? Ich meine schon. So irgendwo zwischen Illinois, wo Chicago ist, und weiter im Westen Nebraska. Dazwischen ist Iowa irgendwie in the middle of nowhere. Und da gibt es natürlich viele Hirsche. Und da haben sie die untersucht.

283 Halslymphknoten von diesen Tieren. Wahrscheinlich welche, die der Jäger erlegt hat. Um ungefähr die Hälfte waren vorher eingefangen worden. Das machen die so ähnlich wie bei uns mit dem Rotwild auch, dass die manchmal einfangen, und die andere Hälfte war frei. Und da haben sie eben in diesem großen Anteil dieses Virus gefunden. Interessanterweise zwölf verschiedene Linien. Die waren alle B1, also alle unter Untertyp B1. Das heißt alles Nachfolger des Ausbruchs in Norditalien, weil B ist ja das Wuhan Virus oder einer der zwei Wuhan Stämme und in Norditalien ist aus B B1 geworden, und das war stärker infektiös und hat deshalb die weltweite Pandemie dann ausgelöst. Und dieses B1 ist in Nordamerika bei den Hirschen gefunden worden. Nicht der ursprüngliche Wuhantyp und auch nicht irgendein ganz anderer exotischer Typ. Sondern man kann davon ausgehenden, dass der Typ, irgendwie vom Menschen rübergegangen ist. Zwei Sachen sind bemerkenswert. Das Eine ist anhand der Dynamik. Die haben das dann genauer sequenziert und festgestellt, wer hat

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wen angesteckt? Und so kann man nachweisen, dass es mehrere Übergänge gab vom Menschen zum Tier. Also diese Weißwedelhirsche wurden mehrfach angesteckt, keine Ahnung wie. Wahrscheinlich ein Jäger, der seine Wurst im Wald hat liegen lassen o.Ä. Obwohl, essen die Wurst? Nee, war wahrscheinlich dann vegetarisches Brot. Obwohl ich nicht weiß, ob die Wurstbrot essen würden. Interessante Frage. Rotwild bei uns ist ziemlich verfressen und isst alles Mögliche.

Tim Deisinger

Zumindest isst man in Amerika ja kein dunkles Brot, da isst man Weißbrot möglicherweise.

Alexander Kekulé

Möglicherweise fressen die ja auch Hamburger dort. Weiß ich nicht genau. Es ist so . Also die haben sich jedenfalls angesteckt mehrfach vom Menschen. Und das zweite ist, die haben sich auch untereinander angesteckt. Und das ist natürlich ... D.h. es gibt eine echte Epidemie unter diesen Hirschen in Nordamerika. Ich würde mal wetten, dass es nicht auf diese eine Tierart beschränkt ist, sondern auch ähnliche Tiere, also hirschähnliche Tiere betrifft. Und das heißt also, wir haben da ein richtiges Tierreservoir für dieses Virus.

Tim Deisinger

Und müssen wir jetzt Sorge haben, dass da ganze Reihen Tiere wegsterben. Dass es quasi bei den Tieren auch den Weg alles Irdischen geht. Also die können sich ja nicht impfen. Also wer es nicht schafft, der schafft es halt nicht.

Alexander Kekulé

Also über Symptome ist da nichts bekannt bei den Tieren. Das ist auch bei von den Jägern nicht beobachtet worden. Die werden natürlich massiv bejagt in Nordamerika. Da gibt es die Gefahr, dass der Jäger sich infiziert natürlich. Wenn Sie so ein Tier erlegen, was krank war, auch wenn es nicht erkennbar symptomatisch war . Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird es ähnlich sein wie bei den Menschen, dass es die Alten und Schwachen zuerst erwischt. Was im Tierreich, das mag zynisch klingen für alle, die Tiere lieben, sozusagen schon fast der gewünschte Effekt ist. Also das verstärkt eigentlich dann nur das, was der Jäger typischerweise auch macht. Die schießen natürlich ältere, schwache Tiere sowieso raus aus

den Herden dort und sorgen dafür, dass der Bestand insgesamt die richtige Altersstruktur hat und hauptsächlich gesunde Tiere bleiben. Deshalb glaube ich, dass es bei den Hirschen keine große Rolle spielt. Aber es ist natürlich gut möglich, dass es andere Tiere gibt in der Wildnis, die sich infizieren können und die dann empfindlicher drauf reagieren. Das sehen wir ganz oft. Und keine Ahnung, wo die da sitzen. Das ist durchaus möglich.

57:40

Tim Deisinger

Und nun wissen wir ja, es gibt ja diese Theorie, wie das Coronavirus in die Menschenwelt kam. Nämlich nicht aus einem Labor in Wuhan, sondern aus dem Tierreich. Darüber können wir übrigens auch mal wieder reden, wie der Stand der Dinge bei diesem Thema ist. Also mal gesetzt den Fall, es kam von den Tieren. Jetzt ist es wieder zu den Tieren gegangen. Das hatten Sie schon angedeutet, dass sich dann ein Jäger infizieren kann, das heißt, es kann auch wieder zum Menschen zurückkommen?

Alexander Kekulé

Ja, also neben dem der Gefahr, dass sich da irgendwelche Varianten bilden können. Also wir haben das z.B. gesehen bei den Nerzen, bei diesen Minks in Dänemark. Da wurden ja Mio. von diesen Tieren getötet, weil sich dort eine Variante des Sars-Cov-2 ausgebreitet hatte, die eine höhere Bindung hatte zu dem Rezeptor, diesem ACE2-Rezeptor in der Lunge. Da war relativ klar, dass, wenn das auf den Menschen überspringt, dass das vielleicht sogar gefährlicher sein könnte oder zumindest infektiöser als das ursprüngliche Virus. Drum hat man da Mio. dieser Tiere getötet, als man das festgestellt hat. Diese Gefahr besteht natürlich bei Wildtieren auch. Insbesondere, weil sich das dann in dieser Wildpopulation natürlich ungehemmt vermehrt das Virus, optimiert, sich dann aber an das Tier anpasst. Natürlich, der Wirt ist ja dann so ein Hirsch. Und wenn es dann z.B. durch einen Jäger zu einer Infektion kommt, es dann wieder des Menschen kommt, dann ist es wieder im Menschen. Der ist als Population wieder konfrontiert mit einem Virus, das doch sehr anders ist als die zirkulierenden Virus-Sorten und dadurch quasi immunologisch neu ist. Und das kennen wir von der Influenza, von der Grippe. Dass, wenn die sich mal zwischendurch

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stark verändert hat, dass dann eben besonders schwere Pandemien oder in dem Fall bei der Influenza so saisonale Epidemien laufen. Und das könnte hier dann auch passieren. Also wir haben ein Tierreservoir, in dem das Virus bleibt. Das heißt leider auch die Möglichkeit dieses Sars-Cov-2 zur eradizieren, also komplett vom Erdball auszulöschen, die ist damit noch weiter gesunken. Hat sowieso kaum einer daran geglaubt. Aber wenn wir so ein riesiges Tierreservoir haben, kann es eben sein, dass das Virus von dort immer wieder mit neuem Gesicht quasi aus der Kiste kommt.

Wir kennen so was übrigens von der Grippe. Da gab es ja 2009 die sogenannte Schweinegrippe. Und wer sich dann noch daran erinnert. Das war ja in Mexiko in Schweinezuchten aufgetreten und hat dann eine weltweite Pandemie zum Glück mit einem nicht ganz so schlimmen Virus verursacht. Aber dieser eine Typ H1N1, der war zusammengesetzt, dieser 2009er Virus, aus mehreren einzelnen Komponenten. Und eine davon war das Virus der Spanischen Grippe von 1918. Damals haben Menschen die Schweine infiziert, die natürlich daran auch gestorben sind. Die Schweine haben das dann weiter ausgebrütet. Über viele Jahrzehnte und aus der Schweine-Zucht kam dann die späte Rache der Schweine für die Infektionen von 1918. Die haben das dann 2009 zurückgegeben an die Menschen. Das heißt also solche Effekte, selbst über so lange Zeiträume, gibt es. Dass sich ein Virus quasi im Tier weiterentwickelt und dann irgendwann zu uns zurückkommt. Drum gibt es ja völlig zurecht seit vielen Jahren schon diese Initiative, dass man eine gemeinsame Gesundheit im Grunde genommen vor Augen haben muss zwischen Tieren, Natur im Allgemeinen und Menschen. Das Konzept heißt one health, also eine Gesundheit. Und das finde ich ganz wichtig. Dass man eben auf die Tiere auch blickt in dem Sinn, dass es für uns gut ist, wenn die Tiere gesund sind. Weil alles, was die ausbrüten, könnte uns irgendwann schaden.

1:01:16

Tim Deisinger

Also Sars-CoV-2 auch im Tierreich. Kommen wir zu den Hörerfragen für heute. Die mit Abstand meisten Fragen gibt es derzeit wieder zu den Impfungen, ob Impfstoff oder Booster. Wir hören mal diesen Herren hier ohne Namen.

„Ich bin zweimal mit Moderna geimpft worden. Sollte man dann als Booster-Impfung den BioNTech Impfstoff nehmen? Weil die KreuzImpfung, wie ich mal gehört habe, besser wirksam wäre?“

Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich eine Luxus-Überlegung, Grundsätzlich sage ich, man soll nehmen, was man kriegt. Aber wenn man tatsächlich die Wahl hat, ist es in der Tat so, das ÜberkreuzImpfen besser ist, weil das den breiteren Immunschutz macht, insbesondere gegen neue Varianten. Und ich würde dann immer empfehlen, wenn man bisher Moderna bekommen hat, dann beim dritten Mal BioNTech zu nehmen und umgekehrt.

1:02:09

Tim Deisinger

Eine Mail erreichte uns aus dem Landkreis Augsburg. „Ich, 33 Jahre, bin seit vier Monaten doppelt BioNTech geimpft. Ich hatte bei beiden Impfungen keinerlei Nebenwirkungen. Meine Frau, 33 ist ungeimpft, weil sie aufgrund von sehr starken Nebenwirkungen nach ihrer vor ein paar Monaten erhaltenden FSMEund Tetanus-Impfungen, die sie beide zeitgleich an einem Tag erhalten hat, sehr starke Nebenwirkungen bis hin zum Aufenthalt in der Notaufnahme hatte. Da gab es vielfach erhöhte FSME Werte, die man festgestellt hat im Blut. Und deswegen hat sie verständlicherweise Angst vor der Corona-Impfung, zumal sie in der jüngeren Vergangenheit auch immer wieder mit Schwindel zu kämpfen hatte und an Ohrengeräuschen leidet. Sie ist schlank, hat ansonsten keine bekannten Vorerkrankungen. Für einen Ratschlag, ob Sie ihr in dieser Situation zu einer Impfung raten würden, wären wir Ihnen sehr dankbar. Mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé

Also ganz ehrlich gesagt, das ist wahnsinnig schwierig, wenn man den Patienten, den Probanden nicht kennt, da so Rat quasi übers Telefon, übers Mikrofon zu geben. Grundsätzlich kann man aber sagen, wenn jemand bei FSMEund anderen Impfungen Probleme hatte, dann heißt das überhaupt nicht, dass es bei dieser Impfung wieder Probleme geben müsste. Umgekehrt gibt es Leute, die hatten noch nie Probleme bei irgendwelchen Impfungen und

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sagen dann, dass die sofortigen Nebenwirkungen, also Schmerzen, Schwellung, Rötungen, Schlappsein für zwei, drei Tage. Dass die besonders schlimm nach der Corona-Impfung waren. Das ist ganz unterschiedlich. Manche sagen, ich habe gar nichts gemerkt. Ich bin mir unsicher, ob es bei mir überhaupt gewirkt hat, weil ich keine solchen Nebenwirkungen hatte. Das ist ja technisch gesehen die sogenannte Reaktogenität, also die Reaktion auf den Impfstoff. Die gewünschte Reaktion. Die unterscheidet man eigentlich noch mal von den echten Nebenwirkungen. Darum kann man das ... Vielleicht einige wichtige Informationen ... Von der Reaktion auf die letzte Impfung kann man nicht darauf schließen, wie es diesmal sein wird. Ich würde wahrscheinlich trotzdem in so einem Fall auch, weil man ja auch subjektiv irgendwie Angst hat, eben wirklich zum Arzt gehen, nicht in irgend so ein anonymes Zentrum. Das dem Arzt vorher erklären. Und der soll dann dafür sorgen, dass man noch eine halbe Stunde nach der Impfung wirklich dort ist und in Überwachung ist, falls Nebenwirkungen stärker sind als gewöhnlich. In 99,9 % der Fälle von besorgten Patienten dieser Art ... Das gibt's ja relativ oft, dass man mal schlechte Erfahrungen gemacht hat und sich dann denkt, Mensch, soll ich das jetzt machen? In den allermeisten Fällen ist es so, dass sich das dann nicht bewahrheitet, sondern dass die Impfungen völlig harmlos verlaufen.

1:04:46

Tim Deisinger

Danke für diese Antwort. Eine junge Dame haben wir noch. Hört man gleich, dass sie nicht alleine ist.

„Grüßgott, mein Name ist M. Ich hätte eine Frage bezüglich der Booster-Impfung. Und zwar habe ich mich Ende April und Ende Mai gegen Corona impfen lassen, beginnend mit der 13. Schwangerschafts-Woche. Ich habe jetzt vor Kurzem entbunden. Und jetzt ist meine Frage, ob eine Boosterung jetzt quasi nach sechs Monaten meinem Säugling im Endeffekt zugutekommen? Dass ja diese unterschiedlichen Antikörper einmal im Grunde vor einer Infektion schützen und im Falle einer Infektion ja im Grunde vor einem schweren Verlauf schützen. Vielen herzlichen Dank. Auf Wiederhören.

Tim Deisinger

Was sagen Sie Frau Müller?

Alexander Kekulé

Nein, das bringt dem Säugling jetzt nichts mehr. Das hat dem sicher was gebracht, sich während der Schwangerschaft impfen zu lassen. Aber das bringt jetzt nichts mehr, sich boostern zu lassen. Das ist völlig überflüssig. Zumal nach so einem kurzen Zeitraum. Bei den Schwangeren ... Und auch so von der Stimme her würde ich mal sagen, über 60 war die Dame auf gar keinen Fall. Deshalb braucht man das tatsächlich nicht machen. Das wäre zu viel des Guten.

1:05:58

Tim Deisinger

Dann noch zwei Sachen zum Thema Impfung. Da geht es allerdings um andere Impfstoffe. Eine Mail vom Ehepaar T. „Hallo Herr Kekulé, meine Frau und ich sind über 60 Jahre alt, vollständig geimpft. Wir haben in unserem engsten Umfeld Menschen, die sich auf keinen Fall mit dem mRNA-Impfstoff impfen lassen wollen und sehnsüchtig auf den Protein-basierten Impfstoff warten. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum diese Impfstoffe in sämtlichen politischen Diskussionsrunden totgeschwiegen werden und diese Leute mit den Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern in einen Topf geworfen und mit den neuesten politischen Maßnahmen unter Druck gesetzt und ausgegrenzt werden? Im Übrigen verfolgen wir jeden Podcast mit großem Interesse. Viele Grüße.“

Und dann: Frau B. hat uns auch geschrieben. Das geht quasi auch in diese Richtung. „Mein Mann und ich sind noch nicht gegen Covid 19 geimpft. Wir warten auf die Tot-Impfung. Können Sie uns sagen, wann diese Impfung in Deutschland zugelassen wird?“

Alexander Kekulé

Also die zweite Frage zuerst. Ich weiß es nicht. Die Hersteller haben tatsächlich angekündigt, für Ende dieses Jahres die Zulassungen zu beantragen. Jetzt ist es so, dass drei Impfstoffe in der Pipeline sind von drei verschiedenen Herstellern. Die werden, so wie die jetzige Planung aussieht, alle im ersten Quartal 2022 die Zulassungen beantragen auch in Europa. Das kann sich natürlich noch verschieben. Das weiß ich

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nicht. Also ich würde mal sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens einer von den eher konventionellen Impfstoffen im ersten Quartal nächsten Jahres verfügbar ist, ist relativ hoch. Man muss aber auch dazu sagen, für die, die da warten. Ich hätte wahrscheinlich jemanden, der jetzt dieses Jahr im März gefragt hätte, soll ich warten, kann ich auch warten. Da hätte ich wahrscheinlich gesagt, na ja, wenn du dich bis dahin anderweitig gut schützt mit Masken usw. und kein besonderes Risiko hast, dann musst du jetzt dich nicht überschlagen mit der Impfung, wenn du wahnsinnige Angst, die natürlich letztlich irrational ist, aber Angst vor diesen mRNA-Impfstoffen hast. Aber jetzt sind wir ja im Herbst, und wir sind einfach in der Lage, wie wir es eingangs besprochen haben. Da kann man jetzt sagen, die Politiker haben es falsch gemacht oder ihre Berater oder sonstwas. Aber wir sind in der Lage, dass einfach dieser Infektionsdruck so massiv steigt und dass umgekehrt auch die Restriktionen der Politik für die Ungeimpften steigen. Die Frage ist: Will man jetzt bis nächsten März noch mal warten, sich sozusagen dem Risiko einer Infektion aussetzen im Winter und dem ganzen Ärger mit den Restriktionen, die es dann bei den Maßnahmen gibt? Da würde ich dann mal sagen, ist die Tendenz doch viel stärker zu sagen, naja, in Gottes Namen. Das bringt jetzt eigentlich nicht mehr. Die sind halt spät dran. Und wer weiß, ob die dann überhaupt im ersten Quartal in die Pötte kommen, wie sie jetzt ankündigen. Ja, und zweitens, das haben Sie gerade schon durchgehört. Also die Ausgrenzung derer, die ... Also ich unterscheidet da immer so ein bisschen. Also, es gibt ja Leute, die haben irgendwelche religiösen, weltanschaulichen, grundsätzlichen Gründe, wo man sagen muss, Mensch, sehen die die Realität überhaupt nicht, um sich nicht impfen zu lassen. Die kann man meistens nicht überzeugen. Das ist einfach meine Erfahrung. Da kann man nicht viel machen. Und was hat es dann für einen Sinn, die zu beschimpfen? Es gibt ja auch viele Menschen, die religiöse Vorstellungen haben, feste Überzeugungen haben, wo wahrscheinlich ein Naturwissenschaftler sagen würde, relativ unwahrscheinlich, dass das stimmt. Wieso glaubst du da dran? Das ist halt so mit dem Glauben bei den Menschen.

Und die zweite Gruppe ist dann die, die man vielleicht umstimmen kann. Da glaube ich, geht es aber mit Argumenten besser als mit Diffamierungen. Und die dritte Gruppe ist die, die eben sich ihr eigenes Bild gemacht hat, wie hier gerade angedeutet wurde. Die haben eben gesagt, okay, ich habe mein eigenes Risiko vor Augen. Ich weiß z.B., dass ich schon mal Corona hatte. Gibt ja welche, die haben sich schon mal infiziert. Die wissen, damit haben sie eine gewisse Immunität, und die sagen, bevor ich mich jetzt impfen lasse, warte ich, aus welchen Gründen auch immer. Ich warte halt einfach noch eine Weile. Die dann sozusagen als Tyrannen zu bezeichnen, wie dass der Präsident des Weltärztebundes Montgomery gemacht hat am Sonntag bei Anne Will. „Tyrannei der Ungeimpften“ hat er gesagt. Das finde ich doch die falsche Wortwahl und führt eher zu einer Spaltung der Gesellschaft. Grundsätzlich bin ich da auf dem Standpunkt, wir müssen in dieser Pandemie alle zusammenhalten. Und wir brauchen gerade die Ungeimpften. Die brauchen wir an unserer Seite, weil die ja diejenigen sind, die besonders im Risiko stehen. Und die müssen sich eben dann anderweitig schützen. Die jetzt sozusagen zu diskreditieren und auszugrenzen. Das wäre falsch. Deshalb sehe ich auch, so soll man das eigentlich nicht machen.

1:10:56

Tim Deisinger

Und das war dann das Schlusswort für heute. Damit sind wir erst mal wieder durch. Vielen Dank, Herr Kekulé, bis zum Donnerstag dann.

Alexander Kekulé

Danke, Herr Deisinger, bis dann.

Tim Deisinger

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei Spotify, Google, YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 06.11.2021 #240

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 06.11.2021

Sollten sich Geimpfte grundsätzlich testen lassen?

Wieso sind Inzidenzen und Hospitalisierung genauso hoch wie vor einem Jahr obwohl die Impfquote so hoch ist?

Ist eine Auffrischungsimpfung bereits nach fünf Monaten sinnvoll?

Sollte man sich als älterer Mensch vor der Auffrischungsimpfung sicherheitshalber noch einmal gegen Herpes Zoster impfen lassen?

Camillo Schumann

Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Die Fragen kommen von ihnen und die Antworten wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé!

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr F. hat gemailt. Er fragt für seine Mutter. Sie ist zweimal mit Moderna geimpft. Zweite Impfung war Anfang Mai. Jetzt hat sie sich Mitte September gegen Gürtelrose impfen lassen. Und nun kommt die Frage:

„Sie möchte sich noch im November gern die dritte Corona-Impfung holen, da sie bereits 71 Jahre alt ist. Sie hat aber Sorge, dass sich die Gürtelrose-Impfung mit der Corona-Impfung nicht verträgt. Ist die dritte Impfung mit diesem

Abstand zur Gürtelrose-Impfung zu empfehlen? Falls ja, wäre es besser noch mal mit Moderna oder mit BioNTech? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Also der Abstand ist völlig in Ordnung. Das sind ja mehrere Wochen auf jeden Fall. Ich würde schon Abstand lassen zwischen der GürtelroseImpfung und einer Covid-Impfung. Aber ich sag mal, wenn man da vier Wochen lässt, ist es schon sehr großzügig. Und ich glaube, in der Größenordnung war das hier. Wie ist es? Soll man den Impfstoff wechseln? Also wir wissen, dass heterologe Impfung, wenn man dann über Kreuz quasi impft, dass das tatsächlich in der Regel eine bessere Antikörper-Antwort hervorruft, die wird dann breiter. Da ist es dann so, dass die Antikörper, wenn man so will, auch Varianten bisschen besser mit abgreifen. Und das ist ja gerade im Zusammenhang mit Delta jetzt wichtig. Und deshalb würde ich, wenn man die Wahl hat und wirklich der Arzt sagt, welches Schweinderl hätten Sie denn gerne? Dann würde ich sagen die ist es sinnvoll, bei der dritten Impfung dann zu wechseln.

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen und folgende Frage:

„Ich bin knapp. 82 Jahre, soll Mitte Dezember eine Booster-Impfung von BioNTech bekommen. Nach der ersten Impfung hatte ich einen Nervenschmerzen im linken Arm. Dazu muss ich sagen, dass ich einige Jahre vorher genau dort eine Gürtelrose hatte. Nach der zweiten Impfung hat ich ganze Schulterschmerzen, weniger Nerven, muss ich jetzt befürchten, das dann noch mal Zoster aufflackert. Oder wenn das nach der ersten Impfung, wo ich diese starken Nervenschmerzen hatte, nicht passieren wird. Muss man sich da trotzdem nochmal Zoster impfen lassen?“

Alexander Kekulé

Also noch mal klingt so, als wäre die Dame schon geimpft, liegen Zoster. Man muss auf keinen Fall die Impfung deshalb wiederholen das auf gar keinen Fall. Grundsätzlich meine

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ich, bei Menschen, die so regelmäßig Nervenschmerzen nach einer Impfung bekommen das ist übrigens nicht nur bei der Covid Impfung so was wir jetzt alles so hören, sind ja Nebenwirkungen, die jetzt plötzlich öffentlich diskutiert werden aber viele Menschen wissen, dass es auch bei anderen Impfungen vorkommt. Also wenn man zu so etwas neigt, wenn ich mal so sagen darf, ist es auf jeden Fall sinnvoll, gegen Herpes Zoster, also gegen Gürtelrose, geimpft zu sein, im höheren Alter. Und wenn das schon der Fall ist, muss man sich nicht noch einmal extra impfen wegen der bevorstehenden dritten Impfung gegen Covid. Ich würde im Gegenteil davon ausgehen, wenn es jetzt zweimal nicht zu einem aufflackernden Zoster gekommen ist bei den Covid-Impfungen, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass es jetzt ausgerechnet beim dritten Mal dann durchbricht.

Camillo Schumann

Herr K. aus Leipzig hat angerufen und folgende Frage

„Ich habe die Frage, warum denn die Inzidenzen und die Hospitalisierungsraten so hoch sind im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt wie im letzten Jahr, obwohl schon viel viel mehr Menschen geimpft sind. Dass das nur daran liegen soll, dass noch nicht alle – oder möglichst viele geimpft werden sollen – kann ich mir gar nicht vorstellen. Also was passiert denn eigentlich dann noch?“

04:11

Alexander Kekulé

Meine Erklärung dafür ist ja eben diese unsichtbare Welle, der Geimpften. Also ich gehe davon aus, dass wir eine riesen Dunkelziffer im Land haben von Menschen, die geimpft sind oder genesen sind oder beides, und die das Virus munter weitergeben, weil sie natürlich dann auch mit einem gewissen Begründung sagen: jetzt halte ich mich nicht mehr an diese ganzen Schutzvorschriften. Darum hat man sich ja letztlich impfen lassen. Und das Problem ist nur, dass es ein bisschen zu wenig kommuniziert wird, dass es diese Welle gibt. Und

dadurch haben sie einfach viele unerkannte Infektionen. Menschen, die vielleicht auch tatsächlich krank werden, bisschen krank werden, kleine Erkältungssymptome haben, aber weil sie geimpft sind, das nicht so ernst nehmen. Und dann haben sie in diesem Umfeld die noch Ungeimpften, und dadurch kriegen sie natürlich jetzt diese Welle, wo die Ungeimpften einfach einen extrem hohen, wie wir sagen, Infektionsdruck haben. Das heißt also die Ansteckungsgefahr bei allen möglichen Alltagstätigkeiten ist relativ hoch, und deshalb kommt es zu dieser massiven Welle, dass ist eine Kombination. Den Hintergrund zudem tragen die die Geimpften bei. Und die Ungeimpften sind diejenigen, die dann sozusagen als Spitze des Eisbergs im Krankenhaus zum großen Teil landen. Das sind ja noch hauptsächlich Ungeimpfte, und das erklärt für mich eigentlich schon das Geschehen, was hier stattfindet.

Camillo Schumann

Passend dazu ist auch diese Frage dieser Dame, die angerufen hat:

„Können auch Geimpfte Coronaviren übertragen? Warum müssen Geimpfte zum Beispiel in der Schwimmhalle nicht getestet sein, wo es eng ist? Würden Sie es für sinnvoll halten, dass auch Geimpfte getestet werden? Dankeschön.“

Alexander Kekulé

Ja, das ist genau die Grundsatzfrage, wo die Politik eine andere Strategie verfolgt, als ich das eigentlich empfehlen würde. Also ja Geimpfte übertragen eben das Virus. Und jetzt muss man sich überlegen, in welchen Situationen nämlich das Risiko in Kauf und in welchen nicht. Wenn jetzt das Beispiel Schwimmhalle ist, weiß ich nicht ist es da wirklich so voll in den Schwimmhallen? Also kann man ja Abstand halten. Normalerweise ist das eine große Halle, die die Decke ist hoch. Das heißt, die warme Luft steigt zunächst mal nach oben auf und trifft nicht gleich den Nachbarn, sodass ich jetzt schon davon ausgehen würde, dass das jetzt kein besonderes Risiko dort ist. Es kommt drauf an, sind da Menschen da, die ich besonders gefährden kann wie im Altersheim zum

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Beispiel. Oder ist es so, dass ich mich besonders unvernünftig verhalte, also engste Kontakte der haben? Oder ist es so, dass sich so viele Menschen da habe, dass ich für den Fall eines Ausbruchs keine Nachverfolgung mehr hinkriege. Die drei Kategorien sind es. Und wenn es zum Beispiel so ist, dass man sehr viele Menschen in einer Schwimmhalle hat, keine Registrierung, wer da war, kein Check-In und Check-out hat und dann keiner eine Maske trägt, so dass man hinterher überhaupt nicht weiß, wer wen angesteckt haben könnte. Falls es mal einen positiven Fall gibt, dann ist das ein gefährliches Ereignis. Und solche Situationen gibt es ja massenweise in Deutschland, weil eben immer gesagt wird, getestet oder genesen heißt, ihr müsst keine Regeln mehr befolgen. Deshalb bin ich nicht so sehr dafür, jetzt da überall Maske zu tragen oder Ähnliches. Das halte ich für übertrieben. Aber dass man sicherstellt, dass man im Falle eines Ausbruchs den erstens erkennt, das heißt, man müsste einen Teil immer testen und zweitens eben dann auch die Nachverfolgung sicherstellt. Das sind die zwei wichtigen Sachen, und da können wir noch einiges tun.

Camillo Schumann

Frau W. aus Köthen hat angerufen. Sie berichtet von einem Corona-Ausbruch in einem Gymnasium und den Umgang damit.

„Dort ist es s,o dass in einer elften Klasse, wo die meisten Kinder geimpft sind. Und jetzt ist es so, dass elf Kinder in der Klasse positiv sind. Davon sind acht geimpft. Drei ungeimpft. Die ganze Klasse hat entschieden, dass sich nun alle Kinder der Klasse testen lassen sollen. Auch die Geimpften. Hier hat die Lehrerin dies abgelehnt, und nur die drei Ungeimpften mussten sich quasi testen lassen. Jetzt meine Frage: bei solch einem Ausbruch in einer Schule beziehungsweise in einer Klasse, wäre es doch wirklich angebracht, wenn sich dort alle Kinder auch die Geimpften testen lassen müssen. Wieso ist das jetzt noch nicht geregelt? Wieso ist es nicht so, dass sich dann wirklich alle testen müssen, um hier speziellen Infektionsketten

nachzugehen und weitere Infektionen zu vermeiden?“

08:38

Alexander Kekulé

Bin da ein bisschen verzweifelt, weil ich natürlich auch nicht weiß, warum das so ist. Ich würde sogar noch eins drauflegen. Das Problem in solchen Situationen ist ja, wenn die Schule dann anordnet, dass getestet wird, dann ist das ja in den fast allen oder ich glaube in allen Bundesländern umsonst. Und wenn man jetzt privat sagt, lassen wir uns testen, dann muss man das inzwischen ja selber bezahlen. Das ist an so einem Beispiel mal deutlich gemacht, warum ich das nicht für sinnvoll halte, dass die Tests jetzt Geld kosten, sondern die Eltern müssen, wenn sie sagen auch noch einvernehmlich alle miteinander sagen: wir wollen jetzt mal wissen, was los ist. Dann müssten zumindest die Tests umsonst sein. Ja, die Idee, die dahinter steht: Die Gegenposition ist halt so ein bisschen, dass man immer noch der Illusion aufsetzt, Geimpfte und Genesene tragen zum Infektionsgeschehen nichts bei. Hier waren jetzt elf Kinder positiv davon acht geimpft. Das heißt also: klar die Klasse war insgesamt mehrheitlich geimpft. Aber das war doch ein typisches Beispiel für so einen Ausbruch bei Geimpften der stattfindet. Und da ist die Frage, wie reagiert man darauf, ohne das so zu erklären hat die Politik de facto Maßnahmen ergriffen, die letztlich heißen: wir nehmen das in Kauf. Wir führen sogar letztlich absichtlich eine Durchseuchung der Kinder in der Schule durch, weil die Kinder müssen ja in die Schule gehen. Und wenn man dann keine Nachverfolgung macht, insbesondere auch keine Quarantäne mehr bei den Kontaktpersonen macht und wenn man gar nicht guckt, wer überhaupt das Virus ab gekriegt hat in so einem kleinen Ausbruch, dann heißt es de facto man hat da die Zügel sausen lassen und nimmt es in Kauf. Ich finde das hätte man zumindest mal mit den Eltern diskutieren müssen, weil das kann man ja von den Eltern nicht verlangen, dass die ihre Kinder in die Schule schicken und dann zuschauen, wie die sich dort infizie-

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ren. Das betrifft ja nicht nur die Kinder, sondern unter Umständen auch ihr Umfeld zu Hause. Ich habe schon öfter mal das Beispiel von Müttern genannt, die dann noch ein Neugeborenes vielleicht zu Hause haben, was ja durchaus gefährdet ist, dann bei einer Infektion. Da kann ich es auch nicht nachvollziehen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Diese Fragen kommen ja öfter. Ich höre das mit einer gewissen Verzweiflung, weil ich wirklich finde, das kann man so nicht laufen lassen. Man kann jetzt auch nicht so eine Welle da in den Schulen einfach laufen lassen, sondern man muss natürlich auch Geimpfte testen. Da braucht man ein Schema, mit dem man das macht, nicht so täglich wie bei den Ungeimpften im Altenheim. Aber es muss irgendein Schema geben, wie man feststellt, ob überhaupt Infektionen stattfinden. Und wenn man wie in diesem Fall einen ganz konkreten Hinweis auf einen Ausbruch hat oder ein Beweis für einen Ausbruch hat, dann muss man natürlich alle testen und sicherstellen, dass sie die Infektion nicht weitergeben, solange sie positiv sind. Das heißt also solange sie das Virus ausscheiden, müssen sie in Isolation und diejenigen, die Kontakt hatten und noch zum Ausscheider werden könnten, die müssen in Quarantäne.

Camillo Schumann

Aber ich könnte mir vorstellen, dass es natürlich die Angst vor a: Quarantäne/ Isolation, und b. Homeschooling und Schulschließung ist.

11:37

Alexander Kekulé

Ja, aber wenn ich doch Corona habe ja, also, dann kann ich doch mal fünf Tage zuhause bleiben. Da muss ich doch nicht mit meinen Viren im Hals da rumrennen und sonst was machen. Das ist ja schon schlimm genug, dass der eine oder andere Urlauber auf dem Weg nach Hause, wenn er weiß, er muss sich in Quarantäne begeben, vorher noch schnell im örtlichen Supermarkt vorbeifährt, um sich einzudecken, weil er niemanden anrufen will, der ihm das Essen bringt oder niemanden anrufen kann.

Aber es ist so, dass wir doch, wenn wir wissen, dass wir positiv sind, da, dann können wir meines Erachtens zu Hause bleiben. Und wenn ich jetzt nur weiß, in meiner Klasse, haben sich, wie es hier ist, gleich elf Kinder infiziert. Das ist ja doch eine ganze Menge. Dann ist auch das Risiko, dass da noch mehr gerade was ausbrüten ich kenne jetzt den Verlauf nicht im Einzelnen aber grundsätzlich ist hier das Risiko dann groß. Und da finde ich, kann man diese Klasse dann fünf Tage nach Hause schicken. Und dann sollen sie nach fünf Tagen einen Test machen und am besten mit PCR und wenn die negativ ist, dann dürfen sie zurück.

Camillo Schumann

Familie D. hat gemailt:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, wir sind Lesepaten in einer Grundschule und fangen nach anderthalb Jahren wieder mit dem Lesen an. Wir sind über 70 zweimal geimpft und freuen uns auf die Kinder. Allerdings bleibt ein wenig Unsicherheit, da wir in der Schule uns treffen und dicht neben den Kindern sitzen. Wir bitten um ihren Rat. Vielen Dank.“

Alexander Kekulé

Hui, das ist schwierig. Da sind einfach zwei Sachen wichtig. Das eine ist: man muss wissen, wenn man über sich unvollständig geimpft ist, hat man trotzdem noch ein Restrisiko, kommt natürlich darauf an, was für sonstige Erkrankungen noch da sind. Aber man hat ein Risiko, sich anzustecken. Das ist etwa zehnmal geringer, als wenn man ungeimpft wäre, zehn bis 20 Mal geringer sogar. Aber es ist noch da. Und zweitens muss man wissen, dass in den Schulen wir haben es gerade besprochen, ich weiß jetzt nicht, ob das das gleiche Bundesland war, und es wird ja auch sehr, sehr unterschiedlich gehandhabt, muss man sagen. Aber generell ist in den Schulen einfach jetzt zurzeit das Risiko, sich zu infizieren, extrem hoch. Ich höre es von allen Seiten nicht nur in diesem Podcast. Das also die Eltern sagen, in meiner Klasse hat es ein Ausbruch gegeben. Zehn Kinder, zwölf Kinder, fast alle infiziert von meinen zwei Kindern, eins positiv, das andere negativ und meine Frau auch schon angesteckt. Also das ist zurzeit

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einfach so, dass da eine Welle in den Schulen um sich geht, sodass man viel, vielleicht auch dazu sagen es gibt einzelne Schulen, wo ich wiederum weiß, dass die ganz, ganz konsequent ihren eigenen Stiefel fahren und ihre eigenen Konzepte haben und sich überhaupt nicht von den von der staatlichen Lockerheit sozusagen anstecken lassen, sondern wirklich das in ihrer Schule konsequent unter Kontrolle haben und je nachdem welche Schule das ist. Also, wenn Sie jetzt in einer Schule vorlesen, wo Sie einfach wissen die kontrollieren hier nix. Wenn es dann einen Ausbruch gibt, kommen die Kinder einfach trotzdem. Dann müssen Sie davon ausgehen, dass Sie ein Restrisiko haben, dass sie da beim Vorlesen natürlich sich letztlich anstecken. Drum, wenn sie was mit Abstand machen können, mit Lüftung machen können, vielleicht sogar die Kinder wenn sie zuhören, eine Maske tragen, würde ich vielleicht anregen und durch so einfache konventionelle Maßnahmen das Infektionsrisiko senken. Ganz am Schluss des Tages ist es eine ganz schwierige individuelle Entscheidung festzustellen, wie viel Risiko nehme ich in Kauf? Und wieviel ist mir das wert, was ich da mache? Dass das wird man immer selber feststellen müssen. Aber ein Risiko ist hier ganz klar gegeben in der jetzigen Situation.

15:02

Camillo Schumann

Beim Zuhören sollen die Kinder eine Maske tragen? Aber dann kommt ja nix raus.

Alexander Kekulé

Naja, Kinder atmen ja auch beim Zuhören, Husten auch mal beim Zuhören. Wir wissen auch, dass natürlich jetzt wieder vermehrt Kinder mit Erkältungssymptomen einfach in die Schule geschickt werden. Was auch viel weniger kontrolliert wird. Außerdem ich weiß nicht, Herr Schumann, wie oft sie schon Kindern was vorgelesen haben. Ich habe da ziemlich viel Erfahrung

Camillo Schumann

Ja, Sie ja. Ich hab gar keine.

Alexander Kekulé

Bei mir halt die nie Klappe. Die kommentieren

das immer, aber das kommt wahrscheinlich darauf an, wie spannend man vorlesen kann.

Camillo Schumann

Ja wenn ich meinem Hund was erzähle, dann geht der weg. Na gut.

Frau M. hat gemailt. Sie schreibt:

„Herr Kekulé betont immer wieder, dass er gegen 2G ist. Bezieht sich seine Position auf 2G verbunden mit dem Wegfall von Abstand und Maske? In dem Fall hätte er bei Beibehaltung von Abstand und Maskenpflicht keine Einwände gegen 2G? 2G zieht sich hier in ihrem konkreten Fall auf eine kleinere private Veranstaltung mit zehn bis 20 Teilnehmern. Herzlichen Dank. Frau M.“

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein Missverständnis. Das bezieht sich tatsächlich nicht auf den Wegfall von Maske und Abstand, sondern ich persönlich finde das muss natürlich jeder selber entscheiden, dass die allermeisten Menschen in Deutschland das Risiko in Kauf nehmen können, auf einer 2G oder 3G Veranstaltungen sehr gut gemacht ist, dorthin zu gehen und sich dem Restrisiko, was da ist, auszusetzen, insbesondere wenn es natürlich selber geimpft sind, also die Ungeimpften haben, das muss man ganz klar sagen, ein viel größeres Risiko. Das ist ja ohne Frage so. Ich selber finde auch nach wie vor, dass wir uns diese Freiheit auch leisten sollten, weil wir sonst, wenn wir diese letzte Sicherheit brauchen, dass wir auch bei einer 2G / 3G Veranstaltungen, die entsprechend geschützt ist, sagen: Ne das Risiko, was da übrig ist, das will ich auch nicht haben. Dann müssen sie noch ganz schön lange warten, bis sie sich wieder dahin trauen können. Weil mit diesen Impfstoffen, die wir jetzt haben, wird es da keine wesentlich größere Sicherheit geben. Das ist also so eine Grundsatzfrage: wieviel Lebensrisiko nehmen wir in Kauf oder andersrum wie stark wollen wir uns von diesem winzigen Mistkerl einschränken lassen, der da als Virus gerade zirkuliert? Das muss jeder ein bisschen selber entscheiden. Ich finde, wenn man jetzt keine besonderen Risikofaktoren hat, ist das Restrisiko,

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zum Beispiel enger zusammen zu sein bei einer 2G Veranstaltung oder 3G Veranstaltung ist vertretbar. Und das heißt, die Antwort auf die Frage: kleine private Veranstaltung zehn bis 20 Teilnehmer das ist aus meiner Sicht kein Problem. Ich bin deshalb gegen 2G im Gegensatz zu 3G aus zwei verschiedenen Gründen: der eine ist: Die 2G Veranstaltungen sind häufig so, dass man die Nachverfolgung überhaupt nicht mehr gewährleistet. Zum einen, dass man sie gar nicht vorhat. Zum anderen aber, dass man sagt da können Hunderte und Tausende von Menschen zusammenkommen, ist uns egal, die sind doch geimpft oder genesen. Das halte ich für ein erhebliches Risiko, einfach epidemiologisch. Und das andere ist, dass ich rein medizinisch sagen muss: Jemand, der eben frisch getestet ist, ist für so eine Alltagsveranstaltung, Freizeitveranstaltung genauso sicher wie jemand, der geimpft ist im Prinzip, als was das Risiko für andere betrifft. Er selber ist natürlich gefährdet, und deshalb gibt es für mich keinen Grund, die auszusperren und ich finde, wenn Sie so, wollen unfair und auch nicht richtig, da so einen gesellschaftlichen Dissens herbeizuführen, indem man sagt: ihr müsst draußen bleiben. Das sind aber andere Gründe, als die, die hier genannt wurden. Ich finde, man kann so eine Veranstaltung natürlich ohne Maske und ohne Abstand machen. Wenn die Leute alle 2G sind, falls da jemand dabei sein sollte, der jetzt wirklich, sagt der 80-jährige Oper mit COPD oder sonstwas sitzt auch dazwischen muss man halt überlegen, ob man den, wenn es jetzt gerade Richtung Weihnachtsveranstaltungen und so weiter wieder geht, ob man den bisschen extra schützt. Ja, der muss ja dann nicht unbedingt mit den kleinen Kindern zusammen die ganze Zeit im Auge in Auge sitzen.

19:02

Camillo Schumann

Muss Opa selbst Weihnachten 2021 alleine verbringen.

Alexander Kekulé

Ich habe mich reden gehört vor einem Jahr, da habe ich so etwas Ähnliches gesagt. Witzig, dass Ihnen das, glaube ich, auch aufgefallen ist.

Wissen Sie, der Unterschied ist der, wir jammern jetzt schon auf höherem Niveau. Also, wir haben einfach das Risiko um einen Faktor zehn reduziert, da ist schon mal ein riesiger Dämpfer drinnen, wenn Sie so wollen. Aber trotzdem auf diesem neuen Sicherheitsniveau wollen wir ja trotzdem dann auch noch mal eine Stufe besser werden. Und das heißt nicht, dass der Opa alleine da unterm Weihnachtsbaum sitzen muss. Aber man kann halt überlegen, wenn man ihm dann noch mal eine Sicherheit geben will, dass man da, wo er sitzt, halt, vielleicht machen Sie nicht dahinter das Fenster auf, das ist noch viel schlimmer, wenn es zieht. Man muss halt überlegen, ob man was machen kann, um jetzt so eine extreme Exposition zu vermeiden.

Camillo Schumann

Ja aber der Opa ist doch geboostert, dann haut das doch hin.

Alexander Kekulé

Ja, wenn der Opa frisch geboostert ist, dann ja. Und man kann natürlich noch mehr machen. Man kann auch mal Antikörpertests machen. Wir wissen inzwischen, dass diese Antikörpertests ganz gut mit der Immunität korrelieren, zumindest wenn sie hoch sind. Wenn die Antikörper niedrig sind, heißt es sozusagen nix. Aber wenn sie hoch sind, ist man ganz gut geschützt. So etwas kann man sich auch überlegen, wenn man jetzt an so Festivitäten denkt.

20:21

Camillo Schumann

Apropos Antikörpertest Herr S. hat gemailt, er schreibt:

„Ich war im Mai 2021 an Corona erkrankt. Ich habe aktuell einen BAU-Wert von 1780. Ab November gelte ich als ungeimpft. Ab 45 BAU oder sei man geschützt. Ist in meinem Fall eine Impfung sinnvoll? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja also, diese BAU-Werte sind die neuen vereinheitlichten Antikörperwerte. Es gibt ja ganz viele Tests, die unterschiedliche Outputs haben. Da ging es früher bei manchem bis zigtau-

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send hoch, bei anderen war der Höchstwert irgendwo unter tausend. Und jetzt hat man diese Werte, um die verschiedenen Testverfahren so ein bisschen zu vergleichen. So ganz perfekt ist es nicht. Und ja, man kann sagen, wenn diese bindenden Antikörper Units, die Binding Antibodyunits. Wenn die bei 50/45 sind, dann gilt es als geschützt. Das würde ich jetzt nicht auf die Goldwaage legen. Aber so die Größenordnung ist sicher richtig. Und deshalb kann man mal grundsätzlich sagen: ja jemand, der erstens an Corona erkrankt ist und der zweitens jetzt noch ganz guten Antikörperwert hat, der muss sich nicht impfen lassen. Das ist ja so ein Punkt, wo die Wissenschaft einfach sich weiterentwickelt hat, wenn man so will. Einige haben schon von vornherein gesagt, dass es in die Richtung geht. Aber inzwischen sind die Daten eindeutig, das mit den sechs Monaten nach der Infektion, dass solange nur der Schutz gelten soll. Das ist Unsinn. Das ist mal ins Gesetz reingeschrieben worden. Damals musste man ja irgendetwas reinschreiben. Und da hat man gesagt: wir wissen es nicht genau, schreiben wir erst einmal sechs Monate rein. Jetzt, wo diese Frist für viele abgelaufen ist, meine ich schon, dass man das noch einmal überdenken sollte. Warum soll sich jemand jetzt unbedingt impfen lassen, der wie in diesem Fall einen guten Antikörper-Titer hat und die Krankheit durchgemacht hat? Da gibt es eigentlich medizinisch keine Begründung für. Epidemiologisch schon gar nicht. Und deshalb meine ich, müsste man da eher mal das Gesetz nachschärfen. Aber es ist natürlich so, dass Herr S. das weiß er selber wenn er sich jetzt nicht impfen lässt, dann wird er natürlich Trauer tragen, wenn er irgendwo offenen 2G Weihnachtsmarkt will oder Ähnliches.

Camillo Schumann

Frau A. aus Thüringen hat angerufen

„In Thüringen dort wie ja nun zur Booster-Impfung der Abstand auf fünf Monate verkürzt. Ob er das auch als richtig anerkennt? Das wäre mal interessant zu wissen, weil das ist ja eine politische Entscheidung.“

Er sind Sie übrigens!

Alexander Kekulé

Also. Erstens ich finde alle politischen Entscheidungen richtig. Ich muss immer aufpassen. Es gibt da immer mal wieder Leute, die anrufen und sagen: bei uns ist das und das entschieden worden. Ist das so richtig? Also, da sitzen ja immer Expertengremien. Und da sitzen Leute, die wirklich gut sind, die die Regierungen in beraten. Das hat sich natürlich im Lauf der Monate und Jahre, der Pandemie jetzt auch optimiert. Inzwischen gibt es sehr, sehr viele Leute in Deutschland, die sich mit so etwas gut auskennen. Deshalb ist es grundsätzlich so: irgendeinen Sinn haben die meisten Regelungen. Außer sie sind ebenso eine Altlast wie das mit den sechs Monaten, was wir gerade besprochen haben. Ja, und hier ist der Hintergrund: also wir wissen es gibt zwei, wenn man so will zwei Begründungen für das Boostern. Der eine ist ein Teil der insbesondere älteren Menschen reagiert nicht richtig auf die Impfung. Das sind die Non-Responder, den Nicht-Reagierer. Und das könnte man eigentlich theoretisch gleich nach zwei, drei Wochen feststellen, wenn man Antikörper abnimmt, würde man sehen: Hups da ist gar nichts passiert oder zu wenig passiert. Und bei denen wäre es eigentlich sinnvoll, die sofort zu Boostern. Das ist eigentlich das Hauptproblem bei den Älteren, dass ein Teil nicht richtig reagiert, die bräuchten im Grunde genommen eine dritte Impfung. Das würde man dann eigentlich dritte Impfung bei der Grundimmunisierung nennen. Das hätte jetzt technisch gar nicht den Effekt eines Boosters, sondern das würde einfach die Grundimmunisierung vervollständigen. Wir wissen aber nicht, wer das ist. Und deshalb ist eben ganz allgemein empfohlen, ab 70 sich die dritte Impfung zu machen. Und wie Sie wissen, empfehle ich die schon ab 60. Und ich glaube auch, dass die STIKO da sehr bald nachziehen wird.

Das andere Phänomen, was wir haben, ist, dass alle Menschen, wenn sie geimpft wurden oder die Krankheit gemacht haben, im Lauf der folgenden Monate so langsam die Antikörper verlieren. Das ist individuell sehr unterschiedlich. Aber wenn die Antikörper früher mal auf

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einem hohen Status waren, dann ist das eigentlich kein Grund, sich jetzt beunruhigen zu lassen. Weil wenn die vorher gut waren und dann verschwinden, dann werden die einfach vom Immunsystem sozusagen wieder weggeräumt, weil man sie gerade nicht braucht. Das ist nur ökonomisch. Falls das Virus dann kommen sollte, kann über die Gedächtniszellen ganz schnell das Immunsystem wieder reaktiviert werden. Also man ist trotzdem immun, und deshalb ist es völlig logisch – aus dem Grund hat man in Thüringen eben gesagt kürzerer Abstand ist gut, weil wir dann diejenigen, die beim ersten Mal nicht reagiert haben also das zielt auf die Gruppe der Non-Responder ab, weil wir die dann kürzer ungeschützt lassen, weil jemand der gar nicht reagiert hat, ist ja so lange, bis er die dritte Impfung bekommt, dann letztlich nicht ausreichend geschützt und diesen Abstand, den verkürzt man, indem man das dann von sechs auf fünf Monate setzt, könnte man genauso gut auf drei Monate runter gehen, das wäre eigentlich noch besser.

25:39

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 240. Kekulés Corona-Kompass Hörer-Fragen-Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Nächste Woche haben Sie das große Vergnügen mit meinem Kollegen Tim Deisinger. Ich mache eine Woche Urlaub an der Ostsee. Wir hören uns dann am 16. November wieder bis dahin. Bleiben Sie gesund!

Alexander Kekulé

Ja. Bleiben Sie auch gesund. Passen Sie auf sich auch auf. Auch das Meer birgt ja so seine Gefahren.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell

rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 04. November 2021 #239

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zur Sendung:

ƒƒ Fluvoxamin hilft gegen Covid-19 (25.10.) Studie: https://www.thelancet.com/journals/langlo/article/PIIS2214-109X(21)004484/fulltext#seccestitle10

Donnerstag, 04. November 2021

Die Zahl der Neuinfektionen erreicht einen neuen Höchststand. Die Bundesländer reagieren mit verschärften Maßnahmen. Reichen die aus oder wäre ein Lockdown sinnvoll?

Außerdem: Zwölfjähriges Kind stirbt zwei Tage nach zweiter BioNTech-Impfung. Wie ist dieser Fall einzuordnen?

Dann: Ein Antidepressivum verhindert schwere Verläufe und Todesfälle. Ist dieses Medikament eine Alternative zur Impfung?

Und: Sollte sich ein 16-Jähriger mit überstandener Herzmuskelentzündung eine Auffrischungsimpfung geben lassen?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

01:07


Camillo Schumann

Ja, das aktuelle Infektionsgeschehen, das sieht nicht gut aus. Das Robert-Koch-Institut hat heute mit knapp 34.000 Neuinfektionen einen neuen Höchststand gemeldet. Etwas mehr als am 18. Dezember 2020, dem Tag des zuletzt registrierten Höchstwertes. Wegen des Feiertages Allerheiligen könnte es Nachmeldungen gegeben haben. Aber nichtsdestotrotz ist die Entwicklung ziemlich eindeutig. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 154,5. 165 neue Todesfälle wurden innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Und noch eine Zahl: Knapp 2300 Menschen werden mit Covid-19 auf einer Intensivstation behandelt. Etwa so viele wie vor einem Jahr. Herr Kekulé, schlechtes Wetter, schlechte Zahlen, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das ist leider so. Die Hoffnung, wenn ich das so sagen darf, ist natürlich, dass das hauptsächlich die Ungeimpften betrifft. Schlecht für die Ungeimpften, aber trotzdem muss man sagen: Das wäre dann sozusagen eine überschaubare Zahl von Personen, die sich da noch anstecken und so schwer erkranken kann. Je höher der Anteil von diesen schweren Verläufen bei den Geimpften ist, desto mehr Sorgen müssen wir uns natürlich machen. Und da hoffe ich sehr, dass, wenn wir in einer Situation sind, dass die Durchseuchung und die Impfung halbwegs die ganze Gesellschaft dann betreffen, dass wir dann weniger schwere Verläufe bekommen und diese Erkrankungszahlen wieder runtergehen. Das ist übrigens durchaus möglich, auch im Herbst. Also, ich weiß es nicht, ich mache da ja absichtlich natürlich keine Prognose. Aber es ist nicht auszuschließen, dass wir in den nächsten Wochen bei einer relativ hohen Inzidenz einen Rückgang der schweren Verläufe haben werden.


Camillo Schumann

Also, sozusagen direkt in der Welle geht es dann runter, obwohl man eigentlich das Gegenteil vermuten würde?


Alexander Kekulé

Ja, das hatten wir eben in England gesehen. Da war das ganz erstaunlich. Da war dann phasenweise die Inzidenz extrem hoch – auch in Israel gab es so eine Phase – wo dann die schweren Verläufe und die Hospitalisierungen runtergegangen sind, weil man so eine Art Sättigungseffekt hatte letztlich. Und dann die Zahl derer, die ungeimpft betroffen waren, eben dann so klein geworden ist, dass es sozusagen nur noch oder hauptsächlich Geimpfte betraf. Damit ist das Problem nicht vom Tisch, das ist völlig klar. Aber das hat dann zur Folge, dass unter Umständen die Hospitalisierung wieder runtergeht.


03:25

Camillo Schumann

Weil Sie das Beispiel Großbritannien gebracht haben und auch Israel: Wie schnell könnte denn dieser Effekt eintreten, dass dann sich die Ungeimpften quasi infiziert haben und dann nur noch – in Anführungszeichen – „die Geimpften“ sich infizieren und möglicherweise auch hospitalisiert werden? Also, ist es – ich sage es jetzt mal ein bisschen salopp und böse und überspitzt: Also, ist es nicht sogar von Vorteil, dass es jetzt so eine hohe Inzidenz in manchen Landkreisen gibt?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja das, was Boris Johnson so gesagt hat. Der nannte das eben die Exit Wave. Und ich glaube, ein bisschen selbstironisch war er da schon dabei mit seinem Brexit. Aber natürlich weiß man nicht, wie schnell das geht. Aber es war tatsächlich im Vereinigten Königreich relativ zeitnah. Also, das kann man sich ja ganz praktisch vorstellen: Es ist natürlich nicht so, dass dann alle Ungeimpften quasi durchimmunisiert werden. Sondern, es ist so, dass bestimmte Gruppen, Bevölkerungsanteile sozial besonders aktiv sind. Und die, die da aktiv sind und sich exponieren, ungeimpft sind, die haben dann halt irgendwann das Virus natürlich abgekriegt bei so einer hohen Inzidenz. Das ist dann ein selbstverstärkender Mechanismus. Und in dieser, sage ich mal, Blase oder Subpopulation flaut dann die Infektion wieder ab. Ich weiß aber nicht, ob es so ist, und ich weiß auch nicht, ob es so kommt. Deshalb würde ich davor warnen, darauf zu setzen, dass bei uns die Entwicklung da einen ähnlichen Verlauf nimmt, wie wir es in Großbritannien gesehen haben. Und fast wichtiger ist noch, dass wir auf jeden Fall regionale Unterschiede sehen werden. Vielleicht wird es in einigen Bereichen so sein, wie ich es jetzt hoffe oder als, sage ich mal, Best Case skizzieren kann. Aber wir haben natürlich dann immer auch andere Regionen in Deutschland, wo der Worst Case eintritt. Und das ist eben dann die regionale Überlastung der Kliniken.


05:14

Camillo Schumann

Einzelne Bundesländer, wie z.B. Baden-Württemberg, verschärfen jetzt ihre Maßnahmen genau deswegen. Ab sofort wird es im Ländle kein Schnitzel mehr ohne PCR-Test geben. Das heißt: In BaWü gilt ab sofort 3G. Geimpft, genesen und getestet. Der Test muss ein PCRTest sein, den man dann auch selbst zahlen muss. Da kostet dann am Ende so ein Schnitzel 100 Euro. Der Druck auf die Ungeimpften wird größer: Wer die Impfung nicht hat, darf sich auch nur mit maximal fünf weiteren Ungeimpften treffen. Sie haben sich dieses Konzept mal angeschaut. Was halten Sie davon?


Alexander Kekulé

Ja, also, das hat viele Schwächen. Das muss man ganz klar sagen. Das eine ist, mal so grundsätzlich: Ja, das ist nett, wenn man eine PCR hat. Die ist natürlich zuverlässiger als der Antigen-Schnelltest. Wobei ja diese höhere Zuverlässigkeit schon ein bisschen mit abgefangen wird in den Verordnungen, weil man sagt: Die PCR gilt 48 Stunden und der AntigenSchnelltest normalerweise nur 24 Stunden. Dadurch hat man da wieder so einen Unsicherheitsfaktor auf der zeitlichen Strecke eingebaut. Was man auch betonen muss, ist, dass ja, wenn der Antigen-Schnelltest negativ ist – nehmen wir mal an, er wird richtig gemacht – dann ist die Wahrscheinlichkeit schon sehr hoch, dass, falls da doch ein Virus vorhanden sein würde, das in so kleiner Konzentration ist, dass der Schnelltest das einfach nicht mehr erfasst hat. Also, der Schnelltest korreliert besser als die PCR eigentlich mit dieser Infektiosität. Und deshalb ist jetzt der Übergang von AntigenSchnelltest auf PCR – ja, der gibt ein zusätzliches Sicherheitsniveau, das ist richtig. Die Frage, die man sich wirklich nur stellen muss, ist: Ist das bei so Freizeitveranstaltungen, Privatbedarf notwendig? Ist das da gerechtfertigt? Da habe ich so meine Zweifel.


Camillo Schumann

Warum?

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Alexander Kekulé

Naja, weil: Es sind eben zusätzliche Kosten, die da entstehen für die Menschen. Die Anforderung ist ja letztlich die, dass man jetzt einen Test macht, der durchaus im Krankenhaus oder im Altenheim angezeigt wäre. Aber man verlangt den jetzt für einen Zugang zum normalen Leben. Und Sie haben ja gerade schon gesagt: Die Preise, die da aufgerufen werden, sind z.T. nicht im Verhältnis, sodass ich finde – wissen Sie, wir haben insgesamt ja ein Restrisiko, mit dem wir leben. Wir haben die Immunisierten und die Geimpften, die ja in einem Zustand sind, wo sie auch noch andere anstecken können, sodass die Frage ist: Welches Ziel haben Sie vor Augen? Haben Sie letztlich immer noch so dieses Gespenst der Herdenimmunität oder diese Utopie, besser gesagt, der Herdenimmunität vor Augen? Da kann ich nur sagen: Das sollte man langsam mal vergessen. Ich weiß, dass geistert noch durch viele Bestimmungen durch, auch durch die jetzt in Baden-Württemberg. Da sieht man richtig, dass die Autoren irgendwie noch an so etwas wie Herdenimmunität geglaubt haben. Aber das gibt es ja nicht, seit wir wissen, dass es so viele Impfdurchbrüche auch gibt. Und wenn Sie das nicht vor Augen haben, dann geht es ja nur noch um den Individualschutz. Und der Individualschutz wiederum, da kann man meines Erachtens nicht in einem Staat – und das ist auch nicht in Deutschland üblich – in einem Staat den Menschen vorschreiben, dass sie sich selber schützen müssen. Und deshalb sehe ich nicht wirklich, mit welcher Begründung man diese letzte Reserve ziehen muss. Also, wenn man da einen Unterschied hat zwischen Antigen-Schnelltest und PCR, dann verschwimmt der in dem allgemeinen Lebensrisiko, was wir in der Pandemie haben, sowieso. Und deshalb glaube ich nicht, dass das irgendwas bringt außer Mehrkosten und schlechte Stimmung bei der Bevölkerung.


08:52

Camillo Schumann

Okay. Also, wenn 3G, dann Schnelltest mit einer kürzeren Zeit. Also, vielleicht zwölf Stunden, oder so?


Alexander Kekulé

Ja, wie das gehabt ist. Ich finde, wir haben ja eigentlich ein ganz gutes Verfahren bei dem 3G-Verfahren. Das ist ja eine andere Schwäche dieser Bestimmungen in Baden-Württemberg – und das wird woanders so ähnlich sein: Bei 3G oder 2G ist man ja grundsätzlich auf der sicheren Seite, wenn man die Nachverfolgung sichergestellt hat. Und Nachverfolgung sicherstellen heißt eben: Das dürfen keine Riesenveranstaltungen sein, wo Sie im Falle eines Ausbruchs – das haben wir ja im Zusammenhang mit Berghain in Berlin mal besprochen – wenn Sie im Falle eines Ausbruchs keine Chance mehr haben, mitzubekommen, wer wen möglicherweise angesteckt hat und auch nicht schnell genug sind, die Leute dann in Quarantäne zu bringen. Und deshalb finde ich es sehr gefährlich, dass das – insbesondere das 2G – dann ja so funktioniert, dass man sagt: Okay, in diesem Fall dürft ihr die Masken wegtun. Und es gibt keine Höchstzahlen mehr. Es gibt keine Maximalzahlen, die zulässig sind oder erst ab zehn Tausenden von Teilnehmern wird das dann sozusagen eine Veranstaltung, die dann genehmigungspflichtig ist und besondere Auflagen hat. Da geht einem das aus dem Ruder. Also, so kann man das nicht machen, weil: Da wird völlig ignoriert, dass natürlich Geimpfte und Genesene auch das Virus weitergeben können. Und dass Sie auch da die Möglichkeit der Nachverfolgung haben müssen. Darum glaube ich, dass das ganze Konzept so eine Schieflage hat. Und wenn man sich das anschaut, dann – ganz ehrlich gesagt – wundert es nicht, dass die Fallzahlen so drastisch hochgehen.


10:25

Camillo Schumann

In Sachsen wird z.B. darüber nachgedacht, auch ab Montag 2G überall einzuführen. Gastro und auch Kulturveranstaltungen etc. Und dort ist die Überlegung, dass 2G plus Maske, z.B. bei Kulturveranstaltungen, weiterhin dann verpflichtend ist.


Alexander Kekulé

Ja, also, das finde ich schon eher sinnvoll. Wobei ich jetzt nicht nur 2G unterstreichen würde, sondern: Man muss sich ab einem bestimmten Punkt, wenn die Inzidenz sehr hoch ist, überlegen, ob man Veranstaltungen ab einer gewissen Teilnehmerzahl dann mit der Maske zusätzlich macht. Das kommt für mich auf die Teilnehmerzahl oder eben letztlich auf die Nachverfolgbarkeit an. Immer, wenn ich weiß, ich habe eine Veranstaltung, wo ich im Falle eines Ausbruchs in der Lage bin, das hinterher wieder einzufangen – sprich: Mein Lieblingsbeispiel ist immer der Tanzkurs, wo man ja in der Regel noch weiß, mit wem man getanzt hat. Oder man hat mit jedem einmal. Dann ist es aber trotzdem so: Dann haben Sie, was weiß ich, 40 Leute oder sowas, die da teilnehmen. Die haben bezahlt und sind deshalb namentlich registriert und die kennen sich dann auch in der Regel alle. Und innerhalb weniger Stunden können Sie dann eine Alarmierung machen, dass jeder weiß: Da gab es einen positiven Fall. Da gibt es ganz viele ähnliche Beispiele, die so funktionieren. Und das krasse Gegenbeispiel ist eben: Sie sitzen irgendwo im Theater und wissen überhaupt nicht, wer hinter Ihnen und vor Ihnen sitzt. Und da ist es dann meines Erachtens, weil man die Nachverfolgung nicht gewähren kann, eben notwendig, die Maske zu haben. Aber das spielt keine Rolle, ob Sie da 2G oder 3G machen. Und meines Erachtens ist der Fehler, der in dem ganzen politischen Konzept drinsteckt – den man auch in Baden-Württemberg sieht und Sachsen will es jetzt kopieren, Bayern hat auch schon angedeutet, dass sie in die Richtung denken – dass man immer sagt: Ja, wenn die Inzidenz höher ist, dann müssen wir auf 2G umschalten. Da ist immer noch diese Idee dahinter, dass 2G jetzt wesentlich sicherer wäre als 3G. Dabei ist natürlich jemand, der sich kurz vorher getestet hat, vor so einer Veranstaltung, der ist bezüglich so einer Freizeitveranstaltung genauso sicher oder unsicher wie die anderen, weil ja auch die Geimpften natürlich eine gewisse Quote haben, wo die Impfung nicht funktioniert hat und sie dann trotzdem im Prinzip des Virus ausscheiden können.


12:35

Camillo Schumann

Aber: Was tun? Ich meine, das ist ein absolutes Dilemma. Das würde ja dann dazu führen, dass man sagt: Okay – wie es z.B. der Landkreis Bautzen macht. Der sagt z.B. jetzt: Schließt die Behörden. Und sagt: Nur noch persönliche Termine in Ausnahmefällen. Mal Hand aufs Herz, um jetzt nicht in eine erneute Katastrophe zu schlittern: Kurzer, harter Lockdown?


Alexander Kekulé

Ich glaube, das mit dem Lockdown wird nicht funktionieren. Der wichtigste Grund ist natürlich, dass die Menschen das nicht mehr mitmachen würden und die ganze Politik schon die Weichen in eine andere Richtung gestellt hat. Die diskutieren ja sogar über die Aufhebung der epidemischen Lage oder das Auslaufenlassen der bundesweiten epidemischen Lage. Wir wissen ja nicht wirklich, wo sozusagen hier die Reise hingeht und wo unsere Schmerzschwelle ist. Also, wir haben eine hohe Inzidenz, ja. Aber die Inzidenz alleine ist natürlich berechtigterweise kein Grund mehr für einen Lockdown an der Stelle. Ich würde sagen: Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nicht sagen, dass wir jetzt sozusagen die absolute rote Ampel vor uns haben und einen Lockdown machen müssen. Man muss aber auch sagen, dass, wenn die Strategie so weiterfährt, insbesondere diese überhaupt nicht zu begründende Präferenz für 2GVeranstaltungen in unbegrenzter Höhe ohne alle Sicherheitsmaßnahmen – nur, weil 2G schützen soll und weil man die Leute für die Impfung belohnen will. Wenn das also so weitergeht und man da nicht sich das nochmal überlegt an der Stelle, insbesondere dann auch bei 2G. Unter 2G-Bedingungen natürlich Stichproben braucht, die man testet, um zu sehen, ob es da Ausbrüche gegeben hat. Dann können wir rein theoretisch tatsächlich in dieser Winterwelle in eine Situation laufen, wo dann die Krankenhäuser so voll wären, dass man keine andere Option mehr hat als einen Lockdown. Und das ist natürlich jetzt der Teufel an die Wand gemalt. Ich will da auch jetzt nicht irgendwie irgendjemandem Angst machen. Aber wir haben das in Deutschland ja schon ein paar Mal geschafft. Was weiß ich mit Entsetzen jeweils gesehen habe. Wenn ich mich an die Situation in der ersten Welle erinnere, da war es ja wirklich so: Der Lockdown war absolut vermeidbar, wenn man früher reagiert hätte. Aber da wurde so lange irgendwie das Problem quasi mit der Kopf-in-den-Sand-Technik bearbeitet, bis man dann eben nichts anderes mehr machen konnte als den Lockdown. Und wenn wir hier im Winter jetzt wieder so einen Fehler machen, dass wir einfach von dieser Position: Geimpfte sind keine Überträger, die dürfen alles machen, nur die bösen Ungeimpften sind schuld. Und wenn es nicht funktioniert, dann gehen wir von 3G auf 2G, dann wird es schon besser werden. Wenn man diesen Weg weitergeht, dann riskiert man den nächsten Lockdown. Ja, das kann man so sagen.


15:23

Camillo Schumann

Am Beispiel Sachsen sieht man das ganz gut. Da tritt ja am Wochenende die Vorwarnstufe ein. Das heißt, dass sozusagen die erste Stufe der Überlastung der Kliniken erreicht ist. Also, 180 Covid-Patienten sind jetzt auf Intensivstationen. Das ist die Grenze. Jetzt sind es nämlich 230. Und die Covid-Fälle auf Intensivstationen in Sachsen haben sich in den vergangenen vier Wochen verfünffacht. Und wenn man sich überlegt: Mit dieser Dynamik, die ja jetzt auch entsteht – wir haben über die Inzidenz ja gesprochen, dort in diesen Bundesländern – ist der nächste Schritt der Überlastung der Intensivstationen ja auch nicht mehr weit. Und dann steht man da und muss ja wieder überlegen. Und wenn man dann mit 2G um die Ecke kommt, ist ja auch ein bisschen schwierig, oder?


Alexander Kekulé

Das reicht dann einfach auch nicht. Zumal es kein, wenn ich mal so sagen darf, kein Gegenmittel ist. Was Sie gerade gesagt haben ist ganz wichtig: Also, es gibt ja in Baden-Württemberg, in Sachsen – da ist es sicher ähnlich – da gibt es ja diese Warnstufen. Ob das jetzt eine Ampel ist oder anders heißt – dann eben Basisstufe, Warnstufe, Alarmstufe. Das eine, was man sich klarmachen muss bei diesen ganzen Betrachtungen, ist: Diese Regelungen basieren nicht mehr auf der Inzidenz. Die Inzidenz ist ein sehr empfindlicher Zeiger, wenn man so sagen will. Der zittert mal rauf und mal runter. Das ist so ähnlich wie im Auto die Geschwindigkeit, wenn Sie aufs Gas gehen – oder der Tourenzähler im Auto, vielleicht noch besser – wenn Sie Gas geben, dann dreht das sofort hoch. Und wenn Sie vom Gas wieder runtergehen, geht das wieder runter. Wissen zumindest diejenigen, die noch nicht Elektroauto fahren. Und es ist so, wenn Sie aber die Tankanzeige anschauen, ja, dann ist es ganz schwer zu erkennen an der Tankanzeige, wie schnell Sie fahren, wie viele Kilometer Sie schon gefahren sind usw., weil das ein extrem träger Zeiger ist. Bis Sie da merken: Ups, mein Benzin ist ja alle, ist es manchmal schon fast zu spät. Moderne Autos haben da was Digitales, was Sie warnt. Aber ich kann mich erinnern an meine Jugend. Da bin ich schon das eine oder andere Mal aus dem Grund mit dem Kanister zur nächsten Tankstelle gepilgert. Was heißt das hier? Wir haben jetzt einen extrem trägen Zeiger und wir müssen einfach uns darüber im Klaren sein: Wenn erstmal die Krankenhauseinweisungen hochgehen oder die Sterblichkeiten, dann ist es so, dass wir einen Prozess haben, den man auch nicht so schnell wieder bremsen kann. Das ist ein Tanker, der langsam wieder bremst. Und da haben wir auch nicht mehr viel Zeit, zu reagieren, weil alles, was wir dann machen, eben erst mit der entsprechenden Verzögerung – Sie wissen, es dauert eine Weile von Infektion bis Krankenhaus und Tod. Und mit der entsprechenden Verzögerung passiert dann auch alles, hat dann alles Effekte, was wir an Maßnahmen ergreifen. Und deshalb ist es durchaus gefährlich, mit diesen trägen Indikatoren zu arbeiten und dann ganz kurzfristig erst zu beschließen, dass man politische Maßnahmen ergreift. Heißt hier im konkreten Fall: Wenn es eben so ist, dass man in kürzester Zeit – die Zahlen haben wir ja gerade gehört – von der Basis auf die Warnstufe geht, dann kam man doch mit gesundem Menschenverstand extrapolieren und sagen: Das wird in der nächsten Zeit auch die Alarmstufe reißen. Dann ist es unter Umständen, bei so einem trägen, sage ich mal, Alarmsystem, gar nicht so gut zu warten, bis dann wirklich genau die Marke erreicht ist und dem Zeiger zuzuschauen, wie er langsam hochklettert. Sondern: Es ist dann sicher besser, vorher schon Maßnahmen zu ergreifen.


18:39

Camillo Schumann

Nochmal die Frage: Was machen wir dann? Lockdown?


Alexander Kekulé

Ja, also, ich bin sehr zögerlich beim Lockdown, weil ich einfach nicht weiß, wieviel Puffer wir haben durch die Impfungen. Also, ich habe ja mal so ein bisschen sportlich gesagt – mit Blick auf die Zahlen in England am Anfang: 500 ist die neue 50 bei der Inzidenz. Inzwischen, wenn man sich jetzt die Entwicklung in Großbritannien anschaut, sieht man: Faktor 10 ist vielleicht ein bisschen zu großzügig. Vielleicht ist 250 die neue 50. Aber trotzdem: Irgendwo in dem Inzidenzbereich, wenn wir da ankommen, sind wir wieder in einer ähnlichen Lage wie damals, als dann die Kliniken an der Grenze der Überlastung waren. Und wo dann ganz klar ein Lockdown nicht vermeidbar war. Ich selber finde, in der jetzigen Situation ist es auch nicht durchsetzbar. Wissen Sie, es gibt ja viele andere, selektivere Maßnahmen, die besser wären. Also, wir müssen die Impfung, der über 60-Jährigen, die noch ungeimpft sind – das sind ja knapp 3 Mio. noch – das müssen wir dringend voranbringen. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass in den Altenheimen weniger Menschen sterben. Und da haben wir ja noch sozusagen To-do-Listen, die gar nicht erledigt sind. Ich glaube, wenn wir uns auf die stärker konzentrieren würden, haben wir eine Chance, das noch abzuwenden, dass man Lockdowns braucht.


20:06

Camillo Schumann

Okay, dann wollen wir uns auf diese To-do-Listen jetzt noch mal kaprizieren. Wie kann das – Sie haben es schon gesagt – das Sterben in den Altenheimen beendet werden? Täglich gibt es ja Berichte von Bewohnern in Altenund Pflegeheimen, die nach einem Corona-Ausbruch gestorben sind, obwohl sie geimpft waren. Häufig gibt es da noch die Info dazu, dass das Personal nicht komplett geimpft ist. Die Quote teilweise so um die 50 %. Wir hatten ja am Dienstag über so einen Fall in Brandenburg gesprochen. Sie hatten als Konsequenz eine Impfpflicht für Personen gefordert, die mit Risikopersonen arbeiten, also für Pflegepersonal in Altenheimen. Wir haben dazu mehrere Anrufe, E-Mails von Hörerinnen und Hörern erhalten und viele waren, ich sage mal, überrascht über Ihre klare Forderung und haben Fragen. Wir wollen mal ein, zwei beantworten. Wie 


z.B. von diesem Anrufer:

„Sehr geehrter Herr Prof. Kekulé, ich habe mit Interesse Ihr Plädoyer für eine Impfung in Pflegeheimen verfolgt bei der Sendung am Dienstag. Jetzt würde mich aber Folgendes interessieren: Wenn nun auch Geimpfte das Virus weitergeben können, warum kommt es dann so entscheidend auf die Impfung an?“


Auch unsere Hörerin Frau M. hat gemailt. Sie spricht von einer Überhöhung der Impfung.

Also: Warum ist die Impfpflicht so wichtig, wenn doch die Wirksamkeit nun offenbar nicht so groß ist wie angenommen?


Alexander Kekulé

Das kommt sozusagen auf den grundsätzlichen Status der Pflegenden an. Also, ich bin ja immer dafür – auch in anderen gesellschaftlichen Situationen – dass man sagt: Wahlfreiheit ist die Regel. Also, der Grundsatz heißt für mich: Wenn man keine Impfpflicht hat – und da bin ich auch generell dagegen – dann ist die Wahlfreiheit die Regel. Das heißt also, dass man 3G plus Nachverfolgung statt 2G hat, dass man kostenlose Schnelltests hat, dass man die Leute, die nicht geimpft sind, auf keinen Fall diskriminieren darf. Meines Erachtens auch nicht finanziell benachteiligen soll – also, Lohnersatz bei Quarantäne ist da das Stichwort. Und es gibt auch keine Pflicht bei uns – das ist ethisch schon oft durchdiskutiert worden – dass der Mensch die eigene Gesundheit schützen muss. Also, man kann niemanden zur Impfung zwingen, damit er sich selbst vor Infektionen schützt. Sondern: Das kann immer nur begründet werden mit dem Schutz vor anderen. Und wir haben aber hier jetzt in den Altenheimen natürlich die Situation – das ist ganz klar: Es geht, um den Schutz der zu Pflegenden. Und wir stellen fest, dass der unvollständig ist. Und wir stellen fest, dass es so ist, dass das Pflegepersonal massiv unvollständig geimpft ist. Sie haben gesagt: Bis zu 50 %. Landesweit, habe ich gehört, ist es so, dass in Brandenburg angeblich – sagt, glaube ich, die Ministerin – 70 % der Pflegenden geimpft seien. Das ist aber 70 % im Vergleich zu 77 % der Erwachsenen, die sonst geimpft sind. Da ist die Impfquote geringer als die im Durchschnitt der Erwachsenen in Deutschland. Und wenn Sie diese 50 % nehmen, dann wäre das ja noch alarmierender. Und jetzt muss man die Frage stellen: Wieso gibt es nicht sozusagen das mildere Mittel, wie dann der Verfassungsrechtler sagen würde? Die einfach alle zu testen und zu sagen: Okay, das ist die Alternative, FFP-Maske und testen. Ja, rein theoretisch wäre das eine Alternative, das muss man ganz klar sagen. Die Hörer, die sich diese Gedanken machen, die denken völlig richtig, fachlich gesehen. Also, wissenschaftlich stimmt das. Aber da ist wirklich so die Frage: Ist das flächendeckend praktikabel? Und da sage ich: Nein. Weil: Es ist so, wenn Sie daran

denken, Sie müssten dann losgehen schon mal bei den PCRs – das müsste man auf jeden Fall mit PCR machen, ich fordere schon lange, dass man für Altenheime und Personal im Krankenhaus, sofern es mit Risikopatienten zu tun hat, nicht den Schnelltest nehmen darf. Leider fordere ich das ohne Erfolg. Sondern stattdessen die PCR braucht. Eine andere Situation als bei Freizeitveranstaltungen. Sie müssten also die PCRs beibringen, bundesweit flächendeckend für alle Altenheime und alle Krankenhäuser, wo die häufig jetzt noch mit den AntigenSchnelltests machen. Die Arbeiten, die man mal schnell selber machen kann, wo auch wenig Kontrolle ist. Die ganze Logistik dafür steht nicht. Ich bezweifle nicht, dass wir in Deutschland in der Lage wären, die aufzubauen. Natürlich, das ist ja auch meine Forderung. Aber die Frage ist, wie schnell sowas praktikabel ist. Das andere ist: Das muss ja dann gemacht werden, es muss durchgeführt werden, es muss kontrolliert werden. Tägliche Tests – ja, das wäre sozusagen die Alternative – täglich PCR und Maske. Und da müsste man dann auch sagen: Was sind das für Masken? Also, wenn Sie so gucken, was in Deutschland verwendet wird, die sogenannten FFPs. Das ist etwas, was überhaupt nicht Krankenhaus-Standards entspricht. Also, das sind die Masken, die da in der U-Bahn und so getragen werden. Da bräuchten Sie also dann welche, die wirklich dicht sitzen. Und die müssten dann auch richtig aufgesetzt werden. Und dann wäre Schluss mit Nase frei, das ist völlig klar. Wer kontrolliert das? Und wenn Sie dann jetzt diese Schilderung aus dem Heim am Werbellinsee – das war natürlich nur die Spitze eines Eisbergs. Aber wenn man sich da die Schilderung anschaut, dass also der Heimleiter selber da dem ganzen Corona-Thema kritisch gegenüberstand und angeblich – aber ob das stimmt, dass er selbst infiziert zur Arbeit kam, kann man mal außen vorlassen. Aber da ist doch klar: Das Heim selber wird das nicht überall in Deutschland kontrollieren. Und da gibt es natürlich – ganz klar – viele, die wahnsinnig gewissenhaft sind, die sagen: Ich will mich halt nicht impfen lassen, darum nehme ich das in Kauf, dass ich jetzt diese Maske täglich anhabe, dass ich mich täglich teste. Und wenn die wollen, dass ich es mit PCR mache, mache ich auch gerne täglich PCR, aber nötigt mich nicht dazu,

mich impfen zu lassen. Und da ist ja der Vorschlag, den ich gemacht habe – das ist hoffentlich angekommen – der, dass man dann wirklich sagt, wenn jemand, aus welchen Gründen auch immer – weltanschauliche Gründe sind da ja ganz klar mit eingenommen – sagt, ich will das absolut nicht, dann soll das sozusagen die Alternative sein. Aber wenn Sie das nicht so haben, dass Sie als Regel haben: Die Impfung. Und dass Sie sagen: Okay, wir haben hier viele Geimpfte und einige wenige, die die Ausnahme sind. Dann wird das meines Erachtens nicht funktionieren. Das kann man vielleicht so erklären: Also, wenn Sie jetzt bundesweit geimpft haben, weil das einfach die Verpflichtung ist, dann ist die Basis des Schutzes ein Netz, was da ist. Und Sie haben da Löcher in dem Netz drin, dadurch, dass es einzelne nicht Geimpfte gibt. Diese Löcher stopfen Sie sozusagen, verschließen Sie mit besonderer Aufmerksamkeit, indem Sie eben dafür sorgen, dass diese einzelnen Menschen dann ein Spezialprogramm kriegen durch Masken und Tests. Der umgekehrte Fall ist ja, dass die Basis quasi die Löcher sind. Ja, also, da haben Sie überhaupt kein stabiles Netz als Basis und sind sozusagen nur am Löcher schließen. So wie jemand, der im Zelt ist. Ein kleines Loch im Zelt beim Camping können Sie mit Klebeband zumachen. Aber deswegen können Sie nicht sagen: Ich brauche nur Klebeband mitzunehmen, wenn ich zum Camping gehe, da baue ich mir dann irgendwie das Zelt. Also, ich will dieses stabile Netz haben als Basis.


27:03

Camillo Schumann

Aber ist es denn wirklich ein stabiles Netz? Weil: Die Hörer argumentieren ja auch so: Naja, gut, wir wissen doch mittlerweile, dass die Impfung zum einen mit fortschreitender Zeit nicht mehr besonders wirksam ist. Aber auch, dass ein Geimpfter das Virus auch in einem guten Maß weitergeben kann.


Alexander Kekulé

Beides ist nicht 100 % sicher, das ist völlig klar. Aber einer, der einmal geimpft wurde, ist einmal geimpft. Und wenn Sie dann sagen, rein theoretisch: Da gibt es ein 20 % Risiko – ich nehme jetzt mal irgendeine Zahl – 20 % Risiko, dass der doch jemanden ansteckt, der Geimpfte. Dann können Sie natürlich sagen: Jemand, der ordnungsgemäß getestet wurde usw. hat auch noch so ein Restrisiko, jemanden anzustecken. Das ist wahrscheinlich in der gleichen Größenordnung sogar, oder in einer ähnlichen Größenordnung. Aber es ist so, in dem einen Fall, der ist einmal geimpft worden: Haken dran, erledigt. Und im anderen Fall müssen Sie eine Infrastruktur haben, die dafür sorgt, dass das auch jeden Tag wieder überprüft wird. Und das meine ich mit Basis. Also, wenn die Basis einfach ist, die Geimpften sind die Geimpften – ja, da gibt es eine Lücke, die natürlich da ist, die ist immer da, die ist unvermeidlich. Aber bei den anderen, da brauchen Sie sozusagen spezielle Tätigkeiten, die Sie überwachen müssen, wo Sie zusehen müssen, dass das funktioniert usw. Und da bin ich sicher, das können wir mit 10 %, 15 % der Bevölkerung machen. Darum war ich auch immer gegen eine Impfpflicht. Aber wenn das eben Richtung 30 % oder gar 50 % geht, dann funktioniert es eben nicht mehr. 


Ich habe noch einen anderen Aspekt: Ich habe ja schon letztes Mal gesagt – und das ist für mich persönlich der wichtigste Grund, kann ich nur nochmal sagen – es ist einfach so, persönliche Opfer zu bringen. Ich formuliere das mal absichtlich so drastisch. Das ist einfach ein Wesensmerkmal sozialer Berufe: Nicht immer, aber meistens. Deshalb haben die ja auch ein hohes Ansehen, weil man sagt: Mensch, die Schwester vom Roten Kreuz in Afrika arbeitet sich da auf unter Hintenanstellung ihrer eigenen Gesundheit. Der Soldat hat ja, wie Sie wissen, auch in Deutschland die sogenannte Duldungspflicht bei Impfungen. Die müssen sich impfen lassen, mit der Begründung, dass man sagt: In Kasernen und dem Einsatz kann es sonst zu Infektionen kommen. Und die müssen dann auch zum Schutz der anderen Soldaten sich impfen lassen, obwohl das ja gar keine Risikopersonen sind. Übrigens: In dem Fall noch nicht gegen Covid, aber gegen andere Erkrankungen. Und das haben Sie überall. Meines Erachtens ist es so, jetzt ist die Frage: Wie ist das Selbstverständnis dieser Berufsgruppe? Also, interessanterweise gab es im Sommer mal eine Studie vom Robert-Koch-Institut. Da haben die geguckt, wie damals die Impfquote in so pflegenden Berufen und im Krankenhaus ist und so. Und da hat das korreliert mit der Arbeit. Also, diejenigen,

die auf den Intensivstationen die Schwerstkranken behandelt haben, in den Geriatrien, in den Altenheimen – also, nicht Altenheim, sondern geriatrischen Abteilungen, Alterserkrankungsabteilung vom Krankenhaus – die wirklich mit besonderen Risikopatient zu tun haben, die haben sich fast 100 % also, zu einem sehr, sehr hohen Prozentsatz – impfen lassen. Und die anderen eher nicht so. Das heißt also: In diesen pflegenden Berufen versteht man schon, worum es geht. Man weiß, wer gefährdet ist und man weiß, dass man eine besondere Verantwortung hat. Und ich glaube, wenn man die Menschen bei dieser Verantwortung jetzt packt und sagt: Wer A sagt, muss auch B sagen – habe ich, glaube ich, gesagt – dann glaube ich, spiegelt sich das auch umgekehrt in die gesellschaftliche Anerkennung rüber. Auch in die Auswahl der Menschen, die dann so einen Beruf ergreifen. Und das ist letztlich aus meiner Sicht eine Chance – weil ja immer Anerkennung und Anforderung etwas Gegenseitiges ist – dass man auch die Pflegeberufe dann aufwerten kann bei dieser Gelegenheit. Das ist ja etwas, was immer gefordert wird, dass die mehr Geld kriegen, dass die mehr Anerkennung bekommen. Und ich glaube, dann kommt es eben auch auf das Selbstverständnis an, ob man sagt: Ich habe hier einen sozialen Beruf und darum muss ich bestimmte Sachen unter Umständen in Kauf nehmen. Und wenn es gar nicht anders geht, mich eben testen lassen. Ich denke auch – vielleicht das eine noch als Allerletztes. Ich denke auch so ein bisschen an die Situation in so einem Altenheim z.B. Wenn das völlige Wahlfreiheit ist, dann macht es der eine und der andere macht es nicht. Und dann gibt es natürlich einen sozialen Druck auf diejenigen, die sich nicht impfen lassen, weil meistens ja dann die Mehrheit doch irgendwie das Gefühl hat, sie muss die Minderheit mit moralischen Argumenten überzeugen. Wenn Sie eine klare Regel haben, dass es eine Impfpflicht gibt – und dass es bei dieser Impfpflicht auch Ausnahmen gibt, die genau definiert sind – dann muss sich keiner mehr rechtfertigen. Die, die die Ausnahmegenehmigungen haben, die haben die Ausnahmegenehmigung und müssen sich nicht jeden Tag anhören, dass sie unsozial wären o.Ä., sodass auch da, glaube ich, eine größere Klarheit da ist. Und darum will ich einfach nur sozusagen die Grundkoordinaten sozusagen wie von Schwarz-Weiß-Bild auf Weiß-Schwarz-Bild umstellen. Die Regel ist einfach: Du musst geimpft sein. Und wenn du eine Ausnahme hast, dann hast du eine Ausnahme. Dann gibt es aber dann auch mit den Kollegen keine Diskussion mehr darüber.


31:52

Camillo Schumann

Also, Sie vertrauen jetzt, wenn ich Sie richtig verstanden habe – Sie haben es ja nun sehr gut ausgeführt – weniger auf die Umsetzbarkeit der flächendeckenden Tests. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der hat sich gestern auf der Bundespressekonferenz auch zum Fall dieses Altenheims in Brandenburg geäußert. Und er ist, was die Tests angeht, ein bisschen zuversichtlicher. Wir hören mal kurz rein:


„Die jüngsten Todesnachrichten aus einer Seniorenresidenz in Brandenburg, aber auch aus anderen, haben uns erneut vor Augen geführt, wie wichtig dort weiterhin verpflichtende Testkonzepte sind. Ich sage noch einmal: Das gilt unabhängig vom Impfstatus. Denn gerade in diesen Bereichen, wo die besonders Verwundbaren ihre Wohnung haben, ihr Leben leben, gerade in diesen Bereichen ist es eben sehr wichtig, dass diejenigen, die einund ausgehen – das ist das Personal und das sind die Besucherinnen und Besucher – nicht das Virus – selbst, wenn sie geimpft seien sollten – in die Einrichtung hineintragen. Ich werde sehr dafür werben, bei der Gesundheitsministerkonferenz morgen und übermorgen, bei den Kolleginnen und Kollegen, dass wir diese verpflichtende Testung, die einige Länder schon haben, aber eben noch nicht alle, auch in ganz Deutschland haben. Ich möchte das Sterben in den Pflegeheimen nicht noch einmal erleben müssen wie im letzten Winter.“


Tja, was sagen Sie dazu?


Alexander Kekulé

Naja, also die gute Nachricht ist: Da hat er doch sehr deutlich gemacht, dass er verstanden hat, dass also die Geimpften zur Epidemie beitragen. Das hat er ganz klar verstanden. Und ich finde es auch richtig, dass er sagt, dass auch die Geimpften getestet werden müssen. Aber das ist natürlich klar, ich meine, der Bundesminister kann es in seiner Pressekonferenz jetzt nicht so differenziert auseinanderdröseln, aber da muss man eben die Frage stellen: Wer wird wie getestet? Hat er die Besucher noch in einen Topf mit geworfen? Und da ist es natürlich ein Unterschied, ob Sie jetzt – natürlich müssen Sie einen Unterschied machen zwischen Besuchern, geimpftem Personal und ungeimpftem Personal. Und tägliche PCR-Tests für ungeimpftes Personal, das hat er nicht so explizit gesagt. Wahrscheinlich, weil er auf einem kleinen Zettel stehen hatte, dass das logistisch ganz schön aufwendig ist. Also, ja, rein theoretisch, das ist natürlich so. Wenn man in einer akademischen Welt leben würde, würde man das aufs Papier schreiben und würde sagen: Es gibt da eine Alternative. Und sobald es eine Alternative gibt, ist ja eigentlich dieser Eingriff in die Unversehrtheit der Menschen und die Selbstbestimmung, ob ich mich impfen lassen will oder nicht – auch am Arbeitsplatz – im Grunde genommen nicht mehr gerechtfertigt. Ich glaube, diese Alternative hat der Bundesgesundheitsminister hier mitnichten aufgezeigt, sondern nur so eine Art allgemeine Willenserklärung abgegeben. Wenn mir jetzt jemand wirklich sagen würde, wie das konkret funktionieren soll, dass man ohne die Impfverpflichtung die Alten schützt – was ja das gemeinsame Ziel ist. Wenn ich so einen Weg sehen würde, dann würde ich nicht für die Impfpflicht plädieren, die ja auch sehr, sehr beschränkt ist auf bestimmte Situationen. 


Ich möchte aber trotzdem daran erinnern – wenn man das so hört in genau dem gleichen Ton, klar, ist ja auch die gleiche Stimme, ist auch die gleiche Situation – hat der Bundesgesundheitsminister am 16. September letzten Jahres feierlich erklärt: Er ist jetzt dafür, dass in Altenheimen getestet wird, um die Alten zu schützen. Und danach gab es die schwerste und tödlichste Welle, die wir je in Deutschland hatten. Jetzt sagt er sowas Ähnliches und jetzt muss ich einfach sagen: Entschuldigung, du hast deine Chance gehabt. Wird dann auch nicht mehr Minister sein. Das ist mir zu wenig, um jetzt zu sagen: Ich lasse es einfach weiterlaufen. Der konkrete Vorschlag, hier eine Impfpflicht einzuführen, nur für die, die wirklich diese unmittelbaren Kontakte mit den Risikopatienten haben, mit einer relativ großzügigen Ausnahmeregelung, die dann ja genau das in Anspruch nehmen, was der Minister hier anbietet, nämlich die täglichen PCR-Tests, falls er das gemeint haben sollte und die Masken. Ich glaube, das ist der viel praktikablere und der sicherere Weg, als jetzt zu hoffen, dass diesmal die Ankündigung von Herrn Bundesminister Spahn richtig ist.


35:52

Camillo Schumann

Aber er hat ja auch die Gesundheitsministerkonferenz angesprochen, heute und morgen. Und da sind wir dann gespannt, inwieweit er sich da durchsetzen konnte, inwieweit auch das Verständnis bei den Gesundheitsministern der Länder ist, ob es PCR, ob es Schnelltests, ob auch Geimpfte getestet werden sollen? Da sind wir mal gespannt, würde ich sagen. Und Herr Spahn, ganz kurz. Herr Spahn hat auch auf dieser Pressekonferenz gesagt, warum er gegen die Impfpflicht ist. Und er hat es sich damit auch nicht einfach gemacht. Wollen wir uns das noch anhören? Ich denke ja.


Alexander Kekulé

Ja, natürlich, klar.


Camillo Schumann

„Es ist schon ziemlich viel Spannung im Land rund um das Thema Impfen. Ziemlich viel. Und diese Spannungen dürfen nicht zu Spaltungen führen. Meine Sorge bleibt – gerade mit dem auch, was ich in Diskussionsveranstaltungen in den Regionen selbst erlebt habe, die sehr geringe Impfquoten haben, und das sind auch die Regionen, wo auch beim Pflegepersonal die Impfquote geringer ist, Sie haben es angesprochen – ist meine echt große Sorge, dass, wenn wir eine verpflichtende Impfung, auch in diesen Berufsgruppen, einführen, dass sie sich nicht impfen lassen, sondern, dass die weg sind. Also, wenn 50 % des Pflegepersonals sagt, dann bin ich hier weg, dann haben wir ein Problem. Und wenn die dann auch noch rausgehen aus der Debatte sozusagen und gar nicht mehr erreichbar sind, weil eine solche Verpflichtung dazu führt, dass gar kein Gespräch mehr möglich ist, sondern Verhärtung entsteht, dann ist es richtig schwierig. Und das ist meine Sorge. Ich wäge die Argumente jeden Tag. Ich sehe auch das Problem. Es tut einem ja im Herzen weh. Ich finde, es gibt eine moralische Pflicht in jedem Fall, wer in diesen Bereichen arbeitet, sich auch impfen zu lassen. Aber für mich wiegt eben diese Frage, was löst das aus – gesellschaftlich und bei den einzelnen – weiterhin sehr, sehr stark.“


Also, er windet sich da ziemlich. Also, er macht es sich auch nicht einfach.


Alexander Kekulé

Ja, er bringt aber auch Sachen durcheinander. Er hat ja jetzt quasi bei der Frage der Impfpflicht – es ging ja aber wohl in dieser Pressekonferenz um die Impfpflicht für ganz bestimmte Berufsgruppen. Und da auch nur für bestimmte Personen. Jeder kann ja im Krankenhaus z.B. in einem anderen Bereich arbeiten. Und es würde ja auch überhaupt nicht für Arztpraxen u.Ä. infrage kommen. Da bei dieser Frage hat er letztlich die Argumentation aus der Tasche gezogen. Politiker haben natürlich immer solche, sage ich mal, Sprecheinheiten, solche Copy-Paste-Einheiten, sonst würden sie die vielen Journalistenfragen nicht überstehen. Aber da hat er eigentlich die Antwort rausgezogen, die für die allgemeine Impfpflicht gilt. Und hat auch so angefangen in seinem gerade vorgespielten Zitat und dann irgendwann die Kurve gekratzt und gesagt: Naja, das gilt irgendwie auch für den Fall der Pflege in diesen Regionen. So ist es ja nicht. Also es ist so: Sie haben natürlich im Krankenhaus und in Altenheimen haben Sie natürlich ein Personal, was weiß, dass es in einer besonderen Verpflichtung steht. Und ich meine, man muss die hier bei ihrer Berufsehre einfach packen. Und ich bin da wesentlich optimistischer und würde da nicht alles über einen Kamm scheren. Wenn er da bestimmte Regionen nennt – in dem Fall ging es ja da ganz konkret und Brandenburg. Ich glaube nicht, dass man sagen kann: Weil in der Region die Stimmung so und so ist, ist sie 1:1 auch beim Pflegepersonal so. Aus verschiedenen Gründen: Zum einen kommt das Pflegepersonal häufig eigentlich von auswärts. Ist also nicht ursprünglich in der Region geboren und kommt von dort, sondern arbeitet – z.T. sind das ja Menschen aus osteuropäischen Ländern. Und zum anderen ist es eben einfach ein ganz besonderer Beruf. Man muss den Leuten klarmachen, dass sie was ganz Besonderes sind. Und genau die gleiche Befürchtung bei der Verpflichtung zur Impfung vom Pflegepersonal und medizinischem Personal hatte man eben in Frankreich, hatte man in den USA. Und dort ist eben dann praktisch gesehen dieser auch dort vorhergesagte Schwund nicht eingetreten. Und ich glaube ganz fest daran, dass man das bei uns machen könnte, wenn man das richtig kommuniziert. Also, klar will ein Minister, kurz bevor er sozusagen hier sein Amt übergibt, jetzt nicht zum Schluss so eine weitragende Entscheidung treffen. Das überlässt er dann seinen Nachfolgern. Aber trotzdem ist es so, dass in dieser Situation jetzt, finde ich, dieser Schlinger-Weg, den man da wählt, weil man irgendwie Angst vor Querdenkern hat, den finde ich den falschen. Sondern: Diejenigen, die wenigen Querdenker, die es meinetwegen geben kann unter dem Pflegepersonal, denen muss man dann Kante zeigen und sagen: Okay, dann kannst du eben genau diese Tätigkeit nicht ausüben. Und die allermeisten, meines Erachtens, werden dann Einsehen haben. Und wer nicht, der muss eben dann quasi so einen Sonderantrag stellen. Da ist es dann aber leichter zu überwachen, wenn es nur ein kleiner Anteil ist. Der muss eben dann die regelmäßigen, täglichen PCRs und das ständige Tragen der FFP-Maske auf sich nehmen. Ich verstehe das auch, wenn einer wirklich vor diesem, sag ich mal, neumodischen Zeug mit diesen Impfstoffen – und dann gibt es nur diese RNA-Impfstoffe, wo man nicht genau weiß, die sind noch nicht lange erprobt und da sagt man: Mensch, bei den Kindern ist man sich nicht sicher, wie die Langzeiteffekte sind. Und ich bin doch erst 50. Ich will ja auch noch 40 Jahre leben. Was ist mit mir? Also, wenn dann einer am Ende des Tages sagt: Ich fühle mich da so unwohl dabei, das will ich einfach nicht. Dann glaube ich, ist das für den auch nicht so schlimm, jeden Tag diesen PCR-Test zu machen und die Maske zu tragen. Und ich glaube, das würde sich sortieren. Das würde sich ganz gut sortieren und würde meines Erachtens eben sogar zu weniger Dissonanz in der Gesellschaft, speziell in den Altenheimen, führen, weil eben dann auch dieser moralische Druck von zwei Parteien, die gegeneinander kämpfen, weg wäre.


41:17

Camillo Schumann

Dissonanz ist ja auch bei den Experten. Der Hausärzteverbandschef Herr Weigel z.B., der fordert – genau wie Sie – so eine verpflichtende Impfung für alle Mitarbeiter im

Pflegesektor. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus hat sich gegen eine Corona-Impfpflicht für Pflegekräfte ausgesprochen. Also, da merkt man ja auch, dass sozusagen die Verbände, auch die Verantwortlichen da hinund hergerissen sind. Wir sind gespannt. Die Gesundheitsminister treffen sich und wir sind gespannt, welche Dynamik dieses Thema noch erfährt. Herr Kekulé, kommen wir zum nächsten Thema. Das Thema Impfen ist ja, wir haben es ja mitbekommen, für einen Teil der Bevölkerung offenbar ein sehr emotionales. Und kommen wir von den Impfungen zu Pillen, die gegen Covid-19 wirken. Wir sprechen ja ab und zu mal, wenn wieder eine Pille – in Anführungszeichen – „Heilung“ verspricht. Bisher waren Medikamente, ich sage mal, eine Enttäuschung. Aber es gibt ja mittlerweile so eine Handvoll Medikamente, die eine ganz gute Wirkung haben. Zuletzt hatten wir über Molnupiravir gesprochen. Hersteller Merck sprach in seiner Zulassungsstudie sogar von einem Game-Changer, hat in den USA eine Notfallzulassung beantragt. Es sei auch die erste Tablette gegen Covid-19 überhaupt. In Ausgabe 226 hatten wir ausführlich darüber gesprochen. Und häufig ist es ja bei diesen Medikamenten so, dass sie ursprünglich für eine andere Erkrankung hergestellt wurden, aber – warum auch immer – dann gegen Covid-19 helfen.


Alexander Kekulé

Ja, das ist z.T. gar nicht klar, warum es hilft. Aber man hat ja ganz bewusst von Anfang an in dieser Pandemie gesagt: Wir nehmen mal alles, was wir im Regal haben – das war wirklich so die Regel – und probieren mal aus, ob es wirkt. Das war wirklich so ein bisschen der Versuch. Und da ist leider nur ganz, ganz wenig übriggeblieben. Die WHO hat da relativ spektakulär ein Programm gehabt, das haben wir besprochen. Und am Schluss ist dann auch noch der letzte Mohikaner irgendwie aus der Runde geflogen. Jetzt hat man doch ein paar Sachen gefunden, die – zumindest, wenn man sie frühzeitig einnimmt – eben die Virusvermehrung, wenn man so sagen darf, ein bisschen hemmt. Ob Sie jetzt das Molnupiravir von Merck nehmen oder ob Sie jetzt hier, was gerade aktuell ist, das Fluvoxamin nehmen oder andere. Es gibt ja auch monoklonale Antikörper, die helfen. Also, das berühmte Donald-Trump-Heilmittel von Regeneron ist letztlich auch nichts Anderes. Ist wesentlich teurer, aber auch kein anderes Prinzip. Nämlich: Dass man ganz frühzeitig während der Erkrankung anfängt, zu therapieren. Und die haben eben alle den Nachteil, wenn ich mal so sagen darf, dass man sie ganz, ganz früh einsetzen muss, diese Medikationen. Früh einsetzen deshalb, weil ja das Immunsystem, wenn es am Anfang gleich schnell anspringt, die Sache selber in den Griff bekommt. Weiß keiner genau, bei wem das so ist, aber wir wissen: Bei Älteren ist es öfters schlechter von der Reaktion her. Und wenn aber das Immunsystem nicht schnell genug anspringt, dann kommt es – so ist zumindest unsere Theorie schon relativ lange – zu einer kurzzeitigen, unkontrollierten Vermehrung des Virus. Stichwort: Angeborene Immunität war nicht stark genug. Oder: Die Voraktivierung des Immunsystems war nicht stark genug. Und wenn sich dann das Virus schon mal vermehrt hat und insbesondere dann auch im Organismus in Bereiche ausgebreitet hat, wo es ja nun eigentlich gar nicht hin darf und auf der Schleimhaut nicht abgewehrt wurde, dann kommt im zweiten Schritt die eigene Immunantwort und sagt: Mensch, da ist ja ein Virus irgendwo auf irgendwelchen Gefäßoberflächenzellen, das muss da weg. Und fängt also an, das Virus zu bekämpfen. Und durch diese Autoimmunreaktion wird man eigentlich dann erst so richtig schwer krank. Sodass es völlig logisch ist: Wenn man ganz früh eingreift, kann man den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, schwere Verläufe verhindern. Nur die Frage ist halt: Wem geben Sie das? Jedem, der irgendwie Kontakt mit Covid hatte? Oder jedem, der Antigen-Test positiv war? Erinnert mich ein bisschen an die Diskussion mit Tamiflu bei Influenza. Da ist es auch so gewesen, wenn Sie das Ganze rechtzeitig und frühzeitig nehmen, können Sie schwere Verläufe ganz deutlich verringern. Aber Sie können ja nicht jedem Influenza-Patienten gleich Tamiflu in die Hand drücken. Und wenn Sie das machen, passiert das, was dort der Fall war, nämlich, dass sich dann ganz viele Resistenzen gebildet haben in kürzester Zeit.


45:21

Camillo Schumann

Dass Medikamente, die gegen Covid-19 helfen, eigentlich für andere Erkrankungen bestimmt waren: So war es auch bei diesem Medikament, über das wir jetzt sprechen wollen. Sie haben es schon genannt: Fluvoxamin, so heißt es. Und es ist eigentlich ein Antidepressivum. Aber, oh Wunder: es hilft erstaunlich gut gegen Covid-19. Das haben jetzt brasilianische Wissenschaftler herausgefunden. Wir wollen jetzt über Wirkweise, Nebenwirkungen, Behandlungen sprechen. Aber erstmal: Wie kommt man eigentlich auf die Idee, ein Antidepressivum gegen Covid-19 zu testen? Also, da muss doch irgendjemand gesagt haben: Mensch, jetzt nehmen wir das mal.


Alexander Kekulé

Der gab es schon vorher Hinweise. Es gab schon einzelne Berichte, Einzelfallberichte letztlich, die festgestellt haben, dass Leute, die das sowieso genommen haben – bei uns in Deutschland ist die typische Indikation von diesem Fluvoxamin sind Zwangsstörungen, aber auch Depressionen, Angststörungen. Und da ist es so: Da gibt es einfach Leute, die müssen das sowieso nehmen. Und da hat man eben festgestellt, dass es da statistische Unterschiede im Verlauf gibt. Und daraufhin hat man wahrscheinlich noch die ganzen anderen Tabletten, die die so schlucken, auch untersucht. Das weiß ich nicht genau. Aber letztlich ist man dann bei diesen sogenannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern hängengeblieben. Also, Serotonin ist ja so ein Botenstoff im Gehirn. Und wie jeder weiß, aus der, sage ich mal, Publikumspresse, kann der im Prinzip so positive Emotionen vermitteln. Wenn man in Serotonin-Stimmung ist, geht es einem tendenziell besser. Und diese Medikamente sorgen dafür, dass das Serotonin in der Nervenzelle nicht so schnell wieder aufgenommen wird. Das funktioniert quasi so: Die (Nervenzelle) sondert dieses Serotonin ab als Botenstoff und macht dann diese positiven Gefühle, sage ich mal. Die Psychiater werden mich jetzt schimpfen, dass ich es so einfach erkläre. Wenn dann aber quasi dieser Effekt erzielt ist, dann nimmt die Nervenzelle das Serotonin wieder auf und damit ist der Schalter wieder ausgeschaltet. Und diese Wiederaufnahme wird ein bisschen gebremst durch diese Medikamente. Und dadurch bleibt also quasi die positive Stimmung eher übrig. Und eine neurologische rosa Brille, die wirkt eben erstaunlicherweise auch,

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wenn Sie so wollen, in der Frühphase der Covid-Infektion gegen das Virus. Also, das ist ein ganz interessanter Zusammenhang, dass Medikamente, die so auf die Stimmung sich auswirken, dass die in diesem Fall auch das Immunsystem betreffen können.

47:46

Camillo Schumann

Und in dieser Studie war es ja so: Es gab ja eine große Gruppe an denen, die das genommen haben und eine große Gruppe, die es nicht genommen haben. Und die Auswirkung bzw. das Ergebnis, das war doch ziemlich erstaunlich.

Alexander Kekulé

Ja, also, das war eine spannende Studie. Die ist in Brasilien durchgeführt worden. Die haben das dort an elf verschiedenen beteiligten Krankenhäusern oder Einrichtungen gemacht, zusammen mit kanadischen Kollegen. Und die ist wirklich sehr, sehr sauber gemacht. Ist auch in einem guten Journal, das heißt Lancet Global Health, erschienen gerade. Und das ist so eine richtige, kontrollierte Studie. Aber wir haben ja immer mal wieder den Unterschied zwischen Beobachtungsstudien und kontrollierten Studien besprochen. Also, hier hat man wirklich eine placebokontrollierte, randomisierte Blindstudie gemacht. Das heißt also, das ist so der höchste Standard, den man machen kann, um Wirksamkeiten nachzuweisen. Man macht zwei Gruppen, die vergleichbar sind. Also, für jeden Studienteilnehmer, der das Medikament nimmt, gibt es jemanden in der Kontrollgruppe, der ein Placebo bekommt – also, einen nicht wirksamen Wirkstoff – und der aber in jeder Hinsicht so gematched ist, wie wir sagen. Also, vom Geschlecht her passt und vom Alter her und von den sonstigen Risikofaktoren. Und keiner weiß, ob er Placebo hat oder das echte Medikament. Das heißt, die Tabletten werden so gemacht, dass man es nicht erkennt. Und doppelblind heißt nicht, auf beiden Augen blind. Sondern: Das heißt, dass der Patient nicht weiß, ob er in der Studiengruppe oder in der Kontrollgruppe ist. Und der Arzt, der ihn überwacht, auch nicht. Also, das ist dann ganz sicher. Weil: Dann gibt es dann sozusagen keine indirekte Beeinflussung durch das Verhalten des Arztes. Und das hat man gemacht mit insgesamt ungefähr 1500 Probanden. Die

Hälfte hat das Mittel gekriegt, die Hälfte Placebo. Mit ungefähr 50 Jahren im durchschnittlichen Alter. Das Ganze ist gemacht worden von Januar bis August in Brasilien. Also, in dem Zeitraum, wo das Virus noch richtig gewütet hat dort. Die hatten jetzt nicht die Delta-Variante. Aber darauf kommt es jetzt nicht so an bei diesen Medikamenten, weil die nicht so variantenspezifisch sind. Das ist ein Unterschied zu Impfstoffen, dass es hier nicht so auf die Variante ankommt. Und da ist eben so: Im Krankenhaus gelandet sind von der Therapiegruppe 11 % und von der Placebo-Gruppe 16 %. Also, doch ein statistisch signifikanter Unterschied. Das heißt also, 32 % besser, ein Drittel ungefähr, kann man sagen, besser haben die abgeschnitten, die das Medikament genommen haben. Und noch deutlicher war es, wenn man sich anschaut, wie viele wirklich gestorben sind. Da ist jetzt unter den konkreten 1500 Studienteilnehmern, die man am Schluss dann wirklich genommen hat und wo man alles ausgewertet hat, ist insgesamt in der Gruppe, die das Medikament bekommen hat, nur einer gestorben. Und in der anderen Gruppe sind 12 gestorben. Das kann natürlich jetzt Zufall sein, dass es so ein dramatischer Unterschied war. Aber wenn man das nehmen würde, wäre das 99 % Schutzquote.

Camillo Schumann

Aber kann das wirklich Zufall sein?

Alexander Kekulé

Ja, man muss nur ein bisschen aufpassen. Also, ich will jetzt nicht so ins Detail gehen. Aber man nimmt bei so einer Studie ja am Anfang Leute, wo man die Absicht hat, dass die alle teilnehmen sollen. Das nennt man Intentionto-treat, also ITT. Diese ITT-Gruppe ist die große Gruppe und im Laufe so einer Studie – das können Sie sich vorstellen – werden das immer weniger und weniger. Der eine sagt: Ich habe keine Lust mehr. Der Dritte hat vergessen, das Medikament zu nehmen, der Vierte kommt einfach nicht mehr oder sonst was. Und dann werden die immer weniger. Und am Schluss hat man welche, die man wirklich auswertet. Und das ist ein Selektionsprozess. Also, bei diesem Selektionsprozess kriegen Sie sozusagen nur die engagierten Studienteilnehmer am Schluss. Sodass jetzt, wenn man jetzt sol-

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che kritischen oder sehr, sehr dramatischen Effekte hat, dann geht man typischerweise einen Schritt zurück und schaut: Wie ist das eigentlich insgesamt bei der gesamten Gruppe gewesen, der Intention-to-treat-Gruppe, die ja größer ist? Und da war der Unterschied wesentlich weniger dramatisch. Da war es so, dass da 17 gestorben sind in der therapierten Gruppe und 25 in der Kontrollgruppe. Da haben sie also auch noch einen deutlichen Schutzeffekt, aber der liegt dann so bei 32 % oder so was. Das heißt also: Es ist ein deutlicher Effekt. Auch, bzgl. der Sterblichkeit, bzgl. der Hospitalisierung, die hier als hauptsächlicher Parameter genommen wurde. Und der reicht völlig aus, um zu sagen: Das Mittel wirkt, das tut, was es soll, das verringert die Hospitalisierung und die Sterblichkeit. Man hat die Studie sogar abgebrochen, Anfang August, weil man eben gesagt hat: Das ist so eindeutig, dass sie das nicht mehr verantworten können, die Kontrollgruppe, die ja nicht weiß, dass sie die Kontrollgruppe ist, sozusagen mit Placebo zu füttern.

52:24

Camillo Schumann

Und das ist doch aber genau das Ziel, was wir erreichen wollen mit auch den Impfungen. Also, wir wollen, dass die Todesfälle zurückgehen. Wir wollen, dass die schweren Verläufe zurückgehen. Deswegen: Wäre das nicht möglicherweise auch für Menschen, die kurz vor der Hospitalisierung stehen, eine Möglichkeit, das dann auch einzunehmen? Oder sind die Nebenwirkungen zu groß?

Alexander Kekulé

Nein. Also, Sie müssten das über 10 Tage nehmen, in so einer normalen Dosis, wie das dann auch therapeutisch in der Psychiatrie eingesetzt wird. Das wäre jetzt nicht das Thema. Das wird sogar im Gegenteil in der Psychiatrie z.T. viel länger eingesetzt. Da sind die Nebenwirkungen dann wirklich relevant. Ich glaube, eins der wichtigsten ist, dass es sich auf die Libido durchschlägt. Das ist so, dass tatsächlich die Nebenwirkungen hier nicht so im Vordergrund stehen, zunächst mal. Aber die Frage ist ja letztlich: Wem wollen Sie es denn geben? Also, Sie müssten das wirklich genau von der Indikation her einschränken auf Personen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Ich würde sagen, was mir als Erstes dazu

einfällt, wenn Sie z.B. geimpfte, ältere Menschen haben. Und nehmen wir mal an, wir wissen, dass es ein Expositionsrisiko gab, also z.B.: Es gab einen Ausbruch im Altenheim. Dann würde ich sagen: Es ist eine gute Idee, vorübergehenden, denen dann, bevor Sie wissen, ob die sich angesteckt haben – oder vielleicht, wenn Sie wissen, die haben sich gerade ganz frisch angesteckt – denen dieses Medikament zu geben. Weil Sie dann sagen: Dann haben Sie eine gute Chance damit, günstige Verläufe zu machen.

53:56

Camillo Schumann

Dann haben die Älteren gute Laune und sie werden nicht sterben.

Alexander Kekulé

Genau (lacht). Dann haben sie keine Angst mehr, zu sterben. Und es passiert auch nicht. Das Interessante bei diesen – das ist ja ganz spannend – bei diesen Antidepressiva ist ja: Wenn Sie als normaler Mensch die nehmen, also diese richtigen, gegen die echten Depressionen – also, major depression sagt man auf Englisch. Entschuldigung, als Gesunder, der das nicht hat. Dann passiert Folgendes: Dann ist es so, dann merken Sie nichts von der Wirkung. Also, wenn Sie was merken, wenn es Ihnen deutlich bessergeht, wenn Sie das Medikament nehmen: Dann sollten Sie mal zum Arzt gehen. Es gibt andere Medikamente, da merkt jeder ein bisschen was. Aber bei diesen ist es eben typischerweise so, dass der Unterschied zwischen solchen, wo die Diagnose gestimmt hat und es spricht dann an, und solchen, wo man es ohne Diagnose gegeben hat, ziemlich dramatisch ist. Also, jedenfalls – das ist aber ein ganz anderes Thema. Aber es ist so, die Gefahr, die ich eher sehe, ist Folgende: Jetzt haben Sie so Medikament und der Hersteller will das natürlich – klar, das sind alles Aktien-Gesellschaften – die wollen das verkaufen. Die wollen nicht, dass das so gemacht wird, wie ich gerade gesagt habe. Nur in besonderen Fällen, bei besonderem Risiko, in Ausnahmesituationen. Die wollen ja damit Geld verdienen. Das heißt: Die werden das auch bewerben. Und da wird es dann eben so laufen, dass erstens ganz viele Menschen das nehmen im Frühstadium, sonst wirkt es nicht mehr. Das muss man ganz schnell nehmen nach der Infektion. Da ist die

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Frage: Wie viele Resistenzen züchtet man da? Erfahrungsgemäß werden die Viren dann ganz schnell gegen solche Chemikalien, die es ja letztlich sind, resistent. Und der zweite Effekt – da weiß ich nicht, ob ich da zu vorsichtig bin, aber: Wenn Menschen das dann so als Alternative sehen und sagen: Ach, das ist ja gar nicht mehr so schlimm mit dem Covid, da stirbt man jetzt nicht mehr dran, da gibt es ja dieses Medikament. Wieso soll ich mich da eigentlich impfen lassen? Und das könnte dann sein, dass das die ganzen Bemühungen, die Letzten zur Impfung zu bewegen, die jetzt noch zögern, das könnte die konterkarieren, wenn die sagen: Naja, da gibt es dann eine Pille und die nehme ich halt dann schnell, wenn ich infiziert bin. Eine schwierige Diskussion. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir diese Diskussion, sobald diese Medikamente verfügbar sind, dann durchaus haben werden. Und ich muss davor warnen, sich darauf zu verlassen, weil eben die Erfahrung die ist, dass leider – ich mache jetzt ja schon echt lange Virologie, das sehen wir immer und immer wieder. So ein einzelnes Medikament gegen ein Virus, da fällt dem Virus meistens irgendwas ein, wie es dagegen dann resistent wird. Die einzigen antiviralen Therapien, die wirklich nachhaltig funktionieren, sind solche: Entweder gegen DNA-Viren, die sich selber kaum verändern können. Hier haben wir es aber mit einem RNA-Virus zu tun, was relativ effektiv ist, auszubüchsen gegen die Wirkstoffe. Oder Situationen, wo wir eben ganz viele Medikamente kombinieren. Das machen wir bei der AIDS-Therapie z.B. Da kombinieren wir viele Medikamente, sodass das Virus, wenn es jetzt mutiert, um einem Medikament auszuweichen, ist das andere immer noch wirksam, sodass die Mutante dann stirbt. Und diese Information, wie es jetzt ausgewichen ist, gar nicht weitergeben kann.

57:21

Camillo Schumann

Haben wir darüber gesprochen. Und Fluvoxamin bräuchte man auch, um einigermaßen die nächste Nachricht, die wir kurz besprechen wollen, überstehen zu können. Denn im Landkreis Cuxhaven – damit zu einer traurigen Nachricht – ist ein zwölfjähriges Kind gestorben. Und zwar nach seiner zweiten BioNTechImpfung. Weil man noch gar nicht so viel dar-

über weiß, wir es aber noch besprechen wollten, weil es eben doch schon ein wichtiges Ereignis ist: Was weiß man darüber? Wie ordnen Sie diesen Fall ein?

Alexander Kekulé

Also, ich habe natürlich die Pathologie-Befunde nicht gelesen. Heute, im Laufe des Tages, soll da der Bericht dazu rauskommen. Aber: Die Pathologen haben sich öffentlich schon in der Richtung geäußert, dass, was sie da gefunden haben, passt zu einer Überreaktion auf die Impfung. Also, dass die Todesursache Impfung möglich ist. Natürlich sagen Wissenschaftler dann immer dazu – dabei werden sie auch bei dem Abschlussbericht bleiben – dass sie eine Kausalität nicht mit Sicherheit beweisen können. Genauso wenig, wie man sie mit Sicherheit ausschließen kann. Das ist ja immer das Problem. Wissenschaftler dürfen Sie nie nach 100 % fragen. Das ist natürlich jetzt ein heißes Eisen, wenn man die Daten nicht genau kennt. Aber ich kann vielleicht allgemein sagen: Man muss sowas wirklich ernst nehmen. Man darf nicht sagen: Naja, das ist nur so ein Einzelfall. Da ist mal irgendwo ein Kind gestorben. Insgesamt ist der Impfstoff doch in Ordnung. Solche Reflexe höre ich schon wieder. Sondern wir haben ja einen Impfstoff, der in der Altersgruppe von 12 bis 17 – da gab es ja die lange Diskussion, ob der bei uns empfohlen werden soll in Deutschland – noch überhaupt keinen Todesfall, im Prinzip keinen Todesfall hervorgerufen hat. Es gab zwei Verläufe, wo Kinder gestorben sind, die registriert wurden und auch berichtet wurden von der STIKO in ihrer Beurteilung. Es waren beides Kinder, die schwerstkrank waren. Wo also eigentlich diese Covid-Infektion, sage ich mal, etwas war, was nebenbei eingetreten ist. Aber wir haben keinen Fall von einem vorher gesunden Kind, was an Covid in Deutschland gestorben wäre. Und wenn Sie das als Basis nehmen, falls es dann so sein sollte, dass hier ein Kausalzusammenhang da wäre: Klar, dieses Kind, was man liest, hatte auch schwere Vorerkrankungen, ganz offensichtlich. Ist auch deshalb möglicherweise geimpft worden. Aber da muss man eben prüfen: Sind diese Vorerkrankungen immunologischer Natur gewesen? Weil: Wenn Kinder an sowas sterben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es mit einer immunologischen Überreaktion zu tun hat. Der Impfstoff ist ja auch für die 12bis 17-Jährigen

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nicht dosisreduziert. Und wenn es so wäre, dass das eine immunologische Vorerkrankung war bei dem Kind, dann könnte man sagen: Ja, okay, da ist das Risiko bei denen, die das nicht haben, höchstwahrscheinlich viel geringer. Aber wenn das Kind jetzt eine ganz andere, schwere Grunderkrankung hatte, die also nicht kausal mit dem Tod zusammenhängen kann, dann, finde ich, muss man dem wirklich ganz, ganz gründlich nachgehen. Und ich bin wirklich dafür, in beide Richtungen hier die Reflexe zu unterlassen. Der eine Reflex ist, zu sagen: Ui, da ist ein Kind gestorben, das muss ja an der Impfung gelegen haben. Und der andere Reflex, der aber letztlich genauso schädlich ist, ist, zu sagen: Da ist ein Kind gestorben, aber das kann auf keinen Fall bedeuten, dass die Impfung nicht mehr empfohlen werden soll. Also, beides muss auf die Waagschale und beides muss abgewogen werden und geprüft werden. Und man muss das sehr, sehr ernst nehmen. Und deshalb will ich auch hier jetzt vorher gar nicht so ein Urteil fällen darüber.

01:01:00

Camillo Schumann

Aber: Was ja besonders tragisch ist, dass dieses zwölfjährige Kind mit seinen Vorerkrankungen ja genau in das Schema der Impfempfehlung der STIKO fällt. Im ersten Schritt war es ja so.

Alexander Kekulé

Natürlich, ja, das ist sozusagen klar, wenn man Vorerkrankungen hat. Wobei ich jetzt nicht weiß, welche Vorerkrankung dieses Kind hatte.

Camillo Schumann

Da gab es ja die Liste mit den 10, 11 Vorerkrankungen.

Alexander Kekulé

Da gibt es eine Liste. Und die wird auch ein bisschen von den Ärzten dann individuell unterschiedlich ausgelegt. Früher hat man mal eine lange Liste gehabt. Da hat man z.B. gesagt: Jeder mit Asthma muss sich unbedingt gegen Covid impfen lassen. Ist ja auch irgendwie so vom, sage ich mal so, aus allgemeiner Schlauheit, kann man ja sagen: Mensch, Asthma ist irgendwas an der Lunge, da will ich kein Covid kriegen. Bis man dann später festgestellt hat, dass das gar nicht korreliert, dass also Asthmatiker in der Regel, wenn sie jetzt

nicht ganz schlecht eingestellt sind, kein erhöhtes Risiko haben. Aber andere, die z.B. COPD haben, diese Raucher-Erkrankung, selbst dann, wenn das noch gar nicht so ein schwerer Verlauf ist und man noch gar nicht so viel davon gemerkt hat bisher, sehr wohl ein stark erhöhtes Risiko haben, zu sterben, wenn sie Covid bekommen. Also, da haben wir inzwischen ein viel genaueres Bild. Wir wissen auch z.B., dass eine stattgehabte Krebserkrankung, wenn aktuell gar keine Therapie gemacht wird, möglicherweise gar kein erhöhtes Risiko ist. Kommt auf die Krebserkrankung an. Aber bestimmte, wie z.B. Blutkrebs – und da dann die Zellen, die das Immunsystem braucht, wenn die da betroffen sind von der Krebserkrankung – da ist es sehr wohl ein hohes Risiko. Also, daher hat sich unser Bild differenziert. Aber ich bin nicht so sicher, ob diese Indikationsstellung dann tatsächlich bis in die letzte Kinderarztpraxis sozusagen bekannt ist. Und das hängt ja auch immer ein bisschen von den Eltern ab. Wenn man so ein chronisch krankes Kind hat, ist man natürlich auch seelisch damit belastet und will dann irgendwie sich diese zusätzliche Sorge vom Hals schaffen, indem man das Kind impfen lässt. Darum glaube ich ganz grundsätzlich: Die Empfehlung der STIKO ist richtig. Es ist auf jeden Fall richtig, Risikogruppen, wie sie dort benannt sind, zu impfen. Und das wäre auch weiterhin richtig, wenn hier ein Kind gestorben ist. Aber die Frage, wo auch die STIKO sich ja schwergetan hat, ist eben: Was machen wir mit den Kindern, die völlig gesund sind und überhaupt keine Risikofaktoren haben? Und die Frage ist, ob dieses Kind, was ja tatsächlich Risikofaktoren wohl hatte, ob das auch nach der Impfung, falls es überhaupt daran gelegen haben sollte, gestorben wäre, wenn es diese Risikofaktoren nicht gehabt hätte? Also, das wäre die Frage, die mich hauptsächlich interessieren würde. Und ich hoffe, dass die Pathologen das beantworten. Die werden sicherlich nicht irgendwie sich auf das eine oder andere festlegen. Aber: Hat der Tod was damit zu tun gehabt, dass diese Risikofaktoren bestanden, eine chronische Grunderkrankung? Oder ist es etwas, was man ganz getrennt sehen muss?

01:03:49

Camillo Schumann

Sollte dann dieser Bericht vorliegen, werden wir das dann auch besprechen hier im Podcast.

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Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese verzweifelte Mutter aus Nordrhein-Westfalen hat angerufen. Sie hat eine vier Jahre alte Tochter mit schweren Vorerkrankungen:

„Jeder Arzt ist der Meinung, die gehört geimpft, aber kein Arzt, keine Klinik, noch sonst jemand möchte die Kleine impfen. Der Kinderarzt ist auch der Meinung, sie sollte geimpft werden, aber impft auch nicht off-label, da die Haftungsausschlüsse wohl nicht möglich sind und die Ärzte nicht mit ihrem Privatvermögen haften wollen. Wie passt das zusammen? Weil: Letztendlich lässt sich eine Infektion ja wahrscheinlich nicht mehr vermeiden. Wir haben noch zwei ältere Schulkinder. Es ist schwierig und ich würde mal gerne wissen, was wir noch machen können, um an eine Off-Label-Impfung zu kommen für die Kleine, die wirklich geimpft gehört.“

Alexander Kekulé

Ja, wenn Ärzte wirklich der Meinung sind, dass das notwendig ist und indiziert ist, dann kann ich das auch nur unterstreichen, dann sollte man es tatsächlich machen. Ich habe ja schon gesagt, wenn man schon off-label arbeitet, dass ich einfach die Dosis reduzieren würde. Beim Vierjährigen deutlich reduzieren. Das kann ja jeder Arzt machen, wenn er die entsprechende feine Spritze hat, mit einer feinen Aufteilung drauf. Eine sogenannte TuberkulinSpritze braucht man dafür. Aber das haben die Ärzte alle, die impfen. Ja, versicherungstechnisch kann ich das nicht so ganz beurteilen. Also, es ist letztlich so: Ich kenne das jetzt nicht. Ich weiß nicht, wie die Bestimmungen sind. Ich bin manchmal Sachverständiger bei Gericht. Und da ist es dann eigentlich doch immer so: Wenn der Arzt eine Off-Label-Therapie gemacht hat, dann ist er halt selbst gefragt, zu begründen, warum das in diesem Fall wissenschaftlich notwendig war. Also, er macht dann im Grunde genommen die wissenschaftliche Abwägung, die sonst die Ständige Impfkommission für alle gemeinsam macht. Und wir wissen ja, wie aufwendig das ist. Die macht er dann ganz alleine für sich selber und für diesen einen Fall. Da werden natürlich nicht so hohe Anforderungen gestellt wie an die Abwägung, die die STIKO machen muss. Und die ist ja auch

nicht immer ganz sauber, wenn man jetzt daran denkt, das Moderna z.B. nicht differenziert von BioNTech betrachtet wurde. Aber er muss halt etwas, wenn Sie so wollen, im Zweifelsfall in einer Schublade haben, falls da was schiefgeht. Ganz konkret: Das Kind würde schwerste Nebenwirkungen bekommen von der Impfung. Ist nicht wahrscheinlich, aber nicht auszuschließen natürlich, darum sind die Ärzte vorsichtig. Dann muss er sagen: Schaut mal her, ich habe mir das hier überlegt. Ich habe das hier aufgeschrieben. Das hat dafür gesprochen, das hat dagegen gesprochen. Das Risiko für dieses Kind, sich zu infizieren, war einfach nicht abwendbar. Wurde ja auch gerade geschildert von der Mutter, mit der Kita und der Exposition, die dort vorhanden ist. Und ich musste einfach hier eine Entscheidung treffen, zwischen – in diesem Fall würde ich das dann so formulieren: Infektion oder Impfung. Und da habe ich mich aus den und den Gründen für die Impfung entschieden. Es gibt ja auch die Studien aus den USA für die ab Fünfjährigen. Und da kann man eben vielleicht auch sagen: Naja, vierjähriges Kind, das ist aber vom Entwicklungszustand – das muss man dann natürlich prüfen – so ähnlich eigentlich wie ein Fünfjähriges in diesem besonderen Fall einzustufen. Und wenn man sich das alles irgendwie sauber aufgeschrieben und in die Schublade gelegt hat, dann kann man sich meines Erachtens als Arzt natürlich davor schützen, da irrational verfolgt zu werden. Also, es ist nicht so, dass es quasi einen dann wie der Blitz trifft, wenn dann die Staatsanwaltschaft sagt: Jetzt bist du aber schuld gewesen an irgendwelchen Nebenwirkungen. Und dann ja auch – das wäre der nächste Schritt – der Versicherer erklären müsste: Und die Schuld war so grob fahrlässig, dass ich nicht mehr zahle. Weil bei einfacher Fahrlässigkeit üblicherweise die Versicherungen ja noch bezahlen.

01:07:31

Camillo Schumann

C. hat gemailt, er schreibt:

„Ich bin 16 Jahre alt und habe ein Asthma in Folge mehrerer Lungenentzündungen, seit ich klein war. Daher bin ich in Bezug auf Corona sehr besorgt. Ich bin zweimal mit BioNTech geimpft und an einer stationär behandelten Herz-

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muskelentzündung erkrankt. Die Ärzte vermuten die Impfung als Ursache. Was sagen Sie? Ist eine dritte Impfung daher zu gefährlich? In meinem Freundeskreis sind immer noch einige nicht geimpft, da man angeblich andere Personen nicht schützt und diejenigen selber keine Bedenken vor Corona haben, jedoch vor LongCovid. Hilft der Impfstoff auch dagegen? Haben Sie Argumente für mich? Viele Grüße, C.“

Alexander Kekulé

Bei dem Long-Covid kann ich gleich sagen: Das wissen wir überhaupt nicht. Also, natürlich: Wer kein Covid hatte, kriegt auch kein LongCovid. Aber: Ob die Impfung sozusagen die Wahrscheinlichkeit für Long-Covid jetzt signifikant reduziert, ist nicht klar. Es gibt sicherlich Geimpfte, die auch Long-Covid bekommen haben. Wie stark, wie häufig das ist, ob das jetzt deutlich weniger häufig ist, das wissen wir nicht. Ich würde mal sagen, es würde in der ganzen Medizin nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn nicht auch die Long-Covid-Verläufe seltener werden würden durch die Impfung. Aber: Belege haben wir dafür keine. Das andere ist aber die Frage: Soll sich ein 16-Jähriger quasi dreimal impfen lassen? Und da muss ich sagen – mal ganz außen vor die Herzmuskelentzündung: Wenn die im Zusammenhang mit der Impfung stand, ist die natürlich ein Warnsignal, weil: Jemand, der so eine Veranlagung hat, aus welchem Grund auch immer, der könnte natürlich bei der nächsten Impfung nochmal eine Herzmuskelentzündung bekommen. Darum würde ich schon aus dem Grund sagen: Grundsätzlich sollte man vorsichtiger sein in so einer Situation. Und dann sage ich mal: Die Ständige Impfkommission empfiehlt ja die Impfung ab 70, die Boosterung. Und ich empfehle dieses Mal schweren Herzens und ausnahmsweise was Anderes als die STIKO, das habe ich noch nie gemacht. Habe mich immer beschwert, dass alle was Anderes empfehlen. Aber ich empfehle sie ab 60. Und da ist aber beim 16-Jährigen wirklich noch ein großer Abstand. Deshalb sehe ich jetzt nicht: Wieso soll der sich ein drittes Mal impfen lassen?

01:09:27

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 239. Vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am

Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne. Bis Samstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung: Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 02. November 2021 #238

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Nur 50 Prozent des Personals geimpft: Acht Menschen in Altenheim am Werbellinsee an Corona gestorben https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/panorama/coronavirus/beitraege_neu/2021/10/werbellin-barnim-altenheim-corona-ausbruch.html

BioNTech-Impfung: Ab 7 Monaten kein Schutz messbar (25.10.) Studie: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3949410

Dienstag, 02. November 2021

Die Inzidenz steigt. Die Fälle in Krankenhäusern und Altenund Pflegeheimen nehmen spürbar zu. Würde eine Impfpflicht für medizinisches und pflegendes Personal das Problem lösen?

Außerdem: 7 Monate nach BioNTech-Impfung kein Impfschutz mehr. Eine schwedische Studie befeuert die Auffrischungsdebatte. Die STIKO will aber erst in ein paar Wochen entscheiden. Wie sollte mit Auffrischungsimpfungen jetzt umgegangen werden?

Und: Wie gefährlich ist das Virus nach dem Ende der Pandemie für Ungeimpfte?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir

beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Nicht alles, was wir hier besprechen, macht auch Spaß. Z.B., wenn es um steigende Inzidenzen geht. Die deutschlandweite SiebenTage-Inzidenz liegt bei 153,7. Damit hat sie sich in den vergangenen zwei Wochen verdoppelt. Auf den Intensivstationen werden aktuell 2.086 Menschen mit Covid-19 behandelt. Über 600 mehr als vor zwei Wochen. Überrascht Sie dieser starke Zuwachs?

Alexander Kekulé

Nein. Das ist jetzt das, was man im Herbst eigentlich erwarten musste. Zumindest, was die Inzidenz betrifft. Entscheidend wird es jetzt darauf ankommen, ob die Lage auf den Intensivstationen insgesamt stabil bleibt. Also, eine hohe Zahl von Behandelten heißt ja noch nicht, dass die Stationen überlaufen sind. Und man wird auch sehen müssen, wie sich das auf die Sterblichkeit auswirkt. Wir sind ja letztlich in einer Situation, wo wir kaum noch einen Weg zurück haben. Also, wir haben beschlossen oder die Politik hat beschlossen – ich finde auch zurecht – dass man bei der Inzidenz nicht mehr so streng sein muss wie am Anfang der Pandemie, wo man dann mit Lockdowns, Schulschließungen usw. reagiert hat. Irgendwas müssen die Impfungen ja bringen. Und wir haben eine weitgehend geimpfte Bevölkerung. Und deshalb sind wir eigentlich jetzt in der Lage, wo wir ausprobieren: Was passiert, wenn der Herbst kommt? Und wir können nur hoffen, dass die Fallzahlen nicht so stark ansteigen – vor allem, die schwer Erkrankten – dass wir dann Engpässe in den Krankenhäusern bekommen.

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, heute vor einem Jahr haben wir doch gedacht: Mensch, in einem Jahr haben wir dann die Impfung, da wird das alles gar nicht so schlimm. Und jetzt stehen wir eigentlich exakt an derselben Wegmarke wie vor einem Jahr. Die Zahlen sind einigermaßen identisch.

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Alexander Kekulé

Ja, die Inzidenz ist einigermaßen identisch. Aber mit dem Blick auf England – ich habe ja mal so gesagt, dass man einen Faktor von 1:10 einrechnen kann, das heißt, sich eine zehnmal so hohe Inzidenz leisten könnte wie ohne Impfstoff. Jetzt mit den aktuellen Entwicklungen, der schlechteren Wirksamkeit der Impfstoffe – insbesondere bezüglich Delta, auch die schlechte Wirksamkeit bezüglich AstraZeneca, dann die schlechte Wirksamkeit von Johnson&Johnson, wo ja die Nachimpfung empfohlen wird, da würde ich das fast ein bisschen revidieren und sagen: Es ist eher so Faktor 5. Oder andersherum gesagt: Ich habe mal so spaßeshalber gesagt, 500 ist die neue 50. Also, ich würde eher sagen: Wenn man die Entwicklung im Krankenhaus sich ansieht, auch in England, dann muss man so eher bei einer 250er Inzidenz wahrscheinlich dann kalte Füße bekommen. Aber nichtsdestotrotz: Da sind wir ja nicht. Wir sind in einem Bereich, wo es jetzt noch quasi abgefedert wird durch die gute Immunität der Bevölkerung. Da tragen ja auch die Genesenen zu bei. Und ich weiß nicht, wir haben letztlich nicht viel mehr Optionen. Ich glaube, ein erneuter Lockdown wäre politisch keine Option. Wir müssen uns im Grunde genommen eingestehen, dass das, was jetzt passiert – wenn wir sonst vernünftig sind und nicht weiter lockern und jetzt nicht übermütig werden, wie ja manche leider auch fordern – dass man dann einfach sagt: Okay, Augen zu, hätte ich fast gesagt. Gürtel festschnallen und durch.

Camillo Schumann

Aber z.B. Impfdurchbrüche. Vor einem Jahr, als wir die Impfung als große Hoffnung angesehen haben, da gab es diesen Begriff in diesem Zusammenhang noch gar nicht. Anfang des Jahres gab es sogar Diskussion um sterile Immunität. Und gerade die zunehmende Zahl an Impfdurchbrüchen macht Sorge. Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission, heute auf der Bundespressekonferenz dazu. Wir hören mal kurz rein:

„Wir wussten von vornherein, dass, wenn Sie hundert Menschen impfen, z.B., dass dann eben eine gewisse Anzahl von Menschen nicht ausreichend geschützt sein wird. Selbst, wenn sie diese Grundimmunisierung bekommen hat.

Insofern kann man jetzt nicht so tun, als wäre es erstaunlich, wenn das tatsächlich auch stattfindet. Und nochmal: Das Ziel der Impfung ist primär immer, den Schutz vor Erkrankung zu erzeugen. Das gilt auch für andere Impfstoffe, auch wenn das in Vergessenheit gerät. Wenn man das genau sich anschaut, so gibt es eigentlich wahrscheinlich nur sehr wenige Impfstoffe, die eine sogenannte sterile Immunität hervorrufen können. Also, die dann bewirken können, dass einer, der geimpft ist, sich nicht mehr infiziert. Das ist eine sehr hohe Forderung. Mit anderen Worten: Die Durchbruch-Infektionen, die jetzt registriert werden, entsprechen eigentlich ungefähr dem, was man auch erwarten konnte.“

Konnte man das erwarten?

Alexander Kekulé

Tja, wen fragen Sie? Also, Mertens ist sozusagen jetzt auf der Linie, die wir hier schon sehr, sehr lange verfolgen. Ich muss jetzt zugeben: Ich weiß nicht, was Herr Mertens konkret zu dem Thema früher gesagt hat. Aber die weite Mehrheit der Fachleute, auch das RobertKoch-Institut, das Bundesgesundheitsministerium, die haben ja immer quasi gewunken, gelockt mit der Herden-Immunität und haben letztlich sehr, sehr spät eingeräumt, dass das nicht zu erreichen ist. Es gab ja noch die Behauptung des Robert-Koch-Instituts, dass die Geimpften gar keinen Beitrag mehr zur Epidemie leisten würden. Also: Kann sein, dass Herr Mertens, wie er jetzt sagt, schon immer diese Erkenntnis hatte. Aber in der Tat ist es so: Viele der Verantwortlichen sind jetzt überrascht oder tun überrascht und sagen: Mensch, das haben wir ja gar nicht gewusst. Ja, es ist richtig, dass wir schon immer wussten – oder zumindest einige Fachleute schon immer wussten – dass eine sterile Immunität eine absolute Rarität ist. Und ich glaube, die Hörer dieses Podcasts wissen, dass wir davon schon seit über einem Jahr inzwischen sprechen. Der Fehler war im Grunde genommen die Kommunikation, dass man so getan hat, als könnte man sich, wie einige Fachleute sagten, dann aus der Pandemie herausimpfen. Das ist fast, glaube ich, ein wörtliches Zitat. Und das geht eben so nicht. Sondern: Man kann nur die Sterblichkeit reduzieren. Und das muss das primäre Ziel sein.

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Ich glaube, die Ständige Impfkommission, zumindest ihr Vorsitzender, hat das völlig richtig vor Augen.

06:56

Camillo Schumann

Meine ketzerische Frage: Wurde die Bevölkerung dann über Monate für dumm verkauft?


Alexander Kekulé

Das ist schwierig. Weil, naja, Sie erinnern sich ja da am Anfang an die Frage: Kann die Impfung eine sterile Immunität herbeirufen? Das heißt also konkret: Kann man durch Impfung verhindern, dass Geimpfte andere anstecken und damit sozusagen eine Herdenimmunität erreichen? Und diese ganze Berechnung, die es da immer gab, wenn R=3 z.B. – also, wenn ein Infizierter statistisch drei weitere Personen ansteckt – dann heißt es ja automatisch, dass man ungefähr bei 67 % die Herdenimmunität erreicht. Das ist aus ganz, ganz vielen Gründen eine schlechte Rechnung. Aber das ist ja ganz viel verbreitet worden. Das ging hin bis zu Tony Fauci, dem bekannten amerikanischen Immunologen, der dort eigentlich sehr seriös die Debatte anführt. Und selbst Fauci hat ein paar Fehler gemacht: Er hat am Anfang sich massiv gegen die Masken eingesetzt, was mich damals sehr entsetzt hat. Und er hat eben auch diese ganze Diskussion mit der möglichen sterilen Immunität immer in den Medien geführt, während wir hier ja schon gesagt haben: So etwas gibt es nicht. Das Ergebnis dieser Diskussion steht fest. Ich meine aber auch, die STIKO hat damals gesagt: Wir müssen erstmal gucken, ob da eine sterile Immunität möglich ist. Und wir haben hier halt gesagt: Das gibt es – genau, wie Herr Mertens sagt – praktisch nie. Und insbesondere bei Coronaviren nicht. Und deshalb war das Ergebnis der Diskussion klar: Die Impfung wird schützen. Sie wird vor allem vor Krankheit und schweren Verläufen schützen. Aber sie wird nie und nimmer quasi die Pandemie komplett beenden. Und das weiß ich jetzt nicht, ob man sagen kann: An der Nase herumgeführt. Ich glaube, dass das einfach schwierig ist, wenn Politiker, die ja nun von Hause aus meistens aus ganz anderen Berufen kommen, von den Fachleuten schlecht beraten worden sind.


Camillo Schumann

Die Zahl der Impfdurchbrüche nimmt auch weiter zu. Laut letztem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts vom 28. Oktober wurden bisher rund 120.000 Impfdurchbrüche registriert. Zum Vergleich: Bei rund 55,5 Mio. vollständig Geimpften. Impfdurchbrüche werden auch nur registriert, wenn der Geimpfte auch Symptome hat und das Ganze noch per PCRTest nachgewiesen wurde. Herr Kekulé, vermutlich wird die Dunkelziffer weitaus größer sein?


Alexander Kekulé

Natürlich, die Dunkelziffer ist hier hoch. Da gibt es ja genug Studien, die wir auch z.T. schon besprochen haben, die eben zeigen, wie die Effektivität der Impfung ist. Das ist so, dass wir eben sagen müssen – werden wir heute ja auch nochmal eine Studie besprechen – bei Johnson&Johnson, AstraZeneca, da ist einige Monate nach der Impfung auf jeden Fall die Schutzwirkung so miserabel, dass man sie fast bei null ansetzen kann, nach den allerneuesten Daten. Und das ist eine Entwicklung, die steht jetzt einfach im Raum.


09:53

Camillo Schumann

Die Ausbrüche, auch in Altenund Pflegeheimen, die nehmen weiter stark zu. Dem RKI wurden in der Meldewoche 42 insgesamt 122 Ausbrüche gemeldet. In der Woche davor waren es noch 78. Betroffen waren fast 1400 Menschen. Da stellt man sich die Frage: Wie kann das eigentlich sein? Haben wir da nichts aus der letzten Welle gelernt, wie man Menschen mit dem höchsten Risiko schützen kann? Und ein besonders drastischer Fall aus Brandenburg gibt zumindest einen Hinweis, woran es liegen kann: In einem Pflegeheim am Werbellinsee sind acht Bewohner eines Altenheims an Corona gestorben. 42 sind erkrankt, auch 15 Mitarbeiter sind erkrankt. Und die Amtsärztin des Landkreises, Heike Zander, gegenüber dem RBB mit der mutmaßlichen Erklärung dieser Tragödie. Wir hören mal kurz rein:

„Es ist eine sehr ungünstige Situation in diesem Heim, weil zwar die Bewohner recht gut geimpft sind, aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben eine relativ geringe Impfquote. In dieser Einrichtung beträgt sie lediglich ungefähr 50 %. Und das ist natürlich ein erhöhtes Risiko im Rahmen der Corona-Pandemie. Und das hat sich jetzt auch zeigt.“

Herr Kekulé, was sagen Sie dazu? Im konkreten Fall ist ja noch nicht ganz klar, wie das Virus ins Heim kam. Aber: Kann die niedrige Impfquote des Personals eine Erklärung sein?

Alexander Kekulé

Ja, natürlich. Zumindest ist das etwas, wo man jetzt dagegen vorgehen muss. Also, dieser Fall ist aus zwei Gründen interessant. Das Eine: Er belegt eben nochmal sehr, sehr plastisch, dass man mit dem Impfen keinen vollständigen Schutz hat. Und deshalb muss man einfach sagen: Diese Idee, die ja auch z.B. hinter 2G-Veranstaltungen steht – wir impfen und dann kann uns nichts mehr passieren, die leider auch so kommuniziert wurde ganz massiv – diese Idee ist einfach falsch. Und wer uns nicht glaubt und jetzt neuerdings auch Herrn Mertens nicht glaubt, der kann eben dieses Ereignis am Werbellinsee sozusagen als Mahnmal nehmen und sagen: Es ist damit ja nun wirklich am Einzelfall mal bewiesen, dass es wirklich auch ein echtes Superspreading und einen schweren Ausbruch gibt, wenn man Heimbewohner hat, die geimpft sind, aber eben Personal, was unvollständig geimpft ist. Also, das ist das Eine, das uns wirklich letztlich, würde ich schon sagen, hier zu einem Strategiewechsel zwingt. Also, es gibt ja immer bei solchen Risiken Leute, die sagen: Naja, wird schon nicht so schlimm. Und andere, die sagen: Wir müssen da proaktiv tätig werden. Wir hatten es ja bei der Kernkraft ganz massiv. Und um das Bild zu strapazieren, würde ich sagen: Der Ausbruch am Werbellinsee ist so ein bisschen das Fukushima dieses Seuchenausbruchs. Also, wir haben hier einfach jetzt gezeigt, dass dieses theoretische Risiko, was von einigen Fachleuten – zuletzt eben auch von der STIKO – beschrieben wurde, wirklich real dazu führen kann, dass Menschen sterben. Das ist ja wirklich dramatisch. Und das ist das Eine. Und das Andere, was es aber auch zeigt, ist schon – ich habe da in der Zeitung mit den vier Buchstaben gelesen, dass der Heimleiter selber von diesem Heim, um das es geht – angeblich, muss man dann in dem Fall sagen – ungeimpft war und sogar in einem Zustand, wo er wusste, dass er infiziert ist, nochmal in die Firma, ins Heim gekommen ist. Kann sein, dass er da nur schnell seine Unterlagen abgeholt und gleich wieder verschwunden ist. Aber ob das stimmt oder nicht, wissen wir nicht. Aber: 50 % im Pflegepersonal ungeimpft. Also: Nach all den Kampagnen, die wir gemacht haben, da muss ich schon sagen: Da ist die Bilanz – zumindest was dieses Heim betrifft und ich bin sicher, dass das kein Einzelfall ist – die, dass man sagen muss: Dieses Personal hat überhaupt nicht verstanden, was es eigentlich für eine berufliche Aufgabe hat, wenn es so mit den hoch vulnerablen Gruppen umgeht. Und ich glaube schon, dass man daraus jetzt Konsequenzen ziehen muss.

13:50

Camillo Schumann

Über die wollen wir gerade reden. Extrem deutlich, wie Sie sich hier positionieren. Habe ich selten gehört hier so im Podcast. Das regt Sie richtig auf, kann das sein?


Alexander Kekulé

Ja, weil ich da persönlich betroffen und frustriert bin, das kann ich ganz ehrlich sagen. Ich bin ja immer jemand, der so sagt: Man muss den Menschen das nur oft genug erklären, dann sind sie dann schon vernünftig und werden dann das Richtige machen. Sie wissen, ich bin absolut gegen 2G bei Freizeitveranstaltungen. Ich war bei der Masern-Impfpflicht, die Jens Spahn eingeführt hat, ein absoluter Gegner dieser Impfpflicht – übrigens war Herr Mertens damals, glaube ich, auch nicht so richtig dafür. Die ganze Diskussion will ich nicht nochmal aufmachen. Aber es ist so, dass ich wirklich jemand bin, der grundsätzlich liberal denkt und meint: Man muss die Menschen bei ihrem Verstand packen. Andererseits bin ich natürlich selber Arzt und ich finde: Menschen, die in Pflegeberufen und den Heilberufen arbeiten, die haben sich ja einfach einen Beruf ausgesucht, wo sie eine höhere Verantwortung haben, wo sie einen besonderen Ethos brauchen und wo sie auch bereit sein müssen, diese Menschen, die ihnen da überlassen sind zur Pflege, dass sie da natürlich eine besondere Vorsicht walten lassen. Also, was weiß ich: Wenn ich früher Rettungssanitäter war in meinen ganz jungen Jahren, da bin ich im Notfalleinsatz manchmal auf irgendwelche Baustellen geschickt worden, wo ich – um jemanden da aus dem Zementmischer rauszuholen – natürlich eine faire Chance habe, mir einen Fuß zu brechen o.Ä. Das machen Sie aber, wenn Sie Feuerwehrmann sind, wenn Sie Notarzt sind. Das ist Teil des Berufsbildes, dass Sie selber sich ein bisschen zurückstecken, weil Sie einfach eine extrem wichtige Aufgabe haben. Und das machen alle, die das machen. Wenn Sie an die Ärzte denken, die da z.T. bis zur Erschöpfung irgendwo arbeiten, auf den Intensivstationen gearbeitet haben – auch konkret, um Covid-Patienten zu behandeln. Und dann regt es mich einfach auf, wenn dann Leute diesen Beruf ergriffen haben und sagen: Nö, ich stecke da einfach Leute an. Und ich glaube, 14 Tote ist die aktuelle Zahl von heute Morgen da am Werbellinsee. Und ich finde, das geht einfach nicht.


Camillo Schumann

Okay. Jetzt haben Sie ja sehr eindrucksvoll und emotional das Ganze geschildert. Sie haben gesagt: Ein Strategiewechsel. Impfpflicht fiel da schon. Die Amtsärztin Heike Zander beklagt auch, dass es eben keine Impfpflicht für das Personal des Pflegeheims gibt. Auch der Träger dieses Altenheims beklagt das. Auch in der Politik wird über so eine Impfpflicht diskutiert. Aber: Verdächtig leise. Nur Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Stefanie Drese von der SPD hat eine Impfpflicht für Pflegekräfte gefordert: „Es ist mein Ziel, eine Impfpflicht für Pflegepersonal rechtssicher hinzubekommen“, hat sie dem Spiegel gesagt. Ihr Parteikollege Karl Lauterbach ist gegen eine Impfpflicht für Pflegekräfte. Zum Einen, weil man in den Einrichtungen ja auch jeden Tag testen könnte und weil man eine Impfpflicht aus politischen Gründen ausgeschlossen hatte. Eine Impfpflicht für das Personal würde zu massiven Auseinandersetzungen mit den Querdenkern und Impfverweigerern führen. Das hat Lauterbach dem Tagesspiegel gesagt. Wie bewerten Sie das?


Alexander Kekulé

Also, ich habe mir da wirklich lange Gedanken zu gemacht. Ich kenne auch die Argumente von Herrn Lauterbach. Grundsätzlich war ich bisher immer bei ihm. Also, wir haben eine neue Lage. Die Lage ist neu. Erstens, weil es wirklich so ist, dass der Impfschutz sehr unvollständig ist und auch ständig schlechter wird. 


Also, wir haben ja zwei Effekte. 

Das Eine ist, dass – insbesondere bei alten Menschen – die Impfung eben unvollständig wirkt, auch bezüglich Verhinderung von Todesfällen. Also, insofern muss man es ein bisschen relativieren, was Herr Mertens von der STIKO eingangs gesagt hat, dass die Impfung bei Todesfällen so gut schützt. Nein, das sehen wir eben gerade, dass eben auch Geimpfte jetzt immer häufiger auf den Intensivstationen liegen und auch sterben. 

Zweitens haben wir wirklich – das ist inzwischen belegt – diesen Effekt, dass zumindest nach 6 Monaten, zumindest bei älteren Menschen, der Impfschutz langsam nachlässt. Das hängt nicht unmittelbar mit den Antikörpern zusammen. Es sollen nicht alle losrennen und die Antikörper bestimmen lassen. Aber epidemiologisch kann man feststellen, dass das nachlässt. 


Also, es sind zwei Effekte. 

Also, erstens: Die Non-Responder. 

Zweitens: Das Nachlassen des Impfschutzes nach einer Zeit. Da würde ich mal so sagen: So ein halbes Jahr ist eine Zeit, auf die man gucken muss. Und wir sind in der Situation, dass wir verstanden haben, dass wir im Prinzip einen Booster brauchen. Der ist aber im Prinzip von der STIKO bisher nur für über 70-Jährige explizit empfohlen worden. Ich habe hier ja schon ganz deutlich gemacht – und das auch anderswo gesagt – dass ich den aufgrund der jetzigen Datenlage ganz klar für über 60-Jährige schon empfehlen würde. Mit der Begründung: Persönliche Sicherheit. Also, das ist medizinischer Schutz der Menschen selber. 


Also, nichts Epidemiologisches im Sinne von Herdenimmunität. Die kriegen Sie dadurch auch nicht. Aber um die Ü-60 zu schützen, würde ich empfehlen, in diesem Fall ausnahmsweise und zum ersten Mal abweichend von der Empfehlung der STIKO, ab 60 das schon zu machen. 


Und drittens ist es einfach so – das zeigt unter anderem das Beispiel am Werbellinsee. Hier ist es aber auch so, dass ich da andere Berichte habe von Altenheimen und auch Pflegepersonal. Meine Hoffnung, dass die sich freiwillig impfen lassen, weil sie das eben verstanden haben, welche wichtige und gefährliche Funktion sie letztlich da haben, die hat sich zerschlagen. Das reicht nicht aus. Das Freiwillige reicht nicht aus. Und deshalb sage ich: Die Beurteilung ist eine andere Lagebeurteilung. Und deshalb ist mein konkreter Vorschlag dazu, zu sagen, dass man tatsächlich eine Impfpflicht verhängt, einführt für die Menschen, die wirklich mit den Hochrisikopersonen umgehen. Das heißt also, speziell für Menschen in der Altenpflege und für medizinisches Personal, das eben regelmäßig Umgang mit Risikopersonen hat. Heißt, z.B., der niedergelassene Orthopäde muss das natürlich nicht unbedingt machen. Es gibt ja nur relativ wenige medizinische Erkrankungen, wo wirklich ein erhöhtes Risiko im Falle einer Covid-Infektion ist. Aber es gibt eine ganz andere lange Liste – die kennen ja alle – von Risiken, wo man sagen muss: 


Da muss das medizinische Personal meines Erachtens geimpft sein. Und man muss dann eben sagen: Okay, das wird man in Deutschland nicht drakonisch durchsetzen. Keiner wird ja gezwungen, sich impfen zu lassen. Und dann muss man sagen: Wenn das jetzt aus medizinischen Gründen z.B. nicht möglich ist, dass sich jemand nicht impfen kann, weil es halt medizinisch nicht geht oder auch religiöse Gründe oder wirklich ernste weltanschauliche Gründe, dann muss man sagen: Okay, die müssen dann eben sozusagen Erklärung abgeben, dass sie das partout nicht machen können oder wollen. Für die muss dann die Alternative sein: 

Täglich PCR-Tests. Also, ich betone PCR und nicht AntigenSchnelltests. Weil: Ich habe schon, glaube ich, öfters erklärt, dass ich für das, was man in Altenheimen insbesondere braucht an Sicherheit, die Antigen-Schnelltests nicht sicher genug finde – andere Situation bei Freizeitveranstaltungen. Und FFP2-Masken. Das heißt also: Diejenigen, die sich dann wirklich weigern, die müssen halt dann täglich mit PCR getestet werden und 

im Dienst eine FFP2-Maske tragen. Und zwar mit konsequenter Überwachung. 

Was man auch machen muss als Konsequenz aus dem, was wir hier sehen, ist natürlich: Gelegentlich die Geimpften testen. Also, da kann man nicht, wie das bisher z.T. war, sagen – auch in Altenheim usw.: Wir lassen jetzt hier alle Schutzmaßnahmen fallen. Ein Altersheim ist ja keine Party, kein Partykeller in Berlin, wo Sie eher jüngere Leute haben, die da freiwillig hingehen. Und ich glaube, mit so einem Konzept – das heißt, da ist eine Impfpflicht jetzt im Grunde genommen dabei – würden wir da

diese Menschen ausreichend und angemessen schützen.


21:42

Camillo Schumann

Jetzt gibt es ja einen enormen Fachkräftemangel im Pflegeberuf, auch medizinisches Personal. Die haben ja auch während der Pandemie stark gelitten. Intensivstationen können nicht mehr betrieben werden, weil es kein Personal gibt. Und jetzt auch noch so eine Impfpflicht. Haben Sie nicht das Gefühl, dass – sollte das so kommen und wir malen jetzt mal den Worst Case – dass das nicht, ich sage mal so, den Pflegeberufen noch so den letzten Rest geben könnte?


Alexander Kekulé

Ja, das sind die Argumente, die auch Herr Lauterbach natürlich zu Recht – also, ich finde, nur um das klarzustellen: Dass ich jetzt hier einen anderen Vorschlag habe, heißt nicht, dass ich das nicht respektiere, wie er denkt. Und er hat da sehr klug drüber nachgedacht. Mein Gegenargument ist in verschiedene Richtungen. Zum Einen ist ja der Vorschlag, den ich mache, so, dass er nicht ausweglos ist. Wenn einer jetzt partout sagt, was weiß ich: Mein Religionsführer hat gesagt, ich darf mich nicht impfen lassen. Oder: Ich glaube, dass da wirklich irgendwelche Nanopartikel drin sind, die mich echt umbringen werden und dann lasse ich mich lieber jeden Tag testen und gehe mit der FFP2Maske zur Arbeit. Dann hat der ja noch diese letzte Möglichkeit. Zugegeben: Das ist natürlich in gewisser Weise auch eine Stigmatisierung. In dieser bestimmten Situation von den Ungeimpften gerade das, was ich eigentlich nie wollte. Aber ich glaube, dass es in so einer Situation, wenn es dann Tote gibt stattdessen, einfach die einzige Möglichkeit ist. Und das ist ja auch andersrum so: Wenn Sie eine schwere Erkrankung selber haben und wollen sich schützen, z.B. auf einer Auslandsreise, da sind Sie halt der einzige im Flugzeug, der dann dasitzt und nur ganz kurz die FFP2-Maske abnimmt zum Wasser trinken und sonst als einziger eine Maske im Gesicht hat. Das eine Argument sozusagen, wo ich glaube, dass man sozusagen diese Gefahr der Querdenker, die der Herr Lauterbach zurecht sieht, abfangen kann, ist, dass man sagt: Hier habt ihr noch eine Möglichkeit.


Das betrifft ja auch nur ganz speziell das Personal, was mit den Hochrisiko-Personen zu tun hat, also auf gar keinen Fall Lehrer und Kita-Betreuer, wie das z.T. gefordert wurde. 


Das Zweite, was ich wirklich glaube, ist: Wissen Sie, das ist ja Pflegepersonal. Und das sind ja Menschen, die doch medizinisch so halbwegs geschult sind und die auch dann doch, hoffentlich mehrheitlich, irgendwie so einen sozialen Auftrag verspüren in sich. Ich glaube, da sind nicht so viele Querdenker dabei. Also, meine Erfahrung ist einfach: Die Gründe gegen die Impfung sind da relativ diffus und undifferenziert. Das sind jetzt nicht so Leute, die wirklich an die Verschwörungstheorie von Bill Gates glauben, dass der irgendwie das Virus in die Welt gesetzt hat, um noch reicher zu werden o.Ä. Sondern: Das sind Leute, die sich letztlich, wenn man da sagt: Das müsst ihr jetzt aber machen, weil es unbedingt notwendig ist – Militär z.B. muss sich ja auch impfen lassen in bestimmten Situationen. Ich glaube nicht, dass die dann reihenweise quasi von der Fahne springen werden. Und ich glaube nicht, dass da so viele Superspinner in diesem Bereich, wenn ich das mal so sagen darf, sitzen. Wir haben auch die Erfahrungen aus den USA und aus Frankreich, wo das ja eingeführt wurde. Da hat man genau diese Argumente, die Sie gerade geführt haben, ja auch gehabt. Die haben ja auch einen Pflegenotstand. Dass man Angst hatte: Mensch, dann springen die uns von der Fahne. Und vorher haben auch alle damit gedroht und sind auf die Straße gegangen. In Frankreich und in New York City gab es eine Riesendemonstration. Aber am Ende war die Bilanz so, dass nur ganz wenige wirklich wegen dieser Impfpflicht quasi den Beruf gewechselt haben. Und deshalb glaube ich, dass – ganz pragmatisch gesehen – das nicht passieren wird in dieser Dramatik. Damit wird vorher gedroht werden. Einige werden sich aufregen. Und das andere, was Herr Lauterbach sagt, das hat er an verschiedenen Stellen schon gesagt. Ja, da wird dann die Querdenker-Diskussion hochgehen. Da finde ich irgendwie grundsätzlich: Vor diesen Leuten sollten wir nicht einknicken. Dass jetzt der ganze Staat Tote in Kauf nimmt, weil er sich mit den Querdenkern nicht anlegen will – Entschuldigung, so hat es Herr Lauterbach bei Maybrit Illner wirklich explizit formuliert. Also, das kann ich nicht unterschreiben. Da

finde ich, da muss man irgendwann dann auch mal klare Kante zeigen und sagen: Die Evidenz ist eindeutig. Ich habe vorhin die Gründe genannt, warum es notwendig ist. Und deshalb müssen wir dann in diesem Fall das von diesem Personal fordern. Im schlimmsten Fall muss ich dann halt eine Krankenschwester oder einen Krankenpfleger oder einen Arzt eben versetzen lassen in einen Bereich, wo er Patienten hat, die eben sich nur einen Fuß verstaucht haben. Das ist halt dann die Alternative.


26:15

Camillo Schumann

Und Herr Lauterbach, SPD, ist dagegen. Wir haben gerade darüber gesprochen. Die Sozialministerin von Schleswig-Holstein – ich habe sie auch schon genannt – ist dafür und möchte das ja auch rechtssicher dann umsetzen können. Zumindest plant sie das für ihr Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Also, es gibt da so eine Diskussion. Auch jemand, der handfest etwas machen möchte. Wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass die Ampelkoalitionäre das jetzt zum Thema machen und dann auch umsetzen werden?

Alexander Kekulé

Das weiß ich natürlich nicht. Wenn Sie mich was Politisches fragen, komme ich immer ins Schwimmen. Ich hoffe natürlich, sonst würde ich es hier nicht sagen. Also, es ist für mich auch ehrlich gesagt eine der wirklich schwierigen Überlegungen gewesen in dieser ganzen Pandemie. Es ist so: Ja, die Politik hat natürlich versprochen, es wird keine Pflichtimpfungen geben. Das wird ja auch immer wieder gesagt. Ich meine auch, Herr Lauterbach hat das bei Maybrit Illner als eines der Argumente gesagt. Der hat gesagt: Wir haben ein Versprechen abgegeben. Ich finde aber schon, wenn sich die Lage so ändert – zumindest aus Sicht derer, die das Versprechen abgegeben haben – dann muss man auch irgendwann mal sagen: Wir können das nicht vollständig halten. Es gibt ja keine allgemeine Impfpflicht, sondern eine sehr stark tätigkeitsbezogene Impfpflicht. Ich glaube, da müssen die Fakten dann einfach auch ausreichend, zu sagen: Sorry, sorry, ich kann mein Versprechen nicht halten. Insofern bin ich auch an dieser Stelle nicht bei den Politikern, die das jetzt damit begründen, dass sie sagen: Wir haben das früher versprochen. Da hat sich einfach die Datenlage geändert. Und da kann ich nur an die Politik appellieren, sozusagen über den Schatten zu springen. Und wir haben es ja eingangs besprochen: Viele glaubten ja tatsächlich irgendwie wegen ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Berater wahrscheinlich an diese Illusion der Herdenimmunität und der sterilen Immunität und der epidemiologischen Kontrolle des Virus durch Impfung – was ja sogar das Robert-Koch-Institut bis vor kurzem zumindest noch behauptet hat. Da kann man doch als Politiker sagen: Okay, da war ich falsch informiert, da habe ich mir die falschen Gedanken gemacht, die Fakten sind einfach anders. Ich sag mal so, schlimmstenfalls schieben sie es halt auf die Delta-Variante. Irgendeine Überraschung brauchen sie. Vielleicht kann ich noch Folgendes sagen: Also, es gibt ja das Gegenargument – weil ich weiß, dass das auch gebracht wird. Sie merken schon, ich habe so ein bisschen den Karl Lauterbach, der ja sehr klug ist – ich wollte ihn vorher noch anrufen, aber habe es nicht geschafft – so ein bisschen vor Augen, weil er sehr klug für die Gegenseite argumentiert, was ich auch respektiere. Der sagt z.B.: Wir haben epidemiologisch keinen Grund, diese Pflicht zu verhängen. Und nur, wenn man epidemiologisch einen Grund dafür hat, nur dann kann man das eigentlich verantworten. Da hat er recht. Es ist so, dass wir ja – anders als bei den Masern z.B. – nicht so einen Effekt von Herdenimmunität herbringen. Und deshalb gibt es keinen epidemiologischen Grund. Er hat auch recht mit seinen ganzen politischen Argumenten, die wir gerade besprochen haben. 


Aber es ist eben so: Diese medizinischen Argumente, die sind das Entscheidende. Also, der medizinische Schutz für jemanden, der mir überlassen wurde. Der hat unvollständigen Impfschutz. Wir wissen jetzt aktuell noch belegt, dass massive Ausbrüche möglich sind und das Risiko ist natürlich viel, viel höher als bei Masern. Und jetzt stellen Sie sich vor: Wir haben ja eine Impfpflicht bei Masern letztlich de facto für Kindergartenkinder wegen einer Erkrankung, die fast nie auftritt und ganz, ganz, ganz selten mal Todesfälle verursacht. Und wenn wir das dort sozusagen befürwortet haben und jetzt sagen: Die Menschen, die also mit Alten oder Schwerstkranken umgehen, die müssen sich nicht impfen lassen Dann fände ich das auch irgendwie inkonsequent.


30:01

Camillo Schumann

Der Ethikrat spielt bei solchen Entscheidungen ja immer noch eine große Rolle. Und die Vorsitzende, Frau Buyx, hat ja auch noch vor ein paar Wochen gesagt: „So eine Impfpflicht brauchen wir nicht in Deutschland.“ Wie wurde denn damals argumentiert, was die Masernimpfpflicht angeht? Und wie könnte man denn heute argumentieren?


Alexander Kekulé

Ja, ich glaube, die Frau Buyx hat das zu einem Zeitpunkt formuliert, wo vielleicht noch nicht diese neue Lage eingetreten war. Oder sie hat vielleicht noch nicht berücksichtigt, dass es wirklich von der Sache her möglicherweise jetzt benötigt wird. Also, zumindest aus meiner Sicht. Da kann man ja den Ethikrat bei seinen eigenen Worten von 2019 einfach mal nehmen. Damals ist letztlich die klassische Abwägung gemacht worden, wie das übrigens auch Richter beim Bundesverfassungsgericht immer machen würden, wenn so eine Sache dann eingeführt würde. Und zwar ist es ja immer so: Da müssen Grundrechte gegeneinander abgewogen werden. Viel Anderes macht der Ethikrat auch nicht. Und zwar ist es so: Jeder hat ja einen Anspruch darauf, dass der Staat ihn vor Fremdschädigung schützt. Also, dass Sie im Verkehr z.B. davor geschützt werden, dass Sie vom Auto überfahren werden u.Ä. Und natürlich auch vor Seuchen geschützt werden. Umgekehrt gibt es das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Das ist auch ein Grundrecht. Und da ist natürlich die körperliche Unversehrtheit dabei. Das heißt, jeder darf selber grundsätzlich mal bestimmen, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Und da ist eigentlich schon immer einheitlich – und das hat der Ethikrat eben ganz klar auch 2019 bei den Masern aufs Papier geschrieben. Man sagt, man muss dann sozusagen Einschränkungen dieser körperlichen Unversehrtheit, körperlichen Selbstbestimmung hinnehmen, wenn es um die Abwehr einer Gefahr geht, die erstens groß und zweitens unmittelbar drohend ist. Und das ist ja hier der Fall. Also, eine Pandemie ist eine unmittelbar große Gefahr. Und jetzt kommt es – und das ist das Entscheidende, was vielleicht die Frau Buyx auch im Kopf hatte: Und wenn man nicht auf andere Weise durch weniger eingreifende Mittel letztlich diese Gefahr abwenden kann. Und das ist das Entscheidende. Die entscheidende Frage ist: Gibt es auch andere Mittel, diese Gefahr abzuwenden? Und übrigens hat mit genau der gleichen Überlegungen damals der Ethikrat empfohlen – ein Mitglied hat sich enthalten, aber sonst war es so, dass der Ethikrat damals 2019 empfohlen hat, dass es sogar eine mit Tätigkeitsverboten sanktionierte Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen gibt. Und bei den Masern damals haben sie gesagt: Personal in Gesundheitsberufen, Sozialberufen und dem Bildungswesen. Das heißt, da wären die ganzen Lehrer und Kita-Pfleger usw. alle mit drin gewesen. Also, das, was ich hier vorschlage, geht ja längst nicht so weit. Aber das hat man damals aufgrund der gleichen Überlegungen schon bei den Masern gemacht, vom Ethikrat. Und hier haben wir ja nun eindeutig eine wesentlich größere, unmittelbarere Gefahr als bei den paar Masernfällen, die wir in Deutschland haben. Die entscheidende Frage ist jetzt: Gibt es weniger eingreifende Mittel? Und da muss man eben Folgendes sagen: Die einzige Alternative wäre jetzt rein praktisch gesehen, nicht nur für diejenigen, die partout das verweigern, wie ich es vorschlage, sondern für alle tägliche PCRs und FFP2-Masken zu machen. Ich glaube, das ist nicht praktikabel. Dann müssten alle Heime jeden, der da arbeitet – und die Krankenhäuser auch – wirklich rundum täglich PCR machen und zusätzlich die FFP2-Masken die ganze Zeit während der Arbeit tragen. Und das müsste kontrolliert werden. Das ist, erstens, für mich nicht praktikabel als Alternative. Und zweitens zeigt gerade das Beispiel am Werbellinsee: Sie können ja nicht neben jedes Altersheim Polizisten stellen. Und wenn der Leiter der Einrichtung selber das so ein bisschen locker sieht und 50 % seiner Leute nicht geimpft sind, dann ist die Gefahr, dass dann diese tägliche PCR plus wirklich das korrekte Tragen der FFP-Masken kontinuierlich durch das Personal – das wird nicht umgesetzt. Und deshalb sage ich jetzt – aber das ist jetzt meine, wenn Sie so wollen, persönliche Beurteilung an der Stelle. Ich sage: Die Alternative, die gibt es. Es gibt eine weniger eingreifende Alternative. Nämlich, dass die Menschen täglich PCR und FFP

machen müssen. Aber das ist nicht realistisch, das ist nicht praktikabel. Und deshalb sage ich: Es steht keine weniger eingreifende Methode zur Verfügung, um die Gefahr abzuwenden. Und deshalb ist aus meiner Sicht zu 100 % auf der Linie dessen, was der Ethikrat 2019 beschlossen hat, die Impfung in diesem Fall notwendig. Zu dem Schluss komme ich. Ich will jetzt nicht sagen, dass da jeder dazu kommen muss. Aber ich sage: Jemand, der freiwillig mit der Berufswahl eine erhöhte Verantwortung übernommen hat, der ist meines Erachtens dann hier auch in die Pflicht zu nehmen, dass man sagen muss: Jetzt musst du, wenn du A sagst und in diese Pflegeund Heilberufe gehst, dann musst du an der Stelle leider auch B sagen.


34:55

Camillo Schumann

Was ich mich jetzt rein praktisch gefragt habe: Die Frau Drese, Sozialministerin MecklenburgVorpommerns, die kann ja vieles wollen und rechtssicher machen. Ich frage mich nur, ob sie das überhaupt kann für ihr Bundesland? Oder müsste das nicht eigentlich der Gesundheitsminister? Also, ist das sozusagen nicht eigentlich etwas, was die neue Bundesregierung flächendeckend dann beschließen müsste?


Alexander Kekulé

Soweit ich die Rechtslage verstehe, müsste sowas bundesweit eingeführt werden über das Infektionsschutzgesetz. Letztlich besteht die Möglichkeit. Ganz klar ist, dass das Verfassungsgericht damit konfrontiert würde. Wir haben ja auch parallel die Impfpflicht in Frankreich, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerade verhandelt wird. Das ist noch nicht abschließend, sieht aber so aus, als würde das erlaubt dort. Und natürlich hätten wir sofort die Sache beim Bundesverfassungsgericht. Darum habe ich jetzt gerade auch so ein bisschen runterdekliniert, wie ich das ethisch und rechtlich sehe und glaube deshalb, dass es, wenn man es richtig macht, Bestand hätte. Es gibt ganz praktisch noch was, was trivial politisch ist. Es ist doch gerade die Forderung von einigen im Raum – ich weiß gar nicht, von wem das genau kommt – dass die Ministerpräsidenten sich jetzt mal zusammensetzen sollten und nicht warten sollten, bis die im Moment nur geschäftsführende Bundesregierung dann durch die neue abgelöst wird.


Camillo Schumann

Die entlassene Kanzlerin war das, die das vorgeschlagen hat.


Alexander Kekulé

Ach, das war die Kanzlerin? Oh Gott. Entschuldigung in diese Richtung, dass ich das jetzt gerade nicht auf dem Schirm hatte. Aber das ist ein guter Vorschlag. Und zwar aus dem Grund, weil wir eben genau das jetzt machen müssen. Wir können da nicht warten, bis irgendeine Ampelkoalition – die müssen ja so viele Dinge verhandeln – bis sie dieses Thema, was ja im Wahlkampf keine Rolle letztlich gespielt hat, bis sie das dann auch noch abgefrühstückt haben. Ich glaube, die die jetzt sozusagen im Moment amtierend und auch nicht nur geschäftsführend im Amt sind, sind ja die Ministerpräsidenten. Und gerade, wenn die Tendenz besteht – Sie wissen, ich sehe das kritisch, hier die nationale epidemische Lage nicht weiterlaufen zu lassen – dann sind ja sowieso die Ministerpräsidenten und Landeschefs gefordert. Und deshalb, glaube ich, ist es sehr sinnvoll, dass die sich zusammensetzen und ganz konkret sich jetzt zu dieser Impfpflicht mal Gedanken machen. Ich glaube, die wären die richtigen, die das im Moment sinnvollerweise beschließen müssten. Und auch die Frage – es gibt ja noch andere Diskussionen: Soll man jetzt die Impfzentren wieder aufmachen, die von der Bundesregierung oder vom Bund bezahlt wurden und solche Sachen? Ich glaube, da sind ein paar Sachen auf der To-do-Liste. Da wäre das sinnvoll, wenn sich dieses Gremium jetzt mal zusammensetzt, bevor es richtig kalt wird.


37:38

Camillo Schumann

Die To-do-Liste ist das Stichwort für das nächste Thema. Die Diskussion um die Auffrischungsimpfung nimmt – auch wegen solcher Fälle wie dem des Altenheims in Brandenburg – jetzt enorm Fahrt auf. Die Vorschläge reichen von Reaktivierung der Impfzentren bis hin – Sie haben es ja gerade eben gesagt – Krisengipfel von Bund und Ländern. Die Ständige Impfkommission will in wenigen Wochen entscheiden, ob sie Auffrischungsimpfungen für alle empfehlen wird. Herr Mertens, der Vorsitzende der

STIKO, hat der Funke-Mediengruppe gesagt, es gebe Daten aus internationalen Studien, die dafür sprächen. Zu prüfen sei, inwieweit diese Ergebnisse auf Deutschland übertragbar seien. Klar, die STIKO will in Ruhe prüfen. Aber Herr Kekulé, die Datenlage ist doch relativ klar. Oder ist sie so unklar, dass man nicht schneller zu einer Entscheidung kommen könnte?


Alexander Kekulé

Also, ich weiß jetzt nicht, welche Daten die haben. Z.B.: Es gibt ja viele Daten, die kriegen so Kommissionen, sage ich mal, unter der Hand rübergeschoben. Ich bin sicher, die haben z.B. dieses Thema „Nebenwirkungen bei Moderna“. Da gibt es eine nordische Studie von den Nordländern, die keiner gesehen hat und die die entgegen meiner Erwartungen nicht rausgerückt haben. Ich bin aber sicher – hoffe – dass die STIKO die auf dem Tisch hat. Daher weiß ich nicht, welche Daten er meint. Aber ich meine schon, dass, wenn man sich das aufgrund der Dinge, die wir jetzt schon haben, ganz nüchtern ansieht, dass man da bezüglich Booster schon sagen kann, in welche Richtung das gehen müsste. 

Und zwar erstens: Wir haben insbesondere aus Israel – aber da kommen inzwischen immer mehr Studien und Daten zusammen, aktuell eine schwedische, die wir gleich besprechen werden. Da haben wir eindeutig Hinweise oder ausreichende Daten dafür, zu sagen: Ab 60 brauchen wir, empfehlen wir die Boosterung. Da würde ich nicht mehr warten. Die STIKO ist bei 70. Vorsichtigerweise hat sie damit angefangen. Das war alles richtig. Aber die Impfung ab 60 zu empfehlen, das kann ich nur nochmal sagen, ist dringend notwendig, weil: Sie verlieren ja Zeit. Und jeder, der nicht geboostert ist – das Beispiel des ehemaligen amerikanischen Außenministers Colin Powell haben wir ja noch vor Augen. Der ist an dem Tag krank geworden mit Covid und dann auch gestorben, wo er seinen Termin für die Boosterung hatte. Also, es kommt da wirklich auf die Zeit an, gerade, wenn die Inzidenz so hochgeht. Und deshalb plädiere ich nochmal dafür: Ab 60, lassen Sie sich boostern. Die Möglichkeit besteht ja jetzt schon. Das ist die medizinische Indikation. Das ist die Indikation, individuell sich zu schützen, die gilt nicht für alle, die gilt nicht für alle ab 18. Und da kann die STIKO die Daten zehnmal auf den Kopf stellen. Es wird in Deutschland nicht rauskommen, dass wir irgendwie ab 18 dringend eine Boosterung brauchen, weil wir eben die Verlaufsdaten nicht so lange haben. Die Impfung läuft ja letztlich erst seit Januar und da haben wir keine harten Daten, was für einen Zeitraum länger als sechs bis neun Monate los ist. Und da wird es bei den Daten bleiben, die wir haben. Ja, der Impfschutz wird schwächer. Aber ob das für einen jüngeren Menschen möglicherweise ausreicht? Da wird nichts Neues dazukommen. Da sage ich: Für die jüngeren Menschen reicht das, weil das Risiko viel geringer ist, weil der Impfschutz weniger schnell nachlässt. Und weil es weniger Non-Responder gibt, reicht das erstmal aus. 

Wichtiges weiteres Argument, ich kann es nur nochmal sagen: Es ist wirklich eine Katastrophe, dass die reichen Länder durch diese Boosterung quasi weltweit den Markt leersaugen und dadurch die armen Länder dieser Welt also alle WHO-Ziele verfehlen. Da gab es ja jetzt mal die Idee, dass wenigstens 10 % in den armen Ländern geimpft sein sollen bis zum Ende des Jahres. Auch das ist also weit verfehlt worden. Das heißt also, da muss man wirklich dann mal sagen: Also, für alle ab 18, epidemiologisch, ist es nicht sinnvoll, weil wir auch durch die Boosterung keine vollständige Eradikation oder Elimination des Virus bekommen. Das wird nicht stattfinden. Und wir wissen ja nicht einmal, ob diese Boosterung überhaupt einen Langzeiteffekt hat. Das kann sehr gut sein, dass das einfach nur so ein kurzer Schubser quasi für das Immunsystem ist, eher was mit einer Reaktogenität der angeborenen Immunantwort zu tun hat, die sich jetzt gar nicht so in nachhaltige Rekrutierung von diesen sogenannten Gedächtniszellen da niederschlägt. Das heißt also, jüngere Menschen boostern aus medizinischen Gründen oder aus epidemiologischen Gründen: Dafür gibt es keine Daten. Aber Ü-60 zu boostern aus individuellem, medizinischen Schutz: Da gibt es sehr gute Daten für. Darum finde ich – lange Antwort auf eine kurze Frage: Die STIKO könnte es eigentlich sofort entscheiden. Und wenn sie jetzt in dem Fall dann die Boosterung ab 18 empfiehlt, dann bin ich mal sehr gespannt auf die medizinische Begründung oder auf die epidemiologische Begründung.


42:13

Camillo Schumann

Wir wollen jetzt über diese von Ihnen angesprochene schwedische Studie sprechen, die ein eindeutiges Signal für eine Booster-Impfung setzt und über die sich sicherlich auch die STIKO beugen wird. Es geht um die Wirksamkeit der Impfstoffe von AstraZeneca, Moderna, BioNTech und die Frage: Wie lange hält die Wirkung an? Ich möchte jetzt auch nicht zu viel vorwegnehmen. Aber: BioNTech hat mich doch sehr überrascht, aber im Negativen. Aber erstmal ein paar Worte zur Studie selbst. Was auffällt, ist: Ein Betrachtungszeitraum von neun Monaten und eine sehr, sehr große Vergleichsgruppe an Ungeimpften. Also, das Setting dieser Studie ist doch ziemlich gut, oder?


Alexander Kekulé

Ja, also das ist wirklich super, was die da haben. Das ist die Universität in Umea gewesen, da ganz im Norden von Schweden. Norrland da oben, wo man also echt nur noch zum Elchegucken hinfährt. Und die haben aber für ganz Schweden dieses nationale Register genommen. Die haben ja ein ganz tolles nationales Register, wo die Geimpften drin sind. So ähnlich, wie das im Vereinigten Königreich auch ist. Und die haben tatsächlich, wie Sie sagen, die haben 842.974 Paare gehabt. Also, fast 850.000 Paare. Also, letztlich doppelt so viele Teilnehmer der Studie. Und haben immer einen Geimpften mit einem Ungeimpften gematched und geguckt: Wie verändert sich das Risiko? Sowas nennt man eine retrospektive Kohortenstudie. Gehört also in die Kiste der sogenannten Beobachtungsstudien. Ist also keine richtig geplante, experimentelle Studie, aber in dem Fall sehr, sehr leistungsfähig. Weil die Zahl so groß ist, weil man dann auch die Störfaktoren ganz gut rausrechnen kann – wie Alter, die Region, wo jemand lebt usw. Wenn man so viele hat und für jeden dann einen gematchten, einen passenden, nicht geimpften Fall hat. Der andere Vorteil ist: Die hatten eben in Schweden so alle möglichen Impfstoffe und haben also dann geguckt: Volle Impfung gegen ungeimpft. Und volle Impfung, da hatten sie AstraZeneca, BioNTech und Moderna zum Vergleich

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Camillo Schumann

Und die Frage war ja, wie es nach sechs Monaten aussieht? Das war ja noch offen, weil man nicht so richtig wusste, wie es sich da entwickeln könnte mit der Wirksamkeit der Impfstoffe. Wie gesagt: Dass die Wirkung der Impfung nicht bei allen Menschen gleich lang und gleich stark ist, das war ja zu erwarten. Aber: Dass der Impfschutz nach schon sieben Monaten gar nicht mehr da ist, hat dann doch sehr überrascht.


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist natürlich für mich jetzt auch überraschend gewesen, dass das rein statistisch – also, da wurde getestet: Wer kriegt eine symptomatische Erkrankung? Also, wer kriegt Covid mit ein paar Symptomen? Egal welche. Das ist ja dann das, was wir quasi die Impfeffektivität nennen. Also, die klassische Impfeffektivität, wo mal früher die RNA-Impfstoffe bei 95 % lagen, bevor es Delta gab. Und zweitens haben sie nochmal geguckt: Wie ist es mit dem, was sie dort schwere Erkrankung genannt haben? Das waren also dann solche, die deswegen ins Krankenhaus mussten oder sogar gestorben sind. Das war dort die Definition für schwere Erkrankung. Und da kam raus: BioNTech hat also, um das mal rauszunehmen – da ist es so, dass die Effizienz zunächst mal bei 92 % liegt. Das ist also ganz gut. Das ist sozusagen für die, die innerhalb des letzten Monats vollständig geimpft wurden – also, 15 Tage nach der vollständigen Impfung bzw. bis zu 30 Tage. 92 % ist am Anfang ungefähr das, was man erwarten würde. Sogar ganz gut. Also, ich weiß ich jetzt nicht genau, ob sich das hauptsächlich auf Delta bezieht, aber für diesen Zeitraum 02.01. bis 04.10. – naja, eine Schwäche der Studie, dass natürlich sowohl Delta dabei ist als auch andere Varianten. Und dann hat man eben gesehen: Je länger man wartet, desto weniger gut wird der Schutz. 


Man muss allerdings sagen: Bei dieser Dynamik am Anfang waren eben bei denen, die früh geimpft wurden, ist es natürlich so, die haben tendenziell noch Typ Alpha oder vielleicht sogar den Wuhan-Typ noch abgekriegt. Und je länger man wartet – auch in Schweden – desto mehr Delta-Anteil ist natürlich dabei. Sodass also hier das, was man da sieht – dieser Rückgang: 92, 47, 23 % Schutzwirkung – das ist auch dem geschuldet, dass die Delta-Variante sich durchsetzt. Spielt aber am Ende des Tages keine Rolle. Heißt letztlich: Gegen Delta nach 7 Monaten ist der Impfschutz, zumindest in dieser Studie, weg. Bei Moderna war es einen ganz kleinen Ticken besser, aber letztlich auch nicht richtig berauschend. Die hatten nach 6 Monaten noch knapp 60 % Schutzwirkung. Das heißt also, etwa gut 10 % mehr als bei BioNTech. Ist aber letztlich auf den längeren Zeitraum jetzt nicht, sage ich mal, signifikant, der Unterschied. Nicht relevant, der Unterschied. Richtig abgeschmiert hat AstraZeneca hier. Aber das wird in Deutschland ja nicht mehr verwendet. Und da habe ich mich ja auch schon geäußert, dass ich finde, dass die eine dringende Auffrischung brauchen. Da ist es sogar so, dass schon nach vier Monaten die AstraZeneca-Geimpften keinen Impfschutz, sondern statistisch gesehen minus 19 % haben. Das heißt also, dass die sogar eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, symptomatisch Covid zu bekommen. Jetzt wird man natürlich sagen: Was soll denn das? Wieso denn erhöhte Wahrscheinlichkeit durch Impfung? Das gibt es ja gar nicht? Das ist natürlich deshalb, weil jemand, der geimpft ist, sich statistisch gesehen unvorsichtiger verhält. Der ändert sein Verhalten. Und wenn Sie das vergleichen mit jemandem, der ungeimpft ist, der dann vielleicht noch Maske hat und immer regelmäßig Tests macht (Stichwort 3G) der hat eben dann tatsächlich seltener Covid am Schluss, als ein Geimpfter, der glaubt, er wäre geschützt. Und das ist bei den AstraZeneca-Leuten wohl der Fall gewesen.


48:32

Camillo Schumann

Tja, und wenn man sich diese Zahlen so vor Augen führt und die Ergebnisse dieser Studie, da braucht es einen auch nicht wundern, dass sowas wie im Altenheim am Werbellinsee passiert.

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Alexander Kekulé

Ja, genau. Also, ich habe natürlich diese Daten gekannt, bevor ich mich zu dem, was ich vorhin empfohlen habe, sozusagen mich entschlossen habe. Diese Studie hier, da gibt es ja andere, die ähnlich sind. Wir besprechen ja immer nur einzelne, greifen die hier raus. Aber die Studie sagt eigentlich zwei Sachen. 

Das Eine ist: Die Booster-Impfung ab 60 ist absolut notwendig und zwar sofort. Da weiß ich nicht, warum man da noch wochenlang drüber nachdenken muss. 

Und das andere ist – genau, wie Sie sagen: Man muss im Grunde genommen tätig werden, um so Ausbrüche wie am Werbellinsee zu verhindern. Und das heißt für mich im Grunde genommen: Wir müssen jetzt die Impfpflicht für Pflegeund Heilberufe mit den vorhin genannten Einschränkungen haben.

49:29


Camillo Schumann

Wir haben noch was vergessen. Man kann ja auch aus dieser Studie sozusagen eine Zielgruppe für die Booster-Impfung definieren. Weil: Bei allen kann man das ja jetzt nicht so über einen Kamm scheren. Es geht ja vor allem über die Älteren und auch Menschen – hier in dem speziellen Fall auch – mit Vorerkrankungen.


Alexander Kekulé

Ja, das stimmt, da haben Sie völlig recht. Das ist hier auch nochmal ganz deutlich gezeigt, dass speziell für die schweren Verläufe – die haben auch nochmal rausgerechnet: Wie ist es mit schweren Verläufen? Gerade haben wir ja für den Schutz vor symptomatischer Infektion im weitesten Sinne gesprochen. Und bei schweren Verläufen ist es nicht ganz so dramatisch. Insofern hat Herr Mertens in seinem Statement, was wir am Anfang hatten, ein bisschen Recht gehabt noch. Also, der Schutz z.B. für BioNTech ist so: Für schwere Verläufe geht das also runter, nur bis 42 %. Also, ab 6 Monaten. Das heißt also, zum Vergleich nochmal: Der Schutz insgesamt vor Infektionen ist 23 % nach einem guten halben Jahr. Das heißt: Eigentlich weg. Und bei schweren Verläufen ist es immerhin noch 42 %. Also, so fast die Hälfte, knapp die Hälfte hat dann noch einen Schutz davor. Daraus kann man natürlich nicht schließen, dass, wie wir das ganz am Anfang mal gedacht haben: Ja, jemand, der irgendwann mal geimpft wurde, der wird schon nicht sterben an Covid. Sondern man muss jetzt wirklich sagen: Wer schwere Grunderkrankungen hat, wer älter ist und übrigens auch für Männer – ist in dieser Studie nochmal gezeigt worden – ist das Risiko für schwere Verläufe eben höher und vor allem auch die Abnahme der Schutzwirkung über die Zeit deutlicher. Und deshalb muss man sagen: Da diese Alterskurve drin ist, da die Grunderkrankungen drin sind, da nochmal belegt sind und da hier der Abfall so deutlich ist, wie wir es eigentlich sonst nie gesehen haben – nochmal zur Warnung: Das sieht hier deshalb so deutlich aus, weil die quasi den Zeitverlauf von der AlphaPeriode in die Delta-Periode auch noch mit drin haben. Aber trotzdem ist das Ergebnis eine ganz klare Unterstützung dafür, dass man ab 60 boostert.


Camillo Schumann

Und wenn man die Studie jetzt beginnen würde oder vielleicht vor drei Monaten begonnen hätte und sie jetzt noch sechs Monate weiterführen würde, würden die Zahlen wahrscheinlich noch schlechter aussehen, oder?


Alexander Kekulé

Das wissen wir nicht genau. Das ist genau die Überlegung. Es kann sein, dass es so ist, wie Sie sagen. Aber wir haben ja dieses Phänomen, dass diese RNA-Impfstoffe unerwartet stark reaktogen sind. Und dadurch haben sie sozusagen so einen Anfangseffekt, der sehr, sehr stark ist. Und die Frage ist: Wie nachhaltig wirkt das Ganze sozusagen? Wie nachhaltig ist die Wirkung? Also, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis, wenn Sie so wollen, vom Immunsystem. Und ja, kurzzeitig wird das Immunsystem damit so aufgeschreckt, dass offensichtlich die Abwehr gegen dieses Virus ganz gut ist. Das kann aber auch mit so relativ primitiven Mechanismen – eben der angeborenen Immunantwort – zusammenhängen. So eine Art Alarmzustand, wie wir es bei Kindern ja auch physiologisch haben. Dass einfach auf den Schleimhäuten diese angeborene Immunantwort aktiviert ist, ohne, dass sie jetzt spezielle Antikörper produzierende Zellen haben und spezielle T-Zellen haben – diese zytotoxischen T-Zellen – die bei der Immunität helfen. Und ohne, dass sie Gedächtniszellen haben.


Sodass es sein könnte, dass man durch den Booster quasi nur so eine allgemeine, sage ich mal, Aktivierung des Immunsystems hat, die gar nicht so speziell gegen Covid geht. Also, wir kennen das z.B., wenn jemand eine Impfung gegen Tuberkulose bekommt. In Afrika ist das z.T. gemacht worden. Da sind die mit so einem Tuberkulose-Impfstoff geimpft worden. Und dann hat man gesehen, dass ungefähr für ein Jahr – in dem Fall – die Häufigkeit auch von anderen Infektionen abnimmt. Also, die haben dann plötzlich seltener Erkältungskrankheiten, irgendwelche anderen Infektionen, weil eben durch die Tuberkulose-Impfung, die auch sehr stark reaktogen ist, das Immunsystem allgemein im Alarmzustand ist und sich erst nach einem Jahr wieder richtig beruhigt hat. Das könnte sein, dass wir das jetzt auch so sehen könnten. Und das ist eigentlich eine wichtige Frage eben zu dem Thema: Brauche ich die Booster-Impfung? Und für wen brauche ich die? Weil: Wenn ich damit jetzt die Idee habe, irgendwie die Pandemie damit unter Kontrolle zu bringen, dann muss ich sagen: Nein, es sieht nicht so aus. Aber wenn ich sage: Ich will jetzt Menschen, die individuell, ganz persönlich jetzt ein hohes Risiko haben, insbesondere Alte, schützen. Dann ist mir das egal, ob das ein Langzeiteffekt ist oder nicht, sondern Hauptsache, die kommen jetzt heile über den Winter.


53:59

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Hörerin hat angerufen. Sie hat eine Frage zum Ende der Pandemie, möglicherweise Ende Mai. Das haben wir ja hier schon mal besprochen. Ganz kurz: Bleiben Sie dabei?


Alexander Kekulé

Also, das Ende der Pandemie? Ich habe das nochmal gesagt. Die Pandemie ist dann nicht zu Ende, aber sie ist für uns als, sage ich mal, Notstand zu Ende. Der Notstand ist dann zu Ende, weil wir eine Endemie haben, wie ein Wissenschaftler in den USA gesagt hat. Das Virus wird dann sowas wie ein Wohnzimmermöbel: Man gewöhnt sich dran.


Camillo Schumann

Und genau um diesen Umstand geht es dieser Hörerin. Sie würde gerne wissen, was genau diese Lage dann für die Ungeimpften bedeuten könnte?

„Ist die Wahrscheinlichkeit, sich dann anzustecken – wird die sozusagen eigentlich immer höher, auf einen Infizierten zu treffen? Die meisten Impfgegner sind ja ganz gegenteiliger Meinung. Die denken, das verschwindet dann und sie treffen gar niemanden Infiziertes mehr. Zum anderen: Ist das Virus für Ungenesene, Ungeimpfte eigentlich dann auch schwächer? Können die Ungeimpften sozusagen mit einem schwächer gewordenen Virus rechnen oder gilt das eigentlich nur für die Geimpften? Und die anderen trifft es sozusagen in jeweils voller Härte so wie vom ersten Tag an? Oder schlimmer: Durch Delta.“


Alexander Kekulé

Tja, sind zwei Fragen: Also, wie ist die Gefahr für diejenigen, die ungeimpft sind, wenn wir in so einem eingeschwungenen, endemischen Zustand sind? Dann wird es so sein, dass natürlich in den Sommermonaten die Inzidenz wieder runtergehen wird – und zwar ganz dramatisch runtergehen wird. Wir werden unter den Geimpften plus Genesenen immer mehr Menschen haben, die keine richtige Herdenimmunität, aber einen gewissen Herdenschutz aufbauen. Und ja, da werden die – sage ich mal als Parasiten – da werden die Impfgegner, die sich nicht impfen lassen, sofern sie nicht selber schon genesen sind, die werden da sozusagen mitgeschützt. Die haben einen gewissen Herdenschutz. Aber dann kommt dann irgendwann der nächste Herbst und da wird es natürlich gar keine Maßnahmen mehr geben. Man wird vielleicht im öffentlichen Bereich noch Masken tragen, aber vielmehr wird es nicht sein. An einzelnen Stellen vielleicht noch testen. Und dann sind die natürlich jedes Mal im Herbst wirklich gefährdet, sich zu infizieren. Und man nimmt dann auf Dauer wirklich die Gefahr der Infektion ganz klar in Kauf. Es ist nicht so, dass man dann so ähnlich wie bei Masern, wo wir eben dieses Eradikationsprogramm haben – das weltweite Programm, die Masern ganz auszulöschen. Da gibt es ja diese sterile Immunität oder fast sterile Immunität. Und das gibt es eben bei Corona nicht. Das Virus wird sich auch weiter verändern, sodass die Ungeimpften in ständiger Gefahr leben müssen. Wem das keine Angst macht, der kann das

 in Kauf nehmen. Also, was ich nicht unterschreiben würde, ist, dass man sich sozusagen, wenn man sich nicht impft, auf jeden Fall dann infiziert. Also, impfen oder infizieren, so hart ist es nicht. Vor allem nicht, wenn man es sich auf einem kurzen Zeitraum anschaut. Man kann sich auch anders schützen vor einer Infektion. Aber wer will das schon jahrelang machen? Und vielleicht dann nach zehn Jahren erwischt es einen dann doch irgendwann mal im Winter. Also, kein vollständiger Schutz durch die Umgebung. Aber ein gewisser Schutz durch die Umgebung ist durchaus da für diejenigen, die es dann sozusagen ungeimpft und ungenesen durch die harte Phase der Pandemie geschafft haben. Wenn die krank werden – das ist die zweite Frage gewesen – erwischt es die ganz genauso. Das ist überhaupt kein Unterschied. Wenn Sie nicht genesen sind oder geimpft, dann ist das Virus mindestens genauso unangenehm, wie es schon immer war. Es gibt ja sogar Kollegen von mir – zumindest in Deutschland ist das immer noch so in manchen Köpfen drin – die sagen: Die Varianten werden immer gefährlicher im Sinne, dass sie jetzt von sich selbst her schwerere Krankheitsverläufe machen. Nach internationaler Meinung gibt es dafür überhaupt keine Daten, keine Evidenz dafür. Aber zumindest genauso gefährlich. Also, das Virus als solches ist für jemanden, der jetzt kein Immunsystem hat, das irgendwie ein bisschen darauf trainiert wurde, ganz genauso gefährlich wie am ersten Tag.


58:12

Camillo Schumann

H. hat gemailt:

„Eine Bekannte von mir ist Impfskeptikerin. Sie hält die Impfung für sich nicht notwendig, weil sie der festen Überzeugung ist, dass die vollständige Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Sars-CoV-2-Virus schon längst erfolgt ist. Dass ihr eigener vermeintlicher Kontakt bzw. alle ihre vermeintlichen Kontakte mit dem Virus symptomlos verlaufen sind, führt sie auf ihr gut funktionierendes Immunsystem zurück. Meine Bekannte ist Mitte 50, sehr stark übergewichtig und hat beruflich viele Kontakte zu kranken Menschen, darunter schwer krebskranke Patienten. Wie würde Herr Professor Kekulé in einem solchen Fall für die Impfung argumentieren? Ich mache mir wirklich Sorgen über meine Bekannte und die schwerkranken Menschen, mit denen sie sorglos Kontakt hat und würde mich sehr über eine Antwort freuen. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, die Sorgen kann ich durchaus verstehen. Also, wir haben natürlich keine vollständige Durchseuchung. Aber ja, ich glaube auch, dass wir bis zum nächsten Frühjahr dann wahrscheinlich bei über 90 % der Menschen in Deutschland sein werden, die entweder geimpft oder genesen sind. Oder beides. Das ist natürlich ein hoher Anteil, aber wie wir es gerade schon besprochen haben: Sie können sich von denen natürlich genauso infizieren. Vielleicht sogar noch eher, weil alle Daten, die wir jetzt haben, wirklich zeigen, dass auch Geimpfte – zumindest kurzzeitig – das Virus in großer Menge ausscheiden können. Es kann sogar unter Geimpften richtige Ausbrüche geben. Wahrscheinlich ist das, was wir in dem Altersheim jetzt da nördlich von Berlin gesehen haben, so ein Beispiel dafür. Und deshalb würde ich sagen: Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Durchseuchung der Bevölkerung sozusagen einen schützt. Nur, weil man Kontakt hatte – dass man sagt: Mein Immunsystem ist so super, ich habe mich da nicht angesteckt. Das ist einer der häufigsten Irrtümer, die ich überhaupt immer bei Infektionskrankheiten höre. Da ist eben „tausendmal ist nichts passiert“. Ja, und dann plötzlich ist es nicht mehr gut gegangen. Aus Gründen, die wir nicht wirklich verstehen, gibt es ganz viele Beispiele, wo Menschen wirklich mit Covid-Patienten im gleichen Zimmer geschlafen haben, wo Paare engstens zusammen waren: Der eine hat es, der andere hat es nicht. Und das liegt hauptsächlich an demjenigen, der das Virus ausscheidet. Ob der gerade in dem Moment, wo die beiden zusammen sind, so einen Moment hat, wo viel Virus quasi abgegeben wird. Und das liegt an der momentanen Abwehr der Schleimhäute, die eben mal so, mal so ist. Je nachdem, wie die Luftfeuchtigkeit ist usw. Da kann man sich überhaupt nicht drauf verlassen. Es gibt solche Beispiele massenhaft. Auch bei sehr, sehr gefährlichen Erkrankungen. Wir haben in Westafrika bei Ebola Familien gehabt, wo einer krank war und die anderen überhaupt kein Ebola bekommen haben, obwohl sie eng zusammen waren. Aber ich warne dringend davor, daraus zu schließen, dass das Immunsystem irgendwie topfit wäre. Das hat damit nichts zu tun. Sondern: Mit der Tagesform und mit der zufälligen Virusausscheidung bei demjenigen, der krank ist. Und hier ist es ja offensichtlich jemand, der nicht nur selber ein Risiko hat, weil er übergewichtig ist, sondern auch noch beruflich eine Verantwortung hat. Und da muss ich einfach sagen: Jemand, der beruflich eine Verantwortung hat für besonders empfindliche, vulnerable Menschen, der muss sich einfach aus diesem Grund impfen lassen. Das ist ja dieses Thema, warum ich sogar in diesem besonderen Fall für eine Impfverpflichtung bin.


01:01:29

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 238. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie können uns auch anrufen, das kostet auch nichts: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. An dieser Stelle eine PodcastEmpfehlung: Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 30. Oktober 2021 #237: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 30 Oktober 2021

Kann man sich als vollständig Geimpfter zweimal mit der Delta-Variante infizieren?

Lippenherpes nach einer Impfung: Was tun?

Sollte man AstraZeneca als Auffrischungsimpfung verwenden, wenn man den BioNTech Impfstoff nicht verträgt?

Kann man als doppelt geimpfte 72-Jährige wieder im Kirchenchor singen?

Kann eine Impfung für das Ausbleiben des Monatszyklus bei einer 13-Jährigen sorgen?

Camillo Schumann

Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

0:47

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen und eine sehr spannende Frage:

„Ich wollte fragen, ob man sich auch zweimal mit der Delta-Variante anstecken kann oder ob es dann einer anderen Variante bedarf, um wieder an Corona zu erkranken? Ich bin zweimal geimpft und bin jetzt trotzdem an Delta erkrankt und wäre einfach froh zu wissen, ob es

das dann erstmal war, bis zur nächsten Variante, die so rumschwirrt.“

Alexander Kekulé

Das ist eine sehr gute Frage. Geimpft plus Delta, ob man dann nochmal Delta kriegen kann. Da gibt es keinen Fall, der sozusagen dokumentiert ist. Grundsätzlich muss ich leider sagen: Ganz auszuschließen ist es nicht. Aber Sie haben mit doppelt geimpft, vollständig geimpft plus Delta-Infektion den höchsten Schutz, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Das heißt: Wenn es nochmal zu einer Infektion käme, ist die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dann asymptomatisch oder nur ganz leicht symptomatisch.

01:45

Camillo Schumann

Frau K. hat gemailt. Sie will wissen:

„Kann ich zum jetzigen Zeitpunkt wieder im Kirchenchor mitsingen? Ich bin zweimal geimpft. Zweite Impfung war im Juni. Ich bin 72 Jahre alt. Vielen Dank vorab mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé

Das kommt auf die anderen an. Man kann leider als Geimpfter dann natürlich das Virus noch verbreiten. Aber wenn die anderen auch geimpft sind oder sich anderweitig schützen – also, in dem Fall würde ich schon vorschlagen beim Kirchenchor, dass Getestete, die jetzt ungeimpft sind, da einen Abstand halten und zusehen, dass sie sich nicht anstecken können von möglicherweise Geimpften, die das Virus ausscheiden. Dann ist es selbstverständlich möglich. Also, zweimal geimpft reicht aus, um im Kirchenchor wieder singen zu dürfen.

Camillo Schumann

Mit oder ohne Maske?

Alexander Kekulé

Ich finde ohne Maske, aber es kommt ja ein bisschen auf das Konzept an. Also, wenn jetzt einem ganzen Chor von Geimpften rein theoretisch eine Riesenmenge von Ungeimpften gengegenübersteht, die dann wohl getestet werden in dieser Situation, dann ist das für die Ungeimpften natürlich ein erhebliches Risiko. Ich weiß, da widerspreche ich der Aussage des Robert Koch-Instituts, wonach die Geimpften

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epidemiologisch keine Bedeutung mehr hätten. Aber das ist einfach eine abweichende Fachmeinung. Damit muss man in dem Fall mal leben. Und ich sage: Die Geimpften, wenn da so ein ganzer Chor Geimpfter singt und davor stehen lauter Ungeimpfte, dann wäre das für die gefährlich. Und da wir ja Covid-Infektionen lieber vermeiden wollen – auch jüngere Leute sollten das machen – würde ich dann empfehlen, dass die, die da als Zuschauer sind, also mindestens eine FFP2-Maske haben und Abstand halten.

03:27

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen. Sie möchte auch unbedingt wieder singen, hat aber ihre Zweifel. Und das Setting bei ihr ist auch ein ganz anderes:

„Und zwar möchte ich gerne im Advent, also am ersten Advent zu einem Gesangsworkshop fahren, wo ca. 300 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenkommen. Vielleicht sind es diesmal ein paar weniger. Das ist eine 2G-Veranstaltung, also genesen und geimpft. Und trotzdem habe ich Bedenken. Und ich möchte gerne wissen, ob die berechtigt sind oder ob ich mich da möglicherweise entspannen kann. Also: Eine Gesangsveranstaltung, ein Gesangsworkshop über zweieinhalb Tage, wo vermutlich ca. 300 Menschen in einem schon großen Saal natürlich, aber nicht mit dem normalen Abstand – den man in Chören ja noch halten muss – zusammensitzen und mehrere Stunden am Tag gemeinsam singen.“

Jetzt bin ich ja mal gespannt, was der Virologe dazu sagt.

Alexander Kekulé

Also, wenn da ein Positiver dabei ist, dann wird er das Virus ausscheiden und wahrscheinlich den einen oder anderen infizieren. Ich gehe mal davon aus, die singen da ohne Maske. Das ist natürlich dann, wenn alle geimpft sind, tendenziell keine große Gefahr. Also, wenn da jetzt nicht besondere Risikopersonen dabei sind – also, sage ich mal über 70 oder so – dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es da zu schwersten Verläufen kommt, nicht sehr hoch. Also, so ganz praktisch gesehen: wenn ich jetzt zweimal geimpft und über 70 wäre, würde ich

bei diesem Gesangsworkshop nicht mitmachen, weil das Risiko mir zu groß wäre. Wenn ich zweimal geimpft und unter 60 bin, dann ist es relativ einfach. Dann muss ich mir die Frage stellen: Welches Risiko nehme ich in meinem Leben für die Dinge, die mir Spaß machen, in Kauf? Und da gibt es ein Restrisiko, ganz klar. Aber ich finde, wir als Gesellschaft insgesamt sind jetzt in der Lage – wir haben diese Impfstoffe, wir haben nichts Besseres, als geimpft zu sein. Und deshalb muss man sich einfach überlegen: Wenn ich jetzt nicht zu dieser besonderen Risikogruppe der Hochaltrigen oder anderweitig Gefährdeten gehöre, lasse ich mir dann meinen Spaß sozusagen von diesem Virus verderben oder mache ich es einfach und nehme das Risiko in Kauf? Also, ich glaube, letzteres kann man durchaus begründen und sagen: Man fährt dahin. Das Risiko ist in der Tat gegeben. Und ich fände es bei so einer Veranstaltung ganz wichtig – gerade, wenn ich da höre: Aus ganz Deutschland kommen die Teilnehmer – dass man wirklich dafür sorgt, weil natürlich bei sowas das Risiko besonders hoch ist – ja, also gemeinsam singen im geschlossenen Raum, das ist ja fast wie Partykeller in Berlin oder Ähnliches – da würde ich dann schon sagen, wäre es sinnvoll, eine Nachverfolgung möglich zu machen. Das heißt, dass sich zumindest ein Teil der Teilnehmer ein paar Tage später testet, um zu sehen, ob es da Infektionen gab. Und dass man ein gutes Warnsystem hat, wo man dann sofort, wenn da jemand positiv war, die anderen warnen kann, damit die sich da in Quarantäne begeben. Zumindest verhindern, dass das Virus dann an Personen mit einem besonderen Risiko weitergegeben wird.

06:36

Camillo Schumann

Besteht nicht auch die Gefahr, dass bei so einer Veranstaltung mit diesen 300 Personen – und wir setzen mal jetzt voraus, alle 300 sind geimpft – bei diesem Setting nicht auch ein Superspreader-Event entstehen könnte?

Alexander Kekulé

Das kommt dann auf die räumlichen Verhältnisse an. Also, wenn das sowas wie eine Kirche, ein großer Raum ist – vor allem hoher Raum, wo die ausgeatmete Luft eine Chance hat, zu verschwinden, nach oben abzuziehen zum Beispiel – dann gibt es das Superspreading eher

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nicht. Aber jetzt rein der Extremfall – ich habe nicht den Eindruck, dass es dort so wäre – aber der Extremfall, man würde jetzt 300 Leute in irgendeinem Partykeller singen lassen, wo die Fenster zu sind im Herbst, dann ist genau, was Sie sagen, möglich. Dann gibt es tatsächlich im Prinzip die Möglichkeit eines Superspreadings unter Geimpften. Und das ist deshalb nicht ungefährlich, weil die gehen dann alle wieder nach Hause, sagen: Ach, ich bin ja geimpft. Die haben zum großen Teil, wenn sie dann infiziert sind, gar keine richtigen Symptome. Und da wissen Sie eben nicht, wen die dann als Nächstes anstecken. Und da muss man eben immer sagen – Stichwort: Ausbrüche in Schulen, Ausbrüche in Altenheimen, was es so alles gibt. Vielleicht ist der eine oder andere Altenpfleger dann dabei gewesen, der nebenbei auch Gesangsqualitäten hat. Also, Sie wissen ja nicht, was dann passiert mit diesen Leuten, die infiziert sind. Und deshalb sage ich immer, für uns muss die Strategie sein: Wer selber sein persönliches Risiko steuert, der kann sagen, ich nehme das in Kauf. Ich bin geimpft oder vielleicht sogar geimpft und genesen. Dann ist man noch sicherer. Und ich mache das jetzt einfach. Hab ein Restrisiko, aber man muss, wenn man das macht, immer dafür sorgen, dass das Risiko mein Risiko bleibt und dass ich niemand anderes gefährde. Und ich glaube, wir sind inzwischen in Deutschland alle so schlau, dass wir wissen, was wir tun müssen, um andere Leute nicht zu gefährden, falls wir selber eine asymptomatische oder nur leicht symptomatische Covid-Infektion haben.

08:21

Camillo Schumann

Das ist auch das Stichwort für die nächste Frage von Frau S., die gemailt hat. Sie will nicht singen, sondern sie will mal wieder ins Kino gehen. Sie schreibt:

„Mich beschäftigt die Frage, ob bei einem Kinobesuch unter den aktuellen Covid-Schutzmaßnahmen in Deutschland eine Infektion mit dem Coronavirus tatsächlich ausgeschlossen werden bzw. das Risiko auf ein Minimum reduziert werden kann? Mir kommt es vor dem Hintergrund, welche Informationen ansonsten in der Öffentlichkeit über Aerosol-Transmission und Durchbruchsinfektionen vermittelt werden, irgendwie unpassend vor, dass man im Kino 90 bis 120

Minuten mit vielen unbemaskten Menschen in einem Raum sitzt. Die Lüftungssysteme können ja sicherlich nicht so perfekt eingestellt werden, dass ich den Atemstrom einer asymptomatischen, durchbruchsinfizierten Person in meiner Nähe nicht kontinuierlich abbekomme. Wäre eine Maskenpflicht am Sitzplatz Ihrer Einschätzung nach eine sinnvolle Maßnahme für die kommenden Monate? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ich bin sowieso für die Maskenpflicht im Kino und im Theater, weil ich das von der anderen Seite sehe. Also, mich würde das null stören, wenn ich da im Dunkeln sitze, ob ich jetzt eine Maske auf habe oder nicht. Also, das ist so eine Situation, wo sozusagen die Schutzmaßnahme gar keinen Nachteil hat. Ja gut, wenn man mit der Nachbarin im Dunkeln knutschen wollte, dann ist die Maske blöd. Aber sonst, sage ich mal, fällt mir jetzt nicht so wirklich ein, was da der Nachteil sein soll. Und jetzt konkret: Infektionsgefahr? Das ist extrem unterschiedlich. Also, es gibt moderne Kinosäle, die haben eine Lüftung. Die ist, wenn Sie so wollen, perfekt. Also, die ist so stark, dass, wenn Sie die hochdrehen, dass dann die Leute Nackensteife bekommen. Da wäre es dann auch, weil die Kinosäle zum Teil so hoch sind, kein Problem: Weil die nutzen fast immer die aufsteigende Wärme aus. Also, die Luft von den Menschen steigt ja nach oben und wird dann abgesaugt von dem Belüftungssystem, sodass es tendenziell in manchen Sälen wirklich wenig Gefahr von Superspreading und Ähnlichem gibt. Und dann gibt es eben andere Kinos, wo das überhaupt nicht so ist, wo die Lüftung schlecht ist, nicht so gut funktioniert. Und da ist es durchaus so, dass man eine Infektionsgefahr hat. Und deshalb finde ich: Das ist so typisch etwas, was man einfach ganz easy abstellen kann. Und beim Kinobesuch ist es ja so – ich weiß jetzt nicht, ob das generell so ist: Aber das mit der Nachverfolgung ist natürlich schwierig, wenn Sie einen vollen Kinosaal haben, bis dann alle gewarnt sind. Die sind ja typischerweise nicht in so einer Warn-App eingecheckt. Es gibt ja auch mit der Bundes-Corona-Warn-App die Möglichkeit, seit kürzerer Zeit Veranstaltungen da zu registrieren und sich gegenseitig zu warnen, was ich eine ganz tolle Funktion finde. Das wird aber ganz selten genutzt. Und ich glaube, wenn es da zum Ausbruch kommt, ist das echt

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mühsam, die Leute alle zu warnen, die da im Kino saßen. Deshalb bin ich eigentlich schon für die Maske im Kino. Und auch im Theater gilt ja das gleiche.

11:12

Camillo Schumann

Wir haben Post aus Übersee bekommen, aus New Jersey, USA:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, ich habe folgende Frage an Sie bezüglich der Impfung. Eine Bekannte von mir hat eine 13-jährige Tochter, die im Juli während ihrer Menstruation die zweite Impfung von Pfizer/BioNTech bekam. Meine Bekannte sagte, dass ihre Tochter seither keine Periode mehr gehabt hatte. Die Perioden hatten im März dieses Jahres begonnen und seien seither einmal im Monat aufgetreten, das letzte Mal während der zweiten Impfung. Nun macht sie sich große Sorgen, dass da was passiert sein könnte. Viele Grüße, Herr G.“

Alexander Kekulé

Also, da bin ich, ehrlich gesagt, überfragt. Also, wir wissen, dass es tatsächlich zu Zyklusunregelmäßigkeiten manchmal unter der Impfung kommt. Das sind aber natürlich bisher immer erwachsene Frauen gewesen. Und da ist die gute Nachricht, dass das immer Unregelmäßigkeiten in der Weise waren, dass es Verschiebungen innerhalb eines Zyklus gab. So ähnlich, als wenn die Frauen Stress haben oder einen Interkontinentalflug hatten oder Ähnliches. Da gibt es das ja auch immer mal wieder. Was jetzt die Situation mit ganz jungen Frauen ist, bei denen das sozusagen gerade erst losgeht, ob da solche Störungen sich dann so auswirken können, dass das länger als nur einen Monat Auswirkungen hat – da bin ich überfragt. Also, ich glaube auch nicht, dass es da viele Daten bisher gibt. Ich kann bei sowas immer nur empfehlen, das wirklich dem Paul-Ehrlich-Institut zu melden oder auch der dann jeweils zuständigen Gesundheitsbehörde, wenn es in den USA war. Und dafür zu sorgen, dass dem nachgegangen wird, weil: Ein Fall ist kein Fall in solchen Statistiken. Aber wenn es natürlich viele gibt, die das Problem haben – oder mehrere gibt – dann werden die Gesundheitsbehörden dem ganz sicher nachgehen.

12:55

Camillo Schumann

Wir haben eine anonyme Mail bekommen:

„Hintergrund meiner Frage: Dass die Schule meines Kindes, 13 Jahre, ein Skilager unter 2GBedingungen plant. Bisher ist unser Kind nicht geimpft. Der Grund dafür ist unter anderem Ihre Einschätzung, dass der medizinische Nutzen bei Kindern nicht überwiegt und die Impfempfehlung vorwiegend aufgrund sozialer Gründe erteilt wurde. Zudem hat man natürlich – gerade bei Kindern – die von Ihnen oft erwähnten unknown unknowns im Hintergrund. Ich finde es sehr schwierig, dass eine Schule, also eine öffentliche Einrichtung, die die Interessen aller ihrer Schüler berücksichtigen sollte, so vorgeht und man als ungeimpfter Schüler nur die Wahl hat, sich entgegen seiner persönlichen Entscheidung doch impfen zu lassen oder von schulischen Unternehmungen ausgegrenzt zu werden. Somit ein Impfzwang durch die Schule, was für mich absolut unhaltbar ist. Nun meine Frage: Wie schätzen Sie persönlich mittlerweile die Kinderimpfung hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit ein? Oder was würde gegen Kinderimpfung sprechen? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Also, meine Einschätzung hat sich da nicht geändert. Die beruhte ja – im Gegensatz zu der STIKO-Empfehlung – nicht auf der Vermutung, dass die Inzidenz jetzt Mitte Oktober dramatisch ansteigen würde, sodass es jetzt keine äußeren Gründe gibt, warum ich die Einschätzung ändern sollte. Und die heißt: Die Waage schlägt dann für die Kinderimpfung aus, wenn man mit in die Waagschale wirft die sozialen Einschränkungen. So ein Skilager ist ein gutes Beispiel. Das ist für Kinder natürlich belastend, wenn sie dann zuhause bleiben müssen. Und deshalb: Wenn man das mit in die Betrachtung hineinnimmt, dann ist es einfach so, dass vieles für die Impfung spricht. Wenn man jetzt sagt: Nein, ich will aber das partout nicht, sozusagen, berücksichtigen, auch wenn mein Kind darunter leidet. Ich gucke jetzt nur auf die medizinischen Aspekte. Dann muss man sagen: Solange jetzt die Inzidenz nicht wahnsinnig hoch ist, dass eine Infektion quasi unvermeidlich wird, ist es eine schwierige Abwägung. Da ist es ja so, dass – ich gehe da mal einfach hinter

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der STIKO in Deckung, dass an der Stelle dann eben alleine die medizinischen Gründe noch nicht überwiegend. Aber es ist wirklich schwierig, weil diese Abwägung, da kann ich nur sagen: Die USA sehen das anders, weil die eben mehr schwer kranke Kinder oder schlecht medizinisch versorgte Kinder haben. Die sind für die Kinderimpfung. Skandinavische Länder wiederum, die gute Versorgung haben und genauso wie wir eine extrem geringe Quote schwerer Fälle haben bei Kindern, die sind gegen die Kinderimpfung. Also, das ist wirklich so ein neuralgischer Punkt, wo man nach links und nach rechts umfallen kann. Das ist nicht so eindeutig zu sagen. Aber vielleicht kann ich Folgendes sagen: Ich meine schon, dass es bei der Schule nicht in Ordnung ist, eine 2G-Regel einzuführen. Und zwar aus dem Grund, weil es ja eine Schulpflicht gibt. Und die Schulpflicht bezieht sich natürlich auch auf Freizeitveranstaltungen mal grundsätzlich. Wir haben das ja mal durchexerziert vor langer Zeit. Ganz anderes Thema, aber da gab es muslimische Eltern, die wollten nicht, dass ihre Töchter mit in den Schwimmunterricht gehen. Und das hat ja damals sogar die Gerichte beschäftigt. Und da hat man eben gesagt: Grundsätzlich sind diese ganzen – selbst der Schulsport, das Schwimmen und so weiter – das ist alles von der Schulpflicht umfasst. Und da es eine Pflichtveranstaltung ist, meine ich nicht, dass man sozusagen die 2G-Regel machen kann. Weil, sonst hätte man ja eigentlich eine Impfpflicht, muss man ganz klar – oder Impfoder sich-infizierenlassen-Pflicht bei 2G. Und es ist so, dass man in diesem Fall, meines Erachtens, keine andere Wahl hat, als das dritte G mit reinzunehmen. Anders als bei Gaststätten, wo man rein formal sagen kann: Privatveranstaltung. Was die machen, ist ihre Sache. Aber ich glaube, bei der Schule ist es eben nicht so der private Raum. Und da halte ich das für fragwürdig, wenn man da 2G hat.

16:42

Camillo Schumann

Herr B. hat gemailt:

„Ich bin 38, arbeite in einem Krankenhaus, bin im Februar mit dem AstraZeneca-Impfstoff und im Mai 2021 auch mit AstraZeneca geimpft worden. Ich selber bin etwas übergewichtig, muss morgens eine Blutdruck-Tablette nehmen

und habe leichtes Asthma. Ich rauche nicht mehr und Alkohol ist seit anderthalb Jahren auch komplett aus meinem Leben gestrichen. Ich arbeite als Patiententransport an einem Krankenhaus. Wäre eine Booster-Impfung sinnvoll? Und wenn ja, mit welchem Impfstoff? Und sollte man vorher einen Titer-Nachweis machen? Viele Grüße, Herr B.“

Alexander Kekulé

Das Infektionsrisiko ist natürlich da, wenn man im Krankenhaus arbeitet. Andererseits hat man dort die Möglichkeit – je nachdem, wie das Krankenhaus organisiert ist – sich ja auch zu schützen. Also, ich nehme an, dass jemand da, der im Transport arbeitet, auch eine Schutzmaske tragen kann und auch weiß, wie man die anlegt und dann richtig eine FFP-Maske nehmen kann. Was für mich das Entscheidende wäre, ist immer die Frage – und das müssen sich halt viele stellen. Also, etwas übergewichtig und ein bisschen hohen Blutdruck. Ja, die Frage ist letztlich: Ist das eine Kategorie, wo man schon sagt, ich gehöre jetzt zur Risikopopulation? Das würde ich mal mit dem Hausarzt besprechen, ohne jetzt hier irgendwo eine Grenze vom Body-Maß-Index anzugeben. Aber der Hausarzt hat da irgendwie normalerweise, so vom Gesamtbild her, ein ganz gutes Gefühl dafür. Wie schlimm ist der Blutdruck wirklich? Viele Menschen sagen ja: Ich finde, ich bin zu dick. Und wenn man die dann wirklich ausmisst, sagt man: Es ist eigentlich noch im Normbereich. Deshalb würde ich das mal klären. Und wenn unterm Strich rauskommt, dass man eigentlich der Meinung ist, dass man ein Risikopatient ist trotz 38 Jahre – das ist ja jung – trotzdem schon ein Risikopatient ist für Covid, dann würde ich zur Impfung raten aus dieser Kategorie. Und ich glaube, das kann man hier, wenn es um die Booster-Impfung geht, kann man – da wir ja in Deutschland nun mal den Impfstoff haben. Das ist vielleicht ungerecht gegenüber den weniger entwickelten Ländern. Aber das ist nun mal so, dass der Impfstoff jetzt vorhanden ist. Dann meine ich, kann man relativ großzügig sagen: Wenn ich zu so einer Risikogruppe gehöre, dann nehme ich eben die dritte Impfung noch mit.

18:52

Camillo Schumann

Herr Dr. N. hat angerufen. Er ist pensionierter

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Allgemeinarzt und hat sich vor einem halben Jahr mit BioNTech impfen lassen. Jetzt hat er folgende Frage:

„Den mRNA-Impfstoff Comirnaty habe ich sehr schlecht vertragen, ich bekam Rhythmusstörungen, grauenvoll. Und habe es mit Kortison selber wegbekommen. Möchte ich nicht mehr haben. Macht es Sinn, hier – nach Ablauf von sechs Monaten – AstraZeneca zu verwenden? Und vielleicht in ferner Zukunft mal den Novavax-Impfstoff zu verwenden?“

Alexander Kekulé

Ja, also, wie gut die Protein-Impfstoffe Novavax oder Sanofi – oder was da noch kommen wird – als Auffrischimpfungen wirken, das wissen wir noch nicht. Ich vermute, dass die schon ganz gut funktionieren werden. Man hört, dass der Auffrisch-Effekt, sozusagen der Booster-Effekt, bei den Vektor-Impfstoffen – also, AstraZeneca – und bei den RNA-Impfstoffen – also, Moderna und BioNTech – besser ist. Da gibt es so eine Studie, die das vergleicht. Die vergleicht verschiedene Booster gerade in England. Die ist noch nicht ausgewertet, aber man hört so, dass da die Protein-Impfstoffe – als Booster jetzt speziell – nicht so gut wirken sollen wie die anderen. Ist auch nicht ganz überraschend. Ich würde dann, wenn man jetzt wirklich sagt, man will eine Auffrischung haben und der einzige Grund, sie nicht zu machen, ist, dass bisher BioNTech schlecht vertragen wurde – oder der RNA-Impfstoff schlecht vertragen wurde – dann, finde ich, kann man das durchaus mit AstraZeneca machen als Alternative. Weil: Wir wissen tatsächlich, dass diese Heterologeoder Crossover-Immunisierung, dass die in beiden Richtungen ganz gut ist. Also, die Daten für BioNTech plus AstraZeneca sind nicht schlecht. Und das liegt einfach daran, dass das Immunsystem mit einer neuen Herausforderung sozusagen auf die stärker reagiert, als wenn das Gleiche nochmal kommt. Das ist ja klar. Die Mannschaft an Antikörpern und T-Zellen, die da sozusagen rekrutiert wurde bei der ersten Impfung, die steht da. Und wenn genau das Gleiche wiederkommt, dann hat die das ziemlich schnell erledigt. Und wenn was Anderes kommt, dann rekrutieren die eben andere. Dann ist das Immunsystem sozusagen in der Lage, dass es realisiert:

Hoppla, meine Antwort ist hier nicht gut genug. Ich muss mir da was Anderes ausdenken. Und dann werden andere Arten von Immunzellen und Antikörpern aktiviert. Und das verbreitert den Immunschutz. Gerade, wenn man sich daran erinnert, dass die Impfstoffe alle gegen den Wuhan-Typ sind und der Delta-Typ, der jetzt gerade zirkuliert, schon davon abweicht. Und deshalb ist es eigentlich immer ganz gut, sozusagen den Schuss auszuweiten. Und deshalb kann man hier durchaus in dem Fall sagen: Jetzt nehme ich AstraZeneca für die dritte Impfung.

21:40

Camillo Schumann

Frau K. hat angerufen und folgende Frage:

„Und zwar: Meine Tochter, die ist erwachsen, hat 14 Tage nach der zweiten Impfung im Juli 2021 eine starke Erkältung mit Lippenherpes bekommen und seitdem ständig neuen Lippenherpes. Mit nur ganz geringen, wenigen Tagen Pause. Meine Frage ist, ob solche Nebenwirkungen bekannt sind und was sie dagegen tun kann?“

Alexander Kekulé

Ja, das Thema haben wir schon mal besprochen. Es ist tatsächlich so, dass die Herpes-Virus-Infektionen – da mehren sich die Hinweise, dass das zunimmt nach der Impfung. Also, das ist eine mögliche Komplikation der Impfung, dass Herpes reaktiviert wird. Das ist ja ein Virus, was in den Nervenzellen quasi schläft. Man infiziert sich mit den Herpes-Viren typischerweise schon in der Kindheit. Und die zwei, da eine Rolle spielen, sind eben zum einen das normale Herpes-Virus – Herpes-1 heißt das, was den Lippenherpes macht – und zum anderen das Varizella-Zoster-Virus. Das heißt zwar nicht so direkt Herpes-Virus. Das macht die Varizellen, die Windpocken, im Jugendalter und kann eben dann später wiederkommen als Zoster. Also, Gürtelrose im höheren Alter typischerweise. Und wir wissen sowohl, dass die Reaktivierungen vom normalen Lippenherpes als auch diese Zoster-Erkrankungen, Gürtelrose, dass die – zumindest den Berichten, die es da gibt, zufolge – im Zusammenhang mit der Impfung häufiger auftreten. Woran das liegt, weiß man nicht genau. Aber man kann sich ganz gut vorstellen, dass das Immunsystem einfach durch die Impfung, wenn ich

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mal so sagen darf, abgelenkt wird von anderen Aufgaben momentan und dadurch dieses Virus, was da in der Nervenzelle gerade vor sich hinschlummert, aus den Augen verliert, sodass das einen kurzen Moment lang eine Chance hat, rauszukommen und dann eben wieder Bläschen zu fabrizieren. Dass das jetzt als Dauer-Phänomen seitdem dann nicht mehr aufhören mag, wie in diesem Fall, davon habe ich bisher noch nichts gehört. Also, das wäre interessant zu sehen, dass das häufig ist, dass man da jetzt rezidivierenden Herpes hat. Das wäre interessant, das zu sehen. Also, daher ist das auch wieder so ein Fall, den sollte man dem Paul-Ehrlich-Institut melden. Gucken, ob es dann andere Fälle gibt, die sowas auch berichten. Also, rein biologisch passen würde es eigentlich nicht, weil: Normalerweise ist diese Stimulation des Immunsystems etwas Kurzes, was im Zusammenhang mit der Impfung passiert. Und ich sage mal so: Vier Wochen später sollte das eigentlich vorbei sein und dann auch der Herpes nicht wieder auftreten.

24:16

Camillo Schumann

Corona ist immer für Überraschungen gut. Und Herpes und auch Gürtelrose haben ja schon viele Hörerinnen und Hörer berichtet. Frage: Es gibt ja eine Schutzimpfung gegen Herpes Zoster. Sollte man die sich möglicherweise dann auch schon mal verabreichen, auch wenn man ein bisschen jünger ist?

Alexander Kekulé

Ja, die ist eigentlich nicht schlecht. Shingrix heißt die. Das ist ein Impfstoff, der da – im Vergleich zu dem, was man früher so versucht hat – wirklich ganz gut funktioniert. Ich glaube nicht, dass das bei Jüngeren jetzt erforderlich ist, weil ja auch der Zoster, also die Gürtelrose, tatsächlich in dem Fall nur ausbricht, wenn man sowieso in dem Alter ist. Also, es ist jetzt nicht so, dass ein 25-Jähriger nach einer BioNTech-Impfung deswegen eine Gürtelrose krieg. Sondern das ist in dem Alter, wo das Immunsystem sowieso schon so auf der Kippe ist und wo hier und da eben mal der Zoster ausbricht. Übrigens: Ähnlich wie hier bei dem Fall, den die Hörerin da geschildert hat – das ist ja so, dass im Zusammenhang mit einer starken Erkältung, die dann kam, da muss man eben auch sagen: Da gab es den typischen Auslöser.

Also, Erkältung ist auch sowas, wo das Immunsystem jetzt plötzlich mit was Anderem beschäftigt ist – in dem Fall mit einem Erkältungsvirus – und in der Zeit dieses Herpes-Virus seine Chance hat, mal kurz aus der Nervenzelle herauszukrabbeln und ein paar Bläschen zu machen. Das ist ja normalerweise ein selbstbegrenzender Prozess. Und deshalb sage ich: Die Auslöser sind trotzdem noch die gleichen. Und das heißt bei der Gürtelrose: Das sind eigentlich dann immer ältere Menschen, die das haben, wo das Immunsystem sowieso schon nicht mehr ganz so auf Zack war. Vielleicht kann man auch Folgendes sagen: Es gibt ja im Kindesalter auch eine Windpocken-Impfung, und die kann man durchaus völlig uneingeschränkt empfehlen. Die STIKO empfiehlt die auch. Und da kann ich nur sagen: Das ist inzwischen ein guter Impfstoff. Da gab es früher mal Probleme mit, aber das ist seit vielen Jahren eigentlich ein guter Impfstoff. Und deshalb kann man sagen: Wer sich in der Kindheit gegen Windpocken impft, also Varizella-Zoster-Virus, der hat eben dann den Vorteil, dass er auch als Erwachsener keine Gürtelrose mehr kriegt.

26:23

Camillo Schumann

Prima. Und die letzte Frage von einem anonymen Absender:

„Sehr geehrter Herr Prof. Kekulé, ich habe eine persönliche Frage: Gehen Sie in Restaurants essen? Im Innenraum? Mit Luftreinigungsanlagen oder ohne? Wir trauen uns nicht und wären sehr an Ihrer Meinung interessiert. Beste Grüße, ein Hörer, der gern anonym bleiben möchte.“

Alexander Kekulé

Also, ob ich zum Essen gehe. Ich gehe jetzt nicht gern in so enge Spelunken, wo es so richtig voll ist. Also, ich kann ja sagen, ohne das Restaurant zu nennen, dass ich tatsächlich gestern in Halle in einem Restaurant war, um was zu holen zum Essen zu Hause. Und da war es so: Da war es so voll da drinnen. Also, mein lieber Scholli, da habe ich mir gedacht, also, da würde ich ehrlich gesagt nicht so gern sitzen. Wo die wirklich dann gedrängt zu acht am Tisch, Schulter an Schulter... Aber in so ein normales Restaurant, wo man so ein bisschen auch die Möglichkeit hat, sich zu unterhalten,

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ohne, dass einem der Lärm von den Nebentischen dauernd in den Ohren klingt, gehe ich tatsächlich. Und ich habe da auch keine Bedenken, weil ich einfach finde: Wir sind ja in der Situation, dass wir dann quasi 3G haben, im Prinzip. Und in dieser 3G-Situation meine ich: Das ist dann ein Restrisiko. Also, wenn ein Getesteter oder Geimpfter trotzdem noch Virus ausscheidet und Sie selbst immun sind, dann sind Sie natürlich in der Situation, dann müssen Sie mit dem Restrisiko leben. Und dann muss jeder sich selber überlegen: Lasse ich mir von einem Virus noch länger auf der Nase herumtanzen oder nehme ich das jetzt in Kauf? Das wird bei uns übrigens nächstes Frühjahr eine ganz interessante Diskussion, weil: Ich bin schon der Meinung, dass wir dann die ganzen CoronaMaßnahmen mal so langsam in den Schrank zurücklegen sollten. Klar, so eine Art Waffenschrank, wo man es auch wieder rausholen kann, wenn man es braucht. Aber im Prinzip mal wegschließen. Und dann werden wir natürlich mit Restrisiken leben. Es wird weiter Infektionen geben und die Frage: Können wir uns damit arrangieren oder nicht? Und ich glaube, irgendwann werden wir uns mit diesem Virus dann arrangieren müssen.

28:29

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 237 Kekules Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2. November wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 28. Oktober 2021 #236

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Wochenbericht Robert-Koch-Institut (21.10.2021) Wöchentlicher Lagebericht zu COVID-19 (rki.de)

Langzeitimmunogenität der BNT162b2-Impfung bei älteren Menschen und jüngeren Beschäftigten im Gesundheitswesen (20.10.) Studie: Long-term immunogenicity of BNT162b2 vaccination in older people and younger health-care workers The Lancet Respiratory Medicine

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Die epidemische Lage von nationaler Tragweite soll Ende November auslaufen. Bestimmte Maßnahmen sollen aber in Kraft bleiben. Machen die Pläne der Ampelkoalitionäre den Corona-Winter sicher?

Dann: Diskussion um Booster-Impfung. Brauchen wir bald alle eine Auffrischung?

Außerdem: Die US-Arzneimittelbehörde spricht sich für eine BioNTech-Impfung für 5bis 11-Jährige aus. Wie lautet die Begründung? Und: Sollte Deutschland nachziehen?

Außerdem: Volle Bars, Züge und Sportveranstaltungen, trotzdem kaum Neuinfektionen. Hat Japan das Virus in den Griff bekommen?

Und: Wie hoch ist der Anteil der Geimpften an den Neuinfektionen?


Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

01:08


Camillo Schumann

Wir fangen mal mit einer Aussage des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Dirk Wiese, an:

„Fest steht für uns – und das sage ich auch sehr deutlich: Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren wird es jedenfalls mit uns nicht mehr geben und sind auch in der aktuellen Situation unverhältnismäßig. Darum werden wir auch den möglichen Zugriff auf entsprechende Anordnungen, die jetzt noch im Gesetz sich befinden, auch streichen. Der 25. November, das sage ich auch, wird aber kein Freedom Day sein.“

Die Ampelkoalitionäre wollen also die epidemische Lage von nationaler Tragweite nun am 25. November auslaufen lassen. Es soll aber für die Bundesländer eine rechtssichere Übergangslösung bis 20. März für Schutzmaßnahmen geben. Die sollen auch im Infektionsschutzgesetz niedergeschrieben werden. Herr Kekulé, Sie haben ja auch gerade zugehört: Lockdown und Schulschließung ein für alle Mal vom Tisch. Ist das eine gute Idee in dieser Situation?


Alexander Kekulé

Naja, ich verstehe nicht, warum man sich des Instruments einfach so beraubt. Ich meine, dass man keine Schulschließungen haben will, ist ja klar. Dass man keine Lockdowns haben will, ist ja auch klar. Die Frage ist nur: Muss man das Instrument deswegen abschaffen – das rechtliche – und quasi alles nochmal neu basteln? Ich finde, das ist ehrlich gesagt so eine politische Nebelkerze, die da gestartet wird, weil in der Sache ist es so: Die Länder können natürlich Maßnahmen verhängen. Sie sind nur dann nicht mehr angekoppelt ans Infektionsschutzgesetz, weil eben hier – um das nochmal zu sagen – das Prinzip gilt: Wenn der Bund kein Gesetz hat, dann dürfen die Länder entscheiden, weil Gesundheit ist im Prinzip Ländersache. Und wenn jetzt also das Bundesgesetz – wie auch immer – z.T. aufgeweicht oder der 28a aus dem Infektionsschutzgesetz möglicherweise gestrichen wird, dann ist eben im Rahmen der verfassungsmäßigen sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung wieder das Land in der Lage, Gesetze erlassen zu können. Da können die reinschreiben, was sie wollen im Prinzip, solange das die jeweiligen Landesverfassungsgerichte durchwinken. Also, das ist sozusagen linke Tasche, rechte Tasche in gewisser Weise. Natürlich sind wir alle dafür, dass es keine Schulschließungen gibt und Lockdowns. Und die Voraussetzung dafür ist doch eine ganz andere. Da jetzt sozusagen so in „starker Mann“-Pose zu sagen: Naja, wir ändern jetzt das Gesetz und behindern uns und nehmen uns selbst die Möglichkeit, das zu machen, zumindest vom Bund her. Schön und gut. Aber die Voraussetzungen sind ja epidemiologische. Und um z.B. Schulschließungen zu vermeiden, muss man die Nachverfolgung in den Schulen haben, muss man sicherstellen, dass es keine massiven Ausbrüche in den Schulen gibt. Das ist doch das Instrument. Und wenn ich zugleich höre, dass Nordrhein-Westfalen darüber nachdenkt, die Masken ganz abzuschaffen in den Schulen – und es ist ja auch bekannt, dass z.T. dann eben überhaupt keine Kontakte mehr nachverfolgt werden, also keine Quarantäne mehr angeordnet werden, sondern nur noch der Infizierte selber in der Schule dann zuhause bleiben muss. Das ist dann quasi eine Isolierung formal gesehen. Da wird es mir eher mulmig. Und das sind die Instrumente, die man haben muss. Man muss die Tests weiterhin haben, und man muss das im Blick behalten. Dann wird man Schulschließungen verhindern. Und ob es jetzt sozusagen ein Bundesgesetz gibt dafür oder nicht, das bringt epidemiologisch überhaupt keine Voroder Nachteile.


Camillo Schumann

Die Begründung ist: Die Bundesländer sollen mit den Änderungen des Paragraphen 28a im Infektionsschutzgesetz befähigt werden, „weniger eingriffsintensive“ Corona-Maßnahmen

anzuordnen oder aufrechterhalten zu können. Etwa das Tragen einer Schutzmaske oder die 3G-Regelung. Jetzt haben Sie ja auch schon das Beispiel NRW gebracht: Diffundiert das nicht alles so, die ganzen Maßnahmen, wenn man das jetzt versucht, in dieses Gesetz so reinzuschreiben?


Alexander Kekulé

Formal gesehen brauchen die Länder dafür keine Ermächtigung o. Ä. vom Bund. Wenn der Bund nichts macht, dürfen die Länder das Gesetz erlassen dafür. Aber das Problem ist nur einfach: Dann sind die Länder jetzt in der Pflicht als nächstes. Kommt natürlich darauf an, was da reingeschrieben werden soll. Aber wenn jetzt der Bund quasi den 28a aus dem Infektionsschutzgesetz streicht – das ist ja das, was die Ampelkoalition sinngemäß ankündigt – dann heißt das, die Länder dürfen also wieder tätig werden. Dann müssen die Länderparlamente Entscheidungen treffen. Und dann hat man den Flickenteppich wie vorher. Alternative: Der 28a wird so umformuliert, dass es irgendwie doch irgendwie alles das Alte ist und die Länder direkt auf dieser Basis Verordnungen erlassen können. Dann weiß ich nicht genau: Was soll der ganze Zinnober? Also, ich persönlich, (...) ich bin natürlich kein Jurist, aber für mich ist es so: Ich finde es schon gut, wenn Dinge, die von den Menschen als einschneidend empfunden werden – und einige sagen ja, diese regelmäßigen Testungen gehen mir auf die Nerven, warum muss ich in der Straßenbahn und in der U-Bahn denn Masken haben? Warum Masken beim Einkaufen? Da gibt es ja schon Menschen – in Deutschland nicht so viel wie vielleicht den USA – aber da gibt es schon welche, die sagen: Jetzt reicht es mir irgendwie langsam damit. Wenn man so eine Grundstimmung hat bei einigen Teilen der Bevölkerung, dann ist es meines Erachtens schon eine gute Sache, wenn der Bundestag als souverän sagt: Wir haben hier eine besondere Lage, nämlich eine nationale Bedrohung sozusagen, Infektionslage, und deshalb erlauben wir das ausnahmsweise. Wenn das jetzt irgendwie quasi in lauter Länderbestimmungen separat gemacht wird, dann weiß ich nicht. Also, mir ist es eigentlich ganz recht, dass es so einen großen Schalter gibt, weil man dann den großen Schalter wieder zurücklegen kann und sagen kann: So, jetzt sind die Einschränkungen der Grundrechte im weitesten Sinne eben nicht mehr möglich. Und das wird dann auch bundesweit debattiert und diskutiert und ist dann sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung. Und das ist mir fast lieber, als wenn die Entscheidung über solche Grundrechtseinschränkungen dann so diffundiert, klein gehackt wird. Jedes Land macht was Anderes und man weiß nicht mehr genau: Ist das jetzt wirklich vom Souverän letztlich getragen oder nicht? Ganz abgesehen davon – was Sie natürlich gerade schon angedeutet haben – dass überhaupt nicht klar ist, ob jetzt alle 16 Bundesländer dann quasi mit copy paste das gleiche festlegen werden.


Camillo Schumann

Außerdem haben die Ampelkoalitionäre gesagt, das Ganze, was sie vorhaben, gelte unter Vorbehalt. Wenn beispielsweise neue Mutationen auftauchten, gegen die etwa Impfungen wenig helfen und eine neue Bewertung nötig machten.


Alexander Kekulé

Ich fand die alte Regelung im Prinzip schon richtig. Wir hatten ja bei der Pandemie Probleme bei der Exekutive. Und das muss man sich nochmal in Erinnerung rufen, dass diese Regelung ja deshalb erlassen wurde, weil die Bundesländer sich alle nicht einigen konnten. Und da hat man eben gesagt: Okay, bevor es so ein Flickenteppich ist und alle paar Wochen die Ministerpräsidenten sich wieder mehr oder minder ergebnislos da in Sitzungen zusammenfinden müssen, gibt es mal eine einheitliche Regelung. Und die hat den Vorteil, dass es natürlich nach oben offen ist, insofern – genau, wie sie sagen – neue Varianten dann nicht erfordern würden, dass man wieder das Gesetz ändert. Und dann rein formal gesehen, ist es doch so: Die epidemische Lage von nationaler Tragweite, also die Pandemielage sozusagen, die ist ja klar definiert auch im Gesetz selber. Und da steht eben drin: Eine Pandemielage ist, wenn ein gefährlicher Erreger in mehreren Bundesländern zugleich tätig wird, gefährlich ist, vor der Tür steht oder vorhanden ist. Und das ist doch nach wie vor vorhanden. An der Voraussetzung hat sich doch rein formal überhaupt nichts geändert. Da müsste man dann auch den Paragraph 5 des Infektionsschutzge-

setzes, wo das mit der epidemischen Lage drinsteht, den müsste man dann auch irgendwie umformulieren und sagen: Ja, also, wenn ein gefährlicher Erreger da ist und mehrere Länder betroffen sind und, ja, irgendwie die Politiker meinen, sie müssen darauf reagieren dann, aber die Definition ist dann sozusagen weg. Weil: Der Erreger ist immer noch da, die Bundesländer sind alle betroffen. Und ich bin da so ein bisschen allergisch auf diese Kleinstaaterei in Deutschland. Infektionskrankheiten sind ja etwas, was im Prinzip richtigerweise bundesweit bekämpft werden muss, eigentlich europaweit. Und dass wir jetzt da wieder zurückfallen in dieses Prinzip, jedes Land macht, was es will, das finde ich eigentlich einen Rückschritt.


Camillo Schumann

Okay, das ist jetzt rausgekommen unterm Strich: Also, der Politiker staunt, der Virologe wundert sich.


Alexander Kekulé

Der Politiker applaudiert je nach Partei und der Virologe wundert sich. Aber für die, die es nicht verfolgt haben: Es war eben einfach so – das kann man ja im Klartext nennen – dass die FDP und die Grünen schon vor der Wahl immer gesagt haben: Diese pandemische Lage muss irgendwie aufgehoben werden und wahrscheinlich da jetzt so eine Art Kontinuitätsproblem haben. Jetzt sind sie dann voraussichtlich in Kürze da in Amt und Würden und haben so das Gefühl, sie müssen jetzt dieses Wahlversprechen einlösen. Insgesamt ist die Pandemie ja erstaunlicherweise extrem unpolitisch. Also, die ist ja etwas, was nicht vorhanden ist, sozusagen politisch. Es ist weltweit kaum eine Regierung abgewählt worden, weil sie in der Pandemie Fehler gemacht hat. Da hätten ja sonst viele, viele abgewählt werden müssen. Aber selbst bei den beiden, wo das diskutiert wird – in den USA der Donald Trump und in Japan der Abe – es gab ja da viele Gründe, warum die dann gehen mussten. Und man kann jetzt nicht sagen, dass es an der Pandemie lag. Und interessanterweise konnten alle Regierungen auf der Welt in den demokratischen Staaten – fast hätte ich gesagt, so viel Unsinn machen, wie sie wollten, ohne dafür vom Wähler abgestraft zu werden.

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10:46


Camillo Schumann

Machen wir weiter und kommen zu einem weiteren Top-Thema im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie: Die Auffrischungsimpfung. Herr Kekulé, die Impfdurchbrüche, die nehmen zu, die schweren Verläufe von Geimpften ebenso. Das Robert-Koch-Institut hat im letzten Wochenbericht vom 21. Oktober geschätzt, dass auch die Effektivität der Impfstoffe deutlich zurückgegangen ist. Bei den 18bis 59-Jährigen ist sie in den letzten vier Wochen von 83 auf 76 % gesunken und bei den über 60-Jährigen von 81 auf 75 %. Wenn man das alles so hört: Sollten wir über eine Auffrischungsimpfung für alle nachdenken, unabhängig vom Alter?


Alexander Kekulé

Unabhängig vom Alter meine ich nicht. Das ist eine komplizierte Diskussion. Also, erstens sind natürlich die Impfstoffe gegen Delta weniger wirksam als gegen die ursprünglichen Varianten, gegen Alpha oder den Wuhan-Typ. Und das beobachtet man natürlich mit Sorge. Zweitens ist es so, dass die Hersteller – entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen – keine Updates machen von den Impfstoffen, sondern Geld jetzt verdienen mit den Boostern, mit den Auffrisch-Impfungen, was natürlich aus Sicht der Hersteller zumindest kommerziell gesehen nachvollziehbar ist. Ich meine, da müsste man langsam drüber nachdenken, mehr Druck aufzubauen seitens der Politik, dass die angeblich ja schon in den Regalen liegenden Impfstoffe, die jetzt speziell gegen Delta wirksamer sind und dafür gemacht wurden, dass die auch mal Richtung klinische Testung kommen und dann auch zum Einsatz kommen.


Camillo Schumann

Ach, ist das so? Tatsächlich? Gibt es die schon im Regal?


Alexander Kekulé

Ja, ja. Das ist so. BioNTech sagt, wir haben es on the shelf, wörtlich. Im Regal, sagt BioNTech. Wir haben es im Regal und könnten es jederzeit in die klinische Prüfung bringen. Und bei Moderna ist es so, dass die im Gegensatz zu BioNTech ja schon viel früher gesagt haben, dass sie eigentlich die Strategie verfolgen, neue Impfstoffe – ich habe immer gesagt: 2.0 – rauszubringen. Und auch von Moderna hört

man in der Richtung jetzt gar nichts mehr. Und da meine ich eben, das muss man einfach schon erkennen, dass da – ohne, dass das jetzt ein Vorwurf sein soll. Aber diese großen Firmen sind Aktiengesellschaften, die sind profitorientiert. Ja, das ist ganz normal. Man kann von einem Pharmaunternehmen nicht erwarten, dass die da alles pro bono machen und humanitäre Zwecke aus ausschließlich verfolgen. Sondern: Die wollen Geld verdienen. Ich weiß, dass es immer so Pharmakritiker gibt, die sagen: Ne, so machen die das nicht. Aber das ist einfach die Realität, dass das Firmen sind, die Geld verdienen wollen und müssen. Sonst fliegt der Vorstand raus. Das sind ja die Aktionäre, die dahinterstehen. So funktioniert einfach unsere Welt. Das würde weit führen, jetzt das zu diskutieren. Aber vor dem Hintergrund glaube ich schon, dass die Politik und ihre Beratungsgremien bei den pharmazeutischen Herstellern – also, das wären dann BioNTech und Pfizer und Moderna – schon mal vorsprechen sollten, wie es denn aussieht mit der Delta-Varianten-Impfung, ob man die nicht mal vorantreibt. Weil: Wir sehen eben – das haben Sie gerade gesagt – an den aktuellen Daten, dass bei Delta doch die Wirksamkeit insbesondere für Ältere zu wünschen übriglässt. Und jetzt ist die Frage vor dem ganzen Hintergrund – wir haben, was wir haben, da kann man jetzt lange lamentieren: Was für eine Strategie verfolgt man letztlich? Das ist doch die Frage. Und da ist Folgendes mal grundsätzlich wichtig: Also, die Alten sind so, dass bei ihnen der Impfstoff schlechter wirkt. Ich sag mal, bei Ü-70 ist es ganz eindeutig. Aber die Daten sagen eigentlich, wenn wir jetzt die israelischen Feldstudien, wenn ich mal so sagen darf, realworld-Studien mit reinnehmen, dann ist es eigentlich so, dass wir sagen können: Über 60 profitieren die Menschen definitiv von der Booster-Impfung. Heißt: Der Impfstoff ist so, wie er bisher ist, noch nicht wirksam genug. Und jetzt ist die Frage: Was für ein Ziel will man eigentlich erreichen? Geht es darum, zu verhindern, dass viele Menschen sterben? Oder geht es darum, die Pandemie zu beenden durch Herdenimmunität? Und dann sage ich mal: Letzteres ist sowieso ein Hirngespinst. Was man machen kann, ist, die Sterblichkeit zu reduzieren. Und da ist das Allerwichtigste, natürlich erst mal die Alten weiter durchzuimmunisieren. Wir haben in Deutschland auch bei den über 70-Jährigen, wo es jetzt ganz offiziell von der STIKO empfohlen wird – die anderen Risikogruppen lasse ich mal außen vor hier – bei den über 70-Jährigen haben wir eine ganz schlechte Quote der Drittimpfungen. Da müsste man wirklich eine Kampagne machen und dafür sorgen, dass zumindest die mal geimpft werden, weil da bringt es wirklich ganz konkret was. Und wir haben ja Daten, wenn Sie so wollen, gibt es dann diejenigen, wo es nicht richtig funktioniert hat. Das sind, wenn Sie so wollen, die Non-Responder. Bei denen muss man diese Booster-Impfung machen, ist eigentlich eine Ergänzung, Erweiterung der Grundimmunisierung. Ich habe es, glaube ich, beim letzten Mal schon gesagt, da ist folgendes Detail wichtig an der Stelle: Wir wissen, dass es Menschen gibt, die gleich nach der Impfung nicht besonders gut reagiert haben. Das könnte man rein theoretisch durch einen Bluttest drei, vier Wochen später feststellen. Bei denen ist es wichtig, diese Booster-Impfung zu machen oder die dritte Impfung. Nennen wir es mal so. Die anderen, die gut reagiert haben – die meistens dann jünger waren – bei denen ist es so, dass sechs Monate der Impfschutz locker hält. Da können Sie auch ein Jahr warten. Oder wahrscheinlich – die aktuellen Modellierungen gehen davon aus, dass man so alle zwei Jahre noch einmal geimpft werden müsste bei denen, wo es erst mal angeschlagen hat. Das heißt, der wichtigere Effekt ist: Hat die Impfung gewirkt? Ja oder nein? Schon gleich ganz am Anfang? Und das ist bei Älteren schlechter. Und nicht so wichtig im Vergleich ist das Absinken – was immer so beschrieben wird – das Absinken der Immunität über die Monate hinweg. Weil: Es ist so, dass in der Tat natürlich die Antikörper abnehmen über die Monate, wenn man da draufschaut. Da gibt es jetzt gerade auch eine aktuelle Studie aus Berlin von dem Leif Erik Sander und seinen Leuten da, der Immunologe. Der hat so eine kleine Kohorte, die er schon länger verfolgt hat. Da haben wir im Podcast auch schon drüber gesprochen. Und der zeigt jetzt auch aktuell nochmal: Je länger man wartet, desto schlechter wird gerade bei älteren Leuten natürlich die Immunantwort bezüglich der neutralisierenden Antikörper, bezüglich der aktivierten T-Zellen dort.


Aber keiner weiß, wie das immunologische Gedächtnis bei diesen Menschen aussieht. Und da ist eben davon auszugehen, dass bei jüngeren Leuten – das sagen alle Daten, auch aus Israel haben wir da Daten zu – dass bei jüngeren Leuten das einfach so ist: Die haben zwar z.T. dann nach sechs Monaten auch keine messbaren Antikörper oder neutralisierenden Antikörper mehr. Aber die haben Gedächtniszellen, die für den Fall, dass sie infiziert werden, sofort anspringen und dann ausreichenden Immunschutz bieten. Bei den Älteren ist es eben so, dass sie das z.T. höchstwahrscheinlich nicht in diesem Maße haben. Gezeigt worden ist es noch nicht. Sodass ich unterm Strich sage: Die richtige Strategie wäre, die Alten konsequent zu boostern. Da, würde ich sagen, könnte man sogar auf 60 Jahre runtergehen bei der aktuellen Datenlage, wenn man die israelischen Daten mit reinnimmt. Und damit ist aber auch gut, also mehr muss man eigentlich nicht machen. Alternative wäre: Allen, die man geimpft hat – vor allem über 60 – nach zwei bis vier Wochen Blut abnehmen und testen, ob die sozusagen reagiert haben und nur die NonResponder boostern. Da ist natürlich die Frage, was aufwendiger ist, was die Patienten lieber haben wollen. Aber ich finde, die zwei Strategien gibt's. Und meines Erachtens wäre es pragmatisch jetzt, wenn die STIKO – ich nehme an, die denken da auch darüber nach – die Empfehlung auf Ü-60 erweitern würde. Aber das Wichtigste ist eben, die Empfehlung auch umsetzen. Es hat ja keinen Sinn, wenn die STIKO sagt, Ü-70 sollen geimpft werden und keiner macht's.


18:34

Camillo Schumann

Und keiner macht's. Noch ein paar Daten, die das auch ein bisschen unterfüttern, was Sie gerade sagen, nämlich: Der Anteil der Menschen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus müssen und geimpft sind. Bei den über 60-Jährigen liegt das bei 42 % und bei den 18 bis 59-Jährigen bei 17 %. Also, das ist schon ziemlich deutlich in dieser Altersklasse.


Alexander Kekulé

Ja. Es ist auch so, dass bei uns in Deutschland – die eine Zahl habe ich jetzt nur im RKI-Bericht gelesen – dass fast 9 % der über 60-Jährigen, die verstorben sind – also, fast jeder Zehnte, kann man mal so grob sagen – angeblich vollständig geimpft war. Es gibt noch ein Fragezeichen da drin. Also, ich will die Sache nicht noch komplizierter machen. Aber die Frage ist ja auch immer ein bisschen: Mit was sind die geimpft worden? Wir haben ja in Deutschland immer noch Leute, die haben einmal Johnson&Johnson gekriegt und die gelten immer noch als vollständig geimpft. Ja, die haben ja auch alle noch einen Impfpass. Es gibt auch viele Menschen, die haben zweimal AstraZeneca gekriegt, wo wir auch wissen – inzwischen ist es sozusagen offiziell, inoffiziell war es schon länger klar – dass das ein Impfstoff ist, der gegen Delta nicht so gut schützt, was ein Problem ist, wenn man nur noch Delta hat im Land. Und das war ja lange in der Diskussion. Da gibt es Leute, die dem widersprochen haben. Aber ich glaube, heute ist das einhellige Meinung. Also zweimal AstraZeneca ist vielleicht besser als einmal Johnson & Johnson. Aber beides ist so in dem Bereich, wo man wirklich über Booster nachdenken sollte. Und diese Auswertung, die fehlt mir. Dass man wirklich sagt: Okay, wenn das RKI sagt, ja, die konkrete Zahl heißt, glaube ich, 8,8 % der über 60-Jährigen Verstorbenen waren vollständig geimpft. Ja, wie viele von denen hatten denn Johnson&Johnson? Wie viele von denen hatten AstraZeneca? Ich glaube, das ist eine der vielen Dinge, die der Herr Wieler vom RKI auch gerne wissen würde. Aber diese Daten, die sind halt noch nicht da. Und die müsste man erheben, die müsste man auswerten. Und dann würde man vielleicht sehen: Mensch, bei diesen Impfdurchbrüchen sind ganz viele dabei, die Johnson&Johnson oder AstraZeneca bekommen haben. Oder dieser böse Verdacht, den ich jetzt gerade geäußert habe, stimmt vielleicht gar nicht. Und es ist vielleicht so, dass das quer durch den Gemüsegarten ist. Im letzteren Fall würde man dann allen empfehlen, die Booster-Impfung zu machen, wenn sie über 60 sind.

20:49


Camillo Schumann

Kommen wir zum nächsten Thema in diesem Themenkomplex. Bald laufen ja die Impfzertifikate aus. Die gelten ja nach einer abgeschlossenen Impfserie in Deutschland ein Jahr. Dann fällt der Status geimpft weg und man muss sich erneut impfen. In Israel ist diese Frist nun auf

ein halbes Jahr verkürzt worden. Ihr Kollege Karl Lauterbach hat der Bild-Zeitung gesagt: Das ist die vorläufige Gültigkeit. Wir müssen aber dringend darüber reden, ob das verkürzt werden sollte. Also, das Impfzertifikat in Deutschland möglicherweise auch nur ein halbes Jahr. Wie sehen Sie das? Sollte die Gültigkeit verkürzt werden?


Alexander Kekulé

Nein, also generell ist das nicht sinnvoll. Man muss darüber nachdenken, wenn man es jetzt wissenschaftlich sieht und nicht pragmatisch – die Politik muss ja auch pragmatisch sein, wir können ja nicht so viele Einzelfälle unterscheiden. Wissenschaftlich ist die Frage: Muss jemand, der eine Johnson&Johnson-Impfung hatte – da ist ja die Empfehlung ganz klar – und der ein Impfzertifikat hat, möglicherweise, um das zu verlängern, eine weitere Impfung nachweisen? Da meine ich, rein wissenschaftlich gesehen – ohne jetzt darüber nachzudenken, ob das praktikabel ist – würde ich sagen: Da gibt es Gründe dafür. Ähnliches könnte man sich bei zweimal AstraZeneca vorstellen, zumindest auch bei Älteren. Die Frage ist ja, ob das Zertifikat eines 30-Jährigen genauso lang gültig sein muss wie das eines 70-Jährigen. Ganz ehrlich gesagt: Die Daten sprechen dagegen. Die Daten sprechen dafür, bei den Älteren eben dann doch zu sagen: Sechs Monate war schon – im Sinne von Herrn Lauterbach – großzügig und dann ist Schluss. Aber dass man das jetzt verkürzt, ganz allgemein, halte ich für überhaupt nicht sinnvoll. Da ist in Israel eine andere Situation. Die sind ja sozusagen das Privatlabor von Pfizer und haben quasi im Überfluss den BioNTech/Pfizer-Impfstoff zur Verfügung. Und bei denen ist es so, dass die halt wirklich im großen Stil boostern, in der Hoffnung, damit die Pandemie quasi zu beenden. Das ist ja in Israel letztlich die Strategie, dass man damit eine echte Herdenimmunität erzeugt. Meines Erachtens wird das am Ende nicht funktionieren, auch in Israel nicht. Aber es ist so, dass die das wollen. Und da muss man vielleicht Folgendes noch sagen: Aus Israel gibt es ja dann immer diese Daten, die werden auch viel kolportiert von den Befürwortern – wahrscheinlich, schätze ich, auch die, die sagen, man darf den Impfpass nicht so lange gültig sein lassen. Da gibt es eben Daten aus Israel – die haben wir hier auch besprochen – dass die Booster-Impfung das Risiko für eine Infektion auf ein Zehntel ungefähr reduziert in den Studien. Also, um Faktor zehn wird sozusagen das Risiko reduziert. Und das Risiko für einen tödlichen Verlauf – oder sehr schweren Verlauf – sogar um Faktor 20 reduziert. Es wird also quasi um 95 % auf 5 % ist dann Faktor 20. Das ist natürlich schon beeindruckend zunächst mal. Aber: Das sind alles Untersuchungen, die relativ kurz nach der Applikation der Booster-Impfung gemacht wurden. Und da wissen wir: Das stimuliert einfach kurzzeitig das Immunsystem durch diese Reaktogenität des Impfstoffs. Da haben sie sozusagen eine verstärkte angeborene Immunantwort. Das Immunsystem ist dann quasi im Alarmzustand, so ähnlich, wie es bei Kindern ja regulär der Fall ist. Und dadurch kriegen Sie einfach weniger Infektionen. Das ist der Effekt, den Sie da in Israel sehen. Keiner weiß, ob das irgendwie zu besserer Antikörper-Antwort nach sechs Monaten wiederum nach der Booster-Impfung führt, sondern es ist einfach nur so ein allgemeiner Kitzler letztlich fürs Immunsystem. Und deshalb bin ich jetzt dagegen, aufgrund dieser Daten einfach hauruck zu sagen, wir boostern jetzt alle. Und das ist aber letztlich die Basis dafür. Und deshalb sage ich: Also, Impfpass auslaufen lassen nach sechs Monaten könnte man darüber nachdenken, bei denen, die Johnson&Johnson bekommen haben oder vielleicht auch AstraZeneca und nicht eine dritte Impfung bekommen haben. Aber bei allen anderen finde ich, sollte man es im Gegenteil verlängern und sagen, das gilt jetzt ein Jahr lang, weil die neuen Daten dafür sprechen, dass bei jüngeren Menschen die Immunität lange anhält. Ganz zu schweigen von den Genesenen. Da ist es ja überhaupt nicht nachvollziehbar, warum die nach sechs Monaten, wenn sie zusätzlich geimpft wurden, dann ihren Impfpass wieder abgeben müssten. Da ist es nicht vertretbar, überhaupt eine Booster-Impfung zu machen. Und weil wir wissen, dass genesen plus geimpft – egal, in welcher Reihenfolge – auf jeden Fall einen besseren Schutz bietet als die Impfung selber. Und die neueren Daten gehen ja eher darauf hin, dass ein Jahr plus X hier reicht. Darum plädiere ich dafür, statt jetzt irgendwie hektisch über die nächste Impfung nachzudenken – was natürlich aus der Sicht

der Politik immer ein einfacher Weg ist: Wir müssen wirklich ganz konsequent jetzt im Herbst dafür sorgen, dass wir 3G plus Nachverfolgung hinkriegen, dass die Lage in den Schulen nicht außer Kontrolle gerät, dass wir keine massiven Ausbrüche durch Großveranstaltungen haben. Und dann werden wir gut durch den Herbst kommen. Vielleicht gehen ja die Fallzahlen demnächst auch wieder runter. Wir haben ja Beispiele in der Welt, in den USA z.B., wo wir jetzt gerade sehen – oder auch in Großbritannien – wo jetzt ganz aktuell die Fallzahlen wieder runtergehen und man sich den Kopf reibt, warum das der Fall ist.

26:00


Camillo Schumann

Oder in Japan, reden wir auch gleich darüber. Kommen wir vorher noch zu einem weiteren Thema, über das gern heftig und emotional diskutiert wird: Die Corona-Impfung für Kinder und Jugendliche. Die Ständige Impfkommission empfiehlt ja eine Impfung für 12bis 17-Jährige. Darüber haben wir ausführlich in Ausgabe 210 gesprochen. Und über 40 % in dieser Altersgruppe sind auch schon doppelt geimpft. 1,8 von 4,5 Millionen. Erst einmal ganz kurz: Wie bewerten Sie diese Impfquote? Was kann die jetzt zur Pandemie-Entwicklung beitragen? Kann sie überhaupt was beitragen?


Alexander Kekulé

Na ja, das ist gut für die Kinder, insofern sie eben dann weniger von Schulschließungen und Quarantänen betroffen sind. Das ist zunächst mal richtig. Der Beitrag zur Bekämpfung der Epidemie ist relativ gering, also zumindest in der jetzigen Phase. Was hier vielmehr wirkt ist die Impfung der Älteren. Also, das ist bisher bei den Infektionsketten zumindest immer so gewesen, dass, wenn man Schulen hat in einem Umfeld, wo die Inzidenz niedrig ist, dann gibt es dort im Grunde genommen auch keine hohen Inzidenzen. Wenn sie aber ein Hochinzidenz-Umfeld haben – das kann auch dadurch zustande kommen, dass sie mit 2G sehr viele Geimpfte haben, die unerkannt Infektionen haben – dann ist es so, dass die Schüler natürlich gefährdet sind. Und deshalb ist es aus Sicht der Schüler – jetzt weniger medizinisch, sondern im Sinne von persönlichen Freiheiten, weniger Restriktionen – eine gute Sache, wenn da viele geimpft sind. Und das beruhigt sicherlich auch die Eltern. Man kann schon so pauschal sagen, das muss einem schon klar sein: Auch bei einem, was weiß ich, 12-Jährigen ist es so, dass im Zweifelsfall die Impfung – selbst mit dem RNA-Impfstoff, für diejenigen, die da Bedenken haben – weniger Nebenwirkungen hat als die Infektion. Das ist ja immer klar. Und wenn man nun mal in einer Situation ist, dass die Kinder hier dem viralen Sturm mehr oder minder vorsätzlich ausgesetzt werden – Sie wissen, ich war da nicht so dafür – dann ist es natürlich besser, wenn das Kind geimpft ist, in der Lage, als ungeimpft.


Camillo Schumann

Es ist schon spannend, wie sich so der Kompass verschoben hat. Von eigentlich medizinischen Gründen einer Impfung hin dazu, dass man sagt: Okay, wir lassen unser Kind jetzt impfen, damit es eben nicht zu Hause hocken muss, sondern damit es in die Schule gehen kann.


Alexander Kekulé

Ja, das ist tatsächlich so. Sie sagen spannend. Also, das ist sozusagen aus ethischen Gesichtspunkten schon eine schwierige Frage. Also, impfen gegen den Staat, impfen gegen die Maßnahmen. Ist natürlich schon skurril, aber es ist tatsächlich so, dass die Ständige Impfkommission ja ihre Empfehlung für die 12bis 17-Jährigen genau damit begründet hat. Wahrscheinlich auch einmalig in der Geschichte, dass man eine Impfung empfiehlt, damit die Kinder weniger Maßnahmen vom Staat ertragen müssen, was natürlich dann wiederum auch zu psychischen und sozialen Problemen bei den Kindern führt. Also, das ist einfach so. Aber gut, so eine Pandemie ist eine Ausnahmesituation. Zumindest im Moment. Schauen wir mal, ab November soll es ja dann keine Ausnahmelage mehr sein, sagen die Politiker. Also, das ist so. Also, die 5bis 11-Jährigen in USA, die wollen das jetzt da vorantreiben, weil die ganz ähnlich denken. Also, aus meiner Sicht ist es so: Der Politiker steht halt da vorne, ständig sind die Kameras an, irgendwelche Journalisten fragen: Und was machen Sie jetzt gegen die Pandemie? Statt immer zu sagen: Äh, ich weiß jetzt eigentlich auch nichts mehr. Lass uns mal abwarten, was jetzt als Nächstes passiert. Oder wie ich jetzt hier letztlich seit vielen, vielen Monaten schon sage: Wir haben eigentlich einen guten Kurs, lass uns den Kurs halten und nicht wie jemanden, der auf dem Meer fährt – Sie ahnen es, ich habe selber so einen Führerschein für Boote. Wenn Sie bei jeder Welle anfangen, auszuweichen, dann werden Sie, erstens, wahnsinnig, und zweitens erreichen Sie kein Ziel. Und drittens bringt es auch für die Sicherheit nichts. Sondern: Sie müssen im Grunde genommen einen guten Kurs halten, der eben so ist, dass Sie stabil in eine Richtung fahren. Das muss man optimieren zwischen den Wetterbedingungen einerseits und dem, wo man hin will andererseits. Anstatt da irgendwie so wie ein Lämmerschwanz hin und her zu eiern. Und das können Politiker halt meistens nicht. Dann stehen sie unter Druck und müssen irgendetwas machen. Und dann sagen sie halt: Ja, okay, jetzt impfen wir auch noch die Fünfjährigen. Also, irgendwie habe ich so dieses Gefühl. Ich versuche, mich ja da reinzudenken. Aber rein epidemiologisch – und man sieht es ja auch daran, dass die STIKO relativ, sage ich mal, eine gewisse Trägheit in dieser Sache entwickelt hat, zurecht. Rein epidemiologisch und medizinisch gibt es jetzt keinen Grund, da hektisch die Impf-Indikation zu erweitern.

30:24


Camillo Schumann

Möglicherweise wird sich das alles noch ändern. Für die rund 9 Millionen in Deutschland lebenden Kinder im Alter von null bis elf Jahren steht bisher noch kein zugelassener Impfstoff zur Verfügung. In den USA könnte sich das ändern. Der Impfausschuss der US-Arzneimittelbehörde FDA hat empfohlen, den Impfstoff von BioNTech Pfizer per Notfallzulassung bei 5bis 11-Jährigen anzuwenden. Die Begründung finde ich spannend: Das Coronavirus sei auch für kleinere Kinder gefährlich, sie würden alles andere als von Covid-19 verschont. In dieser Altersgruppe gab es in den USA 1,9 Millionen Corona-Infektionen, mehr als 8.300 Krankenhauseinweisungen – ein Drittel davon auf Intensivstationen – und rund hundert Todesfälle. Die Frage, die sich mir da aufdrängt, ist: Wieso trifft Corona Kinder in den USA deutlich härter als in Deutschland?


Alexander Kekulé

Erstens ist es gar nicht so deutlich härter. Also, hundert Todesfälle im Alter von fünf bis elf ist natürlich erst mal tragisch. Aber – und da muss

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man dort auch das Gleiche wie bei uns sagen: Wenn jemand auf der Intensivstation liegt in diesem Alter und zusätzlich Corona festgestellt wurde – also, wenn der Covid-positiv war – dann gilt der für den Fall, dass er verstirbt, als Corona-Toter erstmal. In Deutschland war es ja so – für die USA kenne ich die Zahlen nicht genau – dass die STIKO festgestellt hat, dass von denen ja überhaupt nur ein Viertel von den ITS-Patienten im Alter von 12 bis 17 eine coronaspezifische Therapie bekommen hat. Also, wenn jemand gar keinen Sauerstoff z.B. bekommen hat, dann kann man sozusagen aus der Krankenakte schon erraten: Der ist wegen etwas Anderem letztlich behandelt worden, hat aber im Rahmen des Aufnahme-Screenings einen positiven Corona-Test gehabt. Und je höher der Infektionsdruck ist – also, je höher quasi die Inzidenz in einer Region ist – desto mehr Patienten haben sie natürlich, die dann, ich sage mal, zufällig auch Corona haben, wenn sie auf der Intensivstation liegen. Und auch Corona hatten, wenn sie verstorben sind. Diesen Effekt gibt es in den USA auch. Obwohl, da habe ich jetzt keine Zahlen, wie das dort quantitativ ist. Weil: Bei uns hat es die STIKO gemeinsam mit den Kinderärzten durch so eine besondere Erhebung, die die mal gemacht haben, geschätzt. Für die USA gibt es solche Schätzer, so konkrete Schätzer, nicht. Aber es ist in der Tat so, dass man davon ausgehen muss, dass das jetzt nicht unbedingt diese Zahl ist. Zweitens muss man diese hundert Toten natürlich im Verhältnis – oder fast 100 Toten – im Verhältnis sehen zu den Toten in den USA insgesamt. In einem Land, wo aktuell etwa 740.000 Corona-Tote registriert wurden, sind 100 im Alter von fünf bis elf eine relativ kleine Zahl, so brutal das klingt. Also, erstens: Nicht alle sind wirklich an Corona gestorben, wahrscheinlich nur ein gewisser Anteil. Zweitens: Es ist insgesamt nicht so viel im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Und drittens – das ist eben auch nochmal wichtig: Wir haben in den USA einfach sehr viele Kinder auch in diesem Alter, die Grunderkrankungen haben. Dazu zählt ja vor allem Übergewichtigkeit und ein sogenanntes metabolisches Syndrom oder ein schlecht eingestellter Diabetes. Die Gesundheitsversorgung – und das sieht man auch an diesen Zahlen in den USA dann immer wieder – von bestimmten Bevölkerungsgruppen ist miserabel.

Das können wir uns im Deutschland gar nicht vorstellen. Diejenigen, die dort manchmal sind, wissen das. Und es ist deshalb kein Wunder, dass z.B. die Sterblichkeit an Corona für schwarze und hispanische oder native Amerikaner wesentlich höher ist. Faktor drei ist die Sterblichkeit höher als für die Weißen. Und daran sehen Sie schon: Die haben ja kein Gen, dass sie eher an Corona sterben, sondern hier sehen Sie, dass eben medizinische, soziale Faktoren hier eine Riesenrolle spielen. Und deshalb sagt die STIKO auch übrigens zurecht – die vertritt da, glaube ich, die gleiche Auffassung, wie ich sie habe – die sagt ganz zurecht: Man kann die Gesundheitsverhältnisse und die Gefährdung der Kinder – jetzt Alter fünf bis elf – in den USA nicht einfach eins zu eins mit unserer Situation vergleichen. Und die werden dann bei uns die gleiche Überlegung, wie sie bei den 12bis 16-Jährigen angestellt wurde, nochmal für die 5bis 11-Jährigen machen. Und da stellt sich natürlich dann noch verschärfter die Frage, ob die Kinder selbst was davon haben. Ja oder Nein?


Camillo Schumann

Vor den Beratungen dieses FDA-Gremiums wurden die Daten von BioNTech bezüglich Effektivität und Nebenwirkungen für Kinder analysiert. Am Montag kam dann auch noch Moderna mit Studienergebnissen zur Impfeffektivität der Kinder-Impfung um die Ecke. Gab es da Überraschungen im Vergleich zu den etwas älteren Kindern?


Alexander Kekulé

Also, es gibt Presseerklärungen von Pfizer, die dann angeblich von der FDA bestätigt worden sein sollen, dass die Impfeffektivität bei 91 % liegen soll. Definiert wäre das dann so, dass es sich bezieht auf symptomatische Fälle. Und da muss ich aber sagen: Die Vaccine Efficiency – also, das ist eine Meldung von AP, von Associated Press, also der großen internationalen Presse-Agentur. Es ist so: Das kann eigentlich nicht so stimmen, weil: Es ist so, dass die Wirksamkeit eines Impfstoffs – wenn man jetzt diese Vaccine Efficiency, die wirkliche Wirksamkeit – sich anschaut, die können Sie nur in einer klinischen Phase-III-Studie feststellen, wo Sie als Kontrolle Ungeimpfte haben und das vergleichen mit den Geimpften. So, wie die Zulassungsstudien gemacht wurden. Da brauchen Sie, um das zu messen, dann schon 30.00040.000 Probanden und ziemlich viel Zeit. Jetzt weiß ich aber, dass bei BioNTech genauso wie bei Moderna ja jetzt gerade noch im September die Diskussion war, ob die jetzt 2.000 oder 5.000 Probanden haben. Da war es so, dass die FDA gefordert hat, dass die Zahl der Probanden bei diesen Kinderstudien erhöht wird. Wegen der Herzmuskelentzündungen hat man gesagt: Wir wollen da mehr Probanden sehen. Aber es war eigentlich nie die Rede von einer Studie, wo man eine Kontrollgruppe hat, die quasi ungeimpft ist, um eine echte Vaccine Efficiency festzustellen. Darum glaube ich ganz ehrlich gesagt, dass es für diese Behauptung, dass da die Wirksamkeit bezüglich Vermeidung von Infektionen bei 91 % liegen würde, keine harten Daten geben kann eigentlich. So eine Studie wäre bemerkt worden und hätte auch länger gedauert. Sondern ich schätze, die haben das einfach hochgerechnet von dem, was ja schon länger bekannt ist. Ich meine, wir haben es auch schon mal besprochen. Nämlich, dass man das sogenannte Immuno-Bridging macht. Also, man guckt gar nicht: Wie stark infizieren sich die Kinder? Sondern man gibt ihnen das Medikament – in dem Fall den Impfstoff – und dann, ein paar Wochen später, nimmt man Blut ab und schaut: Wie viele Antikörper haben die gemacht? Wie viele neutralisierende Antikörper? Wie gut ist die T-zelluläre Antwort? Und das vergleicht man mit den Daten, die man von älteren Kindern oder jüngeren Erwachsenen hat. Und da hat man ja dann ungefähr die Werte, die man braucht für eine Schutzfunktion. Also, für einen echten Schutz vor Infektionen. Und sagt: Okay, wenn also z.B. die Antikörper-Antwort – also, der Anstieg der Antikörper – genauso gut oder sogar ein bisschen besser ist als bei der Gruppe, die geschützt war von den älteren jungen Erwachsenen, dann gehen wir davon aus, dass auch die Kinder geschützt sind. Das nennt man dann Non-Inferiority-Kriterium. Also, ein Nicht-Unterlegenheits-Kriterium. Und das reicht dann aus, um sozusagen den Schutz festzustellen. Da war es so, bei der Pfizer-Studie mit 2.270 Probanden ungefähr, die haben zweimal zehn Mikrogramm Impfstoff bekommen, im Abstand von drei Wochen. Und da gibt es einen Faktor von 1,04. Also, ganz knappe Überlegenheit sozusagen. Also, bei den Kindern hat es etwas besser angesprochen als bei den jungen Erwachsenen. Und das heißt letztlich, das gilt dann sozusagen als wirksam. Immuno-Bridging heißt: Anhand der Immunwerte schließt man indirekt auf den Immunschutz. Daraus kann man aber keine Effizienz bezüglich der Vermeidung von Infektionen schließen. Und darum war ich über diese Presseerklärung etwas überrascht.


Camillo Schumann

Eben. Ich jetzt auch, wenn ich Ihnen zuhöre. Das wirkt auf mich so, als würde da etwas passend gemacht, was man passend haben möchte.


Alexander Kekulé

So weit würde ich nicht gehen. Also, wissen Sie, da sagt irgendjemand in einer Pressekonferenz was und irgendein Journalist schreibt da was ab. Entschuldigung, nichts gegen Ihre Zunft, aber Sie wissen ja nicht, wer da dringesessen hat. Und dann plötzlich steht bei dpa 91 % und übers Internet ist es dann plötzlich verbreitet. Also, auch von Moderna, die ja – haben Sie richtig gesagt – jetzt da natürlich gleich fleißig hinterher sind und sagen: Wir machen aber auch gerade eine Studie. Weil natürlich BioNTech/Pfizer hier ein bisschen die Nase vorne hat im Moment. Auch bei denen ist völlig klar: Die haben ähnliche Daten, sehen auf dem Papier ein bisschen besser aus als die von Pfizer. Aber die haben genauso nur dieses Immuno-Bridging gemacht. Die haben ein paar mehr Probanden gehabt, 4.700 und ein bisschen mehr und hatten im Vergleich zu den jungen Erwachsenen einen Faktor 1,5. Das heißt also, die Antikörper waren 50 % mehr vorhanden statistisch als bei jungen Erwachsenen, über 20-Jährigen, in dieser ganz jungen Altersgruppe. Und daraus schließen sie indirekt: Okay, also auch unser Impfstoff ist wohl wirksam. Hier kommt es ja überhaupt nicht auf die Wirksamkeit an. Keiner zweifelt, dass beim 5bis 11-Jährigen – selbst, wenn Sie eine geringere Dosis geben, was ja hier zum Glück endlich gemacht wird – dass da irgendwie ein Immunschutz entsteht. Das ist doch völlig klar. Warum soll der nicht entstehen plötzlich? Wir haben dieses Problem des sich entwickelnden Immunsystems, was nicht so, sage ich mal, nicht so gut anspricht auf Impfungen. Also, bis zum Schulalter ist es definitiv weg. Also, ab fünf Jahren kann man sagen, ist das Immunsystem nicht mehr so, dass es Probleme hätte, anzuspringen auf irgendwelche Impfungen. Das ist eher bei jüngeren Kindern dann der Fall. Nein, hier geht es eigentlich nur um die Nebenwirkungen. Und darüber ist ja überhaupt nichts gesagt worden. Da heißt es nur bei BioNTech und bei Moderna, bei beiden heißt es: Das wurde generell gut toleriert und die Nebenwirkungsquote war vergleichbar mit den jüngeren Erwachsenen. Fertig. Und das ist ja das, was die Leute eigentlich interessiert. Wenn sie da impfen, kriegen die Kinder dann häufiger einen dicken Arm? Wie ist es mit der Reaktogenität? Müssen sie dann drei Tage aus der Schule bleiben oder zwei Wochen nicht zum Sportunterricht? Ich glaube, diese Sachen, die sind dann relevant. Und die Daten, die gibt es noch nicht. Die sind noch nicht auf dem Tisch.


41:23

Camillo Schumann

Sollten alle Behörden in den USA grünes Licht geben, dann soll ab November mit der Impfung der 5bis 11-Jährigen begonnen werden. In Deutschland wird das Ganze noch eine Weile dauern. Thomas Mertens, Vorsitzender der STIKO, hat gesagt: Wir haben noch keine Datengrundlage für unsere Bewertung und Empfehlung. Erst einmal sei die Zulassung durch die EMA wichtig. Der Zeitpunkt ist da auch noch offen. Klar sei aber, dass eine solche Studie mit weniger als 3.000 Probanden das Risiko seltener Nebenwirkungen nicht erfassen könne. Wir wollen ja jetzt der STIKO-Entscheidung nicht vorweggreifen, muss ja alles noch zugelassen werden. Aber: Wie bewerten Sie so eine Impfung der 5bis 11-Jährigen? Machen oder nicht?


Alexander Kekulé

Also, ich habe auch keine Daten (lacht). Woher sollte ich sie haben? Ja, also, es ist so. Also, ich glaube schon, dass die EMA zulassen wird, weil die EMA schaut ja letztlich nur drauf – und es handelt sich ja um eine Notfallzulassung. Sorry, dass ich das nochmal sagen muss. Aber im Rahmen der Notfallzulassung können die schon etwas großzügiger sein. Handelt sich es um etwas, was wir hier machen können oder nicht? Und da wird es sicher so sein, dass die

EMA der FDA folgt. Die eine Frage ist: Ist es zugelassen? Und die andere Frage ist: Ist es für diese Altersgruppe dann auch zu empfehlen, das zu machen? Ich sage mal, es gibt ja viele Krebsmedikamente, die wollen Sie nicht nehmen, wenn Sie gesund sind. Die sind aber zugelassen. Die haben bombastische Nebenwirkungen, sind aber natürlich zugelassen, sonst könnte man sie ja in der Regel gar nicht anwenden. Aber die Frage ist: Für was nimmt man es dann? Also, Zulassung ist relativ großzügig, weil da noch nicht so genau drinsteht, ob man es jetzt machen soll in den einzelnen Ländern. Und die STIKO hat ja ein ganz anderes Problem. Die muss dann überlegen: Das sind völlig gesunde Kinder, um die es hier geht. Sie werden sicher zuerst empfehlen – muss man vielleicht vorwegnehmen – die werden es relativ schnell empfehlen für Kinder mit Risiko. Das wird sicher auch bei uns so sein. Also, wenn Sie jetzt ein stark übergewichtiges Kind z.B. haben oder eins, was irgendwie einen Herzklappenfehler hat oder Ähnliches – und da gibt es ja viele Beispiele: Da gibt es kein Wenn und Aber, dass die Impfung das Richtige ist. Das werden die schnell machen nach der Zulassung. Und dann werden sie sehr gründlich prüfen, erstens: Bringt es für diese Kinder was? Zweitens: Bringt es epidemiologisch was? Epidemiologisch hat die STIKO ja mehrmals gesagt: Impfung der Kinder bringt uns eigentlich nicht voran. Ich kann mir gut vorstellen, dass man, bis das Ganze dann zulassungstechnisch sozusagen auf dem Tisch der STIKO liegt, so weit ist, dass man auch deutlicher sieht, dass man anders auch aus der Pandemie wieder rauskommt. Sie wissen ja, wir haben ja Ende Mai de facto für das Ende der Pandemie erklärt, aus Spaß. Also, da ist dann letztlich die Winterwelle. Ist die Frage, wie die sich weiterentwickelt? Je nachdem wird der Druck auf die STIKO mehr oder minder stark sein, wie beim letzten Mal. Und es ist für die STIKO natürlich dann auch die Frage: Bringt es für diese Kinder in dieser Altersgruppe irgendwas? Und da war es ja letztes Mal so, dass man diese Schwelle nur mit Müh und Not quasi überschritten hat, indem man gesagt hat: Wir rechnen bis Mitte Oktober – in Klammern: Das war vor einer Woche – wir rechnen bis Mitte Oktober mit einer Inzidenz von 500 in Deutschland. Das ist ja nun nicht eingetreten. Also, diese spektakulär hohe

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Fallzahl, wo man dann begründen könnte, dass die 12bis 17-Jährigen tatsächlich irgendwie davon profitieren – zumindest hat die STIKO das dann so gesehen – das ist ja nicht passiert. Und wenn es jetzt weiterhin nicht passieren sollte, dann ist halt wirklich die Frage: Wie begründen sie dann die Impf-Indikation und die Impfempfehlung für 5bis 11-Jährige? Wird man sehen. Also, dem kann ich nicht vorgreifen. Wir wissen ja auch nicht, wie die Daten dann sind. Es steht bei dieser Altersgruppe – muss man vielleicht auch nochmal sagen – noch etwas ganz Anderes so ein bisschen mit im Raum. Das ist dieses MIS-C. Also, dieses sehr, sehr seltene Phänomen, dass Kinder einige Wochen nach der Covid-Infektion z.T. so eine immunologische Katastrophe erleben. Das ist so ein bisschen ähnlich wie das KawasakiSyndrom. Ich glaube, wir haben das damals hier im Podcast als erste besprochen, dass es diesen Zusammenhang gibt. Und dieses MIS-C – das ist ja nach wie vor im Raum – das kommt extrem selten vor, aber da wird man dann überlegen, ob das möglicherweise durch die Impfung verhindert werden kann. Das ist gar nicht klar. Kann auch sein, dass Geimpfte, wenn sie dann infiziert werden – trotzdem MIS-C kriegen. Also, ein Schutz vor MIS-C durch die Impfung ist in keiner Weise belegt. Und weil das so ein extrem seltenes Ereignis ist, wird man das auch statistisch echt schwer hinkriegen. Das müssen sie dann – Nummer eins – prüfen. Und Nummer zwei müssen sie dann prüfen: Bei so einer extrem seltenen Komplikation, falls überhaupt die Impfung schützen sollte, ist es dann so, dass wir demgegenüber quasi die anderen Schwierigkeiten, die zu erwarten sind – also, dann die Herzmuskelentzündungen z.B. – dass wir dem Gegenüber das vernachlässigen. Also, das wird noch ein langer Weg sein. Und weil das eben so kompliziert ist, weil wir nicht wissen, wie häufig die Herzmuskelentzündung dann wiederum bei 5bis 11-Jährigen ist: Ist es noch häufiger als bei den 12bis 17-Jährigen? Bisher sieht es nicht so aus. Bisher sieht es so aus, dass es bei den 12bis 17-Jährigen häufiger ist. Aber da sind ja auch noch nicht so viele geimpft bisher. Und deshalb schauen wir uns wahrscheinlich dann wieder die Zahlen in den USA an, stellen fest: Wie oft ist die Myokarditis? Bringt es was bezüglich MIS-C? Und wenn die STIKO dann

das sich gründlich anschaut, schätze ich mal, wird es Januar sein, bis sie eine Empfehlung abgeben.

46:59


Camillo Schumann

Und darüber werden wir berichten hier im Podcast. Herr Kekulé, Deutschland steuert auf die Herbst-Winter-Welle zu. Die Infektionen nehmen spürbar zu, die Inzidenz steigt, die Impfdurchbrüche nehmen zu. Alles irgendwie nicht so optimal. Neidisch schaut man da in andere Länder, die es scheinbar geschafft haben. Japan gehört auch gerade dazu. Ende August gab es da rund 25.000 tägliche Neuinfektionen und aktuell werden rund 300 gemeldet. Und das, obwohl es keine Beschränkungen mehr gibt. Die Pendlerzüge sind voll, die Kneipen, Restaurants wieder offen. Was macht Japan richtig? Oder testen die nicht mehr?

Alexander Kekulé

Genau, was Sie sagen, vermuten Einige. Also, das ist ja so ein bisschen komisch. Also, da ist ja der letzte Regierungschef abgetreten. Und ja, er hat selber gesundheitliche Gründe angegeben. Aber es wurde auch so gemunkelt, dass er wohl gegangen wurde, weil die japanische Strategie gegen Covid so miserabel war. Also, das ist ja echt schiefgelaufen. Ich sage das vor allem in die Richtung meiner Kollegen nochmal, die immer für Japan Werbung gemacht haben und gesagt haben, wir sollen es ja machen wie die Japaner. Also, dann wäre dann sozusagen in Analogie vielleicht die Bundeskanzlerin quasi deshalb gegangen. Also, ich kann nur sagen: Das ist schiefgelaufen in Japan. Aber trotzdem haben die jetzt aktuell – Sie sagen es richtig – geht die Inzidenz runter. Zum einen: Ja, es wird weniger getestet. Ich glaube, es sind drei Gründe, die letztlich zusammenhängen. Die Japaner haben wirklich in den letzten Wochen, muss man sagen, so dermaßen aufgeholt bei den Impfungen. Die haben massivst geimpft, wo wahrscheinlich auch die Angst der Bevölkerung im Angesicht dieses Versagens der Regierung aus deren Sicht da eine Rolle gespielt hat. Die haben im Moment 70,1 % voll geimpft, das ist jetzt der letzte Stand. Und sind in der Reihe der G7-Staaten auf Platz drei. Also, die meisten Impfungen der Bevölkerung hat immer noch Kanada mit fast 73 % Platz, Platz zwei ist Italien. Und Platz drei

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ist eben jetzt aktuell Japan. Und da sind die natürlich ganz stolz darauf. Die haben bei den über 65-Jährigen eine Impfquote von 90,4 % in kürzester Zeit erreicht, weil wahrscheinlich die Leute ein bisschen panisch geworden sind und gesagt haben: Wir müssen jetzt unbedingt was machen. Nochmal zur Erinnerung: Die haben 125 Mio. Bevölkerung. Das ist also bei denen auch nicht einfacher als in Deutschland. Aber irgendwie haben sie es geschafft. Und dadurch ist auch die Sterblichkeit runtergegangen. Das zweite, was ich glaube, was in Japan eine Rolle spielt, ist: Mein Eindruck ist, da gibt es eben – Sie haben es geschildert, die vollen Kneipen usw. – da gibt es eine jüngere Generation, die macht jetzt nicht mehr mit. Dieses asiatische, sich sehr stark sozial zurückzunehmen zum Nutzen der Gemeinschaft, was ja in Japan sehr viel geholfen hat im Rahmen dieser Pandemie. Das funktioniert bei dieser Generation nicht mehr. Die wollen jetzt wieder Party haben. Wer das kennt, wie die Partyszene da in Tokio ist, also, die stehen also dann den deutschen oder europäischen Großstädten wirklich in nichts nach, um es mal ganz vorsichtig zu sagen. Und ich glaube einfach, dass da eine massive Durchseuchung stattgefunden hat jetzt in dieser Welle. Die jungen Leute sind einfach alle durchseucht und kriegen keine Infektionen mehr, weil die durch die sogenannte natürliche Durchseuchung quasi immun geworden sind. Und das dritte ist, dass genau diejenigen, die sozial besonders aktiv sind, die besonders viele Kontakte haben, die keine Lust mehr auf Corona haben, sich nicht an die Maßnahmen halten – bzw. es gibt ja kaum noch Maßnahmen – dass die natürlich auch nicht mehr zum Testen gehen. Und deshalb stimmt alles drei: Weniger Tests, Durchseuchung bestimmter sozial aktiver Gruppen und eben Impfung weiter Teile der Bevölkerung, insbesondere bei den Alten.


Camillo Schumann

Okay, also kann man jetzt auch die Inzidenz nicht zu ernst nehmen, die man in Japan da sieht?

Alexander Kekulé

Nicht als Vorbild für uns, nach dem Motto. Klar, wir haben natürlich sowas Ähnliches auch in England. Ja, da ist eine ganz ähnliche Tendenz jetzt so seit einer Woche ungefähr, meine

ich – kann sogar sein, dass es ein bisschen länger ist schon – geht die Inzidenz wieder runter im Vereinigten Königreich. Und da ist es wahrscheinlich auch so. Sie haben die Durchseuchung der sozial aktiven Gruppen, die haben sozusagen alle ihr Corona schon abgekriegt, sofern sie nicht geimpft waren. Und bei den anderen wirkt die Impfung. Sodass es schon sein kann, dass England z.B. im Winter auf einen relativ stabilen Zustand zusteuert. Die waren ja jetzt gerade kurz davor, den sogenannten

Plan B zu starten und wieder Gegenmaßnahmen zu ergreifen, bis hin zu Lockdowns usw. Und jetzt ist der Plan B doch im Moment noch in der Schublade. Einige fordern es noch, andere sagen: Lass uns abwarten. In Japan muss man vielleicht – ich weiß, das wird von hier aus immer gesagt, ja, der japanische Weg. Man muss jetzt, bevor man das zu optimistisch im jetzigen Zeitpunkt da Ende Oktober einschätzt: Es muss uns klar sein, dass Japan ja – da ist es ja wärmer als bei uns. Also, wenn Sie jetzt Hokkaido, die Insel da im Norden, ausnehmen, wo man sowieso eigentlich immer nur mit dem Pulli rumrennen kann, ist es ja so, dass auf Honschu, also auf der Hauptinsel, ist es tendenziell wärmer. Da ist der Herbst ja eine sehr schön warme Jahreszeit. Und die südlicheren beiden Inseln – habe vergessen, wie die heißen – da ist es also auch noch wärmer. Und Okinawa, das kenne ich wieder, das ist ja subtropisch, die ganz kleine. Das heißt also, daher ist es so: Die haben später Herbst. Und weil wir jetzt gerade einen Rückgang der Infektionen haben, heißt das noch lange nicht, dass es im Winter bei denen nicht wieder hochgehen würde.

52:42


Camillo Schumann

Okay, da haben wir mal nach Japan geschaut, als Positivbeispiel, aber mit so ein paar Einschränkungen. Können wir ja ab und zu mal machen hier im Podcast, mal so positive Beispiele angucken. Vielleicht können wir da ja aus Deutschland oder für Deutschland irgendwas lernen. Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Herr K. aus Schleiz hat angerufen und folgende Frage:

„Wieviel Prozent von den neu infizierten Corona-Fällen sind Geimpfte? Und die zweite Frage wäre: Wieviel Prozent von den geimpften

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neuen Corona-Fällen müssen in ein Krankenhaus bzw. wieviel Prozent davon sind auf einer Intensivstation?“

Ziemlich konkrete Frage. Da würde ich mal ganz kurz antworten. Und dann können Sie gerne, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Genau, danke. Sie retten mich, wenn Sie da antworten. Solche Zahlen habe ich nicht im Kopf.


Camillo Schumann

Ich habe das RKI einfach mal angefragt, ob denn unter den Neuinfektionen auch rausgerechnet wird, wie viele davon geimpft sind. Und da hat das RKI geantwortet:

„Das RKI veröffentlicht keine nach Impfstatus stratifizierten Inzidenzen, weil diese zu verzerrungsanfällig sind. Beispielsweise werden Geimpfte seltener getestet, erst recht, wenn sie keine Symptome haben.“

Bevor wir auf den Anteil an den Hospitalisierungen kommen: Können Sie diese Begründung erstmal nachvollziehen?

Alexander Kekulé

Ja und Nein. Also, erstens, was das RKI da sagt, ist natürlich richtig. Also, wenn man nach Impfstatus unterscheidet, muss man bestimmte Störfaktoren berücksichtigen. Die Frage ist nur: Warum veröffentlicht das RKI das nicht? Sie könnten es ja veröffentlichen und dazusagen, dass man natürlich berücksichtigen muss, dass die Test-Frequenz z.B. eine andere ist. Also, dass auf Anfrage eines Journalisten diese Daten nicht rausgegeben werden – und was die ja sagen, ist letztlich: Wir haben sie, aber wir verraten sie nicht. Das ist der Teil, der mir nicht so gefällt und den ich nicht so verstehe, weil ich finde, ich fordere schon lange so eine Art Begründungskultur im Zusammenhang mit Corona. Wir müssen wirklich den Leuten erklären, warum was wie ist. Und da finde ich es immer besser, die Daten auf den Tisch zu legen. Und dann kann man ja gleich dazu sagen: Passt mal auf, das könnt ihr nicht eins zu eins vergleichen. Also, die sozusagen unter Verschluss zu halten, das gefällt mir nicht.

54:54


Camillo Schumann

Und dann schreibt das RKI weiter:

„Ein wahrscheinlicher Impfdurchbruch ist definiert als symptomatischer COVID-19-Fall. Und diese werden dann auch berichtet. Z.B. im Wochenbericht in Tabelle vier.“

Und das ist auch so. Das RKI veröffentlicht jede Woche sehr umfangreiche Daten, kann sich auch jeder mal selber zu Gemüte führen. Und da können wir mal ganz kurz reinschauen in den vom 21. Oktober. Der Anteil wahrscheinlicher Impfdurchbrüche an hospitalisierten Covid-19-Fällen in der Kalenderwoche 38 bis 41 im Alter über 60 liegt bei 42 %. Die Zahl ist ja schon mal in dieser Sendung gefallen, um ungefähr ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich das Ganze entwickelt. Dass damit so transparent jetzt umgegangen wird, das ist ja auch noch nicht immer so. Ist eigentlich ein ziemlich guter Fingerzeig.

Alexander Kekulé

Das ist gut. Da hatten sie aber die Daten vorher nicht. Also, das wird ja erst jetzt besser erfasst. Und das ist richtig so. Das wird so sein, dass natürlich – das haben wir schon oft gesagt – dass der Anteil derer, die geimpft sind und im Krankenhaus liegen, der wird steigen. Weil einfach der Anteil derer, die geimpft sind, in der Gesamtpopulation steigt. Und deshalb ist das zunächst mal nichts, was einen beunruhigen sollte an der Stelle.

56:06


Camillo Schumann

Also, Herr K. aus Schleiz: Schauen Sie sich mal den Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts an. Werden wir auch verlinken in der Schriftversion dieses Podcasts. Herr S. hat gemailt, er schreibt:

„Meine Eltern sind beide mit dem inaktivierten Impfstoff der chinesischen Firma Sinopharm in Bosnien-Herzegowina Anfang Juni dieses Jahres vollständig geimpft worden. Da der zweite Impftermin schon fünf Monate zurückliegt und beide Anfang 70 und Hypertoniker sind, erwägen sie momentan eine Auffrischungsimpfung.“

Und jetzt möchte der Herr S. wissen:

„Welche Impfung soll es denn sein? Ein mRNAImpfstoff? Nur einmal? Oder sollte eine neue Impfserie begonnen werden? Viele Grüße.“

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Alexander Kekulé

Also, rein medizinisch würde ein mRNA-Impfstoff hier genügen. Eine Impfung. Es ist in der Tat so, dass der Sinopharm-Impfstoff – insbesondere gegen die Delta-Variante – einfach nicht gut schützt. Also, alle Länder, die den eingeführt haben – das ist ja in Brasilien gemacht worden, ist in den Vereinigten Emiraten gemacht worden, auch in China selber natürlich – da wird überall die dritte Impfung jetzt dringend empfohlen. Und wir wissen, dass eine heterologe Impfung – also, mit einem anderen Impfstoff – auf jeden Fall besser ist. Es ist interessanterweise sogar so, dass, wenn Sie zweimal BioNTech gekriegt haben und dann beim dritten Mal Moderna nehmen oder so, selbst das ist offensichtlich – sagen kleinere Studien natürlich nur bisher – zumindest nicht von Nachteil. Also, wechseln ist hier – anders als in privaten Verhältnissen – ein Vorteil mal grundsätzlich. Und deshalb würde ich empfehlen, Moderna oder BioNTech zu nehmen. Die beiden nehmen sich da nicht viel. Also, für einen Erwachsenen kann man beides nehmen. Moderna ist ein bisschen stärker immunogen. Wenn jemand also jetzt Anfang 70 ist, würde ich eher wahrscheinlich zu Moderna greifen, obwohl es da keine so harten Daten für gibt. Und für jüngere Menschen ist es wahrscheinlich so, wenn sie eher auf die Reaktogenität schauen und sagen: Ich will nicht so viele Nebenwirkungen gleich nach der Impfung haben, da ist wahrscheinlich BioNTech ein bisschen besser. Aber saubere Daten gibt es dafür nicht. Aber so in diese Richtung würde ich nachdenken.

58:12


Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 236. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial.


Alexander Kekulé

Gerne, Herr Schumann. Da freue ich mich schon drauf.


Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage und wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns an, das kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio

& Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 26. Oktober 2021 #235: Neue Erkenntnisse zu Long Covid

Camillo Schuman, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

Ausbrüche in Alten – und Pflegeheimen nehmen zu (21.10.) Wöchentlicher Lagebericht zu COVID-19 (rki.de)

Fußballprofi Kimmich löst mit Impfskepsis Diskussionen aus Fußball-Nationalspieler: Kimmich löst mit Impfskepsis Diskussionen aus | tagesschau.de

Das Virus tötet Hirnzellen (21.10.)

The SARS-CoV-2 main protease Mpro causes microvascular brain pathology by cleaving NEMO in brain endothelial cells | Nature Neuroscience

Dienstag, 26.10.2021

Die Infektionen nehmen stark zu. Kommt die Herbstwelle jetzt richtig in Fahrt? Und welche Fehler dürfen wir kein zweites Mal machen?

Dann Fußball-Profi Joshua Kimmich löst Impf-Debatte aus. Mit welchen Äußerungen hat er recht? Und mit welchen liegt er daneben? Und was bedeutet eine Impfung für Leistungssportler?

Außerdem:NeurologischeFolgeneiner Corona-Infektion. Eine neue Studie gibt Hinweise, woran es liegen könnte.

Ist mittlerweile klar, wann genau SARSCoV-2 das erste Mal nachgewiesen wurde?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell – Das Nachrichtenradio.

Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Die Inzidenz steigt rasant. Wir sind wieder dreistellig, was die deutschlandweite 7-TageInzidenz angeht. 113, um genau zu sein. Vor einer Woche lagen wir bei 75. Die roten und lilafarbenen Landkreise nehmen zu. Das sind die Landkreise, die teilweise eine Inzidenz von 400 bis 500 aufweisen. Die Herbstwelle nimmt jetzt richtig Fahrt auf, oder?


Alexander Kekulé

Das ist zu erwarten gewesen. Im Herbst geht die Temperatur runter. Die Menschen sind mehr in den Räumen. Wir haben zusätzlich Lockerungen, die sich breitmachen. Und natürlich ist das gut fürs Virus, und die Inzidenz geht jetzt hoch. Das ist ganz klar.


Camillo Schumann


Die Infektion ist das eine, der schwere Verlauf das andere. Aktuell werden rund 1.700 Patienten mit COVID-19 auf Intensiv betreut. Zum Vergleich: Vor drei Monaten waren es 350. Herr Kekulé, was sagen Sie? 1.700 Patienten zum 26. Oktober. Mit Blick auf die beginnende Welle, bekommen Sie da wieder ein mulmiges Gefühl wie letzte Woche?


Alexander Kekulé

Das bleibt einfach dabei. Es ist insgesamt so, dass wir die Inzidenz nicht beliebig hochschießen lassen dürfen aus meiner Sicht. Ich habe das mulmige Gefühl hauptsächlich der Politik gegenüber, weil ich mitbekomme, dass jetzt auch die Ampelkoalitionäre laut darüber nachdenken, den epidemischen Notstand, die epidemische Lage aufzuheben. Was ich so lese, ist, dass es damit zu tun hat, dass die einzelnen Fraktionen wohl ähnliche Forderungen früher, als sie in der Opposition waren, gestellt haben. Jetzt wollen sie sich da keinen Sinneswandel

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vorwerfen lassen. Aber ich glaube, das darf man hier alles nicht politisch betrachten. Sondern da muss man ganz nüchtern drauf schauen und sagen, das Virus geht hoch im Herbst. Wir brauchen Instrumente, um es unter Kontrolle zu halten. Und jedes Signal, was irgendwie in die Richtung geht, als wäre die Pandemie jetzt nicht mehr so schlimm, ist zu diesem Zeitpunkt falsch.

03:11


Camillo Schumann


Weil Sie gerade die mögliche Ampel-Regierung ansprechen, die Ampelkoalitionäre. Das Infektionsschutzgesetz. Zum 25. November läuft die epidemische Lage von nationaler Tragweite aus. Nun wird überlegt, wie man die Länder sozusagen befähigen kann, weiter Maßnahmen ergreifen zu können. Da soll es ja dann Formulierungen geben, die auch weiterhin dafür sorgen, dass Länder beschließen können, dass z.B. eine Maske empfohlen wird bzw. angeordnet werden kann. Aber gibt es den Ländern nicht auch die Sicherheit, die sie brauchen, um die von Ihnen geforderten Maßnahmen umzusetzen?


Alexander Kekulé

Die Frage ist zum Einen: Brauchen wir ein anderes Instrument als das, was es jetzt gibt? Wenn wir jetzt außerhalb einer Pandemie wären, dann würde man erst mal Arbeitskreise einberufen, mit Juristen, mit öffentlichen Gesundheitsdiensten, mit Virologen vielleicht. Man würde überlegen, wie kann sich der Staat optimal wappnen gegen die nächste Pandemie? Und vielleicht gäbe es dann andere gesetzliche Lösungen, die besser sind als das, was hier jetzt auf die Schnelle ins Bundesinfektionsschutzgesetz hineingemacht wurde. Andererseits sind wir mitten im Prozess. Das jetzt zu ändern und zu sagen, jetzt sollen die Länder wieder eigene Gesetze dazu machen, da sind die Landesparlamente gefordert. Das muss dann den parlamentarischen Weg gehen. Das geht nicht einfach so per Verordnung in den Ländern. Da bin ich der Meinung, jetzt mittendrin zu überlegen, wie man da etwas verschlimmbessern kann, hat keinen Sinn. Und

auf der Endstrecke soll es doch darum gehen, dass Maske bleiben soll usw. Wenn ich den noch amtierenden Bundesgesundheitsminister Spahn so höre, dann sagt er, er will quasi die Lage aufheben. Aber die Konsequenzen aus dieser Lage, die sich derzeit aus dem Infektionsschutzgesetz ableiten, wie Abstandsregeln, Masken beim Einkaufen, die sollen bleiben. Das halte ich für völlig überflüssig. Es macht die Sache nur kompliziert. Und das Zweite, wo man draufschauen muss, ist: Welchen Effekt hat das bei der Bevölkerung? Welche psychologische Wirkung hat das? Da wird ja schon von vielen Seiten vom Freedom Day in Deutschland gesprochen. Tag der Freiheit sozusagen. Man hört ja auch, wer sozusagen dafür ist, die Lage aufzuheben. Da haben sich die Leute zu Wort gemeldet, die schon länger genervt sind von den ganzen antipandemischen Maßnahmen. Deshalb ist es klar, wenn man das aufhebt und auf die Länder verschiebt, gibt das ein Hickhack. Ich bin absolut dagegen, weil wir im Prozess drinnen sind. Man sollte es jetzt so weitermachen, wie es bisher ganz gut funktioniert.


Camillo Schumann


Also lieber Sicherheit vor Schnelligkeit?


Alexander Kekulé

Kann man in dem Fall nicht sagen, weil es nicht schneller ist. Sondern schneller ist es, jetzt die Verordnungen zu erlassen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Wenn die Länder irgendetwas machen müssen, dann haben Sie wieder 16 verschiedene Landesgesetzgebungen. Es ist nicht gesagt, dass die dann alle gleich sind. Sie haben wieder so einen Flickenteppich. Den gibt es jetzt auch. Aber der wird keineswegs vereinfacht. Jetzt ist die gesetzliche Ermächtigung für die Verordnungen eine Bundesermächtigung. Die ist für alle gleich. Also der Rahmen ist gleich, innerhalb dessen die Bundesländer dann die Verordnungen erlassen für die ganzen Gegenmaßnahmen. Wenn Sie aber in jedem Bundesland eine Gesetzesgrundlage als Rahmen schaffen, dann werden wahrscheinlich auch nicht überall die Texte identisch sein. Die werden das nicht mit Copy-Paste

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machen. Das heißt dann, dass in jedem Land wiederum die dort zuständigen Verwaltungsgerichte überlegen müssen, ob die Verordnung bezüglich des Gesetzes in dem Land zulässig und richtig war. Also, ich erwarte da Chaos. Deshalb bin ich absolut dagegen, das jetzt zu ändern. Ich sehe überhaupt keinen epidemiologischen Grund. Gibt keinen. Und politische Gründe sind nicht mein Terrain. Da habe ich wenig Verständnis dafür. Bloß, weil eine Partei irgendetwas vor der Wahl versprochen oder gesagt hat, dass sie das einhalten muss, indem so Scheinänderungen von Gesetzen gemacht werden. Das verstehe ich gar nicht.

07:46


Camillo Schumann

Schauen wir mal, was sich bis zum 25. November noch tut. Wir werden es begleiten im Podcast. Herr Kekulé, wir haben gerade die Zahl gehört der Patienten, die auf der Intensivstation liegen, 1.700. Aber die Frage ist: Wer ist das eigentlich? Der Blick auf den Verlauf der Altersstruktur gibt da ein Hinweis. Man sieht, dass der Anteil der Menschen auf Intensiv, die das größte Risiko tragen, an der Infektion zu sterben, auch am größten ist und zunimmt. Fast 60 % aller Patientinnen und Patienten sind über 60 Jahre alt. Der Anteil der über 80Jährigen liegt bei fast 20 %. Anfang des Monats lag der Anteil bei 14. Der Anteil der 60bis 69Jährigen liegt bei 26 %. Anfang des Monats waren es noch 22 %. Ein Drittel davon sind Impfdurchbrüche. Wenn man das so hört, braucht man sich nicht wundern, dass innerhalb von 24 Stunden 128 Menschen gemeldet worden, die an oder mit Corona gestorben sind. Oder?



Alexander Kekulé

Ja, das ist das, was zu erwarten ist. Die, die sowieso das Risiko haben, sind auch bei den Impfdurchbrüchen leider insbesondere betroffen. Wenn die Intensivstationen jetzt langsam voller werden, werden wir ein Phänomen haben, was man eigentlich immer sieht. De facto ist es so: Je voller die Intensivstationen sind, desto schwerer krank sind dort die Patienten. Heißt, es sind dann auch die älteren. Warum

ist das so? Sie müssen sich das im Alltagsbetrieb eines Krankenhauses vorstellen. Wenn die Intensivstation leer ist und Sie haben eine spezielle COVID-Station, wo man die Isolationsmaßnahmen hat und das Personal geschult ist. Dann kommt da quasi ein einsamer 40Jähriger daher, dem es so mittelschlecht geht. Den legen Sie dann eher mal auf die Intensivstation, damit er dort optimal betreut ist, als wenn Sie eine volle Intensivstation haben. Sodass also je voller die Intensivstation ist, desto mehr ist die Tendenz, dass da Schwerkranke, also Ältere, liegen. Das wird sich in der nächsten Zeit weiterentwickeln. Ich sehe ein bisschen mit Sorge, dass Intensivbetten auch wieder abgebaut wurden. Wir waren ja am Anfang dieser Pandemie in der wesentlich schlechteren Lage im Vergleich zu jetzt, dass wir keine Impfungen hatten. Das war ein gefährlicheres Virus sozusagen für die Gesamtbevölkerung. Aber in der besseren Lage, dass wir sehr schnell sehr viele Intensivkapazitäten geschaffen haben. Die haben sich letztlich als Überkapazität herausgestellt. Aber das finde ich rückblickend richtig, dass man da auf der sicheren Seite geblieben ist. Jetzt haben wir viele dieser Intensivkapazitäten zurückgefahren, weil die zum großen Teil gar nie genutzt wurden. Und wir haben zusätzlich das Problem, dass der Pflegenotstand sich eher verschärft hat. Aus verschiedenen Gründen ist es so, dass es weniger Pflegekräfte, weniger Personal gibt, sodass wir nicht mehr so bei den Intensivbetten aus dem Vollen schöpfen können. Wir haben nominal gemeldete Betten. Wir haben eine Reservekapazität. Da wäre interessant zu sehen, wie das jetzt ist im Vergleich zur ersten Welle der Pandemie. Ich schätze, wir sind da etwas knapper, eher auf Stoß genäht, an der Stelle. Deshalb würde ich davor warnen, jetzt zu denken: Na ja, solang die Intensivstationen nicht überfüllt sind, ist alles in Ordnung. Ich finde es als Arzt grundsätzlich nicht richtig, so eine Art Durchseuchung zu machen und zu sagen, erst wenn so und so viel tausend Tote überschritten sind, ist es eine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Sondern das Virus ist in der ganzen Republik. Wir haben die Gefahr, dass zumindest lokal auch mal Krankenhäuser oder Intensivstationen überlastet werden. Bundesweit sehe ich das nicht. Und das heißt für mich, wir müssen im Krisenmodus bleiben.


Camillo Schumann


Wir haben gerade die Altersstruktur der intensivpflichtigen Patienten gehört. Eine Zahl aus dem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts vom 21. Oktober macht besonders besorgt. Nämlich die Zahl der übermittelten Ausbrüche in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen stieg in der 41. Meldewoche im Vergleich zur Vorwoche deutlich an. Machen wir es konkret: In der Kalenderwoche 41 gab es in 78 Altenund Pflegeheim einen Corona-Ausbruch. In der Woche davor waren es 65. Insgesamt 777 Menschen waren davon betroffen. Da braut sich wieder was zusammen?


Alexander Kekulé

Bei den Altenheimen weiß ich nicht, wie viele Impfdurchbrüche dabei sind. Das wäre natürlich interessant, weil das von der Strategie einen Unterschied macht. Man hat jetzt noch einen relativ kleinen Anteil von Impfdurchbrüchen. Es gibt Altenheime, wo einfach die Quote schlechter ist und welche, wo sie besser ist. Tendenziell sind wir sehr gut. Wir sind, was ich so höre, bei den meisten Altenheimen deutlich über 90 % bei den Impfungen. Wenn es so ist, dass wir mehr und mehr Fälle haben, die Impfdurchbrüche sind, da muss man leider die Frage stellen: Wie häufig ist das? Wie häufig ist das pro Altersheim? Kann man die dort wieder eingeführten Freiheiten aufrechterhalten? Ich bin dafür, das zu machen, so weit wie es irgendwie möglich ist. Aber man muss in Altenheimen mit einer anderen Sorgfalt hinschauen, wenn man denen Freiheiten gewährt. Es ist ja bekannt, dass in den Altenheimen zum großen Teil die Bewohner ohne Masken wieder zusammensitzen und spielen und essen können. Vom Pflegepersonal werden nicht mehr ganz so konsequent die Masken benutzt. Wir müssen bereit sein, quasi im Einzelfall das nochmal zu ändern, falls es dort wirklich zu Ausbrüchen kommt, wo viele Menschen sterben. Ich sehe das im Moment noch nicht anhand der Zahlen. Im Moment ist es noch nicht beunruhigend. Aber das ist eine andere Situation als z.B. bei den Schülern. Wenn Sie einzelne Ausbrüche in einer Schulklasse haben, dann ist es wichtig, den Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Aber so grundsätzlich ändert das nichts an der Regel, dass man bei Schülern keine schweren Verläufe erwartet und deshalb dort großzügiger sein kann.


Camillo Schumann

Sie sagen also, noch kein Handlungsbedarf in den Altenund Pflegeheim. Jetzt haben wir die steigende Zahl angemeldeten Ausbrüchen laut RKI. Wir haben die Zahlen von der Intensivstation gehört. Das sind für Sie noch keine kleinen Alarmzeichen, um da möglicherweise zu sagen: Bevor da wieder was losgeht, gehen wir auf Nummer sicher?


Alexander Kekulé

Das ist die Frage, was man macht. Ich glaube schon, dass man die Maßnahmen sich noch einmal genau anschauen muss. Es ist für mich zu früh, um zu sagen, wir können die Freiheiten, die wir jetzt in den Altenheimen haben, nicht mehr aufrechterhalten. Dass man jetzt wieder zurückkommt zur Maske und irgendwelchen Trennungen im Altenheim. Das sehe ich noch nicht. Ich glaube aber, man müsste mal überprüfen: Wie gut werden die Ausbrüche nachverfolgt? Wie früh werden die erkannt? Weil das ist ganz entscheidend. Wenn man so viele Geimpfte hat, ist man in der Versuchung, nicht mehr zu testen. Deshalb wäre mein Verdacht, dass die Ausbrüche in den Altenheimen später erkannt werden, als es eigentlich möglich wäre. Da müsste man genauer hinschauen, ob bei den Ausbrüchen, die jetzt stattgefunden haben, möglicherweise die Testung vernachlässigt wurde. Falls das der Fall ist, würde ich da anfangen. Ich würde da konsequenter und regelmäßiger testen, weil das etwas ist, was niemandem wehtut und was auch die Freiheiten kaum einschränkt. Die Ultima Ratio wäre dann wirklich wieder zurück zu den Masken und zu den Kohortierungen zu kommen.

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15:39


Camillo Schumann

Die Kanzlerin hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf die Frage, was sie in der Krisenzeit am meisten bedrückt, geantwortet:

"Über eine Phase bin ich nach wie vor traurig. Das war Weihnachten vorigen Jahres. Damals waren die Tests vorhanden. Dennoch wurde in den Altenund Pflegeheim

 zu wenig getestet. Ich habe noch persönlich versucht, das um Weihnachten herum in Telefongesprächen mit örtlich Verantwortlichen zu forcieren. Wir haben die Tests kostenlos bereitgestellt und auch die Personalkosten übernommen. Trotzdem hat es zu lange gedauert, bis das in den Pflegeheimen umgesetzt war. Das war der schwächste Moment der Pandemiebekämpfung."

Was sagen Sie zu dieser Einsicht?


Alexander Kekulé

Es ist eine sehr punktuelle Schilderung. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bundeskanzlerin das so geschildert hat, wenn sie da persönlich telefoniert hat, dass sie das auch betroffen gemacht hat. Es ist ohne Frage richtig, dass in dieser Welle, die da kam, wir die allermeisten Toten hatten. Durch die erste Welle sind wir mit dem blauen Auge davongekommen. Aber die Winterwelle im letzten Jahr war wirklich eine Katastrophe. Anders kann man es nicht sagen. Im Gegensatz zur ersten Welle eine 100 % verhinderbare Katastrophe. Bei der ersten Welle kann man schon diskutieren, ob frühere Lockdowns und frühere Kontrollen bei den Einreisen möglicherweise was gebracht hätten. Frühere Testungen von Menschen mit influenza-ähnlichen Symptomen, die am Ende doch COVID-Leute waren. In der ersten Welle hätte man schon sehr viel machen können und insbesondere die Auswirkungen des notwendigen Lockdowns verhindern können. Aber in der zweiten Welle ging es um sehr viele Tote in fünfstelliger Höhe. Und da hat die Kanzlerin recht. Was ich nicht so teile ... Ich weiß auch nicht, ob sie das so gemeint hat. Das klang gerade in dem Zitat, so, als hätte die Politik alles gemacht, aber die Altenheime hätten das nicht umgesetzt. Ich habe das damals sehr intensiv miterlebt, weil ich auch ja eine Organisation beraten habe, die Altenheime betreibt. Ich kenne es daher sozusagen von der Front. Das kam alles zu spät. Die Altenheime wollten das ja. Aber die haben sehr spät erfahren. Bundesgesundheitsminister Spahn hat am 16. September letzten Jahres endlich gesagt, dass die Kosten für die Tests erstattet werden sollen. Bis das dann gesetzlich umgesetzt ist überall, ist natürlich ein gewisser Weg. Dann hieß es immer: Aber nur, wenn die Altenheime Konzepte haben, wie sie diese Tests einsetzen. Dann mussten die Altenheime anfangen, Konzepte zu entwickeln. Es hieß, es soll ein Bundesleitkonzept geben, das unter Federführung des RKI gemacht wird. Das kam aber nie so recht. Und deshalb war das ein Problem, dass die Altenheime mit dieser Anforderung, Hygienekonzepte zu machen, zunächst zumindest überfordert waren. Bei den lokalen Gesundheitsämtern hatte jedes andere Vorstellungen. Betreiber, die in verschiedenen Bundesländern und Landkreisen Altenheime hatten, die sind z.T. daran verzweifelt, dass jedes Gesundheitsamt was Anderes wollte. Die konnten quasi nicht einmal für ihre eigenen Altersheime eine einheitliche Regelung erlassen. Denn sie mussten sich jeweils mit den lokalen Gesundheitsämtern auseinandersetzen, weil es keine bundeseinheitlichen Empfehlungen gab. Deshalb würde ich da den Ball retournieren zur Politik. Ich glaube nicht, dass die Altenheime da schuld waren. Wenn man viel früher gesagt hätte, diese Tests sind sinnvoll . So ist es ja mal losgegangen. Die Tests standen bereits seit März letzten Jahres zur Verfügung. Da hat die erste Firma aus Südkorea die Tests gehabt und hat versucht, die weltweit zu verkaufen, u.a. in Deutschland. Da hat man abgewunken und gesagt, wir brauchen hier so was nicht. Die Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums auf Basis der fachlichen Expertise des Robert-Koch-Instituts und seiner Berater war, dass diese Antigen-Schnelltests zu unsicher sind. Und die wiegen die Leute in falscher Sicherheit. Dieser Kardinalfehler ist einer von vielen, den das Robert-Koch-Institut hier begangen hat, oder das Bundesgesundheitsministerium letztlich. Dieser Fehler hat dazu geführt, dass es Monate gedauert hat, dass diese Tests überhaupt irgendwann mal in Betracht gezogen wurden als anti-epidemisches Instrument. Ich erinnere mich gut, dass ich von Pontius zu Pilatus gerannt bin, um damals das zu ermöglichen. Ich habe sogar versuchte, in einer privaten Initiative die Tests in Deutschland herzustellen oder zu importieren. Das ist am Geld letztlich gescheitert und am ausgedrückten Desinteresse des Bundesgesundheitsministeriums damals. Ich glaube, im August ungefähr hat Herr Lauterbach angefangen zu sagen: "Die Tests brauchen wir". Ich will ihm da nichts Falsches sagen. Vielleicht war es auch einen Monat früher, aber gefühlt im Sommer erst kamen dann so langsam andere Fachleute auf die Idee, dass diese Tests wichtig sind. Bis Mitte September hat es gedauert, bis der Bundesgesundheitsminister sich zumindest mal dazu bekannt hat. Das war das Problem, diese zeitliche Achse. Man kann es nicht oft genug sagen: Eine Pandemie ist ein dynamisches Geschehen. Da kommt es nicht nur darauf an, das Richtige zu tun, sondern das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Das heißt in der Regel: schnell.


Camillo Schumann


Aber wäre jetzt nicht auch der richtige Zeitpunkt zu sagen, gerade in den Altenund Pflegeheimen, die Tests sind da: Wir testen jetzt jeden Bewohner, jeden Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin pro Tag einmal, um auf Nummer sicher zu gehen?


Alexander Kekulé

Genau, das ist einer der Vorschläge. Ich habe vorhin gesagt, man muss die Teststrategien sich noch einmal anschauen. In diese Richtung kann man denken. Ob man wirklich jeden Mitarbeiter und jeden Bewohner jeden Tag testet, das halte ich ein bisschen für zu viel Aufwand. Aber es gibt ja die Strategie, z.B. das dreimal die Woche zu machen. Auf die Weise sicherzustellen, dass man kein Infektionsgeschehen übersieht, was da unsichtbar passiert. Das Problem haben wir jetzt insbesondere mit den

Geimpften. Die haben häufig keine Symptome oder nehmen es nicht mehr ernst oder wollen es nicht mehr ernst nehmen. Man müsste das natürlich mit den Betreibern klären, aber ich glaube, so dreimal die Woche ist es eine gute Methode. So wie es in den Schulen üblich ist. Da würde ich nicht von lockerlassen. Ganz wichtig ist, dass auch die Besucher getestet werden. Meines Erachtens ist ein Problem bei dieser ganzen Herbstwelle, dass man die sogenannten Geimpften und Genesenen komplett außen vor lässt. Dass also diese Einschätzung besteht, die hätten nichts mehr mit der Epidemie zu tun. Und sobald Sie Ihren Genesenen-Ausweis oder Geimpften-Ausweis vorzeigen, werden Sie häufig nicht mehr getestet. Das würde ich zumindest bei Besuchern nicht machen. Und wie Sie richtig sagen, wäre in Altenheimen so eine Strategie, das Personal dreimal die Woche zu testen. Egal ob geimpft oder genesen. Das wäre auf jeden Fall sinnvoll.

22:55


Camillo Schumann


Kommen wir zum nächsten Thema. Zu dem Thema, über das ganz Deutschland spricht seit dem Wochenende. Die Diskussion hat sich schon teilweise verselbständigt. Es geht um Fußball-Profi Joshua Kimmich. Er hatte in einem Interview zugegeben, noch nicht geimpft zu sein. Wo ist da das Problem, könnte man sich jetzt fragen. Aber Joshua Kimmich ist nicht irgendwer, sondern Fußball-Nationalspieler, Bayern-Profi und damit auch Vorbild für Mio. Menschen. Aber Joshua Kimmich ist eben auch nur ein Mensch, der sich eben Gedanken macht. Auch nicht zuletzt, weil er Leistungssportler ist und mit seinem Körper Geld verdient und sich zehnmal mehr überlegen muss, was er seinem Körper antut und nicht. Herr Kekulé, wir wollen gleich Kimmichs Begründung anschauen, warum er nicht geimpft ist und uns in seine Rolle als Sportler reindenken. Aber was haben Sie gedacht, als Sie das Interview mit ihm gesehen haben? Und Sie haben es ja zufälligerweise gesehen.

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Alexander Kekulé

Ich bin bekennender Nicht-Sportinteressierter. Insbesondere Fußball versuche ich irgendwie immer zu ignorieren. Meine ganze Umwelt ist völlig fußballbegeistert. Ich grenze mich aus Spaß immer so ein bisschen ab. Aber da ist es rein zufällig so gewesen, dass ich die Sportschau angehabt habe. Ich habe gesehen, wie die Bayern da ein Tor nach einem anderen geschossen haben. War das gegen Hoffenheim? Auf jeden Fall haben sie viele Tore geschossen. Darum habe ich zugeguckt. Das ist der Verein meiner Heimatstadt. Dann wurde am Schluss angekündigt: "Jetzt zeigen wir das Interview, was er gegeben hat, zum Thema COVID." Nur deshalb habe ich weiter die Sportschau geguckt. Was habe ich da gedacht? Ich habe dieses Interview gesehen. Wahrscheinlich nur einen Ausschnitt davon. Da hat er mir spontan leidgetan. Da ist einem sofort klar, da ist er jetzt "neigetappt", wie der Bayer so sagt. Wenn er als Fußball-Profi bei so einem Interview erklärt, welche virologischen Bedenken er hat, das kann nur schiefgehen. Ich habe mir gedacht, wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Als er direkt darauf angesprochen wurde, hätte er letztlich sagen müssen: "Das ist meine Privatsphäre. Ich stehe im Rampenlicht mit allem Möglichen. Beurteilt mich bitte nach meinen Fußball-Leistungen. Aber was ich privat mache, das geht niemanden was an." In diese Richtung hätte ich das wahrscheinlich abgewiegelt statt als Fußballer so ein heißes Eisen in die Hand zu nehmen. Wo er natürlich nicht Rede und Antwort stehen kann. Das ist ja schon heiß genug, wenn man als Virologe im Podcast mal eine Studie bespricht, was wir hier mal gemacht haben, die die immunologische Reprogrammierung beschreibt. Das ist nur ein technischer Ausdruck. Da hat es bei manchen Leuten einen Aufschrei gegeben. "Der redet hier von Reprogrammierung. Was meint er damit? Will der die Impfkritiker befördern?" Also selbst für Fachleute ist es nicht so einfach, ohne sich die Zunge zu verbrennen, aus virologischer Sicht ganz normale Dinge auszusprechen. Und deshalb hätte ich als Fußballer da die Finger von gelassen. Das war ungeschickt, kann man sagen.


26:20


Camillo Schumann


Gut. Da kommen wir jetzt zur Begründung, warum Joshua Kimmich die Impfung bisher abgelehnt hat. Er hat in diesem besagten Interview Folgendes gesagt:

"Weil ich einfach für mich persönlich noch ein paar Bedenken habe. Gerade was fehlende Langzeitstudien angeht."

Also fehlende Langzeitstudien halten ihn bisher davon ab, sich impfen zu lassen. Carsten Watzl von der Deutschen Gesellschaft für Immunologie stellte daraufhin klar, was offensichtlich viele Menschen unter Langzeitfolgen verstehen. Nämlich: Dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird es auch bei COVID-19 bei der COVID-19Impfung nicht auftreten. Er hat dann noch Folgendes gesagt:

"Es ist eigentlich ein Missverständnis. Was wir unter Langzeitfolgen verstehen, sind sehr seltene Nebenwirkungen, die aber direkt nach der Impfung innerhalb von wenigen Wochen auftreten."

Herr Kekulé, auch Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, sagt: "Generell ist es bei Impfstoffen so, dass die meisten Nebenwirkungen innerhalb weniger Stunden oder Tage auftretenden. In seltenen Fällen auch mal nach Wochen. Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt." Also alles ein großes Missverständnis?


Alexander Kekulé

Nein, das glaube ich nicht. Ich finde es schwierig, wenn die Funktionäre von der wissenschaftlichen Fachgesellschaft oder der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts da so richtige Allgemeinplätze wiedergeben. Das ist ja alles richtig, so grundsätzlich. Aber damit haarscharf an den Bedenken der Impfkritiker vorbeiargumentieren. Weil so uninformiert sind die Impfkritiker nicht. Und ich schätze, auch Herr Kimmich wirkte eigentlich informiert in seinen Antworten. Es ist richtig, was die beiden Zitate, also Herr Cichutek und Herr Watzl, da gesagt haben. Das ist in sich völlig richtig. Wenn Sie einen Impfstoff haben, irgendeinen von den üblichen, die wir schon lange verwenden, dann sind die typischen Nebenwirkungen, die man hat, zu unterscheiden. Einmal grundsätzlich in die Reaktogenität. Das ist das, was man eigentlich haben will. Schwellung, Rötung, Schmerzen und diese Schwächung des Allgemeinzustands, die sich so anfühlt wie eine beginnende Grippe. Das ist eigentlich gewollt. Das ist die Reaktor des Körpers auf den Impfstoff. Der Impfstoff tut so, als wäre er ein Virus. Deshalb reagiert der Körper auch so ähnlich. Das nennen wir Reaktogenität. Und dann gibt es sozusagen echte Nebenwirkungen. Das kann z.B. durch zu viel Reaktogenität passieren. Das wird vermutet bei diesen Herzmuskelentzündungen, die manchmal auftreten. Und es gibt Nebenwirkungen, die haben mit der Reaktogenität erst einmal gar nichts zu tun. Zumindest auf den ersten Blick. Wir kennen sie zumindest nicht in dem Zusammenhang. Das sind z.B. die Thrombosen, die bei Astrazeneca aufgetreten sind. Also richtige reine Nebenwirkungen. In diesem ganzen Feld ist es richtig, dass, wenn wir die normalen Impfstoffe anschauen, es das Phänomen gibt, dass es häufige Nebenwirkungen gibt und seltene Nebenwirkungen. Und die ganz seltenen Nebenwirkungen. Die treten in der Regel dann auch schnell auf. Ich sage mal, innerhalb von maximal drei Monaten. Das ist dann eine seltene Nebenwirkung, die erst nach drei Monaten kommt. Bis man die erfasst in einer normalen Situation beim normalen Impfstoff, dauert es manchmal Jahre. Auch wenn die nach jeder Impfung nach ein paar Monaten kommt. Weil jedes Jahr werden ein paar tausend Leute geimpft oder paar zehntausend. Irgendwann, nach ein paar Jahren, hat man 1 Million zusammen. Und irgendwann, wenn man die 1 Mio. hat, merkt man, da ist die Nebenwirkung XY häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt. Dann schaut man, ob das von dem Impfstoff kommt. Das sind die Sicherheitssignale, wie wir das nennen. Und dann stellt man fest: Das kommt tatsächlich von dem Impfstoff. Relativ schnell nach der Impfung, aber selten.


Camillo Schumann

Also muss sich so eine gewisse Kausalität verfestigen über die Jahre?


Alexander Kekulé

Genau. Es dauert nicht Jahre, bis die Nebenwirkung eintritt. Sondern es dauert Jahre, bis man festgestellt hat, dass die Nebenwirkung vorhanden ist. Sie nennen es „die Kausalität verfestigen“. So kann man das sagen.

Herr Cichutek und Herr Watzl haben im Prinzip recht: Das ist bei diesen Impfungen nicht mehr zu erwarten. Wir haben ja nicht 10.000 oder 100.000, sondern Hunderte von Mio. verimpft. Und zwar unter genauer Beobachtung, weil das alles Notfallzulassungen sind, mit strengen Auflagen für die Nachbeobachtung. Sodass man sagen kann, wir haben diesen Zeithorizont verkürzt. Wir haben sehr, sehr viele in kurzer Zeit geimpft und sehr genau beobachtet. Sodass man sagen kann, wenn da irgendetwas auftreten würde, auch innerhalb der ersten Monate, dann hätte man das jetzt entdeckt. Soweit stimmt das Argument. Aber was die natürlich elegant übersehen oder ignoriert haben: Die Bedenken der Impfkritiker sind ja ganz andere. Die sagen, es könnte sein, dass so eine Impfung auch eine Spätfolge hat, die erst nach fünf Jahren z.B. auftritt. Insbesondere bei jüngeren Menschen oder bei Schwangeren, was dann den Embryo oder das neugeborene Kind betrifft. Das kann man nicht wegargumentieren. Wenn es so eine Nebenwirkung gäbe, würden wir die jetzt nicht kennen, weil diese Impfstoffe in großer Zahl erst seit Anfang 2021 eingesetzt werden.

Die Argumentation von Cichutek ist letztlich die, dass er sagt: "Bei anderen Impfstoffen haben wir so etwas nie beobachtet." Da sagt natürlich der Impfkritiker, ohne das Wort zu führen, ich will nur das Argument präzisieren: "Aber ihr habt noch nie Vektorund RNAImpfstoffe gehabt. Und habt ihr denn jemals bei einem anderen Impfstoff eine Hirnvenenthrombose beobachtet?" Da ist die Antwort natürlich: "Nein, hat man noch nie beobachtet." Und auch diese Koagulations-, diese Thromboseneigung, die sonst auftritt nach den Vektor-Impfstoffen, ist ein totales Novum. Oder auch Herzmuskelentzündungen in diesem Ausmaß sind etwas, was man von anderen gewöhnlichen Protein-Impfstoff nicht kennt. Die Befürchtung der der Impfkritiker ist die, dass die sagen: Bei allen anderen Impfstoffen, anderen Wirkprinzipien, andere Verfahren haben wir noch nie Langzeiteffekte gesehen. Aber die sagen: Man kann nicht schlussfolgern, dass bei dieser neuen Methode, wo man unerwartete Nebenwirkungen hat, wie die Thrombosen oder die Herzmuskelentzündungen, es da nicht andere unerwartete Nebenwirkungen gibt, die erst nach drei Jahren beobachtet werden oder nach fünf.

Ich als Virologe sage dazu, ich habe wirklich lange darüber nachgedacht und mache es ständig: Ich sehe keinen Mechanismus, wie das passieren soll. Ich habe echt nichts vor Augen. Ich habe auch Biochemie studiert und beschäftige mich bis heute intensiv mit diesen Dingen. Ich sehe nicht, wie irgendwie das zustande kommen könnte. Aber es gibt eben immer Dinge, die auch der Kekulé natürlich nicht sieht und die alle anderen Virologen nicht sehen. Und die der Herr Cichutek nicht sieht. Diese unknown unknowns ... Wer jetzt behauptet, ich weiß, es gibt so was nicht, wie ich das vorhin von Herrn Watzl gehört habe, der ist unwissenschaftlich. Der Wissenschaftler braucht eine Demut dem Objekt gegenüber, das er untersucht. Er muss immer sagen, es gibt Dinge, die ich kenne, und es gibt aber auch immer viel, viel mehr Dinge, die ich nicht kenne. Wie jeder Astronom. Der schaut durchs Fernrohr. Er sieht irgendetwas und der weiß, ganz vieles sehe ich nicht durch mein Fernrohr. Das ist in der Biologie nicht anders.

34:24


Camillo Schumann

Vielleicht hört Herrn Kimmich unseren Podcast. Viele Grüße an dieser Stelle. Was kann man dem Herrn Kimmich jetzt mit auf den Weg geben? Sie haben gesagt, Sie haben lange darüber nachgedacht, abgewogen. Wir haben hier im Podcast schon häufig über die unknown unknowns gesprochen. Wir haben dazu unfassbar viele E-Mails bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der Zukunft etwas auftritt, von dem wir heute noch nichts wissen, wird immer geringer, wenn ich Sie richtig verstanden habe?


Alexander Kekulé

Je mehr wir verstehen, desto geringer wird es, weil wir diese neuen Impfstoffe jetzt auch nach und nach verstehen. Ich kenne keinen Virologen, der sich nicht impfen hat lassen. Die sollten sich mal melden. Für mich ist das Faktum, dass irgendein Sportler zu seinem Ergebnis kommt. Das ist völlig in Ordnung. Es gibt Menschen, die haben irgendwie andere Prioritäten. Die haben sich nicht ihr Leben lang mit diesen Themen beschäftigt. Die kommen zu bestimmten Ergebnissen und sagen, sie warten erst einmal ab. Dem eins auf die Mütze zu hauen für die Entscheidung, fände ich falsch. Man kann sicher kritisieren, dass er in seiner exponierten Position, in seiner Vorbildposition so was in die Primetime-Nachrichten posaunt. Das hätte nicht sein müssen. Wenn er das seinem Trainer sagt, der ihn vielleicht nötigt, sich impfen zu lassen, dann finde ich, das gleiche Argument wäre dann in Ordnung gewesen. Warum die, die ihm jetzt folgen, den kann ich nur sagen: Das ist ein sehr spekulatives Risiko. Solche spekulativen Risiken . Die Risikostrategen nennen so etwas "theoretische" oder auch "virtuelle Risiken". Das ist ein virtuelles Risiko. Wenn ich ein virtuelles Risiko mit einem realen Risiko abwäge, muss ich gucken, wie vernachlässigbar ist das reale Risiko. Das reale Risiko, Corona zu bekommen und dann vielleicht auch jemand anzustecken, der richtig schlimm krank wird, das ist wirklich da. Jetzt haben wir wieder die Inzidenz, die steigt. Da steigt das Risiko auch. Man kann grundsätzlich nur immer wieder sagen: Corona kriegen ist in jedem Alter schlechter als impfen. Das ist nach der RisikoAbwägung klar. Wenn ich aber sage, ich vermeide, Corona zu bekommen. Z.B. der Extremfall einer Schwangeren, die sich vielleicht nicht impfen lassen will mit den jetzigen Impfstoffen. Wenn sie vermeidet, Corona zu bekommen in dieser Phase auf andere Weise, dann ist nur noch das virtuelle Risiko im Raum. Wenn man dann sagt, das will ich nicht in Kauf nehmen, dann ist es am Ende des Tages unter Umständen eine informierte Entscheidung. Die muss man respektieren.


37:28


Camillo Schumann

Informierte Entscheidung ist das Stichwort. Wir hören mal kurz rein, was Joshua Kimmich noch gesagt hat:

"Das finde ich immer so ein bisschen schade, wenn es um die Debatte geht. Es gibt nur noch geimpft oder nicht geimpft. Nicht geimpft bedeutet dann oftmals, dass man CoronaLeugner oder Impfgegner ist. Aber ich glaube, es gibt auch ein paar andere Menschen zu Hause, die einfach ein paar Bedenken haben. Was auch immer die für Gründe haben. Ich finde, auch das sollte man respektieren. Vor allem, solange man sich an die Maßnahmen hält."


Genau, solange man sich an die Maßnahmen hält. Und welche Gründe das auch immer sind. Wir wollen ergründen, was das für Gründe beim Herrn Kimmich sein könnten. Wir haben zum einen die Langzeitfolgen von der Impfung durchdekliniert. Aber Herr Kimmich ist auch Leistungssportler. Als ungeimpfter Leistungssportler ist Joshua Kimmich nicht alleine. Rund ein Drittel der Tennisprofis z.B. sind nicht gegen das Coronavirus geimpft. Das hat die Spielervereinigung ATP mitgeteilt. Der Anteil der männlichen geimpften Spieler betrage momentan rund 65 %. Bei den weiblichen Tennisprofis etwas über 60 %. Da scheint eine große Skepsis zu herrschen. Nachvollziehbar? Immerhin verdienen diese Menschen mit ihrem Körper Geld. Und wenn man hört, Herzmuskelentzündung vor allem bei Menschen unter 30, nach einer Impfung . Das könnte für so einen Sportler das Aus bedeuten bzw. zumindest einen enormen Trainingsrückstand, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das ist so. Das kann man genauso sagen. Wenn ich als Virologe eine Herzmuskelentzündung hätte, ich weiß nicht, ob ich das merken würde. So viel fahre ich auch nicht Fahrrad. Ich würde ein bisschen schlechter die Treppen rauf kommen. Das müsste dann schon relativ massive Entzündung sein, damit ich das bemerke. Es gibt ganz leichte Verläufe, die merkt man nicht, wenn man sich nicht belastet. Genau das Gegenteil gilt für Leistungssportler. Wenn Sie als Schwimmer die Kacheln zählen und Sie sind eine Zehntelsekunde langsamer als sonst im Training, dann machen Sie sich schon Gedanken. Und wenn es eine ganze Sekunde ist, dann kriegen Sie Depressionen o.ä. Der Trainer fragt, was los ist. Solche Leistungssportler sind unter massiver medizinischer Überwachung. Die merken ganz früh, wenn da irgendetwas nicht auf 100 % läuft. Allein aufgrund der Reaktogenität, das muss noch keine Herzmuskelentzündung sein, merken die Sportler nach einer Impfung, sie sind nicht so fit wie sonst. Ich sage üblicherweise, um auf der sicheren Seite zu sein, nach der Impfunge die nächsten 14 Tage mal keinen Leistungssport machen, keine massiven Belastungen. Ich glaube, das haben wir hier im Podcast auch schon mal empfohlen. Das ist jetzt nicht wissenschaftlich belastbar. Die Frage, wann die Myokarditis auftaucht, ist auch mal gekommen. Da gibt es einzelne Studien, die haben gezeigt, dass eine Myokarditis-Häufung vier Wochen nach der Impfung immer noch nachweisbar ist. Es ist nicht so, dass es ein Phänomen ist, was nur in den ersten drei Tagen ist. Wenn man sagt, zwei Wochen keinen massiven Sport betreiben, dann ist man im guten Mittelfeld bei der Empfehlung. Jemand, der supervorsichtig ist, könnte aufgrund der Studienlage sagen, vier Wochen. Wenn so ein Bundesligaspieler oder jemand, der bei ATP Tennis spielt, vier Wochen raus aus dem Training ist, das hat massive Folgen. Wenn ich mir vorstelle, die ganze Fußballmannschaft wird auf einmal geimpft, das muss man gut takten, dass es bei der Bundesliga keinen Einfluss auf die Tabelle hat. Ich weiß auch nicht, ob die

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hinterher zwei Wochen freikriegen oder ob die gleich zwei Tage später wieder zum Training erscheinen müssen. Deshalb glaube ich schon, dass man eine andere Betrachtung dieser ganz normalen Nebenwirkungen oder Reaktogenität hat, wenn man seinen Körper quasi als Instrument benutzt. Und wenn man maximale Leistungen abfordern muss, dann guckt man auf die Dinge, die ja erwartbar sind, kritischer drauf. Da habe ich überhaupt nicht von irgendwelchen unknown unknowns gesprochen, sondern von den ganz normalen Begleiterscheinungen einer Impfung.

42:04


Camillo Schumann


Wir wollten das mit in die Erwägung ziehen, was möglicherweise im Kopf vom Herrn Kimmich vorgeht. Was auch möglicherweise nachvollziehbar ist.


Alexander Kekulé

So hat er das nicht gesagt. Ich hatte aus dem zweiten Statement, was Sie vorgespielt haben, das habe ich das wiederum gehört. Als ich das Fernsehen gesehen habe, hatte ich spontan den Eindruck, jetzt ist ihm der Kragen geplatzt. Das wirkte so, als hätte man ihn vorher mit diesem Thema schon so lange genervt, dass er jetzt mal loswerden will, dass man die Leute doch bitteschön damit nicht immer nerven soll. Und ihn nicht in eine Ecke von Impfverweigern steckt soll. Ganz grundsätzlich verstehe ich diesen Reflex. Ich verstehe es, dass jemand, der zum zehnten Mal von einem Reporter so etwas gefragt wird, irgendwann mal sagt: "Ich bin kein Impfkritiker. Habt ihr das immer noch nicht verstanden?" Ich finde es auch nicht richtig, die Leute in so einer Ecke zu drängen an der Stelle. Ich glaube, das war auch der tiefere Grund, warum er sich da verplappert hat. Wenn man eh schon unter Dampf steht und jemand piekst es an, dann rutscht einem was raus, was vielleicht im Medientraining vorher nicht passiert wäre.


Camillo Schumann


Er hat ja auch gesagt, dass er dreimal die Woche getestet wird. Er hält sich an alle Abstandsregeln und versucht sich so weit wie es geht,

nicht dem Virus auszusetzen. Sie hatten gesagt, dass man sich zwei Wochen mit Sport und Leistungssport sowieso zurückhalten sollte. Auch das RKI gibt eine Empfehlung, ein bisschen schwammiger. Da heißt es:

"Es ist ratsam, in den ersten Tagen nach der Impfung außergewöhnliche körperliche Belastung und Leistungssport zu vermeiden. Bei Schmerzen, Fieber dann zum Arzt zu gehen."

Also in den ersten Tagen nach der Impfung.


Alexander Kekulé

Aber wir haben hier auch schon das Thema Herzmuskelentzündung und die Studien dazu besprochen. Man kann nur wiederholen, das ist wirklich eine seltene Nebenwirkung. Wahrscheinlich gibt es irgendwelche genetischen Faktoren, die da eine Rolle spielen. Ich kann mir das kaum anders vorstellen, weil so seltene Nebenwirkungen haben meistens was mit individueller Veranlagung zu tun. Aber diese Studien haben eine Häufung der Herzmuskelentzündungen insbesondere bei jungen Männern festgestellt. Da wurde der Zeitraum von vier Wochen nach der Impfung verwendet. In diesem Zeitraum gibt es Häufungen. Da gibt es auch welche, die noch nach drei Wochen passiert sind oder kurz vor der vierten Woche. Das ist aber nur eine Häufung in dem Sinn, dass es häufiger ist als in der Durchschnittsbevölkerung, bei den Nichtgeimpften und in der gleichen Altersgruppe. Daraus erkennt man, dass es was mit der Impfung zu tun hat. Das ist dieses Sicherheitssignal. Diese Studien sind so gemacht worden, dass man nicht stattdessen mal drei Monate nachbeobachtet hat. Nicht deshalb, weil man der Meinung wäre, nach drei Monaten kann so etwas nicht mehr passieren. Sondern, wenn der Zeitraum länger gewählt wird, wird das statistische Signal schwächer. Je länger der Zeitraum ist, den man betrachtet als Vergleich, desto schwächer ist der Einfluss des Ereignisses, um das es da geht. In dem Fall die Impfung. Um quasi nicht so eine statistische Verwässerung zu kriegen, aber möglichst viele Fälle zu erfassen, hat man diese vier Wochen genommen in den meisten Studien. Das heißt also, wir wissen nicht genau,

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nach wie viel Wochen das minimal erhöhte Risiko, einer Herzmuskelentzündung aufhört. Aber ich finde, man kann aus den paar Tagen nach der Impfung, die das Robert-Koch-Institut hier erwähnt, durchaus eine Woche machen. Oder wenn man auf Nummer sicher geht, sage ich immer zwei Wochen. Kann sein, dass wir in fünf Jahren wissen, wenn wir dann eine gute Statistik haben, dass das eine Woche super ist und zwei Wochen völlig übertrieben als Pause. Warum braucht man fünf Jahre für die Statistik? Man impft so wahnsinnig viele Menschen. Aber die Herzmuskelentzündung wiederum ist extrem selten. Um da wieder genug Fälle zusammenzukriegen, braucht man eben eine Weile, obwohl man Hunderte von Mio. Menschen impft.


Camillo Schumann


Die "Bild" schreibt noch, dass Kimmich möglicherweise auf einen Totimpfstoff wartet und sich dann impfen lassen würde. Wäre das vielleicht eine Alternative? Eine Jahrzehnte lang erprobte Wirkungsweise?


Alexander Kekulé

Das höre ich ganz oft. Ich bin ganz zuversichtlich, dass, sobald die konventionellen Impfstoffe, Totimpfstoffe, Protein-Impfstoffe, also nicht diese modernen, auf der neuen Technologie beruhenden Impfstoffe, verfügbar sind, sich viele von denen, die jetzt noch zögern, sich impfen lassen werden. Und das wird hoffentlich Anfang nächsten Jahres dann sein. Da stimmt dann die Schlussfolgerung, die der Herr Cichutek gemacht hat, der Präsident des PaulEhrlich-Instituts. Dass er sagt, wir haben so etwas bei Impfungen bisher noch nie gesehen. Und darum glaubt er das nicht. Da kann man meines Erachtens diese Analogie ziehen. Dann vergleichen Sie nicht mehr Äpfel mit Birnen, sondern Äpfel mit Äpfeln. Dann kann man sagen, wir haben Äpfel aller möglichen Art und aus allen Kontinenten zusammengetragen, aber noch nie einen gefundener, der so groß wie eine Melone war oder die Form einer Banane hatte. Da stimmt dann der Vergleich. Aber wenn Sie sagen, bei Obst gibt es so was nicht. Wenn Sie sagen, bei Obst gibt es so et-

was nicht, können Sie relativ falsch liegen, wenn Sie bis jetzt nur Äpfel untersucht haben. Deshalb muss man sich die Frage stellen: Sind die Technologien wirklich dann vergleichbar? Da bin ich ehrlich gesagt zurückhaltend. Das ist eine grundsätzliche Haltung. Das kann man nicht theoretisch-wissenschaftlich oder philosophisch begründen. Aber ich habe grundsätzlich die Haltung als Wissenschaftler, dass ich nur einen kleinen Teil sehe. Und dass wir Menschen so ein bisschen immer noch wie Schimpansen sind, denen man eine Taschenuhr in die Hand gegeben hat. Der guckt auf die Zeiger und überlegt, warum bewegende sich. So ein bisschen in dieser Lage sind wir als Menschen immer. Denn die Faszination der Wissenschaft und der Natur ist ja, dass es weit über das hinausgeht, was wir verstehen. Da sind wir in der Biologie in den letzten Jahren ständig bei Dingen, wo wir sagen: "Wow, dass das so ist, hätte ich nie gedacht." Wir könnten jetzt viele Stunden darüber reden, was uns die CoronaPandemie an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gebracht hat. Wo man sagt: "Das ist eine echte Überraschung, das hätte ich nicht gedacht."

49:02


Camillo Schumann


Trotzdem noch einmal abschließend nachgefragt für alle Leistungssportler und alle, die auf die Totimpfstoffe warten: Wäre das etwas, wo Sie sagen, da sind zumindest die unknown unknowns wirklich extrem unwahrscheinlich?


Alexander Kekulé

Da ist es noch viel unwahrscheinlicher, dass da etwas passiert, wo man hinterher sagen muss, das hätte man nie gedacht. Die Menschen denken an die üblichen Skandale. Es gab mal den Contergan-Skandal oder andere Medikamentennebenwirkungen, wo die Medikamente dann wegen Dingen, die man nie erwartet hätte, plötzlich wieder vom Markt verschwinden mussten. Bei den erprobten Methoden sind diese völlig unerwarteten Effekte nicht zu erwarten. Die sind sehr unwahrscheinlich. Aber ein anderes Beispiel: Wir hatten mal den Pandemie-Impfstoff, der hieß Pandemrix von Gla-

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xoSmithKline. Der wurde 2009 für die sogenannte Schweinegrippe entwickelt. Da hat sich herausgestellt, dass der in sehr seltenen Fällen diese Narkolepsie macht, also eine schwere neurologische Nebenwirkung. Die Narkolepsien kommen nicht erst nach Jahren, sondern die kommen relativ bald. Also nach Monaten ist der Effekt eingetreten. Aber er war so selten, dass man es erst Jahre später gemerkt hat. Ich glaube, es war im Jahr 2011. Zwei, drei Jahre später haben die Skandinavier gemerkt, dass da diese Nebenwirkung tatsächlich assoziiert ist. Aber das Interessante ist, obwohl das ein relativ konventioneller Impfstoff ist, weiß man bis heute nicht genau, woran es liegt. Da ist ein Adjuvans drin gewesen. Das ist ein Wirkverstärker, der hieß AS03, der war neu. Da haben am Anfang alle gedacht, ich wahrscheinlich auch, dass das bestimmt dieses Adjuvans ist, was da drin ist. Das Paul-Ehrlich-Institut hat eine eigene Studie, wo sie gesagt haben, das Adjuvans von dem Pandemrix ist schuld an den Narkolepsien. Also nicht wirklich als Ergebnis, aber als Möglichkeit. Der Finger zeigte immer auf dieses Adjuvans. Aber dann hat man später festgestellt: Ein besonderes Protein des Influenzavirus wurde da verwendet. Da wird ein Teil vom Influenzavirus verwendet, um quasi das Immunsystem zu stimulieren. So ähnlich wie das Spike-Protein bei den COVIDImpfstoffen verwendet wird. Dann hat man später gesehen, ausgerechnet dieser Teil des Influenzavirus, den die Firma GlaxoSmithKline eingebaut hat in den Impfstoff, der macht möglicherweise so eine Art immunologische Kreuzreaktion mit bestimmten Bestandteilen im Gehirn. Es könnte sogar sein, dass das Schuld war. Also dass die Auswahl dieses einen Proteins als Immunstimulator für die Antikörper schuld war, dass diese Narkolepsien aufgetreten sind. Das ist bis heute unklar, ob es wirklich dieses Adjuvans war.

Was will ich damit sagen? Es gibt immer unerwartete Dinge, auch bei den bekannten Technologien. Aber zumindest können wir sagen, bei den bekannten Technologien sind bisher bei Impfstoffen diese Dinge immer schnell aufgetreten. Heißt, geimpft und einige Monate

später kam das Problem. Geimpft und einige Jahre später kam das Problem, das haben wir bei den konventionellen Impfstoffen nie gehabt. Selbst wenn man Pandemrix z.B. mit reinnimmt. Sodass ich diejenigen, die Angst vor völlig unerwarteten Nebenwirkungen haben, die erst nach Jahren auftreten, beruhigen würde: Bei konventionellen Impfstoff, etwa einem protein-basierten Impfstoff, soweit man das beurteilen kann, hat es das bisher in der Geschichte der Impfstoffe noch nie gegeben.

52:57


Camillo Schumann


Warum sich impfen lassen immer besser ist, als COVID zu bekommen, das zeigen ganz viele Long-COVID-Patienten. Sie hatten es eingangs angesprochen. Studien gehen davon aus, dass so 40 bis 70 % der COVID-Patienten unter Long-COVID-Symptom leiden. Und das auch länger als ein paar Monate. Also das ist jetzt nicht irgendwas.


Alexander Kekulé

Diese Zahl geht wirklich hoch. In ersten Studien hieß es, so 10 % haben Long COVID. Inzwischen heißt es ja Post-COVID-Syndrom. Es so definiert, dass das Symptome sind, die mehr als vier Wochen nach der Erkrankung bleiben. Am Anfang haben wir mal 10 % irgendwo gelesen. Dann hieß es 20 %. Das ist die Zahl, die ich immer noch verwende, für neurologische Erkrankungen, neurologische Symptome. Aber wie Sie sagen, je neuer die Studien sind, je mehr Patienten man untersucht, desto höher geht diese Zahl. Inzwischen sind es schon 50 %, die angeblich länger als vier Wochen neurologische Folgeerscheinungen haben. Da sind immer die symptomatischen Infektionen einbezogen. Das gilt nicht für asymptomatische, sondern die, die wirklich registriert wurden. Ja, das ist ein ernstzunehmendes Problem.


Camillo Schumann


Es gibt immer wieder Berichte von gestörten Erinnerungsvermögen, Kopfschmerzen, Sprachstörung, Müdigkeit und die Frage, die damit verbunden ist: Dringt das Coronavirus auch ins Gehirn ein und richtet dort in den hundert Milliarden Nervenzellen Schäden an?

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Es gibt eine interessante Studie jetzt aus Lübeck. Bringt sie uns bei der Beantwortung dieser Frage einen Schritt weiter?


Alexander Kekulé

Ich finde die Studie spannend. Die ist in Nature Neuroscience erschienen, einem der Tochterblätter von Nature. Die ist wirklich sehr interessant. Natürlich ist es eine Hypothese, die da aufgestellt wird. Aber sie ist spannend. Unter Fachleuten ist immer die Frage: Ist dieses Virus neurotrop? Also, befällt das Coronavirus auch Nervenzellen? Am Anfang war klar, das macht eine Lungenerkrankung. Aber dann hat man schnell gemerkt, das macht diese Mikrothrombosen, die alle möglichen Organe kaputtmachen können. Aber kann es auch das Gehirn befallen? Die Überraschung, dass Viren plötzlich neurotrop sind, das haben wir z.B. bei HIV erlebt, das Virus, das Aids hervorrufen kann. HIV wurde am Anfang immer als Virus charakterisiert, dass das Immunsystem schwächt, weil es bestimmte Immunzellen infiziert. Man hat erst relativ spät festgestellt, dass es wirklich auch Nervenzellen befallen kann, also neurotrop im engeren Sinne ist.

Wir kennen auch andere Viren, z.B. Masern, was wirklich Nervenzellen befällt. Das gilt als echtes neurotropes Virus. Es greift das Nervensystem an, auch im Zentralnervensystem im Gehirn. So viele COVID-Patienten haben eben neurologische Probleme, sowohl bei der Erkrankung selber als auch hinterher z.T. persistierend. Deshalb ist die Frage: Ist dieses Virus neurotrop? Wir wissen, dass der Verlust des Geruchssinns relativ typisch ist. Da war auch immer die Frage: Ist es die Riechfaser selber? Also quasi der Nerv, der Riechnerv, der da infiziert wird, wie wir das auch von anderen Viren kennen. Herpesviren können so etwas machen. Oder ist es so, dass das nur eine lokale Entzündung in der Nasenschleimhaut ist? Diese Frage ist nicht ganz beantwortet. Die ist noch offen, wenn man so sagen will. Es gibt noch keinen echten, endgültigen Beweis, dass das SARS-CoV-2 in das Nervensystem eindringt und dort Zellen kaputtmacht. Trotzdem hat es diese neurologischen Effekte, die wahrscheinlich noch viele Jahre auch die Neurologen be-

schäftigen. Diese Arbeit zeigt jetzt möglicherweise, wie diese neurologischen Effekte auftreten können, ohne dass das Virus im engeren Sinne neurotrop sein muss.


Camillo Schumann


Wie kann das sein?


Alexander Kekulé

Die Verbindung zwischen den beiden ist das Blutgefäßsystem im Gehirn. Während wir hier miteinander sprechen, ist ein bestimmter Teil des Gehirns gerade aktiv, und andere, die wir vielleicht beim Klavierspielen benutzen würden oder die im Schlaf z.B. aktiv sind, sind gerade nicht gefordert. Damit quasi immer die Mannschaft im Gehirn, die gerade was zu tun hat, genug Nährstoffe bekommt, genug Sauerstoff, genug Glukose, müssen die Kapillaren, also diese feinen Gefäße im Gehirn, exakt danach gesteuert werden, wo gerade die Aktivität ist. Das ist so ein Feinsteuerungssystem. Es ist quasi die Einspritzanlage vom Gehirn, die da aber in dem Fall dafür sorgt, welcher Zylinder aktiv ist und läuft. Die Wissenschaftler aus Lübeck haben gezeigt, dieses Feinsteuerungssystem, die feinen Kapillare, sind bei den PostCOVID-Patienten häufiger kaputt. Da ist es häufiger so, dass es so Reste von zugrunde gegangenen feinen Gefäßen gibt. Die nennen die dort Fadengefäße, string vessels. Diese Reste von diesen zugrunde gegangenen Gefäßen haben die vermehrt gesehen bei Patienten, die COVID hatten. Sie haben das im Mausmodell genauer untersucht. Genau gesagt bei Mäusen und Hamstern. Sie haben bei zwei verschiedenen Tiermodellen geguckt, wie gehen die eigentlich kaputt? Wie kann das sein, dass diese Kapillare durch das COVID kaputtgehen? Es gibt eben Tiermodelle, wo man quasi diese SARS-CoV-2-Infektion simulieren kann und dann bei den Tieren anschauen kann, was da molekularbiologisch passiert. Es gibt eine Stellsubstanz im Gehirn. Die hat die Aufgabe, u.a. den programmierten Zelltod in diesen Kapillaren zu steuern. Die müssen sich manchmal selber umbringen, wenn sie z.B. vom Virus angegriffen werden. Die hat auch die Aufgabe, wenn so ein Virus kommt, die

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Interferone zu aktivieren. Also diese Abwehrstoffe, die im angeborenen Immunsystem dazu da sind, die Virusangriffe frühzeitig abzuwehren. Diese Substanz, dieser eine Schlüsselstoff heißt Nemo. Wie der Fisch oder wie der Kapitän Nemo aus "20.000 Meilen unter dem Meer". Dieses Nemo, was die Zellen haben, um quasi zu reagieren auf die Angriffe von Viren und damit eine Kaskade in Gang zu setzen, die Interferon freisetzt und diese angeborene Immunität aktiviert, und das wird eben kaputtgemacht von der Protease, von dem SARS-CoV2-Virus. Das ist deshalb spannend, weil man da sieht, dass das Virus selber direkt einen Nebeneffekt hat, der zu einer Zerstörung der kleinsten Kapillaren im Gehirn führen kann. Also der Blutgefäße, die für die Steuerung der Nährstoffe und der Versorgung des Gehirns zuständig sind. Und genau solche Störungen von so kleinen Kapillaren gibt es bei anderen Krankheiten. Z.B. gibt es da eine Krankheit, die heißt das neurologische Syndrom der kleinen Gefäße. Also neurologische Small Vessel Disease auf Englisch. Das macht genau das Gleiche. Da ist auch die Zellwand von den kleinen Arterien kaputt. Dadurch kommt es zu neurologischen Ausfallserscheinungen. Die sehen eben genau aus wie das, was diese SARS-CoV-2Patienten haben. Die haben Konzentrationsstörungen, die haben manchmal Schlaganfälle, wenn es zu Verstopfungen kommt. Das Krankheitsbild sieht ganz ähnlich aus. Es gibt eine andere Erkrankung, wo dieses Nemo mutiert ist, eine ganz seltene Erbkrankheit. Die heißt Incontinentia pigmenti. Es ist so etwas, was selbst Mediziner im Staatsexamen nicht wissen müssen, weil es so speziell ist. Die haben verschiedene Störungen. Incontinentia pigmenti klingt schon so nach einer Pigmentstörung. Man hat da auf der Haut Pigmentveränderungen, aber auch neurologische Störungen im Gehirn. Und die sehen auch wieder zum Verwechseln ähnlich wie das, was die COVIDPatienten berichten. Diese Konzentrationsstörungen und Merkstörungen und solche Sachen. Sodass die Autoren sagen, es könnte sein, eine Hypothese natürlich, dass wir hier den Schalter gefunden haben, der SARSCoV-2

umlegen kann im Gehirn, in der Blutgefäßversorgung des Gehirns. Der dazu führt, dass diese neurologischen Symptome auftreten, ohne dass das Virus wirklich neurotrop im engeren Sinne ist, also Nervenzellen direkt kaputtmacht. Sondern es wirkt eher indirekt, indem sie die Einspritzanlage kaputtmacht und dadurch dem Gehirn den Saft abdreht.


Camillo Schumann


Aber das ist zumindest schon mal ein guter Hinweis, um Therapiemöglichkeiten entwickeln zu können. Oder?


Alexander Kekulé

Da sind sie auch noch einen Schritt weitergegangen. Darum ist das eine interessante wissenschaftliche Publikation. Es gibt da bekannte Hemmstoffe, die diese Signalkette an einer anderen Stelle bremsen können, nicht das Nemo selber. Wenn man diese Hemmstoffe einsetzt, wird dieser Effekt revertiert. Wenn man bei Mäusen diese Hemmstoffe einsetzt, dann wird die Störung der Durchblutung usw., das wird alles aufgehoben. Das ist ein langer Weg bis zu einer möglichen therapeutischen Anwendung. Aber ein mögliches Target, wie wir sagen. Da hat man jetzt ein mögliches Ziel, was man für eine Therapie einsetzen kann. Neue Targets sind immer super spannend für die pharmazeutische Industrie. Neue Wirkprinzipien bedeutet das letztlich. Und man wird es sicher nachverfolgen. Aber ich kann nur davor warnen, bis man das anwenden kann, werden viele Jahre vergehen. Wenn man so ein Target hat, muss man erst mal Substanzen finden, die das ganz selektiv angehen, die ganze selektiv an der Stelle wirken, keine Nebenwirkungen haben. Dann müssen die auch so sein, dass man sie irgendwie einnehmen kann, ohne dass das in der Magensäure zersetzt wird. Also die Pharmakokinetik muss dann stimmen. Ganz am Ende kommt irgendwann ein Medikament, das erst mal in die klinische Studie muss. Außerhalb von Corona-Zeiten, wenn man die Impfstoffe außen vor lässt, dauert so was viele Jahre. Aber trotzdem ist es wissenschaftlich spannend, dass da möglicherweise eine Tür aufgemacht wurde. Wenn es funktioniert,

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könnte es nicht nur für COVID und Long COVID eine Therapieoption sein, sondern für andere Erkrankungen, die eben ähnliche Symptomatik haben. Wo auch die Ursache möglicherweise so eine Störung der Mikrozirkulation im Gehirn ist.


Camillo Schumann


Ich gehe mal davon aus, sobald das erste Medikament gegen Long COVID auf den Markt kommt, besprechen wir das hier im Podcast?


Alexander Kekulé

Ich glaube, dieses Medikament werden wir nicht mehr besprechen können. Da haben wir beide einen langen Bart bis dahin.


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Der P. hat angerufen. Er hat große Angst vor der Impfung. Er hat sich aber zu seiner ersten BioNTech-Impfung durchgerungen und nun folgendes Problem:

"Jetzt habe ich Angst vor der zweiten Impfung. Ich habe meinen Hausarzt gefragt, ob ich einen Test wegen der Antikörper, T-Zellen usw. machen kann. Er hat mir abgeraten. Er sagte, es ist ungünstig, dann in alle möglichen Veranstaltungen reinzukommen. Das ist für mich kein Argument. Ich habe das Gefühl, mein Immunsystem hat jetzt schon wahnsinnig reagiert. Ich habe auch Nebenwirkungen gehabt. Ich denke mir, ich brauche nicht die zweite Impfung. Ich würde gern den Herrn Kekulé fragen, ob der noch irgendwelche Tipps hat für meine Argumentation meinem Hausarzt gegenüber.“


Alexander Kekulé

Da muss ich zunächst mal in Deckung gehen und sagen, die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt zwei Impfungen. Zugelassen ist der Impfstoff offiziell mit zwei Impfungen. Deshalb muss man sich halt zweimal impfen lassen. Der Hausarzt hat natürlich recht mit seinem völlig banalen Argument, das man sonst nirgendwo reinkommt. Das ist einfach so. Als Wissenschaftler fühle ich mich trotzdem provoziert, ein bisschen genauer darauf zu antworten. Wir wissen natürlich, dass da einige Leute sehr gut reagieren und

einen ganz hohen Antikörpertiter haben und diese zelluläre Antwort sehr gut ist, die da gerade angesprochen wurde. Im Gegensatz zur Anfangsphase dieser Impfung, wo ich öfters mal gesagt habe, wir wissen ja noch nicht, ob diese Antikörpertiter, diese AllerweltsAntikörper, die jedes Labor bestimmen kann, ob das so gut korreliert mit den neutralisierenden Antikörpern. Das sind diejenigen, die wirklich das Virus festhalten und kaputtmachen können. Die kann man testen, aber die Tests sind aufwendig und nicht für jedermann verfügbar. Und ob das Ganze mit der Immunität korreliert, also mit dem Schutz vor Ansteckung, das war am Anfang ein Fragezeichen. Aber in den letzten Monaten haben sich die Daten verdichtet, dass jemand, der hohen Antikörpertiter hat, tendenziell immun ist. Das korreliert also gut. Dieses IGG, wie das die aktuellen Tests bestimmen, korreliert relativ gut mit der Immunität. Und das zweite, was wir jetzt wissen, ist: Entscheidend ist eigentlich, wie stark jemand nach der Impfung selber reagiert hat. Wenn ich sechs Monate nach der Impfung einen relativ niedrigen Titer habe, dann ist ja immer die Frage: Was wäre, wenn das Virus jetzt käme? Würden meine Gedächtniszellen, die ich gebildet habe, so schnell wieder neue Antikörper produzieren, weil die dann schnell aktiviert werden, dass mich das schützt? Oder ist die Tatsache, dass jetzt meinen Antikörpertiter so weit abgesunken ist, ein Alarmsignal, dass meine Gedächtniszellen auch irgendwie ihr Gedächtnis verloren haben? Jetzt wissen wir, der sinkende Antikörpertiter ist nicht unbedingt ein Hinweis darauf, dass die Immunantwort sehr schlecht geworden ist. Sondern das entscheidende Kriterium ist: Wie war das kurz nach der Impfung? Hatte ich kurz nach der Impfung eine Bomben-Reaktion? Dann habe ich auch sechs Monate später, selbst wenn meine Antikörper abgesunken sind, eine gute Chance, dass ich immer noch immun bin. Was heißt das für die konkrete Frage? Wenn man nur eine Impfung hat und da sehr, sehr gut darauf reagiert hat, dann wäre das nach der jetzigen wissenschaftlichen Datenlage nicht unbedingt nötig, die zweite Impfung zu ma-

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chen. Man macht die zweite Impfung, weil man, wenn man Zehntausende, Hunderttausende, Millioinen von Menschen impft, nicht jeden einzelnen testen kann, wie der reagiert hat. Es gibt viele Menschen, insbesondere ältere, für die reicht eine Impfung nicht. Die brauchen die zweite. Aber nicht alle brauchen das. Und weil viele Menschen die zweite Impfung brauchen, sagt man, damit man statistisch eine gute Wirkung hat bei einer großen Zahl von Menschen, zwei Impfungen. Insbesondere auch bei Menschen, die ein schlechtes Immunsystem haben, die älter sind usw. Wenn jemand, der super reagiert hat nach der einmaligen Impfung, der könnte sich überlegen, ob er die zweite medizinisch gesehen überhaupt braucht. Er kommt halt dann nicht mehr in die Clubs rein. Da ist die Frage, ob man das dann will. Ich kann nur sagen, wer die erste halbwegs gut überstanden hat, selbst wenn er Nebenwirkungen hat, der übersteht meistens die zweite auch gut. Es ist nicht so, dass der Unterschied so krass wäre, dass man nach der zweiten Impfung schwerste Nebenwirkungen hat, die man nach der ersten nicht beobachtet hat.

1:09:44


Camillo Schumann


Eine Frage schaffen wir noch. Frau E. hat gemailt. Sie schreibt:

"Es ist in den Medien berichtet worden, dass in Wuhan und auch in Italien im Nachhinein Probenmaterial aus Krankenhäusern untersucht wurde, das aus dem September 2019 stammte. Also vor Beginn der Pandemie. Darin waren teilweise Antikörper zu finden, die darauf schließen lassen, dass in beiden Ländern schon früher als bisher bekannt das Coronavirus unterwegs war. Mich würde interessieren, ob es hierzu Erkenntnisse gibt. Viele Grüße."


Alexander Kekulé

Ja, das stimmt. Es ist tatsächlich so, dass September so die früheste Zeit ist, wo man Hinweise hat, dass das Virus schon in die Welt verschleppt wurde. Das ist ja damals der Wuhan-Typ gewesen. Der hat sich damals wohl dort ausgebreitet. Der war aber noch nicht so stark infektiös, quasi noch nicht so gut ange-

passt an den Menschen. Deshalb sind diese einzelnen Satelliten-Infektionen, Metastasen, haben nicht zu Tochtergeschwüren geführt, sondern sind irgendwie abgestorben. Wir kennen auch z.B. einen relativ frühen Ausbruch. Das war nicht 2019, sondern 2020, aber trotzdem ein früher Ausbruch. Ich glaube, in Oregon war das, einem nördlichen Staat der USA. Da gab es ein paar hundert Fälle, hat man dann festgestellt. Es hat sich von selber beendet, weil das noch eine Variante war, die nicht so stark infektiös war. Die hochinfektiöse Variante hat sich dann erst in Norditalien durchgesetzt. Was hat das zur Folge? Was kann man dafür Konsequenzen daraus ziehen? Erstens, das ist in China schon eine Weile unterwegs gewesen, bevor es auf dem Markt von Wuhan entdeckt wurde. Was auch immer da der Ursprung der Pandemie war. Es fand schon im September statt höchstwahrscheinlich. Und zweitens, wir hätten ganz am Anfang der Pandemie das ganze Desaster verhindern können. Damals war das Virus noch nicht so fit, sich in Menschen in dieser Geschwindigkeit zu verbreiten. Letzteres ist wichtig für die nächste Pandemie. Da müssen wir definitiv schneller sein. Und wir müssen die Maßnahmen, die damals am Anfang dieser Pandemie einige gefordert haben, die müssen wir sehr schnell und unmittelbar ergreifen. Dann sind wir in der Lage, so was im Keim zu ersticken und die sogenannte Stamping-out-Strategie zu fahren. Wenn Sie eine glimmende Zigarette, die im Wald liegt, sofort austreten, dann verhindern Sie den Waldbrand. Das ist hier nicht gelungen. Das muss man ganz klar sagen. Das hat ziemlich lange vor sich hin geglimmt, ohne dass es irgendjemand bemerkt hat. Es gab es sogar einen Funkenflug nach Frankreich und nach Italien, der dann zum Glück auch nicht zum Waldbrand geführt hat. Aber das schwelte so lange vor sich hin, bis es zur echten Pandemie kam.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 235. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.

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Alexander Kekulé

Gerne, bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen. Dann schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an kostenlos unter 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung: Hören Sie doch mal in den „Rechthaber“ rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 23. Oktober 2021 #234


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 23. Oktober 2021

Wann ist das Risiko einer Herzmuskelentzündung nach einer Impfung für einen 15-Jährigen am höchsten?

Stimmt es, dass die Krebsrate in der Bevölkerung nach der Impfung um 20 Prozent gestiegen ist?

Welche Auffrischungsimpfung wäre nach einer Moderna-Impfung zu empfehlen und Herzrasen nach einer BioNTech Impfung.


Camillo Schumann


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés-Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé!


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Frau B. hat angerufen. Sie macht sich Sorgen um ihren Sohn.

„Ich habe meinen Sohn jetzt impfen lassen mit BioNTech – er ist 15 Jahre alt – und mache mir immer noch Sorgen wegen der Myokarditis und bin ganz vorsichtig, er darf keinen Sport treiben. Es ist jetzt eine Woche her und ich frage mich, wie lange besteht denn die Gefahr einer Myokarditis? Also kann diese noch in 3 Monaten auftreten oder in 8 Wochen oder sind wir nach 1-2 Wochen schon der Gefahr entwichen? Das würde mich sehr interessieren.“


Alexander Kekulé

Also, die Myokarditis ist – das muss man jetzt vornewegschicken ist wirklich, wirklich selten. Nur noch, um das noch einmal einzuordnen. Und wenn sie kommt, ist es so, dass sie fast immer wieder gut ausheilt. Dass das nur vorneweg, dass ist nichts vor dem man große Angst haben muss.

Ja also die Studien, wo dann untersucht wurde, wie groß der Abstand war von der zweiten Impfung oder von der Impfung, die zeigen, dass es letztlich eine Häufung gibt, auch vier Wochen später noch. Also, dass die meisten treten innerhalb von einem bis zwei Wochen auf. Aber auch vier Wochen nach der zweiten Impfung ist es so, dass man noch eine Häufung von Myokarditiden hat. Zumindest ist es so weit beobachtet worden. Keiner hat sich jetzt die Mühe gemacht, dass acht Wochen oder 16 Wochen lang zu beobachten. Das hat auch dann den Nachteil, dass dann die Zahlen immer verwaschener werden. Je länger der Zeitraum ist, den man da vergleicht, desto mehr Myokarditiden hat man natürlich auch als Hintergrundaktivität, sozusagen zufällig. Und dadurch wird es dann immer schwieriger, die besondere Wirkung dieser Medikation quasi herauszufiltern. Und darum hat man diese vier Wochen eigentlich meistens genommen. Ich würde mal sagen, so mit dem gesunden Menschenverstand ist es ja sehr wahrscheinlich, dass es sich hier um eine immunologische Reaktion handelt. Also es gibt keine andere Theorie, um das zu erklären, dass da irgendetwas im Herzmuskel passiert, was wir zwar nicht verstehen, was aber damit zu tun hat, dass das Immunsystem hier irgendwie entweder auf die RNA direkt oder auf das S-Protein, was da generiert wird, anspringt und dadurch so eine lokale Entzündung im Herzmuskel macht.

Solche Entzündungsreaktionen, dass es ja keine chronische Entzündung ist, sondern eine akute, die dann auch wieder weggeht. Die würde man nicht später als zwei Wochen nach der Impfung erwarten. Also das wäre meines Erachtens sehr, sehr unwahrscheinlich, sodass ich jetzt persönlich, ohne dass es dafür eine

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gute Basis gibt aufgrund von klinischen Studien, würde ich sagen aufgrund der zu erwartenden immunologischen Zusammenhänge, ist zwei Wochen ein guter Zeitraum, um sich ein bisschen zu schonen. Das heißt aber bitte nicht, dass der Bub jetzt irgendwie überhaupt nicht mehr raus darf und auf dem Sofa sitzen muss. Ich würde nur besondere Anstrengungen vermeiden. Also der soll sich jetzt nicht übermäßig anstrengen, aber natürlich sonst alles machen wie immer.


Camillo Schumann


Die Spülmaschine kann er ausräumen.


Alexander Kekulé

... den Müll runtertragen. Auch den Staubsauger kann man bedienen.


Camillo Schumann


Herr B. hat gemailt. Er schreibt:

„Ich überlege, ob ich meine Tochter impfen lassen soll. Sie ist zwölf Jahre alt, sehr zierlich und eher klein für ihr Alter. Mich beunruhigen die neuen Erkenntnisse, dass Moderna eine stärkere Immunreaktion hervorruft und daher vermehrt Herzmuskelentzündung bei Jugendlichen hervorruft. Meine Tochter würde vom Hausarzt BioNTech bekommen, welcher niedriger dosiert ist, jedoch trotzdem die Erwachsenendosis. Ich frage mich, ob nicht auch dies viel zu hoch ist. Bei jüngeren Kindern soll zukünftig ein Drittel der Dosis verabreicht werden. Wenn sie also ein Jahr jünger wäre, würde sie eine viel geringere Dosis bekommen. Zumal viele Elfjährige ein höheres Körpergewicht haben als meine Tochter. Mich verunsichert das sehr. Und ich verstehe nicht, dass man für die zwölf bis 15Jährigen nicht die Hälfte oder zumindest zwei Drittel der Dosis verwendet, damit die Reaktion nicht so stark ausfallen würde und eventuell auch weniger Herzmuskelentzündung auftreten würden. Ich wäre über eine Antwort sehr dankbar. Viele Grüße.“

04:42


Alexander Kekulé

Tja, das war ärztlich formuliert das Schreiben.

Der Herr B. hat so gedacht wie die meisten Kinderärzte sich das überlegen. Da geht es nämlich nach Körpergewicht. Also Kinderärzte dosieren typischerweise natürlich auch nach Alter. Klar. Aber wenn das jetzt jemand ist, ja ein Jahr älter ist als die Schwelle, aber besonders wenig Körpergewicht hat oder aus anderen Gründen von der Entwicklung vielleicht eher in die untere Altersgruppe passt, dann wird es bei der kinderärztlichen Therapie natürlich in Erwägung gezogen. Ja, also es ist merkwürdig, dass es diese Altersgrenze gibt. Es hängt eben jetzt mit den Notfallzulassungen der Impfstoffe zusammen, da steht halt einfach immer das Alter drinnen, indem die zugelassen sind. Und das hängt wiederum von den Studien ab, die gemacht wurden. Man könnte ja auch umgekehrt sagen: warum kann man dem Elfjährigen nicht die volle Dosis geben? Wenn es beim Zwölfjährigen kaum Nebenwirkungen hat, hat es beim Elfjährigen wahrscheinlich auch keine. Diese Grenze ist ein bisschen willkürlich. Also ich kann da nur den Hinweis geben, dass jeder Arzt im Sinne von off-label use also außerhalb des Empfohlenen darf der letztlich auch eine geringere Dosis verabreichen. Also wenn ein Kinderarzt jetzt sagen würde okay, in diesem besonderen Fall, aufgrund meiner ärztlichen Entscheidungsfreiheit und Erfahrung stelle ich fest, da ist die halbe Dosis erforderlich. Dann hindert ihn niemand dran, die halbe Dosis zu injizieren.

Das hat bei diesen Impfungen eben den Nachteil, dass man dann die Frage stellen muss: gilt dann jemand, der da zweimal geimpft ist, wo nur die halbe Dosis drinnen war, als vollständig geimpft hinterher? Da will ich jetzt mich nicht drüber mich auslassen. Rein formaljuristisch wäre es wahrscheinlich so, wenn der nicht nach der Empfehlung geimpft wurde, dann ist er irgendwo nicht vollständig geimpft. Das müsste man vielleicht mal beim RKI anfragen, was da die Empfehlung wäre. Am Ende würden das auch die Richter entscheiden. Wenn ich da Sachverständiger wäre, würde ich sagen, da gibt es zwei Hilfsparameter. Das eine ist, man nimmt einfach hinterher Blut ab und schaut, ob die Antikörperreaktion gut war. Wenn ja,

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gilt derjenige als geimpft, auch mit der niedrigeren Dosis. Und das zweite ist natürlich das, wenn es jetzt wirklich zum Gerichtsverfahren käme, dann würde natürlich ein Sachverständiger kommen. Und dann müsste der Sachverständige erklären, warum bei jemanden, der eine zu niedrige Dosis bekommen hat, nicht zu erwarten ist, dass der einen Immunschutz hinterher hat. Da hätte der Sachverständige wahrscheinlich Schwierigkeiten, sodass ich mir vorstellen könnte, sobald das erste Verfahren an irgendeinem deutschen Verwaltungsgericht dann gelaufen ist, wo das Verwaltungsgericht sagt: jawoll, wenn ein Arzt als off-label use wissenschaftlich begründet muss das dann immer sein, sagt, ich nehme hier die niedrigere Dosis, das müsste dann ungefähr die Dosis sein, die ein Erprobung ist für die Zwölfjährigen. Ich nehme die, weil ich der Meinung bin, dass dieses Kind eher wie ein jüngeres Kind behandelt werden soll. Dann, meines Erachtens würde das bei Gericht durchkommen. Und von dem Tag an wo es durch ist, müsste sich der Gesetzgeber dann mal Gedanken machen, was er da anerkennt. Also ich persönlich meine, dass man grundsätzlich sagen könnte, dass man mit einer niedrigeren Impfdosis sofern die Impfung sonst vernünftig durchgeführt wurde, gerade bei jüngeren Menschen davon ausgehen muss, dass der Immunschutz ausreicht. Es gilt ja auch, nur mal so zum Vergleich, jemand als vollständig geimpft, der nur einmal Johnson und Johnson bekommen hat, obwohl jetzt schon lange bekannt und seit kurzem auch anerkannt ist, dass die eine zweite Impfung brauchen. Es gilt auch ein 80-Jähriger als vollständig geimpft, wenn der zweimal AstraZeneca bekommen hat, obwohl man aus vielen Gründen in dem Fall sagen muss, die Wahrscheinlichkeit, dass der nicht vollständig geschützt ist, ist relativ hoch. Und deshalb wird ja auch empfohlen eine dritte Impfung in diesem Alter. Und dass man dann ausgerechnet bei den Kindern, wo man weiß, dass die Reaktion so stark ist und wo man auch diese Reaktogenität eigentlich eher vermeiden will, dann so besonders streng ist, das halte ich, ich glaube, das würde sich vor Gericht letztlich nicht halten, wenn

man das mal durch klagt. Und deshalb hoffe ich sozusagen drauf, bis der Gesetzgeber da etwas flexiblere Lösungen für Menschen unter 18 Jahre schafft.

09:02


Camillo Schumann


Dann hat der Herr B. aus Dresden zum Hörer gegriffen und uns angerufen, um uns folgende Frage zu stellen:

„Stimmt das, dass seit vorigem März seit die Corona-Sache, -Impfung angefangen hat, dass die Krebsrate um 20 Prozent in der Bevölkerung gestiegen ist?“

Klare Frage aus Dresden


Alexander Kekulé

Klare Frage, klare Antwort: Nein, die ist nicht gestiegen. Also was wir tatsächlich haben, das muss man zugeben, diese Assoziation mit vielleicht hat er da was aufgeschnappt es ist so, dass durch die Corona-Krise natürlich die Krankenhäuser zeitweise überlastet waren und vor allem auch viele Behandlungen ausgefallen sind, weil sich die Menschen nicht mehr ins Krankenhaus getraut haben. Vielleicht auch, weil man gesagt hat, wenn es nicht so eilig ist, dann machst du mal lieber später. Man wusste ja auch nicht, wie lange diese ganze Krise dann dauert. Und dadurch sind leider Krebserkrankungen zu spät erkannt worden, weil einfach die Vorsorgeuntersuchungen nicht stattgefunden haben. Das ist in mehreren Studien auch in den USA jetzt gezeigt worden. Und in dem Zusammenhang kann man sagen ja, da gab es einen gewissen Anstieg. Aber das ist jetzt relativ konkret bezogen auf die Vorsorgeuntersuchungen oder auf die ausgebliebene Therapie bei Krebserkrankungen. Es ist nicht so, dass wir irgendwelche Hinweise hätten, dass quasi es mehr Krebsfälle gibt.


Camillo Schumann


Herr S. hat gemailt das ist ein junger Vater und ihn treibt folgende Frage rum:

„Ende August ist mein zweiter Sohn sechs Wochen zu früh geboren worden. Ich selbst bin

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Lehrer und seit Mai vollständig geimpft mit AstraZeneca und BioNTech. Meine Frau stillt unseren Sohn und hat sich nach der Geburt mittlerweile zweimal mit BioNTech impfen lassen. Gibt es Studien, wie gut die Antikörper über die Muttermilch auf das Neugeborene übertragen werden beziehungsweise wie gut der Schutz des Neugeborenen ist. In der Schule komme ich durch die wegfallende Maskenpflicht früher oder später relativ wahrscheinlich mit den Viren in Kontakt und sorge mich davor, diese an meine Kinder weiterzugeben. Viele Grüße Herr S.“


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau so ein Fall, um den ich mir auch Sorgen mache. Also wir haben keine Studien, die jetzt sagen, dass die Kinder gut geschützt sind. Ja, es gibt irgendwie natürlich eine Übertragung von Antikörpern. Aber ob das jetzt effektiv ist und das Kind effektiv schützt, würde ich eher bezweifeln. Darauf kann man sich nicht verlassen.

Was wir wissen, ist das, wenn die Mutter während der Schwangerschaft schon geimpft war oder während der Schwangerschaft, in der geimpft wurde, das dann natürlich schon vorher quasi über den Blutkreislauf, die Antikörper übertragen werden auf das Kind. Das ist dieses Phänomen des Nestschutzes, was wir auch von anderen Erkrankungen kennen. Der hält dann so ein halbes Jahr ungefähr an, vielleicht bei manchen länger kürzer seiner Größenordnung. Das ist aber jetzt hier offensichtlich nicht der Fall. Einer der Gründe, warum ich immer dringend empfehle, bei Kinderwunsch sich schon impfen zu lassen an die werdenden Mütter oder wollenden Mütter. Wenn man jetzt schon in der Lage ist, die hat ja alles richtig gemacht, sich dann gleich nach der Geburt impfen zu lassen. Dann ist es einfach so, dann muss man versuchen, das Neugeborene erstmal zu schützen, als wäre es ungeimpft. Da kann man sich wirklich nicht darauf verlassen. Und das ist, klar wenn dann der wenn jemand dann häufig in der Schule ist, dann ist das ein hohes Risiko. Da muss man eben Vorkehrungen treffen, dass zumindest in den ersten Wochen das Risiko für

Neugeborene nimmt ja dann ganz stark ab, in den ersten Lebenswochen. Aber ganz am Anfang, sollten Sie sich nach Möglichkeit nicht infizieren. Das einer der vielen Gründe, warum ich immer dafür plädiere, die Inzidenz nicht so völlig ins Kraut schießen zu lassen, weil wir eben Menschen in der Bevölkerung haben, die dann in solche Situationen kommen. Ja, wenn in der Schule dann das Virus tobt und man arbeitet dort oder ist dort anderweitig häufiger zugange oder es gibt Geschwister, dann stellt es die Familien in eine stressige Situation. Aber ich muss sagen, ich kann jetzt auch nicht beruhigen und sagen, dass durch die Muttermilch quasi das Kind geschützt wäre. Das ist leider nicht der Fall. Und impfen kann man es jetzt nicht.


Camillo Schumann


Herr W. hat angerufen und folgende Frage:

„Ich wurde voriges Jahr im April zweimal mit Moderna geimpft – ich bin 30 Jahre jung – und habe einen Hypertonus. Meine Frage jetzt: Würden Sie mir die Booster-Impfung empfehlen? Ja oder Nein? Und wenn ja, mit welchem Impfstoff? Über eine Antwort wäre ich sehr dankbar. Vielen Dank!“

13:25


Alexander Kekulé

Also ich habe immer Hemmungen, so ganz konkrete Empfehlungen zu machen, weil dass das muss der Hausarzt letztlich machen. Wir haben ja jetzt aus dem Grund auch die Impfungen beim Hausarzt. Also eigentlich ist es so, dass ein 30-Jähriger keine Booster-Impfung braucht. Dass ist da auch nicht empfohlen. Wäre auch ein bisschen die Frage, wie hoch der Antikörper-Titer ist, den kann man auf jeden Fall mal bestimmen, um einen Eindruck davon zu bekommen, ob die Impfung funktioniert hat. Ich würde wahrscheinlich sagen wenn der Antikörper-Titer in Ordnung ist und die Impfung jetzt gerade im April war, das liegt jetzt ein halbes Jahr zurück, würde man jetzt grundsätzlich keine Booster-Impfung empfehlen. Auch bei jemand, der nur einen Bluthoch-

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druck hat. Also Hypertonus ist ja Bluthochdruck. Aber das muss der wirklich der Hausarzt im Einzelfall entscheiden, wie hoch da das Risiko ist. Also Bluthochdruck plus erhebliches Übergewicht zum Beispiel könnte schon eher Richtung Impfung dann gehen. Da würde ich empfehlen, die ganzen Risikofaktoren mal abklären zu lassen, den Antikörper-Titer bestimmen zu lassen und dann mit dem Hausarzt gemeinsam zu entscheiden, ob man eine Booster-Impfung macht. Das die bei den BioNTech Impfstoff, wo die Reaktogenität geringer ist, das ist, glaube ich bekannt und das ist erlaubt, überkreuzt die Booster-Impfung zu machen. Also man kann in dem Fall auch bei einem Tag nehmen für die dritte Impfung, wenn man zweimal Moderna bekommen hat.


Camillo Schumann


Wir haben eine sehr spannende E-Mail von einem jungen Studenten bekommen, der gerne anonym bleiben möchte. Er schreibt:

„Ich bin 26, Kraftsportler, Triathlet mit einer Ernährung, wie sie im Buche steht. Daher ist es in meiner Krankenakte auch schön staubig. Mein Ruhepuls liegt etwa zwischen 35 und 40. Etwa eine Woche nach meiner ersten Impfung verspürte ich plötzlich immer öfter ein komisches Gefühl in meinem Brustkorb, quasi als würde mein Herz unrhythmisch schlagen. Kurzzeitig danach kam noch ein Druckgefühl dazu. Ich konnte quasi drei Tage lang jeden Herzschlag spüren, was ich davor noch nie erlebt hatte. Natürlich hatte ich mich an die Anweisungen des Impfarztes gehalten und keinen Sport für sieben Tage nach der Impfung gemacht. Meine Fitnessuhr zeigte mir auch für diese drei Tage einen deutlich erhöhten Puls an – zweibis dreimal so hoch. Nun bin ich tatsächlich besorgt, mir noch mal eine zweite Impfung geben zu lassen. Um ehrlich zu sein, würde ich es tatsächlich eher nicht machen. Da meine Uni aber ein 3G-Modell durchzieht und ich mir nicht jeden Tag einen Test leisten kann, würde ich gerne fragen, was ich tun soll: Impfstoff wechseln der Hinweis, er wurde mit BioNTech geimpft. Oder was bleiben für Alternativen? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Oh weh, das sind jetzt Menschen, die sind letztlich mehr durch die Regularien in die Enge getrieben als durch das Virus selber. Also das Einfachste ist, was man schon mal sagen kann. Also BioNTech ist von der Reaktogenität her geringer als Moderna. So im Durchschnitt natürlich, nicht bei jedem Einzelnen. Aber wenn man dann viele Menschen nimmt, es ist es im Durchschnitt so, dass man, sodass man jetzt nicht empfehlen würde, auf Moderner umzusteigen und bei den Protein-Impfstoffe, die dann irgendwann mal kommen sollen, also den nicht vektorbasierten oder RNA-basierten, da zeigen die ersten Daten, dass die eben tendenziell etwas schwächer sind, was auf auffrischen Effekt, also diesen Booster-Effekt betrifft. Dass man jetzt so ein komisches Herz Gefühl hatte, Herz-Palpitationen, also so ein Gefühl, als würde das Herz schlagen oder auch möglicherweise schnellere Herzfrequenz, daraus kann man jetzt nicht unbedingt schließen, dass das eine Nebenwirkung der Impfung war. Aber ich verstehe, wenn jemand selber diese Assoziation hat. Es ist ja auch so, dass wenn man dann glaubt, das lag an der Impfung, dann hat man vielleicht Ängste. Natürlich, man weiß, es könnte jetzt das Herz betroffen sein. Wenn dann der Ruhepuls hochgeht, hängt es unter Umständen auch damit zusammen, also zwei bis dreimal, also dreimal 40 werden ja 120 Ruhepuls, das ist schon, das ist schon fett, das wäre schon pathologisch, würde man als Kardiologe dann sagen. Also krankhaft. Ich kann allen die so was im empfinden nach der Impfung und sagen Mensch, da stimmt irgendwas nicht an meinem Herz. Man konzentriert sich ja da manchmal so drauf, ohne dass es jetzt wirklich einen biologischen Grund hat. Wirklich nur empfehlen, schleunigst zum Arzt zu gehen. Nicht weil das so eine gefährliche Lage wäre, sondern es gibt zwei Möglichkeiten: der macht ein EKG. Entweder ist es im EKG alles in Ordnung, dann ist man hoffentlich beruhigt. Und das senkt dann auch den Puls. Oder der stellt wirklich fest, dass man eine Herzmuskelentzündung hat, so eine ganz leichte, die man sonst nicht bemerkt hätte. Und das ist auch

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gut, weil dann die Statistik bisschen transparenter wird bezüglich des Eisbergs, den wir da nicht genau sehen. Bei den Myokarditiden. Da das aber jetzt hier nicht passiert ist, kann man jetzt aus den Daten, auch wenn die Fitnessuhr da irgendetwas angezeigt hat, kann man jetzt nicht schließen, dass das eine Myokarditis damals war. Sodass man jetzt grundsätzlich sagen würde, der zweiten Impfung steht nichts im Wege. Ich würde es mal mit dem Arzt besprechen. Also wenn der sagt, das ist so eine Situation, da kann ich als Hausarzt tatsächlich nicht empfehlen, die zweite Impfung zu machen. Weil das eben so ein Sportler ist, der vielleicht schon so ein Sportlerherz oder so etwas hat, kann man ja alle möglichen Dinge sich überlegen. Dann kann ich mir vorstellen, dass man an der Universität das sind ja auch keine Unmenschen. Wenn man dann wirklich einen Artest hat, dass der Arzt sagt, die zweite Impfung kann ich im Moment nicht empfehlen, dass die einem dann, wie es ja in manchen Bundesländern noch ist, die Schnelltests umsonst geben. Es ist ja so, dass bei dem universitären 3G-Modell die Studenten zum Teil noch die Tests umsonst bekommen, je nach Bundesland. Und das finde ich eigentlich ganz vernünftig, wenn man, wenn man damals eine Lösung mit der Universität sucht.

19:19


Camillo Schumann


Aber auch ein Hausarzt hat mal Fragen und will, die beantwortet haben hier im CoronaKompass, ein Hausarzt aus Delmenhorst hat angerufen.

„Einer meiner Patienten hatte im Oktober 2020 eine Corona-Infektion und hätte nach sechs Monaten nach Ablauf der genesenden Zeit geimpft werden sollen. Den Termin hat er ein bisschen verpasst und es jetzt erst geimpft worden. Und man hat ihm gesagt, weil ein zu großer Abstand zwischen den sechs Monaten der Genesung und der jetzigen Impfung war, müsste er zwei Impfungen erhalten. Ist das so? Es ist das so geregelt macht das auch Sinn?“


Alexander Kekulé

Delmenhorst ist in Niedersachsen, aus bayerischer Sicht im Preußenland. Da weiß ich nicht genau, was da die Regelungen sind ehrlich gesagt. Sinnvoll wäre das natürlich überhaupt nicht. Das muss man ganz klar sagen, weil ja der Genesenen-Status auch nachgewiesen werden kann, inzwischen durch den Antikörpertest. Und wann die Antikörper getestet sind, die wissen ja häufig gar nicht, wie lange das her ist, dass sie krank waren. Da kommt es einfach nur darauf an, dass sie durch die Antikörperstatus nachweisen, dass sie Covid schon hatten. Vielleicht kann man mit dem Hausarzt zusammen da einen zweiten Versuch machen, indem man sozusagen den Genesenen-Status jetzt nicht mehr durch die PCR, die dann mehr als sechs Monate her ist, nachweist, sondern durch einen Antikörper-Test nachweist und mal versucht, ob es dann durchgeht bei der Behörde. Aber da kann ich jetzt für Niedersachsen keine echt gute Prognose machen. Sinnvoll ist es natürlich nicht. Das ist klar,


Camillo Schumann


Aber grundsätzlich Antikörper plus eine Impfung, um dann vollständig zu sein. Es ist ja eigentlich die offizielle Regelung und ja auch bundesweit, also jetzt unabhängig vom Bundesland.


Alexander Kekulé

Genau das ist eigentlich eine Regelung, die bundesweit ja dann endlich irgendwann erlassen wurde. Das war ja schon immer so eine Schwachstelle, dass diese Sechs-Monats-Frist da galt. Sodass ich mir vorstellen kann, dass es vielleicht nur so eine Formalie war. Ja, man kann das ja jeder Apotheke eigentlich vorlegen. Und die, die der Apotheker hat halt sein Schema F, nachdem er da feststellen muss, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Und ich kann mir vorstellen, wenn jemandem PCR vorliegt, dann heißt es sechs Monate, und wenn jemand ein Antikörpertest vorliegt, dann ist das unbefristet. Also wahrscheinlich wird es auf dieser Basis sein. Und deshalb würde ich auf diese Weise noch einmal versuchen.

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Camillo Schumann


Frau B, hat angerufen. Sie und ihr Mann sind mit AstraZeneca geimpft worden, im April, die erste und elf Wochen später gab es dann die zweite. Und nun stellt sich folgende Frage

„Ist es sinnvoll, eine Auffrischungsimpfung zu machen? Oder kann man einfach davon ausgehen, dass alles gut ist? Wir sind 72 beziehungsweise 70 Jahre alt. Es wäre also schön, wenn wir dazu eine Information bekommen könnten.“


Alexander Kekulé

Ich würde ehrlich gesagt, wenn es nur AstraZeneca war, eine Auffrischungsimpfung machen.

Jetzt, wenn im April die Impfungen waren oder die erste Impfung im April war, dann ist es jetzt ein ganz guter Zeitpunkt. Sicher ist sicher und man hat sich ja deshalb impfen lassen, weil man davon erhofft, dass man zumindest von schweren Verläufen und von Todesfällen dann geschützt ist. Und da hat AstraZeneca bezüglich des Delta Virus, wenn man so will, eine Schwachstelle. Und das ist auch so, dass nach sechs Monaten der Impfschutz langsam abnimmt, sodass ich sagen würde in der Gesamtbetrachtung ist es sinnvoll, jetzt noch einmal eine Auffrischimpfung zu machen.

22:45


Camillo Schumann


Der L. hat uns eine Mail geschrieben mit folgender Frage:

„Die Maßnahmen haben im letzten Winter zu einem deutlichen Rückgang der Influenza-Infektionen geführt. Durch den fehlenden Kontakt wird nun ein schwächerer Immunschutz in der Gesellschaft vermutet. Trifft dies jedoch auch auf Menschen zu, die sich vor dem Winter 2020 gegen Grippe impfen ließen und so zu einem unnatürlichen Immuntraining kamen? Diese Frage hat sich in unserem Freundeskreis gestellt und könnte allenfalls noch mehr Menschen interessieren. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, also das unnatürliche Training durch die

Grippe-Impfung das bringt tatsächlich was. Vor allem, wenn man sie regelmäßig macht. Die Grippe-Impfung ist ja von der Effektivität nicht so gut, also gibt welche, die sind manchmal bei 30 Prozent. Manchmal ist es 60 Prozent. Aber irgendwo in dem Bereich bewegt sich das. Bei Covid wären wir sehr unglücklich, wenn wir so schwache Impfstoffe hätten. Aber der Effekt, den wir tatsächlich sehen, ist, dass Menschen, die sich regelmäßig gegen Grippe impfen lassen, auch wenn sie keine Erkrankungen dann haben, so eine Art kumulative Immunität aufbauen. Das Immunsystem kriegt wie jedes Mal, ja ein bisschen andere Variante, typischerweise geänderte Variante des Impfstoffs zu sehen. Und dadurch legt sich das so ein ganzes Arsenal von Antikörpern und Zellen zurecht, mit denen es dann neue Influenzaviren bekämpfen kann. Natürlich ist jetzt bei der Influenza eine echte Infektion, eine echte Grippe, so was wie ein wie ein starker Booster wirkt. Aber auch das will man ja nicht freiwillig haben. Wir vermissen ja nicht wirklich die Influenza, und deshalb würde ich sagen ja, es stimmt. Wer sich vor allem regelmäßig geimpft hat, kann damit rechnen, dass das Immunsystem sich noch besser an Influenzaviren erinnert als jemand, der sich nicht geimpft hat und keine Infektion bekommen hat.


Camillo Schumann


Ja damit sind wir am Ende von Ausgabe 234 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am Dienstag, den 26. Oktober wieder bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne! Ich wünsche ein schönes Wochenende, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie

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doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 21. Oktober 2021 #233: „Ich habe ein mulmiges Gefühl.“


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Tweet Karl Lauterbach: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1449781401914650632

Evidenz für biologische Altersbeschleunigung und Telomerverkürzung bei COVID-19-Überlebenden (Juni 2021):

Studie https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8201243/#!po=0.877193

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

0:00:10


Camillo Schumann


Donnerstag, 21, Oktober 2021

Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt spürbar an. Nimmt die Herbstwelle jetzt Fahrt auf?

Dann: wie verhalte ich mich als vollständig Geimpfter ohne Symptome, wenn die Corona-Warn-App eine rote Warnung anzeigt?

Außerdem: lässt eine Corona-Infektion die Zellen schneller altern?

Dann: Rumänien am Limit. In keinem anderen Land sterben im Verhältnis so viele Menschen an Covid 19. Was läuft da schief?

Und: wie erhalte ich den GenesenenStatus nach einem halben Jahr zurück?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Mo-

derator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.


Camillo Schumann


Zu Beginn der Blick auf die aktuelle Situation. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt spürbar an. Sie liegt heute bei 85,6. Zum Vergleich: vor einer Woche lag sie bei 71,8 und vor zwei Wochen bei 66,8, also fast 20 Punkte mehr als vor zwei Wochen. Spitzenreiter aktuell Thüringen mit 172. Danach folgt Bayern mit 141 und dann Sachsen mit 128. Mit welchem Gefühl schauen Sie auf diese Zahlen?

0:01:35


Alexander Kekulé

Ja, das sind ja Menschen, die auch geimpft sind. Sind dabei jedenfalls. Die erkranken nicht so schwer. Und ich habe ein mulmiges Gefühl, weil ich wirklich glaube, dass jetzt diese befürchtete Welle, der Geimpften stattfindet. Man macht auch wenig, um die einzudämmen. Und keiner weiß genau, was dann passiert. Das wird sich dann auch bei den jüngeren Menschen ausbreiten. Die sind zum großen Teil ungeimpft, haben keine schweren Symptome typischerweise. Aber dann haben sie eine sehr große Menge von Menschen, die krank sind oder die infektiös sind, muss man eigentlich sagen. Und ob sich davor dann diejenigen schützen können, die wirklich gefährdet sind, das ist die Frage. Wir haben ja nach wie vor das Thema, dass auch Geimpfte, wenn sie Hochrisiko-Personen sind, gelegentlich schwer erkranken.


Camillo Schumann


Also, wenn der Virologe und Epidemiologe ein mulmiges Gefühl bekommt. Dann bekomme ich das jetzt auch.


Alexander Kekulé

Die Mischung ist es, ja. Ich habe kein mulmiges Gefühl, weil die Inzidenz jetzt mal hochgeht.

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Dass es insgesamt bundesweit als Durchschnitt die 72 oder 85 jetzt aktuell sind. Das können wir uns leisten. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, wie die Politik darauf reagiert. Also ich sehe jetzt für den Herbst kein Konzept, das angesichts der zu erwartenden Inzidenz-Anstiege ... Wenn wir nach England gucken, ist es ja dort ganz dramatisch im Moment. Die rechnen bis zu 100.000 Fälle pro Tag. Sagen die jetzt vorher. Ja, was machen wir denn? Ja, wollen wir so etwas auch haben? Gibt es bei uns ähnliche Vorhersagen? Ist da ausgerechnet worden, wie es dann aussieht mit den Erkrankungsfällen und mit den Todeszahlen bei den Älteren, die geimpft sind und bei den Ungeimpften. Da sehe ich irgendwie bisher nichts Konkretes. Im Gegenteil ich höre die Forderung, dass der besondere Zustand, die besondere, epidemische Lage abgesagt werden soll.

0:03:33


Camillo Schumann


Es gibt einen leichten Anstieg bei den Gesamthospitalisierungen. Wenn man sich die Deutschlandzahlen komplett anschaut, ist das wirklich ein leichter Anstieg? Sehr drastisch. Allerdings fällt dieser Anstieg in Sachsen aus. Dort hat sich die Zahl der Covid 19 Patienten auf Intensivstation seit dem 30. September mehr als verdreifacht. Ihre Zahl liegt aktuell bei 120. So ein extrem deutlicher Trend ist in keinem anderen Bundesland erkennbar. Aber es fällt auf, dass auch in Thüringen und SachsenAnhalt die Zahlen schwerer Verläufe deutlich zunehmen, in Thüringen sogar verdoppelt. Wie ist das erklärbar?

0:04:09


Alexander Kekulé

Das kann ich nicht wirklich erklären. Aber es fällt natürlich auf, dass das Bundesländer sind, die zum Teil auch, zumindest teilweise, regional schlechte Impfquoten haben. Wo schon früher auch die Akzeptanz mit den sogenannten Corona-Maßnahmen nicht so gut war. Da ist dann in gleichen Regionen zum Teil die Akzeptanz der Impfungen nicht so gut. Und da kriegt man dann jetzt diese besonderen oder scheinbar häufigeren schweren Verläufe.

Ich würde davor warnen, jetzt sofort zu sagen, na klarer Fall, die haben sich alle nicht impfen

lassen. Jetzt werden sie schwer krank. Selber schuld in Klammern. Das weiß man nicht genau. Das muss man genauer analysieren, was da dahintersteckt. Man kann es sicherlich auch nicht Bundesland-weise festmachen. Aber es gibt sicher durchaus ... Sie haben ja auch Bayern genannt. Da gibt es das eine oder andere Dorf, was sich durch niedrige Impfquoten und dann später hohe Infektionszahlen schon hervorgetan hat. Diese Korrelation gibt es ganz sicher, dass die schweren Verläufe dann tendenziell in Regionen auftreten, wo die Impfquote schlecht war.

0:05:11


Camillo Schumann


Wenn man sich jetzt zum Beispiel aus Hospitalisierungen in NRW anschaut. Die hat einen deutlichen Trend nach unten und vor ein paar Wochen auch sehr extreme Inzidenzen vor allem bei den Jüngeren hat. Ist das jetzt mit Blick auf Ostdeutschland... Wir haben jetzt gerade die drei Bundesländer genannt. Ist das jetzt auch so eine Art und Anführungszeichen Exit Wave?

0:05:33


Alexander Kekulé

Ja, das wüsste ich auch wirklich gern. Das ist eine sehr gute Frage. Keiner weiß das. Boris Johnson hat ja die Last Exit Wave, daher kommt dieser nette Ausdruck. Ich fand, dass es eigentlich eine ganz gute Wortschöpfung für jemand ist, der gerade den Brexit generiert hat. Der hat das ja vorhergesagt für den Sommer. Und jetzt sagt der One Last Exit Wave. Ich habe es noch in Ohren wie gestern. Jetzt kommt also gerade in England die zweite Exit Wave. Also die erste war im Sommer und nicht so schlimm und richtig dicke kommt es jetzt. Ist also das, was wir in NRW sehen, dass es so ein bisschen wieder zurückgeht. Ist das jetzt schon das Ende vom Spiel? Oder ist es so, dass das eine Vorwelle war, wo dann noch was Dickes, wo das dicke Ende nachkommt. Das weiß niemand. Man kann für beides Theorien finden. Wenn es wirklich so wäre, das jetzt, obwohl der Winter kommt, zum Beispiel NRW, der „Kas gegessen“ wäre sozusagen. Dann hieße das ja, dass wir dort wirklich eine ganz massive, unsichtbare Durchseuchung gehabt haben.

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Also zusätzlich zu der Impfquote noch sehr, sehr viele Menschen, die einfach genesen sind und dadurch einen gewissen Schutz haben. Ich würde mich darauf nicht verlassen, weil wir dafür kein Datenmaterial haben. Und weil wir immer wieder Fälle sehen in England eben, wo man quasi, wenn Sie sich die Kurve vorstellen, erst mal so ein kleines Vorgebirge sehen, so einen Vorberg. Dann geht es wieder runter, und danach kommt erst die richtige Kurve. So ähnlich war es übrigens letzten Herbst bei uns in Deutschland auch. Deshalb würde ich jetzt einfach als Arbeitshypothese davon ausgehen: Nein, das ist noch nicht ausgestanden. Wir sind nicht ansatzweise in so einem Bereich, wo man sagen kann, das Virus tut uns jetzt nichts mehr. Sondern wir müssen im Winter einfach vorsichtig sein. Aus der jetzigen Perspektive. In einem Monat könnte es anders sein.

0:07:19


Camillo Schumann


Wir sind gespannt. Und dann wird ja auch die Diskussion um die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite dann nochmal Fahrt aufnehmen. Weil der 25. November ist der Tag, an dem das Ganze dann auslaufen könnte oder möglicherweise auch verlängert wird. Herr Kekulé, wenn ich Sie so reden höre. Was meinen Sie denn, welches Pandemie-Potenzial jetzt für den Herbst in dieser Gesellschaft noch steckt.

0:07:43


Alexander Kekulé

Also ich glaube schon, dass wir mit einem deutlichen Anstieg der Inzidenz rechnen müssen. Ich würde dabeibleiben, dass wir bundesweit schon so was wie 100 bis 200 als Mittelwert kriegen können. Ob jetzt wirklich das in die 500 hochgeht. Es wurde ja vorhergesagt. 500 bis 800 für Mitte Oktober. Das war ja eigentlich schon. Das würde ich nach wie vor sagen ... Also es ist nicht passiert und wird wahrscheinlich auch nicht mehr passieren. Außer man macht es eben so, dass man alle Stecker zieht. Das wir haben es ja letztes Mal besprochen. Wenn man jetzt diese Bundes-pandemische Lage quasi offiziell durch den Bundestag nicht verlängern lässt, dann hat es eben zur

Folge, dass die ganzen Länder ihre Verordnungen nicht mehr machen können, weil die auf dem Bundesgesetz beruhen. Und dann könnten rein theoretisch die Landesgesetzgeber, die Landesparlamente tätig werden. Aber Mensch ja, dann müssen sie 16-mal Gesetze in Ländern verabschieden, und jedes Bundesland wird dann seine eigene Interpretation haben. Deshalb glaube ich nicht, dass dadurch die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen besser wird, sondern eher schlechter. Das erklärt vielleicht dieses etwas mulmige Gefühl. Es ist eher mit Blick auf die Politik als mit Blick auf das Virus.

0:09:03


Camillo Schumann


Aber da gibt es ja auch schon Rufe von einigen Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen, dass es danach, sollte die epidemische Lage nicht verlängert werden, auch eine einheitliche Lösung gibt. Wie stark vertrauen Sie auf auch deren Umsetzung?

0:09:20


Alexander Kekulé

Na ja, das ist ja eine, fast hätte ich gesagt eine Vorabendserie, die wir letzten Herbst schon hatten. Das war die Suche nach einheitlichen Lösungen von 16 Ministerpräsidenten zu einem Zeitpunkt und natürlich regierenden Bürgermeistern ... Zu einem Zeitpunkt, wo man ja noch die Bundesregelung hatte. Und selbst da ist es ja gescheitert. Das war ja jetzt aus der politischen Sicht das folgenschwerste Versagen eigentlich letztes Jahr, dass man die die große Winterwelle und Herbstwelle nicht verhindert hat. Ob das jetzt dieses Jahr besser wird, weil alle ein bisschen was dazugelernt haben. Das weiß ich nicht. Also das kann ich nicht so sagen. Ich finde nur, wenn man ein Instrument hat. Ich war ja eigentlich die letzten Wochen ganz glücklich, so wie es gelaufen ist. Ich fand, wir haben ein ganz gutes Instrumentarium. Wir haben im Grunde genommen aus meiner Sicht diese sogenannte Smart-Strategie umgesetzt in Deutschland und werden aus dem Ausland dafür beneidet. Und jetzt, in so einer Phase, wo es gerade kalt wird und man sich eigentlich warm anziehen müsste. Da sagen die, jetzt machen wir alles locker und schmeißen alles weg. Also das irritiert mich natürlich, das ist ja klar.

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Aber Sie sprechen mit jemanden, der tendenziell eher immer versucht, vorsichtig zu sein, wenn es um ein relativ gefährliches Virus geht.

0:0:42


Camillo Schumann


Die Inzidenz in Berlin liegt ebenfalls über hundert. Und aus Berlin kommt eine Meldung, die möglicherweise ja vielleicht auch symptomatisch für die aktuelle Pandemie-Entwicklung ist. Denn bei der Eröffnung des Berliner Technoclubs Berghain haben sich, Stand jetzt, 19 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Man muss dazu sagen, das war eine 2G-Veranstaltung. Also nur geimpfte und genesene Besucher wurden reingelassen. Sie mussten sich auch per App registrieren. Besucher berichten, dass es auch sehr gut kontrolliert wurde, also schon fast vorschriftsmäßig. Und nach dem Bekanntwerden des Ausbruchs konnten dann so rund 2.500 Menschen ausfindig gemacht und auch gewarnt werden. Wie bewerten Sie dieses, was da stattgefunden hat. Also für mich heißt es ja, die Registrierung hat schon mal gut funktioniert. Also das steht schon mal auf der Habenseite.

0:11:33


Alexander Kekulé

Die Registrierung hat gut funktioniert. Da ist ja das Berghain ja quasi verpflichtet worden dazu. Das ist natürlich ein ganz interessanter Ausbruch. Erstens sind es natürlich mehr als 19, mindestens 19. Es ist nett zu sagen, ich weiß nicht, wie viele Tausend da reinpassen. Das war ja am 04.10. Und das erste, was ein bisschen bemerkenswert ist, dass die Warnung, zumindest wenn die Berliner Morgenpost recht hat, neun Tage später stattgefunden hat. Die hatten einen anderen Fall, der hat sich wahrscheinlich am 10.10. infiziert, also am nächsten Wochenende dann. Bei denen ist es ja immer der Sonntag, weil die eine Minute vor zwölf erst aufmachen in der Nacht auf Sonntag. Und da ist es so, da hat sich einer infiziert ... Neun Tage später hat er dann eine E-Mail gekriegt, dass er da Kontakte hatte usw. Also da weiß man dann auch nicht mehr so recht, was man mit so etwas anfangen soll. Sodass hier nicht die Frage ist, ob die Registrierung geklappt hat und ob das reine 2G geklappt hat. Sondern die

Frage ist letztlich: Wie effizient war die Nachverfolgung hinterher? Und das ist einer der Gründe, warum ich 3G eigentlich am Ende des Tages sogar sicherer finde. Weil, wenn Sie Leute haben, die direkt getestet werden und zumindest im Fall von Berghain dann spätestens am nächsten Samstag wieder dort stehen. Da ist es natürlich dann so, die würden beim Schnelltest dann, wenn sie da in die Disco wollen oder einen Club wollen, wie das heutzutage heißt. Da würden die natürlich sofort merken, ich bin ja positiv. Da hätte man sozusagen den Ausbruch früher erkannt, als wenn man lauter Geimpfte und Genesene hat.

0:13:02


Camillo Schumann


Bevor wir auf die Kontaktnachverfolgung schauen, muss ich nachfragen. Wieso wissen Sie eigentlich, dass es Berghain eine Minute vor zwölf Sonntagnacht öffnet?


Alexander Kekulé

Erwischt. Ich habe in Berlin studiert. Dadurch kenne ich das seit seiner Eröffnung. Ich glaube 2004 war das. Warten Sie mal. Ja, genau. 2019 kurz vor Weihnachten war die 15 Jahr-Feier. Das heißt also 2004 ist es wohl eröffnet worden. Und die zwei Typen, die das machen, die hatten vorher einen ziemlich angesagten Laden, hat man früher gesagt. Der hieß Ostgut, auch im Osten Berlins. Und das kannte man. Also als Berliner kommt man da nicht ganz drum herum.


Camillo Schumann


Okay, haben wir das auch geklärt. Kommen wir jetzt zu einer interessanten Frage.


Alexander Kekulé

Vielleicht noch ein Detail. Wer noch nicht im Berghain war. Was ich dort besonders schätze. Ich weiß nicht, ob sie das noch haben. Das gab es zumindest mal. Die hatten von Anfang an gesagt, bei uns gibt es keine Social Media und keine Fotos. Das fand ich immer cool. Sonst ist ja überall ständig das Handy oben. Und da ist es so, also war es zumindest mal so. Wenn Sie da reingehen, kriegen Sie einen Sticker aufs Handy hintendrauf, der die Kamera zuklebt. Das finde ich eigentlich eine ganz gute Einrichtung.

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0:14:05


Camillo Schumann


Prima. Kommen wir jetzt zur Kontaktnachverfolgung. Sie haben sich das so ein bisschen durchgelesen und bewertet. Also das, was man weiß, das ist natürlich die große Frage. 2500 Menschen wurden jetzt gewarnt, die geimpft waren, möglicherweise auch. Was ist so eine Warnung wert? Wie gehen die damit um?

0:14:26


Alexander Kekulé

Ja, es ist sogar ... Aktuell habe ich sogar gelesen 3300 Kontakt-Personen. Das ist eben genau die Frage. Die werden dann per E-Mail informiert. Wenn die Morgenpost recht hat, waren das neun Tage später oder zumindest zum Teil erst so stark verspätet. Sie haben ja, wenn Sie Kontakt-Person waren, rein juristisch je nach Landesrecht unterschiedliche Pflichten. Aber so eine Warnung von der App, die ist in gewisser Weise unverbindlich. Also sie sind dann nicht verpflichtet, da drauf zu reagieren. Und ich meine sogar, selbst wenn Sie ungeimpft sind, ist es dann zunächst mal ohne Anordnung des Gesundheitsamts etwas, was man mehr oder minder freiwillig macht. Und das Gesundheitsamt muss, damit man in Quarantäne geht, eine richtige Quarantäne-Anordnung aussprechen. Das war ja immer das Thema, das das dann wiederum so lange dauert. Und was man liest ist so, dass das Gesundheitsamt dort in Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist ja der Stadtteil von Berlin um den es geht. Daher heißt es übrigens auch Berghain wegen Kreuzberg und Friedrichshain. Und das ist so, dass in diesem Stadtteil ja angeblich das Gesundheitsamt überhaupt nicht mehr erreichbar war, weil es überlastet war. Also die müssten theoretisch Quarantäneanordnungen erlassen. Und die grundsätzliche Regel ist natürlich jetzt nicht so im Detail geklärt, was die Beamten dann machen, oder die Mitarbeiter des Gesundheitsamts. Aber üblicherweise werden Personen, die geimpft oder genesen waren, nicht in Quarantäne gebracht. Da gibt es dann keine reflexartige Quarantäne-Anordnung. Das wäre wirklich ein Sonderfall, wenn es dann für alle 3300 Kontakt-Personen so wäre. Das hätte wahrscheinlich auch keinen Bestand beim Verwaltungsgericht. Sodass es eigentlich keine Konsequenzen

hat. Dann kriegen Sie eine nette E-Mail. Naja, und wenn Sie dann auf die Idee kommen, sich gratis testen zu lassen. Dann ist noch die Frage... Weiß ich jetzt nicht genau, wie das in Berlin ist, ob Sie dann überhaupt den GratisTest noch kriegen, wenn Sie geimpft oder genesen sind.

0:16:21


Camillo Schumann


Die Frage habe ich weitergereicht an die Corona-Hotline der Stadt Berlin. Und dort sagte man mir zum einen, wenn man jetzt als Geimpfter ohne Symptome diese rote Warnung bekommt der Corona-Warn-App. Dann muss man jetzt nicht in Quarantäne. Man bekommt aber einen kostenlosen PCR-Test. Kann man zu seinem Hausarzt gehen, zeigt diese rote Warnung vor und dann bekommt man den gratis. Dasselbe gilt übrigens auch für Sachsen. Nicht in Quarantäne. Aber man bekommt einen kostenlosen PCR-Test. Das ist doch was, oder?

0:16:52


Alexander Kekulé

Das ist interessant. Also, das heißt ja quasi, dass man zusehen muss, dass man eine rote Warnung kriegt, wenn man irgendwie einen Gratis-Test haben will. Hat doch Vorteile. Vielleicht lädt sich der eine oder andere dann die App runter, die er sonst nicht hätte.


Camillo Schumann


Aber es ist ja trotzdem zumindest ein Sicherheitsaspekt, ein niederschwelliges.


Alexander Kekulé

Ich glaube, das funktioniert überhaupt nicht. Schauen Sie, da sind über 3000 Personen gewesen. Das ist ein gutes Beispiel mit dem Berghain. Wir haben ja viele ähnliche Beispiele gehabt. Aber da ist es wirklich so, da hilft selbst wenn man dann tatsächlich die Lokalität kennt. Das sind, glaube ich, drei Stockwerke. Und im Erdgeschoss haben Sie schon mal zwei irgendwie so ganz andere Sachen, wo irgendwelche experimentelle Musik läuft, wo irgendwelche Freaks reingehen. Dann gibt es noch irgendwas, was Labor heißt oder so ähnlich, wo ich überhaupt noch nie drin war. Dann gibt es diese riesige Tanzfläche. Und dann gibt es noch

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so eine Art Chillout-Ding, wo andere Musik läuft. Und dann gibt es tausend kleine Nebenräume, die man früher mal Darkrooms genannt hat. Und jetzt haben Sie also so ein komplexes Geschehen. Was soll das Gesundheitsamt da machen? Wer ist denn dann Kontakte erster Klasse. Das heißt also, Sie können letztlich nie und nimmer allen 3000 Leuten plus X sagen, ihr macht jetzt 14 Tage Quarantäne beziehungsweise solange Quarantäne bis ihr nach fünf Tagen freigetestet seid. Es wird auch niemand einsehen. Sicher, dass man nach so einem nach so einem Clubbesuch am Wochenende vielleicht den Montag noch frei macht. Das ist in Berlin gar nicht so unüblich. Aber es ist so, dass sie spätestens am Dienstag üblicherweise ja dann wieder zum Geldverdienen antreten müssen. Und das können Sie nicht nach jedem Wochenende, bloß weil da irgendwo ein paar Positive rumgerannt sind, sagen, jetzt habe ich dann wieder fünf Tage Quarantäne drauf. Außer jetzt denen, die vielleicht... Das kann man sich natürlich auch vorstellen ...vorsätzlich bei ihrem Arbeitgeber dafür sorgen wollen, dass sie zuhause bleiben dürfen. Aber sonst ist es ein Unding. Das wird nicht funktionieren. Also Sie können solche Riesenveranstaltungen nicht systematisch durchkämmen, nach Erstkontakt und nach nur auch dagewesen.


Camillo Schumann


Aber dann, was ist dann 2G noch wert? Da kann man ja dann gleich darauf verzichten.


Alexander Kekulé

Ja, Sie kriegen eben durch 2G und das ist eben das, was man sich überlegen musste. Und Sie wissen, ich bin gegen das 2G-Modell. Sie kriegen durch 2G einfach ganz massiv Ausbrüche von Menschen, die das zum einen nicht ernst nehmen, weil sie ja geimpft sind oder genesen, und die es zum anderen auch oft gar nicht bemerken, weil sie ganz leichte Symptome haben. Und Sie wissen ja, dass sie geimpft sind. Dadurch kriegt man halt eine sehr, sehr große Zahl von Infizierten, die das Virus weitertragen. Und jetzt stellen Sie sich mal so praktisch vor, der Bergheim-Besucher ist der Sohn einer Familie. Er geht dann am Dienstag spätestens wieder in brav in die Schule und ist am Mon-

tagmorgen nicht wegen Covid krankgeschrieben, sondern wegen dickem Kopf. Und dann ist es so, dass er dann sein kleines Geschwisterchen ansteckt, was natürlich nicht geimpft sein kann. Oder die Mutter hat ein Neugeborenes zu Hause. Oder es gibt irgendeinen Großvater in der Familie, der 85 ist und lauter Risikofaktoren hat. Der ist dann zwar geimpft. Aber wir wissen, dass auch bei den vollständig Geimpften... und wenn Sie wirklich ein hohes Risiko, allgemeines Risiko haben, es sogar Todesfälle gibt. Und die nehmen ja jetzt langsam zu sozusagen prozentual. Weil wir immer mehr Geimpfte haben und dadurch auch die schweren Verläufe. Und in diesem ganzen Paket ja die schweren Verläufe bei Geimpften. Und die 3 Millionen über 60-Jährigen, die noch ungeimpft sind in Deutschland. Die, die sich nicht impfen lassen können und ein Risiko haben, vielleicht, weil sie Neugeborene haben. Oder die Mutter ist schwanger, hat sich nicht impfen lassen. All diese Personen sind an einem enormen Infektionsdruck ausgesetzt, wenn Sie insgesamt sagen, wir lassen es einfach laufen. Und da finde ich, müsste die Politik jetzt mal erklären, wie sie darauf reagieren will. Ich glaube, da fehlt uns für den Herbst ein Konzept.


Camillo Schumann


Und wie könnte das aussehen?


Alexander Kekulé

Ja also ich meine, dass man Großveranstaltungen, wo man wirklich Tausende von Personen hat, über 3000 Personen hat, dass es da schwierig ist, mit einem GGG-Konzept zu arbeiten. Ganz ehrlich gesagt, ich habe das ja immer gesagt. Für mich ist die... Es gibt schon eine Obergrenze, wenn die Nachverfolgbarkeit nicht mehr gegeben ist. Ich sage ja auch deshalb immer GGG plus N, oder GGG plus R, also plus Registrierung. Was heißt das? Bei jeder Veranstaltung kommt gar nicht so sehr auf die Größe an. Aber jede Veranstaltung, bei der ich ein hohes Infektionsrisiko habe, zum Beispiel Tanzen im Innenraum. Übrigens noch ein letztes Detail vom Bergheim. Das hat die lauteste Musikanlage, die ich je gehört habe. Also der Vorteil ist, da versucht keiner gegen anzuschreien, weil es einfach so laut ist, dass man keinerlei Chancen hat, miteinander zu reden.

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Aber jetzt dieses Ganze... Diese Gesamtsituation. Und dann ist es so, dass Sie dann sagen 3000 Leute lassen wir rein. Ich meine, da ist die Grenze überschritten. Sie brauchen eine Strategie, wo Sie sagen, falls es zum Ausbruch kommt, sind wir in der Lage, die Nachverfolgung so halbwegs zu machen. Das geht bei jeder Hochzeit mit 200 Leuten. Das geht natürlich bei jedem Tanzkurs und bei ganz vielen anderen Dingen, die bisher verboten waren. Aber so eine Großveranstaltung im geschlossenen Raum, jetzt dann auch im Winter unter 2G-Bedingungen, wo sie nicht einmal sofort merken, wenn was passiert ist. Das halte ich für gefährlich.


Camillo Schumann


Okay, was wäre so ihre Obergrenze?


Alexander Kekulé

Ich muss zugeben, das bin ich schon öfters mal gefragt worden. Ich habe da jetzt keine konkrete Zahl, weil das auch ein bisschen von dem Gesundheitsamt abhängt. Also wissen Sie, wenn Sie zum Beispiel eine Hochzeit haben, und Sie haben 200 Leute. Und dann sollen da statt 200 250 kommen. Aber dann ist das eigentlich genauso gut, weil das sind Leute... Da weiß man wirklich, das sind ja normalerweise Freunde und Verwandte der des Hochzeitspaars. Die kennen sich alle. Wenn die alarmiert werden, glaube ich, dann ist da ein relativ hohes, sage ich mal... Soziale Verpflichtung, auch dann in die Quarantäne zu gehen. Und das wird sicher funktionieren, im Gegenteil von so einer anonymen Massenveranstaltung. Ich kann mir auch vorstellen, dass ein Fußballspiel zum Beispiel ganz gut funktionieren kann, wenn das draußen ist, solange es noch geht. Sie sitzen quasi draußen, und Sie müssen dann nur Konzepte haben für die Innenräume, also die Nebenräume, wo man auf die Toilette geht und so weiter. Da müssen Sie eben Nachverfolgungskonzepte haben. Zum Beispiel, dass Sie wissen, wer welche Toilette benutzt hat. Dass man sich quasi eincheckt, wenn man in die geschlossenen Räume geht. Und solange Sie irgendwo draußen sitzen, werden Sie sich natürlich nicht mit irgendjemanden vom Fanclub der gegnerischen Mannschaft anstecken, der irgendwo auf der anderen Seite des Stadions wohlweislich untergebracht ist. Also daher

gibt... Muss man wirklich die einzelnen Situationen anschauen. Das Gesundheitsamt muss da in diesem Sinn einfach die Frage jeweils beantworten, falls es zum Ausbruch kommt, kann ich dann Kontaktpersonen wahrscheinlich nachverfolgen und in Quarantäne bringen? Oder wird mir das nicht gelingen? Und in den Situationen wo Letzteres der Fall ist, da meine ich, das sollte man jetzt diesen Herbst nicht machen.

0:24:07


Camillo Schumann


Aber beim Berghain war 2G+. Über 2500 bis 3300 Menschen wurden ausfindig gemacht. Ähm, ja, was sind die dann? Sind die dann eigentlich Kontaktpersonen ersten Grades, zweiten Grades?

0:24:19


Alexander Kekulé

In meiner Definition eben nicht plus N. Sondern in meiner Definition. Die Nachverfolgung muss ja funktionieren irgendwie. Man muss sich vorstellen, dass sie funktionieren könnte. Und da wird zwar irgendetwas registriert, aber wir haben es ja jetzt gerade wirklich auseinandergenommen. Die Benachrichtigung kommt viel zu spät. Die Frage, wer in welchem Department dort überhaupt, in welcher Abteilung da war. Das ist völlig unklar. Wer mit wem, was weiß ich, getanzt, geknutscht, rumgesessen hat und so. Das ist ja alles völlig im Dustern. Also natürlich würde jeder vernünftige junge Mensch, der dort ist, der würde sagen, ja, okay, wenn jetzt von den zwei Kumpels, mit denen ich da war. Wenn da jetzt einer positiv ist, wo ich die ganze Zeit mit denen zusammenstand und gesprochen habe. Da würde man sagen, na klar, jetzt gehe ich in Quarantäne. Also die meisten zumindest. Aber wie gesagt, wenn ich erfahre, dass 16 Leute irgendwo verteilt oder 19 irgendwo verteilt in diesem Club an dem Abend positiv waren. Es gibt sogar Leute, die gehen raus und wieder rein. Ja, das kommt ja auch vor, dass man sich bei einer Dauerparty irgendwie mal an der frischen Luft erholen muss. Und dann wissen Sie ja gar nicht, ob die dann zum gleichen Zeitpunkt da waren wie Sie. Und das verstehen doch die Leute nicht. Die sagen, was, deshalb soll ich

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jetzt schon wieder in Quarantäne. Was ist nächste Woche? Dann werden Sie wieder drei rausziehen, die positiv geworden sind. Dann gibt es jedes Wochenende das Gleiche.

0:25:43


Camillo Schumann


Angenommen da waren, ich sage mal die 3500 Menschen da drin waren. Aber wenn jetzt so eine Obergrenze, zum Beispiel für das Berghain bei tausend gewesen wäre. Meinen Sie, dass Ihre Grundlage der Nachverfolgung bei den tausend vielleicht eingehalten wird?

0:26:00


Alexander Kekulé

Also dort ist es. Es ist ein schwieriger Fall. Also, ich will jetzt keine Spezialberatung für einen Club machen. Da gibt es ja auch noch viele, um zu sagen es gibt zum Beispiel das KitKat in Berlin, was genauso gut ist.


Camillo Schumann


Da waren Sie auch schon?


Alexander Kekulé

Das gibt es noch länger als es ist so. Es gibt ganz viele. Es gibt ganz viele einschlägige Lokale in Berlin. Aber es ist so, dass man halt von Fall zu Fall gucken muss, kann ich das danach verfolgen oder nicht? Ja, wenn Sie da zum Beispiel einen Raum haben, wo 200 Leute sind. Wo man, wenn man reingeht, einen Check-In hat. Wo man weiß, okay, der war da drinnen und nicht woanders. Dann macht es schon eher Sinn. Dann muss das Gesundheitsamt auch nicht paar tausend anschreiben, sondern kann es viel gezielter machen. Und wenn es in eine Größenordnung geht von unter hundert. Dann funktioniert ja noch das ganz alte System, dass die Leute befragt werden.

Aber ich bin einfach dagegen. Und das ist das, was man ja gemacht hat. Und das ist ja auch der politische Wille. Ich bin dagegen, dass man jetzt auf den Herbst zu quasi mit 2G den Versuch der Nachverfolgung komplett aufgibt. Und meines Erachtens ist das nur ein Feigenblatt, dass da diese Registrierung verlangt wird. De facto, das merken Sie schon daran, dass das Gesundheitsamt, schreibt die Morgenpost, nicht erreichbar ist danach. De facto hat man

das aufgegeben. Da sagt man, die sind alle geimpft, die sind alle selber schuld, wenn sie da... Wenn ein 80-jähriger Ungeimpfter dazwischen war, der sich reingeschmuggelt hat. Dann denkt man halt, na gut, das ist sein persönliches Risiko. Ich bin aber dagegen, dass wir das jetzt im Herbst generell so machen, dass wir, die Welle einfach laufen lassen. Aus den genannten Gründen halte ich das für ein hohes Risiko.

0:27:36


Camillo Schumann


Ich habe gerade mal nebenbei gegoogled. KitKatClub. Der Club ist für ein hohes Maß an sexueller Freizügigkeit bekannt.


Alexander Kekulé

Davon habe ich nichts gemerkt.


Camillo Schumann


Bleiben wir, Herr Kekulé, im Alltag der Menschen. In reichlich zwei Monaten ist Weihnachten. Haben Sie eigentlich schon alle Geschenke?

0:27:54


Alexander Kekulé

Nein, überhaupt nichts. Ich bin so mit Vorlesungen und Corona rauf und runter beschäftigt, dass ich an so etwas gar nicht denken kann.

0:28:03


Camillo Schumann


Wie läuft es bei Ihnen normalerweise, wenn jetzt nicht Corona ist? Wann fangen Sie an? Am 23. Nachmittag oder später?

0:28:09


Alexander Kekulé

Die Geschenke kommen doch vom Christkind. Da haben Sie ja, was falsch verstanden

0:28:16


Camillo Schumann


Auf jeden Fall machen sich die Bundesländer gerade Gedanken, wie es dieses Jahr mit den Weihnachtsmärkten so ablaufen könnte. In der neuen Corona-Schutzverordnung der Länder Sachsen und Bayern zum Beispiel soll es keine

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Besucher-Obergrenzen geben, keine Maskenpflicht. Es wird aber empfohlen, Abstand zu halten. Aber, und da steht dann auch als nett gemeinter Hinweis, Menschenansammlungen sollten verhindert werden. Aber das ist ja ein Weihnachtsmarkt. Was sagt uns derVirologe dazu?

0:28:46


Alexander Kekulé

Also zugegeben, ich war auch schon mal auf dem Weihnachtsmarkt. Da erinnere ich mich an fürchterliches Gedränge, was durchaus auch an die Berliner Clubszene herankommt. Das ist natürlich draußen, das muss man sagen. Das hat die Politik inzwischen verstanden. Zumindest in Bayern hat es der Ministerpräsident kürzlich noch mal ganz explizit gesagt, dass die Situation draußen aus seiner Einschätzung jetzt nicht groß reguliert werden muss. Das war ja früher mal anders. Und da beschäftigen sich ja die Verwaltungsgerichte inzwischen mit diesen Anordnungen, dass man in irgendwelchen Parks die Maske tragen musste und solche Dinge.

Aber es ist natürlich so, wenn Sie jetzt wirklich auf dem Weihnachtsmarkt zwischen den Ständen so ein Gedränge haben, dass Sie gar nicht anders können, als sich da so durchzuschieben, auch Gesicht zu Gesicht. Dann meine ich, ist die Grenze erreicht, wo man das als Aufsichtsbehörde dann stoppen muss beziehungsweise verhindern muss, das es dann noch voller wird. Darum finde ich, alles gut mit den Weihnachtsmärkten. Die kommen ja jetzt überall. Ich würde nur die eine Regel generell verpflichtend machen, dass man sagt, dass, wenn man sieht, es wird zu voll und wirklich so voll, dass es sozusagen ein echtes Gedrängel wird, dem man nicht mehr ausweichen kann. Dann muss es irgendeine Eingangskontrolle, eine Einlasskontrolle geben, wo man dann sagt okay, jetzt machen wir zu. Zumindest so lange, bis es sich wieder geleert hat. Das ist logistisch nicht bei allen Weihnachtsmärkten möglich. Aber ich glaube das, wenn ich jetzt bei der Behörde wäre, würde ich das zur Auflage machen. Das Gesundheitsamt kommt da sowieso gelegentlich vorbei und sieht mal nach dem Rechten. Und wenn die dann sagen, Mensch, das können wir jetzt nicht mehr zulassen. Dann macht

ihr jetzt einfach mal eine Stunde lang kein Einlass mehr. Dann beruhigt sich die Lage wieder.

0:30:26


Camillo Schumann


Und würden Sie dann...? Wenn ich es richtig verstanden habe. ... Einund Ausgang. Wenn es zu voll wird, dann schließen, und sagen, jetzt kommt hier keiner mehr rein. In Sachsen beispielsweise wird dann auch noch unterschieden, wenn es jetzt zu viel wird und wenn auch noch die Parameter sich ändern. Die Inzidenz steigt, die Hospitalisierung, was ja Parameter sind, um die Gesamtmaßnahmen zu koordinieren. Dann soll es dann auch so was wie Flanierzonen und Verweilzonen geben. Was herrlich klingt erstmal am. Würden Sie sozusagen innerhalb des Weihnachtsmarktes dann noch mal Unterschiede machen?

0:31:00


Alexander Kekulé

Oh Gott, das ist, das ist wirklich schwierig. Also wissen Sie, die lokalen Behörden, die haben jetzt mit so etwas Erfahrung, und die kennen ihre jeweiligen Weihnachtsmärkte. Vielleicht sind die Sachsen so diszipliniert, dass sie sich an sowas halten. Also ich kenne da den Weihnachtsmarkt in Halle natürlich gut und den in München. Da glaube ich nicht, dass das möglich wäre, da irgendwas sozusagen in Zonen nochmals unterteilen. Dann gibt es die Zone, wo man sich den Glühwein holt und die Zone, wo man ihn trinkt.

0:31:28


Camillo Schumann


Wo man ihn dann auch wieder loswird.


Alexander Kekulé

Wo man ihn wieder los wird. Das auch noch. Das Problem... Es gibt ja letztlich bei diesen ganzen Veranstaltungen, also so ganz grundsätzlich, Freiluft ist in Ordnung. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten. Nicht alle Weihnachtsmärkte sind ja in Leipzig, Halle oder München. Sondern es gibt ja Weihnachtsmärkte, die sind so, dass die Menschen wirklich auch von weit her dorthin kommen.

Obwohl in München, glaube ich, da kommen die auch vom Land gelegentlich mal. Weil das

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ist eine gute Gelegenheit, in die Stadt zu fahren. Und dann ist die Situation die. Das sind ja Menschen, die planen dann einen größeren Ausflug. Die haben dann vielleicht ihre Kinder dabei. Dann ist es so, dass die rund um diese Veranstaltung zum Beispiel in die Gastronomie gehen. Die Kneipen sind, dann voll außen rum. Nicht nur die Glühweinstände draußen und dass sie vielleicht auch noch Freunde besuchen und Ähnliches. Ganz zu schweigen von den Toiletten, die man dann aufsuchen muss.

Und ich glaube, dieses Umfeld, das ist etwas, das müssten die Behörden genauer im Auge haben. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob jetzt der Markt eine Flanier... Was war das andere?... Verweilzone ist. Sondern es ist so, dass ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man das Drumherum sozusagen, was dann zwischen den Menschen wirklich passiert, im Auge hat. Wir kennen da Ereignisse, die analysiert wurden, wo es zu Ausbrüchen kam. Berühmt ist dieses Motorradtreffen in den USA, wo sich, ich meine, über 140.000 Motorradfahrer getroffen haben. Es kam zum riesigen CoronaAusbruch. Ähnlich auch die Situation im Weißen Haus, dieses Ereignis im Rosengarten des Weißen Hauses. Da ist es immer so gewesen, dass es nicht draußen passiert. Weder auf dem Motorrad noch im Rosengarten. Sondern es war so, dass die Ansteckungen immer in diesen Seitenräumen... die in geschlossenen Räumen waren. Also die Toiletten, die Räume im Weißen Haus oder die Motorradfahrer in den USA. Die haben sich eben dann abends natürlich in der Kneipe getroffen, und da ist es dann passiert. Und das muss man bei den Weihnachtsmärkten, zumindest wenn das so ein Touristenmagnet ist, meines Erachtens mit in die Kalkulation aufnehmen.

0:33:39


Camillo Schumann


Drücken wir uns die Daumen, dass wir glimpflich durch den Herbst und Winter kommen und dass die Weihnachtsmärkte einigermaßen sicher sind. Dass wir trotzdem aber Spaß haben. Darum geht es ja, ein bisschen abschalten können.

Dramatisch, um damit aufs nächste Thema zu kommen, ist die Situation aktuell in Rumänien.

Nur 30 Prozent der Menschen dort sind geimpft. Die Kliniken, die sind hoffnungslos überfüllt. Einige Beobachter sprechen von apokalyptischen Zuständen. Einige Patienten werden auf Fluren behandelt, in Zelten auch. Und ich habe gelesen, in den vergangenen 24 Stunden sollen in Rumänien mehr Menschen an oder mit Corona gestorben sein als in der gesamten EU im selben Zeitraum. Einige Medien berichten im Bukarester Universitätsklinikum gab es zeitweise sogar im Kühlraum der Leichenhalle keinen Platz mehr. Was ist in Rumänien los? Ist das so ein bisschen Durchseuchung wider Willen?

0:34:32


Alexander Kekulé

Ja, wider Willen ist es auf jeden Fall. Das Hauptproblem ist natürlich dort, wie in vielen osteuropäischen Ländern übrigens, letztlich die die niedrige Impfquote. Es ist ja nicht so, dass es dort keinen Impfstoff gäbe. Sicherlich die Regierung ist vielleicht nicht so perfektionistisch dabei wie die deutsche. Aber die kriegen das schon im Prinzip hin, die Impfstoffe zu verteilen. Die haben nur ein, meines Erachtens, ein fehlendes Vertrauen in den Staat in diesen Ländern. Das wird ja immer so ein bisschen auf die sozialistische Vergangenheit zurückgeführt. Ich weiß nicht, ob man so weit die Ursache zurück suchen kann. Aber die Menschen in Rumänien trauen einfach ihrem Staat nicht. Das hat fast schon Tradition. Als ich vor langer Zeit zuletzt in Bukarest war, war das auch schon so. Und ehrlich gesagt habe ich mir damals schon gedacht, hier möchte ich nicht krank werden. Und es ist so, dass wenn die Menschen dem Staat nicht vertrauen, dann vertrauen sie auch den Impfstoffen nicht, auch den Impfempfehlungen nicht. Das sehen wir ja so ein bisschen auch in Deutschland, dass da bei manchem so eine Überlappung ist. Allgemeines Misstrauen der Obrigkeit gegenüber und zugleich aber dann die Ablehnung der Impfung. Und das haben wir dort ganz stark. In Russland, noch viel mehr in der Ukraine, sehen wir das Gleiche. Und da liegt der Hase im Pfeffer meines Erachtens. Für uns heißt es, dass wir dringend diese Begründungskultur brauchen, die ich schon lange fordere. Wir müssen wirklich, gerade bei diesen Corona-Maßnahmen. Sei es jetzt, die Impfung, seien es andere Dinge alle Karten

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auf den Tisch legen. Wir müssen wirklich erklären, was die Dinge sind, die dafürsprechen, die dagegensprechen, wie, was man sich für Überlegungen macht. Vorhin hatten wir so ein Beispiel, wo man sich offensichtlich nichts dabei gedacht hat. Oder heimlich die Durchseuchung und in Kauf nimmt. Das muss offen diskutiert werden. Das ist das eine, was ich extrem wichtig finde. Und das andere ist, dass wir meines Erachtens vermeiden müssen, dass die, die dann aus welchen Gründen auch immer, ungeimpft sind, irgendwie ausgegrenzt werden. Weil man sie dadurch, weil man quasi den Kommunikationsstrang zu ihnen ja auch verliert. Und da kann man in Rumänien gucken, was passiert, wenn man diese Fehler macht. Und zwar systematisch seit vielen Jahren eigentlich letztlich schon da. Da ist ein schlechtes Gesundheitssystem mit einem mangelnden Vertrauen der Bevölkerung quasi zusammengekommen.

0:36:50


Camillo Schumann


Sollte sich die EU da auch stärker engagieren? Hilfen anbieten? Ist ja so, dass die Nachbarländer schon, Ungarn, auch unterstützend eingreifen. Sollte man da auch noch mal einen Aufschlag machen?

0:37:04


Alexander Kekulé

Meines Erachtens passiert das, ist, also... Ich muss zugeben, ich habe es jetzt nicht so ganz genau verfolgt. Aber da ist die EU. Bei diesen Dingen ist sie ganz gut. Also wenn ein Mitgliedstaat jetzt sagt, wir brauchen da Hilfe, auch selbst wenn die es nicht vorher anfordern. Da kommen ganz schnell Beatmungsgeräte und technisches Gerät. Also innerhalb der EU werden auch die Medikamente nicht ausgehen, oder so. Das ist ja relativ einfach dann, was weiß ich, in Deutschland einen Lkw vollzupacken und nach Rumänien zu fahren. Wesentlich einfacher als in Indien. Was ich glaube, was wir in der EU brauchen, dass ist mal so generell endlich eine Einsatztruppe für außerhalb der EU. Das Problem hatten wir ja schon schon damals bei Ebola. Da habe ich den Vorschlag zum ersten Mal gemacht. Der ist eigentlich auf sehr offene Ohren gestoßen. Aber meines Erachtens

funktioniert es, gibt es das bis heute nicht. Und es gibt einzelne positive Beispiele jetzt in einer Covid Krise. Wenn Sie daran denken, dass das Technische Hilfswerk war, das, glaube ich, dann in Neu Delhi eine große Sauerstoff-Generation, Sauerstoff-Produktionsanlage aufgebaut hat. Das war natürlich eine sehr wichtige Sache dort. Effektiver wäre es gewesen, ganz viele kleine Geräte einfach schon fertig zu haben und im Land zu verteilen, weil sie mit einer zentralen Anlage natürlich wieder das Problem haben, dass es die Stahlflaschen nicht gibt und die Transportlogistik nicht gibt. Und ich glaube jetzt ganz konkret auf Covid bezogen, es würde sich jetzt immer noch lohnen, das umzusetzen, was ich mal für Indien in den Raum gestellt hatte. Dass man einfach so eine große Zahl von Sauerstoffgeneratoren hat, also kleinere Einheiten, die nur für ein Krankenhaus reichen. Die den Sauerstoff wirklich herstellen dezentral. Das ist eine viel universellere, sage ich mal, Möglichkeit zu helfen, als irgendwie so eine Riesenanlage hinzubauen. Und was wir bisher haben, das ist eben hauptsächlich, dass wir dann immer diese Beatmungsgeräte hinbringen. Ja, das ist auch gut. Das ist auch wichtig. Aber die Beatmungsgeräte brauchen natürlich den Sauerstoff, damit sie funktionieren. Sodass ich glaube, dass an der Stelle bei vielen Ländern so eine konkrete Schwachstelle ist. Wenn man jetzt irgendetwas benennen will. Aber weil Sie die EU im Internen gefragt haben. Ich habe nicht den Eindruck, dass das das Problem ist. Also Brüssel ist an der Stelle wirklich schnell. Innerhalb der EU funktioniert das ganz gut.

0:39:18


Camillo Schumann


Können Sie noch ganz kurz erklären, wie diese Maschinen, die Sie gerade angesprochen haben, die den Sauerstoff produzieren. Wie die genau funktionieren? Wie groß sind? Kann man die in den Keller stellen?

0:39:28


Alexander Kekulé

Ich hatte das ja früher schon mal ausgeführt, als es um die Krise in Indien ging, als sich abzeichnete, dass in Indien die Fallzahlen steigen.

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Und da hatte ich relativ früh gesagt, die Mangelware wird der Sauerstoff sein. Und dort ist das Problem, es gibt zu wenig Stahlflaschen. Deshalb ist meines Erachtens der richtige Weg konkret bei dieser Covid-Krise. Das ist natürlich eine Besonderheit nur für Covid und nicht für andere Pandemien. Dass man Sauerstoffgeneratoren exportiert. Die kleineren Generatoren sind ungefähr so groß wie ein Schrank. Also so ein normaler Schrank, den man im Zimmer hat für die Kleidung oder so groß wie, sage ich mal, drei, vier Waschmaschinen, so ungefähr in der Größenordnung. Das kann man also locker in den kleinen Lkw reinladen. Ist auch schnell abzubauen und schnell aufzubauen. Und das zieht aus der normalen Umgebungsluft den Sauerstoff raus und reichert das so an über so ein Filtrationsverfahren, dass man damit ein kleineres Krankenhaus versorgen kann. Der Vorteil ist eben, Sie brauchen außer Strom, Stecker brauchen Sie nichts, um das laufen zu lassen. Und es ist so, dass es überall in Deutschland solche Geräte natürlich schon gibt an irgendwelchen kleineren Krankenhäusern. Die haben sich so ein Sauerstoff-Generator hingestellt. Aber wir in Deutschland, das war eben mein Vorschlag damals, wir brauchen so etwas eigentlich nicht kontinuierlich, weil bei uns sind ja die Riesenfabriken, die den Sauerstoff herstellen. Die großen Hersteller produzieren den wirklich in rauen Mengen. Und die kriegen... Wenn Sie heute anrufen und sagen, ich brauche 50 Flaschen zu 50 Liter, dann sind die beim Krankenhaus. Innerhalb weniger Stunden stehen die unten auf dem Hof. Deshalb aber mein Vorschlag, diese Dinge abzubauen in Deutschland, wo auch immer sie stehen. Und quasi alle zusammen mit der Transall nach Indien zu fliegen, dass die sozusagen dort vor Ort sind. Hat man nicht gemacht. Stattdessen angefangen, eine Riesenanlage in NeuDelhi aufzubauen. Die hat so lange gebraucht, wieder typisch deutsch, so ähnlich wie bei Ebola. Dass die, ganz toll, aber als sie fertig war, war natürlich die Krise schon... Nicht ganz vorbei, aber schon dreiviertel rum. Und das Sauerstoffmangel-Problem war eigentlich nur noch peripher. Es gab da natürlich schöne Bilder für die Presse. Auch gut, dass sich da alle, dass sich Deutschland bemüht hat. Aber so ist es eben oft so, wenn man die gründliche, deutsch geplante Lösung haben will. So was

Ähnliches hatten wir mal beim Ebola-Behandlungszentrum in Westafrika. Das ist so lange und so gründlich geplant worden, dass es fertig wurde, nachdem die Ebola-Epidemie zu Ende war. Also ohne Wenn und Aber. Da ist nicht ein einziger Ebola-Patient behandelt worden, dann hinterher. Aber dafür hat es super VDE geprüfte elektrische Anschlüsse gegeben, ein Beton-Fundament, ein windsicheres Dach, wo die Statiker schon vorher gemessen haben, ob die lokalen Windbedingungen das Dach wegfegen können und so weiter und so weiter. Wie Deutsche das so machen. Also ich hätte gesagt, diese Geräte braucht man manchmal ratzfatz an irgendwelchen Punkten der Erde. Und wenn die EU dafür quasi so ein paar Container auf dem Hof in Brüssel stehen hätte, das fände ich einen echten Zugewinn in der Krise. Weil Sie wissen ja, bei Covid haben Sie so zwei, drei Tage im typischen Krankheitsverlauf. Da brauchen Sie einfach den Sauerstoff in sehr großer Menge. Und die allermeisten überleben es, wenn sie den Sauerstoff kriegen in diesen Tagen. Und wenn sie den nicht kriegen in den Tagen, dann sterben sie eben, ohne dass es nötig gewesen wäre.

0:42:55


Camillo Schumann


Und wenn sie nicht sterben, überleben sie. Und wer sich infiziert hat, kann unter Umständen dann nach der Infektion unter Longcovid leiden. Wir haben eine Mail bekommen von unserem Hörer, Herrn G. aus München. Er schreibt, Herr Lauterbach, der SPD-Gesundheitsexperte verbreitet gerade eine Studie, nach der Menschen durch Covid schneller altern und anfälliger für chronische Krankheiten sind. Wie gut ist diese Studie? Wurde dieser Effekt bei anderen schweren Infektionen auch untersucht? Und mit welchem Ergebnis? Und wie groß ist die Anzahl der Fälle, die das betreffen?

Da hat er dann den Tweet von Herrn Lauterbach mitgeschickt. Herr Lauterbach hat dann geschrieben, Studien zeigen klar, dass die Krankheit den Prozess der Alterung deutlich beschleunigt. Man altert im Zeitraffer und wird gegen chronische Krankheiten anfälliger. Und dann hat er noch die angesprochene Studie verlinkt. Das ist eine italienische Studie aus

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dem Juni dieses Jahres. Herr Kekulé, Sie haben die sich angeschaut. Ist das kongruent zu der Aussage zu dieser Studie?

0:44:01


Alexander Kekulé

Ja, nicht so richtig. Aber ich muss vorwegschicken. Ich schätze Herrn Gesundheitsminister Lauterbach sehr, also Herrn Lauterbach. Und ich finde es ganz hervorragend, wenn ein Politiker, der ja jetzt im Hauptberuf ist, sich echt die Mühe macht, diese Studien zu lesen und zu twittern und der Republik ständig alles zu erklären. An der Stelle ist sozusagen die Aussage in dem Tweet, den habe ich mir jetzt daraufhin auch durchgelesen. Studien zeigen klar, dass die Krankheit das Altern beschleunigt. Also, dass man im Zeitraffer altert und gegen chronische Anfänger Krankheiten anfälliger wird. Also diese Studie jedenfalls zeigt es nicht, und es gibt auch keine anderen, die ich kennen würde. Also diese Studie aus Pavia und anderen italienischen Städten ist wie Sie richtig sagen, im Juni publiziert worden. In einem jetzt nicht so Topjournal. Das war so... Wir haben viele Journale natürlich, wo Sachen publiziert werden, die jetzt nicht so spektakulär sind. Das war eins davon. Und die haben selber gesagt, dass das, was sie da schreiben, eine Hypothese ist. Also die Autoren dieser Studie schreiben, wir stellen die Hypothese auf, dass aufgrund unserer Daten... Sie sagen nicht, wir schließen aufgrund unserer Daten Folgendes. Das finde ich dann schon einen ganz wichtigen Unterschied. Gerade wenn man Wissenschaft versucht zu kommunizieren. Da muss man dazusagen, die haben Beobachtungen gemacht und haben selber als Autoren, die wirklich da drinnen stecken in der Materie, daraus nur eine Hypothese entwickelt. Dann kann man nicht hinterher öffentlich sagen, es ist so. Weil man nicht damit rechnen kann, dass jetzt jeder so viel Biologie-Leistungskurs hatte, dass er das selber nachlesen und überprüfen kann.

Vielleicht sage ich zwei Worte zum Hintergrund zu dem Ganzen. Es ist nämlich schon ein ganz spannendes Thema. Und zwar es geht ja um die Frage, wie schnell altert man. Und man könnte jetzt. Früher hat man gesagt, na gut, wie alt ich bin, steht doch im Pass, sofern das richtig ist, was da drinsteht. Es gab früher mal

Filmstars, die haben das ändern lassen. Aber es ist so im Alltag, das Alter steht im Pass, das ist das chronologische Alter. Und dann gibt es das biologische Alter.

Das, was wir schon immer wissen. Der eine altert schneller, der andere nicht so schnell. Und man sagte immer, man ist so jung, wie man sich fühlt, und solche Sprüche. Da gibt es seit ein paar Jahren eigentlich eine Forschungsrichtung, die das bestätigt. Dass es tatsächlich so ist. Man altert. Die Menschen altern unterschiedlich schnell. Gemeinerweise ist es wahrscheinlich genetisch programmiert, hängt aber eben auch mit den Krankheiten zusammen, die man im Lauf des Lebens hat und mit der Ernährung und wahrscheinlich mit Stress und vielen, vielen anderen Dingen. Und um das biologische Alter zu messen. Da gibt es mehrere Methoden. Und zwei Methoden haben die in dieser Arbeit angewendet.

Die eine ist die DNA in unseren Zellen, also die Erb-Information. Bei uns ist es eine DNA, anders als bei diesem Covid Sars-CoV-2 Virus, über das wir immer sprechen, da ist es eine RNA. Also unsere DNA bei den Menschen, die wird im Lauf des Lebens, die wird gesteuert, indem da so kleine sogenannte Methylgruppen drangehängt werden. Die wird also chemischen bisschen verändert. Das ist, wenn man so will, so ein Einund Ausschalter für die einzelnen Gene. Wie das auch bei so einem Lichtschalter ist. Wenn man den oft genug bedient, dann leierte irgendwann aus und bleibt in der einen oder anderen Position hängen. Und so ist es bei diesen Methylierungen auch, wenn die DNA immer wieder einund ausgeschaltet wird. Dann nimmt im Lauf der Zeit die Zahl dieser Methylierungen, also dieser chemischen Modifikationen insgesamt zu. Nicht zufällig, sondern an bestimmten Stellen, die eben als Schalter dienen. Und das kann man gezielt untersuchen. Man kann dann feststellen, wie ist sozusagen das Methylierungsalter der DNA. Das hat dann den Kunstnamen DNA M Alter. Und dieses Methylierungsalter korreliert tatsächlich, wenn man das misst. Wie viele Methylgruppen sind also üblich? Also wie viele hängengebliebene Schalter gibt es im Genom? Da ist so, das korreliert mit erhöhten kardiovaskulären Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Er-

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krankungen, neurodegenerativen Erkrankungen. Die werden dann häufiger. Krebs natürlich wird häufig häufiger, und interessanterweise es korreliert auch mit dem Eintritt des Todes, egal aus welcher Ursache. Das heißt also, die Leute sterben, aus welchem Grund auch immer, dann tendenziell eher. Das ist das biologische Alter, was man zum Beispiel mit diesen Methylierungen feststellen kann.

Und das zweite, was es auch noch gibt. Das kennen vielleicht manche. Das sind unsere Chromosomen, also diese Xe und Y‘, die, in denen bei uns die DNA so zusammengerollt ist. Die haben an den Enden, da, wo diese Spitzen quasi sind von dem X-Chromosom oder von dem Y-Chromosom, wo die aufhören, diese Stränge. Da haben die so eine Struktur dran, die das Ende vor Verdauung schützt. Das heißt Telomer. Und diese Telomere nutzen sich im Lauf des Lebens ab und werden immer kürzer. So wie Zähne bei einem alten Hund irgendwie stumpf und kürzer werden. Oder Jäger können beim Wild anhand der Zähne erkennen, wie alt die sind, weil sie sich abmahlen. Und diese Telomere werden auch immer kürzer im Lauf des Lebens. Und die Wissenschaftler haben jetzt dieses biologische Alter anhand der Telomere und der Methylierungen. Das haben sie mit dem KalenderAlter verglichen, und zwar bei zwei verschiedenen Gruppen. Die eine Gruppe waren sozusagen Covid-freie Leute, die nie Corona hatten. 144 Kandidaten und Probanden. Und dann hatten sie 117 Leute, die Covid überlebt haben. Sie haben verglichen, wie ist diese biologische Uhr eigentlich bei denen gealtert.


Camillo Schumann


Ja, und mit welchem Ergebnis? Also sind Sie denn sehr stark gealtert?


Alexander Kekulé

Also die Differenz zwischen den beiden waren also so ungefähr sieben Jahre so in der Größenordnung. Das heißt also, die einen waren sieben Jahre mehr, war der Abstand zwischen wirklichem Alter und biologischem Alter. Sieben Jahre größer als bei den anderen. Das heißt also, die, die Covid hatten, waren biologisch älter. Die große Frage ist jetzt nur, was sagt uns das. Kann schon sein, dass es so ist.

Kann auch ein Ergebnis einer Infektion mal sein.

0:50:03

Da gibt es nur eben zwei Dinge, die schon immer eine Rolle gespielt haben bei diesen Tests. Wir kennen, dass auch von anderen Infektionskrankheiten. Was war zuerst da? Also Henne oder Ei? Es kann ja sein, dass die Leute, die hier Covid hatten... Das waren ja Long-Covid Leute, die also länger Covid hinter sich hatten, dass die deshalb erkrankt sind, dass man es deshalb gemerkt hat, weil sie biologisch älter waren. Wir wissen ja, dass bei älteren Menschen eben die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, schwer krank zu werden und so weiter höher ist. Das kann also hier eine Rolle gespielt haben, dass sozusagen diese Gruppe schon vorher älter war und deshalb tendenziell natürlich eher die Symptome hatte. Das andere, was eine Rolle spielt, ist es denn überhaupt ein spezifischer Effekt von diesem Virus? Oder ist es etwas, was mit dem ganzen Kranksein und dem Ausgeschaltetsein zu tun hat, was mit so seiner Krankheit einhergeht? Wir kennen das von anderen Viruserkrankungen. Und zwar bei HIV, dem Virus, was AIDS macht. Beim Zytomegalovirus. Ein Virus, was alle möglichen Lymphknotenschwellungen und Erkrankungen macht, auch chronische Erkrankungen macht. Da kennen wir das auch. Und wir kennen das auch von so Bakterien, die die Magenschleimhaut infizieren. Heliobacter heißen die. Die machen so eine chronische Magenschleimhautentzündung. Bei solchen chronischen Erkrankungen wissen wir, dass tatsächlich typischerweise das biologische Alter... Also dass die biologisch schneller altern, wenn man diese Methylierungen und diese Telomer-Verkürzungen nimmt im Vergleich zum Kalender-Alter. Das ist also kein unbekanntes Phänomen bei chronischen Infektionen. Auch da weiß man nicht, was kam zuerst. Ist es so, dass diejenigen, die diese Infektionen haben, vielleicht von vornherein eine Prädisposition hatten oder nicht? Das ist nicht unbedingt klar.

Vielleicht ganz interessant. Natürlich versuchen Firmen schon länger, das Alter zurückzudrehen, indem sie genau solche Sachen revertieren. Also, indem sie Medikamente dagegen geben. Und bei der HIV Erkrankung ist zum Beispiel bekannt, dass das biologische Alter, wenn

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man HIV dann therapiert. Da gibt es ja Therapien dagegen. Dass das biologische Alter also auch wieder abnehmen kann im Verhältnis zum chronologischen Alter. Also, das ist ein reversibler Prozess. Wir wissen also nicht, ist es jetzt bei den SARS Patienten wegen der Krankheit gewesen, ist es nur bei Long Covid Leuten. Ist es vielleicht so, dass es reversibel ist? Und hat es überhaupt wirklich mit dem Virus was zu tun? Aus meinem Gefühl ist eher nein. Weil wir kennen das sonst bei Virusund bei Infektionserkrankungen, die wirklich chronisch verlaufen. Also die genannten HIV, CMV und Helicobacter. Das sind Jahre und Jahrzehnte bestehende Erkrankungen. Und das jetzt schon nach ein paar Wochen Corona-Infektion da so ein durchschlagender Effekt eingetreten sein soll. Dass die Telomere da irgendwie kurz geworden sind und die Methylierung der DNA sich verändert hat. Das glaube ich irgendwie nicht. Also da will ich weitere Studien sehen.


Camillo Schumann


Damit bleiben wir bei den Hörerfragen. Herr Z. hat angerufen und folgende Frage:

0:53:17

Hörer

Ich hatte im Februar Corona. Ich bin Gott sei Dank drüber. Es ist alles erledigt. Es verlief harmlos. Vor drei Wochen habe ich einen Antikörpertest machen lassen. Dabei wurde festgestellt, ich habe viele Antikörper. Mein Arzt sagt, gut, du bist immun für die nächste Zeit. Du musst dir keine Gedanken machen. Aber das ist problematisch, laut gesetzlichen Regelungen gilt der Genesenen-Status nur sechs Monate. Wie bekomme ich den Status wieder. Den Status bin ich nun los. Wie bekomme ich den Status wieder. Ich bin immun. Ich muss mich nicht impfen lassen. Ich habe ja noch Antikörper. Da wäre für mich mal interessant, wie entscheidet der Staat. Wie geht es weiter?

0:54:03


Camillo Schumann


Wer sagt es ihm? Sie oder ich?


Alexander Kekulé

Sagen Sie es.


Camillo Schumann


Nein, ich will nicht. Ich traue mich nicht.


Alexander Kekulé

Also ich glaube nicht, dass der Staat da was ändern wird, ehrlich gesagt. Den Genesenen-Status werden Sie nicht wiederbekommen. Egal, wer der nächste Bundesgesundheitsminister wird. Ich meine, der Hintergrund ist natürlich der... Das kann man schon kritisieren. Es ist ja so, als das Ganze mal eingeführt wurde, da hat man nicht gewusst, wie lange hält die Immunität an. Da gab es manche Fachleute, zu denen ich nicht gehört habe. Die haben gesagt, das verschwindet ganz schnell wieder. Großer Alarmzustand. Nach drei Monaten kann man schon wieder schwer krank werden und sterben. Und darum hat man vom Gesetzgeber her letztlich gesagt, sechs Monate, das ist die Grenze, die wir diesen Genesenen-Status anerkennen. Damals war auch noch nicht klar... Ich meine, da haben wir... Im Podcast habe ich dann auch ein paarmal Fragezeichen drangemacht, ob überhaupt dieser Antikörper-Nachweis den man macht, also der Antikörpertiter, ob der irgendwie mit der Immunität korreliert, oder nicht. Das war ja völlig unklar, was wir da messen. Ob dieses IGG jetzt ein Zusammenhang hat mit dem wirklichen Schutz. Inzwischen haben sich die Daten konkretisiert. Das wusste der Gesetzgeber natürlich nicht. Abgesehen davon, dass das natürlich nicht lauter Biologen sind, die da im Bundestag und in den Landtagen sitzen.

Und es ist so, dass wir inzwischen schon sehen: Erstens der Antikörper-Titer hat eine relativ hohe Korrelation mit der Immunität. Bei den Tests, die jetzt im Moment verfügbar sind, ist es so, wir sehen, dass die relativ gut korrelieren, diese IGG Tests mit den neutralisierenden Antikörpern. Und die neutralisierenden Antikörper sind wirklich die, wo wir wissen, dass die in im Zellkulturversuch das Virus wirklich wegfangen können und unschädlich machen. Das ist das eine.

Und das andere ist, dass wir tatsächlich auch epidemiologische Daten haben, die zeigen, dass, sowie der Antikörper-Titer sinkt, also das IGG sinkt so steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Und da wissen wir halt letztlich, ja nach sechs Monaten sind die

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allermeisten noch in einem ganz guten Zustand. Die sind jetzt nicht so in Gefahr, schwer zu erkranken jedenfalls. Man hat gerade eine neue Berechnung. Das sind theoretische Berechnungen gewesen. Die haben so gesagt, na ja, ungefähr alle ein bis zwei Jahre muss man mit einer Neuinfektion nach einer Covid-Infektion rechnen. Das deckt sich ziemlich genau mit dem, was wir eh schon wussten von den anderen Coronaviren. Da galt es auch immer, dass man gesagt hat, die Immunität hält ein bis zwei Jahre. Sodass man schon sagen kann, jemand, bei dem diese zwei Jahre noch nicht überschritten sind und der zugleich ein guten Antikörper-Titer hat. Vielleicht an der Stelle noch eine kleine Warnung, die verschiedenen Tests, die im Umlauf sind, haben verschiedene Referenzwerte. Daher kann man die unterschiedlichen Tests nicht immer miteinander vergleichen. Aber innerhalb des Tests, wenn der Titer hoch ist, kann man sagen, und die zwei Jahre sind noch nicht um. Komm und sagen, na ja, warum sollte er nicht mehr genesen sein. Ganz klar, da ist das Gesetz, wenn Sie so wollen, nicht auf dem Stand der Technik. Aber da haben wir viele Beispiele in Deutschland, wo das so ist es. Die Juristen müssen ja irgendetwas aufschreiben und können nicht ständig sozusagen ihr Näschen in den Wind der Wissenschaft hängen. Deshalb ist die einzige Chance, die dieser Hörer jetzt hat, zu sagen okay, ich lasse mich eben impfen. Einmal impfen. Ärmel hoch, Ärmelhochkrempeln, einmal impfen. Damit ist er, dann gilt er als voll geschützt. Das ist ja schon mal viel besser als früher. Weil früher musste man zusätzlich PCRNachweis über die Infektion haben. Jetzt gilt schon der positive Antikörperstatus für die Genesung. Plus einmal impfen, dann ist er sozusagen erst mal aus dem Schneider raus.

0:57:43


Camillo Schumann


Der kommt um die Impfung nicht drumherum. Der genesenden Status an sich wird so nicht mehr verlängert. Haben sich ja auch schon mehrere Gerichte damit beschäftigt. Da wollten Menschen das auch juristisch durchfechten. Hat nicht geklappt. Also Herr Z. Der einzige Vorteil, der dieser Antikörpertest jetzt mit sich

bringt, ist, dass Sie sich eben noch einmal impfen lassen. Kann man nichts anderes dazu sagen.

0:58:04


Alexander Kekulé

Das ist so. Und das ist natürlich... Ich verstehe, dass das für jemanden unbefriedigend ist, der sagt,... Da steckt ja mehr dahinter. So vom Weltbild gibt es einfach Menschen, die sagen, ja also mein Immunsystem ist so gut. Jetzt habe ich die Krankheit durchgemacht, musste ja auch mehr leiden als jemand, der nur gepikst wurde. Wahrscheinlich. Und jetzt bin ich immun. Was soll der, was soll der Schmarrn? Aber wir sind halt jetzt in einer pandemischen Lage, wo der Staat einfach so 80-20 Regelungen braucht, um die Pandemie insgesamt in Griff zu bekommen. Und deshalb muss man da auch so ein bisschen Verständnis dafür haben, dass deshalb jetzt die Regelung ist, die halt jetzt gilt. Ich kann mir auch vorstellen, dass man das demnächst noch mal verlängern wird. Also rein theoretisch gäbe es genug Argumente das zu verlängern. Aber Sie wissen ja, die Mühlen des Gesetzes malen an der Stelle dann langsam.

0:58:59


Camillo Schumann


Eine junge Dame hat gemailt. Sie schreibt, ich möchte anonym bleiben. Ich selbst Anfang 30, keine Vorerkrankung aber leicht übergewichtig. Ich und mein Freund sind in der Kinderplanung. Er ist schon vollständig geimpft mit BioNTech. Ich selbst bin noch sehr am Zweifeln, ob ich mich impfen lassen soll. Ich habe große Sorge um meinen Zyklus und meine, schon von vielen gehört zu haben, die Probleme mit dem ausgelassenen bis hin zu verschobenen Zyklen haben. Daher die Frage, ist es eine Impfung, die Folgen haben könnte für den Kinderwunsch? Ich freue mich sehr, wenn Sie mir diese Frage beantworten und somit auch eine Entscheidungshilfe sein können. Mit besten Grüßen.

0:59:34


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine leichte Frage. Auf jeden Fall impfen lassen vor der Schwangerschaft. Weil

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Schwangere sind einfach extrem gefährdet, wenn sie Covid bekommen. Und dann, wenn das Kind da ist, ist das Kind extrem gefährdet. Und man kann sich nicht perfekt schützen. Gerade wenn man jetzt, was wir heute besprochen haben, sieht, dass es politisch wohl gewollt ist, die Inzidenz da ins Kraut schießen zu lassen. Deshalb kann ich nur sagen der allerallerbeste Zeitpunkt, sich impfen zu lassen, ist vor der Schwangerschaft. Und wenn man sozusagen daran denkt in der Kinderplanung.

Vielleicht zu dem verschobenen Zyklus. Es gibt immer wieder anekdotische Hinweise. So genau belegt ist es nicht, dass bei einigen Frauen sich der Zyklus verschoben hat. Das ist auch nicht völlig abwegig aus dem Grund, weil ja die die Schleimhaut in der Gebärmutter, die wird einmal im Monat abgestoßen. Und die hat sozusagen die Besonderheit, dass dort das Immunsystem manchmal je nach Hormonlage auch unterdrückt ist. Das ist ja klar, wenn da ein Embryo heranwächst, dann soll der nicht immunologisch abgestoßen werden, obwohl es eigentlich ein fremder Organismus ist. Und darum ist es eine besonders empfindliche Steuerung, sozusagen der Immunantwort auf den Schleimhäuten der Gebärmutter. Und wenn man jetzt so einen starken Stimulus hat wie eine Impfung. Das gibt es auch bei anderen Impfungen. Oder aber auch bei anderem Stress. Es gibt Frauen, bei denen passiert das durch einen Jetlag oder durch irgendwelche Life Events oder so. Dann kommt es eben manchmal zu Verschiebungen des Zyklus. Aber das ist nach allen Beobachtungen, die man bis jetzt gemacht hat, allerhöchstens einmal. Also es ist eine einmalige Verschiebung unmittelbar nach der Impfung, und schon beim nächsten Zyklus gibt es überhaupt keine Unregelmäßigkeiten mehr. Da ja nur die allerwenigsten sozusagen auf den ersten Versuch schwanger werden, würde ich sagen, man riskiert sozusagen nur die ersten 28 Tage in dem Fall. Und das würde ich auf jeden Fall machen. Das ist auf jeden Fall das kleinere Risiko und auch viel weniger Stress, als wenn man dann die ganze Schwangerschaft und Stillzeit aufpassen muss.

1:01:39


Camillo Schumann


Oder wenn sie im KitKatClub fahren. Da verschiebt sich der Zyklus dann auch.

1:01:44


Alexander Kekulé

Ganz sicher. 1:01:47 

Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 233. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne bis dahin, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann können Sie uns schreiben: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an. Das kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung. Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 19. Oktober 2021 #232: Epidemische Lage unbedingt verlängern


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Valneva meldet erste positive Studienergebnisse Unternehmensmeldung: Valneva Reports Positive Phase 3 Results for Inactivated, Adjuvanted COVID-19 Vaccine Candidate VLA2001 – Valneva

14.Ausgabe REACT-Studie Großbritannien

Studie: react1_r14_final_preprint (imperial.ac.uk)

0:00:10


Camillo Schumann


Dienstag, 19. Oktober 2021

Die aktuelle Pandemielage. Wo stehen wir im Vergleich zum Vorjahr?

Dann: vielversprechende Phase drei. Daten vom Todimpfstoff des französischen Herstellers Valneva. Könnte dieser Impfstoff die Zweifler überzeugen?

Außerdem die epidemische Lage von nationaler Tragweite könnte Ende November auslaufen. Zu früh?

Und wie genau funktioniert der Bauplan der MRNA-Impfstoffe im Körper?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Wir wollen zu Beginn mal so eine kleine Standortbestimmung machen. Wo stehen wir im Vergleich zum Vorjahr?

Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz. Vor einem Jahr lag sie bei rund 45. Heute liegen wir bei 75, Tendenz steigend.

Heute vor einem Jahr mussten 846 Menschen mit Covid 19 auf der Intensivstation behandelt werden. Heute sind es 1.453.

Heute vor einem Jahr wurden zwölf neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden gemeldet, heute waren es 88.

Und noch ein Vergleich. Heute vor einem Jahr waren exakt null Menschen geimpft, heute sind es fast 55 Millionen.

Wenn man allein diese Zahlen betrachtet, könnte man zu dem Schluss kommen, die Herbstwelle wird noch drastischer als die im vergangenen Jahr. Trotz Impfung. Herr Kekulé, sagen Sie mir jetzt bitte, dass ich Unrecht habe.

0:01:57


Alexander Kekulé

Sie haben das Zauberwort schon gesagt. Da sind einige Impfungen passiert seitdem. So dass man jetzt unterscheiden muss. Wir sind am Anfang der Welle. Ich glaube, das kann man im Vergleich zum Vorjahr sagen. Das hat mich, ehrlich gesagt, auch ein bisschen überrascht. Diese Zahlen, das ist doch so deutlich. Das kann man schon schließen. Das zum jetzigen Zeitpunkt am 19. Oktober. Dass man da noch nicht sagen kann, wir sind in der Herbstwelle und wir können absehen, was passiert. Weil vor einem Jahr oder aufgrund der relativ niedrigen Zahlen. Zumindest einige Politiker haben das diskutiert, ob sie überhaupt so schlimm wird und was da wohl noch passiert. Und wir wissen alle das war die schwerste Welle von allen, die auch die meisten Todesop-

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fer gefordert hat. Andererseits was jetzt passieren könnte, das meine ich schon. Wenn man jetzt die Zügel schleifen lässt, die Inzidenz kann wieder durch die Decke gehen. Das ist nicht ausgeschlossen. Ich hoffe sehr, dass Deutschland weiterhin vernünftig bleibt. Dann wird das nicht passieren. Aber wenn man alles loslässt, dann wird die Inzidenz dramatischer oder ähnlich dramatisch wie im letzten Jahr sein. Was natürlich nicht vergleichbar sein wird, ist die Zahl der Todesopfer und die Zahl der Krankenhauseinweisungen, weil da im Grunde genommen durch die Impfung so eine Art Dämpfer drinnen ist.

0:03:20


Camillo Schumann


Aber erklären Sie uns doch mal die im Vergleich vor einem Jahr sehr schlechten Zahlen trotz dieser enormen Impfquote.

0:03:32


Alexander Kekulé

Naja, es ist so, dass wir ja jetzt wissen, dass die Impfung ... Ich glaube, das ist inzwischen auch allgemein angekommen. Dass die Impfung nicht vor der Infektion schützt. Wir haben eine leider zum großen Teil unsichtbare in der Corona-Welle bei den Geimpften. Der Schutz liegt je nach Impfstoff zwischen 40 Prozent. Wenn Sie die ganz unglücklichen Zahlen nehmen, bis vielleicht bei 80 Prozent. Da sind wir aber schon sehr optimistisch. Dass das irgendwo dazwischenliegt. Das heißt so grob gesagt, fast jeder zweite Geimpfte kann im Grunde genommen das Virus weitergeben. Und das beobachten wir ja auch im Infektionsgeschehen, das jetzt langsam die Zahl derer, die geimpft sind und im Krankenhaus landen, Richtung 50 Prozent geht. Das haben wir überall auch in anderen Ländern gesehen. Es war vorhersehbar. Wir haben ja die Daten aus Israel beobachtet. Es ist für einige, sage ich mal Politiker, habe ich so den Eindruck doch trotzdem eine gewisse Überraschung. Weil man halt zum Teil dran geglaubt hat, es gäbe so was wie Herden-Immunität oder sterile Immunität bei der Impfung. Das ist aber, glaube ich jetzt für uns nie ein Thema gewesen. Sodass man sagen muss, die Situation, die wir jetzt haben, ist eine Durchseuchung, die stattfindet quasi

zum großen Teil, als Infektion bei Geimpften und vielleicht auch bei Genesenen.

0:04:58


Camillo Schumann


Aber jetzt ist das, wenn ich die Zeit vergleiche mit vor einem Jahr, eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis im Herbst 2021, oder?

0:05:08


Alexander Kekulé

Für mich eigentlich nicht. Also man muss ja immer überlegen, was wollte man eigentlich und an was hat man geglaubt? Ja also für diejenigen, ich höre es bei Ihnen so ein bisschen aus der Frage raus. Für die, die vielleicht gehofft haben, dass wir so etwas wie Herden-Immunität erzeugen. Und ja, das haben die Behörden und auch viele Fachleute so als Wurst der Bevölkerung immer vor die Nase gehängt. Für die ist es ernüchternd. Aber wenn man von vornherein davon ausgegangen ist, dass es diese Herdenimmunität bei diesem Sars-Covid-2 nicht gibt. Und wenn wir das im Laufe der Monate, der letzten, auch eigentlich über ein Jahr der Pandemie auch belegt bekommen haben anhand der zunehmenden Varianten. Delta ist ja nur ein Beispiel, was sich jetzt durchgesetzt hat. Dann ist es nicht ernüchternd, sondern was jetzt passiert ist, wir haben die Impfung. Die Impfung ist, wenn Sie so wollen, so eine Art Versicherung. Die macht eine Art Kappungsgrenze für die Sterblichkeit und für die Krankenhauseinweisungen, das heißt letztlich dann für die Überlastung der Gesundheitssysteme. Durch diesen Dämpfer, der da drinnen ist bei der Impfung. Da ist die, wenn man so will... Das Wort ist ein bisschen heikel, aber da ist die letztlich in Kauf genommene Durchseuchung der Bevölkerung ein wesentlich geringeres Problem. Also wir impfen uns. Und dann nehmen wir es mit dem Virus auch auf normalem Wege auf, weil wir dann typischerweise nicht mehr daran sterben oder ins Krankenhaus müssen, sondern im Gegenteil für Genesene und Geimpfte letztlich den Immunschutz verbreitern.

0:06:37


Camillo Schumann


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Aber nichtsdestotrotz haben wir dieses Jahr fast doppelt so viele hospitalisierte Menschen mit Covid 19 als noch vor einem Jahr. Und da hatten wir die Impfung nicht.

0:06:46


Alexander Kekulé

Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Ich glaube, das würde ich jetzt nicht überbewerten. Es wird die Hospitalisierungsrate und die Sterblichkeit jetzt bloß, weil sie im Moment sozusagen von der Position in der Welle höher ist. Die wird deswegen nicht vom Maximalwert her höher werden als bei der bei der letzten Welle vor einem Jahr. Der Grund ist der: man muss immer überlegen, aus welcher Position man startet in so eine Welle.

Wir haben letztes Jahr die Reiserückkehrer gehabt. Da gab es das, was ich Neus-Effekt genannt habe. Die Reiserückkehrer machen kleine Zellen, sag ich mal von Infektionen. Und wenn das immer mehr und immer mehr werden, dann kommt es irgendwann zurzeit zu so einem Schub bei der Gesamtinzidenz. Diesmal sind wir ja aus Sicht des Virus aus einer wesentlich komfortableren Situation gestartet. Wir hatten ja schon flächendeckend diffuse Infektionen im Land. Also das war ja schon von Anfang an da, die sind ein bisschen runtergegangen im Sommer. Die gehen natürlich auch runter mit den Impfungen und mit den ganzen sonstigen Gegenmaßnahmen, die wir haben. Aber das Virus ist ja sozusagen immer und überall schon zu Beginn dieser Welle. Und wenn Sie dann irgendwie die kältere Jahreszeit haben, bisschen locker lassen, dann kommt einfach der Anstieg schneller. Sodass es für mich eher, wenn Sie so wollen, ein dynamisches Problem ist. Was mit der Geschwindigkeit des Anstiegs zu tun hat und nicht so sehr mit der Frage wie schlimm wird es am Ende?


Camillo Schumann


Also da ist auch so ein bisschen Delta schuld?


Alexander Kekulé

Da ist Delta schuld. Natürlich es spielt auch eine Rolle. Aber Delta ist natürlich ... Hoffen darf man. So sehen die Daten zumindest nach wie vor aus. Bezüglich der Schwere der Erkrankungen kein Problem. Es macht mehr Erkrankungen, weil es einfach stärker ansteckend ist.

Da entwickelt sich das Virus munter weiter. Aber dadurch, dass wir eben zugleich den Immunschutz haben in der in der Bevölkerung werden die Krankheitsverläufe im Durchschnitt nicht schwerer, sondern im Gegenteil sogar leichter.

0:08:51


Camillo Schumann


Was möglicherweise nach Delta kommt, wollen wir noch besprechen. Schwere Impf-Durchbrüche oder Impf-Durchbrüche allgemein. Sie haben es ja schon gesagt. Das ist jetzt unser Thema hier im Herbst. Es gibt ja auch prominente Beispiele. Der ehemalige amerikanische Außenminister Colin Powell zum Beispiel ist trotz vollständiger Impfung gestorben. Man muss dazu sagen, er ist 84 Jahre alt geworden.

Die Sängerin Patricia Kelly trotz durchgemachter Infektion und vollständiger Impfung war offenbar mit einem schweren Verlauf in der Klinik. Ihr geht es wieder ein bisschen besser. Sie ist um die 50.

Dann gibt es Berichte aus dem Freundeskreis. Gestern hat mir ein Bekannter erzählt, dass ein vollständig geimpfter 17-Jähriger seine komplette geimpfte Familie angesteckt hat, alle mit Symptomen. Und diese Liste, die könnte man ewig fortsetzen. Zahlen des Robert Koch-Instituts: Der Anteil wahrscheinlicher Impf-Durchbrüche unter symptomatischen Covid 19 Fällen, 55 Prozent und fast 40 Prozent der Patienten, die aktuell mit Covid 19 auf der Intensivstation behandelt werden, sind wahrscheinliche Impfdurchbrüche. Soweit der Stand hier aus Deutschland. Und wenn man sich aktuelle Zahlen aus Großbritannien anschaut, dann scheint sich diese Lage zu manifestieren, oder?

0:09:59


Alexander Kekulé

Man muss trotzdem einzelne Fälle bisschen unterscheiden. Wenn ein 17-Jähriger seine komplett geimpfte Familie er selbst ist geimpft, die Familie ist auch geimpft alle ansteckt. Dann hat man einfach diese Situation. Ja, das ist die Welle der Geimpften, die hier stattfindet. Und die ja häufig gar nicht erkannt wird oder zumindest nicht gemeldet wird. Manche Familien merken schon, da ist irgendetwas los, aber vermeiden natürlich dann,

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weil sie glauben, dass es glimpflich verlaufen wird, den Kontakt zum Arzt. Colin Powell haben sie erwähnt. Dass ist vielleicht ein wichtiger Punkt. Colin Powell ist ja nun jemand, der als ehemaliger General, Vier-Sterne-General und Außenminister hervorragend geschützt war in USA. Der war über 80. Zusätzlich muss man vielleicht dazusagen, er hat zusätzlich ein besonderes Risiko gehabt. Er hatte vor einigen Jahren mal eine Blutkrebserkrankung, die eigentlich erfolgreich therapiert worden war, sodass man jetzt spekulieren darf. Genau bekannt ist es nicht, dass er möglicherweise auf die Impfung weniger gut reagiert hat, also, dass er quasi als eine Art Non-Responder war. Es stand doch angeblich eine Booster-Impfung bei ihm an. Und gerade an dem Tag, als diese Booster-Impfung stattfinden sollte, hat der morgens die Symptome gehabt und deshalb die Impfung abgesagt. Vielleicht kann man Folgendes sagen nur so zum Verständnis.

Die Impfung macht uns eben sicherer. Sie wappnet uns quasi für die Durchseuchung, die dann trotzdem noch stattfindet. Also die Impfung ist nicht sozusagen statt Durchseuchung, sondern ist so eine Art gute Vorbereitung. Man geht sozusagen mit einer warmen Jacke in den Winter raus. Aber wir müssen trotzdem hinterher raus in die Kälte. Also dieses Dogma, was es da mal gab, nicht tot oder Taufe. Sondern Impfung oder Infektion. Das hat eben nicht gestimmt. Sondern die Formel heißt leider Impfung und dann wahrscheinlich auch noch Infektion zusätzlich. Nur das ist letztlich der wirksamste Schutz, den wir haben. Oder vielleicht andersherum gesagt der aller wirksamste Schutz für die Risikogruppen, das kann man aus der Geschichte von Colin Powell ganz gut mitnehmen. Der aller wirksamste Schutz ist eben, die Inzidenz niedrig zu halten. Also weil wir immer noch vulnerablen Gruppen haben, auch die Geimpften sind, wenn sie älter sind, in Gefahr. Bei älteren Menschen wirkt die Impfung schlechter, und die kommen trotzdem ja auch ins Krankenhaus. Und deshalb muss man sagen, wir können nicht die Inzidenz einfach ins Kraut schießen lassen, weil wir eben für die Risikogruppen, auch wenn sie geimpft sind, keine andere haben als eine gewisse Kontrolle bei dieser Durchseuchung zu behalten.

0:12:46


Camillo Schumann


Um jetzt auf die Studie auf die britische Studie React zu kommen, die regelmäßig durchgeführt wird. Und die ja auch eine gute Grundlage dafür gibt, die aktuelle Situation zu bewerten. Mit der sozusagen Verstetigung der ImpfDurchbrüchen und auch mit dem abnehmenden Impfschutz im Laufe der Zeit. Was kann man zu diesen Daten sagen?

0:13:06


Alexander Kekulé

Die Briten haben ja diese React-Studie, React eins heißt die eigentlich. Das ist ein Kunstwort, mal wieder für Realtime assessment of Community Transmission, also eine Echtzeit-Feststellung von Übertragungen in der Gesellschaft. Das machen die schon seit fast Anfang der Pandemie. Sie nehmen regelmäßig von so Kontrollgruppen, zufällig ausgewählten Gruppen in ganz England wird die gemacht. Da nehmen die Nasenabstriche und alle sind über fünf Jahre alt. Und dann gucken sie eben, wie häufig tritt sozusagen dort die Infektion auf. Und aktuell ist jetzt das eine, was wir schon auch aus Deutschland kennen, das höchste Auftreten positiver Tests, also die höchste Prävalenz sagt man in dem Fall. Da ist bei den jüngeren Altersgruppe fünf bis siebzehn. Da sind ungefähr 2,3 bis 2,5 Prozent aller Tests positiv gewesen. Das ist klar, die Älteren sind geimpft, die Jüngeren sind jetzt in die Schule gekommen und so weiter. Eigentlich genau die gleiche Situation wie bei uns. Was dort auch noch einmal bestätigt wurde, ist, dass der Schutz vor Infektionen bei AstraZeneca ziemlich schlecht ist. Nur 45 Prozent. Wir haben es jetzt dort auch mit der Delta-Variante zu tun. Biontech in dieser Studie etwas besser, 71 Prozent Schutz vor Infektionen, also nicht vor Erkrankung, sondern vor Infektion. Aber warum ich diese Studie jetzt so ein bisschen bedenklich finde und wichtig finde ... Wir sehen an der Studie, da hat man auch den Zeitverlauf sich natürlich angeschaut. Und man sieht, dass etwa drei bis sechs Monate nach der Impfung der Schutz messbar nachlässt. Also egal wie gut der am Anfang war. Nach drei bis sechs Monaten wird es wirklich schlechter. Mal so in konkreten Zahlen. Von den Ungeimpften, wenn man da diese

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ganzen Nasenabstriche in England gemacht hat. Da waren 1,8 Prozent ungefähr positiv, also von beliebig zufällig ausgewählten Ungeimpften, 1,8 Prozent positiv. Gar nicht so wenig, finde ich eigentlich. Und dann ist es so, dass man kurz nach der Impfung, also in den ersten drei Monaten geht es runter auf 0,35 Prozent. Aber eben dann Richtung sechs Monate wieder rauf auf 0, 55 Prozent. Das heißt, das entwickelt sich dahin, dass also insbesondere, wenn man länger wartet, sechs Monate etwa. Dass dann tatsächlich der Impfschutz wirklich nachlässt. Und das ist hier gezeigt an dieser React-Studie. Aber das bezieht auf die Infektiosität, nicht auf die schweren Erkrankungen und nicht auf die Krankenhauseinweisungen oder auch Todesfälle.

0:15:43


Camillo Schumann


Also ein weiterer Beleg eigentlich dafür, dass Booster-Impfungen sinnvoll ist?


Alexander Kekulé

So sagen es, so interpretieren es die Briten. Die Studienautoren sagen, da hilft nur Boostern. Nur noch mal zur Erinnerung. Klar, das wird man natürlich machen. Das ist auch richtig, dass die STIKO das jetzt erstmal für Ü70 empfohlen hat. Man wird beim Boostern letztlich die Frage beantworten müssen, wie lange hält das dann an? Vielleicht ist es nur so ein Kurzzeiteffekt, mit dem ... Was zu tun hat mit dem angeborenen Immunsystem. Und dann müsste man nach drei Monaten gleich wieder Boostern oder nach sechs. Also ob man sozusagen, indem man bei Delta mit dem gleichen ja nicht sehr gut passenden Impfstoff noch mal draufhaut. Ob das sozusagen den Langzeiteffekt dann gibt, das ist völlig unklar. Wenn es so wäre, wäre ich auch für die Booster-Impfung generell. Aber mein Eindruck ist, wir werden uns eher auf das andere Szenario einstellen müssen. Die Leute sollen geimpft sein. Diejenigen, die wie Colin Powell oder andere Menschen mit hohem Risiko sogenannte Non-Responders sind, wo die die Impfung also versagt hat. Die brauchen relativ früh den Booster. Eigentlich eine Erweiterung der Grundimmunisierung. Und bei allen anderen meine ich, bei den Varianten, die da noch kommen. Und das

Virus verändert sich. Da müssen wir uns einfach darauf einstellen. Man kriegt halt dann irgendwann Covid. Und das ist eigentlich besser als die Impfung was dann passiert.

0:17:05


Camillo Schumann


Aber gab es schon mal in der Geschichte eine Viruserkrankung, wo man sich in einer Saison drei, vier Spritzen in den Armen jagen muss, um einigermaßen durchzukommen?

0:17:15


Alexander Kekulé

Nein, das gab es nicht so. Das ist ganz klar. Also selbst wenn man die Lage in UK anschaut, das ist ja für uns immer so ein bisschen das freundliche Testlabor von nebenan. Da ist es so, die impfen ja wie die Weltmeister, die boostern jetzt auch. Weil Boris Johnson, der Premierminister, natürlich jetzt Stärke zeigen will, nachdem er aufgemacht hat und die Fallzahlen so nach oben gehen. Da ist einfach die psychologische Reaktion, dass dann geimpft wird auf Teufel komm raus. Die Pharmaindustrie freut sich natürlich. Ich glaube, da müssen wir sehen, dass wir jetzt in den nächsten Wochen ein Augenmaß dafür entwickeln. Also, dass wir wirklich sehen, wie viel Impfung brauchen wir eigentlich? Wo geht es da eigentlich hin? Ich sage mal in UK, im Vereinigten Königreich ist es ja gerade so: Die haben es geschafft, auf über 100 Todesfälle am Tag zu kommen. Also die haben gestern 124 Todesfälle am Montag gehabt und über 49.000 Neuinfektionen. Das ist der einer der höchsten Stände überhaupt seit Beginn der Pandemie. Der Maximalstand war dort 68.000 Anfang Januar. Das heißt also, die sind jetzt so richtig in der ganz dramatischen Welle drin, auch mit ansteigenden Hospitalisierungen und Todesfällen. Wenn das sozusagen einfach nur so weitergeht ohne zuzunehmen, können Sie hochrechnen: mit den hundert Fällen sage ich mal, Todesfällen pro Tag, dass Sie bis zum Ende der der der Erkältungssaison bis zum Winterende in der Größenordnung von 10.000 bis 20.000 Tote durch Covid haben.

Ja, jetzt ist die Frage, was macht die Politik damit? Also Sie können sagen, ja gut bei der Influenza gab es auch schon mal 25.000 Tote in einer Saison. Lassen wir einfach laufen. Oder

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man sagt, also das können wir absichtlich nicht machen. Und dann kommen Sie eben dahin, dass Sie sagen, ja, dann wird eben geboostert und geimpft, was das Zeug hält. Und klar, das gab es noch nie, dass man quasi in einer Saison dreimal geimpft werden musste,

0:19:13


Camillo Schumann


Weil Sie gerade gesagt haben, was macht die Politik dann. Und dann fiel auch vorher eine Aussage, von Ihnen der Begriff Augenmaß. Womit wir beim nächsten Thema sind. In dieser Situation, die wir auch für Deutschland beschrieben haben, hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt für ein Auslaufen der sogenannten epidemischen Lage nationaler Tragweite ausgesprochen. Die Regelung, wir erinnern uns, wurde im März 2020 beschlossen, besteht also fast anderthalb Jahre und könnte nun am 25. November auslaufen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat in einem Interview gesagt, klar ist, wenn der Bundestag die epidemische Lage nicht mehr verlängert, dann bedeutet dies wohl das Ende aller Sicherheitsauflagen. Denn nur das Feststellen der epidemischen Lage ist Basis und Rechtsgrundlage für die Infektionsschutzverordnung der Länder. Dann hätten wir Ende November indirekt den Freedom Day. Ja, das sind doch mal Aussichten. Was sagen Sie dazu?

0:20:09


Alexander Kekulé

Ja, der Söder oder wahrscheinlich sein juristischer Berater haben aus meiner Sicht recht. Also es ist so. Es ist halt so, dass die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Ländern, konkurrierende Gesetzgebung heißt: Wenn der Bund das an sich gezogen hat und ein Gesetz dazu hat, dann haben die Länder zu parieren. Und sonst dürften rein theoretisch die Länder eigene Gesetze erlassen. Richtigerweise gibt es das Infektionsschutzgesetz als Bundesgesetz schon ziemlich lange. Weil man eben gesagt hat, in bestimmten Situationen muss das vom Bund geregelt werden. Die Ausführungsverordnungen machen dann trotzdem in der Regel die Länder, und zwar deshalb, weil die Länder ja im födera-

len System weiterhin grundsätzlich für die Gesundheit zuständig bleiben. Und deshalb stimmt es, wenn Sie jetzt zum Beispiel das bayrische, ich weiß nicht, wie die heißt, Infektionsschutzverordnung oder Corona-Schutzverordnung oder so was nehmen. Da steht dann oben in der ersten Zeile drüber, aufgrund Paragraf fünf, Absatz sowieso des Infektionsschutzgesetzes des Bundes erlässt also die bayerische Landesregierung folgende Verordnung. Das ist quasi die Überschrift, die immer in allen anderen Ländern natürlich auch ist. Die Grundlage für eine Verordnung muss ja immer ein Gesetz sein. Kleiner Exkurs in die Sozialkunde. Es ist ja so, dass der Souverän, das Volk muss sich die Gesetze selber machen. Das können nur die Parlamente, also die Legislative. Und da steht aber dann manchmal eine sogenannte Ermächtigung drinnen, dass in bestimmten Situationen die Exekutive so kleinere Sachen aus dem Ärmel lösen darf. Und das sind die Verordnungen, die dann die Landesregierungen zum Beispiel erlassen. Aber das geht nur mit der Ermächtigung. Und wenn aber in der Ermächtigung, wenn das hier im Bundesgesetz ist, wenn da drinnen steht, ihr dürft das nur machen, wenn diese pandemische Lage, epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt wurde. Dann fallen auch die ganzen Verordnungen hinten runter. Und wir sehen ja in den letzten Wochen, dass die Verwaltungsgerichte da jetzt das gerade sehr streng durchleuchten, was da in der Pandemie so passiert ist. Da wird also kein Land es wagen, wenn die Bundesverordnung weg ist, wenn das Bundesgesetz quasi wegfällt, ohne Ermächtigung eine Verordnung zu erlassen. Und da kann ja jeder mal den 28 a im Infektionsschutzgesetz sich anschauen. Also da geht es von Abstandsgeboten, Mund-Nasen-Schutz, Vorlage von Genesenen-Nachweis, also die ganze GGG-Geschichte. All das hängt an dem 28 a des Infektionsschutzgesetzes dran. Nur dann darf, zumindest sehe ich das so, ein Land eine Verordnung erlassen auf dieser Basis. Die Verordnungen werden also an dem Tag quasi alle unwirksam. Außer das Land, jedes der Bundesländer würde sich dann quasi sein eigenes Landes-IInfektionsschutzgesetz basteln. Also viel Spaß damit?

0:23:07


Camillo Schumann


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Ja gut, aber kann ja passieren. Das war sozusagen der kleine juristische Grundkurs, wie das alles miteinander zusammenhängt. Die Frage aber, die vorneweg steht, ist ja , am 25. November sollte es tatsächlich auslaufen. Klammer auf, Herr Spahn kann sich ja vier wünschen. Die Gesundheitsminister der Länder beziehungsweise das Parlament, der Bundestag muss darüber abstimmen. Klammer zu. Kann man denn jetzt schon abschätzen, wir haben den 19. Oktober, wie es am 25. November in Deutschland aussieht, was die Pandemie angeht?

0:23:40


Alexander Kekulé

Also abschätzen kann ich, dass wahrscheinlich Herr Spahn irgendwann nicht mehr Gesundheitsminister sein wird in der neuen Regierung und diese Ermächtigung sozusagen für ihn keine Rolle mehr spielen wird. Was man absolut nicht abschätzen kann, ist, wie die Pandemie weitergeht. Also die Szenarien des Robert Koch-Instituts, der STIKO des Bundesgesundheitsministers Spahn sehen ja so aus, dass die sagen 500er Inzidenz als Durchschnitt in Deutschland. Spahn hat, glaube ich, mal von 800 gesprochen, wenn es richtig in Erinnerung habe. Also, und jetzt würde ich da jetzt ungerne Gegenrede halten wollen, dass ich ganz sicher bin, dass es nur zu hundert bis 200 kommt, was ich mal so in einen Raum geworfen habe. Das weiß doch keiner von uns. Deshalb plädiere ich eigentlich dafür, zu warten, bis dann der Termin gekommen ist, das vernünftig zu diskutieren und hier mit so einer Forderung quasi das Amt dann abzugeben, die so weit in die Zukunft reicht und die so eine Daumenpeilung ist. Das ist schon sportlich. Also die Grundlage ist ja für den Bundestag, sie müssen feststellen, ob hier eine bedrohliche, übertragbare Krankheit sich dynamisch ausbreitet. Das steht im Paragraf fünf des Infektionsschutzgesetzes drinnen. Und da würde ich mal sagen, ja das ist ja ohne Frage so. Und es soll sich über mehrere Länder eben ausbreiten. Mehrere Bundesländer. Und das ist ja auch ohne Frage so. Die Frage ist halt, die müssten letztlich dann sagen, okay, aus ärztlicher Sicht es ist eine gefährliche, bedrohliche Krankheit. Wir, der Deutsche Bundestag findet das aber nicht mehr bedrohlich. Ich glaube nicht, dass

sie das machen. Also wenn jetzt die Inzidenz nicht bei 20 ist, bis dahin, was ich für sehr unwahrscheinlich halte. Dann werden die das nicht machen und da quasi den gesamten pandemischen Gegenmaßnahmen den Hahn abdrehen. Ich finde schon, diese Ankündigung ist gefährlich, weil natürlich wir ja in Deutschland mit gutem Grund Menschen haben, die sagen, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Für mich ist diese Pandemie jetzt zu Ende. Und für die ist es natürlich dann Wasser auf die Mühlen, wenn der Bundesgesundheitsminister quasi ankündigt, dass man die Pandemie wieder abschalten wird, also zumindest von der Verwaltungsebene die Pandemie wieder ausschaltet.

0:26:01


Camillo Schumann


Aber offenbar der Grund für Spahns Plädoyer, sich für ein Auslaufen dieser Lage auszusprechen, war wohl, dass das Robert Koch-Institut die Gefährdungslage für geimpfte Person und die Gefahr einer Überforderung des Gesundheitswesens mittlerweile nur noch als moderat einstuft. das ist ja tatsächlich so. Das steht ja in den in Wochenberichten, in den täglichen Berichten ja drin. Also es ist eine moderate Gefährdung. Das ist keine Grundlage?

0:26:29


Alexander Kekulé

Das sind eben diese zwei Parameter. Das eine ist die Frage, wie stark ist die Gesundheitsgefährdung für die Geimpften selbst? Da würde ich mal sagen, so ganz einfach ist es nicht. Also wir haben ja jetzt auch Fälle, wo Geimpfte sterben. Die Impfung hat so eine Art Wirkungs-Maximum, wo sie am besten funktioniert. Und das sind die Menschen so im mittleren Lebensalter. Ich sag mal so, zwischen 25 und 60 so in dem Zeitraum ist es so, da macht die Impfung den ganz großen Unterschied. Faktor 20 ungefähr bei der Vermeidung von Todesfällen.


Camillo Schumann


Da habe ich Glück.


Alexander Kekulé

Da haben Sie natürlich Ihr Alter geoutet ungefähr. Aber da haben Sie Glück gehabt. Bei den Jüngeren kann man das kaum messen. Da gibt

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es kaum Daten darüber, weil da so wenig gestorben wird, dass man auch nicht feststellen kann, was die Impfung bringt. Für diese Altersgruppe. Bei den Älteren ist die traurige Nachricht, da ist die Schutzwirkung schwächer. Da haben Sie so einen Faktor je nach Studie zwischen fünffach oder ungefähr fünffach, sage ich mal, verringern sie ihre SterbensWahrscheinlichkeit, wenn Sie viele Risikofaktoren haben. Also Colin Powell ist gestorben, die Wahrscheinlichkeit dafür war wahrscheinlich ein um Faktor fünf geringer, als wenn er ungeimpft gewesen wäre. Aber Faktor fünf ist eben auch noch ein Risiko, was relevant ist, vor allem, wenn Sie viele Menschen haben, die in der Altersgruppe sind. Das heißt also, wir haben dieses Thema, dass bei den Risikogruppen diese Impfung ausgerechnet nicht so gut schützt vor tödlichen Verläufen und schweren Verläufen.

Und wir haben natürlich noch unsere 3 Millionen mehr oder minder Ungeimpften. Die auch alt sind. Das alles zusammen macht aus meiner Sicht, da war ich schon immer ein bisschen optimistischer, so wie wir jetzt aufgestellt sind. Das macht kein Risiko mehr für eine Überlastung der Krankenhäuser. Also seit wir angefangen haben, diese Pandemie wirklich jetzt systematisch zu bekämpfen. Das war ja leider dann eigentlich so richtig erst im Laufe der zweiten großen Welle. Wo wir die Masken haben, wo wir Abstand verstanden haben, dass es in geschlossenen Räumen diese Aerosole gibt und so weiter. Vor allem auch die Altenheime geschützt haben und das medizinische Personal in den Krankenhäusern und Altenheimen geschützt haben. Egal, ob das jetzt für die mit der Impfung war oder vorher eben mit anderen Methoden. Seitdem sehe ich eigentlich nicht mehr, dass diese akute Überlastung des gesamten deutschen Gesundheitssystems eine Gefahr wäre. Und da ist es richtig, das RKI hat das jetzt auch festgestellt, dass wir im Herbst natürlich diese Gefahr nicht haben werden. Ich glaube, es ist möglich, dass wir lokale Überlastungen haben werden, regional, irgendwo, dass man dann eben mehr Spezialtransporte braucht, um Patienten zu verlegen. Aber insgesamt als Bundesrepublik haben wir ja, sage ich mal, doch ein sehr komfortables Polster an Zusatzbetten und an Überkapazitäten in den Krankenhäusern. Das hilft in dieser Lage.

0:29:29


Camillo Schumann


Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat angesichts der Corona-Impfquote in Deutschland jetzt kein Bedenken dagegen, die sogenannte epidemische Lage nationaler Tragweite auslaufen zu lassen. Ich kann den Schritt nachvollziehen und halte das auch für unproblematisch. Das hat der Hauptgeschäftsführer Gerhard Gas dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Und Herr Spahn hat das ja genauso gerade formuliert wie Sie, dass es selbstverständlich regionale Überlastungen geben könnte. Da sollen sich dann aber auch die Bundesländer drum kümmern.

0:30:00


Alexander Kekulé

Ja, aber die Frage ist doch letztlich, welchen Parameter nehmen wird da. Das ist so das gleiche Thema wie bei dem Satz, die Inzidenz hätte als Steuerungs-Parameter ausgedient. Natürlich hat die Inzidenz nicht ausgedient. Weil wir nicht sagen können, wenn da 20.000 Leute sterben, um mal so ein Beispiel zu nehmen, was jetzt quasi von England rüber projiziert wäre. Wir haben ja in Deutschland paar mehr Menschen, und wir werden es wahrscheinlich Richtung 30.000 bei uns. Da können wir nicht sagen, das nehmen wir jetzt mal in Kauf ohne weitere Diskussion. Und wir machen das. Und Hauptsache, die Krankenhäuser sind nicht überlastet. Wenn Sie die 20.000 Grippetoten haben, die es schon mal gab. Übrigens werden die ganz anders berechnet, muss man noch mal sagen. Es ist ja Access Sterblichkeit, die dürfte in Deutschland gar nicht so weit weg sein von den genannten Zahlen bei Covid. Aber er wird anders berechnet.

Wenn Sie diese Krippen Grippetoten haben. Die würden ja auch nicht die Krankenhäuser überlasten. Wir haben doch noch nie während der Grippesaison völlig überlastete Krankenhäuser in Deutschland gehabt. Ich finde, man muss es einfach diskutieren. Das ist eine Sache, die müsste man wirklich politisch machen, hätte man vielleicht vor den Wahlen machen sollen oder spätestens jetzt dann im Deutschen Bundestag. Und da muss man einfach

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die Frage stellen, wie viele Tote sind noch tolerabel. Ich sage das mal absichtlich. Aber es ist es ist ja letztlich die Frage, um die es geht. Also wegen hundert Toten würde man wahrscheinlich den ganzen Zinnober nicht machen. So brutal das klingt, vor allem für die, die dann sterben und deren Angehörige. Und wegen 100.000 würde man auf jeden Fall was tun. Und dazwischen ist sozusagen der Handlungsspielraum jetzt der Politik. Und wir haben paar 90.000 Tote jetzt in Deutschland. Ich glaube, 94.000 ist die Zahl in der Größenordnung. Davon hätte man viele, viele vermeiden können. Und wenn man jetzt sagt gut, pack noch 10.000 drauf, damit wir in diesem Winter die die pandemische Lage offiziell beenden können. Dann ist es eine politische Entscheidung. Also mich als Arzt dürfen Sie nicht fragen. Ich wäre natürlich dagegen, sowas zu machen. Aber dafür gibt es ja immer beide Seiten. Ja, wir wissen ja auch nicht, wie die Ressortverteilung dann sein wird nach der Bundestagswahl. Und es gibt andere wichtige Dinge auch natürlich, wenn unsere Wirtschaft völlig stranguliert wird. Irgendwann darf man alle Argumente erst mal in den Raum stellen. Und man kann ja offen sagen... Das machen natürlich andere Länder als wir. Also andere Länder sind ja so, dass die wirklich, wenn ich jetzt mal an Russland denke oder an China denke, die beschönigen die Pandemie-Zahlen. Und die lassen die Wirtschaft wieder anspringen, weil die einfach sagen, wir können uns das nicht mehr leisten, hier sozusagen alles zuzumachen und die Bevölkerung zu drangsalieren.

Aber ich plädiere eben da immer erstens für einen sehr offenen Dialog. Und zweitens bin ich dafür, dass man höllisch aufpasst, dass man nicht irgendwie sagt, ja, die sind ja selber schuld, weil sie nicht geimpft sind. Plötzlich trifft es dann eben auch mal Geimpfte, die in den Risikogruppen sind. Und da müssen wir als Gesellschaft schon zusammenhalten und gemeinsam überlegen, wie weit wir da ins Risiko gehen wollen diesen Winter.


Camillo Schumann


Also drei Monate, wird man noch mal durchhalten. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite sollte noch mal um drei Monate verlängert werden, wenn ich Sie richtig verstanden habe.


Alexander Kekulé

Genau, das ist ja so. Ich glaube, nach drei Monaten muss der Bundestag entscheiden, ob er es verlängert. Und das halte ich in dem Fall jetzt ohne Wenn und Aber zumindest, wenn Sie vom heutigen Datum aussprechen, halte ich das für den richtigen Plan. Wenn sich die Zahlen nicht dramatisch ändern bis Ende November, würde ich sagen, ist es vernünftig, das im Winter so zu machen. Zumal es eher mit hoher Wahrscheinlichkeit die letzten drei Monate sind, wo wir diese Maßnahmen brauchen.

0:33:52


Camillo Schumann


Wir haben den Diskussions-Aufschlag gemacht. Ist ja noch ein bisschen hin bis Ende November. Mal sehen, wie dann die Entscheidung ausfällt. Werden wir natürlich begleiten hier im Podcast. Es klang schon an, die Delta-Variante. Sie ist ja die vorherrschende Variante in Deutschland. Nahezu hundert Prozent aller Infektionen sind auf diese Variante zurückzuführen. Seit etwa Ende Juni ist sie dominant, und seitdem hat es keine andere Variante auch nur ansatzweise geschafft, ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die Gamma-Variante hat es mal versucht, der ging aber auch relativ schnell die Puste aus. Ganz kurz, bevor wir über Perspektiven von Varianten sprechen. Warum ist diese Delta Variante eigentlich so erfolgreich?

0:34:31


Alexander Kekulé

Naja, die ist ganz simpel 50 Prozent leichter übertragbar als die Alpha-Variante, und die Alpha-Variante war auch 50 Prozent leichter übertragbar, als der Typ, den es davor gab, der in Norditalien aufgetreten ist. Und der war wiederum, da weiß man die Zahlen nicht so genau, weil das ganz am Anfang war, wahrscheinlich auch in der gleichen Größenordnung infektiöser als das, was ursprünglich in Wuhan war. Und deshalb haben wir letztlich auch einen Strategiewechsel von den Gegenmaßnahmen. Wenn man jetzt zurückblickt, damals in Wuhan, da war es ja so, dass eigentlich klar war aus China, dass man mit den klassischen konventionellen Maßnahmen, also Absperrung, Züge stehen lassen, Straßen und Autobahnen zu und so weiter. Und die Menschen in

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Isolation bringen möglichst schnell, wenn sie krank sind. Dass man da mal damit die Lage wirklich in den Griff bekommt, das haben die Chinesen ja vorgemacht. Das ging am Anfang auch mit den ersten Satelliten Ausbrüchen. Es gab sogar Ausbrüche, die haben sich von selber beendet haben. Wir wissen heute, dass es Ausbrüche dieser ersten Varianten des Virus gab, zum Beispiel in Nordamerika, die gar nicht als solche erkannt wurden. Da hat man erst hinterher festgestellt, hoppla, das war ja Covid. Und das ist von selber ausgelaufen. Einfach so. Und mit dieser hochinfektiösen Variante haben wir jetzt eine andere Situation. Da ist es so ähnlich wie bei der Influenza. Da wissen wir zum Beispiel bei der Influenza-Pandemie, dass es wenig Sinn hat, durch Grenzsperrungen wirklich die Pandemie aufzuhalten. Da gewinnt man nur ganz, ganz wenig. Und die WHO hat bezüglich der Influenza ja mal gesagt, das hat deshalb keinen Sinn, Grenzen zuzumachen. Das kommt ein paar Wochen später dann in der gleichen Stärke. Und der Nachteil von so Grenzschließungen, das überwiegt sozusagen die Vorteile.

Dieser Fehler war der Grund, warum man am Anfang die Grenzen eben nicht geschlossen hat. Weil man gedacht hat, weiß nicht warum, das ist so etwas Ähnliches wie Influenza. War es ja damals noch nicht. Aber heute gilt es, heute ist es so. Delta, das ist das Besondere an der Delta-Variante, da haben Sie im Grunde genommen diese hohe Infektiosität, wo diese Abgrenzungsmaßnahmen, die klassischen Cordon Sanitär, wie man das genannt hat aus dem Mittelalter von der Pest schon entwickelt hat, wo das eben nicht mehr funktioniert. Und deshalb hat die sich ausgebreitet, die ist einfach nur infektiöser. Und natürlich jetzt auch hat sie sozusagen, gerade wenn man so will, die Oberhand dadurch, dass unsere Impfstoffe eben alle noch fabriziert sind gegen den ursprünglichen Wuhan Typ. Ich finde ja, die Industrie sollte wirklich mal an ein Update denken. Solange man hier die neue Version der Impfstoffe nicht hat, setzt sich das Virus eben durch Durchbruchs-Infektionen durch. Und dadurch breitet sich Delta munter aus, also schnellere Verbreitung und Durchbrüche bei Geimpften oder auch Zweitinfektionen bei Infizierten, die vorher kein Delta hatten.

0:37:26


Camillo Schumann


Früher war es ja so, dass Deutschland neidisch in andere Länder geschaut hat, denn dort wurden neue Varianten wesentlich schneller entdeckt. Wir haben dann nachgezogen, hatten dann Gesamtgenom-Sequentierungsquoten von 20 Prozent. Aber jetzt sind wir auf unter vier Prozent abgefallen. Verlieren wir da nicht auch den Blick für die Varianten?

18 0:37:52


Alexander Kekulé

Falls in Deutschland eine neue Variante erstmalig auftreten würde, stimmt es, dass man dadurch das natürlich nicht so schnell feststellt. Da muss man ein bisschen die Labore in Schutz nehmen. Wenn jetzt so wenige Infektionen auftreten in der Phase, wo es da wirklich wenig war im Sommer, dann müssen die da jedes Mal die Sequenzierungen anwerfen. Und es kommt jedes Mal nur raus Delta, Delta, Delta, Delta. Die müssen ja quasi die Nadel im Heuhaufen suchen. Und das lohnt sich nicht.


Camillo Schumann


Ist doch für Geld.


Alexander Kekulé

Das ist nicht wirklich kostendeckend, dass ist ja mehr wissenschaftliche Arbeit, die man da leistet. Und wissenschaftlich ist es auch so: Dadurch, dass eben praktisch alle Labore irgendwie versuchen, was zu sequenzieren oder was wegschicken zum Sequenzieren. Dadurch ist es jetzt auch nicht so ein originelles Arbeitsgebiet, wo man damit rechnen kann, dass man tolle Publikationen damit machen kann. Außer man findet jetzt die völlig exotische Variante irgendwo im Bayrischen Wald. Oder was weiß ich irgendwo im deutschen Hinterland. Aber ja, wir sind da nicht so gründlich. Und wir waren natürlich noch nie so systematisch, weil bei uns die Labore selber entscheiden, soll ich sequenzieren oder nicht. Wenn sie sequenzieren, sind sie verpflichtet, die Sequenz zu übermitteln. Aber wenn sie es nicht machen, kräht da letztlich kein Hahn danach. Die Briten sind da wesentlich strukturierter, weil die quasi das in zentrale Hände gegeben haben. Da gibt es zwei große Labore. Ich glaube, es sind zwei, die das

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machen. Das eine ist das Sanger Labor, was also nach dem Frederick Sanger benannt ist, der die Sequenziertechnik mal erfunden hat. Einer von den beiden, die das erfunden haben. Nobelpreis dafür gekriegt hat vor langer Zeit. Und dieses Labor ist eine Riesenfabrik, die nichts anderes macht, als in England die ganzen Covid-Isolate zu sequenzieren. Das ist deren Lebensbestimmung, und deshalb lassen die auch nicht locker und finden auch immer wieder neue Varianten.

0:39:47


Camillo Schumann


Wenn wir jetzt, sage ich mal, so ein bisschen unserer unsere Sequenzierungs-Quote deutlich reduziert haben, müssen wir dann wieder auf andere Länder schauen. Varianten unter Beobachtung und bedenkliche Varianten gibt es ja doch einige. Welche Variante hätte denn das Potenzial, künftig dominierend zu werden? Was, was geistert denn da so rum?

0:40:07


Alexander Kekulé

Also ich persönlich glaube, dass wir es noch eine ganze Weile mit dem sozusagen ganz normalen Delta zu tun haben werden. Aber es gibt Kollegen in England, die sind ja immer so besonders nervös an der Stelle, weil die sehen das eben auch besser als wir. Die haben jetzt gerade einen Lieblingskandidaten gefunden, der heißt A Y 4.2. Der hat eben noch keinen so einen schönen griechischen Namen. Adonis oder wie man die da nennen könnte. Was weiß ich. Irgendwelche, es gibt ja viele schöne griechische Namen. Aber es ist so A Y 4.2. Deshalb hat er noch keinen griechischen Buchstaben, weil der noch nicht als Variante unter Beobachtung gilt, sondern das ist noch gar nichts. Das ist noch der technische Name. A Y steht für zwei Mutationen im MS-Protein, also in diesem Spike. A heißt, weiß man noch aus der Chemie vielleicht, Alanin und Y ist die Abkürzung für Tyrosin, weil ein Y in der Aminosäure drin ist. Und diese zwei Aminosäuren, Alanin und Tyrosin sind da eben verändert. Und man weiß witziger Weise gar nicht genau, warum die sich schneller verbreitet. Aber dieses AY 4.2 sagen jetzt die Briten, das verbreitet sich ungefähr zehn bis 15 Prozent schneller als das normale

Delta, sozusagen ein Untertyp vom Delta. Und das ist unter Fachleuten jetzt gerade so ein Aufreger. Es gibt ungefähr 45 Untertypen vom Delta. Um mal so die Größenordnung einzuordnen. Aber der ist jetzt zu einer, der, wo man sagt, Mensch, der verbreitet sich in England schneller. Zehn Prozent nicht 50 Prozent mehr wie bei Delta gegenüber Alpha. Aber zehn Prozent. Ob das jetzt reicht, dass sich das jetzt wirklich durchsetzt. Falls die zehn Prozent überhaupt stimmen, weil solche ersten Schätzungen sind oft ungenau, weil man, diese sogenannten Founder-Effekte hat. Das Virus ist irgendwie neu in einer bestimmten Community. Was weiß ich, in England jetzt gerade, die jungen Menschen eben. Und wenn man da plötzlich ein höheres R hat, also eine schnellere Verbreitung, dann heißt es ja noch nicht unbedingt, dass es eine biologische Eigenschaft des Virus selber ist. Das kann ja auch mit dem Verhalten der Population zu tun haben. Aber das ist so, also ich würde mal wetten, wenn ich jetzt da sozusagen mir eine Flasche Sekt verdienen wollte. Bei uns ist ja die Währung immer der Piccolo, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Das AY 4.2 in den nächsten Tagen als Variante unter Beobachtungen klassifiziert wird und griechische Buchstaben bekommt.


Camillo Schumann


Welche nehmen wir?


Alexander Kekulé

Ich glaube, das griechische Alphabet ist schon ziemlich lustig.


Camillo Schumann


Gamma ist auch schon durch.


Alexander Kekulé

Na glaube ich auch alle möglichen. Omega wäre ja der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Also, da werden wir irgendwann mal Omega hören. Ist dann Schluss. Da gibt es ja denn Omega-Mann, das war mal so ein ganz dystopischer Science-Fiction-Film. Also sonst würde ich mal für das kyrillische Alphabet plädieren, sind auch schöne Buchstaben. Da kann man dann weitermachen. Aus virologischer Sicht macht es nicht so viel Sinn, den Schurken immer solche Namen zu geben. Ich finde, das

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personalisiert die immer so etwas unnützerweise. Aber wahrscheinlich wird es einen Buchstaben geben für AY 4.2.

0:43:17


Camillo Schumann


Wenn ich Sie richtig verstanden habe, da gibt es was, das schlummert da schon. Das entwickelt sich und hätte möglicherweise auch das Potenzial, uns dann den Herbst und Winter zu versauen?

0:43:28


Alexander Kekulé

Das nicht. Der Unterschied ist nicht eben diese zehn Prozent mehr. Selbst wenn das stimmen sollte, das ist nicht so viel zehn bis 15 Prozent schnellere Ausbreitung. Man muss das einfach so sehen: Das Virus optimiert sich, und es optimiert sich bis jetzt immer konvergent. Wir haben eine weltweite, konvergente Evolution, die da stattfindet. Das heißt: verschiedene Viren, die gar nichts miteinander zu tun haben, die auch keinen Sprechfunk miteinander haben oder anderweitig kommunizieren. Wie von Geisterhand haben die genau die gleichen äußeren Eigenschaften, die sie sich zulegen, um besser Menschen zu infizieren. Und zu diesen Eigenschaften gehören bestimmte Veränderungen, hauptsächlich im S-Protein oder fast ausschließlich im S-Protein, die dazu führen, dass das Virus einerseits infektiöser wird und andererseits den einen oder anderen Immunisierten eben doch noch mal anstecken kann. Zumindest auf den Schleimhäuten eine gewisse Virusvermehrung machen kann. Das ist für mich überhaupt nicht beunruhigend und auch überhaupt nicht überraschend. Sondern das ist das, was passiert. Bisschen Luft ist noch nach oben. Irgendwann ist dann so eine Maximalgrenze erreicht. Da wird das Virus dann als Coronavirus irgendwie an seine biologische Schallmauer stoßen, weil es einfach einen bestimmten Rezeptor hat, dieses ACE zwei. Und da kommt es dann auf die Rezeptor-Dichte, auf dem Zielgewebe an. Da kann das Virus nix dran drehen oder fast nichts dran drehen. Und dadurch ist dann irgendwann das Maximum erreicht bei dem natürlichen Reproduktionsrate.

Also R 0. Ich habe so das Gefühl, so zehn Prozent, 20 Prozent wären noch drinnen. Aber es wird jetzt nicht dreimal so gefährlich werden.

0:45:06


Camillo Schumann


Okay, also A Y 4.2 werden wir auf dem Zettel haben und ein Blick drauf haben, wie sich dieser unter Variante weiterentwickelt.

Herr Kekulé, lassen Sie uns über das Impfen reden. Es gibt ja noch Menschen, die nicht geimpft sind. Nicht weil sie Skeptiker sind oder die Impfung komplett ablehnen, sondern weil sie unsicher sind, ob die neuen mRNA-Impfstoffe das Richtige für sie sind. Aber diese Menschen wollen lieber mit dem herkömmlichen Impfstoff geimpft werden. Protein-Impfstoffe zum Beispiel von Novavax Sanofi oder mit einem Tod-Impfstoff. Da gibt es ja einen vom chinesischen Konzern Sinovac. Da könnte möglicherweise bald noch einer dazu kommen, und zwar der von Valneva. Ist ein französisches Unternehmen, das nun doch recht vielversprechende Daten aus der Phase-drei-Studie bekannt gegeben hat. Die Aktie ist dann auch gleich mal um 40 Prozent geklettert. Bevor wir uns die Daten ansehen, noch mal ein paar Worte zur Wirkungsweise. Inaktiviertes Virus. Was muss man dazu wissen?


Alexander Kekulé

Ja, das ist so eine der Methoden, wie man überhaupt Impfstoffe herstellen kann. Ich glaube sozusagen eine der ältesten überhaupt. Man nimmt das ganze Virus und quält es so lange, bis es eben nicht mehr richtig infektiös ist. Wenn das Virus sich überhaupt nicht mehr vermehren kann, in einer Zellkultur zum Beispiel. Dann sprechen wir von dem Tod-Impfstoff auch auf Deutsch. Obwohl es irgendwie lustig ist, weil Viren biologisch gesehen, ja gar nicht leben. Aber die sind dann eben richtig tot, quasi, wenn sie nicht mehr vermehrungsfähig sind. Eine Stufe vorher wäre, wenn man sie so stark abschwächt, dass sie sich noch so ein bisschen vermehren können. Gerade genug, um das Immunsystem zu reizen und dann aber vom Immunsystem weggefangen werden. Das wären dann sozusagen Impfstoffe, die attenuiert sind, wie wir sagen, also abgeschwächt. So ein Tod-Impfstoff, das ist also ein

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uraltes Verfahren. Es funktioniert bei vielen Impfstoffen. Der Nachteil ist noch immer, wenn so ein Virus nix mehr tut, also quasi nur noch so da rumliegt. Dann haben die Immunzellen jetzt nicht so große Angst vor dem. Sondern das wird dann häufig einfach nur weggeräumt wie sonstiger Müll, der im Körper so ankommt. Sie haben ja ständig durch irgendwelche kleinen Hautverletzungen oder im Darm oder irgendwo anders. Auf den Schleimhäuten haben Sie ja ständig irgendwelche fremden Partikeln, von den Rauchern ganz zu schweigen, was da in der Lunge passiert. Wo das Immunsystem halt dann so eine Art Müllabfuhr hat und das wegräumt. Dabei werden aber keine Antikörper gebildet, keine speziellen. Und deshalb gibt man dazu, weil das zu schwach wäre, als Stimulus fürs Immunsystem, die sogenannten Immunverstärker oder Adjuvanzien. Und da sind bei diesem Valneva zwei Adjuvanzien dabei, die also ganz gut sind. Das eine ist ein Klassiker, ein Aluminiumsalz. Allum sagt man da auch dazu um. Die Aluminiumsalze sind also uralte, ewig erprobte Adjuvanzien, die gut funktionieren, die auch in Kinderimpfstoffen eingesetzt werden und die keine schweren Nebenwirkungen haben. Das muss man sagen, weil es früher mal Leute gab, die gesagt haben, das macht Multiple Sklerose im Alter oder Ähnliches. Das ist alles lange, lange durch Studien widerlegt. Und dann haben sie ein zweites Adjuvans drinnen. Das ist so ein wirkliches Hightech-Zeug, kann man sagen. Aber im positiven Sinne, weil das sehr selektiv wirkt. Also die meisten Adjuvanzien stimulieren das Immunsystem völlig unspezifisch. Also zum Beispiel nimmt man da ja aus dem südamerikanischen Seifenbaum bestimmte Extrakte oder irgendwelche Öle. Die gibt man damit rein, die einfach die Wunde reizen, wenn ich mal so sagen darf. Als wenn man wahrscheinlich Pepperoni in eine Wunde reiben würde. Und das ist jetzt ein ganz spezielles. Das heißt CPG. CPG 1018. Und dieses ist CPG. Das ist ein kleines Stück DNA, was künstlich hergestellt wird. 22 einzelne Bausteine von DNA. Und das ist so gemacht, dass es chemisch nicht modifiziert ist. Also da sind keine Methylierungen dran. Normalerweise wird DNA in der Zelle immer chemisch so ein bisschen modifiziert, also quasi im Rahmen der Steuerung, der genetischen Steuerung der DNA, werden da

sogenannte Methylgruppen drangebaut. Wenn die fehlen, dann ist es für die Zelle ein Zeichen, hoppla, diese DNA stammt wahrscheinlich aus einem Virus oder aus einem Bakterium, weil die das nicht machen mit der Methylierung. Und dadurch sind die dann ganz heiß drauf, das, was da außenrum ist, zu erledigen. Und das Immunsystem wird dann spezifisch stimuliert, sodass dieses CPG ein ganz spezifischer, sehr gezielter, gezieltes Adjuvanz ist, was auch keine irgendwie bekannten Nebenwirkungen anderer Art hat, sondern nur dem Körper vorspielt, wenn ich mal so sagen darf, dass dieses Virus, was da eingeschleust wird, noch am Leben wäre. Und da sind die Daten hervorragend. Also die zumindest die Firma Valneva jetzt selber bekanntgegeben hat. Ist übrigens ein österreichisch-französisches Konsortium. Ganz wichtig. Weil Sie vorher gesagt haben Französisch. Ja, inzwischen ist es Französisch. Aber die entscheidenden Arbeiten sind in Wien gemacht worden unter Thomas Lingelbach, der da der Chef ist von der Firma. Der kommt meines Wissens auch, zumindest ist er dort in Wien ursprünglich mal bei Behringwerken gewesen. Und ein alter Immunologie-Experte unter den Pharma-Managern.


Camillo Schumann


Weil Sie gerade gesagt haben, die Daten sind hervorragend. Wie lauten die denn? Also gerade im Vergleich zu anderen Impfstoffen?


Alexander Kekulé

Also, man kann so was inzwischen nur noch im Vergleich machen. Also früher war es ja so, da hat man einen Teil geimpft und ein Teil völlig ungeimpft dann wieder zurück ins Leben geschickt. Und diese berühmten Vakzin-Effektivitäten von 95 Prozent und Ähnliches rausgekriegt. Jetzt darf man das nicht mehr. Aus ethischen Gründen kann man nicht sagen, wir lassen die Hälfte einfach ungeimpft. Deshalb wird jetzt verglichen, wie man das sonst bei Medikamenten auch macht. Einmal das neue Produkt, das ist jetzt eben hier von Valneva. Und zweitens zum Vergleich haben sie schlauerweise AstraZeneca genommen. Honi soit qui mal y pense... (Anm. d. Red.: Eine Schurke, der sich schlechtes dabei denkt) Die haben sie sich natürlich nicht den stärksten Rivalen ausgesucht, aber haben mit AstraZeneca geimpft quasi zum

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Vergleich und haben einfach festgestellt, dass bei den Daten, die dort dann ausgewertet wurden, da nimmt man nicht die Infektionen, sondern da nimmt man nur noch Laborparameter, dass bei den Daten das Valneva in allen Disziplinen gewinnt. Das war es sozusagen das Kriterium. Wir nennen das dann sozusagen das primäre Ende oder der primäre Endpunkt der Studie. Das war eben hier, dass es mehr spezifische Antikörper geben soll gegen Sars-CoV-2. Und dass überhaupt die Reaktion, also der Anteil derer, die überhaupt Antikörper machen sollen, mindestens 95 Prozent sein soll. Das ist also hier jetzt wirklich nur über die Antikörper und nicht über die tatsächlichen Infekte gemessen. Wir nennen das ja Immunobridging, genauso wie man das gemacht hat bei den Kindern, die man aus anderen Gründen wieder nicht, quasi in einem echten Test sozusagen dem Virus aussetzen wollte, macht man das jetzt mit diesem Immunobridging. Hat den Vorteil, dass man viel weniger Probanden braucht. Sonst waren es um die 40.000 für jede Zulassungsstudie. Und jetzt haben sie hier in diesem Fall die Wirksamkeit mit knapp 3000 Probanden getestet, von denen aber nur zwei Drittel das Valneva gekriegt haben und ein Drittel AstraZeneca. Und bezüglich der Nebenwirkungen haben Sie noch mal tausend gehabt, etwas Jüngere zwischen 18 und 29 Jahren, um zu gucken wie ist es mit den Nebenwirkungen. Und da sieht es also wirklich super aus. Also auch die Nebenwirkungen. Es ist ja zu erwarten, also im Vergleich zu AstraZeneca wirklich deutlich deutlich weniger. Ssowohl lokal, also an der Einstichstelle als auch die systemischen Nebenwirkungen wie Fieber und Unwohlsein und so weiter.


Camillo Schumann


Der Deutsche braucht immer Zahlen, Herr Kekulé, sonst glaubt er nichts. Wie sieht es denn mit der Wirksamkeit aus?


Alexander Kekulé

Die Wirksamkeit bezüglich der... Die Antikörper Bildung ist über 95 Prozent. Aber das sind neutralisierende Antikörper. Dass ist nicht diese Wirksamkeit sozusagen im Sinne von Infektionsschutz. Bei den anderen Impfstoffen, berufen wir uns auf die Frage, wie gut bin ich vor Infektionen geschützt. Und dann meistens

etwas besser wie gut vor schweren Verläufen und noch besser wie gut vor Todesfällen. Diese Zahlen haben wir hier nicht. Sondern wir haben nur zum Vergleich die Frage, gibt es überhaupt neutralisierende Antikörper im Labor, die im Labor des Virus wegfangen können. Da ist die Antwort deutlich über 95 Prozent. Das war sozusagen ein Kriterium, was da in den Raum gestellt wurde. Wir nennen das ein nicht Unterlegenheits-Kriterium, weil die anderen Impfstoffe auch alle 95 Prozent plus X machen. Und dann ist es so, dass man geguckt hat, wie es im Vergleich zu AstraZeneca tatsächlich die Generation: Was für Antikörper, wieviel quantitative Antikörper werden gemacht, und das ist auch deutlich mehr.

0:54:06


Camillo Schumann


Und wenn Sie das jetzt so im Vergleich bewerten müssten. Wo spielt dann oder wo könnte dann dieser Impfstoff mitspielen? Erster, zweiter, dritter, vierter.

0:54:19


Alexander Kekulé

Das weiß man noch nicht. Also ich würde mal vermuten, dass hier die Wirksamkeit. Wenn Sie jetzt echte Wirksamkeit ansprechen, quasi bezüglich Infektionsschutz oder schweren Verläufen. Da wird man nicht die von den RNA-Impfstoffen wahrscheinlich erreichen. Das liegt daran, dass es bestimmte Tricks gibt, dieses SProtein, was außen auf der Virushülle drauf ist. Das kann man stabilisieren, damit das quasi so vom Immunsystem erkannt wird, dass die Antikörper, die dabei hergestellt werden, hinterher dann auch das echte Virus erkennen. Ob das bei diesen hier jetzt quasi chemisch abgetöteten Viren auch so ist. Das ist völlig unklar, wahrscheinlich eher nicht. Ein Vorteil ist, dass so ein Virus, das ist ja auch gezeigt worden, so ein abgetötetes Virus, das macht eine Immunreaktion nicht nur gegen das S, sondern auch gegen andere Bestandteile des Virus. Da gibt es das sogenannte M Protein und das N Protein, also Martha und Nordpol quasi was auch immer das ist. Das sind bestimmte Bestandteile da innendrin in dem Virus. Auch dagegen werden aktive T-Zellen zum Beispiel gebildet.

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Das hat die Firma Valneva auch gezeigt im Gefolge der Impfung. Das heißt also, es ist eine doch eher eine wie die natürliche Reaktion aussehende Impfreaktion. Also die Immunreaktion sieht so ähnlich aus, wie nach einer echten Infektion in dem Fall. Aber ob das jetzt sich darauf durchschlägt, dass man wirklich weniger Wahrscheinlichkeit hat, krank zu werden, infiziert zu werden, nach der Impfung im Vergleich zu RNA-Impfstoffen, das würde ich eher bezweifeln. Ich schätze, das spielt in der Oberliga nicht so gut wahrscheinlich wie die RNA-Impfstoffe.

0:56:07


Camillo Schumann


Jetzt haben ja Menschen, die sich bisher nicht geimpft haben, möglicherweise ein Problem mit den mRNA Impfstoffen bezogen auf Herzmuskelentzündung, Thrombosen, die Unkownunkowns, über die wir auch immer sprechen, wo keiner beantworten kann, wo da die Reise noch hingeht. Diesen Impfstoff, den wir gerade eben besprochen haben, im Vergleich mit den mRNA Impfstoffen bezüglich, was das Risiko von schweren Nebenwirkungen angeht. Wie würden Sie das bewerten?

0:56:36


Alexander Kekulé

Extrem gering. Das Risiko ist extrem gering, weil es das einzige, was man da im Auge haben muss, das sind die Adjuvanzien. Aber das eine ist dieses Aluminiumsalz, das ist uralt. Das ist in allen möglichen Kinderimpfstoffen schon drin. Und das andere, diese neue Verbindung, da ist es so, dass man das bei Hepatitis B in dem Impfstoff schon drinnen hat. Und der ist auch schon lange in Anwendung. Da ist genau dieses CPG 1018 drinnen, das hat auch nicht Valneva selber hergestellt. Das haben sie lizenziert von einem anderen Hersteller. Und das ist lange lange erprobt.

Das ist so ähnlich, als wenn Sie jetzt, was weiß ich, die Blutgerinnung zum Beispiel stoppen. Da gab es früher Medikamente wie Aspirin, was man genommen hat zum Teil, um jetzt, in niedriger Dosierung die Blutgerinnung so bisschen zu hemmen und noch ein paar andere Substanzen, die infrage kamen. Die haben den

Nachteil, dass sie eben ein sehr breites Spektrum haben, sehr breite verschiedene Wirkungen haben. Und einige von diesen Wirkungen eben auch unerwünschte Nebenwirkungen sind. Und deshalb hat man da ganz spezifische Gerinnungshemmer inzwischen gemacht, die also ganz selektiv nur die Blutgerinnung hemmen und weniger Nebenwirkungen haben, wo man den Wirkmechanismus auch genau kennt. Und so ist es hier bei diesem bei diesem Adjuvans auch, dass man tatsächlich den Wirkmechanismus relativ genau kennt.

Man weiß, wo das angreift. Man kennt genau den Mechanismus, wo das sozusagen. Das ist das sogenannte... wenn das jemand googeln will: TLR 9 heißt das. Toll-like-Rezeptor. Das ist also ein Rezeptor, der in der Zelle quasi der Zelle sagt, hoppla, da ist ein Virus oder ein Bakterium, und dieser wird sozusagen als falscher Alarmknopf gedrückt von diesem CPG 10 18. Das weiß man, das hat man in tausend zellulären Experimenten untersucht. Und deshalb gibt es eigentlich keine Vorstellung, wie das jetzt plötzlich völlig unerwartet Hokuspokus machen sollte. Und diese anderen Unkown-unkowns produzieren sollte in fünf oder zehn Jahren. Zumal das eben schon solange eingesetzt wird. in einem Hepatitis-B-Impfstoff.


Camillo Schumann


Also könnte doch Valneva der Impfstoff für die Impfskeptiker werden dann oder um die zu überzeugen.


Alexander Kekulé

Ich glaube ja, also, ich glaube tatsächlich. Also Sie verstehen mich, glaube ich richtig, dass ich diese RNA-Impfstoffe in fast allen Situation wirklich dringend empfehle. Es ist aber so, dass ich denen, die jetzt das nicht glauben wollen, oder die einfach grundsätzliche Bedenken gegen Neues haben, dass ich da sagen kann. Also die Protein-basierten Impfstoff im weitesten Sinne, also auf den klassischen Methoden, die sind jetzt im Kommen. Valneva sagt es auch ganz laut ja. Die sind ja nicht dumm. Die sagen in ihrem Marketing natürlich, wir sind der Super-Impfstoff für Kinder und Schwangere und sonstige, die irgendwie Bedenken haben, weil eben vor allem auch die Reaktogenität geringer ist. Und ich glaube, wenn man jetzt hier vor allem drauf abzielt, nicht an diesem Virus zu

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sterben an SARS CoV zwei. Sondern im schlimmsten Fall eben dann vielleicht einen schweren Infekt zu haben. Aber das zu überleben. Dann ist so etwas wahrscheinlich etwas weniger wirksamer Impfstoff, eigentlich eine gute Alternative. Zumal wir wissen, dass selbst die RNA-Impfstoffe keinen hundertprozentigen Schutz machen. Und ich glaube, wir müssen uns mental so ein bisschen drauf einstellen. Wir impfen uns jetzt alle. Einige haben ja die Krankheit schon gehabt, die anderen sollen sich impfen. Und wenn alle geimpft sind, dann wird es eben so sein, dass wir irgendwie nach und nach die natürlichen Infektionen in Kauf nehmen müssen. Und wenn man so einen Strategiewechsel in seinem Kopf macht, dass man einfach sagt, das ist dann sozusagen nicht mehr so wahnsinnig gefährlich. Das nehme ich dann in Kauf. Dann kann man auch so einen Impfstoff für sich persönlich möglicherweise wählen. Insbesondere hinsichtlich der geringeren Reaktogenität.

1:00:27


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Herr Brüggemann hat gemailt, er schreibt, ich bin bekennender Corona-Skeptiker. Ich bin 45 Jahre alt, sportlich, kerngesund und bin ansonsten durchgeimpft. Ich lehne aber die Gentherapie für mich und meine Kinder ab. Die Statistiken der Krankheit und der Impfung sowie alle verfügbaren Informationen lassen für mich nichts Anderes zu. Aber jetzt hat er Fragen. Welche Tipps haben Sie für beständige Ungeimpfte und auch für Impflinge, um noch gesünder durch die Grippesaison zu kommen? A und B, welche Medikamente können im Fall einer symptomatischen Viruserkrankung vom Hausarzt verschrieben werden, um die Heilung zu unterstützen? Viele Grüße. So ein bisschen Angst hat er dann doch.

1:01:11


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja das Problem. Also, wir haben ja gegen Bakterien haben wir ganz tolle Wirkstoffe schon seit vielen, vielen Jahren, die sogenannten Antibiotika, die so ungefähr in 1940er-Jahren eingeführt wurden, zumindest

die besseren Antibiotika. Und etwas Vergleichbares, was man einfach so aus dem Regal ziehen kann, gibt gegen Viren nur ausnahmsweise. Ganz selten. Ja, es gibt so eine Salbe, die kann man sich... Zovirax, das kann man sich drauf draufschmieren, wenn man ein Herpesbläschen hat. Und das wirkt dann manchmal, manchmal aber auch nicht. Und wir haben eben das Problem, dass wir gegen Viren keine zuverlässigen Therapien haben. Selbst bei AIDS. Wo also das HIV-Virus sehr, sehr gut erforscht ist. Wahrscheinlich gibt es dort mehr Medikamente als gegen irgendein anderes Virus. Es ist nicht so, dass wir eine Therapie haben, die ganz sicher und immer wirkt. Sondern es ist eine Kunst sozusagen, jemanden zu behandeln. Und die Medikamente haben Nebenwirkungen. Das ist ja der Grund, warum wir bei Viren generell Richtung Impfung gehen und immer über Impfung reden. Und ja, wir reden dauernd über die Impfung, weil das jetzt natürlich die Option ist schlechthin.

Wenn jemand trotzdem Covid bekommt, dann ist... Was kann man da empfehlen? Also das Wichtigste ist, wenn man Atemnot hat oder Ähnliches, sollte man frühzeitig zum Arzt gehen. Wer zu spät zum Arzt geht, hat auch im Krankenhaus wenig Überlebenschancen bei Covid. Die ganze Intensivmedizin ist deutlich verbessert, weil wir diese Mikroklumpen, die da im Blut entstehen, frühzeitig bekämpfen, zumindest in Deutschland. Die guten Kliniken machen das. Aber dazu müssen sie eben rechtzeitig kommen. Gerade jetzt, in dieser Phase der Pandemie kommen, viele jüngere Menschen eben. Was heißt jüngere. Eben nicht hochaltrige Menschen warten bis zuletzt zu Hause und pfeifen dann schon aus dem letzten Loch, wenn sie ins Krankenhaus kommen. Das ist ungut, weil dann der Arzt wenig Optionen hat. Also der wichtigste Vorschlag, wenn man Covid bekommt, ist tatsächlich, frühzeitig zum Arzt zu gehen. Und tja, das Immunsystem stärken oder ähnliches. Es ist natürlich immer gut, jetzt nicht unterernährt zu sein oder irgendein Vitaminmangel zu haben. Das ist ganz klar. Also man sollte jetzt, Vitamin-C-Mangel gibt bei uns sowieso nicht. Man sollte aber auch vermeiden, dass man einen Vitamin-D-Mangel im Winter hat. Da Leute, die regelmäßig Wintersport draußen machen, kriegen kein Vitamin DMangel. Wer immer nur in der Bude hockt, der

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kann dann vielleicht Vitamin D nehmen. Sonst gibt es nicht so viel, was man da machen kann. Also klar, gesund sein, fit sein, Sauna, kalte Duschen. Das mag schon sein, dass das allgemein das Immunsystem stärkt. Aber letztlich verstehen wir nicht, warum es Menschen gibt, die genau wie Herr Brüggemann hier 45 Jahre, völlig gesund, alles in Ordnung, alles richtiggemacht, nicht ungesund ernährt und so weiter. Und trotzdem erkranken sie zum Teil eben sehr schwer. Und einige wenige sterben auch dran. Das wissen wir eben nicht genau, und darum kann ich nichts Konkretes empfehlen. Eins will ich noch sagen. Das ist natürlich keine Gentherapie, nur weil das jetzt hier so in der Anfrage war. Also diese mRNA-Impfstoffe sind keine Gentherapie, weil sie ja das Genom überhaupt nicht verändern, sondern die RNA wurschtelt da irgendwo außen in der Zelle rum. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man das Gen des Patienten irgendwie verändern würde.


Camillo Schumann


Frau Schafft hat angerufen und folgende Frage. 1:04:35 Zuhörerin

Ich bin noch nicht geimpft, weil mir leider niemand meine Fragen beantworten kann. Vielleicht können Sie mir helfen. Meine erste Frage: mit der mRNA. Impfung bekommt man doch eine Art Bauplan zugespielt. Der Körper soll Eiweiß produzieren. Aber wo? In sämtlichen Zellen? In Gehirnzellen, Leberzellen oder Blutzellen.

Die zweite Frage, wie lange dauert das?

Man liest kurze Zeit. Aber was ist kurze Zeit. Woher weiß der Körper, dass er aufhören muss? Oder baut er immer dieses Eiweiß? Wenn man bei sich innen schaut, kommt man darauf, dass das Eiweiß gefährlich wäre. Es dockt an Organe an und schadet diesen. Ist da was dran? Ich möchte gern einen proteinbasierten Impfstoff. Aber leider kommen die nicht mehr dieses Jahr. Und mit zwei Schulkindern, auch in unserer Schule explodieren gerade die Fälle. Vielleicht können Sie mir irgendwie weiterhelfen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank, schöne Grüße.

1:05:44


Alexander Kekulé

Die zwei Fragen. Also das mit dem Eiweiß. Ich weiß, ich kenne diese Videos auch. Im Internet zirkulieren spukende Hypothesen. Die Hypothese, die ja immer wieder von Impfkritikern genannt wird: Diese RNA, die ist dann im Körper, die verteilt sich im ganzen Körper. Alle möglichen Zellen fangen dann an, dieses S-Protein, dieses Eiweiß vom Virus herzustellen. Daraufhin dreht das Immunsystem völlig durch, macht also dann körpereigene Zellen kaputt. Und in der Ffolge hat man eine Autoimmunreaktion, die so ähnlich wie bei Covid-Infektion ist. Und das ist ganz schlimm und wird auch nicht gebremst. Also ein kleiner Teil daran stimmt tatsächlich. Ein ganz kleiner. Und zwar ist es so, dass die mRNA, die gespritzt wird, nicht nur an der Stelle, wo sie injiziert wird, dazu führt, dass das S-Protein generiert wird. Sondern es gibt, und das ist auch gewollt, dann so Immunzellen, die sammeln diese Lipid-Nanopartikel, diese kleinen Fett Bläschen, in denen die RNA drinnen ist ein. Sie transportieren das in den nächsten Lymphknoten und von dort durchaus auch mal weiter über die Lymphe und den Blutkreislauf in andere Organe. Sodass man sagen muss ja, das ist aus Tierexperimenten bekannt, beim Mensch hat man das gar nicht so genau untersucht. Es wird in allen möglichen Organen, je fetthaltiger, desto mehr wird im Prinzip dieses Spike-Protein kurzzeitig fabriziert. Das provoziert man damit. Zwei Ausnahmen, wo man es bisher nicht gezeigt hat. Das eine ist im Gehirn, weil das angesprochen wurde. Da gibt es die Blut-HirnSchranke. Also da ist nicht klar, ob jenseits der Blut-Hirn-Schranke, die solche Partikel wegfängt, überhaupt es zu einer S-Proteinproduktion kommt. Eher nein. Das ist zumindest das aus den Studiendaten.

Und das andere ist bei Schwangeren im Embryo. Da gibt es eben die Plazenta-Schranke, die so ähnlich funktioniert. Auch da ist nicht klar, ob diese Partikel da reinkommen oder nicht. Eher nein. Aber sonst produziert überall der Körper und da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen. Wie alle möglichen Zellen, die also diese Lipid-Nanopartikel abkriegen. Die fangen an, SProteine zu produzieren. Ich gehe schon davon

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aus, dass es ein paar gibt, die dann vom Immunsystem zur Strafe verspeist werden. Das kann schon sein, dass die eine oder andere Leberzelle dann den Geist aufgibt, weil sie versehentlich dieses S-Protein hergestellt hat und das dem Immunsystem nicht gefallen hat. Aber: Das ist ein kurzzeitiger Prozess, und wir müssen ja immer daran denken, dass unsere Körperzellen sich ständig erneuern. Also so Leberzellen, die sind ja im ständigen turnover. Die gehen ständig kaputt, und da werden neue produziert. Und wenn Sie ein Glas Whisky trinken, sterben auch eine Reihe von Zellen ab. Nervenzellen regenerieren sich, wie man inzwischen weiß. Und das heißt also, das ist ... Wir sind ja sozusagen als Organismus ständig im Fluss. Wir sind die Summe nicht immer der gleichbleibenden Zellen, sondern die erneuern sich dauern. Und wenn dann mal ein paar kaputtgehen, das ist ungefähr genauso schlimm, als wenn ich mir irgendwo das Knie stoße. Da gehen innendrin auch Zellen kaputt, die werden erneuert, das merke ich gar nicht. Und so ein ähnlicher Effekt ist das, wenn diese RNA irgendwo aus Versehen quasi eine Flagge setzt auf einer Bauchspeicheldrüsenzelle wo dann das Immunsystem kommt und sagt, hoppla, das räume ich mal schnell weg. Die Befürchtung, dass das ein langanhaltender Prozess ist, da kann man wirklich sagen, das war im Tierexperiment schon klar, dass das nicht der Fall ist. Also nach einigen Wochen spätestens ist es so, dass wirklich diese RNA komplett verschwunden ist, also nicht mehr nachweisbar ist. Und es ist auch so, dass diese entzündungsartigen Reaktionen, die man da gelegentlich beobachtet, die klingen alle in kürzester Zeit ab. Und weil wir alle wissen, dass diese Gefahr im Raum stand, hat man das, da schließe ich mich durchaus ein, durchaus neugierig beobachtet bei den ersten großen Studien mit den RNAImpfstoffen. Ich habe mal gesagt, ich will da nicht einer der ersten hunderttausend sein, die geimpft werden. Und da habe ich genau an solche Effekte gedacht, dass man möglicherweise Autoimmun-Effekte hat. Ich muss aber sagen jetzt sind ein paar hundert Millionen geimpft. Man hat diese Effekte nicht beobachtet, und deshalb würde ich sagen, zumindest so einen direkten immunologischen Effekt, durch die messenger RNA, wie das im Internet immer kolportiert wird, sowas gibt es nicht. Wenn,

dann ganz kurzzeitig. Und das hat wie gesagt, keine Auswirkungen auf den Gesamtorganismus.

1:10:26:


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 232. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann,


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann können Sie uns schreiben: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, das kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

An dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung. Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. Und in der aktuellen Folge geht es unter anderem um den neuen Bußgeldkatalog und wie man sich richtig gegen einen Bußgeldbescheid wehrt. Der Rechthaber, überall wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 16. Oktober 2021 #231: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Allergische Reaktionen und Anaphylaxie auf LNP-basierten COVID-19-Impfstof

Studie Allergic Reactions and Anaphylaxis to LNP-Based COVID-19 Vaccines: Molecular Therapy (cell.com)

Fehlende Auswirkungen auf die weibliche Fertilität und die präund postnatale Entwicklung von Nachkommen bei Ratten mit BNT162b2, einem mRNA-basierten COVID-19-Impfstoff

Studie: Lack of effects on female fertility and prenatal and postnatal offspring development in rats with BNT162b2, a mRNA-based COVID19 vaccine ScienceDirect

Titer von SARS-CoV-2-Antikörpern im Nabelschnurblut von Neugeborenen, deren Mütter während der Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 (COVID-19) infiziert wurden und deren Mütter während der Schwangerschaft mit mRNA gegen SARS-CoV-2 geimpft wurden

Studie: Titers of SARS CoV-2 antibodies in cord blood of neonates whose mothers contracted SARS CoV-2 (COVID-19) during pregnancy and in those whose mothers were vaccinated with mRNA to SARS CoV-2 during pregnancy | Journal of Perinatology (nature.com)

Varicella-Zosterund Herpes-Simplex-Virus-Reaktivierung nach der COVID-19-Impfung: eine Überprüfung von 40 Fällen in einem internationalen Dermatologie-Register

Studie: Varicella‐zoster and herpes simplex virus reactivation post‐COVID‐19 vaccination: a review of 40 cases in an International Dermatology Registry Fathy Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology Wiley Online Library

Varicella-Zoster-Virus-Reaktivierung nach COVID-19-Impfung: Eine systematische Überprüfung von Fallberichten

Studie: Vaccines | Free Full-Text | Varicella Zoster Virus Reactivation Following COVID-19 Vaccination: A Systematic Review of Case Reports (mdpi.com)

Samstag, 16. Oktober 2021

Wieso wird vor einer Impfung kein PCRTest gemacht?

Sind Lipid-Nanopartikel für die Zellen giftig?

Reicht die angeborene Immunantwort aus, um das Virus zu kontrollieren?

Werden Babys im Mutterleib durch die Impfung geschädigt?

Stimmt es, dass die Ursache für Impfnebenwirkungen – wie Thrombosen, Herzmuskelerkrankungen – noch völlig unklar sind?

Und stimmt der Satz noch: Mit der Impfung schützt man andere?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Dieses Mal mit einem Spezial nur für Menschen, die Fragen zur Impfung haben. Die sich noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen sollen oder nicht. Die zweifeln, noch Argumente brauchen. Und die Antworten auf Ihre Fragen kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

01:02


Camillo Schumann


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Wir hatten ja unsere Hörerinnen und Hörer des Podcasts aufgerufen, uns ihre kritischen Impffragen zu schicken oder uns auch anzurufen. Ja, was soll ich sagen? Die Resonanz war enorm, sie ist enorm. Die überwiegende Mehrheit hat sich erstmal bedankt, dass sie diese Möglichkeit bekommt, auch sehr kritische Fragen stellen zu können und nicht gleich als Impfskeptiker verurteilt zu werden. Denn sehr häufig sind die Fragen oder auch die Ängste, die die Menschen haben, sehr nachvollziehbar. Wir nehmen uns jetzt die Zeit. Und dass diese Ängste der Menschen sehr nachvollziehbar sind, zeigt auch das Beispiel dieser Hörerin. Die E. hat angerufen und ihre Situation folgendermaßen geschildert. Geht ein bisschen länger, aber damit wir auch alle nachvollziehen können, was ihre Sorgen sind:

„Ich habe Multiple Sklerose und LHON, also einen genetisch bedingten Sehnervenschwund. Da ich leider sehr schlechte Erfahrung gemacht habe mit Ärzten, die sich nicht um die Diagnosen haben kümmern wollen und somit viele Monate – und auch bei der MS Jahre vergangen sind, eh eine Diagnose gestellt wurde und ich von Neurologen auch nach Hause geschickt wurde nach dem Motto: Kommen Sie wieder, wenn die Beschwerden schlimmer sind. Schlimmer hätte nur noch sein können: Im Rollstuhl sitzen und gar nicht mehr gehen können, nachdem ich vorher noch joggen konnte. Und joggen, walken, gehen – ging gar nichts mehr. Da ich mit dieser schlechten Erfahrung nicht bereit bin, diese Impfstoffe zurzeit zu akzeptieren – die ja auch schwere neurologische Autoimmunerkrankungen wieder hervorrufen können – bleibe ich im Moment noch ungeimpft und hoffe, dass der Impfstoff von Novavax besser ist und vielleicht nicht so schwere Autoimmunerkrankungen und neurologische Erkrankungen auslösen kann. Aber mich ärgert es immer wieder sehr, dass immer nur auf Ungeimpfte geschimpft wird, denn wir haben auch berechtigte Sorgen vor diesen Impfstoffen.“

Tja, berechtigte Sorgen. Und ich persönlich finde, am Beispiel E. sieht man, dass diese Sorgen sich ja auch aus ganz vielen Faktoren zusammensetzen. Da ist das eigene Krankheitsbild, dann haben wir noch die eigenen Erfahrungen mit Medizinern und Informationen, die

man vielleicht gar nicht so richtig einordnen kann.


Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich immer so. Medizin ist ja was sehr Persönliches. Gesundheit ist was sehr Persönliches. Und da lässt natürlich jeder das einfließen, was er erlebt hat. Ob er Ärzten vertraut, ob er gute Erfahrungen oder schlechte Erfahrungen gemacht hat. Und das muss man einfach zugestehen, dass das ein Teil der Entscheidungsbildung ist. Ja, die Menschen sind nicht alle rational und da würde ich mich sogar mit einnehmen, obwohl ich natürlich als Virologe relativ tief in der Technik und Wissenschaft stecke. Aber am Ende des Tages entscheidet man einen Teil aus dem Bauch heraus, das ist ganz normal. Also, hier jetzt mal konkret. Also, das Misstrauen gegen Ärzte, die jetzt die Multiple Sklerose spät diagnostiziert haben. Da kann ich jetzt nicht so viel zu sagen. Es ist manchmal eine schwer diagnostizierbare Erkrankung. Und ja, es ist eine Autoimmunerkrankung. Und wie bei allen Autoimmunerkrankungen muss man natürlich als Arzt dann die Frage beantworten: Wenn ich mich impfen lasse mit diesen modernen Impfstoffen, habe ich dann ein besonderes Risiko, weil ich eine Autoimmunerkrankung habe – da gibt es ja ganz viele – habe ich dann ein besonderes Risiko, dass die sich verschlimmert? Da kann man von anderen Impfungen sagen: Wir sehen tatsächlich manchmal durch die, sage ich mal, Stimulation des Immunsystems – die immer gewollt ist bei jeder Impfung, also diese Reaktogenität – da sehen wir tatsächlich manchmal eine vorübergehende Verschlechterung der, sage ich mal, Laborwerte für die Autoimmunerkrankung. Das gibt es manchmal tatsächlich, dass sozusagen das Immunsystem einen Moment durcheinander kommt durch so eine Impfung. Nicht nur bei den Covid-Impfungen, sondern auch bei anderen. Es ist aber so, dass ich absolut keinen Fall kenne, wo das nicht reversibel wäre. Das heißt also, man sieht, dass sich manchmal Ausbrüche oder Verschlechterungen von Autoimmunerkrankungen ergeben. Das ist aber nach ein paar Wochen wieder normal. Und ich erwarte nicht, dass irgendwie sich hier jetzt dieses neue Vakzin anders verhält, weil: Die Stimulation des Immunsystems, dieses Grundprinzip, dass es hier einen Schubser

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für das Immunsystem gibt, damit das diese Antikörper und die T-Zellen produziert gegen das neue Virus Sars-CoV-2, das ist ja das gleiche Prinzip überall. Das kommt da nicht darauf an, auf welche Weise man das macht.


Camillo Schumann


Jetzt hat die E. ja auch noch gesagt, dass sie auf den Impfstoff von Novavax wartet, ProteinImpfstoff. Was kann man da zum Stand der Dinge sagen, um die E. zu beruhigen?


Alexander Kekulé

Also, da gibt es zwei Sachen zu sagen. Das eine ist: Ich bin ehrlich gesagt auch ein bisschen traurig, dass Novavax so lange braucht jetzt. Die haben Produktionsprobleme gehabt. Die haben wirklich ein sehr gutes Produkt, auch in den Studien sieht das gut aus. Aber die ist eine kleine Firma, die jetzt bisher noch keinen so starken Partner an der Seite hatte wie zum Beispiel Pfizer bei BioNTech an der Seite steht. Und deshalb sind die so auf der Strecke, wo es dann um das, was wir scaling up nennen – ein bisschen schwach auf der Brust. Das heißt also, die müssen das, was sie im Labor hergestellt haben im kleinen Maßstab, jetzt wirklich im industriellen Maßstab herstellen. Und da gibt es Probleme. Und man hört jetzt, dass das in letzter Zeit trotzdem endlich auf der Zielgeraden ist. Aber es wird auf jeden Fall das erste Quartal nächsten Jahres, bis der Impfstoff überhaupt verfügbar ist. Und wann es den dann in Europa geben wird, das hängt ein bisschen von den Verträgen ab. Ich will aber vielleicht eine Sache dazusagen. Es ist so: Das ist ein Impfstoff, der auf der klassischen Methode beruht. Also, das ist ein Protein, was speziell hergestellt wurde, natürlich künstlich hergestellt wurde. Und der hat aber auch, wie alle Protein-Impfstoffe dann – oder wie die meisten Protein-Impfstoffe – einen Wirkverstärker mit drin, ein Adjuvans. Bei Novavax speziell ist das ein Adjuvans, was schon erprobt ist. Das ist so ein sogenanntes Saponin, da haben wir, glaube ich, schon mal drüber gesprochen. Das kommt ursprünglich aus dem südamerikanischen Seifenbaum. Das ist relativ gut erprobt als Wirkverstärker, aber das macht natürlich auch so eine Reaktogenität, ganz absichtlich. Man gibt das dazu, weil das Protein alleine quasi zu schlapp wäre, die Immunantwort richtig anzuschubsen. Und deshalb ist bei diesen Protein-

Impfstoffen – anders als bei den RNA-Impfstoffen – absichtlich so ein Adjuvans mit dabei. Und da gibt es – gerade bei denen, die Impfstoffen kritisch gegenüberstehen – ja auch dann immer so die Befürchtung, ob das Adjuvans irgendwie das Immunsystem kaputtmacht und so weiter. Oder wenn man jetzt Multiple Sklerose hat, die Sorge, dass da, sage ich mal, zeitweise die Autoimmunreaktion zu stark angestoßen werden könnte. Das gleiche Problem gibt es dort im Prinzip auch.

08:11


Camillo Schumann


Okay. Was würde das jetzt für die E. – und alle MS-Patienten auch – bedeuten, die jetzt auf den Novavax-Impfstoff sehnlich warten, weil sie eben vor den mRNA-Impfstoffen noch ein bisschen Angst haben, skeptisch sind? Mit anderen Worten: Das ist gar nicht so der Heilsbringer?


Alexander Kekulé

Also, ich glaube, wenn man eine Autoimmunerkrankung hat – Multiple Sklerose gehört ja zu diesen, da gibt es aber auch andere, zum Beispiel Hashimoto, so eine Schilddrüsenerkrankung, wo es Antikörper gegen die Schilddrüse gibt. Ich höre das relativ oft, dass diese Menschen besonders sensibel sind, was Impfungen angeht. Da ist aber der Unterschied zwischen einem adjuvantierten Impfstoff und diesem RNA-Impfstoff gar nicht mal so groß. Das ist vielleicht quantitativ ein kleiner Unterschied, das wissen wir nicht genau. Aber es ist kein qualitativer Unterschied. Also, es ist nicht echt was Anderes. Der Grund, auf einen ProteinImpfstoff zu warten, wäre eher, wenn man die letzten, nicht ausgeschlossenen Risiken von unbekannten Effekten der RNA-Impfstoffe ausschließen will, weil wir natürlich diese Impfstoffe – da führt kein Weg dran vorbei – die haben wir noch nicht lange. Die testen wir zwar sehr, sehr intensiv an hunderten Millionen Menschen, aber: Noch nicht lange. Und wenn jemand sagt: Okay, ich nehme nichts, was nicht mindestens fünf Jahre getestet wurde. Dann muss man sagen: Muss er auf einen klassischen Protein-Impfstoff warten. Und das ist eher das Argument. Aber jetzt die reine Reaktogenität, da würde ich jetzt nicht erwarten, dass es da einen Riesenunterschied gibt.

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Und die Daten, muss man auch sagen, von Novavax, werden ja dann – und es gibt übrigens auch andere Impfstoffe. Sanofi hat ja auch einen jetzt in der Pipeline, die proteinbasiert sind. Diese Daten, die müssen ja dann erst mal generiert werden. Und da wird man dann in der Lage sein, dass es Hunderte von Millionen, vielleicht bis dahin wirklich Milliarden von Impfungen gibt mit den RNA-Impfstoffen und die Nachzügler werden natürlich dann quantitativ an weniger Menschen erprobt sein, sodass das auch keine so ganz einfache Abwägung wird.

10:07


Camillo Schumann


Und über die unknown unknowns der mRNAImpfstoffe werden wir noch im Verlauf der Sendung sprechen. Die Frau E. hat gemailt und sie schreibt:

„Milliardenfach werden Menschen ohne vorheriger Untersuchung einem medizinischen Eingriff unterzogen.“

Damit meint sie die COVID 19-Impfung.

„Einem Eingriff unterzogen, der das Immunsystem des menschlichen Körpers irreversibel verändert, um ein neues, lebensgefährliches Virus abzuwehren.“

Jetzt kommt ihre Frage:

„Warum werden Impflinge nicht vorher einem PCR-Test unterzogen, um sicherzustellen, dass nicht in eine asymptomatische, virusinfektiöse Person geimpft wird? Viele Grüße, Frau E.“


Alexander Kekulé

Also, da muss ich zuerst dazusagen: Ja, irreversibel verändert, das klingt so dramatisch. Klar, also, wenn man geimpft ist, hat man im Idealfall lebenslang eine gewisse Immunität. Und wenn Sie das jetzt sozusagen formal bewerten, sagen Sie, da ist ein irreversibler Eingriff erfolgt. Aber in diesem dramatischen Ton würde ich das jetzt nicht unterschreiben, sondern so gesehen ist ja quasi auch jede kleine Narbe, die Sie sich zuziehen, wenn Sie sich das Knie anhauen ein irreversibler Eingriff. Das ist vielleicht von der Wortwahl so sehr dramatisch. Der Kern der Frage ist ja: Ist es gefährlich, jemanden, der unbemerkt infiziert ist, zu impfen? Die Frage haben wir ganz oft. Also, das gibt es bei anderen Impfungen auch. Muss man vorher testen, ob jemand das Virus schon

hat, wenn man dem zusätzlich jetzt noch diesen Impfstoff gibt? Gibt es in vielen anderen Situationen auch. Und da ist die Antwort: Wir kennen wirklich in der Virologie kein einziges Beispiel, wo das ein Problem wäre, weil: Wenn der Organismus quasi schon dabei ist, das gleiche Virus abzuwehren, das Immunsystem schon aktiviert ist – in dem Fall gegen SarsCoV-2, das Coronavirus – und man kommt dann mit so einem Impfstoff, der produziert dann noch so ein paar Spike-Proteine extra. Das ist eine Situation, das merkt das Immunsystem kaum. Also, das ist dann sowieso schon voraktiviert, das hat dann wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt schon Antikörper. Oder zumindest die angeborene Immunantwort ist schon auf vollen Touren durch das Virus selber. Und da werden dann halt diese durch die Impfung generierten Spike-Proteine einfach nur schneller weggefangen. Vielleicht gibt es noch einen Zusatzeffekt in dem Sinn, dass die Immunantwort etwas breiter ist. Also, nicht nur genau das eine Virus, mit dem man gerade infiziert wurde und nicht nur genau das eine Virus, gegen das der Impfstoff generiert wurde, betreffend, sondern etwas breiter aufgestellt sind. Aber selbst das ist fraglich, weil: Diesen Effekt, dass man so eine Boosterung eben kriegt – das heißt, eine Aufspreizung des Wirkungsspektrums dieser Impfung – das passiert eigentlich typischerweise, wenn ein gewisser Abstand zwischen Infektion und Impfung oder zwischen erster, zweiter, dritter Impfung ist, wenn es quasi zugleich passiert. Also, man impft jemanden, der gerade in dem Moment eine Infektion hat, würde ich sagen: Der Effekt ist wahrscheinlich irgendwo bei null. Das heißt also: Weil wir das wissen – und weil wir natürlich auch in den ganzen Untersuchungen, wo jetzt die Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 getestet werden, nie irgendeinen negativen Effekt gesehen haben, kann man das vernachlässigen. Vielleicht noch zur Beruhigung: Wenn Sie in den USA oder in Europa wirklich sehr, sehr viele Menschen impfen, natürlich sind da welche dabei, die gerade in dem Moment Covid haben, ohne es zu merken. Und wenn es da irgendeinen spektakulären, ungewöhnlichen Effekt gäbe, hätten wir das längst bemerkt.

13:40


Camillo Schumann


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Die Frau K. hat uns eine Mail geschrieben. Sie schreibt:

„Ich möchte gern von der Impfung überzeugt werden, aber Freunde schaffen das nicht. Und je mehr ich lese, desto weniger bin ich von der Impfung überzeugt. Folgende Dinge sehe ich als wichtigste Fakten an.“

Und dann hat sie mal eben acht Fragen geschickt. Frau K., Sie sind jetzt bestimmt nicht böse, wenn ich jetzt nur zwei, drei davon nehme. Und Herr Kekulé, die Bitte an Sie: Kurze Frage und eine einigermaßen kurze Antwort, einigermaßen. Wir fangen mal mit der ersten These an, die sie davon abhält, sich impfen zu lassen: Der Impfstoff ist veraltet, und zwar von 2019 gegen den Wuhan-Typ, sagt sie. Deswegen lässt sie sich nicht impfen.


Alexander Kekulé

Ja, also zum Lesen zum einen will ich doch noch den Satz loswerden: Wenn man einen Beipackzettel von irgendwas liest, ja, also gerade als Laie. Egal, welches Medikament Sie vom Arzt bekommen, wenn Sie das alles durchlesen, was im Beipackzettel steht, dann wollen Sie es meistens nicht mehr nehmen, hinterher. Da darf man sich nicht verrückt machen mit. Das kann ich so ganz allgemein auch bei diesen Impfungen als Hinweis loswerden, weil man einfach über seltene Nebenwirkungen dann etwas liest. Ja, gegen den Wuhan-Typ, das ist bekannt. Also, es ist so, dass man einfach sehr, sehr früh angefangen hat, die Impfstoffe zu entwickeln. Ja, und deshalb sind die gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ. Der hat sich nochmal – also das ist ein B-Typ des SARS-CoV-2 – der hat sich nochmal verändert in B1, in Norditalien ist das aufgetreten. Und dieser B1 hat sich, weil man den norditalienischen Ausbruch spät erkannt hat, weltweit verbreitet. Von da gab es weitere Entwicklungen und jetzt im Moment sind wir eben über mehrere Stufen bei Delta angelangt. Jetzt kann man natürlich sagen: Also, warum ist das so gemacht worden? Ja, man wollte einfach schnell sein. Und es ist ja eigentlich ein spektakulär tolles Ergebnis, dass wir noch mitten in der Pandemie so schnell einen Impfstoff zur Verfügung haben. Die downside, wenn man so will, der Nachteil ist, dass es eben dieser ursprüngliche Typ ist. Ich bin auch der Meinung, dass die pharmazeu-

tischen Unternehmen, die die Impfstoffe herstellen, mal anfangen könnten – weil ja Delta schon wirklich dominant ist weltweit – einen Impfstoff rauszubringen, der stärker auf Delta fokussiert ist und der dort besser wirkt. Da gibt es ja klare Schwächen bei den Impfstoffen. Und die RNA-Impfstoffe zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie eigentlich schnell umgestellt werden könnten. Man muss aber dann natürlich wieder Zulassungsstudien machen. Und das würde wieder Zeit kosten. Das würde möglicherweise auch Umsatzeinbußen bringen. Darum wird es im Moment nicht gemacht. Für den, der keine andere Wahl hat, kann ich nur sagen: Das ist das friss oder stirb. Ja, das ist der Impfstoff, den wir jetzt haben. Es gibt kein anderen. Und jetzt ist Corona, jetzt ist die Gefahr, sich zu infizieren. Jetzt ist die Gefahr, schwer krank zu werden. Und jetzt müssen wir diese Epidemie oder Pandemie unter Kontrolle bringen. Deshalb bin ich halt dafür, das zu nehmen, was da ist. Ja, da können Sie lange lamentieren, dass Sie gerne was Anderes hätten. Aber was weiß ich, wenn Sie irgendwo ins Meer gefallen sind und jemand wirft Ihnen einen Rettungsring zu, dann werden Sie auch nicht sagen: Die Farbe gefällt mir nicht. Oder: Das ist kein so guter, ich hätte gerne einen besseren Rettungsring. Das ist unser Rettungsring im Moment. Und deshalb schlage ich vor, den zu nehmen und nicht zu sagen: Der ist aber old-fashioned.


Camillo Schumann


Man muss ja auch sagen: Die Influenza, die Grippe-Impfung, ist ja auch eine Daumenpeilung.


Alexander Kekulé

Es ist so, dass alle Impfstoffe – danke für den Hinweis – natürlich nur eine begrenzte Wirksamkeit haben. Influenza wirkt im besten Fall 60 Prozent bei älteren Menschen. Da sind wir mit den RNA-Impfstoffen – selbst, wenn man sich den aktuellen Delta-Typ nimmt – sind wir da besser. Zumindest, was die schweren Verläufe und die Krankenhauseinweisungen betrifft. Und für den Zweck, um den es hier geht am Ende des Tages – nämlich, an diesem Virus nicht zu sterben und vielleicht auch zu vermeiden, dass man auf der Intensivstation landet – reicht dieser Wuhan-Typ Impfstoff allemal.

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17:41


Camillo Schumann


Dann hat Frau K. ein Argument:

„Bereits bekannte Nebenwirkungen, Thrombosen, Herzmuskelerkrankung, kann man nicht genau erklären, weshalb die auftreten. Wie viele unbekannte Faktoren können noch ans Licht kommen?“


Alexander Kekulé

Also, ganz ehrlich gesagt: Das ist das, was mich auch immer so ein bisschen zögern lässt, quasi die Impfung für alle zu empfehlen. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, wo wir ein neues Wirkprinzip haben bei den RNA-Impfstoffen. Und die haben zum Teil Nebenwirkungen, die wir so ungefähr schon kennen. Die Reaktogenität ist etwas, was wir schon kennen. Aber dann zum Teil auch neue Nebenwirkungen, wie diese Herzmuskelentzündung bei jungen Männern insbesondere. Oder eben bei den Vektor-Impfstoffen hatten wir es mit den Thrombosen zu tun, wo wir eben nicht verstehen, wie die zustande kommen. Und auch bei der Reaktogenität ist es so, dass wir nicht wirklich verstehen, warum diese RNA-Impfstoffe so besonders stark reaktogen sind. Das ist in gewisser Weise unerwartet. Wahrscheinlich hätten die Hersteller dann auch mit einer niedrigeren Dosis gearbeitet. Zumindest Moderna hätte dann nicht 100 Mikrogramm pro Dosis genommen, sondern vielleicht ein bisschen weniger bei. Bei BioNTech sind es ja nur 30 Mikrogramm. Und selbst das ist vielleicht für junge Leute schon ein bisschen viel. Also, daher ist es in der Tat so, da haben wir Fragezeichen, das wissen wir nicht genau und da müssen wir uns langsam rantasten. Was ich vielleicht zur Beruhigung sagen kann, obwohl dieses Argument immer stimmt, dass es diese unknown unknowns gibt. Ja, diese Unbekannten, von denen man keine Vorstellung hat, ob man sie vielleicht in zwei, drei Jahren entdeckt. Es ist ja so: Auch seltene Nebenwirkungen und auch Langzeit-Nebenwirkungen treten zum Teil dann auch mal früher auf. Also, wenn Sie eine späte Nebenwirkung eines Medikaments oder eines Impfstoffs haben, die typischerweise, sage ich jetzt mal, um den Teufel an die Wand zu malen, erst nach zwei, drei Jahren bemerkt

wird, dann gibt es immer einzelne, dann wiederum seltenere Fälle, wo man das früher sieht. Das ist nicht so, dass so eine Nebenwirkung quasi automatisch da so einen Mindestzeitablauf hat, bevor sie zum ersten Mal auftritt. Sondern: Wenn Sie ganz, ganz viele Menschen impfen – und das machen wir ja gerade – ist einfach die Erfahrung in der Medizin, dann würden Sie ein Paar finden, wo Sie das sehr frühzeitig schon mal sehen. Vielleicht häuft sich es dann später mal. Aber da wir jetzt so viele Geimpfte beobachtet haben und außer dieser starken Reaktogenität, diesen merkwürdigen Thromboseneigungen, vielleicht noch Richtung Hauterscheinungen haben wir Dinge, die wir nicht ganz verstehen und eben das Thema Herzmuskelentzündungen. Oder ich sage mal, Entzündungen von kleinen Gefäßen. Da ist im Grunde genommen, aus meiner Sicht, schon so der Rahmen abgesteckt. Also, es ist extrem unwahrscheinlich, dass da noch etwas völlig Unerwartetes kommt. Aber ja, ich sage extrem unwahrscheinlich, das heißt natürlich zugleich: Ausschließen kann man es nicht. Und man kann nicht genau erklären, wie der Mechanismus ist. Und deshalb muss man ja, gerade bei jüngeren Menschen, besonders genau hinschauen, bevor man eine Empfehlung abgibt.

20:50


Camillo Schumann


Und noch ein Punkt von Frau K. Sie schreibt:

„Mittlerweile ist auch klar, dass ich mit der Impfung andere anstecken kann. Also, der ultimative Satz, du schützt damit andere, ist nicht mehr korrekt.“


Alexander Kekulé

Fieses Statement, ja. Aber richtig, ja, das ist so. Das ist aber eher eine Kritik an der Kommunikationsstrategie der Bundesregierung. Da würde ich mal sagen, sprechen wir heute nicht drüber. Aber ja, müsste man eigentlich korrigieren. Sie wissen ja wahrscheinlich, dass ich da sowieso schon relativ genau erklärt habe, dass auch die Geimpften durchaus auch an der Epidemie ihren Beitrag leisten.


Camillo Schumann


Ich erinnere mich ja: Vor einem halben, dreiviertel Jahr gab es ja Diskussionen um eine sterile Immunität. Das war ja teilweise sogar eine

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Art Ziel, das man erreichen wollte mit dieser Impfung. Und da war ja dann auch relativ schnell klar, dass das nicht erreicht werden kann.


Alexander Kekulé

Ja, also, diese sterile Immunität, da gab es Leute, die haben diskutiert, ob das möglich ist oder nicht. Da wurde gesagt – auch von Politikern und von ihren Beratern – das ist jetzt ganz wichtig, als nächstes mal rauszukriegen, inwieweit die Impfung oder die Infektion sterile Immunität verleiht. Und wenn Sie sich richtig erinnern, habe ich quasi reflexartig reagiert und gesagt: Das gab es noch nie. Die Beispiele steriler Immunität in der Virologie können Sie an einer Hand abzählen und ich selber kenne fast keins, das beim Menschen zutrifft. Das sind eher Beispiele bei Tier-Viren und schon gleich gar nicht bei den Coronaviren. Und deshalb habe ich mich sehr gewundert, dass Fachleute auf diesem Gebiet dann diese Diskussion überhaupt geführt haben. Es ist völlig klar gewesen eigentlich für jemanden, der sich damit auskennt, von Anfang an, dass die Frage nur ist: Wieviel Prozent schützt die Impfung oder schützt die Infektion vor der Weitergabe des Virus? Die sterile Immunität und damit einhergehend dann auch die sogenannte Herdenimmunität – die ja basiert auf einer Rechnung, die von einer sterilen Immunität ausgeht – beides sind, wenn ich mal so sagen darf, Hirngespinste oder Würste, die man den Menschen vor die Nase gehalten hat, aus welchem Grund auch immer. Aber das sollte man vielleicht mal aufarbeiten, irgendwann. Aber das ist, glaube ich, heute völlig vom Tisch. Also, ich glaube, da redet keiner von denen, die das mal behauptet haben, heute noch drüber und will sich wahrscheinlich auch nicht daran erinnern lassen, dass er das mal so gesagt hat.

23:15


Camillo Schumann


Dieser besorgte Hörer hat angerufen:

„Was mich besorgt sind weniger die bekannten Impfnebenwirkungen oder Impfreaktionen selber, sondern, dass Experten öfters nicht erklären können, warum diese überhaupt auftreten. So scheint man sich noch nicht sicher zu sein, was die Myokarditis bei jungen Männern überhaupt auslöst. Auch, was die beobachteten Un-

regelmäßigkeiten beim weiblichen Zyklus angeht, muss die NIH (National Institutes of Health, Anm. d. Red.) der Sache erst auf den Grund gehen. Ich meine auch, gehört zu haben, dass noch nicht wirklich geklärt ist, warum der Impfstoff überhaupt so reaktogen ist. Es klingt für mich persönlich als Laie irgendwie so, als gäbe es hier durchaus noch einige unbekannte Mechanismen. Ich höre immer wieder, dass das Risiko von unvorhersehbaren Spätfolgen existiert, jedoch extrem unwahrscheinlich ist. Aber ich frage mich schon: Steigt nicht mit jeder unerklärbaren Wirkung oder Nebenwirkung automatisch auch die Unvorhersehbarkeit, was Spätfolgen angeht?“

Interessante Schlussfolgerung.


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja quasi so, als hätte er meine letzte Antwort gehört. Also, deshalb versuche ich mal, rauszudestillieren, was jetzt neu ist im Vergleich zur letzten Frage. Also, das eine ist die Frage mit den weiblichen Zyklen: Ist das etwas, wo wir tatsächlich noch Fragezeichen haben? Ja. Also, kann man vielleicht nochmal ausführlicher drauf eingehen. Aber grundsätzlich ist das etwas, was erforscht werden muss. Da wissen wir nicht genau, was es mit diesen Zyklusstörungen auf sich hat. Zweitens: Myokarditis. Ja, da ist es so, dass wir tatsächlich nicht wissen, welche Spätfolgen das hat. Es ist aber so, dass das einfach so häufig ausheilt und so häufig wohl auch unterhalb des Radars bleibt – im Sinne von Erfassung in öffentlichen Gesundheitsregistern oder bei Krankenkassen – dass die Wahrscheinlichkeit, dass man dann sozusagen fünf Jahre später am Herz immer noch irgendwelche Probleme sieht, sehr gering ist. Weil: Wir haben ja als Vergleich, wenn ich mal so sagen darf, immer die Herzmuskelentzündungen, die durch Viren entstehen. Und das wissen wir. Da gibt es bestimmte Viren, die das ganz gut können. Zum Beispiel sogenannte Coxsackie-Viren, die machen manchmal richtig schlimme Herzmuskelentzündungen. Auch bei Influenza sehen wir sowas. Und wenn man das als Referenz nimmt, muss man sagen: Im Vergleich dazu ist das, was man hier bei dem Impfstoff sieht, ein kleine, eine leichte Infektion oder eine leichte Entzündung. Natürlich steht es nicht geschrieben, dass, wenn ich sozusagen nur mit einem Teil des Virus – also, hier mit

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diesem S-Protein plus noch dem Impfstoff selber – das Immunsystem stimuliere, dass ich da eine wirklich dann leichtere Entzündung bekomme, als wenn es das ganze Virus ist. Auf der anderen Seite ist das natürlich sehr wahrscheinlich, das ist klar. Wenn Sie etwas haben, was voll funktionsfähig ist und insgesamt quasi in der Evolution darauf sich optimiert hat, uns Menschen zu infizieren, da würde ich immer davon ausgehen, dass so ein richtiges Virus quasi das Herz besser angreifen kann, als wenn man nur so ein kleines Teil von dem Virus nimmt. Also, wenn Sie ein Gewehr haben, mit dem Sie schießen können und was richtig funktioniert, ist das immer gefährlicher, als wenn Sie jemandem nur den Gewehrkolben hinterherschmeißen. Aber klar, weiß man nicht. Auch der Gewehrkolben kann natürlich jemanden dumm am Kopf treffen. Und deshalb ist es nicht ganz auszuschließen, dass wir mit der Impfung irgendetwas machen, was unerwartet ist und was wir von den Virusinfektionen des Herzens nicht kennen. Aber es ist eben sozusagen aus virologischer Sicht, Sie merken schon, extrem unwahrscheinlich, weil wir den Eindruck haben, dass wir zwar nicht wissen, wie das jetzt funktioniert, aber das Spektrum der möglichen Reaktionen irgendwie schon kennen aus den Untersuchungen über echte Virusinfektionen. Ja und die Reaktogenität, das ist in der Tat so, das verstehen wir nicht genau. Das liegt einfach daran, dass die angeborene Immunantwort – das ist etwas, was erst in den letzten zehn Jahren eigentlich so richtig erforscht wurde. Da gibt es ständig neue Überraschungen. Früher hat man gedacht, dieses angeborene Immunsystem kann nicht lernen, hat sozusagen kein Gedächtnis. Inzwischen wissen wir, dass das durchaus trainiert werden kann. Und deshalb sind da einfach wissenschaftlich quasi Fronten, die wir noch nicht so weit beackert haben. Und meine Meinung dazu ist, dass man ganz pragmatisch einfach mit Dosisreduktion arbeiten kann, um die Reaktogenität in den Griff zu bekommen. Ich hoffe, dass das bald auch etwas intensiver in Angriff genommen wird.

27:51


Camillo Schumann


Genau diese Nebenwirkungen, die auch unvorhersehbar sind, beschäftigen eben sehr, sehr viele Menschen, die eben noch zweifeln und

sich bisher haben nicht impfen lassen. Oder die sich haben impfen lassen und keine zweite Impfung sich geben lassen, wie die Frau W., die gemailt hat, aus gutem Grund. Sie schreibt:

„Am 13. April dieses Jahres ließ ich mich voller Überzeugung das erste Mal mit BioNTech impfen. Sechs Wochen später, da hätte ich die zweite Impfung bekommen sollen, bekam ich eine Gürtelrose. Also wurde die zweite Impfung ausgesetzt. Jetzt, im Oktober, nach viereinhalb Monaten, erkrankte ich wieder an Gürtelrose. Zudem leide ich seit der ersten Impfung extrem unter Herpes. Ich sprach mit Apothekern aus der Region und alle berichteten mir, dass sehr viele Medikamente nach Erstimpfung gegen Zoster an Menschen herausgegeben werden. Ich werte: Mein Immunsystem ist seit der Erstimpfung nicht mehr intakt. Deshalb kann ich mir eine Zweitimpfung derzeit nicht vorstellen. Herr Kekulé, versuchen Sie mich zu überzeugen. Und bitte erklären Sie mir, warum so viele Menschen mit Gürtelrose reagieren. Herzlichen Dank, Frau W.“


Alexander Kekulé

Tja, also, das ist tatsächlich unter den Fachleuten umstritten. Und da ich ja hier alleine sitze und keine Kollegen oder Kollegin habe, die mir ins Wort fallen kann, fange ich mal mit der Meinung an, die ich nicht vertrete. Also, es ist so, dass es durchaus eine fundierte Fachmeinung gibt, die sagt: Durch die Impfungen, durch die RNA-Impfstoffe, da gibt es keine Assoziation mit der Auslösung von Herpes oder Gürtelrose. Beispielsweise – kann man ja namentlich nennen – die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sagt: Es gibt keine Korrelation. Und da ist sie nicht alleine mit. Nach dieser Vorrede, der Ordnung halber: Ich sehe das anders. Es ist so, dass meines Erachtens die Daten weltweit darauf hindeuten, dass man durch diese Impfungen, durch diese RNA-Impfstoffe, tatsächlich sowohl den Lippenherpes als auch vor allem eben Herpes Zoster, also die Gürtelrose, auslösen kann. Es ist noch nicht statistisch, sage ich mal, einwandfrei korreliert. Aber die Berichte – genau, wie die Hörerin gesagt hat – häufen sich auf der ganzen Welt. Auch schriftliche, auch gut dokumentierte Berichte. Da ist es relativ klar, dass das, aus meiner Sicht, kein Zufall sein

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kann. Das Problem ist immer: Herpes, Gürtelrose, Zoster ist eine häufige Erkrankung, auch im höheren Alter natürlich. Man nimmt an, dass das dadurch zustande kommt, dass das Immunsystem altert einfach und dann das Zoster-Virus nicht mehr so gut im Griff hat. Und die Impfung ist inzwischen auch sehr häufig. Ja, es werden ja sehr, sehr viele Menschen geimpft. Und dann ist es wirklich schwierig, statistisch zu beweisen, dass das eine an dem anderen liegt und nicht zufällig quasi nacheinander passiert ist. Und das wäre das Argument der Gegner. Ich bin der Meinung, dass die Korrelation so weit im Raum steht, dass man das ernsthaft als Nebenwirkung in Betracht ziehen muss. Und zwar, der Mechanismus ist relativ offensichtlich. Wir wissen, dass Gürtelrose dadurch entsteht, dass das Windpockenvirus – das Virus heißt Varizella-Zoster-Virus, weil das die Windpocken, die Varizellen, machen kann und auch die Gürtelrose, den Zoster. Und dieses Windpockenvirus, wenn wir in der Jugend Windpocken hatten, das ist interessanterweise dann nicht völlig verschwunden, sondern das versteckt sich im Körper. Das hat so Nervenzellen, wo sich das einnistet und dann in so eine Art Tiefschlaf-Zustand geht. Es wird quasi eingefroren, da drin. Und gelegentlich kommt es mal zu Aktivierungen. Entweder, wenn wir eine andere Virusinfektion haben, bei manchen, wenn sie zu viel in der Sonne waren oder einfach nur durch das Alter, manchmal auch Tumorerkrankungen. Und dann kommt es eben darauf an, wie gut das Immunsystem ist, um das gleich wieder einzufangen. Wenn man jetzt so eine Impfung hat, dann passiert Folgendes – und das ist nicht nur bei der Covid-Impfung so: Da wissen wir, dass es als Reaktion auf die Impfung eine Lymphopenie gibt, wie wir das nennen. Also, die Lymphozyten, ein bestimmter Teil der weißen Blutkörperchen, nimmt vorübergehend ab für ein paar Tage. Das ist etwas, das nennen wir dann sozusagen impfungsgetriggerte Immunmodulation. Oder auch Immunreprogrammierung ist so der neuere Ausdruck dafür. Das heißt also: Wir wissen, dass durch die Impfungen das Immunsystem quasi umschaltet in einen anderen Modus, wo es speziell diesen Impfstoff dann erstmal verarbeiten will und möglicherweise dann andere Dinge außer Acht lässt. Das ist so die eine Theorie. Wir stellen aber fest – jedenfalls unterm

Strich – dass nicht nur bei dieser Impfung – das gibt es auch bei der Masern-Impfung zum Beispiel, ganz intensiv auch untersucht bei Influenza-Impfungen – dass es dann im Ergebnis zu einem Abfallen dieser Lymphozyten kommt. Und wir wissen, dass es in dem Zusammenhang eben manchmal – so ähnlich wie bei einem gealterten Immunsystem – zur Reaktivierung von Varizella-Zoster-Virus kommt. Also, dann zu dem Zoster, zur Gürtelrose. Daher ist es aus meiner Sicht mechanistisch hundert Prozent plausibel. Passt zu dem, was wir von anderen Impfungen kennen. Und sieht auch von der Korrelation her – zumindest von den anekdotischen Berichten – so aus. Und deshalb wage ich es an dieser Stelle, der wahrscheinlich noch herrschenden Lehrmeinung zu widersprechen und zu sagen: Nein, da ist eine Korrelation einfach wahrscheinlich, an der Stelle. Die gute Nachricht ist: Das ist ja reversibel. Also, das ist so, dass diese Lymphopenie – also, dieses Abnehmen der Lymphozyten – das ist etwas, das passiert und nach einer Zeit werden die wieder normal nach der Impfung. Übrigens sieht man das gleiche auch bei den Virusinfektionen selber. Das ist ganz interessant. Das passiert nicht nur bei den Impfungen, zum Beispiel gegen Masern, sondern wir sehen es auch bei der echten Maserninfektion und dann viel stärker. Oder auch bei der Covid-Erkrankung. Da haben von den schwer Covid-Erkrankten ungefähr 85 Prozent so ein Absinken der Lymphozyten. Bei diesem SARS, was wir 2003 hatten – ein ganz eng verwandtes, anderes Coronavirus – waren es über 90 Prozent bei den schweren Erkrankungen. Und man kennt das auch von anderen. Dengue-Virus, zum Beispiel, macht so etwas auch ganz massiv. Also, daher ist es so: Der Organismus reagiert sowohl auf die Impfung als auch eben auf die Virusinfektion selber mit so einem Abfallen der Lymphozyten. Warum macht er das? Da streiten sich die Virologen. Sie merken schon, dass ist für uns ein spannendes Thema. Es gibt zwei Theorien. Die eine ist, dass das ein Problem ist, und zwar, weil das Virus irgendwie die Lymphozyten angreift, attackiert, kaputtmacht, ausschaltet, austrickst. Und die Gegentheorie ist, dass es Absicht ist. So ähnlich wie das Fieber, was man kriegt nach einer Infektion, bakteriellen oder viralen Infektion. Das Fieber hat ja den Grund, dass der Körper sich damit wehrt

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gegen die Infektion. Und es gibt die Theorie, dass diese Lymphopenie – also, dieses Absinken der Lymphozyten – deshalb passiert, weil man damit eine Überreaktion des Immunsystems ausbremst. Also, der Körper fährt absichtlich seine Reaktion runter, weil ja bei einer Virusinfektion ganz häufig der eigentliche Schaden gar nicht vom Virus selber angerichtet wird, sondern von einem übereifrigen Immunsystem. Bei Sars-CoV-2 ist das ja nun ganz typisch so. Und deshalb würde es auch passen, dass man bei so einem stark reaktogenen Impfstoff eine reaktogene Lymphopenie hat. Eigentlich versucht der Körper dann, wenn ich mal so sagen darf, diese möglicherweise Überdosierung des Impfstoffs selber auszugleichen, indem er seine Immunantwort runterfährt. Die Lymphozyten fahren runter. Und als Nebeneffekt freut sich dann natürlich das Varizella-Zoster-Virus, was da in irgendeiner Nervenzelle seit Jahrzehnten quasi vor sich hin schmort im Kerker. Und jetzt plötzlich – hurra – quasi raus kann und mal seinen kurzen Auftritt hat, indem es da so ein paar Bläschen macht. Das geht aber in der Regel nach ein paar Tagen oder spätestens Wochen wieder weg, weil sich dann das Immunsystem wieder arrangiert hat. Die Abwehr des „Impfstoffs“ in Anführungszeichen ist sozusagen erledigt und dann kümmert es sich auch wieder um das Varizella-Zoster-Virus.


Camillo Schumann


Das war jetzt so eine kleine Vorlesung zum Thema Gürtelrose und Herpes. Am Ende des Podcasts: Stifte raus! Da gibt es dann einen kleinen Test.


Alexander Kekulé

(lacht) Entschuldigung. Wenn jemand so genau fragt. Aber es ist nichts Schlimmes. Also, es ist eine vorübergehende Reaktivierung und es ist nichts, wo man jetzt Angst vor haben muss. Sondern es ist eine unangenehme Nebenwirkung. Die geht aber weg und ist kein Zeichen dafür, dass da was ganz Unheimliches im Körper passieren wird.

36:41


Camillo Schumann


Und die Frau W. will ja – und deswegen hat sie das ja auch so geschildert, weil sie ja eigentlich eine Impfbefürworterin war, jetzt aber die Gür-

telrose bekommen hat – von Ihnen überzeugen lassen. Was würden Sie ihr denn empfehlen? Oder möchten Sie überhaupt etwas empfehlen?


Alexander Kekulé

Ja, man muss immer mit individuellen Empfehlungen vorsichtig sein. Das sollen die Ärzte machen. Aber ich kann vielleicht Folgendes sagen: Wir haben von anderen Viren – also, von SarsCoV-2, muss ich zugeben, habe ich jetzt kein Beispiel. Aber wir haben von anderen Viren tatsächlich Beispiele, wo Menschen bei der ersten Impfung eine Reaktivierung von Gürtelrose hatten. Und dann waren sie so mutig und haben sich nochmal impfen lassen. Es war, glaube ich, Influenza, ein Fall aus der Schweiz, an den ich hier denke. Und dann beim zweiten Mal prompt wieder eine Gürtelrose bekommen. Also, das muss man fairerweise sagen: Wenn jemand schon mal so eine Prädisposition, so eine Veranlagung dazu hat, dass das Immunsystem da mit der Gürtelrose reagiert auf die Impfung, dann muss man damit rechnen, dass es beim zweiten Mal nochmal kommt. Das sollte man mit dem Arzt diskutieren, ob man das in Kauf nimmt oder nicht.

37:46


Camillo Schumann


Frau W. könnte ihren Arzt konsultieren. Dann hat ein junger Mann angerufen, der macht sich große Sorgen. Nicht um sich, sondern um seine Mutter:

„Hallo, hier ist der G. aus Augsburg. Ich rufe quasi an, weil ich mir ein bisschen Sorgen um meine Mutter mache. Also, wir Kinder sind komplett durchgeimpft, alle so Mitte 30. Meine Mutter ist jetzt 66 und lässt sich nicht impfen. Die hatte mal eine Thrombose im Bein vor einem Jahr und hat zu mir einfach gesagt, sie hat Angst, dass sie mit der Impfung stirbt. Und vielleicht hat der Herr Kekulé ein paar beruhigende Worte für sie, weil sie hat öfter mal was an der Lunge gehabt, auch mal öfter schwere Lungenentzündungen. Und ich mache mir da ein bisschen Sorgen, dass eher das schwieriger werden könnte, wenn sie infiziert wird, als wenn sie die Impfung macht.“

Tja, an den berühmten Worten soll es nicht scheitern. Herr Kekulé.

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Alexander Kekulé

Also, erstens: Ich kenne ganz viele, die Angst haben, dass sie sterben, wenn sie geimpft werden. Das klingt natürlich für einen Virologen völlig absurd. Aber das ist so. Da ist sie nicht alleine auf der Welt. Das ist vielen Leuten einfach, oder manchen Leuten, unheimlich. Wenn jemand was an der Lunge hat und sozusagen die Lunge ein schwaches Organ ist, so eine Art Achillesferse – jeder hat ja so seine Organe, wo er seine Schwachstelle hat – dann bin ich der Meinung, ist das wirklich gar kein Wenn und Aber, dann ist diese Covid-Infektion etwas, das muss man vermeiden. Und wenn man sich nicht einsperrt und jeden Kontakt mit anderen Menschen vermeidet, dann hat man keine Chance anders, als die Impfung – auf lange Sicht gesehen – diese Infektion zu vermeiden oder zumindest harmlos werden zu lassen, als die Impfung. Die Angst vor Thrombosen ist hier bei diesen RNA-Impfstoffen, meines Erachtens, wirklich auch sachlich nicht berechtigt. Wir hatten das Problem bei AstraZeneca. Da war es sicherlich von der staatlichen Kommunikation nicht so geschickt, erst mal lange so zu tun, als wäre alles in Butter, bis man dann doch zugegeben hat, dass es da Probleme gibt und jetzt eigentlich der Impfstoff ja gar nicht mehr empfohlen wird. Das hat vielleicht Leute verunsichert. Aber ich kann wirklich sagen: Das ist ein AstraZenecaoder ein Vektor-Impfstoff spezifisches Problem. Wir haben diese Thrombosen bei AstraZeneca, wir haben sie bei Johnson & Johnson. Ob das der Sputnik V Impfstoff aus Russland auch zeigt, das wissen wir nicht genau. Da sind die Daten nicht so sauber. Aber das ist ein Problem dieser Vektor-Impfstoffe. Und man ist inzwischen auch relativ weit, zu verstehen, wie das passiert. Da haben wir auch schon mal drüber gesprochen. Da gibt es bestimmte Aktivierungen von Blutplättchen im Organismus, die eben durch diese Vektor-Impfstoffe passieren. Und das wäre extrem unwahrscheinlich, wenn man was Ähnliches bei den RNA-Impfstoffen überhaupt sehen würde. Und in der Praxis ist es so: Ja, es gibt alle möglichen Nebenwirkungen, aber diese Thrombosen, die man von den Vektor-Impfstoffen kannte, das ist kein Thema bei den RNA-Impfstoffen.

40:47


Camillo Schumann


Der Herr S. aus Wiesloch hat uns gemailt. Er schreibt:

„Im Podcast wurde versprochen, dass alle Fragen der Impfstoffskeptiker in einem Spezial am 16. Oktober beantwortet werden. Da bin ich mal gespannt“, schreibt er. „Ich bin männlich, 62, bei guter Konstitution, insbesondere was Lunge und Herz angeht.“

Er macht Sport.

„Das einzige Risiko ist eine leichte Hypertonie, die medikamentös unter Kontrolle ist. Ich habe eine relativ geringe Anzahl von Sozialkontakten. Ich habe mich bisher nicht impfen lassen, hauptsächlich aus folgenden Gründen. Erstens: Ich zähle mich nicht zur Risikogruppe aus obigen Gründen. Die unknown unknowns der Impfung, die Professor Kekulé in Verbindung mit der Impfung von Jugendlichen thematisiert hat – dieses Argument nehme ich für mich auch in Anspruch. Ich will auch noch ein paar Jahre leben. Und drittens die mRNA-Technologie ist mir mangels Langzeiterprobung nicht geheuer. Ich warte lieber auf den Tot-Impfstoff. Beste Grüße, Herr S.“

Herr S., vielen Dank! Wir haben Ihre Mail jetzt vorgelesen. Ich frage mich aber: Wo ist die Frage? Wir vermuten mal, dass Sie jetzt die Bewertung Ihrer Einschätzung haben wollen. Die bekommen Sie natürlich auch sehr gerne.


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist schwierig. Also, die unknown unknowns mit 62. Ich meine natürlich damit immer Dinge, die, sage ich mal, bei jungen Leuten irgendwie in die Zukunft reichen. Das heißt, wenn man nochmal selber Kinder bekommt und ähnliche Dinge zum Beispiel. Das kann natürlich beim 62-jährigen Mann durchaus auch noch auf der To-do-Liste stehen. Da ist dann die Frage, ob man da jetzt irgendetwas überhaupt rein theoretisch sich denken könnte, wo es Probleme geben könnte. Je kürzer die Lebenserwartung, desto geringer sozusagen auch das Feld der unknown unknowns. Das werden dann einfach weniger dadurch, dass es weniger Möglichkeiten von Problemen natürlich gibt. Aber ja, das kann man sagen. Ich will einfach wirklich alles verstehen. Und wenn ich nicht alles verstehe bei dem Impfstoff, dann will ich den nicht haben. Ich höre dieses Argument relativ häufig so in dieser Richtung.

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Dazu muss ich sagen: Wir diskutieren jetzt bei Corona die Sachen ja sehr, sehr im Detail. Und das ist ja auch richtig, die Gesellschaft ist ja extrem aufmerksam geworden auf diese medizinisch-wissenschaftlichen Fragestellungen. Aber wir haben bei fast jedem Medikament, das wir nehmen, an unknown unknowns. Wenn uns der Arzt Blutdrucksenker verschreibt – so, wie ich es verstanden habe, nimmt der Herr S. einen – dann ist es auch so, dass es da Dinge gibt, die nicht erprobt sind, die irgendwann mal rauskommen können. Und die Liste der Medikamente, die dann nach zwei, drei, vier Jahren wieder vom Markt genommen wurden, weil man irgendetwas gefunden hat, was so schlimm ist, dass die Zulassung sogar zurückgenommen wurde, die ist wirklich lang. Das heißt, man muss sich davon losmachen, dass man in der Medizin alles hundertprozentig steuern könnte. Und ich selber glaube auch, dass man sonst im Leben nicht jedes Risiko hundertprozentig vermeiden kann. Deshalb schaue ich immer auf die andere Seite der Waagschale. Und da ist es ja so: Wenn man 62 Jahre alt ist – und das ist jetzt sozusagen der Fehler, die Fehlannahme bei unserem Hörer – dann kann man nicht sagen: Ich gehöre nicht zur Risikogruppe. Sondern: Es gibt wirklich 62Jährige – und da kann ich aus eigener Erfahrung sogar in meinem persönlichen Umfeld sprechen – die waren vorher völlig sportlich, völlig gesund und sind nicht nur auf der Intensivstation gelandet wegen Covid, sondern daran gestorben. Ich habe jetzt gerade einen aktuellen Fall, der ist nicht in Deutschland passiert. Da hat jemand, der sportlich, jung war, kein Übergewicht hatte, keine Risikofaktoren, der hat durch Thrombosen zunächst ein Bein verloren. Dann hat er einen Hirnschlag gehabt, ist halbseitig gelähmt. Und das Ganze als Folge von Covid. Und die Frage, ob er es überlebt, ist noch offen. Sonst mache ich nicht gerne so Angst, aber es gibt solche Fälle. Und wenn jemand dann schreibt: Ich gehöre nicht zur Risikogruppe. Dann sage ich: Auf der Seite der Waagschale stimmt es einfach nicht. Und wenn ich jetzt sozusagen so eine Balance habe: Auf der einen Seite ein gewisses Risiko, dass ich dann doch aus Gründen, die man nicht genau versteht, zu denjenigen gehören könnte, die echt ein Problem mit der Covid-Infektion bekommen und auf der anderen Seite natürlich

irgendwelche unknown unknowns bei der Impfung habe, dann sage ich halt: Bei jemandem mit 62 ist, nach meiner Überzeugung jedenfalls, grundsätzlich die Antwort: Besser impfen. Bei jemandem mit 22 ist die Frage schon viel schwieriger zu beantworten. Oder bei jemandem mit 15. Aber ich glaube, in dem Alter ist es so, dass man nicht wegen Dingen, die man überhaupt nicht kennt – und die ja zum allgemeinen Lebensrisiko immer gehören – jetzt sozusagen die Impfung sein lässt. Sonst dürften Sie ja gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Ein unknown unknown wäre ja auch ein unerwarteter Dachdecker, der auf ihrem Haus steht, wenn Sie gerade zur Tür rauskommen und den Hammer fallen lässt, in dem Moment. Es gibt immer Dinge im Leben, mit denen haben Sie partout nicht gerechnet. Und ja, manchmal treffen die einen. Aber wir hoffen ja doch alle, dass wir alt werden. Und der beste Weg zum Altwerden ist in dem Fall, in dieser Situation: Impfen lassen.

45:54


Camillo Schumann


So, Herr S. Wir haben Ihre Mail vorgelesen und Ihre Annahmen bewertet. Diese Hörerin hat angerufen, und sie ist verzweifelt:

„Ich habe furchtbare Angst, mich impfen zu lassen, weil im Bekanntenkreis doch schwere Nebenwirkungen mit Todesfällen aufgetreten sind. Ich selber bin auch vorerkrankt mit drei undichten Herzklappen durch eine Endokarditis und habe jetzt Angst, wenn ich mich impfen lasse – wiege nur 50 Kilo – dass es vielleicht zu einer Überreaktion kommen könnte und wie dann mein Herz reagiert. Zumal ich jetzt auf viele Sachen generell schon reagiere, Wetterwechsel und so. Und deswegen habe ich Angst, mich impfen zu lassen. Ich hätte vielleicht den Mut, mich nur einmal impfen zu lassen, aber das wird ja nicht anerkannt. Wie kann man solche Sachen in den Griff kriegen? Und ich bin ja auch alleine zuhause, wo mir keiner helfen kann, wenn irgendetwas passiert.“

Tja, eine Dame mit großer Angst.


Alexander Kekulé

Ich glaube, da ist sie nicht ganz alleine. Also, es gibt viele Menschen, die dann einfach Angst haben. Gerade, weil sie andere Herzbeschwer-

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den haben. Man muss sagen: Diese Herzmuskelentzündung, Myokarditis – wir wissen nicht genau, wie sie entsteht – aber es ist ein eigenes Krankheitsbild. Und das hat mit der Endokarditis, mit dieser Herzklappenentzündung, die die Hörerin hat, absolut nichts zu tun. Also, jemand, der eine Herzklappenentzündung hat, hat kein höheres Risiko, diese Herzmuskelentzündung zu entwickeln, sodass man sagen muss, das ist subjektiv nachvollziehbar, dass man sagt: Mensch, ich hatte schon was am Herz, jetzt lese ich da was von so komischen Nebenwirkungen. Aber das sind wirklich komplett zwei Paar Schuhe, das hat nichts miteinander zu tun. Und es gibt auch überhaupt keine Korrelation zum Körpergewicht. Also, weil jetzt jemand da sozusagen nur schlanke 50 Kilo wiegt, ist nicht die Wahrscheinlichkeit höher, dass er da diese Nebenwirkungen nach der Impfung haben könnte. Im Gegenteil, ich würde jetzt so rein von der Stimme, vom Alter her sagen: Höchstwahrscheinlich ist das eine Dame gewesen, die also jetzt nicht ein besonders hohes Risiko hat – das sind ja junge Männer unter 18, oder so – jetzt eine Herzmuskelentzündung zu bekommen. Was man schon sagen muss, ist, dass Menschen, die einfach allgemein sensibel mit ihrem Körper sind und die bei Impfungen halt genau darauf achten: Mensch, tut mir das jetzt weh? Wie schlimm ist es jetzt? Die auch Angst vor den Schmerzen oder vor der Reaktion haben. Die nehmen natürlich – das ist medizinisch bekannt – solche Dinge dann hinterher, wenn es dann eintritt, auch stärker wahr. Also jemand, der eher bereit ist, sowas zu ignorieren, der hat manchmal einen dick geschwollenen Arm nach der Impfung – egal, was es ist, ob das jetzt Covid oder was Anderes ist – und sagt: Wieso? Ist doch nichts. Den linken Arm kann ich zwar nicht heben, aber das wird schon wieder. Und jemand anderes, der da sehr sensibel drauf ist, der leidet dann natürlich unter Umständen auch stärker. Darum würde ich schon sagen: Es macht einen Sinn, sich, soweit man es irgendwie kann, quasi die Ängste so durch kleine Maßnahmen zu nehmen. Das eine, finde ich, ist immer ganz wichtig, dass man einen Arzt hat, dem man wirklich vertraut, der die Impfung macht. Da würde ich nicht in so ein Impfzentrum oder Ähnliches gehen. Ich meine, die sind sowieso größtenteils außer Betrieb. Sondern zu

einem Arzt, wo ich weiß, der kümmert sich, der gibt mir vielleicht auch seine Handynummer, dass ich ihn anrufen kann, wenn ich dann irgendeine Reaktion habe und abends irgendwie alleine zuhause bin. Oder so weit zu gehen, dass man sagt: Okay, wenn ich da solche Ängste habe – auch, wenn ich jetzt natürlich sagen muss, die sind fachlich nicht begründet. Aber trotzdem würde ich so weit gehen und sagen: Okay, am Tag nach der Impfung habe ich dann halt jemanden, der mich besucht oder mit dem ich schon vorher ausmache, dass der vielleicht bei mir zu Hause ist und sich kümmert. Durch solche kleinen Tricks kann man sich, glaube ich, solche Ängste von solchen Dingen nehmen. Das gilt ja für alle medizinischen Eingriffe.

49:47


Camillo Schumann


Jetzt hat die Dame ja auch geschildert, dass sie einen Todesfall nach Impfung im Bekanntenkreis hatte, was ja ein sehr, sehr seltenes Ereignis ist. Dem müsste man dann wahrscheinlich auch erst mal auf den Grund gehen, ob das wirklich mit der Impfung in Zusammenhang steht, oder?


Alexander Kekulé

Na ja gut, es gab Todesfälle natürlich nach der AstraZeneca-Impfung. Nach BioNTech ist es so, dass also die Korrelation – also, dass jetzt wirklich klar ist, das ist ein ursächlich davon ausgelöster Todesfall – das ist extrem selten. Also, da kann man ja so zusammenfassen: Also, durch die Myokarditis, durch die Herzmuskelentzündung, das kann man an einer Hand abzählen, wie oft da Leute dran gestorben sind. Das ist typischerweise eine harmlos verlaufende Myokarditis. Aber klar, die kann auch mal irgendwelche Thrombosen machen oder sowas, in ganz seltenen Fällen dann bis zum Herzschock oder Ähnliches. Aber wie gesagt, das sind dann wirklich in ganz Europa ganz, ganz wenige Fälle. Und was wir natürlich manchmal sehen – das muss man fairerweise sagen – sind Menschen, die allergisch sind. Die haben dann so eine allergische Reaktion, also einen allergischen Schock. Das war früher eine gefürchtete Nebenwirkung. Und wenn ich jetzt irgendwo in der Wüste unterwegs wäre, hätte ich da auch Angst davor. Aber man muss sagen: In Deutschland, wo quasi an jedem Punkt

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der Republik der Rettungsdienst innerhalb von 10 Minuten da ist üblicherweise, da ist selbst eine schwere allergische Reaktion etwas, was also fast immer beherrschbar ist. Das wirkt dramatisch. Aber zwei Tage später haben die Ärzte das normalerweise durch Medikamente im Griff. Und auch diese allergischen Reaktionen sind extrem selten. Und mehr Gründe für Todesfälle, die relevant wären, gibt es eigentlich nicht. Also, das ist ganz selten mal die Endokarditis, die allergischen Reaktionen ganz selten mal. Und deshalb würde ich sagen: Bloß, weil der Blitz da im Nachbarhaus eingeschlagen hat, ist die Wahrscheinlichkeit – selbst, wenn es zusammenhängen sollte – ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ausgerechnet mich dann als Nächstes erwischt, extrem gering.

51:46


Camillo Schumann


So, ich hoffe, wir konnten die Angst dieser Hörerin ein wenig nehmen. Herr S. hat uns gemailt. Er hat geschrieben:

„Ich habe vor einiger Zeit eine Veröffentlichung gelesen, die nachwies, dass mRNA der Impfung nicht am Injektionsort verbleibt, sondern in den Blutkreislauf übergeht. Nun, meine Frage: Ist es durch den Übergang möglich, dass zum Beispiel Zellen der Gefäßwände das S-Protein herstellen und somit vom Immunsystem angegriffen werden? Könnte hierdurch vielleicht sogar eine Infektion, die es bei leichtem Verlauf nicht in die Blutbahn schafft, weniger mögliche Nebenwirkungen oder Langzeit-Folgen haben? Viele Grüße.“

Da macht sich einer Gedanken.


Alexander Kekulé

Ja, das ist sehr klug gedacht. Und wirklich, sag ich mal, genau das, was die Fachleute auch diskutieren. Das ist ja so, dass bei leichten Verläufen, so wie es aussieht, das Virus gleich auf den Schleimhäuten plattgemacht wird. Ja, das ist insbesondere bei Kindern so. Die haben ein voraktiviertes Immunsystem auf den Atemwegsschleimhäuten. Da kommt das Virus daher. Und dann sagt das Immunsystem, du kommst mir gerade recht und das Virus hat keine Chance, irgendwie überhaupt ins Blut zu kommen. Möglicherweise reagieren die gar nicht immunologisch mit dem vollen Programm, weil auf der Schleimhaut das Virus

schon erledigt wird. Natürlich ist im Gegensatz dazu ein S-Protein, was man jetzt spritzt, bzw. die RNA spritzt, die dann dieses S-Protein generiert, im Körper drin und macht eine andere Art von Immunantwort. Und es ist so: Da kann es im Einzelfall so sein, dass es dann Nebenwirkungen gibt in dem Sinn, wie der Hörer sich das genau richtig überlegt hat. Der Impfstoff bleibt nicht am Injektionsort. Das meiste bleibt dort, das wissen wir. Aber das ist ja durchaus untersucht worden, schon lange bevor man das am Menschen ausprobiert hat. An Tieren ist das getestet worden, da hat man geguckt: Wie verteilt sich eigentlich dann dieser Impfstoff im Körper? Und ja, kleine Mengen werden, auch wenn es korrekt intramuskulär injiziert wurde – also, gar nicht diese Idee, die da manchmal kolportiert wird, dass jemand aus Versehen eine Vene trifft. Nein, ganz normal intramuskulär, das ist im Muskel drin. Dann wird das aber zum Teil auch durch die Lymphbahnen abtransportiert. Und die Lymphe, die wird gesammelt und landet irgendwann auch im Blut, sodass ein kleiner Teil dieses Impfstoffs dann tatsächlich im Blut landet und von dort aus irgendwohin gehen kann. Und dann fängt dann zum Beispiel so eine Zelle, die eigentlich die Innenwand der Gefäße austapeziert – also, quasi die Tapete an der Innenwand der Zellen, das sogenannte Endothel, heißt das – die fangen dann plötzlich an, S-Proteine zu produzieren. Oder so eine Leberzelle produziert plötzlich so ein S-Protein vom SARS-CoV2. Das ist natürlich genau das gewesen, wo alle Fachleute von Anfang an gesagt haben: Darauf müssen wir achten, das ist eine mögliche Nebenwirkung. Und da hat man insbesondere ganz genau darauf geschaut, bei diesem Impfstoff, weil ja eben dieser RNA-Impfstoff dieses Potenzial hat. Und ich kann nur sagen: Man hat nichts gefunden in dieser Richtung. Also, ich selber habe diese Möglichkeit durchaus auch immer wieder thematisiert. Ich habe ja auch mal ein Buch zu dem Thema geschrieben, wo ich das als Möglichkeit schon damals aufgeschrieben habe. Während man solche Probleme bei dem AstraZeneca-Impfstoff tendenziell hat, ist es bei dem BioNTech-Impfstoff und bei Moderna bis jetzt nicht aufgetreten. Und deshalb würde ich sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass da noch was Schlimmes passiert, ist

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gering. Und man muss ja vor allem noch Folgendes sagen: Was ich jetzt vorhin geschildert habe, dass das Virus so auf der Schleimhaut perfekt pariert wird, das ist halt wie beim Tennis. Ja, manchmal kommt der Ball übers Netz Ihnen so perfekt auf den Schläger, dass sie einen Superreturn machen können. Aber jeder, der er mal versucht hat mit dem Tennisschläger, weiß: Es gibt auch Bälle, die kriegt man nicht so sauber zurück. Und das wäre dann halt die Situation, wo das – und das passiert ja relativ häufig – eben nicht gleich auf der Schleimhaut abgewehrt wird und dann das richtige Virus auch im Blut ist. Und da muss ich sagen: Da habe ich dann lieber das S-Protein von dem Impfstoff im Blut als den richtigen Gangster, sozusagen. Und deshalb würde ich mich nie darauf verlassen, dass meine Schleimhäute in den Atemwegen in jedem Fall die Virusinfektion abwehren.

56:07


Camillo Schumann


Weil wir gerade bei der Wirkung der Impfstoffe im Körper sind: Dieser Hörer hat noch eine spezielle Frage zu folgendem Inhaltsstoff.

„Ich war bis vor kurzem impfunkritisch, habe mich nicht impfen lassen. Ich habe das jetzt gemacht, mit BioNTech, frage aber zum x-ten Mal nach wegen der LNP, der Lipide. Da hat Herr Kekulé zweimal was dazu gesagt, u.a. in der 225, aber das ist nicht genügend, nicht ausreichend. Deshalb glauben eben viele an diese Theorien im Internet, dass die NLPs auf den Körper toxisch wirken können. Bitte eine bessere Erklärung, auch Studien. Was passiert mit diesen Fett-Molekülen. Wenn Sie unschädlich sind: Okay. Warum sagt man das dann nicht? Es gäbe dann viel, viel weniger Impfverweigerer, da bin ich ganz sicher. Die gesamte Familie lässt sich deshalb bei uns nicht impfen, weil das nicht erklärt wird, was da passiert.“


Alexander Kekulé

Also, ich versuche es relativ kurz zu machen. Also, diese Lipid-Nanopartikel, das sind die LNPs. Die sind ja quasi so kleine, künstlich hergestellte Fettbläschen, in denen ist die RNA drin, die dann die Zelle so programmiert, dass sie das S-Protein vom Sars-CoV-2 macht und dadurch das Immunsystem dann anspringt. Und diese Fett-Partikelchen, diese Mini-Fetttröpfchen, kann man sagen, die braucht man,

damit die RNA überhaupt in die Zielzelle reinkommt. Die soll ja in diese Muskelzellen oder in andere Zellen, da, wo sie injiziert wird, reingehen. Und damit die RNA da rein kann und vorher vor allem nicht schon verdaut wird und abtransportiert wird oder kaputtgeht aus anderen Gründen, braucht sie diese Fett-Partikelchen. Aus was sind die zusammengesetzt? Es gibt da zwei Antworten darauf. Die eine ist: Man weiß ziemlich genau, aus was die zusammengesetzt sind. Die haben zum einen ein Lipid, ein Fettmolekül, was die Eigenschaft hat, dass es elektrisch geladen werden kann. Das braucht man, um die RNA zu schützen. Damit ist die RNA eingepackt und wenn man das nicht hätte, würde die RNA – das ist ein extrem empfindliches Molekül – ganz schnell zerstört werden. Beim normalen Kontakt mit Wasser würde die schon kaputtgehen. Dieses Lipid, genauso wie die zweite wichtige Komponente, das ist das Cholesterin. Das ist das gleiche Zeug, was auch in unseren normalen Zellen drin ist, in der äußeren Zellmembran, um die Zellmembran so ein bisschen elastischer zu machen. Das ist da auch drin, Cholesterin. In ganz kleiner Menge, also das hat jetzt nichts mit dem Cholesterinspiegel oder sowas zu tun, dass man damit was beeinflussen könnte. Dann ist drin ein Fettmolekül, was mit Polyethylenglykol – wer das mal googeln will, PEG, Polyethylenglykol – zusammengekoppelt ist, konjugiert, sagen wir. Das hat den Zweck, die Membran zu stabilisieren. Und dann sind noch ein paar andere Substanzen drin. Fettmoleküle, die Phosphatreste haben. Da ist extra Phosphor dran. Und damit sieht das Ganze so ähnlich aus wie ein echtes kleines Vesikel, sagen wir. Wie so ein kleines Bläschen, was manchmal auch von normalen Zellen abgesondert wird. All diese Fettmoleküle oder fettartigen Substanzen – Cholesterin gehört da auch im weiteren Sinne dazu – die werden wirklich biologisch hundert Prozent abgebaut. Das sind praktisch identische Substanzen wie das, was wir im Körper haben. Das ist der Teil der Antwort, wo man sagen muss: Haben wir voll im Griff, gibt es überhaupt kein Problem. Also, es ist auszuschließen, dass da irgendetwas toxisches drin wäre. Ist übrigens auch tausendfach getestet worden. Die sind schon seit vielen Jahren – man hat das ja im Zusammenhang mit der Gentherapie gehabt, dass man diese Lipid-

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Nanopartikels entwickelt hat, schon sehr, sehr lange und hat da alles Mögliche ausprobiert. Das sind wirklich, sage ich mal, erprobte Rezepte. Was ein bisschen unklarer ist, ist die Frage: Wie ist das denn – ich hatte es vorhin schon gesagt – es gibt ja so allergische Reaktionen. Also, jetzt nicht toxisch in dem Sinn, wie das so Verschwörungstheoretiker manchmal behaupten, sondern allergisch. Und da ist ein bisschen was dran. Wir wissen nicht genau: Warum kommt es überhaupt zu allergischen Reaktionen manchmal bei den RNA-Impfstoffen? Höchstwahrscheinlich liegt es an den Lipid-Nanopartikels. Selbst das ist nicht ganz sicher, aber höchstwahrscheinlich. Und da wiederum wissen wir eigentlich nur bei dem Polyethylenglykol, bei diesem PEG, dass das bei bestimmten Leuten Allergien macht. Das erklärt aber nicht alle allergischen Reaktionen. Und wir wissen aus verschiedenen Studien, die man früher schon mal gemacht hat, dass es da auf ganz viele Feinheiten ankommt. Zum Beispiel auf die Frage: Wie schnell aggregieren denn diese Bläschen? Also, manchmal finden sich ganz viele von diesen einzelnen Fettbläschen zusammen und bilden so eine Art Klumpen. Und der stimuliert offensichtlich das Immunsystem stärker im Sinne von einer allergischen Reaktion. Und da gibt es Leute, die sagen: Da könnten die Hersteller schon ein bisschen genauer mit den Rezepturen rausrücken, weil man nicht ganz genau weiß, zum Beispiel, wie hoch der Anteil von solchen verklumpten Fettbläschen da drin – also, Lipid-Nanopartikels – ist. Das wird zum Teil nicht genau kontrolliert. Es gibt Methoden, das zu reduzieren, wo aber manche sagen: Das sollte man doch einsetzen. Andere sagen: Das braucht man nicht, weil die Allergie-Rate so wahnsinnig gering ist. Also, da gibt es jetzt, sage ich mal zusammengefasst, bezüglich der möglichen Allergisierung durch diese Lipid-Nanopartikels noch Fragezeichen. Und auch möglicherweise Verbesserungsmöglichkeiten, das hat aber überhaupt nichts mit toxisch zu tun. Und Allergien sind ja einfach extrem, extrem selten und sind, wie gesagt, auch medizinisch beherrschbar.

01:01:42


Camillo Schumann


Tja, was kann man jetzt der Familie mit auf den Weg geben, wenn sie sich bisher wegen dieser Unklarheit nicht hat impfen lassen?


Alexander Kekulé

Die Frage war ja: Was ist mit den Lipid-Nanopartikels? Da ist es einfach so: Das ist nicht so, wie manche behaupten, dass wir gar nicht wissen, was da passiert, sondern die Zusammensetzungen sind bekannt. Es ist bekannt, zumindest welche Einzelstoffe da drin sind. Wie gesagt: Wieviel von was und wie genau das bei der Produktion kontrolliert wird, da sind Fragezeichen. Aber das hat nichts mit der Toxizität zu tun. Und das sind alles biologisch abbaubare Substanzen, kann man sagen. Da bleibt nichts übrig. Und deshalb ist das auch nicht toxisch, wie manchmal behauptet wird. Übrigens gibt es andere Impfstoffe – vielleicht nur so zur Ergänzung, weil das kommt ja oft so aus der Ecke der Impfkritiker im weiteren Sinne. Es gibt durchaus andere Impfstoffe, wo Substanzen drin sind, wo immer wieder diskutiert wird, ob die nicht auf die Dauer toxisch sein könnten oder ob es da irgendwelche Effekte gibt. Das hat aber eher dann was mit Adjuvanzien, also diesen Wirkverstärkern, zu tun. Und die sind eben gerade nicht drin, in diesen RNA Partikeln, in diesen Lipid-Nanopartikels. Weil: Man ahmt ja eigentlich einen biologischen Teil der Zelle nach, damit die freundlicherweise diese RNA aufnimmt. Und deshalb ist das eigentlich nichts Künstliches, sondern etwas, wenn Sie so wollen, naturidentisches, was man nachgebaut hat.

01:03:02


Camillo Schumann


Herr Kekulé, darf ich Ihnen mal eine Frage so aus dem Alltag stellen? Vielleicht so einen Vergleich, der vielleicht hinkt, aber den ich mir immer wieder frage, wenn Fragen zu den Inhaltsstoffen von Impfstoffen kommen. Da wird ja wirklich alles auf die Goldwaage gelegt, was ich nachvollziehen kann. Es gibt ja eine gewisse Unsicherheit, man möchte was wissen. Jetzt der Vergleich: Wenn ich jetzt jeden Abend mein Feierabendbier trinke – das wären dann, ich sage mal, fünf die Woche, dann am Wochenende vielleicht nochmal zwei, drei, Sie kommen so auf zehn Bier die Woche – dann habe ich meinen Körper doch, also statistisch, auch medizinisch, mehr geschadet, als das ein Impfstoff im Laufe meines Lebens je schaffen würde, oder?

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Alexander Kekulé

Oh, statistisch: Ja. Also, statistisch gesehen haben Sie das. Ich hoffe, Sie trinken nicht so viel. Aber ja, das stimmt. Es ist natürlich einfach das Unheimliche. Ja, da spritzt jemand was in den Arm rein. Weil: Alles, was man schluckt, da denkt man ja irgendwie als Mensch, das wird dann schon unten auf die eine oder andere Weise wieder rauskommen, wenn es schlecht ist. Und was in den Arm gespritzt wird, da hat man irgendwie das Gefühl: Das ist dann drin und bleibt. Wenn man Arzt ist, weiß man, dass das nicht so ist, sondern dass es dem Körper relativ egal ist, auf welche Weise etwas reingekommen ist in den Körper. Sofern er es auflösen kann, übers Blut transportieren kann und dann in der Leber abbauen kann, ist es dem Körper relativ egal, wie er das gekriegt hat. Der zersetzt das dann hinterher. Ich kann das schon verstehen, dass Leute da bei so etwas, was sie quasi implantiert bekommen, eher Angst haben als bei etwas, was sie selber zu sich nehmen. Aber Sie haben völlig recht: Die Inhaltsstoffe sind ja bei kaum etwas so genau kontrolliert wie bei einem Medikament. Ich dachte, Sie wollen auf etwas Anderes hinaus. Sie wissen ja bei einem Bier – selbst, wenn es nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wurde – in der Regel nicht genau, mit welchen Pestiziden die Pflanzen vorher besprüht wurden oder was da alles drin war. In dem Malz, den man, glaube ich, ins Bier mischen kann. Oder es gibt tausend Beispiele, wo man sich verrückt machen könnte. Wir könnten auch mal über Tee diskutieren. Wie ist das, wenn man jeden Tag Tee trinkt?


Camillo Schumann


Aromatisierten Tee, zum Beispiel.


Alexander Kekulé

Ja. Ich dachte jetzt an den Schwarzen, der dann sowohl vor der Fermentierung als auch nach der Fermentierung mit allen möglichen Stoffen versetzt wird. Sie wissen nicht, was da auf die Pflanzen gespritzt wurde. Wenn man die ganzen Lebensmittel, die wir zu uns nehmen – und deshalb haben Sie natürlich total recht. Wenn man die auch nur ansatzweise so gut kontrollieren würde wie Medikamente, wow, dann bräuchten wir echt viele Riesenbehörden, die das machen. Und wir nehmen diese Risiken in Kauf. Deshalb haben Sie völlig

recht: Relativ gesehen ist so ein Medikament bezüglich der Verunreinigung oder der unerwarteten Inhaltsstoffe viel, viel sicherer als irgendetwas, was man vielleicht unten an der Würschtelbude kaufen.

01:06:04


Camillo Schumann


Schön formuliert. Also, das war zumindest so ein kleines Gedankenexperiment, um sich auch selber mal so ein bisschen runterzuholen bei dieser Diskussion. Wir kommen mal kurz – war ein kleiner Exkurs – zurück zu den ProteinImpfstoffen. Eingangs der Sendung haben wir darüber gesprochen. Jetzt hat die Frau D. noch eine Frage. Sie wartet auch auf Novavax und sie schreibt:

„Wenn Novavax dann zugelassen ist, kann dann ein Arzt diesen Impfstoff direkt bestellen? Oder muss man dann noch warten, bis der Staat diesen Impfstoff ordert? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ein Arzt kann sogar Impfstoffe bestellen, die nicht zugelassen sind. Also, wenn Sie einen Arzt haben, der das für Sie macht, können Sie sich das Zeug aus China, von dem man weiß – die chinesischen Impfstoffe von Sinopharm zum Beispiel und Sinovac – die können Sie sich bestellen. Die können Sie auch, wenn Sie wollen, im Urlaub in Dubai kaufen oder so und dann mit nach Deutschland nehmen, Ihrem Arzt in die Hand drücken und der spritzt Ihnen das dann. Das ist also nicht unzulässig, das nennt man dann off-label use. Also, das ist ein nicht zugelassenes Medikament. Da muss der dann begründen: Warum? Wenn Sie dann hinterher tot umfallen, dann hat er ein Problem. Aber das ist ja bei Impfstoffen jetzt nicht so die Regel. Also, das wird nicht das Problem sein. Das Problem ist eher: Das wird ja hergestellt und ist etwas, wo die ganze Welt drauf wartet. Ich muss nochmal sagen: Es gibt auch andere eben von Sanofi, zum Beispiel und die werden dann irgendwann kommen, diese Nicht-RNAImpfstoffe und Nicht-Vektor-Impfstoffe. Und da werden natürlich dann viele Menschen auf der Welt danach fiebern, die zu bekommen. Nicht nur, sage ich mal, Skeptiker in den industrialisierten Ländern, die jetzt nach langem Nachdenken und Bücherlesen am Schluss sagen: Nein, ich warte lieber ab. Sondern ganz viele Menschen in armen Ländern, wo einfach

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diese Hightech-Impfstoffe aus verschiedenen Gründen nicht ausgebracht werden können. Einer ist, dass wir es alles aufgekauft haben. Ein anderer ist, dass das schwierig ist – wenn man ein schlechtes medizinisches Versorgungssystem hat – so einen Impfstoff, der dann bei minus 70 Grad gelagert werden muss, irgendwie im Land zu verteilen. Und deshalb warten die ja auch auf diese Impfstoffe. Und deshalb gehe ich davon aus, dass es in dem Moment, wo die anfangen, zu produzieren, sofort wieder Versorgungsengpässe gibt. Und da werden natürlich staatliche Besteller bevorzugt. Also, da wird dann Ihr Arzt wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, wenn der eine E-Mail an den Hersteller schreibt und sagt: Ich hätte gern eine Dosis. Und die Frau von der Leyen aus Brüssel verhandelt quasi dann über ein paar hundert Millionen Dosen quasi zeitgleich. Und das ist eher das Problem. Aber rein juristisch gesehen könnte man sich so ein Medikament natürlich irgendwie besorgen, wenn man rankommt. Oder wenn es das in der Apotheke in New York gibt, können Sie sich das kaufen und auch in Amerika durchaus vom Arzt dann verabreichen lassen.

01:08:58


Camillo Schumann


Von den Proteinzu den Vektor-Impfstoffen. Diese Dame hat angerufen. Sie hat sich bisher nicht impfen lassen. Sie hatte 2012 Brustkrebs und sich mit Bestrahlung behandeln lassen. Und nun will sie Folgendes wissen. Also, sie hat mehrere Fragen, aber auch eine Frage zum Vektor-Impfstoff.

„Ob es sinnvoll wäre, noch zu warten, weil ich doch ein bisschen Bedenken habe, weil die Nebenwirkungen ja nun noch nicht hundertprozentig auf dem Tisch liegen, nach so kurzer Impfzeit. Und habe also auch von Ärzten selbst gehört, dass man so bis zum Frühjahr 2023 noch warten müsste, bis die konkreten Zahlen der Nebenwirkungen vorliegen. Und wüsste gerne von Ihnen, Herr Professor, ob Sie es befürworten würden, sich eine Impfung geben zu lassen? Und warum Sputnik V noch nicht bei uns zulässig und zu haben ist, obwohl Ungarn ja schon impft und Europa so lange braucht – die EU – um da eine Lösung, auch für Wahlen, zu finden, wo ich dann gerne meinen Impfstoff herhaben möchte?“

Nachvollziehbar.


Alexander Kekulé

Ja, also, ich finde, jetzt bis 2023 wegen möglicher Nebenwirkungen zu warten, wenn man Krebspatient war, das macht keinen Sinn. Also, das wird bis dahin nicht so sein, dass wir ganz viele Nebenwirkungen entdecken, die wir jetzt noch nicht auf dem Schirm haben – was jedenfalls Erwachsene betrifft. Da würde ich sagen, die Frage, soll man warten? Ja oder nein? Also, da jetzt zwei Jahre hinzuwarten, da ist wahrscheinlich die Pandemie bis dahin mehr oder minder unter Kontrolle. Da wird man möglicherweise auch sich inzwischen eine Infektion holen. Also, jetzt zwei Jahre abzuwarten, das würde ich nicht empfehlen. Die andere Frage ist Sputnik. Ja, das fragen sich manche Leute, warum das nicht zugelassen ist. Also, alle Virologen, die sich mit dem Impfstoff ein bisschen beschäftigt haben und mit den Daten, die da veröffentlicht wurden, sind eigentlich der Meinung, dass das ein ganz guter Impfstoff ist. Es ist aber so: Der ist auch ganz raffiniert. Der hat ja ein ähnliches Prinzip wie AstraZeneca. Nur, dass man zwei verschiedene Vektoren verwendet, weil: Man verhindert dadurch, dass das Immunsystem – das einmal sozusagen schon gegen den Vektor angesprungen ist bei der ersten Impfung – beim zweiten Mal die Impfeffektivität herabsetzt. Weil: Wenn man auch gegen den Vektor – also, gegen quasi das Virus, gegen diese Hülle, die das transportiert, was man eigentlich als Impfstoff hat – wenn man dagegen immun ist, dann wird die Zweitimpfung natürlich nicht mehr funktionieren. Das ist ja der Grund, warum man zum Beispiel Johnson & Johnson nur einmal gegeben hat. Und wahrscheinlich einer der Gründe, warum AstraZeneca jetzt nicht so gut funktioniert hat. Und Sputnik umgeht das durch zwei verschiedene Vektorviren. Und deshalb finden wir Virologen das eigentlich immer ganz elegant. Und klinischen Daten sehen auch nicht so schlecht aus. Das Problem ist nur: Bei der Europäischen Zulassungsbehörde, da muss man echt die Hosen runterlassen und sehr, sehr viele Daten auf den Tisch legen – die jetzt nicht so in der normalen Veröffentlichung drin stehen – bis hin zu den Fragen: Wie gut ist die Herstellung kontrolliert? Welches Qualitätsmanagement wird da gemacht für die Herstellung, und so weiter? Und da hapert es nach wie vor. Also, es ist so,

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dass insbesondere bei der Herstellungsqualität eben die Zulassungsbehörden Fragen haben. Und deshalb ist eben der russische Impfstoff bei uns noch nicht zugelassen.

01:12:33


Camillo Schumann


Kommen wir zum Thema Impfstoffe und Schwangere. Eine junge Frau hat uns gemailt. Sie möchte nicht, dass wir ihren Namen nennen, kein Problem. Sie schreibt:

„Ich bin in der 22. Schwangerschaftswoche und zögere immer noch, mich impfen zu lassen. Als Impfstoff würde ich BioNTech wählen, weil ich gehört habe, dass nicht nur die gebildeten Antikörper der Mutter in den Fötus übergehen, sondern über die Nabelschnur auch eine gewisse Menge des mRNA-Impfstoffs an das Kind weitergegeben wird. Ich habe Angst, dass mein noch ungeborenes Kind davon einen Schaden nehmen könnte. Schadet der Impfstoff dem Fötus? Wie kann die Antwort „Nein“ lauten, wenn es doch dazu noch gar keine Langzeituntersuchungen gibt? Bitte gehen Sie auf diesen Sachverhalt noch einmal ein, denn mir fällt diese Pestoder Cholera-Entscheidung – also, Risiko eingehen, an Covid zu erkranken vs. Schaden meines Kindes durch BioNTech-Impfung – wirklich nicht leicht. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja. Also, das ist natürlich, wenn man so ein bisschen will, die Gretchenfrage und sehr schwierig zu beantworten. Wie sieht es mit den Schwangeren aus? Vielleicht vorweggeschickt: Die Empfehlung ist eindeutig. Die Ständige Impfkommission hat inzwischen empfohlen, dass sich Schwangere impfen. Und es ist auch so, dass Schwangere keine Gratis-Tests mehr kriegen, wenn sie sich nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel nicht geimpft haben. Und auch die ganzen anderen Möglichkeiten und Nachteile, wenn man sich nicht impft – zum Beispiel Lohnfortzahlung bei Quarantäne und so weiter – da gibt es keine Ausnahmen für Schwangere. Die Daten sind natürlich so: Keiner hat ein dreijähriges Kind von einer Schwangeren, die während der Schwangerschaft geimpft wurde, gesehen bisher. Das ist ganz klar. Das hat die Hörerin zurecht, sage ich mal, beantwortet oder gefragt. Und deshalb muss man ein bisschen fragen: Warum sind sich die Leute, die jetzt für die Impfung sind, da

so sicher? Und da kann ich ja mal versuchen, zu erklären, wie die das begründen. Das eine, was man vorneweg schicken muss, ist einfach ganz wichtig, sozusagen auf der anderen Seite der Waagschale. Schwangere, die sich mit Covid infizieren, sind heute eine der wichtigsten Risikogruppen, die wir haben. Es sind ja so viele Menschen schon geimpft im mittleren Lebensalter, auch im hohen Lebensalter. Wir haben es häufig bei den Hochaltrigen oder auch bei denen, die andere Risiken haben, schon mit Leuten zu tun, die eigentlich Impfdurchbrüche haben oder Zweitinfektionen haben. Und diejenigen, die wirklich eine Problemgruppe sind – oder häufig eine Problemgruppe sind – sind die Schwangeren. Es gibt Untersuchungen, dass zum Teil jede fünfte Frau, die an der ECMO hängt – also, an dieser künstlichen Anreicherung des Blutes mit Sauerstoff, ist quasi eine künstliche Lunge, wenn man nicht einmal mehr normal atmen kann – jede fünfte von diesen Frauen tatsächlich schwanger ist. Also, die Schwangeren sind ein Problem. Die haben ein besonders hohes Risiko, das wussten wir von Anfang an, sodass natürlich die Motivation, die jetzt zu impfen, grundsätzlich mal hoch ist. Das liegt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind immer die Fragen: Kann der Impfstoff irgendwie dem Fetus, dem Kind schaden? Da hat man so, meines Erachtens, nicht ganz vollständige Daten. Nicht nur, was den Zeitablauf betrifft. Klar, am Schluss des Tages ist die Nagelprobe immer ein zehnjähriges Kind, wo alles in Ordnung ist. Aber: Das können wir jetzt nicht machen. Solange können wir letztlich nicht warten. Und da hat man Folgendes als Referenz: Man hat ein Medikament, das eigentlich kaum Leute kannten bisher, das heißt Onpattro. Kann man ja mal googeln. Das ist für eine total seltene angeborene Störung, das ist eine angeborene Erkrankung. Und das ist ein experimentelles Medikament gewesen. Das besteht genau aus dem gleichen Wirkprinzip. Das ist eine RNA und außen rum diese Lipid-Nanopartikels. Und da hat man aber – das ist das Interessante daran – eine tausendfach höhere Dosis gegeben als das, was man jetzt bei der Impfung braucht. Das ist eine RNA, die auch ein Lipid-Nanopartikel ist und die eben wegen dieser höheren Dosis auch intravenös verabreicht wird. Also, direkt in die Vene. Da wissen wir also: Wenn etwas irgendwo zum

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Embryo hinkommt, dann dieses Zeug. Und die Dosis ist tausendmal höher. Und von diesem Onpattro gibt es tatsächlich Untersuchungen im großen Stil mit schwangeren Tieren. Natürlich nicht mit schwangeren Menschen, sondern mit Tieren. Das sind so die üblichen Labortiere, Tierfreunde müssen jetzt weghören. Das hat man mit Kaninchen und Ratten gemacht. Und da werden quasi dann schwangere Ratten und Kaninchen mit diesem Medikament behandelt, in dem Fall. Geimpft kann man ja nicht sagen. Und dann wird hinterher das Tier getötet und festgestellt: Wo haben sich diese Lipid-Nanopartikel verteilt? Das ist die Studie, die quasi die Basis war dafür, dass man zugelassen hat, dass überhaupt der Impfstoff an schwangeren Menschen dann – an Schwangeren im engeren Sinn, bei Tieren sagt man ja trächtig – überhaupt ausprobiert werden darf. Und bei dieser Studie, die ist schon im Mai veröffentlicht worden, ist eben rausgekommen, dass bei Kaninchen diese Lipid-Nanopartikel und ihre ganzen Komponenten – wir haben sie vorhin erwähnt – überhaupt nicht in die Embryos gehen. Also, da wurden die Embryos dann untersucht und man hat keine Spuren, auch nicht Teile dieser Lipid-Nanopartikel gefunden. Keine der Komponenten hat man gefunden bei den Kaninchen. Bei den Ratten ist es so, dass man nur eine der Komponenten gefunden hat und die in kleiner Menge. Eines dieser Fette, eines dieser künstlichen Lipide. Da ist es so: Das sind in der Studie, die es dazu gibt, eben 0,4% dessen, was man verabreicht hat. Also, vier Hundertstel wurden dann tatsächlich auch weitergegeben an die Rattenembryos. Sonst gehen diese Lipid-Nanopartikels gar nicht auf die Embryos über. Und vor allem auch nicht insgesamt. Also, da in der in der Plazenta gibt es ja den Mutterkuchen, gibt es ja so eine PlazentaSchranke zwischen dem Blutkreislauf des Kindes und dem der Mutter. Und man hat festgestellt, dass diese kompletten Lipid-Nanopartikels – also, insgesamt, wo ja dann die RNA mit drin ist, dieses kleine Bläschen – das ist zu groß, um durch diese Schranke durchzukommen. Sondern: Es kommen nur eben – wie gesagt – nur bei den Ratten, nicht bei den Kaninchen in den Experimenten, Bestandteile dieses Fettes mit rüber. Man hat auch festgestellt – vielleicht, um das zu ergänzen – dass diese Fette durchaus in die Muttermilch gehen. Also,

bei den trächtigen Tieren ist es so, dass die, wenn die dann später stillen – oder säugen, sagt man bei Tieren wiederum – dass da dann tatsächlich diese Lipide in der Milch nachweisbar sind. Also, da ist die Situation anders als bei Schwangeren. Es ist auch so, dass, wenn man die Dosis erhöht – also, den Versuchstieren eine sehr, sehr große Dosis gibt von diesen Lipid-Nanopartikels bei den Versuchstieren – dass nie toxische Effekte bei den Embryos aufgetreten sind. Der einzige toxische Effekt, den man gefunden hat, ist dann, wenn die Dosis so hoch ist, dass die Mutter quasi schwerstkrank wird und stirbt. Da ist es natürlich so, dass der Embryo dann auch ein Problem hat. Das liegt daran, dass diese Fettpartikel, wenn man da richtig große Mengen von injiziert – das wird ja intravenös dann verabreicht – dass die das Vitamin A wegfangen. Also, Fettpartikel haben die Möglichkeit, Vitamin A wegzufangen und das brauchen die Embryos für das Wachstum u.a. Also, das ist so ein Effekt, wo man sagen muss: Mensch, also das ist so weit weg von dem, was wir hier mit dem Impfstoff machen. Da kann man sagen: Alles wirklich im sicheren Bereich, weil ja der Impfstoff – im Gegensatz zu dem, was wir hier jetzt bei diesem Onpattro gesehen haben – nicht in die Vene gegeben wird, nur ein Tausendstel davon gegeben wird und wir eben davon ausgehen können, dass dadurch eben – so heißt es auch in den Studien immer wieder – die Möglichkeit, dass jetzt diese mRNA-Lipid-Nanopartikel überhaupt zum Fetus gehen, extrem gering ist. Wenn, dann wird es eine ganz kleine Dosis sein.

01:20:34


Camillo Schumann


Okay, das war jetzt die eine Seite der Medaille, die sozusagen für die Impfung sprechen würde. Was würde denn dagegensprechen?


Alexander Kekulé

Also, richtig dagegen spricht nichts. Aber man muss, das ist ja auch hier, sage ich mal, Kultur in unserem Podcast, offen auch Lücken benennen. Was man nicht gemacht hat in diesen Studien – obwohl das Studien von Pfizer waren, also der Firma, die quasi mit BioNTech zusammen den Impfstoff herstellt: Man hat nicht bei den Rattenembryos oder bei den Kaninchenembryos geguckt, ob denn diese messen-

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gerRNA da drin ist. Also, das wäre ja ein Leichtes gewesen, zu sagen: Okay, wir machen mal die Studien mit dem Impfstoff und wir nehmen dann die Ratten. Und es ist so, dass wir dann gucken mit einem empfindlichen Test – da gibt es ja diese PCR, die extrem empfindlich ist – ob jetzt messengerRNA drin ist oder nicht. Also, falls solche Studien gelaufen sind, hat man die nicht veröffentlicht. Und das wäre jetzt, sage ich mal, aus wissenschaftlicher Sicht natürlich total naheliegend, bevor ich jetzt als Hersteller eines Medikaments, was milliardenfach produziert wird, als Conclusio, als Schlussfolgerung, sage: Ich erwarte, dass wahrscheinlich nur sehr wenig mRNA-Lipid-Nanopartikels in den Embryos sind, dass ich die Nagelprobe mache und feststelle, ob welche drin sind. Also, die PCR mache. Das hat man nicht gemacht oder zumindest nicht publiziert. Das andere, was man sagen muss, ist: Es ist natürlich so, dieses Onpattro ist auch eine RNA. Das ist aber keine messengerRNA. Also, mRNA heißt ja immer messengerRNA. Und zwar hat die ja die besondere Eigenschaft, wenn die in die Zelle reinkommt, macht die Zelle mit der etwas. Die benutzt die und produziert da draußen Proteine. Das ist also, wenn Sie so wollen, eine biologisch aktive Substanz. Bei Onpattro ist das Wirkprinzip anders. Das ist eine RNA, die nur irgendwas, sage ich mal, blockieren soll, aber keinen eigenen biologischen Effekt in dem Sinn hat, dass Proteine daraus hergestellt werden. Das bedeutet, dass bei der messengerRNA eines Impfstoffs – rein theoretisch natürlich – ganz, ganz kleine Mengen ausreichen würden, wenn die im Embryo sind, um den anzuregen, irgendwie dieses S-Protein zu produzieren. Und dann ist die Frage, wie natürlich der kindliche Organismus darauf reagiert. Und man hat weder die messengerRNA in den Embryos bei den Tieren festgestellt, noch hat man geguckt, ob dieses S-Protein vielleicht in kleinster Menge irgendwie da ist. Und da muss ich sagen: Das ist so eine Lücke, wo ich jetzt im Sinne der Beruhigung der Schwangeren, die sich ja impfen lassen sollen, gerne dieses Ergebnis hätte. Anstatt zu sagen: Wahrscheinlich ist es nicht so, würde ich gerne als Wissenschaftler lieber sagen: Es ist nicht so. Und die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC – die auch ganz viele Juristen immer hat, die da mitformulieren, wenn sie ihre Empfehlungen geben – die

schreibt eben auch nur: Höchstwahrscheinlich ist es so, dass dieser mRNA-Impfstoff nicht im Embryo landet oder im Fetus landet. Aber höchstwahrscheinlich ist das eben vielleicht für die eine oder andere werdende Mutter eben nicht ausreichend in der Situation. Zumal man meines Erachtens das ohne Weiteres testen hätte können, testen könnte, aber offensichtlich zumindest die Ergebnisse nicht publiziert hat.

01:23:57


Camillo Schumann


Okay, das waren sozusagen jetzt Pro und Contra. Wollen wir sozusagen abschließend beruhigen, weil die Dame möchte ja vielleicht eine Empfehlung haben und daraus etwas für sich ziehen. Was würde denn noch für diese Impfung sprechen?


Alexander Kekulé

Ja, also für die Impfung spricht – und das sind Daten, die man wirklich jetzt ziemlich hart hat inzwischen. Die ersten Ergebnisse wurden schon im April, glaube ich, veröffentlicht und immer wieder reproduziert. Man sieht die Antikörper, die bei der Mutter gebildet werden durch die Impfung. Das geht, sowohl beim Tier als auch beim Menschen hat man das gezeigt. Die sieht man tatsächlich dann hinterher auch im Fetus, also im werdenden Kind. Da hat man dann auch Nabelschnurblut einfach getestet. Kann man nach der Geburt ja testen. Und da hat man festgestellt: In diesem Nabelschnurblut sind die Antikörper drin. Das heißt, es passiert bei dieser Impfung das gleiche, was wir von ganz vielen anderen Impfungen auch kennen, dass die Mutter, wenn sie während der Schwangerschaft geimpft wird, ihre Antikörper auf das Kind überträgt. Und das ist natürlich für so ein Neugeborenes – und da muss man ja auch dran denken in den ersten Lebenswochen, ich würde mal sagen, bis zu sechs Monate – eigentlich ein ganz, ganz wichtiger Schutzwall. Das Kind können Sie ja in dem Alter nicht impfen. Das könnte sich aber von Geschwistern mit Covid anstecken. Und in dem Alter ist es wiederum gefährlich bei so einem kleinen Kind. Kann man sich vorstellen, wenn die Lunge dann angegriffen wird. Und das hat eben durch die Impfung der Mutter das, was wir Nestschutz nennen. Und das war eigentlich klar, dass das stattfindet. Aber das ist eben seit

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einiger Zeit gezeigt, dass es auch bei dieser Impfung ist einen Nestschutz gibt. Das heißt, die Antikörper der Mutter, die schützenden Antikörper, werden übertragen. Also, mit dieser, sage ich mal, ein bisschen ambivalenten Einschätzung, muss man leider die Mütter jetzt alleine lassen. Wenn man will, dass das Kind die ersten sechs Monate den Nestschutz hat, wenn man selber will, dass man – obwohl man eine Risikoperson ist – geschützt ist oder im Falle einer Covid-Infektion nicht schwersterkrankt, dann muss man sich leider während der Schwangerschaft impfen lassen, obwohl es die restlichen Fragen, die unbeantwortet sind, gibt. Was ist mit der Übertragung dieses Impfstoffs auf den Fetus? Und ich sag mal so, ein bisschen ein kleiner Vorwurf an die Hersteller: Diese Frage könnte man nun wirklich sogar im Tierexperiment beantworten. Und dann würden sich wahrscheinlich viele wohler fühlen.

01:26:21


Camillo Schumann


Okay, dann verlassen wir das Thema. Frau S. aus München hat angerufen. Sie braucht Argumente im Gespräch mit ihren Bekannten:

„In meinem Bekanntenkreis gibt es Leute, die hatten Covid, ist schon lange jetzt her. Anfang letzten Jahres, auch mit mittelschweren Symptomen und auch teilweise Long Covid-Symptomen. Hier fragt man sich, inwiefern das jetzt noch notwendig ist, eine Impfung vorzunehmen. Außer, man hat irgendeinen Stempel im Ausweis – was ja auch sehr fraglich ist, dass man das nur deshalb macht. Man sollte das ja machen, weil man sich gesundheitliche Vorteile verspricht. Ist halt die Frage: Was bringt das jetzt für einen Sinn, wenn man schon die Corona-Infektion hatte, eine Impfung zu machen? Vielleicht haben Sie das ein paar Argumente, die ich anführen kann bei den Bekannten, um sie zu überzeugen, sich impfen zu lassen. Ich würde mich sehr freuen, weil wie gesagt: Ich habe da dann auch keine Argumente mehr bei diesen Personen. Vielen lieben Dank.“


Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich ein Grenzfall. Aber die Argumente dafür sind zwei. Das eine ist: Durch die Impfung macht man natürlich so eine Boosterung. Das heißt also, der Immunschutz nimmt irgendwann im Laufe der Monate und Jahre ab nach der Infektion. Wenn sich jemand

zum Beispiel in der ersten Welle infiziert hat, ist das ja jetzt inzwischen schon ganz schön lange her und dann kann man durch die Boosterung – also, durch die Impfung, die man dann obendrauf setzt – das quasi reaktivieren. Dann wird der Schutz, möchte ich mal sagen, nochmal neu aufgelegt. Das zweite, was passiert, ist: Dadurch, dass man nochmal impft auf die Infektion drauf, passiert eigentlich das gleiche wie bei der zweiten oder dritten Impfung, dass die Immunantwort weiter aufgefächert wird. Das heißt, man hat ja auch bei einer Infektion einen bestimmten Subtyp, wenn ich mal so sagen darf, von diesem Coronavirus abbekommen. Zum Beispiel den ursprünglichen Typ, wenn man sich jetzt vor einem Jahr schon in Ischgl infiziert hat. Und wenn man jetzt dann zusätzlich die Impfung hat, dann breitet sich – obwohl der Impfstoff ja auch gegen den Wuhan-Typ ursprünglich ist – breitet sich dann die Immunantwort aus. Also, die Immunantwort wird dann breiter und erwischt sozusagen dadurch eher mal einen neuen Subtyp wie dieses Delta. Sodass man sagen kann: Gerade gegen Delta, was jetzt aktuell zirkuliert, wird der Schutz besser, wenn man Erkrankung plus Impfung hat. Das ist das eine sachliche Argument und das andere ist der nachlassende Immunschutz. Man muss natürlich auch dazu sagen: Klar, jemand, der jetzt jung ist und keine Risikofaktoren hat und der sagt: Ich bin eigentlich in jeder Hinsicht da auf der sicheren Seite. Und er kann natürlich dann auch sagen: Na ja, wenn ich jetzt noch eine Infektion bekommen würde, eine zweite Infektion, dann würde ich natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn ich beim ersten Mal schon kaum Symptome habe, beim zweiten Mal wieder kaum Symptome haben. Also, da muss man fairerweise sagen: Die Überlegung wäre nicht abwegig, weil es ja so ist, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwelche genetischen Faktoren eine Rolle spielen, dass der eine so schwer erkrankt und der andere nicht. Zusätzlich natürlich dann die bekannten Risikofaktoren. Aber wenn ich weder die Risikofaktoren noch die Genetik habe – das heißt also, die erste Infektion folgenlos an mir vorübergegangen ist – dann ist natürlich die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es beim zweiten Mal wieder so wäre. Sodass man auch sagen könnte: Ich lege es einfach drauf an. Aber ich weiß jetzt nicht, wenn ich die Wahl

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hätte, mich so einem Virus zu stellen und nicht genau zu wissen, wie es ausgeht oder so einem Impfstoff, wo ich es doch eher unter Kontrolle habe – vor allem dann auch weiß, an welchem Tag ich dann mit der Reaktogenität rechnen muss, falls sie denn kommt und dann schon mal einplanen kann, dass das dann vielleicht am Wochenende ist – da würde ich doch eher immer das geplante Ereignis nehmen als irgendwas Unsicheres. Nachher kriegen Sie das Virus dann noch ausgerechnet vor irgendeiner netten Einladung zu einer Hochzeit oder Ähnliches und müssen dann zuhause bleiben. Darum würde ich auch in der Lage immer letztlich für die Impfung plädieren.

01:30:27


Camillo Schumann


Tja, Herr Kekulé, damit sind wir am Ende von Ausgabe 231 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Dieses Mal mit einem spezial Spezial, wenn man so will, nur für Menschen, die Fragen zur Impfung haben, die sich unsicher sind, ob sie sich impfen lassen oder nicht, die zweifeln, noch Argumente gebraucht haben. Da war viel dabei.


Alexander Kekulé

Sehr verständlich. Also, ich kann nun vielleicht sagen, so schlussfolgernd: Also jeder, der irgendwelche komischen Nebenwirkungen hat, soll das wirklich seinem Arzt sagen. Das ist ganz wichtig, dass man die auch nicht abtut. Und ich finde, wir müssen als Gesellschaft und auch als Mediziner die Bedenken der Menschen ernst nehmen, auch wenn sie für uns erst mal irgendwie, sage ich mal, exotisch klingen. Und man darf niemanden diskreditieren, weil er aus ärztlicher Sicht vielleicht eine abwegige Meinung hat. Das ist auch so, dass große wissenschaftliche Erkenntnisse am Anfang von den etablierten Wissenschaften erst mal als exotisch und abwegig abgetan wurden. Und so mancher hat dann am Schluss recht behalten. Und deshalb plädiere ich da wirklich für eine offene Diskussion. Und wie gesagt: Es gibt so ein paar Sachen, die könnte die pharmazeutische Industrie proaktiv machen. Wir haben heute gesprochen über die Frage, ob die Impfstoffe auf die Föten übergehen. Das könnte man zumindest im Tierexperiment mal ganz klar verneinen, belegen. Bei der Myokarditis das Thema, mal die Geimpften zu untersuchen

mit einem EKG und mit einem Bluttest, ob die Myokarditis vielleicht häufiger ist, als man das sieht. Oder früher bei den Vektor-Impfstoffen war das Thema, diese D-Dimere zu untersuchen als Frühmarker einer Blutgerinnung. Also, all diese Sachen – das ist für mich auch ein Aufruf an die Industrie, nicht nur immer zu sagen: Unser Impfstoff ist sicher. Sondern dann auch proaktiv dafür zu sorgen, dass da Belege existieren, dass es dann wirklich jeder glaubt.

01:32:17


Camillo Schumann


So, wir hoffen, wir konnten ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Man muss ja auch dazu sagen: Wir haben noch viel, viel, viel, viel, viel mehr Fragen bekommen. Haben wir in dieser Ausgabe jetzt nicht geschafft. Frau B. hat uns geschrieben, Frau H., Frau M., Frau W., Herr B. Das würde für zehn solcher Sendung reichen. In den kommenden Podcasts Kekulés CoronaKompass, die ja noch kommen, wird sicherlich die eine oder andere Frage mit drankommen. Herr Kekulé, vielen, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 19. Oktober wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Freue ich mich darauf, Herr Schumann. Bis dann.


Camillo Schumann


Sie haben auch noch eine Frage? Dann können Sie uns eine Mail schreiben: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, das kostet nichts: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 14. Oktober 2021 #230: Impfkampagne ist ausgereizt

Camillo Schuman, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

1. Wegen Corona-Pandemie: Einige GrippeVarianten verschwunden Wegen Corona-Pandemie: Einige GrippeVarianten verschwunden | tagesschau.de

2. DIVI-Intensivregister mit COVID-Zeitreihen für Kinder

https://www.intensivregister.de/#/aktuelle

-lage/zeitreihen

3. Myokarditis nach BNT162b2-mRNAImpfstoff gegen Covid-19 in Israel (06.10.) Studie: Myocarditis after BNT162b2 mRNA Vaccine against Covid-19 in Israel | NEJM

4. Myokarditis nach Covid-19-Impfung in einer großen Gesundheitsorganisation (06.10.) Studie: Myocarditis after Covid-19 Vaccination in a Large Health Care Organization | NEJM

5. Auswertung zu LongCovid: In UK beklagen 37% der LongCovid-Erkrankten auch nach 1 Jahr noch starke Beschwerden wie Atemnot, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit (07.10.)

Prevalence of ongoing symptoms following coronavirus (COVID-19) infection in the UK Office for National Statistics (ons.gov.uk)

Die aktuelle Grippe-Impfung wirkt gegen einen Virusstamm, den es wegen der AntiCorona-Maßnahmen vermutlich gar nicht mehr gibt. Bringt die Grippeschutzimpfung dann überhaupt noch was?

VoreinemMonathatDänemarkalle Corona-Beschränkungen aufgehoben. Mit welchem Ergebnis?

Atemnot,Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit: 37 Prozent der Long-Covid-Kranken klagen auch nach über einem Jahr über Beschwerden. Eine britische Schätzung gibt Hinweise.

WegengehäufterHerzmuskelentzündungen bei jungen Menschen empfehlen Norwegen und Hongkong nur eine Impfung für Jugendliche ab zwölf. Sollte Deutschland nachziehen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Im Moment, hat man den Eindruck, ist das Thema Grippe-Impfung bei den Menschen ja wichtiger als die Corona-Impfung. In manchen Praxen ist auch der Grippe-Impfstoff schon aus oder wird knapp. Der Hochdosis Impfstoff für Ältere zum Beispiel. Und passend dazu gibt es jetzt die Meldung, dass eine Arbeitsgruppe von Medizinern an der Universität Hongkong berichtet, das eine Linie des Influenza-B-Virus wohl seit April 2020 ausgestorben sei. Und auch ein Subtyp des Influenza-A-Virus ist vielfach verschwunden. Herr Kekulé, wir impfen also gegen ein Grippevirus, das es gar nicht mehr gibt?


Alexander Kekulé

Also dieses Problem ist schon länger bekannt. Das ist tatsächlich so, dass wir ja in diesem Impfstoff vier verschiedene Komponenten haben. Es ist ein Vierfachimpfstoff seit einiger Zeit: zwei davon gegen die sogenannten In-

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fluenza-A-Viren und zwei gegen die InfluenzaB-Viren. Influenza A macht weltweit ungefähr zwei Drittel aller Influenza-Infektionen, und es macht die schwereren Verläufe. Influenza B ist tendenziell häufiger bei Kindern und Jugendlichen, macht etwas weniger schwere Verläufe. Und da hatte man früher immer nur einen Stamm für B. Und jetzt hat man das vor einiger Zeit auf zwei erweitert, sodass man zweimal B und zweimal A da drinnen hat. Und einer dieser beiden B-Stämme, das ist die sogenannte Yamagata-Linie, der ist schon seit längerem auf dem Weg zum Verschwinden. Und im Zusammenhang mit den Covid-Maßnahmen ist er jetzt irgendwie, ich glaube seit April, komplett nicht mehr nachweisbar gewesen.

02:40


Camillo Schumann


Und ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht für den Impfstoff, den wir dieses Jahr verabreicht bekommen oder uns abholen?


Alexander Kekulé

Nein, das ist weder/noch. Grundsätzlich gilt ja das, was wir hier ich meine im Podcast schonmal besprochen haben. Es ist ja so diese Influenza-Impfstoffe müssen immer so ein halbes Jahr vorher festgelegt werden, weil die Influenzaviren verändern sich regelmäßig. Und wir haben die Situation, dass man eben in jeder Saison den neu zusammensetzen muss. Und da müssen die Experten, die das machen – das ist so ein Team von der WHO, was dafür aufgestellt wird –, die müssen letztlich schätzen: Okay, jetzt im Moment haben wir volle folgende Stämme im Umlauf. Was wird wahrscheinlich dann im Herbst kommen? Das muss man so lange vorher machen, weil die Influenza-Impfstoffe immer noch in Hühnereiern gemacht werden. Das ist ein sehr langwieriger Prozess. Es ist so, dass es da einfach begrenzte Kapazitäten gibt. Das muss man lange vorher festlegen. Man kann im Moment mit diesem Vierfach-Impfstoff ungefähr eine halbe Milliarden Impfstoffdosen jedes Jahr herstellen. Das ist natürlich irrsinnig schwierig, so eine Vorhersage zu machen, wenn sie keine, kein nicht viele Daten über aktuell zirkulierende Viren

haben. Und jetzt ist natürlich im Frühjahr durch die Gegenmaßnahmen weltweit wenig Influenza unterwegs gewesen, und man hat so eine Daumenpeilung gemacht. Deshalb glaube ich – dass ganz unabhängig von der Frage, ob jetzt diese eine bestimmte Linie, die YamagataLinie wirklich ganz verschwunden ist oder nur vorübergehend mal untergetaucht ist – das wird im Herbst ein ziemliches Glücksspiel, ob der Impfstoff passt, weil man eben, wenn Sie so wollen, keine Referenz hatte. Sie können wenig Vorhersage machen, wenn sie so wenig Werte haben.

04:19


Camillo Schumann


Okay, das hört sich ja jetzt noch bedrohlicher an, wenn das sogar ein Glücksspiel wird, also nicht nur, dass zwei Linien verschwunden sind, was sich für mich erst einmal positiv anhört. Also man hat möglicherweise einen Impfstoff, der wesentlich stärker wirken kann, aber dann eben gegen weniger vorhandenes Material. Aber wenn Sie sagen, es ist ein Glücksspiel, weil die anderen beiden Linien, die man ja dann möglicherweise auch mit abdeckt, selbst die sind unklar.


Alexander Kekulé

Es sind nicht zwei Linien verschwunden. Also es ist von diesen beiden B-Linien, die eine heißt Victoria und der andere ist Yamagata, das geht immer nach dem Ort, wo es ursprünglich mal identifiziert wurde. Damals hat man das doch gemacht. Bei COVID war man dann politisch korrekt und hat das nicht Wuhan genannt. Aber früher war das einfach üblich, dass man den Ort, wo das Virus quasi isoliert wurde, genommen hat als Namen auch. Und das ist so, bei den beiden B-Linien ist die Situation eben die: Diese Yamagata-Linie war schon immer ein bisschen schwächlich, wenn ich mal sagen darf. Das ist eine, die hat eine niedrigere Reproduktionszahl. Da muss man ja gar nicht mehr erklären, was das ist. Also, die verbreitet sich nicht so schnell. Wir wissen auch, dass die nicht in so vielen Varianten auftritt, sondern seit einigen Jahren quasi nur noch einen Subtyp. Und da hat es das Immunsystem dann

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relativ leicht, so etwas zu eliminieren, weil sich das Virus einfach nicht mehr verändert. Und deshalb ist dieser eine sowieso schon schwächere Typ von den B-Linien, wenn Sie so wollen, verschwunden. Der Grund, warum das jetzt gerade bei der Pandemie passiert sein könnte, ist ganz interessant. Wir wissen nämlich, dass Yamagata tendenziell ältere Erwachsene befällt, also 25 und älter. Und die sind ja von den Reisebeschränkungen insbesondere betroffen gewesen, sodass man sagt naja, das hat dem Virus jetzt wahrscheinlich den Rest gegeben, also diese Typ Yamagata. Das ist aber nur einer der beiden B-Stämme. Jetzt weiß ich ja, das ist zum Teil so in den Medien kolportiert worden, dass auch noch ein anderer Stamm, nämlich einer von den beiden A-Stämmen verschwunden wäre. Das ist das sogenannte H3N2. Also das stimmt einfach nicht. Da darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Das ist eine ganz andere Situation, diese H3N2Linie von den A-Stämmen, also Influenza A, das ist wirklich ein gefährliches Virus, und das ist nicht verschwunden. Das kann sein, dass es im Moment deutlich runtergegangen ist durch die COVID-Maßnahmen. Aber das wird definitiv wiederkommen. Und da haben wir im Gegenteil das Problem, dass wir verschiedene Varianten von diesem Sub-Sub-Typen sozusagen von diesem H3N2 haben. Und da ist es in der Vergangenheit schon immer schwierig gewesen, genau den richtigen Impfstoff dann zu nehmen. Und daran habe ich eher gedacht, wenn ich gesagt habe, das ist jetzt schwierig. Also es kann gut sein, dass wir diesen Herbst gegen H3N2 einen nicht ganz optimal wirksamen Impfstoff haben.

Übrigens der letzte, der vierte Kandidat, um den auch noch zu nennen, der da immer mit drinnen ist, ist quasi der Impfstoff gegen die Schweinegrippe von 2009, der ist auch noch mit drin, und bei dem H3N2 ist schon lange die Diskussion, ob man dann nicht noch einen zweiten dazu nimmt, ob man die Impfstoffzusammensetzung ändern soll, dass man vielleicht Yamagata rausschmeißt und stattdessen zwei verschiedene H3N2-Typenreihen nimmt, weil man eben nicht mehr als vier machen

kann aus Kapazitätsgründen. Und da würde ich sagen, da ist die Gefahr, dass man jetzt möglicherweise nicht ganz richtig liegt mit dem einen, den man sich jetzt da ausgesucht hat für diesen Herbst.

07:50


Camillo Schumann


Wenn Sie sagen, das sei so ein bisschen Glücksspiel, aber nichtsdestotrotz klare Impfempfehlung?


Alexander Kekulé

Ja, natürlich. Also es ist so, die B-Influenza ist schon mal eine wichtige Erkrankung. Und da ist der eine Typ, der da drinnen ist, Victoria, da wissen wir definitiv, dass der, dass der wirklich zirkuliert und dass der wiederkommen wird. Der hat, wenn Sie so wollen, den schwachen Bruder Yamagata verdrängt. Aber das hat schon neu 2019 angefangen, also vor der COVID-Pandemie. Und daher ist das schonmal sinnvoll, auf jeden Fall, sich da zu impfen. Und das andere ist, dass man wirklich betonen muss, dass dieses H3N2, das ist eben dieser eine Typ von Influenza, der seit einigen Jahren immer mal wieder kommt, das kann wirklich schwere Verläufe machen. Das macht schwerere Verläufe als die Schweinegrippe, die wir 2009 hatten. Das war ja, zur Erinnerung, damals diese Pandemie, wo viele wahnsinnige Angst hatten und die WHO Alarm geschlagen hat. Und dann gab es einen starken Impfstoff dagegen, und am Schluss war klar, dass eigentlich dieses neue Virus, dieses H1N1, das Pandemie-Virus von 2009, dass das eigentlich harmloser war als das H3N2, also, die, wenn ich mal so sagen darf, übliche Grippe und dadurch die Grippe in der Tat durch diese Pandemie ein bisschen milder geworden ist im Durchschnitt, weil man mehr Verläufe mit dem weniger schweren Virus hatte. Aber dieses gefährlichere Virus mit schweren Verläufen H3N2, das ist auf jeden Fall ein Grund, sich impfen zu lassen. Und da gilt eigentlich so etwas Ähnliches, wie wir es bei COVID immer mal wieder besprochen haben. Also irgendeine Impfung, auch wenn sie nicht sozusagen genau den Nagel auf den Kopf trifft, ist immer besser

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als keine, weil das Immunsystem dann schon mal so etwas Ähnliches gesehen hat. Und dann wären einfach die Verläufe nicht mehr so schwer.


Camillo Schumann


Aber kurzum, das Ausbleiben der letzten Grippesaison hat natürlich auch Auswirkungen auf die Impfstoffproduktion. Und das sehen wir jetzt.

09:44


Alexander Kekulé

Ja, auf die Auswahl der Impfstoffe hat es natürlich eine Auswirkung. Und das Wichtigere ist eigentlich, dass wir dadurch, dass wir jetzt ein gutes Jahr, eigentlich haben wir ja eine ganze Saison lang die Grippe ausfallen lassen, und da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der insgesamt sozusagen die Immunität gegen die Grippeviren nicht mehr so gut ist. Und dass diese Yamagata-Linie verschwunden ist, das ist mehr so ein Nebenphänomen. Viel wichtiger sind die anderen drei, die da im Impfstoff drinnen sind. Und da muss man schon damit rechnen, dass die und vielleicht auch noch andere jetzt kommen. Und dass wir natürlich als Bevölkerung insgesamt also nicht mehr so richtig robust sind an der Stelle, weil wenn quasi nicht mehr gewohnt sind, mit so etwas umzugehen. Und das, das wird man jetzt sehen. Ich glaube auch, dass es dadurch, dass wir jetzt so einen massiven Impfaufruf natürlich für COVID haben, dadurch, das, glaube ich auch viele Menschen verstanden haben, dass, wenn man die Maske dann auszieht plötzlich, dass dann die Gefahr, auch mal eine schwere Grippe zu bekommen, eventuell größer sein könnte, dass dadurch auch mehr Menschen zum Impfen gehen werden. Und da sehe ich eher ein Problem. Also ich kann mir gut vorstellen, dass wir dieses Jahr relativ knapp mit Impfstoffen werden, weil doch die Bereitschaft hoffentlich dann hoch sein wird, sich impfen zu lassen.

10:58


Camillo Schumann


Kommen wir vom Influenzavirus zum Coronavirus. Wir wollen uns mal das aktuelle CoronaInfektionsgeschehen anschauen. Der deutsch-

landweite 7-Tage-Inzidenz steigt wieder an, lag sie vergangene Woche über 62, liegt sie heute bei 67. Das ist jetzt kein großer Grund zur Beunruhigung. Schauen wir mal durch die Lupe auf die Zahlen, da stellen wir fest, dass gerade die Inzidenzen bei den ganz jungen durch die Decke gehen. Das kann man so sagen. Die 7Tage-Inzidenz in der Altersgruppe 10 bis 14 ist deutschlandweit in fast allen Landkreisen mit Abstand am höchsten. Nun mal hier die Spitzenreiter Landkreis Prignitz 831, Berchtesgadener Land 610, Landkreis Bautzen 510, und der Kreis Lippe 363. Beunruhigen Sie diese Zahlen?


Alexander Kekulé

Nicht wirklich. Also was wir hier sehen, ist das, was, das muss man ja offen sagen, eigentlich geplant wurde? Ja also, man hat im Grunde genommen gesagt, wir machen die Schulen auf und nehmen dafür in Kauf, dass die Inzidenz in dieser Altersgruppe steigt. Was ich jetzt nicht so gemacht hätte, ist vielleicht diese Kommunikation, dass man das nicht zugegeben hat, sondern quasi de facto so die Kinder da der Infektion ausgesetzt hat. Fast hätte man sagen können sozusagen vorsätzlich diese Durchseuchung hier durchführt. Und das passiert jetzt. Aber es ist ja nicht korreliert mit schweren Erkrankungsverläufen. Und ich glaube, das geht jetzt mal hoch, weil die Schulen offen sind. Das wird sich aber auch irgendwann wieder beruhigen. Da wird dann irgendwann die Situation eintreten, dass die Kinder entweder geimpft oder genesen sind. Und dann wird dort natürlich auch die Fallzahl wieder runtergehen.

12:38


Camillo Schumann


Auf www.intensivregister.de – jetzt ein kleiner Link-Tipp – sind seit ein paar Tagen auch die COVID-Zeitreihen für Kinder online. Gesamtdeutschland, leider nicht nach Bundesländern aufgeschlüsselt, aber immerhin, und da sieht man, dass aktuell, das sind Zahlen vom

13. Oktober, sieben Kinder mit COVID-19 auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Zum Vergleich: Bei den Erwachsenen sind

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es aktuell 1.388. Das Verhältnis selbst bei den explodierenden Infektionszahlen in dieser jungen Altersgruppe, die haben wir ja schon seit ein paar Wochen, hat sich ja jetzt auch nicht spürbar verändert. Oder?


Alexander Kekulé

Nein, das wäre auch nicht zu erwarten gewesen. Also das ist einfach so, dass in dieser Altersgruppe die COVID-Erkrankung fast immer harmlos verläuft. Und man muss auch dazu sagen, dass die Zahlen, die da genannt werden, im Intensivregister – vielleicht noch einmal zur Erinnerung – da wird quasi jedes Kind gezählt, was bei der Aufnahmeuntersuchung COVID positiv war. Und wenn jemand ins Krankenhaus kommt oder auf die Intensivstationen, dann werden die ja immer getestet, weil man keine Infektionen einschleppen will. Das ist unabhängig von der Frage, ob das Kind wegen COVID behandelt wird. Das heißt also, ein Kind, was eine ganz andere Erkrankung hat und deshalb auf der Intensivstation liegt, wird hier codiert quasi als Kind mit COVID auf Intensivstation. Und die Ständige Impfkommission hat sich ja auch schon die Haare gerauft, diese Daten irgendwie zu interpretieren. Und hat, als sie die Empfehlung abgegeben hat, eben da 12bis 17-Jährige zu impfen, da ist sie davon ausgegangen, dass ungefähr, wenn ich mich richtig erinnere, ein Viertel der Fälle, die auf der Intensivstation liegen und COVID positiv sind, wirklich wegen COVID behandelt werden. Also das heißt wir haben wahrscheinlich weniger als fünf Kinder im Moment in Deutschland, die wegen COVID auf der Intensivstation sind und auch wegen COVID behandelt werden müssen.

14:33


Camillo Schumann


Und seine Altersgruppe um noch ein paar Zahlen hinterherzuschießen. In der Altersgruppe der 12bis 17-Jährigen haben bisher fast 44 Prozent mindestens eine Impfung und fast 38 Prozent sind offiziell vollständig immunisiert. Das hat mit diesen Zahlen aber noch keinen Einfluss auf die Inzidenzen.


Alexander Kekulé

Noch nicht, das weiß man nicht genau. Also ich habe ja immer gesagt, so ungefähr ab 50 Prozent Impfung oder Immunität wird man einen Effekt auf die HerdenGesundheit – HerdenImmunität will ich nicht sagen –, aber den Herdenschutz, nennen wir es mal, haben. Das hat sich dann später bei den Daten der amerikanischen Bundesstaaten, wo man das ganz gut verfolgen konnte, bestätigt, dass das ungefähr die Schwelle war, wo die Impfungen genau den messbaren Effekt gezeigt haben und dann wiederum später auch in Deutschland ungefähr an der Schwelle. Jetzt würde ich davon ausgehen, dass das wahrscheinlich in dieser Altersgruppe dann auch so ist. Einen richtig messbaren Effekt auf die Inzidenz wird man in dem Bereich der Durchimpfung haben. Wobei die natürliche Durchseuchung auch einen Effekt hat.

Ein Problem ist hier, wie öfters: Wir haben ja schon gesprochen über die Datenerhebung beim Robert Koch-Institut. Die haben halt einfach das Problem, wir wüssten gerne wie ist es denn 12 bis 17 Jahre? Das wäre natürlich eine wichtige Altersgruppe, weil man da auch die Impfempfehlung noch mal daran überprüfen könnte, sehen könnte: Was hat das gebracht? Jetzt geben die da die Altersgruppe 10 bis 14 raus. Ja, da ist also für die Hälfte gar keine Impfempfehlung vorhanden. Und da muss man halt einfach sagen das ist schade, dass wir die Daten so wenig differenziert haben an der Stelle.

16:12


Camillo Schumann


Wir wollen auch gleich noch über das Impfen für Kinder sprechen. Norwegen und Hongkong haben die Dosis für die Altersgruppe ab zwölf Jahren verändert. Da reden wir gleich drüber. Wir bleiben aber noch kurz beim Infektionsgeschehen. In sehr wenigen Regionen ist die 7Tage-Inzidenz bei den ganz Alten, also 80 plus am höchsten, Amberg zum Beispiel: 512, Landkreis Alzey-Worms: 242, Landkreis Erding: 128 oder Landkreis Rostock: 151. Das sind dann schon eher besorgende Inzidenzen.

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Alexander Kekulé

Da darauf ich mir wieder die Haare, wenn ich das sehe. Also ich kann das nicht so richtig interpretieren, ganz ehrlich gesagt. Weil, es ist ja so, dass wir tendenziell bei den über 80Jährigen haben wir schon eine sehr gute Impfquote in Deutschland. Ich glaube das, was man so hört, insbesondere in Altenheim ist, da ist die Quote inzwischen hervorragend. Deshalb würde ich, wenn man das so liest, erst mal überprüfen, ob die Zahlen möglicherweise auf einer kleinen Zahl von über 80-Jährigen beruhen. Nehmen wir mal Amberg, Inzidenz 512. Das heißt ja 512 pro 100.000 Personen, die über 80 sind. Und wenn Sie das im Prozent runterrechnen, kriegen sie dann 0,512 Prozent ungefähr wenn ich es jetzt im Kopf nicht falsch gemacht habe. Das heißt also 0,5 Prozent von allen über 80-Jährigen – naja, jetzt kommt halt darauf an, wie viele über 80-Jährige es da gibt. Wenn Sie da nur 20 haben, dann ist es natürlich in so einem Landkreis 0,5 Prozent schnell erreicht. Und deshalb kommt es auf die absolute Zahl der über 80-Jährigen an. Manche Landkreise haben sich ja auch früher als die Inzidenz immer so das Maß war für die politisch getriggerten, ausgelösten Entscheidungen, da haben sich ja die Landkreise beschwert, dass manche benachteiligt werden, weil sie aufgrund der Größe dann schnell, sage ich mal, nicht repräsentative Inzidenzen haben. Und das würde ich hier auch überprüfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt ausgerechnet in diesen genannten Orten lauter sture über 80-Jährige sitzen, die sich partout nicht impfen lassen wollen.

18:21


Camillo Schumann


Grundsätzlich: Was sagen Sie denn so zum aktuellen Infektionsgeschehen in Deutschland? Wo stehen wir?


Alexander Kekulé

Also ich bin eigentlich optimistisch. Wir haben ja Mitte September dieses 70-Prozent-Ziel erreicht. Das heißt 70 Prozent der Erwachsenen waren da geimpft. Ich für mich war das eine gute Zielgerade, auch eine erreichbare

machbare. Da gab es dann andere, die haben sich immer gewünscht, dass es mehr wäre. Aber das hielte ich sowieso, finde ich besonders realistisch. Und ich finde, diese 70 Prozent reichen letztlich oder haben gereicht. Wir gehen ja inzwischen viel weiter. Wir haben jetzt insgesamt eine Entwicklung in Deutschland, wo wir, wenn man jetzt noch die aktuellen fünf Prozent dazuzählt, die das Robert Koch-Institut irgendwie noch schnell aus dem Ärmel gezaubert hat, dann sind wir eigentlich in so einem Bereich, Mensch, wir sind auf jeden Fall besser als Großbritannien, als Boris Johnson da den Freedom Day verkündigt hat. Wir sind fast so gut wie Schweden, wie Dänemark. Also wir liegen vielleicht bei der Quote insgesamt so zehn Prozent noch hinter Dänemark, vielleicht auch nur fünf Prozent, je nachdem, wie man das dann rechnen mag. Also wir sind jetzt eigentlich, finde ich auf einem ganz guten Weg. Ich bin deshalb dagegen, jetzt ständig damit im Leichentuch zu wedeln. Und auch die Intensivbelegungen, das ist ja ganz klar, dass wir da weit davon entfernt sind, irgendeine Überlastung zu haben. Also die Vergangenheit, wo wir wirklich Angst hatten, dass uns das Coronavirus quasi die die Krankenhäuser, die ganze medizinische Versorgung zusammenbrechen lässt, das ist ja völlig ausgeschlossen, inzwischen. Und letztlich sind es Einzelschicksale, um die es da geht, wenn sie schwer erkranken und sterben. Die einen sind, kann man dann schon sagen, unbelehrbar. Das sind dann Menschen, die haben einfach ein hohes Risiko, sind alt, sind stark fettleibig oder Ähnliches und lassen sich nicht impfen. Die landen leider nach wie vor – das ist, glaube ich, nach wie vor das Gros der Leute – auf den Intensivstationen. Da muss ich aber sagen das sind dann irgendwann individuelle Entscheidungen. Jeder von uns geht Risiken ein. Und wenn Leute sagen, das ist es mir wert – was ich nicht nachvollziehen kann – aber da muss man sagen – ich kann es nicht nachvollziehen – aber jeder Mensch darf selber Bestimmungen treffen über sich. Und das andere ist, dass wir leider natürlich, und da ist es eher tragisch natürlich, Menschen, die sind geimpft, und da kommt es zu

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Impfdurchbrüchen. Oder die hatten schon eine Erkrankung, und die haben eine zweite Infektion. Und da ist es so, dass die die Risikofaktoren, die wir schon kennen, die alten üblichen Verdächtigen, die sind es auch hier wieder. Und die Leute, die Schwersterkrankten, die haben typischerweise die klassischen Risikofaktoren. Falls sie dann ausnahmsweise nach einer Impfung, trotz Impfung erkranken, nicht nur sagen, es ist kein Grund, sich nicht impfen zu lassen, weil sie das Risiko um den Faktor zehn bis 20 reduzieren auf der ITS zu landen. Und ein zehnfach reduziertes Risiko ist auf jeden Fall einen Grund, sich impfen zu lassen.

21:25


Camillo Schumann


Weil sie vorhin die Impfquote angesprochen haben, finde ich persönlich, ist ganz interessant, wie so die Impfquote unser Nachbarländern hier in Europa aussieht, weil uns ja in Anführungszeichen immer so ein schlechtes Gewissen gemacht wird. Aber dieses Impfquoten-Plateau ist eigentlich in fast allen europäischen Ländern zu beobachten. Es geht stark zurück, die Impfbereitschaft. Da stehen wir jetzt nicht alleine da, wollte ich damit sagen.


Alexander Kekulé

Der Mensch ist halt der Mensch. Es gibt paar Leute, die haben ihre eigenen Prioritäten. Was weiß ich, wenn Sie im Restaurant zuschauen, was die Leute so bestellen am Nebentisch, dann denkt man manchmal auch, was das schmeckt dem? So sind halt Menschen. Und dann gibt es Leute, die tatsächlich paradoxerweise sagen ja, ich lasse mich jetzt nicht impfen, obwohl ich Risikogruppe bin und alle sagen, ich soll es machen: Nein, ich mache es trotzdem nicht. Sie wissen ja, dass ich bei Kindern da etwas zögerlicher bin so eindeutig die Empfehlung zu unterschreiben, die es da gibt. Da glaube ich, muss man sehr stark mit berücksichtigen, welches Expositionsrisiko haben die Kinder? Wie schlimm wäre es, wenn sich so ein Kind wirklich infiziert? Steckt es dann gleich die schwerkranke Oma an und Ähnliches? Aber insgesamt glaube ich, es ist diese Diskussion ausgereizt. Die einen wollen nicht, die anderen

wird man so nach und nach erreichen durch Kampagnen, die immer spezifischer sein müssen, immer lokaler sein müssen. Vielleicht werden auch ein paar Reste irgendwie abgegrast durch so Zwangsmaßnahmen, wie jetzt die kostenpflichtigen Tests oder auch die Einstellung der Weiterzahlung dann im Quarantänefall und solche Dinge. Aber das wird jetzt den Braten nicht mehr Fett machen. Wir werden irgendwo mit der Quote, die wir jetzt haben, und einem langsamen Anstieg leben müssen.

Das viel größere und interessantere Problem aus epidemiologischer Sicht sind nicht diese paar, die jetzt noch unbeugsame Gallier sind, die sich nicht impfen lassen wollen, sondern das Problem aus epidemiologischer Sicht sind ja die Durchbrüche. Das heißt also wir haben ja, wenn die Wirksamkeit des Impfstoffs tatsächlich bei 40 Prozent liegt oder 50 Prozent irgendwo in dem Bereich, vielleicht sind es auch 70. Und wenn Sie Re Infektionen haben und wir sehen ja, dass das, wenn man jetzt sechs Monate wartet, dann schon ganz klar die Zahl der Zweitinfektionen wieder zunimmt oder auch die Zahl der Durchbrüche zunimmt im Lauf der Zeit: Das ist epidemiologisch das, was relevant ist. Ja, das macht die großen Zahlen, das macht die die diese – ich habe es ja die Welle, also die unsichtbare Welle der Geimpften genannt – das ist das epidemiologische Thema, um es das, um das es geht. Und darum sollten wir uns mehr kümmern als jetzt die letzten zu dran drangsalieren, die sich noch nicht geimpft haben.


Camillo Schumann


Und dieses Problem wird in ihren Augen zu einem echten Problem jetzt im Herbst?


Alexander Kekulé

Ja, es wird halt eine Welle geben. Also es wird so sein, dass die Inzidenz schon nochmal steigt. Ich bin jetzt nicht so pessimistisch wie diese offiziellen Verlautbarungen. Sie wissen, ich glaube, der Bundesminister Spahn hat mal von einer Inzidenz von 800 in der Herbstwelle gesprochen – bundesweiter Durchschnitt. Ganz wichtig für mich ist, dass die STIKO davon aus-

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gegangen ist bei ihrer Empfehlung, als sie gesagt hat 12bis 17-Jährige soll nun doch geimpft werden, dass die Inzidenz Mitte Oktober (das ist es jetzt) bei 500 liegen soll. Also auf dieser Basis haben sie gesagt, da ist der Infektionsdruck dann so groß, dass man so viele Fälle bei Kindern hat, dass auch diese wenigen schweren Fälle, die es bei Kindern gibt, relevant sind, dass wir die Impfung empfehlen. Eigentlich müsste man jetzt die Frage stellen gilt es jetzt noch, wenn wir dann nicht angekommen sind? Ich glaube, wir liegen so bei 60/70 oder so im Moment. Da war ich jetzt nie so ein Pessimist an der Stelle. Aber ich muss schon sagen ich kann mir schon vorstellen, dass wir noch einmal über 100 kommen im Herbst. Das ist durchaus möglich. Deshalb bin ich ja dafür, dass wir jetzt nicht quasi den britischen Weg einschlagen, sondern lieber auf der sicheren Seite bleiben und die die Maßnahmen, wie sie jetzt sind, halte ich eigentlich sehr für sehr vernünftig. Übrigens nicht nur ich, also das kann ich wirklich berichten. Ich dafür öfters auch mal so an internationalen Konferenzen – heutzutage alle per Zoom – teilnehmen. Also im Ausland schaut gerade auf den jetzigen Weg in Deutschland mit Hochachtung, weil man sagt: Toll, also ihr streitet euch nicht, ob ihr die Masken weitertragen sollt. Ihr habt wenigstens die Tests weiter zur Verfügung. Ihr seid bei den Kindern mit der mit den zweibis dreimal wöchentlichen Tests in den Schulen – ja, das muss man ja sagen, das ist ja ganz toll. Wer macht das schon weltweit? Wir sind überall eigentlich auf der sicheren Seite. Und deshalb glaube ich, dass wir jetzt – und Sie wissen das war in der Vergangenheit nicht so –, dass wir jetzt eigentlich gerade alles fast perfekt machen im Moment.

26:18


Camillo Schumann


Naja, es gibt er auch den Begriff „German Angst“, dass man ein bisschen Angst vor den eigenen Entscheidungen hat.


Alexander Kekulé

Sie können mir ruhig vorwerfen, also – es ist es so: Wenn Sie einen Arzt fragen, ist der natür-

lich immer so, dass der Ihnen einen vorsichtigen Ratschlag gibt. Auch weil das natürlich öffentliche Ratschläge sind. Also wenn einer sagt, privat, ich will jetzt Vielseitigkeitsreiter sein und geht damit das Risiko ein, den Hals zu brechen. Dann ist es seine persönliche Privatentscheidung, aber es würde natürlich niemals einen Arzt empfehlen, so einen Sport zu machen. Als Beispiel. Und daher würde ich sagen, dass immer, wenn sie jetzt einen Gastronomen fragen, der jetzt eine Party schmeißen will, der wird natürlich sagen Mensch, dieses Restrisiko, das wollen wir jetzt ignorieren. Wir wollen es jetzt machen wie die Briten. Aber gerade wenn man England anschaut ja, da ist die Inzidenz nach diesem Freedom Day richtig hoch gegangen. Und die haben bis heute eine deutlich erhöhte Belegung der Intensivstationen, Krankenhauseinweisungen, auch eine erhöhte Sterblichkeit. Die Sterblichkeit ist im Vereinigten Königreich deutlich hochgegangen, nachdem man da alles aufgemacht hat. Und jetzt kommt der Herbst, und deshalb finde ich, das wäre jetzt einfach ein schlechter Zeitpunkt. Wenn wir genau die gleiche Lage hätten, Mitte Mai oder Ende April oder so, dann würde ich sagen Go for it! ja, das Risiko würde ich dann empfehlen, in Kauf zu nehmen. Aber in der jetzigen Lage, nachdem wir wissen, was das Virus im Herbst und im Winter macht, würde ich das nicht machen.

27:54


Camillo Schumann


Tja, German Angst versus The Danish Way, am 11. September hat Dänemark seinen „Freedom Day“, will ich es mal nennen, ausgerufen. Am 11. September sind in Dänemark sämtliche Corona-Beschränkungen gefallen. Jetzt, einen reichlichen Monat später, wollen wir mal schauen, ob dieser dänische Weg funktioniert hat. Also, wie hat sich das Infektionsgeschehen entwickelt? Und vor allem wie sieht es denn in den Krankenhäusern aus? Und da muss man ja, ohne jetzt der Bewertung vorweg greifen zu wollen – der große Knall ist ja in Klammern bisher ausgeblieben.

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Alexander Kekulé

Ganz klar ausgeblieben! In Dänemark sieht es gut aus. Aber man muss unterstreichen, die haben eben zehn Prozent mehr Quote als wir. Das ist einfach der Unterschied.


Camillo Schumann


Ist das der Unterschied, ja?


Alexander Kekulé

Ja, ich meine schon. Das ist das Wichtigste. Also, das ist auch in Dänemark besser gelaufen als im Vereinigten Königreich. Weil, die Briten haben früher angefangen aufzumachen, mussten dann einiges wieder zurückdrehen, haben nach wie vor die Quarantäne in den Schulen. Da sind ja nach wie vor viele Schulen geschlossen dort. Ich glaube, man muss bei so einer Pandemie, das ist ja ganz wichtig, dass man immer alle Konsequenzen im Auge hat. Also es sind ja nicht nur die Todesfälle, nicht nur die Intensivstationen, sondern es sind auch die sekundären Kollateralschäden, zum Beispiel in dem Beispiel durch die Schulschließungen. Wenn ich weiß, ich mache es eine Öffnung und als Konsequenz muss ich dann eventuell doch wieder Einschränkungen vorübergehend machen, dann ist die Frage, ob man quasi einen etwas sichereren, aber dafür geradlinigen Kurs, ob das nicht vorzuziehen ist. Und die Briten finde ich sind also ein bisschen hin und her geeiert. Es gibt ja auch aktuell jetzt gerade im Vereinigten Königreich diese parlamentarische Untersuchung, wo man gesagt hat: Am Anfang der Pandemie, sind ganz krasse Fehler gemacht worden. Das fände ich gar nicht so schlecht, wenn man das bei uns auch mal machen würde, das zu analysieren. Die Engländer haben da eine schwierige Geschichte. Und die Dänen sind weiter in den sicheren Bereich gesegelt und haben erst dann gesagt, jetzt ist es gut. Und deshalb bin ich da sehr, sehr optimistisch, dass das funktionieren wird.

30:00


Camillo Schumann


Welche Daten aus Dänemark haben Sie denn am meisten überrascht? Also man sieht ja ab dem 11. September lustigerweise, also fast

zum Stichtag, gingen ja sämtliche Kurven nach unten.


Alexander Kekulé

Ja, das mit dem der Stichtag, dieser Öffnungstag, das darf man jetzt nicht überbewerten. Dänemark hat schrittweise geöffnet, so wie das andere auch machen. In Australien ist ja auch gerade ein wichtiger Schritt Richtung Öffnung. Zumindest in einigen Bundesstaaten, in New South Wales ist das gemacht worden. Das macht man ja schrittweise. Und die die Dänen haben seit 1. August ja schrittweise geöffnet, das muss man so sagen. Und die Inzidenz geht so seit Mitte September hoch, ist gestiegen so von 40 ungefähr auf 80. Also das ist jetzt auch nicht so dramatisch, immer bezogen auf 100.000. Und ich glaube, das wird keine, sage ich mal, gefährliche Sache. Wir haben bisher dort keinen relevanten Anstieg der Belegungen auf Intensivstationen oder der Sterblichkeit. Ich glaube, das wäre ein ganz guter Weg. Man muss immer dazusagen, egal wie man es macht, das war ein Dänemark so, in Großbritannien stärker. Wir haben immer etwas, was Boris Johnson eine Exit Wave genannt hat. Dieser Begriff ist mir ein bisschen aufgestoßen. Aber in dem Zusammenhang ist es natürlich immer so. Wir haben ja das übrigens in Israel genauso gesehen. In Israel haben wir auch gesehen, ganz genauso wie in UK, die hatten eben auch den Anstieg der Hospitalisierungen und der Sterblichkeit. Aber interessanterweise, das gilt für Vereinigtes Königreich und in Israel war es ja schon vorher, da haben wir das schon vorher beobachten können diese, wenn ich es mal so nennen darf, Exit Waves, diese Ausgangswelle, die begrenzen sich interessanterweise selbst. Also die sind dann paar Wochen lang und da geht die Inzidenz hoch, geht auch die Sterblichkeit hoch, die Hospitalisierung. Aber es ist nicht so, dass das wieder nach oben durch die Decke geht, sodass man jetzt als Epidemiologe beim Blick auf diese Kurven wirklich so ein bisschen das Gefühl hat, dass da so ein Herdenschutzeffekt eintritt. Also offensichtlich immunisieren sich bei diesen Exit Waves gerade die Leute, die

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sozusagen sich nicht an die Regeln halten weiterhin, die als Erstes die Partys machen, die nicht geimpft sind. Und dadurch, dass die dann auf natürliche Weise immunisiert sind, sozusagen die harte Tour gewählt haben, tragen sie dann auch letztlich zur Immunität der Gesamtbevölkerung bei. Sodass man den Eindruck hat, wenn man das zum richtigen Zeitpunkt macht, also nicht zu früh, dass so eine Exit-Welle, die muss man ankündigen, dass die stattfinden wird. Und ich habe den Eindruck, dass die tendenziell dann selbst begrenzend sind.

32:41


Camillo Schumann


Licht aber auch so ein bisschen Schatten. Der R-Wert steigt und steigt in Dänemark liegt er aktuell bei 1,2, lag am 14. September bei 0,73 es damit nicht weit davon, um sich zu verdoppeln, könnte das ein Problem werden?


Alexander Kekulé

Ja, das ist jetzt, wenn Sie das sagen könnten – das ist beim Wissenschaftler immer schwierig. Also ausschließen kann man sowas nicht. Aber wir haben eben die beiden Beispiele Israel und Großbritannien, die haben beide ähnliche Strategien verfolgt. Da kam es auch zu so einer Welle. Und die Welle, dieser R-Wert, der da steigt, heißt nur, dass, wenn man so will, die Zahl, die Inzidenz, also die die täglichen Neuerkrankungen oder wöchentlichen Neuerkrankungen, dass die steigen. Das ist ja letztlich dann auf die Gesamtpopulation bezogen. Und ja, die steigen um offensichtlich als Folge jetzt der Öffnungen. Und wir haben aber eben mindestens diese beiden Beispiele aus Israel und dem Vereinigten Königreich, dass sich das nach einigen Wochen dann wieder einfängt, nach relativ kurzer Zeit. Ich habe es nicht mehr genau vor Augen. Aber es ist weniger als sechs Wochen auf jeden Fall. Und deshalb würde ich mir das mit Interesse anschauen, was in Dänemark passiert. Aber ich meine Prognose wäre, dass wahrscheinlich trotz des beginnenden Winters sich dieser Anstieg jetzt nicht verstetigen wird. Das R, was da jetzt über 1 ist, wird jetzt nicht dazu führen, dass die wieder irgendwelche Inzidenzen im Bereich von 300

oder 400 kriegen. Sondern da gilt wahrscheinlich das Gleiche, was ich mal für Deutschland als Hausnummer – das ist ja schwer, Prognosen zu machen – aber ich habe mal gesagt so auf 200 könnte es im Winter noch steigen. Und ich kann mir vorstellen, dass das in Dänemark auch so die Decke ist, die man erreichen könnte oder auch nicht. Kann auch sein, dass das nächste, übernächste Woche schon wieder runtergeht.

34:26


Camillo Schumann


Okay, um da jetzt einen Strich drunter zu ziehen: So eine Exit Wave oder wie es jetzt in Dänemark versucht wurde, wäre jetzt nicht anzuwenden auf Deutschland?


Alexander Kekulé

Ich würde es wegen des Unterschieds in der geimpften Bevölkerung nicht machen zum jetzigen Zeitpunkt. Und weil ich, ganz ehrlich gesagt, auch diesen Druck nicht sehe. Wir haben Maßnahmen, die wir uns leisten können. Sie wissen, ich bin auch der Meinung, wir hätten uns die die Schnelltests für alle weiterhin leisten können. Nach dem Motto: Wenn du schon sowieso schon fast zwei Billionen rausgehauen hast, kommt es auf die paar Euro auch nicht mehr an. Aber insgesamt sind wir halt in der sehr komfortablen Lage, weil wir ein wirtschaftlich starkes Land sind, weil wir eine hervorragende medizinische Versorgung haben, weil wir eine zum großen Teil sehr vernünftige Bevölkerung haben. Und ich weiß jetzt nicht, ob das unbedingt sein muss, dass man jetzt in der Straßenbahn keine Maske mehr trägt. Also, das glaube ich aber auch, das kann man der deutschen Bevölkerung auch klarmachen, dass das jetzt mal eine Sicherheitsmaßnahme ist, die genauso vielleicht überflüssig ist wie Sicherheitsgurt bei Geschwindigkeit 30 km/h oder 25. Keiner schnallt sich ja erst an, wenn er 50 fährt oder so, obwohl wir alle wissen, dass, wenn man sehr, sehr langsam fährt, dass höchstens eine Platzwunde am Schädel gibt, wenn man an die Windschutzscheibe knallt. Also daher, Nein, wir haben, wir haben halt immer so einen Si-

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cherheitsrand bei allem, was wir tun. Und deshalb finde ich den sollte man hier auch einhalten, vor allem, weil eben, wenn es zum Problem kommt, das auch wiederum diese sekundären Kollateralschäden hätte. Da muss man wieder irgendetwas schließen, wieder reglementieren. Das wollen wir auf gar keinen Fall.

36:16


Camillo Schumann


Okay. Also Dänemark auf einem sehr, sehr guten Weg, nix für Deutschland. Und wir können ja dann in einem Monat ja noch mal nach Dänemark schauen und schauen, ob sich dort der R-Wert wieder stabilisiert hat, unter 1 gegangen ist. Und wie sich die Situation dort entwickelt hat. Wie angekündigt noch ein kurzer Blick auf die Impfung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren. Großes Thema da Myokarditis, Herzmuskelentzündung: Wir wissen ja, es gibt bei den jungen Menschen ein erhöhtes Risiko, infolge einer mRNA-Impfung eine Herzmuskelentzündung zu bekommen. Ein geringes, aber in dieser Altersgruppe erhöhtes Risiko. Es gibt jetzt zwei aktuelle neue Studien aus Israel. Bestätigen diese Studien diesen Trend?


Alexander Kekulé

Ja, die bestätigen den Trend. Die Daten sind sogar, wenn man sie zusammenfasst, noch ein bisschen schlechter als vorher. Es ist im Ergebnis so, dass man wirklich sagen muss, das ist ein ganz klares Risiko für eine Herzmuskelentzündung, insbesondere bei Jungs. Wenn sie so im Alter also, das am meisten gefährdete Alter liegt so unter 19 Jahre, kann man sagen. Also dort bei der Auswertung, die die hatten, war 16 bis 18 bzw. 16 bis 19. Das liegt aber daran, dass die unter 16-Jährigen in der Studie gar nicht mit dabei waren. Die sind beiden in einem hervorragenden Journal gerade publiziert worden. Es ist eigentlich eine laufende Beobachtung, die da die da mal zusammengefasst wurde. Das eine ist die Hadassah Universität, und das andere ist Clalit, wo wir schon öfters drüber gesprochen haben, dieser größte Versicherer in Israel, dessen Daten wirklich hervorragend sind. Und noch einmal zur Erin-

nerung, Israel nimmt ja nur BioNTech und ist so ein bisschen das Privatlabor von BioNTech/Pfizer für die für die Feldstudien. Die haben so eine Art Vertrag mit denen, dass sie die Daten zur Verfügung stellen. Man muss es immer dazu sagen, weil ich bei den israelischen Daten immer so ein bisschen das Gefühl habe, dass die doch auch große Fans dieses Impfstoffs sind. Und man spürt das manchmal so durch, dass die die Dinge sehr positiv sehen. Und da sind die Daten ausgewechselt, ausgewertet worden. Ich fasse es mal zusammen. Das eine war vom Gesundheitsministerium, so Dezember bis Mai. Das andere war eben die Clalit-Daten, also die Daten dieses riesengroßen Versicherers. Der hatte in der Größenordnung von 2,5 Millionen Versicherte, die geimpft wurden – also das ist der riesige, riesige Schutz von Daten, den die haben. Und da hat man einfach Folgendes nachgeguckt. Man hat in diesen Daten jeweils geschaut, wie häufig ist denn eine Herzmuskelentzündung überhaupt bei den Menschen registriert worden. Registriert heißt in dem Fall quasi codiert bei der ärztlichen Abrechnung. Da gibt's so kurz diese Codes, die heißen ICD, da hat vielleicht schon mal jemand was davon gehört, ICD-9, ICD-10. Und diese Codes, da kann man quasi für die Abrechnung ankreuzen, wenn Sie so wollen, Myokarditis, Herzmuskelentzündung. Auf dieser Basis haben die geguckt, okay und die von den Geimpften: Wie viele Myokarditiden gab es denn dann? Zum Beispiel jetzt die die Daten, die da von dem Gesundheitsministerium stammten, da hat man insgesamt 283 Fälle von Myokarditis codiert gehabt, davon etwa die Hälfte, 142, nach der Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff. Dann haben sie Folgendes gemacht und das ist eben immer so ein bisschen die Schwierigkeit, dann wurde, wurden diese Daten noch einmal genau von kardiologischen Experten sich angeguckt. Die haben geguckt: Ist denn das, was da kodiert wurde, was da abgerechnet wurde, als Myokarditis, ist es denn überhaupt eine gewesen. Da ist ziemlich viel rausgefallen. Dann waren es dann noch 136 Diagnosen, wo sie gesagt haben, die sind wahrscheinlich. Also die machen quasi

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noch einmal so ein Feintuning. Und von 136 haben Sie sich dann angeschaut, von der Wahrscheinlichkeit her, ist das assoziiert mit der Impfung oder nicht. Vielleicht sagt man noch eins dazu, sind das fast alles, wie üblich, 95 Prozent milde Verläufe, die gehen von selber wieder weg in der Regel, ganz wenig Todesfälle.

Aber die Häufigkeit ist hier doch interessant, wo man jetzt genauer geschaut hat. Und zwar hat man festgestellt, dass, wenn man jetzt mal nur die Jungs anschaut, 16 bis 18, da ist die nach der zweiten Dosis eben 1:7.000 jetzt rausgekommen, ungefähr 1:7.000. Da zur Erinnerung: Früher war es so 1:20.000 die Schätzung, die man hatte. Dann hat man gesagt na ja, die pessimistischsten Studien gehen von 1:10.000 aus. Jetzt sind wir schon bei 1:7.000 in dieser Altersgruppe. Das sind ja nur die, die zum Arzt gegangen sind, weil sie Probleme mit dem Herz hatten. Also alle, die das nicht gemerkt haben, wo das unbemerkt blieb, waren gar nicht dabei.

Und nochmal das ist ja nur BioNTech. Und wir wissen ja, dass die Daten darauf hindeuten, dass bei Moderna die Quote deutlich höher ist. Es wird von einem Faktor 2,5 gesprochen. Wenn ich jetzt mal diese 1:7.000 nehme und dadurch 2,5 teile, dann komme ich ungefähr auf eine Quote von 1:3.000. Wenn jetzt ein Junge mit Moderna geimpft wird, unter der Annahme, dass dieser Faktor stimmt, der da so zirkuliert. Da haben wir ja noch keine sauberen Daten. Aber das ist dann natürlich schon so ein Bereich, wo man sagen muss: Also eine feststellbare Myokarditis in der Größenordnung, brauche ich das wirklich bei einer Altersgruppe, die praktisch keine oder ganz, ganz selten schwere Verläufe hat. Und da haben eben die skandinavischen Länder, das ist ja bekannt, eine andere Schlussfolgerung gezogen als Deutschland.

42:04


Camillo Schumann


Trotzdem, um da noch mal ganz kurz zu bleiben: Hat dann die STIKO das Risiko der Erkrankungsrate falsch berechnet oder konnte sie gar

nicht anders berechnen? Müsste sie dann noch mal ran?


Alexander Kekulé

Ich bin ziemlich sicher, dass die Mitglieder der STIKO – das ist ja kein einstimmiges Urteil gewesen, aber die, die damals für die Impfung der 12bis 17-Jährigen waren, und das war ja dann auch das Ergebnis –, dass die jetzt natürlich mit einer gewissen Sorge sehen, wenn die Zahlen nachgeschärft werden, dass man sieht, das Risiko wird immer häufiger, je genauer man hinschaut. Und wir haben eben die Dunkelziffer noch gar nicht mit eingefasst. Aber letztlich ist es so, das ist ja kein Game-Changer, ja, ob das jetzt 1:7.000 oder 1:10.000 ist, das sind alles Dinge, die, wenn Sie so wollen, die politische Betrachtung des Ganzen nicht groß ändern. Und die politische Überlegung bei der STIKO war ja, dass man gesagt hat: Wir wollen den Kindern mehr Freiheiten geben, also impfen letztlich gegen die staatlichen Maßnahmen, wenn ich es mal so ein bisschen polemisch ausdrücken darf. Das war ja ganz klar. Das steht ja auch in dem Papier drinnen. Einer der Gründe, warum die STIKO das gemacht hat. Der andere Grund fällt möglicherweise weg, quasi, weil sie von dieser sehr hohen Inzidenz ausgegangen waren, die wir jetzt nicht haben. Ich glaube deshalb nicht, dass man, wenn man die Sicht der STIKO übernimmt, wie die das gesehen haben und auch gut begründet haben, dass man jetzt die Position ändern muss. Es bleibt das, was ich wirklich nachdrücklich als handwerklichen Fehler bezeichnet habe. Und das ist einer, dass man keinen Unterschied gemacht hat zwischen Jungs und Mädchen. Und dass man keinen Unterschied gemacht hat zwischen Moderna und BioNTech. Also ich finde, das wäre bei dieser Bewertung notwendig gewesen. Und da waren einfach, das muss man ganz klar sagen die skandinavischen Behörden besser, qualitativ besser bei ihrer Beurteilung – übrigens nicht das erste Mal. Es war so, dass wir 2009 bei der Schweinegrippe die Diskussion hatten über dieses Adjuvans, diesen Wirkverstärker, wo die Deutschen gesagt haben, ach macht mal, das ist

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nicht so schlimm – Pandemrix hieß der Impfstoff – das brauchen wir. Und es waren die Skandinavier, die dann genauer hingeschaut haben und die dann festgestellt haben: Hoppla, da gibt es eine Assoziation zu diesen Narkolepsien, also sehr seltenen, aber schweren Nebenwirkungen.

Und ich glaube, dass das auch so ein bisschen jetzt dort die Gesundheitsbehörden motiviert hat, die wissen bei der letzten Pandemie 2009 waren wir das, die da quasi aufgedeckt haben, dass es ein Problem gibt. Und der Rest der Welt hat also munter geimpft. Und ich glaube, dass die jetzt dadurch auch historisch gesehen sich in der Verantwortung fühlen, besonders genau hinzuschauen.

44:46


Camillo Schumann


Bisher gilt er die Impfserie auch für die Kinder ab zwölf Jahren, also zwei Impfungen für einen vollständigen Impfschutz. Hongkong, Norwegen andere Länder empfehlen Kindern ab zwölf Jahren wegen des erhöhten Myokarditis Risikos aber nur die erste Dosis des BioNTech Impfstoffs zu verabreichen. Sollte Deutschland da nachziehen?


Alexander Kekulé

Ja, das Problem ist einfach mit diesen Zulassungen. Ja, der Impfstoff ist zugelassen, für zweimal geimpft, und die Frage stellt sich dann im europäischen Konzert. Sie wissen dieser QRPass ist europaweit gültig, den man da kriegt. Was ist, wenn wir die nur einmal impfen, dann ist er ja gar nicht geimpft, das gilt ja dann gar nicht. Da ist so en juristischer Schwanz, der dranhängt. Aber wenn ich jetzt rein medizinisch, das muss ich einfach sagen – ich wollte gerade mal entschuldigen, warum andere nicht so straight quasi sagen, „Ja, machen wir“. Aber es ist so, rein medizinisch gesehen ist es so, natürlich muss man bei jüngeren Menschen die Dosis reduzieren. Es ist wahrscheinlich so, das sehen wir bei den RNA-Impfstoffen auch anhand dieser seltenen Nebenwirkungen. Diese Impfstoffe sind ziemlich stark und für viele Menschen, wenn Sie so wollen, von der Reaktogenität her einfach stärker, als man es unbe-

dingt bräuchte. Und deshalb ist eine Dosisreduzierung insbesondere bei Jugendlichen und Kindern, das ist das ist so dermaßen offensichtlich ein To Do, was jetzt im Raum steht, dass man sagen muss ja unbedingt. Und das wird ja auch gemacht jetzt bei den 12bis 17-Jährigen in den Studien, da sind ja die Dosen reduziert worden, auch weil die Zulassungsbehörde darauf bestanden hat. Die FDA hat in den USA dann gesagt, nee, nee, ihr könnt dann nicht einfach das gleiche one-size-fits-all quasi an die Kinder auch noch verteilen. Daraufhin mussten die in den sauren Apfel beißen und die ganzen Studien noch einmal neu machen mit reduzierten Dosen. Das ist natürlich für den Hersteller mühsam, viel mühsamer, als wenn er aufgrund der alten Studien die Zulassungen bekommt. Ich plädiere dringend dafür, dass man hier die Dosisreduktion bei Jugendlichen und Kindern macht. Und ein Behelfs-, ein Vehikel, was letztlich gemacht wird, ist, dass man sagt, okay, diese Nebenwirkungen seltenen, aber relevanten Nebenwirkungen da am Herzen, die gibt es typischerweise nach der zweiten Impfung. Also geben wir erst mal nur die erste. Das macht man halt. Eine Alternative, sage ich mal, die man sich überlegen könnte, ist, ob man von den von dem Volumen, was da typischerweise aufgezogen wird für die Impfung bei Kindern nicht einfach die Hälfte gibt. Also ich bin praktisch sicher, dass das einen ähnlichen Immunschutz geben würde. Und wenn er schwächer ist, ist es in dieser Altersgruppe keine relevante Größe. Zumal wir sowieso wissen, dass die die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden vor Infektiösität schützt – also Stichwort diese falsche, versprechende Herdenimmunität – das ist ja sowieso vom Tisch. Wir haben keine, wir kriegen keine Herdenimmunität, einen vollständigen Schutz vor Infektionen gibt es nicht. Und deshalb muss man wirklich gucken wie sind die Nebenwirkungen? Wie kann ich die reduzieren? Und diese Idee zu sagen wir geben jetzt erst einmal nur die erste Dosis, die ist sehr naheliegend.


Camillo Schumann


Oder wenn ich Sie richtig verstanden habe,

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eine Dosis und die aber auf zwei Impfungen verteilen. Das wäre etwas, was man dringend mal ausprobieren müsste. Dass man wirklich eine Dosisreduktion auch für 12bis 18oder 12bis 17-Jährige hat und quasi der damit der halben Dosis rangeht.

Es wird ja so sein, dass wir wahrscheinlich bald, also in den USA, dann die Möglichkeit haben, unter 12-Jährige zu impfen. Da wird es dann reduzierte Dosen geben, die Studien sehen ja wirklich sehr gut aus. Und ich bin sicher, dass der eine oder andere Kinderarzt, wenn dann diese reduzierte Dosis einfach zur Verfügung steht, dass der dann sagt. Dann gebe ich eben auch mal auch die für einen 15-Jährigen unter Umständen diese für jüngere Kinder vorgesehene Impfung. Das ist in der Kindermedizin nicht unüblich. Also wenn Sie mal denken, viele Eltern haben ja Erfahrungen, dass sie ihre Kinder mit Paracetamol-Zäpfchen behandeln oder Ibuprofen-Zäpfchen behandeln, wenn die Fieber haben. Und da hat der eine oder andere schon rausgekriegt, dass jedes Kind ein bisschen anders reagiert. Und manchmal können sie wirklich ein Zäpfchen, was eigentlich für Säuglinge ist, das können sie manchmal im 5Jährigen geben. Und das wirkt super, da brauchen sie überhaupt nicht mehr. Und andere Kinder brauchen halt eine höhere Dosis. Sodass man schon sagen muss gerade in der Kindermedizin ist es gar nicht so unüblich, die Dosis zu reduzieren und weniger zu geben, als das, was jetzt rein auf dem Papier erforderlich wäre.

49:31


Camillo Schumann


Wir haben darüber gesprochen, dass man möglicherweise auch ja nur eine Dosis oder eine Dosis dann verteilen sollte auf zwei Impfungen. Was könnte man dann noch machen, um da so ein bisschen Licht in vor allem auch in das Dunkelfeld zu bekommen bei dieser Erkrankung?


Alexander Kekulé

Ja also, dass die zwei Fragen, die immer im Raum stehen ist. Ist das nur die Spitze eines Eisbergs? Weil, es ist ja so, die Impfung schä-

digt bei einigen Menschen das Herz, das ist ja klar, zum Glück nur leicht. Und das geht dann auch von fast immer von selber wieder weg. Aber wir haben zwei Fragezeichen des eine ist diese Spitze des Eisbergs ist, wie klein oder wie groß ist die also? Wie oft ist es eigentlich so, dass man unerkannte Herzmuskelschäden hat, die eben nicht dazu führen, dass die Eltern mit den Kindern zum Arzt gehen und es dann zum Eintrag einer Diagnose kommt? Das heißt also, da müssten wir wissen ist diese Schädigung häufiger, oder gibt es vielleicht nur ganz bestimmte Menschen mit bestimmter genetischer Voraussetzung, die das kriegen? Meistens ist so etwas dann häufiger und ist nur selten symptomatisch eben oder nur gelegentlich symptomatisch. Um das rauszukriegen, müssten wir – ähnliche Situation wie bei AstraZeneca damals – wir haben ja Möglichkeiten festzustellen, wie häufig wirklich so eine Myokarditis ist, auch wenn sie sich klinisch nicht bemerkbar macht. Manche Menschen haben ja Schmerzen, manch haben Kreislaufprobleme und so weiter. Aber ganz viele merken eben fast nichts, sofern es keine Leistungssportler sind. Und da macht man zwei ganz simple Sachen. Das eine ist ein EKG, was nun wirklich nicht wehtut. Und das andere ist eine Blutabnahme, die ein bisschen wehtut, wo man ein, zum Beispiel das Troponin T feststellen kann. Das ist so ein Herzenzym übrigens, entdeckt von einem Heidelberger, einem deutschen, Katus heißt der. Der hat das entdeckt, dass man da ganz toll feststellen kann, ob das Herz noch in Ordnung ist oder nicht oder ob das geschädigt ist. Und es ist Troponin T, das ist bei mir fast immer erhöht. Und jetzt könnte man natürlich schauen, okay, wir nehmen jetzt mal ganz viele geimpfte Jugendliche und schauen einfach, wie hofft, haben die eine TroponinErhöhung, und wie oft ist da im EKG was zu sehen bei denen, die keine symptomatische Myokarditis haben? Dann hätte man, finde ich ein besseres Gefühl dafür, ob das jetzt ein Massenphänomen ist oder ob das wirklich irgendwie nur 1:10.000, 1:7.000 ist und damit vielleicht nicht so relevant.

Und das andere? Das ist eine Frage, die man

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jetzt nicht beantworten kann. Aber die STIKO hat ja zurecht gesagt das Problem ist, dass wir nicht wissen, weil wir nicht wissen, wie der Mechanismus dieser Erkrankung ist, wie die Langzeitergebnisse aussehen. Ich persönlich bin da optimistisch. Ich glaube nicht, dass da viel bleiben wird. Aber ich glaube, ich weiß nicht, ob da was bleibt. Ich glaube, dass die, die die ausgeheilte Myokarditis im Kindesalter haben, nach der Impfung, dass die ihr Leben lang damit kein Problem mehr haben werden. Aber es wäre natürlich schön, wenn man es auch beweisen könnte.

52:19


Camillo Schumann


Genau der Glaube, dass nichts bleibt. Womit wir dann auch schon beim letzten Thema werden für diese Ausgabe: Long Covid. Wir sollten noch über eine Studie aus Großbritannien zu Long Covid sprechen. Es geht um Symptome, und diese Auswertung von Angaben, die auch COVID-19 Patienten selbst gemacht haben, ergab nun, dass 37 Prozent auch noch nach einem Jahr über Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsstörung, Atemnot zum Beispiel geklagt haben. Das waren ja Angaben, wie ich schon gesagt habe, die jetzt kein Arzt überprüft hat, sondern die Betroffenen quasi per Selbstdiagnose angegeben haben. Wie valide ist so was eigentlich. Also wie ernst kann man so etwas eigentlich nehmen?


Alexander Kekulé

Also ich bin da ihr immer zurückhaltend. Es gibt definitiv Long Covid, das ist ganz klar. Und es ist wohl so, dass zehn bis 20 Prozent der COVID-Patienten die also symptomatische Erkrankungen hatten, nach einem Monat immer noch irgendwelche Beschwerden haben, die noch nicht ganz weg sind. Auf der anderen Seite: Wir haben inzwischen ja doch viel Erfahrung mit Patienten, die länger krank waren und auch mit gut messbaren Symptomen irgendwie im Lauf der Zeit heilt sich fast alles, was bei COVID sozusagen geblieben ist. Ich würde mal so sagen nach einem Jahr sind eigentlich fast alle wieder gesund. Wir hatten das Thema ja bei den Geruchsstö-

rungen, da ist es besonders gut messbar. Aber das gilt auch für andere Probleme. Natürlich klar, wenn einer auf der Intensivstation war, beatmet wurde und die Lunge ist dann möglicherweise noch länger angeschlagen. Aber von den ganz normalen Verläufen sage ich mal glaube ich nicht, dass das Long Covid ein Problem sein wird, was uns jahrzehntelang beschäftigt.

Aber was hier natürlich schon interessant ist, das ist ja dieses Office of National Statistics in Großbritannien. Die werten das immer mal wieder aus. Also die geben immer wieder die Daten raus. Und die, die haben so ungefähr 1,1. Millionen haben sie gesagt, dass es 1,7 Prozent der der Bevölkerung, die haben also gesagt, sie haben Symptome. 1,7 Prozent oder über 1 Million Menschen, das ist natürlich schon ein Thema. Und darum interessiert die das vom Gesundheitsschutz her. Und immerhin so ungefähr fast 80 Prozent, also vier Fünftel ungefähr hatten dann auch Probleme, die eben länger als drei Monate angehalten haben und diese 37 Prozent, die sie erwähnt haben, das sind also im Vereinigten Königreich dann 400.000 Menschen ungefähr, haben nach einem Jahr immer noch irgendetwas angegeben. Das meiste war eben Müdigkeit. Des zweithäufigste war „so ein bisschen kurzatmig“. Das sind die Symptome, wo ich mal sagen kann, die sind zum Teil schwer zu objektivieren.

Und das ist auch so, dass es so ein bisschen merkwürdig ist, dass das Maximum nicht bei den Hochaltrigen ist, die schwerer krank werden, sondern bei denen im mittleren Lebensalter, so von 35 bis 65. Das sind ja die, die in der Arbeitswelt stehen, und dann lässt man sich krankschreiben wegen Long Covid usw. Das sind mehr Frauen als Männer und die der betroffen sind. Das ist auch so ein bisschen merkwürdig, weil wir wissen, dass bei psychosomatischen Erkrankungen Frauen häufiger sind als Männer. Wir wissen aber, dass bei COVID Männer häufiger schwer betroffen sind. Aber hier ist es so: Long Covid scheint jetzt eher so ein Problem zu sein, wo Frauen häufiger mal ankreuzen, ich habe noch Probleme. Und es gibt noch andere Assoziationen. Zum

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Beispiel regional Gegenden, wo Menschen mit weniger Einkommen leben, schlechterer Gesundheitsversorgung, da ist es häufiger. Es ist interessanterweise bei Mitarbeitern im sozialen Bereich und im Gesundheitsbereich häufiger. Das ist auch so was, warum sollen jetzt Krankenpfleger, Krankenschwester oder Altenpfleger und so weiter, warum sollen die das häufiger haben. Also das klingt für mich alles so, als wären da psychische Belastungskomponenten noch mit drinnen. Weil natürlich die Menschen, die im Krankenhaus gearbeitet haben, besonders belastet waren durch diese durch diese Pandemie. Und deshalb glaube ich, dass sich diese Zahl, wenn man die dann irgendwann mal runterbricht, auf die, die wirklich klinisch sozusagen harte Symptome noch haben, dann wird es bei den zehn bis 20 Prozent bleiben. Ich glaube nicht, dass wir mehr Long-Covid-Probleme haben. Und all denen, die selber noch was spüren, würde ich denen ein bisschen Optimismus an die Hand geben wollen? Ich kenne viele, viele Fälle, die darüber klagen und geklagt haben. Aber es wird immer besser. Es ist nicht so, dass es bleibt.

56:55


Camillo Schumann


Wer sich diese Auswertung mal zu Gemüte führen will, sowie alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen, der Link dann in der Schriftversion dieses Podcasts. Herr Kekulé, damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer.

Frau S. hat eine Frage zur Grippeschutzimpfung. Sie war bei ihrer Ärztin. Und dann:

57:15

„Meine Ärztin sagte mir, dass ich die jetzt noch nicht machen soll, weil die Grippesaison so lange dauert das, dass dann bis zum Ende der Grippesaison nicht wirken würde. Stimmt das wirklich? Ich bin zweimal gegen Corona geimpft, und die zweite Impfung war im Juni. Ich hatte keine Schwierigkeiten damit. Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. Danke.“

57:41


Alexander Kekulé

Also, das stimmt überhaupt nicht. Also lassen

Sie sich jetzt impfen, Frau S., das ist am Anfang der Saison am vernünftigsten. Es hat überhaupt keinen Sinn. Sie wissen ja nicht, wann, wann es Sie erwischt. Und gerade, wenn wir jetzt, sage ich mal doch einige Lockerungen schon beschlossen haben in Deutschland, die Chance besteht, sich eine Grippe zu holen, natürlich jetzt auch in den nächsten Wochen. Und deshalb impfen lassen. Und es ist nicht so, dass der Impfschutz innerhalb der wenigen Monate, die so eine Saison dauert, jetzt merklich abnehmen würde. Das also nimmt natürlich ab im Lauf der Zeit. Aber bei der Grippe ist die Situation anders als bei COVID. Da geht es nicht so sehr darum, dass quasi, dass der Impfschutz schlapp wird, sondern da geht es darum, dass das Virus sich verändert, das ist dort eine andere Situation. Und innerhalb einer Saison verändert sich das Virus nicht groß.

58:29


Camillo Schumann


Eine Dame hat gemailt, die namentlich nicht genannt werden möchte. Kein Problem. Sie schreibt:

58:37

„Selbst bin ich zweimal geimpft. Aber es geht um eine Kollegin in der Kita, die ich überzeugen möchte. Sie ist Mitte 50, hat Angst vor einer Impfung, trägt in der Kita natürlich keine Maske, muss sich täglich testen, ist aber genervt davon, weil sie ja gesund sei und das alles übertrieben wäre. Ihr Argument: Sie war noch nie so gesund wie seit Corona, und sie möchte sich und ihre nun gute Gesundheit nicht mit den Folgen einer Impfung ruinieren. Ihr Mann sieht es genauso. Mein Argument, dass ihre gute Gesundheit vielleicht an den Maßnahmen liegen könnte, lässt sie nicht wirklich gelten. Wie kann man da noch argumentieren, liebe Grüße aus Mannheim?“

59:15


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist schwierig. Also es ist in der Tat so; dass viele Menschen sich sozusagen fitter fühlen als sonst; aus verschiedenen Gründen. Homeoffice ist natürlich nicht so anstrengend, wie immer ins Büro gehen zu müssen. Es ist vor

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allem so, dass wir natürlich die ganzen Erkältungskrankheiten nicht hatten, einschließlich der Influenza. Es gibt ja sogar viele Länder, die jetzt eine negative Übersterblichkeit haben. Also die haben quasi wegen der Maßnahmen weniger Tote als sonst und nicht mehr als sonst während der Corona-Welle, weil eben hauptsächlich Influenza und andere Erkältungskrankheiten dadurch weggefallen sind, auch weniger Unfälle auf dem Weg zur Arbeit, und so weiter. Das heißt also, ja, viele waren noch nie so gesund wie jetzt in der CoronaZeit. Aber daraus zu schließen, dass einem dieses Virus nicht gefährlich werden könnte, das wäre wirklich komplett die falsche Schlussfolgerung. Das darf, darf man nicht miteinander vergleichen. Das ist ein Virus, was neu ist beim Menschen, was aus dem Tierreich gerade gekommen ist, was sich an uns noch nicht angepasst hat und wo kein Virologe der Welt genau versteht, warum der eine so schwer krank wird und der andere nicht. Und deshalb kann man auch als völlig gesunder Mensch Mitte 50 einen schweren Verlauf bekommen. Und deshalb würde ich sagen, dass es ist einfach die falsche Sichtweise. Also subjektiv, weiß ich, ja, man denkt immer, man kann das jetzt. Aber bloß, weil sie zehnmal auf einem Pferd gesessen sind, was sie nicht abgeworfen hat, wissen Sie nicht, was das Elfte mit ihnen macht? Und in dem Fall würde ich sagen, das elfte Virus könnte dann COVID sein und mit dem es nicht zu spaßen.

1:00:52


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 230. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder dann zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als aus-

führlicher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

Und ein kleiner Podcast-Tipp: Hören Sie doch mal in den „Rechthaber“ rein, der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen, auch überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 12. Oktober 2021 #229: Die unsichtbare Welle

Camillo Schuman, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:

– Kritik am Robert-Koch-Institut wird lauter

Impfquote wohl unterschätzt: Kritik an RKIChef Wieler | tagesschau.de

Depression und Angststörungen während der Pandemie (08.10.2021)

Studie: https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)021437/fulltext


Camillo Schumann

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Dienstag, 12. Oktober 2021.

Schnelltests ab dieser Woche nicht mehr kostenlos. Was das für das Pandemiegeschehen bedeuten könnte.

Außerdem: Die Ständige Impfkommission empfiehlt Auffrischungsimpfungen für über 70-Jährige und für alle, die mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson und Johnson geimpft wurden. Wie ist diese Entscheidung zu bewerten?

Außerdem: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stürzen Millionen Menschen in die Depression. Wer ist am häufigsten betroffen? Eine Studie gibt Aufschluss.

Und: Volle Kneipen ohne Maske, aber zur Begrüßung keine Hand geben. Wie passt das zusammen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur/Moderator bei MDR aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann

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Seit dieser Woche ist der kostenlose Bürgertest also Geschichte. Der Steuerzahler übernimmt die Kosten für die Corona-Schnelltests nicht mehr. Wer in ein 3G-Restaurant oder -Konzert möchte und nicht geimpft und genesen ist, muss künftig den Schnelltest selbst zahlen. Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gebietet das die Fairness gegenüber dem Steuerzahler. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warnte, die Umstellung komme viel zu früh. Ohne Gratis-Tests werden wir weniger Testergebnisse bekommen. Mehr Infektionen werden unerkannt bleiben. Wir laufen in eine Schattenpandemie. Herr Kekulé, wie bewerten Sie das Ende der kostenlosen Schnelltests?

0:01:45:

Mit der Schattenpandemie? Er hört anscheinend unseren Podcast. Das ist ja genau die Befürchtung, dass die Menschen sich dann nicht mehr testen lassen, gilt übrigens auch für Geimpfte und Genesene. Dadurch, dass diese Hürde dann höher ist, glaube ich, werden wir viele kleinere Ausbrüche, einzelne Infektionen einfach nicht mehr feststellen. Die politische Seite ist ja: Bringt es wirklich so viel? Wird es so sein, dass sich Menschen dadurch wirklich dann doch noch umentscheiden von denen, die jetzt hartnäckig sagen, ich lasse mich erst mal nicht impfen, wegen der Kosten der

Von Fehlereinsicht keine Spur

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Schnelltest lasse ich mich jetzt doch impfen. Ich kann das nicht richtig beurteilen. Ich bezweifle aber, dass das einen großen Effekt macht. Also es wird sicher irgendein Effekt geben, der eine oder andere, für den ist das vielleicht gerade der Schubser, den er gebraucht hat. Aber glaube nicht, dass das jetzt wirklich diesen, sag ich mal, diese Gängelung letztlich der Ungeimpften rechtfertigt an der Stelle.


Camillo Schumann

:

Mit anderen Worten: Die Gefahr ist größer als der Nutzen für die Impfkampagne?


Alexander Kekulé:

Aus meiner Sicht, ja, also bezüglich der Impfkampagne auf jeden Fall. Ich nehme da immer noch eine andere Dimension mit rein, das ist der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt. Und da ist man in so einer Pandemie wie in jeder äußeren Krise natürlich sowieso, da liegen die Nerven so ein bisschen blank. Viele Menschen, die früher gute Freunde waren, reden jetzt nicht mehr miteinander, gerade wenn es um die Impfungen geht. Das ist ja ein sehr emotional belegtes Thema. Und da jetzt nochmal sozusagen Öl ins Feuer zu gießen, indem man denjenigen, die jetzt auf die Tests angewiesen sind, da quasi den Geldhahn zudreht, das halte ich für ein soziales Problem. Aber sie wissen, dass es nicht meine professionelle Baustelle. Professionell kann ich nur sagen: Was ich fragen würde, ist einfach, bevor jetzt wieder so ein Schuss gemacht wird, ist hier die Frage Fairness gegenüber dem Steuerzahler. Letztlich ist es so: Am Anfang gab es ja viele Argumente, und inzwischen heißt also, es geht nur ums Geld, und man hat den Eindruck, dass diejenigen, die geimpft sind, das ist ja die satte Mehrheit, dass die natürlich sagen, jawohl, wir wollen nicht für die anderen mitzahlen. Aber ich habe noch nie so richtig gehört, dass das mal umgerechnet wurde, was das eigentlich bringt, die Schnelltests insgesamt. Da geistert ja die Zahl, dass das insgesamt in der gesamten Pandemie ungefähr 1 Milliarde Euro waren, die da für die Tests selber ausgegeben wurden. Davon ist natürlich ein riesiger Anteil in der

Phase gewesen, wo wir noch keine Impfstoffe hatten, da wurde es auch extrem wichtig war. Und wenn man sich jetzt mal runterrechnen würde, welchen Anteil davon spart man eigentlich, es gibt ja viele Situationen, wo die Schnelltests weiterhin bezahlt werden, wie viel Geld ist das eigentlich, was der Steuerzahler da einspart. Und dann vielleicht um die Gemeinheit, die jeder kennt, noch mal in Erinnerung zu rufen: Die ganze Pandemie verursacht Kosten in der Größenordnung von 1,5 bis zwei Billionen Euro. Die Deutsche Bank hat mal 1,9 Billionen geschätzt. Das ist ziemlich genau das Gleiche, was geschätzt wird für die Kosten der Wiedervereinigung in Deutschland. In diesen Dimensionen sind wir. Bazooka ist da gar kein Ausdruck für das, was wir da ausgegeben haben. Und wir könnten sicherlich eine dreistündige Sondersendung machen über alles, was da sinnlos ausgegeben wurde, jeder Tag Lockdown, der zu viel gemacht wurde oder auch zu spät gemacht wurde, was dafür irrsinnige Kosten geflossen sind. Ich möchte jetzt auch gar nicht demjenigen, der da hier ans Geld der Steuerzahler denkt, jetzt in Erinnerung rufen, was zum Beispiel für Masken ausgegeben wurde am Anfang. Das ist ja ein wunder Punkt. Und ähnliches. Jetzt zu sagen, an der Stelle müssen wir unbedingt sparen, wo ganz klar ist, dass Menschen, die sich testen, eigentlich einen Beitrag leisten zur Bekämpfung der Pandemie, da hätte ich gerne erst mal die Rechnung gesehen. Und da fehlt mir, wenn Sie so wollen, der professionalisierte Ansatz.

0:05:48:


Camillo Schumann

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Die Frage ist ja auch: Würde es überhaupt ins Gewicht der Pandemie-Entwicklung fallen, wenn es so Menschen gibt, die sich möglicherweise aus Kostengründen auch nicht mehr testen lassen? Dafür müsste man ja auch wissen, wie vielen positiven PCR-Tests auch ein positiver Schnelltest vorangegangen ist. Denn jeder positive Schnelltest ist ja meldepflichtig, muss mit einem PCR-Test überprüft werden. Und die Zahl der positiven PCR-Tests rauszufinden, die

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eben nach so einem positiven Schnelltest gemacht wurden, ist gar nicht so einfach. Ich habe mal mit dem Robert-Koch-Institut telefoniert, und dort sagte man mir, dass dieser Anteil deutlich unter zehn Prozent liege, ca. zwischen fünf und sieben Prozent. Diese Zahl sei aber mit großer Vorsicht zu genießen.

Herr Kekulé, wenn der Anteil wirklich so gering zu sein scheint, dann wäre ja die Gefahr, die von Menschen ausgeht, die jetzt zum Beispiel aus Kostengründen sich nicht mehr testen lassen, auch kein großer Beinbruch, oder?

0:06:3]:


Alexander Kekulé:

Ja, das kann man, glaube ich, nicht so sagen, weil, wir wissen jetzt nicht, was die da machen. Also bisher ist es ja so: Man hat sich getestet und durfte dann aufgrund des Ergebnisses was weiß ich – auf eine Party gehen, irgendeine Kneipe gehen, zum Friseur oder was es auch immer dann jeweils war. Das werden die natürlich jetzt ohne Test entweder nicht mehr machen. Oder es wird so sein, dass sie es selber bezahlen und sich seltener testen lassen. Also ich glaube, es gibt ja auch durchaus Menschen, das haben wir auch hier durchaus bei Hörerfragen schon gehabt, die sagen, ich lasse mich testen, obwohl ich geimpft bin, weil ich weiß, dass es zu Durchbrüchen kommt. Und das finde ich unter bestimmten Umständen eine vernünftige Idee. Und es ist ja auch so, dass die diejenigen, die getestet sind, bei diesen GGG-Modellen immer so ein bisschen die Kanarienvögel sind, um zu gucken, ob es einen Ausbruch gab, den man nicht beobachtet hat. Und da sehe ich eher das Problem, also, dass man sozusagen unerkannte Inzidenzen hat, eben eine graue Welle, wie das da auch gesagt wurde. So eine unsichtbare Welle, die da durchs Land geht und ich bin immer dafür, dass man die Fakten auf dem Tisch hat. Und deshalb finde ich aus epidemiologischen Gründen, aber eben auch aus letztlich sozialen Gründen, finde ich das jetzt nicht den richtigen Weg, die Schnelltests kostenpflichtig zu machen.

0:08:05:


Camillo Schumann

:

Ich war ehrlich gesagt ziemlich erstaunt, dass dieser Anteil nur so gering ist, zwischen fünf und sieben Prozent. Ich hätte jetzt so 20-30 Prozent gedacht. Was sagen Sie dazu: zwischen fünf bis sieben Prozent?

0:08:16:


Alexander Kekulé:

Also, dass die meisten Tests, die beim RobertKoch-Institut als PCR-Tests gemeldet wurden, tatsächlich PCRs sind, die nicht nur zur Bestätigung von einem Antigen-Schnelltest gemacht wurden, das ist eigentlich nicht verwunderlich. Weil es ist ja so, dass die PCR dann typischerweise eben von Ärzten und in Krankenhäusern angefordert wird. Der Anteil der Tests, die da gemacht werden, weil dann in der Regel eine Privatperson einen Antigen-Schnelltest bestätigt haben will, das ist klar, dass das ein relativ kleiner Anteil ist. Wir wissen ja auch gar nicht, wie hoch der Prozentsatz der Menschen ist, die jetzt zum Beispiel einen positiven Antigen-Test haben, den aber dann entgegen dem, was eigentlich Vorschrift wäre, gar nicht an die große Glocke hängen und nicht bestätigen lassen, weil, da ergibt sich ja, will jetzt niemandem etwas unterstellen, aber man kann ja auch wenn so ein Antigentest positiv ist, dann hinterher sagen: Okay, jetzt bringe ich mich selbst in Quarantäne und warte eben, verhalte mich vernünftig. Der eine oder andere mag das vielleicht gar nicht im Gesundheitsamt melden. Und die Frage ist auch: Was macht man zum Beispiel, wenn der Antigentest bei einem Geimpften positiv ist? Das ist ja dann völlige Grauzone, was an der Stelle passiert. Und deshalb glaube ich, dass man aus dem Anteil der PCRs, in diesem geringen Anteil, die durchgeführt werden, als Bestätigung von einem Home-Test, dass man daraus letztlich nichts schließen kann auf das Pandemiegeschehen.

[0:09:51]:


Camillo Schumann

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Die Ständige Impfkommission, um damit zum nächsten Thema zu kommen, hat mal wieder eine Empfehlung abgegeben. Konkret geht es um die Auffrischungsimpfung. Die Stiko empfiehlt nun Menschen über 70 eine Auffrischungsimpfung. Bisher galt die Empfehlung nur für Menschen mit Vorerkrankungen. Nun also generell für Risikopatienten und ältere Menschen. Was halten Sie von dieser Ausweitung?

[0:10:13]:


Alexander Kekulé:

Ich glaube, das kann man machen. Das ist durchaus sinnvoll. Die Daten dafür gibt es übrigens schon länger. Das für über 70-Jährige ist eigentlich schon ziemlich lange klar, dass das höchstwahrscheinlich einen Vorteil hat. Ich meine sogar, dass die aktuellen Daten aus Israel insbesondere man so lesen kann, dass man die Empfehlung auch für über 65-Jährige schon hätte ausweiten können. Über 70 war es vor einigen Wochen und so ein bisschen Stand der Dinge. Die Stiko geht da so meines Erachtens einen ganz vernünftigen und vorsichtigen Mittelweg. Es ist ja überhaupt nicht klar, wer überhaupt ein erhöhtes Risiko hat, dass die Impfung nicht funktioniert hat. Aber wir wissen, in der Gesamtbevölkerung sind das typischerweise die Hochaltrigen, weil bei denen eben ein hoher Anteil dabei ist, die auf diese Impfung eben nicht so gut reagieren. Wir nennen die dann Non-Responders. Also die reagieren quasi nicht ausreichend auf die Impfung. Und bei denen es ziemlich klar aufgrund der Datenlage, dass die, dass die Booster-Impfung einen Sinn macht. Darum finde ich das richtig, dass die das jetzt stufenweise machen. Ich nehme an, es wird nicht bei den über 70-Jährigen bleiben, sondern wahrscheinlich dann irgendwann Erweiterung auf 65 geben, weil das die aktuelle Datenlage eigentlich schon hergeben würde. Und ich glaube auch, ohne dass das jetzt in den Begründungen immer so ausführlich ist, hier gibt es ja noch keine schriftliche, dass die Stiko durchaus vor Augen hat, dass wir eben den weniger reichen Ländern

hier die Impfstoffe nicht wegnehmen dürfen. Das ist ja weltweit ein wahnsinnig wichtiges Thema, dass wir jetzt am Boostern sind mit mehr oder minder schwach und wissenschaftlichen Begründungen und in vielen Teilen der Erde der Impfstoff fehlt.

[0:11:48]:


Camillo Schumann

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Außerdem hat die STIKO vorgeschlagen, dass alle Menschen, die mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson und Johnson geimpft wurden, eine zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff erhalten sollten. Begründung: Die Gesundheitsämter melden gerade bei diesem Impfstoff mehr Impfdurchbrüche als bei anderen Impfstoffen. Die Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts werden von dieser Entscheidung jetzt nicht so sonderlich überrascht sein. Herr Kekulé hatte in der Ausgabe 204, am 6. Juli, auch schon mal darauf hingewiesen, dass eine Auffrischungsimpfung bei Johnson und Johnson sinnvoll wäre. Deshalb vermute ich jetzt mal ganz stark, Sie unterstützen die Entscheidung der STIKO.

[0:12:23]:


Alexander Kekulé:

Ja, das war extrem lange überfällig. Also man muss eigentlich die Frage stellen, weil die Datenlage damals schon Anfang Juli eindeutig war, warum die die Stiko da so lange wartet. Denn sie haben ja gerade die Begründung gesagt ja, in Deutschland wird gemeldet, es gibt vermehrt Durchbrüche. Also, so national dürfen wir eigentlich bei einer Pandemie nicht sein, dass wir jetzt sagen, wir warten jetzt so lange, bis wir hier in dem kleinen Deutschland an den wenigen Menschen, die wir mit Johnson und Johnson geimpft haben, das sind ja nicht so viele, dass wir an denen jetzt wirklich einen messbaren Effekt haben. Aber es war ja schon immer so, dass die Daten gefehlt haben bei Johnson und Johnson, die jetzt sozusagen entscheidend gewesen wären, um zu beurteilen, ob die Delta-Variante Durchbrüche macht. Die anderen haben das vorgelegt. Und bei

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Johnson und Johnson hat es gefehlt. Und wir hatten Parallelen zu anderen Vektor-Impfstoffen, wo es ganz eindeutig war, bei AstraZeneca zum Beispiel. Und es ist sowieso so, das klar ist, dass die nur einmalige Impfung aus verschiedenen Gründen natürlich viel weniger Aufweitungseffekt hat. Also man hat ja einen Impfstoff, der eigentlich gegen den Wuhantyp ist, den ursprünglichen, ganz ursprünglichen Typ des Virus. Das hat sich seitdem oft verändert, zuletzt die Delta-Variante. Und die Delta Variante erwischt man mit diesen alten Impfstoffen letztlich nur deshalb, weil man eben mehrere Impfungen hat, weil das Immunsystem bei der Auffrischungsimpfung eben quasi sein Spektrum an, also ein Arsenal an Antikörpern und Zellen, die gegen das Virus gehen, erweitert. Jetzt kennen wir das alles, wissen wir das alles. Und deshalb ist es einfach völlig klar gewesen, schon Anfang Juli, dass der Johnson Johnson-Impfstoff geboostert werden muss.

[0:14:14]:


Camillo Schumann

:

Woher wussten wir das, aus welchen Ländern wussten wir das? Welche Zahlen hatten wir? Und hätte man da sozusagen schon die Rückschlüsse ziehen können und eine Entscheidung treffen sollen?

[0:14:26]:


Alexander Kekulé:

Ja, man hätte damals Rückschlüsse ziehen können, weil wir eben keine Zahlen von Johnson und Johnson hatten, weil Johnson und Johnson sie nicht vorgelegt hat. Wir hatten aber von vergleichbaren Impfstoffen die Zahlen. Und wir kannten den Unterschied zum Beispiel nach der ersten Impfung mit den mRNA-Impfstoffen. Da wussten wir schon, obwohl die sehr, sehr wirksam sind, dass ein einmal gegebener mRNA-Impfstoff hervorragend wirkt gegen die ursprünglichen Varianten, etwas schlechter gegen das jetzt Alpha genannte Variante B117 aus Großbritannien und deutlich schlechter bei Delta. Also ich habe ja am Anfang mal die Empfehlung gegeben, möglichst schnell möglichst

viele Menschen nur einmal zu impfen, um hauptsächlich das Sterben zu beenden. Das wäre damals nach wie vor richtig gewesen. Da hätten wir viele Menschenleben retten können. Aber jetzt zum Beispiel, wenn wir jetzt heute wären und würden heute mit der Impfung anfangen in der Situation, wo wir Delta haben, wäre die Argumentation für diesen Vorschlag viel schwächer, weil wir eben wissen von den RNA-Impfstoffen, dass die erste Dosis eben gerade bei Delta eben noch nicht richtig anschlägt. Und aus diesen ganzen Beobachtungen, wieso soll jetzt Johnson und Johnson ein Wunderstoff sein, der also besser als alle RNAImpfstoffe ist und in der Hinsicht dann quasi nach der ersten Impfung hier das abdeckt, was die anderen nicht können. Das war deshalb nicht, wenn Sie so wollen, im wirklichen Leben belegt. Und ich bin aber wirklich der Meinung, dass man in einer Pandemie, wo Zeit der kritische Faktor ist, das kann man dem RobertKoch-Institut und seinen Kommissionen nicht oft genug sagen, Zeit ist hier wirklich kritisch, dass man in so einer Pandemie einfach sagt, ich muss jetzt warten, bis es schwarz auf weiß habe. Also jetzt haben sie es schwarz auf weiß, haben die Entscheidung getroffen, gut, da wird es dann jetzt wieder andere Leute geben, Impfkritiker geben, die das System kritisieren, die sagen: Ja, das haben die dann absichtlich zurückgehalten, weil natürlich jetzt ja die Einmal-Johnson-und-Johnson-Geimpften, die sind ja ab sofort ungeimpft. Die müssen auch ihren QR-Code zurückgeben formal. Die sind ja nicht vollständig geimpft. Und das wäre natürlich: Stellen Sie sich mal vor, im Juli für die Statistik ganz mies gewesen, ja, wenn man zugeben müsste, das so und so viele Millionen Menschen eben doch nur einmal geimpft sind, nicht vollständig. Und da gibt es dann immer gleich solche Überlegungen, dass das Absicht gewesen sein könnte, warum haben die solange gewartet? Und darum finde ich, man muss auch von der Kommunikation her da relativ klar sein. Und die Daten waren eindeutig, und das hätte man im Juli schon machen können. Gut, jetzt ist nichts angebrannt deswegen.

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Jetzt müssen halt die Johnson-Johnson-Geimpft noch einmal antreten.

[0:17:04]:


Camillo Schumann

:

Weil sie gerade das Robert-Koch-Institut angesprochen haben. Das Institut steht ja gerade massiv in der Kritik. Politiker von Grünen und FDP haben unter anderem mit RKI-Präsident Lothar Wieler abgerechnet. Hintergrund ist das Eingeständnis des RKI in der vergangenen Woche, dass die Zahl der geimpften Menschen in Deutschland wohl lange zu niedrig angegeben worden sei. Wir haben ja auch ausführlich darüber gesprochen hier im Podcast. Bei Wieler gäbe es von Fehlereinsicht keine Spur. Das sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Christina Aschenbach-Dugnus. Wieler sei, und jetzt kommt es: „zu nah dran an der Linie der Bundesregierung“. Der Grünen-Politiker Dieter Janecek sagte, in anderen Ländern kenne man solche Probleme mit der Erfassung der Impfquote nicht. Deutschland ist mal wieder überfordert. Da hauen die beiden Parteien ganz schön drauf. Ich weiß, Sie haben sich ja auch mit Kritik nie so richtig zurückgehalten. Auch hier im Podcast am RKI. Jetzt kommt es aber ziemlich dicke. Zu Recht?

[0:18:04]:


Alexander Kekulé:

Also an der Stelle habe ich jetzt nicht so den Impuls, da noch was nachzusetzen. Man kann vielleicht in der Zwischenbilanz sagen, das Robert-Koch-Institut war in dieser Pandemie überfordert, und es war mehr überfordert, als es hätte sein müssen. Wir haben insgesamt sehr viele Fehler gemacht. Nicht weil die Politiker, wie manchmal gesagt wird, nicht auf die Wissenschaft gehört haben, sondern, nein, die Politiker waren schlecht und falsch beraten. Wenn ich zum Beispiel denke an diese Wahnsinns-Prognosen, wo eine Inzidenz von Tausenden vorhergesagt wurde, als es um die dritte Welle ging, um die Frage, ob man einen OsterLockdown braucht, da lagen die einfach krass falsch. Und da gibt es eine lange Liste bis hin zu

dem aktuellen Beispiel, dass ich wirklich und da kann ich sagen, ich bin ich fast genervt davon, mir immer noch anhören muss, dass die Geimpften keine Rolle bei der Epidemie spielen würden, wo jeder weiß, dass es massenweise Durchbruchs-Infektionen gibt usw. Also da gibt es eine lange Liste von Dingen, wo das RobertKoch-Institut Fehler gemacht hat, die zu falschen Einschätzungen der Politik geführt haben, zum Beispiel wichtige Lockdowns zu spät begonnen oder an anderen Stellen Lockdowns quasi begründet haben, die dann nicht nötig gewesen werden usw. bis hin zu Rede von der Herdenimmunität, die ja immer noch rumgeistert und jetzt so langsam aufgelöst wird. Aber nie hat sich einer hingestellt und gesagt: Jawohl, das war ein Fehler. Wir ändern unsere Einschätzung. – Oder nehmen Sie noch eins, was jetzt auch in der aktuellen Diskussion von der FDP vorgebracht wurde. Es sind ja letztlich das Robert-Koch-Institut und seine Berater gewesen, die gesagt haben, Kinder sind genauso infektiös wie Erwachsene. Und das war ein ganz wichtiges Thema ganz am Anfang. Und es wird Ihnen jetzt natürlich wieder vorgehalten, dass sie da 100 Prozent falsch gelegen haben. Aber: wenn ich jetzt das Impfquotenmonitoring als ein Beispiel anschaue, da ist doch letztlich so: Da wird gemeldet aus den Zentren, die da impfen. Da würde ich mal davon ausgehen, die haben da Ihren Laptop aufgeklappt und machen das mehr oder minder in Echtzeit. Jetzt melden aber auch die Arztpraxen. Bei den Arztpraxen ist es so, da sagt das Robert-KochInstitut meines Erachtens zurecht, das kann gut sein, dass die im Eifer des Gefechts die eine oder andere Impfung, die sie gemacht haben, vielleicht nicht eingeben in den Computer. Da würde ich sagen, das ist nicht völlig abwegig. Dann ist es offensichtlich, sodass die betriebsärztlichen Dienste des zum Teil noch gar nicht so organisiert haben mit diesem mit diesen Online-Eingaben. Klar kann man jetzt im RKI sagen, da hättet ihr aber dafür sorgen müssen, dass es funktioniert. Aber wir wissen ja, wie es in Deutschland ist: Das Robert-KochInstitut ist eine Bundeseinrichtung, Gesundheit ist Ländersache. Das RKI hat eigentlich dann

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noch so eine Art Beratungsfunktion, und wenn die Daten nicht kommen, dann kommen sie halt nicht. Das kann man an der Stelle dem RKI nicht vorwerfen. Und das jetzt bei diesen Umfragen die Quoten höher waren als bei diesem Echtzeit-Monitoring mit der EDV, naja, also, das ist jetzt... Schauen Sie, da werden tausend Leute angerufen. Ich glaube, bei einmal im Monat oder so machen die das. Da ruft irgendjemand tausend Leute an und sagt: Wollen Sie an einer Umfrage zum Thema Impfung teilnehmen? Wer da Ja sagt, das sind Leute, die wir Selektions-Bias nennen, also das sind eher die Leute, die sich geimpft haben und nicht die, die sich dafür schämen, dass sie sich nicht geimpft haben. Also sie haben schon mal bei denen, die da mitmache Bias. Das zweite, was ich doch ziemlich krass finde, ist, die Umfrage wird nur auf Deutsch gemacht. Wenn da jemand sagt, ich spreche nicht so gut Deutsch, oder der Interviewer merkt, der andere versteht die zum Teil nicht ganz einfachen Fragen, das sind ja mehrere Fragen dabei, nicht so richtig, dann wird das Interview beendet. Das heißt also, Sie haben eine Umfrage unter Deutschsprachigen, fließend Deutschsprachigen an der Stelle gemacht. Und dass Sie da natürlich bei den Umfragen eine höhere „Impfquote“ kriegen als bei dem, was da so eingegeben ist in der EDV, ja, ich glaube, dass es in anderen Ländern genauso wäre, nur, dass die jetzt da nicht so akribisch hinterhersehen. Ehrlich gesagt, ich kann mir kaum vorstellen, dass die Franzosen das besser können als wir. Nur ist es hier halt ein Riesenthema.

[0:22:18]:


Camillo Schumann

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Genau, weil Sie das gerade ansprechen: Sozusagen die Umfragemethodik, wie dann diese Impfquote erhoben wurde, das führt dann am Ende auch zu politischen Entscheidungen und Bewertungen. Da möchte ich jetzt mal einen Ton von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kurz vorspielen, wie er diese von Ihnen da jetzt gerade, ja auch kritisch hinterfragte Methode, bewertet.

[0:22:41]:

„Die Diskrepanz zwischen gemeldeten Impfungen und dem, was jetzt das Robert-Koch-Institut auch in Umfragen festgestellt hat, ergibt sich eben dadurch, dass möglicherweise manche Impfungen nicht gemeldet worden sind. Dass da ein Thema ist bei den betriebsärztlichen Impfungen, das haben wir ja schon länger auch gesagt darauf hingewiesen. Es wird auch immer mal wieder vorgekommen sein, dass etwa nach Impfungen in einem Pflegeheim das mobile Impfteam vielleicht gesagt hat: Okay, die Papier-Dinge, das Eingeben ins System, das machen wir morgen. Und dann ist es Wochenende geworden, und dann ist es gar nicht mehr passiert. Das kann bei so einer großen Kampagne immer mal wieder vorkommen. Und deswegen haben wir das Robert-Koch-Institut gebeten, als wir die ersten Erkenntnisse hatten, das mal zu validieren, dies tatsächlich mal messbarer zu machen, wie groß dieser Unterschied ist. Und ich finde, bis zu fünf Prozent mehr geimpfte Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, sind ein echter Unterschied. Und den müssen und wollen wir natürlich jetzt auch mit einbeziehen in unsere Überlegungen.“

[0:23:37]:


Camillo Schumann

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Das heißt nicht 75, sondern 80 Prozent Impfquote. Wir haben wir letzte Woche darüber gesprochen. Aber kann man das überhaupt so sagen aufgrund einer so dünnen Befragung?

[0:23:47]:


Alexander Kekulé:

Nein, das kann man eben nicht so sagen. Es ist so: Der Unterschied zwischen den Befragungen und dem, was in der Datenbasis ist, liegt ja bei zehn bis zwölf Prozent. Und das sagen die dann so kraft eigener Wassersuppe, Pi mal Daumen ist wirklich der richtige Ausdruck für, da sagen die, okay, und die Hälfte davon ist echt. Und die andere Hälfte davon ist es Bias, wie ich es gerade erklärt haben. Puh, das weiß natürlich auch keiner. Aber letztlich ist es aus meiner

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Sicht das Kommunikationsproblem viel früher passiert, dass die Daten, dass solche Daten Real-World-Daten, die Echtwelt-Daten, ja, dass die immer fehlerbehaftet sind, das ist, glaube ich, eben klar. Und es ist so, dass letztlich die Kommunikation zwischen dem Robert-KochInstitut und dem übergeordneten Ministerium so laufen müsste, dass die sagen: Passt mal auf, das sind unsere erhobenen Daten, diese zehn Prozent zu wenig oder weniger als bei der Umfrage. Und wir gehen davon aus, dass die wirklichen Daten etwas höher sind, wahrscheinlich plus fünf Prozent. Das, was sie jetzt einfach mal so schätzen, wenn die das von Anfang an gemacht hätten, und dann der Bundesgesundheitsminister, das auch so kommuniziert hätte, dass er gesagt hätte: so und so viel haben wir erfasst, und wir rechnen mit einer Dunkelziffer wegen der betriebsärztlichen Dienste. Was er eben jetzt auch richtig gesagt hat und verschiedener anderer Quellen, die da möglich sind. Dann, meine ich, hätte das der ganzen Sache den Dampf genommen, weil diese Zahlen nicht so exakt sind, ist doch klar. Und dass man, wenn man wirklich eine Strichliste macht, immer zu wenig zählt, also eher zu wenig als zu viel, ist doch ganz klar. Also wenn Sie sich hinsetzen an der Autobahn und alle roten Autos zählen und eine Strichliste machen, dann haben Sie immer weniger gezählt, als in Wirklichkeit vorbeigefahren sind. Weil, das kann niemand, dass man wirklich dann, wenn man keinen Roboter ist, wirklich alle erfasst. Und so ist es bei allen Dingen, große Mengen. Wenn sie da einzelne Datenpunkte zählen, kriegen Sie eine Untererfassung. Das weiß jeder. Wer sich mit Statistik auskennt, kann das auch noch quantifizieren. Und dieses Kommunikationselement, das hat im Grunde genommen bei der öffentlichen Darstellung der Impfquote bisher gefehlt.

[0:25:53]:


Camillo Schumann

:

Die FDP will nun, dass die Behörde, also das RKI, nicht länger dem Bundesgesundheitsmi-

nisterium untersteht. Was halten Sie von diesem Vorschlag, das RKI aus dem Verantwortungsbereich zu entziehen. Werden damit die Hauptprobleme gelöst?

[0:26:09]:


Alexander Kekulé:

Damit löst man nichts. Das RKI hat ja sehr, sehr viele Aufgaben. Das ist ja keine Pandemie-Behörde. Das ist eine obere Bundesbehörde. Die müssen hauptsächlich Daten eben erfassen, über Impfstatus, über Krebserkrankungen und Gesundheitsvorsorge und so weiter und so weiter. Da gibt es ja ganz viele Dinge. Es ist so, dass man von denen nicht erwarten kann, dass die jetzt plötzlich in der Pandemie umschalten, auf wilder Tiger ja, das ist einfach nicht so, sondern was man überlegen muss, ob man nicht für den Pandemiefall eine andere Struktur hat, die Politik berät und unterstützt. Da hat das Robert-Koch-Institut ja von Anfang an deutliche Schwächen gehabt. Die mussten vieles auch erst mal selber nachlernen, aber auch dann haben sie auf externe Berater zu zurückgegriffen, die auch wiederum viel erst mal nachlernen mussten. Also, Sie wissen ja, ich bin sehr dafür, dass die Schutzkommission wieder aktiviert wird, die wurde ja 2015 aufgelöst aus verschiedenen Gründen, dass man so eine professionelle wissenschaftliche Abteilung hat, die sich eben schon dann, falls mal so was passiert, ja, nächstes Mal ist vielleicht ein Meteoriteneinschlag oder eine Flut oder irgendetwas anderes, die sich einfach professionell mit solchen Dingen auch mit der Risikoabwehr-Bewertung auch mit der interdisziplinären Kommunikation zu den Sozialwissenschaften und so weiter schon seit Jahrzehnten beschäftigt. Und die dann, wenn Sie so wollen, aus dem Stand heraus aktiv werden kann, wenn so etwas passiert. Und so etwas Ähnliches ist ja für die Pandemie ganz konkret in die Pandemiepläne reingeschrieben worden. Übrigens unter anderem von dieser Schutzkommission, die an den Pandemieplänen beteiligt war, nämlich, dass es im Falle einer Pandemie eine interdis-

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ziplinäre Kommission auch wieder von Fachleuten geben soll, die, wenn Sie so wollen, die die Konzepte macht und den Entscheidern vorliegt. Und das wäre die wichtigere Konsequenz. Das, wenn man wirklich eine Katastrophe hat, dass man dann diese wissenschaftliche Beratung auf eine viel breitere Ebene stellt, eine professionelle Kommission hat, wie es in den Pandemieplänen steht und dass man das nicht gemacht hat, obwohl es – fast hätte ich gesagt, obwohl wir es – den Leuten in die Pläne geschrieben haben. Darüber werden noch Bücher geschrieben werden. Aber das war hier der Hauptfehler. Das RKI jetzt plötzlich umzutopfen, das wird nicht funktionieren.

[0:28:32]:


Camillo Schumann

:

Bücher geschrieben oder Podcasts vollgequatscht. Aber man muss natürlich jetzt auch zum Schutz des Robert-Koch-Instituts sagen, dass das RKI nur so gut ist, wie die Daten, die zugeliefert werden beziehungsweise die Daten, die selber erhoben wurden. Aber ist es nicht die förderale Gesundheitsstruktur zum einen das Problem. Und zum anderen, dass es ja auch Institute gibt, zum Beispiel von den Krankenkassen, wissenschaftliche Institute der AOK, die auf einem Berg an Informationen sitzen. Das ist doch ein Schatz, den sie eigentlich nur weitergeben müssten, damit dann eben die Zahlen der Bewertung dann auch stimmen. Dass man sich dann so eine Umfrage, die man zur Impfquote macht, dann auch sparen kann.

[0:29:19]:


Alexander Kekulé:

Naja, das sprechen Sie viele Themen an, die wieder einen Podcast füllen könnten. Also das Thema Datenschutz, um das einfachere zuerst zu sagen: Ja, wir sind in Deutschland wahrscheinlich Weltmeister im Daten sammeln, aber ganz schlecht im Daten auswerten. Die liegen alle irgendwo rum, und man ist dann immer ... , wie Sie sagen, auf stößt manchmal auf Schätze. Das hängt ein bisschen am föderalen

System, aber hauptsächlich an unseren Vorstellungen, wie man Datenschutz zu machen hat. Das ist, glaube ich, in dieser Pandemie schon öfters gesagt worden, dass wir da meines Erachtens auch die falschen Prioritäten setzen oder gesetzt haben. Wenn Sie mal daran denken bei dieser Corona-Warn-App, die übrigens auch letztlich Produkt vom RKI ist, die ist im Grunde genommen tot gewesen in dem Moment, als man gesagt hat, die GeolocationDaten dürfen nicht verwendet werden, also die letztlich, wo Sie gerade sind. Sie dürfen zwar Proximity-Daten haben, wenn sich zwei Leute begegnen mit diesem Bluetooth-System, dass man merkt, da war jemand anders in der Nähe. Aber sie dürfen keine zentrale Datenbank haben, wo die Geolokalisation drauf ist, also das, was Facebook, WhatsApp machen und alle miteinander und Google und sonst wer und was wir ständig dauernd machen, wo wir ständig, wenn wir unser Handy einschalten, irgendwie okay drücken, wenn er die ganzen Bestätigungen gefragt werden. Das durfte man also jetzt bei der Pandemie nicht. Und dadurch ist es so ein Rohrkrepierer, diese App. Das heißt, wir müssen wirklich noch mal überlegen, ob wir nicht anonymisierte Daten, und das betrifft eben zum Beispiel auch solche, die von den Krankenkassen erhoben sind, ob man die nicht verwenden darf in so einer Notfallsituation. Da gibt es viele Ausnahmeregelungen in Deutschland, die zum Beispiel polizeilicher Ermittlungen betreffen. Aber scheinbar ist es, ich sage es etwas polemisch, in Deutschland wichtiger, den Kaufhausdieb zu erwischen und dafür irgendwelche Kameras auszuwerten, wo natürlich dann auch Gesichter von Leuten drauf sind, damit die damit nichts zu tun haben, als so ein Virus dingfest zu machen. Und da setzen wir ein bisschen die falschen Prioritäten. Und das würde aber jetzt zu weit führen, noch während dieser Pandemie das zu ändern. Wir sind halt so, und deshalb reden wir in diesem Podcast zu oft neidisch über die Daten aus UK, die so etwas haben, ohne dass ich finde, dass im Vereinigten Königreich man jetzt die Persönlichkeitsrechte mit Füßen tritt.

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[0:31:34]:


Camillo Schumann

:

Das ist genau der Punkt. Wir haben während der gesamten Pandemie sehr sehnsüchtig nach Israel geschaut, wo genau das gemacht wird. Gut, da ist die Krankenkassen-Struktur auch eine andere, aber nichtsdestotrotz. Oder eben nach Großbritannien, wo die Daten ja vorhanden sind. Und wir haben aus den vorhandenen Daten dann Rückschlüsse für Deutschland gezogen, was auch ein bisschen irre ist. Aber wir haben es getan. Müssten nicht dann auch die Koalitionäre einer Ampel-Regierung beispielsweise genau das Thema Datenschutz, wie bekommen wir dann die Daten besser in unsere Behörden, nicht auch angehen und dann in Gesetze gießen. Wäre das nicht so eine Forderung?

[0:32:13]:


Alexander Kekulé:

Ja, das kann man sich wünschen. Also wir bräuchten zumindest für solche Extremsituationen, wo wir eigentlich dann eine Gefahrenabwehr-Lage haben, wie der Katastrophenschützer sagen würde. Da brauchen wir im Grunde genommen mehr Großzügigkeit oder auch gute Algorithmen, die die Dinge dann verschlüsseln. Also ich selber würde jetzt nicht wollen, dass jeder Mensch im Gesundheitsamt nachgucken kann, wo der Kekulé gerade gestern beim Abendessen gesessen hat oder ähnliches. – Da hat er schon wieder zehn Euro für die Wurst ausgegeben. – Aber es ist so, das wäre nicht mein Ding, sondern es wäre so, dass ich glaube, das kann man wirklich dichtmachen. Das kann man ja anonymisieren. Das ist dann irgendeine Nummer. Die Nummern wechseln dann regelmäßig. Das ist ja nun tägliches Geschäft. Auf der anderen Seite, um dieser Warn-App und ihren Anschlüssen eins drauf zu geben, noch ist es ja so, was mich wirklich stört, ist zum Beispiel, dass, wenn Sie ihren QR-Code vorzeigen, mit der App, dass sie geimpft sind, also vollständig geimpft, vollstän-

diger Impfschutz, da muss er nur mit dem Finger mal kurz nach links swipen und dann sieht der, ob sie Corona hatten ja oder nein. Und da finde ich, hey, das muss jeder Türsteher wissen, wer jetzt nun Corona hatte und wer nicht. Also das finde ich jetzt, dass sich da keiner aufregt ist, wundert mich zum Beispiel. Das sind ja nun ganz explizite Daten, Persönlichkeitsdaten, persönliche Daten im engsten Sinne also. Da können wir in allen Richtungen noch ein bisschen was machen. Und, ja, die neuen Koalitionsgespräche ..., wäre schön, wenn sie sich darum kümmern. Ich sehe da wenig Chancen, weil ja die Tendenz so ist: Es gibt eben so eine Daten-Korrektheit, die politische Korrektheit geht halt sehr, sehr weit.


Camillo Schumann

:

Na gut, aber diese Daten-Korrektheit kostet am Ende Menschenleben, das müssen wir mal so klar sagen.


Alexander Kekulé:

Das ist in dieser Lage so, und da haben wir in Deutschland Instrumente. Wenn sozusagen die Polizei im Vollzug ist und wenn es darum geht, wie gesagt, ein Kaufhausdieb zu stellen, dann darf man alles Mögliche machen, wenn da Gefahr im Verzug ist. Wenn aber durch einen Virus Gefahr im Verzug ist, dann wird es eben rauf und runter diskutiert. Und ja, das ist das zweite Thema, dieses föderale System. Es wird letztlich im föderalen System bei der Gesundheit, weil das eben nicht Teil der konkurrierenden Gesetzgebung ist, in der Verfassung ist es bei der Gesundheit so, dass die Länder das Sagen haben und dass die Länder sozusagen operativ, also von der Exekutive her das Sagen haben. Das ist ja super, das ist auch richtig so. Natürlich weiß irgendjemand in einem Landkreis viel besser, wie viele Einreisende aus dem Nachbarstaat er hat, wenn sie irgendwie an Aachen denken, die wissen natürlich dort lokal viel besser, wie sie es klären können, dass die Holländer da nicht zu viele Infektionen einschleppen oder umgekehrt. Aber muss das denn Bundeslandweise durch die Parlamente demokratisch legitimiert werden? Das ist ja das

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deutsche Modell. Das deutsche Modell ist ja, dass die Gesundheit durch die Parlamente legitimiert wird, also auch die Legislative da zuständig ist. Es wird ganz oft durcheinandergebracht, weil die Leute immer sagen: Ja, die kennen sich da lokal besser aus, ein dezentrales System ist super. Das haben wir, die Franzosen auch. Die Franzosen haben auch in ihren Departements natürlich eine lokale Verwaltung. Und dort ist es so, dass natürlich die Exekutivfunktionen komplett dezentral laufen. Aber der Souverän, das Volk, greift nur in Paris sozusagen ein in die Gesetzgebung. Und ich bin der Meinung, dass wir eigentlich keinen Grund haben, bei einer solchen Abwehr, dass jetzt jeder, jedes Land, jedes Bundesland, die Menschen, die da leben und wahlberechtigt sind, jetzt quasi einen Zugriff haben müssen auf die Kontrolle und die lokale Gesetzgebung, weil das Jahr im Saarland so wahnsinnig viel anders ist als in Rheinland-Pfalz oder ähnliches. Und das sehe ich hier nicht. Und da könnte man was machen an der Stelle.

[0:36:20]:


Camillo Schumann

:

Gut, dass wir mal ein bisschen ausführlicher darüber gesprochen haben. Um da jetzt so eine thematische Klammer zu setzen: Wir begannen ja mit der Kritik am Robert-Koch-Institut. Aber um da vielleicht so einen kleinen Strich drunter zu ziehen: Das Robert-KochInstitut ist auch so ein bisschen Opfer der Struktur, oder?

[0:36:33]:


Alexander Kekulé:

Ja, an der Stelle tun sie mir immer leid. Also, da wurde wohl auch immer am Anfang geschimpft, dass wir also von Johns Hopkins University unsere epidemiologischen Daten für Deutschland abgreifen. Selbst die „Tagesschau“ hat das berichtet. Da können die Leute, die dort sitzen, wohl nichts dafür. Was man sicher machen muss, und da bin ich schon dafür nach dieser Pandemie, weil ja doch die Liste der Fehler, die jetzt schon ziemlich deutlich mit

dem Robert Koch-Institut zu tun haben. Man sollte danach mal wirklich eine Untersuchung machen, was da wie im Einzelnen gelaufen ist. Weil, die Behörde muss natürlich diese Probleme auch dem Gesundheitsministerium anzeigen und sagen, passt mal auf, wir bräuchten das und das, um dem abzuhelfen. Und ich hoffe und wünsche mir, dass das wirklich passiert. Und wenn jetzt mal so in Personen gesprochen, wenn der Herr Wieler beweisen kann, ich habe das ja gefordert von Herrn Spahn, er hat es mir noch nicht gegeben, dann ist er als Beamter natürlich aus dem Schneider. Ja, so ist das bei Beamten. Wenn er andererseits keine Anstalten gemacht hat, die Strukturen, die nicht funktioniert haben, zu verbessern, dann ist es eher ein Problem des RobertKoch-Instituts. Und ich glaube, das müsste man schon feststellen, wo sozusagen der Fehler an der Stelle war, damit wir beim nächsten Mal hoffentlich ein bisschen eleganter mit diesen Themen umgehen können.


Camillo Schumann

:

[0:37:58]:

Kommen wir zu einem weiteren, sehr wichtigen Thema, Herr Kekulé: die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Es gibt ja natürlich Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind. Es gibt aber Millionen Menschen, die unter psychosozialen Folgen der Pandemie oder unter Maßnahmen leiden. Zu Depressionen, Angststörungen gibt es ja immer mal wieder Studien. Wir wollen jetzt über eine sprechen, die gerade bei Lancet veröffentlicht wurde, also eine Studie mit Hand und Fuß. Die Forscher haben Daten aus Nordamerika, Europa und Ost-Asien ausgewertet. Erst einmal zur Methodik: Die Zahlen, über die wir gleich sprechen werden, sind ja Schätzungen.

[0:38:32]:


Alexander Kekulé:

Ja, das sind Schätzungen natürlich. Es ist eine sogenannte Metaanalyse, die man da gemacht hat. Man muss vielleicht eins weiter greifen.

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Einmal im Jahr wird immer weltweit festgestellt, welche Krankheiten schaden uns als Gesellschaft eigentlich am schlimmsten insgesamt weltweit. Und da wird so eine Studie gemacht, die heißt Global Burden of desease study and risk factors. Und diese GBD-Studie wird jetzt gerade für 2020 gemacht, immer für das zurückliegende Jahr. Und in dem Zusammenhang werden alle Publikationen, die es gibt zu dem Thema, jetzt hier ganz konkret Depressionen und Angststörungen, ausgewertet, und man guckt dann, kann ich daraus ableiten, wie häufig das gewesen ist, also welche Krankheitslast eigentlich dadurch entstanden ist. Und hat sich das durch Corona verändert. Es ist eine Metaanalyse, eine Analyse von Studien, die es schon gibt. Und auf dieser Basis haben die, wenn man so will, eine Schätzung gemacht. Also die haben das quasi mathematisch-statistisch hochgerechnet.

[0:39:39]:


Camillo Schumann

:

Und die Datengrundlage war sehr, sehr groß. Das Ergebnis: Es gibt rund ein Viertel mehr Depressionen und Panikattacken in 2020. Das ist eine ganze Menge.

[0:39:52]:


Alexander Kekulé:

Ja, also das ist so, dass die ganz klar dort die Depressionen und diese Panikattacken und Angststörungen ausgewertet haben. Die haben nicht alle Depressionen ausgewertet, sondern nur das, was man auf Deutsch schwere Depressionen nennen würde. Auf Englisch heißt es dann Major depressiv disorder und bei Angststörungen dann gibt es ein relativ großes Paket. Und das ist deutlich angestiegen im Pandemie-Jahr, zumindest nach dieser Auswertung. Man muss vielleicht dazusagen: Das ist eine der wirklich häufigen Erkrankungen weltweit. Also das ist so, dass wir mit den Depressionen knapp 200 Millionen Menschen weltweit haben, die darunter leiden, und fast 300 Millionen Menschen leiden unter Angststörungen. Das ist also auch als Gesundheitslast, wenn

man mal ausrechnet, wie viele Krankheitstage zum Beispiel dadurch zustande kommen. Ein riesiges Thema! Und wenn sich das jetzt natürlich noch einmal deutlich erhöht, ist das ein Faktor. Doch wie Sie es richtig gesagt haben, die Depressionen sind um fast 28 Prozent und die Angststörungen um etwa 26 Prozent angestiegen, nur mal so als Größenordnung. Das bedeutet, dass zusammengenommen jetzt wir ungefähr 20 Millionen Lebensjahre verloren haben allein durch diese zwei Krankheiten. Diese sogenannten desease adjusted life years, Dalys, das ist eine ganz interessante Rechnung. Man überlegt, wie viele Tage verliert ein Patient, wie viel Wochen verliert ein Patient, in der Weise, dass er arbeitsunfähig wird? Und das wird dann in Jahre umgerechnet. Und wenn man dann von allen Patienten, die das hatten, quasi die gesamte Corona-Zeit bisher zusammenrechnet, dann kommen die eben auf ungefähr 20 Millionen Lebensjahre weltweit, die verloren wurden. Alleine mit diesen zwei Krankheitseinheiten, also schweren Depressionen und den Angststörungen, ist das ist schon heftig. Das ist ein gesundheitlicher Faktor, eine Rolle spielt.

[0:41:59]:


Camillo Schumann

:

Und die Analyse ergab, dass Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind, und, was ich auch sehr interessant fand, die 20bis 24-Jährigen, wo die Pandemie überdurchschnittlich auf die Psyche durchgeschlagen hat, weil es eben keinen sozialen Kontakt gab. Die Schulen, die Unis waren geschlossen. Und gerade in dieser Altersgruppe, leiden die jungen Menschen besonders darunter. Das hat mich doch sehr schockiert.

[0:42:26]:


Alexander Kekulé:

Ja, wir wissen nicht genau, woran es liegt. Also es ist natürlich naheliegend, so zu denken, wie sie es gerade gesagt haben. Zwei Drittel waren ungefähr Frauen. Das sehen wir übrigens bei

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anderen Erkrankungen auch. Das ist keine Besonderheit der Pandemie. Aber es ist so, dass in der Tat das jetzt nicht sozusagen rauskristallisiert wurde. Das machen diese Studien gar nicht. Ob das jetzt durch die sekundären Maßnahmen war, also Kontaktreduktion und ähnliches, oder ob es vielleicht durch die Erkrankungen selber war, das ist ja auch möglich, dass jetzt die Erkrankungen und ihre Folgen da eine Rolle gespielt haben, also das ist eine Blackbox bei dieser Studie, weil die quasi nur das Gesamtergebnis betrachtet haben: sozusagen der krankmachende Faktor ist die Pandemie, egal welcher Teil der Pandemie. Ob das jetzt primäre oder sekundäre Kollateraleffekte sind oder überhaupt Primäreffekte, die durch die Erkrankung selber kommen, ist unklar. Man muss vielleicht an einer Stelle auch noch ergänzen, weil diese Studie natürlich dann immer in den Medien so ein bisschen hochgespielt werden: Was da letztlich die Grundlage ist bei so einer Metaanalyse: die haben insgesamt 48 Publikationen ausgewertet, die wiederum ganz viele verschiedene Regionen ausgewertet haben. Das sind sehr, sehr viele Menschen, die da quasi berücksichtigt wurden. Aber es ging zunächst mal nur um die Symptome. Die meisten Studien, die da ausgewertet wurden, haben Symptome, die von Ärzten bestimmt wurden oder in Fragebögen bestimmt wurden durch Selbstauskunft, zur Grundlage gemacht. Was bedeutet das? Wir haben hier Symptome von Angststörungen oder Symptome von Depressionen. Aber es ist nicht, wenn Sie so wollen, die Diagnose schwere Depression oder Angststörung von einem Arzt gestellt worden, in jedem einzelnen Fall. Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, es ist durchaus möglich, dass jetzt so eine pandemische Situation, wo man zum Beispiel Angst vor einer Virusinfektion hat oder Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder ähnliches, dass die, wenn Sie so wollen, im Fragebogen dazu führt, dass mehr Menschen Angst oder depressionsähnliche Symptome ankreuzen oder auch diese Symptome haben tatsächlich, ohne dass der Psychologe hinterher, oder der Psychiater, dann eine Diagnose schwere Depression oder Angststörung stellen

würde. Das heißt, ob jetzt sozusagen diese als definierte Krankheit wirklich angestiegen ist, ist gar nicht klar, sondern es sind zunächst mal nur die Symptome angestiegen. Und das ist deshalb wichtig, weil wir bei den Krankheiten relativ gut wissen aus den bisherigen Statistiken, wie lange so was im Durchschnitt dauert und wie schwer so etwas im Durchschnitt ist. Und die Wissenschaftler wissen das natürlich in diesem Fall nicht, weil das eine ungewöhnliche Situation in der Pandemie ist. Und deshalb mussten die quasi diese Parameter, wie lange dauert das typischerweise und wie schwer es ist typischerweise, aus der Zeit vor der Pandemie quasi übernehmen für die Pandemiephase. Es kann aber sein, dass wir hier etwas haben, was vielleicht viel schneller geht und gar nicht so schwere Symptome hat. Und wenn die Belastung dann weg ist, dann auch wieder verschwindet. Also das muss zum Beispiel längst nicht so nachhaltig sein wie die Angststörungen oder Depressionen, die wir sonst haben.

[0:45:40]:


Camillo Schumann

:

Letzte Frage zu diesem Thema: Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Es ist jetzt nichts Überraschendes. Es sind nur noch mal sozusagen valide Zahlen. Welche Schlüsse ziehen wir daraus?

[0:45:49]:


Alexander Kekulé:

Ich ziehe daraus den Schluss, dass diese Pandemie wirklich ein ganz massives psychologisches Ereignis ist, was natürlich klar ist. Insbesondere übrigens in den Ländern, und das ist ganz interessant, wo das Virus stärker gewütet hat, dort sind auch diese Depressionen und Angststörungen häufiger. Und vielleicht noch einmal so zur Größenordnung: Wir haben jetzt gesagt, um ungefähr 25 Prozent sind diese Störungen gestiegen während der Pandemie. Es gibt ja schon ähnliche Studien von anderen Problemen. Interessanterweise nimmt man da immer gerne Finanzkrisen. Und bei der Finanzkrise in

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Griechenland 2009, die vielleicht vielen noch in Erinnerung ist, oder in Hongkong 2008, was man hier nicht so mitgekriegt hat, da war es jedes Mal so, dass diese Depressionen um ungefähr vier bis fünf Prozent angestiegen ist. Da gibt es viele Studien dazu, also in der Krise vier bis fünf Prozent mehr Depressionen. Und jetzt haben wir es mit 25 Prozent zu tun. Das heißt, ich glaube schon, dass uns diese Pandemie, auch wenn dann hoffentlich im nächsten Jahr die akute Phase vorbei ist, wir danach wahrscheinlich mit Long Covid und auch mit solchen psychologischen Folgeerscheinungen noch lange zu tun haben werden.

[0:47:05]:


Camillo Schumann

:

Kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörern. Herr Hampel hat angerufen. Und der Herr Hampel, das werden Sie gleich alle hören, ist sehr, sehr genervt. Er hat folgende Frage:

[0:47:17]:

„Wann sagt denn endlich jemand öffentlich, dass wir aufhören können uns mit Fußtritten, Fausthieben oder Ellbogen ausfahren, uns begrüßen zu müssen. Es macht mich wirklich zunehmend wütend zu sehen, dass die Bundeskanzlerin bockt im Fernsehen, dass der Papst niemand mehr die Hand gibt, während wir alle mitten in den Aerosolen, in vollen Wirtschaften sitzen dürfen und das Ganze noch ohne Maske. Muss es vielleicht sein, dass das RKI mal endlich bekanntgibt, dass das Virus sich nicht über Händeschütteln verbreitet und wir uns wieder wie üblich freundlich die Hände geben können?“

[0:47:59]:


Alexander Kekulé:

Ja, ich habe auch geschmunzelt am Anfang, als die Bundeskanzlerin Herrn Seehofer zum ersten Mal nicht die Hand geben wollte. Das berühmte Bild war der Anfang einer langen Freundschaft. Es ist so, wann sagt es endlich jemand öffentlich? Also, wir sind hier öffentlich.

Also wir können aufhören, uns mit Fußtritten, Fausthieben und Ellbogen quasi zu traktieren. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass das spätestens jetzt eigentlich man das nicht mehr braucht. Also es ist natürlich immer so, wenn sie sicher sein wollen, auch vor anderen Infektionskrankheiten, sollten Sie sich häufiger mal die Hände waschen. Wir wissen zum Beispiel bei der Influenza, dass regelmäßiges Händewaschen die Influenza-Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, durchaus reduziert. Da gibt es Studien, dass das sogar bis 30, 40 Prozent hochgeht. Aber wenn Sie sagen, das nehme ich als Restrisiko meines Lebens mit, und es ist letztlich kein sehr hohes Risiko. Das hat der Hörer völlig richtig gesagt. Die Wahrscheinlichkeit, sich bei Covid anzustecken durch eine Kontaktinfektion, ist viel, viel geringer als durch Aerosole. Es ist auch schon ziemlich lange klar, war eigentlich schon nicht ganz unwahrscheinlich, als damals die Frau Merkel dem Herrn Seehofer den Händedruck verweigert hat. Also da kann man jetzt zumindest sagen, könnten wir eigentlich machen. Letztlich ist es doch irgendwie gesellschaftlich nicht mehr in Ordnung, sich die Hand zu geben. Und ich glaube, dass viele Leute das gerne machen würden und sparen sich das zumindest, wenn jemand anders zuschaut. Ja, da ist wieder diese politische Korrektheit. Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir in Deutschland nicht sozusagen den Wald vor lauter Bäumen aus den Augen verlieren. Es geht darum, dass man sich, wenn man jemanden angefasst hat, der krank ist, nicht gleich hinterher in die Augen oder in die Nase fasst, dass man sich vor dem Essen die Hände waschen sollte, wie jedes Kind weiß. Aber wir können uns im Prinzip die Hände wieder geben.


Camillo Schumann

:

Und wie machen Sie es privat eigentlich?


Alexander Kekulé:

Bei mir ist es so, ich mache es gleiche von Anfang an. Ich meine, ich habe das sogar in diesem Podcast ganz am Anfang schon mal gesagt. Also es ist so, wenn sie völlig fremden

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Leuten irgendwie die Hände geschüttelt haben, das ist ja manchmal auch eine Last, dass man das machen muss, manche sind vielleicht froh, dass es nicht mehr nötig ist. Dann fasse ich mir definitiv danach nicht ins Gesicht, und zwar schon immer. Das hat nichts mit Covid zu tun, sondern bevor ich dann was esse oder mir ins Gesicht fasse, wasche ich mir irgendwann unauffällig die Hände. Und so habe ich es ehrlich gesagt, auch während der Pandemie gemacht. Ehrlich gesagt: Mir wollte kaum einer noch die Hand geben, und deshalb habe ich es mir so ein bisschen abgewöhnt. Aber es gibt durchaus Menschen, denen ich weiterhin die Hand gebe, obwohl sie mit mir nicht im gleichen Haushalt leben.


Camillo Schumann

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Ist ja auch ein guter Vorwand, dass man jetzt Leuten, die man nicht leiden kann, nicht mal die Hand geben muss.


Alexander Kekulé:

Das darf ich Ihnen auch sagen. Das waren ja früher immer diese Hygieniker im Krankenhaus, die sich mit dem Ellbogen begrüßt haben, was ich, ehrlich gesagt, schon immer unmöglich fand. Und das hat sich jetzt so weltweit durchgesetzt. So gibt es manchmal Unarten, die plötzlich zur Mode werden. Das sehen die aber anders. Das sehen die natürlich völlig anders. Aber deshalb frage ich auch manchmal. Ich höre dann tatsächlich insbesondere von Frauen, dass die froh sind, dass dieses ständige Getätschel und Gebussi irgendwie ein Ende hat. Und das müsste man dann tatsächlich mal mit den Betroffenen diskutieren. Die Einzelmeinung eines Virologen ist da, glaube ich, nicht so relevant.


Camillo Schumann

:

Herr Krause hat angerufen und folgende Frage

„Ich bin 80 Jahre alt. Im Februar/März dieses Jahres zweimal gegen das Coronavirus mit Moderna geimpft worden. Und jetzt beträgt mein Antikörpertiter bei einem Normalwert kleiner als 0,8 beträgt der jetzt 2320. Frage: Sollte ich

mir jetzt eine dritte Impfung geben lassen gegen das Coronavirus? Vielen Dank für ihre Mühe. Auf Wiederhören.“

[0:52:11]:


Alexander Kekulé:

Aktuell wird es ja jetzt empfohlen vom RKI, sodass jetzt die formale Antwort Ja ist. Also das ist ja seit letztem Donnerstag, zumindest hat die STIKO angekündigt, dass sie das empfehlen wird. Muss man das machen, wenn man seinen Antikörper-Titer kennt bei so einem Titer, eher nicht. Die aktuelle Datenlage ist so, dass wir wissen, dass Menschen, die ein hohes EGG haben, praktisch immer auch hohe neutralisierende Antikörper haben. Das sind die, die dann wirklich das Virus erwischen und praktisch immer auch ganz gute T-Zell-Titer haben. Die haben also diese T-Zellen, die dann quasi auch mithelfen, die Viren zu eliminieren. Also diese Lymphozyten, die das machen, die weißen Blutkörperchen. Sodass man sagen kann, wenn also das IGG, was man so in den Standardtests misst, hoch ist, dann hat es eine ganz gute Aussagekraft. Und das heißt in diesem Fall, Herr K. müsste sich eigentlich nicht impfen lassen, nicht Boostern lassen. Blöd und schwierig ist es nur, wenn der Titer niedrig ist. Dann wissen wir nicht genau: Ist er niedrig, weil die Immunantwort schlecht ist, oder ist nur das gesamte Immunsystem nach der Impfung in so einer Art Park-Zustand zurückgefahren und ist jederzeit bereit, da wieder rauszuspringen. Aber wir sehen es nicht. Also, dass der niedrige Titer lässt keine Aussage zu. Der hohe Titer ist eigentlich ein Beleg dafür, dass nach allem, was wir im Moment wissen, die Immunität vorhanden ist.

[0:53:43]:


Camillo Schumann

:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 229. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé:

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Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann

:

Sie haben auch eine Frage. Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio und Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt

Lust auf einen Podcast-Tipp? Da hören Sie doch mal in den „Rechthaber“ rein, der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. „Der Rechthaber“, überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 09. Oktober 2021 #228: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schuman, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Camillo Schumann


Wurden die mRNA-Impfstoffe an abgetriebenen Föten getestet?

Verlieren die Impfstoffe Ende des Jahres ihre Marktzulassung?

Sind Ungeimpfte, die sich häufig testen lassen, weniger ansteckend als Geimpfte?

Was kann man zu den kubanischen Impfstoffen sagen?

Wieso erkranken manche Menschen schwer und andere nicht?

Fördert die Impfung die Bildung von Krebszellen?

Long-COVID-Symptome nach Impfung was tun?

Hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Herr R. hat gemailt. Er schreibt:

„Ist es wahr, dass bei den neuen COVID-Impfstoffen zum Herstellen bei den Vektor-Impfstoffen und bei den mRNA-Impfstoffen beim Testen abgetriebene Föten verwendet wurden? Falls dies wahr ist, finde ich dies ethisch äußerst bedenklich. Und das wäre für mich ein weiterer

Grund, diese Impfstoffe abzulehnen. Vielen Dank und beste Grüße, Herr R.“


Alexander Kekulé

Tja, also, bei diesen speziellen Impfstoffen weiß ich das nicht. Aber ich kann ja vielleicht mal so allgemein sagen, zu den Zellen. In der biologischen Forschung haben wir tatsächlich Zelllinien typischerweise, die im Labor wachsen. Das ist ein wahnsinnig wichtiges Instrument, weil Sie können ja nicht jedes neue Medikament, jeden neuen Impfstoff immer gleich an einem Tier prüfen, sondern man nimmt dann normalerweise erst mal Zellkulturen, wie wir das nennen. Und was am besten wächst in so einer Zellkultur sind eigentlich Krebszellen, weil die teilen sich ungehemmt. Und da kann man dann über Jahrzehnte hinweg diese Krebszell-Linien am Laufen halten. Da gibt es auch tatsächlich Zelllinien vom Krebspatienten, die in den 50er-Jahren daran gestorben sind und die bis heute noch verwendet werden. Diese Krebszellen haben nur den Nachteil, sie wachsen sehr schnell, und sie wachsen ewig quasi. Aber die sind natürlich anders als normale Zellen, ist ja klar, sonst wären sie ja keine Krebszellen. Die sind schon sehr spezialisiert, und man kann von dort nicht verallgemeinern. Die Alternative ist, sogenannte primäre Zelllinien anzulegen. Das sind also Zelllinien, die von sich aus die Eigenschaft haben, zumindest noch eine Weile sich zu teilen. Und in welcher anderen Situation im Leben hat man Zellen, die sich ungehemmt einfach so teilen. Und das ist während der Embryogenese, während der Fetogenese, also, während der Organismus sich noch im Mutterleib entwickelt. Deshalb ist es tatsächlich so, dass in der Forschung embryonale und fetale Zellen auch vom Menschen verwendet werden. Das ist natürlich genau reglementiert. Das ist zum Beispiel von Schwangerschaftsabbrüchen. Es gibt aber natürlich auch Situationen, wo aus anderen Gründen, aus medizinischen Gründen der Fötus abgeht und wo solche Zellen dann tatsächlich für die Forschung verwendet werden. Ich sag jetzt mal, ja, das muss jeder ethisch selber beurtei-

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len. Als jemand, der lange am Max-Planck-Institut Forschung gemacht hat: Ich finde, wenn man, wenn man Zellen hat, die sonst im Mülleimer landen würden, und wenn man die dann sinnvollerweise für die Forschung verwenden kann – und nichts anders ist es ja an der Stelle – dann finde ich Letzteres sinnvoller. Aber das muss jeder für sich selber natürlich beantworten. Ich kann nur sagen praktisches jedes Medikament, was entwickelt wird, und jede moderne medizinische Technik wird an Zelllinien und Zellkulturen ausprobiert. Da sind zum Teil, nicht häufig, aber zum Teil auch fetale Zellen dabei, meistens von Tieren. Aber ganz selten gibt es auch die Situation, dass man eben die vom Menschen braucht. Ob das bei diesen Impfstoffen der Fall war, kann ich Ihnen nicht sagen, würde mich jetzt wundern, weil man die meisten Wirkprinzipien auch mit tierischen Zellen untersuchen könnte.

03:54


Camillo Schumann


Diese besorgte Mutter hat angerufen:

„Meine Tochter hat sich mit COVID angesteckt. Das war wie eine sehr unangenehme Grippe. Sie ist auch ganz gut genesen. Allerdings ist eins geblieben, Konzentrationsschwäche. Und sie kann auch nicht in Räumen mit mehreren Menschen bleiben. Sie hält das nicht lange aus. Und jetzt meine Frage: Gibt es Studien zu Leuten, die dahingehend Probleme haben. Wie lange dauert das in der Regel, bis sich so etwas wieder löst und wie die Leute dann auch wieder arbeitsfähig werden?“


Alexander Kekulé

Das hört man leider immer wieder. Es ist so, es ist ein Symptom von Long-COVID. Ich würde schätzen, dass, wenn man sehr genau hinschaut, vielleicht jeder Fünfte bis jeder Zehnte Long-COVID-Symptome hat. Und davon sind die meisten neurologische Symptome, also wie in diesem Fall. Es gibt leider keine Daten, wo man sagen kann, wie lange dauert das sozusagen. Also man kann nicht sagen nach soundso viel Monaten ist es definitiv vorbei. Wir wissen aber, dass bei allen, die beobachtet werden,

über längere Zeit. Da gibt es natürlich viele Studien, die dazu laufen. Die gute Nachricht ist es wird immer besser. Es gibt keine Fälle, wo man jetzt wirklich sagt, da ist überhaupt keine Verbesserung nach sechs Monaten, nach zwölf Monaten eingetreten. Aber man braucht Geduld. Das ist ganz klar. Es gibt durchaus Fälle, wonach sechs Monaten noch klare neurologische Symptomatik vorhanden ist. Und je länger wir das beobachten, desto länger wird natürlich auch der Zeitraum – es gibt einzelne Fälle, wo man nach zwölf Monaten was sieht. Ich erinnere mal an die Geruchsstörungen, wo, wo wir mal eine konkrete Studie besprochen haben. Da war es so, dass man nach einem Jahr noch, ich meine zwei von hundert waren es am Schluss, die nach einem Jahr angegeben haben, sie haben noch so einen Rest von Geruchsstörungen nach einer COVID-Erkrankung. Und ich schätze mal, bei den anderen neurologischen Symptomatiken wird es in die gleiche Richtung gehen. Dass man also 98 Prozent, 99 Prozent sind dann weg nach einem Jahr. Und wenn man ganz großes Pech hat, gehört man halt zu dem einen Prozent, was nach einem Jahr immer noch Symptome hat. Aber ich würde da die Hoffnung nicht aufgeben, dass es besser wird. Das Gehirn ist ja extrem, sag ich mal, anpassungsfähig. Und selbst wenn da irgendwo durch eine Autoimmunreaktion oder durch das Virus ein paar Nervenzellen kaputtgegangen sind, dann kann das Gehirn normalerweise diese Funktionen ausgleichen durch andere Bereiche.

06:28


Camillo Schumann


Dieser Herr hat gemailt.

„Mein bester Freund ist Clubbetreiber. Er will sich bislang nicht impfen lassen, weil er von etwas ausgeht, was ich als Fehlannahme begreife, er selbst aber als logische Schlussfolgerung. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir helfen könnten, diesen mir so wichtigen Menschen von der Impfung zu überzeugen. Die Logik des Zweiflers lautet wie folgt: Nichtgeimpfte müssen sich immer häufiger testen las-

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sen, wenn sie am sozialen Leben teilhaben wollen. Und aufgrund dieser Tests sind sie weitaus weniger ansteckend, wie Geimpfte, da diese sich seltener oder gar nicht mehr testen lassen. Mit Nichtgeimpften lebt es sich also sicherer, etwa in einem Restaurant oder Club. Stimmt das? Und wenn nicht, warum greift diese Annahme zu kurz? Mit besten Grüßen, Herr D.?“


Alexander Kekulé

Grundsätzlich ist das eine interessante Überlegung. Ich habe ja mich schon zum 3G-Modell versus 2G-Modell geäußert. Ich finde das 3GModell, wo dann die Getesteten genauso behandelt werden wie Genese und Geimpfte, ist epidemiologisch vernünftig aus verschiedenen Gründen. Und einer davon ist tatsächlich, dass die Getesteten wie die Kanarienvögel quasi immer feststellen, ob eine Infektion da war oder nicht. Weil, wenn man sich regelmäßig testet, merkt man, wenn man positiv ist. Da kann man dann rückverfolgen, eventuell, wo man sich das Virus geholt hat und die anderen warnen. Und wenn alle anderen nur geimpft waren, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer von denen dann ein paar Tage später zum Testen geht, nicht mehr so hoch, ganz klar. Also die Überlegung ist in der Tat so. Man kann jetzt nicht sagen, dass sie deutlich weniger ansteckend sind. Sondern wenn man sich einfach so die Wahrscheinlichkeit anschaut, mit der so ein Test – es geht ja meistens um Antigen-Schnelltests – falsch sein könnte. Das gibt es ja durchaus. Dann muss man sagen, da gibt es schon auch Versager, die also falsch-negativ sind, wo in Wirklichkeit dann derjenige positiv war und jemanden anstecken konnte. Insbesondere wenn der Test jetzt nicht unmittelbar vor dem Clubbesuch zum Beispiel gemacht wurde. Sondern da ist er in der Regel 24 Stunden gültig. Das heißt also könnte ja auch vom Tag vorher sein. Da würde ich mal sagen, da sind Lücken bei diesen Antigen-Tests. Und ja, es gibt auch Lücken, die sehr, sehr deutlich jetzt auch durch neuere Studien zutage treten bei den Geimpften: dass die Geimpften durchaus auch Durchbrüche haben können. Sodass man rein von der Epidemiologie und das ist ja hier die Frage

gewesen, kann man jetzt nicht sagen, dass jemand, der gut getestet wurde, also vor kurzem getestet wurde und die Methode richtig angewendet wurde, dass der jetzt ein größeres Risiko darstellt, als jemand, der geimpft wurde. Das ist richtig. Die sind ungefähr gleich, würde ich sagen.

Das Argument, sich impfen zu lassen, ist zum einen, dass es schon lästig ist, jeden Tag einen Test zu machen. Der müsste ja dann wirklich frisch sein bei dem Clubbetreiber. Da würde ich mal sagen, muss man schon überlegen, wenn man so intensiven sozialen Kontakt hat. Und das andere ist also ich habe hier mitbekommen, der ist 41 Jahre alt, derjenige. Man kann natürlich auch mit 41 noch schwer COVID kriegen. Und dann kann man noch die anderen anstecken. Und gerade als Clubbetreiber, wenn er sich unbemerkt infiziert, ist er natürlich als Ungeimpfter wesentlich infektiöser als oder wahrscheinlich infektiöser als jemand, der geimpft wurde. Und aus diesen, sage ich mal, mehr krankheitsrelevanten Argumenten, würde ich sagen, spricht bei jemandem, der viele soziale Kontakte hat, schon alles für die Impfung.

10:00


Camillo Schumann


Ja, Herr D., da drücken wir mal die Daumen, dass Sie Ihren besten Freund umstimmen können.

Herr S. hat gemailt:

„Was ist von den neu entwickelten kubanischen Corona-Impfstoffen, wie zum Beispiel Soberana 0 oder Soberana 02 oder sogar Soberana Plus und Abdala zu halten? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, also, die funktionieren, sagen die Studien auf jeden Fall. Aber das Problem ist halt, Kuba ist da so ein bisschen so ein Einzelkämpfer? Die geben ihre Impfstoffe dann weiter nach Venezuela zum Beispiel. Aber es ist nicht so, dass da jetzt eine offizielle CDC-Zulassung in den USA oder gar in Europa irgendetwas beantragt wurde. Und deshalb haben wir von denen viel

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zu wenig Daten, um nach unseren europäischen Sicherheitsstandards zu sagen: Daumen rauf oder Daumen runter. Für uns in Europa kommen die im Moment nicht in Frage. Also für uns ist eher die Frage, was ist mit Sputnik? Da finde ich, ist die Datenlage eigentlich schon so, dass man überlegen könnte, ob man den zumindest akzeptiert als Impfung. Wenn er in Europa nicht zugelassen ist, kann man ja trotzdem sagen, jemand der vollständig damit geimpft ist, hat dann den Status eines Geimpften bei Reisen und Ähnlichem. Das wäre so der nächste Kandidat von denen, die bei uns noch nicht auf der Liste stehen. Und dann kommt lange nichts. Und dann kommen die vielen Impfstoffe wie eben Soberana und andere, wo wir nicht genug Daten haben, um überhaupt nur abzuschätzen, wie gut die Schutzwirkung ist.


Camillo Schumann


Herr M. hat angerufen. Ihn interessiert folgende Frage:

„Wird daran geforscht und hat man jetzt schon gewisse Erkenntnisse, woran das am menschlichen Immunsystem liegt, dass einige Leute, die vielleicht auch ein bisschen älter sind keinen schweren Verlauf haben? Und andere jüngere Leute durchaus schwerere Verläufe haben, also sich entgegen dem allgemeinen Trend. Bei denen entwickelt sich die Krankheit entgegen dem allgemeinen Trend. Und gibt es da andere im Augenblick noch unbekannte oder auch noch nicht ganz sichere Indizien?“


Alexander Kekulé

Also, das wüsste ich alles auch gerne. Man muss da vorne wegschicken: Aus virologischer Sicht ist diese Pandemie so etwas wie das Man-to-the-Moon-Projekt, als man die Mondlandung gemacht hat für die Weltraumforschung oder für die Raumfahrt. Wir lernen natürlich irrsinnig viel dazu. Es ist so, dass wir jetzt erst anfangen zu verstehen, was da möglicherweise los sein könnte bei Atemwegserregern in der Situation, dass eben die Älteren häufiger schwere Verläufe haben.

Ein Aspekt ist, dass diese angeborene Immunantwort oder auch die Sofortreaktion auf der Schleimhaut bei älteren Menschen ganz klar viel schlechter ist. Da gibt es die Theorie, dass es damit zusammenhängt, dass dieses angeborene Immunsystem im Lauf des Lebens abnimmt und dafür die gelernte Immunität, die adaptive Immunität an Bedeutung zunimmt. Es gibt auch so ganz triviale Dinge wie die Feuchtigkeit der Schleimhäute, der Atemwege und so weiter, die sich verändert. Und das ist natürlich auch genetisch verursacht. Das heißt also, es gibt sicher Menschen, die aus genetischen Gründen da ein besseres Immunsystem, wenn ich mal so sagen darf, haben, als andere. Sodass durch bestimmte genetische Voraussetzungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jemand, der jünger ist, durchaus deshalb einen schweren Verlauf haben kann. Wir wissen ja auch, dass andere Faktoren wie zum Beispiel metabolische Faktoren, also ob jemand zu hohen Zucker hat und solche Dinge oder stark übergewichtig ist, diese Dinge spielen auch eine Rolle. Kann sein, dass es mit der Genetik zusammenhängt. Es kann aber sein, dass es ein völlig eigener Fakt doch noch einmal ist, wie jetzt sozusagen die Immunreaktion abläuft bei jemandem, der zum Beispiel schwer Diabetes hat. Das heißt also diese ganzen einzelnen Faktoren, die haben wir auf einer großen Liste und versuchen da irgendwie ein Bild raus zu kristallisieren, warum bestimmte jüngere Menschen schwerer krank werden. Man kann bis jetzt leider überhaupt nicht erklären, warum das so ist. Und umgekehrt ist es so: Es gibt Alte, und zwar gar nicht wenige, die haben eine CoronaInfektion hinter sich, und es ist nichts passiert. Und die sagen dann immer: Ja, alle sagen, Alte haben so ein großes Risiko, ich habe das kaum gemerkt und bin da und lebe immer noch, Unkraut vergeht nicht. Das ist eine der ganz großen Fragen der Medizin und der Infektionsmedizin insbesondere, warum wird der eine krankt und der andere nicht.

Was auch noch eine Rolle spielt ist vielleicht zuletzt, ist die Dosis. Wir wissen, dass, wenn man sehr viel Virus auf einmal abkriegt – das war vor dieser Pandemie noch nicht so klar –

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da kann man einfach dann mit schwereren Verläufen rechnen. Das alles zusammen plus die Frage, welche Tagesform derjenige hatte, als er dann infiziert wurde, spielt eine Rolle bei der Frage, wie schwer erkranke ich und wie schwer nicht. Und ich würde mal sagen, wenn ich jetzt noch ein ganzes Wissenschaftlerleben dranhängen dürfte, dann könnte ich die Frage danach hoffentlich beantworten.

15:08


Camillo Schumann


Frau R. hat gemailt. Sie schreibt:

„Mittlerweile werden wieder Veranstaltungen wie zum Beispiel auch der Opernball in Leipzig in geschlossenen Räumen durchgeführt, deren Zutrittsvoraussetzung die 2G-Regel ist. Damit gibt es auch keinen Maskenzwang mehr. Da immer wieder von Impfdurchbrüchen zu hören ist und Übertragung der Viren auch durch symptomlos Erkrankte geimpfte und genesene nicht ausgeschlossen werden kann, bewegt mich folgende Frage: Sollte man als mit AstraZeneca geimpfte Personen Mitte 60 mit Vorerkrankungen im Sinne des Selbstschutzes dennoch auf den Mund-Nasen-Schutz nicht verzichten, wenn man solch eine Veranstaltung besuchen will? Herzlichen Dank für die Beantwortung der Frage, viele Grüße, Frau R.“


Alexander Kekulé

Ja, also ich bin ja immer dafür mit diesem Virus, sage ich mal, einen in gewisser Weise entspannten Umgang zu pflegen. Aber Mitte 60 mit Vorerkrankungen! Da würde ich sagen, die Antwort auf die Frage ist: Ja. Also ich würde jemanden raten, wenn es jemand aus meiner Familie ist, wenn man auf Nummer sicher gehen will bei so einer Veranstaltung, wo es wirklich voll ist, wo 2G gilt, würde ich sagen, wenn ich Vorerkrankungen habe und wirklich das Virus mir nicht nochmal einfangen will oder nicht einfangen will, dann würde ich zusätzlich mindestens eine Maske tragen. Und man muss sogar überlegen, ob man dann auf so eine Veranstaltung gehen will, weil natürlich auch mit einer normalen, einfachen OP-Maske ein Infektionsrisiko bleibt.

16:34


Camillo Schumann


Die Hörerinnen und Hörer gehören nach dieser langen Zeit über den Podcast ja auch mittlerweile zur Familie. Deswegen ist es ja auch ein Tipp für den erweiterten Familienkreis.

Frau Huber hat angerufen und folgende Frage geht auch Richtung Long COVID.

„Ich bin im April mit BioNTech geimpft worden, war danach zwei Wochen schwer krank und habe seitdem monatelang Long-COVID-Symptome. Vor circa einem Monat ist festgestellt worden, dass ein Eppstein-Barr-Virus bei mir reaktiviert wurde. Jetzt meine Frage: Kann das von der Impfung kommen? Und wer kann mir hier weiterhelfen? Denn Long-COVID-Ambulanzen nehmen mich nicht auf, da ich ja wissentlich kein COVID-19 gehabt habe.“


Alexander Kekulé

Ui, also ich hätte jetzt spontan noch COVIDAmbulanz gesagt. Also. Ja, das kann von einer Impfung kommen, das muss man ganz klar sagen. Wir wissen, das ist nicht nur diese Impfungen, wir wissen, dass es zur Reaktivierung von Eppstein-Barr-Virus auch nach einer Impfung bzw. im Zusammenhang mit einer Impfung kommen kann. Wahrscheinlich ist dieses schwerkrank, zwei Wochen schwer krank nach der Impfung, das ist also extrem exotisch. Also zwei Tage gibt es schon, dass Leute sich platt fühlen, aber zwei Wochen schwer krank, das klingt irgendwie so ein bisschen tatsächlich schon nach dieser Epstein-Barr-Virus-Reaktivierung, wenn die hier auch noch nachgewiesen würde. Also ich als Arzt in so einer Long-COVID-Station oder -Ambulanz, ich wäre ja ganz heiß auf so einen Patienten, um mal zu gucken, ob es da auch Zusammenhänge gibt. Wir wissen es natürlich nicht. Sie haben wir gefragt: Kann es sein? Und da ist die Antwort: Ja, es kann sein. Ob es so ist, ist nicht klar. Deshalb würde ich es einfach bei der nächsten LongCOVID-Ambulanz versuchen, vielleicht eine, die an der Universitätsklinik dran ist. Ich bin ganz

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sicher, dass die aufgrund der wissenschaftlichen Fragestellung dann so einen Patienten auch weiterhelfen wollen.

18:37


Camillo Schumann


Frau G. hat gemailt. Sie schreibt:

„Ist es möglich, dass Sie in einem der nächsten Podcasts mit Professor Kekulé darüber sprechen, ob die Impfung Tumorneubildung fördert beziehungsweise bei bestehenden Tumorerkrankungen den Fortschritt beschleunigt und was es mit der Erhöhung der Thrombozyten Zahl im Blutbild auf sich hat? Viele Grüße, Frau G.“


Alexander Kekulé

Also Thrombozytenzahl wird nicht erhöht im Blut, das ist nicht so bei der Impfung. Sondern es gab bei AstraZeneca dieses Problem mit diesen Thrombosen. Da sind aber die Thrombozyten eher verschwunden, die sind quasi durch Verbrauch dann weggewesen. Thrombozyten sind ja diese Blutplättchen, die man braucht, damit das Blut ordentlich gerinnt. Also das ist ein Gerücht, dass da die Thrombozyten irgendwie raufgehen würden. Tumorneubildung oder Reaktivierung von Tumorerkrankungen, da haben wir überhaupt keine Hinweise darauf. Das ist auch extrem unwahrscheinlich. Weil das, was die Impfstoffe machen, ist ja so ein Anwerfen der Akutreaktion im Immunsystem. Und das passiert bei allen möglichen Gelegenheiten. Das passiert wahrscheinlich nicht nur bei allen möglichen Infekten, sondern ich würde sogar schätzen, dass man da was messen kann, wenn man sich einen Eimer Wasser mit Eiswürfeln über den Kopf schüttet, dass dann quasi durch diesen Schreck quasi im Immunsystem irgendetwas passiert, was wie eine kurze Aktivierung funktioniert. Und wenn dann jedes Mal irgendwelche Tumore anfangen würden zu wachsen, dann wären wir schon längst alle tot. Das heißt also, das ist extrem unwahrscheinlich, dass dieser allgemeine Stimulus, also diese Reaktogenität, wie wir das nennen bei den Impfstoffen, dass das dafür dazu führt, dass Tumore irgendwie ausbrechen. Vielleicht noch

ein anderes Argument zur Beruhigung wir haben ja ähnliche Wirkungen auch bei den Adjuvanzien, also diese Wirkverstärker, die wir sonst mit reingeben in die Impfstoffe. Das macht man seit Jahrzehnten so. Das ist auch in vielen Kinderimpfstoffen mit drinnen, um das Immunsystem so ein bisschen zu kitzeln, damit es irgendwie arbeitet. Und dieses „HalloWach“ fürs Immunsystem hat in keiner Situation irgendwo dazu geführt, dass man eine Häufung von Tumoren beobachtet hätte. Darum würde ich sagen, nein, das ist extrem unwahrscheinlich und wurde nie beobachtet.

20:48


Camillo Schumann


Dann haben wir eine Mail bekommen, leider ohne konkreten Namen im Absender. Die Frage lautet:

„Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die mRNA-Technologie auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen andere Viruserkrankungen wie zum Beispiel HIV voranbringen könnte? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ich versuche, die Antwort kurz zu machen. Es ist so, dass diese mRNA-Technologie, die stand jetzt zufällig gerade, wenn man so sagen darf, genau an der Schwelle zur Anwendbarkeit, als diese Pandemie kam. Mal ist ja ein bisschen die Frage was ist die Henne und was ist das Ei? War es also so, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass das so weiterentwickelt wurde? Oder war das schon da und wurde deshalb aus der Schublade geholt, als die Pandemie angefangen hat? Und Letzteres ist der Fall. Also, das war ein Glücksfall, wenn man so will, dass die messengerRNA-Technologie gerade parat stand, als die Pandemie losging. Vorher hatte es viele Versuche gegeben, die aber nicht so richtig funktioniert haben, unter anderem eben bei HIV oder auch, da gab es schon Versuche bei Influenza, da hat man Versuche gemacht. Und es galt eigentlich immer als nicht so ideale Methode für einen Impfstoff. Man hat das eher so gesehen als ideale Methode, wenn man ganz gezielt Therapie machen will,

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wie zum Beispiel Bekämpfung von Krebszellen. Und jetzt hat man gelernt durch diese Pandemie, dass das also sehr, sehr gut funktioniert als Impfstoff. Und deshalb wird es mit Sicherheit und ist auch jetzt schon so, da Auswirkungen in andere Richtungen geben. Es ist so, dass pharmazeutische Unternehmen, die viel Erfahrung mit Impfstoffproduktion und -entwicklung haben, dass die jetzt eigentlich ausnahmslos hätte ich fast gesagt, umschwenken oder weiter sich entwickeln, Richtung RNA-Technologie. Weil man nach dieser Pandemie eigentlich der Meinung ist, dass das wirklich die Methode der Zukunft ist. Es gibt Leute, die sagen, das wird wahrscheinlich viele bisher bekannte Impfstoffe auch ersetzen. Im Lauf der Zeit. Das ist natürlich jetzt die momentane Euphorie. Wir wissen nicht, wie dann die Dämpfer aussehen, in fünf Jahren oder in zehn Jahren. Aber klar, auch bei HIV wird man das auf jeden Fall versuchen. Mit HIV habe ich mich früher sehr intensiv beschäftigt. Das ist natürlich so: Das Problem dort ist nicht der Impfstoff und nicht die Methode, wie man sozusagen den Impfstoff generiert. Sondern das ist ein sehr komplexes System, was damit zusammenhängt, dass dieses Virus genau die Immunzellen angreift, die man braucht für die Immunantwort. Und deshalb würde ich jetzt den Menschen, die mit HIV leben, jetzt nicht die Hoffnung machen, dass die RNA Technologie da in kürzester Zeit einen Impfstoff hervorbringt. Aber in vielen anderen Bereichen wird es so sein, dass es da, hätte ich fast gesagt, zu einer technologischen Revolution kommt.

23:29


Camillo Schumann


Und letzte Frage für diese Ausgabe. Herr G. hat diese, und er schreibt:

„In letzter Zeit höre ich immer wieder die Aussage von Impfskeptikern, dass die Impfstoffe nur bis 31.12. zugelassen seien und ab Januar nicht mehr verimpft werden können. Ich habe auch gehört, dass manche Hausärzte wohl nicht mehr impfen, weil sie keinen Impfstoff mehr anschaffen wollen, eben aus diesem

Grund, dass der Impfstoff seine Zulassung verliert. Stimmt das? Viele Grüße, Herr G.“


Alexander Kekulé

Nee, das stimmt nicht. Es ist ein bisschen wie bei jedem Gerücht, ist da immer so Funken Wahrheit mit drin. Also wir haben hier etwas, was unter die sogenannten Emergency Procedures, also Notfall-Prozeduren in der EU fällt. Das ist eine bedingte Zulassung in der EU, quasi Copy-Paste von der Notfallzulassung in den Vereinigten Staaten, es ist also eine Art Notfallzulassung. Und die ist in der EU so geregelt, dass die automatisch in der Tat nach einem Jahr, also ein Jahr nach Erteilung, verfällt. Es ist aber so, dass der Hersteller dann relativ formlos sagen kann. Ich will aber, dass die Zulassung weiter erteilt wird. Und das wird in dem Fall selbstverständlich so sein. Also es ist überhaupt nicht ansatzweise zu vermuten, dass die Zulassung dann sozusagen, also diese Notfallzulassung, dann nicht verlängert wird. Sondern eher das Gegenteil. Das sehen wir auch in den USA jetzt. Die Hersteller beantragen dann richtige Zulassungen. Statt der Notfallzulassung wird eine reguläre Zulassung beantragt. In den USA ist BioNTech schon regulär zugelassen. Moderna hat gerade angekündigt, dass es die reguläre Zulassung beantragt. Auch Johnson & Johnson hat in den USA beantragt, die reguläre, angekündigte reguläre Zulassung zu beantragen. Und ich gehe davon aus, dass die das dann kurz danach auch in Europa machen werden. Das heißt also, das ist auf dem Weg Richtung reguläre Zulassung und nicht Richtung Ende der Zulassung. Und ein Arzt, der sich deshalb das Zeug nicht mehr bestellt – falls es so jemanden überhaupt gibt, ich weiß es nicht, vielleicht ist das ein Gerücht – aber da kann ich jetzt beruhigen, das wird nächstes Jahr auch noch gebraucht.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 228. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann nächste Woche am Dienstag, den 12. Oktober wieder. Bis dahin.

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Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage. Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio und Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt

Lust auf einen Podcast-Tipp? Da hören Sie doch mal in den „Rechthaber“ rein, der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. „Der Rechthaber“, überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 07. Oktober 2021 #227: Für unter 18-Jährige nur BioNTech

Camillo Schuman, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung

RKI Wochenbericht 30.10.2021

Wochenbericht_2021-09-30.pdf (rki.de)

Onlinemeldung von Impfnebenwirkungen

Nebenwirkungen melden Startseite (bund.de)

RKI COVID19 Impfquoten-Monitoring

COVID-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland (COVIMO) (rki.de)

Die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Impfung auf die Übertragung der Alphaund Delta-Varianten (29.09.) Studie: The impact of SARS-CoV-2 vaccination on Alpha & Delta variant transmission | medRxiv

Donnerstag, 7.10.2021

SchwedenundDänemarkstoppenvorerst Moderna-Impfungen für unter 30-Jährige. Grund sind gehäufte Herzmuskelentzündungen. Wie ist dieser Schritt zu bewerten? Und was bedeutet er für Deutschland?

DannderBlickaufdenaktuellenImpfstatus und Zahlen zu Impfdurchbrüchen.

AußerdemeineaktuelleStudiezurFrage: Wie stark beeinflusst die Deltavariante die Impfwirkung bezogen auf Infektionen und Infektiosität?

UndamEndedieFrage:KanneineImpfung zu Haarausfall führen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Modera-

tor bei MDR aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Lange war es sehr ruhig in Sachen Impfstoffen. Keine Hiobsbotschaften. Nun aber haben gestern Schweden und Dänemark angekündigt, den Moderna-Impfstoff der zweite mRNA Impfstoff neben BioNTech bei jüngeren Menschen unter 30 erst einmal bis zum 1. Dezember aussetzen zu wollen. Grund dafür seien Anzeichen eines erhöhten Risikos, einer Herzmuskeloder Herzbeutelentzündung. Wie bewerten Sie diese Vorsichtsmaßnahme? Ist das übertrieben, nachvollziehbar?


Alexander Kekulé

Also, ich kenne jetzt natürlich die Daten nicht. Das ist eine Studie, die schon länger im Gespräch ist. Die skandinavischen Länder haben tatsächlich schon seit einiger Zeit die Häufigkeit dieser Herzmuskelentzündungen etwas genauer untersucht. Ich kenne das Ergebnis quasi nur mündlich und nicht im Detail. Aber es scheint so zu sein, dass die Gesundheitsbehörden jetzt der Auffassung sind, dass man da die Reißleine ziehen muss. Ich würde davor warnen, dass als Hiobsbotschaft einzuordnen. Und zwar deshalb: Es war ja bei der Impfung jüngerer Menschen mit den RNA-Impfstoffen schon immer so ein Thema, wo man Argumente dafür hat und dagegen hat. Und es ist so, dass einige nationale Gesundheitsbehörden und Kommissionen sich dafür entschlossen haben. In Deutschland ist die Empfehlung spät, aber dann doch auch gerade für junge Menschen ausgesprochen worden. Es gibt aber schon immer Andere, die das nicht so machen. Der Unterschied zwischen Moderna und BioNTech ist auch der, dass Moderna deutlich stärker reaktogen ist, also mehr Nebenwirkungen hat und aus dem Grund z.B. auch bei jungen

Menschen in den USA gar nicht zugelassen. Sodass man sagen kann: Ja, jetzt sind weitere Länder auf die Seite derer rüber geschwenkt, die da etwas vorsichtiger sind. Es ist aber nicht so, dass wir völlig neue Daten hätten, die jetzt alles umwerfen und jetzt zwingend eine andere Empfehlung abzugeben.


Camillo Schumann


Okay, da kommen wir gleich noch mal zu, wie Deutschland damit umgehen sollte. Weil sie die Daten angesprochen haben: Die haben wir ja. Also jedes Land – da werden ja die Nebenwirkung aufgelistet. Laut der schwedischen Gesundheitsbehörde trete der Zusammenhang insbesondere nach der zweiten Dosis auf. Und in Schweden sind aktuell 81.000 Menschen in genau dieser Altersgruppe, also der unter 30Jährigen, mit der ersten Dosis Moderna-Impfstoff geimpft worden, noch nicht mit der zweiten. Jetzt wirkt das besonders vorsichtig, wie die Skandinavier jetzt damit umgehen, die kennen doch die Daten eigentlich aus den anderen Ländern. Oder scheint dort die Entwicklung eine Andere zu sein?


Alexander Kekulé

Ich glaube nicht, dass die Entwicklung eine Andere ist. Man muss natürlich sagen, wenn wir das z.B. mit den USA vergleichen: Dort ist Moderna bei Kindern nicht zugelassen. Aber trotzdem, also grundsätzlich haben die eine hohe Quote von schweren COVID-Verläufen bei jungen Menschen. Das hängt mit dem Übergewicht zusammen, das hängt mit der Benachteiligung von Ethnien zusammen, mit Zugang zu medizinischer Versorgung und diesen Dingen, sodass man dort einfach sagen muss: Es ist aus US-Sicht relativ klar, dass jüngere Menschen eher profitieren von diesem Impfstoff als z.B. Europäer. Jetzt haben es die skandinavischen Länder mit einer grundsätzlich mal gesunden Bevölkerung zu tun, wo diese Risikofaktoren gerade bei jüngeren Menschen geringer sind. Und das andere ist das ja dort die Erwachsenen sehr, sehr weitgehend geimpft sind. Wenn man jetzt gerade nach Dänemark schaut, da die haben eine sehr, sehr gute Impfquote. Und

man hat insgesamt eine Situation, wo man eher mal sagen kann: Wir sind sowieso schon auf der sicheren Seite bei dieser Pandemie – deshalb gehen wir hier kein Risiko ein, und es gibt ja auch den zweiten Impfstoff, den BioNTech-Impfstoff – wieso sollen wir, wenn wir nicht genaue Ergebnisse haben, wenn wir eine unsichere Datenlage haben, wieso sollen wir dann den zweiten Impfstoff, der offensichtlich etwas stärkere Nebenwirkungen macht, wieso sollen wir den weiterempfehlen?


Camillo Schumann


Warum macht der stärkere Nebenwirkungen?


Alexander Kekulé

Ja, das ist schon lange klar. Ich glaube, wir haben es hier im Podcast auch schon öfters mal besprochen. Es ist so, dass klar ist, dass der Moderna-Impfstoff mehr als dreimal so viel mRNA drinnen hat. Also in dem Impfstoff sind 100 Mikrogramm mRNA, also 100 Millionstel Gramm oder ein Zehntel, ein Zehntelgramm ungefähr Impfstoff ist da drin. Bei dem BioNTech-Impfstoff sind es nur 30 Mikrogramm. Wahrscheinlich ist es der Hauptgrund, dass diese RNA-Menge so unterschiedlich ist in den beiden Impfstoffen. Wir wissen es aber nicht genau. Das kann auch andere Gründe haben. Das S-Protein, was da generiert wird, wenn diese Impfung verabreicht wird, das ist ja auch nicht ganz genau identisch. Ähnliches Prinzip, aber so ganz genau identisch ist es auch nicht. Und wir wissen deshalb schon länger, dass eben der Moderna-Impfstoff eine stärkere Reaktogenität hat. D.h. also, diese klassischen Sofort-Nebenwirkungen, Schwellung, Rötung, Schmerzen usw., vielleicht auch dann dieses gewisse Krankheitsgefühl, was ich manchmal einstellt, das ist einfach etwas häufiger. Es gibt ja auch Daten, die darauf hindeuten, dass der Impfstoff eine etwas bessere Wirksamkeit dafür hat. Das korreliert alles so ein bisschen miteinander. Und jetzt ist nur die Frage was, was macht man damit? Und meine Empfehlung ist immer gewesen, dass man bei jüngeren Menschen die Sicherheitskriterien von Moderna sich nochmal separat anschaut, das nicht in einen Topf wirft mit BioNTech. Ich bin auch der

Meinung, dass man über Dosis-Anpassung nachdenken muss, gerade bei jüngeren Menschen. Also ich sag mal alles unter 16 sich oder ab 16 abwärts, da wäre das eigentlich angebracht, weil doch diese starke Reaktogenität dann auch ein Nachteil ist bei diesen jungen Menschen. Und das ist in dieser, sage ich mal, Gemengelage kommt jetzt dazu, dass die skandinavischen Länder offensichtlich die Daten sich noch einmal genauer angeguckt haben. Ich habe so den Verdacht, dass die noch einmal ganz genau nachgeschaut haben, wie häufig ist die Myokarditis eigentlich bei jungen Menschen. Weil, die wird ja sehr häufig übersehen. Wenn man jetzt nicht gerade Leistungssportler ist, merkt man, dass unter Umständen gar nicht so sehr, wenn das Herz mal eine Weile nicht so gut funktioniert, sage ich mal. Und dadurch kann es sein, dass die Daten, die man schon länger hatte, dass die jetzt hier sich deutlich herauskristallisiert haben.


Camillo Schumann


Also dass sozusagen das Dunkelfeld so ein bisschen aufgehellt wurde, dass vielleicht ohne Symptome dann Kinder untersucht wurden oder wie, was meinen Sie?


Alexander Kekulé

Ja, das ist Spekulation. Ich nehme das an. Also, wir wissen, dass – in Kanada gab es mal eine Untersuchung, die dann auch in USA wohl bestätigt wurde – dass die Myokarditis bei Moderna bei Jungs 2,5-mal oder insgesamt 2,5mal so häufig ist wie bei wie bei BioNTech. Das ist schon eine Ansage. Wenn das 2,5-mal so häufig ist, das ist schon ein deutlich höheres Risiko. Das waren damals so die ersten Daten, das war der Grund, warum die amerikanische Zulassungsbehörde FDA gesagt hat, wir müssen es noch einmal genauer prüfen, ob wir das bei Menschen unter 16 Jahren zulassen wollen. Bisher ist es nicht zugelassen. Also die hat sich verzögert, diese Zulassung von Moderna in den USA, für Jüngere. Und wir wissen ja auch, dass Jungs ungefähr 1,6-mal häufiger die Myokarditis bekommen als Mädchen. Da geht die Tendenz dahin, dass die Zahl sich sogar noch etwas steigert. Also der Unterschied zwischen

Jungen und Mädchen kristallisiert sich immer deutlicher heraus. Wenn Sie jetzt die 1,6 mit den 2,5 multiplizieren, dann kommt halt raus, dass ein Junge, der mit Moderna geimpft wird, ein vierfach höheres Risiko hat als ein Mädchen, das mit BioNTech geimpft wird. Und Faktor 4 ist, finde ich schon etwas, das muss man sich anschauen. Das ist nicht mehr so irgendwie unter ferner liefen, zumal wir gerade in dem Alter eine noch relativ harmlos verlaufende Krankheit haben. Und ich habe es glaube ich damals schon, für meine Verhältnisse, relativ deutlich gesagt, dass ich finde, dass die STIKO in Deutschland hier einen Fehler gemacht hat, einen handwerklichen Fehler, dass sie die Daten für BioNTech und Moderna nicht separat bewertet hat.


Camillo Schumann


Genau, da kommen wir gleich noch mal drauf. Nochmal ganz kurz zu den Daten, die wir jetzt aus Skandinavien noch nicht haben. Wir stochern da so ein bisschen im Nebel, versuchen zu interpretieren. Schauen wir da mal, um überhaupt etwas Handfestes in der Hand zu haben, auf die Zahlen in Deutschland. Erhoben oder gesammelt vom Paul-Ehrlich-Institut: 12,8 Mio. Impfdosen von Moderna sind in Deutschland bisher verimpft worden. Und im aktuellen Sicherheitsbericht des Paul-EhrlichInstituts vom 20. September wurden

24.457 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen im Zusammenhang mit der Moderna-Impfung gemeldet. Schwerwiegend waren davon 4,7 %. Um es noch konkreter zu machen: Insgesamt wurden 48 Myokarditisoder Perikarditis-Fälle in der Altersgruppe, die wir jetzt gerade eben besprechen, der 18bis 29-Jährigen gemeldet. Und damit ist diese Altersgruppe die am stärksten betroffene Altersgruppe. Z.B., bei den 30bis 39Jährigen waren es dann nur noch 20 Fälle und danach, in den weiteren Altersgruppen, spielt dieser Erkrankung nach einer Moderna-Impfung fast keine Rolle mehr. Zumindest wurden sehr wenige Fälle gemeldet. Es gibt diese Fälle, aber nichtsdestotrotz ist es sehr unwahrscheinlich, daran zu erkranken. Oder?

10:27


Alexander Kekulé

Ja, die STIKO hat in ihrer Empfehlung, wo sie dann umgeschwenkt ist und gesagt hat, die 12bis 17-Jährigen sollen geimpft werden – da hat sie gesagt, dass in dieser Altersgruppe ganz klar das Risiko, an der Myokarditis zu erkranken, am höchsten ist, verglichen mit allen anderen Altersgruppen. Und sie hat zugleich gesagt, dass das eine Altersgruppe ist, die also mit das niedrigste Risiko hat, schwere COVIDVerläufe zu haben. Und das macht natürlich die ganze Situation relativ, sage ich mal, schwierig. Da hat man diese seltene Nebenwirkung, die aber relativ häufig ist. Aus meiner Sicht spielt noch eine Rolle, dass wir diese Herzmuskelentzündung nicht verstehen. Wir wissen überhaupt nicht, wie die zustande kommt. Das ist ein Mysterium, dass nach einer Impfung so was doch relativ – dann wiederum häufig, also, dass es gelegentlich beobachtet wird – auftritt. Und wir kennen den Mechanismus nicht. Es gibt andere Fälle von Herzmuskelentzündungen, da wissen wir, dass das ein bestimmtes Virus ist, was das macht oder bestimmte Erscheinungen, die eben bekannt sind. Aber hier ist es völlig unklar, wie das entsteht nach der Impfung. Und deshalb wissen wir auch nicht, wie die Langzeitwirkungen sind. Und wenn man das alles in die Waagschale wirft, dann kann man eben am Schluss zu dem Ergebnis kommen, wie bei uns die STIKO, dass die sagen: Jawohl, wir bleiben trotzdem bei der Empfehlung, oder wir empfehlen das jetzt, weil wir auch die sozialen Nachteile für die Kinder zurückfahren wollen. Oder man sagt, wie das eben jetzt in Schweden passiert ist, da ist man ganz radikal – da hat man jetzt gesagt: Wir empfehlen das Moderna, weil es eben die stärkeren Nebenwirkungen ganz klar macht, das empfehlen wir ab 30 schon jetzt nicht mehr. Also, die haben ja gesagt unter 30 wollen wir keine Moderna-Impfungen mehr machen. Übrigens in Norwegen ist es schon länger so, dass Männer unter 30 nicht mehr geimpft werden oder gar nicht geimpft werden mit Moderna. Da gibt es auch schon sozusagen eine Empfehlung, die so ähnlich aussieht, sodass das schon

in das bisherige Bild reinpasst, dass Schweden und Dänemark sich jetzt da umentschlossen haben. In Dänemark ist es so, da hat man gesagt, unter 18 empfehlen für Moderna nicht mehr. Und in Schweden hat man gesagt unter 30. Auch daran sehen Sie schon, da sitzen halt so Fachleute zusammen, und jeder überlegt halt, wie können wir dem gerecht werden, dass eben da ein unterschiedliches Risikoprofil offensichtlich vorhanden ist zwischen BioNTech und Moderna. Und die Lösungen sind unterschiedlich, weil das letztlich alles etwas mit Bauchgefühl der Experten zu tun hat.

12:50


Camillo Schumann


Am Ende steht dann sicherlich auch bei dem, der sich impfen möchte, eine gewisse Verwirrung. Was heißt das konkret für Deutschland? Sollte die Moderna-Impfung für unter 30-Jährige und auch vorerst gestoppt werden?


Alexander Kekulé

Wenn ich jetzt sozusagen mein Urteil abgeben würde als ein Experte von vielen natürlich, muss ich einfach sagen, wie gesagt, jeder hat da so sein anderes Ergebnis, bleibe ich bei dem, was ich, was ich eigentlich schon immer sehe: Moderna ist wegen der stärkeren Nebenwirkungen bei uns in Deutschland bei den

12bis 17-Jährigen noch einmal zu prüfen. Also ich halte es für einen Fehler, dass die Ständige Impfkommission das nicht geprüft hat, auch nachdem wir sie darauf hingewiesen hat, hat sie keine Anstalten gemacht, da nochmal sich zu überlegen, ob dieser Fehler, der ja ganz offensichtlich passiert ist, auch die Behauptung, die da in der Empfehlung der STIKO stand: Dass bei den 10 Mio. Geimpften, die es angeblich in USA und in Kanada gab, Kindern, dass da Geimpfte mit Moderna dabei gewesen wären. Das war ja ein ganz offensichtlicher Fehler, weil das dort gar nicht zugelassen war. Also da hätte ich schon erwartet, dass man da noch mal sozusagen die Hausaufgaben nachmacht. Und das würde ich jetzt, nachdem die Behörden in Skandinavien in diese Richtung gehen, dringend erwarten, dass man einfach sagt:

Okay, wir holen uns die Daten mal von den Kollegen und überlegen, ob wir für Deutschland, nachdem wir da bei der ersten Empfehlung diesen handwerklichen Fehler gemacht haben, bei der Gelegenheit das noch einmal revidieren. D.h. jetzt nicht unbedingt, dass man dann zu dem Ergebnis kommt, dass es sozusagen falsch war. Sondern, ich glaube, wenn man muss einfach die Sicherheitsdaten vom Moderna separat sich noch einmal anschauen. Unsere Behörden kriegen selbstverständlich die Rohdaten aus Skandinavien. Ich habe da mit einigen Kollegen gesprochen, aber habe sie nicht bekommen, kann ich ganz offen sagen. Die halten sich erstmal bedeckt, die wollen es in den nächsten zwei Wochen rausrücken. Aber man wird diese Daten dann ansehen müssen und meines Erachtens aufgrund dieser Basis eine separate Sicherheitsbewertung des ModernaImpfstoffs im Vergleich zu BioNTech machen. Im Vergleich insbesondere bei Jüngeren. Für mich ist es jetzt nicht so, dass da ein Game Changer ist, sich irgendetwas riesig verändert hat. Eine Riesenüberraschung ist es für mich, sage ich mal, am wenigsten – vielleicht am schlimmsten ist für Moderna, Sie wissen wahrscheinlich, dass der Kurs um 5 % eingebrochen ist, nachdem die Nachricht bekannt wurde. Deshalb kann ich nur sagen, die Analysten sollten mal unseren Podcast hören. Da kann man Geld verdienen, wenn man das schon vorher ahnt.


Camillo Schumann


Und ich hatte Ihnen ausgangs die Frage gestellt, heißt es jetzt für Deutschland, der Moderna-Impfstoff für unter 30-Jährige sollte gestoppt werden. Wir haben jetzt ganz viel über die STIKO ...


Alexander Kekulé

Sie merken schon, das war politisch geantwortet. Also nein, also d.h. es nicht. Ich persönlich würde, ganz ehrlich gesagt, wenn mich einer fragt, ich würde für Jugendliche, also Personen unter 18 Jahren, würde ich den BioNTechImpfstoff empfehlen in der jetzigen Situation, bis man genauere Daten hat. Also vorläufig

würde ich sagen, Empfehlung für Personen unter 18 Jahren ist ganz klar, den BioNTech-Impfstoff zu verwenden, weil die Datenlage eben fraglich ist. Und weil wir den riesigen Luxus haben, dass wir beides zur Verfügung haben. Warum soll man das nehmen, wenn da so ein kleines Fragezeichen dran ist? Und das ist aber eher meine ganz persönliche Empfehlung. Ich will da nicht irgendetwas vorgreifen, was die STIKO macht. Und ich habe auch vollen Respekt davor, wenn andere Fachleute, nachdem sie die Daten angeschaut haben, zu einem etwas anderen Ergebnis kommen. Das das ist leider in der Lage so.


Camillo Schumann


Ohne Frage. Aber ich frage Sie ja. Und ich hätte gern Ihre persönliche Meinung.


Alexander Kekulé

Meine Meinung ist: Unter 18, BioNTech.


Camillo Schumann


Okay, also Stopp von Moderna für unter 18Jährige.


Alexander Kekulé

Das ist keine Forderung an die Politik, sondern das ist, wenn sie mich als Fachmann fragen, gebe ich diese Antwort. Und Sie merken schon – wissen Sie, ich will einfach nicht, dass das immer – die STIKO wird ständig von irgendwelchen Leuten, und wenn ich mal so sagen darf, vor sich hergetrieben. Die Politiker sagen die sollen jetzt gefälligst das entscheiden. Die Booster-Impfung ist das nächste Thema, was gerade irgendwie auf dem Tisch liegt. Dann gibt es irgendwelche Vorsitzenden irgendwelche Verbände in Deutschland, die dann Kraft ihres Verbandsvorsitzes sagen Sie, das und das muss passieren, bis hin zu bis hin zu Lokalpolitik. Darum habe ich ein bisschen Hemmungen, jetzt der STIKO zu sagen, was sie empfehlen soll. Aber meine Stimme als eine von sehr vielen unter den Fachleuten heißt: unter 18 erstmal BioNTech verwenden für die Impfung.

17:24


Camillo Schumann


Weil wir gerade beim Thema Impfen sind. Schauen wir uns mal den aktuellen Impfstatus

an. Rund 75 % der Erwachsenen und 35 % der 12bis 17-Jährigen haben einen vollständigen Impfschutz, so die Zahlen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestern getwittert hat. Aber offenbar liegt diese Quote noch deutlich höher. Gestern hat das Robert-KochInstitut auch neue Daten seines regelmäßigen COVID-19-Impfquotenmonitorings veröffentlicht. Das ist eine telefonische Umfrage, die regelmäßig gemacht wird. Danach liegt die Quote bei den Erwachsenen bei 84 %. Aber das RKI sagt selbst, die Daten des Monitorings könnten eine Überschätzung und die im digitalen Impfquotenmonitoring erfassten Impfquoten eine Unterschätzung sein. Und unter dieser Voraussetzung kann derzeit von einer Impfquote vollständig geimpfter Erwachsene von rund 80 % ausgegangen werden. Mensch, Herr Kekulé: 80 %, dazu noch die Genesenen, ich würde mal sagen Freedom Day ab heute, oder?


Alexander Kekulé

Naja, erstens muss ich natürlich sagen, also mannomann, wie lange haben wir schon über Impfregister geredet in Deutschland? Und jetzt müssen die arme Schweine vom RKI Telefonumfragen machen, um rauszukriegen, wer sich hat impfen lassen, weil sie das nicht registriert haben. Also da schüttelt man ein bisschen den Kopf. Ich meine, in England z.B., haben die natürlichen Impfregister, wo sie gleich nachgucken können, sogar namentlich nachgucken können, wer geimpft ist.

Ja, das ist relativ komplex. Man schätzt jetzt 80 % vollständig Geimpfte bei den Erwachsenen. Das ist meines Erachtens auch die richtige Überlegung. Also es wird ja manchmal so gesagt, wie viel Prozent der Bevölkerung sind geimpft, und man sieht, liest es auch ganz oft. Das ist eigentlich gar nicht so wichtig, weil die jüngeren Menschen, sage ich mal so grob, zum Infektionsgeschehen nicht so viel beitragen. Und weil die auch tendenziell zur Belastung der Krankenhäuser natürlich nichts beitragen. Deshalb ist die Frage, wie viel Prozent der Erwachsenen sind geimpft vorrangig. Und da natürlich insbesondere der Älteren. Und an der Stelle wird es wieder schwierig. Also 3 Mio. ungefähr ist die Zahl derer, die über 60 sind, in

Deutschland und ungeimpft, also völlig ungeimpft und nicht einmal eine erste Impfung haben. Die erste Impfung schützt bis zum gewissen Grad schon vor schwerer Erkrankung und Tod. Das ist klar. Diese 3 Mio., die sind unsere Achillesferse, wenn ich mal so sagen darf. Solange wir noch 3 Mio. Menschen in Deutschland haben, die also, wenn wir jetzt alles laufen lassen, schwersterkranken können in dem Alter, können wir nicht einfach aufmachen. Das andere, was wir nicht genau wissen, ist, wenn wir jetzt komplett aufmachen: Wir haben natürlich auch Durchbruchinfektionen bei Geimpften und Zweitinfektionen bei Genesen. Das gibt es durchaus. Gerade mit Delta gar nicht mal so selten, werden wir nachher vielleicht noch einmal darüber sprechen. Und diese Durchbruchsinfektionen oder Zweitinfektionen, da gibt es natürlich dann sehr selten, aber irgendwann auch schwere Verläufe. Da haben Sie dann ein Risiko von nur noch 10 % im Vergleich zu ungeimpft oder so in der Größenordnung, 1:10, 1:20 verringert sich das Risiko für schwere Verläufe. Aber wenn Sie dann alle quasi da durchimmunisieren, nochmal in Deutschland, weil Sie sagen Freedom Day, kann natürlich da die absolute Zahl derer, die dann plötzlich im Krankenhaus liegen, wieder relativ groß sein. Und darum bin ich dafür, jetzt im Herbst noch einmal auf der sicheren Seite zu bleiben.


Camillo Schumann


Und auf diese 3 Mio. hat auch Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, gestern in der Bundespressekonferenz noch einmal hingewiesen:

„Wenn 3 Mio. deutsche Menschen über 60 infiziert sind, jedoch nicht geimpft sind, dann haben wir im letzten Jahr gesehen: Von 10.000 über 80-Jährigen werden 1.800 sterben von diesen. Und von 10.070 bis 79-Jährigen sind im letzten Jahr 770 gestorben, die nicht geimpft waren. Also es gibt noch leider genug Menschen, die eben noch nicht genügend Schutz haben.“

Eindrucksvolle Zahlen.


Alexander Kekulé

Man muss Folgendes dazu sagen. Also, wenn ich jetzt RKI-Präsident wäre, würde ich mich darüber ärgern, dass ich nur die Zahlen über 60 habe. Weil, er hat natürlich völlig richtig gesagt, das richtig schlimme Risiko ist bei den sehr Alten, bei den Hochaltrigen, wie man dann sagt. Und da gibt es keine so genauen Daten, wie da jetzt wirklich die Impfquote ist. Das wäre jetzt wirklich interessant. Wir haben ja sehr, sehr viele Impfungen gemacht in den Altenheimen. Und da ist das, was ich so als, wenn ich mal so sagen darf, quasi private Stichprobe habe, dass in Altenheimen doch sehr, sehr konsequent geimpft wurde. Also da sind die Quoten über 90 %, in aller Regel geht sogar Richtung 95 und mehr. Und das war ja das Hauptproblem in den ersten Wellen, dass wir diese Verwüstungen in den Altenheimen hatten. Vermeidbar, weil man hätte die Menschen schützen können. Durch nicht-pharmakologische Interventionen, hat man schlecht gemacht. Und auf die Weise hat die Politik letztlich die Verantwortung dafür, dass da sehr, sehr viele Menschen gestorben sind. Die Frage ist, wenn wir jetzt dort eine sehr gute Impfquote haben, ob es dann wirklich wieder so schlimm würde, wie bei der letzten Welle – ich bezweifele das eher und würde deshalb jetzt zu den eins-zu-eins-Vergleich, wie es ja Wieler jetzt gemacht hat mit damals und heute und den Zahlen – so weit würde ich nicht gehen. Aber trotzdem. Wir haben einfach dieses Fragezeichen da im Raum stehen. Und man muss es doch ganz pragmatisch sehen. Das ist jetzt der letzte Corona-Winter. Ja, das ist der letzte echte Pandemie-Winter. Weil nächstes Jahr im Laufe des Frühjahrs werden wir in die Lage kommen, dass mit Impfungen und natürlichen Infektionen wir in einem Bereich kommen, dass dieses Virus insgesamt quasi seine politische und soziale Sprengkraft verliert. Und deshalb meine ich, wieso sollen wir uns jetzt ausgerechnet im Herbst lockermachen? Also das ist für mich einfach der falsche Zeitpunkt dafür. Aber, Sie wissen, ich bin immer eher auf der vorsichtigen Seite, v.a., wenn jetzt auf der auf

der anderen Seite ja fast nichts steht. Wir müssen ja im Grunde genommen nur weiterimpfen und in bestimmten Situationen die Masken verwenden und 3G plus Nachverfolgung machen. Ich glaube, das haben wir jetzt schon so gut geübt. Das sollten wir jetzt die eine Erkältungssaison noch weitermachen. Und dann wird wahrscheinlich die Maske eben ein Accessoire sein für Leute, die es gerne weiter behalten wollen oder im öffentlichen Verkehr noch usw. Aber es wird – das Ende ist doch absehbar, jetzt.

23:57


Camillo Schumann


Und wie sich Impfdurchbrüche gerade bei denen mit dem meisten Risiko, also den über 60-Jährigen und den ganz Alten auswirkt, da reden wir gleich noch mal drüber.

Bleiben wir noch einmal bei diesen 3 Mio. Menschen über 60 und auch andere Menschen, die sich bisher nicht geimpft haben. Denen zu unterstellen, sie wären jetzt Impfgegner oder so, das wäre ja auch ziemlich unfair, wird aber von der einen oder anderen Seite her aber gemacht. Es gibt ja genügend Menschen, die zweifeln, ob sie sich impfen lassen, weil sie eben noch offene Fragen haben, weil sie unsicher sind. Da hat auch STIKO-Chef Professor Thomas Mertens gestern auf der Bundespressekonferenz nochmal hingewiesen.

„Ja also nach allen Daten, die ich kenne, und das gilt jetzt nicht nur für COVID-19, ist die Anzahl der harten Impfgegner sozusagen in Wirklichkeit klein. Also es gibt eine relativ kleine Gruppe von wirklich harten und kaum zu überzeugenden Impfgegnern. Das ist richtig, das wissen wir aber schon von früher. Das ist jetzt keine wirkliche COVID-19-Neuheit. Und es gibt eine größere Gruppe, die sozusagen überzeugt werden können. Und von daher glaube ich immer noch – Sie sehen, ich bin Optimist – dass es unsere Aufgabe ist, tatsächlich diese Menschen durch Argumente zu überzeugen. Und das gelingt auch. Es ist allerdings, und das kann ich nur ergänzen, es ist mühsam. Es ist mühsam, deshalb, weil es auch viel Zeit kostet, muss man

klar sagen. Da muss man sich auf diese Patienten wirklich, da muss man auf die eingehen und muss wirklich mit denen diskutieren. Aber das ist eben die Gruppe, die es zu überzeugen gilt.“

Herr Kekulé, das können wir doch machen. Wir können uns diese Zeit mal nehmen. Oder?


Alexander Kekulé

Ja, erstens das. Zweitens machen wir das schon die ganze Zeit. Da ist es Wasser auf meine Mühlen, obwohl vielleicht nicht jeder gerade den Freud‘schen Fehler bei Herrn Mertens gehört hat, dem Vorsitzenden der Kommission. Er hat nämlich von „Patienten“ gesprochen. Und so fühlt man sich manchmal, wenn man jemanden überzeugen muss. Da denkt man manchmal, dass man an einen toten Hund hinredet. Das sind natürlich in dem Fall noch keine Patienten, wenn sie nur geimpft werden müssen. Nein, das kann man alles nur unterstreichen. Man muss da Überzeugungsarbeit machen. Und deshalb bin ich ja auch dafür, dass man – wir hatten vorhin das Thema Skandinavien, die gehen halt sehr offen mit den Problemen oder bei den möglichen Nebenwirkungen mit der Moderna-Schutzimpfung um. Und das ist für mich ein Teil sozusagen von „überzeugend sein“. Um Leute zu überzeugen, muss man ja auch immer selber überzeugend sein. Und d.h., dass die Zuhörer dann das Gefühl haben müssen, die sagen mir hier immer die Wahrheit.

26:42


Camillo Schumann


Aber genau das Überzeugen versuchen wir seit anderthalb Jahren hier im Podcast. Und ich würde sagen, wir können ja noch mal einen Versuch unternehmen, einen kleinen Schwerpunkt zu machen, quasi ein Hörerfragen SPEZIAL nur für Impf-Zweifler, also für Menschen, die noch offene Fragen haben, Argumente brauchen, um sich noch abschließend eine Meinung zu bilden. Also eine Hörerfragen-Spezialsendung, nur für Impf-Zweifler. Am 16. Oktober machen wir die, nur zu diesem Thema. Sie können uns gerne Ihre Fragen schicken an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an 0800 300 22 00.

Keine Frage muss Ihnen unangenehm sein. Wir beantworten alles.


Alexander Kekulé

Ja, wir beantworten alles. Sie können auch jeden Aluhut einschicken oder andere Accessoires, die Sie haben und von uns begutachtet haben wollen. Das können wir alles untersuchen. Und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man auch mal die Dinge, die die Menschen wirklich umtreiben – ich habe gerade gestern gelesen, 50 %, wenn das stimmt, auch in dieser STIKO-Studie, 50 % aller Deutschen, aller Befragten glauben, dass die Fruchtbarkeit möglicherweise eingeschränkt ist, durch die Impfung also. Im Zusammenhang mit Kinderwunsch sind sie sich nicht sicher, ob sie sich impfen lassen sollen. Und wenn man so was hört, dann denkt man: Wow, das ist ja so ähnlich wie in Südamerika, und lass uns darüber reden.


Camillo Schumann


Definitiv. Also am 16. Oktober machen wir einen Hörerfragen SPEZIAL nur für Impf-Zweifler. Fragen an uns. Wir freuen uns sehr. So viele Zahlen haben wir bisher besprochen. Machen wir mit Zahlen weiter, würde ich sagen. Ein großes Thema sind, wir haben es schon angesprochen, Impfdurchbrüche. Also wenn man sich trotz Impfung mit Corona infiziert. Da wollen wir uns jetzt die Impfdurchbrüche anschauen. Und zwar bei den Menschen, für die es dann wirklich gefährlich werden kann, nämlich bei Menschen über 60. Erst einmal, so grundsätzlich. Ein Impfdurchbruch ist laut Definition auch nur einer, wenn die geimpfte Person auch Symptome hat. Und je mehr geimpfte Menschen es gibt, desto häufiger kommt es zu solchen Durchbrüchen. Das ist ein rein statistischer Effekt?

28:51


Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz wichtig. Wir haben das schon mal im Zusammenhang mit Israel besprochen. Man sieht in den Ländern, wo die Impfquote dann irgendwann gut ist – und in Deutschland ist sie inzwischen gut, das muss man ganz klar

sagen – da sieht man natürlich dann auch einen höheren Anteil von Menschen auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern, die geimpft sind. D.h. aber nicht, dass die Impfung Mist ist, sondern d.h. einfach, wenn sie fast nur noch Geimpfte in einem Land haben, dann ist natürlich der Anteil derer, die geimpft sind an den Kranken, relativ hoch. Und das sehen wir diese. Diese Entwicklung sehen wir bei uns jetzt. Wir sind hier jetzt auf einem ähnlichen Status wie Israel, als wir damals dort über die Verhältnisse gesprochen haben. Und es gibt andere Länder, die haben höhere Impfquoten als wir, und bei denen es natürlich dann auch der Anteil derer, die im Krankenhaus liegen und obwohl sie geimpft sind, dann auch wiederum höher.


Camillo Schumann


Genau. Also schauen wir uns die Lage in der Intensivstation von Menschen mit Impfdurchbrüchen an, die das höchste Risiko haben. Das RKI fasst das sehr, sehr weit: 60 plus. Und alle Zahlen, die wir jetzt besprechen und besprochen haben, finden Sie auch im Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts vom 30. September. Demnach lag der Anteil wahrscheinlicher Impfdurchbrüche an hospitalisierten COVID-19 Fällen in der Altersgruppe 60 plus in der Kalenderwoche 35 bis 38 bei 34,3 %. Der Anteil wahrscheinlicher Impfdurchbrüche an COVID19 Fällen auf Intensiv bei 60 plus lag bei 23 %. Und jetzt wird es interessant, wie ich finde. Unter den insgesamt 653 COVID-19 Fällen mit Impfdurchbrüchen, die verstorben sind, waren 75 % 80 Jahre und älter. Insgesamt waren es 492 Menschen. Was sagen uns diese Zahlen?


Alexander Kekulé

Die sagen, dass auch bei den Geimpften das Risikoprofil das gleiche ist, wie bei den Ungeimpften. Das ist schon mal ganz gut, es hätte auch sein können, dass es irgendwelche Überraschungen gibt, dass das Risikoprofil sich ändert. Aber nein, auch bei den Geimpften ist es wieder so, dass die Ältesten leider das höchste Risiko haben und was bei uns in Deutschland nicht so separat ausgewertet wird, weil die Zahlen einfach zu klein sind: Es wird sicher so

sein, dass auch wieder die Übergewichtigen, die schweren Diabetiker, die Menschen unter Immunsuppression usw. auch dann ein höheres Risiko haben.

Das ist deshalb interessant: Erstens muss man eben da immer entwarnen und sagen, dass heißt nicht, dass die Impfstoffe nichts taugen. Aber, wir müssen uns natürlich überlegen, für wen wir möglicherweise Booster-Injektionen brauchen. Und da ist es so, dass tatsächlich diese Tendenz, die man da sieht – da gibt es auch Studien, die in die gleiche Richtung gehen – das zeigt letztlich, wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die Geimpften für immer geschützt sind. Sondern das ist eine deutliche Reduktion des Risikos, schwer zu erkranken. Aber wenn man eben eine schwere Grunderkrankung hat oder eben sehr alt ist, dann kann man auch als Geimpfter bei einer Infektion hinterher noch mal schwer [erkranken, Anm. d. Red.], also ins Krankenhaus müssen u.ä. und sogar unter Umständen sterben. Das ist eben eines der Argumente, warum wir es nicht einfach laufen lassen können. Wir müssen die Inzidenz in einem vernünftigen Maß weiterhin lassen. Und wir müssen überlegen, ob bestimmte Altersgruppen ich sage, mal Ü 60 z.B. oder Ü 65, ob man die nicht boostert.

32:07


Camillo Schumann


Was man aber nicht weiß bei diesen Zahlen, die ich genannt habe, ob diese Menschen nun vollständig geimpft wurden oder ob sie sogar eine dritte Impfung bekommen haben. Was auch interessant wäre, um diese Lage einordnen zu können, um eine Empfehlung abzugeben, ob man überhaupt eine dritte Impfung braucht.


Alexander Kekulé

Ja, die Daten aus Deutschland sind da leider immer so ein bisschen schwammig. Aber es gibt im Ausland natürlich schon gute Daten die das zeigen. In Israel z.B. ist ziemlich genau gezeigt worden, welche Effekte die Booster-Impfung hat. Und da ist klar, also mal so als Hausnummer: Für Menschen über 65 mit Booste-

rung, ist das Wahrscheinlichkeit, ins Krankenhaus zu kommen, ungefähr um den Faktor zehn reduziert. Also da sind die Daten schon relativ eindeutig. Und deshalb kann man sagen, ja das bringt was. Aber wenn wir jetzt über Booster sprechen, ist eben Folgendes noch einmal wichtig: Das sind alles Kurzzeiteffekte. Weil, man misst es, man guckt – die Menschen sind ja noch nicht so lange zum dritten Mal geimpft. Deshalb weiß man was passiert dann in den nächsten acht Wochen so ungefähr. Das ist aber der Zeitraum, wo die Impfung durch die allgemeine Stimulation dieser angeborene Immunantwort, also das, was man quasi Reaktogenität nennen kann. Dadurch ist das Immunsystem quasi aktiviert kurz nach der Impfung, so ähnlich, wie es auch bei Kindern durch andere Virusinfekte wahrscheinlich aktiviert wird. Und diesen Kurzzeiteffekt, den kann man bis jetzt noch nicht rausrechnen, weil noch nicht genug Zeit vergangen ist. Oder in anderen Worten: Es könnte sein, dass dieser Booster-Effekt nach drei Monaten wieder weg ist. Und dann ist natürlich die Frage, will man alle drei Monate da drauf-boostern? Oder ist es dann nicht vielleicht besser zu sagen: Gut, die kriegen dann sowieso auch mal einen anderen Virusinfekt, dann haben sie mal eine Influenza oder irgendetwas anderes, das wird dann das Immunsystem auch schon irgendwie stimulieren. Also man weiß nicht, wie spezifisch dieser Booster-Effekt ist oder welcher Anteil davon wirklich spezifisch gegen SARS-CoV-2 geht.


Camillo Schumann


Die STIKO hat sich ja auch noch nicht positioniert, wer jetzt eine Booster-Impfung bekommen soll von den Gesunden jetzt. Es gibt schon die Empfehlungen für Menschen mit Vorerkrankungen und immungeschwächte Menschen. Und jetzt muss sich die STIKO noch überlegen, wie sie sich eben dazu positioniert, möglicherweise zu empfehlen. Für alle gesunden, spezielle Altersgruppe, da hat Professor Mertens gestern auch was dazu gesagt.

„Da ist die Datenlage schwerer zu beurteilen, das muss man ganz klar sagen. Und von daher

ist das auch der Grund, warum wir uns damit etwas schwerer tun, sozusagen. Also ich rede jetzt von den Menschen unter 60. Und ich rede von den jungen Menschen, die an sich sonst gesund sind. Und Sie wissen auch, dass die Weltgesundheitsorganisation ja zu Recht darauf hingewiesen hat, dass man so viel impfen sollte wie nötig, aber eben auch nicht mehr als nötig. Und wir als STIKO versuchen auch – und das ist ja auch unsere Aufgabe – hierfür die Daten zu schaffen, um letztendlich dann irgendwann sagen zu können, wann der geeignete Zeitpunkt zur Drittimpfung für welche Gruppe ist.“

Und da hat dann gestern ein Journalist mehrfach nachgehakt. Und irgendwann hat Herr Mertens dann auch gesagt, na ja, möglicherweise wird es ja dann für die Altersgruppe über 60 oder 70, zwischen 70 und 80 möglicherweise, wollte dem Ganzen aber nicht vorgreifen. Würden sich dem auch anschließen, unter 60 nicht, aber über 60?


Alexander Kekulé

Ja, also das würde ja dann in die Richtung gehen, wie wir es hier schon besprochen haben. Also ab 65 finde ich, ist so das Alter, wo man sagen kann, da würden die Daten eigentlich ausreichen für eine Empfehlung. Die Frage ist nur: Wann macht man dann die Boosterung? Vielleicht nach sechs Monaten, nach dem nach den abgeschlossenen ersten zwei Impfungen? Das wäre dann im engeren Sinn gar kein Booster, sondern das ist dann quasi eine empfohlene dritte Impfung als Teil des Basisimpfschutzes. Aber es ist eben... Die Daten sind widersprüchlich, weil es gibt jetzt auch neuere Daten, die deuten darauf hin, dass nach drei Monaten möglicherweise schon die Immunität so stark abnimmt, dass man da möglicherweise schon boostern könnte. Und wenn es jetzt wirklich so ein kurzer Abstand wäre, da muss man wirklich die Frage stellen, welches, sage ich mal strategisches Ziel verfolgt man. Herr Mertens hat es ja auch gerade angedeutet, wir nehmen ja wirklich den Entwicklungsländern die Impfstoffe weg durch diese Methode. Wir sitzen da auf dem dicken Sack der ImpfstoffReserven, und viele Teile der Welt haben nix.

Und jetzt kann es ja nicht unser Ziel sein, quasi alle drei Monate Booster-Impfungen oder wie auch immer man das nennen will, zu machen, damit man dann so das letzte Prozent an Schutz noch irgendwie ausreizt, wo auf anderen Teilen der Welt der Impfstoff gebraucht wird. Und man weiß auch nicht, wo es hingeht. Wenn ich das Gesamtbild so ansehe, ist es mein Gefühl eher, wir haben ja noch eine Studie, über die wir noch reden, dass man über den Impfstoff 2.0 nochmal etwas gründlicher nachdenken sollte.

37:16


Camillo Schumann


Genau passend zur Problematik. Und da reden wir jetzt darüber. Wie gut schützt die Impfung vor Infektionen und Weitergabe des Virus, also vor Infektiosität? Da wollen wir jetzt kurz auch ein Preprint schauen, das am 29. September von britischen Wissenschaftlern veröffentlicht wurde. Und die Wissenschaftler haben mal geschaut, wie sich die Deltaund die Alpha-Varianten auswirken. Die hatten Sie auch hier im Podcast schon mal geschätzt, wie stark die Wirkung nachlässt. Nun haben wir es schwarz auf weiß. Wo gibt es Parallelen?


Alexander Kekulé

Ja, der Hintergrund ist der, die ganzen Impfstoffe sind produziert worden gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ. Also, das ist sozusagen noch der absolute, wenn ich mal so sagen darf, das allererste Fahrzeug mit Dampfmaschine gewesen bei dem Virus, und inzwischen hat sich das weiterentwickelt. Und wir haben es jetzt eher mit so einem Hightech-Virus zu tun, was auf den Menschen besser angepasst ist. Aber die Impfstoffe, mit der Entwicklung hat man sehr, sehr früh angefangen. Das ist eben gegen den ursprünglichen Typ aus China. Der hat sich ja dann in Norditalien in die B-Variante, B1-Variante noch einmal weiterentwickelt bzw. dort durchgesetzt und dann weltweit weiter durchgesetzt. Und im Moment haben wir es eben mit dieser Delta-Variante zu tun. Da ist der Unterschied der, den die hauptsächlich untersucht haben, zwischen Alpha und

Delta, da wissen wir, da lässt einfach die Wirksamkeit der Impfstoffe nach. Das ist klar. Aber bis jetzt war ja immer die Ansage, das ist eigentlich nicht so schlimm, wenn wir nur auf die Krankenhauseinweisungen schauen oder auf die Todesfälle schauen. Da wird auch noch vor Delta geschützt. Deshalb haben die Impfstoffhersteller ja auch gesagt: Wir bleiben bei unserem ursprünglichen Produkt sozusagen, bei dem Uralt-Impfstoff hätte ich fast schon gesagt, und denken lieber über Boosterung nach. Wir wissen aber auch, dass jetzt bei der DeltaVariante es so ist, dass das Merkwürdige ist, dass z.B. die PCR, wo man ja quantitativ feststellen kann, wieviel Virus im Rachen oder im Hals ist – das Maximum ist bei den Geimpften und bei den Nichtgeimpften bei der Delta-Variante gleich. Und das ist natürlich erstaunlich, dass man quasi in der PCR in der Nase zu einem bestimmten Zeitpunkt genauso viel Virus findet bei den Geimpften wie bei den Ungeimpften. Das ist so eines der ersten Fragezeichen, was man hatte. Das zweite, was man dann aber gefunden hat. Das war eher beunruhigend. Das Beruhigendere war, dass man dann nachgeguckt hat: Wie häufig ist das Virus eigentlich anzüchtbar? Also ist es noch vermehrungsfähiges Virus, was da in der Nase von Geimpften ist oder im Rachen? Und da war die Antwort, nein, bei den Geimpften ist das Virus in der Regel nicht mehr anzüchtbar oder nur noch ganz kurz, also nicht vermehrungsfähig. Und es ist auch nur kürzer nachweisbar. D.h. also, die sind offensichtlich ansteckend einen ganz kurzen Zeitraum. Und danach kann man mit der PCR noch das tote Virus, wenn ich mal so sagen darf, nachweisen. Und daher ist die große Frage jetzt eben gewesen, nachdem man diese Labordaten hat: Welchen Effekt hat die Impfung eigentlich für Sekundärinfektionen? Also wenn ich jetzt geimpft bin und treffe in der Kneipe jemand anderes, habe einen engen Kontakt, einen Risikokontakt, wie man so sagt, wie hoch ist denn jetzt die Wahrscheinlichkeit für den, sich anzustecken, im Vergleich zu einem Ungeimpften? Da hatte ich ja immer so über den Daumen gepeilt, um irgendetwas zu sagen, naja, so Faktor zehn wird schon sein.

Ich habe sogar gehofft, dass es in der Summe Richtung Faktor 20 gehen könnte. Aber so gut sieht es in der Studie nicht aus.


Camillo Schumann


Das ist genau der Punkt. Jetzt haben wir es mal quantifiziert. Wie fällt die Auswertung aus?


Alexander Kekulé

Ja, das ist die erste Studie, die das Mal quantifiziert hat. Die haben in England – man ist ja immer neidisch, welche Daten die dort haben – die haben über 95.000, fast 96.000 COVID-Infizierte, zum Teil symptomatisch, zum Teil asymptomatisch, sich angeschaut. Und zwar im Zeitraum Januar bis August. D.h. also, am Anfang dieses Zeitraums war die Alpha-Variante in England und am Ende des Zeitraums ganz klar Delta dominant. Sodass man diesen Übergang, den Unterschied sich anschauen konnte. Und dann haben die eben diese Daten aus dem NHS Test and Trace Program. Also die haben da vom Nationalen Gesundheitsinstitut dort eben auch dieses Nachverfolgungsprogramm, d.h. bei denen Test and Trace und haben die Daten der Nachverfolgung sich angeschaut und geguckt: Okay, das waren die Infizierten. Wie oft haben die bei der Nachverfolgung dann eigentlich jemanden angesteckt? Also bei der Nachverfolgung, wie oft hat man jemanden gefunden, der sich angesteckt hat? Und dann haben sie eben noch einen dritten Joker in England, den es bei uns nicht gibt, das ist dieses National Immunisation Management Service, heißt es. Das ist quasi das Impfregister bei denen. D.h. die haben ein Impfregister, wo sie nachgucken können, von denen, die sich da angesteckt haben, wie oft haben die sich von einem Geimpften angesteckt und wie oft von einem Nicht-Geimpften. Und welcher Impfstoff war das, den der gekriegt hat? Wie lange vorher hat er den gekriegt? Also, Sie merken schon, da bin ich ein bisschen neidisch, dass man so genau da reingucken kann. Und da haben sie eben insgesamt fast 140.000 Kontaktepersonen aus diesem Nachverfolgungsprogramm sich angeschaut und haben erst einmal festgestellt, dass von denen irgendwie fast 1/3, so 51.000, etwas über 51.000, sich tatsächlich

angesteckt hatten. Die Zahl ist deshalb so hoch, weil das ja die mit Test and Trace nachverfolgten waren. Also das ist klar, dass die Zahl so hoch ist. Das hat nichts mit der sekundären Attack Rate, also mit dieser Ansteckungsfähigkeitswahrscheinlichkeit, Ansteckungswahrscheinlichkeit eines direkten Kontakts zu tun. Sondern das sind einfach die im Rahmen dieser Nachverfolgung gefundenen Positiven. Und dann haben sie eben nachgeschaut: Wenn jemand mit AstraZeneca geimpft war, wie hoch ist dann das Risiko eigentlich, dass der jemanden angesteckt hat bei dieser Nachverfolgung. Und da ist es eben so, dass das Risiko 57 % noch ist. Also schon relativ hohes Risiko, dass man sich ansteckt trotz der Impfung. Und wenn man dann drei Monate wartet, und quasi guckt, wie die Impfwirkung nachlässt, dann steigt das Risiko auf 67 %. D.h. also 67 % ist dann innerhalb dieses Nachverfolgungsprogramms das Risiko gewesen, dass jemand, der geimpft war, mit AstraZeneca, dass der dann bei dieser Nachverfolgung jemand angesteckt hat. Und das ist ziemlich genau das Gleiche, was bei der Nachverfolgung auch gefunden wurde für die Ungeimpften. D.h. die absoluten Zahlen sind vielleicht nicht so wichtig, aber das eine als Message ist natürlich katastrophal: Wenn jemand mit AstraZeneca geimpft war, hat er drei Monate nach der Impfung bereits die gleiche Infektiosität, wie jemand, der ungeimpft war. Und das ist für diese Möglichkeit der Weitergabe des Virus, also für die epidemiologische Rolle, die Geimpfte spielen, eine ganz schlechte Nachricht. Es ist so, dass AstraZeneca etwas schwächer wirkt als BioNTech. BioNTech ist etwas besser, da war nach drei Monaten die Wahrscheinlichkeit, dass sich dann jemand angesteckt hat, trotz der Impfung, noch 58 %. 58 versus 67, aber trotzdem: beides ist natürlich echt mies. D.h. unterm Strich ist hier jetzt schwarz auf weiß, dass Geimpfte, insbes. wenn man länger wartet, in dem Fall ein Vierteljahr, ganz massiv noch zum epidemiologischen Geschehen beitragen. Aus versch. Gründen können wir jetzt darüber reden, aber das ist ein trauriges Ergebnis.


Camillo Schumann


Sie haben ja vor ein paar Wochen mal gesagt, die Welle der Geimpften, die man noch nicht so richtig quantifizieren kann. Das ist ja ein Indiz dafür.


Alexander Kekulé

Ja, das ist nicht nur ein Indiz, sondern das ist der Beweis, dass es viel schlimmer ist, als ich befürchtet hatte. Wenn Sie jetzt wirklich nach drei Monaten in der Lage sind, dass ein Geimpfter bei AstraZeneca genauso infektiös ist, quasi genauso viele Menschen ansteckt in diesem Programm, wie ein Ungeimpfter (bei BioNTech ist es etwas besser, aber trotzdem steuert es in so eine Richtung), da muss man einfach sagen, es gibt nicht eine Welle von Geimpften sozusagen, die da stattfindet, sondern es gibt eine Sintflut von Geimpften, die da auf uns zurollt. Oder andersherum gesagt: Auch mit der Impfung werden wir dieses Virus definitiv nicht eliminieren. Also die Eliminationsstrategie, die funktioniert überhaupt nicht. Das Virus bleibt. Wir werden dann in so eine Lage kommen, wo dann immer wieder die Geimpften und Genesenen sich anstecken, hoffentlich keine Ungeimpften mehr. Und da wird es so sein, dass man dann natürlich zusätzlichen Immunschutz bekommt. Und das wird dann eine ganz ähnliche Situation wie bei den anderen Coronaviren. Man kriegt es immer mal wieder und hat dann hoffentlich keine schwere Erkrankung.


Camillo Schumann


Das wäre jetzt nämlich mal eine anschließende Frage gewesen. Ist das denn so überraschend, dass das bei einem Virus passiert?


Alexander Kekulé

Also ich erinnere mich noch genau, wo ich das allererste Mal bei Frau Maischberger im Fernsehen gefragt wurde: Wie geht denn diese Pandemie weiter? Auf was müssen wir uns einstellen? Das war, ich meine, im Februar 2020, und da habe ich dieses Szenario an die Wand gemalt. Deshalb ist die Antwort auf die Frage, ist es überraschend? Nein, überhaupt nicht. Also, da hätte jeder meiner Virologen-Kollegen

das Gleiche sagen können. Das wissen wir einfach, dass die Viren sich auf diese Weise anpassen. Und gerade bei den Coronaviren ist das, ja nicht nur bei den Menschen, wie kennen da ähnliche Viren auch im Tierreich. Das ist da schon untersucht worden. Diese Viren kommen halt immer wieder. Wir haben, ich glaube letztes Mal, über das Respiratorisches Synzytial-Virus RSV gesprochen. Das kann man sich ja auch immer wieder holen. Das haben diese Erkältungsviren so an sich ist. Wir wissen witzigerweise nicht ganz genau, woran das liegt. Wahrscheinlich ist es die Besonderheit unserer Immunantwort auf den Schleimhäuten, die eher so eine Art Sofort-Effekt hat, nach dem Motto, Hauptsache, das Virus ist mal weg. Aber der Memory-Effekt, die Merkleistung dieser Schleimhautimmunität ist eben nicht so perfekt. Es ist ja auch biologisch jetzt nicht ganz unpraktisch, das so zu haben, weil die kommen sowieso immer wieder. Die machen ein bisschen Kratzen im Hals. Und so hat sich der Mensch so ein bisschen mit seinen mit seinen Haustieren, mit seinen virologischen, da arrangiert im Laufe der Entwicklung. Und ich hoffe sehr, dass es bei dem SARS-CoV-2 auch in diese Richtung geht.


Camillo Schumann


Was jetzt für mich dafürsprechen würde: Dritte Impfung für alle.


Alexander Kekulé

Es gibt letztlich zwei Varianten. Entweder man kann regelmäßig impfen, dann wird man in der pandemischen Situation, wo man so eine hohe Inzidenz hat und auch mehr oder minder jahreszeitenunabhängig, wird man oft impfen müssen. Also die neuen Daten gehen in die Richtung, dass man vielleicht sogar schon nach drei Monaten impfen könnte. Oder man sagt Mensch entspannt euch doch mal. Das kommt halt dann wieder. Und man wird dann bei denen, die einfach schon eine Basis-Immunität haben, entweder durch natürliche Infektionen oder durch Impfungen, wird man sagen, na gut, die infizieren sich halt dann noch mal. Dann kriegen sie halt noch mal quasi ein Booster auf natürliche Weise, wie das bei

den anderen Atemwegserkrankungen ja auch ist. Wir haben über RSV gesprochen, da ist es im Kindesalter so, dass das häufig sehr schwere Verläufe macht am Anfang, Erstinfektion. Aber schon die zweite Infektion bei kleinen Kindern ist nicht vergleichbar mit der Erstinfektion. Und wenn Sie es als Erwachsener kriegen zum hundertsten Mal, dann merken sie es meistens gar nicht mehr. Deshalb ist so meine Tendenz, obwohl man das bei SARS-CoV-2 natürlich nicht abschließend beantworten kann, aber meine Tendenz ist – der Arzt sagt immer gerne: Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten. Also wird sich dieses Virus auch nicht anders verhalten als alle anderen. Und damit wäre es dann so, dass, wenn wir alle erst mal durchimmunisiert sind, dass man das eigentlich laufen lassen kann. Dass man sagt, wir brauchen die Impfungen nicht, vielleicht außer von aus abgesehen von Risikogruppen. Sondern wir sehen halt einfach zu, dass wir – wir werden dann sowieso immunisiert im Lauf der Zeit, weil man immer wieder mal dieses Virus abkriegt.

Es wird eine Frage sein, die dann irgendwann der Herr Mertens oder sein Nachfolger von der STIKO auf dem Tisch haben wird, ob man vielleicht Kinder dann regelmäßig impft. Weil man dann natürlich sagen kann, okay, denen erspart man die Erstinfektion auf die Weise. Das wird man dann, wenn man die Daten da hat, beantworten können. Ich bin ziemlich sicher, dass man dann auch Impfstoffe dafür verwenden wird, wo das Risikoprofil eindeutig für die Impfung spricht und nicht das so Fifty-Fifty-Situationen, wie jetzt bei den RNA-Impfstoffen ist. Vielleicht kann ich noch eins loswerden: Also wenn man boostert, die Pharmaindustrie ist natürlich voll hinterher. Also die Sara Gilbert, die Chefin von dem Labor, da von dem Jenner-Labor, was den AstraZeneca-Impfstoff entwickelt hat, die hat jetzt gerade die letzten Tage gesagt: Ja, wir müssen unbedingt boostern, das ist ganz wichtig. Klar, die verdienen da ein irres Geld mit. Sobald vom Booster die Rede ist, gehen die Aktienkurse hoch. Aber wenn man sich das nüchtern anschaut, ist es doch so: Die ganzen Daten – auch, was wir ge-

rade besprochen haben, diese präliminäre Studie – deuten doch darauf hin, dass wir eigentlich einen besseren Impfstoff bräuchten. Warum impfen wir immer noch mit dem Zeug, was gegen den Wuhan-Typ gemacht wurde? Und ich glaube, klar ist es für die Industrie einfacher, mit so einem alten Impfstoff, den sie schon haben, Geld zu verdienen. Aber ich würde jetzt schon erwarten, dass man gerade im Hinblick der neuen Daten bezüglich Impfdurchbrüche jetzt wirklich mal einen Impfstoff 2.0 entwickelt, der dann eben Delta auch wirklich ganz gezielt abgreift und nicht nur am Rande mitschützt dagegen. Und dann hätte man deutlich besseren Schutz. Das ist natürlich wieder Investition für die Unternehmen. Das ist so ähnlich, ja, Sie wissen ja, die Energieunternehmen verdienen am meisten mit Kernkraftwerken, die seit 20 Jahren abgeschrieben sind. So ähnlich ist es hier auch. Man hat halt einen Impfstoff, den haben sie schon. Aber ich würde schon, jetzt als Politiker würde ich mal Druck machen, dass sie mal mit einem neuen Impfstoff, der besser gegen Delta wirkt, rumkommen.


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu unseren Hörerfragen. Herr K. hat angerufen, er hat eine Frage zu einer möglichen Nebenwirkung der Impfung.

„Ich habe drei Kinder, die sind zwischen 12 und 16 und die sind alle geimpft. Jetzt hatten zwei davon über Haarausfall geklagt. Die hatten morgens beim Kämmen relativ viele Haare im Kamm. Und da haben wir uns nichts weiter dabei gedacht, und diese Woche lesen wir in der Zeitung, dass als Langzeitfolge von Corona Haarausfall vorkommen kann. Da wollte ich fragen, ob es da vielleicht einen Zusammenhang gibt? Und ob quasi diese Elemente der Impfung ähnliche Symptome machen, wie die Krankheit selbst?“

Ja, Haare im Kamm habe ich auch schon seit Jahren. Was meinen Sie?

52:00


Alexander Kekulé

Schlimm wird es, wenn Sie gar keine Haare mehr im Kamm haben. Dann müssen Sie mal genauer in den Spiegel schauen. Es ist so, dass wir immer wieder Symptome haben, die von einzelnen Personen geschildert werden, die so ein bisschen exotisch sind. Haarausfall gehört sicher zu den exotischen Symptomen. Ob das jetzt eine Wirkung von der Impfung ist. Also, ich würde mal sagen, wenn es so wäre, wäre es extrem selten. Ich rate immer dazu, wenn das was ist, was wirklich handfest ist, also wenn die Symptome klar sind, und das nicht nur so ein Eindruck bei den Kindern ist, würde ich das dringend dem Arzt mitteilen. Der soll das dem Paul-Ehrlich-Institut melden. Weil die, wenn das nicht gemeldet wird, diese exotischen, seltenen Nebenwirkungen, dann können die das natürlich auch nicht erfassen und überprüfen. Man weiß also nur, ob man alleine ist mit dieser Beobachtung, wenn man das dem PEI meldet. Bis jetzt ist es aber nichts, was bei der Impfung bekannt ist.

Vielleicht noch eins zum Haarausfall. Die Haare fallen ja so ein bisschen zyklisch aus, und es ist manchmal so, dass man wirklich ganz schön viele Haare in der Badewanne oder im Kamm oder sonstwo hat, ohne dass das viel zu sagen hat. Also das müsste man im Einzelfall prüfen. Und die andere Frage, die so ein bisschen klug dahinter gestellt wurde, ist das eine Parallele vielleicht zu der Infektion, also der echten COVID-Erkrankung. Und da ist es in der Tat so, wir wissen, dass Impfungen häufig ein bisschen simulieren, das, was bei der echten Erkrankung auch passiert. Das ist ja auch die Idee. Die Impfung hat ja eigentlich den Zweck, dem Immunsystem so ein bisschen vorzuspielen, dass gerade das Virus da wäre. Dann gibt es eine Abwehr, die da aufgebaut wird. Und wenn dann wirklich das echte Virus mal kommt, ist das Immunsystem vorbereitet. Hier ist es nur so, dass wir bei der Symptomatik von COVID wissen, dass ein erheblicher Teil der Symptomatik durch eine überschießende Immunreaktion zustande kommt. Und gerade bei diesem Haarausfall, der tatsächlich bei COVID seltener,

aber manchmal berichtet wurde, da geht es natürlich in die Richtung. Weil wir wissen, dass Autoantikörper z.B., also Antikörper, die gegen eigenes Gewebe gerichtet sind, die können so was machen, so einen Haarausfall.

Und deshalb ist natürlich die Frage, die jetzt alle mit Interesse beobachten: Wir bringen ja dieses Spike-Protein, also einen Teil des Virus bringen wir ja durch die Impfung künstlich in den Körper. Und wir wissen nicht, welchen Anteil dieses Protein bei der COVID-Erkrankung an der Entwicklung der Symptome hat. Also das könnte ja sein, dass das gerade das rote Tuch ist, was das Immunsystem wie einen Stier da drauf lostoben lässt. Und dass der Rest des Virus gar nicht gar nicht so eine große Rolle spielt. Dann wäre es natürlich ein bisschen ungeschickt, ausgerechnet das für eine Impfung zu verwenden. Und es kann sein, dass die Impfstoffe dann in der Version 3.0 modifizierte Spike-Proteine haben oder irgendetwas anderes, dass man eben diese Autoimmunreaktion ein bisschen drosselt. Aber da sind wir noch so weit weg von (wir benutzen jetzt noch die erste Generation), dass wir es einfach noch nicht wissen. Also, es ist nicht auszuschließen, dass da von der Pathogenese, wie wir sagen, also von der Entwicklung der Krankheitssymptomatik eine gewisse Parallele zwischen COVID ist und dem, was nach der Impfung passiert. Aber selbst wenn es so wäre, kann man nur noch mal wiederholen: Das echte Virus ist immer viel, viel schlimmer als der Impfstoff. Und deshalb würde ich immer den Impfstoff vorziehen, wenn ich die Wahl habe, mich impfen zu lassen oder das Risiko einer Infektion einzugehen.

55:28


Camillo Schumann


Und einen Link zu dem Meldeformular zu Nebenwirkungen, zu Impfnebenwirkungen der Corona-Impfung werden wir verlinken hier in der Schriftversion des Podcasts.

Ja, Herr Kekulé damit sind wir am Ende von Ausgabe 227, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen SPEZIAL.


Alexander Kekulé

Gerne, bis dahin, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen. Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an kostenlos unter 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio&Radio auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 5. Oktober 2021 #226: Die Pille gegen Covid


Camillo Schumann

, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:

Mehr Atemwegserkrankungen: Kinder holen Erkältungen nach: https://www.tagesschau.de/inland/atemwegserkrankungen-kinder-101.html

EMA gibt grünes Licht für eine Auffrischungsimpfung mit BioNTech-Vakzin (04.10.2021): Comirnaty and Spikevax: EMA recommendations on extra doses and boosters | European Medicines Agency (europa.eu)

Dienstag 5. Oktober 2021:

Dritte Impfung für alle über 18: Wie ist die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde zu bewerten?

Dann: Doppelt so viele Kleinkinder müssen mit schweren Atemwegsinfektionen ins Krankenhaus: Sind die Maßnahmen schuld?

Außerdem: Die Parteien sondieren für eine neue Regierungskoalition: Was sollte die neue Bundesregierung in Sachen Pandemieschutz unbedingt in Angriff nehmen?

Überdies: Eine Kapsel gegen Covid 19: Was man über das Medikament Molnupiravir wissen muss.

Und: Kann man sich durch fremde Darmwinde mit Corona anstecken?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann

:

Starten wir mit der Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Die hat eine dritte Impfung mit einem mRNA-Impfstoff genehmigt, und zwar nicht nur für immungeschwächte Menschen, sondern für alle Menschen ab 18 Jahren. Immungeschwächte Menschen sollten mindestens 28 Tage und gesunde Menschen zwischen 18 und 55 Jahren mindestens sechs Monate warten, bis sie sich den dritten Schuss abholen. Herr Kekulé, war das eine erwartbare Entscheidung?


Alexander Kekulé:

Ich kenne auch nur die aktuelle Pressemitteilung. Chimp heißt das Komitee abgekürzt. Das ist zuständig für die Humanmedizin bei der EMA. Und die machen quasi die wissenschaftliche Beratung. Und die haben zwei verschiedene Empfehlungen, wenn man so will, oder Einschätzungen herausgegeben, die beide jetzt nicht ganz überraschend sind. Die eine ist, dass sie gesagt haben, bei Menschen, die ein geschwächtes Immunsystem haben, wo also man vermuten kann, dass die Impfung nicht richtig funktioniert hat, da halten sie eine dritte Impfung für sinnvoll. Und zwar frühestens nach vier Wochen. Vier Wochen ist klar, weil man muss ja erstmal gucken, ob die Impfung angeschlagen hat. U.U. macht man auch einen Antikörpertest, um zu sehen, ob sich etwas getan hat. Und dann kann man eine dritte Impfung machen. Das ist technisch gesehen gar keine Booster-Impfung, sondern einfach eine dritte

Zwischenauswertung zu Molnupiravir: Merck-

Kapsel gegen Covid-19 senkt die Zahl der

schweren Verläufe und Todesfälle um rund die

Hälfte:

https://www.merck.com/news/merck-and-

ridgebacks-investigational-oral-antiviral-mol-

nupiravir-reduced-the-risk-of-hospitalization-

or-death-by-approximately-50-percent-com-

pared-to-placebo-for-patients-with-mild-or-

moderat/

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Impfung, die dann zur Grundimmunisierung dazugehört. Und dann haben sie zweitens festgestellt, dass zumindest für den Impfstoff von BioNTech, Combinatie, man nach den Daten rechtfertigen kann, eine echte Booster-Impfung zu machen nach sechs Monaten. Das ist früher nicht besonders sinnvoll, sondern frühestens nach sechs Monaten, bei allen Altersgruppen, also alle ab 18. Sie lassen sich aber nicht weiter darüber aus. Sie sagen nur: Wir haben nichts dagegen. Was die EMA letztlich gemacht hat, ist, dass sie die Praxis, die in Europa in vielen Mitgliedstaaten ja schon gang und gäbe war, von der Behörde aus sanktioniert und sagt: In Ordnung, das ist jetzt erlaubt. Weil bisher das ja ein sogenannter Off-labelUse war, also eine Anwendung, die jeweils der Arzt, der es gemacht hatte, für sich persönlich verantworten musste. Im Zweifelsfall musste der dem Staatsanwalt erklären, warum das den Regeln der Kunst entsprach. Jetzt haben die Ärzte eine klare Situation. Es ist von der EMA erlaubt und abgesegnet. Und damit kann man das machen. Aber gemacht wurde es schon vorher.


Camillo Schumann

:

Da ist ja jetzt die Stiko dran, um zu entscheiden, ob nun in Deutschland für alle ab 18 eine dritte Impfung empfohlen wird.


Alexander Kekulé:

Ich habe nicht verstanden bei dieser EMAEmpfehlung, ob man das in diesem Fall schon als so eine Art Erweiterung der Zulassung verstehen soll. Immerhin steht in einer Mitteilung, sie wollen es in den Beipackzettel schreiben. D.h., es ist eine Erweiterung der Zulassung, wenn ich das richtig sehe. Es ist aber formal noch nicht gültig, wenn dieses Beratungskomitee der EMA das macht. Das müsste dann schon auch noch die EMA als Organ offiziell machen. Die andere Sache ist, ob unsere deutsche Ständige Impfkommission das dann auch empfiehlt. Da ist es so, dass die Stiko schon lange empfohlen hat, was auch völlig richtig ist aus meiner Sicht, dass man bei Menschen, die ein schlechtes Immunsystem haben – die z.B. eine Organtransplantation hinter sich haben o.ä. –, dass man da eine Auffrischimpfung machen soll. In der Regel ist es besser, sechs Monate zu warten, weil dann einfach der Effekt am deutlichsten ist. Aber im Falle, wo man

ziemlich sicher ist, dass das Immunsystem nicht richtig funktioniert oder es Hinweise darauf gibt, dass das ein sogenannter Non-Responder war – dass derjenige bei den Impfungen nicht richtig reagiert hat –, kann man das nach der Stiko-Empfehlung auch jetzt schon nach vier Wochen machen. Das heißt die StikoEmpfehlung gilt übrigens für beide Impfstoffe, für BioNTech und für Moderna. Eine Empfehlung für 18bis 55-Jährige, wie es die EMA diskutiert hat – dann mit einer echten BoosterImpfung, egal, wie der Immunstatus ist, egal, ob sie ein Organtransplantat-Empfänger sind, oder ob sie Kortison genommen haben o.ä. -, generell noch einmal zu boostern, das hat die Ständige Impfkommission nicht ausgesprochen. Und ich wäre auch der Meinung, dass das nicht nötig ist. Wir haben ganz generell keine Hinweise darauf, dass es sinnvoll wäre, die gesamte Bevölkerung ein drittes Mal zu impfen. Das sind schon bestimmte Indikationen: Entweder weil jemand individuell schlechtes Immunsystem hat oder bei besonders alten Menschen oder bei Menschen, die ein besonders hohes Risiko einer Infektion haben. Z.B. in Kindertagesstätten oder Krankenhäusern oder Altenheimen.

06:01


Camillo Schumann

:

Was ich mich frage: Die Studien, die die Basis sind für beide Entscheidungen, die Genehmigung und die Empfehlungen, sind ja dieselben. Wieso kommt man denn dann zu einer unterschiedlichen Bewertung der Lage?


Alexander Kekulé:

Die Genehmigung ist immer der breitere Ansatz. Es sind ja viele Dinge erlaubt, die man aber nicht sinnvollerweise machen sollte. Da kennt ja jeder von uns Beispiele für Dinge, die man machen dürfte, aber die man nicht unbedingt machen sollte. Als Mediziner muss ich sagen: Rauchen ist so ein Klassiker. Es hat Ihnen keiner verboten, sich Zigaretten zu kaufen und jeden Tag eine Schachtel wegzupaffen. Aber es ist relativ klar, dass wahrscheinlich kein Arzt empfehlen würde, das zu machen. Und so ist es bei diesen Medikamenten auch. Der erste Schritt ist: Es muss eine Markt-Autorisierung her. Es muss erlaubt sein, die in den Verkehr zu bringen. Und dann ist es so: Wenn die dann im

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Verkehr sind, gibt es zu dieser Markt-Autorisierung die typischen genehmigten Indikationen; in diesem Fall für verschiedene Altersgruppen oder zweite Impfung, dritte Impfung usw. Und Ärzte dürfen eben – das ist eine kleine Besonderheit an diesem Beruf, die license to treat, die Lizenz zu behandeln (nicht die Lizenz zu töten). Und da darf der Arzt letztlich in völlig eigener Regie sagen: Ich nehme mal irgendein Medikament, was damit gar nichts zu tun hat, und setze das anders ein, in einer anderen Dosierung, in einer anderen Altersklasse oder auch für eine andere Erkrankung. Und das ist diese Off-label-Use. Und das hat die EMA sozusagen jetzt letztlich beendet für etwas, was schon gang und gäbe war. Aber ob es sinnvoll ist und amtlich empfohlen wird, das entscheidet bei uns die Stiko.


Camillo Schumann

:

Die Ärzte sind jetzt also auf der sicheren Seite, und die Stiko muss sich das noch anschauen, um dann eine Empfehlung abgeben zu können. Für die Immungeschwächten gibt es das ja schon, wie besprochen. Und wir warten auf die Positionierung für die Menschen zwischen 18 und 65.


Alexander Kekulé:

Ich persönlich wäre nicht glücklich, wenn die Stiko da eine allgemeine Empfehlung aussprechen würde aus vielen Gründen. Wir haben ja schon öfters darüber geredet, dass das nicht sinnvoll ist, dann noch mal drauf zu impfen, weil man wahrscheinlich nur einen kurzzeitigen Effekt kriegt. Man bekommt ja durch die momentane Stimulation des Immunsystems hauptsächlich diese angeborene Immunantwort. Die bekommt man ja sofort. Das ist eine Reaktion, die dazu führt, dass man kurzzeitig weniger leicht infizierbar ist. Das ist ggf. sogar auch dann der Fall, wenn man mit anderen Viren infiziert wurde. Das ist diese Diskussion, dass vielleicht aus dem Grund auch Kinder weniger leicht ansteckbar sind, weil sie ständig irgendwelche Infekte mit sich herumschleppen und dadurch diese angeborene Immunantwort in so einer Art Voraktivierungszustand ist. So etwas Ähnliches machen die Impfungen ja auch, gerade diese RNA-Impfstoffe. Und das ist aber ein kurzzeitiger Effekt. Und die Frage ist, bringt die dritte Impfung für Otto-Normal-Verbraucher, der ein normales Immunsystem hat,

länger als zwei bis drei Monate etwas? Das glaube ich eher nicht. Und es gibt für mich dann auch formale Probleme, denn es ist ja so: Die Länder wollen ja gerne, dass Menschen keine Lohnfortzahlung mehr bekommen, wenn sie eine Quarantäne-Anordnung durch eine öffentlich empfohlene Impfung hätten verhindern können. Wenn die Stiko etwas empfiehlt, dann ist es eine „öffentliche Empfehlung“. Formal gilt dann eigentlich die Empfehlung des Landes, weil es in Deutschland ein föderales System da ist und Gesundheit Ländersache ist. Aber die übernehmen diese Empfehlungen reflexartig. Das hieße dann, dass jemand, der sich diese dritte Impfung nicht verpassen lassen hat und dann in Quarantäne muss, der ist ja dann selber schuld ist. Der gilt ja dann wie „Impfverweigerer“. Und sie merken schon, da kommt man in die Büsche. Und deshalb, glaube ich, wäre es nicht gut, die allgemeine öffentliche Empfehlung noch mal zu erweitern.

10:14


Camillo Schumann

:

Sie malen ja gleich den Teufel an die Wand. Okay, wir haben die Entscheidung der EMA kurz bewertet, und wir warten noch auf eine mögliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission. Wir sind gespannt.

Herr Kekulé, wir müssen und sollten über die Kleinsten sprechen. Das Robert-Koch-Institut berichtet nämlich von einem starken Anstieg der Krankenhauseinweisungen bei den Einbis Vierjährigen. Konkret geht es um Infekte der oberen Luftwege. Laut RKI wurden in den Jahren vor der Pandemie im Monat September rund 60-70 Einbis Vierjährige pro Woche mit schweren Atemwegsinfektionen in Kliniken eingewiesen und aktuell seien es doppelt so viele. Das RKI rechnet auch mit einem weiteren Anstieg. Wie bewerten Sie das? Sind das Corona-Nachholeffekt? Erkranken mehr Kinder, weil sie durch die Maßnahmen ihr Immunsystem nicht trainieren konnten? Oder könnte es auch eine andere Erklärung geben?


Alexander Kekulé:

Also ganz genau wissen wir das nicht. Das ist eine Theorie, die schon immer im Raum stand, dass wir völlig ungewöhnlich die Kinder über mehr als ein Jahr vor Infektionen geschützt ha-

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ben. Dass sie dadurch ggf. ein paar Lernstunden nicht nur in der Schule verpasst haben, sondern auch bzgl. ihres. Das Immunsystem in der Kindheit lernt ja ständig dazu, es braucht bestimmte Reize. Wir wissen, dass, wenn man Kinder völlig keimfrei aufzieht, das fürs Immunsystem nachteilig ist. Und es gab schon Leute, die gesagt haben, es könnte sein, dass man dadurch diese angeborene Immunität, von der ich vorhin auch gesprochen habe, dieses ständige Aktiviertsein auf den Atemwegen, auf den Schleimhäuten der Kinder ein bisschen heruntergefahren hat, dass die einfach nichts mehr zu tun haben. Und wer rastet, der rostet. Das gilt auch für das Immunsystem im Kindesalter. Das wäre plausibel, denn wir haben tatsächlich solche Effekte, dass plötzlich allgemeine Atemwegs Viren hochgehen bei Kindern. Das haben wir z.B. auch in Israel gesehen. Da war es im Mai so, dass die dort wieder geöffnet haben, weil sie gut durchimmunisiert waren. Und dann stiegen insbesondere von dem RSV – das ist dieses respiratorische Synzytial-Virus, das im Kleinkindesalter und im Säuglingsalter gefürchtet ist – stiegen die Fälle dann massiv an. Ähnliches gab es auch in anderen Situationen, wo man die Einrichtungen aufgemacht hat und dann kurz darauf interessanterweise unabhängig von der Jahreszeit insbesondere diese RSVInfektionen bei Säuglingen und Kleinkindern hochgingen. Man weiß nicht, ob es nur ein kurzzeitiger Effekt ist, oder nicht. Oder ist es vielleicht so, dass die Kinder dadurch, dass sie keinen Kontakt hatten mit anderen Erregern regelrecht immungeschwächt sind. Oder liegt es daran, dass man dieses RSV als Kind am besten einmal im Jahr abkriegt? Das ist nicht ganz klar. Aber es könnte sein, dass wir so einen effektiven beobachten.


Camillo Schumann

:

Was ich mich frage, wenn schon im September doppelt so viele Einbis Vierjährigepro Woche mit diesen Symptomen in die Kliniken müssen – und die Erkältungssaison hat noch nicht mal richtig Fahrt aufgenommen –, da könnte sich richtig was zusammenbrauen, oder?


Alexander Kekulé:

Ich bin noch nicht so pessimistisch. Man muss dazu sagen: Diese RSV-Infektionen – Eltern kennen das wahrscheinlich – sind etwas, wo die erste Infektion immer schlimm ist. Wenn

das Kind zum ersten Mal ein RSV hat, dann ist es in der Regel richtig krank. Und dann kriegt es das fast jedes Jahr oder alle zwei Jahre wieder. Und da passiert so etwas Ähnliches, wie wir das bei Covid auch hoffen: Dass irgendwann das Immunsystem an diese Viren so gewöhnt ist, dass es die kleinen Variationen des Virustypen, die da immer wieder kommen, gut parieren kann. Und wenn man erwachsen ist, merkt man von der RSV-Infektion gar nichts mehr. Das ist der normale Zustand. Also kann es sein, dass wir so einen Aufholeffekt haben. Das ist eine richtige Saison, so wie bei der Grippe, die ist typischerweise von November bis April, also ein bisschen später. Wir haben aber in Deutschland in den letzten Jahren schon mehrmals beobachtet, dass diese RSVSaison auch schon im September angefangen hat. Das ist nicht so, dass es zum ersten Mal so wäre und noch nie vorher passiert ist. Wir hatten schon so merkwürdige Verschiebungen dieser Saison, da kann man über Klimaveränderungen oder sonst was diskutieren. Aber das gab es auch schon. Es könnte also eine normale Saisonverschiebung sein. Ich persönlich rechne damit, dass die Saison bzgl. der Atemwegsinfekte bei den Kindern natürlich schwerer sein wird als letztes Jahr und vielleicht auch ein bisschen schwerer als der Durchschnitt der Jahre vorher. Aber ich würde nicht den Teufel an die Wand malen wollen. Man sollte nicht sagen: Dadurch, dass die Kinder ein Jahr Maske getragen haben, müssen sie alle ins Krankenhaus. Das sehe ich überhaupt nicht.


Camillo Schumann

:

Könnte so einen RSV für die Kinder auch brenzlig werden, bis hin zu tödlich?


Alexander Kekulé:

Ja, das ist eine Erkrankung, die manchmal tödlich verläuft. Es ist so: Neugeborene wären besonders empfindlich dagegen, weil dieses respiratorische Synzytial-Virus in der Lage ist, die Zellen, die es befällt in den Atemwegen, miteinander zu verschmelzen. Das Virus hat ein sog. Fusionsprotein drinnen. Das fusioniert die Zellen. Die Verschmelzungen heißen dann in der Medizin Synzytien – also mehrere Zellen zusammen. Und diese sind Müll, sind kaputte Zellen. Dann kommt das Immunsystem, baut die ab in großer Menge, und dann ist Schleim und

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Ähnliches in der Lunge, in den feinen Atemwegen. Da kommt es zu Verstopfungen. Und wenn die Kinder ausatmen, haben sie dann so ein Pfeifen, was man so ähnlich auch von Asthmatikern kennt. Gerade bei kleinen Kindern, wo das alles noch eng ist und wo auch mehr Schleim in den kleinen Bronchien drin ist, kommt es dann zu Atembeschwerden, die sehr schlimm sein können. Das Gute ist, dass die Kinder in den ersten Wochen nach der Geburt einen sog. Nestschutz von der Mutter haben. Das heißt, sie haben noch Antikörper von der Mutter gekriegt. Und das mütterliche Immunsystem „weiß“, wie es mit RSV umgeht. Und deshalb sind diese Antikörper ein guter Schutz fürs Kind. Aber wenn so ein Kind als Frühchen geboren wird – und da sind typischerweise die Probleme – oder dass es andere Probleme hat, wie einen Herzfehler oder so, dann ist es so, dass dieser Nestschutz häufig nicht richtig funktioniert oder zu wenig ist. Und da kommt es dann häufiger zu tödlichen Verläufen. Um mal eine Zahl zu sagen: Normalerweise stirbt selbst im Kleinkindund Säuglingsalter höchstens 1 von 500 Kindern, das eine Erstinfektion mit RSV hat. Die zweite Infektion ist dann harmlos. Sie merken schon, es ist so ähnlich wie bei Covid. So unterschiedlich sind die Viren gar nicht. Und wenn sie Frühgeborene haben, die keinen Nestschutz haben, ist die Sterblichkeit bei 1%, bei einem schweren Herzfehler eher Richtung 5%.


Camillo Schumann

:

Aber könnte es sein, dass Kinder, die wir erst durch die Maßnahmen schützen wollten, dadurch in Gefahr sind?


Alexander Kekulé:

Ja, wenn man es auf die Spitze treibt, ist der Satz richtig. Es ist ja so, dass dieses RSV eine andere Gefahr ist. Alle normalen Viren sind natürlich immer noch da, und das Immunsystem der Kinder ist jetzt – in einem bestimmten Alter, ich rede jetzt nicht von Zehnjährigen; sondern vom Anfang, wenn das Immunsystem noch trainiert – und das hat halt ein Jahr Pause gemacht. Und wir wissen eben, dass bei diesen Virusinfektionen so ein Effekt da ist, wie wir es auch bei Covid hoffen: Je öfter man da Kontakt hatte, desto harmloser werden die Krankheitsverläufe. Das ist dann irgendwann langweilig

fürs Immunsystem. Das macht es dann sozusagen aus der Hüfte. Aber wir wissen nicht, was ist z.B. mit einem einjährigen oder zweijährigen Kind, bei dem lange gar kein Kontakt mit solchen Viren stattgefunden hat, auch nicht mit anderen Viren. Es ist ja nicht nur RSV, sondern es gibt ja eine Reihe weiterer Erkältungsviren, die sonst das Immunsystem von diesen kleinen Kindern gut in Schach halten. Das ist ja so eine Art Dauerfeuer. Jeder, der Kinder in die Kita bringt, weiß, dass sie ständig Krankheiten heimschleppen. Und das ist der normale Verlauf für das Immunsystem in dieser frühen Kindheit. Und keiner weiß, was so ein Jahr Pause da für Auswirkungen hat. Ich bin aber optimistisch. ich glaube, das wird sich wieder korrigieren. Und das wird nicht zu irgendwelchen dramatischen Verläufen führen, dass man durch RSV mehr Kinder verliert, als man durch Covid verloren hätte. Aber klar ist: Covid ist für Kinder im Prinzip eine ungefährliche Erkrankung oder meistens ungefährliche Erkrankungen. Und dieses respiratorische Synzytium RSV – wie auch die Influenza im Kleinkindalter – sind ernst zu nehmen. Man muss fairerweise für die, die es gerne spannend haben wollen, sagen: Dieses Experiment, ein paar Millionen Kinder ein Jahr lang keimfrei oder relativ keimarm zu halten, hat noch keiner gemacht in der Menschheitsgeschichte. Darum kann ich auch nicht vorhersagen, wie es ausgeht. Aber normalerweise muss man davon ausgehen, dass unser Immunsystem ein wahnsinnig raffiniertes, sehr versiertes System ist, das schon seit Millionen von Jahren bei unseren Vorgängern dafür sorgt, dass wir diese Bakterien und Viren und Parasiten und was es nicht alles gibt, was ständig um uns herum ist, abwehrt. Wenn der Normalbürger wüsste, von welcher Wolke von Mikroben wir ständig umgeben sind, die wir einatmen und schlucken usw., könnte man richtig panisch werden. Aber unser Immunsystem, ohne dass wir es merken, verteidigt uns immer dagegen. Und deshalb glaube ich einfach mal, dass so ein kleiner Break bei der Belastung mit Atemwegsinfektionen bei den Kindern auf längere Frist keinen Schaden macht. Das kann ein Effekt sein, den man die nächsten Wochen sieht. Aber ich glaube nicht, dass das etwas Langfristiges ist.

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Camillo Schumann

:

Aber kurz noch: Es betrifft die Einbis Vierjährigen. Alle danach haben schon in irgendeiner Form Kontakt gehabt und waren ja dann auch durch die Maßnahmen nicht betroffen.


Alexander Kekulé:

Die erste Infektion mit diesen Krankheitserregern – und bei RSV ist das gut erforscht – verläuft schon eher ernst. Das merken die Eltern auf jeden Fall. Das ist nicht so eine Infektion, die einfach so stattfindet, ohne dass man es merkt, sondern das Kind ist dann richtig krank und pfeift dann beim Atmen usw. Das kommt ja dann fast jedes Jahr vor. Die nächste verläuft dann deutlich harmloser. Was passiert, wenn man im schlimmsten Fall ein Jahr Pause gemacht hat mit Viruskontakt, ob das dann wieder so ähnlich wie die Erstinfektion verläuft, das kann ich nicht sagen. Ich würde sagen, genauso schlimm wird es nicht. Und die meisten sterben ja auch nicht bei der Erstinfektion. Wie gesagt, das ist höchstens 1 von 500. Und da reden wir schon von den Erstinfektionen. Das heißt, da werden ein paar schwerere Verläufe dabei sein, und ggf. ist das, was die Krankenhäuser berichten, dass sie mehr Kinder haben, die mit schweren Atemwegsproblemen eingeliefert werden. Genau das ist dieser Effekt, dass sie die jetzt eben ihre Erstinfektion verspätet haben. Aber ich gehe davon aus, dass da jeder mal seine RSV-Infektion durchmacht, die er sonst auch durchgemacht hätte, und dann ist es wieder gut.

22:07


Camillo Schumann

:

Reden wir über die Maskenpflicht für die etwas älteren Kinder, Kinder, die in die Schule gehen, die älter als vier Jahre sind. Zwei Bundesländer haben zu Wochenbeginn die Maskenpflicht an Schulen gelockert. In Berlin ist die Pflicht zum Maskentragen im Unterricht bis zur sechsten Klasse ab sofort aufgehoben. In Bayern müssen im Unterricht generell keine Masken mehr getragen werden. Im Saarland gilt das Ende der Maskenpflicht an Schulen schon seit vergangenen Freitag, und in Baden-Württemberg und Sachsen wird ernsthaft darüber nachgedacht. Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte begrüßt diese Entscheidung absolut. Der Städteund Gemeindebund hat vor einer vorschnellen Aufhebung der Maskenpflicht an

Schulen gewarnt. Wie sehen Sie das, auch mit dem Hintergrund, was wir gerade eben besprochen haben.


Alexander Kekulé:

Das ist eine wahnsinnig schwierige Entscheidung. Die kann man eigentlich nicht epidemiologisch oder virologisch treffen, denn es geht ja darum, wie sehr die Kinder unter diesen sekundären Kollateralschäden leiden, nämlich darunter, dass die Situation so synthetisch ist in der Schule, dass sie reinwachsen, so eine Generation C wie Corona, sie ständig Angst vor irgendwelchen Krankheitserregern haben müssen. Ich glaube, dass, wenn da die Pädagogen ein Wörtchen mitzureden haben, dass man dann dazu tendieren wird, diese Masken nach Möglichkeit v.a. bei jüngeren Kindern abzuschaffen, sobald es möglich ist. Ich finde eigentlich die Idee ganz gut, dass man sagt: Für Grundschüler versucht man, auf die Masken zu verzichten, weil da die psychologischen und sozialen, pädagogischen Störeffekte am stärksten sind und sie auch am wenigsten zum Infektionsgeschehen beitragen. Je jünger die Kinder, desto weniger leicht sind sie infizierbar und desto seltener geben sie auch die Infektion weiter und desto seltener haben sie ja auch Covid-Symptome, wenn man mal die Neugeborenen herausnimmt. Deshalb würde ich dafür plädieren zu sagen: In der Grundschule dann, wenn man stattdessen die Kohortierung hat, d.h. nicht die Schule als große Gruppe, sondern die ein bisschen voneinander trennt für den Fall eines Ausbruchs. Wenn man zweitens, die regelmäßigen Tests hat in vielen Bundesländern, wenn dreimal die Woche diese Lolli-Tests mit PCR macht, halte ich das für sinnvoll. Und wenn man, drittens, im Falle eines Ausbruchs nach wie vor versucht, die potentiell Infizierten nachzuverfolgen und durch Quarantäne die Ausbrüche in Kontrolle zu bringen, auch in den Schulen – es ist ja so, dass viele das nicht machen wollen – aber wenn man diese drei Voraussetzungen hat, dann glaube ich, kann man in der Grundschule auf die Masken verzichten. In der Sekundarstufe oder spätestens dann, wenn die Kinder dann so 14 aufwärts sind, meine ich, sollte man die Masken beibehalten, einfach jetzt im Herbst, um mal zu sehen, wie es weiterläuft. Ich kann das nicht sauber wissenschaftlich begründen. Aber wir sehen einfach: Immer dann, wenn wir in amerikanischen

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Bundesstaaten z.B., wenn die Maskenpflicht abgeschafft wurde – in so Settings wie Schulen oder Colleges o.ä. –, dann sind immer die Zahlen massiv nach oben gegangen. Und insgesamt bin ich dafür, nicht ständig nach links und nach rechts zu eiern in den Herbst hinein auf so einem Schlingerkurs, sondern mit ruhiger Hand geradeaus zu steuern. Und der Kurs, den wir haben, ist ja gut, der heißt 3G plus Nachverfolgbarkeit. Und in der Schule heißt es eben, dass man bei den älteren Kindern die Masken behält, bei den Jüngeren ggf. darauf verzichtet und dann mal schaut, was im Herbst passiert, wenn dieses Virus dann richtig zu voller Blüte wiedererwacht, das liebt ja die Kälte. Und in dieser Situation würde ich nicht zu viele Schleusen zugleich aufmachen, sondern lieber eins nach dem anderen.


Camillo Schumann

:

Aber wäre dann nicht die Politik der ruhigen Corona-Hand zu sagen: Mein Gott, wir machen Maskenpflicht für alle, auch für Grundschüler und weiterführende Schulen, noch einmal und mit Blick auf nächstes Jahr, da haben wir es dann hinter uns. Dass wir selbst dieses Schlupfloch nicht öffnen?


Alexander Kekulé:

Ich finde, so eine Diskussion muss man offen führen. Sie fragen einen Arzt. Ich bin bei so etwas immer dafür zu haben. Ich muss auch aus eigener Anschauung sagen: Ich habe am Anfang – mein Vorschlag ist ja schon ein Jahr alt – ich hab immer gesagt: Grundschüler lieber, wenn es irgendwie geht, ohne Maske und durch andere Maßnahmen sicherstellen, dass es da keine Ausbrüche gibt. Das war die berühmte Diskussion, wie infektiös sind überhaupt die Kinder usw. Ich habe inzwischen eigene Erfahrungen gemacht. Meine jüngste Tochter ist in der Grundschule, und deshalb habe ich mal erlebt bei ihr und bei ihren Freunden, wie das ist in dem Alter, wenn sie alle Masken tragen müssen. Meine Erfahrung ist nur eine von vielen: Die stecken das erstaunlich gut weg. Das ist den Kindern egal, die haben ihre Maske dabei, setzen die auf. Die haben die Regel verstanden und machen das einfach. Ich habe mir da, ehrlich gesagt, mehr erkennbare Traumatisierungen vorgestellt. Die Sorgen der Eltern waren da vielleicht ein biss-

chen zu groß. Aber das ist nur ein kleiner Einblick. Da muss man Leute fragen, die sich auskennen. Das ist ja immer mein Plädoyer: Da müssen im Grunde genommen die Pädagogen, die Eltern, die Virologen mit den Epidemiologen zusammensitzen und auch mit den Leuten aus den Kommunen, die das Land politisch verantworten müssen. Und da wird man einen vernünftigen Weg finden. Und da kann rauskommen: Masken weg bei den Grundschülern. Oder es kann rauskommen: Lieber erst auflassen, auf den einen Winter kommt es nicht an, nächstes Jahr sind sie sowieso hoffentlich geimpft. Und deshalb wäre das genauso möglich als Strategie. Ich halte beides für richtig, aber mir ist einfach nur wichtig der Punkt – und das widerspricht ja schon dem, was viele Bundesländer machen: Man braucht erstens definitiv die Masken in der Sekundarstufe, und man braucht zweitens die Nachverfolgbarkeit und auch die Quarantäne im Falle von Ausbrüchen. Und da liegt ja der Hase im Pfeffer, weil da ja die Tendenz besteht, das abzuschaffen und die Schule munter durchseuchen zu lassen. Und da bin ich dagegen. Dieses Experiment sollten wir lieber nicht machen.

28:26


Camillo Schumann

:

Ihr Plädoyer dafür, dass alle miteinander reden und dann eine gemeinsame Bewertung vornehmen, ist auch die Brücke zum nächsten Thema: Die Sondierung der Parteien für eine neue Regierungskoalition sind in vollem Gange. Die Corona-Pandemie hat der während des Wahlkampfes überhaupt keine Rolle gespielt. Und das, obwohl die Pandemie deutlich gezeigt hat, welchen Einfluss der Staat auf unser Leben haben kann und wie stark die Regierung diesen Alltag einschränken kann, wenn sie es für nötig hält. Ich für meinen Teil hätte erwartet, dass die Parteien während des Wahlkampfs z.B. einen Vorschlag machen, wie die Pandemie künftig besser erkannt und auch bekämpft werden sollte. Das spielte im Wahlkampf, wie gesagt, fast keine Rolle. Haben Sie auch so ein bisschen die Befürchtung, dass Pandemiebekämpfung in der neuen Regierung nicht den Stellenwert erhält, den sie bekommen sollte.

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Alexander Kekulé:

Doch, praktisch gesehen schon. Das ist ja ein Thema der Exekutive. Das eignet sich halt einfach nicht für die Art von Wahlkampf, die wir machen. Da müsste man ja mal über Inhalte reden. Und das ist es ja mit der Plakatwerbung heutzutage nicht möglich.


Camillo Schumann

: Auch in den Talkshows. Es wurde nie darüber geredet, es waren Befindlichkeiten. Es geht weiter wie bisher. Die kommen aus einer Pandemie.


Alexander Kekulé:

Die Politiker haben das gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Das muss man klar sagen: Das Thema Pandemie kam im Wahlkampf nicht vor. Mein Eindruck ist, dass es bei den Bürgern auch bei der Wahl nicht so eine große Rolle gespielt hat. Die Frage: Wer hat die meisten Toten auf dem Gewissen? Man müsste ja in Deutschland in den Spiegel schauen und sagen Wahnsinn, wir hatten über 90.000 Tote. Wir sind angetreten als eines der Länder, die am besten überhaupt aufgestellt waren, vom Gesundheitssystem her. Wir hatten ja massive Überkapazitäten. Wir hatten die Pandemiepläne in der Schublade. Unsere Fachleute haben für die ganze Welt diese Pläne gemacht. Und der ganze Westen, Europa, die USA am schlimmsten von allen, haben da versagt. So etwas will man in der Wahl nicht noch einmal diskutieren, weil da alle, wenn Sie so wollen, Dreck am Stecken hatten, außer die, die den Segen der Oppositionstätigkeit hatten. Ich glaube, dass bei den Wählern eine Rolle gespielt hat, dass sie schon berücksichtigt haben, wie sinnvoll sie die Maßnahmen fanden, mit denen wir eingeschränkt worden. Ich glaube schon, dass viele so eine Protesthaltung hatten, weil sie fanden, dass die eine oder andere Maßnahme sie gequält hat. Aber interessanterweise ist das eine andere Perspektive, als jene, die ein Epidemiologe macht. Ich würde immer fragen: Hätten wir mehr Tote verhindern können? Und wer ist daran schuld, dass wir so schlecht performt haben? Und ich glaube, der Wähler sieht es eher so: Warum ist mein Geschäft pleitegegangen? Warum gibt es meine Kneipe nicht mehr, wo ich so gerne hingegangen bin? Usw. Anhand der Gegenmaßnahmen, glaube ich, wurde die Regierung hier bewertet.


Camillo Schumann

:

Man kann nur hoffen, dass die künftige Pandemiebekämpfung und v.a. -erkennung während der Koalitionsverhandlungen trotzdem noch irgendeine Rolle spielen wird. Was wäre denn Ihre dringlichste Forderung, Ihr dringlichster Wunsch an die neue Bundesregierung in Sachen Pandemiebekämpfung?


Alexander Kekulé:

Ich habe schon länger drei Wünsche. Wenn ich die äußern darf. Sie wissen ja, der dritte Wunsch ist immer im Märchen, dass man sich wünscht, noch einmal drei Wünsche zu haben.

Um global anzufangen. Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt, wir brauchen eine globale Bio-Behörde. Wir brauchen eine Behörde, die biologische Arbeiten und Labore ähnlich kontrolliert, wie die Internationale Atombehörde in Wien das mit Kernkraft macht. Wir sehen an diesem Thema Pandemie, wie gefährlich solche biologischen Erreger sein können. Dabei ist der Corona-Erreger eigentlich völlig harmlos in der langen Liste, die wir da noch hätten. Wir haben keine deutlichen Belege dafür, dass das in Wuhan durch einen Laborunfall rausgekommen ist. Aber die Untersuchungen in den letzten Tagen und Wochen sagen zumindest eines deutlich: Was wir jetzt erleben als Pandemie, hätte auch ein Laborunfall sein können. Soweit steht es schon im Buch. Es hätte sein können, dass genau das passiert durch einen Laborunfall. Ob es einer war, das Thema ist ein heißes Eisen, da muss man länger darüber reden. Und das heißt für mich: Wir müssen einfach diese Labore und auch die Frage, was passiert mit Krankheitserregern, wie überwacht man solche Erreger im Tierreich, bevor sie vielleicht überspringen können, woran erkenne ich weltweit z.B. an Rückstellproben im Krankenhaus, dass irgendwelche neuen Erreger im Anmarsch sind? Da müssen wir was tun. Das wäre völlig fatal, wenn wir da wieder zur Tagesordnung übergehen. Das war der Wunsch Nr. 1.

33:09


Camillo Schumann

:

Ganz kurz: Was kann Deutschland da tun?


Alexander Kekulé:

Deutschland hat eine starke Wirtschaftskraft, hat in Gesundheitsfragen in den letzten Jahren – auch durch die scheidende Bundeskanzlerin

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– Profil gewonnen. Wir haben jetzt auch in Berlin – ganz neu gegründet so als Abschiedsgeschenk für Frau Merkel – ja einen PandemieHub von der WHO bekommen. Der ist zwar noch nicht am Laufen, aber der wird dann kommen. Und wenn so ein Land wie Deutschland sagt, wir wollen, dass so eine Behörde kommt, die da diese Koordination übernimmt, das wäre mal ein Anfang. Ich meine, die IAEO, diese Atombehörde ist auch nicht über Nacht entstanden. Zugegeben, das war eine Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, mit den Bombenabwürfen auch im Krieg, wo man eine andere Dynamik hatte, weltpolitisch, und wo die Weltgemeinschaft in den Vereinten Nationen so eine Konvergenz-Bewegung gemacht hat. Politisch sind wir im Moment leider in einer Divergenz-Phase, wo die Big Players geostrategische Interessen verfolgen und nicht so viel Interesse haben, sich noch einmal zusammenzusetzen und durch so eine Behörde gängeln zu lassen. Gerade die Chinesen werden da ein Problem sein, weil sie diejenigen sind, die dann viel früher die Inspektoren ins Land lassen müssten, als es diesmal der Fall war. Aber ich glaube, den Vorschlag noch einmal zu machen und zu sagen, wir brauchen und wollen so eine Behörde haben, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für so eine neue Regierung, wo ja die ganze Welt darauf schaut, was die Nachfolger der berühmten Angela machen. Wenn die Neuen so einen Vorschlag machen, wird man das hören.


Camillo Schumann

:

Okay, das war der erste. Und der zweite Wunsch?


Alexander Kekulé:

Der zweite Vorschlag ist auch schon alt, aus meiner Sicht. Und zwar müssen wir unseren Föderalismus in Deutschland reformieren. Das ist so ein altes Thema. Ich habe vor langer Zeit mal gesagt, auch schon in Zusammenhang mit einer Bundestagswahl, dass Krankheitserreger einfach im föderalen System nicht vor Grenzen Halt machen und dass das föderale System im Zeitalter globaler Seuchen sprichwörtlich lebensgefährlich ist. Und das haben wir ja plastisch erlebt. Wie viele Runden hatten wir mit dem Ministerpräsidenten, die dann zuständig waren. Dann gab es die Bundesnotbremse. Und diese ganzen Diskussionen! Wenn ich an

die schwere Welle im letzten Herbst denke, wo doch ausnahmsweise alle Experten – zumindest die, die ich auf dem Schirm habe – das Gleiche gesagt haben, und die Regierung trotzdem gesagt hat, wir machen keine Lockdowns mehr. Wir schauen uns das erst gemütlich an. Da war einfach das Problem, dass Länder und Bund auseinandergegangen sind. Und wir haben in Deutschland die Situation, dass im föderalen System die Gesundheit und auch der Katastrophenschutz Ländersache sind. Das mag an vielen Stellen sinnvoll sein. Wenn sie irgendwo einen Deich haben, der da im Norden bricht, dann verstehe ich das gut, dass das wahrscheinlich irgendjemand in Bayern nicht so viel Ahnung von so etwas hat. Und umgekehrt: Wenn die Lawinen in den Alpen abgehen, werden wahrscheinlich die Flachländer da nicht viel helfen können. Aber es gibt ja überregionale Probleme, die extrem hohe wissenschaftliche Expertise brauchen. Und dazu gehört, z.B. so eine Pandemie. Dazu gehört auch z.B. ein Reaktorunfall, wo man Fachleute braucht, die sich mit so etwas auskennen. Und noch ein paar andere Dinge. Ich will da nicht den Teufel an die Wand malen. Aber es ist so, dass man verschiedene überregionale, auch die Länder klar übergreifende Katastrophenszenarien hat, wo dann insbesondere die Fachexpertise gebraucht wird. Und die müssen sie dann bündeln. Und dass dann jeder Ministerpräsident so sein eigenes Beratungsgremium hat, das dann zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, finde ich nicht gut. Und darum bin ich der Meinung, man müsste eine neue, eine weitere Föderalismusreform anstreben. Da gibt es noch ein paar andere To-dos, die nicht von meiner Seite kommen würden. Das wäre dann bekanntlich die Dritte. Und da sollte das, was übrigens letztes Mal schon mit auf der Liste war, nämlich die Vereinheitlichung der Reaktion auf Pandemien – damals habe ich den Bundesinnenminister Schily beraten; das war auf einem Tisch und ist aber dann irgendwelchen anderen Dingen aus politischen Gründen gewichen – das sollte man noch einmal versuchen. Dass das in eine Hand kommt und dass der Bund für solche überregionalen Katastrophen dann auch die Federführung bekommen.


Camillo Schumann

:

Es gibt ja aber das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das war,

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zugegeben, während der Pandemie auffällig ruhig. Es gab die Flutkatastrophe. Da war die Performance auch ausbaufähig. Aber es gibt ja die Institution.


Alexander Kekulé:

Ja, das ist eben genau der Punkt: Sie hat nur Beratungsfunktion. Genauso wie es RobertKoch-Institut. In Deutschland ist es so: Der Zivilverteidigungsfall, Zivilschutz heißt es dann technisch gesehen, der ist Bundessache. Und der Katastrophenschutz ist Ländersache. Und das BBK, dieses Bundesamt, das hat bzgl. Katastrophenhilfe nur Beratungstätigkeit. Es ist so in gewisser Weise auch der Nachfolger des Bundesamtes für Zivilschutz, was ja im Jahr 2000 aufgelöst wurde, und insofern für den Verteidigungsfall – gehe ich davon aus – mehr als Beratungsfunktion hätte. Aber das ist eine Situation bei uns. Das BBK ist, wenn Sie so wollen, ein zahnloser Tiger. Und der Vorschlag, den ich gemacht habe, das haben Sie richtig erkannt, hätte als Nebeneffekt das Ergebnis, dass irgendein Bundesamt, ob das eine Abteilung des BBK ist oder das Robert-Koch-Institut oder eine neue Einrichtung, einfach mehr Richtlinienkompetenz hat, wie man mit so einem Erreger umgeht. Weil das Virus ja in Bayern und Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern kein anderes.


Camillo Schumann

:

Das sind doch mal Wünsche, würde ich sagen. Eine neue Föderalismusreform.


Alexander Kekulé:

Das waren erst zwei. Ich habe noch einen dritten. Da wird es dann schon langsam Abend. Aber das muss ich auch noch sagen. Das ist der wichtigste Wunsch. Er hängt ein bisschen mit den vorherigen zusammen. Sie wissen, ich war elf Jahre in der Schutzkommission. Das war dieses Gremium, was von 1951 bis 2015 sowohl die Bundesregierung als auch das Parlament, Legislative und Exekutive, beraten hat. Und zwar in Fragen des Zivilschutzes und Katastrophenschutzes. Das haben wir dann zusammen Bevölkerungsschutz genannt. Das war deshalb ein wichtiges Gremium, weil das Wissenschaftler waren, die rein wissenschaftlich vorgegangen sind. Die waren extrem unabhängig, manchmal dadurch auch unbeliebt bei der Politik, weil sie ihre eigene Meinung gesagt haben. Und sie waren interdisziplinär. Gerade

solche Diskussionen – wo wir vorhin gesagt haben, das wäre gut, wenn da jemand zusammensitzt und sowas ausdiskutiert ... Sowas haben wir in der Schutzkommission regelhaft gehabt, auch nach einem gewissen formalisierten Prozess, dass man Risikoanalysen macht und ausrechnet, was ist der größere Schaden? Und da gab es Leute, die sich mit Sprengstoff-Problemen oder Internet-Piraterie oder sonst was beschäftigt haben. Und mit Kernkraft, denn von da ist es ursprünglich gekommen. Und eben auch mit biologischen Gefahren. Da gab es eine eigene Arbeitsgruppe, die sich mit Biogefahren und solchen Sachen beschäftigt hat. Und das wäre am Anfang dieser Pandemie v.a. wesentlich stringenter gelaufen, wenn eine solche Kommission wenigstens als Beratungskommission gesagt hätte: Wir setzen uns zusammen, wir holen die Fachleute an einen Tisch und wir machen einen Plan als Vorschlag. Und dann gibt es einen Vorschlag für die Politik, nach dem sie sich richten kann. Im Grunde genommen wäre das, was damals am Anfang wahrscheinlich eine Schutzkommission empfohlen hätte – ich kann da so spekulieren, weil ich ja selber Vorsitzender dieser biologischen Arbeitsgruppe war – wäre ähnlich wie das, was wir jetzt machen. Das wäre dann am Anfang schon das Konzept gewesen. Und dann wären wir auf jeden Fall entspannter durch diese Pandemie gegangen, mit weniger Streit. Und wir hätten das gehabt, was asiatische Staaten ja auch haben, nämlich ein klares Konzept, mit dem man vorgeht. Und deshalb meine ich, die Schutzkommission, die steht ja auch im Gesetzt, Zivilschutzund Katastrophenhilfe-Gesetzt, wo die verankert ist. Die ist aufgelöst worden 2015 aus verschiedenen Gründen und ich glaube, die sollte man nach dieser Pandemie dringend mit neuen Leuten wieder ins Leben rufen.

41:32


Camillo Schumann

:

Das waren sie, ihre drei Wünsche. Wir sind gespannt, was dabei herumkommt. Und v.a. ob es denn in einer möglichen neuen Koalition auch ein Schwerpunkt sein wird. Solange wird es auch den Podcast geben. Das werden wir dann also auch noch bewerten, ob ihre Wünsche dann in die Koalitionsverhandlungen Einzug halten werden.

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Herr Kekulé, eine Pille nehmen und das Coronavirus kann einem fast nichts mehr anhaben, das ist unser nächstes Thema. Das Pharmaunternehmen Merck erprobt so eine Pille schon eine Weile und scheint dabei offenbar auch erfolgreich zu sein. Den ersten Studienergebnissen zufolge seien Patientinnen und Patienten, die das Medikament Molnupiravir innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome erhielten, nur halb so häufig ins Krankenhaus eingeliefert worden oder an der Krankheit gestorben wie diejenigen, die ein Placebo erhalten hätten. Diese Meldung verbreitete sich rasend schnell. Das Unternehmen steht auch nach eigener Aussage kurz davor, eine Zulassung zu beantragen. Und das, dass muss man auch dazusagen, obwohl diese Studie noch nicht mal gegengecheckt wurde. Wie bewerten Sie diese Meldung?


Alexander Kekulé:

Das ist vom Wirkstoff her etwas, was es schon lange gibt, seit 2018, glaube ich, da ist zum ersten Mal, das darin enthaltene Wirkprinzip getestet worden. Und das wird schon länger ausprobiert, gegen Gelbfieberviren, andere Coronaviren, übrigens auch gegen RSV, über das wir vorhin gesprochen haben, gegen Influenzaviren und noch so exotische Viren wie Chikungunya z.B., das ist so etwas, was in den Tropen eine Rolle spielt. Das ist ein älteres Wirkprinzip. Das hat überall gut funktioniert in der Zellkultur, das hat auch in kleinen Studien gut funktioniert. Das Problem bei diesen ganzen Stars, die da so hochkommen und dann gefeiert werden als Mittel gegen RNA-Viren, das das SARS-CoV-2 ist ja ein RNA-Virus, die haben oft den Nachteil, dass sie Nebenwirkungen haben. Da sind schon viele gefeiert worden und dann nach einiger Zeit wieder eingestampft worden, vom Markt genommen worden, weil man dann festgestellt hat, dass tolle Mittel gegen die Hepatitis macht die Leber kaputt oder die Nieren kaputt. Es gab Medikamente – auch gegen AIDS z.B. –, die damit verwandt waren. Die haben dann auch Leberschäden gemacht u.ä. und mussten wieder weg, sodass sich bei diesen Mitteln immer sage: Gut ist, dass es wirkt. Das ist schon mal toll. In der Virologie haben wir nicht so viele Wirkstoffe, die diese Viren an der Vermehrung hemmen. Aber das Entscheidende wird sein, wie das Nebenwir-

kungsprofil ist und ob das ein sicheres Medikament ist. Und das kann man jetzt natürlich noch nicht sagen.


Camillo Schumann

:

Und das ist genau der Punkt: Man liest dann solche Schlagzeilen wie: „Eine Tablette gegen Corona“ oder der „Wirkstoff halbiert Hospitalisierungsquote“. Das hört sich an, als hätte man den großen Durchbruch im Kampf gegen Covid.


Alexander Kekulé:

Ich glaube, ein erster Schritt ist es schon, weil man erstmals ein Wirkprinzip hat, das überhaupt gegen Viren geht. Gegen Bakterien haben wir Antibiotika. Da gibt es ja viele, die funktionieren zum Glück in der Regel. Und gegen Viren haben wir nur ausnahmsweise etwas. Und dieses Medikament funktioniert so, dass es letztlich dieses Enzym, was das Virus braucht, um seine eigene Erbinformation zu kopieren, das es dieses RNA-Kopier-Enzym stört. Das Problem ist nur, dass so ein Kopieren oder so eine Herstellung von RNA auch in normalen Körperzellen gebraucht wird, insbesondere in den sogenannten Mitochondrien. Das waren diese kleinen Energie-Zellen in der Zelle drin, die Kraftwerke der Zelle. Die reagieren relativ empfindlich darauf, wenn man sie dabei stört, RNA herzustellen. Und deshalb ist es so, dass diese Medikamente, die diesen Mechanismus bei Viren blockieren, immer auch mehr oder minder starke Nebenwirkungen haben. Was wir auch wissen von dieser speziellen Substanz – eine eng damit verwandte Substanz ist schon ein paar Jahre im Einsatz oder zumindest in Erprobung – ist: Da gibt es Hinweise, dass das fruchtschädigend sein könnte, also in der Schwangerschaft den Nachwuchs angreifen könnte. Wir sagen technisch gesehen „teratogen“ dazu. Darum ist z.B. bei der Studie – und das ist dann immer so das Kleingedruckte in den Meldungen: Die hatten 775 Patienten, also eine kleine Zahl, von denen nur die Hälfte jeweils das Mittel gekriegt hat; d.h. weniger als 400 haben das Mittel gekriegt. Das ist so eine Sache. Es waren leicht erkrankte Patienten, die leichtes oder mittelschweres Covid hatten, keine schweren Verläufe. Und da hat man von vornherein gesagt: Okay, die Männer müssen auf jeden Fall sicherstellen, dass sie

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während der Studie keine Kinder zeugen dürfen, oder wie es dann in der Studie heißt, sie dürfen also keinen heterosexuellen Geschlechtsverkehr haben. Und die Frauen müssen verhüten. Aus Sicherheitsgründen hat man das gesagt, weil man bei diesen Medikamenten nicht weiß, wie das mit den Nebenwirkungen wird. Und deshalb kann man schon mal sagen, das ist noch ein offenes Buch, wo dann nach und nach reingeschrieben wird, was die Nebenwirkungen sind, man weiß es noch nicht genau. Und das andere ist eine praktische Frage: Die haben in der Studie nicht nur eine Pille, sondern vier Pillen am Tag genommen. Und das zweimal, zweimal vier Pillen täglich macht acht Stück pro Tag. Das ist viel, und zwar fünf Tage lang, nach dem allerersten Beginn der Symptome. Und dann hat man festgestellt, wie sie es schon gesagt haben, dass die Krankenhauseinweisungen halbiert wurden. Und bei den Todesfällen war es so, dass in der Behandlungsgruppe, die das Medikament genommen haben, überhaupt kein Todesfall war. Und in der sogenannten Placebo-Gruppe, die also eine Attrappe bekommen haben, waren acht Todesfälle. Das ist schon ein krasser Unterschied bei insgesamt 750 Patienten. Und daraufhin haben die eben gesagt – das macht da eine Kommission, die solche Studien immer überwacht – die haben gesagt: Okay, Abbruch. Wir können das ethisch nicht weiter verantworten, der Hälfte ein Placebo zu geben, weil da sind ja schon acht tot. Und wir können nicht zuschauen, wie weitere Menschen sterben, weil wir denen das Medikament vorenthalten. So gesehen: Ja, das scheint wirklich gut wirksam zu sein. Übrigens auch gegen die Delta-Variante, auch gegen die μ-Variante, die in den USA zu dem Zeitpunkt, wo das ausprobiert wurde, vorhanden war. Aber wir haben v.a. bzgl. der Nebenwirkungen Fragezeichen. Und das ist halt ein bisschen die Frage. Man muss das ganz früh nehmen, das ist wichtig. Vielleicht erinnern sich einige an das Tamiflu und Relenza bei Influenza. Die musste man gegen die Grippe nehmen, die gibt es ja auch noch. Aber es wirkt nur, wenn man es am Anfang nimmt. Und so ist es hier auch. Dieses Mittel wirkt ganz am Anfang, wenn bei einigen Menschen diese angeborene Immunantwort so ein bisschen schlecht in die Gänge kommt, v.a. bei Älteren, und sich dadurch das Virus am Anfang

stark vermehren kann. Und wenn das Virus sich im Körper vermehrt hat und verbreitet, dann kommen ja irgendwann diese Antikörper und die T-Zellen, die dann alles plattmachen, diese sogenannte adaptive Immunität. Und wenn schon zu viel Virus da ist und schon überall im Körper ist, weil die erste Stufe nicht richtig funktioniert hat, dann kommt es zu diesen autoimmunologischen Prozessen, bei denen man diese Covid-Symptomatik, diese schweren Verläufe hat, als Autoimmunerkrankung. Und da hilft es, wenn man am Anfang dem Immunsystem ein bisschen mehr Zeit verschafft, indem man die Virusvermehrung bisschen blockiert durch dieses Medikament. Und dann hat die adaptive Immunantwort mehr Zeit, sich zu entwickeln. Und wenn die dann sich entwickelt hat, ist noch nicht so viel Virus da, weil das ja unterdrückt wurde. Alles schön und gut. Aber das hieße ja, Sie müssten im Grunde genommen das jedem geben, der irgendwie CovidSymptome hat, wissend, dass 99% gerade von den Jüngeren überhaupt keine schweren Verläufe zu erwarten haben, geschweige denn Todesfälle. Und wenn Sie es später geben, wenn man erst sieht, hups, das wird ein bisschen schwerer, dann ist es zu spät. Sie merken schon: Ich bin ständig dabei, ein bisschen Essig einzuschütten. Es ist so, dass es eine zweite Studie gab. Da hat man Krankenhauspatienten genommen. Die gab es schon vorher. Und da hat man festgestellt, es macht überhaupt keinen Unterschied, ob man dieses Medikament nimmt oder nicht, weil das immer schon zu spät ist, wenn die Leute ins Krankenhaus kommen. Da ist dieser Effekt nicht mehr da. Wer soll das also nehmen?


Camillo Schumann

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Das ist genau die Frage: Wer ist eigentlich die Zielgruppe, das ist ja dasselbe Problem wie bei den monoklonalen Antikörpern, die – zu spät gegeben – überhaupt keine Wirkung haben. Aber es ist so mindestens breiter aufgestellt, diese Wirkung des Medikaments.


Alexander Kekulé:

Es ist viel breiter aufgestellt. Bei den monoklonalen ist es so, dass sie an Wirksamkeit verloren haben, dadurch, dass die Delta-Variante kommt. Einige funktionieren noch ganz gut. Das ist dieses Medikament von Regeneron z.B., das sogenannte Donald-Trump-Medikament,

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wo dieser gesagt hat: Er will, dass jeder Amerikaner dazu Zugang hat. Da muss man nur sagen, das kostet 2.100 Dollar pro Patient. das ist nur eine Dosis, die wird infundiert. Das sind Antikörper und die kriegt man als Infusion und dann ist gut. Das ist noch besser. Dieses Medikament von Regeneron reduziert die Sterblichkeit um 70-85 %, je nach Studie. Das ist noch besser als das, was wir von diesem Molnupiravir hören. Aber es ist teurer und es muss intravenös gegeben werden. Und wenn Sie nicht zufällig Präsident von irgendeinem Land sind, wird das nicht so einfach sein, da mal schnell ranzukommen, wenn Sie das erste Kratzen im Hals haben. Das wird sicherlich, wenn ich mal so sagen darf, der Monoklonal für die Armen, der Antikörper, den sich mehr Leute leisten können. Merck hat gesagt: 700 Dollar pro Nase. Das ist nicht billig, aber noch viel billiger, also ein Drittel von dem, was die Antikörper kosten. Es wird so sein, dass das Medikament auf jeden Fall von Staaten gekauft wird im großen Stil. Die Amerikaner haben schon gesagt, sie wollen das einkaufen. Ich persönlich muss sagen, ich weiß nicht, ob das ein Game Changer wird in dieser Sache, weil unklar ist, wer es nehmen soll. Selbst wenn es wenig Nebenwirkungen haben sollte, wenn er fast keine Symptome hat und sich um eine Erkrankung handelt, die in der Regel harmlos verläuft.

52:14


Camillo Schumann

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Kommen wir zu den Hörerfragen: Frau E. hat angerufen. Sie ist eine sehr rüstige ältere Dame mit folgender Frage:

„Ich bin 81 Jahre, gesund, keine Vorerkrankung, und stehe vor der Frage – und mit mir sind es mehrere Bekannte gleichen Alters: Sollen wir nach dem halben Jahr, ohne dass wir vorerkrankt sind, die dritte Impfung durchführen lassen? Oder soll ich noch warten. Ich frage deshalb, weil die Stiko noch keine Empfehlung gegeben hat.“

Erst einmal Respekt: Mit 81 keine Vorerkrankungen. Da habe ich ja schon mehr auf dem Kerbholz.


Alexander Kekulé:

Die Laborärzte sagen immer zynisch: Lassen Sie mich mal Blut abnehmen. Ich finde schon was.

Gratulation zum guten Gesundheitszustand! Wir wissen grundsätzlich, dass bei älteren Menschen das Immunsystem häufiger mal nicht so richtig anspringt auf die normalen zwei Impfdosen. Darum ist die grundsätzliche Überlegung, eine dritte Impfung zu geben im Alter ab 65. Das ist nicht völlig verkehrt. Ich möchte aber ehrlich gesagt jetzt nicht der Stiko vorgreifen. Sondern ich gehe davon aus, dass dazu bald eine Empfehlung kommen wird. Das hängt ein bisschen auch mit der Verfügbarkeit des Impfstoffs ab. Und ich würde mal sagen, ob man mit 65 das schon machen muss, da würde ich ein Fragezeichen dranmachen. Aber mit 75 auf gut Glück eine dritte Impfung zu empfehlen, da stehen eigentlich alle Zeichen gut dafür, insbesondere dann, wenn man sechs Monate gewartet hat. Wir wissen: Je länger man vor dieser dritten Impfung wartet, desto besser ist der Effekt. Ich sage absichtlich nicht Booster-Impfung, das wäre dann so, dass man sagt, aufgrund der zu erwartenden schlechteren immunologischen Reaktionen ist es eine echte dritte Impfung, die zum Basisprogramm gehört, und ist kein Booster, wie bei den anderen. Sie hören schon so durch: Ich hätte absolut nichts dagegen. Ich würde aber ungern im Podcast Empfehlungen geben und der Stiko vorgreifen.

54:28


Camillo Schumann

:

Bei der nächsten Frage habe ich lange überlegt, ob ich die auswähle oder nicht. Aber ich habe es mal gemacht. Herr S. aus Halle hat gemailt, und er will wissen:

„In frühen Ausgaben [des Podcasts] wurde hin und wieder dargestellt, dass SARS-CoV-2 grundsätzlich auch im Kot der Menschen nachweisbar sei.“

Und jetzt kommt es:

„Wie verhält es sich nun mit Flatulenzen? Muss ich beim Geruch eines fremden Furzes die Kontamination mit infektiösen Aerosolen fürchten? Viele Grüße, Herr S.“

Ich habe mir überlegt, ob Herr Siegert uns ein bisschen auf dem Arm genommen hat. Aber ich fand seine Herleitung der Frage gar nicht so absurd.

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Alexander Kekulé:

Kinder würden auch so denken. Ich weiß noch nicht, ob das so jugendfrei ist. Aber ich glaube, wenn ich darüber nachdenke, ist alles in Ordnung. Die Antwort ist: Nein, natürlich nicht. Erstens muss man dazusagen: Es ist nicht so, dass immer, wenn man etwas riecht, auch durch seine FFP-Maske, dass das heißt, das die Viren auch durchgehen. Es gab mal einen prominenten Virologen, der das behauptet hat. Das stimmt aber nicht. Es ist so, dass die Viren viel größer sind als die Geruchspartikel. Und die Viren hängen v.a. immer an irgendwelchen Staubpartikeln oder Tröpfchen dran. Deshalb können FFP-Masken, diese klassische FFP2Maske, die kann Viren abhalten, aber trotzdem riecht man etwas, wenn man in der Kantine steht oder wenn jemand nebenan Verdauungsprobleme hat, wie es erwähnt wurde. Ja, es ist so, dass in der Tat die Corona-Viren im Stuhl auch nachweisbar sind, in bestimmten Phasen der Erkrankung. Das muss man sich aber so vorstellen: Die kleben ja da drinnen. Und wenn wir Virologen die nachweisen, dann holen wir die da raus. Ich gebe keine Details. Aber das wird dann im Labor gemacht, dort wird der Stuhl analysiert, und die Viren werden da rausgeholt, um sie zu untersuchen. Das passiert bei Wind-Abgang nicht, da gibt es keine Aerosolbildung. Diesen Parfümzerstäuber-Effekt, den unsere Nase beim Niesen oder auch beim Sprechen unsere Stimmbänder haben – so ein Organ haben wir dann weiter unten nicht noch mal. Und daher ist es so, dass es keine infektiösen Viren gibt, die da verbreitet werden.


Camillo Schumann

:

Wind-Abgang, großartig.


Alexander Kekulé:

Sonst müsste man noch eine Unterhose mit FFP2-Maske erfinden.


Camillo Schumann

:

Prima, haben wir das auch mal geklärt.

Wir stellen alle Fragen und beantworten auch alle Fragen. Ja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 226. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.


Alexander Kekulé:

Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.

Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen – völlig egal was? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Und an dieser Stelle eine Podcast-Empfehlung: Hören Sie doch mal in Rechthaber rein, den Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Folge geht es um Änderungen im Inkassowesen, die zum ersten Oktober in Kraft getreten sind. Was sich für Schuldner ändert – der Rechthaber. Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 1. Oktober 2021 #225


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 1. Oktober 2021

Gibt es Menschen, die sich einfach nicht anstecken können?

Was muss man über die My-Variante wissen?

Schwerwiegende Nervenkrankheit nach Impfung gibt es möglicherweise einen Zusammenhang?

Wie gefährlich sind Trägerstoffe im Impfserum. Und reicht eine Impfung für Jugendliche als Basisschutz?


Camillo Schumann


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés-Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé!


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Frau L. hat angerufen. Sie hat eine 14-jährige Tochter und folgende Frage:

„Meine Tochter ist 14, hat allergisches Asthma. Ich habe sie im August impfen lassen. Sie hat also die erste bekommen und hat sie auch gut vertragen. Und meine Frage ist jetzt: Ist es totaler Unsinn? Oder ist es vielleicht sogar gar nicht so verkehrt zu sagen: wir belassen es jetzt bei dieser einen ersten Impfung, weil ein Basisschutz ist ja wohl gegeben gehe ich davon aus und warten einfach noch mal ab und gewinnen dadurch noch Zeit, um noch abzuwarten, wie

es weitergeht mit den Impfstoffen, wie die Verträglichkeit sein wird und auch mit der ganz Gesamtsituation.“

Ein nachvollziehbarer Gedankengang. Was meinen Sie also?


Alexander Kekulé

Abwegig ist es nicht. Aber man muss natürlich Folgendes dazu sagen: es ist so, dass bei Kindern und Jugendlichen kommt es ja wirklich in erster Linie darauf an, die Infektion zu verhindern. Also da ist es ja nicht so sehr die Frage, wie schwer werden die krank? Die kriegen normalerweise keine schweren Symptome, sondern man lässt sie in erster Linie impfen, damit sie niemanden anders anstecken, damit in Schulklassen weiter Unterricht gemacht werden kann und diese Dinge. Und damit hängt natürlich auch zusammen, dass sie quasi ein Impfzertifikat brauchen. Weil nur dann haben sie ja die ganzen Vorteile, die man durch die Impfung bekommt. Aus den Studien wissen wir, dass bei jungen Menschen mit einer Impfung, also nach der ersten Dosis, eigentlich kein signifikanter Unterschied ist zu der ersten Dosis bei Erwachsenen. Das heißt, die erste Dosis reicht insbesondere bei der Delta Variante noch nicht aus. Vor allem, wenn man eben Richtung Infektionsschutz, also Schutz vor Infektionen, im Gegensatz zu Schutz vor schwerer Erkrankung schaut. Und deshalb würde ich schon raten, denjenigen, die sich einmal entschlossen haben, die erste Impfung zu machen, dann auch die zweite zu machen. Wenn jemand die erste halbwegs gut vertragen hat, dann ist es fast immer so, dass die zweite auch gut vertragen wird.

02:38


Camillo Schumann


Frau D. hat eine Mail geschrieben. Sie schreibt:

„Ich habe es als vollständig Geimpfte eigentlich immer so gehalten, dass sich vor dem Besuch meiner Großmutter die ist 94 vorsichtshalber doch noch einen Schnelltest gemacht habe, um sie nicht doch unbemerkt zu infizieren. Auch sie ist natürlich vollständig geimpft, aber aufgrund

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des Alters weiß man ja nicht, wie gut die Immunantwort ausgefallen ist. Nun hat mir eine Freundin erzählt, dass es sinnlos ist, diesen Test durchzuführen, da er keine Infektion anzeigen könne, weil die Viruslast bei vollständig Geimpften und viel zu niedrig sei. Stimmt das? Viele Grüße, Frau D.“


Alexander Kekulé

Ja und Nein also es ist so, dass in der Tat vollständig Geimpfte in der Regel weniger Virus ausscheiden, wenn sie es überhaupt machen. Das ist ja nur bei vielleicht einem bis fünf von zehn dann der Fall. Und zweitens ist es so, dass diese Virusausscheidung nur sehr kurz ist. Aber wir haben einzelne Berichte, einzelne Beobachtungen, wo tatsächlich auch vollständig Geimpfte, kurzzeitig mal eine hohe Viruskonzentration haben können, sogar genauso wie Ungeimpfte. Das ist der Grund, warum wir tatsächlich wahrscheinlich sogar die Möglichkeit von Superspreading in totalen Ausnahmen auch mal beim vollständig Geimpften haben, es ist eine extreme Ausnahme aber nicht auszuschließen. Und deshalb ist es eigentlich, wenn man jetzt diese zusätzliche Sicherheitsebene einziehen will, mit den Schnelltests das ist natürlich sozusagen wirklich doppelt gemoppelt aber wenn man das machen will, dann ist es durchaus sinnvoll. Und zwar deshalb, weil man ja genau die Tage erwischen würde, an denen die Viruslast so hoch ist, die Virusausscheidung so hoch ist, dass die Möglichkeit besteht, die Großmutter anzustecken.


Camillo Schumann


Und wenn man sich mal überlegt, wie kurz dieser Zeitraum ist, sollte man dann trotzdem auf Nummer sicher gehen oder sagen das ist jetzt wirklich zu vernachlässigen?

04:27


Alexander Kekulé

Ja, das habe ich die gerade so ein bisschen überlegt. Ob das dann noch sinnvoll ist. Also ich finde, das muss so ein bisschen jeder selber wissen. Wir sind ja auch ganz unterschiedlich. Manche Menschen gehen niemals zwischen zwei Ampeln über die Straße, aus Sicherheits-

gründen immer vor bis zur Ampel. Interessanterweise hat man das Gefühl sind manchmal doch eher die Älteren, die dann die Abkürzung nehmen zwischen den Ampeln. Warum das ist, weiß ich nicht, aber das ist individuell unterschiedlich. Also jeder hat ein anderes Bedürfnis, sich sozusagen abzusichern. Ja, es ist eine zusätzliche Sicherungsstufe. Ob man die jetzt unbedingt braucht, kann ich nicht allgemein beantworten. Ich selber würde es nicht machen, weil ich finde dieses Gefühl, dass man jetzt einfach: jetzt sind wir geimpft alle beide jetzt, jetzt ist sozusagen mal Schluss mit Corona. Das entspannt auch sehr viel im persönlichen Verhältnis auf der anderen Seite klar, ein Restrisiko bleibt dann. Und wenn man das nicht in Kauf nehmen will, dann muss man halt diese Schnelltests machen.

05:25


Camillo Schumann


Herr K. hat es gemailt und folgende Frage:

„Ich lasse mich gegen die meisten empfohlenen Krankheiten impfen, weil ich davon ausgehe, meinem Körper etwas Gutes zu tun. In einem Gespräch mit meiner Frau sind wir jedoch auf das Thema Trägerstoffe im Impfserum gestoßen. Jetzt die Frage: ist es wirklich so, dass bestimmte Stoffe, die zum Transport des Impfstoffs an die richtige Stelle im Körper benötigt werden, nicht abbaubar sind, sich ansammeln und sich auf lange Zeit einlagern? Können diese Stoffe sogenannte Impfschäden hervorrufen? Stellen diese Einlagerung eine Gefahr für mich da? Wenn ich mich mit den meisten empfohlenen Impfungen impfen lasse? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Also hier geht es möglicherweise nicht nur um Covid, also wenn die meisten empfohlenen Impfungen – das sind ja ganz viele, die nichts mit Covid zu tun haben. Wir haben in der Tat zum Teil Trägerstoffe in diesen Impfstoffen mit dabei. Das würde jetzt sehr weit führen, die alle aufzuzählen, der einzige, wo manchmal diskutiert wurde in der Vergangenheit, ob es das schädliche Ablagerungen gibt, ist das sogenannte Adjuvans, also der Wirkverstärker, der da manchmal mit drinnen ist. Und das sind so

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Aluminiumsalze, Aluminiumhydroxid und Ähnliches. Da gab es vor vielen Jahren mal die Theorie, ob sich das irgendwo ablagert und neurologische Erscheinungen macht und so, dass es rauf und runter untersucht worden. Und man hat wirklich nichts gefunden. Und man muss sagen, das sind ja Impfstoffe, die bei Kindern im frühen Jugendalter eingesetzt werden und wo man dann Erfahrungen inzwischen über das ganze Leben hat, von ganzen Generationen und wo es keine statistische Korrelation mit irgendwelchen Schäden gab. Deshalb würde ich jetzt mal sagen: bei den Impfstoffen, den Deutschland zugelassen sind, ist die Gefahr, dass man durch Trägerstoffe, die sich irgendwie ablagern, Probleme kriegt, praktisch Null. Das kann man wirklich vernachlässigen. Das ist rauf und runter untersucht worden, weil diese Hypothese im Raum stand. Vielleicht kann ich aber trotzdem zu Covid kurz was sagen, weil darüber ja auch viele nachdenken. Da gibt's wirklich im Internet so Verschwörungstheorien, das sogenannte Nanopartikel da drinnen wären also so ganz kleine Partikel, die man auch aus Horrorromanen, von Michael Crichton und Ähnliches kennt. Und da ist die Idee dann, dass die irgendwo sich ablagern oder Störungen machen. Da kann ich nur sagen, dass das haben sich irgendwelche Fantasten ausgedacht. Das ist wirklich nicht der Fall. Und bei den RNA-Impfstoffen für Covid, da gibt es ja die Lipid-Nanopartikel außen rum als Trägerstoff, also so kleine Fettbläschen, und die werden definitiv abgebaut. Also das sind sehr, sehr Körperähnliche Substanzen, so ähnlich wie die Körperfette. Und die werden abgebaut. Und da lagert sich nichts ab.


Camillo Schumann


Weiß man denn, wie schnell die abgebaut werden?


Alexander Kekulé

Bei den Lipid-Nanopartikeln ist es so, die werden ja benötigt, um das noch einmal zu sagen, damit diese RNA, die da drinnen ist, überhaupt in die Zielzelle rein kann. Nach der Injektion musste an die Muskelzelle rein und dort dann das Protein hergestellt werden. Und die sind

deshalb von der Struktur her so, dass die quasi innendrinnen die RNA haben – mit einem ganz bisschen Wasser dabei und ein positiv geladenes Fettmolekül. Und außenrum ist so eine kleine Hülle aus neutralen Fettmolekülen, unter anderem Polyethylenglykol, falls es jemand schon mal gehört hat. Dieses PEG macht manchmal Allergien, aber extrem selten. Aber das ist der Grund, warum wir über Allergien reden. Und dieses ganze Ding wird eigentlich sehr, sehr schnell also innerhalb von Stunden, spätestens nach Tagen komplett abgebaut. Das ist dann wirklich weg, was passiert ist, dass der Körper manchmal das umbaut, interessanterweise und dann so seine eigenen Fettpartikel draus macht. Und da die RNA, die er da aufgenommen hat, noch mal selber neu verpackt, quasi. Das sind aber dann körpereigene Substanzen, sodass man auch hier davon ausgehen kann. Das ist ein Effekt von wenigen Tagen, wesentlich kürzer als die Immunreaktion, die die hält noch wesentlich länger an.


Camillo Schumann


Also unterm Strich: die Einlagerung stellt keine Gefahr für den Organismus dar.


Alexander Kekulé

Nein, wenn wir jetzt von den RNA-Impfstoffen sprechen, den Covid Impfstoffen sprechen, da ist es so, dass es wirklich null Gefahr. Und da kann man über allergische Reaktionen und sowas sprechen. Aber diese Einlagerung ist da kein Thema. Und bei den anderen Impfstoffen, wo der Herr K. glaube ich, ein bisschen darauf abgestellt hat, die es schon länger gibt. Da gab es diese Theorie mal bezüglich der Wirkverstärker der Adjuvanzien. Aber das ist wirklich vom Tisch, zumindest für die Adjuvanzien, die in zugelassenen Impfstoffen drin sind.


Camillo Schumann


Die Frau K. hat angerufen. Sie verfolgt alle Entwicklungen rund um das Virus sehr, sehr genau. Nun hat sie den Bericht der Weltgesundheitsorganisation gelesen, wonach eine neue Virusvariante beobachtet wird. Und dazu hat Frau K. folgende Frage:

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„Ich habe die Frage zu der Corona-Variante B1.621 genannt My, die Anfang des Jahres in Kolumbien aufgetreten ist und von der WHO mittlerweile beobachtet wird. Davon habe ich noch nichts im Corona Kompass gehört und würde mich für die Meinung von Professor Kekulé interessieren, wie er deren Gefahr einschätzt, insbesondere auf das Potenzial einer weiteren Beschleunigung der Pandemie und der Impfdurchbrüche.“

Kleine Informationen von meiner Seite: die My-Variante in Deutschland in den vergangenen Wochen null Mal nachgewiesen, bei einem Gesamtgenomsequenzierunganteil von neun Prozent an einen PCR-Test. Vielleicht hat man sie ja auch übersehen, aber eher unwahrscheinlich. Oder?


Alexander Kekulé

Nein, das glaube ich nicht, dass man sie übersehen hat. Da hat mich die Hörerin wirklich erwischt an der Stelle. Es ist so, dass ich natürlich diese My-Variante auch von Anfang an auf dem Schirm habe. In Kolumbien hat man ja da eine sehr, sehr große Welle gemacht, so: Hallo. Jetzt haben wir auch eine Variante entdeckt schaut mal her. Nebenan in Brasilien ist ja, dass Thema der dort P1-Variante großes Thema gewesen. Und es ist tatsächlich so gewesen, dass die in Kolumbien, wenn die Zahlen dort stimmen, sich in kürzester Zeit sehr, sehr stark verbreitet hat. Und das hat auch die Sorge der Weltgesundheitsorganisation dann begründet, warum die dann als Variante unter Beobachtung quasi bezeichnet wurde. Es ist keine, variance of concern also keine, die man sozusagen bedenklich findet, aber eine, die man auf dem Schirm hat. Das ist dann vor allem in den USA durch die Presse gegangen. Und die deutschen Medien schreiben immer sehr gerne von amerikanischen Leitmedien ab, und dadurch war das jetzt überall: Hu, jetzt kommt quasi der Nächste. Delta war gestern heute ist My. Und ich habe das absichtlich in diesem Podcast bis heute totgeschwiegen, weil ich einfach nicht der Meinung bin, dass das ein relevantes Potenzial hat. Ich wollte mir das erst mal anse-

hen, bevor man sich hier quasi in diese allgemeine Hysterie mit einklinkt. Warum war man überhaupt beunruhigt? Erstens wegen der Daten aus Kolumbien, wo ich aber Zweifel habe, ob das so eins zu eins quasi zu übernehmen ist, weil da hätte sich die My-Variante quasi explosionsartig ausgebreitet. Woanders war das nicht so in den Nachbarländern. Auch in den USA war das nur phasenweise so in Kalifornien, dass man die gesehen hat. Und in der Tat wenn man jetzt rein genetisch die Variante sich ansieht, dann sieht man in diesem S-Protein mehrere Eigenschaften, die so eine Mischung sind aus dem Delta, was wir ja jetzt überall haben, was ursprünglich mal in Indien aufgetreten ist, und dem Beta aus Südafrika. Das heißt also zwei Varianten, die beide die Fähigkeit haben, ziemlich gut das Immunsystem auszutricksen und Reinfektionen zu machen. Jetzt muss man aber sagen, diese rein genetische Vorhersage, wenn ich mal so sagen darf, die hat sich nicht bewahrheitet. Es gab weltweit Wellen mit diesem My. In Europa, paar einzelne Fälle in Deutschland zuletzt gar keine. Aber ich glaub, an einer Hand kann man abzählen, wie oft wir bei uns My gefunden haben. Wir gucken ja inzwischen ganz gut nach, auch in Deutschland. In USA gab es eine Welle. Aber wenn man sich das anschaut, spätestens jetzt so seit Mitte Ende September, ist diese Welle einfach weg. Das My kam und verschwand wieder. Wir haben im Moment kaum noch ein Nachweis irgendwo auf der Welt von diesem My, obwohl ja jetzt im Herbst überall die Infektionen wieder anziehen. Delta hat sich gegen My, wenn man so sagen darf, durchgesetzt. Ich weiß nicht, ob wir da den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben haben. Aber diese My-Variante, die also hier als Teufel an die Wand gemalt wurde, hat bis jetzt nicht gehalten, was einige Leute in Kolumbien und auch bei der WHO versprochen hatten.

14:07


Camillo Schumann


Okay, also Entwarnung, muss man sich jetzt keine Gedanken machen. Auch die Gefahr, dass diese Variante die My-Variante zurückkommt, ist eher unwahrscheinlich?

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Alexander Kekulé

Das weiß man natürlich nicht. Ich halte mich bei Prognosen immer schlau zurück, um dann hinterher sagen zu können, ich habe ja keinen Fehler gemacht. Das ist manchmal ganz gut, jetzt da keine Wettervorhersage zu machen. Aber vielleicht kann ich noch eins hinterher setzen. Es gibt gerade eine aktuelle Studie aus Yokohama in Japan, die haben mal geguckt wie ist es bei Menschen, die geimpft wurden? Deren Serum kann das denn diese My-Variante im Labor neutralisieren. Und da haben sie festgestellt, dass die Neutralisation schlechter ist als bei dem ursprünglichen Typ, den B1, der aus Norditalien letztlich stammt. Der Vergleich ist so, dass dieses B1 in diesem speziellen Essay 96 Prozent Neutralisierung gemacht hat, also bei 96 Prozent der Menschen, quasi mit 96 Prozent waren durch die Impfung geschützt, und bei My waren es noch 76, 20 Prozent weniger. Das ist der gleiche Wert, den man ungefähr von der südafrikanischen Variante kennt. Das klingt ein bisschen beunruhigend, aber letztlich ist es so: dieser Schutz ist so hoch definiert. Da hat man eine Schwelle genommen, wo man wirklich weiß, ab dieser Schwelle sollte es keine Impfdurchbrüche mehr geben, dass man sagen kann, wenn da die Impfung zu 76 Prozent gegen My schützt, dann hat diese Variante keine Chance, sich bei Geimpften wirklich durchzusetzen.


Camillo Schumann


Frau S. hat gemailt:

„Wir erfuhren kürzlich, dass ein guter Bekannter von uns an ALS erkrank ist, der Bekannte ist Anfang 70, er erschien uns immer bei bester Gesundheit und Vorerkrankung sind uns nicht bekannt. Im Januar wurde er gegen Corona geimpft. Wir wissen leider nicht, mit welchem Impfstoff. Vier Wochen später erkrankte er an ALS. Nun sind wir sehr erschrocken, ob es da möglicherweise einen Zusammenhang geben könnte und würden uns sehr freuen, von Professor Kekulé eine Einschätzung zu bekommen. Viele Grüße, Frau S.“


Alexander Kekulé

Tja, also ALS ist keine so tolle Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose heißt es. Das ist eine Erkrankung, wo quasi Nervenzellen, die die Muskulatur steuern, aus irgendwelchen Gründen zugrunde gehen. Da findet man schon lange bekannt so kleine Bunina Bodies heißen die so kleine Müllhaufen in den Zellen eigentlich, und man weiß nur, dass aus irgendwelchen Gründen sich dieser Dreck in diesen Nervenzellen ansammelt. Und dann kommt es eben entweder zu schlaffen Lähmungen oder zur spastischen Lähmungen. Und die schreiten unterschiedlich schnell fort bei jedem Einzelnen. Aber es ist eine schlechte Prognose, bekannt geworden durch Stephen Hawking vielleicht. Der berühmte Physiker hatte das. Und bei dieser Erkrankung die ist natürlich bei den Neurologen auf dem Schirm, weil es eine schwere Erkrankung ist. Und da kann ich nur sagen, wenn das ein häufigeres Phänomen wäre, was sich irgendwie korrelieren würde mit dieser Impfung, dann hätte man das wirklich festgestellt. Und es ist so, dass es kein Sicherheitssignal bei ALS gibt. Also wir haben ja schon mal gesprochen über diese Herzmuskelentzündung als mögliche Nebenwirkungen der Impfung. Da habe ich ja offen gesagt, dass das eine Erkrankung ist, die wahrscheinlich häufig übersehen wird, weil man die gerade bei jüngeren Leuten mit wenig Symptomatik einfach nicht immer diagnostiziert. Bei der ALS ist das anders. Das ist eine fortschreitende Erkrankung. Klar, kann sein, dass man das mal einen, zwei Monate nicht feststellt, aber da die ja sich normalerweise nicht aufhalten lässt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass man eine fortschreitende ALS nicht feststellt. Vielleicht für die, die jetzt da Angst davor haben. Ein großer Teil ist familiär bedingt. Also es gibt sozusagen eine genetische, familiär gehäufte ALS. Und es gibt das, was wir sporadische Erkrankungen nennen. Da wissen wir vielleicht sage ich noch Folgendes dazu: wir wissen, dass bei diesen sporadischen Erkrankungen in der Tat immunologische Grunderkrankungen das Risiko erhöhen. Also man weiß zum Beispiel, jemand der Morbus Crohn hat, so eine Darmerkrankung, die

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immunologisch ist oder den Diabetes-Typ-eins hat, oder andere ähnliche Erkrankungen. Da ist es tatsächlich so, dass das Risiko für ALS minimal erhöht ist. Das sind aber alles immunologische Erkrankungen, die über Jahre hinweg gehen, also wirklich chronische Erkrankungen. Wo man dann nach vielen Jahren irgendwann mal sagt, rein statistisch an irgendeiner Stelle hinterm Komma, ist das ALS Risiko etwas erhöht. Daraus kann man nicht schließen, dass die immunologische Reaktion, die quasi als sofortige Reaktogenität nach der Impfung auftritt, dass die irgendwie einen Effekt haben sollte, dass sich dieser Müll in den Nervenzellen ansammelt, von dem ich gesprochen habe.

18:52


Camillo Schumann


Aber könnte es sein, dass diese fortschreitende ALS durch die Impfung ja eine Art Schub bekommen hat, um dann schneller auszubrechen? Also wer das biologisch möglich?


Alexander Kekulé

Das wäre extrem unwahrscheinlich in der kurzen Zeit. Aber wir kennen solche Prozesse in der Tat ja, also klar möglich. Das ist das Gemeine. Wenn Sie ein Wissenschaftler fragen, wäre es möglich, sagt er fast nie Nein. Aber man muss ja auch ein bisschen aufpassen. Das ist extrem unwahrscheinlich, weil das, was wir kennen, ist, dass es eben langsame Prozesse sind, obwohl ich zugeben muss: wir wissen nicht genau, was da los ist. Es gibt sogar bei dieser sporadischen ALS drum kenne ich mich da ein bisschen aus die Theorie, dass das vielleicht sogar durch Viren, die man noch nicht kennt, ausgelöst wird. Also das ist wirklich eine Virusinfektion, eine Rolle spielen könnte. Und Virologen haben deshalb mit großem Interesse so ein Experiment vor paar Jahren mal verfolgt. Das ist relativ neu, dass man diese Erkrankung tatsächlich übertragen kann. Also das ist so, wenn man Liquor, also die Nervenflüssigkeit von Menschen, die ALS haben, abnimmt und dann in bestimmte Mäuse spritzt, dann kriegen diese Mäuse ALS. Und das war für uns alle natürlich so ein Hallo-Wach-Effekt, dass man gesagt hat Moment mal. Da ist also irgendwie ein

Faktor drinnen, der letztlich nicht ansteckend ist. Das kommt ja im Normalfall nicht aus dem Zentralnervensystem raus, aber unter experimentellen Bedingungen übertragbar ist. Und jetzt sind natürlich alle ganz heiß darauf zu gucken, was da drinnen ist, was diese Erkrankung auslöst.


Camillo Schumann


Bei Hunderten von Millionen geimpft Menschen gibt es eben noch keinen Hinweis darauf, dass es da eben eine Verbindung gibt?


Alexander Kekulé

Nein. Also ich gucke mir wirklich diese Risikodaten an. Die sind ja weltweit abrufbar bei CDC. Die haben wirklich riesige Datenmengen, und da sind ganz, ganz viele Dinge drin, die abwegig sind. Aber selbst unter den seltenen abwegigen Meldungen ist ALS nicht gehäuft.


Camillo Schumann


J. hat gemailt, sie schreibt:

„Mein Mann, 32, hatte im Oktober Corona. Wir waren beide in Quarantäne. Wir haben im selben Bett geschlafen, haben uns geküsst und natürlich den gesamten Tag zusammen verbracht, ohne Abstand oder Masken. Er war symptomatisch mit Fieber, Husten und Gliederschmerzen. Ich hingegen hatte keine nennenswerten Symptome. Als wir im Januar einen Antigen Bluttest im Labor haben machen lassen, hatte er Antikörper bei mir, konnten aber keine nachgewiesen werden. Nun zu meiner Frage: kann es sein, dass ich nicht empfänglich für das Virus bin? Oder könnte es sein, dass meine Antikörper im Januar schon nicht mehr nachweisbar waren? Und wie kann es sein, dass ich mich nicht angesteckt habe bei diesem engen Kontakt? Viele Grüße, J.“

21:34


Alexander Kekulé

Tja, das ist... Glück gehabt, das ist Glück. Erstens Gratulation. Genau das ist die Gretchenfrage überhaupt der ganzen Infektiologie.

Warum wird der eine krank und der andere nicht? Also ehrlich gesagt bin ich deshalb Virologe geworden, aber umgekehrt: Mein Bruder

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war immer gesund, hat man ein bisschen genießt. Und ich war immer zwei Wochen krank, mit Fieber im Bett und dachte immer warum immer ich. Und es gibt ganz viele solche Beispiele. Wir haben den Ebola-Ausbruch in Westafrika genau untersucht. Und da ist es wirklich so gewesen, also innerhalb einer Familie auf engsten Raum zusammen, alle das Gleiche gegessen, alle das Gleiche gemacht, zwei schwer krank und gestorben. Und die anderen hatten nichts. Also das ist einfach in der Infektiologie so. Da gibt es irrsinnig viele Beispiele, so ähnlich wie die Frage warum, wenn sie abends in der Dämmerung beim Essen sitzen, irgendwo draußen der eine wird von den Mücken zerstochen, unter andere nicht. Man weiß wirklich nicht, was da der Grund ist. Bei Corona hat man sogar an der Stelle ein bisschen dazugelernt. Und zwar wissen wir, dass diese SchleimhautImmunität eine große Rolle spielt. Das war vorher gar nicht so klar. Das ist auch der Hauptgrund, warum Kinder weniger ansteckend sind als Erwachsene und auch weniger leichtes Virus bekommen, das einfach so eine Grundaktivität auf den Schleimhäuten ist. Und wenn ich jetzt an der Stelle wirklich völlig unwissenschaftlich aus dem Bauch ein bisschen spekulieren darf. Ich habe mich immer gewundert, wie so Betreuerinnen und Betreuer im Kindergarten das machen mit den ständig rotzenden Kindern, dass sie nicht selber dauernd krank sind. Und da ist meine Theorie dazu, dass die auch so eine Art aktiviertes Immunsystem haben durch diesen ständigen Kontakt mit den kranken Kindern und dass da die Schleimhaut Aktivität vielleicht eine Grundaktivität hat, die Immunität auf der Schleimhaut, die eben diese Abwehr der Coronaviren in dem Fall vielleicht auch fördern würde. Und das könnte jetzt bei der Hörerin tatsächlich so sein. Vielleicht hat sie, aus welchem Grund auch immer, eine unbemerkte andere Infektion oder was weiß ich. Vielleicht hat sie mal kalte Luft abgekriegt oder sonstwas und war deshalb zu dem Zeitpunkt gerade mal robuster als ihr Partner. Ich würde davor warnen, davon auszugehen, dass man ein gutes Immunsystem hat und deshalb nichts passieren kann. Es ist leider so, dass

diese Aktivität des Immunsystems sehr tagesabhängig ist, bei Frauen übrigens auch noch monatsabhängig im Rhythmus im Hormonrhythmus abhängig ist. Deshalb würde ich nicht sagen, ich habe es einmal nicht gekriegt. Ich kann das nicht kriegen. Aber Glück gehabt – Fasst es eigentlich ganz gut zusammen und ja, so ist das manchmal das kann man so sagen.


Camillo Schumann


Frau F. hat gemailt. Sie schreibt:

„Wir sind 69 und 73 Jahre alt und besuchten in den vergangenen Jahren in der kalten Jahreszeit gerne Thermen. Wir sind beide geimpft und fragen uns jetzt: können wir gefahrlos eine Therme besuchen oder besteht dort die Gefahr uns trotz Impfung mit dem Coronavirus anzustecken. Mit freundlichen Grüßen, Frau F.“

24:36


Alexander Kekulé

Ja, also in Thermen besteht erstmal grundsätzlich keine höhere Gefahr als in anderen geschlossenen Räumen. Das ist nicht so, dass man vielleicht durch den Wasserdampf, der da drinnen ist manchmal oder die höhere Temperatur jetzt Angst haben muss, dass man sich leichter mit Viren infiziert. Andererseits muss man eigentlich die Frage stellen, die man immer stellt: wie voll ist es dort? Wie oft wird die Luft gewechselt? Das ist eigentlich das Entscheidende. Wie viele Menschen sind da drinnen? Wie groß ist das Luftvolumen? Und wenn da die Luft steht, und es richtig voll ist, dann würde ich wahrscheinlich trotz Impfung und allem mal nicht in die Therme gehen. Wenn ich sicher eine Infektion verhindern will. Es gibt andere die auch sagen: Na, jetzt bin ich geimpft. Jetzt kann das Virus ruhig kommen. Aber wenn man sagt, man will sich da Schützen an der Stelle, dann würde ich empfehlen, zu den Zeiten hinzugehen, wo es vielleicht nicht gar so voll in der Therme ist. Das gibt ja meistens Tageszeiten, wo das günstiger ist. Aber es ist keine besondere Situation, verglichen mit irgendwelchen anderen geschlossenen Räumen, wo viele Menschen sind und die Luft sich nicht

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bewegt.


Camillo Schumann


Frau F. hat gemailt. Sie schreibt:

„Eine Freundin ist zurück in Deutschland, nachdem sie vier Monate in Peking war. Sie ist Chinesin und hat sich dort zweimal mit Sinovac impfen lassen. Da dies nun in Deutschland aber nicht als geimpft anerkannt wird, überlegt sie nun, sich hier noch mal mit BioNTech impfen zu lassen. Ihre Einschätzung und Meinung dazu würde mich interessieren und wäre dankbar und erfreut über eine Rückmeldung. Viele Grüße, Frau F.“


Alexander Kekulé

Ja, so Sinovac ist ein Impfstoff, der funktioniert. Aber er funktioniert bei Delta einfach nicht gut genug. Deshalb haben alle die Sinovac-Impfungen haben das sieht man in China, sieht man aber auch zum Beispiel in Südamerika oder im Mittleren Osten, wo das viel verwendet wurde die haben alle das Problem, dass es doch ziemlich viele Durchbrüche bei Delta gibt. Deshalb würde ich schon empfehlen, auf jeden Fall die BioNTech Impfung noch hintendran zu hängen, an die Sinovac-Impfung. Der andere Grund ist der, dass wird ja nicht anerkannt bei uns. Das ist ja eine umstrittene Sache, speziell bei dem russischen Impfstoff. Da fragt man sich, warum der nicht anerkannt wird. Aber Sinovac wird nicht anerkannt als Impfung. Und daher braucht man für den Impfpass definitiv zweimal BioNTech oder Ähnliches. Und deshalb würde ich das machen. Rein theoretisch, würde einmal bei einem Tag natürlich reichen, aber nicht nach unserem Gesetz. Und daher würde ich jetzt sagen, da ja es viele Vorteile hat, wenn man so einen Impfpass hat und wenn man sowieso bereit ist, sich zu impfen und keine grundsätzlichen Bedenken hat, dann kann man es auch zweimal machen.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 225. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 05. Oktober, wieder bis dahin!


Alexander Kekulé

Gerne! Bis dahin, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 25. September 2021 #224: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 25. September 2021

Ist eine Infektion nach einer Impfung noch nachweisbar?

Nach drei BioNTech-Impfungen noch immer keine Antikörper. Lohnt eine vierte Impfung?

Was schützt besser? Eine vor einem Jahr durchgemachte Infektion oder eine frische Impfung?

Reichen gesunde Ernährung und Sport, um eine schwere Infektion zu verhindern?  In der Familie oder bei der Arbeit: Schutz-

maßnahmen trotz Impfung?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

00:48


Camillo Schumann


Frau S. hat uns gemailt. Sie schreibt:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, kann nach einer Impfung eigentlich noch nachgewiesen werden, ob man die Infektion schon mal hatte? Viele Grüße, Frau S.“


Alexander Kekulé

Mit den normalen Methoden nicht. Also, es ist so, dass die normalen IgG-Antikörper, die man

ja so klassischerweise verwendet, die jetzt demnächst auch als Nachweis für die durchgemachte Infektion ganz offiziell gelten sollen, die sind auch nach einer Impfung da. Und dann weiß man nicht: War es jetzt von der Impfung oder war es von der durchgemachten Infektion? Rein theoretisch – also, ein Forschungslabor könnte das schon auseinanderhalten, aber das wäre sehr aufwendig und ist nicht in der Praxis möglich.

01:26


Camillo Schumann


Dann: Die Fußpflegerin Frau M. aus Wuppertal hat angerufen und folgendes Problem:

„Es kommen jetzt vermehrt Leute, die eben erkältet sind. Und ich bin so ein bisschen unsicher: Wie gehe ich damit um? Weil: Ich bin zwar vollständig mit Comirnaty (d.i. BioNTechPfizer, Anm. d. Red.) durchgeimpft und meine Kunden eigentlich auch, aber es macht mich doch etwas unsicher. Neben den üblichen Hygieneregeln: Ist noch irgendwas zu beachten, oder soll ich aus Sicherheitsgründen die Kunden nicht annehmen? Ich bin da etwas unsicher und hoffe, dass Herr Professor Kekulé mir da weiterhelfen kann. Vielen Dank und auf Wiederhören.“


Alexander Kekulé

Na, das kommt wirklich so ein bisschen auf die individuelle Risikoabwägung an. Also, wenn jetzt sowohl die Kunden als auch Sie selber geimpft sind und Sie zusätzlich – insbesondere bei Erkältungen – noch ein paar Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, das heißt also, MundNasen-Schutz und vielleicht etwas gründlicher mit dem Desinfizieren sein, dann, meine ich, ist eigentlich das normale Lebensrisiko abgedeckt. Also, wenn man dann trotzdem ausgerechnet jemanden hat, der Covid hat und deshalb symptomatisch ist, obwohl er eigentlich geimpft ist, dann war es halt in gewisser Weise Pech. Und was dann im schlimmsten Fall passiert, ist, dass man sich infiziert und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht schwerkrank wird. Das heißt: Ich persönlich würde sagen, das normale Lebensrisiko, das dann so übrigbleibt, wenn sich zwei Geimpfte treffen, das müssen wir im Grunde genommen in Kauf nehmen, weil wir sonst diese Pandemie quasi nie beenden in dem Sinn, dass wir immer Gegenmaßnahmen brauchen. Wenn jemand aber

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sagt: Nein, für mich kommt das überhaupt nicht in Frage, weil ich vielleicht Diabetiker bin, weil ich mit jemandem zusammenlebe, der ungeimpft ist und ein besonders hohes Risiko hat. Da muss man eben dann zum Äußersten greifen und sagen: Nein, jemand, der Symptome hat, der wird erstmal getestet. Also, die Möglichkeit gibt es natürlich, dass man dann sagt: Okay, auch Geimpfte kriegen einen Schnelltest, sofern sie symptomatisch sind.

03:26


Camillo Schumann


Die J. hat gemailt:

„Ich habe eine Frage bezüglich der ImpfstoffWirksamkeit. Meine Angst bezieht sich nicht auf mich selbst, sondern auf meine Eltern. Beide sind 65 Jahre alt, leicht vorerkrankt, Bluthochdruck, Übergewicht. Meine Mutter hatte vor zehn Jahren eine Hirnblutung. Nun bin ich mir unsicher, ob wir weiterhin jede Woche unbeschwert Besuche bei meinen Eltern abhalten können. Ich selbst arbeite als Erzieherin, mein Mann als Intensiv-Pfleger, auch mit Kontakt zu Covid-Patienten. Meine beiden Kinder besuchen den Kindergarten. Mir kommt es immer etwas riskant vor, weil wir schon berufsbedingt sehr viele Kontakte haben. Im privaten Bereich reduzieren wir ganz viele Kontakte. Meine Eltern wurden Mitte des Jahres mit AstraZeneca geimpft. Mein Mann und ich sind ebenfalls voll geimpft. Vor den Besuchen bei den Großeltern macht die ganze Familie einen Schnelltest. Reicht das als Sicherheitsmaßnahme aus? Ich bin sehr unsicher, was das Thema angeht, und würde mich über eine Einschätzung freuen. Viele Grüße, J.“


Alexander Kekulé

Also, ich finde, das ist schon sehr vorsichtig. Die sind ja auch nur 65 Jahre alt, die Großeltern. Ich meine eigentlich, wenn man dann auch noch einen Schnelltest macht, bevor man die Großeltern besucht, ist man, soweit es irgendwie geht, auf der sicheren Seite. Das muss sich jeder selber überlegen. Das Risiko, dass dann wirklich die Eltern sich infizieren und wenn sie sich infizieren, dass sie dann auch noch schwerst erkranken oder sterben, das ist dann im Zehntausender-Bereich. Von dieser Größenordnung reden wir, mehrere Zehntausend zu eins sozusagen. Ich persönlich finde – aber das ist was, was jeder selber entscheiden

muss – wenn ich Risiken, die in diesem Bereich liegen, vermeide, dann überlege ich mir immer: Auf was verzichte ich damit? Wenn es zum Beispiel um irgendeine Freizeitveranstaltung geht, dann kann ich sagen: Na gut, da muss ich ja nicht hingehen oder irgendetwas essen, wo ich weiß, das hat schädliche Nebenwirkungen. Dann kann ich sagen: Kann ich drauf verzichten. Aber wenn jetzt die Alternative wäre, den Kontakt mit den Großeltern abzubrechen oder jetzt wahnsinnig zu verkomplizieren, da finde ich, da lohnt es sich, ein Restrisiko in Kauf zu nehmen. Aber das ist jetzt meine persönliche Meinung dazu. Aber auf dieser Basis würde ich mal versuchen, das zu überlegen. Ich glaube, das ist schon sehr, sehr gewissenhaft, wenn man dann noch einen Schnelltest macht, bevor man zu den Großeltern [fährt, Anm. d. Red.].

05:48


Camillo Schumann


W. hat gemailt. Er schreibt:

„Ich hatte kurz vor meinem zweiten Impftermin mit BioNTech einen Migräneanfall. Mein Impfarzt hat die Impfung trotzdem durchgeführt und mir trotz meiner Bedenken empfohlen, ein Schmerzmittel – 300 Milligramm Ibuprofen – einzunehmen. Nun lese ich von Vermutungen, dass die Einnahme von fiebersenkenden Mitteln wie Ibuprofen die Immunantwort sehr wohl herabsetzen kann. Muss ich damit rechnen, dass meine Immunität durch die Gabe von Ibuprofen nennenswert vermindert ist? Die Einnahme des Schmerzmittels war bei mir zwei bis drei Stunden nach dem Stich. Viele Grüße, W.“


Alexander Kekulé

Nein. Also, das Ibuprofen hat keinen relevanten Effekt auf die Wirksamkeit der Impfung. Es ist natürlich so, dass Immunsuppressiva – also Medikamente, die richtig das Immunsystem unterdrücken, zum Beispiel nach Transplantationen werden die gegeben – die haben den Effekt. Auch Cortison, wenn man es wirklich über einen längeren Zeitraum gibt. Aber so ein normales Schmerzmittel, einmal eingenommen, das hat keinen Nachteil. Es ist sogar zum Teil so, dass in den Studien das verwendet wurde. Weil: Man hat in den Studien sehr früh schon mitbekommen aus den Phase-II-Studien, dass doch die Reaktogenität dieser RNA-Impfstoffe ziemlich stark war. Und da hat man zum Teil

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eben dann empfohlen, oder zumindest die Möglichkeit offengelassen, dass die Probanden Ibuprofen nehmen, um diese Akutwirkung so ein bisschen herabzusetzen. Und deshalb wissen wir, dass das die Wirksamkeit dieser Impfstoffe nicht nennenswert beeinträchtigt.

07:18


Camillo Schumann


Herr E. hat uns eine Mail geschrieben. Er schreibt:

„Ich habe gehört, dass, wenn man bei der Gabe des Impfstoffs in den Muskel des Oberarms eine Vene trifft, die Wirkung der Impfung nicht gewährleistet ist, da der Impfstoff in die Blutbahn gerät. Ich habe bisher nicht gesehen, dass bei der Impfung aspiriert wird. Kann das wirklich wahr sein? Viele Grüße, Herr E.“


Alexander Kekulé

Also, das ist diese Diskussion um die Aspiration bei der intramuskulären Impfung. Da habe ich mich ja hier schon mal geoutet, dass ich irgendwie ein echter Oldie bin, weil ich das immer noch mache, obwohl es schon lange nicht mehr empfohlen wird. Weil es irgendwann mal Studien gegeben hat an einigen 100 Probanden, wo man festgestellt hat, dass ganz selten bei der Aspiration – heißt also, anziehen dieses Kolbens, kurz anziehen, wenn man die Spritze reingesteckt hat, um festzustellen, ob man nicht aus Versehen eine Vene erwischt hat – dass da ganz selten nur Blut gezogen wird, wenn gezogen wird und insgesamt aber die ganze Prozedur verlängert wird und das natürlich das Empfinden für die Impflinge verschlechtert. Und weil man sagt, man hat sowieso gegen so viele Vorurteile zu kämpfen, hat man also gesagt: Lieber schnell und daher ohne Aspiration. Das ist die neuere Empfehlung international. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in den USA, daher kam das ursprünglich. Wie ich schon mal zugegeben habe, hatte ich das gar nicht mitbekommen, dass sich das geändert hat. Und es gibt natürlich so ein paar Ärzte vom alten Schlag, die aspirieren halt trotzdem noch kurz. Wie häufig ist es, dass man dann intravenös injiziert? In dem Sinn eigentlich fast nie. Also, die Befürchtung, die hier ja geäußert wurde, ist, dass der Impfstoff quasi in die Vene kommt, dadurch weggespült wird und es nicht zu einer richtigen Immunreaktion kommt. Also, dass die gesamte

Dosis irgendwie in die Vene reingeht, das halte ich für fast ausgeschlossen. Das passiert nicht, wenn man in den Muskel sticht, da muss man schon irgendwie komplett falsch die Nadel reingegeben haben. Aber ein Teil könnte mal theoretisch in die Vene gehen, und das wird ja diskutiert, ob das eine Rolle spielt bei Nebenwirkungen. Ist bis heute nicht konkret nachgewiesen, dass das irgendeine Rolle spielen würde. Aber es wird als eine Möglichkeit diskutiert. Trotzdem wären diese Impfungen noch wirksam, weil natürlich der allerallergrößte Teil des halben Milliliters – oder je nachdem, was es war – den man da rein initiiert hat, der bleibt natürlich im Muskel. Und dort führt er dann auch zu der gewünschten Immunreaktion. Weil: Die Muskelzellen nehmen dann diese RNA auf und stellen dann dieses Protein her, was so ähnlich aussieht wie das Spike-Protein vom Coronavirus. Und das Immunsystem fängt dann an, darauf zu reagieren.

09:55


Camillo Schumann


Der M. hat angerufen:

„Ich habe jetzt meine dritte BioNTech-Impfung bekommen, bin selbst immunsupprimiert, und habe jetzt die Antikörper testen lassen. Antikörper 0,0. Dreimal sozusagen, nach drei Impfungen. Empfehlen Sie mir jetzt als vierte Impfung einen anderen Impfstoff? Beispielsweise Johnson & Johnson oder Sputnik? Oder soll ich es mit einer vierten Impfung BioNTech nochmal probieren?“

Mein lieber Mann.


Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich blöd gelaufen. Das sind die sogenannten Non-Responder. Das gibt es tatsächlich. Es gibt Leute, die unmittelbar nach der Impfung eben – das scheint hier der Fall zu sein – keine Antikörper entwickeln. Da muss man eben tatsächlich davon ausgehen, dass das Fehlen von Antikörpern in den Wochen nach der Impfung ein Hinweis darauf ist, dass die Immunität nicht eingesetzt hat, also, dass die Impfung nicht funktioniert hat. Andere Situation wäre es, wenn die Antikörper erst da waren und dann wieder verschwinden. Aber wenn jemand gar nicht reagiert, dann geht es so Richtung Non-Responder, deutet zumindest

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mal darauf hin. Darum ist es berechtigt, darüber nachzudenken, ob eine weitere Impfung einen Sinn macht. Das ist natürlich ein spezieller Einzelfall. Man hat jetzt eine Situation, das ist auf jeden Fall Off-Label-Use. Also, quasi außerhalb des zugelassenen Bereichs. Das muss der Arzt, der es macht, selber entscheiden. Der trägt dann auch die Verantwortung. Der Arzt darf das machen, wenn er der Meinung ist, dass es wissenschaftlich begründet ist. Auch, wenn es nicht entsprechend der Zulassung ist oder entsprechend der Empfehlungen ist. Ich würde tatsächlich in die Richtung denken, ob nicht möglicherweise dann ein anderer Impfstoff eine stärkere Reaktion herbeiführen könnte. Wenn es dreimal nicht geklappt hat mit BioNTech, würde ich tatsächlich – bei uns ist ja dann AstraZeneca noch zugelassen – würde ich das möglicherweise versuchen, in der Hoffnung, dass das dann, aus welchem Grund auch immer, eher einen Effekt hat.

11:51


Camillo Schumann


Der Herr Ö., der hat uns eine Mail geschrieben und so ein bisschen beschrieben, wie alt er ist, wie sein Leben aussieht, und hat eine ganz spezielle Frage. Er schreibt:

„Ich bin 54 Jahre alt, 68 Kilo leicht, sportlich und ernähre mich gesund.“

Und dann beschreibt er, wie sein Tagesablauf so aussieht:

„Mein Tag beginnt mit dem Sammeln verschiedenster Wildkräuter und dem Vermixen zum grünen Smoothie, zusammen mit Gemüse, Bananen, Proteinen, Salaten, Omega-3-Ölen und so weiter.“

Erstmal Respekt. Dann:

„Zudem nehme ich Nahrungsergänzungsmittel, wie Vitamin D3, K2, B-Komplex, Traubenkernextrakt, Spurenelemente, etc. Mein Blut lasse ich einbis zweimal jährlich untersuchen auf eventuelle Mangelerscheinungen. Nun, zu meiner Frage: Ist mein Lebensstil und FitnessStatus nicht guter Grund genug, sich vorerst nicht impfen zu lassen? Beziehungsweise gibt es nicht genug Studien oder sogar Metastudien über eine Korrelation des Immunsystem stärkenden Vitamin D3s und Covid-19? Es grüßt Sie herzlich Herr Ö.“

Und Herr Ö. betont, dass er kein Impfgegner ist und auch kein Aluhut-Träger, sondern er ist einfach ein gesunder Mensch.


Alexander Kekulé

Ja, das ist einfach schwierig. Ja, wir wissen ja alle, man ist nicht so alt, wie man sich fühlt. Das sagen ja manche Menschen. Es ist aber trotzdem so, dass natürlich der gesamte Zustand eines 54-Jährigen, der kann so sein wie ein 64-Jähriger oder so wie ein 44-Jähriger. Das ist individuell in der Tat extrem unterschiedlich. Nur 68 Kilo, da würde ich mir vielleicht sogar Sorgen machen. Die Körpergröße war jetzt nicht angegeben. Aber muss man aufpassen, dass man kein Untergewicht hat. Aber insgesamt, bis auf den Hinweis mit dem Vitamin D3, ist es in der Tat so, wenn man natürlich sportlich, relativ jung und gesund ist, ist die Wahrscheinlichkeit, jetzt schwerst zu erkranken – mal rein statistisch – geringer. Das muss man ganz klar sagen. Beim D3 gibt es keine Studien, die zeigen, dass das wirklich vor schweren Verläufen schützen würde. Das Vitamin D3 war da so ein Kandidat, das hat man rauf und runter getestet. Ich würde mal sagen: Es ist nicht bewiesen, dass es nichts bringt, aber es ist auch nicht bewiesen, dass es was bringt. Also, im Moment würde man sagen, man kann es machen. Man sollte zumindest keinen Vitamin D3 Mangel haben, wenn man Covid bekommt. Formulieren wir es mal so rum. Aber ob es jetzt was bringt, das zusätzlich zu supplementieren, ist in keiner Weise belegt. Ja, und dann muss man halt überlegen: Ja, statistisch gesehen ist die Nebenwirkung der Impfung bei einem 54-Jährigen auf jeden Fall – auch, wenn er sonst topfit ist – geringer als die Gefahr, die von einer möglichen Infektion ausgeht. Also, wenn er jetzt noch dazu sagt: Und ich wohne auf der Berghütte, wo ich meine Kräuter immer vor der Türe einsammle, sehe nur zweimal im Jahr Menschen und 20 Mal im Jahr die Kühe nebenan. Dann hätte ich gesagt, der hat insgesamt so ein Risikovermeidungsprogramm, dass man das vielleicht in Kauf nehmen kann. Aber Menschen, die viele soziale Kontakte haben, müssen halt immer daran denken: Wenn ich mir dann Covid hole, ist es auf jeden Fall schlimmer als Impfen. Also, das kann man schon mal so grundsätzlich sagen, auf jeden Fall in dem Alter. Und das würde bei mir dann

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wahrscheinlich eher das Pendel Richtung Impfen umschlagen lassen. Obwohl ich jeden verstehe, der grundsätzlich sagt: Ich habe da so viele Sicherheitsmaßnahmen eingezogen, ich warte jetzt nochmal ab. Vielleicht nochmal eine letzte Anekdote aus meinem Bereich. Ich habe vor einiger Zeit, als es noch keine Impfstoffe in der arabischen Welt gab, mit jemandem telefoniert, der dort in Nordafrika Arzt ist. Der hatte keine Impfstoffe, bei uns gab es die schon. Und der hat gesagt: Ja, es gibt zwar keine Impfung, aber was ich gemacht habe, ist, sobald das Covid ausgebrochen ist, habe ich vom ersten Tag an angefangen, jeden Tag eine Stunde zu joggen, um fit zu werden. Also, so eine ähnliche Überlegung. Dem habe ich auch gesagt: Na ja, solange du keine Impfstoffe hast, ist das die beste Option. Das war eine gute Idee, aber eben nur, solange man keine Impfstoffe hat. Ich würde schon dazu tendieren, ganz konventionell, das nicht drauf anzulegen, mit 54. Lieber impfen als krank werden.

16:08


Camillo Schumann


Frau S. hat angerufen und folgende Frage:

„Habe ich nach überstandener Corona-Infektion von März 2020 ohne Impfung einen besseren Schutz vor einer eventuellen neuen Infektion als mit einer Impfung? Meine Antikörper liegen aktuell bei 250. Ich bin 65 Jahre alt. Dankeschön.“


Alexander Kekulé

Ja, das kann man nicht so individuell sagen. Also, es gibt ganz sicher viele Menschen, die haben eine Infektion durchgemacht und sind für lange Zeit so gut geschützt, dass sie, wenn sie Covid-19 bekommen, nur leichte Symptome haben. Das ist natürlich kein Trost, wenn man dann jemand anderes ansteckt, der vielleicht ungeimpft war und der dann schwere Symptome bekommt oder sogar stirbt. Also, deshalb ist es, sag ich mal so, aus sozialen Gründen immer eine gute Idee, sich impfen zu lassen, weil man dadurch die Wahrscheinlichkeit zumindest reduziert, andere anzustecken, auch wenn es einen selber nicht betrifft. Es gibt aber auch viele, die gerade, wenn die Infektion länger zurückliegt, tatsächlich keinen so guten Immunschutz mehr haben. Und das kann man an den Antikörpern nicht ablesen. Weil die Antikörper auf 250 waren, kann das

reichen oder auch nicht reichen, das kann man nicht quantitativ da direkt draus ablesen. Und wenn es März 2020 war, muss man natürlich berücksichtigen: Damals war definitiv noch nicht die Delta-Variante im Umlauf, sondern noch der alte Wuhan-Typ. Also, da war noch nicht einmal Alpha da, also nicht einmal diese britische B.1.1.7, sondern da gab es den ursprünglichen Typ, der von Wuhan nach Norditalien ist und sich dort in die Variante B verändert hat und zumindest dort selektioniert wurde. Und diese B-Variante, die war das dann wahrscheinlich im März. Jetzt noch einmal draufimpfen ist sicher keine schlechte Idee mit 65 Jahren.

17:59


Camillo Schumann


Herr R. hat gemailt. Er schreibt:

„Ich habe von dem Phänomen des sogenannten Brain Fog im Zusammenhang mit der Impfung gelesen. Überschreitet der mRNA-Impfstoff die Blut-Hirn-Schranke und gelangt somit auch in Gehirnzellen? Da diese dann die selbst produzierten Spike-Proteine auf ihrer Oberfläche präsentieren, werden sie ja später von den gebildeten Antikörpern vernichtet. Geht das dann mit einem Verlust von IQ-Punkten einher? Oder hat der Mensch mehr als genug Gehirnzellen? Vielen Dank und viele Grüße, Herr R.“

Mein lieber Mann.


Alexander Kekulé

Das mit den IQ-Punkten ist natürlich sehr individuell. Wenn man sowieso schon zu wenige hat, dann ist es schlecht, die auch noch zu verlieren. Und man weiß ja vorher nie, welche Gehirnzellen abgeschossen werden, das ist ja das Blöde. Aber nochmal Spaß beiseite. Also, es ist so: Es gibt keine belastbaren Daten, dass wirklich die Impfung irgendwie das Gehirn schädigen würde. Also, das ist nicht so, dass die mRNA-Impfstoffe ins Gehirn gehen, zumindest nicht in der Weise, dass man es bis jetzt nachgewiesen hätte. Sie verteilten sich in den Phase-I-Studien, wo man mit Tieren Experimente gemacht hat, durchaus im ganzen Körper. Und ja, so kurzzeitig hat man die fast in allen Organen mal gesehen, aber das Gehirn war jetzt nicht so ein präferiertes Ziel. Und deshalb wäre es extrem unwahrscheinlich, jetzt von – da müsste man ja postulieren, dass es so eine

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Art Autoimmunreaktion im Gehirn gibt, die dann nach der Impfung den Brain Fog macht. Das ist wirklich nicht der Fall. Also, ich würde eher sagen, wenn es solche Berichte gibt: Das hängt damit zusammen, dass durch die Impfung halt sehr stark – weil die sehr stark reaktogen sind, die RNA-Impfstoffe – diese Zytokine aktiviert werden. Und diese Zytokin-Aktivierung – also, diese Aktivierung dieser Signalstoffe, die das Immunsystem steuern – die führt eben dazu, dass man irgendwie matschig im Kopf wird. Das ist ein gleicher Effekt, als wenn man sich so ähnlich fühlt, wenn gerade eine Grippe im Anzug ist. Dann hat man manchmal so Schüttelfrost und fühlt sich eben so ein bisschen neben der Kappe. Und ich glaube, dass es eher dieses Phänomen ist, was manche nach der Impfung sehen. Daher würde ich sagen: Also, die Gefahr besteht nicht. Das könnte sogar sein, dass das aus der Ecke der Impfkritiker oder der Corona-Leugner vielleicht sogar kommt, diese Information. Und nochmal grundsätzlich: Gehirnzellen sollte man lieber nicht preisgeben. Weil das Fiese ist: Die Zellen, die am besten durchblutet werden, die wir am häufigsten brauchen, die gehen auch als Erstes kaputt. Also, Schädigungen des Gehirns zerstören gemeinerweise immer zuerst die Zellen, die wir am meisten benutzen.

20:39


Camillo Schumann


Frau B. hat gemailt. Sie schreibt:

„Meine Tochter ist 15 Jahre alt und langsam gehört sie zu den wenigen ungeimpften Jugendlichen in ihrer Klasse. Wir möchten schon, dass sie geimpft wird. Allerdings warten wir auf Novavax. Wie sehen Sie das? Sollte meine Tochter sich jetzt schon mit BioNTech impfen lassen? Oder ist ein Warten vertretbar, wenn wir davon ausgehen, dass eine Covid-Erkrankung bei ihr eher harmlos wäre? Ihr Bruder, 18, und ich haben schon den vollständigen Impfschutz. Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau B.“


Alexander Kekulé

Also, das ist schwierig. Das kann man individuell nicht wirklich sagen. Also, da muss ich, auch, wenn ich es ganz offen sagen darf, feststellen: Die Ständige Impfkommission hat das lange geprüft und hat gesagt, sie empfiehlt die Impfung ab 12. Sie hat dabei – das haben wir in einer Ausgabe ja auch schon mal ausführlich

besprochen – als entscheidendes Kriterium in die Waagschale geworfen, dass Kinder, die ungeimpft sind, soziale und psychologische Nachteile dadurch haben. Und das würde ich in dieser Familie jetzt, bei der Frau B., würde ich das überlegen: Ist dieses Kriterium, was für die STIKO mitentscheidend war, ist das hier gegeben oder nicht? Also, wenn es jetzt so ist, dass das das einzige Kind aus der Klasse ist, wenn der Peer Pressure steigt, wenn man jetzt vielleicht auch noch weiß, dass Novavax ja Verzögerungen hat – die wollten Ende dieses Jahres schon rauskommen und es wird wohl frühestens erstes Quartal nächsten Jahres sein, dass das verfügbar ist. Dann kann man natürlich sagen: Also, wollen wir das unserem Kind jetzt noch länger zumuten? Die Gegenüberlegung wäre, zu sagen: Nein, ich entscheide das ganz strikt nur nach medizinischen Kriterien. Die ganzen sozialen und politischen Argumente, sekundären Schäden, die interessieren mich hier nicht. Ich will wissen: Ist es schädlich oder nicht schädlich fürs Kind? Dann kann man, wie das die Hörerin hier formuliert hat, sagen: Ich warte jetzt nochmal ab. Also, da dazwischen ist das Spektrum der möglichen Entscheidungen letztlich.

22:34


Camillo Schumann


Frau B. und alle anderen, die reinhören wollen: In Folge 210 haben wir über die STIKO-Empfehlung für die Impfung der 12bis 17-Jährigen ausführlich gesprochen. Ja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 224. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann nächste Woche am Dienstag, den 28. September wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann. Tschüss.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an: 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 23. September 2021 #223


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

RKI: Covid-19-Trends in Deutschland im Überblick https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/COVID19-Trends/COVID-19Trends.html?__blob=publicationFile#/home

Zwei Dosen Johnson&Johnson 94% wirksam gegen Sars-Cov-2 Two dose version of Johnson&Johnson shot 94% effective against Covid-19, study finds CNN

Studie: Rauchen als Schutz vor Corona? Was passiert in den Zellen? (17.08.) Inhibiting SARS-CoV-2 infection in vitro by suppressing its receptor, angiotensin-converting enzyme 2, via aryl-hydrocarbon receptor signal | Scientific Reports (nature.com)

Donnerstag, 23. September 2021

 Ungeimpftesollenab1.Novemberkeinen staatlichen Lohnersatz mehr erhalten, wenn sie in Quarantäne müssen. Wie ist diese Entscheidung aus epidemiologischer Sicht zu bewerten?

 Dann: Neue Studiendaten. Zwei Impfungen mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson&Johnson schützen noch besser vor symptomatischer Infektion und steigern die Immunität. Eindeutiges Plädoyer für eine zweite Impfung mit diesem Impfstoff?

Dann: Unbemerkt Infizierte sollen künftig mit einem Antikörpertest und nur einer Impfung den Genesenen-Status erhalten. Braucht es dafür unbedingt die Impfung?

Und: Wieso Raucher offenbar besser vor einer Corona-Infektion geschützt sind.


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Wir wollen zu Beginn wieder der Pandemie in Deutschland den Puls fühlen. Die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz, sie sinkt weiter. Aktuell liegt sie bei 63,1. Und schaut man sich den Verlauf an, dann sinkt sie seit dem 8. September kontinuierlich. Vor gut zwei Wochen lag sie nämlich bei 90,5. Und schaut man sich den R-Wert an, da ist die Entwicklung genauso erfreulich: Von 1,28 Mitte August auf 0,86 heute. Die Zahl der Intensivpatienten sinkt ebenfalls seit ein paar Tagen, wenn auch sehr langsam. Herr Kekulé, macht die vierte Welle so eine leichte Verschnaufpause, um nochmal so richtig durchzustarten? Oder geht ihr so langsam die Puste aus?


Alexander Kekulé

Gute Frage. Also, ich weiß das natürlich nicht. Man sieht tatsächlich, dass es eine Verschnaufpause gibt. Das auf jeden Fall. Ich glaube, das liegt daran, dass wir GGG plus Nachverfolgung machen, und zeigt letztlich, dass unsere Maßnahmen funktionieren. Es müsste quasi wider die Natur des Virus gehen, wenn im Winter die Infektionszahlen nicht wieder zunehmen würden. Also, wenn es jetzt nicht zunimmt, wenn es wirklich kalt wird – im Moment haben wir ja noch einen milden Herbst oder milden Spätsommer – wenn es dann nicht zunimmt danach, dann müssen wir wirklich über so Dinge

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wie Herdenimmunität in Deutschland nachdenken. Das geben aber die bisherigen Zahlen von Geimpften und Genesenen nicht her.


Camillo Schumann


Also, Verschnaufpause, sagen Sie. Um dann noch stärker zuzuschlagen? Oder wird es dann möglicherweise ein milderer Verlauf werden?


Alexander Kekulé

Das kann man jetzt überhaupt nicht absehen. Es ist ja so, dass ich immer so, wenn ich jetzt unbedingt genötigt wurde, mal eine Schätzung abzugeben, gesagt habe: Man muss schon mit Inzidenzen von 200 in der Größenordnung, vielleicht sogar 300 bundesweit rechnen im Herbst. Das ist deutlich weniger als die STIKO ja zugrunde gelegt hat ihrer letzten Empfehlung. Die ist von einer Inzidenz von 500 im Maximum Mitte Oktober ausgegangen. Und ich glaube, der Bundesgesundheitsminister hat sogar von 800 mal gesprochen als worst-case-Szenario. Also, ich weiß jetzt wirklich nicht, was da eintritt. Das ist einfach extrem schwer, da was Konkretes zu sagen. Man kann nur sagen: Von einem Virus her wird es so sein, dass natürlich bei der kälteren Jahreszeit die Infektionen steigen. Es ist auch so, dass durch die Öffnung der Schulen und die ungeimpften Jugendlichen und Kinder wir natürlich ein zusätzliches Potenzial an Infektionen haben. Und ich kann nur erinnern an Israel z.B.. Die haben ja eine ähnlich gute Impfquote gehabt wie wir. Inzwischen haben wir sie eigentlich überholt. Und da war es so, dass die dann sehr massiv geöffnet haben. Und obwohl es da warm war zu der Jahreszeit noch, hatten die ganz massive Ausbrüche und z.T. auch wieder Probleme mit den Belastungen der Krankenhäuser. Und es gibt ähnliche Beispiele aus den USA, die haben allerdings nicht so gute Impfquoten wie wir. Sodass man sagen kann: Also, einfach aufzumachen wäre ein großes Risiko. Darum ist mein Appell, jetzt einfach nicht nachlässig zu werden. Es ist Schlechtwetter vorhergesagt, sozusagen. Wir nehmen mal sicherheitshalber den Schirm mit für den Herbst. Und wenn es dann nicht in Strömen regnet, dann haben wir Glück gehabt. Aber ich glaube, das ist so rum besser, als wirklich da ins Risiko zu gehen.


Camillo Schumann


Nur nochmal kurz nachgefragt: Hat Sie diese leichte Verschnaufpause, die wir ja gerade

festgestellt haben, überrascht? Oder haben Sie damit gerechnet?


Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt fühle ich da der Pandemie gar nicht so im Wochenrhythmus den Puls, sondern gucke mir das eher auf längerfristige Tendenzen an. Wir hatten bei allen Wellen eigentlich, wenn Sie so wollen – wenn man die hinterher anschaut – am Anfang so eine kleine Schulter. Also, das geht immer mit so einem kleinen Vortakt los und dann kommt die Welle. Woran das liegt, kann ich nicht wirklich sagen. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass die Ankündigung von steigenden Fallzahlen bei den Menschen das Verhalten verändert. Aber das müsste man mal genauer untersuchen. Die Frage ist: Sehen wir hier so eine Schulter am Anfang einer größeren Welle? Oder bleibt es irgendwie in der Größenordnung? Das kann ich nicht vorhersagen. Aber wie gesagt, das wahrscheinlichere Szenario ist, dass es ansteigt.

05:18


Camillo Schumann


Okay. An dieser Stelle der Hinweis: Das Robert Koch-Institut hat ein neues Übersichtstool für alle erhobenen Daten ins Netz gestellt. Tagesaktuell, grafisch auch sehr, sehr gut gemacht. Verlinken wir den Hörerinnen und Hörern dieses Podcasts in der Schriftversion – wie übrigens auch alle Studien, die wir hier in dieser Ausgabe und allen anderen Ausgaben besprechen.


Alexander Kekulé

Das will ich auch sagen. Das Tool finde ich super. Ich habe mir das angeschaut. Also, das ist wirklich ganz toll, kann ich jedem empfehlen, da mal draufzuschauen. Wer also sozusagen Lust hat, die Pandemie live zu verfolgen, kann das also jetzt seit Kurzem da wirklich hervorragend machen auf der Webseite des Robert Koch-Instituts. Großes Lob an die, die das dort gemacht haben.

05:56


Camillo Schumann


Es ist ja gute Tradition, Herr Kekulé, dass wir hier im Podcast die Corona-Politik von Bund und Ländern genauer unter die Lupe nehmen. Was macht Sinn? Was macht weniger Sinn? Wo gibt es noch offene Fragen? Wir wollen das

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jetzt wieder tun. Gestern haben sich die Gesundheitsminister der Länder getroffen und eine Entscheidung für Ungeimpfte getroffen. Man kann sagen, der Druck für die Ungeimpften nimmt weiter zu. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

„Wir haben uns darauf verständigt, dass spätestens ab dem 1. November diesen Jahres im Quarantänefall – also, für Kontaktpersonen, für Menschen, die aus Risikogebieten zurückkehren – bei nicht Geimpften keine Lohnersatzleistung mehr gezahlt wird. Hintergrund, das ist wichtig, ist das geltende Infektionsschutzgesetz, vom Bundestag beschlossen. Das sieht ausdrücklich vor, dass in den Fällen, wo eine empfohlene Schutzimpfung verfügbar ist, keine Lohnersatzleistungen mehr zu zahlen sind.“

Und wer es genau wissen will: Paragraph 56, Absatz 1. Herr Kekulé, was halten Sie von dieser Entscheidung?


Alexander Kekulé

Ja, die ist für mich schwierig. Also, ich habe ja vorher schon mich geäußert, dass ich das nicht für richtig halten würde. Jetzt ist es offensichtlich bei den Ministern mit breiter Mehrheit entschieden worden. Gibt nur wenige Fachleute, die so wie ich sagen, dass das nicht das Richtige wäre. Ich hoffe sehr, dass das nochmal revidiert wird bis zum November. Da ist ja noch ein bisschen Zeit und eine Bundestagswahl dazwischen. Wir können vielleicht nochmal im Detail darüber sprechen, welche Gründe ich sehe, warum das nicht sinnvoll ist.


Camillo Schumann


Das wollen wir jetzt tun, weil die Antwort ist sicherlich vielschichtig. Das eine ist natürlich auch: Es ist eine politische Entscheidung, dann muss man das auch aus epidemiologischer Sicht betrachten. Und dann ist es ein Gesetzestext, dann müsste man das Ganze auch noch aus juristischer Seite betrachten. Ich frage aber erstmal den Epidemiologen. Was sagt der dazu?


Alexander Kekulé

Also, epidemiologisch ist es so, da muss man ganz nüchtern sagen: Was bringt es, sozusagen? Was könnte es bringen, wenn es funktioniert? Und da ist die erste Frage: Wie groß ist eigentlich die Gruppe, um die es da geht? Also, es geht ja um Lohnersatzzahlungen. D.h. also –

ich weiß gar nicht, wie das bei Beamten wäre, ganz ehrlich gesagt. Habe ich auf die Schnelle nicht rausbekommen. Aber zumindest bei Angestellten ist es so: Tendenziell sind das Erwachsene unter 65 Jahren im Wesentlichen. Und da muss man sagen: In dieser Gruppe ist es ja so, dass wir ungefähr von der Größenordnung ein Viertel ungeimpft haben, so in etwa. Und dieses Viertel aus der Gruppe Erwachsener unter 65, die also noch nicht im Ruhestand sind, da ist jetzt die Frage: Wie viele von denen – ist jetzt nicht gerade unsere härteste Risikogruppe, aber gut, es wäre schön, die zu impfen. Aber wie viele von denen können wir durch so eine Maßnahme, sag ich mal, überreden? Und das weiß ich jetzt nicht genau. Aber ich würde mal schätzen, wahrscheinlich wird das ein Fünftel davon sein, 20%. Das ist vielleicht schon optimistisch geschätzt. Aber ich glaube, mehr als 20% derer, die da betroffen sind und die sich entschieden haben, ich lasse mich nicht impfen, werden jetzt wahrscheinlich durch so eine Änderung der rechtlichen Situation jetzt nicht ihre Meinung ändern. Und wenn es 20% wären, dann wäre das also ein Zwanzigstel von dem Viertel. Heißt also, fünf Prozent ungefähr von allen, die da betroffen sind, die man noch erreichen würde, wo man zusätzliche Impfungen bekommt. Dieser Effekt wird auf keinen Fall natürlich zu einer Herdenimmunität führen. Also, er hat epidemiologisch praktisch keine Wirkung, weil wir Herdenimmunität sowieso nicht erreichen können. Aber es wird auch keine wesentliche Verbesserung der Immunität geben. Und man muss ja immer daran denken: Es gibt diese Impfdurchbrüche. D.h. alles, was man macht, selbst durch die Impfung, hat ja immer nur 50-70% Schutz bezüglich Infektionen. Und das ist ja das, was epidemiologisch relevant ist. Also, wie stark dämme ich sozusagen die Pandemie ein? Was wird zugleich passieren? Es wird natürlich eine Flut von Attesten geben, weil man sich medizinisch sozusagen da freikaufen kann. Da werden dann Ärzte Atteste schreiben. Das kennen wir so ähnlich schon von den Masern, als die Masern-Impfpflicht eingeführt wurde. Da war es halt dann immer die Frage: Kennt man jemanden, der einem einen Attest schreibt, dass das Kind nicht geimpft werden kann? Ich bin sicher, dass die Zahl der ärztlichen Verordnungen, die also dann bestätigen, dass die

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Impfung aus medizinischen Gründen – welcher Art auch immer – nicht möglich ist, steigen wird. Das ist sicher eine ungute Entwicklung. Es ist auch ganz klar, dass – zumindest in bestimmten, sage ich mal, sozialen Bereichen – man seine Kontaktpersonen nicht mehr mitteilt, weil: Wenn ich weiß, auf der Party war der und der, aber wenn ich das jetzt verrate, dann kriegt der kein Geld mehr für zehn Tage, oder wie auch immer er dann in Quarantäne gesteckt wird. Das bremst sozusagen die Bereitschaft, die Kontaktpersonenauskunft zu geben. Und natürlich gibt es ja viele Situationen, wo man sich so mehr oder minder freiwillig registriert. Wir sind ja ein relativ freies Land. Sie gehen irgendwo in eine Kneipe und registrieren sich da auf so einem Zettel, da soll man seine Telefonnummer draufschreiben. Oder man macht das mit einer App. Auch das kann man natürlich ohne Weiteres – da ist halt dann mal ein Zahlendreher in der Telefonnummer drin und fertig. Ich glaube, dass diese Fälle dann zunehmen bei den Leuten, die sagen: Ich lasse mich hier nicht nötigen. Also, nochmal vorneweg: Ich bin absolut für die Impfung und ich rufe immer zu der Impfung auf. Ich würde mich auch freuen, wenn sich mehr Menschen impfen lassen. Es ist nur die Frage, ob man mit diesem Instrument wirklich epidemiologisch einen Extranutzen hat. Und wenn ich jetzt diese Pround Con-Effekte, die ich gerade mal zusammengezählt habe aus meiner Sicht, alle zusammenwerfe, dann würde ich einfach sagen: Der Nutzen ist höchst fraglich.

11:30


Camillo Schumann


Also, epidemiologisch ein großes Fragezeichen dran. Was ich mich auch frage: Über welche Fälle sprechen wir eigentlich ganz konkret? Geht es nur um die ungeimpften Menschen, die vorsätzlich in ein Risikogebiet fahren und nach dem Urlaub Quarantäne machen müssen? Oder auch um die ungeimpften Menschen, die, weil z.B. ein Kollege auf Arbeit positiv war, vorsichtshalber in Quarantäne gehen?


Alexander Kekulé

Es geht um beide. Also, es geht immer um die, natürlich, angeordnete Quarantäne. Also, Sie müssen hier wirklich den Vorsatz haben, damit dieser §56 Infektionsschutzgesetz, dieser eine

Satz, da greift. Wird jetzt schon wieder juristisch. Aber das heißt bei den Zivilrechtlern eben wissen und wollen. Also, Sie müssen wissen, dass eine Folge eintritt, und Sie müssen es auch wollen. Und da gibt es dann so im Strafrecht, sagt man, absichtlich sozusagen. Absichtlich heißt, ich habe es hauptsächlich gewollt. Also, das ist hier natürlich nicht der Fall. Keiner will sich ja infizieren oder will sich dem Virus aussetzen. Also, kommt also nur der Vorsatz in Frage. Und da gibt es eben jetzt sozusagen den direkten und den bedingten Vorsatz. Der bedingte Vorsatz heißt, dass man etwas, wie man so im Volksmund sagt, irgendwie billigend in Kauf nimmt. Also, es muss nicht eintreten, das Ergebnis, aber ich weiß, es könnte so sein. Und das ist die Kategorie, wenn ich quasi ungeimpft unter 3G plus Nachverfolgung z.B. in eine Diskothek gehe. Also, da könnte man sagen: Irgendwie nehme ich schon eine Infektion hier in Kauf und damit ja auch dann die Quarantäne in Kauf. Aber das ist halt ein bisschen schwierig, weil: Wann ist das wirklich so, dass ich diesen bedingten – die Juristen sagen Eventualvorsatz, also dolus eventualis sagen die Jurastudenten dazu – wann ist der bejaht? Also, wann ist das der Fall? Und das ist genau der, den Sie da ansprechen. Z.B. Rückkehr aus einem Hochrisikogebiet oder Virusvariantengebiet. Da sage ich: Ja, da habe ich im Prinzip ja gewusst, wenn ich da zurückkomme, muss ich in Quarantäne. Und wenn ich nicht geimpft bin, habe ich also die Quarantäne durchaus sozusagen in Kauf genommen. Oder vielleicht sogar nicht nur bedingt, sondern direkt in Kauf genommen. Aber selbst da könnte man jetzt drüber reden: Ist das juristisch nietund nagelfest? Nicht immer. Kann ich vielleicht mal ein paar Beispiele machen. Also, wissen Sie denn immer vor Abreise, dass das ein Risikogebiet ist? Es gibt ja auch Leute – hatten wir jetzt gerade im Sommer in Portugal – die werden erst im Urlaub von der Ankündigung überrascht, dass die Risikogebiete geändert wurden. Da würde dann diese Ausnahme des 56 Infektionsschutzgesetz meiner Meinung nach nicht mehr gehen. Weil: Da können Sie eben nicht sagen, er hätte es vermeiden können, sozusagen, weil er es ja nicht direkt gewusst hat. Es war kein Vorsatz, auch kein eventueller Vorsatz in dem Fall. Und dann gibt es noch ein anderes Thema zum Zeitpunkt. Es ist ja so: Im Moment

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gilt diese sogenannte Absonderungspflicht nach der Corona-Einreiseverordnung, die gilt ja nur bis Ende September. Das ist erstmal bis Ende September festgelegt. Wahrscheinlich wird es verlängert. Aber da kann man natürlich immer sagen: Naja, zu dem Zeitpunkt, wo ich die Reise geplant habe, hieß es Ende September, und ich wollte erst danach fahren. Und dann hatte ich keine Zeit mehr, mich zu impfen. Und schon sind Sie wieder raus aus dieser juristischen Vorsatzfalle sozusagen. Dann ist noch, ganz praktisch, die Frage: Bestand denn wirklich die Möglichkeit vor der Abreise, mich rechtzeitig zu impfen? Ich sage jetzt mal, jemand hatte bei der ersten Dosis eine besonders starke Nebenwirkung. Dann kann er durchaus sagen: Das wollte ich mit meinem Arzt erstmal abklären, ob ich dann wirklich die zweite Impfung machen sollte. Dabei ist der zweite Impftermin verstrichen und dann musste ich aber schon abreisen. Oder ich war aus wichtigem Grund verhindert. Beim zweiten Impftermin, was weiß ich, ist meine Frau auf die Nase gefallen und ich musste sie ins Krankenhaus bringen. Also, Sie sehen schon, das ist sogar bei diesem Fall, wo ich eigentlich finde: Ja, da hat es eine moralische Berechtigung irgendwo, zu sagen, Leute, die in den Urlaub fahren z.B. und kommen dann zurück und sagen ihrem Arbeitgeber: Ätsch, jetzt muss ich aber hier in Quarantäne gehen auf deine Kosten oder die des Staates. Da finde ich irgendwie auch so den erhobenen Zeigefinger nachvollziehbar. Aber selbst da kann man es aufweichen. Vielleicht gebe ich noch eins hinterher. Das war jetzt der Fall, wo ich jetzt sagen würde: Okay, wenn es nur auf die Reiserückkehrer beschränkt gewesen wäre, hätte ich es irgendwie nachvollziehen können. Aber das praktische Leben ist ja: Da geht es ja nicht darum. Sondern da geht es ja um die praktische Situation. Die Leute sollen GGG plus Nachverfolgung machen und hinterher kommen sie aber in Quarantäne. Und da ist schon die Frage: War denn die Quarantäne-Anordnung des Gesundheitsamts im Sinne des 56 Infektionsschutzgesetz immer vorhersehbar? Also, beim Vorsatz heißt es eben die Wissentlichkeit. Aber habe ich das also gewusst, dass es passieren würde oder wahrscheinlich kommen würde? Der Gesetzgeber sagt ja auch: GGG

plus Nachverfolgung im Club ist halbwegs sicher. Sonst gäbe es ja diese Anordnung nicht. Jetzt kann ich also sagen: Ich habe mich darauf verlassen, dass die Verordnung in Ordnung ist. Ich konnte doch nicht damit rechnen, dass ich dann in so einer Situation, wo ich mich an alle Vorschriften gehalten habe, hinterher vom Gesundheitsamt eine Quarantäne-Anordnung kriege. Oder ich kann sagen: Die Anordnung war überzogen, ich war im anderen Ende der Diskothek gestanden. Oder: Wie ist es, wenn es an der Uni einen Ausbruch gibt? Alle Schutzmaßnahmen sind ergriffen worden. Ich war irgendwo im Hörsaal, peng, kriege ich eine Quarantäne-Anordnung. War das dann noch Vorsatz? Oder: Ich war im Zug und hatte eine FFP2-Maske auf. Blöderweise habe ich aber dann am nächsten Tag Halsschmerzen gehabt. Keiner weiß, warum. Vielleicht war die Luft unter der Maske zu trocken? Und dann hat das Gesundheitsamt gesagt: Der hatte zwar eine Maske auf, der hat aber Symptome. Quarantäne. Können die machen. Die können sofort wegen Krankheitsverdacht in dem Fall eine Quarantäne anordnen. Auch für jemanden, der eine Maske aufhatte. War das dann Vorsatz? Ich sage: Nein, das ist kein Vorsatz, wenn ich quasi hier das Pech hatte, dass ich Halsschmerzen hatte nach einer Zugfahrt mit FFP2-Maske und dann in Quarantäne muss. Sie merken schon, diese ganzen Fälle – ich gebe Ihnen noch einen, dann reicht es. Aber ich will jetzt wirklich auch erklären, warum ich glaube, dass das ganze Ding im November sowieso von den Gerichten kassiert wird. Also, wie ist das eigentlich mit Minderjährigen? Ab 16 dürfen sie ja in Deutschland arbeiten. D.h., sie könnten ab 16 Lohnersatzleistungen erhalten. Es bestimmen aber bei Minderjährigen die Eltern, ob er sich impfen lässt. Wie ist denn das eigentlich? Ist das noch Vorsatz, wenn die Eltern gesagt haben, du darfst dich nicht impfen? Also, ich glaube, da gibt es noch viele Fragezeichen, wo man mal drüber reden kann. Und die sozialen Aspekte von dem Ganzen, ob diese Ermahnung unsere Gesellschaft auseinandertreibt, das ist noch auf einem ganz anderen Papier.

18:18


Camillo Schumann


Gut. Also, epidemiologisch: Fragezeichen. Jetzt sagen Sie, juristisch ist es auch noch mehr als wackelig und auf ziemlich dünnem Eis das

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Ganze gebaut. Die Beispiele aus dem Alltag sind ja auch nachvollziehbar gewesen. Da hätten wir jetzt noch die dritte Komponente, die politische Komponente. Ist das nicht möglicherweise auch die, auf die das Ganze zielt? Sozusagen der Ermahn-Faktor: Lasst euch impfen, der Druck wird größer?


Alexander Kekulé

Ja, also ich glaube, das sagen ja auch alle ganz offen, manche nennen das dann Impfpflicht durch die Hintertür. Es ist eine Ermahnung. Ich finde es grundsätzlich richtig, Unentschlossene nochmal zu ermahnen und ihnen zu sagen: Die Sache ist wichtig. Sie wissen natürlich, dass ich immer finde, das funktioniert am besten durch Aufklärung. Das ist einfach wirklich mein fester Glaube an der Stelle, dass wir vernünftige Menschen sind, wo das Zuckerbrot und die Aufklärung besser funktioniert als die Peitsche. Es gibt ja auch viele individuelle Gründe, die unterhalb der medizinischen Schwelle liegen. Also, es kann ja wirklich jemand – wir haben jetzt die aktuelle Diskussion, werden wir vielleicht auch noch drüber sprechen, dass man z.B. durch Antikörpertests nachweisen kann, dass man genesen ist. Wenn ich jetzt sage: Okay, wenn ich dann den Genesenen-Status durch Antikörpertests habe, dann reicht ja eine Impfung. Und das ist ja in der Diskussion und da warte ich jetzt einfach noch ein paar Wochen. Da, finde ich, ist jemand, der so eine Entscheidung trifft und sagt, das warte ich jetzt ab, dann nehme ich nur eine Impfung, weil ich weiß ja z.B., dass ich Covid hatte. Ich habe aber damals nur einen Schnelltest gemacht und kann es deshalb nicht mit der PCR beweisen. Das ist ja nicht völlig abwegig. Und es gibt ja auch viele andere Beweggründe, die so im persönlichen Bereich eher, sage ich mal, „weiche“ Gründe sind. Da hat vielleicht jemand Bekannte, die eine schwere Nebenwirkung hatten. Oder jemand aus der Familie hat eine schwere Nebenwirkung gehabt. Oder religiöse Gründe. Wie „weich“ sind die eigentlich? Die sind ja in der Regel anerkannt. Hier habe ich aber noch nichts davon gehört. Es ist letztlich eine Bevormundung derer, die meinen, dass sie jetzt auf der richtigen Seite sind im Moment. Die meinen, dass sie jetzt Recht haben. Die bevormunden in dem Moment eine Minderheit. Und die Wissenschaft hat ja auch

schon oft gezeigt, dass man gerade bei so neuentwickelten Substanzen gar nicht weiß, wer am Schluss recht hat oder wie viel er recht hat. Es sind ja alles, was wir machen, sind ja Empfehlungen aus der momentanen Datenlage heraus. Und deshalb glaube ich, dass man so einen Absolutheitsanspruch, sozusagen die Absolutheit der Wohlgesinnten, dass man das nicht in den Raum stellen kann, sondern man muss immer davon ausgehen, dass es Menschen gibt, die gute Gründe haben, sich anders zu entscheiden. Und ich glaube, deren Position muss man auch respektieren.

20:57


Camillo Schumann


Druck, Bevormundung: Herr Spahn sieht das natürlich ein bisschen anders: „Gelegentlich wird darüber gesprochen, dass das Druck bedeuten würde für Ungeimpfte. Ich denke, wir müssen das andersherum sehen. Es ist auch eine Frage von Fairness. Daher ist ja auch diese gesetzliche Regelung entstanden. Diejenigen, die sich und andere durch eine Impfung schützen, haben ja dann auch die berechtigte Frage: Warum eigentlich für jemanden, der im Urlaub war im Risikogebiet, und weil er nicht geimpft ist, der dann in Quarantäne muss, warum sie dann für so jemanden mitzahlen? Also, die Debatte muss man ja aus beiden Aspekten sehen. Und dann ist es eben auch wichtig, wenn Menschen sagen, es ist ihre freie, persönliche Entscheidung – das bleibt es auch – ob sie sich impfen lassen oder nicht, dass mit dieser Entscheidung dann eben auch die Verantwortung kommt, finanzielle Folgen zu tragen.“

Ein abschließender Satz vielleicht noch dazu?


Alexander Kekulé

Da gibt es zwei Sätze. Das eine ist: Ich glaube, die finanziellen Folgen, wenn man jetzt wirklich Lohnausfall für 14 Tage hat, die sind eben nichts, was Menschen einfach mal so locker tragen können, zumindest viele nicht. Und das andere ist: Das Argument von Herrn Spahn hat einen logischen Widerspruch in sich, weil: Er bezieht sich ja auf das Gesetz. Und das Gesetz ist eben meines Erachtens – das habe ich, glaube ich, vorhin erklärt – gar nicht so auslegbar. Und wenn es nicht so auslegbar ist, dann kann er dahinter nicht wirklich in Deckung gehen.

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22:20


Camillo Schumann


Wir sind gespannt, ob das Gesetz und das Vorhaben dann bis November durchhält. Wir werden es natürlich besprechen hier im Podcast. Kommen wir zum Thema Booster-Impfung. In Deutschland hat sich ja die Ständige Impfkommission dazu jetzt noch nicht positioniert. Die Empfehlung wird noch erwartet. Die Gesundheitsministerkonferenz hat die Booster-Impfung aber trotzdem für bestimmte Bevölkerungsgruppen schon mal empfohlen. Das sehen Sie ja ähnlich, haben in einem der vorangegangenen Podcasts auch eine Booster-Impfung für Menschen ins Spiel gebracht, die mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson&Johnson geimpft wurden. Und nun gibt es Studien-Zwischenergebnisse, die eine deutlich bessere Wirksamkeit zweier, statt nur einer Impfung mit Johnson&Johnson belegen. Also, Sie fühlen sich vermutlich bestätigt.


Alexander Kekulé

Ja, das sah vorher schon so ein bisschen so aus. Es war klar, weil wir ja von AstraZeneca die Daten hatten. Das ist ja ein Vektor-Impfstoff. Und bei Johnson&Johnson gab es einfach die Daten nicht. Das war der einzige Unterschied. Und es war aber zu erwarten, dass es in diese Richtung geht. Ich muss nochmal daran erinnern, dass diese Vektor-Impfstoffe ja von vornherein so geplant waren, dass man eigentlich nur eine Impfung macht, weil man vermutet hat, dass so viele Antikörper nach der zweiten Impfung kommen, dass man nicht nochmal impfen kann, weil quasi der gleiche Trick nur einmal funktioniert, weil immer zugleich eine Immunität gegen den Vektor – also, dieses Virus, wo eigentlich die immunologische Information verpackt ist – auftritt. Und bei AstraZeneca hat man gemerkt: Nach der ersten ist es so schwach, dass wir noch die zweite Impfung brauchen. Bei Johnson&Johnson war es zunächst so, dass eine Impfung eben ausgereicht hat. Das war also mehr oder minder ein Zufallsprodukt mit der Einmal-Impfung. Und das war jetzt zu erwarten, dass mit der Delta-Variante sozusagen dieser Johnson&Johnson-Vorteil ausgereizt ist. Und das hat sich jetzt tatsächlich auch gezeigt. Also, die haben jetzt gerade – das war nur eine Presseerklärung am Dienstag – da haben sie eben bekanntgegeben, dass also,

wenn man zwei Dosen hat im Abstand von einem Monat allerdings, 56 Tage im Mittel, dass man da, wie sie sich ausdrücken, eine Wirksamkeit hat von 94% gegen moderate bis schwere Infektionen. Ich fand es ein bisschen komisch, dass sie sagen „moderate bis schwere Infektionen“. Weil normalerweise ist die Impfstoff-Wirksamkeit immer gegen jede Art von symptomatischer Infektion. Also, wer auch immer Symptome hat, gilt quasi als Impf-Versager in dieser typischen Vaccine Efficiency. Und dass man da jetzt „moderate bis schwere“, sozusagen das so eingrenzt – bin mal gespannt, wie die Studie aussieht. Das sieht so ein bisschen aus, als hätten sie da bei der Pressekonferenz mit dem Wording so ein bisschen was gedreht. Das andere ist, dass sie es nochmal eingegrenzt haben nach Wirksamkeit nur in den USA und außerhalb der USA. Und da ist es so, dass nur in den USA bei moderaten bis schweren Infektionen die Wirksamkeit 94% ist. Das ist also viel besser als nur bei einer Impfung. Bei einer Impfung war es so irgendwo bei etwas unter 80 Prozent. Und wenn man jetzt außerhalb der USA schaut, da haben sie gesagt, da sei es so, dass da die Wirksamkeit schlechter ist als in den USA. Und wenn man das global anschaut und dann moderate bis schwere global anschaut, dann sagen sie: Nur noch 75%. Also d.h., ich habe so den Eindruck, dass es da relativ, sage ich mal, unterschiedliche Ergebnisse gab. Ganz klar ist es so: Die zweite Impfung oder der Booster dann bei Johnson&Johnson bringt einen Riesenvorteil. Insbesondere für diese Patienten oder diese Personen, die eben bisher überhaupt nur eine Impfung bekommen haben. Deshalb bestätigt das aus meiner Sicht, dass, wenn man boostert, dass das eine Gruppe ist, mit der man anfangen sollte. Es ist aber nicht klar, wie gut das dann wirksam ist. Also, das kann man aus dieser Pressekonferenz wirklich nicht herauslesen, weil die eben diese Einschränkungen gemacht haben. USA viel besser als international. Ist wieder die Frage, wo die Studien international gelaufen sind, wie viel Delta war dabei? Und deshalb müssen wir uns das am Ende nochmal anschauen, was dabei rauskommt. Und das ist natürlich zwei Monate Abstand. Das ist ziemlich lang, zwischen den zwei Impfungen. Und sie haben auch noch dazugesagt, wenn man das in sechs Monaten Abstand macht, dann ist

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es nochmal um den Faktor drei besser. Zumindest, was die nachweisbaren Antikörper betrifft. Das ist also diese alte Regel: Je länger der Abstand zur zweiten Impfung, desto besser. Sodass man das jetzt auch an der Stelle nicht unmittelbar jetzt mit den RNA-Impfstoffen vergleichen kann, die ja typischerweise in drei bis vier Wochen Abstand gegeben werden.

26:52


Camillo Schumann


Ungefähr 4,4 Mio. Impfdosen von Johnson&Johnson wurden ja in Deutschland bisher verimpft. Sind jetzt diese Studienergebnisse Grund genug, sich mit dem Vektor-Impfstoff von Johnson&Johnson ein zweites Mal impfen zu lassen? Oder sollte man da auch ein heterologes Impfschema, z.B. mit einem mRNA-Impfstoff, wählen?


Alexander Kekulé

Das hat natürlich jetzt so konkret keiner verglichen. Das ist in dem Sinn auch noch nicht empfohlen. Aber wir wissen aus anderen Situationen, dass die heterologe Impfung einfach de facto immer besser gewesen ist. Wo man auch theoretisch erklären kann, warum das so ist. Das liegt eben daran, dass das Immunsystem nochmal einen etwas abgewandelten Stimulus kriegt und dadurch eine breitere Immunantwort macht, insbes. wenn es um neue Varianten geht. Das greift sozusagen am Rand dann noch die Varianten mit ab. Und deshalb würde ich jetzt spontan sagen: Wenn ich jetzt einmal Johnson&Johnson bekommen hätte, würde ich wahrscheinlich fragen, ob ich beim nächsten Mal BioNTech oder Moderna bekomme. Wobei man dazusagen muss: Das ist bis jetzt nicht zugelassen und wäre dann sozusagen eine OffLabel-Anwendung. Das darf der Arzt natürlich machen, aber es ist keine offizielle Anwendung, sondern eine Individualentscheidung des Arztes. Ich meine aber, dass die wissenschaftliche Datenlage dafür ausreichen würde. Man kann genauso gut natürlich auch die zweite Johnson&Johnson-Impfung geben, die ist ja auch noch nicht zugelassen. Also, da ist es eigentlich auch so, dass beide Fälle eine Individualentscheidung des behandelnden Arztes sind.


Camillo Schumann


Aber wir wissen ja, bei AstraZeneca gibt es ja die Empfehlung, heterolog zu impfen. Das könnte hier möglicherweise ja auch passieren.


Alexander Kekulé

Bei AstraZeneca hat man das natürlich wegen der seltenen, aber sehr schweren Nebenwirkungen hauptsächlich gemacht. Das ist bei Johnson&Johnson noch nicht so genau registriert. Aber klar, es gab ähnliche Nebenwirkungen, es gab auch die Thrombosen. Sodass ich jetzt eben – die habe ich natürlich gerade auch im Kopf gehabt, wenn ich sage, ich würde wohl RNA-Impfstoff nehmen. Das wäre medizinisch vertretbar und naheliegend. Aber es gibt eben weder die Zulassung dafür noch die Empfehlung der STIKO bisher.

28:58


Camillo Schumann


Schauen wir mal. Kommen wir zum nächsten Thema. 3G ist ja die von der Politik beschlossene Grundlage für normales Leben, also geimpft, genesen oder getestet. Aber es gibt in Deutschland Millionen Menschen, die sich unbemerkt infiziert haben, aber keinen PCR-Test gemacht haben, um ihren Genesenen-Status auch offiziell dokumentieren zu können. Und für diese Menschen soll es nun einfacher werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nochmal:

„Jetzt geht es eben mit guten, besseren Antikörpertests, dass man durch den Antikörpertest nachweisen kann, man hatte die Infektion. Und dann reicht eine Impfung.“

Also: Man hat den Antikörpertest und man macht eine Impfung. Und dann hat man den Genesenen-Status. Also, Antikörpertest plus Impfung und dann ist man fein raus. So der Plan. Da stellen sich mir doch viele Fragen. Z.B.: Was für ein Antikörpertest? Also, ein Labor-Antikörpertest? Also, wo richtig genau hingeguckt wird? Oder ein Schnelltest aus der Apotheke? Aber wieso brauche ich eigentlich einen positiven Antikörpertest und noch eine Impfung? Reicht nicht der Antikörpertest? Das sind so Fragen, über die ich mich jetzt gern mit Ihnen unterhalten will. Die erste Frage: LaborAntikörpertest oder Schnelltest aus der Apotheke? Herr Spahn hat auch gesagt, die Tests sind jetzt immer besser geworden. Welche meint er eigentlich?


Alexander Kekulé

Ja, also das, was von Anfang an schlecht war, waren diese Tests aus der Apotheke. Also, man

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konnte ja so Schnelltests kaufen, wo man sich mal schnell einen Tropfen Blut abnimmt. Und dann gab es eben so eine Diffusionsreaktion – so ähnlich wie der Antigentest – gab es eben so eine Bande auf so einem kleinen Kästchen quasi, in so einer kleinen Kassette. Und wenn da die Bande positiv war, dann hatte man Antikörper. Die Tests waren von Anfang an schlecht. Ich glaube, wir haben hier auch schon davor gewarnt. Und das wurde auch leider z.T. dann in der Diskussion verwechselt mit den Antigentests. Ich erinnere mich gut, als ich ja schon so im April letzten Jahres für die Antigentests Werbung gemacht habe. Da gab es dann Leute, die gesagt haben, ja, die Tests sind aber Mist und meinten aber die Antikörpertests. Also, das ging z.T. so ein bisschen durcheinander. Es bleibt dabei, dass die Antikörpertests, die man selber macht, bis heute eigentlich nicht besonders gut sind. Also, ich würde – das wird natürlich eine Fachkommission dann entscheiden müssen – aber ich würde jetzt im Moment die Datenlage eher so sehen, dass ein zuverlässiger Nachweis einer durchgemachten Infektion nur durch eine Blutabnahme beim Arzt passieren kann. Das ist dann richtig in der Armvene eine ganz normale Blutabnahme. Und da stellt man dann mit einem Labortest fest: Antikörper ja oder nein. Und die sind ja schon sehr, sehr lange verfügbar, diese Tests. Und die sind damals schon gut gewesen und heute auch gut. Darum glaube ich, dass der Bundesgesundheitsminister sich hier eigentlich nur auf die Schnelltests beziehen kann, weil diese Antikörpertests, die man aus dem Blut macht, schon immer gut waren.


Camillo Schumann


Also, er redet über die Schnelltests aus der Apotheke, die man dann möglicherweise – wie z.B. in Österreich gibt es das ja schon – kaufen kann. Und da, würden Sie sagen, ist die Entwicklung jetzt so, dass man darauf einigermaßen vertrauen kann?


Alexander Kekulé

Das käme wirklich auf die Tests an. Ich muss jetzt sagen: Also, mein pauschales Bild von diesen Schnelltest ist nach wie vor schlecht. Man müsste auf jeden Fall, wenn man so eine Möglichkeit schafft, dass sich jemand mit so einem Schnelltest da quasi nachweisen kann, dass er eine Covid-Infektion durchgemacht hat, dann

müsste man das relativ genau reglementieren, wie das gemacht wird, wo das gemacht wird, wie das dokumentiert wird. Das geht natürlich nicht, dass man es zuhause macht. Und natürlich auch festlegen, welche Tests dann dafür zugelassen sind. Das wäre noch ein relativ langer Weg. Darum kann ich jetzt nur praktisch sagen: Der typische Fall ist ja eigentlich der, dass jemand unseren Appell nicht wahrgenommen hat, dass man sich sofort eine PCR machen lassen muss, wenn man einen positiven Antigentest hat, weil der alleine nicht reicht, und sich das PCR-Ergebnis vom Labor aufheben muss. Wer das nicht gemacht hat oder tatsächlich gar keinen Antigentest hat, sondern nur denkt, er hätte wahrscheinlich Covid gehabt, für die ist es meines Erachtens das sinnvollste, tatsächlich vom Arzt durch eine Blutabnahme sich das bestätigen zu lassen. Das wäre der schnellste Weg sozusagen, da in diesen Bereich zu kommen, dass dann nur noch eine Impfung ausreicht. Ich glaube, das andere wird unter Fachleuten noch eine längere Diskussion sein, welche Antikörpertests zum Selbermachen sozusagen da zugelassen werden sollten.


Camillo Schumann


Wenn das aus Ihrer Sicht und Ihrer Bewertung möglicherweise noch eine längere Diskussion ist, frage ich mich natürlich, warum Herr Spahn das jetzt so ankündigt, als käme das übermorgen? Ist das so eine Nebelkerze?


Alexander Kekulé

Nein, ich sehe das in dem Fall eigentlich ganz positiv. Also, fast hätte ich gesagt, das, was ich vorhin kritisch gesagt habe zu der anderen Idee, die Lohnfortzahlung auszusetzen, das könnte man hier fast wieder relativieren. Das finde ich eigentlich eine sehr gute Idee, eine lange überfällige Sache. Und wenn das vom Gesetz her formuliert wäre – also, wenn es einfach heißt, man kann den Status, dass man die Krankheit durchgemacht hat, nachweisen durch einen Antikörpertest, also in dem Fall zunächst mal einen, der vom Arzt ganz ordentlich gemacht wurde, und dann reicht eine Impfung – ich fände, das wäre eine Ansage. Das könnte man ja morgen quasi aufschreiben und noch vor der Bundestagswahl, hätte ich fast gesagt – im Moment geht es nicht, aber sobald die Parlamente wieder im Dienst sind, könnte man das ja verabschieden. Also, da sehe ich jetzt

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keine zeitkritische Achse. Also, länger dauern wird es nur, wenn man jetzt diese Selbsttests mit einbezieht, wo ich sowohl methodisch erstmal – zumindest bei einigen, die angeboten werden – Bedenken habe, als auch wirklich die Frage ist: Wie muss der dann gemacht werden? Das muss ja dann jemand bezeugen, der Fachpersonal ist, dass das alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und ich sage mal so von der Vergleichbarkeit: Bisher weist man ja seinen Status als Genesener nach durch die PCR. Und die kann ja wohl keiner zuhause im Wohnzimmer machen, außer man ist zufällig Mikrobiologe o.Ä.. D.h. also, die PCR wird typischerweise von einem Fachlabor durchgeführt und zertifiziert. Und ich finde, das wäre dann auf Augenhöhe und der vergleichbare, sozusagen, Nachweis, dass das gleiche Labor eben auch bei einer Blutabnahme den Antikörpertest heranziehen kann, um zu dokumentieren, dass jemand die Krankheit durchgemacht hat. Das, finde ich, wäre nur konsequent und war eigentlich schon überfällig. Und ich finde das gut, dass der Minister das jetzt angekündigt hat.

35:19


Camillo Schumann


Okay. Setzen wir mal voraus, es wäre jetzt ein Labor-Antikörpertest, dann frage ich mich natürlich: Warum, wenn ich dann nachgewiesen habe, ich habe Antikörper, brauche ich dann unbedingt noch eine Impfung? Würde nicht ein Grenzwert reichen?


Alexander Kekulé

Ui. Also, die Antikörper selber weisen nicht nach, wie immun Sie sind. Das gilt in beide Richtungen. Also, wir haben Menschen, die haben Impf-Durchbrüche gehabt oder Durchbrüche im Genesenen-Status, obwohl sie vorher nachweisbare Antikörper hatten. Und wir haben umgekehrt die Situation, dass ja relativ viele nach ein paar Monaten nach der Infektion – oder insbesondere auch nach der Impfung – dann ihre Antikörper verlieren. Zumindest die, die man so auf die Schnelle nachweist. Das IgG, das man da nachweist, das verschwindet nach ein paar Monaten häufig. Und trotzdem sind die Menschen ja deswegen nicht weniger immun. Also, ob ich noch immun bin, das kann man nur ungefähr an diesem Antikörper-Titer

nachweisen, aber nicht zuverlässig. Und deshalb wäre ich dagegen zu sagen: Hallo, ich bin jetzt immun, das reicht hier. Das kann man sicher nicht machen. Da ist mal so grundsätzlich die Frage: Ist genesen schon ausreichend? Ist das vergleichbar mit einer Impfung? Ich meine grundsätzlich eigentlich ja. Also, eigentlich ist jemand, der eine Covid-Infektion durchgemacht hat – nach dem, was wir bisher biologisch verstehen – im gleichen Maße geschützt vor einer Zweitinfektion, wie jemand vor einem Durchbruch geschützt ist, der eine Impfung gemacht hat. Aber da hat sich bei uns einfach der Gesetzgeber bisher dazu entschieden, zu sagen: Nein, die rein durchgemachte Infektion gilt nur sechs Monate. Das kann man erstmal so machen. Das beruht im Grunde genommen auf älteren Daten, weil man früher eben tatsächlich dachte, dass der Impfschutz nicht so lange hält. Und dann hat man gesagt, dann muss man nach diesen sechs Monaten spätestens eben einmal geimpft sein. Ich finde, das ist jetzt keine völlig abwegige Überlegung. Natürlich ist da Willkür mit drin. Aber so Gesetze sind ja immer irgendwie so Pi mal Auge, um irgendetwas zu regeln, was relativ komplex ist im realen Leben. Und deshalb finde ich, zu sagen: Okay, wer also nach mehr als sechs Monaten die Krankheit hinter sich hat, der muss noch einmal geimpft werden. Das kann man erstmal so machen. Und das würde dann eben im Prinzip auch für die Antikörper-Leute gelten, weil die ja gar nicht genau wissen, wie lange es her ist, dass sie tatsächlich infiziert waren.

37:51


Camillo Schumann


Aber ich kann doch aufgrund der Laboruntersuchung genau bestimmen, ob ich jetzt verhältnismäßig gut immun bin oder nicht.


Alexander Kekulé

Nein, das kann man eben nicht. Also, es ist so: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, ja. Wir wissen, dass so tendenziell – wenn man jetzt, was weiß ich, 5.000 Leute untersuchen würde, dann würde man eine Tendenz feststellen. Und würde feststellen, dass tendenziell abfallende Antikörper korrelieren – insbesondere bei älteren Menschen – mit einer abfallenden Immunität gegen eine Infektion. Das stimmt. Aber im

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Einzelfall können Sie das nicht sagen. Im Einzelfall ist es eben so, da gibt es wie gesagt Leute, die haben einen hohen Titer und sind trotzdem infiziert worden. Und es gibt Leute, die haben überhaupt keinen nachweisbaren Titer und sind aber scheinbar immun gegen das Virus. Also, da sind noch zu viele andere Faktoren, die eine Rolle spielen, sodass wir diesen Surrogat-Marker, sage ich jetzt mal, dieses reine IgG da nicht zuverlässig nehmen können. Wir haben ja schon mal gesprochen über das Immuno-bridging, was man macht, wenn man Kinder untersucht. Bei Kindern wissen will, ob ein Impfstoff funktioniert oder nicht, da nimmt man ganz bewusst eben nicht nur das IgG, um zu schauen: Ist das ausreichend angestiegen? Sondern da guckt man zusätzlich auf die neutralisierenden Antikörper. Das sind also solche, die im Zellkulturversuch im Labor wirklich Viren inaktivieren können. Das ist aber ein aufwendiger Versuch, das kann man nicht einfach so bei jedem Mal machen. Und das andere ist, wo man nachschaut: Wie sieht es aus mit den T-Zellen? Also, diese zytotoxischen T-Zellen und andere T-Zellen, also Lymphozyten, sind das, die quasi dem Immunsystem helfen, eine Immunantwort zu machen. Da guckt man: Sind da welche vorhanden, die speziell gegen SarsCoV-2 gehen? Und mit diesen Tests kann man sich dem Thema besser annähern. Aber auch da ist es so, das macht man eben beim Immuno-bridging, dass man guckt: Ist diese Blutreaktion vergleichbar mit dem, was wir bei anderen Altersgruppen sehen, die dann geschützt wurden durch den Impfstoff? Aber das ist wesentlich komplizierter als einfach nur mal IgG abnehmen. Also, dass man das aus einem IgG alleine nicht erkennen kann, ob jemand immun ist oder nicht.


Camillo Schumann


Also, unterm Strich: Gute, längst überfällige Maßnahme. Antikörpertest – und in dem Fall dann – plus Impfung. Und hier wäre sozusagen noch das Fragezeichen: Welcher Test wird es denn? Soll es ein Labortest sein oder wird es ein Schnelltest? Und wenn ein Schnelltest: Welcher Schnelltest? Aber da sind sozusagen noch viele offene Fragen.


Alexander Kekulé

Ja, aber ich finde, das ist schon mal gut für alle. Man muss sich ja überlegen: Wir haben so

viele Infizierte in Deutschland. Das ist ja eine wirklich große Ziffer von Menschen, die es z.T. nicht mitbekommen haben. Z.T. haben die das mitbekommen und wissen z.B.: Zwei Mitglieder meiner Familie wurden mit der PCR positiv getestet. Ich war dann auch krank, aber ich habe keinen Test machen lassen, aus welchen Gründen auch immer. Und dann wissen die eigentlich, sie hatten es schon. Und da gibt es, glaube ich, viele, die es wissen oder die es ahnen. Und die haben jetzt die Möglichkeit, eben das auch nachzuweisen. Und das finde ich eigentlich nur konsequent.

40:47


Camillo Schumann


Gut, dann kommen wir zum nächsten Thema. Seit einigen Tagen geistert eine Schlagzeile durchs Netz, über die wir jetzt mal sprechen wollen. Die Schlagzeile lautet: „Darum schützt Rauchen vor Covid-19. Forscher lösen Rätsel auf.“ Oder auch so eine Schlagzeile ist zu lesen: „Schutz und Gefahr zugleich. Warum Corona bei Rauchern anders verläuft als bei Nichtrauchern.“ Anlass über diese neue Berichterstattung ist eine japanische Studie, über die wir gleich mal sprechen wollen. Aber Herr Kekulé, grundsätzlich zieht sich dieses Raucher-Thema wie so ein roter Faden durch diese Pandemie.


Alexander Kekulé

Ja. Also, das ist wirklich merkwürdig. Die Hinweise gab es immer wieder. Ich glaube sogar, dass die Chinesen ganz am Anfang schon mal – müsste ich nochmal nachgucken – solche Hinweise hatten, dass Raucher weniger häufig Covid bekommen. Und ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, ich habe da meistens den Kopf geschüttelt und gedacht: Na ja, das kann irgendwie alles nicht sein. Warten wir es erstmal ab. Ich erinnere mich auch an die weitere Auswertung, die stattgefunden hat, von der Studie in Heinsberg. Da ist es ja so, dass der Herr Streeck aus Bonn, der hat ja diesen Ausbruch in Heinsberg genauer untersucht. Und die haben dann später untersucht, wer wo war bei dieser FestVeranstaltung, wo sich so viele Menschen infiziert haben. Haben das irgendwie mit der Lüftungsanlage versucht in Korrelation zu bringen. Das war nur ein Preprint. Aber in irgend so einem Nebensatz stand dann drin, dass komischerweise die Raucher statistisch etwas seltener die Infektion abbekommen haben. Und da

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hat man sogar dann rausgerechnet, dass das wohl eher nicht daran lag, dass die eben diesen Saal da verlassen haben, um Rauchen zu gehen. Ja, die sind ja dann typischerweise vor die Tür gegangen. Aber wenn man dann gefragt hat, wie lange wart ihr draußen, korrelierte das nicht so richtig, sodass es immer so diesen komischen Verdacht gab. Aus England gab es auch solche Daten, dass Raucher irgendwie möglicherweise besser geschützt sind. Was natürlich skurril ist.


Camillo Schumann


Ja, total. Also, ist sozusagen nicht das Argument, Raucher sind häufiger an der, in Anführungszeichen, frischen Luft und haben deshalb weniger Kontakt, möglicherweise, mit Aerosolen, wo sie sich dann bei längerem Zeitraum infizieren können. Also, dieses Argument ist vom Tisch?


Alexander Kekulé

Naja, vom Tisch... Man hat das halt versucht, irgendwie rauszurechnen. Sowas ist halt ein klassischer Confounder, so heißt ja sowas immer bei Studien. Dass es quasi so einen Faktor gibt, der das Ergebnis stört, weil die Leute sich anders verhalten haben. Aber es sieht so aus, als wäre es das nicht. Man kann vielleicht Folgendes noch sagen, ganz wichtig: Also, das betrifft nur die Wahrscheinlichkeit, positiv zu werden in der PCR. Das betrifft nicht die Frage: Wie schwer wird man krank, wenn man wirklich Covid bekommt? Da ist es natürlich umgekehrt. Raucher, die dann häufig auch Probleme mit der Lunge haben, wenn die dann von Covid erwischt werden – COPD z.B., diese Raucherlunge, ist ein ganz wichtiger Risikofaktor, um schwerst zu erkranken und daran zu sterben. Also, jetzt Rauchen anfangen, damit man quasi Covid besser übersteht, ist sicher falsch. Und das ist wahrscheinlich auch keine gute Idee, zu rauchen, um Covid nicht zu bekommen, weil dafür der Schutzfaktor zu geringfügig ist. Das waren ja immer nur so ganz leichte Effekte, die man da gesehen hat, die so an der Grenze der Signifikanz waren. Aber ich muss inzwischen sagen, nachdem es so viele Daten gibt, die alle so in die gleiche Richtung deuten und jetzt auch mit der aktuellen Studie: Ich habe so ein bisschen den Eindruck, so ganz aus der Luft gegriffen, oder aus dem Rauch gegriffen, ist es nicht.

44:13


Camillo Schumann


Die Frage ist ja: Was passiert biologisch im Körper eines Rauchers in Bezug auf Sars-CoV-2? Und die japanischen Forscher, die haben mal versucht zu erklären und herauszufinden, wie diese Giftstoffe der Zigarette in der Zelle positiv gegen das Virus wirken. Und sie haben tatsächlich etwas gefunden.


Alexander Kekulé

Ja, das ist wirklich interessant. Das ist interessanterweise eine Abteilung, die sich in Hiroshima in Japan mit Strahlenschäden eigentlich auseinandersetzt. Und die auch chemische Kanzerogenese, also die Entstehung von Krebs durch Chemikalien, untersuchen. Und da kennt man eben so bestimmte Signalkaskaden in der Zelle, die von Chemikalien angeworfen werden, die dann Krebs erzeugen können. Aber auch Gegenmechanismen in der Zelle, die versuchen, dann solche Chemikalien, die krebserzeugend sind, auch abzubauen. Und darum hatten die da die Expertise und haben dort einen bestimmten Rezeptor untersucht. Der ist – Achtung, hat einen schwierigen Namen – der heißt Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor. Also, das ist quasi ein Rezeptor, der benzolartige Verbindungen – also, so ringförmige Kohlenwasserstoffverbindungen, die im Zigarettenrauch eben enthalten sind – der die detektieren kann. Und die sind bekanntermaßen krebsfördernd. Also, das Benzol krebsfördernd ist, das kennt man, glaube ich, noch von der Tankstelle. Da steht das dann manchmal dran. Und deshalb weiß man, dass dieser Rezeptor, der wird angeworfen, wenn die Zelle merkt – z.B. die Leberzelle – hoppla, da sind diese giftigen Substanzen da. So eine Art Spürnase für Gifte auf der Zelle. Und der fängt dann an, Gegenmechanismen zu aktivieren, die typischerweise eben solche Gifte abbauen können. Da haben wir in der Leberzelle z.B. bestimmte Mechanismen, die dann solche Benzol-Verbindungen zerstören können. So weit, so gut. Das ist die normale Alarmanlage gegen Vergiftung in der Zelle. Und das Interessante ist jetzt: Ein Mechanismus, der da passiert – und das haben die hier eben gezeigt – ist, dass die Zelle, wenn sie auf diese Weise alarmiert wird, auch den sogenannten ACE2-Rezeptor runterreguliert. Und der ACE2, das haben vielleicht viele schon mitbekommen, das ist genau der Rezeptor an der

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Zelle, wo das Coronavirus andockt, typischerweise. Also, wenn das Virus in die Zelle will, muss es dieses ACE2 finden, um da rein zu können. Und das wird runterreguliert, aus welchen Gründen auch immer, als Reaktion auf solche benzolartigen Verbindungen. Und das hat man hier eben jetzt nachgewiesen, dass tatsächlich, wenn man dieses ACE2 runterreguliert, dass dann zugleich die Infektiosität – in der Zellkultur natürlich nur, das ist kein Menschenexperiment und auch kein Tierexperiment gewesen. Aber in der Zellkultur – Zellen, die man quasi in der Petrischale wachsen lässt – bei denen ist es so, dass die dann nicht mehr so leicht infizierbar sind, wenn man diesen Mechanismus in Gang setzt, der auch von Zigarettenrauch in Gang gesetzt wird.


Camillo Schumann


Also könnte man doch aus diesem, ich sage mal, Zigarettenrauch-Extrakt dann auch eine Therapie entwickeln?


Alexander Kekulé

Ja, das ist nicht ganz – also, das ist natürlich jetzt ein bisschen Zukunftsmusik. Aber es ist nicht abwegig. Das ist natürlich der Grund, warum man u. a. solche Untersuchungen macht. Das sind ja keine Forscher, die jetzt beweisen wollen, dass Zigaretten rauchen doch gut gegen Corona hilft. Würde ich auch ausdrücklich davor warnen, bevor das einer in den falschen Hals kriegt, dass das so zu interpretieren wäre. Genauso denken die natürlich, wenn man diesen Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor, also diese Spürnase gegen Benzol-Verbindungen, wenn man die raufreguliert – also, wenn man die aktiviert – dann kann das Sars-CoV-2-Virus nicht mehr so leicht in die Zelle rein. Und das schreit natürlich dann danach, zu sagen: Okay, jetzt finden wir vielleicht andere Wege, das zu aktivieren. Es muss ja nicht immer Zigarettenrauch sein. Man kann ja da in der Pharmakologie dann irgendwann viel selektiver vorgehen. Aber das wäre, wenn es irgendwann mal solche Medikamente geben sollte, wirklich nur der aller-allererste Anfang in diese Richtung. Und es gibt schon ganz andere Experimente, ganz andere Ansätze, sage ich mal, wie man dieses Eindringen des Sars-CoV-2 in die Zielzelle verhindern oder blockieren kann. Und ich würde jetzt mal mutmaßen, dass die anderen Konzepte, die es da gibt – da gibt es relativ

viele, die auch so aus der Zellkultur kommen – dass die wahrscheinlich eher das Zeug haben, zu einem Medikament zu werden.

48:28


Camillo Schumann


Und auch diese Studie werden wir verlinken in der Schriftform dieses Podcasts. Und zum Abschluss dieser Thematik der Hinweis: Rauchen kann tödlich sein und fügt Ihnen und den Menschen in ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau R. hat angerufen. Sie hat sich impfen lassen mit doch einigen Folgen und hat jetzt so ein paar Fragezeichen:

„Und zwar: Am 06.09. wurde ich geimpft. Zwei Tage hatte ich Gliederschmerzen, das ist ja normal. Aber danach habe ich mich 14 Tage lang gefühlt wie nach einer schweren Grippe, mit Schwindel und noch immer Schweißausbrüchen. Meine Frage lautet: Am 12.10. habe ich den zweiten Impftermin. Soll ich diesen absagen oder vielleicht zwei, drei Wochen später einen neuen Termin ausmachen? Für eine Antwort würde ich mich sehr freuen.“


Alexander Kekulé

Also, ich kann mal Folgendes allgemein sagen: Also, wir wissen, dass bei der zweiten Dosis die typische Impfreaktion häufig stärker ist bei den RNA-Impfstoffen. Damit muss man rechnen. Also, was auch immer bei der ersten Dosis passiert ist, wird dann typischerweise bei der zweiten Dosis nochmal passieren, und zwar etwas stärker. Zweitens muss man sagen: Schwindel – also alles, was so ein bisschen wie Grippe sich anfühlt – ist meines Erachtens unbedenklich. Das ist normal, weil da schießen einfach diese Botenstoffe, diese immunologischen Botenstoffe, die Zytokine, schießen nach der Impfung im Blut hoch. Und da fühlt man sich so ähnlich, als würde man gerade eine Grippe bekommen. Das ist eigentlich der gewünschte Effekt – auch, wenn es zynisch klingt. Aber so will man es eigentlich haben, ein bisschen. Das einzige, was jetzt hier bedenklich klingt, ist Schwindel. Da muss man sagen: Es gibt ja immer mal wieder Berichte über mögliche Herzmuskelentzündungen. Die kommen manchmal vor. Herzmuskelentzündungen können auf verschiedene Weise zu Schwindel indirekt führen, entweder über Herzrhythmusstö-

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rungen oder im schlimmsten Fall über Probleme, die mit Thromben und mit der Blutgerinnung zusammenhängen. Und deshalb muss man so einem Symptom immer nachgehen. Kommt dann sehr darauf an, ob der Schwindel, wie die Neurologen sagen, ungerichtet ist. Also, ob man sich nur schwindlig fühlt allgemein oder ob das so ein richtiger Drehschwindel ist, der in eine Richtung geht. Und deshalb würde ich sagen: Bei Schwindel als Symptom sollte man auf jeden Fall mal zum Arzt gehen, das genauer abklären, ob das damit zusammenhängen könnte. Kann ja auch sein, dass es zufällig aufgetreten ist. Und davon abhängig machen, ob man die zweite Impfung möglicherweise verschiebt. Also, das hängt jetzt vom Einzelfall ab.

51:04


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 223. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial.


Alexander Kekulé

Gerne, Herr Schumann. Bis Samstag.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder Sie rufen uns an, das kostet nichts: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

An dieser Stelle ein Podcast-Tipp: Hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um die Frage: Kann ich bei Krankheit gekündigt werden? Der Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 11. September 2021 #218: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zur Sendung:

https://we.tl/t-WJUPVNjVzf


Camillo Schumann


Werden Impfstoffe an Babys getestet?  Werden Geimpfte in sechs bis zwölf

Monaten sterben?  Sollten sich Genesene ohne Antikörper

besser zweimal impfen lassen?  Sollte der genesenen Status länger als

sechs Monate gelten?  Verlieren auch Kinder durch eine

Corona-Infektion längere Zeit ihren Geschmackssinn?

Damit Hallo und herzlich willkommen zu einem „Kekulés Corona-Kompass Hörer-Fragen Spezial“. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

[0:01:28]: 

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Diese Hörerin hat angerufen. Es geht ums Thema Impfen. Allerdings bei den Jüngsten.

Hörerin

Ich habe gelesen, dass Moderna und Biontech ihre Impfstoffe an unter 6 Jahre alten Babys testen. Für Frühjahr 2022 bieten sie für Neugeborene was an. Anscheinend ist das eine Studie mit Tausenden von Kindern. Ich frage mich, wo das getestet wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Mutter oder dass Eltern in entwickelten Industrienationen, sowas mitmachen würden. Meine Sorge ist, dass an den Ärmsten der Armen, auf deren Kosten getestet wird.


Camillo Schumann


Eine besorgte Mutter.


Alexander Kekulé

Das mit der Mutter hat man, glaube ich, im Hintergrund gehört. Es ist so, dass gerade solche Studien. Ich weiß nicht, wo die Studien gemacht werden ganz konkret. Das ist nicht so, dass die da aufschreiben, wir machen das dort und dort. Auch aus gutem Grund, weil es natürlich Gegner gibt, die dann möglicherweise die Krankenhäuser, die das machen, da irgendwie umstellen würden und demonstrieren würden oder sonst was. Aber üblicherweise ist es so, dass solche Studien ganz speziell nicht in den weniger entwickelten Ländern gemacht werden. Weil man eben genau vor diesem Vorwurf wirklich Angst hat. Das scheut man wie der Teufel das Weihwasser. Weil die Pharmaindustrie natürlich ... Das weiß ja jeder. Die werden in vielen Teilen gerade der industrialisierten Welt gemacht. Die haben manchmal einen schlechten Ruf an der Stelle. Deshalb werden solche Studien eigentlich immer ... Die müssen ja von Ethikkomitees freigegeben werden. Die werden unter besonders kontrollierten Bedingungen gemacht. Und Sie werden lachen. Das ist wirklich so, wenn Sie in den USA zu so einer Studie aufrufen. Da gibt es richtig viele Leute, die da mitmachen wollen. Das ist jetzt nicht so, dass man da Schwierigkeiten hätte, Teilnehmer zu bekommen. Sondern so wie es auf der einen Seite eben Skeptiker gibt in Europa, aber auch in Amerika. Es wird immer gesagt, das wären so viele in Deutschland. Aber ich glaube zum

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Beispiel in Frankreich, die können uns durchaus das Wasser reichen bei den Impfskeptikern.

Genauso gibt es aber Leute, die auf der anderen Seite so euphorisch sind, davon, dass man jetzt wirklich alle impfen soll. So ist es wirklich leicht, da Kandidaten zu bekommen. Das wird natürlich besonders genau kontrolliert, soweit man das kontrollieren kann. Das wird sehr vorsichtig gemacht, weil man das mit der Dosis erst mal herausfinden muss, welche Dosis ist da richtig? Ich persönlich muss sagen, ich finde auch ... Selbst die Studien müssen natürlich schon mal irgendwie im Hintergrund haben, in dem Sinn, dass man eine Indikation sieht. Und da ist die Argumentation der pharmazeutischen Industrie, dass die sagen, die Sterblichkeit bei den jungen Menschen. Also bei Jugendlichen insbesondere zwölf bis 17 Jahre. Das haben wir in Deutschland viel diskutiert. Das ist die niedrigste von allen. Also das sind die, die ganz, ganz wenig sterben. Aber wenn man bei den ganz Jungen nachschaut, also Alter von null bis zwei Jahren. Da haben wir wieder einen höheren Anteil von kleinsten Kindern, die an Covid auch sterben können. Ist immer noch wenig im Vergleich zu dem, was bei den Alten passiert. Wir wissen auch nicht genau, woran das liegt. Aber das ist nicht einfach, wenn Sie da so einen Winzling haben und er kriegt dann noch eine schwere Atemwegsinfektion. Das ist halt dann unter Umständen eine ernste Sache. Das ist deren Argumentation.

Ich kommentiere jetzt nicht, ob ich das jetzt teile oder nicht. Aber so sagen die, gerade in dieser Altersgruppe spielt es eben dann doch wieder eine Rolle und deshalb wollen wir sehen, ob wir da einen Impfstoff dafür entwickeln. Die grundsätzliche Frage, ob solche RNAImpfstoffe dann das Richtige sind. Das ist ja schon fast ... Fast hätte ich gesagt, ein bisschen ideologisch. Also wie fortschrittsgläubig ist man oder wie sehr nicht. Aber Sie können sicher sein. Diese Studien werden nicht irgendwie an irgendwelchen Würmchen in den Entwicklungsländern gemacht.

[0:04:46]: 

Camillo Schumann


Herr Werner hat gemailt. Er möchte wissen: ich habe gehört, dass das Immunsystem auch eine Immunität gegen den Impfstoff selbst erwirbt. Bei Vektor-Impfstoffen könnte dies bereits schon nach der ersten Impfung gegeben sein. Wie ist das bei mRNA-basierten Impfstoffen. Baut der Körper hier auch eine Abwehr auf, sodass dieses Schwert unscharf werden könnte? Viele Grüße.

[0:05:09]:


Alexander Kekulé

Bei den Vector-Impfstoffen stimmt es. Der Vektor ist ja nichts anderes als ein Virus und ein sogenanntes Adenovirus, was man bisher modifiziert hat. Und ein erheblicher Teil der Immunantwort wird verwendet dafür, gegen den Vektor die Immunität aufzubauen. Das ist ja auch eine Schwäche dieser Impfstoffe.

Bei den m RNA-Impfstoffen haben wir darauf gar keinen Hinweis. Also da ist ja im Grunde genommen diese RNA alleine drinnen. Gegen die gibt es keine gezielte Immunität. Wenn der Körper anfangen würde, die Messenger-RNA. Das ist ja ein Botenstoff, der quasi in der Zelle erklärt, der Zelle sozusagen zeigt, wie es bestimmte Proteine herstellen soll. Das wird ständig, RNA wird ständig gebildet, in jeder Zelle. Wenn es gegen irgendeine Immunabwehr ginge, dann wäre die Zelle sofort tot. Also das würden wir nicht überleben.

Es gibt übrigens Krankheiten, wo so etwas Ähnliches passiert, wo Antikörper gegen DNA auftreten oder gegen Proteine, die an der DNA dranhängen. Also die DNA ist dieses andere Molekül, was quasi die Erbinformationen im Zellkern trägt. Das sind schwere Erkrankungen, so autoimmunologische. Also gegen die RNA gibt es keine Immunantwort, kann man so global sagen.

Und dann gibt es noch diese Lipid Nanopartikels, wo die RNA eingebaut ist. Da verraten die Hersteller nicht ganz genau, wie sie das zusammengesetzt haben. Das ist Betriebsgeheimnis. Aber es wäre unwahrscheinlich, wenn dagegen irgendwie eine relevante Immunantwort auftreten würde. Sodass man sagen kann, nein, bei den RNA-Impfstoffen ist es nicht zu erwarten, dass sozusagen eine Immunisierung gegen

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das Vehikel dazu führt, dass dieses Schwert mal unscharf wird.

[0:06:46]:


Camillo Schumann


Die Frau Schmidt hat angerufen. Sie hatte bei ihrer Corona-Infektion einen sehr hohen Ct Wert, der kurz vor negativ war. Drei bis vier Wochen nach der Quarantäne hatte sie einen Antikörpertest gemacht, bei dem keine Antikörper nachweisbar waren.

Hörerin

Ich habe jetzt eine Booster-Impfung bekommen, jetzt etwa vier Monate nach der Infektion. Und ich stelle halt die Frage, gilt quasi diese Boosterung auch für Genesene, die quasi keine Antikörper nachweisbar haben. Kann man sich da genauso „etwas wohler mitfühlen“, als wenn man einen Genesenen-Status hatte, mit damals recht hohen Antikörpern? Und gibt es da auch noch mal einen Unterschied oder sollte man doch darüber nachdenken, ob eventuell auch eine zweite Impfung dann vielleicht noch einen gewissen Nutzen hat?

[0:07:37]:


Alexander Kekulé

Ja, das ist schwierig. Die Frage ist, wie man das interpretiert. Also erstens, dass die Antikörper negativ sind. Drei bis vier Wochen nach der Quarantäne. Das ist schon relativ früh. Also wir wissen, bei manchen ist es ungefähr, bei einem Viertel der Infizierten. Da ist es so, dass wir so nach drei Monaten keine Antikörper mehr sehen, so in der Größenordnung. Die Zahl, wie hoch der Anteil jetzt nach drei bis vier Wochen ist, habe ich nicht. Aber es müsste schon ein relativ kleiner Anteil sein, der keine Antikörper bildet. Zum zweiten ist es so, wenn der Ct Wert sehr hoch wäre das ist ja quasi dieser Wert, der umgekehrt proportional zur Viruskonzentration ist. Also je höher der Ct Wert, desto weniger Virus war drin bei der PCR. Wenn der sehr hoch war, dann muss man natürlich schon auch die Frage stellen ... Manchmal ist es so im Grenzbereich und war dann vielleicht irgendwie auch doch eher negativ, sodass jetzt die

Frage ist, war das eine klare, ernste Corona-Infektion? War es so, dass von der Klinik her, von den Symptomen her eigentlich völlig klar ist, dass das Covid war? In dem Fall würde ich mir keine Sorgen machen und sagen, nö, alles gut. Eine Impfung reicht. Das Immunsystem hat sich das schon irgendwie gemerkt, dass es da mal mit dem Virus Kontakt hatte. Wenn aber der Verdacht besteht, dass es gar nicht Covid war, sondern die PCR grenzwertig falsch positiv war und vielleicht die Symptome gar nicht so richtig eindeutig waren. Manchmal hilft es, die Infektionskette ... Also überlegen, von wem habe ich es gekriegt? Wie war es bei dem? Also wenn jetzt zum Beispiel die halbe Familie positiv war und dann hat man sich angesteckt. Dann ist relativ eindeutig, was man hatte. Und wenn man diese ganzen Möglichkeiten ausbalanciert und dann am Schluss sagt, nee, also ich habe höchstwahrscheinlich wirklich Covid gehabt. Dann keine zweite Impfung.

Und wenn man aber sagt, es ist fraglich, ob ich überhaupt Covid hatte. Dann würde ich auf Verdacht die zweite Impfung machen zur Sicherheit.

[0:09:34]:


Camillo Schumann


Herr Bertko hat gemailt. Er beschreibt ein Problem, das vermutlich sehr viele Menschen haben. Er schreibt: im Dezember 2020 waren meine Frau und ich an Covid erkrankt. Mit PCRTests bestätigt. Im März 2021 konnten beim Hausarzt-Test immer noch über 200 Antikörper nachgewiesen werden. Nun die Frage: weshalb gilt man ein halbes Jahr nach überstandener Erkrankung nicht mehr als genesen und darf zum Beispiel nicht in ein 2G-Restaurant? Viele Grüße, Herr Bertko.

[0:10:04]:


Alexander Kekulé

Gute Frage. Die stelle ich mir auch immer. Erstens bin ich gegen 2G Restaurants. Das ist, glaube ich, bekannt. Aber ja, das ist letztlich so, dass das aus der Anfangszeit der Pandemie stammt. Viele Erkenntnisse sind ja noch ein

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bisschen steinzeitlich. Sozusagen in dieser Pandemie gedacht steinzeitlich. Die stehen aber noch in den Gesetzen drin, weil man halt am Anfang oder zumindest einige Leute vom Robert Koch-Institut am Anfang diese Vorstellungen hatten. Das Robert Koch-Institut als obere Bundesbehörde berät den Gesetzgeber bei den Verfahren. Und da war eben bei diesen Leuten damals so, dass so ein bisschen so die Idee, dass jemand, der eine Infektion durchgemacht hat, nach sechs Monaten nicht mehr sicher immun ist. Das ist komplett vom Tisch. Wir wissen heute, dass die durchgemachte Infektion mindestens so lange schützt wie die Impfung. Und dass die Immunität mindestens genauso gut ist. Wir haben schon Daten besprochen, die darauf hindeuten, dass sie sogar besser sein könnte als bei der Impfung. Aber das ist noch unklar oder genauso gut. Lassen wir es dahingestellt. Es gibt keinen Grund hier ein Unterschied zu machen zwischen dem Geimpften und dem Genesenen. Irgendwie ist es ja auch ein bisschen aus dem Bauch heraus. Es ist ganz schön vermessen, dass die Menschen, die sich irgendetwas ausgedacht haben, um die Natur zu kopieren nichts Anderes ist ja ein Impfstoff. Dass die glauben, dass sie besser wären mit ihrem Impfstoff, den sie jetzt gerade mal ein halbes Jahr in Betrieb haben, als das seit Millionen von Jahren, genauer gesagt seit Milliarden von Jahren entwickelte Immunsystem des Menschen. Unser Immunsystem ist, sage ich jetzt einfach mal, mit hoher Wahrscheinlichkeit besser als alles, was wir so nachbasteln können. Sonst wären Computer ja auch leistungsfähiger als unser Gehirn am Ende des Tages nach. Manchmal könnte man denken, dass es so ist.

[0:11:54]: 

Camillo Schumann


Ich wollte gerade sagen. Bei dem einen mehr bei dem anderen weniger.


Alexander Kekulé

Gesamt gesehen. Aber Sie verstehen, was ich meine. Also jedenfalls, das ist völlig absurd. Aber es ist halt so. Und die Frage, die man sich

dann einfach nur stellen muss, der Gesetzgeber muss halt schnell irgendetwas machen. Man muss irgendwie reagieren. Und hätten Sie damit eine Chance, beim Bundesverfassungsgericht mit einer Klage durchzukommen? Nein, weil Sie würden meiner Meinung nach Nein, weil Sie würden... Das wäre ein einstweiliges Verfahren. Also ein Eilverfahren, was dann nur einen Sinn hätte ... Das alles aber dauert zu lange. Und im Eilverfahren wägt das Gericht die Umstände eher so grob ab. Und dann sagt es eben, naja, bei grober Abschätzung hat der Gesetzgeber das nicht offensichtlich total falsch gemacht, weil er ja irgendwelche wissenschaftlichen Fakten hatte. RKI ist halt einfach ein Fakt in dem Zusammenhang. Und wenn sich die Lage dann ändert, dann ist der Gesetzgeber ... Wenn sich die Datenlage ändert, dann muss der Gesetzgeber in so einer pandemischen Lage nicht sozusagen ständig am Puls der Wissenschaft sein.

Die Gegenargumente wären dann immer, wir warten das Jahr ab. Und in einem halben Jahr muss es sowieso entschieden werden. Und ich sage jetzt mal ein Gegenargument, was ich selber auch gelten lasse in gewisser Weise. Man muss sich ja klarmachen: auch der GeimpftenStatus ist ja vorläufig. Wie ich erst kürzlich gelernt habe, ist er für ein Jahr lang gültig. Das heißt also dieser schöne QR-Code, auf den viele so stolz sind auf dem Handy. Der gilt ja nur ein Jahr. Danach ist noch völlig offen, wie es weitergeht. Weil das muss wieder die EU gemeinschaftlich festlegen. Das wird wieder interessant. Und da kann man schon sagen, na gut, also jetzt heben wir das ganze Paket mal auf. Was machen wir mit Genesenen und was machen wir mit den Geimpften nach einem Jahr, bis wir mehr Daten haben und entscheiden das dann gemeinsam. Das wäre so meine Hoffnung, dass es so passiert und dann am Schluss was Vernünftiges dabei rauskommt.

[0:13:45]:


Camillo Schumann


Noch einmal kurz nachgefragt, weil zum Beispiel der Roman, der dasselbe Problem hatte, will nun wissen, würden Sie sich dafür aussprechen, einen Antikörpertest anzuerkennen? Also dauerhaft?

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[0:13:55]:


Alexander Kekulé

Ja natürlich. Das ist auch zum Beispiel so ein Thema. Gestern und heute. Ganz am Anfang gab es mal die Frage, wie sicher sind diese Antikörpertests. Da ist auch bekannt, dass zwischen zwei prominenten Virologen in Deutschland da eine öffentliche Auseinandersetzung war. Weil der eine gesagt hat im Fernsehen: die Studie taugt nichts, weil die mit den falschen Antikörpern gemacht wurde, mit falschen Antikörpertest gemacht wurde. Inzwischen ist völlig klar, dass diese Antikörpertests zuverlässig sind. Es gibt da auch schon die zweite und dritte Generation, die wirklich so sind, dass man sagen kann, jawoll, wenn da einer diese Covid-Antikörper hat, dann hatte der tatsächlich Covid. Das Problem ist bei diesen Tests, weil man weiß nicht, wie lange es zurückliegt. Das können Sie nie sagen. War das jetzt vor vier Wochen? Oder war das vor einem halben Jahr oder vielleicht vor einem Jahr? Und dann wäre ja sozusagen die Gesetzgebung inkonsistent. Dann wäre das eine gewisse Asymmetrie. Wenn man bei der PCR die sechs Monate hat und beim Antikörpertest das pauschal anerkennt. Das würde nie und nimmer bei den Verwaltungsgerichten durchkommen. Das müsste gar nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Das würde gleich in der untersten Ebene scheitern. Und darum hat man das eben nicht anerkannt, obwohl man wissenschaftlich schon längst verstanden hat, dass das genauso gut ist.

[0:15:14]:


Camillo Schumann


Frau Saffa hat gemailt. Sie schreibt, in der Sendung von Markus Lanz am 2. September haben Sie über das Problem für Kinder und Jugendliche ab Herbst durch die drohenden Schulschließungen und Quarantänen gesprochen. Beim Satz von Ihnen, „... der einzige Weg, das zu verhindern ...“, wurden Sie leider von Herrn Lanz unterbrochen. Mich würde Ihre Meinung dazu brennend interessieren. Was sehen Sie als einzigen Weg, dies zu verhindern? Und wel-

che Möglichkeiten gibt es für die Kindergärten? Die werden immer gerne vergessen. Viele Grüße.

10 [0:15:44]:


Alexander Kekulé

Wie kann man Schulschließungen verhindern? Nicht so, wie es jetzt gemacht wurde. Also Stufe eins wäre gewesen: Man muss die Hintergrund-Inzidenz niedrig halten, damit man überhaupt sich was leisten kann und etwas für die Schüler sich leisten zu können, sozusagen, dass die da mehr Freiheiten haben. Das hat eben auch mit der Hintergrund-Inzidenz zu tun.

Stufe zwei ist, dass man wirklich auch an den Schulen Ausbrüche konsequent nachverfolgen und stoppen muss. Man kann es nicht einfach laufen lassen, wenn man diese steigende Inzidenz sozusagen im Auge hat. Man könnte es laufen lassen. Das ist eine Diskussion, die haben wir hier auch schon mal geführt. Hinsichtlich der Krankheiten durch die Kinder selber. Ja, also da könnte man sagen, so what ... Da werden so wenige krank. Wir machen jetzt eine gezielte Durchseuchung. Aber ich habe auch noch kaum jemanden gehört, der das ganz offen zugegeben oder begründet hat. Und ich weiß auch nicht, ob das zulässig wäre, weil es ja letztlich eine vorsätzliche, zumindest mit bedingtem Vorsatz, eine Körperverletzung wäre. So und jetzt sind wir in dieser Gemengelage. Und deshalb müssen wir die Ausbrüche in Schulen unter Kontrolle halten. Wir müssen weiter die Quarantäne machen, wenn es sein muss eine ganze Klasse in Quarantäne bringen. Von mir aus die Quarantäne so kurz wie möglich halten. Und am Schluss dann einen PCRTest machen, um zuverlässig oder halbwegs zuverlässig rauszukriegen, wann man sie beenden kann. Und so engmaschig so gut wie möglich das Ganze zu überwachen. Und natürlich brauchen wir weiterhin die Masken in geschlossenen Räumen in der Schule. Wenn man das nicht macht ... Und das ist eben die Überlegung, die ich in der Sendung damals gebracht habe. Wenn man das nicht macht, dann kommt es zu den Ausbrüchen in der Schule. Dann werden die Eltern sagen, da ist ein Aus-

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bruch. Da will ich mein Kind nicht mehr hinbringen. Der Staat sagt, du hast aber eine Schulpflicht. Dann verpflichtet der Staat die Eltern, ihre Kinder vorsätzlich zu infizieren. Ich übertreibe jetzt natürlich ein bisschen. Aber das wird nicht durchkommen. Das wird bei den Gerichten scheitern. Das heißt, dann werden die Gerichte anordnen, dass die Schule geschlossen wird oder die Eltern die Kinder nicht mehr in die Schule bringen müssen, wenn sie es nicht wollen.

Das zweite was passiert ist, dass wenn Sie ein ungezügeltes Ausbruchsgeschehen in den Schulen haben. In Nordrhein-Westfalen ist ja im Moment so eine Situation. Die dann noch zusätzlich lockern, wie das dort der Fall ist. Man hat die Quarantäne für Schulkinder ja dort abgeschafft gerade. Dann sind Sie in der Situation, dass Sie von dort aus eine Initialzündung quasi kriegen. Oder wie so einen Brandbeschleuniger. Sie haben eine große Menge von Kindern, die infiziert sind. Die stecken große Teile der Gesellschaft an, weil die natürlich intensiven Kontakt haben. Viele Infektionen werden übersehen. Und dann schleppen sie das dann auch ein in die Gruppe der Vulnerablen, in die Gruppe der Ungeimpften und in dem Moment laufen Ihnen dann die Krankenhäuser voll. Und dann können Sie nicht mehr sagen, das Krankenhaus ... Ich nehme jetzt mal Leverkusen, weil da bekannt ist, dass da die Inzidenz bei den Schulkindern den Spitzenwert in Deutschland gerade erreicht hat. Das Krankenhaus in Leverkusen ist zwar völlig überlastet mit Covid Fällen, aber wir lassen die Schulen weiter offen. Das ist die Situation, wo Sie dann quasi als Ultima Ratio quasi gezwungen werden, die Schulen zuzumachen. Und das, was jetzt passiert ist letztlich in den Entscheidungen, dass man sich für diese Lockerungen entschlossen hat. Oder vor allem die Lockerung der Quarantäne, auch die Lockerung bei den Schnelltests, dass die Geimpften und Genesenen den nicht mehr machen müssen. Das könnte wirklich, rein theoretisch ... Ich muss da den Teufel an die Wand malen als Möglichkeit. Das könnte wie ein Bumerang zurückfliegen und genau das Gegenteil von dem bewirken, was man eigentlich haben wollte. Nämlich, dass dann wirklich die Schulen dichtgemacht werden müssen und die Kinder wieder zu Hause hocken, was man ja durch diese

ganze Maßnahme eigentlich gerade verhindern wollte.

Das ist nur eine Möglichkeit. Ich sage nicht, dass es so kommen wird. Aber ich glaube, diese Option, die Schulschließungen sicher zu verhindern, die hat man jetzt verpasst. Und deshalb schauen wir uns jetzt das Experiment an, wie das jetzt läuft. Kann sein, dass es gut geht. Das will ich gar nicht ausschließen. Aber Sie hören schon so durch ... Meine Mutter hat immer gesagt, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und so bisschen bin ich irgendwie auch programmiert. Ich versuche, in so einer Lage eigentlich immer den Weg zu gehen, wo sozusagen das Risiko minimiert wird und die unangenehmen Nebenwirkungen auch möglichst klein sind. Und ich finde, Rachenabstrich und fünf Tage oder sieben Tage Quarantäne für so eine Schulklasse. Das ist ein relativ kleines Problem im Vergleich zu allgemeinen Schulschließungen.

[0:20:19]:


Camillo Schumann


Frau Schulz hat gemailt. Wir haben im privaten Bereich immer wieder Diskussion darüber, dass Geimpfte wohl sechs bis zwölf Monate nach der Impfung an irgendwas erkranken und sterben. Gegenargumente zählen da nicht. Welche wissenschaftlichen Argumente können Sie da bringen? Vielen Dank und viele Grüße. Frau Schulz.

[0:20:38]:


Alexander Kekulé

Also, das sind die typischen Argumente, die man so von den Impfskeptikern hört. Die sind wirklich absolut unbegründet. Natürlich sterben Menschen an irgendwas. Genauso nach der Impfung. Aber nachdem Sie Tatort im Fernsehen geguckt haben, sterben Sie auch am nächsten Tag. Und das liegt dann hoffentlich nicht am Tatort, den Sie gesehen haben oder sonst was. Es gibt Zusammenhänge, die sind nicht kausal. Die haben nichts miteinander zu tun. Und welche kausalen Zusammenhänge es gibt, das untersucht bei uns in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut, in den USA die CDC, nach

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diesen Impfungen wirklich sehr, sehr gründlich. Wir haben schon viele Studien besprochen. Und es gibt wirklich außer den Dingen, die natürlich auf der Tagesordnung sind, wo wir wissen, dass es eine Rolle spielt. Zum Beispiel die Herzmuskelentzündung.

Außer denen gibt es keinen kausalen Zusammenhang, der wirklich irgendwie selbst wenn die Wissenschaftler den Kaffeesatz zehnmal anschauen sich konkret rauskristallisiert hätte. Also die wirklich kausalen Zusammenhänge. Sie werden sich erinnern bei AstraZeneca. Die Thrombosen. Das ist völlig eindeutig gewesen, obwohl es ja selten ist. Und wenn man jetzt eine ganz seltene Sache wie so eine Thrombose, eine Hirnvenenthrombose. Das hat man ja dann doch relativ schnell rausgefunden. Das hat mich eigentlich beruhigt. Das heißt dieses System, diese Überwachung, die ist offensichtlich zuverlässig.

[0:21:51]:


Camillo Schumann


Herr Wangenheim schreibt: hallo, man hört so wenig über Vorbeugung und unterstützende Mittel, unterstützende Medizin. Und jetzt schreibt er, ich schabe jeden Morgen den Belag von der Zunge. Ist das nun eher schädlich? Viele Grüße, Herr Wangenheim,

[0:22:07]:


Alexander Kekulé

Diese Zungenreiniger. Schädlich ist es auf keinen Fall. Kommt darauf an, wie kräftig man schabt. Aber es gibt Leute, die sind süchtig da drauf. So wie die einen nicht ohne Zähneputzen können, das ist bei uns ja relativ weit verbreitet. Und da gibt es andere, die inzwischen eine Stufe weitergehen und nur noch mit diesem Zungenreiniger unterwegs sind. Und es gibt ganz fürchterliche Szenen, wenn sie die mal im Urlaub vergessen haben.


Camillo Schumann


Das hört sich so an, als würden Sie jetzt aus dem Nähkästchen plaudern.


Alexander Kekulé

Nein. Also ganz ehrlich gesagt ... Mich haben ja mal Freunde, mit denen ich im Urlaub unterwegs war ... Da hatte einer von beiden den Zungenschaber tatsächlich vergessen und es war eine Katastrophe, weil das im Ausland war und dort gab es so etwas nicht. Wir haben dann diskutiert, ob man so etwas ausleihen kann.

Mir persönlich geht es dann doch zu weit. Ob man die Beläge da runter schaben muss oder nicht. Die Verkäufer von so was, die sagen natürlich, das würde was bringen. Ich habe gehört, es wäre so, dass es bezüglich des Geschmacksempfindens bei den Leuten, die wirklich massive Beläge haben, von Vorteil ist. Aber sonst gibt es jetzt keine allgemeine medizinische Indikation, dass man da schaben muss. Es ist aber offensichtlich auch nicht schädlich, sonst hätten das die Hals-Nasen-Ohrenärzte und die Zahnärzte längst festgestellt.

[0:23:32]:


Camillo Schumann


Aber es ist auch nicht so, dass man sich dann die Viruslast wegschabt, weil die woanders entsteht.

[0:23:39]:


Alexander Kekulé

Das sind abgestorbene Zellen und Bakterien und Essensreste, die da miteinander vermengt sind. Was wir verdauen. Man denkt immer so, mein Magen verdaut hier für mich oder mein Darm. Das sind ja eigentlich Bakterien, die die Hauptarbeit übernehmen. Die wir sozusagen bei uns als Gast irgendwie ständig mitschleppen. Und ein erheblicher Teil von denen wird schon im Mund oben aktiv. Und das Ergebnis davon ist der Belag auf der Zunge. Jetzt wissen Sie auch, warum ich keinen Zungenschaber verleihen würde. Und diese Verdauungsprozesse beginnen. Das hat aber damit zu tun, dass hauptsächlich die Speise verdaut wird. Das hat nichts mit der Abwehr von Viren zu tun, was man auf der Zunge sieht.

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[0:24:23]:


Camillo Schumann


Herr Riedel hat gemailt: meine 14-jährige Tochter hat mich gefragt, ob es bei Kindern auch vorkommt, dass der Geruchsund Geschmackssinn lange Zeit durch Corona beeinträchtigt sind. Was ist hierüber bekannt? Viele Grüße, Herr Riedel.

[0:24:36]:


Alexander Kekulé

Kinder haben das wesentlich seltener als Erwachsene. Bei denen sieht Covid tatsächlich ähnlich aus wie eine sonstige Erkältung in dem Alter. Mit der Kombination, wo eben dann meistens dann Gliederschmerzen und so noch dabei sind, wenn es typisch verläuft. Aber es kommt auch vor. Es gibt auch Kinder und Jugendliche, je jünger, desto seltener. Es gibt Kinder und Jugendliche, die tatsächlich einen Verlust des Geruchsund Geschmackssinns haben. Es taucht praktisch immer wieder auf. Also es kommt praktisch immer wieder zurück, also im Sinne von Long Covid, dass es dann langzeitig bleibt. Es gibt ganz wenig Kinder, bei denen das jetzt über längere Zeit beobachtet wurde und im Sinne von Long Covid, also das ist jetzt wirklich drei oder sechs Monate nach der Infektion noch bleibt. Das sind also absolute Raritäten.

[0:25:25]:


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 218. Vielen Dank, Herr Kekulé. Nächste Woche dürfen Sie sich mit meinem Kollegen Jan Krüger unterhalten, denn ich bin eine Woche im Urlaub.


Alexander Kekulé

Ja, das sei Ihnen vergönnt, Herr Schumann. Alles Gute.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mdraktuell-podcast@mdr.de,

oder Sie rufen uns an: kostenlos unter 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

Sie haben Lust auf einen Podcast-Tipp? Dann hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. Und in der aktuellen Folge geht es unter anderem um den Urlaub in einem Ferienhaus, das zum Horrorhaus wurde. Der Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 09. September 2021 #217


Camillo Schumann

. Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé. Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Altersstruktur der ITS-Patienten:

DIVI Intensivregister

Wochenbericht Robert Koch Institut (02.09.)

Wochenbericht_2021-09-02.pdf (rki.de)

Dienstag, 31. August 2021

Das Robert-Koch-Institut warnt vor einer fulminanten vierten Welle, wenn die Impfquote nicht drastisch gesteigert werde. Wie realistisch ist dieses Szenario?

Dann: Wie ist die aktuelle Infektionsund Hospitalisierung schlage zu bewerten?  Außerdem: Sollten geimpfte Besucher,

Personal und Bewohner in Pflegeheimen noch regelmäßig getestet werden?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR AKTUELL – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße sie Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.


Camillo Schumann


Und wir starten mal mit Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts. Der hat gestern sehr eindrucksvoll Folgendes gesagt:

Wenn wir die aktuellen Impfquoten nicht drastisch steigern, dann kann die aktuelle vierte Welle im Herbst einen fulminanten Verlauf nehmen.


Camillo Schumann


Tja, fulminant, im medizinischen Wortsinne bedeutet ja blitzartig auftretend, schnell und heftig verlaufend. Würden sie sich dieser doch ja sehr drastischen Prognose von Herrn Wieler anschließen? Also kann uns das wirklich drohen?


Alexander Kekulé

Er meint letztlich explosiv. In der Medizin sagt man fulminant, wenn die Krankheit wirklich ganz schlimm losgeht, also noch schlimmer als akut ist. Das ist nicht auszuschließen. Also als Risiko steht es im Raum. Wobei man immer unterscheiden muss zwischen dem Verlauf der Inzidenz und dem Verlauf der Hospitalisierungen und Todesfälle. Bei der Inzidenz würde ich sagen, dass die jetzt massiv ansteigt, halte ich für wahrscheinlich. Man würde das nicht mehr als fulminant bezeichnen, weil es einfach die normale Exponentialfunktion ist, die wir beim letzten Mal auch gehabt hatten. Also das baut sich dann nicht wesentlich schneller auf, der aufsteigende Schenkel sozusagen. Der Inzidenzwert geht jetzt nicht irgendwie krass steil, dass das quasi wie so ein Peak aussieht, sondern es wird wieder eine Welle geben. Die Frage ist sicherlich nicht, wie schnell steigt sie an, sondern wie hoch wird sie. Und da ist es ja letztlich so: Wir können eine gewisse Inzidenz inzwischen wegstecken durch die Impfungen, aber eben nicht beliebig viel. Und da gibt es so eine Obergrenze, ab der dann die Infektionen dann auch von den Geimpften eine Rolle spielen. Die haben ja eine geringere Infektionswahrscheinlichkeit, das schwappt dann über zu den Ungeimpften und macht dort dann die sichtbare Welle. Und insgesamt sind bei diesen Dingen immer so Trägereffekte, so Grenzeffekte dabei. Also unter gewissen Schwellen spielt z.B. die Infektion, die von geimpften auf die Ungeimpften rübergeht keine so große Rolle. Aber wenn man eine sehr große Hintergrundaktivität hat, dann kriegt das Ganze eine

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höhere Dynamik. Oder jetzt durch die Urlaubsrückkehrer, die man eben leider nicht kontrolliert hat bei der Einreise. Es ist so, dass wir einfach eine hohe Hintergrundaktivität am Ende der Ferien haben. Wenn man dann in der Situation die Schulen aufmacht, gibt es eben sozusagen nicht mehr additive Effekte, sondern multiplikative Effekte. Die Dinge verstärken sich sozusagen gegenseitig. Und ich glaube, das sieht Herr Wieler als fulminant. Bezüglich der Fallzahlen würde ich ihm zustimmen. Das ist leider nicht auszuschließen.


Camillo Schumann


Und wenn ich es richtig verstanden habe, je höher die Inzidenz jetzt auch in dieser Situation ansteigen wird, können auch die Geimpften einen Teil zu dieser Situation negativ beitragen?


Alexander Kekulé

Ja, genau so ist es. Das hängt auch mit der Nachverfolgung zusammen. Irgendwann verlieren sie z.B. die Kontrolle über die Nachverfolgung, und dann verstärkt sich das eben selber. Also das sind so Schwelleneffekte, die eben eintreten, wenn man eine sehr große Hintergrundaktivität hat. Und das ist vielleicht noch einmal ein Hinweis. Gibt ja Leute, die sagen, dass die Inzidenz ausgedient hätte als Maßstab. Das stimmt natürlich nicht, weil genau solche Schwelleneffekte von der Inzidenz abhängen.

04:31


Camillo Schumann


Ja, um die Impfquote zu steigern, hat Bundesgesundheitsminister Spahn mit dem Einzelhandelsverband die kommende Woche zur Impfwoche ausgerufen. Überall im Land soll es in Einkaufszentren, Lebensmittelläden etc. Impfangebote geben, sehr, sehr niedrigschwellig. Also, man holt sich ein Stück Butter, man kriegt dann gleich noch eine Impfung verpasst. In verschiedenen Sprachen soll das Ganze funktionieren, auch bei Social Media. Und damit soll die Impfquote noch mal nach oben gehen. Vor allem bei denen, die bisher nicht erreicht wurden. Man will noch mal eine Anstrengung unternehmen, die Menschen

zum Impfen zu bewegen. Ist das ein gangbarer Weg, da noch mal den Turbo einzuladen?


Alexander Kekulé

Also es ist dringend notwendig, die Impfquote bei den Erwachsenen zu erhöhen. Das ist ja auch so, dass wir bei den Risikogruppen gar nicht ganz genau wissen, wie viele geimpft sind. Es gab da immer Meldungen, dass das eigentlich ganz gut aussieht. Jetzt aktuell heißt es wieder, es sei doch nicht so optimal. Das Robert-Koch-Institut hatte bekanntlich die Daten da leider unvollständig und zum Teil nicht richtig erfasst. Ich würde sagen, es wäre auf jeden Fall sinnvoll, sozusagen für den Herbst noch extra Pullover mitzunehmen, wenn man nicht genau weiß, wie kalt es draußen wird. Und wir wissen eben einfach nicht genau, wie stark die Inzidenz steigt. Und deshalb ist es auf jeden Fall sinnvoll, zum Impfen aufzurufen. Ich bin nicht so ganz sicher, ob jetzt diese späte Idee, da so eine allgemeine Impfwoche zu machen, ob das jetzt zu diesem Zeitpunkt noch so viel bringt. Aber man darf es, soll es natürlich versuchen. Andere Länder, wie Israel, haben das ja von Anfang an gemacht. Die bekannten Impfungen in Möbelhäusern und Autowaschanlagen sind ja da durch die Medien gegangen. Dieses niederschwellige Angebot ist immer dann sinnvoll, wenn man Leute hat, die, wenn ich mal so pauschal sagen darf, aus Faulheit sich nicht impfen lassen. Also die einfach vielleicht denken, eigentlich wollte ich mich immer impfen lassen. Und jetzt statt dem Köttbullar nehme ich halt mal eine Impfung mit. Aber ich glaube, bei uns in Deutschland müsste man vielleicht mal einen Soziologen fragen, aber mein Gefühl ist, wir haben eine Gesellschaft, die sich inzwischen geteilt hat. In solche, die sich entschieden haben nach reiflicher Abwägung, sich impfen zu lassen. Und dann doch eine relativ große Gruppe, die es sich auch überlegt hat und die jetzt auch nicht irgendwelche radikalen Reichsbürger und Impfverweigerer sind. Und die sagen aus welchen Gründen auch immer, nee, ich warte erst mal ab. Ob man sozusagen so eine irgendwo gefestigte Entscheidung durch einen Stand bei McDonald's oder Wendi oder so jetzt noch

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umwerfen kann, da bin ich nicht so sicher. Aber den Versuch ist es sicher wert.


Camillo Schumann


Das ist genau für mich auch persönlich der springende Punkt. Wer sind eigentlich die Ungeimpften, die Herr Spahn dann auch immer mal – auch gestern auf der Pressekonferenz – „Impfmuffel“ nennt, und damit sagen wir 2030 % der Bevölkerung anspricht? Vielleicht können Sie mir helfen; wir können ja mal so eine kleine Rechnung machen. Knapp 62 % der Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft. 70 % der Erwachsenen. Das teilt sich ja dann auch durch die Altersgruppen. Aber 70 % der Erwachsenen. Laut Robert-Koch-Institut, das fand ich gestern ganz interessant, sind nach eigenen Erhebungen so 5-10 % echte Impfgegner, Corona-Leugner. Die kriegt man auch nicht. Also die werden sich nie impfen lassen. Da haben wir schon mal 70 plus 10 sind 80 % der Erwachsenen. Fehlen also noch 20 %. Und von den 20 % sind sicherlich auch Menschen darunter, die aus gesundheitlichen Gründen sich nicht impfen lassen können. Wieviel vermuten Sie, sind darunter?


Alexander Kekulé

Das ist schwer zu sagen. Das hängt vom beratenden Arzt oder Apotheker ab. Das ist ja sehr unterschiedlich. Der eine hat ein Kind, das hat mal allergisch reagiert bei einer Impfung. Das ist gar nicht so selten, dass die Kinder dann doch ganz beeindruckende Symptome haben. Die klingen nach zwei, drei Tagen ab. Da ist die Hauptarbeit des Kinderarztes, die Eltern zu beruhigen. Die Eltern sind dann eigentlich die Patienten in dieser Lage. Aber es gibt es natürlich die Eltern, die sagen: „Mensch, mein Kind hatte diese schlimme Reaktion, das ist doch irgendwie genetisch vielleicht. Ich lasse mich lieber auch nicht impfen.“ Und das sind dann, sage ich mal, so ein bisschen abstrakte Dinge, die mehr mit Gefühl zu tun haben, mit der grundsätzlichen Sicht auf die Welt. Wie stehe ich der Medizin gegenüber? Was habe ich für eine Vorstellung von meinem Immunsystem? Da ist ja auch sehr, sehr viel Metaphorik und Esoterik mit drinnen in diesen ganzen Dingen.

Und da sozusagen eine scharfe Trennlinie zu ziehen, das ist, glaube ich, genauso schwer wie die Frage zu beantworten, warum wählt der Eine diesen zum Bundeskanzler, und der Andere jenen zum Bundeskanzler? Kaum einer hat ja Parteiprogramme gelesen, bekanntlich. Das ist so eine Mischentscheidung. Und ich glaube, bei den Impfungen ist es so ähnlich. Und ich bin absolut dagegen, Leute zu diskreditieren, als Impfmuffel, die sich aus welchen Gründen auch immer dann pauschal nicht impfen lassen. Aus meiner Sicht ist es eine große Gruppe, die es nicht verstanden haben oder die vielleicht aus religiösen Gründen da keinen Zugang haben. Und ich glaube, dass man doch wesentlich mehr Anstrengungen unternehmen müsste, um erstens rauszukriegen, wie Sie richtig sagen, welche Gruppen sind das überhaupt? Wir haben ja jetzt September und dass man immer noch nicht genau weiß, wie viele überhaupt geimpft wurden, das ist unklar. Und wer sich nicht impfen lässt, das ist offensichtlich auch unklar. Und wenn man weiß, wer das ist, dann wird man sicherlich noch diese 20 %, von denen Sie sprechen, gezielter angehen können. Das kostet natürlich Geld. Das kostet ein bisschen Grips, dass man sich gezielte Konzepte überlegt. Aber ich glaube, durch so pauschale Dinge irgendwo im Supermarkt kriegen Sie diese Leute nicht rum. Aber ich will jetzt auch nicht die Kampagne schlechtreden. Wenn man keine andere Idee hat, dann muss man eben zumindest mal das machen. Das war ja schon länger fällig. Also das haben, wie gesagt, andere Länder ja sehr früh gemacht.


Camillo Schumann


Okay, also, ich kann sich jetzt nicht auf eine auf eine Zahl festnageln, wer aus gesundheitlichen Gründen ... Aber können wir uns auf irgendwas zwischen 5 % und 10 % einigen?


Alexander Kekulé

Höchstens. Das kommt immer auf den behandelnden Arzt an. Wenn sie zu einem anthroposophischen Arzt gehen, haben Sie eine hohe Quote. Aber ich würde mal sagen: Jeder, der will, kriegt von seinem Arzt, wenn er den Arzt

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sich danach aussucht, ein Attest, dass es gesundheitliche Gründe gibt. Und wenn man das Ganze knallhart runterbricht, ist es unter 5 %, die echt sozusagen aus harten Gründen nicht geimpft werden dürfen.


Camillo Schumann


Sagen wir mal so. Ja, sagen wir mal 5 %, da wären wir hierzulande meiner Rechnung nach so bei 85 %: Also die 70 % der Erwachsenen, die sich schon geimpft haben, die 5 %, die nicht gehen aus gesundheitlichen Gründen, und 10 %, die es eh ablehnen. Da wären wir noch bei 15 %. Und so ein bisschen Privatdemoskopie: Es gibt ganz viele Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts, die uns schreiben und sich gerne impfen lassen würden, aber nicht mit den mRNA-Impfstoffen. Sie warten z.B. auf einen Proteinimpfstoff und wollen wissen, wann kommt der denn nun endlich? Also das sind ja nicht Menschen, die sich nicht impfen lassen. Die werden aber trotzdem Impfmuffel genannt. Das ist ja auch ein bisschen schwierig, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau dieser Punkt, das ist schon eine starke Pauschalisierung. Und ich habe immer Respekt vor Leuten. Und das, finde ich, ist das Wichtigste bei jeder Art von Diskussion, die man führt. Gerade wenn man jemanden überzeugen will, muss man im ersten Schritt mal Respekt davor haben, dass der sich seine Meinung selbst seriös gebildet hat. Also damit anzufangen zu sagen, der ist doof oder der hat keine Ahnung oder der ist irgendwie hypnotisiert worden oder sonst was. Das führt überhaupt nicht weiter. Man muss wirklich überlegen, was sind dort die Argumente? Wovor haben die konkret Angst? Naja, wir sprechen ja auch aus dem Grund letztlich so viel über Impfstoffe, weil ich immer hoffe, dass man es genauer versteht. Dass dann mehr Leute sagen gut, jetzt habe ich es verstanden. Das Risiko ist so und so. Das nehme ich jetzt einfach mal in Kauf. Und die, die diese ganzen Informationen haben, aus verschiedenen Informationsquellen sich das zusammengetragen haben und die dann am Schluss zu einer anderen

Meinung kommen – die z.B. sagen, ich wollte noch mal abwarten. Ich finde, die muss man auch respektieren.

12:35


Camillo Schumann


Um das mal so ins Verhältnis zu setzen: Diese 15 %, die wir jetzt rausgearbeitet haben, so viele sind es ja dann am Ende gar nicht mehr. Und die sind ja eigentlich auch „auf der Impfbefürworterseite“.


Alexander Kekulé

Das wissen wir natürlich nicht genau. Aber ich möchte es mal so sagen. Es ist eine große Leistung, und ich habe immer gesagt, das ist das Minimum, mit dem wir in den Herbst starten können, dass wir 70 % der Erwachsenen als Quote erreicht haben. Wir müssen ja dazurechnen, jetzt epidemiologisch, dass wir einen Teil der Menschen haben, die schon infiziert waren und zum Teil das vielleicht gar nicht wissen. Oder die infiziert waren und das wissen, die sozusagen genesen sind, und sagen aus dem Grund lasse ich mich nicht impfen. Das wäre ja auch eine durchaus jetzt medizinisch nicht von der Hand zu weisende Überlegung. Dass man sagt, ich hatte zwar keine Impfung, aber Covid. Und das ist ja gerade so in den Zielgruppen, die so sehr sozial aktiv sind – bei jüngeren Leuten ist einfach die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich mal Covid geholt haben. Und wenn die dann sagen, ich hatte es doch schon, ist eben keine dumme Überlegung. Und ich glaube, dass wir damit gar nicht so schlecht dastehen. Ich hatte ja selber – ich glaube auch in diesem Podcast – immer gesagt: 70 % ist das, was realistisch erreichbar ist und was auch knapp ausreichen könnte. Das erste stimmt auf jeden Fall schon mal, und das zweite wird man jetzt im Herbst sehen. Es kommt halt darauf an, wie klug die Maßnahmen dann sind. Wenn man natürlich – Sie haben es ja gerade angesprochen – dann so die Inzidenz ins Kraut schießen lässt, wenn man (wie es jetzt gerade Beschlusslage ist) an den Schulen quasi die ganzen Maßnahmen runterfährt, in NRW dann sogar die Quaran-

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täne für Schüler komplett abschafft, und Andere damit liebäugeln, dann macht man natürlich so ein Treibsatz, der das Ganze so hochschießen lassen kann, dass wir mit der 70 %Quote nicht durchkommen.

14:25


Camillo Schumann


Vielleicht wollen Sie noch zwei, drei Worte zu der wegfallenden Quarantäne in NordrheinWestfalen sagen, da schert das Bundesland ja doch ziemlich aus.

Alexnader Kekulé

Naja, das ist die gefeierte Einigung der Gesundheitsminister am Montag bezüglich des Vorgehens an den Schulen, wo man gesagt hat, unter diesen und jenen Umständen, sollen eben tendenziell nur noch die Sitznachbarn in Quarantäne kommen. Das war ja sowieso schon eine sehr, sehr starke Reduktion. Vorher ist die ganze Schulklasse quarantänisiert worden. Jetzt sind es, je nachdem was man unter Nachbarn versteht, entweder einer links, einer rechts plus noch einer vorne und hinten vielleicht. Macht also zwei bis vier. Das ist ja etwas, was jetzt ganz massiv in der öffentlichen Diskussion auch ist. Das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen hat gleich am Dienstag erklärt: Nein, wir machen das nicht so, sondern wir schicken nur noch – Achtung, so ist es gesagt worden – die wirklich PCR-positiven, also die Infizierten, in Quarantäne. Ich hoffe, dass das jetzt einigen Hörern die Haare aufgestellt hat, was sie in diesem Podcast erfahren haben, wenn ein Kranker abgesondert wird, heißt es Isolierung. Und wenn eine Person, die Kontakt hatte, aber wo man nicht weiß, ob er positiv ist, das heißt Quarantäne. Das Wissen die im Gesundheitsministerium in NRW natürlich in Düsseldorf ganz genau. Selbstverständlich wissen die das. Zumindest nach über einem Jahr Pandemie haben das jetzt alle auf dem Schirm. Warum drücken die das so aus? Sonst hätten sie es anders formulieren müssen. Sonst hätten sie sagen müssen, wie ich es gerade gesagt hab, wir haben in der Schule die Quarantäne abgeschafft, weil nämlich nur noch die Positiven abgesondert

werden. Das nennt man aber nicht Quarantäne, sondern Isolierung. Weil der Witz der Quarantäne ist ja gerade, dass man nicht weiß, ob einer positiv ist oder nicht. Also das ist... Man könnte sogar sagen honi soit qui mal y pense – ein Schelm, der Böses dabei denkt – dass die hier diese Verwechslung der Begriffe gemacht haben. Aber offensichtlich wollten sie nicht sagen, wir haben in der Schule für Schüler die Quarantäne abgeschafft in NRW. Und das ist ganz ernst, sodass das bundesweit jetzt diskutiert wird. Ich kann vielleicht noch Folgendes sagen. Es gibt eben auch noch das unterstützende Argument, was da kommt von Kinderärzten. Einer der Sprecher der Verbände dort hat gesagt, es sei ja so, dass weit über 80 % der Quarantänemaßnahmen in der Vergangenheit eigentlich sinnlos gewesen seien. Keine Ahnung, wie er das gerechnet hat. Aber selbst wenn es so sein sollte, dass das auf die einzelnen Personen vielleicht so ist, dass 80 % umsonst quarantänisiert wurden. Wenn Sie so eine ganze Schulklasse haben mit 30 Kindern und hinterher finden Sie am Ende der Quarantäne heraus, dass nur zwei positiv waren von allen, dann können Sie immer sagen, 28 waren umsonst. Aber anders geht es halt nicht. Deshalb war die ganze Maßnahme ja nicht umsonst. Und das zweite, was ganz wichtig ist und mir wirklich ganz ehrlich gesagt aufstößt, wenn ich so etwas lesen muss, ohne dass dann auch die Journalisten nachfragen. Das bezieht sich doch alles auf die Variante vor Delta. Das ist doch die Situation, als die Kinder in der Schule saßen, in der vorletzten Welle. Da hat man diese Untersuchungen gemacht. Und da hat man vielleicht ein paar Daten zu. Aber wir haben es jetzt mit einem Erreger zu tun, der ungefähr doppelt so ansteckend ist wie vorher. Und da können Sie nicht einfach sagen: „Damals hat sich das Kind in der letzten Ecke der Schulklasse nicht angesteckt, also wird es jetzt in dieser Welle wieder so sein.“ Sie müssen davon ausgehen, dass auch in den Schulen die Ansteckungsfähigkeit dieses Virus erhöht ist. Da gibt es ja sozusagen keine Schulvariante des Virus. Und daher können Sie diese alten Daten, selbst wenn sie es

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so auslegen, dass sie sagen über 80 % der Quarantänemaßnahmen waren sinnvoll, die können sie nicht so verwenden zum Vergleich. Ich glaube, das ist eine völlig neue Basis, dass man sagt, wir infizieren jetzt die Kinder, weil das andere – jetzt noch einmal im Herbst alles zuzumachen, die sekundären Kollateralschäden – wäre schlimmer. Es gibt gute Argumente dafür, muss man fairerweise sagen. Die Covid-Infektion bei Kindern ist einfach nicht so schlimm, dass man jetzt diese schweren psychosozialen Belastungen noch einmal hinnehmen könnte. Aber was meines Erachtens übersehen wurde, ist das eben die Schulen ein Initialzünder sein können. Wenn dort die Inzidenzen völlig unkontrolliert hochschießen und wir für den Rest der Gesellschaft dann eben so einen Effekt haben, dass das passiert, was Herr Wieler vor Augen hat, nämlich, dass die Inzidenz völlig unkontrollierbar wird, dass die Gesundheitsämter gar nichts mehr nachverfolgen. Und das wird dann natürlich auch einen Effekt haben auf diese letzten 30 %, die ungeimpft sind. Um die geht es ja letztlich. Und wenn die uns dann die Krankenhäuser verstopfen, dann ist es so schlimm, dass Sie nicht mehr sagen können, das musste jetzt alles sein, damit nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne geschickt wird, sondern nur noch zwei Schüler pro Klasse. Und das diese Auswahl der zwei Sitznachbarn nicht so sinnvoll ist, das habe ich, glaube ich, beim letzten Mal schon mal erklärt.

19:32


Camillo Schumann


Und genau über die letzten 20-30 % wollen wir jetzt sprechen. Die vierte Welle ist in vollem Gange, das hat Herr Wieler gestern auch noch einmal gesagt. Und auch Folgendes zur Bestandsaufnahme:

Schon jetzt steigt die Zahl der Covid-19 Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Intensivbettenbelegung durch Covid-19 Patienten hat sich in den letzten beiden Wochen fast verdoppelt.

Und liegt jetzt ungefähr bei 1.300. Wir wollen uns die Zahlen mal ein bisschen genauer anschauen. Das Intensivregister weist als neuen Service jetzt auch die Daten zur Altersstruktur aus. Das verlinken wir natürlich auch in der Schriftversion dieses Podcasts. Und aktuell sieht man, dass vor allem die Altersgruppe der 50-69Jährigen fast die Hälfte der Intensivpatienten ausmacht. Die 70-79Jährigen machen noch rund 17 % aus, die über 80Jährigen immerhin noch fast 7 %. Und interessanter Aspekt, über 90 % von ihnen sind eben ungeimpft. Man sieht sehr deutlich: Die Intensivpatienten werden immer jünger.


Alexander Kekulé

Ja, das muss man sagen: Eine Welle der Ungeimpften. Was immer vorhergesagt wurde, findet hier statt. Es gibt daneben eben auch eine Welle der Geimpften, die man nicht sieht, weil die eben nicht auf der Intensivstation landen. Das ist nur epidemiologisch relevant. Ja, die werden jünger, das ist ganz klar. Wenn Sie natürlich viele Infizierte haben, dann spielen die wenigen Fälle, die dann bei jüngeren Patienten (Was heißt „jünger“? 50, 60 Jahre) auftreten, die werden dann natürlich anteilig mehr. Und das liegt an den Impfungen der Älteren. Das kann man ganz klar sagen. Erfolg der Impfung. Hier beweist sich, dass die Impfung was bringt, und zwar ganz massiv, falls es noch jemanden gibt, der es nicht geglaubt hat. Ich frage mich so ein bisschen... Das haben sie erst jetzt publiziert, das Alter wird ja seit Mai gemeldet ans Intensivregister. Das hat eine ganze Weile gedauert, bis die diese Auswertung da ins Internet gebracht haben. Was halt wichtig ist: Für unter 17-Jährige, das sieht man auch aus dieser Statistik, da sind so ungefähr in einer Größenordnung von zehn Personen kontinuierlich auf der Intensivstation. Keiner weiß genau, warum. Die haben natürlich häufig andere Gründe, warum sie dort liegen. Und das liegt bei 0,8 % ungefähr. Das heißt also: Ganz wenige sind sozusagen Jugendliche. Nur nochmal zurückgespiegelt auf die Schulen. Hier geht es wirklich darum: Die Schüler sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass über

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die Schüler, möglicherweise auch über die Geimpften, die Welle zu den Ungeimpften rüberschwappt. Und so meine private Vermutung oder Befürchtung ist, dass diejenigen, die sagen, ich lasse mich nicht impfen, zumindest ein Teil von denen, auch diejenigen sind, die möglicherweise nicht so konsequent die Schutzmaßnahmen ergreifen. Zumindest dieser Teil, von denen ich gesprochen habe, wo man noch Aufklärungsarbeit leisten müsste. Und deshalb ist es durchaus möglich, dass wir im Herbst wirklich nochmal ein Thema haben mit der Belastung der Intensivstationen in Deutschland. Die gute Nachricht vielleicht: Von denen sterben natürlich viel, viel weniger. Weil wenn Sie den 50-Jährigen auf der Intensiv haben – und ich kann Ihnen sagen, dass in meinem persönlichen Umfeld diverse meiner engsten Freunde zehn Tage auf der Intensivstation gelegen haben – und können dann horrende Geschichte erzählen, was sie da alles erleben durften. Aber natürlich: die 50 bis 60Jährigen überleben das in der Regel. Das heißt also, wir müssen nicht damit rechnen, dass jetzt bei dieser jüngeren Welle wieder das Massensterben einsetzt wie vorher. Aber trotzdem ist die Belastung der Krankenhäuser natürlich ein Thema. Und da schaut das Robert-Koch-Institut zurecht hin.

23:14


Camillo Schumann


Weil es gerade passt, sagt Kekulé. Wir sehen, die Intensivpatienten werden zwar jünger, aber die mit dem höchsten Risiko, die Gruppe 70 plus, macht ein Viertel auf der Intensivstation aus. Da sind Ungeimpfte, aber eben auch Impfdurchbrüche dabei. Der Anteil wahrscheinlicher Impfdurchbrüche an verstorbenen Covid-19-Fällen lag laut RKI in den Kalenderwoche 31-34 bei 26 %. Nun meine Frage. Wenn der Anteil der Älteren bei einem Viertel ist und unter den Toten auch Impfdurchbrüche sind, sollten dann in den Pflegeheimen auch Geimpfte, egal ob Personal, Besucher oder Bewohner, vielleicht vorsorglich weiter getestet werden?


Alexander Kekulé

Erstens muss man bei diesen Zahlen immer aufpassen: Wenn man in einer Altersgruppe sehr viele Geimpfte hat und dann guckt, wieviele Prozent der Verstorbenen sind denn geimpft, dann kriegt man einfach eine hohe Prozentzahl. Aus Israel kam schon mal diese Meldung. Und das heißt nicht, dass die Impfung nichts taugt, sondern das ist einfach ein statistisches Phänomen. Die Impfung schützt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch ältere Menschen in der Regel vor dem Sterben. Aber natürlich nicht zu hundert Prozent. Zumal wir ja wissen, nicht jeder, der Covid hatte und dann stirbt, ist wirklich unmittelbar an Covid gestorben. Also die, deren Stunden sowieso gezählt waren aus welchem Grund auch immer, und die dann auch noch Covid bekommen haben, vielleicht sich sogar im Krankenhaus infiziert haben, die werden ja da als Todesfälle gezählt. Sodass man immer ein bisschen aufpassen muss mit diesen Zahlen. Aber unterm Strich ist es natürlich so ein kleines Risiko. Ich würde es sogar in dem Fall fast als Restrisiko bezeichnen, das bleibt für Menschen, die geimpft sind, die hohe Risikofaktoren haben, insbesondere das Alter, dann trotz der Impfung an Covid zu sterben. Das ist ja das Argument für die Booster-Impfung, dass man deshalb überlegt. Und man muss sich überlegen braucht man zusätzliche Schutzmaßnahmen, z.B. in Altersheimen, wie Sie fragen. Ich glaube, bei der Booster-Impfung ist die Frage ja, so sage ich mal, dreiviertel schon beantwortet. Also bei den älteren Menschen 60 oder 65 plus, kann man das machen, ohne viel kaputtzumachen. Auch wenn nicht ganz klar ist, wieviel es bringt. Ein bisschen was wird es bringen und diese Entscheidung wird ja auch, sage ich mal, gesellschaftlich irgendwie mitgetragen. Die Menschen fragen nach der dritten Impfung. Die Politik will sie haben. Fast hätte ich das Gefühl gehabt, die STIKO wird schon wieder unter Druck gesetzt, in dieser Richtung was zu sagen. Und man ist wohl der Meinung, dass man damit nicht so viel falsch macht. Nun hat eine Impfung ja vielmehr Nebenwirkungen, natürlich nicht besonders schlimme, aber

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viel mehr als ein Schnelltest. Sodass ich jetzt sagen muss, wenn man gesellschaftlich der Meinung ist, dass man dieses minimale Risiko, was vielleicht sogar ein Restrisiko ist, dass man das eben nicht in Kauf nimmt, sondern dass man sagt, wir wollen dann noch eine Sicherheitsstufe einziehen. Wenn man das bei der Booster-Impfung diskutiert, dann muss man sagen, dann müssen wir auch weiter testen, Geimpfte und Genesene, wenn sie z.B. Personal sind in Altenheimen oder aus anderem Grund eben eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass für den Fall einer Durchbruchinfektion, dann auch jemand, der eine Risikoperson ist, betroffen ist. Also die Frage ist mit Ja zu beantworten. Im Bereich von Risikopatienten, im Bereich von Altenheimen. Eher würde ich lieber, wenn ich so sagen darf, mit Hosenträger und Gürtel unterwegs sein und lieber erst mal auf der sicheren Seite sein und hier weiter testen. Ich bin übrigens ja schon lange dafür, nur die PCR-Tests einzusetzen, weil hier auch diese Unsicherheit der Schnelltests... Da wir so viele PCR-Kapazitäten übrighaben, das muss man da nicht in Kauf nehmen. Und das müsste man sich dann eine Weile ansehen. Aber da wir ja jetzt so eine hohe Inzidenz vermuten, die Möglichkeit besteht für den Herbst. Ich würde sagen da ist eigentlich der richtige Moment für alle Fälle mal die Schotten dicht zu machen


Camillo Schumann


Und nur für die vierte und hoffentlich dann auch letzte Welle.


Alexander Kekulé

Es ist die letzte Welle, da haben wir uns ja schon darauf geeinigt. Das ist aber grundsätzlich wichtig bei den ganzen Überlegungen, wenn man einfach weiß, das ist jetzt noch einmal die letzte Anstrengung. Dann glaube ich funktioniert so ein Aufruf auch eher. Und deshalb meine ich das ganz ernst, sowohl bezüglich der Impfung als auch bezüglich der sonstigen Maßnahmen. Sei es die Schule oder sei es der Schutz der Altenheime. Das sollten wir jetzt nicht ausgerechnet jetzt, wenn sozusagen

der Sturm am Horizont gerade aufzieht, nachlässig sein, bloß weil wir hoffen, dass er an uns vorbeizieht.


Camillo Schumann


Okay, also Tests für Risikopatienten, auch bei geimpften Personal, Besucher oder Bewohner in Pflegeheimen z.B. Da, würden sich für aussprechen. Wie sieht es denn eigentlich an den Schulen aus? Familie Heinemann hat auch gemailt. Sie berichtet vom Schulbeginn in Niedersachsen. Alle Schülerinnen testen sich in den ersten sieben Tagen täglich, dann dreimal wöchentlich per Schnelltest zuhause. Und nun will die Familie Heinemann wissen: Wie sieht es denn aus? Sollen sich nun auch die Geimpften weiterhin testen, weil man weiß ja nie?


Alexander Kekulé

Ich bin der Meinung, dass man Schüler grundsätzlich testen sollte. Und zwar konsequent. Aus einem ähnlichen Grund wie bei den Alten. Die Schüler sind ja in dem Sinn keine Risikogruppe. Ganz und gar nicht. Wahrscheinlich ist es so, dass das Risiko durch sekundäre Kollateralschäden bei Kindern höher ist als das durch Covid selber. Also es geht ja in diese Richtung, was auch gerade beschlossen wurde von den Gesundheitsministern. Aber die sind eben ein möglicher Initialzünder für eine richtig unangenehme Detonation dieser Fallzahlen in der Gesamtgesellschaft, die dann auch wieder die Risikogruppen, das heißt die ungeimpften Erwachsenen treffen könnte, treffen würde. Das muss man eigentlich sagen. Und deshalb bin ich der Meinung, dass man die Schulen, weil das eben in der Regel Ungeimpfte sind, weil man dort die Kontakte eben nicht komplett untersagen will, aus gutem Grund. Da bin ich der Meinung, dass man dort weiter komplett testen sollte. Also alle Schüler mit den engmaschigen Tests nach wie vor. Und die jetzt beschlossenen Ausnahmen für geimpfte und genesene Schüler halte ich aus verschiedenen Gründen für nachteilig. Den einen habe ich gerade gesagt, ein anderer ist, das jetzt die Schule ja sowieso das Recht hat, den Impfstatus jedes Kindes zu erfragen. Am Schluss weiß jeder, wer die geimpften Kinder sind. Ab zwölf

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geht es ja sowieso nur, und da gibt es eben dann welche, die geimpft sind. Und zum Dank sozusagen kriegen sie nicht ein Stück Schokolade, sondern müssen sich nicht testen lassen. Ich halte das für pädagogisch komplett verfehlt, das so zu machen. Ich würde die Kinder wirklich gleichbehandeln. Das hat aus ganz verschiedenen Gründen große Vorteile in der Schule, so eine Gleichheit herzustellen. Das andere ist das Sicherheitsargument. Wie gesagt, dass dadurch eine zusätzliche Sicherheit eingezogen wird. Auch eine zusätzliche Sichtbarkeit für mögliche Infektionsgeschehen, weil sie ja sonst diejenigen, die geimpft sind oder genesen sind und trotzdem infiziert, die erfassen Sie ja sonst überhaupt nicht. Gerade mit diesen neu beschlossenen Quarantänemaßnahmen machen Sie sich ja quasi doppelt und dreifach blind an der Stelle deshalb bei Schülern, weil auf jeden Fall weiter testen. Ein weiteres Problem an der Schule ist natürlich, das gilt ja auch für Genese. Wie machen Sie das jetzt? Also so ein Kind hatte Covid. Jetzt müssen Sie also der Schule bekannt geben, dass das Kind Covid hatte. Das halte ich für grundsätzlich schwierig. Dass man jetzt sagt, ob man geimpft ist oder nicht, na gut, dass ist bei anderen Erkrankungen vielleicht auch wichtig, Masern, ja, nein... Aber bekannt zu geben, ob man eine bestimmte Erkrankung hatte, nämlich Covid-19 sich schon mal geholt hat. Ich finde, das ist die Privatsache der Menschen. Und da muss schon ein sehr starker Grund sein, warum der Staat fordert, dass man das bekanntgibt. Und ich würde sogar so weit gehen und sagen vor dem Bundesverfassungsgericht wird das nicht halten, weil das Bundesverfassungsgericht die Privatsphäre des Bürgers, wenn da so massiv eingegriffen wird, dass man über stattgehabte Erkrankungen berichten muss. Da muss demgegenüber nun wirklich ein knallharter, wirklich ernster Grund sein. Und den gibt's hier natürlich nicht, weil man ja durch den Test genau das Gleiche erledigen kann. Und auch deshalb, weil man dann sozusagen diese Gruppe der Genesenen outen würde, sogar noch mit Zeitangabe. Weil es gilt ja nur sechs Monate lang. Dann weiß man

auch ungefähr, wann das gewesen sein muss. Das halte ich gerade in der Schule nicht für sinnvoll.


Camillo Schumann


Okay, noch abschließend gefragt, wir hatten ja die Altenheime, Tests weiter für Geimpfte, auch jetzt an den Schulen mit dieser Begründung. Wie sieht es jetzt in anderen Settings aus? Nur noch ein Beispiel vielleicht, wenn man zu einem Konzert geht, große Menschenansammlung. 3G gilt als Grundvoraussetzung, trotzdem noch die Geimpften testen?


Alexander Kekulé

Das würde ich da an der Stelle nicht machen. Sie haben ja dort, wenn jetzt lauter Geimpfte, Genesene, Getestete da zusammensitzen und ein Konzert anhören. Ich bin übrigens der Meinung, dass man bei Großveranstaltungen dringend die Maske aufbehalten sollte. Dass man da in so einer Situation, selbst wenn Sie da mal jemanden infizieren, dann ist es ja weder dieser Initialzündereffekt wie in der Schule, noch haben Sie die Situation wie im Altenheim, dass dann besonders vulnerable Gruppen im großen Stil sozusagen infiziert werden könnten. Darum würde ich sagen, da können wir, sofern wir die Maske bei Großveranstaltungen weiter auflassen, uns entspannen und brauchen nicht die Testung der Geimpften und Genesenen. Also die richtigen Rockkonzerte sind ja eh Open Air. Zumindest so, wie ich das aus meiner bewegten Jugend in Erinnerung habe. Da ist es sowieso relativ unklar, ob es da überhaupt Superspreading gibt. Da wäre ich eher entspannt. Zum Glück hat die Politik sich in der letzten Zeit auch in diese Richtung bewegt. Was man überlegen muss, ist natürlich bei Konzertveranstaltungen, wo die Leute dann wild miteinander tanzen. Früher gab es ja noch so Pogo und solche Sachen, wo man sich also angerempelt hat sogar zum Teil absichtlich mit Lederjacke und Niete auf der Schulter. Also, wenn man sozusagen da auf Tuchfühlung geht, auf Lederfühlung geht. Das ist eine Situation, wo man schon überlegen muss, ob das bei einer hohen Inzidenz noch verantwortet werden kann. Aber auch da

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kommt eben wieder die Inzidenz ins Spiel. Also wenn Sie eine Region haben, wo die Gäste aus dem Gebiet mit niedriger Inzidenz kommen, können Sie sowas eher verantworten. Wenn Sie dann aber wissen, Sie haben regional eine Hochinzidenz, dann wäre es eine ganz schlechte Idee.

33:47


Camillo Schumann


Inzidenz ist genau das Stichwort fürs nächste Thema. Die einzelnen Parameter zur Bewertung der Gesamtsituation: Inzidenz ist was, dann die Hospitalisierung. Die kann man ja auch pro hunderttausend Einwohner innerhalb von sieben Tagen umrechnen, also die Hospitalisierungsinzidenz. Und die liegt, ganz frische Zahlen aus dem heutigen RKI-Lagebericht, bei 1,89. Zum Vergleich: Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5. Und genau diese Hospitalisierungsinzidenz kann ein Parameter zur Bewertung der Gesamtlage sein. Gestern hat ja der Bundestag Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. Man will ja weg von der Inzidenz der Neuinfektion hin zu weiteren Parametern. Nun sollen weitere Indikatoren berücksichtigt werden, die Inzidenz, also der Neuinfektionen, verfügbare Intensivkapazitäten, die Zahl der Geimpften und die Hospitalisierung. Das ist so die grobe Richtung. Das Feintuning, also die Schwellenwerte für die Einzelindikatoren, sollen die Bundesländer selber festlegen. Der Gesetzgeber gibt den Rahmen vor, die Länder sollen es konkret machen. Herr Kekulé, damit ist doch eigentlich der unterschiedlichen Situation in den Ländern Rechnung getragen. Oder?


Alexander Kekulé

Ja, also das kann man so machen, dass man sagt, der Bund gibt den Rahmen vor. Das ist ja auch ein klassischer Weg im Gesetzgebungsverfahren, gerade bei Gesundheitsfragen. Da sind ja im föderalen System die Länder zuständig, sodass man sagt man gibt es hier ab. Die Frage ist dann nur: Das Infektionsschutzgesetz ist ja sozusagen eine Ausnahme, weil man an

der Stelle, wenn es quasi um Seuchengeschehen im weitesten Sinne geht, quasi den Ländern was vorschreibt, obwohl sie für die Gesundheit zuständig sind. Da kann man die Frage stellen: Warum müssen eigentlich in Deutschland die Länder für die Gesundheit zuständig sein? Also beim Kultus kann man es noch verstehen, dass man sagt, bayrisch in Bayern irgendwie oder Niederbayerisch als Fremdsprache lernen oder Jodeln im Gesangsunterricht – nicht das ich behaupte, es gäbe das in Bayern, aber das wären Möglichkeiten, die jetzt so sehr lokal gefärbt wären. Vielleicht lernen die dann oben an der Ostsee dafür eher Segeln irgendwie und ähnliches im Sport. Da glaube ich, ist es sinnvoll, den Kultus, quasi Unterricht usw., lokal zu organisieren. Aber diese Krankheiten sind doch irgendwie überall gleich, und deshalb ist es sowieso so ein Fragezeichen: Braucht man im föderalen System 16 verschiedene Landes-Gesundheitssysteme? Und vor diesem Hintergrund ... Aber da wir das nun mal haben, ist das Bundesgesetz, eben das Infektionsschutzgesetz, das, was für diese Pandemien und andere übergeordnete Fragen zuständig ist. Wenn da aber nur drinnen steht, die Länder sollen es entscheiden. Dann ist die Frage braucht man das überhaupt in dem Gesetz, an der Stelle? Braucht man den Rahmen? Der wurde ja mal geschaffen, ich glaube, 28 B war das im Infektionsschutzgesetz, um die 16 Ministerpräsidenten und Landesfürsten sozusagen auf Spur zu bringen. Wir erinnern uns an die Zeit, wo der Bund sich partout nicht durchsetzen konnte, jeder gemacht hat, was er wollte. Und da wurde dann so eine Art Bundes-Notbremse irgendwann mal eingebaut. Und die hing halt an der Inzidenz dran. Wenn man das jetzt nicht mehr braucht, bin ich jetzt nicht so ganz sicher, ob man überhaupt da noch so groß formulieren muss. Da würde wahrscheinlich ein kurzer Passus reichen: „Die Länder legen fest, ab wann sie eingreifen und wann nicht.“ Und da muss man dann auch nicht vorschreiben, welche Parameter sie da wählen. Ich sage mal rein theoretisch für die nächste Pandemie. So ein Gesetz ist ja etwas, was länger halten soll. Das ist ja

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keine Verordnung. Es könnte ja sein, dass bei der nächsten Pandemie typischerweise 4050Jährige besonders schwer betroffen wären und dann festgestellt wird, dass der Ausfall an Polizeibeamten eine kritische Masse wird, oder bei Feuerwehrleuten oder so. Dann haben wir plötzlich ein Problem. Dann dürften die ja eigentlich dann auch sagen okay, wenn jetzt so und so viel Prozent der Polizeibeamten schwersterkrankt sind, nur in diesem theoretischen Beispiel, dann müssen wir Maßnahmen ergreifen. Also es gibt ja ganz viele mögliche Flaschenhälse bei solchen Pandemien, die dann erhebliche Auswirkungen haben können. Und da muss einfach der Staat – in dem Fall dann die Länder müssen quasi wie bei anderen Katastrophen auch die Möglichkeit haben zu reagieren. Ich glaube nicht, dass man das so abstrakt in so einem Bundesgesetz alles vorhersehen kann. Die grundsätzliche Frage, die hier ganz konkret dahintersteht, ist doch: Damals war man doch so stolz darauf, dass man sich geeinigt hat auf ein einheitliches System. Und jetzt machen es ja doch wieder die Länder selber. Also diese Diskussion finde ich eher interessant. Ob das jetzt eigentlich gewollt ist oder ob man es aufgegeben hat oder keine Ahnung. Vielleicht will man dem nächsten Bundeskanzler alle Freiheiten lassen, das dann wieder ganz neu aufzurollen. Also, das ist mir nicht ganz klar, wie an manchen anderen Stellen auch. Da wird ein Strategiewechsel eigentlich gemacht, ohne dass ich so höre, wie der begründet wurde.

38:37


Camillo Schumann


Wenn Sie jetzt Ministerpräsident wären, wie würden Sie jetzt mit diesem Infektionsschutzgesetz umgehen? Also stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt Herr Kretschmar, in Sachsen.


Alexander Kekulé

Ich würde das so machen, wie ich glaube, dass das RKI, da überschätze ich die nicht, dass tatsächlich schon seit längerem macht. Sozusagen leise im Hintergrund. Also der erste Parameter, der langsamste und trägste Parameter, den wir haben, ist die Zahl der Todesfälle. Das

ist zeitverschleppt, aber dafür ein sehr harter Parameter. Wer tot ist, ist tot. Das kann man relativ gut diagnostizieren. Zweite Stufe ist die Intensivstationsbelegung. Auch das wird durch das Intensivregister inzwischen gut berichtet. Wobei das Problem ist, ein Teil derer, die da registriert wurden und die Covid-positiv waren, waren ja gar nicht wegen Covid dort. Also bei den Kindern hat die STIKO rausgerechnet, dass nur ein Viertel derer, die auf den Intensivstationen lagen, wegen Covid behandelt wurden, vielleicht sogar ein bisschen weniger, und die meisten eben da lagen und zufällig dann eben Corona-positiv waren. Aber trotzdem ein guter Parameter. Der ist relativ solide, aber hat den Nachteil, dass er natürlich ein langer Blick in die Vergangenheit ist. Bis man auf der Intensivstation landet, muss man lange vorher infiziert worden sein. Die nächste Stufe ist die Krankenhauseinweisung und die allersensibelste Stufe, sozusagen die ganz feine Sicherung, hab ich mal gesagt, die als erste rausfliegt, das ist die Zahl der Inzidenz. Und genau diese abgestufte Betrachtung würde ich machen. So ähnlich wie beim Mikroskop. Da haben Sie eine große Schraube, mit der sie erst einmal einstellen, das Okular und das Objektiv ganz optisch. Wenn der Apparat rauf und runtergefahren wird und an das Objekte rangefahren wird, da machen Sie so eine grobe Schärfe. Und dann haben sie feinere Schrauben, mit denen sie erst mal die Schärfe grob einstellen und dann eine, mit der sie ganz fein das wirklich nochmal scharfstellen. Und so ähnlich ist es mit diesen Parametern. Die muss man dann in dieser Weise nutzen und zwar abgestuft nutzen. Und wenn Sie z.B. feststellen, ich sage mal ein Extrembeispiel, Sie hätten eine hohe Inzidenz bei irgendeiner Krankheit oder auch bei dieser. Sie hätten aber nur, sage ich mal, zwei Tote pro Woche. Dann können Sie als Ministerpräsident sagen, nächstes Thema bitte. Und wenn Sie aber viele Tote haben, dann ist es sozusagen der Generalparameter, wo Sie sagen müssen, hier ist Handlungsbedarf. Die Zahl der Toten und auch der Schwerkranken bestimmt letztlich, wie hart die Maßnahmen sein dürfen, die sie

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ergreifen. Drum hat jeder Parameter seine Berechtigung. Wenn sie sich umgekehrt nur auf die Krankenhauseinweisungen verlassen würden, und in diese Richtung geht es ja im Moment, dann würden Sie z.B. übersehen, wenn die Jugendlichen, die kaum Symptome kriegen, fast nie ins Krankenhaus kommen, oder auch bei Geimpften plötzlich eine unsichtbare Welle losläuft. Und dann plötzlich sagen Sie dann vier Wochen später „huch mein Krankenhaus ist ja voll“, weil diese Welle eben übergeschwappt ist zu den Ungeimpften. Also jeder Parameter hat seine Berechtigung. Und ich bin ziemlich sicher, dass das auch schon so ausgewertet wird.


Camillo Schumann


Das ist ja eben genau der Punkt, was Sie gesagt haben. Es gibt zwar die Schwellenwerte, aber eigentlich kennen wir doch jetzt das Virus eigentlich ganz gut. Wir wissen, wie sich das alles so entwickelt hat. Wir wissen, welche Gruppen geschützt sind, dass man das ja eigentlich noch feinkörniger machen könnte oder sogar machen müsste. Und dann dort Schwellenwerte festlegen.


Alexander Kekulé

Ich glaube nicht. Wissen Sie, so einen Schwellenwert festzulegen, das ist doch mehr so ein pädagogisch politisches Thema. Der Schwellenwert, also die Bundesampel, hatte ja den Zweck, eben die Ampel aufzustellen.


Camillo Schumann


Ja, man kann es ja aber auch nicht nach Gefühl machen.


Alexander Kekulé

Ja, aber ... Es gibt keinen Algorithmus dafür. Also es wäre schön, wenn wir einen Algorithmus hätten. Den haben wir aber auch nicht. Das hängt auch von ganz vielen Faktoren ab, die man dann nicht einbauen kann. Wenn Sie so wollen, sind da Variablen drin, die wir nicht kennen. Z.B. das Verhalten der Menschen. Das ändert sich ja dynamisch. Manchmal haben die Menschen mehr Angst und ziehen sich zurück. Es gibt Leute, die sagen, ich bin jetzt schon geimpft, aber ich gehe trotzdem noch

mit Maske raus. Das ändert, sich sozusagen insgesamt. Und das ist ein Faktor, den wir nicht kennen. Der andere Faktor, den wir nicht kennen, ist: Wir wissen nicht genau, welchen Einfluss die Impfungen haben. Wir haben ungefähr dieses 1:10, von dem ich vorhin gesprochen habe, von den Engländern. Das können wir uns versuchen, abzugucken. Aber wir wissen nicht genau, ob es übertragbar ist. Und da gibt es viele weitere und unbekannte Variablen, sodass ich es eigentlich besser findet, das zu machen, was man sozusagen Expertenschätzung nennt. Wenn Sie Leute haben, die wirklich eine Ahnung, der eine von Statistik, der andere kennt das Virus, der dritte weiß, wie Gegenmaßnahmen funktionieren usw. Wenn Sie so ein Gremium haben und die diskutieren sozusagen, solange bis weißer Rauch aufsteigt, dann kommen sie normalerweise zu einer sehr guten Annäherung an den richtigen Wert. Das ist so ein Phänomen, was man immer beobachtet, wenn man qualifizierte Gremien zusammensitzen hat. Da gehen am Schluss eigentlich alle raus und sagen „die Lösung ist zwar nicht genau die, die ich jetzt spontan, als ich reingegangen bin, gedacht hätte, aber, wenn ich jetzt rausgehe und die ganzen Argumente gehört habe, weiß ich, dass es die beste in der jetzigen Lage ist.“ Die beste, die wir identifizieren konnten. Und dieser Prozess, um das noch mal zu sagen, der fehlt ja komplett in dieser ganzen Pandemie. Das macht man überall. Schauen Sie, wenn Sie gucken, wie die STIKO arbeitet. Der STIKO-Bericht, die haben eine Risikomatrix. Die setzen sich zusammen und überlegen welche Risiken wollen wir begrenzen, was ist eigentlich unsere Aufgabe, was wollen wir in Kauf nehmen und was nicht? Und dann gibt es sozusagen verschiedene Möglichkeiten, wie man in dieser Matrix sich bewegt. Und am Schluss kommt ein Vorschlag raus oder zwei oder drei, je nachdem, welche Position man hat. Wenn man Unternehmensberater ist, ist der Klassiker, dass man drei verschiedene Vorschläge macht und den Kunden sozusagen bittet, dann einen auszusuchen. Ich war früher in der Schutzkommission der Bundesregierung. Wir

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haben nichts Anderes gemacht, ständig diese Risikomatrix gemacht und nach irgendwie definierten Prozessen gearbeitet, ohne dass wir dafür einen Algorithmus hatten. Sonst hätte es die Kommission nicht gebraucht. Da hätte es der Computer machen können. Und dieser Prozess, der auch in den Pandemieplänen steht. Da steht drinnen: Stufe eins bei der Pandemie – Erste Maßnahme: Bilde eine Pandemiekommission. Das hat man nicht gemacht, und deshalb geht es so ins Kraut. Rauf und runter. Jeder Ministerpräsident macht was anderes, sodass dann Leute wie Sie natürlich zu Recht sagen, wäre es nicht vielleicht besser, wenn man da eine Form für hätte.


Camillo Schumann


Also ich stelle mir vor, wenn ich jetzt z.B. in der Staatskanzlei in so einem Krisenteam bin, und muss das jetzt irgendwie bewerten. Und ich bin jetzt kein Virologe. Und ich habe jetzt auch keinen, den ich gerade anrufen kann. Ich muss mich doch an irgendetwas wenden. Oder wie soll man die Situation sonst bewerten?


Alexander Kekulé

Also diese Teams gibt es ja. Ich bin da selber beim Runden Tisch des Ministerpräsidenten in Bayern. Es gibt auch so ein ähnliches Team bei dem österreichischen Bundeskanzler, wo ich ja auch manchmal gefragt werde. Es gibt genau solche Teams, und ich weiß, dass andere Bundesländer des auch haben. Es ist glaube ich bekannt, dass der Herr Streeck in NordrheinWestfalen in so einem Team mit drinsitzt. Und natürlich ist es auch so, dass die Bundesregierung solche Teams hat. Wobei bei der Bundesregierung mir nicht gefällt, dass die Namen nicht so öffentlich sind und offensichtlich die Namen immer mal so wechseln, je nachdem, was gerade so in der letzten Talkshow irgendwo gesagt wurde. Ich glaube aber, dass unterm Strich es so ist, dass wir diese Beratungen haben. Das Problem ist nur: Die Experten, die da jeweils gehört werden, die sind untereinander nicht optimal vernetzt. Da gibt es so das Team sowieso, das Team sowieso und das Team sowieso, die quasi dann auch öffentlich

zum Teil gegeneinander aufgeführt werden und die aber nicht das machen, was wir international ständig machen in dieser Krise, nämlich durch Konferenzen, Zoom-Konferenzen, durch Austausch der Argumente sozusagen, einen Konsens zu bilden. Ich glaube, es gäbe wesentlich weniger Dissonanzen zwischen den Bundesländern, was die so entscheiden, wenn die jeweils beratenden Experten quasi einer Meinung wären. Und die wären viel stärker einer Meinung, wenn das ein strukturierter Prozess wäre, wo die eben dann vorher für die Meinungsbildung sich auch mal zusammensetzen. Ich finde, das kann man auch durchaus transparent machen, würde ich sogar öffentlich machen. Hätte ich nichts dagegen, wenn man das quasi dann bei Zoom so macht das, da jeder zuhören kann und dann würden auch die Argumente transparent sein.

47:13


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Herr P. hat gemailt.

Sehr geehrter Herr Kekulé, ich frage mich schon länger, wie die Briten mit der dritten Impfung verfahren? Anhand der von Ihnen erwähnten Bedenken zum Astrazeneca-Impfstoff müsste doch bereits eine Booster-Impfung mit mRNA-Impfstoffen stattfinden. Gibt es dafür schon eine Zulassung? Was raten Sie Personen mit 60, die mit Astrazeneca geimpft wurden, sowie jene mit 30 Jahren? Viele Grüße


Alexander Kekulé

Ja, ganz hinten angefangen. Also ein 60-Jähriger muss zum jetzigen Zeitpunkt nach Datenlage sich nicht nochmal impfen lassen, bloß, weil er AstraZeneca bekommen hat. Ich bin ja da etwas großzügiger bei den Johnson&Johnson-Geimpften, weil die nur eine Impfung bekommen haben und wir einfach wissen, dass die zweite Impfung bei allen anderen Impfstoffen, auch den Vektorimpfstoffen, was bringt, und habe deshalb ein bisschen Zweifel, ob die Aussagen des Herstellers Johnson&Johnson so richtig sind, dass die sagen, bei uns reicht eine, auch gegen Delta. AstraZeneca allein wäre für mich keinen Grund,

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jetzt deshalb zu sagen,man muss noch mal impfen. Die Briten sehen das genauso. Es ist klar, wenn man kurz nach der Impfung nachschaut und die Effektivität gegen Delta anschaut, dann ist die bei AstraZeneca deutlich schwächer als bei den mRNA-Impfstoffen. Es ist aber eine interessante – zumindest sagen die Engländer, das nehme ich immer so ein bisschen in Klammern, weil die natürlich auch sehr stark ihren eigenen Impfstoff favorisieren – die sagen, wenn man das längerfristig anschaut, dann gibt es den Effekt, dass alle abfallen. Also quasi kurz nach der Impfung sind sie noch gut gegen Delta, und nach ein paar Monaten sind sie schlechter gegen Delta. Und bei diesem Abfallen ist aber AstraZeneca weniger schnell als die anderen, sagen sie. Und dadurch würde sich das in gewisser Weise annähern. Es gibt dann zwar nach vier, fünf Monaten immer noch einen Unterschied, aber der Unterschied in der Wirksamkeit gegenüber Delta ist zwischen AstraZeneca und den RNA-Impfstoffen nach längerer Zeit nicht mehr so klar. Also daher würde ich sagen, da ist noch ein Fragezeichen, das schauen wir uns erst mal an. Eine grundsätzliche Empfehlung für die dritte Impfung kann man im Moment nicht aussprechen. Zumal: Ich muss wirklich daran erinnern. Gerade gestern hat der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation nochmal einen verzweifelten Hilferuf ausgesandt und hat wirklich noch einmal erinnert, dass er ein Moratorium haben will, dass man bis 2022, also bis nächstes Jahr, keine BoosterImpfungen macht, weil das einfach ein Unding ist, dass wir in vielen Staaten der Welt noch nicht einmal auf 5 % Impfquote sind. Und die reichen Länder haben sich jetzt die ganzen Dosen gebunkert und denken darüber nach, ob sie es jetzt einlagern sollen oder Booster-Impfung machen sollen oder wen sie sonst noch alles irgendwie impfen könnten. Das ist zu Recht hier angeprangert worden. Wie ist die Lage in England? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur folgendes im Moment sitzen die zusammen und denken darüber nach. Die Impfkommission heißt bei denen Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI). Und die

sitzen im Moment gerade zusammen, die meisten virtuell, und sollen also angeblich heute, so wird es verlautbart, ihre Entscheidung zur Booster-Impfung bekannt geben, ob sie die allgemeine Booster-Impfung ab einer bestimmten Altersgruppe empfehlen wollen. Sie haben ja schon längst empfohlen, so ähnlich wie bei uns auch, zu boostern bei bestimmten Risikokonstellationen. Da ist das klar. Und deshalb würde ich die Frage, wie machen das die Engländer, gerne beantworten mit: Heute Abend wissen wir mehr.

50:41


Camillo Schumann


Okay, dann ist der Podcast schon im Kasten. Da müssen wir es nachreichen, dann nächste Woche. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 217. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen-Spezial


Alexander Kekulé

Sehr gerne bis dahin Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 2200

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast und unter Audio und Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR aktuell rein, z.B. kann ich Ihnen den Podcast Der Rechthaber empfehlen: Der Podcast für ihre juristischen Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 07. September 2021 #216 Plan für Schulen hat keine wissenschaftliche Basis


Camillo Schumann

. Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé. Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

(31.08.) Vergleich zwischen zwei Dosen und drei Dosen des BNT162b2-Impfstoffs

Studie: Short Term Reduction in the Odds of Testing Positive for SARS-CoV-2; a Comparison Between Two Doses and Three doses of the BNT162b2 Vaccine | medRxiv

(25.08.) Sicherheit des BNT162b2-mRNA-Covid-19-Impfstoffs

Studie: Safety of the BNT162b2 mRNA Covid19 Vaccine in a Nationwide Setting | NEJM

MDR AKTUELL: Kekulés Corona-Kompass.


Camillo Schumann


Dienstag, 7. September 2021.

Keine Quarantäne mehr für ganze Schulklassen. Die Gesundheitsminister der Länder haben sich auf bundeseinheitliche Regelung verständigt. Was ist davon zu halten?

Dann die Grippesaison beginnt. Krankmeldungen nehmen zu. Können sich Coronaviren untereinander verstärken. Besteht die Gefahr eines Supervirus im Herbst?

Außerdem Herzmuskelentzündung, Gürtelrose, Blinddarmentzündung. Das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen nach BioNTech Impfung eine umfassende Studie gibt Aufschluss. Sollte man sich künftig jedes Jahr gegen

Corona impfen lassen? Wir wollen Orientierung geben.

Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag werfen wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Wir beantworten Ihre Fragen.

Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.


Camillo Schumann


Fangen wir mal mit dem aktuellsten und für Millionen Eltern das wichtigste Thema an. Wie geht es im Herbst und Winter an den Schulen weiter? Wurschteln sich alle 16 Bundesländer mit unterschiedlichen Regelungen durch? So nach dem Motto wird schon alles nicht so schlimm werden?

Nein, offenbar ist zumindest der politische Wille da. Die Gesundheitsminister der Länder haben sich auf einheitliche Quarantäneregeln geeinigt. Klaus Holetschek von der CSU, Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz:

Es ist glaube ich ganz gut, dass wir da noch mal ein einheitliches Bild abgeben, weil das auch das Vertrauen in die Maßnahmen natürlich stärkt. Das eine oder andere Land hatte da noch den einen oder anderen Nachbesserungsbedarf oder Vorschlag. Aber wir waren uns im Großen und Ganzen einig, so viel Präsenzunterricht wie möglich zu gewährleisten. Zu viel Infektionsschutz wie nötig. Das haben wir heute ganz gut geschafft.


Camillo Schumann


So viel Infektionsschutz wie nötig. Herr Kekulé, bevor wir in die Bewertung gehen. Die Regelungen der einzelnen Bundesländer waren ja bisher sehr, sehr unterschiedlich. Wie finden Sie es so grundsätzlich, dass es nun einheitliche Regeln geben soll?

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Alexander Kekulé

Das ist lange überfällig gewesen und ein ganz wichtiger Schritt. Ich finde es auch gut. Das merkt man in den letzten Monaten zunehmend, dass die Politik sich hier schneller geeinigt hat als früher. Dieses ewige Verhandeln bis in die Nächte und dann am Morgen nichts präsentieren. Das gab es früher. Das ist nun besser. Auch die dritte Welle wurde ja auch schon relativ gut gemanagt. Also von der Seite, finde ich, ist das gut gelaufen.


Camillo Schumann


Okay, dann machen wir es mal konkret, beziehungsweise Klaus Holetschek macht es mal konkret. Er erklärt mal mit eigenen Worten, worauf sich die Gesundheitsminister der Länder verständigt haben.

Nur noch die ganz engen Kontaktpersonen, die unmittelbar tatsächlich bei der infizierten Person sind, sollen, wenn nötig, in die Quarantäne gehen müssen. Nach fünf Tagen kann man sich dann mittels eines PCR-Tests oder eines Antigen-Schnelltest freitesten.


Camillo Schumann


Also nur ganz enge Kontaktpersonen, nur wenn nötig in Quarantäne. Freitesten nach PCRoder Antigen-Schnelltests. Das ist der Plan. Was sagen Sie dazu?


Alexander Kekulé

Naja, das hat keine wissenschaftliche Basis. Also man kann das so aufschreiben oder auch anders. Nur wenn nötig. Na gut, ich nehme mal an, der meint immer dann, wenn jemand anders daneben nebenan saß in der Schule dann positiv war. Aber ich stelle mir das ganz praktisch vor. Die unmittelbaren Kontaktpersonen und nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne schicken. Der Wunsch ist ja klar. Und dass es für die Kinder zunächst mal besser wäre im Sinne von, dass sie weniger sozialen, psychologischen Stress haben. Das ist ja ganz klar.

Aber epidemiologisch ist es natürlich so, bloß, weil einer gerade daneben saß, ist er nicht eine besonders vorrangige Kontaktperson. Solche

Ideen hatten wir früher mal, als wir noch sehr viel über Schmierinfektionen nachgedacht haben. Es gibt auch solche Untersuchungen aus Flugzeugen zum Beispiel. Wenn man direkt nebeneinandergesessen hat, weil sich die Leute da eben auch berühren. Weil sie lange konsequent nebeneinandersaßen, aber sonst ja normalerweise keinen Kontakt miteinander hatten, also verschiedene Fluggäste.

Aber in einer Schule ist die Situation ganz anders. Wenn ich mich so an meine eigene Schulzeit erinnere, meine besten Freunde. Neben denen durfte ich normalerweise gerade nicht sitzen, weil sonst wurde das zu laut im Unterricht. Man hat dann irgendwie gequatscht. Da ist man auseinandergesetzt worden.

Wir wissen ja auch schon länger, dass die Kontakte bei den Schülern gar nicht so im Unterricht stattfinden, die kritischen. Sondern außerhalb des Unterrichts. Sei es die Pause, sei es der Weg zur Schule, sei es das soziale Leben um die Schule herum. Das korreliert natürlich nicht mit dem, der da zufällig gerade nebenan sitzt. Naja, jetzt stelle ich mir so einen Schüler vor. Dann kommt die Dame vom Gesundheitsamt und sagt, na, Kleiner, wer ist denn so dein bester Freund? Wen hast du denn die letzten Tage so viel gesehen? Der weiß genau die Namen, die er nennt, werden gebastelt. Die müssen zuhause bleiben. Also ich glaube, so funktioniert es nicht. Sondern der pragmatische Ansatz. Wir wissen ja auch das Wichtigste sind Aerosole. Das heißt, wenn die dann eine Stunde zusammen in der Klasse sitzen und die Lüftung halt nicht funktioniert. Dass sich dann alle infiziert haben. Da gibt es viele Beispiele, die so in die Richtung gehen. Auch vom Lehrer auf die Schüler. Der pragmatische Ansatz, wenn man überhaupt Nachverfolgung und Quarantäne machen will, heißt, die ganze Klasse in Quarantäne bringen.


Camillo Schumann


Und das genau möchte die Politik ja nicht. Denn so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich sollen am Unterricht teilnehmen. Und zwar in der Schule und nicht zu Hause. Weil Sie sagen, es gibt keine wissenschaftliche Grundlage. Da werden auch die fünf Tage ins Feld geführt. Wo kommen diese fünf Tage her?

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Alexander Kekulé

Naja, das ist das alte Konzept aus dem letzten Jahr. Das hat ja der Herr Lauterbach massiv damals propagiert. Das war diese Idee, die Schüler schon nach fünf Tagen frei zu testen. Dann eben quasi nicht mehr ... Wenn dann nur noch Kohorten-Isolierung zu machen. KohortenQuarantäne zu machen. Also nicht mehr zu unterscheiden zwischen denen, die positiv sind und denen, die Kontakt waren. Das hat man meines Wissens im Herbst eine Weile versucht. Da sind die Zahlen völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Gesundheitsämter konnten natürlich dann überhaupt nichts mehr nachverfolgen. Weil wenn Sie nach fünf Tagen jemanden, der unmittelbar vorher möglicherweise in Kontakt zu einem Infizierten hatte, den frei testen. Dann haben Sie einfach wegen der Inkubationszeit, die ja so typischerweise bis zehn Tage gehen kann, manchmal sogar noch länger. Da haben Sie einfach einen Teil, den sie nicht erwischen. Ich habe mal früher so über den Daumen gepeilt gesagt, 30 bis 50 Prozent der Positiven gehen dadurch die Lappen. Das kann man in Kauf nehmen. Ich habe, das kann ich ja offen sagen, auch damals mit Herrn Lauterbach diskutiert, den ich sehr schätze. Er hat dann einfach gesagt, ja, das weiß er auch. Das hat er quasi auf dem Schirm, dass man diese Größenordnung quasi verliert. Aber das wird sozusagen in Kauf genommen zum Wohl der Kinder, damit die eben schneller wieder in die Schule können. Ich finde, das muss, man offen diskutieren. Und offen auch mit den Eltern transparent machen. Wir gehen hier ein ziemlich hohes Risiko ein. Wir werden die Fälle überhaupt nicht mehr nachverfolgen können. Wir werden Ausbrüche haben, die wir gar nicht erkennen auf diese Weise und nicht unter Kontrolle bringen. Wir nehmen in Kauf, ganz vorsätzlich sozusagen, dass die Kinder infiziert werden. Ich glaube, das müsste man so sagen. Sagen wir haben unsere Meinung da geändert. Das ist letztlich ein Paradigmenwechsel. Eine gezielte Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen


Camillo Schumann


Könnten mit dieser Regelung Infektionen verhindert werden? Nein, sagt auch Professor

Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für pädiatrischen Infektiologie gegenüber dem „heute journal“. Wir hören mal kurz rein.

„Wir sind in Deutschland in einer Situation, dass wir ohnehin keine No-Covid-Strategie wie zum Beispiel Neuseeland fahren können. Auch dort ist es bei niedriger Inzidenz letztendlich gescheitert. Wir sollten nicht versuchen, jede Infektion um jeden Preis zu verhindern, denn wir müssen sie ja, die Erkrankungszahl oder die Infektionszahl in Beziehung setzen mit dem Kindeswohl, das wir auf anderer Seite auch garantieren müssen. Dass die Kinder nämlich nicht zu Hause bleiben und von der Schule oder von der Kita ferngehalten werden.“


Camillo Schumann


Also er stößt sozusagen ins selbe Horn. Aber diese Diskussion wird meines Erachtens aber noch gar nicht so breit diskutiert.


Alexander Kekulé

Ich fordere das glaube ich, seit Mai letzten Jahres. Dass man mal drüber redet, wieviel von unserer Sicherheit wollen wir aufgeben, damit wir mehr Freiheit haben. Das ist dieser klassische Konflikt. Hier trifft es halt die Kinder. Ich finde, man muss es offen diskutieren. Klar kann man sagen, wir als Gesellschaft nehmen das in Kauf. ich finde es erstaunlich, dass der Tenenbaum das so ganz offen formuliert hat. Wir sind ja früher für den Vorschlag, uns an der Influenza zu orientieren. Wie häufig und wieviel Todesfälle gibt es durch Influenza. Zu sagen, dass wir das dann in Kauf nehmen das Risiko. Wir sind ja da stark kritisiert worden. Heute kann man das einfach so sagen. Da hat sich irgendwie die Politik geändert. Aber die wissenschaftliche Datenlage ist natürlich immer noch die gleiche. Es geht darum, dass, wenn man sagt, man will die Kinder sozusagen durchseuchen und man schickt sie in die Schule. Es gibt ja eine Schulpflicht. Dann wäre das eine Zwangsdurchseuchung. Ich möchte mal so ein bisschen zugespitzt sagen. Die Frage ist: die einen fordern sozusagen die Zwangsdurchseuchung und die anderen denken immer noch über die sogenannte Zwangsimpfung, also die

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Pflicht-Impfung nach. Also Zwangsdurchseuchung oder Zwangsimpfung. Folgendes ist da ist da ein logischer Fehler bei dem Ganzen. Es sind ja die gleichen Leute im Prinzip. Also die gleiche Politik des Bundesgesundheitsministeriums. Federführend sind in dem Fall auch diejenigen gewesen, die gesagt haben, wir brauchen unbedingt die Impfungen in diesem Alter. Es ist ja ein wenige Wochen her, dass die Ständige Impfkommission massiv unter Druck gesetzt wurde, weil sie empfehlen sollte, die Impfung für 12bis 17-Jährige. Sie hat es dann auch gemacht, mit Krach in der Kurve, irgendwie eine Begründung dazu gefunden. Ja kann man alles machen. Aber wenn also dieses Virus für 12bis 17-Jährige so gefährlich ist, dass man sie unbedingt impfen muss. Ich verfolge einfach mal die Argumentation dieser Befürworter. Dann kann man doch nicht zwei Wochen später sagen, mit der gleichen Lässigkeit Jetzt kommt es nicht mehr darauf an, wer sich da infiziert. Wir nehmen das in Kauf, dass die sich da zum großen Teil anstecken und wir unerkannte Ausbrüche haben. Also ich sehe da einen gewissen Widerspruch. Vielleicht verstehe ich auch irgendetwas nicht. Aber an der Stelle ist irgendwie Widerspruch aus meiner Sicht.


Camillo Schumann


Um das noch einmal im Einzelnen durchzugehen. Also wir haben diese Quarantäne von fünf Tagen, wo Sie sagen, na gut, da sind 30 bis 50 Prozent Infizierte. Bisher unentdeckte Infizierter, nehmen wir da in Kauf. Dann haben wir noch den PCRoder den Antigen-Schnelltest, um sich raus-testen zu können. Können Sie das nachvollziehen, dass man da das offenlässt, mit welchem Test man das eigentlich tut?


Alexander Kekulé

Letzten Herbst wurde explizit da der Schnelltest genannt. Jetzt sagt man PCRoder Schnelltest. Das muss man sich mal so ganz praktisch vorstellen. Das Kind ist zu Hause und darf sich raus testen. Das machen wahrscheinlich die Eltern selber. Das wird dann so laufen, dass die Eltern mal wieder so einen Zettel kriegen von den vielen, die man in dieser Pandemie schon

ausfüllen musste. Wo draufsteht: hiermit erkläre ich, dass ich einen Schnelltest bei meinem Kind XY gemacht habe. Er war negativ. Das ist natürlich, sage ich mal, keine sehr zuverlässige Methode aus verschiedenen Gründen. Wenn, dann müsste zumindest der Test unter Aufsicht von qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Wenn man wirklich eine Ausbruchssituation vermutet, dann wäre auch unter Umständen ein PCR-Test sinnvoll, weil der natürlich viel empfindlicher ist. Ich glaube, das Ganze könnte funktionieren so in der Art, wenn man wirklich in jedem Einzelfall das Gesundheitsamt vor Ort hätte. Das sind ja inzwischen richtige Profis. Die sind auch viel besser ausgestattet als am Anfang dieser Pandemie. Die wissen wirklich inzwischen im Einzelfall, was wichtig ist. Ich sage mal ein Beispiel. Wenn zwei Kinder in der Klasse positiv sind, dann müssen Sie einfach von einem Ausbruch ausgehen. Dann können sie nicht so lässig sagen, na gut, die zwei plus die Banknachbarn gehen nach Hause. Sondern dann ist es ein Ausbruch mit einer zumindest hinreichenden Wahrscheinlichkeit.

Oder wenn ein Kind in der Klasse positiv ist. der sagt ich habe Zuhause oder die Eltern sagen, ich habe zuhause partout keine Infektionsquelle. Ich habe es mir ganz sicher in der Schule geholt. Ich mache nichts anders als in die Schule gehen. Das sind alles Dinge, die das Gesundheitsamt ziemlich schnell herausfinden kann und meines Erachtens dann auch fallspezifisch maßgeschneidert gute Maßnahmen anordnen kann. Das wird natürlich ein bisschen behindert, wenn der Bund quasi, der in mehrfacher Hinsicht gar nicht zuständig ist, weder für die Gesundheit noch wie die Schulen. Wenn der die sogenannten Leitplanken einzieht, wie das genannt wurde. Da stelle ich mir die Arbeit eines Gesundheitsbeamten da ein bisschen schwieriger vor. Wir sind letztlich in der Situation, dass wir durch die hohen Fallzahlen, die dann zu erwarten sind, die Nachverfolgung rein quantitativ durch die Gesundheitsämter unmöglich machen. Was passieren wird, ist, dass es dann halt so läuft, dass der Schulleiter das wahrscheinlich entscheidet. Dass die Eltern die Tests selber machen und wieder irgendwelche Zettel ausgefüllt werden. Und dass

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in der Praxis das halt dann kaum Schutzeffekt hat.


Camillo Schumann


Die hohen Inzidenzen haben wir ja schon. In NRW teilweise zwischen 500 und 800 in den Altersgruppen. Da fragt man sich ja, mit welcher Konsequenz dann auch. Da wird gelüftet und so weiter. Die Masken werden getragen oder eben auch nicht. Das darf dann auch jede Stadt teilweise selber für sich regeln. Müsste man dann nicht gucken, wie sich das Virus bei den Familien verhält? Ob es dann wirklich wieder tatsächlich zu Hospitalisierung führt?


Alexander Kekulé

Ich glaube darauf können wir nicht warten. Sie haben völlig Recht. Die Inzidenz in Leverkusen habe ich gehört, bei 5bis 14-Jährigen liegt bei 855. Also das ist wirklich Alarmstufe Rot. Das heißt ja. Das mag für die für die 5bis 14-Jährigen nicht schlimm sein. Ich gehe wirklich nicht davon aus. Das kann ich ja noch mal sagen, dass wir da eine hohe Zahl an Schwersterkrankungen plötzlich auf der Intensivstation haben, wie manchmal auch die Gerüchte umgehen. Wir haben hier auch eine andere Situation als in den USA, wo in der Altersgruppe mehr Kranke sind, weil die auch viele stark übergewichtige Kinder dabeihaben und Kinder aus sozialen Verhältnissen, wo es einfach schwer ist, Zugang zu medizinischer Versorgung zu haben. Ich glaube auch nicht, dass Long-Covid, zumindest was bisher belegt ist, in dieser Altersgruppe ... Wie gesagt, ich halte es für möglich, dass es das gibt, aber wahrscheinlich eher selten. Nein, es geht darum, dass, wenn Sie eine Subpopulation sozusagen haben, in der Gesellschaft, nämlich die Kinder. Wenn die Schulkinder und Jugendlichen, dramatisch durchinfiziert werden mit einem hochansteckenden Virus. Dass Sie dann keine andere Modellierung machen können. Egal wie Sie es rechnen. Dass sich das in der gesamten Gesellschaft weiterverbreiten wird. Die Schulen sind doch kein isolierter Ort. Sondern im Gegenteil. Kinder haben immer Kontakt zu Erwachsenen und wenn es die Eltern sind und so weiter und auch untereinander. Wir haben es hier mit einem Virus

zu tun. Was eben inzwischen wirklich hochansteckend ist. Das SARS CoV2 in der Delta Variante hat sich ja ziemlich gut optimiert, was die Ansteckungsfähigkeit betrifft. Die Leiterin der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC hat es sogar mit den Windpocken verglichen. Finde ich ein bisschen übertrieben von der Ansteckungsfähigkeit. Aber es ist eben hochinfektiös. Das heißt, Sie haben dann, wenn Sie so wollen, ein Initialzünder in der Schule, der die Welle in die gesamte Gesellschaft ausbreitet. Und dann wird es eben auch die 50-Jährigen, die Ende 50-Jährigen und so weiter erwischen, die vielleicht höheres Risiko haben. Die ja schon jetzt diejenigen sind, die häufig ungeimpft sind, leider immer noch. Und die wir auf den Intensivstationen haben.


Camillo Schumann


Wenn ich Ihnen zuhöre bei der Bewertung der einheitlichen Maßnahmen der Gesundheitsminister, die die beschlossen haben. Dann wirkt das auf mich bisschen wie so eine FeigenblattMaßnahme, um die Eltern zu beruhigen. Wir tun was, aber Ihr Kind darf in die Schule gehen. Und beim Rest schauen wir mal, wie es wird.


Alexander Kekulé

Also es gibt eine Schulpflicht. Die allgemeine Schulpflicht hat zur Folge, die Eltern müssen die Kinder hinschicken, sofern nicht das Gesundheitsamt irgendetwas angeordnet hat. Ich sehe da die Situation kommen, dass Eltern sagen, und das ist ihr gutes Recht. Bei SARS CoV2, bei Corona da bin ich nicht der Meinung, dass das eine Infektion ist, die ich meinem Kind einfach so mal zumuten will. Gibt sicher Eltern, die sehen das anders. Man kann diskutieren wie hier eben auch der Vertreter, der Kinderärzte Tenenbaum gesagt hatte, wie eingangs zitiert wurde. Man kann das in Kauf nehmen, meines Erachtens. Aber das ist ein Unterschied, ob Herr Tenenbaum oder ich sagen, man könnte gesellschaftlich überlegen, ob das in Ordnung ist oder die Individual-Entscheidung der Eltern. Hier kommt es auf Folgendes an: der Staat kann meines Erachtens Eltern nicht nötigen oder zwingen, ihre Kinder in eine Schule zu schicken und dann in Kauf zu nehmen, dass sie sich infizieren. Oder sogar damit

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rechnen müssen, dass die Kinder sich infizieren. Das wird bei Gericht meines Erachtens auch keinen Bestand haben. Ich weiß nicht, wer da ein Sachverständiger ist. Aber meines Erachtens kann man im Gegensatz zu anderen Lebensrisiken ... Es gibt Herpes Viren, die sind nicht so schlimm. Die kann man sich in der Schule holen. Sie können sich sonst was holen. Alle möglichen Erkältungskrankheiten, Influenza. All diese Dinge sind aber seit Jahrzehnten bekannte und von den Langzeiteffekten her überschaubare Infektionen. Deshalb bei allem Optimismus, den ich auch habe, dass diese Krankheit bei Kindern mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit keine schweren Folgen hat. Man muss sagen, wenn Eltern sagen, nö das Risiko gehe ich nicht ein. Dann werden die da vor Gericht damit recht bekommen. Das heißt, die Schule wird dann zwangsweise geschlossen. Dieser Situation laufen im Grunde genommen die Kultus-Minister und -Ministerinnen sehenden Auges entgegen.


Camillo Schumann


Wie sieht denn Ihr einheitlicher Plan für die Schulen aus? Damit, das ist ja das Ziel, so viele Kinder wie möglich in den Schulen bleiben?


Alexander Kekulé

Ich habe nicht die perfekte gegen Gegenvorstellung dazu. Ich kann nur noch einmal wiederholen, ich habe vor vielen Monaten schon gesagt, wir können letztlich den Herbst nur so gestalten, dass es nicht wieder zu Schulschließungen kommt. Wenn man erstens natürlich eine hohe ... Dass es das ist das Wichtigste von allem. Dass wir eine hohe Impfquote bei den Erwachsenen haben. Das ist ja in vielen Simulationen durchgerechnet worden. Die Ständige Impfkommission hat noch einmal darauf hingewiesen. Der beste Schutz für Kinder, also Personen unter 18 Jahren. Das ist die Impfung, die möglichst vollständige Impfung der Erwachsenen. Da haben wir noch viel zu tun. Mit den 70 Prozent, die wir gerade erreicht haben, sind wir in Deutschland gut. Wir haben vor allem auch bei den Risikogruppen eine relativ gute Abdeckung. Aber trotzdem brauchen wir viel mehr Impfquote dann auch bei Lehrern und

beim Betreuungspersonal in Kitas und so weiter. Das ist das erste, was wir brauchen. Das zweite, was meines Erachtens überhaupt nicht kommuniziert wurde. Gestern hatte der bayerische Gesundheitsminister Holetschek da für seine Kollegen gesprochen. Das begründet ... Gerade haben wir einen kleinen Ausschnitt gehört. Es ist so, dass er mit keinem Wort das Wichtigste von allem erwähnt hat.

Das Wichtigste ist wie immer bei solchen Erkrankungen: liebe Eltern, wenn euer Kind krank ist. Es darf nicht in die Schule. Es darf nicht in die Kita. Wir müssen, wenn es Atemwegserkrankungen hat, Symptome hat. Dann müssen wir päpstlicher als der Papst, seine Kinder zu Hause zu lassen. Das ist aus meiner praktischen Erfahrung wirklich in der Praxis kaum umsetzbar, wenn man nicht ganz drakonisch quasi diese Regel einfordert, weil die Eltern ja zum Teil den Kindern morgens noch Fiebersenker geben, damit sie in die Kita kommen, weil die Eltern zur Arbeit wollen oder zuhause was machen müssen. Und so weiter. Das heißt also, die Tendenz, dass man rotzende und hustende Kinder dann doch wieder abliefert in der Schule oder sonst wie. Die ist hoch. Das ist das Wichtigste, weil die Kinder, die hochansteckend sind, häufig eben auch symptomatisch sind. Also bei Symptomen zu Hause bleiben. Das ist Nummer eins.

Das zweite ist ganz klar. Mindestens ab der Sekundarstufe braucht man konsequent Masken in allen Situationen, wo die Kinder und Jugendlichen in geschlossenen Räumen zusammen sind. Meines Wissens ist es inzwischen auch bundesweit so beabsichtigt. Ich bin aber nicht ganz sicher. Da wurde gestern nichts davon gesagt, ob das sozusagen eine Deutschland-Regel wird oder ob das dann doch wieder jedes Bundesland machen kann, wie es will. Je nachdem, wie beliebt die Masken im jeweiligen Bundesland sind im Hinblick auf die Wahlen, die ja auch anstehen. Also Masken brauchen wir definitiv spätestens ab der Sekundarstufe. Was wir auch brauchen, ist die Kuratierung. Das heißt also, es muss eine Nachverfolgbarkeit im Falle eines Ausbruchs innerhalb der Schule zumindest sein. Sodass man eben die Klassen kuratiert. Das heißt, man weiß, wer hat mit wem Kontakt gehabt. Oft ist es ja so, dass die Schüler dann auch wechseln. Dann haben sie einen

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Sprachkurs irgendwo anders im Sprachlabor gemischt mit anderen aus der Jahrgangsstufe oder ähnliches. Also das muss alles nachvollziehbar und transparent sein. Dass man im Falle eines Falles sofort weiß, wen man in Quarantäne schicken muss. Wenn wir in der Situation sind, dass wir einen Ausbruch haben, wo mindestens zwei beteiligt sind. Da muss man eben die ganze Kohorte, meistens die Klasse, dann in Quarantäne schicken.

Meines Erachtens kann man tatsächlich ... Das wird ja auch verfolgt. In einigen Bundesländern ist in diesem Konzept nur so als Möglichkeit angedacht. Man kann schon sehr viel gewinnen, indem man weiterhin testet. Also diese niederschwelligen Tests. Ich sage mal dreimal pro Woche alle Kinder testen. Ich halte das für eine Zumutbare und gute Sache, um ganz frühzeitig zu erkennen, wirkt das denn, was wir hier haben. Dann noch dazu natürlich die Lüftungskonzepte. Da habe ich so den Eindruck. Da haben wir sehr viel darüber geredet im letzten Jahr. Wichtig ist, dass, wenn man Geräte aufstellt, die die Lüftung ersetzen sollen. Also quasi Luftreiniger. Gibt's ja verschiedene Modelle. Dann muss man wirklich durch einen professionellen Lüftungstechniker feststellen lassen, welche Kapazität brauche ich. Wo stelle ich die hin und wie effektiv sind die? Weil sonst die Gefahr besteht, dass trotz dieser Geräte unter Umständen sogar in bestimmten Ecken des Raumes die Luft länger steht, als sie sonst stehen würde. Das heißt also Lüftungskonzepte brauchen wir.

Und dann leider als Ultima Ratio nach wie vor die Möglichkeit, die Kinder zu Hause zu unterrichten. Wenn es wirklich mal so ist, dass die in Quarantäne müssen, im größeren Stil. Das ist ein ganzes Paket von Dingen, die man machen kann und machen sollte. Ich glaube, wenn man da erst mal anfängt in dieser Herbstwelle. Mit einem Fuß auf der Bremse ... Den Fuß auf der Bremse heißt zum Beispiel, wenn ich sage dreimal die Woche testen, das ist ganz schön häufig. Dann kann man ja, wenn man merkt, das geht alles gut. Es gibt nicht so viele Ausbrüche, wir haben es in den Griff. Da kann man ja runtergehen auf zweimal die Woche. Vielleicht muss man dann nur noch einmal die Woche

testen. Aber ich würde immer bei so einer Situation sozusagen mit dem Fuß auf der Bremse anfangen und nicht mit dem Fuß auf dem Gaspedal.


Camillo Schumann


Wir schauen mal nach Großbritannien. Die britische Impfkommission, die rät von CoronaImpfung bei den 12-bis 15-Jährigen ab. Weil die gesundheitlichen Vorteile für gesunde Menschen dieser Altersgruppe marginal seien. Außerdem wurde auf einen möglichen Zusammenhang von Herzmuskelentzündung und den MRNA-Impfstoffe hingewiesen. Langzeitfolgen seien auch nicht abschätzbar. Allerdings empfiehlt die britische Impfkommission, Kinder und Jugendliche zu impfen, die Erkrankungen haben. Genauso hatte ja die STIKO in Deutschland auch erst argumentiert, bevor sie ihre Meinung geändert hatte. Was ist denn der Unterschied in der Argumentation beider Kommissionen?


Alexander Kekulé

Der wichtigste Unterschied ist, dass die britische Kommission eben gesagt hat, wir sind eine medizinische Kommission. Wir gucken uns nur die medizinischen Fakten an. Die deutsche STIKO hat ja bei den medizinischen Fakten auch keine klaren Empfehlungen für die Impfung der 12bis 17-Jährigen gesehen, aber dann zusätzlich in die Waagschale geworfen die Tatsache, dass in diesem Alter eben die sozialen und psychologischen Schäden durch Schulschließungen und so weiter ganz massiv wären. Und deshalb gesagt, in diesem Gesamtpaket empfehlen sie dann doch die Impfung. Die Briten haben es meines Erachtens konsequenter gemacht. Die haben eben gesagt ... Vor allem entscheidend war die Myokarditis, also diese Herzmuskelentzündung. Da ist ja bekannt, dass die in dieser Altersgruppe ausgerechnet am häufigsten auftritt. Dass das die gleiche Altersgruppe ist, wo die schweren Verläufe durch Covid ausgerechnet am geringsten sind, also geringer als bei den Älteren und den Jüngeren. Zugleich ist es so, dass es bei der Myokarditis, eben bei dieser Herzmuskelentzündung, als Nebenwirkung eine unklare Dunkelziffer gibt. Sie wissen überhaupt nicht, wie

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oft die auftritt, weil die eben oft auch asymptomatisch ist. Schließlich ist es so, dass völlig unklar ist, wie die zustande kommt. Also diese Myokarditis, diese Herzmuskelentzündung, ist ein Phänomen. Wir ahnen, es hat was mit Autoimmunreaktionen zu tun. Aber so eine ähnliche Erkrankung gibt sonst nicht. Es gibt es nur bei dieser Impfung in diesem Alter. Deshalb ist es, sage ich mal, Dinge, die ... Wo die britische Kommission eben sagt, significant uncertainies also bedeutsame Ungewissheiten. Sie sagt also, deshalb im Gesamtergebnis: nein medizinisch können wir es nicht befürworten nach dem, was wir angeschaut haben. Aber sie sagen zugleich ... Sie spielen den Ball rüber nach Downing Street, wo der Premierminister sitzt. Sie sagen, aber wir haben die sozialen und psychologischen Schäden durch Schulschließungen nicht berücksichtigt. Das ist nicht unsere Aufgabe. Das sollte ihr machen, liebe Politik. Insofern haben die sich ein bisschen in den Fußball schlank gemacht. Anders als die deutsche STIKO, die sich den Schuh angezogen hat und dieses soziale Thema berücksichtigt hat. Was schwierig ist. Weil wenn wir zum Beispiel im Herbst, wie es ja aktuell wohl aussieht, kaum Gegenmaßnahmen, kaum Schulschließungen haben werden. Dann müsste eigentlich die STIKO sagen, Moment mal gilt dann unsere ganze Empfehlung noch. Weil, wenn die Kinder nicht so starke psychosoziale Nebenwirkungen haben. Wie sieht es dann in der Neubewertung aus? Also das hat die englische entsprechende Kommission, die heißt dort Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI). Die haben eben dort gesagt, nein, wir sind reine Mediziner. Und rein medizinisch können wir das nicht empfehlen.


Camillo Schumann


Um sozusagen den Vergleich noch mal zu ziehen oder den Unterschied. Die STIKO hat eben den Kollateralschaden mit in die Waagschale geworfen und die britische Impfkommission eben nicht. Oder wäre das nicht auch eine Lehre aus der Pandemie. So eine Situation, wie wir in den letzten anderthalb Jahren erlebt haben. Die gab es ja noch nicht. Die STIKO musste sich ja noch nie zu so einer so großen Pandemie positionieren. Aber sollte man nicht möglicherweise auch daraus lernen, zu sagen, okay,

die STIKO muss alles im Blick haben, um dann eine Empfehlung auszusprechen, um die sekundären Kollateralschaden damit einzubeziehen. Also wäre das nicht auch ein Schritt in die richtige Richtung, daraus dann diese Lehre zu ziehen?


Alexander Kekulé

Das sind zwei verschiedene Modelle. Sie sagen es völlig richtig. Die STIKO hat das ja so gesehen. Zumindest haben sich die Leute durchgesetzt. Ich bin sicher, da gab es intensive Diskussionen. Ich persönlich muss sagen, ich bevorzuge das britische Modell. Wo die gesagt haben, Schuster, bleib bei deinem Leisten. Wir sind eine medizinische Kommission und wir legen die medizinischen Fakten auf den Tisch. Den Rest soll die Politik machen. Aus verschiedenen Gründen. Das eine ist, diese sekundären Kollateralschäden. Die ändern sich ja mit dem politischen Handeln. Das heißt die Politiker selber haben in der Hand zum Beispiel zu entscheiden. Das haben sie ja gerade gemacht. ... wie streng sie mit Quarantänemaßnahmen und Schulschließungen sind. Das heißt, der Schaden für die Kinder verändert sich je nach Politik und nicht je nach Eigenschaft des Virus oder des Impfstoffs. Das andere ist das natürlich, da viele Fachleute gehört werden müssen. Da geht es dann um die Frage, was sagen die Elternvertretungen. Was sagen die Lehrer und die ganzen Gewerkschaften und so weiter. Da gibt es ganz viele Komponenten. Wo ich eigentlich der Meinung bin, das ist nichts für eine Fachkommission, sondern etwas, wo letztlich eine politische, das heißt demokratisch legitimierte Entscheidung hermuss. Das ist der wichtige Unterschied. Also wenn ich als Fachmann sage, ich habe die und die Daten. Da schließe ich folgendes draus. Deshalb gebe ich folgende Empfehlung. Da brauche ich keine demokratische Legitimation für. Weil der Politiker, der ja vom Souverän letztlich bestellt ist. Der kann sagen, mach ich oder mache ich nicht. Wenn ich aber diesen zusätzlichen Schritt gehe, sozusagen die gesamte politische gesellschaftliche Abwägung zu machen, dann habe ich meines Erachtens als Fachkommission gar nicht das Mandat dafür. Also rein formal gesehen. Auch nicht die Kompetenz dafür inhaltlich. Darum finde ich es besser, wenn man

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sich da zurückhält. Aber Sie haben völlig recht. Das ist eine Diskussion, die in Deutschland und England unterschiedlich entschieden wurde.


Camillo Schumann


Aber auch die sekundären Kollateralschäden sind doch medizinische Schäden. Das können ja psychische Sachen sein zum Beispiel. Das ist doch auch dann eine medizinische Indikation in Folge der Gesamtsituation, wo eine Impfung ja positiv beitragen kann.


Alexander Kekulé

Ja schon, das ist sicher. Aber die sind ja keine kontinuierlichen Faktoren. Sie müssten dann ausrechnen, wie viele zusätzliche Depressionen, wie viel zusätzliche Spielsucht wegen den ganzen Tag am Computer gesessen. Und so weiter. Das hängt ja dann ab davon, in welchem Bundesland, welche Partei gerade an der Regierung ist. Und was dort entschieden wurde bezüglich der Maßnahmen. Wenn Sie, rein theoretisch einen Ministerpräsidenten hätten, der plötzlich sagt, in meinem Bundesland gilt überhaupt keine Corona-Maßnahme mehr. Dann müssten Sie diesen Fakt „Nur durch Corona Maßnahmen“. Den müssten Sie plötzlich mit null ansetzen. Das können Sie wissenschaftlich nicht runterklabüsern. deshalb bin ich der Meinung, das ist richtig, das der Politik in die Hand zu geben. Weil die Politik dann auch die Konsequenzen ihrer Entscheidungen ... Was gerade gestern diskutiert wurde. Wie sehr wollen wir sozusagen Freiheit der Schüler erhalten und wie viel gesundheitlichen Schaden nehmen wir in Kauf. Das ist etwas, wo die Politik eine klassische Abwägung machen muss. Politik ist ja immer: sozusagen zwischen zwei schlechten Wegen, den etwas Besseren, irgendwie rauszusuchen.


Camillo Schumann


Das ist genau der Punkt. Dann vertraut man dann doch sehr ... Wo Sie doch starke Kritik dann an den Entscheidungen geäußert haben. Ich würde da gern einen kurzen Strich drunter ziehen. Zu allem Überfluss ... Zu der Gesamtsituation, die Kinder wieder in die Schule und die Inzidenz steigt. Zum Überfluss beginnt auch

noch die Grippesaison. Die Krankmeldungen, die nehmen zu. Laut RKI wurden in der 34. Kalenderwoche, das war die vorvorletzte Woche im Vergleich zur Vorwoche davor. DA wurden mehr Arztbesuche wegen akuter Atemwegserkrankungen registriert. Insgesamt waren es 550.000 Arztbesuche wegen akuter Atemwegserkrankungen. Besonders in der Altersgruppe der null bis vier Jahre wurden deutlich mehr Arztbesuche als in den Vorjahren berichtet. Heißt, die Grippesaison beginnt möglicherweise auch bisschen sehr früh?


Alexander Kekulé

Man guckt vielleicht auch besonders genau hin. Wegen Corona ist man natürlich ständig in Alarmsituation. Aber wir müssen natürlich damit rechnen, dass es in so einem Jahr, wo man vorher kaum soziale Kontakte hatte, auch die jüngeren Menschen wenig soziale Kontakte hatten. Dass es da zu so einer Art Nachholeffekt bei den Infektionen kommt. Möglicherweise ... Das ist ja noch nie ausprobiert worden. Darum kann ich da keine fundierte Spekulation machen. Aber möglicherweise haben wir tatsächlich dann mehr allgemeine Atemwegsinfektionen als in so einem normalen Jahr.


Camillo Schumann


Genau. Wir wissen ja, in der der in der vergangenen Grippesaison gab es ja fast keine. Durch die Maßnahmen Maskentragen etc. Nun wird gelockert. Die Kinder und Jugendlichen sind auch wieder in der Schule mit soften Quarantäneregeln. Die haben fast schon durchdekliniert. Das wird also der erste Herbst mit Lockerung Sars-Cov2 und den normalen Erkältungsviren, wo er auch einige Coronaviren darunter sind. Sind da Doppelinfektionen möglich, können sich Corona-Viren untereinander sogar verstärken?


Alexander Kekulé

Das volle Programm sozusagen. Theoretisch ist eine Doppelinfektion schon möglich. Dass man zum Beispiel Grippe und Corona bekommt, oder so was. Das ist in der Virologie nicht so häufig, weil wenn ein Virus die Schleimhäute

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erst mal erobert hat. Dann sorgt die angeborene Immunität, die immediate Immunity, diese Sofort-Immunität. Die sorgt dann dafür, dass andere Viren es schwerer haben. Wir nennen das Interferenz. Übrigens heißt Interferon, diese Substanz, die heißt nach diesem Phänomen so, weil man die Interferenz bei Viren schon früher mal beobachtet hat im Labor. Da werden diese Interferone freigesetzt von den Zellen, die eben signalisieren, Achtung, da ist es ein Virus dabei. Ich werde ich gerade angegriffen. Dadurch ist es dann so, dass weitere Viren es normalerweise schwerer haben, auch noch eine Infektion zu machen. Andererseits ist es so, dass wir einzelne Verläufe schon kennen, einzelne Fälle kennen. Da wissen wir, dass die Kombination zum Beispiel von Grippe und Covid besonders schwer verläuft. Dass solche Kombinationen auch im Kindesalter denke ich zum Beispiel an RSV des Respiratorisches Synzytial-Virus. Wenn das mit Covid zusammentreffen würde. Wir haben da wenig Daten darüber. Aber es ist zu vermuten, dass das doch eher dann schwerere Verläufe machen würde. Was man vielleicht auch sagen muss. Wir haben ja oft über diese angeborene Immunität gesprochen. Angeborene Immunantwort. Die ist ja bei Kindern voraktiviert. Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum Kinder nicht so infektiös wie Erwachsene sind. Das Virus nicht so häufig weitergeben und weniger schwere Symptome haben. Diese Voraktivierung, die ist höchstwahrscheinlich damit im Zusammenhang, dass die Kinder in so einem lernenden Immunsystem eben noch ständig Infekte haben. Ja, jeder weiß das so. Aus dem Kindergarten bringen die Kleinen praktisch jede Woche was Neues nach Hause. Das hatten wir ja in der Pandemie nicht durch die Gegenmaßnahmen. Sodass wirklich, muss man fairerweise sagen, die Frage offen ist, wird es vielleicht mehr solche Atemwegsinfekte, vielleicht auch schwere bei Kindern geben, weil die sozusagen ein Jahr lang ihr Immunsystem so ein bisschen auf Sparflamme hatten und nicht auf, auf voller Last wie sonst.


Camillo Schumann


Könnte dann daraus möglicherweise auch aus diesen unterschiedlichen Viren, die dann aufeinandertreffen ... Sie haben gesagt, wenn ein

Virus den Körper befallen hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass noch ein zweiter ... Aber nichtsdestotrotz wir wissen es ja noch nicht. Das haben Sie auch gerade gesagt. Also könnte möglicherweise so ein Supervirus entstehen?


Alexander Kekulé

Also wir wissen schon, dass es Zweitinfektionen gibt, also Corona und Influenza oder so. Das gibt es. Ist natürlich seltener. Aber das kommt schon vor. Also das mit dem Supervirus ist so ein Damoklesschwert, was irgendwie über allen Pandemien schwebt. Wir kennen das von der Influenza, von der Grippe. Da wissen wir, dass die Gene bei Influenza so ähnlich wie einzelne Kassetten oder einzelne Elemente angeordnet sind. Wenn zwei Viren in einer Zelle sind, dann können diese verschiedenen Elemente ausgetauscht werden. Das kann man sich so vorstellen, als wenn zwei Soldaten quasi in voller Uniform mit allen Waffen in einen dunklen Raum gehen, alles ausziehen und dann kreuz und quer alles wieder anziehen, sodass am Schluss jeder wieder ein Gewehr, eine Jacke, eine Hose, einen Gürtel und so weiter hat. Aber die haben natürlich einen Teil ihrer Ausrüstung dann unfreiwillig getauscht. So funktioniert es auch, wenn zwei Influenzaviren in der Zelle sind. Deshalb können bei Doppelinfektionen bei Influenza, insbesondere, wenn dann noch ein tierisches Virus zum Beispiel von einem Vogel dazukommt. Dann können mit einem Schlag in einem Patienten plötzlich radikal neue Virustypen entstehen, die wirklich gefährlich sind und auch eine neue Pandemie machen können. Dieses Phänomen, genau dieses gibt es bei Coronaviren glücklicherweise nicht. Die sind da relativ konservativ, die tauschen sozusagen ihre Wäsche nicht mit jedem. Es ist so, dass die ... Es gibt ein Phänomen, was wir erst eigentlich mit dieser Pandemie genauer beobachtet haben bei diesen Viren. Das heißt Rekombination. Da werden kleine Teile des Genoms, also der genetischen Information, dann doch mal zwischen zwei Viren ausgetauscht, wenn sie zufällig in der gleichen Zelle landen, also zwei verschiedene Virustypen. Wir wissen noch nicht genau, wieviel Einfluss diese Rekombinationen haben bei der Entwicklung zum Beispiel neuer Varianten, so wie Delta jetzt. Aber es ist so, dass da keine großen

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Sprünge passieren, sondern das sind relativ kleine Sprünge. Wir haben bis überhaupt keine Hinweise darauf, dass durch so eine Rekombination bei Corona Viren so etwas Ähnliches passieren könnte wie bei diesen Influenzaviren. Wo quasi ganze Elemente ausgetauscht werden können und dadurch Superviren entstehen. Also da ist meine Befürchtung relativ gering. Das wäre ein neues Phänomen, was wir bis jetzt nicht beobachtet haben, was dann ausgerechnet bei dieser Pandemie auftritt. Und Coronaviren kennen wir ja schon eine Weile.


Camillo Schumann


Abschließende Frage zu diesem Themenkomplex: Mit was für einem Gefühl gehen Sie in den Herbst mit Blick auch auf die Influenza? Also wenn die mal ein Jahr ausgesetzt hat, kommt die dann doppelt und dreifach? Geht die Wirksamkeit zurück?


Alexander Kekulé

Das Entscheidende ist das Verhalten der Menschen selber. Das ist nicht vorhersehbar. Man kann natürlich alles Mögliche modellieren. Darum gucke ich mir die Modellierungen immer so mit Interesse an. Aber letztlich kommt es darauf an, was man da so für einen Input in diese Modelle rein gibt. Die große Unbekannte ist doch hier eigentlich, wie die Menschen sich verhalten werden. Werden sie eben zum Beispiel im Zusammenhang mit ihren Kindern bei Corona eher vorsichtig sein. Werden sie bei einem Verhalten eher vorsichtig sein? Werden sie, wenn sie krank sind, konsequent zu Hause bleiben oder erst mal einen Tag zuhause bleiben und sich dann testen. Übrigens am ersten Tag testen. Ich kann es nur noch einmal sagen. Ich habe vor einem Jahr schon mal gesagt, am ersten Tag testen bringt gar nichts. Man muss einen Tag abwarten und dann einen Schnelltest machen, weil der erst dann halbwegs zuverlässig positiv ist. Werden die Menschen sich so verhalten, dass sie quasi durch das Mikroverhalten, diese Pandemie in den Griff bekommen? Oder lassen Sie alles schleifen? Und sagen, mir kann doch nichts passieren. Ich bin sowieso geimpft. Die Oma ist geimpft. Wir haben keine Lust mehr auf Corona. Da dazwischen

liegt das. Im letzteren Fall werden wir eine ganz massive Welle im Herbst haben. Die Inzidenz kann wirklich massiv hochgehen. Wir werden es dann auch nicht verhindern können, dass die bisher Ungeimpften schwere Verläufe haben.


Camillo Schumann


Ich fand es vor Corona auch schon sehr schwierig, wenn sich Kollegen mit irgendeiner Erkältungskrankheit dann so halbtot auf Arbeit schleppen aus einem falsch verstandenen Ehrgefühl, nicht fehlen zu wollen.


Alexander Kekulé

Das ist ganz interessant eine Diskussion, die übrigens in Japan ganz massiv geführt wird. Weil man im Japan noch viel mehr diese Kultur hatte, wenn du nicht tot bist, kommst du gefälligst zur Arbeit. Aber es ist so diese sehr starke Verpflichtung, seine Arbeitsleistung weiter zu erbringen. Bisschen haben wir Deutschen das ja auch. Da ist es dann so, dass man wirklich sagen muss, genau wie Sie es richtig sagen. Wir müssen da eine neue Kultur haben, die sich umdreht. Die heißt, wenn du Erkältungssymptome hast, dann bleibst du bitte zu Hause. Das gilt auch für die Kinder. Die Arbeitgeber müssen dann eben sagen, was dein Kind ist krank. In Ordnung bleib zu Hause und kümmere dich darum. Das muss wirklich eine große Offenheit dem Thema gegenüber geben. Dass die Eltern auch wissen, das darf ich machen, ohne dass ich in Betrieb dann scheel angesehen werde.


Camillo Schumann


Mal sehen, vielleicht entsteht ein Umdenken in unserer Gesellschaft nach dieser Pandemie. Irgendetwas Positives muss es ja gehabt haben.

Wir kommen zur dritten Impfung und damit zu einer Studie. Die Gesundheitsminister gestern der Länder haben auch eine dritte Impfung sich darauf verständigt in Pflegeeinrichtungen und auch in weiteren Einrichtungen in sogenannten vulnerablen Gruppen sollen den Beschäftigten eine Auffrischungsimpfung angeboten werden. Aber die große Frage ist natürlich, wie effektiv ist die dritte Impfung eigentlich.

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Was bringt die? In Israel wird ja die dritte Impfung schon ein bisschen länger „verimpft“. Und zwar für alle. Aber lohnt sich das wirklich? Es gibt eine aktuelle Studie aus Israel, die zumindest kurzfristige Effekte analysiert hat. Wie fällt das Ergebnis aus?


Alexander Kekulé

Das Ergebnis kurz gesagt ist, dass die dritte Impfung laut. dieser Studie was bringt, so wie es dort gemessen wurde. Die sagen nach 14 Tagen, also wenn man zwischen 14 Tage und drei Wochen nach der dritten Impfung die Infektionswahrscheinlichkeit sich anschaut. Dann wird die reduziert in der Größenordnung von 70 bis 85 Prozent. Also das ist eine gute Vakzine-Effizienz sozusagen bezüglich der Häufigkeit, wie Infektionen mit der PCR festgestellt werden. Aber mich überzeugt diese Studie noch nicht endgültig. Bei der Beantwortung der Frage soll man eine dritte Impfung empfehlen oder nicht.

Israel hat insgesamt und dort die großen Versicherer, die das ja immer machen haben. Die haben eine starke Nähe zu BioNTech Pfizer. So kann man das sagen. Das ist sozusagen das BioNTech Pfizer Privatlabor dort. Diesmal war das so. Das ist einer der großen Versicherer. In dem Fall der zweitgrößte. Makkabi heißen die. Alle Israeli müssen ja in einer der staatlichen Versicherungen sein. Die haben ungefähr ein Viertel der Population in Israel versichert. Das heißt so eine Größenordnung von 2 Millionen werden es dann ungefähr sein, die dort versichert sind. 9 Millionen glaube ich ist die Population in Israel. Das ist zusammen mit den Statistikern von Yale gemacht worden. Ist auch nur ein Preprint. Yale ist nicht so eine Universität, die bei der Medizin immer so international wahnsinnig hervorsticht. Aber die haben Welt Stars bei den Statistikern. Mit denen machen das die Israelis häufig zusammen. Die haben vom 1.-21.8. mal geguckt. Die über 40-Jährigen, die keinen Covid bisher hatten. Die haben eben zum Teil zwei Dosen gekriegt und zum Teil drei Dosen. Da haben sie eine stattliche Zahl gehabt. Insgesamt haben sie bei den Leuten, die zwei Dosen BionTech bekommen haben, etwa 150.000 getestet. Davon waren dann über 8000 positiven in der PCR, also haben trotzdem noch eine Infektion bekommen.

Und bei denen die drei Dosen also einschließlich Booster gekriegt haben, haben sie 32.001 und paar Gequetschte gehabt. Also ganz schön viele. Davon sind fast 1200 positiv geworden. Da haben die Folgendes gemacht. Die haben quasi zum einen gerechnet, wie häufig ist sozusagen der Unterschied zwischen der Gruppe, die positiv geworden sind und derer, die negativ geworden sind. Wie häufig, wie ist die Verteilung zwischen den zwei Gruppen, wer zweimal oder dreimal geimpft wurde. So etwas nennt man Test-negativ-Auswertung. Und dann haben sie was andere gemacht. Was eher der klassische Ansatz ist. Dass sie gesagt haben, okay für jeden, der positiv ist in geworden ist trotz Impfung. Da nehmen wir irgendeine Kontrollgruppe aus der Gesamtbevölkerung, die dazu passt, also vom Alter her, von der sozialen Struktur her und so weiter, Geschlecht, Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen und was es da alles gibt. Dazu passt also eine, wie wir sagen, gemanagte Kontrolle dazu. Dann gucken wir wie ist sozusagen die Effektivität im Vergleich dazu. Also bei beiden Ansätzen ist das rausgekommen, mal so grob gesagt: 70 bis 85 Prozent Wirksamkeit.

Aber eben, wie Sie eingangs schon gesagt haben. Da gibt es zwei Dinge, die Fragezeichen sind. Das eine ist, es ist ein ganz kurzer Zeitraum, der beobachtet wurde. Es geht ja wirklich nur um letztlich eine Woche. Weil 14 Tage nach der letzten Impfung haben sie quasi angefangen zu gucken und den Effekt beobachtet bis drei Wochen. Keiner weiß, ob dieser Effekt im halben Jahr noch irgendwie relevant ist, der da gemessen wurde. Zweitens ist es so, dass wir ja wissen, dass diese RNA-Impfstoffe eine ganz massive Reaktogenität haben. Also letztlich stimulieren sie dieses angeborene Immunsystem, was noch nichts mit Antikörpern zu tun hat, sondern was so ein Kurz-Effekt ist. So ein Strohfeuer kann ich mal sagen. Das Strohfeuer ist auf jeden Fall entfacht worden. Das ist ohne Frage so. Wir wissen, es hält ja mehrere Monate an, diese angeborene Teilt-Immunität. Die hat ja sogar, wie wir seit kurzem eigentlich erst wissen, so eine Art kleines Gedächtnis. Wir nennen das immunologische Training. Auch das hat hier natürlich stattgefunden. Die Frage ist, hat man hier nur sozusagen durch den Booster diese Spontanreaktion angeworfen, o-

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der hat es wirklich einen langfristigen Verbesserungseffekt Richtung Antikörper, die lang langanhaltend sind. T-Zellen, die langanhaltend sind. Das ist völlig unklar. Und zweitens ist es so, wir wissen nicht, wie viele von denen asymptomatisch war, weil das gar nicht mit untersucht wurde. Man hat einfach nur die Daten aus der Versicherung ausgewertet, dann expost. Man weiß nicht, wie viele Asymptomatische waren. Das heißt, man weiß auch nicht genau ob diese dritte Impfung die Übertragungsfähigkeit des Virus bei Asymptomatischen irgendwie hemmt oder nicht. Kann gut sein, nicht, weil man ja nichts auf der Schleimhaut genommen hat, sondern wieder nur in den Arm gepikst hat. Also mich überzeugt das nicht in dem Sinn, dass ich aufgrund dieser Statistik sagen würde, man kann allgemein die dritte Impfung empfehlen. Die Autoren der Studie sind ein bisschen optimistischer als ich. Aber wie gesagt, die sind, die freuen sich sehr über Pfizer.


Camillo Schumann


Aber man muss auch einschränkend dazu sagen, es kann ja diese Langzeitbeobachtung noch gar nicht geben, es erst angefangen wird mit der dritten Impfung. Aber es ist zumindest ein Fingerzeig, dass es zumindest in den vulnerablen Gruppen dann durchaus Sinn machen könnte. Das sieht man ja dann auch, das die Sterblichkeit bei den über 80-Jährigen wieder stark ansteigt. Dort würde das ja auch dann Sinn machen, das zu tun.


Alexander Kekulé

Das habe ich auch schon vor längerem empfohlen. Also es gibt mehrere Gruppen, wo man das einfach machen kann. Wo man gar nicht abwarten muss, wie die Studien sind. Weil immer sozusagen die Vorteile, wenn man es macht. Und die Nachteile, wenn man es macht und vielleicht Nebenwirkungen hat. Das muss man abwägen. Zu denen gehören alle, die ein unterdrücktes Immunsystem haben. Man kann es überlegen bei älteren Patienten. Das ist so einen Grenzfall. Aber letztlich meine ich zumindest in dem Sinn, dass man es ihnen anbietet. Man braucht ja keine generelle Empfehlung

dafür. Das kann man das natürlich machen. Das ist auf jeden Fall sinnvoll an der Stelle.


Camillo Schumann


Wir wollen noch über eine andere aktuelle Studie sprechen. Auch eine Studie aus Israel. Konkret geht es um schwerwiegende Nebenwirkungen nach einer Impfung mit dem BioNTech Impfstoff. Bevor wir über die Ergebnisse sprechen. Kurze Einordnung: Warum ist diese Studie besonders aussagekräftig?


Alexander Kekulé

Wir haben ja immer die Phase drei Studien bei der Zulassung gehabt. Und was die Nebenwirkungen betrifft, dann sozusagen Post Marketing, also Phase vier Studie nach der Zulassung. In dem Fall Notfallzulassung. Übrigens in USA ist ja der BioNTech Impfstoff, ich glaube auch Moderna, die sind inzwischen endgültig zugelassen. Also die amerikanische Zulassungsbehörde hat diese Notfallzulassung inzwischen aufgehoben. Also es ist so, dass wir danach im Grunde genommen immer beobachten müssen, wie sind die Langzeiteffekte. Wie sieht es bei einer sehr, sehr großen Zahl von Geimpften aus? Inzwischen gibt es ja weltweit Milliarden von Geimpften. In Israel ist es auch eine stattliche Zahl, die da schon durchgeimpft wurde. Mehrere Millionen auf jeden Fall. Das hat der andere große Versicherer in Israel, der größte dort, gemacht. Der heißt Clalit. Von dem haben wir schon ein paar Mal gesprochen. Die haben über die Hälfte der Israeli versichert, über 4,7 Millionen Personen sind das. Die haben über lange Zeit beobachtet. Wie sieht es bei den Nebenwirkungen aus? Welche Nebenwirkungen sind in unserem Meldesystem der Krankenversicherung aufgetreten? Sie haben diese Nebenwirkungen verglichen zwischen Geimpften und Nichtgeimpften. Sie hatten ungefähr 885.000 Geimpfte. Das ist ganz schön viel. Sie haben denen ... Also für so eine Studie ist das viel. Sie haben denen dann wieder jedem einzelnen haben sie einen Gemanagten dazugesetzt, der ähnliche epidemiologische, ethnische und von einer Lokalisation vom Alter und so weiter Daten hatte. Sodass man so grob sagen kann, na ja, die kann man miteinander vergleichen. Hat nicht ganz geklappt. Sie haben

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nicht die perfekte Gruppe gefunden, die dazu passt. Aber so halbwegs ... Übrigens alle über 16 Jahre. Was man da letztlich macht, ist, dass man durch dieses nachträgliche Matchen ... Das ist ja eine Beobachtungsstudie, wie wir das nennen. Aber man tut so ein bisschen so, als hätte man eine randomisierte Studie. Also man tut eigentlich so, als wäre das eine echte FallKontroll-Studie, indem man halt sozusagen die Kontrollen hinterher beibringt. Aber das ist eben nicht so stark aus aussagekräftig, als wenn man die vorher quasi die zwei Gruppen zuteilt.


Camillo Schumann


Das sozusagen zum Design der Studie. Jetzt die große Frage: Was hat man rausbekommen, was die üblichen Verdächtigen erst mal, was so die schwerwiegenden Nebenwirkungen angeht.


Alexander Kekulé

Man hat natürlich nur nach den üblichen Verdächtigen geschaut, weil das ja die Codierung aus der Krankenkasse war. Also man hat nichts total Exotisches gefunden. Das würde man da nicht finden. Sondern man hat nur nach den Codes quasi geguckt, wo man das wusste. Aus der Phase drei wussten wir zum Beispiel, dass Lymphknoten-Vergrößerungen häufig sind. Oder dass es relativ häufig ist. Dass es zumindest ein Signal gibt für eine Lähmung des Gesichtsmuskels. Die Fazialisparese kommt manchmal auf. Es war schon früher immer die Frage: Blinddarmentzündung kommt das vielleicht vor, oder nicht? Es gab Hinweise, dass Herzinfarkt vielleicht häufiger ist in der Gruppe der Geimpften. All diese Dinge waren aber in der Phase-drei-Studie, wo man ja um die 40.000 Probanden hatte, natürlich nicht klar rauszurechnen. Jetzt kommt Folgendes raus. Also um mal was ganz Simples zu sagen, die Lymphknoten-Vergrößerung hatte ein deutlich erhöhtes Risiko. Also der Risikofaktor ist 2,43. Das heißt, man hat ein über Zweifaches, ein 2,4-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu den Nichtgeimpften, dass die Lymphknoten hinterher paar Tage dick sind und wehtun. Da sag ich, klar, wenn das Immunsystem stimuliert wird, werden die Lymphknoten dick.

Auch die Blinddarmentzündung. Das ist vielleicht schon eher relevant. Die ist um 40 Prozent erhöht bei den Geimpften im Gegensatz zu den Nichtgeimpften. Das heißt, es ist eine klare Nebenwirkung der Impfung. Gelegentliche Blinddarmentzündungen. Das ist medizinisch gesehen auch nicht viel anderes als eine Lymphknotenschwellung eben da irgendwo in im Darmbereich. Das Problem ist nur wegen der Symptome. Die werden dann manchmal operiert. Das ist natürlich dann blöd, weil man dann die ganzen Komplikationen der Operation mit reinrechnen muss. Passiert einfach durch diese massive Stimulation des Immunsystems. Das ist so. Diese RNA-Impfstoffe sind da heftig. Auch die Fazialisparese tritt auf mit dem Risiko von erhöhten 30 Prozent gegenüber den Kontrollen. Das heißt also, wenn jemand eine Lähmung des Gesichtsmuskels hat, kann man ab sofort sagen, jawohl, das war eine Nebenwirkung der Impfung. Dann zwei Sachen, die wichtig sind. Vielleicht als Nachtrag zu unserem einem Podcast letzter Woche. Herpes Zoster also die Reaktivierung der Windpocken, die man in der Kindheit hatte. Da kann man im Erwachsenenalter so eine Reaktivierung machen, wenn das Immunsystem gerade einen schlechten Tag hat. Die ist eindeutig korreliert gewesen in dieser Studie, also mit 40 Prozent, 42 Prozent über normal. Wir haben letztes Mal eine Studie aus Kalifornien zitierte, wo ich dazu gesagt habe, dass die nicht sehr belastbar war und bisher das einzige, was wir so hatten, die keinen klaren Zusammenhang zur Gürtelrose gefunden hat. Jetzt ist aber klar, die Gürtelrose ist eine Nebenwirkung der Impfung. Das ist mit dieser Studie eindeutig belegt.

Noch ein paar andere Sachen, die nicht so wichtig sind. Aber was natürlich alle interessiert hat hier, ist, wie sieht es aus mit der Herzmuskelentzündung. Da ist es ganz klar. Myokarditis hatten das höchste Risiko von allen, also 3,24. Das heißt, wenn Sie so wollen, das ist um 300 Prozent erhöht oder dreifach erhöht. Gut, dreifach erhöhtes Risiko, eine Herzmuskelentzündung zu bekommen. 2,7 von 100.000 Geimpften ungefähr sind das. Die kriegen Herzmuskelentzündung als Folge der Impfung. Das ist inzwischen völlig klar. Übrigens davon abgesetzt, haben die separat aufgeführt: die Perikarditis, also diese Herzbeutelentzündung. Das ist meines Erachtens eigentlich nicht ganz

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sauber, weil das häufig miteinander einhergeht. Aber wahrscheinlich war das in der Codierung nicht anders möglich. Da haben Sie noch einmal ein Risiko von 1,2, also 1,27. Das heißt 27 Prozent erhöhtes Risiko.

Man kann übrigens ... Wer sich an Statistik noch gut erinnert, wie das funktioniert. Man kann hier nicht den Additions-Satz anwenden in der Stochastik. Weil es gibt viele, die haben Myokarditis und Perikarditis. Da ist sozusagen die Voraussetzung, dass es keine Schnittmenge gibt, nicht gegeben. Nur falls jemand auf die Idee kommt, man müsste diese Risiken dann addieren. Es gibt ja Leute, die gerade frisch Abitur gemacht haben. Und Herzinfarkt ist auch minimal erhöht.


Camillo Schumann


2,7, um das auch mal ins Verhältnis zu setzen. Wenn man so hört plus 40, plus 30, plus 42 Prozent. Das hört sich das ja ganz furchtbar an. Aber nichtsdestotrotz, das ist natürlich eine seltene, ungewünschte Nebenwirkung. Das muss man dazusagen.


Alexander Kekulé

Es ist ganz wichtig, das zu sagen. Darum habe ich die Zahlen mal genannt, von 100.000 Geimpften kriegen das 2,7. Das ist also nur die Feststellung, dass es assoziiert ist. Da wir ja wissen, dass es da mögliche kausale Mechanismen gibt. Diese Autoimmunerkrankung, also autoimmune Effekte. Deshalb ist es eben eine wichtige Zahl. Zum Vergleich: die Myokarditis bei der echten Covid-Infektion ist für die Gesamtbevölkerung ungefähr elf von 100.000. das ist ja auch noch einmal ganz klar rausgekommen. Das gilt wie für die meisten anderen Nebenwirkungen auch. Es ist rausgekommen, dass wenn Sie richtig Covid kriegen ... Logisch, ist doch klar. Da ist das Risiko ungefähr viermal so hoch ist, als wenn Sie geimpft werden. Also 2,7 ist es für die Impfung für Myokarditis. Wenn Sie Covid haben, ist es 11, also etwa das Vierfache pro 100.000. Also 2,7 pro 100.000 oder 11 pro 100.000. Das heißt das Impfen ist immer noch besser als krank werden. Aber es gibt hier natürlich wie immer ein paar Schwachstellen. Und da wir ja hier über so etwas auch reden. Es ist diese Studie nicht nach

Alter aufgeschlüsselt worden. Das finde ich eine echte Schwachstelle. Die haben auch selber gesagt, sie können das nicht genau aufschlüsseln. Es ist sogar das Durchschnittsalter aufgrund statistischer Gründe, bei denen eher bei 25 Jahre gewesen. Also relativ gering, was die Myokarditis betrifft. Sie haben auch nicht so viele Fälle dagehabt. Sie haben es auch nicht nach Geschlecht aufgegliedert. Warum ist das wichtig? Wir wissen ja, dass die Myokarditis typischerweise bei jungen Männern auftritt, insbesondere das Alter von 12 bis 17, wo wir in Deutschland alle natürlich Interesse haben, die neben möglichen Nebenwirkungen oder in dem Fall, muss man sagen, die definierten Nebenwirkungen der Impfung zu beurteilen. Diese Aufschlüsselung hat man hier nicht gemacht. Also man hat es nicht nach Alter aufgeschlüsselt. Man hätte vielleicht ein deutlich höheres Risiko gefunden, wenn man nur junge Männer sich angeschaut hätte, sodass man wiederum nicht sagen kann 2,7 von 100.000 ist das Risiko für Jungs im Alter von 12 bis 17. Nein, das wird in der Altersgruppe deutlich drüber sein, vielleicht sogar in dem Bereich, wo auch das Risiko dieser Altersgruppe für ähnliche Erkrankungen bei Covid ist. Jetzt verstehen wir wieder, warum die Briten gesagt haben, nein, das ist uns zu knapp. Das ist alles innerhalb der Streuung der Ungenauigkeiten. Wir sprechen uns nicht für die Impfung in dieser Altersgruppe aus, weil eben das Risiko hier selbst mit dieser Superstudie aus Israel. Die also die größte ist, die wir bisher hatten noch nicht genau bestimmt ist für die Altersgruppe, insbesondere für die Jungs. Die haben ein ungefähr 1,6-fach höheres Risiko als die Mädchen.


Camillo Schumann


Sie erzählen über die Studie. Dann kommt das große Aber. Aber jetzt hätten wir gern noch etwas Positives.


Alexander Kekulé

Es gibt eine Sache, die positiv ist. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben, zu gucken: Gibt es bei dem RNA-Impfstoff von BioNTech Pfizer, irgendeine Assoziation zu Thrombosen? Da ist das Ergebnis: Nein, haben sie nicht gefunden. Sie haben wirklich geguckt. Die Thrombosen

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sind ja häufig codiert als Krankheiten. Also zumindest mit der Ungenauigkeit, die solche Ex Post Beobachtungen immer haben, also solche Beobachtungsstudien immer haben. Da muss man sagen, hier ist kein Hinweis darauf gefunden worden, dass es eine Assoziation zu Thrombosen gibt. Die hat man ja bei AstraZeneca und Johnson Johnson klar gefunden.


Camillo Schumann


Alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen, können Sie sich selber noch einmal zu Gemüte führen, denn wir verlinken diese Studien in der verschriftlichen Version dieses Podcasts. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Frau Nowacki aus Berlin hat angerufen:

„Ich bin mit den Impfungen auch durch, habe die zweite im Juni bekommen. Verfährt man mit den Corona-Schutzimpfungen genauso wie mit den Grippeschutz-Impfungen? Wann wäre für mich die Deadline für die Wiederholung? Zum Beispiel nach einem Jahr? Ist das richtig oder steht das noch nicht fest? Meine Hausärztin sagt, es ist noch nicht klar. Soll ich mich dann ein Jahr später erneut impfen lassen? Das war meine Frage. Vielen Dank vorab für die Antwort. Beste Grüße aus Berlin.“


Camillo Schumann


Viele Grüße zurück.


Alexander Kekulé

Schöne Grüße nach Berlin. Da habe ich studiert. Meine alte Studienstadt, quasi meine dritte Heimat. Ja, es ist so, dass das noch überhaupt nicht klar ist. Aber höchstwahrscheinlich wird es keine Auffrischung wie bei Influenza geben. Die Influenza, die Grippe. Die ändert sich ja jedes Jahr. Die macht einen Antigendrift. So nennen wir das. Es gibt eine langsame Veränderung der Typen, die zirkulieren. Deshalb muss man jedes Jahr neu impfen. Wir haben diese Booster-Impfung, die dritte Impfung bei Covid. Die haben wir deshalb auf dem Schirm, weil wir die Befürchtung haben, dass insbesondere bei bestimmten Risikogruppen der Impfschutz zu schnell abfällt nach der Imp-

fung. Das ist nicht klar, ob es dafür wirklich Belege gibt. Aber es gibt zumindest Hinweise dafür.

Es ist nicht zu erwarten, dass das Coronavirus Sars-CoV2 sich alle Jahre so stark ändert, wie Influenza das macht. Weil wir die Änderungen, die wir sehen, also die Alpha-Variante, die Delta-Variante und vielleicht noch ein paar andere. Das sind ja alles noch die Nachwehen der Geburt dieses Virus, weil das Virus einfach ganz kürzlich überhaupt erst auf den Menschen übergesprungen ist. Es passt sich erst einmal an uns als neuen Wirt an. Das beobachten wir hier gerade. Wenn es sich aber dann angepasst hat. Wenn es in so eine Art Endkonfiguration gekommen ist. Wenn sich unser Immunsystem auch darauf eingestellt hat. Das heißt, wir also dann durch mehrmalige Infektionen, vielleicht auch mit verschiedenen Subtypen, mit verschiedenen Varianten, dann in dem Fall ... Wenn wir eine etwas breitere Immunität gegen die Coronaviren haben, dann braucht man meines Erachtens wahrscheinlich nicht mehr jedes Jahr impfen. Also steht zumindest heute überhaupt nicht geschrieben, dass das dann so ein Dauerbrenner wie bei der Grippe wird.


Camillo Schumann


Beate hat gemailt: Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, mit dem Schulstart in Sachsen spürt auch mein Kind, 14 Jahre alt, den politischen. sozialen Druck, sich impfen zu lassen. Wir Eltern sind uns hier auch uneins. Meine Frage: Ist es sinnvoll, vor einer möglichen Impfung erst einmal die Antikörper bei den Kindern testen zu lassen? Wäre es vielleicht sogar schädlich, wenn nach, zum Beispiel unentdeckter Corona-Infektion, eine Impfung bei Kindern durchgeführt wird? Viele Grüße Beate.


Alexander Kekulé

Die zweite Frage kann ich gleich zuerst beantworten. Nein, das wäre nicht schädlich. Also wenn jemand vorher die Infektion durchgemacht hat und dann geimpft wird. Es ist im Gegenteil so, dass alle Daten dahingehend, dass das mindestens so gut ist, wie zweimal geimpft. Dass es wahrscheinlich in die Richtung

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geht, dass der Immunschutz breiter wird und länger anhält. Also Infektion plus einmal impfen, ist im Moment das Beste, was man sozusagen sich antun kann. Obwohl ich natürlich auf keinen Fall empfehlen kann, sich absichtlich infizieren zu lassen, weil das wiederum auf jeden Fall mehr Nebenwirkungen hat als die Impfung.

Die Antikörper vorher bestimmen, muss man eigentlich aus dem Grund nicht, weil keine Nebenwirkungen zu erwarten sind. Sondern man könnte einfach impfen. Ich würde mal sagen, wenn man extreme Vorbehalte gegen die Impfung hat, aus welchen Gründen auch immer. Ich habe mir alles angeschaut. Ich will die Impfung eigentlich nicht haben. Ich habe aber den Verdacht, dass ich mich infiziert habe oder die Kinder sich infiziert haben, weil die vielleicht mal Symptome hatten. Weil es deutlich in die Richtung Covid ging von einer Gesamtkonstellation her. Dann kann man, um sich noch einmal um die Impfung zu drücken, die Antikörper bestimmen lassen. Und wenn die dann positiv sind, kann man sagen, siehste ich muss mich ja gar nicht impfen. Das ist durchaus richtig. Dann gibt es quasi bei Kindern und Jugendlichen keine Indikation mehr für die Impfung. Ich weiß aber nicht, ob man sich diese Schwierigkeit antun muss. Da muss man ja vorher Blut abnehmen. Nachher sind keine Antikörper da. Dann steht man wieder vor der gleichen Frage wie vorher. Deshalb würde ich sagen, wenn man Gründe hat, die Kinder zu impfen und grundsätzlichen Vertrauen in den Impfstoff hat. Dann sollte man das machen.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 216. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne, Herr Schumann, bis Donnerstag.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage und wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. oder Sie rufen uns einfach an. kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio

& Radio auf mdr.de. in der ARD Audiothek. bei YouTube und überall. wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 04. September 2021 #215: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 04. September 2021

Wieso sind die Inzidenzen in Regionen mit einer hohen Impfquote auch besonders hoch?

Reagieren auch Geimpfte beim PCR-Test positiv?

Ist eine Impfung nach zwei durchgemachten Infektionen überflüssig?

Heftige Gürtelrose nach erster Impfung: Besser auf die zweite verzichten?

Erkennen Schnelltests die Delta-Variante?  Wie sicher ist ein Totimpfstoff?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:45


Camillo Schumann


Frau B. hat angerufen. Sie hat folgende Frage:

„Ich hatte in der Zwischenzeit zweimal eine Corona-Infektion und würde gerne wissen, ob eine Impfung für mich jetzt überhaupt noch sinnvoll ist. Weil, man sagt ja: Einmal Coronainfiziert, eine Impfung reicht aus. Schließe ich daraus automatisch, dass, wenn ich jetzt schon zwei Corona-Infektionen durchgemacht habe, dass ich gar keine Impfung mehr benötige?“


Alexander Kekulé

Also, das kommt drauf an, wen Sie fragen. Also, wenn Sie einen Virologen fragen, ist es so, dass wir – natürlich: Zweimal infiziert, das können nur zwei verschiedene Varianten gewesen sein. Oder höchstwahrscheinlich nur zwei verschiedene Varianten gewesen sein. Zum Beispiel einmal Alpha, einmal Delta. Und das ist ein super Immunschutz. Also, das ist wahrscheinlich sogar besser als die Impfung und mindestens so lange anhaltend wie die Impfung. Aber: Es ist eben so, dass das jetzt nach der juristischen Seite, wenn Sie einen Juristen Fragen, eben bei uns nicht gilt. Und bei uns ist es so: Sie müssen eine Impfung haben – mindestens eine Impfung – wenn Sie nachweisen können, dass Sie innerhalb der letzten sechs Monate infiziert waren. Und das ist natürlich wahnsinnig unpraktisch. Wenn Sie in die USA reisen wollen, brauchen Sie sogar zwei Impfungen, weil die diese europäische Variante – genesen plus einmal geimpft – das lassen die Amerikaner nicht gelten. Und darum gibt es ziemlich viele Impfungen, die man halt macht, um irgendwelche Zertifikate zu bekommen. Ja, das ist im Leben manchmal so, dass die juristische Seite nicht ganz mit der wissenschaftlichen übereinstimmt.

02:15


Camillo Schumann


Diese Dame hat angerufen. Sie hat eine Frage, die viele Menschen umtreibt. Geht ein bisschen länger, aber sehr interessant:

„Grüß Gott, ich rufe aus dem Schwabenland an mit folgender Frage: Ich verstehe das einfach nicht, warum Bremen – am besten durchgeimpft – eine hohe Inzidenz hat, während Sachsen mit den wenigsten Impfungen eine extrem niedrige Inzidenz hat. Da ist ja sogar 1 zu 5 die Rate. Und das würde ich wirklich mal gern begreifen, und zwar nicht nur mit Vermutungen. Und wenn ich ein Sachse wäre, dann würde ich daraus ableiten, dass die ganze Impferei nichts bringt. Aber ich bin kein Sachse, ich bin Schwabe. Tschüss.“


Alexander Kekulé

Ja, also, schöne Größe ins Ländle. Da habe ich ja mal gearbeitet früher in Tübingen. Ja, also, es gibt tatsächlich da nur Vermutungen. Es tut mir wahnsinnig leid, aber es sind schon ein paar plausible. Also, das eine, was natürlich

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möglich ist, ist, dass in Sachsen weniger getestet wird. Das weiß man nie so genau, weil man nicht weiß, wie hoch sozusagen die Motivation der Menschen ist, bei Symptomen sich zu testen. Zweitens ist es so, dass in Situationen, wo man viele Geimpfte hat, die natürlich ein anderes Risikoverhalten haben. Also, die Geimpften sind ja so, dass sie davon ausgehen, dass sie nicht mehr angesteckt werden können. Und die gehen daher größere Risiken ein. In dieser Situation ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie infiziert werden, tatsächlich relativ hoch, weil ja auch die Impfung nicht 100% schützt. Das wissen wir ja bei der Delta-Variante, dass gegen Infektionen die Impfung vielleicht so eine Schutzquote von, sage ich mal, 60-70% hat. In der Größenordnung liegt das. Sodass es durchaus sein kann, das dann bei den Geimpften eine Welle der Geimpften, wenn man so will, durchläuft, die aber keinen Schaden macht. Also, der Grund, sich zu impfen, ist letztlich nicht die Verhinderung der Infektion, sondern die Verhinderung schwerer Verläufe. Und das dritte, was eine Rolle spielt, ist, wie die Demografie ist in der jeweiligen Region. Also: Wenn Sie eine Region haben, wo viele Menschen sind, die zum Beispiel jetzt nach einem Urlaub, nach der Urlaubszeit aus Ländern wie dem Balkan oder der Türkei zurückgekommen sind – und da gibt es eben mehr in Bremen als in Sachsen – dann haben Sie auch mehr Einschleppungen von Infektionen gehabt in der Zeit. Und wenn möglicherweise die gleiche Bevölkerungsgruppe tendenziell wenig geimpft ist, dann haben Sie eine hohe Zahl von Positiven, obwohl insgesamt in der Gesamtbevölkerung die Impfquote gut ist. Und diese drei Faktoren spielen irgendwie eine Rolle. Wie stark die einzelnen Komponenten sind, das kann ich nicht beantworten. Ich glaube auch, dass das Robert Koch-Institut dazu keine differenzierteren Daten hat.

05:15


Camillo Schumann


Manche vermuten auch, dass Geimpfte, die sich jetzt nicht infiziert haben, sondern sich eben nur geimpft haben und eine Immunreaktion des Körpers ja damit provoziert haben, in der PCR positiv werden und so in Regionen mit einer hohen Inzidenz die Zahlen noch weiter nach oben treiben. Also, sie schlussfolgern, dass die Pandemie durch die Geimpften sogar

noch verlängert wird. Was halten Sie denn von dieser These?


Alexander Kekulé

Nein, das ist Unsinn. Also, es wird ja quasi der Impfstoff – also, bei uns werden ja quasi nur noch die RNA-Impfstoffe zurzeit verwendet – die verwenden ja einen Teil dieses S-Proteins, dieses Spike-Proteins von dem Coronavirus. Und es geht schon mal so los, dass dieser Teil bei den typischen Tests, die wir bei uns in Deutschland meistens machen, gar nicht Teil der PCR ist. Es gibt einige Tests, die das verwenden. Die haben dann, wie wir sagen, mehrere Targets. Und wenn dann nur das S positiv wäre – sozusagen falsch-positiv, weil man aus Versehen den Impfstoff nachgewiesen hat – das würde man sofort merken im Labor. Also, das ist ausgeschlossen. Und selbst das wird in der Regel nicht vorkommen. Aber selbst wenn es so wäre, dass man aus Versehen mal irgendwas nachweisen würde, was mit der Impfung zu tun hätte, würde man das im Labor merken, dass da was nicht stimmen kann. Die Möglichkeit, dass man beim PCR-Test einen falsch-positiven kriegt, weil der geimpft ist, das ist ausgeschlossen.

06:36


Camillo Schumann


Die K. aus Leipzig hat gemailt. Sie hat eine Frage zu Impfdurchbrüchen und Quarantäne.

„Vier Jugendliche – zwei geimpft, zwei ungeimpft – fahren stundenlang im Auto aus dem Urlaub zurück. Die beiden Ungeimpften haben schon Husten. In Leipzig stellt sich dann heraus, dass beide Corona haben. Doch von den beiden Geimpften steckt sich während der Fahrt nur einer an. Er war mit Moderna geimpft. Der andere, der sich nicht angesteckt hat, war mit BioNTech geimpft. Nun die Fragen: Gibt es Erkenntnisse, ob es bei Moderna mehr Impfdurchbrüche gibt? Und wie groß wird mittlerweile die Gefahr eines Impfdurchbruchs grundsätzlich eingeschätzt? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Es gibt keine Erkenntnisse, dass da Unterschiede wären zwischen den beiden RNA-Impfstoffen. Klar ist, dass bei der Delta-Variante wesentlich mehr Impfdurchbrüche bei AstraZeneca sind, das ist ganz klar. Meine persönliche Vermutung ist schon länger, dass es auch

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bei Johnson & Johnson so sein sollte. Da gibt es aber noch nicht genug Daten, einfach, weil da noch nicht so viel verwendet wurde. Aber die Quote der Impfdurchbrüche – ja, wie gesagt, das liegt so, je nachdem welche Studie Sie nehmen. Also, die pessimistischsten Studien, die gehen bei AstraZeneca davon aus, dass es unter 50 Prozent Schutzwirkung ist bezüglich der Infektionsschutzwirkung. Also, man muss ja immer unterscheiden: Schützt man vor Infektion? Schützt man vor Erkrankung oder vor schwerer Erkrankung, Krankenhaus oder Tod? Und am besten ist natürlich immer der Schutz vor Tod. Und am schlechtesten ist der Schutz vor Infektion. Und der liegt eben nach einigen Studien – zumindest für AstraZeneca – unter 50 Prozent. Und die optimistischen gehen davon aus, dass das so bei 70 Prozent liegt ungefähr, also in dem Bereich. Das heißt, man kann im Umkehrschluss sagen: So ein Drittel sozusagen der Geimpften kann trotzdem noch infiziert werden. Und das ist schon die optimistische Variante. Und deshalb ist das überhaupt nicht überraschend. Ja, und wieso infiziert sich der eine und der andere nicht? Also, ich bin ja Virologe geworden, weil ich als Kind immer Erkältungen hatte. Ich war immer krank. Und mein Bruder hatte nie was. Ja, ist kein Witz, das war wirklich das Thema. Wenn der einmal genießt hat, war ich zwei Wochen im Bett mit Fieber. Und ich war wirklich sozusagen als Kind das Daueropfer von diesen Krankheitserregern. Keine Ahnung, ob das immer Viren waren. Und so ist das im Leben. Da ist irgendwas Genetisches. Das hängt vom Alter ab. Das hängt davon ab, ob man früher vielleicht mal Kontakt – wie wir letztes Mal besprochen haben – mit einem ähnlichen Coronavirus hatte. All diese Dinge spielen eine Rolle. Und deshalb ist es im Leben manchmal so: Den einen erwischt es, den anderen nicht. Also, das kann man schon als Ungerechtigkeit bezeichnen.

09:19


Camillo Schumann


Die K. will außerdem noch wissen: Geimpfte Kontaktpersonen müssen nicht in Quarantäne. Ist das eine politische Freigabe oder ist die Gefahr tatsächlich sehr gering, das geimpfte Kontaktpersonen das Virus weitertragen?


Alexander Kekulé

Oh, heißes Eisen. Also, es gibt ja das sogenannte 2G-Modell und da ist die Riesendiskussion: Wie ist das eigentlich, wenn einer geimpft ist, ist der dann wirklich epidemiologisch nicht mehr relevant? Und auf dieser Basis – dass man sagt: Geimpfte spielen keine Rolle für die Epidemiologie mehr – ist dann auch entschieden worden, dass die Kontaktpersonen nicht in Quarantäne müssen. Das ist aber eigentlich so ein bisschen überholt durch die Information, die ich jetzt gerade nochmal wiedergegeben habe. Das ist seit einiger Zeit eben klar, dass auch die Geimpften das Virus weitergeben können. Ich würde mal sagen, Hörer dieses Podcasts denken da schon seit vielen Monaten in diese Richtung. Und die harten Daten kommen jetzt so seit zwei, drei Monaten dafür. Und wie gesagt, wenn Sie Pessimist sind, können Sie sagen: Die Schutzwirkung ist nur bei 50 Prozent. Warum ist das wichtig? Juristen haben ja verboten, dass man Geimpfte und Genesene zum Beispiel von Tanzveranstaltungen in Berlin aussperrt. Und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin – was da eben ganz wichtig war für die Debatte 2G oder 3G – das hat eben sich gestützt auf die Aussage des Robert Koch-Instituts auf der Webseite, die offensichtlich veraltet ist, wo da eben schwarz auf weiß sinngemäß steht: Geimpfte spielen keine Rolle mehr für das epidemiologische Geschehen. Das ist einfach eine Fehleinschätzung. Ja, und ich würde dringend empfehlen, dass mal auf dieser Webseite zu ändern, bevor weitere Verwaltungsgerichte auf dieser Basis falsche Entscheidungen treffen. Ja, die Geimpften sind natürlich relevant, weil die das Virus weitergeben können. Sie können es weitergeben, ohne es zu merken, und zwar häufiger als die Ungeimpften. Sie haben manchmal leichte Symptome, die sie dann auch nicht als Corona interpretieren, weil sie denken: Ja, ich bin ja geimpft, das muss was Anderes sein. Und die müssten natürlich rein theoretisch auch in Quarantäne, wenn man diesen Maßstab ansetzt. Das heißt, die Frage ist: Wie vorsichtig wollen wir als Gesellschaft sein? Sagen wir: Dieser 70%-Schutz, wenn ich das mal so sage, bezüglich der Infektiosität, der reicht uns? Dann müssen wir die alle nicht in Quarantäne schicken. Aber das müssen wir mal öffentlich diskutieren. Also, ich glaube, einfach zu sagen:

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Geimpfte spielen keine Rolle für das Epidemiegeschehen. Das ist eine krasse Falschaussage, die eben auch schon zu falschen einstweiligen Anordnungen von Verwaltungsgerichten geführt hat.

12:05


Camillo Schumann


Frau S. hat angerufen. Sie macht sich Gedanken um die Aussagekraft der Schnelltests:

„Da sich ja das Virus ständig ändert, würde mich interessieren, ob der Schnelltest, der ja auf den Urtyp aufgebaut ist, überhaupt noch sensitiv genug ist – gerade in Bezug auf die Delta-Variante? Vielen Dank für Ihre Antwort.“


Alexander Kekulé

Ja, die Varianten unterscheiden sich hauptsächlich in diesem S-Protein, in diesem SpikeProtein. Also der Stachel, der da außen an den Coronaviren dran ist – der ihnen ja auch ihren Namen gegeben hat – der ist das, was das Virus ständig verändert. Und beruhigender Weise wird der innere Teil des Virus – also, die anderen Gene, die da sind – die werden beruhigender Weise nur bis zu einem sehr geringen Grad verändert. Also, da scheint sich nicht so viel abzuspielen bei diesen Mutanten. Und dieser andere Teil, der eben im Inneren des Virus liegt, das wird nachgewiesen von den AntigenSchnelltests. Also, da hat man einen Teil genommen, wo man von vornherein wusste: Das ist konserviert, wie wir sagen – also, überall gleich bei allen Varianten, auch bei allen Isolaten, die man gefunden hat von diesem SarsCov-2. Und da hat man von vornherein eben nicht dieses S-Protein genommen, was bei den verschiedenen Varianten und Mutationen so eine große Rolle spielt. Und deshalb sind die Antigen-Schnelltests nach wie vor zuverlässig, was den Nachweis des Virus betrifft.

13:29


Camillo Schumann


Herr G. hat gemailt. Er schreibt:

„Meine Lebensgefährtin hat am 12. Mai ihre erste Impfung mit dem Impfstoff Moderna erhalten. Eine Woche später bekam sie eine schlimme Gürtelrose im Gesicht. Besonders das rechte Auge war betroffen. Es war ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt notwendig, da noch weitere Komplikationen hinzukam. Anschließend erhielt sie eine fünfwöchige Kur.

Nun ist sie zu Hause, hat aber immer noch Probleme mit dem Auge und ist sehr schwach. Die Vermutung liegt nahe, dass die Impfung die Gürtelrose ausgelöst hat, da schon mehrfach solche Probleme beschrieben wurden. Verständlicherweise hat meine Lebensgefährtin nun große Bedenken, die zweite Corona-Impfung durchführen zu lassen, da sie befürchtet, erneut zu erkranken. Welchen Rat kann Professor Kekulé in diesem Fall geben?“


Alexander Kekulé

Tja, also, die Beschreibungen, dass Gürtelrose auftritt im Zusammenhang mit Impfungen gegen Corona – insbesondere den RNA-Impfstoffen – das ist in der Tat häufiger beschrieben. Da gibt's Einzelfallberichte, aber die häufen sich. Es ist auch plausibel, weil: Das Immunsystem wird ja sozusagen aufgerüttelt durch dieses starke Anschubsen der angeborenen Immunantwort. Das Immunsystem ist dann beschäftigt mit der Abwehr dieses Impfstoffs – das ist ja auch gewünscht. Ich habe so ein bisschen im Verdacht, dass diese Impfstoffe ein bisschen stärker sind, als sie sein müssten. Aber das ist eben der Effekt, den man hier jetzt hat. Und Gürtelrose entsteht ja dadurch, dass man – meistens in der Kindheit – irgendwann mal die Windpocken bekommen hat, Varizellen. Und dieses Windpockenvirus, das verschwindet nicht komplett. Die Krankheit heilt aus, aber das Virus ist irgendwo im Körper noch vorhanden. Und nur deshalb gibt es keine Krankheit, weil das Virus in Schach gehalten wird vom Immunsystem. Quasi immer, wenn es aus den Zellen raus will, kommen irgendwelche Immunzellen und machen das platt. Und wenn jetzt aber dieses Immunsystem vorübergehend mit etwas anderem intensiv beschäftigt ist – wir haben ja auch schon mal über das Thema Umprogrammierung, also vorübergehende Umprogrammierung, heißes Eisen, aber eben Veränderung der Immunantwort gesprochen durch die Impfung. Das ist etwas, was durch die meisten Impfungen wohl passiert. Dann hat man eben eine Situation, dass möglicherweise dieses Virus mal schnell raus kann. Und dann gibt es eine Gürtelrose. So ähnlich, wie es durch Sonnenbestrahlung oder durch andere Erkältungen diese Fieberbläschen gibt. Das entsteht ja auch dadurch, dass andere Herpes-Viren – also, Varizella-Viren sind Her-

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pes-Viren – und andere Herpes-Viren, die werden eben quasi durch Erkältungen plötzlich reaktiviert, können dann wieder raus. Und darum nennt man sie ja Fieberbläschen dann in dem Zusammenhang. Also, das ist ein bekanntes Phänomen. Ob das jetzt bei Sars-Cov-2-Impfung gehäuft auftritt oder nicht, darüber streiten sich die Epidemiologen. Es gibt eine Studie aus Kalifornien, die aber nicht sehr überzeugend ist aus meiner Sicht, die mal gesagt hat: Da gibt es keinen richtigen Zusammenhang. Mein Bauchgefühl ist, dass tatsächlich die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass wir durch die Impfung in einzelnen Fällen so eine Gürtelrose auslösen. Und deshalb wäre ich wahrscheinlich vorsichtig mit der zweiten Impfung, weil wir wissen: Diese Reaktogenität ist nach der zweiten Impfung bei den RNA-Impfstoffen eher stärker. Also, daher wäre das so einen Fall, wo ich persönlich wahrscheinlich mehr überlegen würde, ob ich wirklich die zweite Impfung brauche. Das muss man aber wirklich mit dem Arzt besprechen, der da behandelt, weil: Es kann ja viele andere Gründe geben – Grunderkrankungen oder ähnliches, Übergewicht, hohes Alter und so – wo man darüber nachdenken muss, ob die zweite Impfung vielleicht doch wichtig wäre, weil man natürlich mit nur einer Impfung einen unvollständigen Immunschutz hat.

17:06


Camillo Schumann


S. hat angerufen. Sie ist 53. Bei ihr wurde am 1. Januar ein positiver Corona-Test gemacht. Sie hatte einen relativ glimpflichen Verlauf. Und Ende Juni hat sie bei einer Blutuntersuchung auch einen Antikörpertest machen lassen:

„Es wurde ein Wert von 101,8 festgestellt. Mein Arzt sagt jetzt, der Wert ist sehr hoch und er rät mir zurzeit von einer Impfung ab. Soweit ich weiß, reicht in Österreich ein Wert von 15, um weitere drei Monate als genesen zu gelten. Laut Gesundheitsamt kann aber in Deutschland der Genesenen-Status nicht verlängert werden und endete damit am 30.06.2021. Wie ist denn Ihre Meinung dazu? Sehen Sie eine medizinische Notwendigkeit für eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt? Wie schätzen Sie denn meine Immunität in Bezug auf die Delta-Variante oder auch andere Varianten ein?“


Alexander Kekulé

Also, medizinisch gesehen ist das ganz klar: Wenn man die Infektion durchgemacht hat, gibt es eigentlich keine harte Indikation für die Impfung. Das muss man klar sagen. Natürlich kann man sich nochmal infizieren, aber man kann sich auch nach der Impfung nochmal infizieren. Und die zweite Infektion wird dann mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch glimpflicher ablaufen als die erste. Und man kann sich vorübergehend natürlich durch eine weitere Impfung da verbessern. Aber auch genesen plus geimpft bedeutet ja nicht 100% Schutz vor Infektion – und vor allem nicht 100% Schutz vor Weitergabe des Virus. Kann trotzdem passieren. Ja, und deshalb würde man jetzt rein medizinisch sagen: Das ist veraltet, dass in Deutschland der Genesenen-Status nach sechs Monaten aufgehoben wird. Dafür gibt es keine Datenbasis mehr. Aber es steht halt noch so im Gesetz. Also, es steht in Regelungen so drin: Nach sechs Monaten gilt es nicht mehr, muss man sich impfen lassen. Und deshalb ist das eine der, sage ich mal Unperfektheiten in unserer ganzen Pandemieabwehr. Ich finde, es gibt ja immer die großen Probleme und die kleinen Probleme. Hier ist es wahrscheinlich eher ein kleines Problem, dass man sich halt dann in Gottes Namen impfen lassen muss, obwohl es wohl medizinisch nicht notwendig wäre.

19:17


Camillo Schumann


Herr oder Frau L. hat gemailt:

„Einige sind verunsichert über die Corona mRNA-Impfstoffe und warten – trotz hohem Impfdruck – auf proteinbasierte Totimpfstoffe alter Schule. Totimpfstoffe enthalten zwar keine mRNA und keine Lipide, dafür aber Hilfsstoffe und Adjuvantien, welche möglicherweise Probleme machen könnten. Darf man sich mit einem Corona-Totimpfstoff generell sicherer fühlen bezüglich schwerer Nebenwirkungen und Impfkomplikationen? Oder täuscht das Bauchgefühl? Viele Grüße, Herr oder Frau L.“


Alexander Kekulé

Also, das ist schwierig, weil: Ob das Bauchgefühl täuscht, ist immer schwer zu sagen. Also, ein Totimpfstoff – nochmal rein von der Definition her – wäre ein Impfstoff, wo ein Virus

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quasi angezüchtet wird, aber dann durch chemische oder physikalische Behandlung quasi vermehrungsunfähig gemacht hat. Wir sagen dann, das ist totes Virus – was ein bisschen inkonsequent ist, weil ja Viren eigentlich schon vorher tot waren. Das sind ja keine echten Lebewesen. Also, das wäre quasi ein komplettes Virus, was irgendwie nicht mehr vermehrungsfähig ist. Was zusätzlich zu diesen Totimpfstoffen hier auf den Markt kommt und hier wahrscheinlich auch mitgemeint ist, sind Impfstoffe, wo kleine Proteinbestandteile des Virus verwendet werden. Also, wo zum Beispiel des SProtein nur als Protein, als Eiweißmolekül, zusammen mit einem Wirkverstärker gegeben wird und man daraus dann den Impfstoff macht. Also, ich verstehe das jetzt so, dass alle Impfstoffe, die jetzt nicht die modernen Vektoroder RNA-Impfstoffe sind, hier gemeint sind. Ja, die enthalten tatsächlich in der Regel Adjuvanzien, also Wirkverstärker. Und es ist so, dass die meisten dieser Wirkverstärker lange erprobt sind. Ja, dann hat man zum Beispiel sogenannte Saponine, die so ein bisschen seifenähnlich sind, die kommen aus dem Seifenbaum, der irgendwo in Südamerika, glaube ich, wächst. Und andere Substanzen, die quasi die Wirkung verstärken. Also, Aluminiumsalze werden da auch verwendet. Das sind Wirkprinzipien, die es zum Teil schon seit Jahrzehnten gibt, die auch in Kinderimpfstoffen häufig verwendet werden, wo ich jetzt mal sagen würde: Die kann man als sicher ansehen. Zumindest, wenn es jetzt nicht ein ganz neues Adjuvans ist. Trotzdem weiß natürlich keiner, wenn ich jetzt einen ganz neuen Impfstoff habe – auch, wenn es ein klassisch hergestellter Impfstoff ist – wie viele Nebenwirkungen der hat. Das muss man erst in klinischen Studien ausprobieren, sodass man nicht von vornherein sagen kann: Die Impfstoffe, die da auf den Markt kommen werden, werden sicherer sein. Der Vorteil von diesen bekannten Impfprinzipien ist einfach, dass wir sozusagen den Korridor, wo wir nach Nebenwirkungen suchen müssen, etwas besser kennen, weil wir ja viele ähnliche Impfstoffe haben und da wissen wir schon ziemlich genau, nach was wir gucken müssen. Bestimmte Nebenwirkungen kommen eben vor. Wir wissen, wie wir da nachschauen müssen, wie häufig das dann ist. Dann kann man das ganz gut mit einem sicheren Gefühl bewerten. Bei diesen

neuen RNA-Impfstoffen und Vektor-Impfstoffen ist es eben so, dass es unbekannte Unbekannte – diese sogenannten unknown unknowns – gibt. Das heißt also: Es kann irgendwelche Effekte geben, die wir noch nicht auf dem Schirm haben, nach denen wir deshalb auch nicht gezielt suchen und die vielleicht auch erst nach längerer Zeit eine Rolle spielen. Ob man daran glaubt, dass es sowas gibt oder nicht, sage ich mal, das kann man nicht vorhersagen. Darum heißen sie ja unknown unknowns. Also, ich habe keinen Grund, irgendwie anzunehmen, dass an diesen RNA-Impfstoffen, dass man da in fünf Jahren findet: Aus dem und dem Grund haben die in seltenen Fällen Nebenwirkungen, die man nicht vorhergesehen hat. Ich kann Ihnen aber auch keinen Beleg dafür geben, dass es nicht so sein wird. Und deshalb: Wer so ein bisschen konservativ denkt, der müsste dann eben warten, bis die neuen Impfstoffe da sind, aber dann auch sich die Daten anschauen: Wie sehen die Phase-IIIStudien aus? Wie sehen die Post-MarketingStudien aus? Also, wenn das dann verwendet wird. Also, man muss dann schon noch ein Weilchen warten, bis man sich da auf der sicheren Seite fühlen kann.

23:12


Camillo Schumann


Sobald es genau diese Studien gibt, werden wir die besprechen hier im Podcast, sofern es ihn dann noch gibt.


Alexander Kekulé

Natürlich besprechen wir das, Herr Schumann. Dann haben wir alle schon einen weißen Bart.


Camillo Schumann


Ich hätte auch nie vor anderthalb Jahren gedacht, dass wir uns immer noch unterhalten.


Alexander Kekulé

Natürlich. Aber wir haben ja schon beschlossen letztes Mal, im Juni ist dann ist Schluss mit der Pandemie. Also, mit dem schlimmen Teil der Pandemie.


Camillo Schumann


Stimmt. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 215. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 7. September wieder. Bis dahin.

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Alexander Kekulé

Bis dann. Schönes Wochenende, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder Sie rufen uns an: 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt. Sie haben Lust auf einen Podcast-Tipp? Dann hören Sie doch mal in den Rechthaber rein. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. Und in der aktuellen Folge geht es unter anderem um den Urlaub in einem Ferienhaus, das zum Horrorhaus wurde. Der Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag. 02. September 2021 #214


Camillo Schumann

. Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé. Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

IGES Pandemie-Monitor

IGES Pandemie Monitor: Die Corona-Krise besser verstehen

Sonderauswertung zur Übersterblichkeit

Sonderauswertung zu Sterbefallzahlen der Jahre 2020/2021 Statistisches Bundesamt (destatis.de)

Frühere Erkältungen verbessern Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 (31.08.)

PM: Science: Frühere Erkältungen verbessern Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 Charité – Universitätsmedizin Berlin: Charité – Universitätsmedizin Berlin (charite.de)

Studie: Cross-reactive CD4+ T cells enhance SARS-CoV-2 immune responses upon infection and vaccination (science.org)

Ein Impfstoff gegen alle Varianten? (18.08.)

Studie: Pan-Sarbecovirus Neutralizing Antibodies in BNT162b2-Immunized SARS-CoV-1 Survivors | NEJM


Camillo Schumann


MDR aktuell Kekulés Corona-Kompass. Donnerstag, 2. September 2021

Frühjahr oder Herbst 2022: Wann ist die Pandemie nun endlich vorbei?

Dann: Verwirrung um die Todeszahlen im Zusammenhang mit Covid 19. Was ist dran?

Außerdem: Covid19 und die Kreuzimmunität. Eine neue Studie gibt Aufschlüsse.

Und dann: eine Impfung gegen alle Varianten. Warum dieser Wunsch keine Zukunftsmusik ist.

Und drei Schnelltests positiv, PCR-Test negativ. Wie kann das eigentlich sein?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR aktuell., das Nachrichtenradio.

Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Herr Kekulé, ich grüße Sie.


Alexander Kekulé

Guten Tag. Herr Schumann.


Camillo Schumann


Es ist die 1 Million Euro-Frage. Wann ist diese Pandemie nun endlich vorbei? Letzte Woche hatte sich ja Anthony Fauci. Amerikas bekanntester Virologe dazu hinreißen lassen seine Prognose von Herbst 22 auf Frühjahr 22 zu korrigieren. Und nun rechnet auch KassenärzteChef Andreas Gassen damit, dass im Frühjahr Schluss sein werde mit Corona. Er sagt, bis dahin werde die Impfquote weiter ansteigen. Die Zahl der Genesenen mit Antikörpern auch zunehmend. Im Herbst würden sich die Infektionszahlen zwar noch einmal erhöhen. Die Zahl schwerer Erkrankungen werde aber unter dem Niveau des letzten Winters bleiben. Herr Kekulé würden Sie sich der Prognose Faucis und Gassens anschließen?


Alexander Kekulé

Also anschließen... ich hatte ja meine Prognose schon vor einiger Zeit gegeben. Vor Fauci und vor Gassens. Ich habe schon immer gesagt, dass nach der Welle, die jetzt im Frühjahr zu Ende ist. Nach der Erkältungswelle, die dann zu

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Ende ist. So im April, Mai. Dass in dem Zeitraum meines Erachtens wir aus dem Gröbsten raus sind. So formuliere ich das immer. Die Pandemie ist ja da nicht zu Ende. Das muss man ganz klar sagen. Solche Ansagen sind missverständlich, weil wir mit dem Virus leben werden müssen. Das Virus wird bleiben. Es wird immer wieder Infektionen geben. Meine Prognose ist, dass es dann so eine Art Kinderkrankheit werden wird. Das heißt, weil die Erwachsenen dann zunehmend immunisiert sind. Meistens durch Impfung. Zum Teil durch Infektionen. Und man muss es so drastisch sagen: die, die besonders empfänglich sind, zum Teil dann auch gestorben sind, die ein hohes Risiko haben werden. Die jungen Generationen werden sich infizieren. Die Kinder werden sich damit anstecken. Im günstigsten Fall gibt es dann etwas, was wir „stille Feiung“ nennen. So ein schöner alter Ausdruck. Das heißt, dass man, ohne es zu merken, quasi eine Immunisierung in der Bevölkerung bekommt, weil die Kinder asymptomatisch infiziert werden. So etwas gibt es zum Beispiel in Entwicklungsländern bei Hepatitis A und bei vielen bakteriellen Erkrankungen. Und im ungünstigen Fall ist es so, dass das ein Thema ist, was die Kinderärzte umtreibt. Weil möglicherweise dann der sehr geringe Teil von schwereren Verläufen bei Kindern eine Rolle spielt. Das kann man jetzt noch nicht absehen. Aber wenn ich sage, dass wir jetzt als Staat, dass wir als Virologen, dass wir als Epidemiologen, die ganze Welt sozusagen sich um dieses Virus kümmern muss. Dann ist die Pandemie im Frühjahr dann vorbei. Aber nicht im im virologischen Sinne vorbei. Das Virus wird bleiben.


Camillo Schumann


Jetzt hat uns die Delta-Variante einen leichten Strich durch die Impfrechnung gemacht. Meinen Sie nicht, dass möglicherweise im Herbst/Winter vielleicht noch eine Variante kommt, die uns die Prognosen für das Frühjahr zunichtemachen?


Alexander Kekulé

Ich glaube da nicht dran. Ich weiß, es gibt Kollegen von mir, die dann so den Teufel an die

Wand malen. Manche zitieren dann auch Studien, die man hinterher nicht findet. Es ist so, dass man ja überlegen muss, wie optimiert sich dieses Virus. Und die Frage ist natürlich eine interessante Frage. Könnte es jetzt noch einmal sozusagen ein Kai aus der Kiste geben? Ein ganz neuer Typ. Erstens die Delta-Variante ist überhaupt nicht überraschend gewesen. Klar, wir haben jetzt zum ersten Mal diese Pandemie im Detail beobachtet. So etwas gab es ja noch nie. Sonst hätte man einfach gesagt, das Virus passt sich an den neuen Wirt an und wird dabei ansteckender. Das ist das, was wir beobachten. Und jetzt halt im Detail. Und dabei ist diese Delta Variante aufgetreten. Aber das ist 100 Prozent zu erwarten gewesen und läuft eigentlich 100 Prozent wie erwartet. Und das Interessante ist, wenn man guckt, wie die Mutationen weltweit sind. Und wir beobachten ja inzwischen auf der ganzen Welt Mutationen. Es machen selbst Länder, die wenig Geld haben. Die machen das inzwischen, dass sie gucken, wie sieht es da aus in Indien und anderswo. Und da sehen wir dieses erstaunliche Phänomen einer konvergenten Evolution. So nennt man das dann, wenn in verschiedenen Teilen der Welt die Evolution, die Weiterentwicklung dieser Viren auf dasselbe Ziel zuläuft. Wir sehen das, wie diese Evolution stattfindet in diesem S-Protein, in diesem Spike-Protein. Dort verändert sich alles in der Richtung, dass die Infektiosität gesteigert wird. Da gibt es zwei oder drei Stellen, die dafür eine Rolle spielen. Diese Stellschrauben sind überall die gleichen. Das ist das hauptsächliche. Das Zweite, was passiert ist, dass es zu Impfdurchbrüchen kommt. Also, dass das Virus sich gegen die Immunität seines Wirts wehrt. Aber wir können sehen, wo sich das Virus verändert, können wir eigentlich, wenn Sie so wollen schon extrapolieren, wo es hingeht. Also was der maximale Zustand ist und es geht wirklich, wenn jetzt nicht einen riesigen Quantensprung hier kommt, geht es wirklich darum, die Infektiosität wird gesteigert. Es kann sein, dass wir noch mal einen neuen Typ haben, der bei Geimpften mehr Durchbrüche macht. Das ist durchaus möglich. Aber insgesamt entwickelt sich das in eine Phase, wo wir auf jeden Fall in ruhiges Fahrwasser nächstes Jahr kommen werden. Also nach meiner schon länger geäußerten

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Prognose ist wirklich am Ende der Erkältungssaison im späten früher 2022 die Sache vorbei. Wo kann ich mir jetzt die Millionen abholen?


Camillo Schumann


Wir sparen alle ... Ihr Wort in Gottes Ohr. Wenn wir jetzt eine hohe Impfquote haben, steigt dann die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine bösartigere Variante sich ihren Weg sucht? Oder sinkt die Gefahr?


Alexander Kekulé

Ist die Frage, was Sie bösartig nennen. ImpfDurchbrüche kommen immer wieder vor. Das ist ja so. Diese ganze Diskussion ist letztlich nur deshalb so im Raum und so wichtig und quasi als die eine Million Dollar Frage schon ausgeschrieben. Weil irgendwelche Leute mal behauptet haben, die Pandemie wäre irgendwann zu Ende. Und es gäbe so etwas wie Herdenimmunität. Sie wissen, dass ich auf das Wort inzwischen nahezu allergisch bin. Die Leute, die immer gesagt haben, es kommt dann zu einer Herdenimmunität. Die sagen, oh doch nicht wegen Delta. Aber das ist ja eigentlich in ein Randphänomen, dass sich einige Wissenschaftler jetzt korrigieren müssen, weil sie vorher falsche Äußerungen oder nicht die richtige Prognose gemacht haben. Natürlich wird das Virus sich so verändern. Das passiert in der Tat dadurch, dass mehr Immunisierte da sind. Das es quasi seinen Weg sucht. Dass es die Schlupflöcher sucht. Aber wir wissen ... das wird durch aktuelle Daten immer weiter belegt.

Wir haben heute auch eine Studie, die das noch einmal zeigt. Dass wir eben so eine Art Kreuzimmunität haben. Das heißt also, unser Immunsystem kann ähnliche Viren erkennen. Und solange das ... wir nennen das Antigendrift. Solange das in einem Bereich ist, wo sage ich mal einen Schrotschuss des Immunsystems am Rand irgendwie die neuen Varianten noch mit erwischt. Da kommt es zwar zu Durchbrüchen, aber nicht zu schwersten Erkrankungen. Rein theoretisch gibt es natürlich auch Viren, die das schaffen, das zu machen, was wir dann Antigen-Shift nennen. Also eine

größere Veränderung, schlagartige große Veränderung. Das sind dann Viren, die typischerweise so Kassetten-Modelle in ihrem Genom haben und dadurch in der Lage sind, ganze Bestandteile ihres Virusgenoms mal schnell auszutauschen. Die haben da einen quasi statt einen Panzer plötzlich eine Flugabwehr im Repertoire. Solche Viren, zu denen gehören aber die Coronaviren nicht. Also sowas gibt es bei Influenza zum Beispiel. Darum gibt es immer wieder die neuen Influenza-Pandemien. Aber bei den Coronaviren gibt es dieses Phänomen nicht. Und ich sage das mit einer kleinen Klammer. Wir haben so ähnliche Dinge, Rekombinationen beobachtet in letzter Zeit. Aber es gibt keine Anzeichen darauf, dass das die Coronaviren und speziell diese Viren, mit denen wir es hier zu tun haben, dass die so eine schlagartige Veränderung oder Maskerade durch machen können, dass das Immunsystem quasi draufschaut, als wäre das ein völlig neues Virus.


Camillo Schumann


Also Sars-CoV-2 ist jetzt nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte.


Alexander Kekulé lacht

Man muss immer die Effizienz ansehen. Wissen Sie, manchmal gibt es ja so manchmal die dummen Bauern, die die dicksten Kartoffeln ernten. Und aber das Wichtigste ist vielleicht auch noch eine Information. Ich habe immer gesagt, es wäre eigentlich das Beste gewesen, wenn die Weltgesundheitsorganisation, das Robert Koch-Institut und auch die Fachleute zugegeben hätten: Sars-CoV-2 ist eigentlich nichts anderes als SARS eins. Ich habe immer gesagt, Sars ist zurück, Sars ist back. Das hat man am Anfang massiv bestritten worden. Was den Nachteil hatte ... dadurch dass man die Gegenmaßnahmen so improvisiert hat. Man hätte einfach Gegenmaßnahmen treffen müssen wie bei dem alten Sars-Virus und sagen müssen als Arbeitshypothese, das ist das Gleiche. Und jetzt? Aktuell ist es so, inzwischen gilt Sars 1, also das Virus von 2003, was ziemlich gut charakterisiert ist und Sars 2. Die gelten inzwischen als die gleiche Spezies. Also es ist tatsächlich die gleiche Art. Das sind letztlich nur

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zwei Varianten der gleichen Art, die da auftreten. So wie die Delta Variante wieder ein bisschen was anderes ist als Alfa oder der ursprüngliche Wuhan Typ.


Camillo Schumann


Wir werden uns im Terminkalender mal das Frühjahr nehmen. Wann so?


Alexander Kekulé

Mach wir. Wir sind ja immer ganz gut mit solchen Wetten.


Camillo Schumann


Montag wäre schön.


Alexander Kekulé

Machen wir doch gleich mal, wenn die Infektionswelle zu Ende ist. Ich würde mal sagen Ende Mai, damit ich ein bisschen auf der sicheren Seite bin.


Camillo Schumann


Also Ende Mai. Sagen wir mal 25.


Alexander Kekulé

Wie gesagt, die Pandemie ist nicht zu Ende. Die Frage ist ja, wie beurteilt man die jetzige Situation. Zur Beurteilung der Lage muss man einfach sagen, wir haben ja jetzt das Ziel, was ich eigentlich immer mir gewünscht habe. Dass wir in Deutschland bis Mitte September 70 Prozent der Erwachsenen ... Das war immer so meine Daumenpeilung. Dass wir im 70 Prozent der Erwachsenen vollständig immunisiert haben. Das haben wir jetzt gerade erreicht. Also nach Angaben der ICDC, zumindest. wenn Tagesschau.de recht hat. Da ist es so, dass etwas über 70 Prozent Anfang September erreicht wurden. Impfquote bei den Erwachsenen in Deutschland. Das ist nicht so schlecht. Also wir sind jetzt wirklich, wir sind ja auch früher dran. Ich habe immer gesagt bis Mitte September. Jetzt haben wir den 2. September. Ich glaube

schon, dass man sagen muss, wir sind da auf einem guten Weg. Klar geht noch mehr. Wir müssen in Deutschland unbedingt noch mehr Menschen impfen aus. Wo sage ich mal Regionen, wo Risikopersonen noch sind, die nicht geimpft sind. Also ältere oder Leute mit Vorerkrankungen, die vielleicht in bildungsferneren Schichten sind oder sprachlich nicht rankommen. Oder aus irgendwelchen Gründen noch nicht verstanden haben, dass es wichtig ist. Aber ich sage mal für die gesamte. für den Gesamtschutz. Da sind wir mit 70 Prozent in einem guten Bereich. Ich habe immer gesagt, das ist nach meiner Daumenpeilung. Was Anderes ist es ja nicht. Da ist das ausreichend im Herbst die Strategie zu ändern. Weil wir ja dazurechnen müssen: diejenigen, die natürlicherweise immunisiert sind. Die also jetzt quasi als Dunkelziffer sich infiziert haben. Die kommen ja noch dazu. Wir haben dadurch keine Herdenimmunität. Weil es ist ja auch so, dass von den Risikopatienten, laut Robert Koch-Institut, weit über 90 Prozent sich haben immunisieren lassen. Und damit sind wir insgesamt in einer relativ komfortablen Lage in Deutschland. Meine Einschätzung ist da relativ positiv bezüglich der für die nächste Welle überhaupt noch zu erwartenden Krankheitslast insgesamt. Ich glaube deshalb, dass wir auch nicht in der Herbstwelle ... Wir werden eine hohe Inzidenz natürlich haben. Aber ich glaube nicht, dass wir die Intensivstationen überfüllt haben werden oder ähnliches. Also das wird nicht unser Hauptproblem sein nach meiner Einschätzung. Sondern wir haben jetzt noch einmal eine Welle, wo wir darauf aufpassen müssen, dass in den Schulen und bei den Jüngeren alles gut läuft. Weil die natürlich Leidtragende sind. wenn wir Lockdowns machen. Wenn wir Schulen schließen müssen wegen hoher Inzidenz. Die sind ja auch zum großen Teil nicht geimpft. Die können zum Teil gar nicht geimpft werden. Aber dann, wenn diese Herbstwelle überstanden ist. Dann ist es meines Erachtens eine Situation, wo die Pandemie als gesundheitspolitisches Riesenproblem vom Tisch ist.


Camillo Schumann


Aber nichtsdestotrotz, weil Sie gesagt haben, geimpft werden kann ja immer und sollte auch weiter getan werden. Da geht die Diskussion

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um die Auffrischungsimpfung weiter. Nach Aussage von Bundesgesundheitsminister Spahn wird seit ein paar Tagen in Pflegeeinrichtungen die dritte Impfung angeboten. Und genau das hat nun Ärztepräsident Reinhardt kritisiert, da die Ständige Impfkommission zur dritten Impfung noch keine klare Empfehlung gegeben hat. Er sagt auch, es fehlten aussagekräftige Studien. Und so werde eine Erwartungshaltung geschürt, die viele Ärzte nicht bedienen wollten. Teilen Sie seine Einschätzung der Situation zur dritten Impfung?


Alexander Kekulé

Das muss man differenzieren. Die generelle dritte Impfung, die meines Erachtens der Bundesgesundheitsminister in Aussicht gestellt hat. Da kann man ganz einfach sagen, das ist nicht sinnvoll. Dafür gibt es keine Daten. Und es gibt keine Daten, dass es zu erwarten ist, dass das was bringt. Es ist ja eher im Gegenteil so, dass die Impfstoffe, die wir haben gegen Covid eher eine Überaktivierung machen. Und die Frage, die man sich eher stellen muss, ist, ob wir da nicht zu viel des Guten tun und in der Regel mit Kanonen auf Spatzen schießen bei dieser Impfung. Aber es gibt einen kleinen Teil der Bevölkerung. Das sind möglicherweise sogar die gleichen, die schwer krank werden. Das könnte immunologisch so sein. Bei denen springt der Impfstoff nicht richtig an. Bei der ersten und zweiten Impfung also. Die haben trotz normaler doppelter Impfung oder bei Johnson Johnson bisher nur einmal. Da haben die hinterher einfach keine gute Immunreaktion. Früher hat man einfach pauschal NonResponder genannt. Also Leute, die nicht reagieren. Heute ist man differenzierter, weil man Antikörper genauer bestimmt und solche Sachen. Das sind typischerweise ältere Patienten. Wir haben auch Vorstellungen davon, woran das immunologisch liegt, dass das bei Älteren so ist. Und jetzt kann man natürlich sagen, okay, wenn man noch einmal impft, wird es jemand, der eine Immunsuppression hat. Also einer, der intensiv Kortison genommen hat oder Organ-Transplant-Empfänger. Wo das Immunsystem medikamentös unterdrückt wird. Da ist es einfach ... das ist in Israel gleich gemacht worden. Der nächste Schritt wäre, dass man überlegen muss, ist es eventuell sinnvoll. Zum

Beispiel alle über 60 nochmal zu Boostern. Wir haben keine Daten dafür, dass das wirklich pauschal was bringt. Die Alternativstrategie wäre, Leuten über 60 Blut ab zu nehmen und zu schauen: wie viel Prozent haben nicht richtig reagiert bei der normalen Impfung. Und wenn man feststellt, das ist nur ein kleiner Teil. Dann wird man wahrscheinlich die Blutabnahme und den Bluttest vorher machen, um zu schauen, wie die Reaktion war. Wie die Antikörper sind? Das wird man dann vorschalten und nur bei denen, die nicht reagiert haben. noch mal impfen.

Wenn es aber so ist, dass man in dieser Voruntersuchung feststellt, das ist so ein hoher Anteil der über 60-Jährigen, dass die die wirklich im großen Stil von der Musterung profitieren würden. Dann würde ich wahrscheinlich die allgemeine Begeisterung, also die dritte Impfung empfehlen. Aber die Daten haben wir nicht. Bisher muss man sagen. Der Anteil der echten Impfversager, der Non-Responder auch bei den über 60-Jährigen ist gering. Was wir bis jetzt sehen. Wir haben natürlich keine guten Studien. Aber das liegt auch in dieser Altersgruppe noch unter zehn Prozent. Und daher ist schon die Frage, welche Nachteile hat das. Und die Kritiker haben natürlich recht. Wenn man jetzt sagt, dritte Impfung. Wie Sie richtig sagen. Man erweckte Erwartungen. Die Frage ist auch, wie lange hält das an? Wahrscheinlich ist es so, dass diese RNA-Impfstoffe noch mal einen Effekt machen durch Stimulation der angeborenen Immunantwort. Dass die spezifische Immunantwort eigentlich nur kurzfristig angeschubst wird. Sodass man sich fragen muss, bringt es dann strategisch langfristig überhaupt was? Man kann ja nicht ständig die angeborene Immunantwort, also diese Sofort-Antwort, die eigentlich mehr so eine Schnellreaktion sein soll. Die kann man dann nicht bei alten Leuten ständig anregen (...) durch dauerndes Nachimpfen. Da hat ja keiner eine Ahnung, welche Nebenwirkungen das hätte. Und psychologisch ist natürlich die Frage, die Leute denken jetzt, also ich bin zweimal geimpft. Da ist endlich alles gut. Und dann kommen die daher und sagen noch eine Impfung. Da ist die Frage, wie lange geht das noch weiter. Bin ich hier vielleicht reingelegt worden, dass ich mich

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impfen soll. Und dann kommt die nächste Frage: wieviel ist dann eigentlich der Impfausweis wert. Wenn man noch eine dritte bräuchte über 60. Also wegen dieser ganzen Diskussion, die dahinten dranhängen. Da bin ich kein Befürworter einer generellen Impfung über 60. Aber es gibt auch Argumente dafür.


Camillo Schumann


Sie würden sich dann auch schon der Aussage anschließen, dass es eben kein valide Daten gibt, die das dann sozusagen die den Vorteil einer dritten Impfung empfiehlt.


Alexander Kekulé

Wir haben keine epidemiologischen Daten. Wir haben natürlich molekularbiologisch, wenn Sie so wollen. Aus dem Labor haben wir Hinweise darauf, dass ist ja klar: Dass der Impfschutz im Alter nachlässt. Also je älter man ist, desto schlechter reagieren die Menschen auf diese modernen Impfstoffe. Das ist insbesondere bei der Covid-Impfung so. Dass man das jetzt etwas genauer untersucht hat und eigentlich ganz gut versteht, warum das so sein könnte.

Wir sprechen ja noch über eine Studie, die damit zusammenhängt. So dass man schon sagen kann, wenn Sie so wollen. Molekularbiologisch, wäre das irgendwie plausibel. Aber das ist ja noch lange kein Grund, so eine generelle dritte Impfung. Man muss sagen, Biontech macht dafür ganz massiv Werbung. Ich habe sogar gelesen, dass Pfizer, die das Marketing machen für dieses Booster-Impfen. Dass Pfizer sogar eine extra Marketing-Truppe eingestellt hat. Dass das richtig viel Geld für die bedeutet, wer noch einmal geimpft wird. Und es fällt auch auf, dass Israel, das ein bisschen immer das Privatlabor vom Pfizer ist, so ein bisschen das herzeige Labor. Die haben ja quasi einen Staatsvertrag mit Pfizer und Biontech. Dass die das ganze Land durchimpfen. Die Studien machen sehr gute Daten dadurch. (...) Aber es fällt auf, dass die sozusagen die ganz großen Fürsprecher der Booster-Impfung sind. Und ich sage mal ganz ehrlicherweise, ich bin, wenn es von dort kommt, immer so ein bisschen vorsichtig. Also da kommen typischerweise Presseerklärungen. Man wartet lange bis die harten Daten auf

dem Tisch liegen. Darum sage ich jetzt mal, ich bin auch im Hinblick auf die ... auch unter Einbeziehung der Daten aus Israel, bin ich nicht überzeugt, dass eine generell Boosterung notwendig ist. Im Einzelfall klar. Wenn Sie jetzt total panisch sagen, ich will auf keinen Fall Covid kriegen, auch wenn ich geimpft bin. Wenn dann wahrscheinlich nichts Schlimmes passiert. Ich will, dass ich dann noch mal so einen Extraschutz habe. Da wird die Boosterung natürlich was bringen. Das ist ja nachgewiesen.


Camillo Schumann


Und man muss dazu sagen, dass die dritte Impfung in dieser Impfreihenfolge auch noch nicht zugelassen ist. Biontech und Pfizer haben ja gerade die Zulassung beantragt. Also mit anderen Worten, der Herr Reinhardt, der Ärztepräsident ist so ein bisschen zurückhaltend. Ganz anders der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen. Er geht da noch einen Schritt weiter. Er fordert von der STIKO eine klare Empfehlung für die dritte Impfung. Er hat gesagt, die STIKO hat die Daten, um für bestimmte Gruppen eine Empfehlung für eine dritte Impfung auszugeben. Also die STIKO bekommt jetzt mal wieder Druck von außen. Wie bewerten Sie das?


Alexander Kekulé

Also noch schlimmer als Virologe zu sein in diesen Zeiten, ist glaube ich, Mitglied der STIKO zu sein. Das dürfte überhaupt keinen Spaß machen den Leuten dort. Virologe ist nicht so schlimm. Das ist ein kleiner Spaß.

Das ist so. Wenn man die Formulierung von Herrn Gassen ganz genau nimmt. Er sagt für bestimmte Gruppen. Ich würde schon sagen, wenn es jetzt zum Beispiel um die Transplantatempfänger geht. Also um Leute, die mit Immunsuppressiva wirklich aggressiv behandelt werden, damit das transplantierte Organ nicht abgestoßen wird. Oder Leute, die Kortisone und Ähnliches hochdosiert über längere Zeit gerade in dem Zeitraum bekommen haben, wo man geimpft wurde. Da meine ich, kann man jetzt ... Ohne was falsch zu machen. Das sind ja auch nur wenige, die so eine Empfehlung aus-

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sprechen. Bei den Älteren so Ü 60 wird ja diskutiert. Da finde ich, ist die Datenlage noch zu dünn. Und zwar die epidemiologische Datenlage. Die molekularbiologische wäre plausibel. Aber epidemiologisch gibt es noch ganz viele Fragen, die man beantworten muss. Und drum, wenn er es jetzt gemeint haben sollte: die offizielle Empfehlung für Personen, die ein unterdrücktes Immunsystem haben. Da würde ich mitgehen. Da würde ich sagen, das wäre etwas, was man in der STIKO mal diskutieren kann. Ich halte überhaupt nichts davon, die unter Druck zu setzen. Ich meine die arbeiten auf Hochtouren inzwischen Zeit im Dauereinsatz. Sie können ganz sicher sein, dass Sie das Thema auf dem Tisch haben.


Camillo Schumann


Aber kann die STIKO denn überhaupt eine Empfehlung aussprechen, wenn es noch keine offizielle Zulassung gibt für drei Impfungen?


Alexander Kekulé

Ja, das ist das ist eine schwierige Frage. Also der Impfstoff ist ja erst mal zugelassen. Der Impfstoff ist als solcher zugelassen. Und die Zulassung basiert natürlich letztlich auf dem Protokoll, was in den Zulassungsstudien verabschiedet wurde. Das heißt aber nicht letztlich, dass es verboten wäre, das anders anzuwenden. Weil die Zulassung ist ja keine Zulassung für die Anwendung. Das ist jetzt ein bisschen Haarspalterei. Das ist eine Zulassung für die Vermarktung. Das ist die Erlaubnis, das Medikament zu verkaufen, öffentlich. Wenn das Medikament dann sozusagen erhältlich ist. Dann darf die STIKO schon bestimmen, was man damit macht. Und sie können natürlich in Ausnahmefällen ... Besser wäre es, man hätte eine richtige Zulassungsstudie. Aber in jedem Fall kann sie natürlich eine Empfehlung aussprechen, woran theoretisch ... Ohne dass das zugelassen ist. Ich würde mal davon ausgehen, dass das so was aus praktischen Gründen und auch aus ...

Man muss das ja öffentlich irgendwie kommunizieren alles. In dieser sensiblen Frage wird die STIKO wahrscheinlich eng mit der europäischen Zulassungsbehörde zusammenarbeiten.

In den USA haben wir ja die gleiche Diskussion. Da ist es so. Da ist ganz offiziell für die dritte Impfung bei der FDA bei der Zulassungsbehörde einen Antrag gestellt worden und eine Genehmigung beantragt worden. Und parallel sitzt das entsprechende Gremium, was der STIKO entspricht bei der CDC jetzt schon undschreibt die Empfehlung. Das ist relativ klar, dass in den USA diese Boosterung empfohlen wird. Übrigens auch, weil die Politik ganz massiv darauf gedrängt hat. Selbst Präsident Biden hat die Booster-Impfung schon angekündigt, ab wann die zur Verfügung stehen soll und solche Dinge. Das wurde ursprünglich mal gesagt: neun Monate nach der zweiten Impfung. Jetzt hat man das politisch, ohne dass da irgendwelche Evidenz für besteht, auf sechs Monate verkürzt. Ich habe beobachtet, dass sowohl auf der anderen Seite des Atlantik als auch bei uns die Diskussion, was man tun soll und was nicht, mehr und mehr politisch bestimmt wird und weniger durch wissenschaftliche Argumente.


Camillo Schumann


In Ausgabe 211. Wer mal reinhören möchte. Da haben wir ausführlich über die Vorund Nachteile der dritten Impfung gesprochen. Und passend dazu gibt es auch eine aktuelle Studie, an der unter anderem die Charité Berlin beteiligt war. Es geht um das Thema Kreuzimmunität. Wenn Menschen in ihrem Leben schon mal mit Erkältungswellen Kontakt hatten. Dass sie dann weniger schwer auf einer Sars-CoV-zwei-Infektion reagieren. Über eine mögliche Kreuz-Immunität gegen Sars-CoV-2 haben wir auch schon vor über einem Jahr gesprochen. Ausgabe 73 zum Beispiel, wenn man rein hören möchte. Und diese neue Studie kommt jetzt zu dem Schluss, dass diese Kreuzimmunität vorhanden ist. Dass diese aber mit zunehmendem Alter abnimmt. Da schreiben auch die Studien-Autoren, das könne dazu beitragen, dass ältere Menschen an Covid -19 häufiger schwer erkranken und bei ihnen der Impfschutz oft schwächer ausfällt, als bei den Jüngeren. Herr Kekulé sind diese Studien, über die wir jetzt ein bisschen sprechen wollen, auch ein Argument, warum sich die Älteren nochmal boostern sollten.

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Alexander Kekulé

Diese Studie ist genau eins der Argumente. Ich habe ja immer gerade gesagt, es gibt quasi molekularbiologische Daten, die in diese Richtung sprechen. Dass es sinnvoll sein könnte und sollte. Und diese Studie rundet im Grunde genommen die bisherigen Daten noch mal ab. Wenn man das Ergebnis sich anschaut, können wir gleich darüber sprechen. Es ist tatsächlich so, dass man sagen könnte: na gut, diese Studie spricht dafür, die Älteren zu impfen.

Und es ist ja auch so. Man kann vielleicht sagen, wer das gemacht hat. Das ist jetzt die immunologische Fraktion von der Charité. Viele denken bei Charité immer an Christian Drosten und das Institut für Virologie. Das ist dann natürlich am Rande auch mit beteiligt gewesen. Aber hier federführend waren Andreas Thiel und die Claudia Giesecke Thiel. Die sind quasi in der immunologischen Abteilung der Charité beziehungsweise am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin und der Leif Erik Sander. Der ist glaube ich, auch aus den Medien relativ bekannt also ein Immunologe an der Charité. Und das ist ja schon seit letzten Frühjahr, wie Sie sagen, seit einem Jahr ungefähr. Über ein Jahr ist das ja quasi so ein bisschen die Gegenfraktion gewesen, die schon immer gesagt habe. Es ist möglich, aus unserer Sicht. Und dass die dafür Daten auch präsentiert haben, dass die Voraktivierung des Immunsystems stattfindet durch frühere Infekte mit diesen normalen Erkältungsviren, die ja auch zum Teil Coronaviren sind. Da gibt es ja vier verschiedene Coronaviren. Die haben alle lustigen Namen. Ich kann es immer sagen 229e heißt einer. OC 43, NL 63, HKU1.


Camillo Schumann


Sehr lustig.


Alexander Kekulé

Google erklärt, warum die so heißen. Aber wenn Sie einen Professor fragen, muss so etwas auch mal rein.

Und es ist so, also diese vier Viren, von denen zwei bei uns einfach zirkulieren. Die machen natürlich immer eine Vor-Immunisierung. Und

da haben wir jetzt die Autoren so ein bisschen als Gegenposition zu dem, was die Virologen in Berlin immer gesagt haben. Sie haben gesagt, ja also die Kinder haben doch diese massive Durchseuchung mit diesen Erkältungsviren. Das könnte eine Art Immunschutz, Teilschutz, überlappende Kreuz-Immunität gegen SarsCoV-2 sein. Sie wissen die Gegenposition hieß immer, ich zitiere jetzt, Kinder sind höchstwahrscheinlich genauso infektiös wie Erwachsene. Und diese Gegenposition ist schon lange vom Tisch und damit jetzt endgültig vom Tisch.

Das ist sozusagen 1:0 für die Immunologen gegen die gegen die Virologen. Wenn man das als Fußballkommentator sozusagen kommentieren wollte von außen. Und aus folgendem Grund: die haben sich eine Reihe, ganz interessant, die haben schon länger beobachtet eine Reihe von gesunden Menschen. Sie haben 31. beobachtet über längeren Zeitraum und haben beobachtet, wie ist die Immunreaktion vor und nach der Impfung mit Biontech in dem Fall. Da haben Sie Folgendes festgestellt: diejenigen, die vorher schon Antikörper hatten gegen irgendeines der normalen, zirkulierenden Corona, also die „harmlosen Erkältungsviren“. Die haben alle besser und schneller reagiert auf die Impfung. Und dann denkt man, wieso reagieren die so gut auf die Impfung? Die haben quasi so reagiert, als wäre die Impfung eine Booster-Impfung. Wir wissen, dass beim Boostern die Reaktion viel schneller ist, weil das Immunsystem sich erinnert an etwas. Dadurch ist die Antwort schneller. Das ist ja quasi der Witz bei der Immunität. Dass das Immunsystem schnell in Gang kommt. Das haben die genauer untersucht. Die haben dann rausgefunden, es gibt tatsächlich etwas. Wir nennen das eine immundominante Domäne. Ein immun dominantes Paptid, ein Teil des Proteins dieses Spike-Proteins ist immun dominant. Das heißt, es ist in der Lage, in ganz besonderer Weise, die T-Zellen anzuregen. Damit die sich merken, für den Fall, dass so ein ähnliches Virus wiederkommt, wie man dagegen reagiert. Diese T-Zellen instruieren dann auch andere Zellen, bis hin zu Antikörperbildung im Immunsystem. Und das Interessante ist, dass diese immundominante Domäne, also dieser Bereich. Der ist konserviert zwischen den ganzen Coronaviren. Also die haben das alle gleich, die sind an der Stelle genau gleich. Dass ist

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nicht an der Stelle, wo der Rezeptor an die Zelle bindet. Wir sprechen ja immer von dieser Bindungsstelle an den ACE2. Das ist in dem Fall ausnahmsweise nicht dort, sondern eine andere Stelle, die wichtig ist für die Fusion des Virus mit der Zelle. Also das Virus doggt im ersten Schritt. Muss es irgendwie andocken. Da ist diese Rezeptorbindung wichtig. Und der zweite Schritt ist diese Fusion. Dass das Virus dann so quasi wie zwei Seifenblasen, die zusammenschmelzen, in die Zelle reinkommt. Der Bereich, der dafür wichtig ist. Da ist es ebenso. Da gibt es denn eine überlappende Immunantwort. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass diese T-Zellen, die sich das gemerkt haben. Dass die offensichtlich in der Lage sind, auch wenn sie früher mal gelernt haben, wie sie gegen so ein normales Erkältungsvirus antworten sollen. Dass die jetzt besser zu reagieren auf das SARS CoV 2. Das könnte erklären, warum nur fünf Prozent ungefähr der Infizierten bei Sars-CoV-2 überhaupt schwere Verläufe haben. Und da sind die ganzen Alten ja mitgezählt. Also warum ist das so? Warum ist diese Erkrankung fast immer harmlos und ganz selten schlimm. Das liegt nach diesen Daten hier zumindest zum Teil daran, dass die T-Zellen, also unsere Immunantwort, die zelluläre Antwort, voraktiviert wurde durch die normalen Infektionen, die meistens in der Kindheit stattfinden. Und in dem Zusammenhang haben wir schon gesprochen, auch über die angeborene Immunantwort, die parallel arbeitet. Da ist es auch so, dass die stärker aktiviert ist bei Kindern. Um was die Autoren dann logischerweise, das ist ja auch irgendwie naheliegend, beobachtet haben. Dass das Ganze im Lauf des Lebens. Da haben sie eine größere Kohorte untersucht mit 570 Personen. Dann haben sie festgestellt im Laufe des Lebens nimmt es also ab. Das heißt also wie ... Und das Bild schließt sich ja einfach. Also wir haben eigentlich jetzt. Man kann man sagen, das ein geschlossenes Bild. Wir verstehen ziemlich gut, warum einige schwer krank werden und andere nicht. Warum die Impfstoffe so gut funktionieren. Das erklärt zum Beispiel auch warum ...

Es ist ja immer ein Phänomen gewesen, dass diese RNA-Impfstoffe ... dass die so wahnsinnig gut wirken. Das haben wir hier auch schon besprochen. Das ist eigentlich die Überraschung

gewesen. Warum man sich fragt, warum sind die eigentlich so stark. Nach dieser Studie wäre dann, dass das Immunsystem einfach schon voraktiviert war bei vielen Menschen durch diese anderen Viren. Und dadurch, dass wir quasi schon bei der ersten Impfungen BoosterEffekte haben.


Camillo Schumann


Sie merkten schon, liebe Hörerinnen und Hörer. Herr Professor Kekulé ist entzückt von dieser Studie.


Alexander Kekulé

Ja, ich bin begeistert. Wenn plötzlich das Bild so klar wird. Wenn man einen Schritt zurücktritt, versteht man das Ganze klar. Da fehlen in dem Puzzle noch einzelne Bausteine, ohne Frage. Wenn ich Ihnen das jetzt noch erzähle. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob es einen weiteren genetischen Faktor gibt. Das ist das eine. Das andere ist, welchen Anteil die angeborene Immunantwort hat, die so ähnliche aussieht, im Verhältnis zu der gelernten tiefen Immunität. Hier sprechen wir ja von adaptierter Immunität bei den T-Zellen. Es ist aber ohnehin die ganz große Vorlesung zu halten, dass die wiederum miteinander verschachtelt sind. Wir haben ja kürzlich darüber gesprochen, dass die angeborene Immunantwort. Nach neueren Daten ... das weiß man erst seit zehn Jahren ungefähr. Dass die sogar auch noch ein bisschen lernen kann. Und wieviel welche Rolle relativ gesehen sozusagen, diese einzelnen Komponenten spielen. Das ist eine offene Frage. Da sind schon noch offene Fragen. Aber Sie kennen das ja bei so Ratespielen, wenn man so Puzzleteile zusammensetzt. Irgendwann sagen dann alle, ich weiß, was es ist. Mona Lisa oder so. Das erkennen Sie auch, ohne dass alle Teile drinnen sind. Und in so einer Phase sind wir jetzt gerade.


Camillo Schumann


Das kann man als Argument nehmen, um die Älteren jetzt das zweite Mal zur boostern beziehungsweise eine dritte Impfung zu geben. Aber könnte man das nicht auch als Argument

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nehmen, die Kinder, die ganz jung sind zu impfen. Denn wir wissen ja praktisch die letzte Erkältungswelle ist förmlich ausgeblieben, weil wir uns alle geschützt haben. Die Kinder können also dementsprechend nicht vorbereitet sein.


Alexander Kekulé

Der Gedanke ist ganz wichtig. Aber ich würde nicht die Konsequenz ziehen. Also man kann jetzt nicht sagen, dass man deshalb die Kinder impfen soll, weil die Impfung natürlich viele Pros und Contras hat. Da gibt es viele Fragezeichen, ob das dann wirklich bei Kindern nicht überdosiert ist. Die Studie deutet noch einmal darauf hin. Da wir ja schon bei der ersten Impfung so eine Art Booster-Effekt haben. Was wirklich dringend notwendig wäre mal über eine Dosis-Rettung so nachzudenken. Es kann gut sein, dass wir wirklich hier mit Kanonen auf Spatzen schießen. Mit den Mitteln RNA und Vektor Impfstoffen bei 95 Prozent der Bevölkerung. Weil die sozusagen schon vorher mal Kontakt mit so einem Erreger hatten, der so ähnlich ist. Dass die dann eigentlich nur geboostert werden müssen. Da könnte man eine andere Dosis nehmen. Aber was natürlich stimmt. Der andere Gedanken ist ganz etwas Anderes. Das hatten wir ja früher auch schon mal besprochenes. Das erhärtet sich hier. Es könnte in theoretischer ... Vorsicht, bevor das in den ganzen sozialen Medien falsch geteilt wird. Es ist ein theoretisch möglicher Nebeneffekt unserer Gegenmaßnahmen. Dass die Kinder keine Erkältungskrankheiten mehr kriegen. Dadurch, dass wir sie quasi isolieren in vielen Situationen. Ein möglicher Effekt ist, dass wir da eine Generation haben, die für andere Viren anfälliger wird. Vieles deutet darauf hin, dass die normale Auseinandersetzung mit den Erkältungsviren in der Kindheit Vorteile hat, wenn später mal sozusagen ein richtig böser Erreger ...

Diese Grundüberlegungen gibt es ja schon lange. Dass das Immunsystem in der Kindheit viel lernt. Und wenn man später mal eine schlimme Krankheit kriegt, wird es dafür nicht so schlimm. Und in diese Richtung geht es hier auch. Die schlimme Krankheit wäre dann SarsCov-zwei.

Vielleicht hat es noch einen anderen Effekt, den man sagen muss. Man weiß natürlich dadurch auch, dass es prinzipiell möglich ist, einen universellen Corona Impfstoff zu entwickeln. Wenn man sieht, da gibt es einen gemeinsamen Nenner. Also das ist eigentlich eine ganz interessante Sache an der Stelle.

Die Frage ist ja immer, wenn man einmal Corona hatte. Wieviel Angst muss ich dann haben? Man überlegt natürlich auch. Wieviel Angst muss ich dann haben, dass ich beim zweiten Mal vielleicht dann doch dran sterbe oder schwerstkrank werde.

Diese Studie deutet ganz klar darauf hin, dass alle diejenigen, die einmal die Krankheit durchgemacht haben, weil sie es ja überlebt haben. Dass sie nicht zu dieser Gruppe gehören, die besonders vulnerabel ist. Und dass man im Gegenteil, weil man das durchgemacht hat, möglicherweise auch harmlos erkrankt infolge von Vorerkrankungen vorherigen Infektionen mit den harmlosen Erkältungsviren. Man kann eigentlich sagen, es ist Entwarnung. Wer einmal Corona überlebt hat, wird es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit immer überleben. Und das ist natürlich für die ganze Pandemieplanung wichtig. Weil man dann auch fragen muss, wie gehen wir jetzt in den Herbst rein. Ist es mit den 70 Prozent ausreichend? Und das ist eine Meldung, die eine gute Nachricht ist. Dass wir hier uns beruhigen können.

Weil wir ja die Risikogruppen, von denen wir wissen, dass sie besonders anfällig sind. Möglicherweise, weil eben diese Kreuzimmunität nicht vorhanden ist und die angeborene Immunität schlechter ist, weil wir die ja fast vollständig geimpft haben.


Camillo Schumann


Okay, jetzt machen wir da einen Strich. Diese Studie, wie alle anderen Studien, die wir besprechen und alle wichtigen Links werden wir in der schriftlichen Version dieses Podcasts natürlich auch mit veröffentlichen. Herr Kekulé, viele Hörerinnen und Hörer haben uns geschrieben, weil sie einen Artikel im Internet gelesen haben, der zu einem viralen Hit wurde. Auch namhafte Politiker haben diesen Artikel

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geteilt. Sie haben ihn deshalb gelesen und geteilt, weil die Überschrift doch ziemlich knallig war. Sie lautet: Corona bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten sei wohl nicht die Todesursache. Klar, dass man von dieser Überschrift angelockt wird. Der Artikel ist ein Interview mit dem Mediziner und Soziologen Bertram Häussler, Leiter des Gesundheitsforschungsinstituts IAS in Berlin. Und im Interview mit der Welt hat er unter anderem gesagt, es werden mehr Todesfälle gemeldet, als tatsächlich an Corona gestorben sind. Und jetzt wird es interessant: wir haben ermittelt, dass bei gut 80 Prozent der offiziellen Covid Toten, die seit Anfang Juli gemeldet wurden, dass die zugrundeliegende Infektion liegt schon länger als fünf Wochen zurück. Man geht daher eher davon aus, dass Corona nicht die wirkliche Todesursache war. Gehen Sie bei dieser fünf Wochen Bewertung mit?


Alexander Kekulé

Das ist eine Frage, wo Epidemiologen wirklich ... zurzeit hauptsächlich in so Konferenzen, früher immer in vollen Hörsälen. Dass die da vortrefflich streiten können. Das Problem ist, dass erstens die Toten ja später gemeldet werden, dass die langsamer gemeldet werden als die Infizierten. Das liegt irgendwie daran ... weiß nicht, ob das über die Totenscheine läuft oder sonst wie. Aber es ist ein bekanntes Phänomen, dass die Toten wirklich eine lange nachgemeldete Zahl sind. Mehr weiß man da auch nicht. Und dann, hat jemand auf der Intensivstation gelegen.

Früher war es so, dass die Menschen relativ schnell gestorben sind. Da kann man sagen nach der Infektion. Die allerallermeisten waren nach 14 Tagen tot, sofern es zum tödlichen Verlauf kam. Heute ist diese Spanne sicherlich etwas länger, weil jüngere Leute betroffen sind. Also nicht junge Leute. Aber jetzt eben nicht mehr die Hochaltrigen. Die bleiben tendenziell länger auf der Intensivstation und meistens überleben sie. Aber manchmal kommt es eben doch zu tödlichen Verläufen, sodass man sagen kann, diese Spanne ist ein großes Fragezeichen. Und die Engländer sagen

wir haben ja öfters mal diese Technical Reports vom Public Health England besprochen die Engländer sagen, 28 Tage ist für uns das Fenster. Also jeder, der quasi 28 Tage nach der Diagnose gestorben ist, der gilt als mit Corona im Zusammenhang gestorbener Toter. Das ist aber auch irgendwie über einen Daumen gepeilt. Man könnte genauso gut fünf Wochen sagen. Und wenn man jetzt sagt, alles was länger als fünf Wochen ist, kann nicht Corona gewesen sein oder ist wahrscheinlich nicht Corona gewesen. Als Aussage: erst mal so über den Daumen gepeilt. Ist es schon richtig. Also es ist nicht so, dass das völlig abwegig ist, zu sagen, irgendwann ist dann mal Schluss an der Stelle. Das spricht aber eigentlich nur für die Ungenauigkeit dieses Systems. Wie man es macht, ist es ist es ein bisschen ungenau und kein seriöser Wissenschaftler würde jetzt ... Das ist glaube ich der Fehler bei ... der Denkfehler bei dem Ganzen. Kein Wissenschaftler würde ja daraus sozusagen Rückschlüsse auf die Sterblichkeit ziehen. Also keiner würde sagen, okay, das heißt dann, Corona ist in so und so viel Prozent sterblich. Die drücken ja so einen Knopf bei den ganzen sogenannten Corona-Leugnern. Weil die sagen, schaut mal her, das ist doch nicht so schlimm. Aber die Sterblichkeit durch das Corona Virus wird mit in ganz anderen Methoden bestimmt. Da kann man ja statistisch auswerten. Relativ genau wissen wir das auch inzwischen. Wie ist die Letalität, also die fallbezogene Sterblichkeit? Wie die Case Fatality. Also wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, wenn man sich infiziert hat oder Symptome hat, dann hinterher daran zu sterben?

Da gibt es bestimmte Schätzungen und dann natürlich auch die Frage, wie ist die Mortalität. Das heißt also, welcher Anteil der Bevölkerung stirbt insgesamt daran? Ist das eine wichtige Erkrankung, oder nicht? Da gucken wir dann auch auf diese Übersterblichkeit in bestimmten Zeiträumen. Also sind während der Corona Welle mehr Menschen gestorben als sonst? Und das sind die Instrumente, mit denen so etwas bestimmt wird. Und dieser Quotient, den die Zahl dieses Robert Koch-Institut veröffentlicht. Selbst wenn die nicht so genau ist. Die ist ja nicht unbrauchbar. Die dient ja dem relativen Vergleich von Woche zu Woche. Wir wollen doch wissen, wird es gerade schlimmer mit

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der Pandemie oder nicht. Das ist ganz wichtig für unsere Diskussionen, für politische Entscheidungen. Und da ist eben ein Parameter natürlich die Inzidenz. Ein weiterer Parameter: wie viele Leute kommen ins Krankenhaus. Und ein robuster Parameter, der aber zeitlich versetzt ist, wie viele sind gestorben. Wenn man einfach nur von Woche zu Woche das vergleicht. Geht rauf oder runter? Dann ist es nützlich. Der absolute Wert. Ob das jetzt zehn Tote sind oder fünf in einer bestimmten Woche. Das ist richtig, dass das eine ungenaue Sache ist.


Camillo Schumann


Jetzt geht es ja darum, dass in der Überschrift suggeriert wurde, dass Corona bei 80 Prozent der offiziellen Corona-Toten nicht die Todesursache war während der gesamten Pandemie. Das EGS fühlte sich da auch falsch dargestellt und meinte seit Anfang Juli. Wie bewerten Sie denn diesen Zeitraum? Während der gesamten Pandemie trifft diese Aussage offenbar nicht zu, sondern ab Juli. Stimmt es denn da?


Alexander Kekulé

Naja die Frage ist dann, die dahinter stehen würde, ob man die Zeit ab Juli bis jetzt irgendwie anders beurteilen muss als den gesamten Pandemie-Verlauf. Die Erhebungsmethode war ja die Gleiche. Grundsätzlich ist es so, wenn Corona-Tote gemeldet werden von so einer Intensivstation. Wenn dann irgendwann jemand stirbt. Da sind keine Patienten darunter. Das kann man so klipp und klar sagen. Patienten, die sich einen Fuß gebrochen haben oder aus anderen Ursachen gestorben sind. Am gebrochenen Fuß stirbt man wahrscheinlich nicht. Aber es ist natürlich schon so, dass das jetzt die Codierung. Der Code Corona plus Intensivstation plus verstorben. Dass das manchmal auch Fälle trifft, wo wahrscheinlich ein Pathologe ...

Wenn er das dann hinterher genau ansieht. Dass der sagen würde, ja in dem Fall ist aber Corona ein Neben-Phänomen gewesen. Der Patient ist an was Anderem gestorben. Und nicht alle werden ja seziert. Die Diskussion war nur ganz am Anfang der Pandemie wo meine

Empfehlung ans Robert Koch-Instituts war, dass man die Corona-Toten lieber nicht sezieren sollte. Was dann stark kritisiert wurde zu Recht. Aber inzwischen wissen wir aus der Pathologie. Die Krankenhäuser sind da ja auch halbwegs vernünftig, was sie da inzwischen melden. Da wissen wir schon tendenziell, dass zumindest aus der klinischen Perspektive, wenn man so von oben draufschaut. Da hat man gedacht, da ist wohl jemand, der an Corona gestorben ist oder Corona war mitursächlich. Ich glaube, diese Diskussion ... also 80 Prozent. Das ist auf jeden Fall falsch. Aber wenn jetzt einer irgendwann in ein paar Jahren rauskriegt, die Hälfte der sogenannten CoronaToten wären im gleichen Zeitraum plus minus sowieso gestorben an was Anderem. Das würde mich nicht wundern. Wir haben ja solche Daten aus Italien zum Beispiel aus den ersten Wellen. Wo dann wirklich die Übersterblichkeit gemessen wurde. Und man hat festgestellt, dass es diesen sogenannten Ernteerfolg gibt. Es nennen die Epidemiologen zynischer Weise so, das sind quasi Menschen, die sowieso schon auf der Kippe waren. Die aus anderen Grund wirklich in Lebensgefahr waren. Dass die dann durch so einen Virusinfekt ... Und das hätte dann genauso gut Influenza sein können. Dass die eben dann sozusagen den letzten Schlag bekommen haben. Und wenn man das abzieht. Dann ist in der Tat so, dass viele die offiziell in der Corona-Statistik sind, am Ende des Tages in Anführungszeichen in diesem Zeitraum ... Je nachdem, was man dann nimmt, plus minus vier Wochen. Dass die sowieso gestorben wären. Das ist irgendwie zynisch. Das kann man natürlich auf einen Einzelfall nicht wirklich immer abstellen. Für manchen sind also, vier Wochen früher oder später sterben, eine wichtige Sache. Und für die Familie ist es natürlich auch ein Riesenunterschied, ob jetzt die Oma an Corona gestorben ist und man sie am Schluss nicht mehr besuchen durfte. Diese ganzen tragischen Dinge, die da passiert sind. Weil man auch da zum Teil überreagiert hat, was da die Maßnahmen betrifft. Oder ob jemand an so genannten anderen Ursachen stirbt. Wo man vernünftig Abschied nehmen kann. Das Ganze hat natürlich einen großen Schaden. Aber die Epidemiologen werden vielleicht irgendwann rauskriegen, dass ein Teil der Corona-Toten

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tatsächlich sowieso in diesem Zeitraum gestorben wäre. Also das ist sozusagen der kleine wahre Gehalt an der Sache. Man kann deshalb nicht ... und das ist mir wichtig. Man kann nicht sagen, die Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind falsch. Das sind gut geschätzte Zahlen. Die haben gewisse Grundannahmen an der Stelle. Und die wissen selber, dass das fehlerbehaftet ist. So wie alle anderen Möglichkeiten der Schätzung auch.


Camillo Schumann


Damit kommen wir fast zum Ende. Wir haben ja ab und zu mal hier im Podcast eine positive Meldung zum Schluss gehabt. Das wollen wir jetzt wiederhaben. In diesem Fall ist es die positive Studie zum Schluss. Wir haben Sie ja schon mal kurz erwähnt. Die große Frage, wie wäre es denn eigentlich, wenn es einen Impfstoff gegen alle Varianten geben würde. Das wäre sehr schön. Dass das nicht so unrealistisch ist, zeigt eine Studie aus Singapur. Worauf deutet die hin?

47:08


Alexander Kekulé

Wir werden definitiv, sage ich jetzt mal, irgendwann einen Impfstoff haben gegen alle Varianten von Coronavirus. Das hätte es nie und nimmer gegeben, wenn es diese Pandemie nicht gegeben hätte. Weil man gesagt hätte, diese ganzen Coronaviren, die sind viel zu unwichtig. Die haben bis jetzt keine große Rolle gespielt.

Aber das ist natürlich auch schön blöd von so einem Virus, dass es dann mit einer Pandemie daherkommt, dass die ganze Welt sich drum kümmert. Und jetzt wird sozusagen unsere Rache an diesem Virus ganz fürchterlich sein. Eines haben wir eingangs schon besprochen. Die Studie aus Berlin, die sagt ja auch schon ganz klar, dass es da ein mögliches Target gibt, ein mögliches Ziel im Bereich dieses Fusions-Bereiches. Der ist für die Fusion wichtig. Also für Verbindungen von Virus und Zelle im S-Protein.

Und jetzt gibt es aus Singapur eine Studie. Die ist gerade erschienen Mitte August. Da haben die sich was ganz Interessantes angeschaut. Die hatten acht Leute. Die haben dort SARS

CoV 1 überlebt, also die Pandemie von 2000, oder die Epidemie muss man eigentlich eher sagen von 2003. Das ursprüngliche Sars-Virus und diese acht Leute, die sie da untersucht haben. In Singapur gab es ja dann eine ganze Reihe von Opfern damals. Die wurden zusätzlich geimpft mit dem Biontech-Impfstoff. Und da haben sie festgestellt, dass da Antikörper entstehen. Die sind eine Universalwaffe gegen alle bisher bekannten Coronaviren. Gegen alle bei Menschen relevanten Corona-Viren. Sie treffen, nicht nur menschliche Coronaviren. Alle Varianten, alle Alpha-, Betaund wie die heißen, einschließlich der südafrikanischen und brasilianischen Variante. Und diese Antikörper wirken aber auch interessanterweise gegen Coronaviren, die man bei Fledermäusen gefunden hat und sogar bei diesen Schuppentieren in Pangolins. Das heißt also, das ist ein wichtiges ... Ich sag mal Proof of Principal. Es wird bewiesen, dass es im Prinzip möglich ist, Antikörper zu generieren. Vorhin haben wir ja gesprochen über eine Studie, die die zelluläre Antwort meint. Aber hier geht es um Antikörper. Antikörper zu generieren, die wirklich gegen alle Coronaviren, die wir bisher kennen, zumindest beim Menschen und sogar bei einigen Tieren. Dass die da relevant sind. Warum ist es wichtig? Das heißt, wenn man das gefunden hat, dass man im nächsten Schritt dann dem nachzugeht, wie man genau einen Impfstoff basteln müsste, um auch künftige ähnliche Sars-ähnliche Corona Viren zu bekämpfen. Wir nennen die Sarbecoviren, weil das BetaCoronaviren sind. Da hat man das Wort Sarsähnliche Beta-Coronaviren. Da hat man Sarbecoviren draus gemacht. Und wenn wir eben wissen, dass die alle mit einer Universalwaffe bekämpft werden können. Dann gibt es da noch ein Impfstoff und der schaltet dann diese Viren endgültig aus. Also das ist die Zukunftsmusik. Leider wird es für diese Pandemie keine Rolle mehr spielen, weil wir ja gesagt haben, die muss im Juni nächsten Jahres aus dem Gröbsten raus sein. Aber für den nächsten Angriff dieses Virus sind die Karten dann ganz, ganz schlecht. Das ist der gleiche Fehler, den Ebola gemacht hat. Ohne den Ausbruch 2014 in Westafrika hätten wir bis heute noch keine vernünftige Strategie, um den Menschen in diesen Ländern zu helfen. Aber weil die ganze Welt plötzlich Angst vor dem Virus hatte, ist so

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viel geforscht worden, dass wir das Ebola-Virus jetzt durch Impfstoffe und ähnliche Maßnahmen unter Kontrolle haben. Meine Prognose ist, dass wir das bei dem Corona Virus auch hinbekommen werden. Aufgrund der Daten, die wir jetzt gerade heute zum Teil besprochen haben.


Camillo Schumann


Jetzt haben Sie schon Juni gesagt. Vorhin hieß es noch Mai.


Alexander Kekulé

Nein, ich meine, ich meine das schon. Ich bleibe dabei. Wir können sagen Ende Mai. Aber wenn es Ende Mai vorbei ist, dann kann man am 1. Juni die Party feiern. Aber wie gesagt. Das heißt nicht, dass das Virus weg wäre. Sondern es ist als gesundheitlich relevantes Thema vorbei. Und ich sage noch einmal. Das ist für mich die positivste Information. Wir haben jetzt eine Herbstwelle vor uns, bei der es nicht mehr geht um die Krankheitslast. Die werden wir unter Kontrolle haben. Sondern wir müssen wirklich überlegen. Diese hohe Inzidenz, die noch einmal kommen wird. Die wird Gegenmaßnahmen erfordern. Zum Beispiel Schließungen von Schulen. Und deshalb müssen wir überlegen, wie wir abwenden, dass die Kinder und Jugendlichen jetzt einen zweiten Herbst lang wieder die großen Leidtragenden sind. Weil die anderen, die wirklichen Risikopersonen in dieser Pandemie. Die sind ja durch Impfungen eigentlich aus dem Schneider.


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Julika hat gemailt. Sie schreibt, bei uns in Niedersachsen geht die Schule wieder los. Hier sollen die Kinder in der ersten Woche täglich getestet werden und ab der zweiten Woche montags, mittwochs und freitags. Trotz der häufigen Tests und des üblichen Lüftungs-Prozederes sollen die Kinder rund um die Uhr Masken tragen. Das heißt auch, wenn sie an ihrem Platz stillsitzen oder draußen in der Pause sind. Aus meinem Verständnis bringt das Maskentragen am Platz

und draußen auf dem Schulhof bei so häufigen Tests und Lüften keine große zusätzliche Sicherheit. Bzw. wenn ich den Test so wenig vertraue, stellen Sie eigentlich nur unnötigen Plastikmüll da. Sehen Sie das auch so? Viele Grüße, Julika


Alexander Kekulé

Diese Test-Frequenz verstehe ich nicht ganz. In der ersten Woche täglich. Das würde ja sozusagen implizieren, dass man den Verdacht hat, dass die Kinder einem hohen Infektionsdruck ausgesetzt sind. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich anstecken. Dass das so hoch ist, dass man täglich testet. Unter bestimmten Umständen wäre das angezeigt. Ich weiß jetzt nicht wieder ... Für ganz Niedersachsen wäre es sicher nicht sinnvoll. Aber es gibt ja Regionen in Deutschland. Ich glaube NRW ist da ganz vorne, wo einfach die durch solche ... Bei den Kindern so galoppiert im Moment. Dass man an solche Maßnahmen denken könnte. Was ich nicht verstehe ist, warum es dann in der zweiten Woche nur noch dreimal die Woche sein soll. Da müsste man ja schon vorhersehen, dass dann die Inzidenz runtergegangen ist und deshalb der Infektionsdruck nachlässt. Also das scheint mir jetzt auf Anhieb nicht plausibel zu sein. So grob gesagt, glaube ich, die alte Strategie, zu sagen zweimal die Woche wird getestet. Und man hofft, dass man damit Ausbrüche frühzeitig erkennt. Ich glaube. diese Strategie war richtig und ist richtig. Da gab es ja zwischendurch mal diesen kleinen Schlenker. Dass Leute gesagt haben, man soll dann die ganze Klasse als Kohorte isolieren und nach fünf Tagen wieder zurückschicken, ohne zu testen. Das war ein massiver Irrweg. Dadurch sind Ausbrüche nicht erkannt worden. Die Gesundheitsbehörden sind auch verzweifelt gewesen. Davon ist man zum Glück wieder abgerückt. Aber es ist so, dass diese klassische Strategie: zwei, von mir aus dreimal die Woche testen, reicht. Braucht man dann trotzdem noch eine Maske? Am einfachsten ist, zu sagen, im Freien ist die Maske in der Regel sinnlos. Aber man muss natürlich überlegen. Das kann ich jetzt nicht so beurteilen, wie das auf den Schulhöfen ist. Dann ist also, wenn die Kinder auf dem Schulhof quasi sich umarmen, raufen und so weiter. Dann mag eine Situation sein, wo die

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Maske auf dem Schulhof noch einen Zweck haben könnte. Ich würde wahrscheinlich als Pädagoge dazwischen gehen, wenn die die sich gegenseitig an die Wäsche gehen. Ich würde zusehen, dass die ein bisschen Abstand voneinander halten und ihnen deshalb im Freien erlauben, die Maske abzusetzen.

Was macht man in der Schule mit der Maske? Ich glaube, es wäre für den Herbst pragmatisch zu sagen, die älteren Kinder, also ab Sekundarstufe tragen am Anfang erst mal die Maske im Unterricht und zumindest in den Räumen in dem Unterricht. Solange man drinnen ist. Weil wir einfach nicht wissen, wie stark die Inzidenz hochgeht. Die Prognose der Ständigen Impfkommission ist ja sehr pessimistisch. Die gehen von bis zu 500 Inzidenz aus in der Herbstwelle. Ich habe gehört, dass der Bundesgesundheitsminister sogar noch höhere Zahlen ins Spiel gebracht hat. Und das wissen wir einfach nicht, ob es so dramatisch wird. Und wenn man eine sehr hohe Inzidenz hat, dann kann man eben in der Klasse auch nicht mehr sagen, nehmt alle die Masken ab. Deshalb Sekundarstufe würde ich sagen, lieber anfangen mit der Maske. Zumindest, wenn sie drinnen sitzen. Und bei der Grundschule glaube ich, dass es vertretbar ist, die Maske wegzulassen. Eben wenn man diese kurzfristigen, diese engmaschigen Tests hat.


Camillo Schumann


Frau Butscher hat angerufen. Sie schildert einen sehr interessanten Fall. Sie und ihr Mann sind doppelt geimpft. Ihre beiden Kinder, Schule und Kita, hatten Erkältungssymptome. Dann bekam auch die Eltern Symptome. Die ganze Familie hat dann drei Schnelltest von unterschiedlichen Herstellern gemacht. Alle waren positiv. Da Frau Butscher in einer Klinik arbeitet, brauchte sie aber einen PCR-Test. Dann hat sich die ganze Familie mit PCR testen lassen. Das Ergebnis alle PCR-Tests negativ. Wie kann das sein?


Alexander Kekulé

Das ist wirklich ungewöhnlich. Vor allem das mit den verschiedenen Herstellern bei den An-

tigen-Tests. Also wir wissen, dass manche Hersteller nicht so gut sind. Das muss man sagen. Da gibt es inzwischen Vergleichstests. Die einen sind besser, die anderen sind schlechter. Wir wissen auch, dass wenn man diese Antigen-Schnelltests macht und zum Beispiel die Tests zu lange kühlt vorher oder die direkt aus dem Kühlschrank nimmt oder ähnliches. Dass man dann gerne mal falsch positiv bekommt. Dass jetzt die ganze Familie im AntigenSchnelltest positiv war und in der PCR negativ. (...) Ein Virologe würde jetzt sagen, nein, das wäre interessant, mal zu gucken, ob virologisch, würde man jetzt sagen. Dass wäre interessant zu gucken, ob hier ein mit dem SarsCov-2 eng verwandtes Virus quasi die Familie erwischt hat. Ein anderes Coronavirus vielleicht. Was dann tatsächlich eine Kreuzreaktion in diesem Antigen-Test gemacht hat. Das ist dann möglich. Und die PCR ist da präzise an der Stelle. Der unterscheidet besser. Es kann natürlich auch immer sein, dass PCR-Proben irgendwie verwechselt werden oder die PCR schiefläuft oder ähnliches. Natürlich sagen die Laborärzte, bei uns kommt es nie vor. Aber das ist eben so. In keinem Labor kommt so etwas vor. Aber wenn man es dann in einer großen Statistik anschaut, gibt es das Selten eben doch. Aber eins von beiden ist hier schiefgelaufen. Ich kann leider jetzt nicht aus der Glaskugel erkennen, was es war. Also entweder die Antigen-Tests waren falsch oder die PCR. Ich würde jetzt aus Neugier ehrlich gesagt in dem Fall, wenn die Familie da nicht zu schmerzempfindlich ist. Ich würde mal Blut abnehmen, um zu gucken, ob sie Antikörper gebildet haben. Das kann man nur jetzt machen. Wenn man zu lange wartet, sind die möglicherweise schon weg. Aber wenn jetzt keiner aus der Familie EGG gegen Sars-CoV-2 hat. Dann würde ich sagen, war der PCR-Test richtig und andersrum.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 214. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen Spezial.


Alexander Kekulé

Bis dann. Herr Schumann.

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Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage und wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. oder Sie rufen uns einfach an. kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de. in der ARD Audiothek. bei YouTube und überall. wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 31. August 2021 #213


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Wie ansteckend sind vollständig Geimpfte? (21.08.) Virological characteristics of SARS-CoV-2 vaccine breakthrough infections in health care workers | medRxiv

Infiziert oder geimpft: Reinfektionen versus Impfdurchbrüche (25.08.) Comparing SARS-CoV-2 natural immunity to vaccine-induced immunity: reinfections versus breakthrough infections | medRxiv

Dienstag, 31. August 2021

Knapp zwei Wochen nach Schulbeginn geht die Inzidenz in NRW durch die Decke. Vor allem bei den Jüngsten. Hat die Durchseuchung der Kinder in Nordrhein-Westfalen begonnen? Mit welchen Folgen?

Dann: Wie ansteckend können vollständig Geimpfte sein? Und wieso kommt es eigentlich zu Impfdurchbrüchen?

Außerdem: 2G, 3G. Wie sinnvoll sind diese Regeln? Und gibt es eigentlich einen epidemiologischen Unterschied zwischen geimpft, getestet und genesen?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Ja, man soll sich ja über die kleinen Dinge des Lebens freuen. Z.B., dass die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz erstmals seit Anfang Juli wieder gefallen ist. Heute lag sie bei 74,8. Gestern betrug der Wert 75,8. Ja, wie bewerten Sie diesen kleinen, aber feinen Rückgang?


Alexander Kekulé

Das kann schon sein, dass der, sage ich mal, statistisch relevant ist. Aber insgesamt muss man sagen: Wir sind ja in der Phase, wo wir in den Herbst kommen, wo das Virus sozusagen richtig zum Leben wiedererwacht und wo wir gerade die Schulen aufmachen bundesweit und wo die Urlauber zurückgekommen sind oder noch auf dem Rückweg sind und munter aus dem Ausland noch weitere Viren bringen. Es wäre ein Wunder, wenn es bei diesem Plateau bleiben würde. Nach meiner Einschätzung ist damit noch lange nicht das Maximum der Inzidenzen erreicht.


Camillo Schumann


Also, sozusagen der Rückgang um eins ist jetzt nur eine kurze Momentaufnahme, einen Tag um den anderen. Die Tendenz wird eher nach oben gehen?


Alexander Kekulé

Ja. Das ist wie einmal kurz Luftholen für das Virus, das macht danach weiter.

02:03


Camillo Schumann


Noch ein paar andere Zahlen: Wieder über Tausend Menschen, die auf der Intensivstation mit Covid-19 behandelt werden müssen. Rund 19 % davon waren Menschen, die bereits geimpft waren, also sogenannte Impfdurchbrüche. Die allermeisten von ihnen waren über 60 Jahre alt, nachzulesen im neuesten RKI-Wochenbericht vom 26. August. Über Impfdurchbrüche werden wir ja im Laufe der Sendung noch vertieft sprechen. Herr Kekulé, heißt aber auch im Umkehrschluss: Über 80 % der Menschen, die auf der Intensiv sind, sind Ungeimpfte. Einige Ihrer Kollegen, die haben ja gesagt: Ja, früher oder später werden sich alle ungeimpften infizieren. Jetzt zeigt sich: Offenbar früher als später, oder?

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Alexander Kekulé

Also, wir sind ja noch nicht bei allen Ungeimpften. Es ist ganz klar, dass die medizinisch relevante Welle eine Welle der Ungeimpften sein wird. Es werden natürlich auch Geimpfte schwer krank. Und irgendwann werden wir in Deutschland vielleicht mal die Luxussituation haben, dass wir so viele Geimpfte haben, dass wir darüber diskutieren müssen, welche Krankheitslast durch die Geimpften entsteht. Aber im Moment ist es so: Die Krankheitslast für die ganze Gesellschaft – auch die Sterbefälle – das entsteht in allererster Linie durch die Ungeimpften. Und deshalb muss weiterhin die Strategie sein, möglichst viele Erwachsene davon zu überzeugen, dass sie sich impfen lassen.


Camillo Schumann


Aber hätten Sie gedacht, dass es so schnell geht, dass die Inzidenz wieder so schnell steigt und dass vor allem auch die Belegung auf der Intensivstation wieder so schnell so zunimmt?


Alexander Kekulé

Naja, also, anteilsmäßig ist es jetzt nicht so stark, die Belegung der Intensivstationen. Also, die Inzidenz steigt schon wesentlich deutlicher. Und man kann auch immer sagen: Das beides hinkt ja den tatsächlichen Entwicklungen hinterher. Wir sehen hier sozusagen immer einen Blick in die Vergangenheit. Aus England ist klar, dass das Verhältnis dort so in der Größenordnung von 1 zu 10 liegt. Also, die Februar-Welle, die in England ganz massiv war – Januar, Februar – da war der Anteil derer, die im Krankenhaus gelandet sind oder dann auf den Intensivstationen, ungefähr um den Faktor 10 höher, als es jetzt in England ist, bei der aktuellen, auch dort hohen Inzidenz. Ich glaube, dass wir uns nicht auf ein 1 zu 10 in Deutschland verlassen können, weil wir ja eine schlechtere Impfquote haben. Aber so von der Größenordnung, irgendwo in diesem Bereich wird das liegen. Und das hieße jetzt: Wenn man so optimistisch wäre, dass man sagen würde, wir sind genauso wie England quasi, wir haben so gute Zahlen wie England, was jetzt die Krankheitslast betrifft, dann hieße das ja, man kann sich eine zehnmal höhere Inzidenz leisten. Davor würde ich warnen, weil wir eben von der Impfquote her schlechter sind. Und weil wir eben nicht genau wissen, welche Bereiche der Gesell-

schaft geimpft sind. Ja, Sie haben es schon gesagt. In Nordrhein-Westfalen gehen jetzt die Zahlen so massiv hoch, das hat sicher mit den Urlaubsrückkehrern zu tun. Und da wäre es ganz dringend notwendig, zu wissen: Welche Teile der Gesellschaft sind ungeimpft? Wie kann man die besser angehen? Was kann man vielleicht für Programme machen, um die ganz speziell zu motivieren, zur Impfung zu gehen?

05:08


Camillo Schumann


Wenn man sich die Daten des RKI anschaut: Nach Expositionsländern, also, wo das Virus quasi mit wieder zurück nach Deutschland gebracht wurde, steht die Türkei ganz oben. Danach folgen die Balkanstaaten. Das gibt zumindest einen Hinweis.


Alexander Kekulé

Naja, es sieht so aus – und das war ja in der Vergangenheit auch schon so – dass natürlich Menschen, die ihre Familien zu Hause besucht haben und zurückkommen, ein viel höheres Infektionsrisiko dort haben, als jemand, der quasi auf so einem Teutonengrill gelegen hat und sich in der Sonne gebräunt und sonst eigentlich nur Landsleute um sich herum hatte dort im Ausland. Und das ist relativ klar: Balkan und Türkei, da gibt es natürlich viele Menschen, die in Nordrhein-Westfalen leben. Und wir müssen, glaube ich, für diejenigen, die diese Krankheiten, diese Infektionen importieren – egal, aus welcher Ecke das kommt – und für die, die das weiterverbreiten, müssen wir, glaube ich, schon noch Überzeugungsarbeit leisten, dass es eben gerade wichtig ist, diese Leute zu impfen. Also, wenn Sie die – man würde dann sagen Multiplikatoren – besser impfen, dann haben Sie natürlich einen ganz guten Effekt, was die Kontrolle der Epidemie betrifft. Das Gleiche gilt für Multiplikatoren, die in Großstädten leben, irgendwelche jungen Leute, die da Party machen. Da ist genau der gleiche Effekt. Wenn Sie das nicht unter Kontrolle bekommen und die sich nicht geimpft haben, dann ist davon auszugehen, dass die Infektionen ansteigen. Sie haben gesagt: Die Epidemie der Kinder und Jugendlichen. Da muss man nochmal rekapitulieren, dass zumindest nach den Erhebungen der STIKO – und das teile ich nach den jetzigen Daten – es ja so ist, dass die Kinder sich im Wesentlichen von Erwachsenen infizieren. Also,

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die Infektion von Kind zu Kind ist bisher noch nicht so das große Thema. Das dürfte aber jetzt im Herbst zunehmen. Das ist ganz klar, wenn immer mehr Erwachsene geimpft sind, dass wir dann auch unter Kindern und in Schulen Ausbrüche haben. Und auf diese Situation muss man sich einfach vorbereiten. Also, ich glaube, das kann man nicht oft genug sagen. Und an dieser Stelle nochmal: Neben den Impfungen der Erwachsenen ist das ganz entscheidende jetzt, Konzepte zu haben, was man macht, wenn die Schulen losgehen.


Camillo Schumann


Bei den Expositionsländern hatte ich jetzt noch Spanien vergessen, ist auch in der Top 5 der Expositionsländer. Ende Juli, da hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor einer Inzidenz von 800 gewarnt. Das ist ja zum Glück noch nicht eingetreten. Aber fast zwei Wochen nach Schulbeginn sind die Inzidenzen in Nordrhein-Westfalen – ich habe es schon gesagt – sehr, sehr hoch, und bei den Kindern noch höher. Sie liegen in Städten wie z.B. Leverkusen, Solingen, Hagen bei über 500. In Wuppertal z.B. ist jeder zehnte Schüler positiv getestet worden, viele sind auch in Quarantäne. Viele Beobachter sprechen davon, dass jetzt die Durchsuchung der Kinder in Nordrhein-Westfalen begonnen hat. Herr Kekulé, die Zahlen lassen auch kaum einen anderen Schluss zu, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich so. Und ich finde das ein bisschen zynisch, hätte ich fast gesagt, dass man hier die Kinder, ja, zum wiederholten Male irgendwie im Regen stehen lässt, also sozusagen im viralen Sturm stehen lässt. Es ist ja so, dass die Kinder in den bisherigen Phasen der Pandemie teilweise, muss man schon sagen, die Hauptleidtragenden waren oder zumindest sehr stark gelitten haben unter der Situation – aus verschiedenen Gründen. Das ist ja bekannt, dass es reihenweise psychische Probleme, soziale Probleme bei den Kindern gab. Übrigens betrifft das natürlich dann auch die Eltern dieser jüngeren Kinder. Und wenn man jetzt in einer Situation ist, wo man eigentlich nur noch die Schulen schützen müsste – weil ja die Risikogruppen halbwegs geimpft sind in Deutschland – und wenn man das jetzt wieder nicht macht, ein Jahr später, dann finde

ich das schon problematisch. Die Diskussion, ob man jetzt eine natürliche Durchseuchung machen soll oder nicht, die ist ja uralt. Das hat es ganz am Anfang der Pandemie schon gegeben. Ich habe damals immer darauf hingewiesen, dass jede Art von Lockerung, die wir uns erlauben – schon beim ersten Lockdown war ja die Frage: Wie kommen wir da wieder raus? – zugleich bedeutet, dass man eine kontrollierte Durchseuchung in Kauf nimmt. Und das muss man gesellschaftlich diskutieren: Wollen wir das? Bis zu welchem Grad machen wir das? Wenn man sagt, man will überhaupt keine kontrollierte Durchseuchung haben, dann muss man quasi Dauer-Lockdown haben und Null-Covid und alle einsperren. Aber diese Diskussion brauchen wir jetzt ja. Und ich glaube, dass man jetzt ganz ohne Diskussion sagt, also, wir lassen das bei den Kindern einfach laufen, das finde ich nicht richtig. Sondern wir müssen uns wirklich überlegen: Ist das gesellschaftlicher Konsens? Und es gibt ja durchaus medizinische Argumente, die dagegensprechen.

09:51


Camillo Schumann


Aber offenbar sieht es ja so danach aus, als würde es jetzt zwangsläufig zu so einer Durchseuchung kommen bei den Jüngsten. Aber wie gefährlich ist diese Situation für eben diese Zielgruppe? Statistisch müssten ja dann auch seltene Komplikationen durch die Erkrankung zunehmen.


Alexander Kekulé

Ja, bis jetzt hat man da noch kein Signal in dieser Richtung. Aber wir wissen ja nicht wirklich, was mit Long Covid ist. Also, Long Covid ist ein Thema, wo wir bei Kindern insbesondere – also Personen unter 18 Jahren jetzt mal in dem Fall – da haben wir keine harten Daten, die belegen, dass es das in dem Sinn überhaupt gibt. Weil: die Schäden, die beobachtet wurden, die könnten genauso gut auch zurückzuführen sein auf die Corona-Maßnahmen, also die psychische und soziale Situation. Trotzdem müssen wir natürlich, da es ja bei Älteren dieses Long Covid ohne Frage gibt – 10, 20 % der Erwachsenen haben ja irgendwann solche Symptome, die zumindest einige Monate anhalten, wir wissen nicht, wie lange – wäre es natürlich völlig überraschend, wenn das also bei unter

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18-Jährigen plötzlich aufhören würde. D.h.: Zumindest bei den älteren Jugendlichen ist damit zu rechnen, dass es das gibt. Und es gibt ja auch Berichte von jungen Leuten, die dann z.B. monatelang ihren Geruchssinn verloren hatten. Meistens kommt der dann wieder innerhalb von einem Jahr. Aber man weiß daher, dass das also jetzt nichts ist, wo man jetzt einfach sagen kann: Lass uns mal eine Durchseuchung machen. Und das andere ist: Wir haben ja auch bei den Erwachsenen einen erheblichen Anteil von Menschen, die noch nicht geimpft sind. Und wenn wir so die Welle durchlaufen lassen – also, Infektion im Zusammenhang mit Schülern ist ja etwas, was jetzt überhaupt nicht im Klassenzimmer stattfindet, das haben wir schon öfters besprochen. Das Klassenzimmer selber ist eine relativ kontrollierte Situation. Es geht um das ganze Drumherum. Die Schüler haben wieder soziale Kontakte, die Schüler werden zur Schule gebracht oder gehen selber zur Schule. Die Eltern arbeiten dann wieder, wenn die Kinder in der Schule sind und solche Dinge. Also, das ganze Drumherum, dass sozusagen das Leben wieder hochfährt, weil die Leute auch aus dem Urlaub zurück sind, im Zusammenhang mit dem Schulbeginn. Das ist eigentlich das Entscheidende. Und wenn man in so einer Situation – also, ich sage mal, Hochfahren der sozialen Kontakte durch Schulbeginn, Corona-Müdigkeit insbesondere bei den Erwachsenen, natürlich auch bei den Jugendlichen, zugleich kommt der Herbst mit der höheren Ansteckungsfähigkeit und die Delta-Variante hat sich in Deutschland gerade ausgebreitet – wenn man in so einer Situation einfach sagt, wir machen eine Durchseuchung der Kinder, das ist einfach brandgefährlich. Auch für die anderen. Also, nicht nur für die Kinder selber, sondern man muss das Risiko der insbesondere ungeimpften, älteren Menschen sich dann auch anschauen.


Camillo Schumann


Aktuell nur mal eine Zahl, die das so ein bisschen verdeutlicht, dieses Problem an den Schulen in Nordrhein-Westfalen: Gut 30.000 Schüler in NRW sind aktuell in Quarantäne.


Alexander Kekulé

Diese Zahl sagt doch – das hatten wir doch in England schon gesehen. Wenn jetzt irgendeiner in Nordrhein-Westfalen – man kennt ja

diese Texte von dort schon – jetzt sagt: Jetzt sind wir aber durchaus überrascht. Dann kann ich nur sagen: Das war in England ganz genauso. Und das war ja das Problem bei Boris Johnsons Idee, alles aufzumachen. Und ja, man kann natürlich als 25-Jähriger sagen: Ich lasse es jetzt mal drauf ankommen für mich, für mich persönlich. Das ist jetzt eine Individualentscheidung. Aber Sie können bei einer Schule, wo Kinder ja Schulpflicht haben, können Sie nicht von den Eltern generell verlangen, dass sie die Kinder hinschicken, wenn dort ein Ausbruch ist. D.h., sobald in der Schule in Ausbruch ist, haben Sie keine andere Option, als zuzumachen. Und dann haben Sie auch keine andere Option, als Quarantäne zu machen und Sie müssen über Nachverfolgung feststellen, wann dieser Ausbruch zu Ende ist. Sodass also selbst, wenn man sich entschließen würde – diese ganze Diskussion hat ja nicht stattgefunden – aber selbst, wenn dann sich die durchgesetzt hätten, die vielleicht sagen: Ach kommt, Kinder, wir lassen euch jetzt mal alle schön durchseuchen in der Schule, ist ja auch irgendwie billiger als impfen usw., muss man auch niemanden überreden, passiert ganz von selber – das ist natürlich zynischer, böser, schwarzer Humor, muss man dazu sagen. Also, wenn sich diese Leute rein theoretisch, falls man das überhaupt diskutiert hätte, bevor man es laufen lässt, durchgesetzt hätten, dann wären wir natürlich schon in der Situation, dass man trotzdem die Schulen dann schließen müsste. D.h. also, die Kinder hätten im Ergebnis genau das, was wir verhindern wollen – was übrigens auch die Ständige Impfkommission mit dieser Impfempfehlung ja verhindern wollte, ja, das war ja sozusagen ein braver Gedanke. Wir impfen die, damit die sozialen und psychologischen Schäden geringer werden. Aber genau das würde ja dann trotzdem eintreten, hätten die Kinder quasi wieder einen Spezial-Lockdown für die Schulen, weil wir eben bei Personen unter 18 Jahren – ich sage, auch ethisch ist das eine andere Situation – da müssen wir uns ja überlegen: Wir entscheiden für andere. Ja, und deshalb kann man da nicht einfach so großzügig sagen: Ich nehme jetzt für mein Kind dieses Risiko in Kauf, sondern da muss man, glaube ich, noch eine Stufe vorsichtiger und auf der sicheren Seite sein. Und des-

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halb glaube ich: Schulschließungen sind unausweichlich, wenn die Inzidenz so durch die Decke geht.


Camillo Schumann


Nur mal so zum Vergleich: Anfang November 2020 waren über 70.000 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne. Aber wir wissen ja: Im November 2020, da wurde noch kein einziger geimpft in Deutschland. Und jetzt sind 30.000 in Quarantäne und die Impfungen laufen ja. Angesichts dieser Situation auch, wie sie gerade in NRW an den Schulen sind: Würden Sie sich dann dafür aussprechen, zu sagen: Gut, wenn es die Erwachsenen jetzt nicht tun, lassen wir die Kinder dann doch impfen?


Alexander Kekulé

Naja, da sind die Daten relativ eindeutig. Die Ständige Impfkommission hat es nochmal zusammengefasst: Die Impfung der Kinder nützt letztlich sehr, sehr wenig. 12 bis 17 ist jetzt die Altersgruppe, um die es hier geht, weil darunter der Impfstoff ja auch nicht zugelassen ist. Die nützt wenig, um die Epidemie in den Griff zu bekommen. Also, das ist Augenwischerei. Sondern: Die Impfung der Kinder ist von der STIKO deshalb empfohlen worden, weil man gesagt hat: Wir wollen die Kinder selbst, die Betroffenen selbst, die 12bis 17-Jährigen, vor Schäden bewahren. Und da haben wir ja schon darüber gesprochen, dass das ein bisschen schwierig ist. Die Argumentation ist, sage ich mal so, auf der Kippe. Ja, das kann man so oder so sehen. Und das Hauptargument war eigentlich, die sozialen und psychologischen Schäden einzudämmen. Und da weiß ich eben nicht, ob das gelingen wird. Ja, also selbst mit der Impfempfehlung sieht es ja jetzt nicht so aus, als könnte man Schulschließungen verhindern. Insgesamt kann ich nur – das muss man in der Lage, glaube ich, machen – versuchen, die Eltern zu beruhigen, selbst wenn die Kinder Covid kriegen. Alle Daten sehen eben im Moment so aus, als wäre das nach wie vor keine schwere Erkrankung.

16:38


Camillo Schumann


Aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe vorhin: Wenn die Inzidenz weiter so stabil hoch ist in dieser Altersgruppe und möglicherweise auch noch steigt, wäre sozusagen die Ultima Ratio wieder Schulschließung aus Ihrer Sicht?


Alexander Kekulé

Ja, natürlich. Dann müssen sie die Schulen zu machen, wenn sie keine anderen Sicherheitskonzepte haben. Und das ist eben jetzt die Frage: Hat man das? Hat man Lüftungskonzepte? Hat man die Kohortierung der Kinder im Griff? Was ist mit den Masken im Unterricht, zumindest bei den Älteren? Was ist mit den regelmäßigen Tests? Ich glaube, das sind die Konzepte leider vom letzten Jahr, die wir inzwischen erprobt haben, die wir auch dieses Jahr wieder brauchen, wenn wir verhindern wollen, dass die Schulen zugemacht werden. Ich winke hier überhaupt nicht mit dem Leichentuch, wie das andere machen, dass ich sage: Das wäre für die Kinder so supergefährlich. Long Covid ist ein Fragezeichen. Wir haben dafür keine klaren Daten. Es ist eine Möglichkeit. Alle anderen Erkrankungen sind super-super-selten. Da sind ja auch wirklich falsche Informationen unterwegs – können wir vielleicht gleich drüber sprechen – was die Häufigkeit von schweren Verläufen bei Kindern betrifft. Also, das ist nicht das Thema, sondern das Thema ist einfach: Erstens, Sie kriegen die Infektionen nicht in den Griff, wenn Sie diese nicht-pharmakologischen Interventionen nicht haben. Und wenn Sie es nicht im Griff haben, müssen Sie aus grundsätzlichen Erwägungen die Schulen dann schließen. Und um das zu verhindern, helfen eben nur die alten Regeln.

18:08


Camillo Schumann


Weil Sie es gerade angesprochen haben: Im Zusammenhang mit den hohen Inzidenzwerten bei den Kindern in Nordrhein-Westfalen werden in einigen Medien Zahlen genannt, um das Problem scheinbar besser darzustellen. Und auch den Worst Case ein bisschen plastischer zu machen. Da wird gern in die USA geschaut. Z.B. wird ein Report der amerikanischen Akademie für Kinderheilkunde genannt, wonach zuletzt 14,6 % der Covid-19-Fälle in den USA Kinder und Jugendliche waren – knapp

4,6 Mio. Und jetzt kommt es: 1,9 % davon mussten im Krankenhaus behandelt werden. Wie gesagt: Diese Daten sieht man im Zusammenhang mit der Situation in NRW, um das Ganze so ein bisschen zu verdeutlichen. Wie bewerten Sie diese Daten?

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Alexander Kekulé

Also, da muss man höllisch aufpassen. Ich habe mir das genauer angeschaut, was da zitiert wurde. Übrigens von sogenannten Qualitätsmedien, das muss man an der Stelle ganz klar sagen. Darum umso erschreckender. Dass auf irgendeiner Facebook-Seite Unsinn steht, das weiß man ja. Aber in diesem Fall hat es mich wirklich erschreckt. Also, richtig ist, dass in den USA natürlich zunehmend Kinder jetzt infiziert werden und der Anteil der Kinder höher ist als in den früheren Wellen. Das wird bei uns auch so sein oder ist bei uns bereits so. Das ist ganz klar, wenn sie die Alten geimpft haben und bisher haben die Kinder weniger von dem Virus abgekriegt, sage ich mal, dann sind die jetzt quasi als Nächstes dran. Aber: Die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen usw., die wurde dort in diesen Zitaten völlig falsch wiedergegeben. Ich sage mal nur, das eine konkrete Beispiele, was Sie gerade genannt haben: Wieviel Prozent gehen denn ins Krankenhaus? Da wurde ja gesagt, in den USA würden 1,9 % der Kinder ins Krankenhaus gehen. Tatsächlich bezieht sich das auf eine Zusammenfassung, die die Meldedaten aus den verschiedenen Bundesstaaten der USA wiedergegeben hat. Und da ist es eben so gewesen, dass das Spektrum ganz enorm war. Das ging so von 0,3 bis 1,9 % in dieser Größenordnung. Also, die kleinste Zahl war deutlich geringer. Und hier wurde aber dann von den deutschen Medien, die das wiedergegeben haben, einfach der Bundesstaat, der den höchsten Quotienten hier angegeben hat – also, den höchsten Anteil an Krankenhauseinweisungen an den gemeldeten Fällen – diese Zahl wurde dann wiedergegeben und so getan, als wäre das in den gesamten USA der Mittelwert. Also, das ist schon so nur ein Beispiel von vielen. Ich sage jetzt mal: Fake News gibt es leider auf beiden Seiten. Wir haben oft gesprochen über Fake News bei den Impfkritikern. Ja, da gibt es ja Leute, die alles Mögliche behaupten, gegen das wir hier so ein bisschen kämpfen. Aber leider ist es so, dass inzwischen diejenigen, die besorgt sind, die auch berechtigt besorgt sind, inzwischen auch zu der Keule greifen, Daten zu übertreiben. Was ich immer und ständig lese – muss ich an der Stelle auch nochmal ansprechen – ist: Es heißt immer, 1 % der infizierten Kinder in Deutschland würden ins Krankenhaus

gehen. So ein Unsinn. Das ist ja gerade im letzten STIKO-Bericht nochmal sauber runterdekliniert worden. Es ist so, dass die Zahl der gemeldeten Krankenhausfälle bei den Kindern – und das betrifft nur die zwischen 12 und 17 in dem Fall – da ist es so, dass 1 % im Krankenhaus sind und die anderen 99 % eben nicht im Krankenhaus. Und davon übrigens, von den

1 % Krankenhaus, dann 2 % auf der Intensivstation. Und jetzt erklärt aber die STIKO selber weiter im Text – das muss man dann nur lesen den nächsten Absatz – die erklärt dann völlig zurecht Folgendes: Wir haben natürlich eine Untererfassung. D.h. also: Die gemeldeten Fälle – gerade bei 12bis 17-Jährigen, die ja ganz selten überhaupt getestet werden müssen, die in der Regel leichte Symptome haben usw. – bei den 12bis 17-Jährigen sind die gemeldeten Fälle nur ein Bruchteil der Fälle, die wirklich aufgetreten sind. Also, der Infektionen, die stattgefunden haben. Und da setzt die STIKO einen Faktor von 2,5 an. Die sagt also: Jeder zweite bis dritte tatsächlich Infizierte erscheint auch in den Meldezahlen des RKI. Jeder zweite bis dritte, das finde ich schon ziemlich optimistisch. Ich würde sagen, jeder fünfte bis zehnte hätte man da auch sagen können. Und dann sagt die STIKO, zweitens, zurecht – die hat die Daten aus den Krankenhäusern: Ja, jemand, der im Krankenhaus ist und zufällig Covid hatte, also Covid-positiv war – und die werden ja alle getestet, wenn sie im Krankenhaus sind – der gilt ja als Covid-Fall. Egal, warum er da war. Der kann sich einen Fuß gebrochen haben. Und man weiß aus den Erhebungen der Krankenhäuser, dass nur 20 bis 25 % derer, die in der Altersgruppe 12 bis 17 – in dem Fall – als Covid-Fall gemeldet wurden, überhaupt wegen Covid im Krankenhaus waren, also behandelt wurden, Covid-spezifisch behandelt wurden. Was weiß ich, mit fiebersenkenden Mitteln galt es schon als Covid-Behandlung. Und wenn Sie das zusammenzählen – also, den Faktor 2,5 und die 25 % – dann heißt das, dass eben nur noch jeder Tausendste von den Infizierten ins Krankenhaus kommt. Und das sagt die STIKO in ihrer Schätzung. Und man könnte, wenn man jetzt sagt, die Meldequote ist vielleicht doch nicht jeder zweite bis dritte, sondern schlechter, könnte man auf den Bereich kommen, was ich eigentlich immer so ungefähr schätze: 1 zu 4.000. Aber egal, wie Sie es nehmen, wenn Sie

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in diesem Bereich sind – jeder Tausendste oder jeder Viertausendste kommt ins Krankenhaus in dieser Altersgruppe – dann kann man nicht überall schreiben 1 %. Das ist einfach falsch.

23:35


Camillo Schumann


Auf einigen Portalen wird dann auch Sebastian Dullien, Professor für Volkswirtschaft an der Internationalen Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin genannt, der die Zahlen aus den USA für Deutschland mal umgerechnet hat. Und er sagt: Wenn 0,01 % der mit Covid19 infizierten Kinder an dem Virus stirbt, dann bedeutet eine Durchseuchung aller Kinder unter 12 statistisch circa 1.100 tote Kinder. Und er fügt dann auch gleich noch hinterher, einen Vergleich: 2019 starben 46 Kinder unter 12 im Straßenverkehr. Was sagen Sie zu dieser Rechnung?


Alexander Kekulé

Das Erschreckende ist, dass sowas wiedergegeben wird. Wissen Sie, das ist ja – bei allem Respekt vor einem Kollegen, der sich offensichtlich mit Wirtschaft und Technik auskennt – also, das ist ja ganz okay, wenn sich einer mal verrechnet. Das passiert mir auch mal. Aber wieso geben das bitte die sogenannten Qualitätsmedien – Sie wissen, wo das überall abgedruckt wurde – wieso geben die das einfach so wieder? Da ist aus meiner Sicht so eine Intention dabei, das ist keine neutrale Berichterstattung mehr. Ich sage Ihnen jetzt, warum, was er da falsch gemacht hat. Also, erstens, er sagt:

0,01 %. Ich weiß, das ist wahnsinnig schwierig mit diesen Nullern hinterm Komma. Aber: In dem Papier, auf das er sich bezieht von der STIKO, steht 0,001. Also, da ist ein Nuller mehr, als er das gerechnet hat. D.h. also, da sind wir schon mal bei einem Faktor 10, den wir abziehen müssen. Zweitens ist es so, dass auch hier es wiederum darum geht, dass die STIKO sich hier auf den Anteil der gemeldeten Fälle bezogen hat und selber eine Dunkelziffer von 1 zu 4 angibt. Also, jeder Zweite bis Dritte wird quasi nicht erfasst. Heißt also, ungefähr ein Faktor von 2,5. D.h. also, man kann dann sozusagen sagen, da käme dann quasi raus, dass das zehnmal weniger ist und dann nochmal viermal weniger. D.h. also, wenn man das wirklich runterrechnen würde, käme man nach der Rechnung, die jetzt auf den STIKO-Daten beruht,

auf eine Rechnung: 1 von 400.000 stirbt. Und das ist auch die Zahl – zwischen 1 von 100.000 und 1 von 400.000 von den Infizierten – das ist die Zahl, mit der die STIKO arbeitet, auch in ihrer Projektion. Die hat ja eine ziemlich dramatische Projektion gemacht für die nächsten Monate. Und weil in dieser Projektion dann die Zahl der tatsächlich Gestorbenen irgendwie minimal ist, hat die Stiko eben in ihrem neuesten Bericht die überhaupt nicht mehr angegeben, weil das ein Bereich ist, wo man es nicht mehr berechnen kann. D.h.: Von 1.100 toten Kindern zu sprechen – übrigens ist da auch noch die Annahme dabei, dass sich alle infizieren, und zwar von 0 bis 12 Jahre. Das ist so abwegig wie irgendwas. Also, selbst wenn man die Zahlen jetzt korrigieren würde, käme man auf eine Zahl von Toten, die auf jeden Fall deutlich unter 100 liegen würde. Und das nur für den Fall, dass sich wirklich die gesamte Kohorte, sämtliche Kinder in diesem Alter von 0 bis 12 Jahren quasi tatsächlich infizieren würden. Also, das kann man so nicht nachvollziehen. Wenn sich wirklich alle infizieren – ich habe es mal nachgerechnet – käme man in die Größenordnung von 23 Toten. Aber: Das ist sozusagen dann insgesamt, nicht in den nächsten Monaten, sondern insgesamt. Ein Beispiel dafür, dass eben hier die Rechnungen, die da so präsentiert werden, z.T. völliger Unsinn sind. Dann schreiben die anderen davon ab und dann sitzen sie in irgendwelchen Talkshows und geben diese Zahlen wieder. Und ich finde, wir müssen da schon bei der Sache bleiben. Genauso, wie wir ja sehr massiv auch die Impfkritiker quasi im Visier haben.

27:27


Camillo Schumann


Aber auch Kollegen sind dann auch ja lernbereit und bekommen mit, wenn vielleicht das eine oder andere jetzt nicht unbedingt stimmen kann. Es gab ja auch einen Korrekturhinweis der Redaktion auf einem Portal, was wir jetzt auch gar nicht nennen wollen. U.A. gab es eben Gründe, an diesen Aussagen zu zweifeln. Und deswegen wurde diese Passage aus einem Beitrag entfernt und es wurde auch um Entschuldigung gebeten. Also, da ist ja sozusagen dann auch so ein gewisser Lerneffekt dann auch da. Muss man ja auch feststellen.

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Alexander Kekulé

Ein kleiner schon. Aber die falschen Zahlen aus den USA stammen von dem gleichen Pott. Jetzt wollen natürlich alle wissen, was das ist. Müssen Sie selber googeln.

28:06


Camillo Schumann


Übrigens noch ein kleiner Hinweis, um das ganze Thema NRW und Inzidenzen bei den Kindern und Jugendlichen nochmal kurz abzuschließen: Karl-Josef Laumann, NRW-Gesundheitsminister, hat zur Infektionssituation in seinem Bundesland gesagt: Jetzt lasst uns doch einfach mal schauen, wie die Inzidenzen sich in den nächsten Wochen entwickeln und vor allen Dingen, wie sich die Situation auf unseren Intensivstationen entwickelt. Sieht er das ein bisschen zu salopp? Oder ist das so, naja, mein Gott?


Alexander Kekulé

Das sieht er zu salopp. Also, ich kann nur wirklich davor warnen, die Intensivstationen – der Bundesgesundheitsminister hat ja gesagt: Die Inzidenz hat ausgedient. Das ist nicht so. Ja, das würde auch kein Fachmann so sagen. Natürlich ist die Inzidenz nicht mehr so wichtig, wenn Sie viele geimpft haben. Man muss das Gesamtbild sich anschauen. Das ist ja wahrscheinlich auch das, was er gemeint hat. Aber wenn Sie nur warten, bis dann die Intensivstationen volllaufen, dann haben Sie einfach viel weniger Korrekturmöglichkeiten zu dem Zeitpunkt, weil das, was auf den Intensivstationen passiert, ja erstens in die Vergangenheit blickt. Das dauert eine ganze Weile, bis ein Infizierter dann irgendwann so krank ist, dass er da auf der ITS registriert wird. Und dann ist es natürlich so: Jeder Intensiv-Kranke steht ja für ganz viele Infizierte. Das ist ja nur die oberste Spitze des Eisbergs. D.h.: Wenn die Intensivstationen volllaufen, ist es viel zu spät, um anti-epidemische Maßnahmen zu ergreifen. D.h. also, wie so ein Tanker, bis der zum Stehen kommt. Sie dürfen sozusagen nicht sagen: Ich greife erst ein, wenn der Tanker irgendwie die letzte rote Linie überfahren hat. Sondern Sie müssen sehr, sehr vorausschauend agieren bei so einer epidemischen Situation. Und der wesentlich empfindlichere Marker ist natürlich nach wie vor die Inzidenz. Die bräuchten wir am besten sehr zeitnah und bevölkerungsgruppenspezifisch.

Und wenn man, wie es ja jetzt in der Diskussion ist, auch noch die Tests nicht mehr umsonst machen will und überhaupt das Testen abschaffen will oder zumindest seltener getestet wird, dann ist es so, dass man noch weniger Blick quasi in die Zukunft hat.

30:13


Camillo Schumann


Was wäre denn so Ihr Tipp für die Menschen da in NRW? Auch die politisch Verantwortlichen? Gibt ja auch jemanden, der aus diesem Bundesland kommt und Bundeskanzler werden möchte. Was würden Sie da sagen, um das Ganze noch einigermaßen glimpflich über die Bühne zu bekommen?


Alexander Kekulé

Ich warne wirklich davor, zu sagen: Wir lassen das einfach mal laufen bei den Kindern. Nicht, weil ich so eine Riesensorge um die Gesundheit der Kinder habe, sondern weil es dann nicht mehr zu bremsen ist. Dann haben Sie die Kinder quasi als Durchlauferhitzer für das gesamte Infektionsgeschehen. Es gibt viele Bereiche, eben gerade bei Menschen, die vielleicht so dem öffentlichen Gesundheitswesen nicht so positiv gegenüberstehen, die sich nicht impfen lassen wollen, die insgesamt das gar nicht so toll finden, mit dem Staat überhaupt in Berührung zu kommen. Und in diesen Bereichen kriegen Sie völlig unkontrolliert dann eine Welle, die durchläuft. Und das betrifft natürlich dann auch ältere Menschen. Also, älter in dem Fall, sage ich mal, 50 plus. Und da haben wir so viele Ungeimpfte, dass, wenn Sie das hochrechnen – das wäre mal die interessantere Rechnung, statt jetzt hier Hokuspokus zu machen mit den Kindern und 23 Tote zu verkaufen für 1.100. Ja, das war ja in diesem Beispiel der Fehler. 1.100 statt 23. Und statt das zu machen, finde ich, muss man wirklich ganz klipp und klar sagen, dass über 50 wirklich wieder gestorben wird in Deutschland, wenn wir diese Welle insgesamt nicht in den Griff bekommen. Und dazu gehört eben auch, dass wir es bei den Kindern nicht einfach durchlaufen lassen können.

31:47


Camillo Schumann


Verlassen wir Nordrhein-Westfalen und kommen wir zu einer – passt ja auch ein bisschen zum Thema – zu einer sehr großen Frage, die

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seit ein paar Wochen diskutiert wird: Wie ansteckend sind eigentlich vollständig Geimpfte? Und warum kommt es eigentlich zu Impfdurchbrüchen? Vielleicht fangen wir auch mit der ersten Frage an: Wie ansteckend sind vollständig Geimpfte? Also, geht von einem vollständig Geimpften auch eine Gefahr für einen Ungeimpften aus? Wird in der Politik, in der Wissenschaft diskutiert, gibt ja auch immer mehr Daten. Aber natürlich wird diese Frage auch unter unseren Hörerinnen und Hörern diskutiert, u.A. von Frau N., die angerufen hat:

„Zu Beginn hatte ich gehört, dass doppelt Geimpfte, wenn sie Viruslast tragen, weniger Viruslast in sich haben. Da habe ich mir logisch gesagt: Dann bringt ja der Schnelltest nichts mehr, wenn das weniger ist, weil da ja eine gewisse Menge nötig ist, damit der ausschlägt. Und in letzter Zeit habe ich eher Informationen wahrgenommen, dass doppelt Geimpfte die gleichhohe Viruslast in sich tragen und weitergeben können. Daher wäre es sehr hilfreich, da ein bisschen Orientierung zu bekommen. Einen schönen Tag.“


Alexander Kekulé

Also, die Viruslast und die Ansteckungsfähigkeit, da gibt es gerade eine aktuelle Studie von der Marion Koopmans und ihren Kollegen aus Holland vom Erasmus Medical Center in Rotterdam. Das ist wirklich eine der absoluten spitzen Corona-Forscher:innen weltweit. Forscher:innen in dem Fall war jetzt ein Gender:innen, also sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ist sie eine Spitzenfigur. Die war auch bei dieser WHO-Kommission dabei, die versucht hat, in Wuhan rauszukriegen, wo das Virus herkam. Und die haben eine Studie gemacht – jetzt gerade aktuell ist das als Preprint erschienen. Da haben sie fast 25.000 geimpfte Personen aus dem Gesundheitsbereich untersucht. Also, die haben quasi nachverfolgt: Was ist mit Geimpften, die im Gesundheitsbereich arbeiten? Die sind natürlich besonders gefährdet, sich anzustecken. Und die haben festgestellt: In dieser Studiengruppe gab es 161 Durchbruchinfektionen, also Infektionen trotz doppelter Impfung. Und was sie da gemacht haben, ist, dass sie – interessant – sowohl die PCR gemacht haben, also mal nachgeguckt: Lässt sich das Genom dieses Virus, also

die RNA, nachweisen? Aber dann auch versucht haben, das Virus anzuzüchten. Also, nicht nur geguckt haben: Ist es nachweisbar? Sondern: Ist es überhaupt vermehrungsfähig? Und das ist ganz interessant. Und da kam als erstes raus – das beantwortet tatsächlich so ein bisschen die Frage der Hörerin – dass die Viruskonzentration, die gibt man ja in diesen Ct-Werten an, tatsächlich bei den nicht Geimpften, die sich infizieren und bei den ganz vollständig Geimpften, die sich dann trotzdem infiziert haben, tatsächlich vergleichbar ist. Also: Es gibt zumindest einen Zeitpunkt während der Erkrankung oder auch bei asymptomatischen Verläufen, während man das feststellen kann, gibt es immer einen Zeitpunkt, wo man sagen kann: Das Maximum ist erstaunlicherweise ähnlich. Das ist eigentlich eine überraschende Mitteilung, muss ich sagen. Also, mich hat das auch überrascht. Also, das war nicht die erste Studie, die das gezeigt hat. Aber, dass man das seit einiger Zeit weiß, dass tatsächlich Geimpfte zumindest mal kurzzeitig vom Ct-Wert von der PCR her einen genauso hohen Wert haben wie die Ungeimpften. Und das ist also das erste Überraschende. Dann haben sie aber nachgeguckt: Ist bei diesen Personen, wo die PCR positiv war und z.T. auch hohe Werte ergeben hat – d.h. also, eine hohe Konzentration für das Virus ergeben hat – ist denn dann überhaupt das Virus anzüchtbar? Und da kam jetzt, wenn man so will, die gute Nachricht raus, dass der Anteil der Viren, die wirklich noch vermehrungsfähig waren, obwohl die PCR deutlich positiv war, bei den Geimpften um etwa 20 % geringer ist. Also, bei dieser Studiengruppe ging es von 84,9 % um 20 % etwa runter. D.h. also: Nicht alle, die in der PCR-positiv sind, haben auch vermehrungsfähiges Virus im Rachen. Aber trotzdem ist die Tendenz klar: Die Geimpften sind trotzdem immer noch ansteckend – und zwar vergleichbar. Zwar weniger, aber trotzdem noch vergleichbar mit den Ungeimpften.


Camillo Schumann


20 % ist jetzt gar nicht so viel. Ich hätte jetzt deutlich mehr gedacht eigentlich.


Alexander Kekulé

Ja, ich ehrlich gesagt auch. Also, das ist ein interessantes Resultat, nicht das Einzige. Wir besprechen das hier deshalb, weil es so ähnliche

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Daten schon gab, aber die bisher noch nicht so eindeutig waren. Das ist gar nicht mal so viel, ja. Was man auch weiß aus dieser Studie, so andeutungsweise – in anderen Studien ist das deutlicher – dass die Geimpften kürzere Zeit das Virus ausscheiden. Und, dass vor allem auch die, die symptomatische Erkrankungen haben als Geimpfte, wie sonst auch – das gilt auch für Ungeimpfte – dass auch die deutlich mehr Virus ausscheiden, als die, die asymptomatisch infiziert sind. Aber unterm Strich ergibt sich daraus, sage ich mal so, wenn man jetzt zwei Schritte zurückgeht und das Ganze sozusagen aus der Hubschrauberperspektive ein bisschen versucht, sich anzuschauen: Wir müssen einfach feststellen, dass von den Geimpften auch eine Gefahr ausgeht. Und man kann es ja so ein bisschen zusammenfassen. Man kann sagen: Also, wahrscheinlich ist in der Bilanz – wenn ich mal eine Arbeitshypothese machen darf an der Stelle, wahrscheinlich stimmt das so genau nicht, aber man würde sagen, dass wahrscheinlich die Ansteckungsfähigkeit – also, die Secondary Attack Rate sagen wir dann, also die Wahrscheinlichkeit, dass man sich von einem Geimpften, der sich infiziert hat, angesteckt hat – die ist wahrscheinlich ein Viertel so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, sich von einem Ungeimpften anzustecken. Also, so viermal so ansteckend sind die Ungeimpften, wenn man alles zusammen so in die Waagschale wirft. Aber das ist natürlich eigentlich eine schlechte Nachricht für die, die dachten: Ach, geimpft heißt doch, alles in Ordnung. Die, die immer noch von der Herden-Immunität träumen, was die Politik auch manchmal so gerne als Wurst den Bürgern vor die Nase hängt. Und wenn Sie sagen, ein Viertel ist ungefähr die Ansteckungsfähigkeit, und werfen dann jetzt – ganz grobe Schätzung mal so – mit in die Waagschale, dass ja jemand, der geimpft ist, eine viel geringere Wahrscheinlichkeit hat, sich überhaupt selber erstmal anzustecken – also, der Impfschutz beträgt ja bezüglich der Infektion 80 % ungefähr, vielleicht ein bisschen weniger, aber sagen wir mal 80 Prozent – dann hätten Sie also ein Fünftel der Menschen, die also trotz Impfung sich anstecken. Ein Fünftel, so hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, wenn man geimpft ist. Und wenn man das multipliziert mit dem Viertel, dann kommt man darauf, dass die Ungeimpften – das wäre

dann 0,05, das Produkt – und d.h. dann, dass die Ungeimpften so grob gesagt 10 bis 20 Mal so gefährlich sind. Also, Ungeimpfte sind 10 bis 20 Mal so gefährlich bezüglich der Möglichkeit, sich von dem anzustecken. Also: Wenn Sie in der Disco mit einem Ungeimpften tanzen, haben Sie ein bis zu 20 Mal höheres Risiko, als wenn Sie mit einem Geimpften tanzen. Das wäre so die Schätzung, ja. Aber das ist deshalb wichtig – ist mir völlig klar, dass das ins Blaue gerechnet ist, jetzt nur ganz grob mal die Zahlen reingeschmissen. Die werden sich alle noch ändern. Aber das ist ja wichtig für politische Entscheidungen, dass man sagt: Wie ist das eigentlich in der Disco? Bin ich da sicher, wenn ich mit einem Geimpften tanze? Nein, Sie haben ein deutlich geringeres Risiko. Ich würde jetzt mal sagen, 10 bis 20 Mal geringer als mit einem Ungeimpften.


Camillo Schumann


Und trotzdem muss ja dann auch der Zeitraum noch getroffen werden. Also, da ist ja, sage ich mal Lottospielen wahrscheinlicher, dann auch einen „Jackpot“ zu gewinnen, in Anführungszeichen. Die Frage ist: Wie viele Tage sind Geimpfte mit Durchbruch überhaupt ansteckend?


Alexander Kekulé

Ja, das hab ich da schon mal mit reingeschmissen. Das ist dieses eine Viertel. Das ist in diesem einen Viertel der Secondary Attack Rate einfach mal so drin, ja. Das ist eine grobe Schätzung. Was Anderes spielt da eine Rolle, und zwar wird das beeinflusst von der Inzidenz, das ist das Interessante: Je höher die Inzidenz ist, desto größer natürlich die Wahrscheinlichkeit, also der Unterschied, zwischen den beiden. Also, bei einer hohen Inzidenz nützt Ihnen sozusagen der Impfpass statistisch gesehen weniger. Und deshalb muss man eben zusehen, wenn man jetzt auf die Idee kommt, Kneipen wieder aufzumachen und zu sagen: Wir lassen jetzt Genesene und Geimpfte zu – sowas Ähnliches gilt ja auch für Genesene, obwohl da die Situation möglicherweise günstiger ist als bei Geimpften, werden wir gleich drüber sprechen. Aber wenn man das dann wieder zulässt, dann muss man eben im Auge haben: Wenn die Inzidenz richtig durch die Decke geht, ist auch das kein sicheres Unterfangen mehr.

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40:35


Camillo Schumann


Aber nochmal gefragt: Wie viele Tage nach einem Impfdurchbruch ist man denn als Geimpfter möglicherweise ansteckend?


Alexander Kekulé

Also, die Zahlen gehen so in die Richtung, dass die Ansteckungsfähigkeit deutlich unter drei Tage geht. Aber die sind eben längst nicht so belastbar, das sind ja so kleine Fallzahlen. Also, die Ansteckungsfähigkeit bei einem nicht Geimpften ist viel länger, so fünf Tage plus X, ja. Früher hat man eher so von zehn Tagen gesprochen. Sie wissen: Quarantäne ist 14 Tage, weil es einzelne Fälle gab, wo man 20 Tage danach noch Ansteckungsfähigkeit nachgewiesen hat. Also, es ist schon so, dass der Geimpfte kürzer ansteckend ist. Aber wie gesagt, ich glaube, so die Hausnummer, dass man sich einfach mal vorstellt, die Chance, sich von einem Geimpften anzustecken, ist ungefähr, naja, mal optimistisch gesagt, ein Zwanzigstel von der bei einem Ungeimpften. Also, das ist so: In der Gesamtsumme, glaube ich, diese Summe ist leichter handhabbar, so für den Alltag, als wenn man sich überlegt, wie viele Tage wer, wie, wo, was. Vielleicht nochmal mein Appell bei all diesen Konzepten: Wir sind ja jetzt in einer Phase, wo viele neue Freiheiten gewährt werden. Und ich finde das unterm Strich auch richtig, dass man neue Freiheiten für Geimpfte, Genesene und Getestete hat. Oder eigentlich die alten Freiheiten wieder zurückgibt. Ganz wichtig ist: Bei Symptomen muss man zuhause bleiben, jetzt gerade im Herbst. Also, die Leute, die jetzt viele andere angesteckt haben – da gibt es ein ganz berühmtes Beispiel in den USA, vieldiskutiertes Beispiel von einer Lehrerin. Die hat irgendwie den Schülern vorgelesen und war nicht geimpft und hat ignoriert, dass sie Symptome hatte und hat da die halbe Klasse angesteckt in kürzester Zeit. Es ist so, dass jeder, der Symptome hat, wirklich – auch, wenn er geimpft ist oder genesen ist – tatsächlich zuhause bleiben sollte, wenn er Erkältungssymptome hat.


Camillo Schumann


Unterm Strich stellt man sich natürlich immer die Frage: Jetzt habe ich mich impfen lassen.

Wieso gibt es eigentlich diese Impfdurchbrüche? Also, was passiert da im Körper? Und welche Rolle spielt der Impfstoff?


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist wirklich superspannend. Es sieht jetzt im Moment wirklich so aus, als würde die Impfung leider eine relativ schlechte Schleimhautimmunität machen. Also, wenn Sie eine echte Virusinfektion haben, da kommt das Virus ja direkt auf die Schleimhäute der Atemwege und führt dort zu einer Sofortreaktion. Macht eine relativ starke, erstmal angeborene Immunantwort und dann sekundär, wenn die dann abgearbeitet ist nach ein paar Tagen, auch die Bildung spezieller Antikörper, die auf der Schleimhaut aktiv sind, die sogenannten IgA-Antikörper. Und das bietet offensichtlichen, einen sehr, sehr guten Schutz für den Fall, dass, wenn man eine zweite Infektion hat, dass in dem Fall wirklich das Virus direkt auf der Schleimhaut weggefangen wird. Und dadurch sind diese Leute – so sieht es zumindest im Moment aus nach der Datenlage – eben nach einer echten Infektion gar nicht mehr so ansteckend für andere. Das wäre sozusagen der Normalfall, wenn es ein normales Virus ist. Aber jetzt müssen Sie sich vorstellen: Jetzt wird quasi dieses Schein-Virus, das in dem Impfstoff drin ist, ja nicht auf der Schleimhaut appliziert. Es gibt übrigens auch Untersuchungen, Studien, die jetzt in die Richtung gehen, dass man Sprays machen will für den Fall. Aber im Moment wird es ja in der Muskulatur injiziert. Und wenn Sie in die Muskulatur gehen, dann machen Sie dort eine massive angeborene Immunantwort an einer Stelle, wo das eigentlich zunächst mal ungewöhnlich ist für so ein Virus. Und darum gibt es ja auch diese starken Nebenwirkungen. Also, die Reaktogenität ist ja hauptsächlich eine Konsequenz dieser angeborenen Immunantwort. Da sind die RNAImpfstoffe, wie wir wissen, ja eher viel zu stark. Also, es gab Leute – kann ich an der Stelle vielleicht mal sagen – die haben unseren Podcast, in dem wir das schon mal besprochen haben mit der Reprogrammierung des Immunsystems, das haben die dahingehend verstanden, dass irgendwie die angeborene Immunantwort durch die Impfstoffe abgeschwächt wird und man dadurch weniger Reaktionen gegen andere Viren hat. Das ist natürlich totaler Quatsch, sondern das Gegenteil ist richtig. Die

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angeborene Immunantwort wird eher ein bisschen zu stark aktiviert. Man überlegt deshalb ja auch, sogar die RNA-Impfstoffe eventuell zu verdünnen. Oder die Frage ist, ob bei Kindern die Reaktogenität in diesem starken Umfang in Ordnung ist? Und auch diese Myokarditis und viele andere Nebenwirkungen werden zurückgeführt auf eine Überstimulation des Immunsystems. D.h. also: Diese angeborene Immunantwort wird sehr, sehr stark aktiviert. Aber eben, wenn Sie so wollen, im Körper drin und nicht an den Schleimhäuten, wo man es eigentlich bräuchte, wo das Virus ja als Erstes daherkommt. Und wir sehen: Jetzt im Moment ist die Theorie einfach die, dass diese Asymmetrie – dass wir also eine starke Immunantwort sozusagen im Körper haben, systemisch, aber nicht auf den Schleimhäuten nach der Impfung – dass das dazu führt, dass die Menschen eben ansteckend sind und Impfdurchbrüche haben, weil das Virus eben sich so ein bisschen vermehren kann, dann in den Körper reinkommt. Und wenn es dann eigentlich jetzt die inneren Organe befallen müsste oder tiefere Lunge befallen müsste, wo es dann die schweren Erkrankungen gibt, da kommt dann die Immunantwort zum Tragen.


Camillo Schumann


Und hat das möglicherweise auch was mit dem Zeitraum zu tun, wann man sich dann als Geimpfter infiziert? Oder ist das unabhängig davon? Also, wenn sozusagen nach, ich sage mal, drei, vier, fünf, sechs Wochen die Immunantwort aufgebaut ist, ist dann die Wahrscheinlichkeit geringer, sich anzustecken als in der Zeit davor?


Alexander Kekulé

Ja, ganz am Anfang natürlich geringer, das wissen wir. Immer so 14 Tage sagen wir eigentlich, aber Sie haben recht. Bis sich das wirklich ganz richtig aufgebaut hat, geht es eher Richtung vier Wochen nach der zweiten Impfung. Das spielt an einer anderen Stelle eine Rolle, und zwar: Dadurch, dass diese angeborene Immunantwort eine Rolle spielt, nimmt die Abwehr wieder ab. Also, wir wissen inzwischen – das ist ja so schematisch gesehen, als ich das mal gelernt habe vor zehn Jahren, hat man noch gedacht: Die angeborene Immunantwort ist dumm, ja. Das ist ja etwas, was quasi jede

Pflanze hat und jedes Tier, wirbellose Tiere haben das auch. Und die lernende Immunantwort – also, die adaptive Immunantwort mit Antikörpern und T-Zellen und so – das ist ja was, das haben nur die Wirbeltiere. Und man hat immer gedacht, die angeborene Immunantwort kann nichts lernen. Die reagiert quasi sofort, aber ist dafür nicht lernfähig. Aber wir sprechen inzwischen von trained immunity, also trainierter Immunität. D.h. also: Diese angeborene Immunantwort hat so eine Art Kurzzeitgedächtnis für die Erreger, mit denen sie was zu tun hatte und auch für andere. Wenn die mal aktiviert ist, ist sie so ganz allgemein sozusagen in Habachtstellung. Und das ist auf jeden Fall mehrere Monate lang, vielleicht sogar ein Jahr, weiß man nicht, ein, zwei Jahre lang aktiv. Und es kann sehr gut sein und ist im Moment eine der Arbeitshypothesen, dass diese Abnahme der Immunität, die man beobachtet bei den Impfstoffen, dass das eben damit zu tun hat, dass diese angeborene Immunantwort, dieser Teil, diese Sofortwirkung quasi was gelernt hat, aber das wieder vergisst. Also, dieser angeborene Teil verschwindet dann wieder. Umgekehrt ist diese, wissen wir heute – da gab es gerade eine ganz interessante Studie von der Charité, nicht von Christian Drosten, sondern von den Anderen von der Charité. Die Immunologen, die quasi immer sagen: Kinder sind doch weniger ansteckend als Erwachsene. Und die haben diese Hypothese eigentlich jetzt bewiesen, in gewisser Weise. Die haben nämlich gezeigt, dass auf der Schleimhaut von Kindern diese angeborene Immunantwort typischerweise voraktiviert ist. Die sind also sozusagen schon im Alarmzustand. Weiß man nicht genau, ob es daran liegt, dass das Kinder sind und das Immunsystem noch nicht so weit entwickelt ist, oder dass Kinder einfach ständig ja mit irgendwelchen Erregern zu tun haben, die sie noch nicht kennen, sodass die quasi so eine Art Voralarmstufe haben bei dieser angeborenen Immunantwort. Mit der Folge, dass Kinder eben weniger leicht infiziert werden als Erwachsene und das Virus auch weniger leicht weitergeben. Also, dieser Teil der Immunantwort, der am Anfang ist und der auf der Schleimhaut ist, der spielt eine große Rolle. Und der ist eben unvollständig bei den Impfungen. Und wahrscheinlich ist das der Grund,

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dass wir jetzt hier dieses erstaunliche Phänomen haben, dass wir tatsächlich relativ bald nach den Impfungen schon so ein Nachlassen der Wirkung haben.

49:03


Camillo Schumann


Tja, ist das jetzt was Alarmierendes? Ist das, wo man jetzt sagt: Okay, gut, dann lieber doch nochmal eine dritte Impfung? Sicher ist sicher?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ein Argument für die Booster-Impfung. Also, alarmierend ist das alles nicht, weil mir geht es ja immer in erster Linie ums Überleben und ums Krankwerden. Und, also, wir überleben diese Virusinfektion, wenn wir geimpft sind oder genesen sind. Und es ist klar: Die Daten aus Israel haben ja gezeigt, dass die Booster-Impfung – die machen ja diesen BioNTech-Großversuch. Und da, sage ich mal an der Stelle: Man muss immer ein bisschen vorsichtig sein. Die publizieren ganz oft Daten per Presseerklärung, wo man dann lange, lange warten muss, bis man mal eine richtige Studie sieht. Aber die sagen, dass die Boosterung in 86 % was bringt. Also 86 % zusätzlichen Schutz dann bringt, bei Älteren insbesondere. Und das könnte daran liegen, dass eben da nochmal diese angeborene Immunantwort stimuliert wird. Also, dass man quasi nochmal dieses Sofortreaktionssystem aktiviert hat. Ja, was heißt das? Praktisch gesehen heißt das: Wir müssen davon ausgehen, dass die Impfung eben niemals die Epidemie beenden kann. Das ist ein falsches Versprechen, muss man einfach sagen, dass man da Herdenimmunität herstellen könnte, weil es immer so sein wird, dass diese Antwort auf den Schleimhäuten nachlässt. Und man muss sagen: So ein Spray wäre eigentlich das Beste für den Booster, wenn man ein Spray hätte – in diese Richtung geht es ja – was dann zusätzlich eine Schleimhautimmunität erzeugen würde.


Camillo Schumann


Machen wir noch einen Schritt weiter oder weiten wir das Gedankenexperiment: Auch Menschen, die eine Corona-Infektion hinter sich haben, können ja sich auch wieder anstecken. Das spricht mehr von Re-infektion. Und Herr Kekulé, wenn man jetzt beide vergleicht – Geimpfte, die sich erneut anstecken und Genesene, die sich ebenfalls erneut anstecken: Gibt

es da in Sachen Viruslast, Ansteckungsfähigkeit einen Unterschied?


Alexander Kekulé

Ja, da gibt es jetzt eine ganz, ganz neue Studie aus Israel, 25.08. Die würde wahrscheinlich im katholischen Mittelalter auf den Index kommen, weil die hat etwas gezeigt, was hier ja schon immer Arbeitshypothese war. Und zwar ist es so: Jemand, der genesen ist von einer echten Covid-Infektion, hat einen wesentlich besseren Immunschutz als jemand, der geimpft wurde. Und zwar: Es kommt sowohl seltener zur Infektion – da ist der Unterschied, der Faktor ungefähr 13, den sie gemessen haben. Also, 13-mal so selten sind die Infektionen. Als auch: Der Effekt hält länger an. Und wir wissen ja weiterhin, dass Richtung neue Varianten der Schutz sowieso etwas breiter ist. Das soll jetzt bitte – und so wird es auch von meinen Kollegen dann so ein bisschen, sage ich mal, spaßig immer kommentiert: Das ist keine Aufforderung, Corona-Partys zu veranstalten wie früher die Masernpartys, weil es immer noch – muss man ganz klar sagen – viel gefährlicher ist, Corona zu kriegen, als sich gegen Corona impfen zu lassen. Aber trotzdem heißt es: Letztlich alles, was der Mensch erfindet, (...) und seien es noch so tolle Impfstoffe, das Neueste vom Neuen, Hightech-Zeug, RNA-Impfstoffe: Unsere natürliche Immunantwort ist am Ende des Tages eben beim Homo sapiens seit vielen hunderttausend Jahren und beim menschenähnlichen Wesen so seit über einer Million Jahre mit diesen Erregern beschäftigt. Bei Wirbeltieren – das Ganze stammt ja ursprünglich von den Vertebraten – weiß ich nicht, ich glaube 3 Milliarden Jahre, 2,5 oder 3, da bin ich jetzt gerade überfragt. Aber jedenfalls: Das Immunsystem ist uns wirklich in der Entwicklung weit voraus. Und alles, was wir erfinden, ist halt nicht so gut. Ja, ich meine, der Vogel fliegt ja auch irgendwie besser als das eine oder andere Flugzeug. Und deshalb heißt es: Unser Immunsystem ist immer noch besser und funktioniert wesentlich besser als die Impfung. Das ist in dieser Studie hier gezeigt worden. Und was heißt das praktisch gesehen? Das erklärt natürlich diese ganzen Experimente, die man gemacht hat, dass Leute, die jetzt einmal infiziert waren und danach noch geboostert wurden, dass die den allergrößten Vorteil davon haben. Einmal infiziert plus einmal geimpft ist quasi im

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Moment das Beste, was man kriegen kann, um sich gegen alle möglichen Varianten zu schützen.

53:33


Camillo Schumann


Der Druck auf die nicht Geimpften, der steigt. Ja, in Hamburg, hier gilt ja schon das 2G Optionsmodell. Restaurant-, Kneipenbesitzer oder Veranstalter, die können selber entscheiden, ob sie nur Geimpfte und Genesene mit entsprechendem Nachweis einlassen. In BadenWürttemberg ist das 2G-Modell auch in der Planung, allerdings nicht als Optionsmodell, sondern eher als Ultima Ratio, wenn wieder zu viele Menschen mit Covid-19 auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, meint zur 2G-Regel:

„Man muss aus ethischer Perspektive sagen, dass man natürlich sich wünscht, dass man bei 3G bleiben kann. Da ist mehr Teilhabe für alle, das ist aus ethischer Perspektive das Bessere. Aber natürlich darf man auch die Situation nicht ignorieren. Also, wenn die Situation wirklich wieder richtig bedrohlich wird, dass man Sorge haben muss, dass die Krankenhäuser ganz voll werden, dass so unheimlich viele Infektionen bei den Kindern stattfinden, dann ist eventuell tatsächlich möglich, darüber nachzudenken. Man muss also die milderen Mittel vorher ausgeschöpft haben. Die Situation muss das wirklich erfordern. Und man sollte sich natürlich angucken: In welchen Bereichen? Also, es gibt eben Unterschiede, ob das jetzt der Discobesuch ist oder der Behördengang.“

Herr Kekulé, was halten Sie denn vom 2G-Modell? Also, die nicht Geimpften sollen von den Genesenen und Geimpften getrennt werden. Macht das epidemiologisch Sinn?


Alexander Kekulé

Nein, das macht keinen Sinn. Man muss eben jetzt überlegen: Gibt es überhaupt Vorteile von 2G? 2G heißt ja letztlich – das ist der Gedanke, der dahintersteht, die Leute haben sich ja was dabei gedacht. Die sagen: Moment mal. So ein Getesteter, der mag ja relativ gut getestet sein. Wenn der Test keinen Fehler macht, ist der ja ähnlich ansteckend wie jemand – oder die Chance, sich anzustecken von dem, ist vernachlässigbar. Aber: Der kann ja selber infiziert

werden. Und da wir ja wissen, dass die Geimpften und die Genesenen – wir haben es gerade ausführlich besprochen – manchmal eben doch infektiös sind, könnten sich die Getesteten ja am Ende des Tages anstecken. Und aus dieser Überlegung heraus, würde ich mal sagen, das ist quasi das epidemiologische Argument, dass man sagt: Wir wollen die vor der Ansteckung schützen. Und da kommt vielleicht jetzt tatsächlich eine ethische Überlegung mit rein. Wir haben ja sonst in Deutschland eigentlich immer bei Gefahrenabwehr das Verursacherprinzip, das Gefährderprinzip. Wenn Sie im Auto sitzen und überfahren aus Versehen einen Hund, dann sagt man ja nicht: Was hat der Hund da gemacht auf der Straße? Sondern dann fragt man als Erstes: Sie hatten das Auto, Sie haben sozusagen das Gefährdungsinstrument unter Ihrer Kontrolle gehabt. Sie müssen aufpassen, dass sie keinen Hund überfahren, auch keine Kinder usw. Und hier ist es bisher auch immer so gewesen in dieser Pandemie, dass wir eigentlich die Gefährdung versuchen, auszuschalten oder die zu minimieren. Und wenn man jetzt sagt: Also, die Getesteten dürfen jetzt nicht mehr in die Kneipen gehen, weil wir sie selbst vor Infektionen schützen wollen. Das wäre ein ganz neuer Aspekt. Das wäre eine neue Runde, dass man die sozusagen selektiv in so eine Art Isolation schickt, weil: Die Gesellschaft will frei sein und die anderen sollen gefälligst zuhause bleiben. Also, das müsste man mal ethisch diskutieren, ob man diese Umkehr des Gefährdungsprinzips hier tatsächlich haben will. Epidemiologisch ist es so: Wir haben einfach, mal so grob gesagt, 20 % Risiko bei Genesenen und Geimpften, dass die doch positiv sind. Wahrscheinlich bei den Geimpften sogar ein Ticken höher, wie wir gerade gehört haben. Und 20 % ist auch die Falsch-NegativenQuote, irgendwo in dem Bereich von den Tests, sodass ich jetzt einfach mal sagen würde: Zunächst mal gibt es da keinen Unterschied an der Stelle. Im Gegenteil.

57:15


Camillo Schumann


Okay, ganz kurz, wenn ich Sie kurz mal unterbrechen darf. Also, die Wahrscheinlichkeit ist gleich groß, sich anzustecken von einem Geimpften, Getesteten und einem Genesenen. In etwa.

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Alexander Kekulé

Ja. Zumindest sind die Daten jetzt nicht geeignet, die wir bisher haben, um da weiter zu unterscheiden.


Camillo Schumann


Okay, das würde ja bedeuten, dass das 2G-Modell, wenn man das jetzt zur Grundlage nimmt, dann ja auch wider der Daten ist.


Alexander Kekulé

Ja, es widerspricht den Daten, weil: Es können sich ja auch bei 2G natürlich auch Geimpfte wieder anstecken. Deren Ansteckungswahrscheinlichkeit ist natürlich individuell viel geringer als bei nur negativ Getesteten, das ist klar. Aber aus meiner Sicht müsste man, um jetzt so eine Trennung zu machen – dass man jetzt wirklich sagt: Die Ungeimpften dürfen da nicht mehr mitmachen und die nicht Genesenen – dafür müsste man aus meiner Sicht wirklich knallharte Daten haben, dass das einen Vorteil bringt bezüglich des Schutzes der Risikopersonen in Deutschland. Aber wir sind ja in der Lage, wo sowieso nach den Erhebungen des Robert Koch-Instituts weit über 90 Prozent der Risikopersonen geimpft sind. Und wenn ich mir das jetzt so praktisch vorstelle: Es geht ja da in Hamburg, wo das wohl entwickelt wurde, wohl hauptsächlich darum, dass jüngere Leute irgendwie in die Kneipen gehen können im weitesten Sinn. Vielleicht habe ich da nicht alles auf dem Radar, was da eine Rolle spielt. Aber letztlich sind es ja Freiheiten für Leute, die jetzt nicht zu den Hochrisiko-Personen gehören. Und ich sehe nicht, wenn man das durchrechnen würde, mal überlegen würde: Wie groß ist eigentlich der Unterschied bezüglich der Epidemiologie, wenn jetzt in diesen Gruppen man die Getesteten mit reinlässt oder nicht? Macht das überhaupt einen Unterschied? Ich meine, da wird man keinen Unterschied rausrechnen können, außer, man macht irgendwelche ganz krassen Annahmen. Und auch das hängt eben alles wieder von der Inzidenz ab. Oder kurz gesagt: Ich sehe dafür keine epidemiologischen Belege, die das begründen würden. Ich sehe aber – genauso wie die Frau Buyx – hier doch eine ganze Reihe von grundsätzlichen Erwägungen, die sagen: Wir brauchen den Zusammenhang der Gesellschaft. Und für uns ist es gerade in dieser Phase der Pandemie, die jetzt

kommt, extrem wichtig, dass wir nicht auseinanderfallen – in jeder Hinsicht. Die einen sind Impfkritiker und die anderen sind geimpft. Die einen sagen: Ich nehme das Risiko in Kauf. Die anderen sagen: Ich nehme es jedenfalls für meine Kinder nicht in Kauf. Usw., usw. Da ist viel, viel Spaltungspotenzial drin. Und vielleicht sage ich noch was Drastisches zum Schluss: Alle Pandemien, also in der Vergangenheit, wenn man mal so guckt, die Geschichte der Pandemien von der Pest irgendwie über die Cholera: Es gibt immer, wenn Menschen unter so einem kollektiven psychischen Druck stehen – wie im Moment wir ja alle – gibt es immer das Bedürfnis, einen Brunnenvergifter zu finden. Das waren in den verschiedenen Zeiten verschiedene Gruppen, die man dann geoutet hat, wo man gesagt hat: Der war es. Ja, also, in der Cholera in England war es so, dass tatsächlich Ärzte umgebracht wurden vom Mob, weil man gedacht hat, die Ärzte haben diese Cholera uns gebracht, weil sie mehr Leichen für die Sektionen brauchen. Unglaublich. Aber solche Fake News sind dir damals auf den Leim gegangen, ganz ohne Internet übrigens. Und heute geht ja sowas viel effizienter mit den Fake News. Und deshalb warne ich einfach davor, dass man jetzt in eine Situation kommt, wo dann alle sagen: Ja, du bist ungeimpft, du bist schuld daran, dass wir noch Quarantänemaßnahmen haben. Und, dass man sozusagen hier den modernen Brunnenvergifter wiederhat, der dann auch als Ventil gilt, umfunktioniert, um diesen ganzen angestauten Frust und Aggressionen abzulassen, die man natürlich hat durch diese Maßnahmen. Also: Man muss einfach sehen, wie viel Druck im Kessel ist, sozial bei uns, und das mit in die Waagschale werfen, wenn man überlegt, jetzt sozusagen eine Zweiklassengesellschaft, 2G oder 3G, aufzumachen.

01:01:11


Camillo Schumann


Wir kommen noch zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Dame hat angerufen. Sie und ihr Mann würden gern in den Urlaub fahren:

„Mein Mann ist 93, ich 78. Wir sind zweimal geimpft und wir wollten jetzt eine Woche noch an den Wörthersee gehen in ein Hotel am Ufer, was sehr weitläufig ist. Also, man sitzt nicht eng aufeinander. Dort ist keine Maskenpflicht

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mehr im ganzen Haus, aber die Leute sollen laut Rezeption jeden zweiten Tag getestet werden. Halten Sie das für riskant in dem hohen Alter? Oder kann man das vertreten?“


Alexander Kekulé

Das kann man auf jeden Fall vertreten, aus meiner Sicht. Also, der ganze Sinn, dass wir uns geimpft haben, ist ja der, dass wir wieder, sage ich mal, vernünftig leben wollen. Und das individuelle Risiko, schwer zu erkranken oder dran zu sterben an der Erkrankung, ist nach der Impfung einfach extrem gering. Und dieses Restrisiko, wenn ich es mal so nennen will, wenn wir das nicht in Kauf nehmen, dann hat die ganze Impfung ja keinen Sinn gehabt.

01:02:17


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 213. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis dann, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage und wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Hören Sie doch mal in einen anderen Podcast von MDR aktuell rein, z.B. kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. Und in der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 28. August 2021 #212: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 28. August 2021

Wieso sind Impfstoffe für alle gleich dosiert?

Wann kommt denn nun der Protein-Impfstoff von Novavax?

Stimmt es, dass eine Impfung mit mRNAImpfstoffen eine bereits bestehende Infektion verstärken kann?

Wieso werden Testergebnisse vorhergesagt?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:37


Camillo Schumann


Frau T. hat angerufen. Sie treibt schon lange eine Frage um. Es geht um die Dosierung der Impfstoffe:

„Neulich habe ich von der Kinderärztin erfahren, dass generell alle Impfstoffe gleich dosiert sind. Und da bin ich aus allen Wolken gefallen und ich begreife es schlichtweg nicht. Ich verstehe es einfach nicht, warum es nicht halbiert oder reduziert wird.“

Frau T. hat auch noch dazu gesagt, dass sie eine zierliche Frau ist. Sie wiegt weniger als 50

Kilo. Und deshalb treibt sie eben genau diese Frage nach der Dosierung um. Also: Warum wird für alle gleich dosiert, wenn ja auch die Wirkung bei geringerer Dosierung vielleicht sogar besser sein kann?


Alexander Kekulé

Ja, also, es wird tatsächlich bei Impfstoffen – zumindest soviel ich weiß – nicht nach Körpergewicht des Patienten dosiert. Wahrscheinlich ist der Grund dafür, dass das Immunsystem von Mensch zu Mensch einfach deutlich unterschiedlich reagiert. Da sind genetische Variationen drin, die wir zum Teil gar nicht verstehen. Aber es gibt auch viele, wo wir wissen, dass es bestimmte genetische Merkmale gibt, die dazu führen, dass manchmal die Impfreaktion besser ist, manchmal schlechter. Übrigens dann auch verteilt: Manchmal besser gegen Viren, manchmal besser gegen Pilze. Und dieses Spektrum ist so breit, dass es auf den Unterschied, den da das Körpergewicht macht – was weiß ich, zwischen 40 und 400 Kilo, oder was die Menschen so wiegen – das ist dann relativ gesehen nicht so wichtig. Darum hat man davon Abstand genommen, das bei Erwachsenen zu differenzieren. Was es natürlich schon gibt, sind spezielle Impfstoffe für Kinder, weil man da zum Beispiel bei der Dosierung des Adjuvans, also des Wirkverstärkers, natürlich anders vorgeht, damit die Kinder da nicht einen dicken Arm kriegen, ohne, dass es notwendig ist nach der Impfung. (...) Manchmal springen die Kinder besser an, je nach Alter. Manchmal muss man es übrigens auch höher dosieren, weil bei Kindern das Immunsystem nicht so gut entwickelt ist. Und wenn man dann will, dass dann schnell ein Immunschutz entsteht, dann muss man sich was ausdenken, wie man das bei Kindern sozusagen aktiviert bekommt. Also: Für Kinder gibt es durchaus eigene Impfstoffe, aber es ist in der Tat so, dass jetzt nach Körpergewicht bei Erwachsenen da keine Unterschiede gemacht werden.

02:50


Camillo Schumann


Aber es ist ja in der Diskussion, dass eine verringerte Dosis auch einen besseren Erfolg haben kann. Und somit ist die Frage ja durchaus

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nachvollziehbar, jetzt unabhängig vom Körpergewicht.


Alexander Kekulé

Ja, das wird in den Dosisfindungsstudien gemacht. Also, das gibt es ja bei jedem Impfstoff – genau wie bei anderen Medikamenten auch. Da gibt es diese Phase-II-Studien. Da hat man eine kleine Zahl von Probanden mit unterschiedlichen Dosierungen. Und da guckt man schon: Wo ist die Dosis am besten? Also, dass jetzt eine geringere Dosierung direkt deutlich besser wirkt als eine höhere ist eher exotisch. Aber man sieht so einen Sättigungseffekt, dass es dann nichts bringt, mehr zu geben auf jeden Fall. Und das kann man genauer machen oder nicht so genau. Und bei den Covid-Impfstoffen ist das natürlich – muss man ganz klar sagen – unter sehr großem Zeitdruck gemacht worden. Und auch dann danach, nachdem man diese Phase-II hatte, hat man einfach mit dieser Dosierung weitergemacht. Da gibt es durchaus Fachleute, die eben sagen, man könnte insbesondere bei Kindern jetzt mal überlegen, ob man die Dosis halbiert. Auch sogar im Hinblick auf die Versorgung der ärmeren Länder, dass die auch Impfstoffe kriegen, dass man einfach eine kleinere Dosis gibt. Das Problem ist nur: Das ist relativ schwierig dann, mit der geringeren Dosis einen – wie soll ich sagen? Sie müssen ja dann auch wieder einen Wirknachweis haben. Und Sie wollen nicht die ganze Zulassungsstudie mit 40.000 Probanden nochmal wiederholen. Geht auch gar nicht, weil es nicht so viele Regionen gibt, wo Covid noch so grassiert, dass man das machen könnte. Und es wäre schlecht für die Hersteller, weil durch Delta dann wahrscheinlich die Wirksamkeiten deutlich schlechter werden als in den ursprünglichen Studien. Darum ist das dann schwierig: Mit was will man es vergleichen? Wie macht man das genau? Braucht man Surrogat-Marker, wie die heißen? Also, dann quasi anhand von Parametern, die man im Blut bestimmt, muss man dann feststellen, wie gut der Impfstoff wahrscheinlich wirkt. Und diese ganze Mühe macht man sich im Moment nicht, weil wir ja gerade eine Pandemie bekämpfen. Wir machen ja sozusagen jetzt hier eher die grobe Arbeit und nicht so das Feintuning.

04:47


Camillo Schumann


G. aus Augsburg hat angerufen. Er und seine Frau wollen sich impfen lassen, allerdings nicht mit den gängigen Impfstoffen von BioNTech oder Moderna:

„Und zwar würden ich und meine Frau uns gerne mit einem proteinbasierten Impfstoff impfen lassen, wie Novavax. Und ich wollte einfach fragen, wie da der Status ist? Also, im Oktober wollten wir eigentlich fertig sein mit dem kompletten impfen. Und ich wollte einfach wissen, ob sich das überhaupt lohnt, so lange zu warten? Oder die zweite Frage ist, ob man das vielleicht dann auch über Kreuz machen kann? Also, der Booster zum Beispiel mit Novavax? Danke, tschüss.“

Tja, vielleicht erstmal der Stand Novavax?


Alexander Kekulé

Ja, Novavax ist eines von, ich glaube, drei jetzt nicht RNAoder Vektorimpfstoffen, der in der Entwicklung ist. Das ist ja so ein Impfstoff, der eben ein künstlich hergestelltes Protein, zusätzlich einen Wirkverstärker enthält. Also, die wissenschaftlichen Daten bei Novavax sehen super aus. Also, der ist super wirksam, ist auch sehr, sehr intelligent gemacht worden. Und das ist ja schon lange im sogenannten Rolling Review bei der EMA. Also, seit Anfang Februar werden die Daten parallel zu den klinischen Studien zur Europäischen Arzneimittelbehörde geschickt, sodass die quasi schon mal vorbereitet ist für die Zulassung und das dortige Komitee, das sich das anschaut. Das sogenannte CHMP. Das ist das Committee for Medicinal Products for Human Use. Und dieses Komitee schaut sich kontinuierlich die Daten an und spricht auch mit dem Hersteller, wenn sie sagen, das und das brauchen wir noch, um quasi dann, wenn die echte Zulassung beantragt wird, schnell zu sein. Aber: Bei der WHO haben sie auch angekündigt, dass sie jetzt im August einen Antrag stellen wollen. Ist, glaube ich, noch nicht passiert. Aber das Problem ist: Dieser Novavax-Impfstoff hat Produktionsprobleme, hauptsächlich in den USA. Also, die haben regelrecht Streit mit der FDA, mit der Zulassungsbehörde. Die FDA wirft Novavax vor, dass die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben bei der Verbesserung der Produktionsbedingungen. Da gab es Schwierigkeiten. Das ist

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so eine kleine Firma aus Maryland, die bis jetzt noch kein Produkt hatte. Und naja, das sind halt so Wissenschaftler und das, sage ich mal, Scaling-Up – also, Hochfahren auf industriellen Produktionsmaßstab – und ganz zu schweigen von der Distribution hinten, das scheint für die so ein bisschen Neuland zu sein. Und der Kontakt mit den Behörden läuft auch nicht so gut. Sie wissen ja, dass die anderen Hersteller, die kleinen Hersteller – ja, BioNTech ist ein gutes Beispiel – die haben sich halt dann Pfizer als Partner gesucht. Und CureVac in Tübingen hat sich jetzt Bayer als Partner gesucht. Und da gibt es viele solcher Beispiele. Und Novavax hat das bisher noch nicht. Also, wahrscheinlich wird es in die Richtung gehen, dass die sowas brauchen oder selber nochmal so viel Geld in die Hand nehmen müssen, dass sie sich da verbessern. Lange Rede, kurzer Sinn. Obwohl übrigens auch Anfang August die EU erstmal auf Verdacht 200 Millionen Dosen von denen sich reserviert hat, glaube ich, dass es dieses Jahr nichts mehr wird mit dem Impfstoff. Also, der wird nicht dieses Jahr auf den Markt kommen. Irgendwann, wahrscheinlich im ersten Halbjahr nächsten Jahres. Dann gibt es noch zwei weitere Namen, die der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind. Nicht, dass es hier wie Schleichwerbung aussieht. Sanofi Pasteur, der zweite Impfstoff. Die haben ja auch so einen Protein-, einen sogenannten Subunit-Impfstoff heißt das in dem Fall. Also, einen Untereinheiten-Impfstoff. Das ist letztlich das S-Protein vom Coronavirus. Auch ein Adjuvans, ein Wirkverstärker dabei. Die haben das Rolling Review jetzt gerade im Juli, 20. Juli, angekündigt, gestartet bei der EMA. Also, sind ein bisschen später dran. Und da ist es so: Die haben jetzt ein verbessertes Produkt. Die hatten vorher so eine Variante, die ja bekanntermaßen nicht so richtig funktioniert hat. Und jetzt haben sie es verbessert. Da sehen die Phase-II-Daten eigentlich sehr gut aus und jetzt starten also diese Phase-III-Untersuchungen mit einer größeren Zahl von Probanden und das wird parallel dann eben jetzt schon zur Vorbereitung des Zulassungsverfahrens eingereicht. Würde mich nicht wundern, wenn Sanofi Pasteur – das ist jetzt nun eine große Pharmafirma, die auch sehr, sehr viel Erfahrung mit Impfstoffen hat in Frankreich – würde mich nicht wundern, wenn

die jetzt so rein von der Reihenfolge der Zulassung Novavax noch überholen, obwohl sie hier eigentlich später dran waren. Und das allerletzte ist dann Valneva. Das ist eine Firma aus Frankreich, eine kleine, die kannte ich vorher jetzt nicht. Die hat sich auch erst kürzlich gebildet aus einer Fusion mit einer österreichischen Firma. Und die haben so einen Ganzvirus. Also, so der ganz klassische Ansatz: Man nehme ein Virus, man mache irgendwas Chemisches oder sonst Unangenehmes für das Virus, dass das Virus mehr oder minder tot ist und nicht mehr gefährlich. Und das spritzt man dann als Impfstoff – in dem Fall auch zusammen mit einem Adjuvans. Und die haben das Rolling Review jetzt nicht bei der EMA beantragt, sondern im Vereinigten Königreich. Die sind ja, wie man weiß, nicht mehr in der EU. Darum kann man das da jetzt ganz separat beantragen. Und ganz aktuell am 23. August ist das gemacht worden. Das sind die drei Kandidaten. Ja, also könnte sein, dass Sanofi Novavax von der Reihenfolge noch überholt. Von den vorklinischen Daten oder klinischen Daten sieht Novavax am besten aus. Aber leider müssen wir damit rechnen, dass es Anfang nächsten Jahres wird, bis irgendeiner von denen zur Verfügung steht. Und ja: Falls die dann da sind, könnte man damit auch boostern, auch eine dritte Impfung obendrauf setzen.

10:11


Camillo Schumann


Herr G. hat gemailt. Er schreibt:

„Ich arbeite im Krankenhaus in Norwegen. Jetzt steigen hierzulande die Fallzahlen. Der Impfungsgrad unserer Angestellten ist sehr hoch, aber es gibt immer wieder Fälle bei Angehörigen der Angestellten oder bei den Angestellten selber. Ich fragte meinen Chef, ob wir der Einfachheit halber nicht Schnelltests einführen können. Und zur Antwort bekam ich die Frage: Was ist der prädiktive, der vorhergesagte Wert eines positiven oder negativen Testresultates?“

Tja, und jetzt will er natürlich wissen: Wie hängt das eigentlich zusammen?

„Test ist doch Test. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Naja, das ist jetzt so eine Frage für Medizinstudenten, so ein bisschen. Prädiktiver Wert, also der prädiktive oder auch Vorhersagewert, da

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gibt es zwei Vorhersagewerte. Den positiven Vorhersagewert und den negativen Vorhersagewert. Der gibt quasi an, wenn ich jetzt jemanden habe, der in einem Test – egal, ob das eine PCR oder ein Schnelltest oder irgendwas ganz Anderes war – zum Beispiel positiv war: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Person, der Patient dann wirklich positiv ist? Also, nicht nur, dass der Test technisch richtig funktioniert hat, sondern dass die Person wirklich ein positives Ergebnis hat. Und das hängt interessanterweise statistisch nicht nur mit dem Test zusammen – nach der Methode Test ist Test – sondern das hängt damit zusammen, wie häufig diese Erkrankung oder dieses Phänomen, was man da testen will – in dem Fall eben das Virus – in dem Moment in der Bevölkerung ist. Wenn Sie sehr, sehr viele Menschen haben, die mit so einem Virus rumrennen und Sie haben einen Test, der eigentlich nicht so gut ist – jetzt rein labormäßig – und Sie sagen: Okay, ich habe hier ein positives Ergebnis. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das richtig war, natürlich höher – auch, wenn der Test ein bisschen schlecht war. Also, wir sagen dann Sensitivität und Spezifität vielleicht nicht so gut. Da ist die Wahrscheinlichkeit natürlich höher, als wenn Sie jetzt einen rausziehen aus einer Situation, wo Sie wissen: Das ist eine Nadel im Heuhaufen. Und wenn Sie dann einen schlechten Test haben, um eine Nadel im Heuhaufen zu suchen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, wenn der positiv anspringt, dass das stimmt, eben geringer. Das sagt dieser positive Vorhersagewert aus. Und bei dem negativen Vorhersagewert ist es umgekehrt. Also, kurz gesagt: Es kommt darauf an, wie hoch zu dem bestimmten Zeitpunkt die Inzidenz ist – jetzt, um auf Covid zu sprechen zu kommen. Und das ist ja der Grund. Die Diskussion ist deshalb interessant, die hatten wir vor einem Jahr ungefähr oder noch länger als ein Jahr. Letztes Jahr, so im März, April. Da habe ich immer gesagt: Wir brauchen unbedingt die AntigenSchnelltests. Weil wir die brauchen, um unsere Pandemie in den Griff zu kriegen. Und da haben meine Kollegen hier in Deutschland – auch sehr namhafte Kollegen – gesagt: Das ist Quatsch, weil die sind technisch gesehen so schlecht, die machen oft falsch-positive oder manchmal falsch-positive und öfter sogar

falsch-negative Ergebnisse. Und diesen Kollegen habe ich dann – auch öffentlich – ja immer zu erklären versucht, dass das eben, wenn man eine hohe Inzidenz hat, eben nicht so sehr darauf ankommt. Also, bei einer hohen Hintergrundaktivität in einer Pandemie kommt man mit einem Test, der sonst eigentlich durchfallen würde, sehr, sehr weit, weil man da eben trotzdem bei denen, die dann positiv sind, eine hohe Wahrscheinlichkeit hat, dass das stimmt.

13:26


Camillo Schumann


Aber trotzdem ist doch ein positiver ein positiver und ein negativer ein negativer.


Alexander Kekulé

Ja, der Test selber ist positiv. Die Frage ist nur: Ist der Patient auch positiv? Also, hat der Test das Richtige nachgewiesen? Das eine ist der Labornachweis. Das heißt also, ich stelle fest: In meinem Labor ist der Test positiv, weil die Maschine das so ausgespuckt hat. Oder bei den Tests, die heutzutage jeder machen kann, gibt es auch diese blauen Banden oder roten Banden. Und wenn da zwei Banden sind, dann ist es positiv. Das ist sozusagen technisch-positiv. Aber die Frage ist ja jetzt: Was sagt diese Bande, dieser technisch-positive Wert, darüber vorher – so ist das Wort leider in dem Fall verwendet – ob der Patient auch wirklich positiv ist? Das eine ist das, was ich vor mir habe als Befund. Und das andere ist die Frage: Stimmt das auch bezüglich des Patienten? Also: Ist es die Wahrheit quasi, was ich da feststelle? (...) Ich habe es gerade schon gesagt: Für Medizinstudenten ist es manchmal schwierig. Und leider ist es auch bei Fachkollegen so, dass man manchmal Monate braucht, um ihnen das einzubläuen. Sie wissen: Irgendwann im September, Oktober war es dann so, dass die Meinung sich durchgesetzt hat, dass die Schnelltests doch sinnvoll sind. Das ist nicht ganz einfach, das Thema. Aber es ist wirklich so: Genau der gleiche Test ist manchmal zuverlässiger und manchmal weniger zuverlässig. Je nachdem, aus welcher Bevölkerungsgruppe ich den rausgezogen habe – also, wie häufig dort das Virus, was ich da testen wollte, überhaupt ist.

14:57


Camillo Schumann


Okay. Um das jetzt abschließend noch zu klä-

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ren: Um jemanden jetzt in Quarantäne zu schicken, braucht man ja einen positiven Test. Jetzt ist natürlich die Frage: Worauf stützt man sich? Ist das dann eine Kombination aus beidem?


Alexander Kekulé

Also, wenn der Test positiv ist, dann kommen bei uns die Leute in Quarantäne. Weil: Schlaue Epidemiologen und Laborärzte, Virologen haben eben ausgerechnet, dass die Tests, die bei uns zugelassen sind – das RKI hat ja eine Liste von Tests aufgestellt, die dafür geeignet sind – dass die gut genug sind, dass man diese Konsequenz ziehen darf. Natürlich ist es so, dass ein Teil derer, die da positiv getestet wurden – sogar mit der PCR, auch da ist es ein ganz kleiner Anteil, aber natürlich, die meisten haben nur einen Schnelltest gemacht – ein Teil derer ist natürlich in Wirklichkeit gar nicht Corona infiziert zu dem Zeitpunkt, weil der Test Murks gemacht hat. Die kommen dann erstmal trotzdem in Quarantäne. Ja, so ist das. Das ist einfach die Unschärfe, die so eine Regelung hat. Es ist ja auch irgendwie ein Notfallprogramm, das Ganze. Und man hat eben hier Tests, die ausreichend zuverlässig sind, nach Beurteilung des Robert Koch-Instituts. Aber dass es da sozusagen so einen kleinen Verschleiß gibt von Leuten, die zum einen in der Quarantäne waren, ohne dass sie wirklich Covid hatten oder umgekehrt – was wahrscheinlich häufiger der Fall war – Leute, die im Test negativ waren, nicht in die Quarantäne mussten, dann aber schön in die Disco durften oder sonst wo hin, was dann die Voraussetzung war, oder zum Friseur oder wann auch immer man diese Tests machen musste. Die gibt es natürlich auch. Ja, es gibt in beiden Richtungen da Fehler, die vorkommen. Und wie häufig dieser Fehler ist, das hängt eben davon ab, wie häufig das Virus vorhanden ist. Übrigens, auch das ist ein weiterer Grund. Wir haben ja in der vorletzten Folge darüber diskutiert: Brauchen wir die Inzidenz weiter? Die Inzidenz braucht man ganz dringend, um eben festzustellen, wie für einen Test mit bestimmten Qualitäten der positive und der negative Vorhersagewert ist.

17:01


Camillo Schumann


Gut. Das haben wir jetzt abschließend bespro-

chen. Wir können da jetzt schlecht so ein Medizinstudium hier in 20 Minuten mal eben runterreißen. Aber nichtsdestotrotz: Zumindest, Herr G., haben wir Ihnen jetzt ein paar Erklärungen geliefert, die dann hoffentlich ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht haben. Wenn nicht: Schreiben Sie einfach nochmal. Herr V. hat gemailt. Er schreibt:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, vielleicht können Sie mich argumentativ unterstützen. Bei einer Diskussion unter Kollegen kam ich – als Impfbefürworter – mit meinen Argumenten richtig ins Schleudern, als ich mit dem unten angeführten Video konfrontiert wurde.“

Er hat da einen Link zu diesem YouTube-Video mitgeschickt. Ich habe mal einen Teil jetzt hier als O-Ton. Sie haben sich das Video angeschaut und dann können Sie ja mal sagen, was Sie davon halten.

„Nach der Verabreichung der aktuell zugelassenen mRNAund viralen Vektorimpfstoffe gegen Covid-19 könnte es gemäß einer aktuellen Studienveröffentlichung durch infektionsverstärkende Antikörper zu einer Verstärkung der Infektion kommen, wenn eine Infektion mit der mittlerweile dominierenden Delta-Variante stattfindet. Sollten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von YouTube zusehen, die erwägen, dieses Video zu löschen, ersuche ich, davon Abstand zu nehmen. Die Löschung einer korrekten Wiedergabe wissenschaftlicher Studienergebnisse – wie in diesem Video – wäre die eigentliche medizinische Falschinformation.“

Ja, das Video geht 10 Minuten. Ich habe jetzt nur mal einmal die beiden markantesten Stellen – Anfang und Ende – genommen. Sie haben es sich angeschaut. Welche Argumente können Sie denn dem Herrn V. da jetzt liefern?


Alexander Kekulé

Ja, also, erstens muss man sagen: Dieser Videoblogger – da sind ja schon öfters Fragen zu dem gekommen – das ist jemand, der extrem erfolgreich ist, indem er Angst schürt vor den Impfstoffen. Und wie ich finde, mit nicht lauteren Mitteln. Er fasst immer so einzelne Daten zusammen und erklärt dann so im Brustton der Überzeugung – und ich glaube, er ist auch noch Biologe dazu – erklärt er dann, dass das alles wissenschaftliche Studien seien. Ich kann nur davor warnen, quasi, diesen, sage ich mal,

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letztlich Fehlinformationen – zumindest der Interpretation im Internet – zu folgen. Wir haben ja schon so andere Beispiele in dieser Richtung besprochen und es ist, glaube ich, wichtig, mal drüber zu reden. Also, was er anspricht, ist das Thema antibody-dependent enhancement – ADE heißt das. Also, das ist eine quasi antikörpervermittelte Immunverstärkung. Und das ist eins der vielen Argumente, die die Kritiker dieser Impfstoffe ja immer wieder bringen. Es gibt noch ein paar andere. Ich weiß nicht, ob er die anderen alle in seinem YouTube-Video dann nochmal angesprochen hat. Aber letztlich ist das so: Ganz am Anfang, als es überhaupt losging mit dieser Impfstoffdiskussion, haben wir darüber gesprochen und ich muss es an der Stelle sagen: Ich habe es auch in meinem Buch ausführlich beschrieben, dieses Phänomen und warum man darüber nachdenken muss, aber, dass es bisher keine Hinweise darauf gibt. Wir wissen, dass das manchmal vorkommt, dass Menschen, die Antikörper gegen ein bestimmtes Virus haben, plötzlich, wenn ein ganz Ähnliches – nicht genau das gleiche – Virus kommt, sondern ein ganz ähnliches Virus kommt, paradox reagieren. In dem Sinn, dass die Antikörper, die dann sich drankleben an dieses Virus, aber unvollständig letztlich handeln nur – also, unvollständig nur wirken – dass die die automatische Bremse des Immunsystems außer Kraft setzen. Jede Immunantwort läuft ja erstmal los und wird dann irgendwann wieder abgebremst. Und dieses Abbremsen funktioniert da nicht so richtig – dadurch, dass alte Antikörper da sind, die nicht genau passen. Und dadurch kommt es dann zu, wie wir sagen, fulminanten, blitzartigen Verläufen, wo alles viel schlimmer wird. Berühmt dafür ist das Dengue-Fieber. Das ist eine Erkrankung, wo es mindestens vier Subtypen gibt. Und da war es ebenso: Früher in Brasilien gab es immer einen Subtyp, den anderen gab es in Asien. Und das Dengue-Fieber – das sogenannte Tropenfieber – war immer eine harmlose Krankheit. Die ganzen alten Tropenärzte kannten das und wussten: Naja, das kann man sich holen, da muss man eben Tonic Water oder von mir aus Gin Tonic trinken und Chinin und sowas, dann wird das schon alles wieder gut. Praktisch jeder Tropenarzt hatte das mal. Und plötzlich entwickelte sich dieses Den-

gue-Fieber – insbesondere bei Kindern – zu einer Erkrankung, die superschnell tödlich verlief. Hämorrhagisches Fieber, so ähnlich wie Ebola, wo die dann bluten und es ihnen ganz schlecht geht. Und da hat man rausgekriegt: Der Grund ist, dass ein anderer Typ von diesem Dengue-Virus importiert wurde nach Brasilien – und zwar der asiatische. Und die zweite Infektion mit dem asiatischen war das Problem. Wenn man als Kind das brasilianische abgekriegt hat und dann ein paar Jahre später nochmal mit dem asiatischen, dann hat man plötzlich – nicht immer, aber manchmal – diese Überreaktion bekommen. Und das waren eben diese Antikörper gegen das ursprüngliche Virus. Diese Angst oder die Befürchtung, dass das bei den Covid-Vakzinen passieren könnte, stand bei den Leuten, die das entwickelt und verfolgt haben, von Anfang an im Raum. Alle haben da draufgeguckt. Wir haben hier im Podcast damals auch drüber gesprochen. Es könnte sein, dass es so eine Überreaktion gibt, vor allem in folgender Situation: Zuerst infiziert – dann hat man ein ganzes Potpourri von Antikörpern im Blut dagegen – und dann kommt später die Impfung. Und was macht dann der Impfstoff bei den Infizierten? Kommt es vielleicht zu diesen Hyperimmunreaktionen? Zu dieser antikörpervermittelten Überreaktion? Und die Antwort ist: Nein. Es ist nie beobachtet worden. Es ist in allen Studien darauf geachtet worden. Jeder wusste, dass das möglich ist. Man hat solche Hinweise darauf, dass das möglich ist, auch bei SARS und bei MERS gehabt. Also, bei SARS – 2003 ein sehr, sehr ähnliches Virus – und MERS, dieses Middle East respiratory syndrome. Das ist das, was von den Kamelen auf den Menschen übertragen wird, auch so ein Coronavirus, was ganz ähnlich ist wie SARS-CoV-2. Und bei beiden hat man solche Phänomene beobachtet in Einzelfällen, oder zumindest Hinweise darauf gehabt. Darum waren alle auf Hab-Acht-Stellung, um zu gucken. Und die Antwort ist: Es ist wirklich nicht gefunden worden. Wir hatten alle die Befürchtung, dass es passieren könnte. Die Antwort ist aber: Nein. So, und jetzt aktuell die Studie, die jetzt dort angesprochen wurde, die habe ich mir angeschaut: Das ist eine reine sogenannte Molecular Modelling Studie. Also, das hat überhaupt nichts mit Experimenten in dem Sinne zu tun, sondern da hat sich jemand – eine seriöse

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Arbeitsgruppe vom Inserm in Marseille, also einer französischen Großforschungseinrichtung – die haben sich am Supercomputer mal angeschaut: Wie sehen eigentlich die Antikörper aus, die da theoretisch generiert werden gegen Sars-CoV-2? Und wäre es möglich, dass durch eine Variation von Sars-CoV-2 – insbesondere dann durch eine Variante von dem Wuhan-Typübergang zu Delta – wäre es möglich, dass da dann Antikörper entstehen, die auch das Potenzial hätten, so eine antikörpervermittelte Verstärkung zu machen? Und die haben gesagt, dass sie aufgrund ihrer Computersimulation darauf Hinweise finden, dass das grundsätzlich möglich wäre. Und mehr ist es nicht. Also, die sagen: Es wäre grundsätzlich möglich. Überrascht mich überhaupt nicht, dass das grundsätzlich möglich ist, weil: Wir wissen ja, dass es das bei SARS und bei MERS gibt. Aber da muss ich dann sagen, wenn dann einer sagt – Prinzip Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Das ist mir zu wenig, um jetzt irgendwie Angst zu haben davor, wenn ich wirklich hunderte Millionen von Menschen habe, die geimpft wurden und wo das nie aufgetreten ist und nie beobachtet wurde, obwohl jeder weiß, dass das sozusagen als Gefahr irgendwie auf der Liste stand. Und darum finde ich es ein bisschen unseriös, jetzt daraus eine Welle zu machen. Der Autor dieses Video-Podcasts hat da schon öfters irgendeinen ähnlichen Unsinn verbreitet.

24:53


Camillo Schumann


Also, Herr V.: Da können Sie als Argumentationshilfe den Podcast Nummer 212 anführen im Gespräch dann mit ihren Kollegen. Kommen wir zur nächsten Frage. Frau S. hat gemailt. Sie schreibt:

„Unsere Tochter wird bald ein Jahr alt und soll Mitte September ihre erste Masern-Mumps-Röteln-Impfung bekommen. Da sie leider noch nicht sehr gut isst, stille ich noch recht häufig. Ich möchte mich nach einiger Recherche trotz Stillens gegen Corona impfen lassen und frage mich, ob ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen meiner Corona-Impfung und der MasernMumps-Röteln-Impfung meiner Tochter erforderlich ist? Welchen Impfstoff würden Sie in der Stillzeit bevorzugen?“

Also, nicht Sie, Herr Kekulé, sondern die Frau S.

„Oder ist das irrelevant? Vielen Dank für Ihre Mühe. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Danke für den Hinweis mit der Stillzeit.


Camillo Schumann


Gerne.


Alexander Kekulé

(...) Ja, also, erstens: Man kann während der Stillzeit tatsächlich impfen. Die Frau S. hat sich ja da schon nach der entsprechenden Recherche dafür entschieden. Das kann man nochmal bestätigen. Es ist so, dass die Daten inzwischen eindeutig sind. Also, stillende Mütter dürfen sich impfen. Hat wahrscheinlich sogar Vorteile für das Kind, weil die entstehenden Antikörper auch mit der Muttermilch zum Teil übertragen werden. Und es gibt überhaupt keinen Grund, das irgendwie zu korrelieren mit der MasernMumps-Röteln-Impfung der Tochter, weil: Wenn da was übertragen wird, sind es eben nur die Antikörper, die passiv übertragen werden. Und die stören quasi die Immunantwort des Kindes dann gegen die MMR-Impfung. Das ist ja eine Lebendvakzine – das sind also richtige Viren, die da gespritzt werden. Die Immunantwort wird da überhaupt nicht gestört, indem man passiv Antikörper überträgt. Es wäre ein bisschen was Anderes, wenn man jetzt zugleich gegen was Anderes impfen würde. Das Immunsystem muss sich dann unter Umständen auf zu viele Sachen zugleich konzentrieren. Da muss man immer ein bisschen aufpassen, dass da keine Überforderung eintritt. Aber hier mit der Übertragung von Antikörpern durch die Muttermilch, die also dann übertragen werden, weil die Mutter gerade geimpft wurde gegen SARS-CoV-2, da gibt es überhaupt keine Komplikationen. Welchen Impfstoff? Also, ich halte die RNA-Impfstoffe für besser und für zuverlässiger als die Vektorimpfstoffe. Insbesondere ist es ja so, dass bei uns der AstraZenecaImpfstoff doch die eine oder andere problematische Seite hat. Darum würde ich einen RNAImpfstoff empfehlen. Man kann vielleicht noch den Hinweis geben – Vergleich Moderna und BioNTech: Da ist es so, dass der BioNTechImpfstoff etwas weniger reaktogen ist. Also, das ist ja keine Nebenwirkung, sondern einfach so der Effekt, der nach der Impfung auftritt. Häufig sind es so lokale Rötungen oder Schwellungen oder Schmerzen. Ein ganz bisschen, der

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Unterschied ist minimal, aber ein bisschen weniger ist es bei BioNTech. Das heißt, wenn man es jetzt unbedingt optimieren würde, ohne dass das irgendwas mit Werbung für diese Firma zu tun hat, würde ich wahrscheinlich den BioNTech-Impfstoff nehmen. Aber Moderna ist auch gut, wenn man das gerade zur Hand hat.

28:00


Camillo Schumann


Tja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 212 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am Dienstag, den 31. August wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Dienstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostet nichts: 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 26. August 2021 #211


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Kardiale Manifestationen bei COVID-19-Patienten: Ein Fokus auf die pädiatrische Population (17.07.2021)

https://doi.org/10.1155/2021/5518979

Myokarditisrisiko durch COVID-19-Infektion bei Menschen unter 20 Jahren: Eine bevölkerungsbasierte Analyse (27.07.2021)

https://doi.org/10.1101/2021.07.23.21260998

ZOE-Covid-Studie

Is COVID vaccine protection fading? (joinzoe.com)

CDC-Studie: Neue COVID-19-Fälle und Krankenhausaufenthalte bei Erwachsenen nach Impfstatus (27.08.)

https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7034e1.htm?s_cid=mm7034e1 _w

CDC-Studie: Wirksamkeit von Pfizer-BioNTechund Moderna-Impfstoffen bei Bewohnern von Pflegeheimen vor und während der weit verbreiteten Verbreitung der Delta-Variante (24.08.)

https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7034e3.htm?s_cid=mm7034e3 _w

CDC-Studie: Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen vor und während der Vorherrschaft der Delta-Variante (24.08.)

https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7034e4.htm?s_cid=mm7034e4 _w

Donnerstag, 26. August 2021

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will offenbar einen großen Impfstoffvorrat anlegen. Macht das Sinn?

Ab September starten Auffrischungsimpfungen für besonders gefährdete Gruppen. Was spricht für und was gegen eine Auffrischungsimpfung für alle?

Und wie hoch ist aktuell der Anteil Geimpfter an den festgestellten Neuinfektionen? Wir wollen Orientierung geben! Mein Name ist 

Camillo Schumann

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Camillo Schumann


Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio und jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Diese aktuelle Meldung sorgt doch für einige Diskussionen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der will offenbar 80 Millionen Impfdosen vorsorglich einlagern. Darüber hat das ARD-Magazin Kontraste berichtet. Im Rahmen eines Portfolio Ansatzes ist die Bevorratung mit unterschiedlichen Impfstoffarten geplant, so jedenfalls das Ministerium. Und gespeist werden soll das Lager offenbar vor allem aus den rund hundert Millionen Dosen von BioNTech Pfizer und Moderna, die Deutschland laut der Lieferprognose des Ministeriums bis Ende des Jahres erhalten soll. Herr Kekulé, sich mit

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Corona-Impfstoffen in derartigen Mengen zu bevorraten macht das Sinn?


Alexander Kekulé

Zum jetzigen Zeitpunkt? Nein, das muss man ganz klar sagen. Der wichtigste Grund ist, dass wir ja damit rechnen müssen, dass die Impfstoffe sich weiterentwickeln. Also die BioNTech und Pfizer beziehungsweise Moderna Impfstoffe. Die sind ja mal gemacht worden gegen den Wuhan Typ, daran muss man erinnern. Der Wuhan Typ des Virus ist quasi der Prototyp gegen den die Impfstoffe generiert wurden. Dann hat sich das Virus, eine Art des Virus, einen großen Entwicklungssprung gemacht in Norditalien und diese sogenannten B1 Typ daraus entwickelt, der ja weltweit sich durchgesetzt hat. Und dann gab es weitere große Entwicklungsschritte. Wir wissen es gibt die AlphaVariante, die doch deutlich abweicht, dann jetzt weltweit natürlich gerade Delta, aber auch andere, die in anderen Teilen der Welt vielleicht noch eine Chance haben, sich mal durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund muss man sagen, das ist dann so ähnlich, wenn sie das bestellen – na ja, die Impfstoffe entwickeln sich weiter, als wenn sie was weiß ich 10 Millionen Handys von irgendeinem bekannten Hersteller sich einlagern. Und zwar nicht das neueste Handy und dann auch noch die letzte oder vorletzte Generation. Das ist ziemlich wahrscheinlich, dass das in kürzester Zeit überholt ist. Abgesehen von den Lagerfristen. Die sind ja relativ kritisch bei diesen RNA-Impfstoffen.

02:53


Camillo Schumann


Gibt es denn eine Erklärung oder können Sie sich erklären, warum dann in diesen rauen Mengen bevorratet werden soll? Wird dann möglicherweise aus der Not eine Tugend gemacht?


Alexander Kekulé

Naja, es ist ja so. Da habe ich ja schon ein paar Mal darauf hingewiesen, dass bei der Planung hat man ja sehr, sehr viel bestellt, was dann aufgrund von Verhandlungsproblemen mit der EU und auch Probleme, in den Deutschland be-

gründet waren, später geliefert wurde als gewünscht. Und dadurch haben wir, das war ja schon sehr, sehr lange absehbar, so im dritten Quartal dieses Jahres ein massives Überangebot an Impfstoff, so beginnend eigentlich schon in der zweiten Hälfte. Und vor diesem Hintergrund ist es jetzt natürlich nicht so überraschend, dass man überlegt, was kann man damit machen an die ärmeren Länder der Welt das verschenken ist in diesem Fall schwierig, weil die das logistisch bei den RNA-Impfstoffen gar nicht hinkriegen, das zu verteilen, und ja an Kinder verimpfen ums loszuwerden der Versuch ist ja gemacht worden und geglückt, um es mal so leicht ironisch zu sagen. Und was macht man jetzt mit dem Zeug? Und die nächste Idee ist halt dann einlagern, weil natürlich kein Politiker sich sagen lassen will: jetzt hast du das ganze Zeugs da bestellt. Jetzt liegt es auf Halde, und wir schauen zu, wie es, wie es langsam schlecht wird.

Das ist aber ein Thema. Das haben übrigens nicht nur die Deutschen, also dass von diesem Impfstoff ziemlich viel das Verfallsdatum jetzt erreicht und nicht verabreicht wird. Das ist wirklich eine tragische Situation weltweit, die die reichen Länder waren da vom Stamme: „Nimm“ und haben sich massiv eingedeckt. Die WHO hat es ja auch schon kritisiert. Bisschen in diese Richtung muss man auch betrachten diese geradezu Forderungen der Politik, jetzt Drittimpfungen zu machen, also eine dritte Dosis zu verabreichen, wo die Wissenschaft ja gar nicht so sicher ist, ob das so generell einen Sinn macht. Und das Ganze vor dem Hintergrund, dass die Impfbereitschaft nicht gerade weiter zunimmt in Deutschland ja, das ist eine blöde Situation, in der die Politiker sind. Und ich meine, klar irgendwie nationale Notreserve klingt damit besser als Mülleimer.

05:07


Camillo Schumann


Über die dritte Impfung für alle: werden wir im Laufe des Podcasts noch sprechen. Noch eine Anmerkung, weil Sie es ja selber schon gesagt haben: das Mindesthaltbarkeitsdatum. Kann es denn unter Umständen auch so sein, dass wir dann in der Reserve Impfstoffe haben, die mehr überpfiffen sind, sage ich mal?

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Alexander Kekulé

Natürlich. Das wird man dabei auch dann wegwerfen. Das machen wir in Deutschland nicht, dass wir jetzt eingelagerte Impfstoffe irgendwann noch verwenden, obwohl das Verfallsdatum überschritten ist. Wir hatten ja solche Diskussionen. Ich war ja lange in der Schutzkommission, die leider aufgelöst wurde, die die Bundesregierung so strategisch zu Fragen des Bevölkerungsschutzes beraten hat. Und da habe ich mich ja um biologische Gefahren gekümmert mit meinen Kollegen zusammen. Und da hatten wir wirklich viele Jahre immer wieder die Diskussion über solche Einlagerungen. Ein Stichwort, ist zum Beispiel Notreserve für Pocken. Pocken ist ja eine ausgerottete Erkrankung. Eigentlich. Seit 1980 gibt es die offiziell nicht mehr. Aber es ist natürlich schon denkbar, dass zum Beispiel durch einen Laborunfall oder auch durch eine Variante, die irgendwie aus dem Tier entsteht, mal wieder die Pocken irgendwo auftreten könnten. Und dafür braucht man Impfstoff-Reserven. Das ist meines Wissens nach wie vor eingelagert. Aber das sind relativ kleine Mengen und sehr, sehr haltbare Impfstoffe. Die hat man für den Fall, dass man halt irgendwo zum Beispiel im Umfeld eines Laborausbruches mal schnell eine Ring-Immunisierung machen muss. Ein anderes Beispiel war die Influenza-Impfung. Da haben wir ja immer die Angst, dass von der Vogelgrippe mal ein Virus überspringen könnte. Da ist auch auf Empfehlung der Schutzkommission damals meines Wissens eine Menge von 2 Millionen Dosen, zumindest war das unsere Empfehlung damals, bestellt worden für den Fall, dass es in Vogelgrippe-Ausbruch bei uns gibt. Das ist aber so ein generischer Impfstoff, der gegen ganz viele verschiedene Influenza Viren wirksam sein könnte oder Vogelgrippe. Aber da war immer so der Ansatz, erste Antwort schnell reagieren und sowohl das Krankenhauspersonal schützen als auch so Ring-Immunisierungen zu machen bei einem Ausbruch, dass man jetzt für 80 Millionen den Impfstoff vorhält... ich sehe nicht, was man damit machen sollte, weil interessant sind ja dann die zweite Generation von Corona-Impfstoffen. Die brauchen wir natürlich. Aber was machen wir dann mit den alten Sachen, die noch im Tiefkühler sind?

07:48


Camillo Schumann


Okay, also um einen Strich drunter zu ziehen: es ist schon üblich, dass Impfstoffe auch für andere Krankheiten vorgehalten werden, nicht in diesen rauen Mengen. Die haben dann auch ein längeres Mindesthaltbarkeitsdatum. Und hier sind sozusagen bei der Einlagerung der Corona-Impfstoffe mehr Fragezeichen als Ausrufezeichen dahinter.


Alexander Kekulé

Ja, es ist eine ökonomische Erwägung. Sie können es nicht verschenken. Die anderen europäischen Staaten haben es auch. Man müsste vielleicht mal überlegen, das wäre so meine Empfehlung ganz ehrlich gesagt, um konstruktiv dazu was zu sagen: es gibt ja diese Länder, die sehr, sehr erfolgreich eigentlich eine Zeit lang nur null Covid gemacht haben, die also gesorgt haben: Wir halten das Virus ganz aus einem Land raus, und die sind ja technologisch nicht so schlecht. Also ich denke jetzt zum Beispiel an Südkorea, in Singapur, in Australien gibt es auch Impfstoffmangel, zum Teil in Neuseeland und natürlich auch in Taiwan. Und dass man mal überlegt, ob vielleicht eine Spende an solche Länder sinnvoll wäre, weil das wären unter Umständen Länder, die können das gebrauchen. Die haben im Moment das riesige Problem, das null Covid, ja nicht mehr funktioniert, weil die Bevölkerung nicht mehr mitmachen und auch aus anderen Gründen. Und die brauchen dringend Impfstoff und ich glaube, das wäre eher sinnvoll. Oder eventuell auch einem ärmeren Land, in einem Schwellenland, dann auch bei der Anwendung dieser Impfstoffe, die ja komplex ist mal braucht man Tiefkühler und so weiter zu helfen, also die ganze Logistik mitzuliefern, mit dem Impfstoff und den dann zu verschenken. Das finde ich eigentlich sinnvoller als zu sagen, wir wissen nicht wohin damit. Also Bunkern wir das ein. Und wir brauchen vor der Wahl irgendwie einen gesichtswahrenden Grund dafür.

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09:15


Camillo Schumann


Weil jetzt gerade das Stichwort Drittimpfung fiel als eine Möglichkeit, mit den vielen Impfstoffen umzugehen. Bei der letzten Gesundheitsministerkonferenz wurde beschlossen, dass ab September besonders gefährdete Gruppen eine Auffrischung ihrer Corona-Impfung bekommen sollen, zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu:

„Die Bundesländer beginnen in diesen Tagen auch wieder in den Pflegeeinrichtungen für die Höchstbetagten, die Pflegebedürftigen, auch Menschen, die bestimmte Behandlungen bekommen, schon mit Auffrischungsimpfung. Warum, das machen wir vorsorglich. Wir haben zu Beginn des Jahres schmerzhaft gesehen, wie brutal dieses Virus in den Pflegeheimen zugeschlagen hat. Und wir haben gleichzeitig gesehen, wie sehr die Impfung helfen. Also gerade für diese besonders Verwundbaren gibt es jetzt die Auffrischungsimpfung. Die Frage, ob wir in einem nächsten Schritt allen ein solches Angebot machen können und machen müssen, auch für Herbst und Winter, die klären wir gerade noch mal mit den Experten. Aber im Zweifel sage ich: vorsorglich besser geimpft, auch gut geschützt, auch dritt geimpft in Herbst und Winter zu gehen, wenn die Daten dafürsprechen.“

Also der Bundesgesundheitsminister ist mit Experten im Gespräch. Wie praktisch, dass ich gerade mit einem Experten spreche, dass vulnerablen Gruppen Auffrischungsimpfung erhaltene sind es ja d’accord mit den Ministern.


Alexander Kekulé

Ja, also das haben wir hier im Podcast vor langer Zeit mal besprochen das Thema. Also es ist so, dass wir schon wissen, dass der Impfschutz nicht bei allen funktioniert. Das ist gar nicht so sehr das Problem, dass er jetzt so dramatisch abnimmt. Ja, die Antikörper-Antwort die nimmt ab. Wenn man das beobachtet, dann sieht man ja bekanntlich bei einigen Menschen so nach vier bis sechs Monaten gar keine Anti-

körper mehr. Aber wir wissen genauso aus Labordaten, dass diese Menschen trotzdem noch ein immunologisches Gedächtnis haben. Auch wenn man keine Antikörper mehr sieht zum Teil, springen die sofort wieder an für den Fall, dass es zu einer Infektion kommt. Das sehen wir übrigens auch, wenn wir auffrischen, da ist passiert ja genau das Gleiche. Die Auffrischung ist ja so wirksam, weil quasi das immunologische Gedächtnis nochmal reaktiviert wird. Und das lernt so ähnlich wie wir auch lernen. Wenn man den Stoff irgendwie mehrmals wiederholt hat und dann eine Pause macht und dann noch einmal wiederholt, dann sitzt es einfach besser. Und hier ist es jetzt so, dass aber die Daten eben nicht daraufhin deuten, das ist das Wichtigste, dass wir die Auffrischungsimpfung brauchen, um schwere Verläufe zu verhindern. Wir könnten die Auffrischung brauchen, um eine Zeitlang möglicherweise die Infektionsrate ein bisschen zu drücken. Also wenn man jetzt alle auffrischen würde, dann würde sicherlich die Zahl der Personen, die nicht infizierbar sind, ein bisschen runter gehen. Aber das Hauptproblem ist eigentlich, dass ein Teil der Menschen bei der ersten Impfung schon bei der ganz normalen Impfung eben nicht richtig reagiert haben. Da wissen wir da gibt es Ältere, aber vor allem auch Menschen. die immunsupprimiert werden also die Medikamente bekommen, dass das Immunsystem unterdrückt wird, zum Beispiel nach Transplantationen. Und da ist es ziemlich klar, dass da die Impfversager, wie man das da nennt – also diese Menschen werden nicht als Versager bezeichnet, sondern das Phänomen sozusagen als Impfversagen. Aber es heißt dann blöderweise Impfversager. Und diese Impfversager, die profitieren ganz massiv davon, wenn man sie natürlich dann noch mal boostert, also noch mal eine weitere Auffrischungsimpfung gib. Wie groß der Anteil derer ist, ihr davon profitieren, ist gar nicht so genau bekannt. Aber dass man damit einigen helfen kann, ist klar, sodass ja mein Vorschlag war und nach wie vor bleibt: Ja, man sollte mal mit den Hochrisikopersonen zum Beispiel, wie man es in Israel gemacht hat, Transplantat Empfängern anfangen und dann

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aber wirklich in Serologischen Studien gucken: Welcher Anteil von denen hat überhaupt ein Problem gehabt bei der ersten Impfung also erste und zweite Impfung. Und welcher profitiert von der Auffrischimpfung? Das kann man ja am Anfang mit einer kleineren Gruppe erstmal serologisch genauer untersuchen. Da sieht man dann bringt es was oder nicht. Und nach dieser Pilotstudie die man relativ schnell machen kann, würde man dann wissen, sollen wir nur solche Leute auffrischen, bei denen wir sehen, dass die Antikörper-Antwort nicht angesprungen ist? Oder lohnt sich das gar nicht vorher Blut abzunehmen und so einen Test zu machen, sondern wir definieren bestimmte Risikogruppen. Eben zum Beispiel sage ich mal Heimbewohner über 65 oder so und die Transplantatempfänger, dass man jetzt sozusagen den zweiten Schritt vor dem ersten macht, dass man jetzt gleich alle impft. Ja, kann man auch machen. Und wenn man im Impfstoff schwimmt, was ja die Prognose ist, dann ist es wahrscheinlich pragmatischer, als jetzt bei jedem vorher Blut abzunehmen und zu gucken, ob er das braucht.

13:54


Camillo Schumann


Aber die Menschen, auch wenn, wenn sie sagen, dass es jetzt der zweite vor dem ersten Schritt dann sozusagen diese Menschen nicht vorher zu testen, sondern ihnen gleich die zweite Booster-Impfung insgesamt die dritte Impfung dann zu geben, da haben sie jetzt auch keine Nachteile von.


Alexander Kekulé

Nein, für die Menschen ist es überhaupt kein Nachteil. Es ist nur vom Vorgehen halt einfach so, dass man sich dann nicht besonders schlau macht. Dann macht man es einfach und weiß eigentlich nicht, was es gebracht hat. Es ist quasi ja vorsorglich, sagt der Bundesgesundheitsminister, bessere Formulierung wäre gewesen ins Blaue hinein und nach dem Motto: Schaden wird es schon nicht. Davon würde ich auch ausgehen, und wir haben das Zeug und sonst verfällt es. Oder wir müssen uns irgendwelche Erklärungen finden, warum es auf

Halde halten. Machen wir doch lieber einen Booster. Also so aus der Situation heraus ist es eine pragmatische Entscheidung kann man so treffen, und schaden tut man damit niemandem. Das ist ganz klar, und es werden ganz sicher einige Menschen davon profitieren. Ich glaube so grundsätzlich ohne jetzt so wissenschaftliche Daten über die sprechen wir vielleicht noch einmal alle vorweg zu nehmen muss man sich folgendes überlegen: was wollen wir eigentlich mit diesen Impfungen? Worum geht es überhaupt? Geht es jetzt darum, auch noch bei dem letzten der 83 Millionen Bundesbürger, sicherzustellen, dass die für den Fall, dass sie mit Delta konfrontiert werden, gar nicht reagieren? Also kein Virusausscheider werden? Das würde man sowieso nicht erreichen. Da kann man auffrischen, soviel man will. Da wird es immer Lücken geben. Gerade wenn man Delta sich anschaut oder wollen wir die Krankheitslast bekämpfen? Und Letzteres ist natürlich das Übliche bei Impfungen. Man schaut sich an, wie hoch ist die Krankheitslast? Wie viele Schwerkranke haben wir? Wie viele Tote haben wir? Und was können wir mit der Impfung dagegen machen? Und unter diesem Aspekt ist der Unterschied zwischen Boostern und nicht Boostern also ich spreche jetzt von dieser dritten Impfung als Booster, von der Terminologie eigentlich falsch, weil die zweite ist auch schon Booster. Aber dritte Impfung war als Booster bezeichnet. Da ist überhaupt nicht erkennbar, was das bringen soll. Ja, weil das ist, so dass die Krankheitslast und das sagen wirklich alle Studien aus dem Ausland. Bei uns haben wir noch keine. Wenn man die dritte Boosterstudie macht, den dritten Boostershot macht, dann kann man abgesehen bei diesen immunsupprimierten, die Krankheitslast nur ganz minimal drücken. Aus Israel haben wir Daten, dass das ein bisschen runter geht. Was man hauptsächlich misst, ist, dass die Infektionen runtergehen. Ja, und zwar auch nur kurz nach der Booster-Impfung. Keiner weiß, wie lange das anhält. Also es kann sein, dass sie dann, um diese niedrige Infektiosität aufrechtzuerhalten, alle sechs Monate Boostern müss-

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ten. Das wäre ja auch nicht sinnvoll. Und deshalb finde ich das, dass das Ziel bei uns das muss doch sein, die Krankheitslast zu drücken und dann irgendwie wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren. Und die Downside ist halt einfach, wenn man so jetzt sagt, jetzt brauchen wir die dritte Impfung, dann stellt man irgendwie so diese Sicherheit durch die erste und zweite Impfung in Frage. Und wir haben ja das große Problem, dass wir hauptsächlich noch sehr viele Nichtgeimpfte in Deutschland haben. Das ist ja das Problem, die Nichtgeimpften und ob die jetzt, wenn man jetzt anfängt ja, das funktioniert ja erst richtig, wenn man sich dann nochmal impfen lässt und vielleicht auch dann nicht ganz richtig, ob die dadurch eher motiviert werden, das wage ich zu bezweifeln.

17:12


Camillo Schumann


Um sie noch kurz zu erwähnen. Gestern hat ja die britische Zoe Studie Schlagzeilen gemacht, wonach der Schutz vor einer Ansteckung nach einem halben Jahr sinkt. Bei BioNTech von 88 auf 74 Prozent, bei AstraZeneca von 77 sich auf 67 Prozent. Wohlgemerkt. Der Schutz vor einer Infektion sinkt, ob auch das Risiko für schwere Verläufe steigt. Das wurde dann nicht untersucht. Dass er genau das springende Punkt also es, bezweifelt ja auch keiner, dass es sozusagen dann abnimmt, der Schutzwall.


Alexander Kekulé

Diese Zoe-App in Großbritannien, das ist ja so ein Ding. Da können sich können sich Leute, die Covid bekommen haben oder beziehungsweise die geimpft wurden, die können sich da eintragen. Und dann können die mitteilen, wie es in dem im weiteren Verlauf ergangen ist. Und das ist eigentlich ein ganz gutes Nachverfolgungstool ist natürlich sehr subjektiv. Der eine kreuzt was andere nicht. Und das sind Daten, die schon lange berichtet werden. Wir haben ja immer wieder die technischen Reports der Public Health England hier ausgewertet und das mit der Zoe-App, das stand meines Wissens auch letzte Woche in einem aktuellen Technical Report schon drinnen zusammen mit

vielen anderen Daten. Und klar ist, dass nach der Impfung im Lauf der folgenden Monate die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, da tatsächlich steigt. Ob das bei AstraZeneca jetzt wirklich ein deutlicher Impfstoff Effekt ist, den man sieht es gar nicht so klar war. In England wurden ganz am Anfang viele Menschen mit AstraZeneca geimpft. Das war ja sozusagen dort das lokale Produkt, was man zuerst rausgebracht hat. Und das waren vor allem die Ältesten. Das heißt also es kann daran liegen, dass die besonders früh geimpft wurden und auch daran liegen, dass die älter waren und vielleicht nicht so gut reagiert haben, das wäre eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied zwischen Zeneca und BioNTech. Aber dass AstraZeneca insgesamt schwächer wirkt und insbesondere bei der Delta Variante ja komplett unten durchfällt, das ist ja inzwischen klar.

Jetzt ist aber der zweite Effekt, und das ist ganz wichtig: Wir wissen, dass die Menschen, die geimpft sind, und die glauben ja danach, jetzt kann nichts mehr passieren, gerade in England, wenn man das verfolgt wird, dass er auch von der Politik jetzt propagiert Friedom Day und so weiter. Ihr seid jetzt geimpft, die Pandemie ist vorbei, und dadurch verändert sich das Verhalten. Und wenn jetzt Menschen, die geimpft sind, natürlich im Lauf der Monate immer mehr Freiheit spüren und der Staat ihnen sagt: jetzt hast du quasi keine Angst mehr zu haben. Du kannst du machen, was du willst. Und wenn es eben Lockerungen gibt, zugleich aber die Inzidenz stark steigt und die Delta Variante, die höher infektiös ist, zunimmt, dann ist es ja auch eine Erklärung dafür, dass im Lauf der Zeit nach der Impfung die Fallzahlen wieder steigen und bei höheren Fallzahlen das ist rein mathematisch so. Wenn die Inzidenz hoch ist, dann wird der messbare Effekte Impfung niedriger, sodass man hier möglicherweise hauptsächlich ein Zeitphänomen hat und ein Verhaltensphänomen hat, was gar nicht so sehr mit dem schlapp werden der Gedächtniszellen zu tun hat, weil wenn man nur die Gedächtniszellen untersucht und wirklich biologisch den Effekt sich anschaut in der Zellkultur; man nimmt

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diese weißen Blutzellen raus. Das sind ja so Lymphozytenarten und man guckt, wie ist es nach vier Monaten, wie ist es nach sechs Monaten. Da sieht man, dass die Immunantwort sowohl nach der Infektion als auch nach der Impfung erstaunlich robust ist. Und auch am Anfang fällt sie so ein bisschen ab auf einem Plateau. Aber dann bleibt sie auf diesem Plateau. Das heißt, wir haben jetzt sozusagen aus dem Labor gar keine Hinweise darauf, dass das Immunsystem plötzlich das Virus vergessen hat, sodass es wirklich sein könnte, dass das ein, was man da so beobachtet, eigentlich ein Verhalteneseffekt ist.

20:48


Camillo Schumann


Dazu gibt es auch eine neue amerikanische Studie werden wir verlinken in der schriftlichen Version dieses Podcasts. Wie ist es denn nun? Ist es nun sinnvoll, dass sich alle, die schon eine abgeschlossene Impfserie hatten, sich dann trotzdem noch vorsorglich impfen lassen oder nicht? So nach dem Motto sicher ist sicher, das ist ja sozusagen Kern der Diskussion im Bundesgesundheitsministerium.


Alexander Kekulé

Ich würde es nicht machen, weil es nur für einige eine kleine Erhöhung der Sicherheit ist. Das ist eigentlich eine Scheinsicherheit. Gerade wenn man daraufhin hinblickt, dass wahrscheinlich das Verhalten eine große Rolle spielt. Ich muss doch, auch wenn Sie es kurz machen wollten, gerade die amerikanische Studie eine von denen, die CDC haben gerade mehrere Studien ausgewertet, die amerikanische Gesundheitsbehörde. Die können wir vielleicht verlinken, was die da gemacht haben. Aber eine der Studien ist wirklich interessant. Die haben nämlich in New York im Staat New York haben die sich das angeguckt, wie die Wirksamkeit der Impfstoffe nachlässt in dem Fall nicht bezüglich der Infektionen, sondern bezüglich der echten symptomatischen Erkrankungen. Dort ist hauptsächlich geimpft worden mit Moderna und BioNTech. Und da ist die Impfungwirksamkeit, als die Delta Variante gekommen ist, von 92 Prozent auf 80 Prozent runtergegangen in so in den Monaten Mai bis

Juli ungefähr im Staat New York. Die hatten es ja dort in den USA später als wir. Und das Interessante ist jetzt, dass man dort gesehen hat, dass die Altersgruppe bei der hauptsächlich dieser Effekt eingetreten ist. Dass die Wirksamkeit der Impfstoffe so deutlich nachgelassen hat. Nicht, wie man sofort sagen würde die Alten waren, bei denen war der Unterschied ganz minimal, sondern es waren hauptsächlich ich die Jüngeren, so die Altersgruppe zwischen 18 und 49 Jahren. Und das sind eben die, die sozial am aktivsten sind. Und eine der Studien da gibt es mehrere, die eben darauf hindeuten, dass das doch sehr viel auch mit Verhalten zu tun hat, dass nach einiger Zeit sozusagen der Effekt nachlässt.

Jetzt komme ich zurück zu Ihrer Frage warum ist das so wichtig? Wenn Sie eben sagen, wir geben jetzt eine dritte Dosis und dann seid der aber wirklich geschützt, dann wird dieser Verhaltens Effekt noch stärker. Und wir wissen überhaupt nicht, wie gut es vor Delta schützt. Das ist ja im Gegenteil so, dass klar ist, dass die Schutzwirkung gerade bezüglich der Infektiosität, also ohne Symptome oder nur mit leichten Symptomen bei Delta ziemlich mau ist bei diesen Impfstoffen. Also man kann wirklich noch Delta kriegen, auch wenn man voll geimpft ist. Das wird natürlich dann auch bis zum gewissen Grad gelten für die dritte Impfung. Und dann verhalten sich die Leute unvorsichtiger, und dieser Effekt wird wahrscheinlich schlimmer sein als das, was man gewinnt durch die Boosterung.

23:24


Camillo Schumann


Aber wenn dritte Impfung dann doch nur mit einer Zulassung, auch für die dritte Dosis oder? BioNTech will ja gerade Daten für eine dritte Impfung bei der FDA einreichen. Aber dabei handelt es sich nicht um neuen, angepassten, völlig neuen Impfstoff, sondern um den alten, nur eben dreimal verabreicht, oder?


Alexander Kekulé

Ja, die wollen jetzt die dritte Impfung haben, ja klar ist und sich ein Riesengeschäft und das ist

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ein Thema, was wäre schon lange verfolgt haben. Am Anfang gab es diesen Ansatz, den hat hauptsächlich Moderna verfolgt, dass die gesagt haben, wir entwickeln jetzt mal den Impfstoff 2.0. Dann hat sich rausgestellt, dass man mit der dritten Impfung auch eine gewisse Erweiterung der Spezifität kriegt. Man verwandelt quasi den Patronenschoss in einen Schrotschuss um. Wenn man zum dritten Mal impft, weil das Immunsystem reagiert dann plötzlich breiter, als es bei den ersten zwei Impfungen gemacht hat, weil das Immunsystem wenn ich das mal so sagen darf, denkt, es hätte das Virus mit seinem bisherigen Repertoire nicht richtig bekämpft. Also rekrutiert es noch andere Antikörper und T-Zellen, die dagegenwirken. Und dadurch wird die Immunantwort breiter durch die dritte Impfung und das breitere fängt an den Rändern unter Umständen eben dann die Delta Variante besser mit ab. Das heißt also diesen Effekt hat man dann beobachtet, der ist auch im Labor kann man den zeigen. Und deshalb haben die Hersteller BioNTech hatte das eigentlich von vornherein gemacht dann draufgesetzt: Naja, wir sind ja jetzt nicht blöd und entwickeln einen neuen Impfstoff. Das kostet uns ein Wahnsinnsgeld. Dann haben wir zwei Produkte, von denen das neue Produkt uns natürlich das alte bekämpft auf dem Markt. Und die haben natürlich auch vor Augen gehabt muss man jetzt positiv formulieren dass es dann so ein Gefälle gibt. Ja, die armen Länder decken sich dann mit den übriggebliebenen Versionen zu 1.0 ein, und die reichen Länder haben wieder das neueste Zeug also aus all diesen Gründen und ganz abgesehen davon, dass die Produktionskapazitäten natürlich nicht so stark erhöht werden können, dass man quasi zwei Typen herstellt. Ist es so, dass die gesagt haben jetzt in letzter Zeit: Wir lassen es jetzt erst einmal bei diesem einen Produkt. Und wir zeigen mit vielen Studien, dass das auch ein bisschen was bringt. Und wir hoffen, dass wir dann das noch einmal verkaufen können bei einer dritten Impfung. Ich sag mal unternehmerisch 100 Prozent nachvollziehbar. Ich hätte mir da mehr Dampf bei der

Wissenschaft und Forschung quasi bei der Entwicklung auch gewünscht in dem Sinn, dass man wirklich den 2.0 Impfstoff herstellt, der also speziell gegen Delta und andere neue Varianten besser wirkt. Und dieses Thema ist noch auf der To-do-Liste. Ich sehe das inzwischen anders als bei meinen früheren optimistischeren Prognosen. Ich habe ja mal gehofft, dass im Herbst schon die 2.0 Impfstoffe rauskommt. Technisch wäre es vielleicht möglich gewesen, aber das wird jetzt noch länger dauern, weil eben sage ich mal dieser Verkaufserfolg des alten Modells natürlich die Entwicklung des neueren entwickelt. Also, das weiß jeder Verkäufer: das Bessere, ist der Tod des Guten.


Camillo Schumann


Aber nichtsdestotrotz diese Impf-Reihenfolge mit drei Impfstoffen, also mit drei Impfungen, muss zugelassen werden.


Alexander Kekulé

Ja natürlich, das muss zugelassen werden. Also jeder Arzt kann er machen, was er will. Der darf auch nicht zugelassene Produkte, wenn er da eine Begründung für hat, einsetzen. Diese sogenannte Off-Label-Use sagt man auch dazu. Das heißt, ein Arzt darf einen dritten Schuss natürlich geben. Aber es würde niemals jetzt eine Impfkommission wieder bei uns die STIKO oder in den USA, irgendwie die CDC Kommission, die der zuständig ist. Keiner von denen würde jemals eine offizielle Empfehlung aussprechen, wenn es da nicht vorher eine Zulassung gegeben hat.


Camillo Schumann


Aber wieso wird denn da jetzt schon in den Altenheimen die dritte Impfung verabreicht? Dürfen die das denn?


Alexander Kekulé

Ja, sie dürfen das schon. Also das dürfen Sie auf jeden Fall. Sie dürfen theoretisch als Arzt auch bei einer Blinddarmentzündung Thymianblätter auflegen. Ja, also kann man alles Mögliche machen. Sie müssen halt dann nur, wenn

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irgendwann der Richter kommt, erklären, warum das nach den Regeln der Wissenschaft war. Es ist ja nur die Frage: soll man die dritte Impfung jetzt allgemein machen? Was wollen wir gesundheitspolitisch als Ziel haben? Und vor dem Hintergrund, dass wir überhaupt nicht wissen, wie gut die dritte Impfung dann gegen Delta schützt? Haben wir noch keine Daten, finde ich ist, es nicht begründbar, dass man das jetzt generell macht.


Camillo Schumann


Aber nichtsdestotrotz, um das jetzt noch mal festzustellen: in Europa gibt es für den BioNTech Impfstoff und auch für den Impfstoff von Moderna keine Zulassung für eine dritte Impfung.


Alexander Kekulé

Nein, das gibt es nicht. Der Impfstoff ist zugelassen, aber für das Schema dreimal Impfen gibt es keine Zulassung, die es in den USA beantragt.


Camillo Schumann


Okay also, das heißt, um das jetzt noch einmal zu betonen, dass alle, die, die jetzt geimpft werden, sozusagen außerhalb der Zulassung sind. Und das wird jetzt eben so gemacht, weil das jetzt bestimmt wurde.

28:27


Alexander Kekulé

Ja, also, wissen Sie, ich sage ein anderes Beispiel. Ja, in der bei der Zulassung wurde ja mit einer bestimmten Dosis und bestimmten Abstand der beiden Impfstoffe erst mal gearbeitet und diese bestimmte Methode, dass es das, was zugelassen ist offiziell. Aber natürlich hat man die Briten haben damit angefangen. Die Deutschen haben es dann auch gemacht. Ich habe es ja auch ganz massiv empfohlen, den Abstand zwischen den beiden Impfungen verlängert, weil man einfach auch ohne Studie und ohne dass das in den Zulassungen geprüft wurde, mit dem gesunden Menschenverstand sagen konnte: in dieser Situation ist es wichtig, das Sterben zu verhindern, und das wird durch die erste Impfung bereits hauptsächlich verursacht. Und weil wir zu wenig Impfstoff hatten,

wäre das noch wichtiger gewesen man hat es ja nicht so richtig gemacht in Deutschland die erste Impfung erst einmal zu geben und möglichst viele erst zu impfen. Also da hätte man viele tausend Tote verhindern können, wenn man das so gemacht hat. Aber man hat eben gesagt: Ne, in Deutschland wollen wir es nicht machen wie die Briten. Wir wollen uns an die Zulassung halten und hat eben am Anfang diesen Abstand nicht verlängert. Und dann hat man es dann so halbherzig ein bisschen verlängert. Man hätte natürlich auch sagen können das war ja mein Vorschlag wir verlängern es um sechs Monate erstmal oder bis zu sechs Monate. Hauptsache, die Alten und Schwerstkranken haben erst mal eine Dosis.

Das ist mit wissenschaftlicher Begründung in einer Notsituation, wenn man wirklich glaubt, man kann den Menschen damit helfen, durchaus möglich. Und ein anderes Beispiel, was ja viel diskutiert und zum Teil auch gemacht wird, ist, ob man die Dosis nicht verringern kann. Also man weiß gerade bei jüngeren Menschen, dass die eher zu viel reagieren, zu stark reagieren auf die RNA-Impfstoffe. Und es ist durchaus möglich, dass man mit der halben Dosis auch bei dem durchschnittlichen Erwachsenen den gleichen Effekt bekommt. Das ist ja in den Zulassungsstudien dann nicht so im Detail geprüft worden, weil man wollte, möglichst schnell irgendetwas haben, was funktioniert und hat sich jetzt nicht die Mühe gemacht, da akribisch alle Varianten durchzutesten in der Phase drei. Man hat vorher natürlich eine Dosis Findung gehabt, wo man mal geschaut hat wie viel muss man so grundsätzlich geben, dass es dann die sogenannte Phase zwei Studie. Aber das ist nicht mehr genauer geprüft worden, insbesondere nicht Altersgruppenspezifisch, wenn man jetzt an die Jüngeren denkt, ob man vielleicht eine geringere Dosis geben kann. Auch hier ist es so: die Zulassung ist die Zulassung. Aber wenn jetzt ein Kinderarzt morgen sagt: Ach, ich gebe jetzt bei 12-Jährigen nur die halbe Dosis, dann kommt er dafür nicht ins Gefängnis. Das kann der machen.

30:53


Camillo Schumann


Okay. Also schließen wir das Thema dritte Impfung ab, wenn ich es richtig verstanden habe.

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Sie sagen für vulnerable Gruppen eher ja so für die breite Masse eher Nein und grundsätzlich wissenschaftlich noch ein paar Fragezeichen dran.


Alexander Kekulé

Ja, ziemlich viele Fragezeichen. Und vor allem eben strategisch die Fragezeichen für mich ist das Wichtigste die Frage: wo wollen wir hin mit der Impfung? Wollen wir jetzt wirklich da so lange rum impfen? Quasi alles auf die Karte Impfung setzen in der Hoffnung, dass am Schluss quasi null Infektionen in Deutschland sind? Wir werden mit diesem Impfstoff das Delta Virus nicht wegimpfen können. Das geht gar nicht. Das ist völlig ausgeschlossen, auch wenn sie drei Impfungen geben ist es nicht so und sie suggerieren der Bevölkerung dann im Grunde genommen lasst euch impfen, dann könnt ihr alle anderen Gegenmaßnahmen vergessen. Und das hat auch so einen gewissen politischen Impact. Ja, wir tun jetzt hier was, das hilft euch. Und am Schluss steht dann die Freiheit. Also das ist eben gerade wegen der genannten Zusammenhänge, mit dem zeitlichen Verlauf und das sich locker machen, der Geimpften ist. Das ist, sag ich mal Vakzin versprechen, so kann man es mal nennen, dass es möglicherweise bequem und auch gefährlich.


Camillo Schumann


Weil sie gerade die Kinder angesprochen haben. Die Ferien, die sind in den meisten Bundesländern vorbei. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, der warnt vor einer Durchseuchung der Schulen. Er hat gesagt auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, dürfen wir eine Durchseuchung der Schulen nicht zulassen. Das hat er der Augsburger Allgemein gesagt: Wir wollen es als Lehrerverband, dass auch Präsenzunterricht beim Schulstart möglichst vollständig stattfindet, aber nicht, indem man Gesundheitsschutzmaßnahmen herunterfährt und vor der Infektionsgefahr an Schulen kapituliert. Und jetzt kommt es: neueren Studien hätten herausgefunden, dass zwischen 0,3 bis 1,7 Prozent der mit Corona infizierten Kinder im Krankenhaus behandelt werden müssen. Jetzt hat

er gesagt, bezogen auf Deutschland bei knapp 11 Millionen Schülern hieße das, das zwischen 30.000 und 180.000 in Krankenhäusern behandelt werden müssten. Von eventuellen Long Covid folgen mal völlig abgesehen. Ist diese Schlussfolgerung, diese Rechnung, ist diese Einschätzung vom Herrn Meidinger richtig?


Alexander Kekulé

Bei allem Respekt. Ich kenne Herrn Meidinger nicht persönlich, aber das ist völliger Unsinn. Also, da kann ich dringend empfehlen, einfach die sehr gute Datensammlung der STIKO von letzter Woche sich anzuschauen, die in der Empfehlung für die Kinder-Impfungen ja vorne drinnen war. Wir haben es auch im letzten Podcast ja zusammengefasst die STIKO hat es wirklich sehr, sehr gründlich noch einmal ausgewertet. Auch das, was in den letzten Wochen rausgekommen ist. Covid verläuft bei Kindern in der Regel harmlos, also fast immer harmlos. Long Covid ob es das überhaupt gibt bei Kindern, ist fraglich. Es gibt keine klaren Belege dafür, dass es das bei Kindern überhaupt gibt. Warum ist es so? Weil die Effekte, die man da sieht Kopfschmerzen, Antriebsschwäche, Müdigkeit, Schlafstörungen und so weiter. Das könnte in allen Studien, die das bisher gezeigt haben, so was gibt's natürlich zurzeit ganz massiv, ganz genau so auch durch die psychosozialen Schäden im Rahmen der Kontaktsperren und der ganzen Corona-Maßnahmen verursacht gewesen sein. Also keine Studie differenziert zwischen dem Schaden durch das Virus und dem Schaden durch die sekundären Kollateralschäden. Und das hat die STIKO sehr gut herausgearbeitet. Und diese Ein-Prozent ja, auch dort, da will ich jetzt nicht so ins Detail gehen. Aber das ist völliger Unsinn, wenn man jetzt die Krankenhauspatienten sich anschaut und dann den Quotienten bildet zu bestimmten Meldezahlen, dann kommt manchmal ein Prozent raus. Das stimmt schon. Aber es ist so, dass man die Meldezahlen korrigieren muss bezüglich der nicht-erfassten Fälle, weil man ja nicht weiß, wie viele Fälle tatsächlich, wie viele Kinder und Jugendliche sich tatsächlich infiziert haben. Und gerade dort sind ja viele asymptomatische und schwach symptomatische, die

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gar nicht registriert werden. Und es ist zu zum großen Teil gar nicht getestet worden. Und dann müssen sie also da einen Faktor drauflegen, für die Testungen, die man übersehen hat, also für die Infektionen die man übersehen hat. Und sie müssen um auf der anderen Seite rechnen, der sogenannte Krankenhausfall bei Corona. Das ist ja so: das sind Daten aus der Krankenhaus-Erhebung. Da hat man nur geguckt, wieviel Kinder im Krankenhaus hatten denn den positiven Covid-Test. Wenn sie gucken, wie viel von diesen Kindern sind überhaupt wegen Covid behandelt worden, dann kommt daraus, dass es etwa 20 bis 25 Prozent von denen waren. Und wenn sie diese beiden Faktoren korrigieren, dann kommen sie darauf, dass höchstens jedes Tausendste, wahrscheinlich jede zweitausendste 3000 Infektion im Krankenhaus landet. Das ist so die Zahl, und es ist jetzt nicht nur von mir, das ist von der STIKO sauber vorgerechnet worden. Und ich ärgere mich dann, wenn offizielle Amtsträger immer wieder so ein Unsinn verbreiten. Also das ist völliger Quatsch. Was aber stimmt, und das möchte ich schon aufgreifen, ist Folgendes: wir kommen jetzt im Herbst auf eine ganz andere Situation zu. Wir haben ja nach dem Wunsch der Bundesregierung jetzt die Situation, wo die Inzidenz massiv nach oben geht. Und wir schauen uns das entspannt an. Irgendjemand soll einmal gesagt haben die Inzidenz ist als Parameter, als Entscheidungskriterium tot oder am Ende so. Und jetzt sind wir in dieser Situation, wo die Inzidenzen möglicherweise ganz massiv nach oben gehen. Die Bundes-Notbremse wird abgeschafft und man sagt: na ja, jeder kann sich ja impfen. Und für die Kinder gibt es ja jetzt auch die Impfempfehlung.

Wenn sie in so einer Situation einen Ausbruch in der Schule haben, dann können sie nicht den Eltern sagen, wenn sie ungeimpfte Kinder haben: Ihr müsst euer Kind aber jetzt wieder weiter in die Schule schicken, obwohl dann Ausbruch ist. Das geht einfach praktisch gesehen nicht. Wir haben eine Schulpflicht und wir können die Eltern nicht dazu verpflichten, ihr Kind in eine Schule zu geben, wenn da ein Ausbruch ist, nach dem Motto: wenn du dein Kind

nicht geimpft hast, das bist du selber schuld. Da hat der Vorsitzende des Lehrerverbands völlig Recht. Sie müssen etwas anbieten, damit sie die Kinder in der Schule weiterhin schützen. Gerade wenn die Inzidenzen hochgehen und die Prognose der STIKO die sie sich da bei ihren Empfehlungen zugrunde gelegt hat, die sieht ja horrend aus. Die geht davon aus, dass sie im Oktober Inzidenzen von 500 erreichen werden. Das ist die Basis der STIKO-Empfehlung. Weil sonst könnte man auch die Empfehlung nicht so geben. Und wenn man das jetzt mal ernst nehmen will, dann muss man sagen, die Schulen müssen sich was überlegen, wie sie bei einer Inzidenz in dieser Größenordnung trotzdem weiter irgendwie vernünftig Unterricht machen und verhindern, dass es zu Ausbrüchen kommt. Und das andere ist natürlich: es gibt auch bei geimpften Kindern natürlich dann bei Delta Impfdurchbrüche. Die Impfung schützt nicht sicher, sodass es meines Erachtens für die Schulen dringend notwendig ist, das zu machen, was ich glaube schon vor einigen Monaten vorgeschlagen habe, dass man sagt man hat ein vernünftiges Konzept, was eben in dem Fall jetzt GGG plus Nachverfolgung ist. Das ist quasi die neue Variante von Smart. Wenn Sie so wollen, weil wir statt dem S Schutz der Risikogruppen, haben wir halt jetzt die Impfung. Aber sonst machen wir das gleiche wie vorher. Und die Schulen brauchen eben vernünftige Lüftungssysteme. Die müssen sie Schnelltests haben, um zu sehen, wenn ein Ausbruch ist und das schnell unter Kontrolle bringen. Und da haben die Lehrer völlig recht, wahrscheinlich kennen sie die Lage besser als wir. Ich schätze mal, dass es da an vielen Schulen genauso wenig Konzepte wie vor einem Jahr gibt. Und wenn dann wirklich diese Prognose der STIKO eintritt, dass wir dann so eine Horrorwelle im Herbst haben, die sagen das wird die stärkste Welle, die je in dieser Pandemie stattgefunden hat. Und innerhalb von fünf Monaten wird es mehr Fälle geben als in den 15 Monaten der Pandemie davor und mit dieser Prognose die Schulen einfach laufen zu lassen, das geht natürlich nicht. Und darum steht das noch auf der To-do-Liste.

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38:49


Camillo Schumann


In der Zeit gibt es immer die Torte der Wahrheit kennen Sie wahrscheinlich auch. Da denkt man sich dann Redakteurinnen und Redakteure dann aus, so ein bisschen mit dem Augenzwinkern, wie ein Sachverhalt denn dargestellt wird. Und da gibt es auch eine Torte der Wahrheit, wie wir dann die Schulen jetzt im Herbst sichern werden.

Das erste Drittel ist toi, das zweite Drittel ist toi und das dritte Drittel ist auch toi. Zusammen ist das toitoitoi, da habe ich doch sehr gelacht.


Alexander Kekulé

Es ist aber ein Lachen, das im Halse steckenbleibt. Ja also weil das Thema so ernst ist. Und ich meine jetzt kann man nicht sagen so, jetzt haben wir endlich die Empfehlung durchgeboxt, dass die Über-Zwölfjährigen sich gefälligst impfen lassen sollen. Also ab Zwölfjährigen. Nein, es gibt auch jüngere Kinder in der Schule. Es gibt ja auch das Kita-Problem, was dann sich da drunter anschließt und wie gesagt also wenn die Inzidenz niedrig ist in der Umgebung. Und das hat die STIKO auch in ihrer Empfehlung noch mal ganz klar gesagt man spürt ja fast so eine Art Verbitterung bei denen durch. Die sagen, wenn sich die Erwachsenen alle impfen lassen würden, dann bräuchten wir das Ganze nicht. Und nur weil sich die Erwachsene nicht impfen lassen und wir kein Konzept für die Schulen haben, wird es wahrscheinlich im Herbst wieder Ausbrüche geben. Und dann kann es eben leider sein, dass man auch Schulschließungen wieder machen muss, es kann kein Schulleiter die Eltern zwingen, in eine Schule, die sozusagen ein Corona-Palast ist, dann jeden Tag ihr Kind zu schicken, auch die Geimpften nicht, weil auch ein geimpftes Kind kann sich infizieren und dann irgendjemand anders anstecken. Das ist ja durchaus möglich. Dann ist die Mama gerade schwanger und will natürlich dann eine Infektion vermeiden und Ähnliches.

40:27


Camillo Schumann


Weil sie die STIKO angesprochen haben. Und die letzte Ausgabe, wo wir über die Begründung auch zu der Empfehlung der zwölf bis 17Jährigen ausführlich gesprochen haben. Wollen wir da noch mal ein bisschen ins Detail gehen, weil wir noch etwas nachliefern wollen.

Wir hatten ja über die Empfehlung gesprochen. Konkret ging es ja Sie haben es auch schon angesprochen um die neue Modellierung der STIKO, die Grundannahme, wie sich das Infektionsgeschehen in der Altersgruppe der zwölf bis 17-Jährigen entwickeln könnte im Herbst/Winter. Wir hatten dann Daten zur Häufigkeit von Herzmuskelentzündung bei zwölf bis 17-Jährigen nach einer Impfung gesprochen. Die STIKO hatte auch die Herzmuskelentzündung in dieser Altersgruppe nach einer Corona-Infektion angeführt. Dazu wurden neue Studien angeführt. Die hatten ja es zeitlich mal nicht geschafft. Deswegen wollen wir das jetzt nachholen. Vorher mal ein paar Daten, die im STIKO -Bericht aufgeführt worden sind. Dort steht: nach Analyse von Diagnosedaten von etwa 8 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland durch das Institut für angewandte Gesundheitsforschung sind bei und jetzt wird es interessant 5199 Kindern und Jugendlichen mit dokumentierten SarsCoV-2-Infektionen im Alter von zwölf bis 17 keine Myokarditen in einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach einer Infektion codiert worden. Und bisher ist nur ein Fall einer Pericarditis, eine Herzbeutelentzündung, registriert worden. Und in den USA wurden bei 14.207 Kindern mit Corona-Infektion neun Myokarditen in der Altersgruppe zwölf bis 17 festgestellt. Das ist sozusagen die Grundlage. Wie bewerten Sie diese Zahlen?


Alexander Kekulé

Unterm Strich können wir gleich noch mal ins Detail gehen, ist es so, dass kommt wohl vor. Also die Hinweise insbesondere von den Versicherten in den USA deuten darauf hin, das kann man sozusagen als statistisches Signal bezeichnen. Es deutet darauf hin, dass es eine,

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dass diese Myokarditiden, also die Herzmuskelentzündungen bei Menschen, die in dem Alter die Covid-Infektion durchgemacht haben, häufiger codiert wird von den Versicherungen. Das heißt, die Versicherungen machen ja immer so eine Codierung, wer hat was und das Kreuzchen oder die Zahl für Herzmuskelentzündung ist statistisch bei den Covid-Erkrankten häufiger aufgetaucht. Das Problem ist, wie häufig das ist, kann man aus diesen Zahlen eben nicht sehen. Also in Deutschland ist es offensichtlich null, weil jetzt die Pericarditis da auch eine Rolle spielt, das ist in dem STIKO Bericht erwähnt, ja mündliche Mitteilung persönliche Mitteilung heißt es da. Es ist also quasi so per Zuruf über einen Flur geschehen, dass man gesagt hat: ich habe so etwas mal irgendwo registriert bekommen. Das ist noch kein Hinweis. Und insgesamt ist die Datenlage einfach so, dass wir nicht genug Daten haben, um zu sagen die Myokarditis, also die Herzmuskelentzündung, ist eine typische Erscheinung oder Begleiterscheinungen bei Kindern zwischen zwölf und 17, die in relevanter Häufigkeit zwar selten, aber in relevanter Häufigkeit auftaucht und das muss deshalb in der Waagschale aufgewogen werden gegen die völlig eindeutige Nebenwirkung Myokarditis und Pericarditis. Letzteres hat ja leider die STIKO gemacht. Also das kann man meines Erachtens nicht machen, weil die Daten dafür viel zu schwach sind. Ich kann ja mal kurz sagen, wie die STIKO das begründet hat. Man muss ja immer, wenn man sozusagen hier alleine argumentiert, das Argument der Gegenseite in Anführungszeichen auch hören. Das ist ja so wenn Sie fünf Wissenschaftler über einen Sachverhalt sich beugen, dann gibt es eben leider doch fünf verschiedene Meinungen. So ähnlich wie bei Juristen. Es ist nicht so, dass dann alle sofort, gerade bei neuen Studien komplett dergleichen Meinung sind.

Die Ständige Impfkommission hat folgendes gesagt: das ist ja ein sehr wichtiges neues Argument gewesen, übrigens. Sie hat ja drei neue Argumente gehabt, warum sie der Meinung ist, dass jetzt die ursprüngliche Empfehlung geändert werden muss. Also die 180-

Grad-Wende wurde mit drei Argumenten begründet, das eine Argument war die Tatsache, dass die Myokarditis als Nebenwirkung sehr, sehr selten ist. Das stimmt, haben wir schon besprochen bezüglich BionTech. Was die STIKO falsch wiedergegeben hat ist, dass es angeblich Daten für Moderna gäbe. Das ist aber falsch, weil Moderna für diese Altersgruppe gar nicht zugelassen ist in den USA und Kanada, auf was sich die STIKO berufen hat. Aber es stimmt bezüglich BioNTech, dass die Myokarditis sehr, sehr seltene Nebenwirkung ist. Das zweite starke Argument oder Argument für die neue Empfehlung ist, dass man die Modellierung geändert hat. Da haben wir letztes Mal darüber gesprochen, da hat man einfach eine dramatische Erhöhung der erwarteten Fallzahlen reingeschrieben. Und dadurch schlägt das Pendel dann quasi zu Impfempfehlung aus. Und das dritte ist eben deshalb sprechen wir jetzt noch einmal darüber, dass sie gesagt haben „neue Untersuchungen aus dem Ausland weisen darauf hin, dass eine Beteiligung des Herzens durchaus auch bei Covid-19 Erkrankungen auftritt.“ So und dann sagen sie eben im Text selber dazu. „Eine kürzlich erschienene Metaanalyse zeigte darüber hinaus, dass eben diese Sars-CoV-2-Infektionen bei Kindern auch mit einer kardialen Beteiligung einhergehen können.“ Da schreiben sie als Beispiele Myokarditschämie also das ist Sauerstoffmangel des Herzens wie beim Herzinfarkt, Arrhythmie Rhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, dass das Herz also gar nicht mehr richtig pumpt. Und eben die Myokarditis, also diese Herzmuskelentzündung und als Begründung, dass sie jetzt plötzlich zu dieser überraschenden Erkenntnis kommen, dass also in diesem Alter die Infektion da in relevanter Häufigkeit bei zwölf bis 17-jährigen das machen, als Begründung dafür geben sie eben ein diese Metaanalyse an.


Camillo Schumann


Sie haben sich diese Studie angeschaut. Wie bewerten Sie sie?


Alexander Kekulé

Ja also, diese Metaanalyse, das hat mich ehrlich gesagt richtig erschreckt, dass die STIKO sich auf so etwas stützt. Das ist eine Ärztin aus dem Libanon, die bis jetzt zu dem Thema noch nie irgendetwas publiziert hat. Die hat bis jetzt

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einen einzigen Fallbericht mal von dem von einem Kind irgendwo publiziert, aber ist sonst überhaupt nicht ausgewiesen als Expertin, und die hat in einem darf man schon sagen minder drittklassigen Journal hat die keine Metaanalyse veröffentlicht, sondern nur eine Zusammenfassung so eine Art Übersichtsartikel.

Eine Metaanalyse ist Folgendes das ist, wenn man viele Statistiken hat von vielen Studien, dann haben die ja alle für sich selber nur eine begrenzte Aussagekraft, weil meistens die Fallzahlen nicht so groß sind in den einzelnen Studien. Und dann setzen sich manchmal so richtig gute Statistiker hin und gucken, können wir nicht mehrere Studien zusammenfassen. Da muss man zunächst mal Qualitätskriterien definieren. Und wenn die Studien, die bestimmte Qualitätskriterien haben und die dann auch vergleichbar sind, nach vorher definierten Kriterien, da darf man dann quasi so eine Art Riesenexcelsheet machen und die Daten zusammenfassen und kriegt dadurch, dass das ja dann mehr einzelne Teilnehmer sind in der Summe kriegt man eine statistisch validere Aussage. Das ist eine Metaanalyse, und das weiß die STIKO auch. Und sie schreibt hier über diese Zusammenfassung, die da geschrieben wurde von der libanesischen Ärztin, das sei eine Metaanalyse, das ist einfach eine Falschaussage. Das ist nur eine Zusammenfassung von bisherigen Studien, die obendrein wahnsinnig schlecht ist. Wir werden die dem Fall vielleicht mal ins Netz stellen tatsächlich, auch wenn es dies eigentlich nicht wert ist und zum Thema Myokarditis, worum es hier jetzt konkret geht sie merken schon, ärgert man sich, als Wissenschaftler.


Camillo Schumann


Ja, man hört das überhaupt nicht raus, nein, nein.


Alexander Kekulé

Aber zum Thema Myokarditis: da habe ich natürlich dann ich ärgere mich dann auch, dass ich dann so einen Schrott lesen muss. Entschuldigung, ich lese es dann durch, weil ich denke okay, darauf stützt also jetzt die STIKO ihre geänderte Empfehlung einer von drei Punkten. Und dann ist es so dann lese ich dort

in dieser sogenannten Metaanalyse, die eigentlich nur so eine Zusammenfassung ist, einen ganz kurzen Absatz über die Myokarditis. Das ist ein kleiner Absatz, und da bezieht sich die Autorin, auf eine einzige Studie aus Frankreich wiederum und behauptet, dass das eine große pädiatrische Kohortenstudie gewesen sei, wo also die Myokarditis in 71 Prozent der SARS-CoV-2 Fälle festgestellt wurde Wow, 71 Prozent, da dachte ich mir, die schaue ich mir doch einmal an. Und Tatsache ist, in dieser Studie aus Frankreich da hab ich dann gesehen, die kenne ich doch, das ist die Studie, wo damals dieses Kawasaki in Syndrom beschrieben wurde, was inzwischen Mis-C heißt. Also dieses Multi-Informationsyndrom bei Kindern oder auch Pimps benützen die Deutschen da manchmal als Abkürzung. Also das ist dieses Syndrom, was gar nichts mit der eigentlichen Covid-Erkrankung zu tun hat, sondern einige Wochen später auftritt und super selten ist. Und wo natürlich bekannt ist, dass das Herz immer oder fast immer beteiligt ist, weil das ja eine Entzündung der Herzarterien beinhaltet. Und da ist es überhaupt kein Wunder, dass die alle eine Herzbeteiligung oder fast alle eine Herzbeteiligungen hatten.

Das kann man auf gar keinen Fall als Beleg dafür nehmen, dass die Myokarditis ganz allgemein in den Nebenwirkungen der Covid-Erkrankung ist, sondern dieses Multi-inflammation Syndrom, was übrigens auch bei einer ganz anderen Altersgruppe auftritt, typischerweise im Alter von neun Jahren, das ist etwas, was die STIKO ja auch an einer anderen Stelle separat besprochen hat. Und da kamen sie zu dem Ergebnis keine Todesfälle in Deutschland, in der Regel heilbar und sehr, sehr, sehr, sehr selten. Das heißt also jetzt hier das rauszuziehen und quasi dann zu sagen, das Herz ist beteiligt, und deshalb können wir jetzt diese Nebenwirkungen Myokarditis bei der Impfung rechtfertigen. Oh weia, also das ist ein echter Schnitzer, würde ich sagen, wenn es jetzt eine Doktorarbeit wäre und ich müsste die begutachten, dann würde ich da ein rotes Kreuz an den Rand machen und sagen: schau das doch noch einmal an.

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50:06


Camillo Schumann


Okay, also kein gutes Haar an dieser Studie gelassen. Es gibt noch eine zweite Studie, die angeführt wird kommt aus den USA. Sieht es da ähnlich aus?


Alexander Kekulé

Ja, da sieht es ein bisschen besser aus, das ist eben dieser Übersichtsartikel, also diese Übersicht von den Krankenversicherungen. HCOs heißen, die dort in Amerika. Und das ist ein Preprint aus dem Juli. Und da hat man eben ausgewertet, die Daten, Sie haben es vorhin schon angedeutet, von einer ganzen Reihe von Jungen und Mädchen, die eben gemeldet waren in Krankenhäusern. Und wenn man das sich angeschaut hat, hat man insgesamt bei den Jungen, da ist es interessanter, da ist die Zahl höher, sechs Myokarditis Fälle gefunden, die einfach codiert wurden in diesen Gesundheitsdaten das ist ja das, was die Versicherungen immer kriegen -bei 6846 Covid-Erkrankungen.

Das Problem ist hier folgendes: wenn man das jetzt sich mal anschauen würde, sechs aus 6846 wenn man das umrechnen würde, auf wieviel sind es eigentlich pro Million? Dann käme man dazu, dass man sagen würde 876 Fälle ungefähr wären das pro Million, das, während extrem viele. Und das wissen die Autoren natürlich selber. Das kann überhaupt nicht sein. Ja, dann wäre ja die Myokarditis-Rate insgesamt in den USA massiv hochgegangen. Was sie nicht ist in dieser Altersgruppe. Und deshalb haben die eine Adjustierung gemacht dieser Zahl bezüglich der geschätzten Infektionshäufigkeit in der jeweiligen Gegend, wo das Krankenhaus stand. Die Fälle im Krankenhaus das sind ja Leute, die wegen Covid oder aus anderen Gründen ins Krankenhaus gekommen sind und da wird natürlich erstens besonders gründlich untersucht, die kriegen mal ein EKG, da findet man auch mal zufällig Hinweise auf eine Myokarditis. Und zweitens ist es aber so, dass sind ja, wenn es dann Covid-Patienten wären, wirklich nur die Schwerkranken an, die im Krankenhaus landen. Und von denen muss

man jetzt rückrechnen, wenn man aber wissen will, wie viel Prozent der überhaupt Infizierten und das haben sie hier ja versucht, kriegen eine Myokarditis, da muss man schätzen, okay, wie viele sind in dem Krankenhaus, da hatten wir vorhin darüber gesprochen. In Deutschland würde man so sagen 1 zu 2000 ungefähr ist der Faktor zwischen denen, die infiziert werden und denen, die im Krankenhaus sind. Die STIKO spricht glaube ich, von 1 zu 1000 ungefähr in der Größenordnung. Und da haben aber jetzt die Studienautoren aus Gründen, die ich nicht so recht nachvollziehen kann, einen Faktor von nicht einmal 1 zu 2 angesetzt. Das heißt, sie haben gesagt, unsere Grundgesamtheit der hier gemeldeten Covid-Fälle in unserem System, was ja nur Krankenhauspatienten erfasst hat, das ist mehr als die Hälfte aller überhaupt Infizierten gewesen. Und da gehe ich einfach nicht mit. Also es ist nicht so, dass mehr als jeder zweite Covid-Infizierte im Alter zwischen zwölf und 17 tatsächlich im Krankenhaus landet. Das ist einfach Unsinn. Und dieses Adjustment, was sie da gemacht haben, das ist nicht nachvollziehbar.

Das andere Thema ist, dass die das über einen sehr, sehr langen Zeitraum gemacht haben. Die Studie hat Fälle ausgewertet zwischen April 2020 also ganz am Anfang der Pandemie bis 31.03.21, also ein ziemlich langer Zeitraum. Und da hat sich in den verschiedenen Regionen natürlich auch der Infektionsdruck geändert. Mal gab es viele Fälle, dann gab es wieder ganz wenige. In einigen Bundesstaaten der USA wurde es ganz schlimm, und woanders hat man kaum Covid gehabt. Und dann einfach so pauschal zu sagen, wir wissen, auf welcher Basis von überhaupt Infizierten sich die Zahl von sechs Jungs, die wir da in den ganzen USA aufgetrieben haben, die Myokarditis hatten und zu gleich codiertes Covid... Also, Sie merken schon. Das ist dann so ein statistischer Hokuspokus, wo am Schluss man alles und nichts rausrechnen kann. Ich glaube, was man daraus sagen kann, ist ja das ist ein Hinweis, ein Signal, dass man dem weiter nachgehen soll. Und es kann sein, dass am Schluss irgendwie rauskommt, dass tatsächlich extrem selten auch in

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dieser Altersgruppe auch bei denen, die kein Multi-Inlammationssyndrom, sondern normales Covid haben, die Herzmuskelentzündung eine Rolle spielt. Aber die Schlussfolgerung, dass man das in die Waagschale werfen muss gegen die nachgewiesenen Nebenwirkungen des Medikaments, die geht mir einen kleinen Schritt zu weit.

54:23


Camillo Schumann


Es war der Nachtrag zum letzten Podcast und alle Studien, alle Dinge, die wir hier besprechen, werden mit Links versehen, in der schriftlichen Versionen dieses Podcasts. Da kann sich dann jeder selber die hier besprochenen Studien mal zu Gemüte führen und die Daten für sich persönlich auswerten.

Damit kommen wir zu den Hörerfragen Herr S. hat gemailt. Er schreibt:

„Als Impfskeptiker kann man argumentieren, dass Infektionen von Geimpften mangels Testpflicht mittlerweile kaum festgestellt werden, während Infektionen Ungeimpfter, auch bei asymptomatischem oder schwachem Verlauf registriert werden. Es ist aber bekannt, dass die Impfungen keine Sicherheit vor Ansteckung bieten. Wie hoch ist aktuell der Anteil Geimpfter an den festgestellten Infektionen? Und wie hoch ist er an den Infektionen mit schwerem Verlauf?“

Herr S. ,den ersten Teil der Antwort kann ich geben. Auszug aus dem Wochenbericht des Robert Koch-Instituts vom 19. August: insgesamt 13.360 wahrscheinliche Impfdurchbrüche wurden mit Meldungen seit der fünften Kalenderwoche identifiziert. Und dann wird das noch aufgedröselt nach BionTech und nach Moderna, AstraZeneca zum Vergleich um auch eine Bezugsgröße zu haben: 13.360 wahrscheinliche Impfdurchbrüche bei fast 50 Millionen Menschen, die vollständig geimpft sind, um das Ganze noch mal ein bisschen vergleichbarer zu machen. Die Frage jetzt, wie hoch der Anteil der Infektionen, der Geimpften mit Infektionen am schwer mit schwerem Verlauf die

kann man wahrscheinlich gar nicht beantworten oder?


Alexander Kekulé

Für Deutschland nicht, nein, weil das bei uns eine ganz, ganz kleine Zahl ist. Es ist völlig exotisch, wenn da mal einer, obwohl er richtig geimpft wurde, schwerstkrank wird und dann auch noch im Krankenhaus landet. Es gibt dann einzelne Todesfälle, die stehen ja im Moment noch dann gleich in der Zeitung. Wenn so etwas passiert, dass einer wirklich geimpft war, vollständig und dann daran gestorben ist. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das zunimmt, und zwar aus einem statistischen Effekt, wenn sie in einem Land einfach sehr viele Geimpft haben. Das haben wir gerade in Israel beobachtet. Dann wird ganz natürlicherweise der Anteil derer, die schwer krank sind und geimpft waren, größer. Das ist einfach ein statistisches Phänomen. Wenn die Zahl der Personen, die geimpft sind, einfach sehr, sehr groß ist. Nehmen wir mal an, alle wären geimpft in einem Land, rein theoretisch hundert Prozent geimpft. Dann würden sie ja trotzdem Impfdurchbrüche haben und ein ganz kleiner Teil von diesen Durchbrüchen wird dann schwerstkrank und einige sterben. Auch das ist ganz klar übrigens auch bei diesen Geimpften dann die gleiche Risikostruktur wie bei den Ungeimpften. Und das heißt Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere haben höheres Risiko. Und dann wäre es ja rein theoretisch so in diesem Beispiel, wo alle geimpft waren, dass dann der Anteil, der Geimpften an den Toten 100 Prozent wäre oder auch an den Schwerstkranken mehr als 100 Prozent und auch an den Infizierten mehr als 100 Prozent. Das heißt also, wenn Sie ein Land haben, wo alle geimpft sind, dann sind quasi alle, die irgendwie schwer krank werden, auch geimpft gewesen. Und da bewegen wir uns hoffentlich hin in diese Richtung. Ja nur zumindest von der Richtung her. Stimmt das so, wir werden da nicht ankommen, aber deshalb steigt bei uns jetzt in den nächsten Wochen die Zahl der Meldungen von Menschen, wo man sagt Mensch, der ist schwer krank gewesen. Und der war doch doppelt geimpft. Das wird einfach so sein. Da würde ich jetzt empfehlen, jetzt nicht jedes Mal den Blutdruck hochschießen zu lassen,

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sondern die wichtige Zahl ist einfach: die Impfung schützt vor Tod mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit. Auch bei Delta ist es noch so, dass diejenigen, die sterben, an den Delta Infektionen die wirklichen Raritäten nach wie vor. Vor schwersten Verläufen schützt sie auf jeden Fall weit über 90 Prozent. Auch bei Delta. Vor Krankenhauseinweisungen bei Delta, na ja, da geht es eben dann runter. Da kann man dann so sagen wahrscheinlich geht es so auf 70, 80 Prozent runter in der Größenordnung. Und vor Infektion ist es noch schlechter, insbesondere wenn sie jetzt AstraZeneca anschauen. Da ist es so, dass der Schutz vor Infektionen wahrscheinlich dann im Bereich von 50 Prozent oder darunter liegt. Das heißt also sie werden dann infiziert und leicht krank. Aber sie sterben nicht dran. Und das wird das Bild der nächsten Monate sein. Wir werden viele Menschen haben, die infizieren sich mit Delta ein zweites Mal. Gerade weil wir uns irgendwie locker machen. Und dann laufen die rum und sagen ist doch nichts. Und das Problem ist dann einfach die Frage: wie viele andere stecken die an von den Ungeimpften in der Situation, gerade weil sie wissen, dass sie selbst geimpft sind. Und das wird eine ganz neue Konstellation sein. Und ich kann noch einmal daran erinnern, dass ich deshalb absolut dafür bin, zu testen, weiter zu testen, weil das auch gerade für die Geimpften ganz wichtig ist, weil wir dort eben auch Durchbrüche haben.


Camillo Schumann


Und ja, wie infektiös Geimpfte sind, gibt es auch Studie dazu. Die werden wir dann nächste Woche am Dienstag besprechen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 211. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder dann zu einem Hörerfragen Spezial bis dahin!


Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann. Ich freue mich darauf.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei

YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 24. August 2021 #210


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zur Sendung:

STIKO-Empfehlung zur Covid-19-Impfung bei 12bis 17-Jährigen (19.08.) Epidemiologisches Bulletin 33/2021 (rki.de)

Dienstag, 24. August 2021

Keine Einschränkungen mehr ab einer 50er-Inzidenz. Stattdessen soll die Lage in den Krankenhäusern Maßstab werden. Ist die Abkehr von der Inzidenz zu diesem Zeitpunkt der Pandemie epidemiologisch sinnvoll?

Dann: Die STIKO empfiehlt nun doch eine COVID-19-Impfung für 12bis 17-Jährige. Wie sind die Daten, die zu dieser Meinungsänderung geführt haben, zu bewerten?

Und: Wird die Wirkung der Impfung verringert, wenn ein paar Spritzer danebengehen?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

0:59


Camillo Schumann


Ja, fünf Wochen Podcast-Sommerpause sind rum. Konnten Sie sich ein bisschen erholen?


Alexander Kekulé

Ja, nicht nur ein bisschen. Ich habe wirklich auch Nachrichtenpause gemacht. Ich komme fast aus dem Mustopf, hätte ich gesagt, und habe mehr Sport gemacht und tatsächlich mehrere Romane gelesen. Also, das ist schon etwas ungewöhnlich.


Camillo Schumann


Sport gemacht? Da muss ich jetzt mal nachhaken. Was haben Sie denn da gemacht?


Alexander Kekulé

Alles, was der Bewegung dient. Also, abgenommen habe ich nicht, leider. Aber der Wille war zumindest da.


Camillo Schumann


Wenn Sie sagen, Sie hatten so eine Nachrichtenabstinenz, das werden Sie jetzt alles wieder nachholen. Was sind denn so für Sie die wichtigsten, interessantesten Corona-Themen, Corona-Entwicklungen jetzt so nach der Sommerpause, wenn Sie da so draufschauen?


Alexander Kekulé

Naja, also, mit einem Auge habe ich es natürlich schon verfolgt. Also, das eine ist, dass wir nach den Ferien jetzt einen Reimport hatten – oder einen Import hatten – von Infektionen. Wie erwartet. Das, meine ich, hätte man vermeiden können. Aber das ist jetzt halt so, dass dadurch die vierte Welle jetzt richtig in Fahrt gekommen ist. Es ist inzwischen, sage ich mal, weltweit ziemlich eindeutig, dass Delta nicht gefährlicher ist als Alpha. Das war ja immer die Frage: Ist es nur infektiöser und auch bezüglich der Impfdurchbrüche relevanter oder ist es zusätzlich auch gefährlicher, was die Krankheitsverläufe betrifft? Da haben sich die Daten gefestigt. Das bleibt also dabei, dass es nicht gefährlicher ist, aber natürlich deutlich ansteckender. Wir wissen, dass die Delta-Patienten – das war in diesem Podcast ja auch immer besprochen, aber da sind viele Daten neu gekommen – auch nach der Impfung infektiös sind, sein können. D.h. nach der Impfung kann man sowohl sich nochmal infizieren als auch andere anstecken. Und da ist natürlich die Frage zum einen: Gilt das auch für die Genesenen? Gilt

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das im gleichen Maße für die Genesung? Also, bezüglich dieser Durchbrüche, wie man das dann nennt. Schützt die Impfung genauso gut oder schlecht wie die Genesung? Und natürlich ganz entscheidend für die epidemiologische Weiterentwicklung: Wie infektiös sind dann die Geimpften oder Genesenen, wenn sie Delta haben? Gibt Daten, die darauf hindeuten, dass zumindest in Einzelfällen die kurzzeitig ziemlich ansteckend sein könnten. Was haben wir noch? Dann habe ich natürlich mitbekommen, dass die Politiker jetzt in den USA und neuerdings auch in Deutschland eine weitere Booster-Impfung fordern. Das ist eine Diskussion, wo ich mal sagen würde, die ist sehr politisch geworden, wie vieles. Ich habe so den Eindruck, dass mehr politisch diskutiert wird als wissenschaftlich. Das ist vielleicht so ein Trend. NoCovid ist gescheitert, kann man weltweit sagen. Also, es gab ja für dieses NoCovid-Konzept auch in Deutschland Befürworter, die sind in letzter Zeit etwas stiller geworden. Und in Australien sieht man z.B., dass das einfach nicht funktioniert. Da sind ja jetzt die Menschen auf der Straße deswegen. Was haben wir noch? Dann habe ich mitgekriegt, dass jetzt auch international die Fachleute eigentlich sagen, dass diese Plastikbarrieren, also diese Plexiglasscheiben, die man überall eingebaut hat, durchaus ein ambivalentes Ding sind. Und was aus meiner Sicht eben jetzt entscheidend ist, ist die Frage: Wie kommen wir mit den Impfungen in Deutschland weiter? Das ist immer noch auf der To-Do-Liste. Da hat sich in den fünf Wochen wenig geändert. Und wo ich ein Fragezeichen habe – vielleicht wissen Sie da mehr – ist, wie gut die Schulen jetzt auf den Herbst vorbereitet sind. Also, das war ja immer die Ansage, dass man das machen will. Ich habe ehrlich gesagt nicht genau verfolgt, ob das in den Bundesländern jetzt passiert ist.

04:29


Camillo Schumann


Die Luftfilter sind in der Diskussion, die werden installiert und dann auch bezahlt. Es wird ein Testregime geben. Ich glaube, dreimal die Woche. Das ist dann auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Soll aber nach zwei Wochen dann auslaufen, da wird es dann keine Tests mehr geben. Das z.B..


Alexander Kekulé

Ja, also, wenn die Vorbereitungen gut sind, das ist ganz entscheidend. Ich glaube, das wird extrem wichtig sein für den Herbst. Ich habe ja schon mal gesagt hier, dass ich nicht der Meinung bin, dass es eine gute Idee ist, die Tests auslaufen zu lassen. Ich glaube, wir brauchen alle drei Optionen von GGG – aus verschiedenen Gründen. Der Wichtigste ist, dass das meines Erachtens zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen würde, wenn man sagt: Nur noch Geimpfte und Genesene haben sogenannte Privilegien und die anderen sollen sehen, wo sie bleiben oder müssen die Tests selber bezahlen. Also, ich bin der Meinung, dass man das sehr, sehr niedrigschwellig anbieten muss, weil sonst die Leute sich auch einfach nicht mehr testen lassen. Und das gefällt den Epidemiologen natürlich überhaupt nicht, wenn man dann keinen Überblick mehr hat.

05:29


Camillo Schumann


Da haben Sie ja jetzt, sage ich mal, ein gutes Themenportfolio angesprochen, was wir so in den nächsten Wochen und Monaten dann hier vertiefend besprechen werden im Podcast. Besonders spannend finde ich die Entwicklung, was Sie schon gesagt haben: Wie infektiös sind eigentlich Geimpfte und Genesene? Weil Sie das gerade so angesprochen haben, wir müssen das jetzt noch gar nicht sehr stark vertiefen, aber das ist wirklich so ein Thema, was möglicherweise auch noch größer werden könnte.


Alexander Kekulé

Also, das ist schon groß, das Thema. Man muss nur immer überlegen, wen man fragt. Also, unter Fachleuten – das war auch schon vor fünf Wochen hier Thema im Podcast – ist eigentlich klar, dass Delta – übrigens galt das bis zum gewissen Grad auch schon für Alpha – schon einmal Infizierte zum zweiten Mal anstecken kann – sonst hätte es sich ja auch nicht so schnell durchgesetzt und so schnell ausgebreitet. Und eben jetzt auch Geimpfte. Das ist nicht überraschend und die Daten gab es schon länger. Was jetzt neu ist, ist, dass eben einige Geimpfte kurzzeitig zumindest genauso infektiös sein können wie Ungeimpfte, wenn sie DeltaInfektionen kriegen. Und das macht natürlich dann für den Herbst eigentlich klar – so leid

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mir das tut, das zu sagen – dass wir ohne die nicht-pharmakologischen Interventionen, also ohne Masken, Abstand und was es da so alles Unangenehmes gibt, werden wir nicht durch den Herbst kommen. Wir werden das weiter brauchen, weil auch die Geimpften eben nicht sicher sind.

06:53


Camillo Schumann


Und die Datengrundlage zu genau dieser Aussage, wie infektiös Geimpfte sind, werden wir dann in den kommenden Wochen besprechen. Schauen wir uns mal die aktuelle Situation an, um damit gleich aktuell einzusteigen. Die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter, liegt heute bei 58. Vor zwei Wochen lag sie bei 23. Rund 800 Menschen werden aktuell mit Covid-19 auf der Intensivstation behandelt. Vor zwei Wochen waren es nicht mal halb so viele. Und jetzt interessanter Aspekt: 94 % der Covid-Patienten auf Intensivstationen in Deutschland sind ungeimpft. Was sagen Sie denn zu dieser Gemengelage aktuell?


Alexander Kekulé

Ja, das ist wie erwartet. Die vierte Welle hat ja auch schon vor unserer Sommerpause begonnen. Die läuft jetzt so langsam hoch. Wie weit sie hochläuft – da können wir heute noch drüber sprechen – das ist natürlich so ein bisschen spekulativ, da gibt es unterschiedliche Projektionen. Und wir haben ja auch dieses britische Experiment gehabt, dass Boris Johnson einfach die Tore geöffnet hat dem Virus in gewisser Weise, bei einem wesentlich höheren Impfstatus als in Deutschland. Dort hat das, muss man jetzt retrospektiv sagen – zum Glück hatten wir da lange Pause, um sich das anzuschauen – dazu geführt, dass zwar die Belastung der Krankenhäuser und Intensivstationen deutlich messbar gestiegen ist, aber kein Verhältnis zur letzten Welle vorher. Also, das Verhältnis ist, ich meine, so eins zu zehn oder sowas. D.h.also, bei gleicher Inzidenz o.Ä.r Inzidenz wie in der Januar-Welle in England haben wir jetzt einen Zehntel der Krankenhausbelegungen und Intensivstationsbelegungen. Auch bei den Todesfällen ist es ganz massiv runtergegangen. Und was wir hier in England deutlich sehen – und die gleichen Zahlen zeichnen sich jetzt gerade in Deutschland ab – ist, dass es

quasi eine Infektionswelle bei den Ungeimpften gibt. Das ist das, was passiert. Das Virus sucht sich sozusagen seine Opfer, wenn Sie so wollen. Notfalls die Nadeln im Heuhaufen. Die, die noch nicht geimpft sind, die haben einfach das Risiko. Und unter den Geimpften ist es nach wie vor so – zum Glück hat diese Prognose auch gehalten – dass die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, extrem gering ist. Wahrscheinlichkeit heißt immer: Es gibt Ausnahmen. Irgendwann wird dann in der Zeitung mit den vier Buchstaben stehen: 30-Jähriger, komplett geimpft, an Corona gestorben. Ja, solche Ausnahmen gibt es immer. Aber da muss ich jetzt schon davor warnen. Das ist kein Grund, sich aufzuregen, weil wir reden ja immer über Statistiken. Und jeder Mensch ist ein bisschen anders. Das Immunsystem ist bei jedem ein bisschen anders. Und dass Impfungen bei irgendjemandem mal nicht so gut anschlagen und der dann trotzdem schwerstkrank wird, vielleicht auch aus genetischen Gründen, das gibt's immer. Das ist kein Grund dafür, dass die Regel insgesamt falsch wäre.

09:44


Camillo Schumann


Genau, einen Toten haben wir, einen Geimpften, der gestorben ist. Er war allerdings über 60. Man muss ja auch sagen, dass, ich glaube, fast 90 % der 60-Jährigen sind ja schon geimpft. Also, mit einer hohen Quote, also mit einer hohen Basiszahl bedeutet das ja auch, dass statistisch dann auch mal was passieren kann.


Alexander Kekulé

Ja, passieren muss. Rein statistisch ist die Wahrscheinlichkeit dann irgendwann eins. D.h. es muss eigentlich eintreten, so tragisch das im Einzelfall ist. In Israel beobachten wir Folgendes: Die haben ja inzwischen so ihre pole position ein bisschen abgegeben bei den Impfungen, aber sind trotzdem weiterhin sozusagen das Impflabor der Welt, weil sie perfekte Daten haben. Und da sehen wir tatsächlich, dass es auch einen Anstieg der Schwersterkrankungen und auch der Todesfälle bei den Geimpften gibt. Und in dieser sehr, sehr kleinen Gruppe – ja, das sind ganz kleine Zahlen – aber dort sieht man auch wieder die Tendenz: Das sind die Menschen, die schon vorher multi-morbid oder besonders alt waren. Also, das sind die, die

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besonders alt waren. Die waren ja schon immer die gefährdeten. Und die sind jetzt auch unter den vollständig Geimpften die gefährdeten. Das ist ein bisschen eine Gemeinheit, aber biologisch natürlich irgendwie nachvollziehbar. Wichtig ist, dass man das im Hinterkopf behält, wenn man so Nachrichten liest, dass die Impfwirkung nachlassen würde. Das wird manchmal so reininterpretiert, z.B. in die israelischen Daten. Das stimmt aber nicht ganz oder kann man nicht klar so lesen, weil die Alten wurden dort eben auch zuerst geimpft. Und dass die dann als erstes wieder Durchbrüche haben, muss nicht daran liegen, dass es länger her ist, dass sie die Impfungen hatten, sondern kann einfach daran liegen, dass die Quote derer, die eben nicht erfolgreich geimpft wurden oder auch der Anteil derer, die Grunderkrankungen haben, die trotzdem schwerere Verläufe machen, höher ist.

11:39


Camillo Schumann


Womit wir dann beim Thema der dritten Impfung wären, die auch in Deutschland sehr stark diskutiert wird. Werden wir dann am Donnerstag vertiefend besprechen, das auch sozusagen als kleiner Teaser an dieser Stelle. Wir haben aber ein sehr unterschiedliches Infektionsgeschehen, um wieder zurück nach Deutschland zu kommen. Während die Zahlen im Westen der Republik ja stark ansteigen, dort haben wir Inzidenzen über 100, im Osten ist eine Inzidenz von um die 20 so das höchste der Gefühle. Nur in Berlin und im Landkreis Havelland sind es über 50. Wie ist das eigentlich erklärbar? Der Westen rot, der Osten noch weiß bis gelb?


Alexander Kekulé

Ja, das ist schwierig. Eigentlich müsste das Robert-Koch-Institut dafür eine Erklärung abgeben. Ich kann zwar als Pendler zwischen München und Halle über beide Welten so ein bisschen eine Impression abgeben, aber rein wissenschaftlich ist es so: Es könnte zusammenhängen mit der Testhäufigkeit. Wie häufig werden Menschen getestet. Wird vielleicht im Osten weniger getestet und dadurch weniger Infektionen festgestellt. Das hängt oft mit der Frage zusammen, ob die Tests denn vorgeschrieben sind in den einzelnen Regionen und ob sie bezahlt werden natürlich. Muss man

sich testen lassen? Wir haben ja viele Fälle gefunden dadurch, dass einfach zeitweise ja bei jedem Friseurbesuch und ähnlichem vorher ein Test nötig war. Und weil das regional sehr unterschiedlich ist, ist das eine Frage, die ich jetzt nicht so aus dem Ärmel schütteln kann, was da die richtige Antwort ist. Mein Eindruck ist: Wenn man insgesamt so beschlossen hat, jetzt ist mal Schluss mit dieser Pandemie, jetzt wollen wir mal über was Anderes reden und an etwas Anderes denken, dann testet man sich auch nicht mehr so häufig, zumindest nicht freiwillig mit den Antigen-Schnelltests. Wie das mit dem Reiseverhalten ist, kann ich auch nicht beurteilen. Viele sind natürlich getestet worden im Zusammenhang mit Auslandsreisen. Ob da ein Unterschied zwischen Ost und West besteht, müssten dann auch die Fachleute beantworten. Und dann ist es natürlich auch so, das kann mit der Durchseuchung zusammenhängen. Also, gar nicht mal mit der Impfquote, sondern mit der natürlichen Durchseuchung, die ja parallel stattfindet. Und es gibt ja z.B. eine Studie, die gezeigt hat, dass in Dresden die Seroprävalenz für Covid, also für das Coronavirus – d.h. die Antikörper gegen dieses Virus – eine der höchsten Quoten in Deutschland haben. Und ob das jetzt überall im Osten so ist, wissen wir nicht. Aber es könnte sein, dass die Durchseuchung möglicherweise, oder die Zahl der Personen, die einfach die Erkrankung schon durchgemacht haben und dadurch jetzt nicht mehr zumindest symptomatisch erkranken, dass die im Osten höher ist. Aber das ist reine Spekulation. Gibt nur Stichproben, wie z.B. die eine aus Dresden. So richtig systematisch hat man das nicht untersucht.

14:31


Camillo Schumann


Wird auch ein Thema sein, die Analyse der Daten. Auch, wo das Infektionsgeschehen wie mit welchem Hintergrund wird dann auch wieder ein Thema sein hier im Podcast. Herr Kekulé, kommen wir zum aktuell wichtigsten Thema, das in Deutschland diskutiert wird: Das Corona-Kabinett, das hat getagt und sich darauf verständigt, die 50er-Inzidenz als Maßstab für Einschränkungen aus dem Infektionsschutzgesetz komplett streichen zu wollen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu im Morgenmagazin von ARD und ZDF:

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„Die 50er-Inzidenz im Gesetz, die hat ausgedient. Die galt für eine ungeimpfte Bevölkerung. Wir haben mittlerweile ja auch viele Menschen, die sich haben impfen lassen. Und deswegen ist mein Vorschlag, jetzt auch diesen Maßstab, diese 50er-Inzidenz, aus dem Gesetz zügig zu streichen. Das passt nicht mehr. Wir werden jedenfalls den Vorschlag machen, das jetzt noch zu machen auch vor der Wahl. Und was wichtig ist: Der neue Parameter ist dann die Hospitalisierung. Heißt also, die Covid-19Patienten, die ins Krankenhaus aufgenommen werden zur Behandlung. Dass wir sehen: Wie sehr wird das Gesundheitssystem noch immer belastet? Trotz hoher Impfquote haben wir noch so viele Ungeimpfte, dass es immer noch eine starke Belastung geben könnte, wenn die vierte Welle hochgeht. Und das sollten wir natürlich dann auch sehen.“

Also, die 50er-Infektionsinzidenz hat ausgedient. Stattdessen soll die Inzidenz in den Krankenhäusern künftig den Takt angeben. Das Bundesgesundheitsministerium soll nun ein paar Vorschläge machen, um das Infektionsschutzgesetz anzupassen. Erst einmal: Was halten Sie von diesem Vorhaben?


Alexander Kekulé

Also, erstens: Wir haben keine hohe Impfquote, wie der Bundesgesundheitsminister gerade gesagt hat, sondern wir sind mit der Impfquote in einem schlechten Bereich. Ich habe ja immer gesagt, wir brauchen bis Mitte September 70 % der Erwachsenen geimpft. Das war schon eigentlich eine konservative Forderung. Halte ich für machbar, sind wir aber noch weit von entfernt. Also, wir sind nicht in der Situation, dass wir trotz hoher Impfquote irgendwelche Situationen haben, sondern wir haben wegen zu niedriger Impfquote noch die hohen Krankenhausbelegungen. Sie haben es ja vorhin selber gesagt: Die meisten sind ja ungeimpft, die schwere Covid-Erkrankungen bekommen. Also, das Vorhaben ist in gewisser Weise überfällig, weil es eine Korrektur eines Fehlers der Politik ist. Und zwar ist es völliger Unsinn gewesen, diese 50er-Schwelle in das Bundesgesetz reinzuschreiben. Normalerweise ist es beim Gesetzgebungsvorhaben so, dass die Dinge, die in gewisser Weise Langzeitcharakter haben, Dauerwert haben, wo es auch sinnvoll ist, den ganzen Bundestag damit zu

befassen, das kommt ins Gesetz. Also, dann in dem Fall ins Bundesgesetz. Und solche Feinheiten wie: Bei welcher Inzidenz ist denn die Schwelle? Oder: Wie wird die Schwelle genau definiert? Sowas kommt in Verordnungen. Da steht dann im Bundesgesetz drinnen: Der Bundesminister der Gesundheit wird ermächtigt – eine sogenannte Verordnungsermächtigung – wird ermächtigt, das und das zu regeln per Verordnung. Und da hätte man das so machen sollen. Und ich hoffe sehr, dass man das jetzt auf diese übliche, sage ich mal, juristisch saubere Methode abstellt. Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen ist 100 Stundenkilometer, ja, das steht ja nicht im Bundesgesetz. Das steht in der Straßenverkehrsordnung. Das ist die Verordnung, die vom Bundesministerium für Verkehr erlassen wird. Und da gibt es eine Ermächtigung im Straßenverkehrsgesetz. Da steht eben drin, dass dieses Ministerium diese Verordnungen machen und dadurch auch quasi ganz flexibel ändern kann. So sollte man das jetzt auch machen, weil: meines Erachtens hat die Inzidenz überhaupt nicht ausgedient. Man braucht die Inzidenz aus verschiedenen Gründen dringend weiter, zusammen mit den anderen Parametern, um flexibel steuern zu können. Und ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, dann jedes Mal mit großem Brimborium zu sagen: Wir tun jetzt was, wir rufen wieder den Bundestag zusammen, um wieder das Gesetz zu ändern. Die Wissenschaft ist an der Stelle relativ flexibel, die Dinge ändern sich ständig und darauf kann man nur auf der Verordnungsebene richtig reagieren und nicht auf der Gesetzesebene.


Camillo Schumann


Und deswegen ist es ja eigentlich auch richtig, die 50 da rauszustreichen, wenn ich Sie richtig verstanden habe.


Alexander Kekulé

Natürlich, das war von Anfang an Unsinn, die da reinzuschreiben. Das ist dieser Paragraph 28a Absatz 3 Infektionsschutzgesetz. Das war von Anfang an nicht sinnvoll, das in das Gesetz zu schreiben. Man hat es halt, kann ich mir nur so vorstellen, in der Zeit wahnsinnig eilig gehabt, das musste schnell, schnell passieren. Und was jetzt die juristischen Hintergründe sind, kann ich Ihnen nicht erklären. Aber ich

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kann Ihnen sagen, dass das eigentlich völlig unüblich ist, solche Sachen in ein Bundesgesetz direkt reinzuschreiben.

19:01


Camillo Schumann


Herr Spahn hat es ja auch gerade eben hier im Ton gesagt. Das soll unbedingt noch vor der Wahl passieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Hat ja auch so ein gewisses psychologisches Moment, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das haben Sie jetzt gesagt. Das schwingt mit, da ist immer der Elefant im Raum, ist immer die Bundestagswahl hier. Und da muss man sagen, insgesamt ist es so, dass man den Eindruck hat, dass viele dieser Ankündigungen im Hinblick darauf geschehen, dass natürlich die Politiker wissen, dass der Wähler die Frage, wie man mit Corona umgegangen ist, durchaus wahrscheinlich berücksichtigt, wenn er sein Kreuzchen dann im September macht. 


Und da haben natürlich die amtierenden Bundespolitiker eigentlich jeder so ihren Dreck am Stecken, wenn ich mal so sagen darf. Und jetzt versucht jeder so ein bisschen deutlich zu machen, dass er ja rein theoretisch doch in der Lage wäre, zumindest in der Zukunft sowas zu managen. Ich glaube, da müssen wir jetzt nicht so eine große Tour d'Horizon in die Vergangenheit machen. Aber wenn man da mal einen Sonderpodcast macht, dann wird das wahrscheinlich eine depressive Veranstaltung. Wir haben in Deutschland über 90.000 Tote und davon wäre ein Großteil zu verhindern gewesen, das ist ja völlig klar.


20:20


Camillo Schumann


Sie haben ja gerade eben gesagt, wir brauchen die Inzidenz als weiteren oder als Maßstab – aber als einen von vielen – um die Situation besser zu bewerten. Warum?


Alexander Kekulé

Ja, das ist so: Die Inzidenz, also die Zahl der Menschen, die sich infizieren in einem Zeitraum, das ist letztlich das, was wir den Infektionsdruck nennen in der Epidemiologie. Also, wie hoch der Infektionsdruck ist. Letztlich ist das die Frage: Wie hoch ist die Gefahr? Also, wenn Sie einen Schirm haben und Sie stehen im Regen und haben einen Schirm über sich,

dann können Sie natürlich sagen: Ist mir völlig wurscht, wie stark es regnet. Aber ab einer gewissen Grenze, ich sage mal, wenn ein schweres Gewitter aufzieht, ist es doch – auch, wenn Sie unterm Schirm stehen – ganz gut, das vorher zu wissen. Vielleicht weht es Ihnen den Schirm weg, vielleicht nässt er durch oder sonst was. Und so ähnlich ist es hier auch. Wir können anhand der Inzidenz feststellen: Wie hoch ist die Gefahr eigentlich für Ungeimpfte? Und das muss man ganz klar sagen, das sind ja ganz viele Menschen noch im Land. Und wie hoch die akute Gefahr ist in einer bestimmten Region, das sehen wir an der Inzidenz, weil das einfach die Infektionswahrscheinlichkeit wiedergibt. Dann haben wir eben dieses Thema Delta, was meines Erachtens bei der Politik noch gar nicht so angekommen ist. Da ist es wissenschaftlich völlig klar inzwischen, dass die Delta-Infektionen auch bei Geimpften auftreten können und auch bei Genesenen und dass die dann auch wiederum, zumindest teilweise, ansteckend sind. Und wir haben es ja im Moment mit Delta zu tun. Delta ist ja die dominierende Variante in Deutschland jetzt. Und deshalb müssen wir die Gefahr natürlich auch für sogenannte Impfdurchbrüche anhand der Inzidenz berücksichtigen, weil ältere Menschen oder solche, bei denen aus irgendwelchen Gründen die Impfung nicht richtig funktioniert hat, Immunsupprimierte o.Ä. mit schlechtem Immunsystem, die können durchaus auch bei einer hohen Inzidenz sich dann infizieren und schwer krank werden. Ganz wenige sterben dann trotzdem. Und dieses Risiko, diese Gefahr müssen wir beurteilen können, weil auch, wenn jeder einzelne ein kleines Risiko hat, dann ist natürlich, wenn dieses kleine Risiko – z.B. eines Impfdurchbruchs –dann ganz viele Menschen betrifft, weil die Inzidenz irrsinnig hoch ist, dann ist das ein Thema. Und wir haben die ganzen Kinder und Jugendlichen, die nicht geimpft sind. Wir haben dadurch das Thema Schulen, das von der Inzidenz enorm abhängt, also von dem Infektionsdruck. Und schließlich der weitere, extrem wichtige Punkt: Die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen. Wir müssen ja im Herbst weiterhin diese nichtpharmakologischen Interventionen machen. Wir brauchen in bestimmten Bereichen Masken. Wir müssen in den Schulen uns was überlegen, dort, wo Kinder nicht geimpft sind usw.

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Die Wirksamkeit aller Gegenmaßnahmen – einschließlich übrigens auch der Impfungen – die kann man nur beurteilen, wenn man die Inzidenz kennt, weil ja die Inzidenz dann runtergeht, wenn die Gegenmaßnahmen funktionieren. Und deshalb kann man sagen: Es ist schon sinnvoll, die Inzidenz nicht mehr so in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist ja de facto vom RKI auch schon lange so gemacht worden. Es ist quasi so, wenn Sie eine Sicherung im Haushalt haben, ja. Da gibt's ja Sicherungen, wenn man da genau draufschaut, da gibt's welche, die heißen „flink“ und welche, die heißen „träge“. D.h. nicht, dass sie Ihnen „flink“ davonläuft, sondern d.h. dass sie schneller rausspringt quasi, die ist empfindlicher auf Störungen. Und wenn Sie so wollen, ist die Inzidenz ein flinker Indikator, ein sensibler. Und es ist sinnvoll, in der jetzigen Phase, wo viele geimpft sind, wo man jetzt nicht mehr ständig hysterisch hin und her springen will zwischen Lockdown an und Lockdown aus, auf einen trägeren Indikator umzusteigen. Und das sind z.B. eben die Hospitalisierungsrate, die Intensivstationsbelegung, die Sterblichkeit. Die sind aber verzögert, zeitlich natürlich. Und die sind eben auch insofern träger, als dass sie nicht sofort ein Problem anzeigen. Sie haben quasi keinen Wettervorhersage-Charakter. Und den brauchen wir aber weiterhin in dieser Pandemie. Also, deshalb sinnvoll in gewisser Weise, die politischen Entscheidungen auf trägere Indikatoren umzustellen. Aber die Inzidenz brauchen wir als sensiblen Parameter weiterhin, sozusagen Langzeitvoraussicht auch. Deshalb ist meine Empfehlung wirklich zu sagen, man braucht regionale Maßnahmen. Gar nicht mehr so bundesweit, sondern regional. Möglichst gezielt, also quasi chirurgisch definierte Maßnahmen, mikrochirurgische Maßnahmen, die sich nach der Inzidenz, nach der Hospitalisierungsrate, nach der Intensivbelegung, nach der Impfquote natürlich und nach der Demografie der Betroffenen richtet. Also, wie alt sind die? Welche sozialen Schichten sind das? Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie jetzt bei irgendwelchen PartyPeople in Berlin irgendwie eine hohe Inzidenz haben, die alle jung und gesund sind. Also, meistens zumindest. Oder ob Sie eine hohe Inzidenz in irgendwelchen Regionen haben, wo eben ältere oder sensible Personen oder gefährdete Personen betroffen sind.

25:05


Camillo Schumann


Jetzt sind das ja ganz viele sehr feingliedrige Parameter, die dann zu Einschränkungen, zu Maßnahmen, wie auch immer, führen. Das mag auf der einen Seite absolut richtig sein. Auf der anderen Seite lässt sich das natürlich schwer den Menschen kommunizieren. So eine Inzidenz von 50 oder 35, ja, das ist, sage ich mal, nachvollziehbar. Da darf ich dann nicht mehr in den Biergarten oder ich muss eine Maske aufziehen. Aber wenn ich dann jetzt so vier, fünf Parameter habe und überhaupt nicht mehr durchsteige, was denn am Ende tatsächlich dazu führt, dass ich nicht mehr in den Biergarten darf, ist dann auch schwer zu kommunizieren. Also, da haben wir ja möglicherweise auch einen Konflikt, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das wird sicher schwierig. Also, kommunikativ ist das nicht so einfach. Gut, wir sind inzwischen 83 [Mio., Anm. d. Red.] Virologen in Deutschland (lacht). Aber es ist natürlich so: Sie müssen es letztlich dann, wenn es so viele Parameter sind, regional runterbrechen. Es gibt keinen idealen Algorithmus, wo man so viele Parameter quasi in eine bundesweit gültige Formel gießen kann. Sondern man muss dann sagen: Okay – so müsste so eine Ermächtigung im Gesetz dann auch aussehen – dass man sagt, also, die Länder werden ermächtigt oder zunächst das Bundesgesundheitsministerium und dann möglicherweise durch Ausarbeitung der Länder, dass die Regionen wirklich das einzeln entscheiden können. Weil es kann durchaus sein, dass in einer Region, wo es fünf Altersheime gibt mit Ausbrüchen, wo es beim Pflegepersonal eine schlechte Impfbereitschaft gab, dass wirklich dann – in so einem Landkreis könnte das sein – man sagen muss: Da müssen wir jetzt die Biergärten zumachen. Ja, weil wir wissen, das Pflegepersonal sitzt dann in den Biergärten, kann sich da anstecken, kann die Krankheiten weiterverbreiten. Das weiß man ja regional. Und es kann gemeinerweise sein, dass zwei Landkreise weiter, die vielleicht überhaupt keine Altersheime haben, dass dort man sagt: Naja, bei uns ist das nicht so schlimm, wir haben zwar die gleiche Inzidenz, aber bei uns spielt das keine große Rolle. Also, das wird kommunikativ nicht ganz einfach. Aber ich glaube, das ist in der jetzigen Phase –

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ich sage ja immer, es ist das Endspiel der Pandemie, neue Regeln – und da ist das das sinnvolle Verfahren.

27:09


Camillo Schumann


Wir haben ja gerade über die 50er-Inzidenz gesprochen, die raus soll aus dem Infektionsschutzgesetz. Die Frage, die ich mir stelle: Ob auch die Bundesnotbremse abgeschafft wird? Die gilt ja ab einer Inzidenz von 100, wo dann der Bund sagt: So, jetzt reicht's. Dazu hat sich Spahn noch nicht geäußert. Was vermuten Sie? Was wäre wünschenswert? Bundesnotbremse ab 100 drin lassen oder nicht?


Alexander Kekulé

Das hat keinen Sinn. Die Bundesnotbremse ist in der Tat ein zu grobes Mittel in der jetzigen Lage. Wir brauchen eben jetzt diese stärker differenzierten Maßnahmen. Die Bundesnotbremse ist ja letztlich auch keine Maßnahme, wenn man so konkret will, zurechtgeschnitten auf das Virus gewesen, sondern das war eine Maßnahme, die den Zweck hatte, die Ministerpräsidenten auf Linie zu bringen. Darum ging es ja letztlich. Das war eine politisch motivierte Maßnahme und keine epidemiologisch begründete. Und in der Lage sind wir ja gar nicht mehr. Wir brauchen ja sozusagen nicht den roten Knopf für die Kanzlerin, falls ihre Ministerpräsidenten nicht mitmachen, sondern wir sind jetzt in einer ganz anderen Situation. Wir wissen ja noch gar nicht, wer Kanzler wird usw. Oder Kanzlerin. Und deshalb glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, diese Bundesnotbremse, so starr wie sie jetzt ist, im Gesetz zu lassen.

28:26


Camillo Schumann


Kommen wir zum nächsten Thema. Vor der Sommerpause des Podcasts hatte ja die STIKO, die Ständige Impfkommission, keine generelle Impfempfehlung für die 12bis 17-Jährigen abgegeben, aber immer betont: Ja, sobald sich die Datenlage ändert, können wir die Empfehlung auch gern anpassen. Und offenbar hat sich die Datenlage geändert, denn die STIKO hat ihre Meinung geändert und nun auch das Impfen aller Kinder und Jugendlichen im Alter ab 12 Jahren empfohlen, ohne Einschränkung. Den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der das ja auch immer wieder gefordert hatte,

den freut das natürlich. Wir hören mal kurz rein:

„Aus Auswertungen neuer Studiendaten kommt die Ständige Impfkommission nun zu der Empfehlung, auch über zwölfjährige Kinder und Jugendliche zu impfen, grundsätzlich eine Impfempfehlung auszusprechen. Das ist eine gute Nachricht. Für Kinder, für Jugendliche und für ihre Eltern gibt es nun die klare Empfehlung, sich impfen zu lassen. Der Nutzen einer solchen Corona-Schutzimpfung überwiegt auch in jungem Alter. Die Fakten sprechen für eine Impfung. Es ist ausreichend Impfstoff für alle Altersgruppen da. Jeder, der will, jede, die will, kann eine erste Impfung bekommen, um sich und andere zu schützen.“

Bevor wir ins Detail gehen: Was haben Sie denn gedacht, als Sie aus dem Urlaub zurückkamen und gehört haben, die STIKO, die hat ihre Meinung zur Impfung für Kinder und Jugendliche geändert?


Alexander Kekulé

Das hab ich tatsächlich sofort gehört, als das passiert ist. Als die STIKO die erste Empfehlung gegeben hat, war ich eigentlich überrascht, dass sie sich so festgelegt hat. Und in gewisser Weise ist es so, dass man schon vermuten muss, dass der politische Druck jetzt eine Rolle gespielt hat bei der Entscheidung. Ich war ja eigentlich überrascht, wie klar sich die STIKO am Anfang festgelegt hatte, warum sie diese Impfung nicht empfohlen hat im Juni. Und rein wissenschaftlich war es natürlich jetzt dann spannend, mal in die Begründung reinzuschauen, wie diese Pfeiler, die da eingeschlagen wurden – überraschend dicke und deutliche Pfeiler gegen die Impfung – wie die dann jetzt wohl wieder aufgeweicht wurden innerhalb weniger Monate durch angeblich neue Belege. Ich kann aber trotzdem sagen jetzt aus meiner Sicht: Ja, die STIKO hatte sowohl im Juni als auch jetzt bei der geänderten, um 180° gedrehten Entscheidung, jeweils das Wohl der Kinder im Blick. Das muss man ganz klar sagen. Die waren zwar unter politischem Druck, aber die haben sich offensichtlich Gedanken gemacht. Was können wir machen, um den Kindern wirklich zu helfen, den 12bis 17-Jährigen und vielleicht auch jüngeren irgendwie zu helfen? Was ist die sinnvolle Maßnahme für die? Insofern hat jetzt rein von der Motivation her

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die STIKO nach wie vor meine Hochschätzung. Sie haben letztlich in der aktuellen – um das ganz kurz vorwegzunehmen – in der aktuellen Entscheidung gesagt: Erstens, wir haben seltene Nebenwirkungen ausgeschlossen. Seltene Nebenwirkungen waren damals noch nicht auszuschließen. Jetzt halten wir die für extrem unwahrscheinlich, weil viel mehr Menschen geimpft wurden, auch in dem Alter. Und zweitens, und das ist ganz wichtig, war der STIKO ein Anliegen, die Kinder letztlich von den psychosozialen Bürden der Pandemie zu befreien. Also, es ging auch darum, durch eine Impfung so einen Befreiungsschlag für die Kinder zu machen, dass die eben endlich nicht mehr Masken und diese ganzen Tests und was die alles machen müssen. Ich sag mal, drei Fragen sind für mich offen. Nummer eins ist: Die Grundlage, auf der die STIKO jetzt ihre neue Empfehlung gegeben hat – da können wir ja gleich nochmal drüber sprechen – ist extrem pessimistisch. Die sagen, dass im Herbst eine Horrorwelle auf uns zurollt. Und nur wenn diese Horrorwelle kommt, ist die neue Empfehlung der STIKO begründet. Also, die begründet sich unter der Voraussage einer horrenden CovidWelle im Herbst, weil nur dann hätte das Sinn nach der Aussage der STIKO. Sie haben nicht berücksichtigt, was wir gerade besprochen haben, dass es durch das Delta-Virus Impfdurchbrüche gibt. Das ist gar nicht in der Empfehlung drin. D.h. das ist für mich ein dickes Fragezeichen, warum das nicht drin ist, weil das ja schon sogar bei der ersten Empfehlung klar war, dass Delta sich durchsetzt und infektiöser ist und auch Durchbrüche macht. Ich habe auch Fragen bei der Myokarditis, also diese Herzmuskelentzündung, die ein wichtiges Thema für die STIKO war, in der Art, wie sie das abgehandelt hat. Da könnte man vielleicht im Detail nochmal drüber sprechen. Und drittens ist für mich, obwohl ich da kein Fachmann bin, schon die Frage, ob dieser Befreiungsschlag vor den psychosozialen Zwängen für die Kinder, ob der durch diese Empfehlung wirklich gelingen wird. Aber mit den Fragen trotzdem, die STIKO hatte wirklich das Kindeswohl im Blick und hat sich da extrem Mühe gegeben.

33:13


Camillo Schumann


Und man muss auch dazu sagen, es gibt ja auch einschränkende Formulierungen. Also,

sozusagen den Sachverhalt kurz umrissen, um dann gleich noch im selben Atemzug dann zu sagen, dass man eigentlich nichts weiß von bestimmten oder sehr, sehr wenig weiß und vor allem, was die Zukunft betrifft auch wenige Prognosen geben kann. Also, das ist sozusagen etwas, was man so rausliest. Oder was ich als Journalist rauslese, ist: Es gibt durchaus an der einen oder anderen Stelle Probleme, aber wir haben es quantitativ nicht da, qualitativ auch nicht und wir wissen auch nicht, wie die Prognose ausfällt. Das lese ich da raus.


Alexander Kekulé

Naja, man könnte die Begründung – die ist ja sehr lang und wissenschaftlich ausführlich – aber man könnte die auch komplett durchlesen als Begründung dafür, dass es so bleibt, wie es ist. Also, dass man keine generelle Empfehlung gibt, weil die Argumente immer Pro und Contra drinstehen. Also, z.B. steht ja drin, also, ich sage mal – man kann ja nochmal rekapitulieren. Also, am 10. Juni, in der ursprünglichen Empfehlung, dass Kinder zwischen 12 und 17 nicht geimpft werden sollen. Damit, muss man ja sagen, hat die STIKO sich ja auch ein bisschen anders positioniert als z.B. in den USA, wo es diese Empfehlung gab. Im Vereinigten Königreich war es aber damals auch so, dass man gesagt hat: Die Kinder in dem Alter sollen nicht geimpft werden. Und auch in vielen anderen Ländern hat man sich so ähnlich verhalten wie die STIKO. Darum ist es übrigens interessant, international guckt man schon genau, was die Deutschen jetzt hier gemacht haben. So, und dann haben sie also vier Argumente gehabt am 10. Juni, wo sie gesagt haben: Keine generelle Impfempfehlung. Erstens haben sie gesagt: Epidemiologisch ist die Impfung der Kinder in diesem Alter nicht erforderlich. Also, wir brauchen das nicht, um die Pandemie zu bekämpfen. Viel wichtiger ist die Impfung der älteren. Das ist extrem wichtig, die STIKO sagt sogar, 75 % der Erwachsenen sollen geimpft werden. Ich habe immer gesagt 70 %, weil ich als Dunkelziffer noch die bereits Genesenen im Auge habe. Aber wie auch immer das ist, ob man das jetzt so oder so rechnet, beide Forderungen sind ja nicht erfüllt. D.h. eigentlich ist es klar, dass das Ganze hier eine Ersatzhandlung ist dafür, dass sich verdammt nochmal, Entschuldigung, die Erwachsenen nicht impfen lassen. Ja, dass es so und

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so viele junge Erwachsene gibt, die das nicht machen wollen. Dass es Studenten gibt, die das nicht machen wollen, dass es sogar Pfleger gibt in den Pflegeheimen, die sich nicht impfen lassen wollen usw. Lehrer, die sich nicht impfen lassen wollen. Und vor diesem Hintergrund sagt die STIKO nach wie vor – und das ist völlig unverändert in der neuen Empfehlung – aus epidemiologischen Gründen brauchen wir es nicht, nach wie vor, unverändert. Zweitens sagen sie, und das ist auch wichtig für 12bis 17Jährige, ist Covid harmlos, wirklich harmlos. Das begründen sie nochmal durch weitere zusätzliche Studien, die sie ausgegraben haben nach dem 10. Juni, nach der letzten Empfehlung. Sie beziehen das auch, ohne jetzt ins Detail zu gehen, auf Long Covid, wo sie sagen: Es ist gar nicht klar, ob Long Covid in dem Alter überhaupt eine definierte Erkrankung ist. Und sie beziehen es auch auf dieses Multiinflammationssyndrom MIS-C, weil sie sagen: Es gab keinen einzigen Todesfall in Deutschland. Das kann man inzwischen gut behandeln. Übrigens ist bei diesem MIS-C, darüber hat die STIKO gar nicht geredet, aber wird ja immer darüber gesprochen, dass einige Kinder diese extrem seltene Überreaktion haben nach Covid, einige Wochen später dann und dann schwer krank werden mit Herzmuskelentzündungen und sowas. Es ist gar nicht klar, ob die Impfung dagegen wirklich effektiv schützt, weil wir wissen ja, bei Delta gibt es Durchbruchinfektionen und ob die dann manchmal MIS-C kriegen können oder nicht ist völlig unklar. Für diesen Endpunkt wurden die Studien ja gar nicht gemacht. Und sie sagen – haben das damals gesagt und das ist auch völlig unverändert und steht in der neuen Empfehlung mindestens dreimal explizit drin: Die Langzeitfolgen der Impfung sind unbekannt. Langzeit heißt bei Impfstoffen eigentlich mindestens zwei Jahre, eher noch länger. Sonst kann man vielleicht sagen bei Medikamenten ein Jahr oder sowas, aber bei Impfungen muss man schon eher von zwei Jahren reden. Und das hat sie natürlich in den paar Monaten nicht geändert. Die Langzeitfolgen, einschließlich der unbekannten Unbekannten, der unknown unknowns, die eben dadurch entstehen, dass es RNA-Impfstoffe bisher überhaupt noch nie gab, die sind nach wie vor völlig unbekannt. Und diese Position steht nach wie vor. Sodass man jetzt sagen

könnte: Okay, eigentlich alles klar. Warum soll man jetzt die Impfung empfehlen? Und dann haben sie sich noch die Myokarditis angesehen, also diese Fälle von Herzmuskelentzündungen. Das ist der vierte Punkt gewesen. Da haben sie damals gesagt: Die Myokarditis-Folgen sind unklar und wir wissen nicht, ob es nicht vielleicht andere seltene Nebenwirkungen gibt, die kurzfristig, also kurz nach der Impfung, auftreten, aber so selten sind, dass man die bei den Zulassungsstudien mit ein paar tausend Teilnehmern nicht gesehen hat. Bei diesem letzten Punkt muss ich sagen, da unterschreibe ich das hundertprozentig was sie gemacht haben. Es ist so: Dadurch, dass jetzt wirklich Mio. von Menschen geimpft wurden, auch in der Altersgruppe, mit dem BioNTechImpfstoff, dadurch ist relativ klar, dass wir keine extrem seltenen Nebenwirkungen, die kurz nach der Impfung auftreten, übersehen. Also, das kann man praktisch ausschließen im Moment, zumindest für BioNTech. Bei Moderna müsste man vielleicht darüber reden. Ist das anders? Bei der Myokarditis, also dieser Herzmuskelentzündung, haben sie das ganz genau angeschaut. Und das ist für mich auch ein Thema, wo ich ein Fragezeichen habe, weil ich finde, die Daten bezüglich der Myokarditis als Nebenwirkungen sind von der STIKO recht optimistisch betrachtet worden. Könnte man mit genau den gleichen Daten und den gleichen Argumenten auch sagen: Das ist uns im Moment noch zu heiß. So, wie das die amerikanische Zulassungsbehörde FDA im Moment ja bei der Moderna-Zulassung macht. Die haben bei Moderna jetzt die Zulassung erstmal nicht erteilt, sondern wollen es nochmal genauer prüfen, weil sie sich nicht sicher sind, ob das Thema Herzmuskelentzündung irgendwie eine Rolle spielt.

39:09


Camillo Schumann


Ich würde mal sagen, wir nehmen uns nochmal zwei Punkte raus. Zum einen die Myokarditis, die Herzmuskelentzündung und die psychosozialen Folgen. Kommen wir gleich zu, nochmal vertiefender. Aber sozusagen als Grundlage gilt ja eine neue Modellierung. Also, die STIKO hat berechnet, wie sich das Infektionsgeschehen im Herbst/Winter entwickeln könnte, um ganz bestimmte Annahmen dann auch zu haben, die sich davon ableiten lassen. Sie haben ja schon

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Horrorszenario, haben Sie das jetzt genannt. Können Sie vielleicht kurz die Modellierungsparameter nennen und wie Sie das Ganze bewerten und wie realistisch dieses Szenario eigentlich ist, weil die STIKO selber schränkt das ja dann auch noch ein.


Alexander Kekulé

Natürlich ist auch so ein Gutachten oder so eine wissenschaftliche Begründung in Eile geschrieben worden. Da sind einige ganz schöne Widersprüche drin. Aber da wollen wir jetzt mal nicht kleinlich sein. Also, es gab ja schon so eine Modellierung, weil ganz entscheidend ist ja die Frage, ob eine Impfung sinnvoll ist oder was bringt oder nicht. Dazu muss man erstmal wissen: Wie häufig ist die Erkrankung? Das ist wichtig, um festzustellen, ob so eine Impfung sinnvoll ist letztlich oder um Risiken und Nutzen abzuwägen. Wenn Sie z.B. für eine extrem seltene Erkrankung eine Impfung hätten und Sie würden sagen, die Impfung hat aber viele Nebenwirkungen, dann wäre das ziemlicher Unsinn. Z.B. Gelbfieberimpfung, sage ich mal. Das ist eine Impfung, die doch deutliche Nebenwirkungen hat. Keiner würde auf die Idee kommen, alle in Deutschland gegen Gelbfieber zu impfen. Aber wenn ich jetzt als Tropenmediziner in die Tropen reise – ich bin z.B. gegen Gelbfieber geimpft, habe mir das angetan, weil das in bestimmten Regionen so häufig ist, dass dann sozusagen der Nutzen das Risiko überwiegt. Deshalb ist die Häufigkeit – eben hier auch wieder der Infektionsdruck, da ist die Inzidenz wieder ganz wichtig – eine ganz wichtige Voraussetzung. Da haben die im Juni gerechnet, haben sie die nächsten Monate modelliert und haben gesagt: Wir rechnen damit, dass wir um die 95.000 neue Meldefälle haben werden, sofern es bei der Empfehlung bleibt, die damals ausgesprochen wurde, dass nur 12bis 17-Jährige mit Vorerkrankungen geimpft werden. Also, fast 95.000 Fälle in dieser Altersgruppe von 12 bis 15. Das war die Berechnung im Juni. Das war die Berechnung für, ich weiß gar nicht, ich glaube fünf Monate voraus oder so. Auf Basis dieser Berechnung haben sie damals gesagt: Der Nutzen überwiegt die Risiken nicht, weil man kommt dann am Schluss, wenn man dann jetzt statt nur den Personen mit Vorerkrankungen – da wird ja die Impfung schon empfohlen bei 12 bis 17 – wenn man

das erweitern würde auf eine allgemeine Empfehlung für alle 12bis 17-Jährigen, dann würde man dadurch insgesamt 26 Intensivaufnahmen wegen Covid vermeiden. 26. Und da haben die gesagt damals im Juni: Nö, das rechtfertigt nichts. Jetzt haben sie neue Zahlen auf den Tisch gelegt, wo sie die höhere Infektiosität von Delta wohl zum ersten Mal so richtig mit reingenommen haben. Im Juni war das schon bekannt, aber ich kann es mir nicht anders erklären, wo sie jetzt auf einmal – die Zahl, wie das gerechnet wurde, wird nicht öffentlich gemacht – schreiben sie jetzt auf, dass statt 95.000 sind es jetzt 450.000 Meldefälle, mit denen sie rechnen, sofern man keine allgemeine Impfung hat. Und wenn man die allgemeine Impfung machen würde, würde sich das reduzieren auf 285.000 bis Weihnachten. Und das ist also eine Differenz von ungefähr 165.000 Infektionen in der Altersgruppe, die man vermeiden könne. Und damit rechnet sich dann runter, dass man fast 2.000 Krankenhausaufnahmen vermeiden könne und insgesamt 36 Intensivstationsaufnahmen bis Weihnachten vermeiden kann. Und das wiederum ist jetzt im Gegensatz zu den 26 von der alten Kalkulation nach Meinung der STIKO Grund genug, um die Impfung zu empfehlen. Sie haben sich nicht verhört, es geht um eine Differenz von zehn Intensivstationsaufnahmen und die Basisannahme ist, dass man eine Welle hat als Annahme dafür. Und das ist wirklich das, was ich vorhin sozusagen als Horrorszenario bezeichnet habe. Die neue Annahme heißt, dass wir eine vierte Welle haben – das ist ja klar, in die laufen wir rein – die wird Anfang Oktober bis zu 60.000 Meldungen am Tag machen. 60.000 am Tag, das entspricht ungefähr einer Sieben-Tage-Inzidenz von 500 bundesweit als Mittelwert. 500er-Inzidenz als Mittelwert. Das ist die Basis, die sozusagen die Voraussetzung ist, damit man so, wie die STIKO argumentiert hat, die Impfung empfehlen kann. Jetzt im Gegensatz zum letzten Mal. Also, man hat sozusagen die Annahmen geändert, was im Herbst passieren wird und deshalb gesagt: Bei so massivem Infektionsdruck, dann ist es aber auch für die Kinder von 12 bis 17 aufgrund ihrer eigenen Erkrankungsmöglichkeit sinnvoll, sich zu impfen.

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44:10


Camillo Schumann


Und wenn man dieses – Sie haben es ja gesagt – Horrorszenario jetzt mal vergleicht mit der tatsächlichen Entwicklung der einzelnen Wellen: Gibt es da irgendeine Verbindung zur Realität? Oder ist das wirklich völlig, ich sage mal, wirklich dieses Horrorszenario, was eigentlich so nie eintreten wird?


Alexander Kekulé

Also, man sagt ja als Wissenschaftler nie nie. Ja, das ist ganz schwierig. Aber nur mal so zum Plausibilitäts-Check, ja, ist ja immer ganz schön. Also, die sagen, in fünf Monaten wird es in dieser Altersgruppe, wenn man es jetzt dabei belässt, dass nur etwa 20 % dieser Altersgruppe geimpft werden, also von denen, die keine Risikofaktoren haben – man muss dazu sagen: In der Altersgruppe von 12 bis 17 gibt es ungefähr 8 % Menschen, die Risikofaktoren haben. Die sind laut STIKO zu über 90 % geimpft oder werden zu über 90 % geimpft. Um die muss man sich sozusagen schon keine Sorgen mehr machen. Ganz wichtig, weil das ja auch die sind, die sterben würden oder ins Krankenhaus kämen. Und 20 % von den anderen, die lassen sich sowieso freiwillig impfen, weil die Möglichkeit gibt es ja auch. In Klammern: Urlaub, Disco, was weiß ich. Ja, freiwillige Impfung. Und dann ist es jetzt nur noch so, dass die STIKO annimmt, dass durch ihre Empfehlung diese Freiwilligen von 20 auf 50 % hochgehen. Weil 50 % ist die angenommene Bereitschaft bei ausgesprochener STIKO-Empfehlung in dieser Altersgruppe. Und jetzt ist es so, dass man also sagen muss, in diesem jetzigen Szenario, wenn man es bei der bisherigen Lage gelassen hätte, rechnen die ja mit 450.000 Fällen bei 12bis 17-Jährigen bis Weihnachten. Das sind fünf Monate vom 01.08. bis Weihnachten. Bisher hat es in den 15 Monaten der gesamten Pandemie in Deutschland in dieser Altersgruppe 206.000 Fälle gegeben. Die glauben, dass in den nächsten fünf Monaten mehr als doppelt so viele Fälle in dieser Altersgruppe auftreten werden, als in der gesamten Pandemie bisher. Auf der Basis rechnen sie natürlich dann auch, dass – also, bisher hatten wir insgesamt 42 Intensivpatienten in der Altersgruppe in der gesamten Pandemie. Übrigens viele von denen gleich wieder entlassen. Die sind zum Teil nur eine

Nacht auf der Intensivstation gewesen, wie gesagt, nur zwei gestorben. Mittlere Verweildauer in der Altersgruppe ist sechs Tage auf der ITS, viele eben auch kürzer. Und da sagen sie aber jetzt: Bis Weihnachten wird das ganz anders, in den nächsten fünf Monaten werden wir 101 Intensivfälle haben wegen Covid. Also, das ist mehr als doppelt so viel wiederum. Und klar, der Hintergrund ist, dass sie sagen: Jetzt ist Delta da. Aber trotzdem ist es ja so: Wir haben ja jetzt die Impfung. Die gab es ja bis jetzt nicht. Wir haben ja diese 20 %, die sich so oder so impfen lassen würden in der Altersgruppe. Wir haben weiterhin – und das ist auch angeblich berücksichtigt worden bei der Modellierung – die ganzen Schutzmaßnahmen in Schulen. Da wird ausdrücklich gesagt: Wir haben berücksichtigt, dass in den Schulen weiterhin Abstandsregeln gelten, dass Masken aufgesetzt werden. Usw., usw. Also, nicht so BorisJohnson-Methode, wir machen uns jetzt mal locker mit Freedom-Day. Nein, die STIKO geht davon aus, dass, wenn wir alles richtig deutsch weitermachen wie bisher, brav und vorsichtig, trotz der Impfung wir jetzt diesen enormen Anstieg haben. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass das unmöglich wäre. Aber ich würde jetzt ehrlich gesagt nicht aufgrund eines solchen Szenarios politische oder gesundheitspolitische Entscheidungen treffen. Ich würde nie schwören, dass das absolut ausgeschlossen ist. Wer weiß, wer nach der Bundestagswahl den Kanzler stellt, was dann für Maßnahmen ergriffen werden. Aber trotz aller Maßnahmen, trotz 20 % Impfung in der Gruppe, praktisch doppelt so viele Fälle wie bisher, in fünf Monaten statt bisher in 15 Monaten. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich. Und bei der ganzen Rechnung ist ja nicht berücksichtigt worden, dass es bei Delta natürlich Infektionen trotz Impfung gibt. Und deshalb wird sozusagen der Effekt der Impfung überschätzt, weil in der Berechnung quasi davon ausgegangen wurde, dass jemand, der geimpft ist, zumindest bezüglich der Weitergabe des Virus halbwegs sicher für die Gesellschaft ist. Aber bei Delta wissen wir eben, dass das nicht der Fall ist. Und das überschätzt dann den Effekt der Impfung.

48:36


Camillo Schumann


Da fragt man sich, warum man so eine Modellierung macht.

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Alexander Kekulé

Naja, Sie haben ja gerade das Statement von Herrn Spahn gehört. Also, die Ständige Impfkommission steht ja natürlich, wie wir alle – ja, das gilt für alle Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen – unter einem gewissen Erwartungsdruck. Und ich weiß nicht, was da passiert ist. Die werden das nie öffentlich sagen. Aber es ist doch letztlich so: Die wollen das Beste für die Kinder. Also keiner von den Wissenschaftlern da hat irgendwie Angst vor dem Bundesgesundheitsminister. Das können Sie mir glauben. Aber die überlegen sich halt: Wenn wir jetzt das nicht empfehlen, dann werden die Kinder weiter drangsaliert mit irgendwelchen Maßnahmen. Dann haben sie weiter soziale Handycaps und die armen Schweine müssen dann den ganzen Herbst wieder mit irgendwas, Schnelltests usw., diesen ganzen Maßnahmen leben. Und sie haben, glaube ich, gehofft, dass das so ein Befreiungsschlag wird von den sozialen und psychologischen Belastungen für die Kinder. Und diese Motivation erkenne ich wirklich voll an, auch wenn ich mir bei diesem Befreiungsschlag, um das vielleicht an der Stelle zu sagen, nicht so sicher bin, ob der funktioniert, wenn sie keine offizielle Empfehlung haben. Und es gibt in der Klasse paar Eltern, die sagen: Nein, mein Kind lasse ich dieses Jahr noch nicht impfen. Ich schaue mir das erstmal an. Vielleicht gibt es andere Impfstoffe. Vielleicht kennt man in einem Jahr mehr Langzeiteffekte von den RNA-Impfstoffen. Warte ich mal ab, aus welchen Gründen auch immer. Das müssen ja gar keine radikalen Impfgegner sein. Ohne eine allgemeine Empfehlung, glaube ich, würden diese Kinder in der Schule vom sozialen Status her es leichter haben, als wenn die anderen Eltern beim Elternabend dann sagen: Es gibt aber die STIKO-Empfehlung. Warum folgt ihr der STIKO -Empfehlung nicht? Ihr müsst das jetzt auch machen. Also, ich weiß nicht, ob das – ist aber wirklich ein Fragezeichen, kein Vorwurf, sondern ein Fragezeichen. Ich weiß nicht, ob diese Empfehlung jetzt tatsächlich den offensichtlich gewünschten Zweck – das steht ja auch drin, die Kinder von diesem Druck zu entlasten – ob die den erfüllen wird.

50:41


Camillo Schumann


Und vielleicht noch abschließend, weil ich gesagt habe, die STIKO schränkt das ja selber ein, die Modellierung. Sie schreibt:

„Im Modell werden verschiedene Parameter und Annahmen berücksichtigt, die gewissen Unsicherheiten und Dynamiken unterliegen. Daher eignen sich Szenarien auf Grundlage derartiger Modelle zwar gut zum Vergleich verschiedener Impfquoten, die konkrete Höhe der genannten Fallzahlen und Effekte ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren.“


Alexander Kekulé

Sie sind ja gemein. Das habe ich auch gelesen. Ja, Sie haben da wirklich mit journalistischem Spürsinn einen wichtigen Satz rausgeholt. Dieser Satz heißt ins Allgemeine übersetzt nichts Anderes, als dass man zwar verschiedene Szenarien untereinander vergleichen kann, man kann aber nicht entscheiden, ob ein Impfstoff sicher und empfehlenswert ist. Also, ob die Risiken vom Nutzen überwogen werden. Genau die Frage, um die es eigentlich geht, kann man mit solchen Szenarien nicht entscheiden. Und das hat die STIKO da selber reingeschrieben, um dann hinterher in der Zusammenfassung zu schreiben: Aufgrund unseres neuen Szenarios empfehlen wir die Impfung.

51:51


Camillo Schumann


Na gut, lassen wir mal so stehen. Wir wollten unbedingt noch über die Myokarditis sprechen, weil das ist so ein Punkt, das haben Sie auch selber gesagt, da gehen Sie d'accord mit der STIKO. Da gibt es neue Erkenntnisse, die sind auch gut zu bewerten. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?


Alexander Kekulé

Ja, also mal so handfest. Also, es gibt ja diese wackeligen Urängste von neuen Techniken. Und es gibt so dieses handfeste Thema mit der Herzmuskelentzündung. Klar ist das ein ganz kleiner Teil der Menschen, der Herzmuskelentzündungen kriegt nach der Impfung mit BioNTech und auch mit Moderna. Da sage ich jetzt mal so ganz sachlich, bin ich der Meinung – ich habe ja hier in diesem Podcast schon mal gesagt, dass ich diese Herzmuskelentzündungen für nicht relevant halte. Die sind selten, die

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werden wieder gesund. Da gibt es eine hohe Dunkelziffer, eine hohe Untererfassung natürlich, weil viele, die jetzt keine Sportler sind, es gar nicht so merken, wenn sie eine ganz leichte Myokarditis haben. Und ich habe das so ein bisschen schöngeredet. Jetzt ist es aber so, dass gerade im Zusammenhang mit der neuen Studie der STIKO mit der wissenschaftlichen Begründung, da werden ja die ganzen neuen Studien akribisch rausgesucht, die das untersucht haben. Und da hat sich jetzt Folgendes gezeigt – wusste ich vorher auch nicht, ist jetzt ganz neu rausgekommen: Bei den 12bis 17Jährigen, um die es hier geht, ja, nur um die geht es ja im Moment, da ist die höchste Wahrscheinlichkeit, dass die eine Myokarditis entwickeln. Also, die sind von allen Altersgruppen, auch den jüngeren und den älteren, sind das die, die am häufigsten eine Myokarditis haben. Und zwar Jungs häufiger als Mädchen. Risikofaktor 1,6. Also, Jungs etwa 1,6 Mal häufiger als Mädchen. Es ist trotzdem noch ein seltenes Ereignis. Bei den Jungs ist es ungefähr eine Myokarditis auf 17.000 Geimpfte, also mit zwei Dosen, jeweils bei BioNTech. Das sind die deutschen Zahlen. In den USA ist es so, dass die Rate bei 66,7 pro Million liegt. Das ist etwas mehr, aber wenn man das umrechnet, die gleiche Größenordnung. D.h. es bestätigt sich gegenseitig. Seltene Erkrankung, aber eben jetzt neu, dass man weiß: Ausgerechnet in dieser Altersgruppe, wo es jetzt darum geht, sollen wir die generell impfen oder nicht, ist die Myokarditis das häufigste Ereignis. Und was jetzt hier für mich schon ein wichtiger Faktor ist, ist, dass wir keine Daten zu Moderna haben. Moderna ist ein sehr ähnlicher Impfstoff wie BioNTech, aber es ist nicht der gleiche. Wir wissen aus den Zulassungsdaten – wird auch in der Studie der STIKO sehr genau dargelegt – dass die Reaktogenität deutlich höher ist bei Moderna. Also, nicht dramatisch höher, aber ich sage mal z.B. Rötung an der Einstichstelle, Schmerzen nach der Impfung und Ähnliches. Das ist gerade in dieser Altersgruppe deutlich mehr bei Moderna. Und wir wissen ja überhaupt nicht, woran das liegt. Diese Ideologie ist ja völlig unbekannt, weil wir nicht wissen, wie diese RNAImpfstoffe diese wundersame, starke Reaktogenität machen. Und der Verdacht steht natürlich im Raum, dass das irgendwie was zu tun haben könnte mit den Fällen, wo dann diese

Myokarditis entsteht, die natürlich auch wahrscheinlich was mit Autoimmunologie zu tun hat. Also, dass das Immunsystem an der Stelle überreagiert, weil das ist ja keine Herzmuskelentzündung, wo das Virus direkt oder irgendeine virusähnliche Substanz, der Impfstoff so tut, als wäre er ein Virus und den Herzmuskel kaputtmacht. So ist es ja nicht, sondern das Immunsystem reagiert irgendwie unerwartet. Und deshalb finde ich, um das ganz konkret zu sagen – sachliche Kritik ist ja doch immer unter Wissenschaftlern erlaubt und glaube ich auch konstruktiv: Es ist ein Fehler gewesen, in dieser Studie BioNTech und Moderna unter einen Hut zu nehmen. Also, die Ständige Impfkommission unterscheidet nicht zwischen den beiden Impfstoffen. Sie schreibt sogar, an einer Stelle macht sie einen echten Fehler. Sie behauptet nämlich, dass in den USA und Kanada mit BioNTech und Moderna insgesamt in dieser Altersgruppe 12 Mio. Dosen bereits verimpft wurden und leitet daraus ab, dass man ein gutes Bild von einem Sicherheitsprofil hätte. Dabei unterschlagen sie leider, dass dieser Impfstoff – Achtung – in den USA und in Kanada von Moderna in der Altersgruppe von 12 bis 17 gar nicht zugelassen ist. Also, sie behaupten, man hätte 12 Mio., aber das kann nur gelten für BioNTech. Steht aber da: Für Moderna und BioNTech.

56:15


Camillo Schumann


Im Gegensatz zu Europa. Und die Impfempfehlung ist ja auch für beide Impfstoffe hier in Deutschland.


Alexander Kekulé

Ja, genau. Ist für beide. Aber wenn man jetzt die Sicherheitsdaten anschaut, muss man schon ins Auge fassen, dass es sein könnte, dass Moderna hier möglicherweise ein anderes Profil hat. Nicht nur bei der Reaktogenität – da ist es ganz klar, da steht es auch in den Zulassungsstudien – sondern vielleicht auch bezüglich dieser Herzmuskelentzündungen. Und da gibt es eben jetzt aktuell – ich hatte es eingangs schon mal angedeutet die Entwicklung. Also, die amerikanische Zulassungsbehörde prüft im Moment, ob sie Moderna auch für 12bis 17-Jährige zulässt. Genauso die Kanadier. Und die prüfen jetzt ganz aktuell Hinweise darauf, dass die Myokarditisrate 2,5-fach höher ist bei Moderna im Vergleich zu BioNTech.

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Also, 2,5 ist bei Massenimpfungen schon eine wichtige Sache, also 2,5-fach häufiger. Das sind Dinge, die bis jetzt nur in Zoom-Konferenzen mündlich verbreitet wurden. Es gibt da noch keine Zahlen darüber. Aber was offiziell ist, ist, dass die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde, quasi diesen Zulassungstermin jetzt noch einmal verschoben hat, um das zu prüfen. Ich nehme an, dass am Schluss natürlich die Zulassung kommen wird. Die werden nicht den Impfstoff Made in USA – Moderna kommt ja aus Cambridge in Boston – die werden ja nicht ihren eigenen Impfstoff quasi nicht zulassen für 12bis 17-Jährige, sondern nur den Made in Germany. Das wird nicht passieren. Aber möglicherweise gibt es dann den Hinweis, dass man genauer nachschauen soll, wie das mit der Myokarditis ist, dass man irgendwas auf den Beipackzettel aufdrucken muss. Die zweite Unterscheidung, die die STIKO nicht gemacht hat – also, erstens: BioNTech Moderna hat sie nicht differenziert. Und zweitens: Jungen und Mädchen. Und wir wissen aber, dass das Risiko bei Jungen deutlich höher ist für diese Erkrankung: 1,6. Und wenn sie die 1,62 – sind es, um genau zu sein – mit den 2,5 multiplizieren, dann haben sie ein über vierfach höheres Risiko, wenn ein Junge mit Moderna geimpft wird für Myokarditis, verglichen mit einem Mädchen, was mit BioNTech geimpft wird. Und ein Faktor vier bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 so gar nicht im Auge zu haben, das hat mich jetzt irgendwie gewundert. Vor allem, wenn es so eine knappe Entscheidung ist. Ja, also, es wird hier ja berechnet: Wie häufig sind Myokarditiden dann zu erwarten? Die STIKO sagt: Wir erwarten 82 Myokarditiden durch unsere Maßnahme. Das ist eine sehr, sehr grobe Schätzung. Und dem stellen sie eben gegenüber die 36 verhinderten Intensivstationsaufenthalte und sagen: Die Empfehlung wird ausgesprochen. Man hätte das auch andersrum natürlich machen können. Aber da das so eine knappe Entscheidung ist, in gewisser Weise auf Messers Schneide, haben sie sich eben wahrscheinlich in der Waagschale auch noch die psychosoziale Komponente gehabt und haben gesagt: Also, ganz knapp sind wir jetzt also dafür. Weil es so knapp ist, finde ich, hätte man diesen Faktor über vier, der sich ergibt, wenn man nochmal nach Jungen und Mädchen auswertet und

nach Moderna und BioNTech, den hätten sie meines Erachtens schon berücksichtigen sollen. Die STIKO hat ja versucht in ihrer Balance mit abzuwägen einerseits die Myokarditiden, also die Herzmuskelentzündungen, die auftreten können ganz selten nach Impfungen bei BioNTech und Moderna. Und auf der anderen Seite hat sie in der Waagschale gehabt Daten, die darauf hindeuten – nach Meinung der STIKO – dass solche Herzmuskelentzündungen ganz selten in der Altersgruppe von 12 bis 17 auch auftreten können nach der CoronavirusInfektion. Das sind, sage ich mal, eher neue Daten und ich glaube, das wäre ganz sinnvoll, die mal zu besprechen. Da gibt es zwei Studien, die die STIKO zitiert. Und vielleicht können wir die in der nächsten Ausgabe dann mal ansprechen.

01:00:05


Camillo Schumann


Das machen wir dann am Donnerstag, gute Idee. Ziehen wir mal einen Strich drunter: Wie lautet denn jetzt das Fazit für Sie ganz persönlich? Und wie sollte das Fazit jetzt lauten für, ja, auch Eltern, die sich schon gern an die Empfehlung der STIKO halten sollten und jetzt möglicherweise auch ein bisschen verwirrt sind nach dem Hören dieses Podcasts.


Alexander Kekulé

Wichtig ist eben, dass es keine wissenschaftlich neuen Erkenntnisse gibt, außer der einen, dass wir natürlich durch die vielen Impfungen, die mit dem BioNTech-Impfstoff in dieser Altersgruppe inzwischen passiert sind, dass wir wirklich quasi ausschließen können, dass es außer der Myokarditis irgendeine extrem seltene Nebenwirkungen gibt, die kurzfristig auftritt und die man bis jetzt übersehen hätte. Es ist eine Empfehlung und nach diesem Podcast ist, glaube ich, klar, dass man – wahrscheinlich gab es in der STIKO auch eine Diskussion dazu. Es ist eine knappe Empfehlung dafür gewesen und dem will ich auch nichts hinzufügen. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn hier diese sozialen Faktoren mit reingelegt werden. Und Eltern denken doch genauso. Eltern sagen doch auch: Mensch, wenn ich in den Urlaub fahre, will ich meine Kinder mitnehmen, ja. Oder will ich nicht, dass die dann alleine Quarantäne machen müssen oder dass die bei der Einreise irgendwo dann Probleme kriegen, weil

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der PCR-Test keinen richtigen Stempel draufhatte. Da gibt es ja gruselige Geschichten, wenn Sie irgendwo ins Ausland fahren und müssen einen PCR-Test vorlegen und dann fehlt da der Stempel oder der QR-Code. Dann werden Sie an der Grenze festgehalten und müssen dort einen Test machen, werden über Nacht irgendwo im Hotel untergebracht und, und, und. Also, wegen dieser ganzen sekundären Kollateralschäden, die entstehen durch die Anti-Corona-Maßnahmen, glaube ich, dass viele Eltern so denken wie die STIKO und sagen: Ich will, dass für mein Kind jetzt irgendwie auch mal Schluss damit ist. Und deshalb will ich, dass das den Impfpass hat, was auch immer der dann bewirkt. Und mit diesem Argument, wenn man das mit in die Waagschale legt, dann kann man die Empfehlung verstehen und nachvollziehen. Man muss halt nur bei der Entscheidung – und die Entscheidung bleibt ja letztlich bei den Eltern – sich klarmachen: Wenn man nur medizinisch denkt und dieses soziale Argument nicht dabeihat, dann hat sich eigentlich an der ersten Empfehlung an der Datenlage nichts geändert.

01:02:12


Camillo Schumann


So sieht die Bewertung der neuen Empfehlung oder der geänderten Empfehlung der STIKO von Professor Kekulé aus. Und noch wie immer der Hinweis an dieser Stelle: Wie immer gibt es alle Studien, die im Podcast besprochen werden und alle wichtigen Links – jetzt auch z.B. die geänderte Empfehlung der STIKO – in der Schriftversion des Podcasts. Zu finden unter jeder Folge unter Audio & Radio auf mdr.de. Ja, damit sind wir fast am Ende. Kommen wir noch zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau K. hat gemailt:

„Bei meiner zweiten Impfung kam es zu einer Abweichung. Kurz bevor die gesamte Dosis in den Arm injiziert war, sprang die Nadel ab. Und damit ging der noch in der Spritze befindliche Rest daneben. Ein paar Tropfen spritzten auf den Oberarm, ein paar liefen außen an der Nadel entlang. Laut Aussage der impfenden Person sei es aber nur ein kleiner Rest in der Spritze gewesen, der vorbeiging. Nach Rücksprache mit dem betreuenden Arzt galt die Impfung als erfolgreich.“

Nun ihre Frage:

„Als wie problematisch sieht Herr Kekulé die nicht vollständige Dosis im Rahmen der zweiten Impfung an? Viele Grüße.“

Dass sowas überhaupt passieren kann.


Alexander Kekulé

Was meinen Sie, was im OP alles passiert, während der Patient in Narkose ist. Aber meistens kann man das wieder retten, bevor er aufwacht. Also, es ist so: Grundsätzlich habe ich sowieso den Verdacht, dass eine deutlich niedrigere Dosis bei den RNA-Impfstoffen, insbesondere bei jüngeren Menschen, auch ausreichen würde. Wahrscheinlich auch bei den meisten Erwachsenen. Sodass ich jetzt – ich weiß jetzt nicht, wie alt Frau K. ist – aber ich würde mal sagen, wenn sie unter 60 ist, ist das höchstwahrscheinlich ausreichend gewesen, sofern da irgendwie, sage ich mal, die Hälfte oder mehr reingegangen ist. Es gab ja auch schon unter Fachleuten Diskussionen, ob man nicht die Impfdosis sogar für jüngere Menschen insbesondere halbieren sollte, weil die stärker anspringen darauf, um einfach weltweit mehr Menschen impfen zu können. Darum würde ich jetzt wahrscheinlich sagen: Grundsätzlich keine Sorgen machen. Wenn da mindestens die Hälfte reingegangen ist in den Arm, dann ist gut, zumal es ja hier nur die Auffrischungsimpfung war. Man kann natürlich zur Sicherheit – das ist hier eine gute Empfehlung – sagen: Mal gucken, ob da Antikörper entstanden sind. Aber ich würde jetzt mal, wenn ich mir die Prognose erlauben darf, einen kleinen Piccolo darauf verwetten, dass da die Antikörper gekommen sind. Sofern es keine anderen Gründe gab, die eine Rolle spielen. Vielleicht nochmal zu dem Thema Kinder. Das hat nämlich damit was zu tun. Dass man so ganz und gar nicht darüber nachdenkt, bei Jugendlichen die Impfdosis zu reduzieren, obwohl die ja stärker reagieren und auch mehr Nebenwirkungen haben, wie die Herzmuskelentzündung, das ist auch so ein Fragezeichen. Ja, das verstehe ich nicht ganz, dass man nicht einfach mal schaut: Wie ist es mit einer halben Dosis? Kriegen wir die genauso immun? Und können wir da möglicherweise die Nebenwirkungen reduzieren? Aber in diesem besonderen Fall, glaube ich, ich würde mir da keine Sorgen machen. Und die Empfehlung ist sinnvoll.

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01:05:21


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 210. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, wollen was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns einfach an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Ja, an dieser Stelle ein kleiner Tipp: Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Z.B. kann ich Ihnen den Rechthaber empfehlen. Der Podcast für Ihre juristischen Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Reklamationen – vom dreckigen Ferienhaus bis zum kaputten Monitor. Konkrete Antworten vom Rechthaber: Überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 17. Juli 2021 #209: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 17. Juli 2021

Bekommen Krankenhäuser für jeden Corona-Toten 20.000 Euro?

Ist ein Besuch im Freizeitpark sicher?  Wie wirksam ist der Impfstoff von Mo-

derna gegen die Delta-Variante?  Impfung im Wochenbett: Ja oder nein?  Und: Dürfen sich doppelt Geimpfte wieder

umarmen?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

00:40


Camillo Schumann


Frau H. hat angerufen. Sie hat eine Frage zur Kreuzimpfung AstraZeneca mit Moderna:

„Im Internet habe ich gelesen, dass anhand von den Blutseren von acht Personen eine Untersuchung im Labor durchgeführt wurde. Auf dieser Basis wurde laut Internet festgestellt, dass der Impfstoff Moderna eine ausreichend neutralisierende Wirkung bildet. Es hat mich aber irritiert, dass hier eine so geringe Personenzahl von nur acht Menschen genannt wurde. Zu der Wirksamkeit von BioNTech gegen Delta gibt es zumindest im Internet für mich als Laien deut-

lich mehr und scheinbar gesichertere Informationen. Meine Frage ist: Welche konkreten Informationen zu der Wirksamkeit von Moderna in Bezug auf Delta liegen Ihnen als Experte vor?“


Alexander Kekulé

Ja, also die Studie mit der kleinen Zahl von Probanden, die haben wir hier besprochen. Also, es ist so, dass tatsächlich die Antikörper-Studien – ja, was soll man dazu sagen. Das ist eigentlich immer ein ganz guter Hinweis, weil die stellen ja eigentlich nicht fest, ob das epidemiologisch schützt, sondern die stellen ja fest, wenn Menschen Antikörper produzieren, wie ist es dann? Sind diese Antikörper neutralisierend in bestimmten Versuchsessays gegen das Virus? Man macht das ja so – ohne das Ganze jetzt nochmal zu rekapitulieren – aber man macht das ja so, dass man quasi künstliche Viren erzeugt, bei denen nur ein kleines Detail an der Oberfläche von Covid stammt, von diesem Sars-CoV-2-Virus. Und das ist ein Teil oder das ganze Spike-Protein außen. Und das kann man dann gentechnisch so verändern, dass man sagt: Okay, einmal machen wir es so wie die Delta-Variante, einmal machen wir es so wie die Alpha-Variante oder wie der ursprüngliche Typ. Und dann guckt man, ob in einem Zellkultur-Essay diese künstlichen Viren – wir sagen auch Pseudoviren dazu – ob die quasi durch Antikörper von einem Menschen, der jetzt wieder gesund geworden ist oder der geimpft wurde, ob die dadurch blockiert werden. Wir sagen, neutralisiert werden. Und in diesem Neutralisationsessay stellt man also dann fest, dass der Moderna-Impfstoff – das hat der Hersteller zumindest gesagt, das ist eine Studie, die vom Hersteller auch unterstützt wurde – dass der sehr gut neutralisiert. Die Frage ist jetzt: Wie sehr kann man da von diesen Neutralisationsessays auf die wirkliche Wirksamkeit Rückschlüsse ziehen? Am Anfang waren wir da immer sehr, sehr skeptisch. Auch in diesem Podcast habe ich oft gesagt: Naja, das ist nicht ganz klar, ob das, was man in dem Essay jetzt so misst – sind ja auch immer nur wenige Patienten, mit denen man das macht, das kann man nicht mit 200 Patienten machen, sonst würde man ein ganzes Jahr lang das Labor beschäftigen damit – wie sehr das übertragbar auf die echte Schutzsituation im wirklichen Leben ist. Und da haben sich die Daten in der

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letzten Zeit eigentlich verbessert. Also, wir wissen inzwischen, dass insbesondere richtig gemachte Neutralisationsessays – also, diese speziellen sogenannten neutralisierenden Antikörper. Das ist nicht genau das Gleiche wie das, was man so beim normalen Arzt messen lassen kann, wenn man da Antikörper gegen Covid bestimmt, sondern das ist ein spezieller Essay. Das korreliert wirklich ziemlich gut mit der Schutzwirkung. Das haben wir da ja inzwischen für mehrere Impfstoffe, die echte Schutzwirkung ist bekannt. Da weiß man inzwischen, dass diese neutralisierenden Antikörper, wie wir sagen, ein ganz guter Surrogatmarker sind, also ein ganz guter Ersatzhinweis. Das ist deshalb wichtig, weil wir zurzeit ja diskutieren: Was brauchen wir letztlich, um Kinder zu schützen oder Jugendliche zu schützen? Und da will man ja jetzt nicht nochmal Tests machen mit, was weiß ich, 40.000 Kindern als Nächstes, sondern man will das in einem kleineren Umfang machen. Und da wird eben jetzt diskutiert, diese Surrogatmarker zu verwenden. Und es sieht auch ganz gut aus. Das ist übrigens auch dann wichtig, wenn man den Impfstoff modifiziert. Also, wenn man jetzt daran denkt, eine speziell auf Delta abgerichtete Impfstoff-Variante herzustellen. Auch da will man jetzt nicht nochmal aufwendig die ganzen Phase-III-Studien mit Zehntausenden von Probanden machen. Sondern da wäre es natürlich toll, wenn wir so ein Surrogat hätten. Also, was heißt das unterm Strich? Das heißt, dass man schon diesen Studien von Moderna – und auch, wenn es eine kleine Fallzahl da war – mal so grundsätzlich trauen darf, dass das sehr gut schützt. Ähnliche Daten gab es früher mal von BioNTech, da waren tatsächlich ein paar mehr Kandidaten, mehr Seren zusammengemischt worden. Ich weiß die genaue Zahl nicht mehr, aber es waren ein paar mehr. Das Problem ist nur: Das Virus entwickelt sich ja ständig weiter und die epidemiologische Situation ist auch schwer vorherzusagen. Deshalb sehen wir in der wirklichen Welt inzwischen eine abnehmende Wirksamkeit beider Impfstoffe. Also, sowohl Moderna als auch BioNTech wirken – wenn es jetzt um die Verhinderung von symptomatischen Infektionen geht – beide nicht mehr so optimal wie in den Zulassungsstudien. Und das liegt zum einen natürlich an Delta. Zum anderen wissen wir nicht genau, es kann

an den Umständen, unter denen solche Echtweltdaten gewonnen werden, liegen. Die sind natürlich nicht so perfekt wie die Zulassungsstudien. Aber da sieht es so aus, als wäre die Wirksamkeit zum Beispiel bei BioNTech eher im Bereich von, sage ich mal, 88 Prozent gegen Delta. Könnte auch bei 80 Prozent sein. Neueste Ergebnisse aus Israel haben eher darauf hingedeutet, dass es sogar etwas unter 70 Prozent sein könnten im wirklichen Leben sozusagen. Sodass man jetzt diese grundsätzliche Situation, dass eigentlich dieser Test im Labor das immer ganz gut vorausgesagt hat, das wird dadurch verwässert, dass wir jetzt in der Praxis sehen: Die Wirksamkeit nimmt einfach ab. Warum ist das Ganze nicht so wichtig für den normalen Menschen? Wir haben ja nicht Angst vor Symptomen. Also, es ist ja für uns eigentlich nicht so schlimm, mal Halsweh zu haben oder Ähnliches. Und die Wirksamkeit ist definiert in Studien immer als ‚symptomatische Erkrankung‛. Also, jeder, der Symptome hat, gilt als Impfversager. Aber die nächste wichtige Stufe ist ja: Wie schwer werde ich krank? Und bezüglich der Verhinderung von schweren Krankheiten und auch von Todesfällen kann man einfach unterm Strich sagen: Nach allem, was wir jetzt in der wirklichen Welt sehen, ist es so, dass Moderna und BioNTech im Moment gegen Delta noch ausreichend schützen. Also, wir sehen einfach keinen Anstieg von Todesfällen in Populationen, die geimpft sind mit BioNTech oder Moderna und wo das Delta-Virus sich ausbreitet. Da kommt es bisher nicht zum massiven Anstieg von den Todesfällen. Also, die Engländer haben gerade eben gezählt, dass 112 Personen gestorben sind an Delta. Das Interessante ist: Die Hälfte von denen war voll geimpft. Also, auch von den Toten. Und ganz Ähnliches kennen wir aus Israel. Von den Toten sind dann eben auch Durchbrüche vorhanden. Also, nicht nur bei denen, die infiziert werden, auch bei den Verstorbenen ist ein Teil eben dann geimpft gewesen. Das ist aber eben eine ganz kleine Fraktion, es sind nur ganz wenige. Und deshalb kann man sagen: Unterm Strich – bezüglich der Sterblichkeit – schützen diese Impfstoffe vollkommen ausreichend und auch bezüglich der schweren Verläufe.

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08:10


Camillo Schumann


Eine Hörerin hat gemailt, die anonym bleiben möchte. Sie schreibt:

„Eine Frage, die bei einer Diskussion im Freundeskreis aufkam. Hier wurde mit großer Sicherheit von mehreren akademisch gebildeten Freunden dargestellt, Krankenhäuser würden bei und nur bei Corona-Toten eine Prämie von 20.000 Euro erhalten. Dies wäre dann letztlich der Grund, warum die angeblichen Corona-Toten häufig nicht obduziert würden. So würde dann die Corona-Totenzahl zusätzlich künstlich in die Höhe getrieben. Ich würde mich freuen, wenn Sie den Ursprung dieser Behauptung klären könnten. Mit freundlichen Grüßen.“


Alexander Kekulé

Also, eine Leichenprämie, Corona-Toten-Prämie gibt es nicht. Was natürlich schon möglicherweise die Ursache war, ist ja die: Das ist so, dass wenn Krankenhäuser Corona-Fälle hatten, dann haben die so eine Art Zuschuss bekommen. Und da ist ja, glaube ich, bekannt – das ist ja durch die Presse gegangen – dass da einige geschummelt haben, um es mal ganz positiv auszudrücken. Vor allem, weil es Zuschüsse gab ab einer bestimmten Zahl von Corona-Patienten. Und das ist natürlich dann bitter für ein Krankenhaus, wenn es dann knapp unter dieser Grenze liegt. Und dann haben die offensichtlich, das liest man so aus der Presse – ich war da natürlich nicht dabei. Das machen alle, außer auf keinen Fall die Universitätsklinik in Halle, wo ich arbeite. Aber natürlich generell, glaube ich, waren das eher kleinere Häuser. Die Unikliniken hatten da kein Problem, die Fallzahlen zu erreichen. Die haben halt da ein bisschen geschummelt und ein paar CoronaFälle dazugeschrieben, insbesondere dann auf den Intensivstationen. Da von denen, die dann da aufgeschrieben waren, sicherlich auch einige sterben, kann ich mir vorstellen, dass irgendjemand die Geschichte dann weitergedreht hat und versucht hat, auszurechnen, wie viel die dann an einem Toten verdienen würden, der quasi gar kein Corona-Toter war. Rein mathematisch kann das sogar sein. Kann tatsächlich sein, dass man, wenn man dem Verstorbenen noch Corona auf den Totenschein schreibt, dass es dann ein bisschen mehr Geld

gibt aufgrund dieser Struktur, die da entstanden ist. Ich habe jetzt aber noch keine Hinweise darauf, dass es da, sage ich mal, Kriminalität im größeren Stil gab. Aber wo das tatsächlich bekannt ist, ist bei den Intensivbelegungen und bei der Zuordnung der Corona-Fälle. Da gibt es wohl auch die Staatsanwaltschaft, die zum Teil jetzt ermittelt.

10:37


Camillo Schumann


Frau W. hat gemailt. Sie ist Fachärztin für Kinderund Jugendmedizin, Fachärztin für Allgemeinmedizin, seit zwei Jahren im Ruhestand. Und sie arbeitet zurzeit in einem Impfzentrum. Sie schreibt:

„Bereits mehrfach haben Sie empfohlen, bei Patienten unter immunsuppressiver Therapie nach der zweiten Impfung gegen Covid-19 ca. vier bis sechs Wochen [später, Anm. d. Red.] eine Antikörperbestimmung zu veranlassen und eine dritte Impfung zu empfehlen, falls keine Antikörper gebildet wurden. In einer der letzten Sendungen empfahlen Sie sogar eine dritte Impfung ohne Antikörperbestimmung. Da es nicht wenige Patienten gibt, die immunsuppressiv behandelt werden, beschäftigen mich folgende Fragen, um eine Impfaufklärung optimieren zu können. Erstens: Nach welchem Zeitraum sollte diese dritte Impfung erfolgen? Und: Ihre Empfehlung entspricht nicht den STIKORichtlinien. Könnte man die dritte Impfung als Off-Label-Use Verordnung durchführen? Und wie ist man da rechtlich abgesichert? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, es entspricht nicht den STIKO-Richtlinien. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich es wage, von der STIKO so ein bisschen abzuweichen von der Empfehlung her, da waren meine Kollegen ja wesentlich sportlicher, die STIKO zu kritisieren. Es ist auch keine Kritik, sondern ich bin eigentlich sehr, sehr zufrieden mit dem, was die STIKO macht. Es ist hier nur sozusagen vielleicht einen Schritt vorausgedacht. Ich kann mir vorstellen, dass die STIKO das sogar demnächst übernehmen könnte.

Ja, das kann man ganz einfach als Off-Label natürlich machen. Da spricht überhaupt nichts dagegen. Das ist ein zugelassener Impfstoff. Den können Sie als Arzt, wenn Sie wollen, so oft Sie wollen letztlich applizieren. Sie müssen

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es nur im Zweifelsfall medizinisch begründen. Das gilt ja quasi für alle Off-Label-Anwendungen. Und wenn man jetzt impft, ohne den Antikörper-Titer zu bestimmen, dann wäre möglicherweise die Begründung etwas schwieriger, weil man dann sagen muss, dass es generell Studien gibt, die darauf hindeuten, dass unter Immunsuppression die Antwort nicht so gut ist mit zwei Impfungen. Also, die Immunantwort nicht so gut ist. Leichter hat es der Arzt natürlich, wenn er einen Blutwert hat. Und wenn er sagt: Ja, da habe ich Blut abgenommen, da waren keine Antikörper da, da würde ich dann sagen, kann man eigentlich sofort impfen. Also, wenn man jetzt wirklich sieht, da hat sich nichts gebildet – ich würde mal sagen, vier Wochen nach der zweiten Impfung müssen eigentlich IgG-Antikörper vorhanden sein. Und wenn da nichts nachweisbar ist oder das wirklich marginal wenig ist, dann finde ich, ist das eine Indikation zur Booster-Impfung. Also, zur dritten Impfung dann in dem Fall.

13:08


Camillo Schumann


Die A. hat gemailt und eine Frage zur Impfung. Sie schreibt:

„Aufgrund von Allergien gegen Röntgenkontrastmittel impfen mich meine Ärzte nicht, da das Risiko einer allergischen Reaktion auf die Impfung zu groß ist. Dies kann ich verstehen. Da ich aber Multiple Sklerose habe, möchte ich gerne geimpft werden. Andererseits möchte ich auch kein Risiko bezüglich der Reaktion auf die Impfung eingehen. Was würden Sie mir empfehlen? Würde ein Allergietest auf die Inhaltsstoffe von BioNTech Sinn machen? Für eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.“


Alexander Kekulé

Also, ich würde empfehlen, da wirklich mal zu einem Spezialisten zu gehen, der sich mit Allergien gut auskennt. Es ist für mich jetzt nicht erkenntlich, warum jemand, der gegen Röntgenkontrastmittel – da gibt es ja auch ganz verschiedene, müsste man darüber sprechen, welches das ist – aber, der schon mal eine Allergie gegen Kontrastmittel gezeigt hat, warum der jetzt gegen die Impfung auch allergisch sein soll. Also, das ist ja so, dass die Allergien zum Glück bei den meisten Menschen – gibt Ausnahmen, aber bei den allermeisten Menschen – doch relativ konkret eingrenzbar sind.

Der eine ist gegen Erdbeeren allergisch, aber Kirschen kann er essen ohne Probleme. Der eine ist gegen Haselnüsse allergisch, aber irgendetwas anderes, Avocados, kann er essen und umgekehrt. Das heißt aber hier dann auch, wenn man diese Lebensmittelallergien da vergleicht mit den Medikamentenallergien: Also, eine Allergie gegen bestimmte Röntgenkontrastmittel, die muss jetzt keineswegs bedeuten, dass man auch gegen den Impfstoff allergisch ist. Sondern da würde ich vielleicht mal mit jemandem sprechen, der das genauer analysieren kann. Mein Eindruck ist, dass das eine sehr starke Vorsicht ist an der Stelle von Ärzten, die halt auf keinen Fall was falsch machen wollen. Und das verstehe ich auch. Das ist ja ganz klar: Wenn man sich nicht so gut auskennt, geht man auf Nummer sicher. Deshalb die Empfehlung, wirklich zu jemandem zu gehen, der sich mit Allergien sehr, sehr gut auskennt und der das Risiko mal konkret einschätzt.

15:03


Camillo Schumann


Herr W. hat gemailt, er schreibt:

„Am Wochenende war ich im Freizeitpark. Als Schutzmaßnahme waren zusätzlich zur Maskenpflicht in den Warteschlangen vor den Fahrgeschäften Plastikwände zwischen den Schlangen aufgebaut. Der Gedanke dahinter scheint zu sein, dass Aerosole nicht von einer Schlange in die benachbarte gehustet werden kann. Ich denke aber, dass dadurch der Luftaustausch verhindert wird und so Aerosole zwischen den Wänden festhängen und sie so gefährlicher sind. Die Wartebereiche waren ansonsten nur teilweise überdacht. Ich würde mich über eine Einschätzung freuen. Viele Grüße, Herr W.“


Alexander Kekulé

Also, wenn es jetzt draußen war – klingt ja bei Freizeitpark so ein bisschen nach draußen – dann sind solche Plastikwände eigentlich kein Problem, weil da hat man immer genug Luftaustausch. Die Idee, warum man das aufgebaut hat, ist tatsächlich: Wir haben ja die echte aerogene Übertragung, das ist diese Tröpfchenübertragung, wo wir wissen, dass es zu Superspreading kommen kann und auch zu Übertragungen über längere Distanzen, also länger als zwei Meter. Und dann gibt es natürlich die face-to-face Übertragung, sozusagen

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das unwissentliche Anspucken. Da ist es so, das geht bis zu zwei Meter in der Regel. Ich weiß nicht, ob jetzt vielleicht der eine oder andere bayerische Jodler es auf zwei Meter 50 bringt. Aber im Prinzip ist es so, dass das begrenzt ist dadurch, dass man durch die Atmung und durch die Stimmorgane nicht beliebig weit diese kleinen Tröpfchen schießen kann. Und wegen Letzterem gibt es diese Plastikwände an verschiedenen Stellen, wo man eben den Abstand nicht einhalten kann. Ich kann mir vorstellen, wenn das in so Warteschlangen ist, dann haben die Leute sich überlegt: Okay, wenn ich hinter jemandem stehe, dann kann ich ja zwei Meter Abstand halten. In Klammern: Macht nach meiner Beobachtung inzwischen sowieso keiner mehr. Die drängeln inzwischen in den U-Bahnen, da ist alles zu spät jetzt und laufen inzwischen an der Rolltreppe in vier Reihen nebeneinander hoch. Aber damals, als das mal konzipiert wurde, war das wohl noch so, dass man ordentlich Abstand gehalten hat. Aber zu der Schlange nebenan kann ich ja keinen Abstand halten, wenn die direkt daneben ist. Und darum ist da diese Plastikabgrenzung. Halte ich jetzt mal grundsätzlich schon für sinnvoll. Anders wäre es, wenn es eine geschlossene Röhre ist, wo wirklich die Luft drinnen steht, quasi ein Innenraum dadurch erzeugt wird. Dann wäre es in der Tat bedenklich, dass man die Infektionsgefahr dann zwar durch Tröpfchen, die direkt fliegen, verringert hat, aber durch Aerosole, die stehen in dem Raum, dann erhöht hat. Das wäre natürlich dann nicht so geschickt gewesen.

17:30


Camillo Schumann


Frau S. hat gemailt:

„Ich habe vor zwei Wochen spontan entbunden und stille nicht. Gibt es eine Empfehlung, ob man mit einer Corona-Impfung das Wochenbett bzw. eine gewisse Zeitspanne abwarten sollte, da der Körper hormonell doch sehr durcheinander ist? Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau S.“


Alexander Kekulé

Spontan entbunden klingt immer so schön. Das klingt so, als wäre die Schwangere spontan auf die Idee gekommen, mal das Kind zur Welt zu bringen. Aber das sagen tatsächlich die Ge-

burtshelfer, wenn die Geburt einfach unproblematisch – ohne, dass der Arzt irgendwie nachgeholfen hat – passiert ist. Ja, da gibt es keine Werte. Ich würde allerdings tatsächlich sagen: Es ist ja bekannt, dass während der Schwangerschaft das Immunsystem der Mutter doch ganz massiv verändert ist in vielerlei Hinsicht. Das Kind ist nun mal sozusagen ein anderer, ein Fremder, und das Immunsystem darf den ja nicht abstoßen. Und da wird sehr, sehr vieles umgestellt. Und ich würde wahrscheinlich – ohne, dass ich jetzt die konkreten Empfehlungen dafür kenne – ich würde wahrscheinlich schon zwei, drei Wochen nach der Geburt warten. So in der Größenordnung. Einfach deshalb, weil ich nicht sicher wäre, ob der Wirkstoff, ob die Impfung so gut wirkt, wie sie sonst durchschnittlich bei der Bevölkerung wirkt. Und natürlich sind die Impfstoffe ausprobiert worden an Menschen, die nicht unmittelbar nach der Niederkunft standen. Man kann an der Stelle vielleicht noch grundsätzlich sagen: Die Hörerin stillt jetzt nicht, aber die Impfung würde auch bei einer stillenden Mutter nach allem, was wir wissen, keine Nachteile bringen, sondern wahrscheinlich im Gegenteil eher dazu führen, dass das Kind dann auch geschützt wird durch Antikörper, die übertragen werden.

19:19


Camillo Schumann


Dieser Hörer hat angerufen. Er hat gleich mehrere Fragen, betreffen aber dasselbe Thema:

„Wäre mit dem heutigen Wissen eine Isolierung Chinas für Personenverkehr realistisch? Hat China ja später auch gemacht und die USA wurden kritisiert, als sie Chinesen ausschlossen. War der Satz von Wieler und Merkel ‚Die Gefahr für Deutschland ist sehr gering‛ nicht grob leichtsinnig? Würde eine möglicherweise viel schlimmere Seuche heute auf den Ausbruchsort begrenzt werden? Und welche Maßnahmen wären denkbar und gerechtfertigt?“

Sehr, sehr viele Fragen. Aber nichtsdestotrotz vielleicht zur ersten Frage der Isolierung.


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist in der Tat so. Also, die Chinesen haben zu spät angefangen, selber zu isolieren. Also, die hatten ja offensichtlich nach allem, was wir jetzt wissen – das Wissen kann sich

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noch weiterentwickeln – aber nach gegenwärtigem Stand haben die Chinesen einfach zu spät auf diesen Ausbruch reagiert. Die wahrscheinlichste Theorie ist, dass es hier einen Ausbruch gab, der sich möglicherweise aus der Pelzzucht oder von irgendwelchen Tieren, die da unterwegs waren, gebildet hat, wo am Anfang die ersten Fälle spätestens im November 2019 dann auch bekannt wurden. Und warum da nicht so schnell darauf reagiert wurde, ist schwer zu sagen, weil China eigentlich ein sehr gutes Alarmsystem installiert hatte zu dem Zeitpunkt. Der Chef des chinesischen CDC, George Gao heißt der – also, die nennen den George Gao. Fu Gao heißt der eigentlich. Aber der George Gao, das ist jemand, der wirklich im Westen gelernt hat, der hat in England studiert und hat dann in China wirklich dieses Alarmsystem für neue Seuchen wesentlich verbessert. Und in der Region Wuhan gibt es aber – das ist ja in China so dezentral auch organisiert – da gibt es ein regionales CDC. Und es sieht wohl so aus, als hätten die einfach nicht schnell genug darauf reagiert bzw. auch nicht nach Peking gemeldet. Also, da hätte man was machen können, wenn man früher eingegriffen hätte. Und ich bin ganz sicher, dass die Chinesen diese Lektion gelernt haben für die nächste Pandemie. Also, das sagen sie nach außen nicht so. Die sind ja auch stolz. Aber da bin ich sehr, sehr sicher, dass man das verstanden hat, dass das zu langsam war. Ja, und der nächste Schritt war tatsächlich der Wuhan-Typ. Der hatte ja noch nicht diese Mutation, die dann in Norditalien aufgetreten ist, die dazu geführt hat, dass das Virus deutlich effizienter Zellen befallen kann und dadurch eigentlich ein echtes Pandemie-Virus wurde. Der vorherige Typ war in der Tat leichter einzudämmen.


Und ja, das wissen Leute, die vielleicht mein Buch gelesen haben oder sonst die Medien verfolgt haben, dass ich damals ja der massivste Kritiker dieser Äußerung von Lothar Wieler und Bundesgesundheitsminister Spahn war, dass die gesagt haben – übrigens flankiert, muss man an der Stelle leider auch sagen, von einigen Top-Experten aus der Virologie – haben die gesagt: Es ist zu früh, Alarm zu schlagen. Und sie glauben, das Virus wird sich in Europa nicht wesentlich ausbreiten. Wenn man da anders reagiert hätte – da waren sie nicht alleine, ja, das haben andere Europäer ja auch geglaubt. Wenn man da sofort reagiert hätte und gesagt hätte: Okay, alles, was jetzt in Europa an schweren Erkrankungen, die so unklare Atemwegsinfekte haben, alles, was da auftritt, das testen wir sofort. Und der Test war ja da von Anfang an, weil die Chinesen sofort das Rezept für diesen Test veröffentlicht hatten. Dann hätte man möglicherweise den Ausbruch erheblich verlangsamen können, vielleicht nicht ganz verhindern. Aber man hätte zumindest verhindern können, dass dieser norditalienische Typ sich so massiv in der ganzen Welt dann ausgebreitet hat. Aus Norditalien ist das Virus ja dann erst in die USA gegangen, wieder zurück nach Asien gegangen und hat eigentlich den weltweiten Siegeszug von dort aus angetreten. Und das ist in der Tat sehr, sehr bedauerlich, dass Europa hier so versagt hat an der Stelle, weil da die Chance bestand, es noch mal, nicht zu stoppen, glaube ich, aber doch erheblich abzubremsen. Und diese Zeit hätten wir gebraucht, um die Impfstoffe zu entwickeln und vor allem dann auch an den Mann zu bringen.

Für das nächste Mal, ja, das ist eine wahnsinnig schwierige Frage, wenn die Frage ist: Was soll man beim nächsten Ausbruch machen? Es kann nächstes Mal ein viel schlimmeres Virus kommen, ja. Verglichen mit dem, was wir für möglich gehalten haben, ist Covid eigentlich eine relativ harmlose Erkrankung, muss man so brutal sagen. Und da kann nächstes Mal was viel Schlimmeres kommen. Meine Meinung ist, dass wir das nur dann verhindern können, wenn wir ein gutes Verhältnis haben zu den Fachleuten in den Ländern, wo die Menschen nun mal so eng mit den Tieren zusammenleben wie in China. In Afrika und anderen Bereichen Südamerikas gibt es sowas auch. Wir müssen da beste Beziehungen haben, weil nur dann funktioniert es, dass die uns frühzeitig mit einbeziehen, wenn etwas Ungewöhnliches passiert, dass wir gemeinsam Pandemiepläne machen und uns gemeinsam auf den nächsten Ausbruch vorbereiten. Darum bin ich bei aller Kritik an China eigentlich dagegen, so mit dem Finger immer auf die zu zeigen, weil das wird nicht dazu führen, dass die beim nächsten Mal offener damit umgehen. Zumal: Wer im Glashaus sitzt – ich habe es gerade erklärt – sollte eigentlich nicht mit Steinen werfen.

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24:46


Camillo Schumann


Und die letzte Frage kommt von Herrn R. aus Radebeul bei Dresden. Er schreibt:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, dürfen sich doppelt geimpfte Rentner aus verschiedenen Haushalten umarmen? Vielen Dank und freundliche Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, ich bitte darum. Also, auf jeden Fall. Nicht nur Rentner. Also, doppelt Geimpfte dürfen sich umarmen, auch Risikopersonen. Die Gefahr ist ja immer nur, oder man muss ja immer im Auge haben: Es gibt doppelt Geimpfte – vollständig Geimpfte muss man ja sagen, bei Johnson & und Johnson ist man mit einer Impfung schon vollständig. Es gibt vollständig Geimpfte, die können das Virus weitergeben. Aber wenn Sie jemanden umarmen, der auch vollständig geimpft ist, dann gehen wir einfach erst mal davon aus, dass das Risiko, daran zu sterben als Geimpfter, das ist wirklich extrem gering. Wie gesagt, in England gab es da ein paar Fälle. Aber wenn Sie das auf die Gesamtzahl beziehen – oder auch in Israel kennen wir das – wenn Sie das auf die Gesamtzahl beziehen, ist das Risiko, dann an sowas zu sterben, wirklich deutlich unter dem Influenza-Risiko. Und ich glaube, das sollte dann – Influenza hat uns ja auch nicht daran gehindert, uns zu umarmen. Und deshalb finde ich das ganz wichtig, dass man da an der Stelle dann, wenn man doppelt geimpft ist, wenn beide doppelt geimpft sind, wieder zur Normalität übergeht.

26:03


Camillo Schumann


Aber vielleicht noch der Hinweis an Herrn R.: Sie können, Sie müssen aber nicht.


Alexander Kekulé

Aber ich zum Beispiel, ich sage immer: Man kann auch Tanzkurse machen, nicht nur für Rentner, sondern auch für Jüngere. Beides natürlich. Das klingt so dramatisch, ja. Aber Sie können natürlich, wenn Sie Geimpfte, Genesene, Getestete haben und wissen, wer es ist und dokumentiert haben, wann die sich wo getroffen haben, dann können Sie alles Mögliche machen. Und das ist immer an die Voraussetzung geknüpft, dass wir insgesamt in der Gesellschaft die Inzidenz unter Kontrolle haben.

Wenn uns das nochmal komplett entgleitet, dann können wir das alles nicht machen, weil wir dann nicht verhindern können, dass eben die wenigen, die ungeimpft sind und im Risiko stehen, daran sterben. Darum ist das Ganze nochmal ein Appell, sich wirklich impfen zu lassen, wenn man dazu die Möglichkeit hat.

26:52


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 209. Vielen Dank, Herr Kekulé. Und wir hören uns jetzt erst mal eine Weile nicht. Der Podcast geht in eine Sommerpause. Die nächste reguläre Ausgabe ist dann für den 24. August geplant. Und an dieser Stelle wünsche ich Ihnen hoffentlich ein paar schöne Sommerwochen. Vielleicht wird das Wetter ja noch.


Alexander Kekulé

Ja, ich hoffe auch auf gutes Wetter, wünsche Ihnen auch alles Gute. Und lesen Sie keine Corona-Nachrichten. Wir müssen jetzt mal Corona-Abstinenz für ein paar Wochen machen. Und ich bin sehr gespannt, wie wir uns dann überraschen lassen, wie sich das Ganze weiterentwickelt hat. Vielleicht sind ja auch alle Prognosen, die wir hier entwickelt haben, komplett falsch gewesen und es kann ja auch wahnsinnig positiv sein. Mein Lieblingsszenario wäre tatsächlich, dass dieses englische Großexperiment tatsächlich nicht schiefgeht, was viele Experten natürlich befürchten. Aber es kann ja auch sein, dass alles gut geht. Und dann dürfen wir uns nach der Sommerpause freuen. Vielen Dank Ihnen, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Ebenso. Wir werden es dann bewerten am 24. August. Also, der Podcast macht Sommerpause. Haben Sie auch einen hoffentlich schönen Sommer, einen angenehmen Urlaub, egal, wo Sie sind. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Bleiben Sie gesund.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 15. Juli 2021 #208


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Neue Daten zur Delta-Variante in Großbritannien (09.07.) https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1001358/Variants_of_Concern_VOC_Technical_Briefing_18.pdf

Die US-Behörden warnen seit Montag vor Lähmungserscheinungen im Zusammenhang mit dem Johnson & Johnson-Impfstoff Coronavirus (COVID-19) Update: July 13, 2021 | FDA

Studie: Wie die Delta-Variante die Wirkung von Antikörper-Medikamenten reduziert (08.07.) Reduced sensitivity of SARS-CoV-2 variant Delta to antibody neutralization (nature.com)

Donnerstag, 15. Juli 2021

Reiserückkehrer sorgen für immer mehr Corona-Fälle in Deutschland. Wie bekommen wir das Problem in den Griff?

Dann: Neue Daten zur Delta-Variante aus Großbritannien.

Außerdem: Die US-Behörden warnen vor einer seltenen Nervenkrankheit im Zusammenhang mit dem Johnson & JohnsonImpfstoff. Was man darüber wissen muss.

Dann: Wie die Delta-Variante die Wirkung von Antikörper-Medikamenten reduziert.  Und: Was man über den Totimpfstoff von

Valneva wissen muss.


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

01:00


Camillo Schumann


Ja, die Infektionen, die nehmen wieder spürbar zu. Und immer häufiger haben Reiserückkehrer das Virus im Gepäck. Die Fälle, die häufen sich. Es gibt Berichte aus ganz Deutschland. In Hamburg zum Beispiel sind Reiserückkehrerinnen und Reiserückkehrer zurzeit für etwa ein Drittel der Corona-Neuinfektionen verantwortlich. Herr Kekulé, wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die dieses Jahr von Reiserückkehrern oder auch Besuchern in Heimatländern ausgehen könnte?


Alexander Kekulé

Was soll ich sagen? Also, ich habe ja nun seit Wochen davor gewarnt. Ich habe dringend appelliert, dass man Quarantäne macht, dass man die Risikogebiete großzügiger ausweist und die Politik hat sich nicht dafür entscheiden können. Und jetzt ist passiert sozusagen das, was zu befürchten war. Wir haben jetzt einen beschleunigten Anstieg der Inzidenz durch die Reiserückkehrer. Das war wirklich eine vermeidbare Situation, das muss man klipp und klar sagen. Und ich finde es ganz fürchterlich, wenn Prognosen dann am Schluss genauso eintreten, wie man es vorhergesagt hat. Was soll ich dazu sagen? Jetzt können wir nur hoffen, dass tatsächlich diese Inzidenz, die jetzt wieder steigen wird, von den Hospitalisierungen und von den Sterblichkeiten entkoppelt ist.

02:15


Camillo Schumann


Und Sie machen die Rechnung eins zu eins so auf? Also, dass der Anstieg der Fallzahlen tatsächlich auf die Reiserückkehrer zurückzuführen ist.

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Alexander Kekulé

Na, eins zu eins, das wäre ja sozusagen hundert Prozent nur Reiserückkehrer – das ist es nicht. Aber letztlich haben wir ja Einschleppungen. Und es geht ja immer darum, wenn man ein absolutes Niedriginzidenzgebiet hatte – das muss man schon so sagen. Das ist ja schon fast der Blick jetzt in die Vergangenheit. Ich glaube, wir haben vor drei Wochen ungefähr drüber gesprochen. Da ist die Situation dann so, dass es sich wirklich lohnt, die Schleusen hochzuziehen, die Schleusen zuzumachen, weil man durch jeden einzelnen Fall, den man einschleppt und der vor allem dann auch unentdeckt bleibt, ja mehrere Folgefälle verhindern kann. Jetzt werden Fälle eingeschleppt, das sind quasi die Samen, die – wenn ich mal so sagen darf – dann im Land sind. Wir haben eine Situation, dass natürlich jetzt im Sommer auch mit den vielen, die jetzt schon geimpft sind – ein Teil der Fälle tritt ja auch bei Geimpften oder Genesenen auf – haben wir insgesamt keine sehr hohe Bereitschaft mehr, sich jetzt an irgendwelche strikten Maßnahmen zu halten. Die Politik verkündet ja auch Eröffnungsabsichten zumindest. Und da ist es völlig klar, dass wir das nicht – wenn ich mal so sagen darf – einfangen können. Also das, was jetzt die Reiserückkehrer einschleppen – das sind ja auch häufig dann Delta-Varianten – das wird sich bei uns jetzt verbreiten. Und das ist, wenn man so will, quasi ein Brandbeschleuniger für die jetzige Situation in der Pandemie.

03:48


Camillo Schumann


Um zu verhindern, dass Reiserückkehrer das Virus nach Deutschland bringen, gibt es umfangreiche Einreiseregeln. Grundlage für diese Einreiseregeln ist die Einstufung der jeweiligen Länder, der jeweiligen Regionen, als Hochrisikogebiet, als einfaches Risikogebiet, als Hochinzidenzgebiet und als Virusvariantengebiet. Letztere ist übrigens die höchste Corona-Risikokategorie. Von der Einstufung des Reiselandes hängt dann ab, wie man sich als Reiserückkehrer zurück nach Deutschland dann zu verhalten hat. Das alles ist ziemlich verwirrend, findet Christian Möller. Er ist Inhaber eines Reisebüros in Hamburg. Und er hat den Kollegen vom NDR Folgendes gesagt:


„Es ist tatsächlich so, dass es immer undurchsichtiger wird, weil sich halt wöchentlich, wenn nicht sogar täglich, die Lage in den Urlaubsgebieten auch ändert derzeit.“

Und Portugal ist so ein Beispiel. Erst wurde das Land als Virusvariantengebiet eingestuft. Es gab ein Einreiseverbot und alle Reiserückkehrer, die es vorher nach Deutschland geschafft haben, die mussten 14 Tage in Quarantäne. Pech für alle, die das auch gemacht haben. Denn kurze Zeit später wurde die Einstufung auch wieder aufgehoben. In Quarantäne mussten die Urlauber trotzdem bleiben. So erging es auch dem Urlauber S. H.:

„Schlimm wurde es erst nach dem Gespräch mit dem Gesundheitsamt, als der Mann mir sagte: Nein, nein, deine Grundrechtseinschränkung aufgrund einer Verordnung, die bleibt natürlich, weil diese neue Verordnung gilt nicht für dich. Erst dann wurde ich richtig wütend. Dann war ich richtig angepisst.“


Sehr deutlich. Herr Kekulé, ist dieses Hin und Her bei den Einstufungen der Länder epidemiologisch überhaupt sinnvoll? Oder gibt es da nicht eine einfachere Lösung?


Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich ganz übel gelaufen. Das kann man nicht anders sagen. Ich halte sowieso nicht so viel davon, Virusvarianten-Gebiete auszuweisen. Das wäre vielleicht rein theoretisch ganz am Anfang mal sinnvoll gewesen, wenn man irgendwo auf der Welt einmalig als Ausnahme eine besonders gefährliche Variante identifiziert hat. Da hätte man gleich mal als allererstes Indien nehmen können, weil es war relativ klar, dass sich in Indien neue Varianten bilden, genauso wie es in Brasilien der Fall war. Zu dem Zeitpunkt wäre das vielleicht noch sinnvoll gewesen, aber heute ist es ja so: Es ist einfach die Delta-Variante, die sich im Moment global ausbreitet und man kann da nicht die ganze Erde zum Variantengebiet machen, weil überall Delta ist, sondern die Frage, auf die es wirklich ankommt, ist – Delta ist ja auch schon im Land, wie man weiß, auch in Deutschland. Und die Frage, auf die es wirklich ankommt, ist: Wie hoch ist die Inzidenz in den Ländern? Und: Welche Prognose habe ich für die Inzidenz? Ich schaue ja auch – wenn ich aus dem Haus gehe und mir überlege: Nehme ich

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einen Regenschirm mit? – schaue ich ja typischerweise auf den Himmel und nicht nur auf den Fußboden, ob es da nass ist. Und das Robert Koch-Institut guckt, um in dem Bild zu bleiben, aber konsequent nur auf den Boden und nicht nach oben. Solange es nicht regnet, ist es eben kein Hochinzidenzgebiet. Und dann: Hoppla! Bricht dann tatsächlich ein Gewitter los. Und von dem Tag an, wird es dann in der Regel hochgestuft. Das ist regelmäßig zu spät, weil wir ja auch die Verzögerungen haben bei den Meldungen – insbesondere natürlich bei Ländern, die noch schlechter organisiert sind als die Bundesrepublik in dem Hinblick. Und da ist es dann so, ja, dann ist es plötzlich ein Hochinzidenzgebiet von einem Tag auf den nächsten. Und meistens geht es dann auch noch scheibchenweise, dass man irgendwelche Regionen da definiert. Selbst in Portugal wird ja jetzt aktuell nach Regionen unterschieden. Das halte ich für relativ unsinnig, weil erstens das Virus sich nicht an die Regionalgrenzen hält. Und zweitens natürlich die Urlauber, die da zurückkommen oder die Touristen, die zurückkommen, dann immer sagen können: Ja, ich war ja gar nicht in der Region XY. Das kontrolliert ja niemand. Also, das geht wirklich drunter und drüber, das kann man nicht anders sagen. Und bei Portugal sieht man ja auch eine interessante Entwicklung. Portugal hat ja immer noch ein Riesenproblem. Die haben im Moment – letzte Zahl, die ich gehört habe – 2500 Fälle pro Tag. Es ist so, dass in Portugal die Delta-Variante landesweit 86 Prozent ausmacht. Und in den Regionen, wo es richtig hohe Fallzahlen gibt, also Lissabon, Porto, Algarve – auch natürlich die Touristenmagneten – da ist die Delta-Variante 100 Prozent. Alle nachgewiesenen, jetzt sequenzierten Fälle waren Delta in diesen Regionen. Jetzt erklären Sie mir mal, warum die Bundesregierung das jetzt umgestuft hat. Und vom Variantengebiet zurückgestuft hat zum Hochinzidenzgebiet bei 100 Prozent Varianten. Das kann man nicht nachvollziehen, wenn man nicht mit im Kalkül hat, dass das eben nicht die Fachleute machen. Das machen übrigens auch nicht die Länder, sondern es ist so: Das machen drei Bundesministerien gemeinsam, die handeln das aus. Das Außenministerium, das Gesundheitsministerium und das Innenministerium. Die sitzen zusammen und machen das. Und das letzte Wort

haben die Ministerialen und nicht die Fachleute. Und deshalb wird das politisch gemacht. Da wurde politisch Portugal, ohne dass es irgendeinen Grund dafür gibt, vom Variantengebiet zum Hochinzidenzgebiet heruntergestuft, weil man eben befürchtet hat – in Klammern: Es sind ja auch bald Wahlen – dass die Leute dann so genervt sind wie der Hörer, den wir gerade hatten. Das ist sozusagen die eine Richtung. Aber wie gesagt: Ich halte die Variantengebiete sowieso für nicht sinnvoll. Hier war es im Ergebnis dann eine gute Sache. Die Frage ist nur: Wenn ich da so hin und her, rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln mache und das Ganze auch immer so ein bisschen verzögert hinter der viralen Welle hinterherläuft, ist der Bürger dann wirklich so, wenn er mit der ganzen Familie aus dem Urlaub zurückkommt und er müsste sich jetzt zum Beispiel beim Hochinzidenzgebiet für fünf Tage in häusliche Quarantäne begeben und hinterher testen lassen: Ist es wirklich so, dass der das dann konsequent macht? Und sie können es ja nicht nachprüfen. Sie sind ja letztlich darauf angewiesen, dass die Bürger sich daran halten. Und durch dieses Hin und Her und durch diese Willkür letztlich bei der Einteilung verspielen wir letztlich die Compliance, die Bereitschaft zum Mitmachen bei den Menschen, die da zurückkommen.

10:07


Camillo Schumann


Weil Sie eingangs gesagt haben, dass es die Politik komplett verschlafen hat, sich darauf vorzubereiten: Auf mich wirkt das eher, dass man besonders übervorsichtig ist und dass man jetzt tagesaktuell darauf reagieren möchte. Wo ist welche Variante, wo ist welches InzidenzGebiet? Und dementsprechend dann seine Regeln anpasst. Also, ist man da möglicherweise zu übervorsichtig? Und nochmal die Frage gestellt: Gibt es denn eine einfachere Lösung?


Alexander Kekulé

Ich glaube nicht, dass man zu übervorsichtig ist, sondern es ist einfach inkonsequent. Das ist die große Überschrift, die darüber steht aus meiner Sicht. Und Sie merken schon, ich bin ein bisschen genervt davon, weil das jetzt wirklich ein vorhersehbares Problem war. Ja, es gibt natürlich die einfache Lösung. Die einfache Lösung heißt, dass man frühzeitig – aber dafür

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ist es fast schon zu spät, wir sind ja hinter der Welle jetzt – aber, dass man wirklich frühzeitig den Leuten bevor sie in den Urlaub fahren, sagt: Passt mal auf, in den ganzen Mittelmeerländern steigen die Fallzahlen an. Sie wissen, ich habe vor vielen Wochen gesagt: Spanien muss man komplett zum Risikogebiet, zum Hochinzidenzgebiet erklären. Das Gleiche für Griechenland. Und da muss man eben vorher den Leuten sagen, bevor sie abreisen: Wenn ihr zurückfahrt, plant bitte fünf Tage Quarantäne ein. Plus testen hinterher. Da bin ich übrigens dafür, dass wir – da wir jetzt die Kapazitäten haben – hier auf die PCR umsteigen müssen und das nicht mehr mit den Schnelltests machen können. Auch deshalb, weil gerade bei Geimpften und Genesenen die Wahrscheinlichkeit, dass man hier was übersieht, bei dem Schnelltest natürlich höher ist, weil die kleinere Viruskonzentrationen haben. Also, wir sollten da, um Ausbrüche zu vermeiden, auf jeden Fall die PCR verwenden. Hat auch den Vorteil, dass man die nicht mal schnell zu Hause machen kann und dadurch eine gewisse öffentliche Kontrolle dabei ist, wenn man das durch ein Labor machen lassen muss. Also, daher glaube ich: Den Weg gäbe es schon. Man müsste sagen: Wenn man aus Urlaubsländern zurückkommt, muss man grundsätzlich fünf Tage in Quarantäne, plus PCR-Test hinterher.

12:19


Camillo Schumann


Also, grundsätzlich bei allen Urlaubsländern?


Alexander Kekulé

Ich würde das eher umgekehrt machen. Also, so wie übrigens die asiatischen Staaten das machen. Ich würde eher umgekehrt sagen. Ich würde fragen: Wo Vertrauen wird denn dem Land so sehr – und zwar dem ganzen Land, nicht so irgendwie Region XY. Auch in Schweden ist es jetzt so, dass aktuell ein paar kleinere Regionen runtergestuft wurden und jetzt plötzlich kein Risikogebiet mehr sein sollen. Das bringt auch den Touristen nix. Da müssen sie auf die Landkarte gucken. Wer kennt denn die Bezirke in Schweden auswendig? Ich glaube nicht einmal, dass die spezialisierten Reisebüros das richtig draufhaben. Sondern ich würde sagen: Welche Länder sind denn als gesamtes Land aus unserer Sicht so, dass wir sa-

gen können: Okay, da verzichten wir auf Quarantäne und Test bei der Rückreise. Und da gibt es natürlich eine Reihe. Ich habe jetzt, glaube ich, gerade gehört, dass die Fidschi-Inseln kein Risikogebiet mehr sind, wenn ich es nicht verwechsele. Aber das gibt es natürlich. Es gibt Regionen, wo wir sagen: Denen trauen wir quasi zu, dass es da genauso gut ist wie bei uns. Und Neuseeland würde dazu gehören. In Südostasien macht man da die sogenannten Reise-Bubbles, heißt das. Also, da gibt es jetzt zum Beispiel gerade die Diskussion, ob jetzt Taiwan mit Singapur so eine Reise-Bubble macht, weil die beide eine niedrige Inzidenz haben, ähnlich strikte Kontrollmaßnahmen. Und die sagen: Okay, wer zwischen unseren Ländern hin und her fährt, der muss die ganzen Quarantänemaßnahmen nicht machen. Aber so wie man es hier macht, dass man quasi blind erstmal allen vertraut – den Mittelmeerländern, die verzweifelt nach Touristen lechzen und wirklich darauf angewiesen sind – denen zutraut, dass die quasi jeden Fall sofort melden und sich da quasi selber outen als Ausbruchsgebiet. Also, ich verstehe es ehrlich gesagt an der Stelle nicht mehr so wirklich.

14:11


Camillo Schumann


Wir haben eine Zuschrift eines Hörers bekommen, der hat eine Reise nach Mallorca gebucht. Das ist schon ein bisschen her, da war die Inzidenz bei 15. Und er will nun nächste Woche fliegen. Und er macht sich natürlich Gedanken, dass dort die Inzidenz durch die Decke geht und fragt sich natürlich: Naja, wie soll er denn jetzt reagieren? Das verunsichert ja auch. Aber das ist ja genau der springende Punkt, wie die Behörden dann reagieren müssen. Nach Ihrem Plan hätte man dann eine Liste: Okay, das sind jetzt Staaten, da kann man darauf vertrauen. Aber nichtsdestotrotz fehlt ja dann eigentlich die Planung für genau diesen Mallorca-Moment, bei 15 gebucht und bei tausend gelandet. Was macht man dann?


Alexander Kekulé

Wenn Sie vorher von vornherein sagen: Bei Mallorca war das doch absolut absehbar, da muss man ja kein Epidemiologe sein, da müssen Sie nur die Tageszeitungen lesen und dann wissen Sie, dass das so ist. Das Gleiche ist in Portugal, als Portugal die Grenzen aufgemacht

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hat, für die britischen Touristen, wo in Großbritannien wirklich die Delta-Variante grassierte. Da war völlig klar: Das geht jetzt hoch. Das Gleiche galt ja für Spanien. Es gab frühe Berichte von Gruppen von Schülern, die sich in Mallorca infiziert hatten und dann nach Madrid zurückgeflogen sind und Ähnliches. Gleiches gilt für die Griechen. Die haben ja für russische Touristen aufgemacht. Man weiß das frühzeitig. Und wenn man dann frühzeitig sagt: Okay, das ist dort einfach so, ihr könnt da Urlaub machen. Und wenn ihr zurückkommt: Fünf Tage Quarantäne plus PCR hinterher. Das wäre doch eine klare Ansage. Ich weiß gar nicht, was da so kompliziert ist. Das muss man eben dann einplanen. Und ich glaube, der deutsche Tourist ist ja nicht so, dass er jetzt so viel Geld hat, dass er seinen gesamten Jahresurlaub bis zum letzten Tag quasi dort im Ausland verbringt. Die fahren da zwei Wochen hin und wenn man denen sagt: Okay, seht halt zu, dass ihr am Donnerstag zurückfliegt, plus fünf Tage Quarantäne heißt, dass ihr Montag, Dienstag, in Gottes Namen, zwei Tage frei nehmen müsst. Ich finde, das ist zumutbar. Das würde ich sogar als Arbeitgeber dann unterstützen und sagen: Okay, die zwei Tage bin ich großzügig, wie du das dann mit deinem Urlaub verbuchst. Das ist mir lieber, als wenn der am Montag früh wieder drinnen sitzt, bevor er getestet wurde.

16:33


Camillo Schumann


Trotzdem fehlt da auch die Kontrolle. Aber das gibt es halt eben immer.


Alexander Kekulé

Die Kontrolle ist das Nächste. Aber da gibt es eben zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist die Compliance, dass die Leute es erst mal selber richtig machen. Und ich glaube, wenn das ganz allgemein bekannt ist, dass wirklich alle, die in dem Flieger aus Malo zurückkommen, wissen: Wir kommen jetzt zurück, wir fahren jetzt nach Hause und dann ist fünf Tage Quarantäne. Dann ist das eine andere Situation, als wenn erstens keiner kapiert, welche Regel überhaupt gerade gilt. Die Hälfte der Leute sagt: Ich habe morgen wieder meinen nächsten Termin. Und: Schön, dass zu Hause die Diskotheken wieder offen sind. Da will ich dann am Freitag auf jeden Fall dabei sein. Und so weiter und so fort.

Ich will jetzt nicht sagen, dass diese ganze Situation dazu führen muss, dass wir wieder viele Todesfälle haben. Das ist ja unklar. Aber wir berauben uns der Option, die ganze Sache sozusagen vorsichtig anzugehen. Und ich kann es nur nochmal sagen: Wenn die Fallzahlen explodieren, dann wieder einfangen – wenn wir dann feststellen, dass wir es machen müssen, aufgrund zunehmender Krankenhausbelastung und so weiter – das geht nur mit Schulschließungen und Lockdown. Und weil das eben etwas ist, was wir doch eigentlich nicht nochmal machen wollten, plädiere ich eben nach wie vor dafür, dass wir hier das Ventil langsam aufdrehen.

17:50


Camillo Schumann


Die Urlaubszeit geht ja noch ein bisschen. Einige Bundesländer haben bis Anfang September Ferien. Was meinen Sie, wäre jetzt noch Zeit für so einen radikalen Strategiewechsel, was den Umgang mit Reiserückkehrern angeht?


Alexander Kekulé

Ich finde es nicht so radikal, aber ich glaube, es ist fast zu spät, weil erstens ist es politisch nicht durchsetzbar, da ist eben die Bundestagswahl vor. Und zweitens ist es so: Wenn Sie die Leute erst im Urlaub mit der Nachricht überraschen, ist es ja in der Tat mühsam. Da haben Sie eben auch keine Compliance. Und es ist ja nicht nur Urlaub. Also, wir haben ja jetzt die Situation in Holland ich weiß nicht, ob wir darüber noch sprechen wollen. In Holland haben wir ja im Moment auch eine Situation, dass da wirklich Land unter ist. Und man muss sich auch dafür eine Lösung überlegen, weil da natürlich der kleine Grenzverkehr sehr intensiv ist.

18:38


Camillo Schumann


Weil Sie gerade Holland angesprochen haben: Damit meinen Sie sicherlich die rund tausend Besucher, die sich nach dem Festival dort infiziert haben.


Alexander Kekulé

Ja, das ist das ist eben superspannend. Virologisch interessant. Darum finde ich es wichtig, dass mal zu erwähnen. Das ist dieses Verknipt-

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Festival, das es dort gibt. Verknipt heißt durchgeknallt auf Niederländisch, wissen wahrscheinlich viele. Aber auch krank. Und wenn man mit jemandem schimpft, kann man sagen: Mensch, ist das krank von dir. Und jetzt wissen die Rückkehrer von dem Festival sozusagen, was es bedeutet. Und zwar haben sich da bei einem Festival in der Nähe von Utrecht irgendwie an zwei Tagen – zweimal 10.000 Gäste ungefähr dagewesen – haben sich insgesamt 1000 Leute angesteckt. Also, das ist nicht schlecht. Das sind fünf Prozent insgesamt gesehen, die sich da infiziert haben. Es war ein Open-Air-Festival, aber wenn man die Fotos sieht, die waren wirklich dicht aufeinander gepackt. Das war die dichtest mögliche Kugelpackung sozusagen, als sie da im Freien an so einem Baggersee irgendwie da Party gemacht haben mit einer großen Bühne. Und ich habe mir das noch ein bisschen angeschaut, weil ich ja immer ein Verfechter der Theorie bin, dass es im Freien eigentlich nicht so schlimm werden sollte, selbst wenn man relativ eng zusammensitzt. Die haben das toll organisiert. War alles im Freien. Geimpft, getestet oder genesen war die Ansage. Aber: Die Möglichkeiten, dahinzukommen, waren entweder mit der Bahn nach Utrecht. Da gab es dann einen schönen Pendelbus, in dem man zum Festivalgelände gefahren ist. Oder man konnte mit dem Auto kommen. Da hat man vom Parkplatz aus den Pendelbus gehabt. Also, die wurden erst mal in die Busse gestopft und dann dahingefahren, sodass ich jetzt mal sagen würde: Wenn man das im Nachhinein analysiert – falls das überhaupt so gut dokumentiert ist – wird man feststellen, dass die, die sich gegenseitig angesteckt haben, entweder in Gruppen zusammen anund abgereist waren oder Freunde waren oder in diesen Pendelbussen zusammensaßen. Also, das ist organisatorisch natürlich ein Strukturfehler. Aber was wir daraus lernen, ist natürlich Folgendes: Das heißt, dass wir GGG – also, geimpft, genesen oder getestet – diese Strategie, die können wir nicht fahren, wenn die Impfquote in einem Land wie Holland noch bei unter 40 Prozent liegt. Die sind ja etwas schlechter als wir. Wir sind, glaube ich, bei 42 Prozent, und die liegen bei 39 Prozent vollständig Geimpften. Und da können sie eben noch nicht aufmachen und sagen: Wir machen jetzt GGG. Weil sie immer Fehler

haben bei den Getesteten und weil sie bei den Genesenen und den Geimpften mit Delta natürlich Durchbrüche haben. Und das heißt: Man kann sich jetzt noch nicht lockermachen, sondern wir müssen warten, bis wir – mein Vorschlag ist ja – 70 Prozent der Erwachsenen geimpft haben, bevor man solche Maßnahmen ergreift. Und deshalb ist das im Grunde genommen ein Mahnmal, was da passiert ist. Wenn man in so einer Situation, wo man so wenige Geimpfte hat wie bei uns, aufmacht, dann kriegt man einfach explodierende Fallzahlen. Und das ist in Holland jetzt ganz aktuell das, was wir sehen. Die Krankenhausaufnahmen sind ja nur geringfügig, etwa um elf Prozent, hochgegangen. Aber es ist ja nicht nur dieses Festival. Die haben insgesamt die Situation, dass innerhalb von der vorletzten auf die letzte Woche, die Fallzahlen um 500 Prozent gestiegen sind. Also, auf das Sechsfache gestiegen, von 8500 auf 51.000, über 51.000. Und was sie eben gemacht haben, ist nicht nur das Festival. Die haben alle Bars aufgemacht, alle Nachtclubs aufgemacht, alle Gaststätten aufgemacht. Und die Frage ist einfach: Wollen wir sozusagen so ein holländisches Experiment machen? Oder wollen wir das nicht? Vielleicht noch ein letztes Wort, warum dieses Durchgeknallt-Festival – wenn man auf Niederländisch versuchen würde, zu sagen, jetzt wisst ihr, wie durchgeknallt das ist, dann würde man sagen: Nu je weet hoe verknipt dat is. Ja, verknipt heißt eben durchgeknallt. Und so durchgeknallt waren die aber auch bei der Europameisterschaft. Und das heißt für mich im Grunde genommen – die Engländer haben das nicht so genau registriert wie jetzt die Holländer in Utrecht. Das heißt für mich: Bei der EM ist wahrscheinlich genau das Gleiche passiert. Bei den großen Stadionbesuchen, insbesondere in England, hatten die den gleichen Turbolader für die Pandemie.

22:57


Camillo Schumann


Man muss aber auch dazu sagen, dass die Niederlande jetzt auch die Rolle rückwärts gemacht haben und das Nachtleben jetzt wieder komplett eingeschränkt haben und dementsprechend darauf reagieren. Weil Sie auch gerade lockermachen gesagt haben und jetzt auch Großbritannien genannt haben: Die Bri-

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ten, die haben sich ja nicht nur von der EU-Zugehörigkeit von Europa abgekoppelt, sondern auch in Bezug auf die Corona-Situation. England hebt nun tatsächlich wie angekündigt fast alle Maßnahmen zum 19. Juli auf. Also, keine Maske mehr, keine Tests mehr, kein Abstand mehr. Die Frage ist ja: Wie entwickelt sich dann die Delta-Variante? Also, kann man dieses Risiko eingehen? Man muss ja sagen, dass die Fallzahlen zwar stark ansteigen, aber die Hospitalisierungen nicht dementsprechend auch stark ansteigen. Bis jetzt. Der britische Gesundheitsminister hat gesagt: Es wird nie einen perfekten Zeitpunkt für diesen Schritt geben, denn wir können dieses Virus einfach nicht ausrotten, ob wir es wollen oder nicht. Das Coronavirus wird nicht verschwinden. Damit hat er ja auch recht. Und genau dieser Zeitpunkt: Ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt auf der Insel?


Alexander Kekulé

Das ist die Frage. Das wissen wir eben nicht. Boris Johnson spricht ja von der Exit-Wave. Das klingt ganz toll, sozusagen noch eine Welle, noch einmal Corona und dann ist Schluss damit. Da er ja so ein Brexit-Experte ist, finde ich das mit der Exit-Wave (...) irgendwie eine ganz gute Kreation. Man muss aber sagen: Es läuft nicht so glatt für Johnson, wie er sich das erhofft hat. Ich bin ja regelmäßig in den ZoomKonferenzen mit den Kollegen aus England, weil wir alle von denen immer hören wollen, was los ist, weil die so tolle Daten haben. Und die sind ja überhaupt nicht begeistert davon. Und die finden Anhänger langsam. Also, die Mahner in England, die haben auch Leute, die ihnen zuhören. Erstens natürlich Schottland, also die Nicola Sturgeon, die First Minister von Schottland, die hat ja jetzt schon einen Gegenkurs angekündigt. Es ist ja bekannt, dass die nicht so zufrieden ist mit der Brexit-Entscheidung von Johnson. Und die haben gesagt: Also, bei uns bleiben die Masken, bei uns bleiben die Gegenmaßnahmen. Genauso Sadiq Khan, der sehr beliebte, relativ neue Bürgermeister von London, der hat auch gesagt: Nix da, bei mir im Public Transport gibt es nach wie vor Masken, ich hebe das zumindest dort nicht auf. Das ist ein sehr, sehr vernünftiger Schritt. Die Modellierer aus England, die also diese Epidemiologie versuchen nachzuvollziehen, um diesen per-

fekten Zeitpunkt zu finden, die sagen im Moment: Wenn man nur die Masken behalten würde, dann würde man schon die Infektionsrate um 70 Prozent reduzieren. Weiß nicht, ob das stimmt, aber die Modellierer haben das gerade erklärt aufgrund ihrer Modelle. Ich finde immer, das ist auch ein bisschen willkürlich, aber so eine Hausnummer, dass die Masken alleine schon im öffentlichen Bereich, in geschlossenen Räumen, 70 Prozent bringen, ist schon mal eine Ansage. Und einzelne Bürgermeister in England, habe ich jetzt mitgekriegt, protestieren auch, sodass in verschiedenen Städten jetzt das Problem ist, dass die Busse und die Bahnen, die werden von Firmen organisiert, für die gilt das Gesetz des Landes. Also, da gilt, was London sagt. Und die sagen ja: Masken weg. Sodass es in Bussen und Bahnen, auch in den Städten, dann keine Masken gibt. Aber wenn man so etwas wie eine Straßenbahn hat oder eine städtische Einrichtung, einen städtischen Bus, der sozusagen nicht überregional organisiert wird, dann darf der Bürgermeister das entscheiden. Und da haben die Bürgermeister gesagt: Maske auf. Also, das wird noch lustig, wenn man dann je nach Verkehrsmittel [entscheidet, Anm. d. Red.]: Maske auf oder Maske ab. Das heißt, unterm Strich ist es so: Wir gucken uns da ein interessantes Experiment auf der Insel an und ich hoffe, dass es gut geht. Ja, kann auch sein, das will ich nur nochmal sagen. Es kann sein, dass es gut geht. Und es gibt jetzt durchaus auch den einen oder anderen, sage ich mal, prominenten Wissenschaftler, der sagt: Ich traue dem zu, dass es der richtige Zeitpunkt war. Aber wir wissen es eben nicht. Und da ja für uns in Deutschland auf dem Spiel steht, dass wir die Schulen wieder zumachen müssen im Herbst und die Kindertagesstätten wieder zumachen müssen – in England geht es schon los. Es waren nie so viele Schulen geschlossen in England in den letzten Wochen wie jetzt, weil die natürlich auch Ausbrüche jetzt in den Schulen haben. Und dann müssen sie zumachen. Und was mit den Hospitalisierungen ist, wissen wir letztlich nicht. Und ich will das ehrlich gesagt nicht ausprobieren. Ich bin auch genervt davon, dass ständig die Schulen zugemacht werden und die Kinder quasi die Zeche zahlen.

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27:30


Camillo Schumann


Die britischen Gesundheitsbehörden, Sie haben es ja schon gesagt, überwachen die Lage sehr, sehr akribisch. Jede Woche werden da neue Daten herausgegeben. Sie haben sich mal die Daten vom 9. Juli angeschaut. Und es gibt da neue Erkenntnisse zur Delta-Variante, die wir jetzt unseren Hörerinnen und Hörern mal zum Besten geben sollten.


Alexander Kekulé

Ja. Also, die eine alte Erkenntnis ist die neue Erkenntnis, die wichtigste: Delta ist nicht tödlicher als Alpha. Also, das ist hier nochmal verglichen worden. Es bleibt dabei, dass wir überhaupt keinen Hinweis darauf haben, dass die Sterblichkeit ansteigt durch Delta. Wenn man die reinen Zahlen anschaut: Bei Alpha gab es bisher von den registrierten, dokumentierten Fällen 220.173, davon sind 4260 ungefähr gestorben, etwa ein Prozent. Das ist jetzt nicht die Fallsterblichkeit in dem Sinn, sondern das ist einfach nur der Anteil der registrierten Gestorbenen an den registrierten und vor allem genetisch analysierten Fällen. Und bei Delta ist die Zahl noch kleiner, obwohl wir wissen, dass dort fast hundert Prozent von den neuen jetzt Delta sind. Die haben so etwas über 80.000 Deltas untersucht und davon sind 112 gestorben. Das sind 0,2 Prozent. Also, ganz wenige. Man kann jetzt trotzdem nicht den Schluss machen, wie das mindestens ein Kollege von mir mal so sportlich gemacht hat, dass man sagt: Na ja, gut, das sind einmal zwei, einmal 0,2, das heißt, Alpha war zehnmal so tödlich. So weit kann man nicht gehen, sondern es ist so, dass das einfach nur heißt: Wir haben keinen Anstieg, weil es verschiedene Parameter gibt, die da eine Rolle spielen. Bei Delta gibt es zwar ganz wenige Tote, die man beobachtet, aber man muss berücksichtigen, dass ja viele Menschen Delta kriegen, die schon geimpft waren. Die kriegen einfach Delta, obwohl sie geimpft waren, zum Teil sogar voll geimpft. Und die, wenn ich mal so sagen darf, gelten eigentlich nicht bei der Zählung der Toten. Weil hier kommt es ja auf die Frage an: Wie schwer erwischt es denn die, die ungeimpft sind? Das kann man natürlich dann nicht vergleichen. Es ist auch so, dass das ja verschiedene Wellen waren. Also, die Alpha-Welle war ja vorher, und die Delta-Welle kommt jetzt, sodass, wenn

man das in England anschaut, der Zeitpunkt, wo Alpha war – dadurch, dass das vorher war und dadurch, dass es auch so massiv viele Kranke gab – gab es bei Alpha einen höheren Druck auf die Intensivstationen. Also, die hatten weniger Möglichkeiten, optimal zu behandeln. Das spielt eine Riesenrolle bei der Sterblichkeit. Dann war natürlich die Impfrate, hatte ich schon gesagt, damals geringer. Und es ist auch so, dass das Altersprofil sich verändert hat. Also, jetzt im Moment sind es mehr junge Leute, die betroffen sind, weil die einfach in der Pandemie jetzt aus verschiedenen Gründen dran sind. Und die haben natürlich tendenziell sowieso keine so schweren Verläufe. Das letzte wäre vielleicht noch, dass sich im Laufe der Zeit natürlich die Behandlungsmethoden für die Schwerkranken verbessert haben. Man hat dann irgendwann auf den Intensivstationen rausgekriegt, welche Medikamente man anwenden muss, sodass die spätere Welle auch vielleicht deshalb eine geringere Sterblichkeit hat. Also, das alles zusammen sind so Einschränkungen, aber trotzdem muss man sagen: Unterm Strich ist es so, von den reinen Zahlen ist es so, dass im Moment die Delta-Welle anteilig gesehen zehnmal so wenig Todesfälle produziert wie früher die alte Alpha-Welle in Bezug auf die Gesamtzahl der Fälle. Und das heißt, Delta ist nicht tödlicher.

30:46


Camillo Schumann


Mit allen Erklärungen, die Sie gerade mit beigefügt haben: Was bedeutet das jetzt für die Bewertung der Delta-Variante hier für Deutschland? Muss man jetzt grundsätzlich Umdenken? Was heißt das für die Maßnahmen? Möglicherweise dann auch für den Herbst?


Alexander Kekulé

Für den Herbst können wir jetzt noch nicht so viele Maßnahmen daraus ziehen, weil wir eben nicht wissen, wie die Sterblichkeit ist. Aber was für mich ganz interessant ist, sind zwei andere Dinge. Das eine ist: In England sinkt kontinuierlich die sogenannte secondary attack rate. Das ist also quasi die Zahl der Menschen, die durchschnittlich von einem infiziert werden, wenn man es wirklich misst. Man hat ja da die Möglichkeit, dieses R zu bestimmen, die Reproduktionszahl. Das ist aber ein sehr ungefährer

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Wert, der ein Mittelwert aus ganz vielen Einzelsituationen ist und gerade wenn sich das ändert, im Moment nicht sehr viel aussagt. Aber diese Angriffsrate – weiß gar nicht, wie man das auf Deutsch sagen würde. Die secondary attack rate, die ist interessant. Und zwar, zum Beispiel misst man das in Haushalten. Wenn in einem Haushalt nur einer drinnen war, der infiziert war, wie viele andere Haushaltsmitglieder steckt der dann durchschnittlich an? Da erinnern wir uns an die Heinsberg-Studie, wo mal rauskam, dass erstaunlicherweise nur ungefähr 15 Prozent angesteckt wurden damals, von einer weniger infektiösen Variante. Das war ja überraschend, weil man immer gedacht hat bei Covid, da wird dann quasi nach einer Weile in so einer Familie oder in einem Haushalt jeder angesteckt. Aber das war eben nicht so. Und jetzt sehen wir, dass tatsächlich die Ansteckungsrate in Haushalten – und das wird in England genau beobachtet – die sinkt. Also, die ist im Moment bei Alpha in der Größenordnung von 10,2 Prozent. Darf man nicht so auf die Goldwaage legen, aber das sind die Zahlen vom letzten Donnerstag. Und bei Delta 10,9 Prozent. Da würde ich mal sagen: Ungefähr gleich inzwischen. Die Autoren sagen: Delta geringfügig höher. Naja, 0,7 Prozent höher. Aber was heißt das? Das heißt, dass quasi jeder Zehnte, mit dem ich im Haushalt Kontakt hatte, angesteckt wird. Das ist gar nicht so viel. Also, so super hochinfektiös ist das nicht. Woran liegt das? Man hat eben immer mehr Menschen, die eben auch geimpft sind im gleichen Haushalt, die sind ja da mitgezählt. Und noch deutlicher wird es, wenn man sich das außerhalb des Haushalts anschaut. Da sind die Quoten im Moment: Alpha 5,6 Prozent secondary attack rate und 5,7 Prozent für Delta. Das heißt also, es ist so, dass jetzt nicht praktisch jeder, der da rumrennt, sofort alle ansteckt in England. Es gibt ja solche Narrative aus Australien. Sie erinnern sich, dieser Ausbruch in der Shopping-Mall, wo man auf den Videoaufnahmen nachvollzogen hat, dass Leute angesteckt wurden, die nur ganz kurz Face-to-Face-Kontakt mit einem Infizierten hatten. Und da gab es dann Leute, die daraus geschlossen haben: Oh, das ist wahnsinnig gefährlich, da springt das Virus schon rüber, wenn man sich nur ganz kurz begegnet. Also, diese Zahlen aus England zeigen eigentlich, dass das Virus sich auch in einer

zunehmend geimpften Population langsam totläuft, langsam keine Opfer mehr findet. Und das kann für uns relevant sein. Und was heißt das für den Herbst? Ja, ich glaube, dass das Virus sich mit zunehmender Impfung wirklich verlangsamen wird. Wir haben die Chance, wenn wir eben – ich sage ja immer diese 70 Prozent der Erwachsenen voll immunisiert haben – dass wir dann wirklich sicher durch den Herbst segeln. Aber wir sind da noch nicht. Und wenn ich jetzt auf England gucke, was bedeutet das für uns? Ich nutze mal ein Bild, und zwar, wenn Sie wissen, Sie haben jemanden, der schlechter schwimmt als sie – die Engländer machen es ja schlechter als wir, oder unvorsichtiger. Jemand schwimmt schlechter als Sie und der schwimmt in unbekanntes Gewässer voraus und Sie haben den vor sich. Dann ist es immer eine gute Idee, hinter dem zu bleiben, weil wenn der es ans andere Ufer schafft mit seiner Taktik, dann wissen Sie: Das schaffe ich jetzt auch, weil ich bin ja der bessere Schwimmer. Und wir sind in Deutschland jetzt vorsichtiger und in diesem Bild deshalb der bessere Schwimmer. Und ich würde deshalb dringend empfehlen, nicht auf Schulterhöhe mit England zu kommen, sondern immer im Sicherheitsabstand hinterher zu bleiben.

35:05


Camillo Schumann


Weil Sie sagen, das Virus könnte sich dann verlangsamen – und die Hinweise gibt es jetzt: Wie sind denn dann die extrem hohen Zahlen der Neuinfektionen zu erklären?


Alexander Kekulé

Naja, das eine ist die secondary attack rate. Ja, das ist also die Frage: Wie viele steckt einer sozusagen an in irgendwelchen bestimmten Settings, also zu Hause oder anderswo. Da sieht man eine Verlangsamung. Und das andere ist die Frage: Wieviele Infizierte haben sie? Also, wieviel ist sozusagen die Basiszahl, von der sie ausgehen? Und die ist natürlich in England sehr hoch. Und das ist das, was wir jetzt beobachten. Wenn sie sehr, sehr viele Infizierte haben – nach der Europameisterschaft noch mal nachgelegt – dann haben sie einfach eine Welle, die nicht mehr zu bremsen ist. Auch wenn jetzt sozusagen die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung in jedem einzelnen Setting nicht sehr hoch ist. Viele Kontakte und

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viele Infizierte gleichen das natürlich voll aus. Und die gleiche Situation werden wir in Kürze in Deutschland haben. Bisher hatten wir einfach ganz wenige Infizierte im Land. Und jetzt holen wir uns ganz viele Infizierte rein durch die Reiserückkehrer. Die stecken andere an. Und dann haben wir so eine ähnliche Situation, dass wir einfach – selbst, wenn das Virus sich dann irgendwann wann mal lahm laufen sollte durch die Genesenen und Geimpften – dass wir trotzdem einfach so eine große Grundgesamtheit von Erkrankten haben. Plus noch die Möglichkeit natürlich, Genesene zu infizieren. Das macht es schwierig. Und wir sehen eben gerade das Beispiel Holland, was wir gerade hatten, mit dem Festival, wo die alle geimpft, genesen oder getestet waren. Das zeigt ja, dass wir damit rechnen müssen, dass wir, sobald wir wieder viele Fälle im Land haben, so eine Art Schwelbrand haben werden, von unerkannten Infektionen, auch bei Genesenen und Geimpften. Und die werden der Nährboden dafür sein, das eben leider auch Ungeimpfte sich infizieren. Und was dann passiert, das wissen wir noch nicht.

37:01


Camillo Schumann


Weil wir gerade über die Delta-Variante sprechen: Wir wissen, dass sie – Sie haben es ja auch mehrfach jetzt gesagt – zu Impfdurchbrüchen führen kann. Also, dass bereits Geimpfte sich wieder anstecken. Und nun gibt es auch Belege, dass die Delta-Variante dafür sorgt, dass die Wirkung von Medikamenten, im Speziellen von Antikörper-Medikamenten, reduziert werden kann. Konkret geht es auch um ein Medikament Bamlanivimab – da haben wir auch schon mal hier im Podcast drüber gesprochen. Und dieses Medikament ist ja explizit für die Behandlung von Covid-19-Patienten empfohlen worden, wurde von der Bundesregierung auch im großen Stil eingekauft, aber ist nun offenbar in Bezug auf die Delta-Variante fast nutzlos. Ist das nicht auch ein Stück weit erschreckend?


Alexander Kekulé

Ja, klinisch wussten wir das aber schon. Also, das ist jetzt eine interessante Publikation. Die ist gerade am 08.07. in Nature erschienen, das ist bei uns so der heilige Gral der Publikationsorgane in der Wissenschaft und vom Institut

Pasteur in Paris. Und da ist eben nochmal molekularbiologisch gezeigt worden, woran das liegt. Aber wir wissen von der Klinik her schon länger, dass das nicht richtig wirkt. Also, das ist einfach so, das Bamlanivimab ist tatsächlich ein Wirkstoff, der klinisch bei Delta versagt hat. Schon vorher. Darum ist das jetzt auch ganz interessant, finde ich, diese Publikation. Die haben sich da wirklich die Mühe gemacht, bei einem Patienten, der aus Indien zurückgekommen ist, haben die ein Virus-Isolat gefunden, haben das ganz genau analysiert. Das ist eben ein Delta-Isolat. Und mit dem haben die eben mal getestet: Wie ist das mit diesen Antikörpern, die man quasi therapeutisch einsetzt? Wirken die da noch oder nicht? Und die Antwort ist, sowohl für Delta als auch übrigens für Beta – also, diese südafrikanische Variante – funktioniert es nicht so richtig. Und wir wissen nicht genau, woran es liegt. Bei der südafrikanischen Variante – also, der Beta-Variante – ist es so: Die hat eine, wenn ich mal so sagen darf, extra Mutation drauf, eine besondere Mutation, die relativ wichtig ist, die heißt K417N. Und diese eine bestimmte Mutation, da hat man den Verdacht, dass das einer der Hauptgründe ist, warum die so oft diese Durchbrüche macht bei Geimpften und Genesenen und warum auch die Antikörper nicht funktionieren. Und das ist ja genau die Mutation, die diese sogenannte Delta Plus-Variante auch hat. Die kommt in Indien vor, die ist jetzt auch in England festgestellt worden und in den Vereinigten Staaten haben die sehr, sehr viele Fälle mit Delta Plus, sodass man jetzt insgesamt feststellen kann – übrigens auch ein Ergebnis der englischen Untersuchungen: Das Virus nimmt zu bei den Mutationen und es gibt immer mehr Durchbrüche. Also, es gibt immer mehr Varianten, die eben wie diese Delta Plus in der Lage sind, das Immunsystem auszutricksen. Also, das Virus versucht gerade wirklich alle Möglichkeiten, unsere Geimpften und Genesen nochmal zu befallen. Und in dem Zusammenhang fallen halt die Therapeutika, die entwickelt wurden – also, die Antikörper, die gemacht wurden, speziell gegen die alten Virustypen – die fallen natürlich dann hinten runter.

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40:10


Camillo Schumann


Und wie sieht das jetzt mit dieser Delta Plus [aus, Anm. d. Red.]? Also, das war sozusagen jetzt eine Information, die ganz interessant ist, weil wir häufig über Antikörper-Medikamente gesprochen haben. Die fallen jetzt so nach und nach sozusagen raus aus dem Medikamentenschrank. Könnte Delta Plus möglicherweise auch bei anderen Medikamenten dafür sorgen, dass auf der Intensivstation – was jetzt die Therapie angeht – umgedacht werden muss?


Alexander Kekulé

Also, ich persönlich glaube nicht, dass es so sein wird, weil wir mit der Immunsuppression, also den Möglichkeiten, das Immunsystem unter Kontrolle zu halten – da gibt es ja erstens kortisonartige Präparate und zweitens diese Inhibitoren des Interleukin-6, die also diesen Zytokinsturm so ein bisschen bremsen können, wenn man sie richtig, zum richtigen Zeitpunkt vor allem, einsetzt. Damit haben wir eigentlich schon ein sehr gutes Instrumentarium. Plus die intensivmedizinischen, allgemeinen Maßnahmen, wo man inzwischen wirklich ziemlich genau weiß, wie man das machen muss, wann man High-Flow-Sauerstoff gibt, wann man intubieren muss. Da gab es am Anfang andere Strategien. Das hat man aber inzwischen optimiert. Ich glaube, dass jetzt diese Antikörper hier rausfallen, was zu erwarten war. Ist meines Erachtens jetzt nicht ein schlimmer Verlust an der Stelle. Natürlich wäre es toll gewesen, wenn man – wissen Sie, ein Antikörper ist ja quasi immer so wie ein Silver Bullet. Ja, dann haben Sie einen Antikörper, der wirklich den Erreger ausknockt. Das wäre natürlich etwas, was toll wäre. Quasi wie eine Impfung ist das ja dann. Das ist so ähnlich wie eine passive Impfung, die man macht, nach Tetanus oder nach Tetanus-Verdacht. Oder wenn Sie von einem tollwütigen Tier gebissen wurden oder Ähnliches. Da gibt man ja auch quasi Antikörper gegen den Erreger. Das hat man halt hier nicht zur Verfügung. War eigentlich zu erwarten. Gut, Donald Trump konnte man damit noch spektakulär helfen, damals. Der hat ja von Regeneron die Antikörper bekommen. Aber das war noch die Zeit, wo man eben nicht

diese Varianten auf dem Schirm hatte. Darum glaube ich: Wir können nie so schnell die Antikörper produzieren, wie die Varianten nachkommen. Vielleicht steht am Ende der Entwicklung dann mal ein Antikörper, der so raffiniert gemacht ist, dass er alle Varianten abdeckt. Das ist nicht auszuschließen. Aber im Moment sind wir noch nicht so weit, dass sowas irgendwo bei einem pharmazeutischen Unternehmen in der Pipeline wäre.

42:38


Camillo Schumann


Verlassen wir die Delta-Variante. Schauen wir nun auf eine Meldung zu einem Impfstoff, die doch einige Schlagzeilen produziert hat. Die US-Behörden warnen seit kurzem vor einer seltenen Nervenkrankheit im Zusammenhang mit dem Johnson & Johnson-Impfstoff. Konkret geht es um das Guillain-Barré-Syndrom. In Deutschland sind ja fast 4 Millionen Menschen mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft worden. Erst einmal: Was ist das Guillain-Barré-Syndrom? Was muss man darüber wissen?


Alexander Kekulé

Also, Guillain-Barré, das sind zwei französische Namen, und ich glaube, aus dem 19. Jahrhundert ist das. Und das Syndrom, was da beobachtet wurde – interessanterweise im Ersten Weltkrieg im größeren Stil dann – das tritt typischerweise nach Infektionen auf, also bakterielle Infektionen gehen da voran. Oder auch manchmal Virusinfektionen. Und was da passiert ist, dass sich nach der Infektion Antikörper gebildet haben, die eigentlich offensichtlich vom Organismus gemacht wurden, um den Bakterien Herr zu werden. Also, wir kennen das von sogenannten gramnegativen Bakterien, wenn die nach traumatischen Verletzungen irgendwo an der falschen Stelle im Körper sind, dann arbeitet das Immunsystem dagegen, bildet Antikörper. Die Krankheit ist dann überwunden und irgendwann gibt es zeitlich versetzt danach dann plötzlich einen AntikörperAngriff aufs eigene Nervensystem – aus Versehen sozusagen. Friendly Fire würde man das im Krieg nennen. Und dieses Friendly Fire, das sieht also so aus – also, Friendly Fire heißt Beschuss von den eigenen Truppen. Und das

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sieht dann so aus, dass hier insbesondere im Nervensystem die Nervenwurzeln im Rückenmark quasi betroffen sind. Und dadurch gibt es Lähmungen. Und der Arzt sagt dazu akute Polyneuritis, also eine Entzündung mehrerer Nerven und Nervenwurzeln dann auch. Und typischerweise fängt es an mit motorischen Beschwerden, also, wenn es so klassisch anfängt. Im Vordergrund stehen dann Lähmungen. Also, das eine Bein geht nicht mehr so richtig. Man merkt beim Treppen steigen, dass man irgendwie lahm ist auf einer Seite. Wenn es schlecht verläuft, geht es progressiv. Also, dann aufsteigend und beidseitig, weil es sich einfach im Rückenmark ausbreitet. Und wenn es ganz schlecht läuft, kommen dann noch sensorische Probleme dazu. Also, Gefühlsstörungen. Und im schlimmsten Fall, wie wir sagen, vegetative Lähmungen. Also, die dritte Stufe sind vegetative Lähmungen, wo dann die Magen-DarmFunktion und Ähnliches nicht funktioniert. Und die gruseligen Bilder sind dann meistens solche, wo einer dann wirklich eine Querschnittslähmung deswegen hat. Das ist aber wirklich selten beim Guillain-Barré. Die gute Nachricht ist, dass das typischerweise, selbst diese schweren Verläufe, wenn man jetzt nicht stirbt unterwegs – also, bei uns stirbt man am Guillain-Barré eigentlich nicht. Aber wenn Sie das Ganze natürlich irgendwie auf einer Südseeinsel kriegen – beim Zika-Virus hatten wir das Problem, da gab es auch Guillain-Barré und auf Haiti oder so sind die dann tatsächlich daran gestorben. Da haben Sie eine Sterblichkeit vielleicht von einem Prozent oder so in der Größenordnung, wenn man jetzt therapeutisch keine Möglichkeiten hat. Die anderen sind nach sechs Monaten in der Regel wieder gesund. Also, das geht von selber wieder weg. Das ist das Gute daran. Wenn man genau hinschaut, stellt man bei einem doch erheblichen Teil – ich würde mal sagen, einem Drittel ungefähr – fest, dass die vor allem von der Motorik her nicht ganz wieder auf hundert Prozent sind, sondern über Muskelschwäche hinterher noch klagen – meistens ist der eine oder andere Muskel dann betroffen. Das ist sozusagen das Guillain-Barré als Syndrom, also, grob gesagt.

46:12


Camillo Schumann


Betrifft das eher die Jungen, eher die Mittelalten oder eher die ältere Bevölkerung?


Alexander Kekulé

Also, bei dem Zustand nach Infektion ist es so, dass es eher ältere Menschen betrifft. Aber ich habe auch schon Guillain-Barré beim 30-Jährigen gesehen. Also, das gibt es immer mal wieder. Wir haben bei uns da gute Therapiemöglichkeiten, weil wir ja nun wissen, dass es sich um Antikörper handelt, die da sozusagen apparierend sind, [dass es sich, Anm. d. Red.] um marodierende Antikörper handelt, die jetzt quasi den Feind erledigt haben und trotzdem noch schwer bewaffnet patrouillieren und dann auf die Nerven losgehen aus Langeweile oder sonst was. Deshalb können wir diese Antikörper gezielt aus dem Gefecht ziehen. Also, da gibt es dann Anti-Antikörper, Immunglobuline, mit denen man die dann bekämpfen kann therapeutisch. Oder man geht so weit, dass man einen Plasmaaustausch macht. Also, Plasmapherese, um die Antikörper-Konzentration insgesamt zu reduzieren. Beides funktioniert. Plasmapherese ist so ein bisschen Mittel der letzten Wahl. Das hat auch viele Nebenwirkungen. Übrigens etwas, was man bei Covid auch ausprobiert hat, weil man ja da auch weiß, dass die Immunreaktion selber einen großen Teil des Problems macht. Das war aber alles nicht so erfolgsversprechend, wie man das gehofft hat an der Stelle.

47:30


Camillo Schumann


Jetzt schauen wir mal auf die Warnung der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Bei fast 13 Millionen Geimpften gab es 95 schwerwiegende Fälle dieser Erkrankung. Und die geimpften, die mussten also ins Krankenhaus. Und es gab einen Todesfall, da ist aber noch unklar, ob dieser tatsächlich da in Verbindung steht. Die FDA warnt – vielleicht auch, weil sie warnen muss. Also, ist das jetzt Anlass zur Sorge?


Alexander Kekulé

Nein, also aus meiner Sicht überhaupt nicht. Man muss dazusagen: Wir hatten das auch schon bei der Influenza-Impfung, das ist bekannt, aber eben auch im winzig kleinen Anteil,

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dass die Influenza-Impfung – zumindest bestimmte Impfstoffe – Guillain-Barré ausgelöst haben. Ich meine, das gab es auch schon mal bei der Tetanus-Impfung. Und es ist einfach schwierig, weil wir wissen ja, dass das im Gefolge von Virusinfektionen schon immer mal wieder auftritt, vor allem die sogenannten Herpes-Viren spielen da eine Rolle. Da gibt es verschiedene Viren, Zytomegalie-Virus und Epstein-Barr-Virus, die da durchaus assoziiert sind mit so einem Guillain-Barré. Und das sind Viren, die man relativ häufig hat in der Gesellschaft. Also, es ist so, dass ganz viele Menschen, ohne es zu merken, von diesen Viren mal infiziert werden. Und weil das ständig passiert, wissen sie natürlich gar nicht, wenn einer so ein Guillain-Barré nach der Impfung entwickelt, ob das überhaupt dann immer zusammenhängt. Es wird immer gemeldet, das ist ja klar. Sie haben plötzlich so eine komische Lähmung und wurden vor zwei Wochen geimpft, natürlich melden Sie das dem Arzt. Aber ob das wirklich kausal ist oder vielleicht ein anderes Virus war, was da zugeschlagen hat, das kann man gar nicht sagen. Und deshalb würde ich diese Fälle jetzt nicht zu 100 Prozent auf die Karte der Covid-Impfung setzen. Und selbst wenn man sie zu 100 Prozent draufsetzt, ist natürlich der Anteil so minimal, dass man davon ausgehen muss, das ist jetzt ein beherrschbares Risiko. Also, deshalb würde man auf keinen Fall einen Impfstoff zurückziehen, zumal das ja in der Regel – also, das ist schon so, dass das Guillain-Barré-Syndrom normalerweise ausheilt und nur selten wirklich Folgen hat. Vielleicht noch ein anderer Aspekt, was man sich da immer so überlegt. Die Frage ist ja immer: Wie viele Fälle übersehe ich? Und wir haben ja hier schon mal sehr ausführlich gesprochen über die Komplikationen bei AstraZeneca, wo es diese Hirnvenenthrombosen gab und dann einige Behörden gesagt haben: Mensch, das ist so wahnsinnig selten, macht euch mal keine Sorgen. Da wissen Sie, habe ich eher die Gegenposition vertreten, weil ich gesagt habe: Das könnte die Spitze eines Eisbergs sein. Und es ist ja inzwischen bewiesen, dass es genauso ist. Wir wissen inzwischen, es gibt auch normale Thrombosen, die da entstehen. Und generell ist es tatsächlich so, dass diese Parameter, die eine Thrombose-Neigung anzeigen,

eben relativ häufig erhöht sind. Also, die wenigen Hirnvenenthrombosen, die man am Anfang gemeldet bekommen hat, waren ganz klar Spitzen eines Eisbergs. Und das wissen wir inzwischen. Und hier ist es umgekehrt. Hier ist es so: Wenn jemand eine Lähmung hat, ja, dann geht der zum Arzt (...). Ja, also, da würde ich doch mal sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Guillain-Barré übersieht, ist nicht so hoch wie eine Laborveränderung, die man nur merkt, wenn man Blut abnimmt. Und deshalb würde ich sagen, dass die Trefferquote gerade in den USA, wo man sowas aufmerksam beobachtet, doch eher nahe bei 100 Prozent ist. Und die Fälle, die da gemeldet wurden, das waren dann wirklich alle.

51:06


Camillo Schumann


Also, 13 Millionen Geimpfte, 95 Fälle bei Johnson & Johnson. Ich habe mal in den Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts geschaut und da gibt es ähnliche Fälle nach Impfung von AstraZeneca. Da steht: Es sind mehr Fälle eines Guillain-Barré-Syndroms nach AstraZeneca gemeldet worden, als aufgrund der Anzahl geimpfter Personen zufällig erwartet wurde. Ob es sich um ein neues Risikosignal handeln könnte, wird weiter vom Paul-Ehrlich-Institut untersucht. Wie würden Sie diesen Satz bewerten?


Alexander Kekulé

Naja, die sind halt immer vorsichtig. Das ist eine Behörde. Und wenn ich jetzt der Chef vom Paul-Ehrlich-Institut wäre – Herr Cichutek ist ein sehr, sehr kompetenter Mann, den ich schon lange kenne, der hat früher hervorragende HIV-Forschung gemacht. Ich würde das ganz genauso erst mal aufschreiben. Aber der gesunde Menschenverstand sagt einem natürlich: Klar ist das eine Verbindung. Ja, weil wir wissen das von anderen Impfstoffen, wir wissen das von anderen Viren und wir kennen das von Johnson & Johnson. Da ist es jetzt genau nachverfolgt. AstraZeneca wird ja in den USA nicht verimpft und wird auch weltweit inzwischen von den reichen Ländern kaum noch gebraucht. Das ist jetzt ein Impfstoff – brutaler Weise muss man das so sagen – für Arme geworden. Und deshalb haben wir da nicht so viele Daten. Weil, wenn sie in Indien irgendwo jemanden haben, der Guillain-Barré bekommt,

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da ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass der zwar auch ein Bein nachzieht, aber weiß: Wenn ich jetzt zum Arzt gehe, kostet das entweder Geld oder der Arzt meldet es nicht weiter und so weiter, sodass es keine Konsequenzen hat. Also, deshalb kann man ganz klar sagen: Das ist offensichtlich ein weiteres Problem, was diese Vektorimpfstoffe grundsätzlich an sich haben. Die interessante Frage, die man stellen darf, ist: Warum hören wir von dem russischen Impfstoff nichts? Also, der Sputnik V ist ja auch ein Vektorimpfstoff, der übrigens von den Wirksamkeitsdaten – das zeigt sich jetzt mehr und mehr – wirklich sehr gut zu sein scheint. Am Anfang haben ja alle so ein bisschen vermutet: Naja, wenn da die Daten aus Russland kommen, wer weiß, wie das gedreht wurde, ist vielleicht die gleiche Abteilung gewesen, die irgendwie für die Internetspionage zuständig ist. Aber nein, es sieht es jetzt mehr und mehr danach aus – der wird ja auch im Ausland verwendet – als würde der gut funktionieren. Aber die Frage ist natürlich: Hat man da auch so ein Risiko für Guillain-Barré und für Thrombosen, weil wir da bisher aus der Ecke noch nichts gehört haben. Das wäre eine interessante Frage. Aber bei AstraZeneca ist es relativ eindeutig, dass, wenn das häufiger ist als durchschnittlich, dann heißt das doch, es ist irgendwie assoziiert. Und wenn wir von dem Wirkprinzip her wissen, es gibt diese Assoziation bei dem anderen Vektorimpfstoff, dann ist ziemlich klar, dass das bei AstraZeneca auch assoziiert ist.

53:53


Camillo Schumann


Ja, damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau L. hat geschrieben. Sie schreibt:

„Seit Jahrzehnten lasse ich mich jeden Winter gegen Grippe impfen und bin nie mehr krank geworden. Deshalb ist mein Vertrauen in Totimpfstoffe wie diesen doch sehr groß. Meine Frage: Was weiß Herr Kekulé über Valneva? Ich würde mich gerne damit impfen lassen. Danke und viele Grüße.“

Valneva hat man erst mal so gar nicht auf dem Zettel, oder?


Alexander Kekulé

Nein. Also, es gibt ja eine ganze Reihe von Antigen-, also Totimpfstoffen im weitesten Sinne. Da gibt es ja zwei Varianten. Die einen sind quasi Viren, die man produziert. Da muss man richtig das Virus anzüchten. Das ist so die klassische Methode. Und der Vorteil ist, das ist relativ leicht zu machen, große Mengen Viren herzustellen. Das Virus vermehrt sich ja von selbst. Und die Kunst besteht dann hinterher darin, das dann so weiterzuverarbeiten, dass das Virus wirklich tot ist, bevor man es jemandem injiziert. Und dieser tote Impfstoff, der stimuliert dann das Immunsystem. Das macht er natürlich nicht so gut wie das lebende Virus, weil das lebende Virus dadurch, dass es dann in der infizierten Zelle anfängt, Aktivitäten zu entfalten, das Immunsystem so richtig zur Rage bringt. Und das gleiche machen diese RNAImpfstoffe – übrigens auch die Vektorimpfstoffe – weil sie eben dafür sorgen, dass in der Zelle dann plötzlich Virusprotein produziert wird. Das imitiert quasi die echte Virusinfektion viel stärker, als wenn Sie da nur so ein totes Virus vor die Tür schmeißen. Das ist wie ein Raubtier. Ja, wenn Sie so einem Löwen irgendwie eine tote Antilope hinlegen, das ist ja kein Aasfresser, da sagt der, das ist was für die Geier, das nehme ich nicht. Und hier ist es auch so. Das Immunsystem springt auf die toten Viren nicht mehr so gut an wie auf die lebenden oder auf die funktionierenden. Aber es geht schon, es passiert schon was. Und wenn man dann noch Adjuvans dazugibt, also so einen Wirkverstärker, dann ist es so, dass man damit eine Immunantwort bekommt, die häufig ausreichend ist. Und das ist das Prinzip, was Valneva versucht. Die haben also einen Totimpfstoff plus Adjuvans – ein klassisches Aluminiumsalz nimmt man da, das ist bekannt aus vielen Impfstoffen, auch bei Kinder-Impfungen schon bewährt. Und ich glaube, dass das eine gute Chance hat, dann in den klinischen Studien ein brauchbares Resultat zu erzielen. Das Problem ist nur, wir wissen jetzt speziell bei Covid eben, dass es wirklich darauf ankommt – also, die beste Stimulation oder die beste Schutzwirkung fürs Immunsystem kriegen wir immer, wenn dieses S-Protein mit dabei ist, also dieses Spike-Protein. Und wenn das in dem ursprünglichen Zustand stabilisiert ist, also in dem pre-fusion Zustand also quasi

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künstlich chemisch so verändert ist, dass es einen Zustand hat, der für das Immunsystem, wenn da die Antikörper dagegen gebildet werden, besonders nützlich ist. Und das können die mit dem Totimpfstoff natürlich nicht machen. Das geht nicht, dass man das da so modifiziert. Sodass die Frage ist: Haben die dann 40 Prozent Effizienz? Geht es ihnen vielleicht so ähnlich wie CureVac? Dass die irgendwie knapp die 50-Prozent-Marke nicht schaffen, die ja von der WHO gesetzt wurde? Aber diese 50Prozent-Marke wäre sowieso viel zu wenig, weil eben durch die RNA-Impfstoffe sind wir jetzt bei 95 Prozent oder so. Später im Spiel gelten andere Regeln, als das ursprünglich mal ausgeschrieben wurde. Die WHO hat ja mal gesagt: 50 Prozent mindestens muss die Wirksamkeit sein. Aber da man jetzt Kandidaten hat, die viel, viel besser sind, ist die Latte einfach sehr hoch. Und da wird man sehen, wenn die dann ihre Studien irgendwann mal abgeschlossen haben – die wurden ja erst gerade begonnen. Also, an die Hörerin: Die Antwort ist, Sie müssen versuchen, irgendwie an einer Studie teilzunehmen, sonst kriegen Sie den Impfstoff noch gar nicht. Und wenn er dann kommt, da gelten ja dann wirklich die brutalen Regeln des Marktes. Da wird dann Novavax mit seinem Impfstoff kommen, der ja schon viel weiter fortgeschritten ist. Und der eine oder andere Wettbewerber hat angekündigt, dass er was in der Pipeline hat. Da wird man dann sehen, welcher von diesen Nicht-RNA-Impfstoffen und Nicht-Vektorimpfstoffen sozusagen der Potenteste und der Beste ist. Das ist dann sozusagen das Rennen um die NichtHightech-Impfstoffe. Ich glaube, dass das noch mal eine eigene Marktnische haben wird, weil es schon Menschen gibt – also, ich persönlich habe überhaupt keine Bedenken bei Erwachsenen gegen RNA-Impfstoffe. Aber es gibt schon Menschen, die sagen: Nein, so einen RNAImpfstoff will ich mal grundsätzlich nicht haben. Und für die ist, glaube ich, das schon eine Option, wenn dann die Protein-Impfstoffe oder die Totimpfstoffe als Alternative zur Verfügung stehen.

58:34


Camillo Schumann


Und noch ein paar Infos zu Valneva. Das ist ein französisch-österreichisches Unternehmen. Und auch das Gesundheitsministerium hier in

Deutschland möchte ja rund 10 Millionen Impfdosen kaufen, wenn dann alles gut geht. Und Sie haben es ja gerade eben gesagt, dass die Studien ja erst beginnen. Und im Herbst soll dann eine Zulassung beantragt werden. Das ist alles noch Zukunftsmusik. Wir sind gespannt. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 208. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis dann, freue mich darauf, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage und wollen etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 13. Juli 2021 #207


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Diskussion: Eine Fraktionierung der COVID-19Impfstoffdosen könnte die begrenzte Versorgung verlängern und die Sterblichkeit verringern.

Fractionation of COVID-19 vaccine doses could extend limited supplies and reduce mortality | Nature Medicine

Studie: Vorläufiger Bericht einer randomisierten kontrollierten Phase-2-Studie zur Sicherheit und Immunogenität des SARS-CoV-2-Impfstoffs mRNA-1273

A preliminary report of a randomized controlled phase 2 trial of the safety and immunogenicity of mRNA-1273 SARS-CoV-2 vaccine ScienceDirect

Dienstag, 13. Juli 2021

Die Neuinfektionen steigen wieder deutlich an. Stehen wir am Beginn der vierten Welle?

Die Diskussion um die dritte Impfung in vollem Gange. Ja oder nein? Und wenn ja, für wen?

Neben der Inzidenz soll auch die Lage in den Krankenhäusern zur Bewertung der Gesamtlage einbezogen werden. Wie könnte eine praxistaugliche Formel aussehen?

Außerdem: Fraktionierung von Impfstoffdosen. Kann damit das Sterben auf der Welt beendet werden?

Und ist ein Impfdurchbruch nicht sogar eine gute Sache?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen.

Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie.


Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.


Camillo Schumann


Und wie immer ein kurzer Blick aufs Infektionsgeschehen in Deutschland. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt zum sechsten Mal in Folge an. Sie liegt aktuell bei 6,5. Noch immer ein sehr niedriges Niveau. Niedriges Niveau auch bei den Neuinfektionen: Innerhalb von 24 Stunden wurden 646 Neuinfektionen gemeldet, hört sich wenig an. Im Vergleich zum Dienstag der Vorwoche ist das aber ein Plus von 46 %. Und vergleicht man den gestrigen Montag mit dem Montag der Vorwoche, gab es sogar ein Plus von rund 60 %.

Herr Kekulé, braut sich da was zusammen?


Alexander Kekulé

Das Optimum ist jedenfalls überwunden. Ich glaube, auf die niedrigen Inzidenzwerte, auf den wir mal waren, vor ein paar Tagen noch oder vor wenigen Wochen, werden wir nicht mehr zurückkommen. Das ist ein bisschen schade, weil natürlich uns eigentlich im Moment der Sommer hilft. Aber ich meine, das ist jetzt ein Anstieg, den wir beobachten. Der wird sich fortsetzen. Die Frage ist nur, geht es jetzt schnell, so nach dem Modell Holland oder England? Oder ist es etwas, was ich sehr hoffe, was nur so ein leichter Anstieg ist. So dass wir im Herbst noch eine gute Startposition haben, wenn die Schulen wieder aufmachen.


Camillo Schumann


Ich habe ja gesagt 46 %, 60 %. Das muss man natürlich auch im Wochenmittel sehen. Aber nichtsdestotrotz ist das natürlich ein deutlicher Anstieg. Wenn sich das so fortsetzen würde, was würde das bedeuten?

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Alexander Kekulé

Das Problem ist immer bei diesen Exponentialfunktionen, dass das am Anfang trügerisch ist. Da sagt man: „Naja, 46 % von gar nichts ist ja auch fast gar nichts.“ Und dann, wenn sich das erhöht und der Anstieg in der gleichen Dimension bleibt, dann sind es irgendwann 46 % oder 50 % von einer sehr großen Zahl. Und deshalb geht es relativ schnell, dass so etwas außer Kontrolle gerät. Das ist meines Erachtens so ein bisschen die Gefahr. Das wissen natürlich auch die Behörden: Dass man hier, wenn man am Anfang sagt, die Grundgesamtheit ist klein, jetzt hat sie sich verdoppelt, mein Gott. Wenn man dann reagiert, reagiert man zu spät. Und ganz konkret ist es jetzt so, dass wir eben nicht wissen, ob sich die Inzidenz wirklich von der Sterblichkeit entkoppelt. Und wenn wir irgendwann feststellen sollten, dass es uns dann doch zu eng auf den Intensivstationen wird oder das einfach mal grundsätzlich wegen der hohen Inzidenz die Schulen nicht mehr aufmachen wollen – die Kinder sind ja noch ungeimpft und die Jugendlichen – dass wir dann nicht zurückkönnen. Es ist immer einfacher, den Wasserhahn zuzuhalten, als hinterher alles vom Boden aufwischen zu müssen.

03:40


Camillo Schumann


Aber sind die Vorzeichen, die ich gerade genannt habe, für Sie auch schon so ein bisschen ein Alarmzeichen für einen Beginn der vierten Welle?


Alexander Kekulé

Ich glaube tatsächlich... Man weiß das immer erst hinterher. Aber ich habe den Eindruck, dass das, was wir hier beobachten, wahrscheinlich dann Ende des Jahres rückwirkend so etwas wie der Anfang der vierten Welle sein wird. Wir haben letztlich verschiedene Kräfte, die gegeneinander arbeiten. Es ist ja auf der einen Seite die warme Jahreszeit nach wie vor. Zugleich ist es so, dass wir ja impfen. Die Impfungen und die warme Jahreszeit sind sozusagen auf der einen Seite der Waagschale. Und auf der anderen Seite ist, dass wir uns alle locker machen, dass die Menschen coronamüde sind. Dass die politischen Signale jetzt vor den Wahlen Richtung Lockerung gehen. Und dass wir, das sehe ich tatsächlich als ernstes Problem an, keine Maßnahmen ergriffen haben, um

jetzt effizient die Importe zu verhindern. Wir haben ja im Ausland ganz hohe Inzidenzen, z.T. in Ländern, wo viele deutsche Touristen hingefahren sind und jetzt zurückkommen. Und da plädiere ich bekanntlich dafür, dass man fünf Tage Quarantäne plus PCR macht. Das halte ich in der jetzigen Situation für die richtige Maßnahme. Ausnahmsweise, weil wir eben so einen Riesenunterschied zwischen Deutschland und den Urlaubsdestinationen haben bei der Inzidenz. Deshalb glaube ich schon, diese zwei Seiten der Waagschale arbeiten gegeneinander. Ich habe das Gefühl, die Waage schlägt gerade so langsam um in Richtung steigende Inzidenz. Und dabei wird es wahrscheinlich auch bleiben. Die Frage ist nur wie schnell.

05:19


Camillo Schumann


Die Niederlande, die haben ja etwa eine vergleichbare Impfquote wie wir in Deutschland. 65 % Erstgeimpfte, davon rund 40 % Zweitgeimpfte, die 7-Tage-Inzidenz dort aktuell auch über 200. Alle vier Tage verdoppelten sich die Zahlen. Deshalb haben die Niederlande nach nur zwei Wochen ganz viele Öffnungsschritte wieder zurückgenommen. Clubs, Discos müssen wieder schließen. Gaststätten, für die ist um Mitternacht Schluss. Das Nachtleben ist sozusagen wieder auf null gefahren worden. Bisher führte die Zunahme der Infektionen aber nicht zu mehr Patienten in Krankenhäusern. Stand jetzt. Es ist ja aber auch klar, dass sich das auch erst in 2-3 Wochen zeigt.


Alexander Kekulé

Ja natürlich, das ist verzögert. Und wir wissen das nicht. Es wird sich wahrscheinlich sogar noch mehr verzögern, dadurch, dass wir natürlich bei vielen Geimpften auch eine große Zahl von Menschen haben, die asymptomatisch sind oder kaum Symptome haben. Ich glaube, dass da noch ein weiterer Effekt dazukommt. Man muss jede Phase der Pandemie wieder neu betrachten und die alten Instrumente nicht einfach 1:1 wieder anwenden. Und jetzt, in der Phase, die ich ja mal das Endspiel genannt habe, da gelten ein bisschen andere Regeln. Eine, die ganz wichtig ist, ist, dass die Menschen zum großen Teil wissen, ich bin genesen oder geimpft. Und dann, selbst wenn die Symptome haben... Abgesehen davon, dass sie sich natürlich risikofreudiger verhalten. Wenn

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sie mal Symptome haben, nehmen sie das nicht mehr so ernst. Also noch vor einem Jahr war es so, wenn man irgendwie Covid-Symptome hatte, dann hat einen der Blitz getroffen. Man dachte, au Backe. Man dachte an diese Bilder auf der Intensivstation in Norditalien o.Ä. und ist zum Arzt gegangen. Ist natürlich zum Testen gegangen, hat am besten gleich schon im Krankenhaus angerufen und sich ein Bett bestellt, für alle Fälle. Und ein paar Flaschen Sauerstoff zu Hause hingestellt. Ich übertreibe jetzt natürlich. Aber die Psychologie war ein bisschen so. Und jetzt ist die psychologische Lage mehrheitlich doch irgendwie so: Ja, wir haben es hinter uns, viele sind geimpft. Wenn Sie als Geimpfter oder Genesener oder auch als jüngerer Mensch, der inzwischen ja auch verstanden hat, dass es wohl nicht schwer verlaufen wird, wenn Sie dann den Verdacht haben, dass Sie positiv sein können, ist die erste Stufe, dass man nicht mehr so oft zum Testen geht. Also nicht mehr so viele Menschen sich testen lassen. D.h. wir haben eine höhere Dunkelziffer. Aus meiner Sicht die zweite Stufe ist, dass diese Menschen vom Verhalten her möglicherweise nicht so konsequent sich dann selbst in Isolierung begeben. D.h. das Virus wird dann auch leichter weitergegeben in so einer Lage, wo diese Delta-Variante Infizierte, Genesene und Geimpfte auch infizieren kann und dadurch leichte Symptome macht. Und das macht so eine Art, sage ich mal, Schwelbrand, den man nicht bemerkt. Den man auch nicht so ernst nimmt. Und das ist sicherlich der Boden, aus dem in Holland diese massiven Inzidenzen entstanden sind. Und wenn wir das vergleichen mit uns, Holland ist ungefähr auf unserer Augenhöhe. Aber es gibt ja auch Großbritannien, was ein Stück weiter ist bei den Impfquoten. Da sehen wir auch, dass die Fallzahlen höher gehen, wenn man drastisch lockert. Die Holländer haben ja auch wirklich alles aufgemacht. Sie haben schon gesagt, das war schon sehr mutig. Und wir haben auch Israel als Land, was noch eine Stufe höher ist von der Impfquote. Wir stellen einfach fest, dass, wenn man das sozusagen nach unten extrapoliert, auf Deutschland, unsere Impfquote schützt uns auf gar keinen Fall davor, dass hier die Fälle wieder explodieren würden, wenn wir uns komplett entspannen.


Camillo Schumann


Die Frage ist ja, was tut man in den Niederlanden? Gerade haben wir das Beispiel gehört, da werden wieder Maßnahmen ergriffen. Aber wenn bei steigenden Fallzahlen immer wieder Maßnahmen ergriffen werden, dann wird man ja nie feststellen, ob sich die schweren Verläufe und die Sterblichkeit von den Neuinfektionen abkoppelt. Das will man ja aber wissen. Dann ist das doch ein Teufelskreis.


Alexander Kekulé

Ja, akademisch gesehen haben Sie da die richtige Frage gestellt. Klar, wenn ich als Epidemiologe sagen würde, wie kriegen wir raus, wie das ist? Wenn wir also alle Versuchs-Mäuschen werden, dann würde ich sagen, wir nehmen doch mal irgendeine Stadt. Weiß nicht, welches jetzt ihre Lieblingsstadt oder ihre am wenigsten beliebte Stadt in Deutschland ist. Die würden wir zwei dann aussuchen und würden außenrum einen Sanitärkordon machen. Dann würden wir sagen, jetzt probieren wir da mal aus, was ist, wenn man alles lockerlässt? Gehen dann die Intensivbelegungen hoch? Wie ist es eigentlich mit den schweren Fällen? Die Inzidenz wird natürlich hochgehen. Aber ist das dann wirklich entkoppelt, wie wir ja vermuten und hoffen? Nur so macht man natürlich beim Menschen keine Experimente. Außer vielleicht in Großbritannien. Da habe ich manchmal so das Gefühl, dass die in dieser Richtung sehr sportlich sind. Ich habe mir natürlich auch erlaubt, das Endspiel und die Reportagen danach von der Europameisterschaft anzuschauen. Danach werden jetzt richtig die Fallzahlen hochgehen. Deshalb wird dieses Experiment freundlicherweise für uns gemacht. Es ist natürlich auch nicht so ganz ernst gemeint, wenn ich das so sage, weil das ist sehr riskant. Was uns fehlt, ist letztlich der Kopplungs-Faktor zwischen der Inzidenz und der Zahl der schweren Erkrankungen. Das ist das, was fehlt. Da haben wir noch keine Vorstellung. Ist es jetzt komplett entkoppelt? So, wie die Briten hoffen, also nach dem Motto: Inzidenz völlig egal. Die bereiten ja die Bevölkerung auf Inzidenzen von 100.000 am Tag vor, hat der neue Gesundheitsminister mal gesagt. Ich weiß nicht, wie ernst das gemeint war. Und sie sagen: „Na ja, Inzidenz, so what“. Oder ist es so, dass es dann doch noch ein Nachziehen, ein etwas verspätetes Ansteigen der Fallzahlen gibt? Weil, das eine muss man

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noch sagen: Wenn man viele Menschen hat, die eigentlich nicht mehr das Covid so ernst nehmen, dann wird es so sein, dass sie auch später ins Krankenhaus gehen, weil die dann nicht mehr so beim ersten Kratzen im Hals gleich zum Arzt gehen. Sondern erst dann, wenn es ihnen richtig schlecht geht. So dass diese Verzögerung, die wir schon immer hatten, zwischen Inzidenz und Erkrankungen und zwischen Erkrankungen und Todesfällen, die wird dann noch länger sein. So dass ich im Moment sage, dass ich dem Frieden nicht traue.

11:25


Camillo Schumann


Dass die Fallzahlen wieder steigen werden, auch bei uns, das war ja relativ unstrittig. Die Frage ist ja nur, wie wir mit diesen Zahlen künftig umgehen werden mit Bezug auf Maßnahmen. Weiteren Lockdown, das will niemand. Lt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verliere die Inzidenz nun an Aussagekraft wegen der Impfung. Heißt, sollte die Inzidenz wieder extrem ansteigen, heißt das nicht, dass nur darauf geschaut werden soll. Der Blick soll also geweitet werden. Regierungssprecher Steffen Seibert hat es in der Bundespressekonferenz gestern so erklärt:

Alles Weitere ist abhängig von der Entwicklung der Fallzahlen, von dem Fortschritt der Impfkampagne und von dem, was uns die Wissenschaft und die Praktiker in den Krankenhäusern sagen über den Zusammenhang zwischen Delta-Infektion und Zahl der Hospitalisierungen, Zahl der belegten Intensivbetten. Insofern gibt es keine Automatismen, sondern das alles wird in Abwägung miteinander gebracht werden.


Camillo Schumann


Und das Robert-Koch-Institut will schwere Corona-Erkrankung mit Krankenhausaufenthalt neben der Inzidenz als zusätzlichen Leitindikator einführen. Ist das ein richtiger Schritt?


Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt verstehe ich diesen Schritt nicht. Wenn Sie Politiker sind, dann müssen Sie immer irgendetwas erklären. Es sind Wahlen. Alle Parteien müssen jetzt Vorschläge machen, was in Zusammenhang mit Corona los ist. Ich möchte auch nicht in deren Haut stecken, jetzt

immer neue Maßnahmen verkünden zu müssen. Und jetzt sagt man, man braucht einen neuen Leitindikator. Letztlich ist es doch so: Das Robert-Koch-Institut hat ja von Anfang an immer neben der Inzidenz auch die anderen Indikatoren im Blick gehabt. Wir haben hier auch praktisch in jedem Podcast berichtet, wie voll die Krankenhäuser sind u.Ä. Das ist selbstverständlich schon immer auf dem Schirm gewesen. Die Ansage, wir haben jetzt einen neuen Indikator, die ist für mich eigentlich nicht relevant, weil die Frage ist letztlich: Die Inzidenz – da haben wir ja so etwas wie diese Bundesnotbremse. Da kann man viel rumstreiten, kann man kritisch sehen, warum das jetzt gerade bei 100 sein musste. Im Moment ist sie außer Kraft gesetzt. Aber das war für Politiker eine Konzertierung, dass nicht alle durcheinander musizieren. Sondern so halbwegs im Takt bleiben. Das war, glaube ich, eine ganz gute Maßnahme, diese Bundesnotbremse zu haben. Und auch wenn die nur als Drohung im Raum stand, hat es ja sehr viel bewirkt. Die war eigentlich der Grund, warum wir in Deutschland im Mai diesen Abfall der Fallzahlen hatten. Das war ja noch nicht die Impfung. Es war tatsächlich die Disziplin der Landesfürsten und die Disziplin der Bevölkerung. Und deshalb hat es funktioniert. Und jetzt ist die Frage, wie würde man jetzt einen neuen Indikator definieren? Das haben wir ja schon bei der Inzidenz gesehen, dass das so ein bisschen Handelsware ist, Ob man jetzt sagt, 50 oder 100. Da gab es dann ja auch ganz skurrile Zahlen für bestimmte Maßnahmen. Und jetzt sprechen sie über Tote, sprechen sie über Schwerstkranke, sprechen sie über Beatmete. Ich glaube nicht, dass sich ein Politiker hinstellt und sagt: „Gestern hatten wir nur 200 Tote, alles im grünen Bereich. Das ist eben so.“ Epidemiologisch ist es so, wenn Sie so wollen, eine brutale Wahrheit: Jeden Tag sterben in Deutschland, weiß gar nicht genau, 3.000 Menschen. Etwa in der Größenordnung. Und es ist so, das ist einfach ein Fakt. Und da kann man natürlich sagen: Wenn es dann 3.200 sind, ist das doch nicht so wichtig. Aber das geht politisch nicht. Es geht meines Erachtens auch ethisch nicht so an dieser Stelle, so dass sie zumindest keinen Indikator daraus basteln können. Ich sehe nicht, wie man jetzt sozusagen diese Zahl festschreiben sollte, mit welcher Begründung. Das war ja schon bei der

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Inzidenz unmöglich. Und die Erkrankungsraten oder die Gesundheitsbelastung ist dafür völlig ungeeignet. Es ginge nur dann, wenn Sie das als Gleichung betrachten. Die Inzidenz hat eine gewisse Eigendynamik und die Krankenhauseinweisungen haben eine Eigendynamik. Und wir kennen den Kopplungs-Faktor noch nicht. Wenn Sie das als Gleichung sehen, ist sozusagen da eine Unbekannte in dieser Gleichung. Diesen Kopplungsfaktor, den brauchen wir erst mal. Wenn wir wirklich rauskriegen, dass es fast entkoppelt ist, also so gut wie unabhängig voneinander ist, also die Inzidenz sagt nichts mehr aus. Dann ist es in der Tat so, dass wir im Grunde genommen gleich den nächsten Schritt gehen könnten und sagen könnten: Na gut, dann machen wir alles auf. Weil, wenn die Inzidenz nicht mehr zu erhöhten Erkrankungen führt, dann war es das. Ich bezweifle das. Und strategisch gesehen, wir reden jetzt aber hier nicht über Epidemiologie, sondern das ist Risikomanagement. Wo man darüber sprechen muss: Es gibt ja bei jedem Risiko eine Upside und eine Downside sozusagen. Und was passiert, wenn ... Sie haben es gerade gesagt: Die ganze Bevölkerung fürchtet ja schon fast die Corona-Maßnahmen mehr als das Virus selber. D.h. bloß keine Lockdowns im Herbst, bloß keine Schulschließungen im Herbst. Und wenn man jetzt sieht, dass das das ist, was man auf jeden Fall vermeiden will... Natürlich werden auch Todesfälle befürchtet, aber das ist das, was wir gerade so im Auge haben. Dann muss ich sagen, das Problem ist, dass das eine Einbahnstraße ist, wenn man lockert und wieder zurückfährt, wenn man übers Ziel hinausgeschossen ist. Das kann man nur mit relativ drastischen Maßnahmen. Wenn Sie beim Segeln wahnsinnig hart am Wind segeln, weil sie unbedingt den Pokal gewinnen wollen bei der Regatta, und dann haut ihnen auch noch eine Böe rein. Dann weiß jede Segelmannschaft, dass man richtig sportlich rudern muss. Dann müssen sie etwas tun, um nicht zu kentern. Und das sind bei uns die Lockdowns. Und andersrum: Wenn Sie vorsichtig, also ein bisschen konservativer, an die Sache rangehen, nachlockern kann man immer, das ist leichter. Und deshalb plädiere ich ja da für Einreisekontrollen, also Quarantäne bei der Einreise, und Masken im öffentlichen Bereich. Und erst mal gucken, wie sich das im Herbst entwickelt.

17:40


Camillo Schumann


Also im Ziel sind wir uns ja, glaube ich, einig, dass wir alle keinen weiteren Lockdown wollen. Aber ist das nicht jetzt auch der Beginn einer Diskussion über eine neue Normalität? Zumindest in diesem Jahr. Dass wir möglicherweise im Herbst eben nicht die angestrebte in Impfquote von 85 % haben werden. Wir werden möglicherweise explodierende Infektionszahlen haben. Sie sagen, es fehlt ein Kopplungsfaktor. Ist es so, dass wir mit einer bestimmten Zahl an schweren Verläufen und Toten einfach leben müssen? Dass man die Bevölkerung möglicherweise darauf vorbereitet, dass man soweit denken muss.


Alexander Kekulé

Das ist eine interessante Frage. Ich habe ja vor einem guten Jahr im Spiegel mal geschrieben, dass es letztlich nicht funktionieren wird, mit dieser Krankheit zurechtzukommen, wenn man nicht der Tatsache ins Auge blickt, dass es irgendwelche Toten immer gibt. Und den Vorschlag gemacht, dass man also als Referenz ungefähr die Influenza-Toten nimmt. Dass man einfach sagt, 5.000-15.000 Tote gibt es bei der Influenza, wenn wir unter diesem Bereich bleiben bei Covid, dann ist das etwas, wo wir einfach als Gesellschaft beschließen sollten, dass das zumindest nicht zu drastischen Gegenmaßnahmen führt. Man muss ja immer bei den Gegenmaßnahmen unterscheiden zwischen solchen, die epidemiologisch wirksam sein sollen. Die sind dann meistens für alle Bevölkerungsteile relativ massive Eingriffe auch in die Grundrechte. Und solchen, die individualmedizinischen Schutz herstellen sollen. Das ist ja etwas, was man viel selektiver dann machen kann für die Risikogruppen. Man könnte die Diskussion an der Stelle so führen. Ich glaube, die wird nicht so geführt werden. Wir sind kurz vor einer Bundestagswahl. Wenn die Parteien und die Kandidaten eines gelernt haben in den letzten Jahrzehnten, dann heißt es, bloß keine schlechten Nachrichten vor der Wahl. Keine Folterinstrumente zeigen, auf keinen Fall versuchen, zu erklären, wo man die Mittel für die ganzen Goodies, die man verteilen will, dann hinterher abziehen will. So ähnlich ist es hier ja auch. Wenn man jetzt so eine Diskussion anfangen würde, wie viel Tote wollen wir uns leisten? Das würde keiner wagen vor der Wahl.

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De facto ist es ja auch so, ich gucke wirklich auf die Kinder und die jungen Menschen, weil das sind die, die jetzt bisher noch völlig ausgespart sind. Und ich halte eigentlich ein Szenario für extrem unwahrscheinlich: Dass, wenn wir dort in dieser Altersgruppe, die nicht geimpft ist, explodierende Fallzahlen haben. Auch wenn da nur wenige – und das wird dabeibleiben – nur ganz wenige Todesfälle und wenige Schwersterkrankungen dabei rauskommen, dann wird es trotzdem den einen Todesfall geben. Der wird dann durch alle Medien gezogen. Die zwei jungen Mädchen, die irgendwo als Schülerinnen sich infiziert haben, von der geimpften Oma am besten. Die werden natürlich in Großaufnahme auf der Intensivstation gefilmt werden. Und dann wird es ganz viele junge Leute geben, die sagen, ich habe vor einem Jahr Corona gehabt und kann immer noch nichts riechen. Die werden schildern, wie schrecklich das ist. Ich glaube nicht, dass wir als Gesellschaft damit dann so nonchalant umgehen werden. Und das würde dann meines Erachtens zu Schulschließungen führen. Das ist aber eine politische Prognose. Und wenn man dann die Schulschließungen schon vor Augen hat... Auch wenn man vielleicht sagen kann, von der Sterblichkeit her wären sie nicht indiziert, dann ist für mich der beste Weg, die zu vermeiden und tatsächlich auf der Bremse zu bleiben. Auch, wenn es unbeliebt ist. Das ist mir natürlich klar.


Camillo Schumann


Das war jetzt sozusagen die soziologische, psychologische und auch die politische Einschätzung aus einem Guss. Wie sieht es denn der knallharte Epidemiologe? Weil wir über den neuen Leitindikator gesprochen haben, wie es an den Krankenhäusern aussieht. Aber ist das nicht schon der Beginn, dass man das mit ins Kalkül zieht und dass dieser Indikator mit Inzidenz diese neue Normalität ist? Mit einem Grundrauschen eben an schweren Verläufen.


Alexander Kekulé

Wenn man wirklich nur die Sterblichkeit und die Krankenhauseinweisungen als Leitindikator nimmt und sagt, eine bestimmte Zahl von Krankenhaus-Intensivbelegungen, das tolerieren wir jetzt einfach. Dann hat das ein bisschen was Zynisches aus meiner Sicht. Ich würde das nicht unterstreichen. Aber ja, wenn man das so

durchzieht. Ich glaube, es ist nicht zu Ende gedacht. Jetzt zu sagen, wir machen da einen Leitindikator draus, das ist eine Formel mit missing link. Der besteht in der Frage, wie stark, wie viele Fälle wird es trotzdem geben. Wenn wir jetzt lockern und wenn wir die Inzidenz aus dem Auge verlieren oder absichtlich nicht mehr beachten. Die Frage beantworten uns im Moment gerade die Briten freundlicherweise. Deshalb bin ich der Meinung, bevor man da spekuliert, bevor man groß erklärt, das ist jetzt der neue Leitindikator... Dabei hat das Robert-Koch-Institut schon immer auch auf diese Zahlen geguckt. Bevor man das macht und da große Dinge ankündigt, glaube ich, ist es besser, abzuwarten, wie sich das auf der Insel jetzt entwickelt.

22:46


Camillo Schumann


Der Impfstatus ist natürlich auch ja ein wichtiger Einflussfaktor. Schauen wir mal wie der Status in Deutschland aussieht: 58,5 % erstgeimpft, davon 42,6 % zweitgeimpft. Gemessen an der Gesamtbevölkerung, nicht an den Impfwilligen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist da noch ein bisschen Luft nach oben. Gemessen an den Impfwilligen könnte das eigentlich schon fast die Sättigungsgrenze sein.


Alexander Kekulé

Ja, da kommt es darauf an, wie viele Erwachsene dabei sind. Meines Wissens haben wir fast keine Kinder geimpft. Da ist es ja auch nicht offiziell empfohlen. Und die Zahl, die meines Erachtens erreichbar ist und richtig wäre, die uns auch im Herbst retten würde, sind

70 % der Erwachsenen. Da sind wir natürlich auch noch weit entfernt davon. Das muss man ganz klar sagen. Was wir geschafft haben, ist die Risikogruppen in den höheren Altersstufen. Die sind meines Erachtens ganz gut geschützt. Zumindest die, die in den Heimen leben, die man auf dem Radar hat. Es gibt sicher viele Bereiche, wo man noch intensiv was tun muss. Indem man wirklich vor Ort fährt und sich kreative Konzepte überlegt, wie man da die letzten erreicht. Es ist trotzdem so, wir haben 58 % Erstgeimpfte. Das ist letztlich die Zahl, auf die es ankommt. Bei 50 %, das wissen wir nicht ganz genau, aber ungefähr 50 % tritt dieser Herdeneffekt ein oder dieser epidemiologische Schutzeffekt. Der ist noch nicht vorher, diese

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Marke haben wir so ungefähr Mitte Juni erst erreicht in Deutschland. Und seitdem geht es ja nur langsam weiter nach oben mit den Impfungen. Wir werden mit dieser Quote, die wir jetzt haben, im Herbst eine ähnliche Situation erleben, wie wir es jetzt z.B. in Holland sehen. Das wird nicht besser sein. Deshalb müssen wir über diese Quote hinauskommen. Wir haben zusätzlich das Problem, dass mit der neuen Delta-Variante die Möglichkeit, die ich vorgeschlagen hatte, vor längerer Zeit, dass man eine Einfach-Impfung macht und dann ziemlich lange wartet mit der zweiten Impfung. Das ist so, dass dafür das Fenster langsam zugeht. Weil wir ja wissen, dass gerade bei der DeltaVariante die Einfachimpfung mit den RNAImpfstoffen sowieso schon einen relativ unvollständigen Schutz hat. Gerade bezüglich der epidemiologischen Sicherheit. Das muss man hier auch wieder unterscheiden. Epidemiologische Sicherheit oder epidemiologischer Schutz heißt, dass die Menschen das Virus weniger weitergeben. Dass quasi die Viruslast geringer ist bei Reinfektionen. Und individualmedizinischer heißt es möglicherweise, dass die trotzdem nicht sterben, nicht ins Krankenhaus müssen. Aber epidemiologisch gesehen ist die erste Impfung gerade bei der Delta-Variante nicht ausreichend. Wir wissen, dass sogar die zweite Impfung in vielen Fällen dann trotzdem nicht verhindern kann, dass die Menschen das Virus weitergeben. Deshalb müssen wir jetzt eben zusehen. Die 58 % Erstimpfung, da hätte ich noch vor zwei Monaten gesagt, ist doch ganz gut, dass wir so weit sind. Aber jetzt muss man sagen, dadurch, dass Delta da ist, ist das entwertet worden, wenn man so will. Und jetzt kommt es wirklich darauf an, möglichst viele Menschen zweimal zu impfen. Und da ist ja wirklich noch ein längerer Weg vor uns. Ich muss jetzt zugeben, da bin ich jetzt in dieser epidemiologischen Situation ein bisschen überfordert mit der Frage, wo man wen am besten impft. Das weiß wahrscheinlich keiner genau. Da werden sicherlich die lokalen Gesundheitsämter ganz gute Ideen haben, weil die so ihre Klientel kennen. Aber wir müssen wirklich rankommen an die letzte Meile von Menschen, die geimpft werden müssen. Und da war die Alternative, die immer im Raum steht und die auch von vielen Ländern in Verzweiflung gemacht wird: Das ist ja die Zwangsimpfung, also

die Impfpflicht. Meines Wissens hat gerade gestern Macron, der französische Präsident, angekündigt, dass es jetzt eine Impfpflicht für medizinisches Personal in Frankreich geben soll. Ich glaube, das Gleiche gibt es in Griechenland schon. Und das ist so eine Sache. Wenn ich mir das vorstelle, dass das die ultima ratio ist, oder wenn ich mir vorstelle, was das für eine Reaktion in Deutschland hätte... Übrigens, in Frankreich bin ich auch sehr neugierig, wie da jetzt die Reaktion darauf sein wird bei dem medizinischen Personal. Ich meine, soweit sollen wir es nicht kommen lassen. Ich meine nicht, dass das die Leute wirklich überzeugt bei solchen Sachen, die ihnen im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen. Da lassen sie sich nicht von Zwängen überzeugen, sondern die müssen irgendwie das Gefühl haben, die Impfung ist super. Das machen wir jetzt. Damit schützen wir unsere Kinder. Damit gewinnen wir unsere Freiheiten zurück. Und das Risiko ist überschaubar.

27:24


Camillo Schumann


Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates hat ja einer Impfpflicht auch für bestimmte Berufsgruppen schon eine Absage erteilt. Das wird sehr heftig im Ethikrat diskutiert. Da gibt es auch Befürworter und Gegner. Aber unterm Strich (Stand jetzt) sieht es nicht danach aus, dass es eine Impfpflicht geben wird. Hat auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn durch seinen Sprecher gestern auf der Bundespressekonferenz explizit unterstrichen. Herr Kekulé, offiziell haben sich in Deutschland über 4 Mio. Menschen mit dem Virus seit Beginn der Pandemie infiziert. Dazu eine hohe Dunkelziffer, sagen wir mal 5. Das wären so

20 Mio. Menschen, also rund 25 % der Gesamtbevölkerung. Diese 25 % plus 60 % Erstgeimpfte. Da stehen wir doch eigentlich gut da, oder nicht?


Alexander Kekulé

Aber nur, wenn es keine Schnittmenge gäbe, das ist ja kein echtes Plus. Es ist so, dass viele Menschen sich infiziert haben und dann noch eine Impfung hinterher bekommen haben. Ich kann mir auch vorstellen, dass das einer der Gründe ist, warum es nicht so viele Zweitgeimpfte gibt, weil das ist ja kaum registriert. Also jeder, der weiß, dass er Covid hatte, ob er

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das dem Arzt dann sagt oder nicht, der weiß ja auch, dass er die zweite Impfung nicht braucht. Aber ja, ich glaube eben genau das ist der Grund, warum ich sage, wir brauchen „nur“ die 70 % der Erwachsenen. Da würde ja, wenn Sie das mit den Zahlen, die andere so aufrufen, vergleichen, würde man sagen, das ist völliger Wahnsinn, da haben wir keine Herdenimmunität. Aber erstens wissen Sie, Herden-Immunität ist ein Dogma, an das ich nicht glaube. Und zweitens ist es so, dass die wir eben eine große Zahl von Menschen haben, die tatsächlich durch die Infektion geschützt sind. Und der Schutz reicht zumindest aus, um eine massive Weitergabe zu stoppen. Ein einmal Infizierter wird kein Superspreader sein. Und es reicht vorläufig auch aus, um sich bei dieser Delta-Variante nicht daran zu schwerst zu erkranken oder zu sterben. Zumindest in der Regel. Und deshalb sage ich, 70 % der Erwachsenen impfen plus noch die Dunkelziffer, von der Sie gesprochen haben, da wären wir dann in dem komfortablen Bereich, dass wir meines Erachtens sicher durch den Herbst manövrieren können. Jetzt im Moment sind wir da noch entfernt. Wegen dieser Überlappungen. Sie können nicht sagen 58 % geimpft plus 30 % haben sich schon infiziert. Aber vielleicht noch eine Zahl: Das war ganz interessant. Ich habe kürzlich eine Studie gelesen. In England haben die einfach mal Seroprävalenz getestet. Bei der Durchschnittsbevölkerung mal geguckt, wie viele haben denn Antikörper gegen Covid. Völlig blind, also ohne irgendeine Präferenz, wen sie da getestet haben. Und dann kamen die auf fast 90 %. Also das ist schon enorm. Also, dass das wirklich viele Menschen, zumindest in der Region, wo sie es gemacht haben, tatsächlich Antikörper gegen Covid schon haben. Aus irgendwelchen Gründen. Viele natürlich geimpft. Die sind dort mit der Impfung weiter. Aber genau, was Sie sagen, die Antikörper-Prävalenz, also, das Vorhandensein von Antikörpern bei der Bevölkerung, hängt natürlich auch damit zusammen, wer die Krankheit durchgemacht hat. Eine kleine Prävalenz gab es schon vorher. Das war ja dieses interessante Phänomen, wo wir immer überlegt haben, hat vielleicht eine vorherige Infektion mit einem anderen Coronavirus schon irgendwelche Antikörper generiert, die schützen könnten? Daher ist die Zahl der Antikörper, die man feststellte vor Covid, die

war nicht komplett null. Sondern da gab es schon ein paar. Plus die Infizierten, plus die Geimpften macht eben in einigen Regionen Englands fast 90 %.


Camillo Schumann


Gab es denn in diesen Regionen eine Korrelation zu der Belegung der Intensivbetten?


Alexander Kekulé

Nein, so genau ist das nicht gemacht worden. Das war nur eine kleine Stichprobe. Aber das ist eben genau die Frage, die wir noch nicht beantwortet haben. Ich würde es Ihnen als erstes sagen, wenn ich da harte Daten hätte. Bis jetzt kann man sagen, in England steigen die Krankenhauseinweisungen an. Aber sie steigen nicht einmal ansatzweise in dem Verhältnis an, wie wir es in der letzten Welle gesehen haben. Die sind dort sehr gründlich mit ihren Daten. Deshalb würde ich sagen, wer so genau hinschaut wie die Briten von der wissenschaftlichen Seite und so viel Unsinn macht, wie die Bevölkerung und die Politik... Also eine interessante Melange. Wo also die Wissenschaftler besonders gründlich und auch besonders vorsichtig sind. Denen stehen die Haare zu Berge, die schimpfen auch alle auf den neuen Gesundheitsminister und auf Johnson. Auf der anderen Seite die Bevölkerung, die gar nicht mehr mitmachen will, zumindest die fußballleidenschaftliche. Das ist eine brisante Mischung. Aber dort werden wir es zuerst sehen. Das ist wirklich die perfekte Mischung, um frühzeitig zu sehen, ob die Krankenhauseinweisungen wieder hochgehen oder nicht.


Camillo Schumann


Was wäre ein guter Zeitraum, um dann mal so einen Stichtag zu definieren? In zwei, in drei Wochen? In vier Wochen?


Alexander Kekulé

Ich glaube, dass wir es in zwei Wochen wissen.

32:32


Camillo Schumann


Und vielleicht dann in den Herbst mit der dritten Impfung gehen. Lassen Sie uns jetzt über Auffrischungsimpfungen sprechen. In den USA ist nämlich genau darüber ein Streit entfacht. Anlass ist die Ankündigung von BioNTech/Pfizer, demnächst die Zulassung für eine Auffrischungsimpfung zu beantragen. Das wäre dann die dritte Impfung in diesem Jahr. Nur ein paar

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Stunden später gab dann das amerikanische Gesundheitsministerium eine Meldung raus, wonach vollständig geimpft Amerikaner derzeit keine Auffrischungsimpfung brauchen. Ohne in dieser Meldung BioNTech/Pfizer namentlich zu erwähnen. Herr Kekulé, wir reden ja hier über eine dritte Impfung nicht mit einem an die Varianten angepassten Impfstoff, sondern über eine dritte Impfung mit dem alten Impfstoff, über einen zweiten Booster. Richtig?


Alexander Kekulé

Ja, das geht um den zweiten Booster. BioNTech ist da so ein bisschen vorgeprescht. Man muss sich das so vorstellen: BioNTech/Pfizer ist es ja letztlich. Pfizer macht das Marketing, die machen das schon ganz klug. Die hatten als erste die Zulassung. Die hatten als erste die Zulassung für die jüngeren Menschen. Die waren bei Warp Speed nicht dabei, d.h. sie haben kein Geld von den Regierungen genommen. Und jetzt kommen sie zuerst mit der dritten Impfung. Marketingtechnisch ist das perfekt, wenn man nur die Aktie im Auge hätte. So ein bisschen ist ihnen das auch vorgeworfen worden. Sie haben es jetzt bekanntgegeben und es ist noch nicht publiziert, nicht einmal richtig als Preprint. Aber die sagen, wir haben eine 5bis 10-fache Steigerung der Antikörper-Antwort, also der messbaren Antikörper. Wenn wir nach einem halben Jahr noch mal boostern, also eine dritte Dosis geben.


Camillo Schumann


Ganz kurz, also 5bis 10-fach. Das ist ja wirklich enorm. Das muss man an dieser Stelle festhalten.


Alexander Kekulé

Richtig. Und zwar im Vergleich: Das ist bezogen auf die Beta-Variante, die südafrikanische. Und bei der südafrikanischen Variante ist es eben tatsächlich so, dass die normale Impfung relativ schlecht funktioniert und deshalb dieser Unterschied so deutlich ist. Das ist schon richtig – das hatten wir schon ein paar Mal besprochen – dass, wenn man boostert, wenn man überhaupt grundsätzlich eine weitere Impfung gibt, dann weitet sich sozusagen das Spektrum der erreichbaren Virusvarianten aus. Das ist so ein bisschen so, dass aus dem Schuss mit der Kugel dann plötzlich ein Schrotschuss wird. Immunologisch ganz interessant. Eigentlich ist es während der normalen Infektion so, dass die

Antikörper, die sich bilden, im Laufe der Infektion immer spezifischer werden. Sich immer besser binden an dieses Virus, was einen befallen hat. Und nach ein paar Wochen hat man dann nur noch Antikörper im Blut, die sozusagen das Virus treffen wie die Faust aufs Auge. Die perfekt angepasst sind. Wir sagen: „Sie haben eine sehr hohe Affinität.“ Alle anderen Zellen, die andere Antikörper produzieren, sind sozusagen aus dem Rennen und sterben ab. Nur die allerbesten werden in so eine Schatulle gelegt, wo dann die memory cells, die Gedächtniszellen, drin sind, falls das Virus wiederkommt. Aber wenn man jetzt boostert, passiert so eine Art gegenläufiger Effekt. Dass man plötzlich ganz viele Antikörper hat, die eben nicht mehr so nur noch den besten aufheben, sondern die links und rechts die Ränder mit abgreifen. Warum ist das so? Wenn man jetzt sich vorstellt, das Immunsystem ist in der Evolution sehr lange optimiert, so dass es etwas macht, was fast wie Intelligenz aussieht. Diese evolutionäre Intelligenz besteht darin, wenn jemand schon mal infiziert war mit einem Virus und jetzt kommt trotzdem nochmal so etwas wie eine echte Infektion, dann weiß das Immunsystem, mein super-toller Antikörper, den ich extra in meine Goldschatulle gelegt habe für alle Fälle, falls das Virus wiederkommt, der scheint ja nicht zu funktionieren. Sonst wäre ich jetzt nicht krank. Also, muss ich weitere Antikörper produzieren, die so ähnlich sind. Vielleicht erwische ich das Virus dann. Dadurch kommt es eben zu diesem Schrotschuss-Effekt. Den man bei der Impfung bekommt. Weil bei der Impfung ist es ja so: Sie geben das Virus, das, was aussieht, wie ein Virus. Ist ja kein echtes Virus. Aber es tut so, als wäre es ein Virus. Das geben Sie ja mit der Spritze in großer Dosis in den Muskel. Und dadurch kann der Körper sich dagegen ja gar nicht vorher wehren. Das wirkt dann für den Körper so, als wäre seine Immunantwort schiefgelaufen. Wenn Sie mit dem gleichen Virus noch einmal kommen würden, käme es ja zu einer Immunreaktion statt zu einem Booster. Dann wäre es so, dass dann ganz schnell eine Elimination wäre. Aber bei der Booster-Impfung haben Sie eben genau diesen Effekt, dass das Immunsystem denkt, wenn ich mal so sagen darf, es müsste hier die Antwort universalisieren. Und dabei werden dann plötzlich diese Varianten, wie bei der

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BioNTech-Studie diese Beta-Variante aus Südafrika, plötzlich besser erkannt, mit einem Faktor 5 bis 10. Da die das jetzt so beobachten, das ist ja auch nicht ganz unerwartet, ich glaube, dass die meisten Virologen das so vorhergesehen hätten. Nun sagen die: Okay, deshalb ist es gut, die dritte Impfung zu machen, weil wir damit Delta z.B. auch abgreifen oder weitere Varianten, die dann noch kommen. Israel ist ja so für BioNTech so bisschen das private Studien-Labor, die haben da ja einen Deal mit der israelischen Regierung. Die haben das übernommen. Die haben gesagt, na klar, wir machen jetzt die dritte Impfung. Die sind sowieso schon fast durch mit der zweiten. Und die fangen jetzt mit den Herztransplantierten an und wollen dann alle Hochrisikogruppen ein drittes Mal impfen. Und dann wird der BioNTech hier wieder tolle Real World Data produzieren, also in der echten Welt die Daten sich holen und wird dann damit die Werbetrommel rühren für die dritte Impfung. Da ist das Marketing perfekt.


Camillo Schumann


Und hier ist es ja interessant, dass die Firma sagt, hier ist ein Impfstoff für die dritte Impfung. Wirkt super. Und nicht die Wissenschaft sagt, wir brauchen den Impfstoff, weil sich die Gesamtlage verändert hat.


Alexander Kekulé

Da gab es am Montag ein Meeting, das sollte ursprünglich im Weißen Haus stattfinden. Aus politischen Gründen hat man es dann nicht direkt im Weißen Haus und online gemacht. Und da war das Who-is-Who dabei. Da war der Tony Fauci dabei, der berühmte Immunologe und Berater des neuen Präsidenten. Da war Rochelle Walensky dabei, die Chefin vom CDC, der Francis Collins, Chef von NIH, die nationalen Gesundheitsinstitute in den USA. Und noch viele andere. Und da wurde das diskutiert. Man ist letztlich, fast hätte ich gesagt, uneins auseinandergegangen. Jeder hat dann getrennt der Presse was gesagt. Die Pfizer-Leute haben gesagt, das war ein interessantes Gespräch. Und die anderen haben gesagt es bleibt dabei, wir brauchen die dritte Dosis nicht. Härter kann man es nicht formulieren. Wissen Sie, das ist so. Wenn ich jetzt mich selber optimieren wollte und ich hätte die Absicht, in ein Krisengebiet zu reisen, wo ganz

viele Menschen sind, die mich anstecken könnten und ich will da Entwicklungshelfer sein. Dann würde ich mir vielleicht wünschen, die dritte Dosis zu haben. Man weiß ja nie, welche weitere Variante dort schon zirkuliert, die man noch nicht auf dem Schirm hat. Aber aus Sicht der Politiker ist es natürlich so, wir wollen die Bevölkerung insgesamt schützen, und das ist nach der ersten Dosis schon zum großen Teil epidemiologisch so. Nach der zweiten Dosis definitiv so. Und jetzt von der dritten Dosis zu reden, bevor der Impfstoff überhaupt zugelassen ist... Das muss man ganz klar sagen, auch wenn das Herr Spahn nicht gerne hört. Das ist ein Impfstoff, der hat eine Notfallzulassung, auch in Europa, auch in den USA, wo man das offen anspricht. Bei uns ist es scheinbar ein Tabu, dass man das zugibt. Und es ist so, der hat eine Notfallzulassung. Und da wäre doch der erste Schritt, erst einmal eine richtige Zulassung zu bekommen. Das zweite ist, dass wir ganz viele Menschen noch nicht einmal erstgeimpft haben in Deutschland, geschweige denn das zweite Mal. Da würde ich auch noch nicht von einer dritten Impfung sprechen. Und dann kommt natürlich irgendwann der Moment, auch wenn es vielleicht unpopulär ist und nicht so im nationalen Sinn ist... Aber international ist es so, die ganze Welt jammert und hungert nach diesen Impfstoffen. Wir haben so viel, dass wir jetzt wahrscheinlich als Nächstes überlegen, ob wir die Hunde und Katzen auch noch impfen sollen, bevor wir irgendetwas an die Entwicklungsländer rausgeben. Und ich finde, bevor wir hier alle zum dritten Mal impfen, haben wir – Entschuldigung – verdammt noch mal die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Länder, die sich hervorragend gehalten haben, die alle Mühe sich gegeben haben, dieses Virus zu bekämpfen und die jetzt zu wenig Impfstoff haben, dass die irgendwie auf einen grünen Zweig kommen.


Camillo Schumann


Da kommen wir gleich dazu. Ich merke schon, da sind Sie sehr emotional. Das kann man ja auch nachvollziehen. Wir bleiben mal noch bei der dritten Impfung, möglicherweise hier in Deutschland. Die dritte Auffrischungsimpfung könnte es im Herbst im Winter möglicherweise für Alte und Kranke geben. Das jedenfalls hat Gesundheitsminister Spahn mit Experten auch

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besprochen. Ausreichend Impfdosen seien vorhanden. Dazu haben wir auch eine Frage unserer Hörerin, Frau M. bekommen. Sie leitet ein Altenheim und möchte nun Folgendes wissen:

Ich wünsche mir eine Antwort auf die Frage, wie wir uns verhalten sollen, wenn tatsächlich im Herbst noch einmal nachgeimpft werden muss. Ist es sinnvoll, die alten Menschen zuerst zu impfen? Oder ist es sinnvoller, zuerst die Mitarbeiter zu impfen? Bei welchem Alter hält denn die Impfung länger vor, beziehungsweise die Schutzwirkung der Impfung? Herzlichen Dank.


Camillo Schumann


Auch wenn es offenbar in Ihren Augen eine Luxusdiskussion ist. Nichtsdestotrotz treibt es unsere Hörerinnen und Hörer um. Was würden Sie Frau M. sagen?

42:01


Alexander Kekulé

Ja, also, ich führe die Diskussion öfters. Das ist ja nicht so. Das ist schon klar. Gerade die Altenheime müssen ja darüber nachdenken, wenn man ihnen diese Ankündigung macht. Das darf man meines Erachtens nicht an der Frage festmachen, wie lange der Impfstoff wirkt. Und zwar ist es erstens so, dass egal, wie alt man ist, die Wirkung lang genug ist für diese Pandemie. Das ist das, was wir an allen Daten sehen. Gerade wenn man zweimal geimpft ist. Selbst wenn die Antikörper absinken, wissen wir ja inzwischen definitiv, dass die zelluläre Antwort noch vorhanden ist. Das ist auch hier nicht das Thema. Sondern es kommt letztlich darauf an, ob man bei der dritten Impfung das Spektrum ausweitet an Varianten, die abgedeckt werden. Konkret jetzt erstmal die Delta-Variante. Und ob man damit die Verbreitung der Delta-Variante reduzieren kann. Und da muss man wieder mal unterscheiden zwischen dem epidemiologischen Blick und dem individualmedizinischen Blick. Epidemiologisch bringt diese die dritte Impfung höchstwahrscheinlich nichts. Es ist so, dass wir wissen, dass die Delta-Variante von der Impfung abgehalten wird, eine schwere Infektion zu machen. Aber wir können auch mit der dritten Impfung, das ist praktisch sicher, keine sterile Immunität erzeugen. Sodass der Unterschied, den man da hat, ob man zweimal oder dreimal geimpft ist,

für die Epidemiologie, also für die Infektion anderer Menschen durch asymptomatische oder kaum symptomatische, mehrfach geimpfte Personen, sich nicht lohnt. Das wäre niemals ein Grund, ein drittes Mal zu impfen. Ein Grund wäre es nur dann, wenn man auf das individuelle Risiko für schwerere Erkrankungen schaut. Da wissen wir die Antwort nicht. Aber da ist es rein theoretisch eher wahrscheinlich, dass zumindest bei einigen Menschen, die bisher schlecht reagiert haben, das wären Alte, die nicht so gut anspringen auf die Impfungen erfahrungsgemäß, dass die möglicherweise bei der dritten Impfung dann einen richtigen Vorteil davon haben. Dieser Vorteil ist dann individualmedizinisch. Insofern ein Vorteil, dass man ein geringeres Risiko hat, schwer zu erkranken. Noch geringer, als es sowieso schon vorher war. Sodass sich die Frage der Hörerin eben in der Richtung beantwortet: Auf jeden Fall die Hochrisiko-Personen, auf jeden Fall die Alten impfen, weil es diesen individualmedizinischen Effekt hat. Und man aber trotzdem bezüglich der möglichen Weitergabe von Viren... Das wäre beim Personal der Aspekt, da ist nicht zu erwarten, dass man da jetzt einen großen Unterschied hat. Und das Personal ist jünger, sodass die durch die zwei Impfungen mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso schon ausreichend geschützt sind.

44:38


Camillo Schumann


Und noch eine Info an dieser Stelle, weil wir jetzt über die dritte Impfung mit dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff gesprochen haben, sozusagen der „alte“ Impfstoff. BioNTech arbeitet auch an einem Impfstoff, der speziell vor der Delta-Variante schützen soll. Die ersten Proben sind da auch schon in Produktion, und zwar in dem Werk in Mainz. Klinische Studien sollen dann im August beginnen. Wer jetzt tatsächlich darüber nachdenkt eine dritte Impfung zu machen, sollte der lieber auf diese neuen Impfstoffe dann warten?


Alexander Kekulé

Da wäre das möglicherweise indiziert. Wenn wir jetzt sehen würden, dass der neue Impfstoff so eine Art Regenschirm-Effekt hat, einen umbrella effect hat in dem Sinn, dass wir sagen, der fasst Alpha besser, Delta und vielleicht noch ein paar weitere Varianten, Lambda, usw.

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Vielleicht werden die alle von einem neuen Impfstoff dann gut erfasst. Man ist dabei, die Impfstoffe so zu designen, dass sie all die Stellen sozusagen mit einbeziehen, wo wir jetzt wissen, das sind die Möglichkeiten, die das Virus bisher genutzt hat, um einen ImmunDurchbruch zu machen. Man weiß ganz genau, wo die Mutationen sind, die das machen. Und das könnte sein, dass der neue Impfstoff dann so super ist, dass das Virus wirklich in die Ecke gezwungen wird. Das wäre dann eine Indikation. Darum würde ich sagen, darauf kann man warten. Das wird wahrscheinlich, das ist meine Prognose, im Herbst noch nicht am Start sein, ist so mein Gefühl. Ich habe ja früher mal gesagt, ich hoffe, dass die 2.0-Impfstoffe im Herbst irgendwann zur Verfügung stehen. Zumindest man da anfangen kann, damit zu impfen. Wenn man Kaffeesatz lesen möchte, wie das z.B. die Börsenanalysten immer machen, würde man sagen, das Pfizer jetzt so eine Welle macht mit der dritten Impfung mit dem alten Stoff, deutet ein bisschen darauf hin, dass sie nicht die Absicht haben, im großen Stil die nächste Version rauszugeben. Das ist so ähnlich wie bei den Autoherstellern. Die machen sogenannte Facelifts bei den Autos innerhalb einer Serie. Da werden die Scheinwerfer etwas verändert und die Stoßstange anders gemacht. Wenn so ein Facelift rauskommt, dann wissen die Insider, dass jetzt im Moment kein neues Modell von der Serie zu erwarten ist. Und so ein bisschen würde ich das interpretieren. Die würden jetzt nicht so aufs Gaspedal treten mit der dritten Impfung, wenn die die Absicht hätten, im September oder Oktober dann den Impfstoff 2.0 rauszubringen. Aber es kann auch sein, dass ich mich an der Stelle irre, da müssen wir dann zu der Jahreszeit wieder reden. Aber besser warten ist ganz klar. Wenn man jetzt überhaupt einen Grund hätte, dann natürlich die neuen Impfstoffe. Ich bin wirklich dagegen diese Diskussion so hochzuheizen, dass wir uns da jetzt alle ein drittes Mal impfen müssen. Vielleicht eine Ausnahme noch. Ich weiß, das ist eine kleine Wiederholung, aber es gibt Menschen, die sind einmal geimpft mit Johnson&Johnson. Da gilt natürlich das Gleiche, dass sie mit der weiteren Impfung das Spektrum der abgegriffenen Virusvarianten ganz deutlich aufweichen, sozusagen aus der Kugel den Schrotschuss machen. Und deshalb

würde ich das machen, nicht, weil Johnson&Johnson schlecht war, nicht, weil die Effizienz schlecht war o.Ä., sondern wirklich nur deshalb, weil man die Ränder besser abgreif, d.h. neue Varianten einschließlich Delta. Deshalb würde ich empfehlen, denen, die einmal Johnson&Johnson bekommen haben und zur Risikogruppe gehören, dass die darüber nachdenken, ob sie sich mit einem RNA-Impfstoff nochmal nachimpfen lassen.

48:00


Camillo Schumann


Wir haben ausführlich über die möglicherweise dritte Impfung in Deutschland gesprochen. Es gibt aber, Sie haben es schon angekündigt, genügend Länder und Regionen auf dieser Erde, die gerne überhaupt erst einmal die erste Impfung hätten. Taiwan z.B. Dort haben erst 12 % der rund 24 Mio. Einwohner eine erste Dosis erhalten und nur, jetzt wird es interessant,

0,2 % eine zweite Impfung. Die hat dort eigentlich überhaupt noch nicht stattgefunden. Bisher hat Taiwan auch nur rund 2 Mio. Impfdosen erhalten. Verimpft werden dort größtenteils gespendete Impfdosen. Gerade haben ja zwei taiwanesische Konzerne 10 Mio. Impfdosen bei BioNTech in Deutschland bestellt, die sollen der taiwanesischen Bevölkerung dann auch geschenkt werden. Man kann feststellen, viele einstige Musterschüler in der Pandemiebekämpfung hinken beim Impfen hinterher und verlieren ihren Sonderstatus nach und nach.


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine wirklich tragische Entwicklung. Anders kann man es nicht sagen. Und das ist der Grund, warum ich mich vorhin so echauffiert habe. Es ist ja tatsächlich so, dass wir Musterschüler hatten. Die schaffen es allein durch die Gegenmaßnahmen, durch die nichtpharmakologische Interventionen, Disziplin der Bevölkerung, richtiges Handeln der Politik in dieser in dieser Pandemie wirklich gut zu fahren. Die sind um Klassen besser als wir in Europa. Das muss man wirklich sagen. Darum finde ich das auch immer ein bisschen schwierig, wenn Politiker sich so auf die Schulter klopfen und sagen, hier in Europa haben wir es so toll gemacht. Als wären in Deutschland die über 90.000 Toten inzwischen nichts. Und man

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kann es nur noch mal sagen, die Toten in vielen Ländern, die es gut gemacht haben, sind im zweistelligen Bereich. Taiwan hat bis jetzt deutlich unter 100 Tote in der ganzen Pandemie. Und das liegt daran, dass die sehr, sehr diszipliniert sind und wissenschaftlich gut beraten und alles korrekt gemacht haben, genau nach Buch. Und jetzt haben die die Situation, das ist wirklich eine schwierige, tragische Lage, dass die Bevölkerung auch dort natürlich sauer gefahren ist. Die wollen jetzt auch nicht mehr. Die sehen, dass international die Impfstoffe da sind. Und auch die Wirtschaft ist in der Lage, dass sie jetzt zusehen muss, wie andere Staaten, die geimpft haben, jetzt wieder hochfahren, und man selber natürlich dann ins Hintertreffen kommt. Und deshalb sind die jetzt in so einer Art Klassenprimus-Falle. Dadurch, dass sie immer alles so gut gemacht haben mit der Methode, die sie bisher hatten, haben sie das Impfen vernachlässigt bzw. sind das meistens ja auch Länder, die einfach nicht das Geld hatten, sich im großen Stil die Impfstoffe zu bestellen. Und Taiwan ist ein gutes Beispiel. Und da gibt es aber viele andere: Südkorea, Singapur, Uruguay. Es gibt viele. Auch in Afrika gibt es Staaten, die ganz gut gewesen sind. Die brauchen jetzt dringend den Impfstoff und sie haben ihn nicht, weil sie kein Geld dafür haben. Und wenn sie was kriegen, kriegen sie im Sinne von Impfpolitik häufig irgendetwas gespendet aus China. Das sind Impfstoffe, wo wir definitiv wissen, dass sie gegen die Delta-Variante unzureichend wirken. Diese chinesischen Impfstoffe sind übrigens die, die weltweit am meisten verimpft wurden bisher. Also China ist Impfweltmeister, national und auch international, weil sie eben an arme Länder die Impfstoffe verschenken. Und ich glaube, auch geopolitisch können wir denen das doch nicht lassen, dass die jetzt quasi in diesen ganzen Ländern Einfluss gewinnen, dadurch, dass sie den Impfstoff verschenken. Und deshalb meine ich, es ist allerhöchste Zeit, dort was zu tun. Zumal, das muss man an der Stelle nicht nochmal strapazieren, aber ich sage es trotzdem: So ein Virus ist einfach weltweit da. Und wenn wir weltweit Regionen haben, wo viele Menschen ungeimpft sind, dann kommen immer neue Varianten. Die Varianten kommen immer dann, wenn sie Menschen haben, die infiziert werden und es keine richtigen Gegenmaßnahmen gibt,

so wie es in Indien der Fall war. Die Impfung ist da immer wieder ein Thema. Auch bei uns. Ich meinte da am Anfang, man solle lieber einmal impfen und das schnell. Und da haben manche Leute gesagt, nein, dann kommen die Varianten. Es gibt inzwischen Hinweise darauf, dass es genau umgekehrt ist. Wenn man ganz oft einmal impft und dadurch die Inzidenz insgesamt runterbringt, dann gibt es auch weniger Varianten. Und deshalb haben diese Länder jetzt das Problem, dass sie die nächsten Varianten ausbrüten werden, wenn wir ihnen nicht helfen.


Camillo Schumann


Spenden, ich habe es ja schon gesagt, ist eine Möglichkeit. Man kann aber auch aus den vorhandenen, wenigen Impfdosen mehr Impfungen generieren. Fraktionierung heißt das Zauberwort, also aus einer mach viele. Und das funktioniert schon. Mehrere Beispiele gab es. Auch bei Zulassungsstudien, wo man sich dann einigen musste, welche Dosierung bieten wir eigentlich an? Wurde damit auch schon „rumgespielt“?

52:49


Alexander Kekulé

Das ist ein Klassiker, das haben wir ganz oft gehabt. Es gibt WHO-Konzepte für Ausbruchsgeschehen. Was machen wir, wenn wir zu wenig Impfstoff haben? Zuletzt haben wir das bei Ebola raufund runterdiskutiert. Es kam nie dazu. Aber nach der Ebola-Krise von 2014/15 war es ja so, dass man den Impfstoff dann hatte und gesagt hat, was ist, wenn wir jetzt wieder so einen schlimmen Ausbruch haben? Dann halbieren wir einfach die Impfdosis. Das ist ein klassisches Konzept, wurde bei Gelbfieber auch schon gemacht. Und bei anderen Impfungen liegt sozusagen das Konzept in der Schublade. Und das wird im Moment diskutiert. Das finde ich ganz interessant. Tatsächlich im Zusammenhang mit den RNA-Impfstoffen. Hat jeder gemerkt, dass diese RNA-Impfstoffe enorm reaktogen sind. Nach der zweiten Impfung merkt man es dann in der Regel doch, dass man was in den Arm bekommen hat. Die wirken viel besser als erwartet. In den allerersten Studien haben sie eine Effizienz von 95 % gehabt. Und deshalb guckt man jetzt wieder in die alten Bücher rein und schaut, wie war das eigentlich in den Dosis-Findungs-Studien? Die

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macht man ja vor der Phase 3. Die sogenannte Phase-2-Studie ist dann eine Dosis-FindungsStudie, wo man mal ausprobiert, welche Dosis nehmen wir. Und da ist es so: Also im Februar wurde z.B. relativ spät die Phase-2-Studie von Moderna veröffentlicht. Da ist es so gewesen: Der Impfstoff hat 100 Mikrogramm (μg) Wirkstoff drin bei Moderna. Und die haben damals aber auch mit 50 μg, mit der Hälfte, mal ausprobiert. Und jetzt, wenn man sich diese Zahlen wieder anschaut, ehrlich gesagt habe ich da damals nicht so genau reingeschaut, sieht man Folgendes: Nach der zweiten Dosis, also wenn man zweimal geimpft hat, ist es so, dass der Unterschied zwischen 50 μg und 100 μg fast null ist. Es gibt keinen Unterschied. Also, die hatten da zwei Altersgruppen in der Studie. Die unter 55-Jährigen, da war es mit 50 μg 80 % Serokonversion also, die haben gemessen, wie viel neutralisierende Antikörper entstehen, wie oft. Und mit 100 μg 82 %. Das ist gleich. Und bei den unter über 55-Jährigen waren es 70 %. Und zwar in beiden Fällen. Der Unterschied ist ein bisschen deutlicher nach der ersten Dosis. Und da hat man sich aber damals dann für die höhere Dosis entschieden. Warum hat man das gemacht? Erstens, weil es bei den etwas jüngeren Altersgruppen eben doch einen Unterschied gibt. Ich sage mal, die zwei Zahlen z.B. für die 18bis 55-Jährigen. Da ist es so, nach der ersten Dosis mit 50 μg 62 % geschützt mit 100 μg 78 %. Also das ist schon ein Unterschied. Von 62 auf 78 ist das hoch durch Verdopplung der Dosis nach dem ersten Schuss. Und deshalb haben die gesagt, da haben wir eine bessere Abdeckung. Wer weiß, wann die Leute die zweite Impfung kriegen. Es ist Pandemie, da müssen wir schnell sein. Und die Beobachtung der Nebenwirkungen war natürlich auch ein Thema. Und da hat man festgestellt das macht eigentlich überhaupt keinen Unterschied, ob wir 50 oder 100 μg geben. Diese Reaktogenität ist praktisch die gleiche. Darum hat man sich für die höhere Dosis entschieden. Aber man könnte, wenn man jetzt die alten Daten anschaut, genauso gut die niedrigere Dosis geben. D.h. bei Moderna wären das

50 μg Wirkstoff statt 100 μg. Bei BioNTech ist es ein bisschen anders. Die haben ja 30 μg Wirkstoff nur drinnen. Und da gibt es Studien, die damals ein Drittel davon verwendet haben. 10 μg. Und da ist der Unterschied zumindest

bei den neutralisierenden Antikörpern auch praktisch null. Also der ist marginal. Bei AstraZeneca gab es eine Mini-Studie, die ein ähnliches Resultat gemacht hat. Darum muss man sagen, jetzt rückwirkend könnte man sagen, warum haben wir es nicht gleich so gemacht? Aber die genannten Gründe waren ja vorhanden. Aber jetzt, wo man weiß, es muss jetzt echt schnell gehen wegen Delta und wir brauchen die zweite Dosis vor allem wegen Delta, möglichst innerhalb der vier Wochen oder so was. Deshalb meine ich, ist das wirklich ein Konzept, über das man nachdenken muss, ob man die Dosis nicht halbiert.

56:46


Camillo Schumann


Halbiert nicht nur für uns, sondern für den Rest der Welt? Also, wir könnten doch eigentlich die Dosis hier halbieren. Und somit hätten wir die Hälfte der Impfstoffe, die wir ja z.B. Taiwan zur Verfügung stellen könnten. Da wären auf einen Schlag 24 Mio. Menschen erstgeimpft.


Alexander Kekulé

Genau. Das ist auch die Idee. Die Weltgesundheitsorganisation denkt genau über so was laut nach. Natürlich ist es schlecht, wenn man eine Rechnung ohne den Wirt macht. Aber die wünschen sich ja immer so alles Mögliche. Ob dann die reichen Länder wirklich alles hergeben, ist die Frage. Aber aus meiner Sicht ist mein konkreter Vorschlag in dieser Richtung noch ein bisschen anders. Und zwar ich würde dafür plädieren, die zweite Dosis zu halbieren. Weil wir wissen, dass gerade bei der Boosterung, das wissen wir bei diesem Impfstoff und auch bei anderen, dass gerade bei der Boosterung ein ganz kleiner Schubser schon genügt. Das hatte ich ja vorhin ausführlich geschildert, was das Immunsystem da macht. Da ist das Immunsystem echt leicht zu provozieren. Da hat es überhaupt keine Nerven. Null-Toleranz sozusagen. Wenn da das Virus nochmal kommt aus Sicht des Immunsystems, dann reicht schon eine kleine Dosis. Und das ist ja auch bekannt, dass die zweite Dosis bei den RNA-Impfstoffen typischerweise eine stärkere Reaktogenität macht. Deshalb wäre mein Vorschlag, statt jetzt alle erst mal zu halbieren, da wird die STIKO wieder nicht mitmachen. Schon mein erster Vorschlag ist ja nicht durchgekommen, jetzt erst mal alle einmal zu impfen. Weil man

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gesagt hat, nein, wir machen, was auf dem Beipackzettel steht. Und jetzt ist das wieder so ein Vorschlag, nicht das zu machen, was auf dem Beipackzettel steht. Deshalb bin ich mal vorsichtig und sage, die zweite Dosis halbieren und alle zweiten Dosen, die wir nicht brauchen, an Länder geben, die es gut brauchen können. Und die auch in der Lage sind, das vernünftig zu verimpfen. Das ist ja nicht so ganz einfach. Sie wissen, die RNA-Impfstoffe haben hohe Anforderungen, was die Lagerung und Verteilung betrifft. Aber ich glaube, das wäre im Moment die richtige Maßnahme. Und wir hätten den Vorteil, dass die Reaktogenität runtergeht bei der zweiten Impfung, wahrscheinlich ein bisschen runtergeht. Und wir hätten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit genau den gleichen Schutzeffekt.


Camillo Schumann

 Aber die Menschen haben trotzdem Angst vor der Delta Variante, auch wenn Sie es ausführlich geschildert haben. Da ist er dann so ein dumpfes Gefühl. Naja, ob die dann auch noch schützt? Sinkt die Impfbereitschaft noch mehr?


Alexander Kekulé

Ja, aber viel hilft viel gilt nicht an der Stelle, sondern es geht sozusagen um die Provokation. Es ist ja auch das Interessante beim Immunsystem, wenn Sie die zweite Impfung erst nach einem halben Jahr machen, dann ist sie viel besser, als wenn Sie sie ganz am Anfang machen, nach den vier bis sechs Wochen, oder jetzt drei bis sechs Wochen, die jetzt im Raum stehen. Man hat ja dieses kurze Intervall nur deshalb gewählt, weil man wegen der Pandemie einfach schnell möglichst viele Leute immunisieren wollte. Außerhalb der Pandemie wäre man aufgrund Erfahrungen mit anderen Impfstoffen mit Sicherheit auf ein längeres Intervall gegangen. Sechs Monate, zwölf Monate. Und das ist wohl auch einer der Gründe, warum diese dritte Booster-Impfung, die BioNTech jetzt bewirbt... Wir kennen die Daten nicht, das ist nur eine Presseerklärung. Aber wenn das wirklich so gut funktioniert, das liegt natürlich auch am langen Intervall, weil diese dritte Impfung ist mindestens ein halbes Jahr nach der ersten Impfung gegeben worden. Und dadurch ist es natürlich ein längeres Intervall. Und deshalb reagiert das Immunsystem besser. Und wenn wir alles anschauen, was wir

von Impfungen kennen, da haben wir ja echt viel Erfahrungen inzwischen, dann muss man sagen, dass bei der Boosterung, jetzt bei der zweiten Impfung, unbedingt die volle Dosis gegeben werden muss, das ist extrem unwahrscheinlich. Und wir werden mit einer kleinen Dosis, wenn wir das Immunsystem so ein bisschen aufscheuchen, werden wir genau den gleichen Effekt haben, als wenn wir es richtig scheuchen. Wenn vor dem Hühnerstall der Fuchs kommt, dann ist das den Hühnern ziemlich egal, ob da ein Fuchs oder zwei Füchse sind. Die sind in beiden Fällen gleich maximal aufgeregt.

1:00:37


Camillo Schumann


Alle Studien und Diskussionspapiere, die wir hier besprechen gibt es verlinkt in der SchriftVersion des Podcasts. Und diese Schrift-Version finden Sie unter „Radio und Audio“ auf mdr.de. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Frau M. hat gemailt. Sie schreibt:

Es geht um die Reinfektion nach der vollständigen Impfung oder durchgemachten Krankheit. Sind sie eigentlich nicht was Gutes? Es werden doch milde oder gar asymptomatische Verläufe erwartet. Da es aber bekannt ist, dass eine durchgemachte Covid-Infektion einen breiten Schutz hinterlässt, soll man diese Infektion nicht als Booster für das Immunsystem betrachten, wie eine dritte Impfdosis? Viele Grüße aus Bielefeld.


Alexander Kekulé

Es kann sein, dass die Hörerin 100 % Recht hat. Aber ich weiß es nicht. Da ich nicht weiß, ob sie recht hat, würde ich das zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht empfehlen. Aber der Gedanke ist völlig richtig. Man muss natürlich ein bisschen aufpassen. Die erste Infektion ist mit Sicherheit keine gute Impfung. Beim ersten Mal ist es auf jeden Fall besser, geimpft zu sein als infiziert und zwar zumindest für alle Erwachsenen. Bei den Jugendlichen wissen wir es nicht genau. Bei den Kindern sind zwei Fragezeichen dahinter. Aber natürlich ist die Überlegung da. Wir wissen, dass Geimpfte im Grunde genommen nur noch eine leichte Infektion bekommen und die Todesfälle dann genauso extrem selten sind, noch seltener sind als z.B. bei Kindern. Dann könnte man natürlich sagen, das ist eben dann der Lauf der Dinge. Dann wird

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eben schön geboostert und im Lauf der Zeit wird die Bevölkerung immer immuner gegen diese Viren. Ich glaube, dass langfristig genau das das Szenario ist, was eintreten wird. Wir können das jetzt nur im Moment nicht einfach so steuern, aufgrund einer Spekulation. Die naheliegend ist, ja, aber im Moment ist es zu früh dafür, so etwas zu unterschreiben. Aber ja, es kann sein, dass wir in einem halben Jahr genau das feststellen, dass also eine Zweitinfektion oder eine Infektion bei vollständig Geimpften oder bei bereits einmal Infizierten eine Verbreiterung der Immunantwort macht. Einen Booster letztlich macht. Und letztlich für denjenigen nicht schlecht ist. Wir müssen aber auch sehen, wir sind jetzt noch in einer Lage, wo es ja nicht nur um die Individuen geht, die betroffen sind, sondern auch um die Epidemiologie geht. Und mit Sicherheit kann jemand, der infiziert ist, zumindest bei engen Kontakten das Virus auch weitergeben. Und das würde natürlich jetzt, wenn wir einen relativ großen Teil der Bevölkerung haben, der ungeimpft ist, könnte das eine gefährliche Welle geben in die Ungeimpften hinein. Darum würde ich sagen, für so eine Überlegung ist es jetzt noch ein bisschen zu früh. Aber wenn wir alle immun wären, wenn wir alle entweder geimpft oder genesen wären und man nur noch Kinder hätte, die die erste Infektion bekommen, dann wäre das möglicherweise so ein zukünftiger Zustand dieser Pandemie. Dass die dann in dieser Weise sich weiterentwickelt. Alle werden im Lauf des Lebens zunehmend geboostert. Irgendwann im Kindesalter kriegen sie die erste Infektion, die meistens asymptomatisch oder schwach symptomatisch ist. Und das Virus ist dann im Grunde genommen ein erträgliches Haustier.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 207. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.


Alexander Kekulé

Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter „Audio & Radio2 auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo

es Podcasts gibt. Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR aktuell rein. Z.B. kann ich Ihnen den Podcast „Der Rechthaber“ empfehlen. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um die Frage: Was tun, wenn der Nachbar zu viel raucht? Die Antwort gibt es im „Rechthaber“. Der Podcast für juristische Alltagsfragen.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 10. Juli 2021 #206: Hörerfragen-Spezial


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Gibt es Spätfolgen für geimpfte Menschen, die sich erneut infizieren?

Können MRNA-Impfstoffe die Immunreaktion anderer Impfungen verstärken?

Können im Kindergarten wieder normale Handtücher verwendet werden?

Wie wird die Ausbreitungsfähigkeit von Virusvarianten berechnet?

Wieso dauert die Entwicklung der einzelnen Impfstoffe unterschiedlich lange?

Haben doppelt AstraZeneca-Geimpfte nach der neuen Impfempfehlung Nachteile?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörer-Fragen Spezial nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Herr W. hat angerufen. Er ist 89 Jahre alt. Er hat eine BioNTech Impfung im Februar und eine im März erhalten. Nun will er wissen, ob er sich im Herbst eine Auffrischungsimpfung holen kann und weiter:

„Im Herbst gehe ich wie jedes Jahr gegen Grippe impfen. Soll ich oder soll ich Abstand halten? Freundliche Grüße, da ich nicht jeden Tag hören kann, würde ich mich freuen, wenn

die Antwort am Samstag in der Sendung bei Herrn Professor Kekulé kommt. Ende.“

Aber sehr gerne.


Alexander Kekulé

Ende und Over. Ja also ja, um das letzte zu beantworten. Natürlich soll man sich jetzt diesen Herbst gegen Grippe impfen lassen. Ich gehe einfach mal davon aus bin ja Optimist dass wir die ganzen Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, um Corona in den Griff zu bekommen, im Herbst zumindest nicht vollständig aufrechterhalten werden. Das heißt, es wird im Herbst dann wieder eine Influenzawelle geben, die eher so normales Ausmaß hat. Es gibt sogar Virologen, die darüber nachdenken, dass die Welle etwas stärker als sonst werden könnte, weil, wenn man ein Jahr lang gar keine Welle hatte, dann ist es durchaus möglich, dass sozusagen die Immunität der Gesamtpopulation bisschen schlechter ist als wenn jedes Jahr das Virus kommt. Wie auch immer. Influenza wird aktuell werden im Herbst, und deshalb soll man sich ganz normal impfen lassen.


Camillo Schumann


Genau das war die Frage zur Grippeschutzimpfung. Wie sieht es denn jetzt mit der Auffrischungsimpfung im Herbst für ihn aus bezüglich Corona?


Alexander Kekulé

Also, das würde ich jetzt mit vollständiger BioNTech Impfung auf keinen Fall machen. Das hat gar keinen Sinn. Das wäre nur dann relevant, wenn wir wirklich die Generation 2.0Impfstoffe bis dahin hätten. Ich zweifle inzwischen dran, weil man von den Herstellern noch nichts hört. Und mein Gefühl ist, dass die mit der Produktion mit den zugesagten Lieferungen der ersten Version jetzt erstmal beschäftigt sind. Und die Kapazitäten nicht noch zusätzlich haben, um eine neue Variante sozusagen auf die Schiene zu setzen. Die müsste ja dann zumindest in etwas kleineren Studien auch mal ausprobiert werden. Drum rechne ich inzwischen im Herbst eigentlich nicht mehr mit einer zum Beispiel für Delta optimierten Impfstoff-Variante. Und das heißt also keine Auffrischung, sondern hoffen und davon ausgehen, dass diese zwei BioNTech Impfungen reichen.

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03:22


Camillo Schumann


Herr S. hat angerufen. Er gehört zu den Millionen Menschen, die zwei AstraZeneca Impfung erhalten haben und jetzt dementsprechend verunsichert sind, da die STIKO ihre Impfempfehlung für diese Menschen geändert hat. Astra geimpfte, sollen ihre zweite Impfung mit einem mRNA Impfstoff erhalten. Nun hat Herr S. folgende Frage:

„Ich wurde am 30.6. zum zweiten Mal mit AstraZeneca geimpft. Seit 1.7. wird ja nun empfohlen, die zweite Impfung durch eine Kreuzimpfung zu realisieren. Welche Nachteile habe ich dadurch, dass ich zweimal mit Astrazeneca geimpft wurde? Vielen Dank.“


Alexander Kekulé

Die Empfehlung hat sich, so wie ich das verstanden habe, hauptsächlich darauf bezogen, dass Menschen, die zweimal AstraZeneca geimpft sind, natürlich etwas schlechteren Schutz haben vor der Delta Variante, die ja in Deutschland gerade dabei ist, sich durchzusetzen. Und dadurch hat man von der Ständigen Impfkommission aus so ein bisschen die Befürchtung gehabt, dass dann diejenigen, die AstraZeneca geimpft sind, irgendwann Überträger werden könnten. Die haben dann nicht die Wahrscheinlichkeit da zu sterben an dieser Erkrankung ist auch mit einer AstraZeneca Impfung ganz massiv gesenkt, also das Risiko für Krankenhauseinweisungen ist, sehr gering. Das Risiko für Todesfälle ist sehr gering, sodass man sich subjektiv jetzt beruhigen kann. Ich würde niemandem empfehlen, jetzt sofort loszulaufen, eine dritte Impfung sich deswegen zu holen, aber auf die Gesamtbevölkerung gesehen sozusagen wenn man nicht den individualmedizinischer Blick hat, sondern den epidemiologischen Blick dann muss man sagen das natürlich. Wenn man viele hat, die einfach in den schlechteren Schutz haben, der bei AstraZeneca gegeben ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus sich unbemerkt weiter verbreitet, höher. Man kann dann davon ausgehen, dass es so ein nicht erkannter Schwelbrand ist, weil die ja kaum Symptome haben.

Sie wissen, sie sind geimpft. Sie verhalten sich vielleicht auch dann risikofreudiger und die Idee, dass man durch einen Booster mit dem BioNTec dann quasi verhindert, dass es zu viele unerkannte Infektionen gibt, die diese Welle vorantreiben. Ich glaube, das war der Grund, warum man die Empfehlung geändert hat. Oder andersherum gesagt der Hörer muss jetzt keine Angst haben, dass er selber jetzt irgendwie ein unverantwortbar hohes Risiko hat, an Covid zu erkranken oder schwer zu erkranken.

05:48


Camillo Schumann


Sie haben es ja schon jetzt an einem Satz gesagt eine dritte Booster-Impfung mit mRNA würden Sie jetzt nicht empfehlen?


Alexander Kekulé

Nein, man muss jetzt mal die Zahlen ansehen. Wir haben ja Delta in den entwickelten Ländern erst seit kurzem. Und es ist so, dass man in England zum Beispiel sieht: da ist ja sehr viel mit Astrazeneca geimpft worden, die haben ja auch mit AstraZeneca angefangen. Klar, das war der ganze Stolz der britischen Krone. Crown in Country, wie man dort dann so sagt ja, und das ist so, dass die sehr viel damit geimpft haben. Am Anfang und da gibt es viele doppelt. AstraZeneca geimpft und trotzdem steigt jetzt nicht irgendwie die Sterblichkeit massiv an unter der Delta Variante. Im Gegenteil ist es so, dass nach wie vor nach den letzten Zahlen so das Verhältnisse 0,3 Prozent ist, also die Inzidenz nimmt zu. Aber die Sterblichkeit ist im Verhältnis dazu klein, und das heißt für mich, dass auch diese AstraZeneca-Impfung irgendwie ausreicht, um hier die Todeszahlen unter Kontrolle zu halten. Man muss jetzt zugeben, was die Briten nicht veröffentlicht haben zumindest habe ich es noch nicht gesehen ist eine Aufschlüsselung von denen, die schwere Verläufe hatten oder Todesfälle. Welcher Anteil ist eigentlich mit BioNTech geimpft worden? Das ist bei denen inzwischen meine ich auch schon ungefähr die Hälfte, weil die ja dann irgendwann umgestiegen sind, auch auf BioNTech. Und welche Anteile ist mit AstraZeneca geimpft worden? Das wäre natürlich jetzt so gerade für Boris Johnson, der so stolz

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auf dieses made in Oxford war, unangenehm, falls da tatsächlich rauskäme, dass vielleicht irgendwie das Risiko mit AstraZeneca etwas höher ist. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass diese Zahlen nicht auf dem Tisch liegen. Aber ich glaube, das würde ich jetzt einfach mal abwarten. Falls wir wirklich im Vereinigten Königreich sehen, dass es so eine Tendenz geben sollte, dann kann man ja immer noch die dritte Impfung hier machen, weil wir ja zeitlich gesehen immer ein bisschen hinterher sind. Und deshalb können wir entspannt gucken, was auf der Insel passiert. Und wenn wir sehen, das geht in eine Richtung, dass man die dritte Impfung braucht, dann kann man das ja relativ kurzfristig dann auch in Deutschland machen.

08:02


Camillo Schumann


Genau gibt ja auch dann genug Impfstoff. Herr B. hat gemailt:

„Ich habe eine Frage zu erhöhten Ansteckungsbeziehungsweise Verbreitungsfähigkeit der Varianten. Oft hört man die Aussage: die neue Variante jetzt zum Beispiel Delta ist um 30 bis 40 Prozent ansteckender als Alpha und Alpha war er schon 50 bis 70 Prozent ansteckender als der Wildtyp. Also ist die neue Variante so gefährlich, weil sie insgesamt betrachtet 80 bis hundert Prozent ansteckender ist als der Wildtyp, was einem R-Null in einem Bereich von sechs bis sieben entspreche. Ist das eine valide Betrachtung? Oder verhält es nicht vielmehr so, dass eine Variante wie Alpha einen Fitnessvorteil in einer immunologisch naiven Bevölkerung hatte? Mit zunehmender Impfquote schmolz der Vorteil aber dahin. Und eine Variante wie Delta, die sich scheinbar noch ganz gut bei einmal Geimpften verbreitet, übernimmt das Geschehen. Das würde gegen eine simple Addition der Effekte der einzelnen Varianten sprechen. Ich würde mich über eine Einschätzung freuen. Herr B.“

Mensch, der Podcast trägt zur Bildung der Hörer bei.


Alexander Kekulé

Also der Herr B. kann jederzeit in einer der bekannten Talkshows als Experte auftreten. Kein

Witz, weil ich habe schon den einen oder anderen sehr bekannten Experten gesehen hätte, das nicht so sauber auseinander dekliniert hat. Ich versuche es mal an der Stelle für die, die sich interessieren dafür.

Also es ist so: wenn ein Virus sich schneller ausbreitet, hat das mehrere Gründe, nicht nur die höhere Ansteckungsfähigkeit und die höhere Ansteckungsfähigkeit und die messen wir normalerweise mit der sogenannten Secondary Attack-Rate, also mit der sekundären Angriffsrate. Das heißt zum Beispiel: wenn jemand in einem Haushalt eine Woche lang mit drei Personen zusammenwohnt, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn der eine positiv war, dass sich jemand von den anderen angesteckt hat. Da erinnern wir uns düster an diese Heinsberg-Studie von anno dazumal, die meines Erachtens ganz aufschlussreich war, dass wir gesehen haben. Mensch, das sind ja nur 15 bis 20 Prozent der Haushaltsmitglieder, obwohl die eng zusammenleben, die sich damals infiziert haben. Das war aber auch noch nicht die Alpha oder Delta Variante. Und diese Secondary Attack-Rate also, die reine bloße Ansteckungsfähigkeit, die ist um ungefähr 40 Prozent erhöht, und zwar sowohl von dem ursprünglichen G-Typ hin zu Alpha, also zur B11.7 als auch dann noch mal um 40 Prozent von B11.7 zur Delta Variante. Das ist völlig richtig beschrieben worden. Das heißt, es gibt dann zusammen nach Adam Riese ungefähr 100 Prozent, also ungefähr die knappe Verdopplung der Infektiosität. Und das ist in der Tat so, dass das der Fall ist, aber dass das R also diese Reproduktionszahl deutlich höher ist, das sagen ja manche Leute, die Reproduktionszahl ist jetzt bei Delta doppelt so hoch wie vorher bei Alpha. Das kann sogar sein, das sieht man in einzelnen Populationen. Das hat noch weitere Gründe. Und zwar kommt es da nicht nur darauf an, wie hoch die reine Infektiosität ist, sondern zum einen, wie lange es jemand ansteckend, zum anderen aber auch wie verhält er sich? Und welche Populationen werden gerade durchseucht, wenn ein Virus in einer neuen Subpopulation sich ausbreitet, dann hat es dort natürlich viel weniger immunologisch geschützte Individuen. Und dadurch ist die Ausbreitung schneller. Und da wissen wir zum Beispiel bei Delta, dass das sich bevorzugt jetzt

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in jüngeren Populationen ausbreitet aus verschiedenen Gründen.

Einer ist, dass die Älteren geimpft sind, und andere ist, dass die Jüngeren sich ein einfach jetzt dadurch, dass die Schutzmaßnahmen aufgehoben wurden, stärker exponiert sind. Und die Jüngeren haben ja weniger Symptome. Und wenn jemand weniger Symptome hat, dann steckt er andere er an aus Versehen. Und vielleicht kann man auch noch dazusagen, ohne dass das jetzt ein Vorurteil sein soll, das vielleicht jüngere Menschen etwas leichtsinniger sind an der einen oder anderen Stelle, das heißt, das Verhalten der Betroffenen spielt eine Rolle, und das führt dann dazu, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit überproportional steigt, was eigentlich gar nichts mehr mit der eigentlichen Ansteckungsfähigkeit zu tun hat. Und diese zwei Faktoren, die eigentliche Ansteckungsfähigkeit, das heißt wie hoch ist die Konzentration des Virus dann in den Ausscheidungen. Wie lange hält sich das Virus in der Luft und so weiter? Die spielen zusammen mit der mit dem Verhalten der Bevölkerung und natürlich der Frage wie viele Menschen sind geimpft? Weil, wenn sie jetzt bei Delta die Situation haben, das auch Geimpfte die infizieren können, dann steigt ja wieder die Secondary Attack-Rate.

Wenn Sie sich den Haushalt vom Anfang vorstellen. Da sind fünf Leute und sagen wir mal, zwei davon sind geimpft. Dann würde ja das vorherige Virus, die überhaupt nicht betreffen können, weil das keine Geimpft infizieren kann. Delta kann das aber ganz gut. Sodass also dann, wenn man nachzählt, wie viele haben sich angesteckt bei Delta sich mehr angesteckt haben, obwohl das Virus nicht höher infektiös ist. Was bedeutet es unterm Strich? Eine höhere Ansteckungsfähigkeit heißt immer, dass die Reproduktionszahl hochgeht. Aber die höhere Reproduktionszahl beruht eben nicht nur auf einer höheren Ansteckungsfähigkeit, sondern auf ganz vielen Faktoren. Und deshalb ist es falsch, wenn in so mancher Talkshow so mancher Experte sagt, dass R ist bei diesem Delta doppelt so hoch wie bei Alpha. Deshalb ist es doppelt so infektiös. Ein wesentlich aggressiveres Virus wird dann immer gerne gesagt. Und das stimmt eben nicht, dass R ist eben nicht proportional zur Infektiosität ich

hoffe, ich habe es jetzt nicht zu kompliziert gemacht.

13:29


Camillo Schumann


Ne, natürlich nicht. Und außerdem könnte es Herr B. dann noch einmal mit einfachen Worten nochmal erklären. Aber es ist ja auch immer der Vorteil eines Podcasts, dass man den sich immer wieder anhören kann. Und wer sich das jetzt dreimal, dann noch mal angehört hatte, hat es dann richtig drauf. Diese Dame ist treuer Hörerin des Podcasts. Und nun hat sie folgende Frage:

„Mein Mann und ich sind 64 Jahre alt, beide mit BioNTech geimpft. Seit der Podcast Folge 198 geht mir eine Frage nicht aus dem Kopf: Müssen auch geimpft der Güter nach trotzdem einen mehr oder weniger starke Covis-Infektion erleiden, mit schwerwiegenden Spätfolgen rechnen?“


Alexander Kekulé

Wir wissen es nicht wirklich, weil eben diese Geimpfte die gibt es noch nicht so lange. Aber alles, was uns sozusagen die Medizin sonst lehrt und alles, was wir verstehen von Covid. Und das ist eine ganze Menge. Also diese Covid Pandemie war ja so eine Art Programm für die Virologie, also das, was die Apollo-Mondmissionen für die für die Luft und Raumfahrttechnik waren das das ist das jetzt für die Virologie gewesen. Wir haben wirklich wirklich viel dazugelernt virologisch und epidemiologisch, immunologisch und nach allem, was wir jetzt wissen, ist es so, dass das eigentlich nicht sein darf. Das Virus könnte uns an der Stelle überraschen. Aber ich würde mal sagen, das wäre extrem unwahrscheinlich, dass jemand, der vollständig geimpft ist oder genesen ist, bei einer Zweitinfektion beziehungsweise bei einer Durchbruchsinfektion schwere Spätfolgen hat. Das würde nicht in unser Bild passen.

15:07


Camillo Schumann


Frau M. aus Leipzig hat gemailt:

„Ich bin Mutter, schreibt sie, von Schulund Kindergartenkindern seit dem Beginn der Pandemie gab es in der Kita unserer Tochter Maß-

Mentor-

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nahmen, um die Hygiene zu verbessern. Es werden keine waschbaren und wiederverwendbaren Handtücher im Bad mehr benutzt, sondern Wegwerfprodukte. Und mittags nach dem Essen wird auf das Zähneputzen verzichtet. An sich hat jedes Kind sein eigenes Handtuch und putzt mit der eigenen Zahnbürste. Ich verstehe die Sorge der Ansteckung. Ist sie derzeit aber noch berechtigt oder können Handtücher am Haken des Kindes und Zähneputzen wieder eingeführt werden? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ich bin der Meinung, dass es ganz viele Dinge in diesem Bereich gibt, die wir jetzt zurückfahren können. Wir wissen ja schon lange, dass Kontaktinfektionen wirklich eine ganz, ganz untergeordnete Rolle schon immer gespielt haben. Das war vielleicht auch ein psychologisches Moment, dass es natürlich am Anfang der Pandemie für Politiker gut war, irgendetwas empfehlen zu können ist ja auch blöd, wenn sie da vor der Presse stehen und sagen ich weiß nicht, was wir machen sollen. Also haben sie gesagt, wascht euch munter die Hände. Aber letztlich wussten zumindest einige Fachleute von Anfang an, dass das in diesem Fall jetzt nicht viel bringt. Wenn überhaupt was epidemiologisch eher gar nichts, individuell kann schon sein, dass die eine oder andere Infektionen damit verhindert wurde. Und deshalb kann man wirklich guten Gewissens sagen: alles, was Richtung Schmierinfektion geht und lästig ist, also Vermeidung von Schmierinfektion geht und lästiges. Das sollte man jetzt abstellen. Und dass die Kinder sich nicht mehr in der Kita die Zähneputzen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, aus eigener Anschauung. Ich hab da auch ein Kind in der Kita. Ich finde, da gibt es überhaupt keinen Grund für, und die Liste kann man weiter fortführen.

Zum Beispiel ist es ja so wenn jemand jetzt im Krankenhaus ist, auch in der Lage, wo wir in Deutschland eine Inzidenz haben, für die wir nun wirklich von vielen Ländern beneidet werden, auch in der Lage, wo wir nun wissen, dass das durch die Luft übertragen wird und durch FFP2-Masken wenn sie richtig auf hat die Übertragung verhindert werden kann. Auch in dieser Lage dürfen zum Beispiel im Krankenhaus die Patienten zum Teil nicht besucht werden oder nur von einem Angehörigen nur ganz

kurz besucht werden. Da gibt es alle möglichen skurrilen Regeln, und da bin ich wirklich dringend dafür, dass wir uns davon jetzt losmachen. Das wären mal Lockerungen, wenn ich mal so sagen darf, die man wirklich guten Gewissens beschließen kann. Man muss ja nicht immer gleich ein Fußballstadion füllen, und das sind so die kleinen Dinge, mit denen wir uns das Leben an vielen Stellen einfacher machen können. Und da gehört das natürlich in der Kita auch dazu.

17:36


Camillo Schumann


Frau M. hat gemailt und auch ein Foto angehängt. Darauf zu sehen ist ihr Oberarm mit starken Rötungen. Und sie schreibt dazu, dass sie nach der zweiten BioNTech Impfung hohes Fieber bekam. Muskel, Gelenk, Kopfschmerzen und das, obwohl sie nie bei Impfungen bisher Probleme hatte. Dann schreibt sie weiter.

„Nun stand gestern die fünf jährliche FSME Auffrischungsimpfung an und zwar vier Wochen nach der zweiten BioNTech Impfung. Auch hier habe ich extrem sogar noch heftiger auf die Impfung reagiert: hohes Fieber, fast 39, extreme Muskelund Gelenkschmerzen. Ich habe immer noch starke Schmerzen. Außerdem ist die Einstichstelle extrem gerötet. Gibt es Hinweise und jetzt die Frage, dass die mRNA Impfung eine verstärkte Immunreaktion bei weiteren, eventuell zeitnahen Impfungen auslösen kann? Können Sie sich das vielleicht irgendwie erklären? Vielen Dank und viele Größe, Frau M.“


Alexander Kekulé

Da würde man als Arzt sagen: ein interessanter Fall. Das sagen Ärzte immer, wenn sie keine richtige Erklärung dafür haben. Also es ist natürlich möglich, dass es sowas gibt aus so einer einmaligen Assoziation von einem Patienten. Auch wenn das für den einen natürlich offensichtlich scheint, dass sich da was geändert hat nach dem Motto: ich kenne auch meinen Körper. Normalerweise habe ich immer auf Impfungen moderat oder gar nicht reagiert. Jetzt habe ich einmal diese BioNTech Impfung bekommen, wo bekannt ist, dass die nach der zweiten, insbesondere stärkere Reaktogenität zeigt. Ist dann auch wie erwartet oder wie in

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einigen Fällen, ist es ja nicht immer so. Aber wie in einigen Fällen beschrieben, passiert. Und jetzt habe ich zufällig das Gleiche, dann mit einer anderen Impfung vier Wochen später. Der Sache sollte man schon nachgehen. Also ich würde solche Fallberichte schon sammeln wollen. Ich würde empfehlen, dass der Arzt, der das gemacht hat, eine Meldung ans Paul-Ehrlich-Institut abgibt. Einmal ist keinmal, aber wenn das Paul-Ehrlich-Institut diese Meldungen nicht bekommt, dann kann es auch nicht feststellen, ob es eine Korrelation gibt. Man kann sich in der Tat immunologisch und vorstellen, dass es zu so einer Art sage ich mal Reprogrammierung der Immunantwort gekommen ist durch die BioNTech Impfung. Wir haben in anderem Zusammenhang Hinweise darauf, dass so was passieren kann. Da ging es aber eher um andere Erreger. Was ist, wenn jetzt jemand, der gerade geimpft wurde, hinterher eine Infektion mit einem Pilz hat oder ähnliches? Und da wir wissen, dass es da irgendwelche Schalter gibt, bei der Kommunikation der Immunzellen untereinander, die umgelegt werden durch die Impfung, wo wir noch nicht genau verstehen, was da passiert, sage ich jetzt mal. Ist es nicht vollkommen ausgeschlossen, dass da ein kausaler Zusammenhang besteht zwischen der BioNTech Impfung und diesen vier Wochen später aufgetretenen, stärkeren Reaktogenität gegen den anderen Impfstoff. Aber dass das ist nicht ausgeschlossen. Es heißt ja nicht, dass es so ist. Und darum kann ich nur sagen muss man jetzt melden, sollte man vielleicht andere Fälle die, die Ähnliches beobachten, auch unbedingt dem PaulEhrlich-Institut mitteilen? Und ich bin absolut sicher, dass die das sehr, sehr gründlich nachverfolgen werden, falls es da Hinweise auf einen Zusammenhang gibt.

20:45


Camillo Schumann


Und Herr F. aus München hat gemailt, und er will Folgendes wissen:

„Was ist der Hintergrund, warum verschiedene Techniken unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten haben? Also warum gibt es schon für die Pandemie relativ lange MRNAImpfstoffe, aber noch keinen Protein-Impfstoff? Liegt das an der Zulassung, den Studien der Produktion? Oder es ist einfach Zufall? Wenn

eine Antwort würde ich mich freuen. Viele Grüße aus München, F.“


Alexander Kekulé

Ei, das ist schwierig zu sagen. Also, es ist eine Kombination. Also viele Firmen, haben halt am Anfang wirklich auf die RNA-Impfstoffe gesetzt, weil man wusste, erstens die kann man sehr schnell produzieren, sehr schnell anpassen, falls man Veränderungen braucht, da hat man einfach gesagt, das ist eher so ein Fast-Track, das wäre, was man im Englischen einen Longshot nennen würde, also etwas, was relativ unwahrscheinlich ist, dass es klappt. Aber wenn es klappt, ist es super, sozusagen wie der Parkplatz direkt vor der Haustür, da, wo man hinfahren will. Und das hat ja in dem Fall auch funktioniert. Das war ein Menschheitsglück, dass das funktioniert hat. Und es gibt andere, die angetreten sind, zu denen gehören die Vektor Impfstoffe, die auch erfolgreich waren. So ist es ja nicht, die Vector-Impfstoffe funktionieren und vielleicht ein bisschen schlechter als die Champions. Aber sie sind trotzdem funktionierend, und da hat man auch einen Erfolg gehabt. Und zwar ungefähr zugleich. Also das ist jetzt der Unterschied, der dazwischen den RNA-Impfstoffen und ein Vektor-Impfstoff aus AstraZeneca, Sputnik V oder Johnson&Johnson ist. Der ist jetzt nicht relevant.

Jetzt ist die Frage warum kommen die ProteinImpfstoffe bei uns später? Das liegt daran, dass unsere Firmen zum Teil gar nicht darauf gesetzt haben. In China hat man das ja konsequent gemacht, dass man diese alte Methode quasi eingesetzt hat. Sinovac hat so ein Impfstoff ehrlich gesagt auch deshalb, weil die gar nicht die Option hatten, einen RNA-Impfstoff zu nehmen. Und die sind ja, kann man schon sagen jetzt im Ergebnis nicht so gut dran. Also dieser Sinovac-Impfstoff, der hat wirklich Durchbrüche bei Delta noch wesentlich stärker als bei AstraZeneca. Auch die ursprüngliche Wirkung ist nicht so stark, die haben ja jetzt schon die dritte Impfung angeboten. In dem Fall, das heißt es hat sich eigentlich bewahrheitet, dass es keine gute Idee war, auf diese reine altmodische Protein Technologie zu setzen. Und es gab auch andere Firmen bei uns in Europa. Die haben das versucht, und es hat

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nicht funktioniert, da ist diese dann in den klinischen Studien durchgefallen. Und der einzige Kandidat, der da so einen Trick 17 angewendet hat, der eigentlich speziell für RNA-Impfstoffe oder für Vektor Impfstoffe geeignet ist, das war eben Novavax. Das ist eine kleine Start-upFirma in USA, die ist noch nicht so lange gibt. Und die haben eben diesen Trick, dass man das S-Protein, also dieses Spike-Protein des Virus, wogegen wir ja immer die Antikörper produzieren bei der Impfung, also wir provozieren quasi den Körper dazu, Antikörper herzustellen gegen dieses Spike von dem Virus und dieses Spike-Protein oder S-Protein, das verändert sich in dem Moment, wo das Virus an eine Zielzelle andockt. Das schnappt dann quasi so um in einen stabileren Zustand. Und man muss aber den vorherigen Zustand haben, bevor es andockt, um eine gute immunologische Wirkung zu haben. Und den haben die stabilisiert durch bestimmte chemische Tricks. Und das ist eben bei den Protein-Impfstoffen in der Regel nicht gemacht worden außer bei Novavax. Und drum ist es der einzige, der jetzt richtig gut funktioniert so wie die Daten aussehen. Und damit hat das eher zu tun. Also ich würde mal sagen, wenn jetzt alle am Anfang so schlau gewesen wären wie wir heute, dann hätten wir wahrscheinlich die Protein-Impfstoffe zeitgleich mit den Vektor-Impfstoffen und den RNA-Impfstoffen gehabt. Aber das konnte vorher keiner so wirklich auf dem Reißbrett planen. Man hat einfach alles versucht, was geht, weil man in dieser Pandemie gesagt hat, so schnell wie möglich irgendetwas bekommen, damit man diese Welle stoppen kann.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 206.. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag den 13. Juli wieder bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dahin Herr Schumann. Bis Dienstag.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD

Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 08. Juli 2021


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Studie: Long Covid bei Kindern (bis 18 Jahre)

Risk factors for long covid in previously hospitalised children using the ISARIC Global followup protocol: A prospective cohort study | European Respiratory Society (ersjournals.com)

Studie: Test von mobilen Luftfiltern (06.10.2020) Goethe Uni Frankfurt https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.02.20205633v2.full.pdf

Studie: Test von mobilen Luftreinigern (05.08.2020) Universität der Bundeswehr Raumluftreiniger: Sinnvoll in Zeiten der Pandemie? — Home (unibw.de)

Max-Planck-Forscher entwickeln günstige Alternative zu Luftfiltern: Low-Cost-Abluftanlage (ventilation-mainz.de)

Donnerstag, 08. Juli 2021

Die Inzidenz steigt den dritten Tag in Folge. Grund zur Beunruhigung?

Dann: Das erste Mal sind Daten zu CoronaSchnelltests veröffentlicht worden. Wie effektiv sind Schnelltests bei der Bekämpfung der Pandemie?

Außerdem: Luftfilter an Schulen. Wirkungslose Beruhigungspille oder effektive Maßnahme?

Dann: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt im Kampf gegen Covid-19 zwei weitere Entzündungshemmer. Was man darüber wissen muss.

Und: Wie genau setzen sich eigentlich Virusvarianten durch?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

01:04


Camillo Schumann


Ja, 4,9, 5,1 und nun 5,2. Die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz ist den dritten Tag in Folge gestiegen. Also, ein minimaler Anstieg, aber immerhin. Und der Anteil der Delta-Variante an allen Neuinfektionen liegt nun bei rund 60 Prozent, damit ist die Delta-Variante nun die dominierende. Heißt das, wir kommen mit Delta ganz gut zurecht? Oder: Das dicke Ende, wie in Großbritannien, kommt noch?


Alexander Kekulé

Ich weiß nicht, ob es in Großbritannien ein dickes Ende ist, aber wir werden erst in Zukunft sehen, ob wir damit richtig zurechtkommen. Auf die Unterschiede dazwischen, was weiß ich, 5 Komma irgendwas, da würde ich jetzt nicht so viel drauf geben. Das hat ja auch immer eine Ungenauigkeit bei der Messung. Also, wenn Sie eine Streubreite bei den einzelnen Messwerten haben, bei der Inzidenz, dann sind so kleine Schwankungen nicht wichtig. Was aber wichtig ist, ist, dass wir schon seit einiger Zeit auf so einer Art unterem Plateau gelandet sind. Und von da geht es eben gemeinerweise nicht mehr nach unten, sondern theoretisch nur noch nach oben. Und das müssen wir jetzt sehen. Ja, wenn man nichts hat, dann versucht man, was dazu zu gewinnen. Und wenn man quasi das Maximum erreicht hat, wie wir in Deutschland jetzt gerade – was wirklich eine tolle Leistung ist, weil das ja hauptsächlich eben durch die nicht-pharmazeutischen Maßnahmen passiert ist. Also, hauptsächlich dadurch, dass die Bevölkerung sich richtig ver-

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halten hat. Jetzt können wir das nur noch wieder verspielen. Ja, das ist die gemeine Situation, in der wir sind. Und ob wir es verspielen, wie die Menschen in England das jetzt gerade machen – fast hätte ich gesagt: Im wörtlichen Sinne – das wird sich jetzt in Zukunft zeigen in Deutschland. Das werden wir in den nächsten Wochen sehen. Aber alleine, dass jetzt Delta bei 60 Prozent ist, das war ja schon sehr, sehr lange angesagt, quasi erwartungsgemäß hat sich Delta verhalten. Mich würde es eher beunruhigen, wenn ein Virus mal nicht das tut, was man von ihm erwartet. Und das würde mich jetzt alleine nicht stören. Delta wird langsam aber sicher auf hundert Prozent hochgehen, das ist eben sozusagen der kleine private Wettbewerb zwischen den verschiedenen Varianten. Die haben quasi auch so ihre Biotope, um die sie kämpfen. Und wenn sich da einer durchsetzt gegen den anderen, ja gut, dann haben wir halt einen anderen Gegner. Das ist wie so eine Art Vorrundenspiel im Grunde genommen beim Fußball oder wer dann am Schluss gegen den Menschen antreten darf. Das machen die Virusvarianten unter sich aus.

03:34


Camillo Schumann


Aber weil wir gerade über Großbritannien gesprochen haben: Wieso gehen die Zahlen dort so durch die Decke? Der komplette Wegfall der Maßnahmen, wie zum Beispiel Maske tragen, Abstand halten, der soll ja erst noch kommen. Trotzdem haben die Briten wieder eine SiebenTage-Inzidenz von 220. Und die Hospitalisierungen nehmen wieder zu und das bei einer doch sehr, sehr guten Impfquote. Droht uns das auch?


Alexander Kekulé

Wenn Sie mal gucken, was da auf der Insel so los ist. Da muss man nicht unbedingt nur die Fußballspiele heranziehen, die da im WembleyStadion stattfinden. Also, das ist einfach dort jetzt angesagt worden. Und Psychologie spielt ja hier eine große Rolle. „It's over“ ja, also „isch over“ sozusagen auf der Insel. Und darüber freuen sich alle, das ist natürlich ganz toll, das macht neue Freiheitsgefühle. Nach jedem großen Fußballspiel wird ja auch – nicht nur im Stadion, sondern dann hinterher auch auf den Straßen und selbstverständlich auch im privaten Bereich – gefeiert, wo keine Kameras dabei

sind. Und es ist ganz klar, dass ein Virus sich über so etwas natürlich sehr, sehr freut. Das ist die ideale Situation für ein Virus, wenn die Menschen jetzt plötzlich alle wieder eng zusammen sind. Und dass die Krankenhausbelegungen hochgehen, ja, das ist klar. Man hat ja auch in England zum einen Menschen, die noch nicht geimpft sind – die sind ja weit weg noch von 100 Prozent Impfquote. Zum anderen ist es so, dass natürlich auch durch Delta es in einzelnen Fällen – das ist dann eine Rarität fast – aber da gibt es natürlich dann manchmal auch bei Geimpften schwere Verläufe, die auch tödlich enden können. Ja, epidemiologisch fällt das nicht ins Gewicht. Aber sagen Sie das mal den Angehörigen von jemandem, der dann doch daran gestorben ist. Das sind halt einfach Einzelfälle, die dann tragisch sind. Und im Vorfeld sind natürlich dann die Krankenhauseinweisungen. Das heißt, man muss davon ausgehen, dass natürlich die Krankenhauseinweisungen steigen. 


Boris Johnson und sein neuer Gesundheitsminister Javid, die haben ja die Bevölkerung schon darauf eingestimmt, dass das jetzt richtig durch die Decke geht mit den Fallzahlen und im Grunde genommen nicht durch die Blume, sondern ziemlich explizit gesagt: Wir machen jetzt einen auf komplette Durchseuchung. Also, anders kann man das nicht nennen, was die da machen. Ich kann nur dringend empfehlen – aber da bin ich ja zum Glück mal nicht der einzige in Deutschland – das nicht zu kopieren, dieses Modell. Zumindest jetzt nicht. Aus zwei Gründen. Das erste ist offensichtlich: Wir wissen überhaupt nicht, wie das auf der Insel weitergeht. Es kann sein, dass die in vier Wochen so hohe Sterblichkeiten haben, dass die deshalb einen Lockdown machen müssen. Oder sie haben wieder eine höhere Sterblichkeit und machen nichts, was dann auch aus meiner Sicht ethisch bedenklich wäre. Und der zweite Grund, warum wir das definitiv nicht nachmachen dürfen, ist, dass wir in Deutschland ja mit den Impfungen viel weniger weit sein. Also, wir gucken ja quasi jetzt zu, wie einer der zwei Impf-Champions – neben Israel – wie der jetzt quasi hier durch den viralen Sturm geht freiwillig. Und das würde ich also Deutschland auf keinen Fall empfehlen. Übrigens, vielleicht das eine noch: Israel hat ja eine ähnliche Situation. Natürlich sind die etwas vernünftiger, die machen jetzt keine großen zu bestätigen, wenn jemand glaubt, er hat Covid und der Arzt will wissen: Stimmt das? Sondern, dann ist es ganz klar: 


Welche Wirkung haben welche Tests?

Wenn jemand Symptome hat, dann muss er eine PCR machen. Das ist ja klar. Dann wird man das nicht mit einem Schnelltest ausschließen wollen. 


13:54


Camillo Schumann


Es gibt ja auch Daten und Studien, die sagen, dass bei einem geringen Impfschutz – also, wenn die Bevölkerung noch nicht so weit ist – gerade die Schnelltests sozusagen eine positive Auswirkung auf das Infektionsgeschehen haben.



Alexander Kekulé

Ja, und zwar mehrere. Also, da gibt es aus den USA – das war ja einer der Gründe, eine der ersten Bestätigungen für meinen Vorschlag – die kam ja aus den USA von der Harvard-Universität. Ich meine, die haben wir letzten Sommer besprochen, wo nachgewiesen wurde, dass für so Alltagssituationen – an Studenten hat man das zum Teil auch simuliert: 


Vielleicht sage ich [noch etwas, Anm. d. Red.] zu einer Studie, die ist nämlich ganz interessant, die können wir vielleicht auf die Website stellen. Von der Uni Bonn ist die, vom 22. Juni, also ziemlich aktuell. Die haben Modellierungen gemacht von der zweiten und dritten Welle in Deutschland, also quasi von Mitte September bis Ende Mai. Die haben geprüft, was drei verschiedene Interventionen bringen, und zwar 

  1. erstens die Impfung. Was hat das gebracht? 
  2. Zweitens: Was haben die Schnelltests gebracht? 
  3. Und drittens: Welchen Effekt hatte die Saison in der Zeit? Also, dass es wärmer geworden ist. Im Mai ist es natürlich dann wärmer geworden. 


Und das Ergebnis ist ganz interessant. Ich gehe jetzt da nicht so auf die Details ein, aber die haben also ganz klar festgestellt, dass in diesem Zeitraum die Impfungen praktisch keinen Effekt hatten. Das ist wirklich wichtig. Sondern es ist so, wie wir es hier auch immer besprochen haben. Das ist hier zum ersten Mal wirklich auch datentechnisch nachgewiesen. 


Es waren die Maßnahmen der Bürger selber, die dazu geführt haben, dass in Deutschland die Inzidenz so gefallen ist. Plus die wärmere Jahreszeit. Bei der Berechnung war es so, dass die 

  • ungefähr in der Größenordnung von 41 bis 43 Prozent jeweils diese Saisonalität ausgemacht haben, also, dass es wärmer geworden ist. 
  • Und die Schnelltests. Also, über 40 Prozent, 41, 42, 43 Prozent war quasi der Effekt der Schnelltests. Und genauso groß ungefähr der Effekt der Saisonalität. 
  • Und die Impfungen haben bis Ende Mai praktisch noch keinen Effekt gehabt. 


Das ist auch wiederum genau das gleiche, was wir hier geschätzt haben, weil ja aus den USA und aus Israel bekannt ist, 


18:59


Camillo Schumann


Diese Studie, wie Sie es gesagt haben, werden wir verlinken in der Schriftversion dieses Podcasts. Finden Sie übrigens von allen Ausgaben unter Audio & Radio auf mdr.de. Herr Kekulé, wir haben schon über die leichte Zunahme der Neuinfektionen gesprochen. Das ist ja die eine Entwicklung, die andere: Die Erstimpfungen haben sich stark verlangsamt. 


Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der will, dass bei den Impfungen ein deutlicher Zahn zugelegt wird. Im ARDMorgenmagazin hat er das hier gesagt:

„Die Erwachsenen sollten sich möglichst breit impfen lassen, auch, um die Kinder und Jugendlichen zu schützen. Also, es hat ja auch einen Effekt, nicht nur für einen selbst, sondern immer auch für die anderen. Also, deswegen kann ich nur alle Erwachsenen auch bitten/auffordern, sich impfen zu lassen. Dass da ein Impfruck jetzt auch nochmal im Sommer durch Deutschland geht.“


Ein Impfruck müsse durch Deutschland gehen. Nach Bundespräsident Herzog 1997 hat nun also auch Jens Spahn eine Ruck-Rede gehalten. Wie groß müsste denn dieser Ruck jetzt sein?



Alexander Kekulé

Ja, also, wir haben das ja auch im Podcast ausführlich begründet. Ich kann es nur unterstreichen. Das ist ja fast eine Wiederholung dessen, was wir hier mal besprochen haben. Wenn wir 70 Prozent der Erwachsenen geimpft kriegen bis Mitte September, das ist ein erreichbares Ziel, in jeder Hinsicht bezüglich der verfügbaren Impfdosen bis dahin. Und meines Erachtens auch bezüglich der Impfbereitschaft der Bevölkerung, dass ist keine Überstrapazierung unserer Bevölkerung. Dann würde ich sagen: Mission accomplished für den Herbst. Das ist etwas weniger, das weiß ich. Die Bundeskanzlerin hat von 80 Prozent bis Ende September gesprochen. Fast hätte ich gesagt, geträumt. Aber es ist so, wissen Sie, das ist ja so: Mit so einer kleinen Ruck-Rede  beim Morgenmagazin ist es natürlich noch nicht getan. Es geht ja hier darum, die Gruppen zu erreichen, die eben schwierig zu erreichen sind. Die letzten 20 Prozent sind einfach die schwierigsten. Das ist bei jedem Goldschürfer so. Wenn sie die großen Nuggets weggeräumt haben und nur noch die kleinen raussuchen müssen aus der Grube, dann wird es einfach exponentiell schwieriger. Und dieses Problem, das ist eine To-do-Liste, das ist auf der To-do-Liste der Bundesregierung aus meiner Sicht. Da müssen jetzt wirklich gezielte Kampagnen gemacht werden in den Bereichen, wo man weiß, dass da Menschen sind, die vielleicht aus ideologischen Gründen noch nicht dazu bereit sind. Man wird da nicht alle überreden können, aber einen Teil vielleicht zumindest. Aber ich glaube, es gibt auch viele Menschen, die das Thema nicht so im Fokus haben. Die gucken ja nicht alle Morgenmagazin und hören nicht alle Podcasts. Und ich glaube, zu denen muss man aktiv hingehen. Das hat keinen Sinn, zu sagen: Wir machen hier ein großes Impfzentrum und warten mal, wer vorbeikommt. Sondern die letzten 20, 30 Prozent, das wird die wirklich schwierige Übung. Und darum sage ich manchmal, dass es jetzt die schwierigste Phase der Pandemie ist, dieses Endspiel, das wir jetzt gerade angefangen haben. Und ja, da muss ein Ruck gehen. Aber ich würde sagen: Wenn das ein Minister sagt, klingt es irgendwie so, als müsste die Bevölkerung – also, müssten die, die sich dann noch nicht geimpft haben – sich von selbst einen Ruck geben. Ich glaube, da muss man ein bisschen mehr tun, weil das einfach nicht selbstverständlich ist, dass Leute, die sich jetzt noch nicht dazu entschieden haben, das machen. Ich glaube, wir haben nochmal eine Chance bei denen, die dann aus dem Urlaub zurückkommen, weil wir haben ja zwei Probleme jetzt im Sommer. Das eine ist – darum ist natürlich die Impfbereitschaft zurückgegangen aktuell – dass viele schon im Urlaub sind. Die sind einfach nicht da. Und wer nicht da ist, geht auch nicht ins Impfzentrum. Und wer auch gerade kurz danach in den Urlaub fahren will, geht vielleicht auch nicht ein paar Tage vorher, weil er Angst hat, dass er dann irgendwelche Reaktogenität hat, irgendwelche Probleme mit der Impfung hat und dann im Urlaub sich nicht so wohlfühlt. Da ist man doch lieber am Arbeitsplatz mal ein paar Tage schlapp. Und das andere ist, dass dieses Angebot, dass man durch die Impfung sich quasi den Urlaub gönnen darf, weil man als Geimpfter besondere Rechte hat, das ist ja zum Einen nicht mehr so aktuell, weil die Leute entweder schon weg sind oder beschlossen haben, ich fahre nicht. Und zum Zweiten ist es ein bisschen verwässert worden durch diese Portugalaktion, wo es dann zunächst mal hieß: Wer in Portugal ist, muss jetzt doch zwei Wochen in Quarantäne, auch, wenn er vollständig geimpft ist. Habe ich mich ja bekanntlich nicht so angeschlossen, dieser These. Und auf wundersame Weise ist Portugal ja dann ruckizucki wieder von der Liste der sogenannten Variantengebiete gestrichen worden. 


Keine Ahnung, ob Delta da jetzt verschwunden ist, kann ich mir kaum vorstellen. Aber irgendwie hat man doch dann eingesehen, dass das keine so gute Idee war. Da muss man dazu sagen: Was ein Variantengebiet ist, wird jetzt nicht vom Robert KochInstitut nach rein wissenschaftlich strengen Kriterien festgelegt, so wie die Ständige Impfkommission wirklich eiskalt nach wissenschaftlichen Daten versucht zu entscheiden, was sie empfiehlt und was nicht. Die haben sich ja da unbestechlich gezeigt. Aber diese Festlegung der Variantengebiete, da sind zwar Fachleute mit drinnen, aber das wird letztlich interministeriell festgelegt. Das Innenministerium, das Außenministerium und das Gesundheitsministerium, wenn ich es jetzt nicht falsch aufgesagt habe, sind da gemeinsam beteiligt und die Wissenschaftler sitzen halt so dabei. Daher ist es durchaus möglich, hier eine gewisse politische Tendenz noch mit reinzubringen. Und dass das Verwerfungen auch in der Beziehung zu Portugal gebracht hat, das ist ja bekannt. Und deshalb hat man das halt jetzt zurückgezogen. Meines Erachtens völlig zurecht. Ja, von der Sache her war das nicht begründet. Aber es hat natürlich schon zu einer Verunsicherung geführt. Wer weiß, was das nächste Variantengebiet ist. Und deshalb glaube ich auch, dass die Motivation, sich impfen zu lassen, wegen Urlaub, dass die jetzt vielleicht ein bisschen gesunken ist.

25:02


Camillo Schumann


Aber es gibt jetzt nach und nach – auch natürlich dem Umstand geschuldet, dass es immer mehr Impfdosen gibt – auch kreative Lösungen. Zum Beispiel gibt es spontane Impfaktionen im Landkreis Osnabrück zum Beispiel, in Bad Essen auf dem Wochenmarkt wird da ohne Termin und mit BioNTech geimpft. Und sowas wird – vermute ich mal ganz stark – jetzt auch weiter zunehmen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der hat im ARD-Morgenmagazin auch noch ein anderes Thema behandelt, und zwar das Thema Impfen von Schülern ab zwölf Jahren. Dazu hat er Folgendes gesagt:


„Oder wir brauchen am Ende auch miteinander ein Bewusstsein dafür, dass es eben nicht nur um den Schutz für den Einzelnen geht, sondern das ist hier ein Teamspiel, das ist eine Teamaufgabe. Und wer einen guten Herbst und guten Winter will mit möglichst wenigen Beschränkungen und Einschränkungen, mit möglichst wenig Infektionen, der braucht eine hohe Impfquote bei allen da, wo geimpft werden kann.“


Dieser Satz hat bei mir einige Fragezeichen hinterlassen. Er hat ja gesagt, wir brauchen das Bewusstsein, dass es nicht nur um den Schutz für den Einzelnen geht. Es ist ein Teamspiel, und wer möglichst wenig Beschränkungen wolle, müsse sich impfen lassen. Erstens: Ich dachte immer, man sollte sich impfen lassen, wenn es medizinisch notwendig ist.



Alexander Kekulé

Ja, das finde ich jetzt nicht. Also, ich habe das ganz positiv jetzt verstanden, was der Bundesgesundheitsminister da gesagt hat. Man will ja auch immer das hören, was man gut findet. Aber ich habe das eigentlich so verstanden in dem Sinn, wie wir das hier im Podcast besprochen haben. Wenn wir 70 Prozent der 70 Millionen Erwachsenen geimpft haben – das heißt ab 18 – das man damit die Schüler, die man ja im Moment aufgrund der Empfehlungen nicht impft – wo es zumindest keine Impfempfehlung gibt – dass man die quasi mitschützt. Also, so habe ich das irgendwie verstanden. Also, im Team, dass quasi die Erwachsenen sich auch impfen lassen, um die Gesellschaft zu schützen. Und ich finde den Ansatz, den darf man schon mitdenken. Also, klar gibt es das Individualrisiko. 


Wenn ich mich jetzt zum Beispiel gegen Gelbfieber geimpft habe – exotische Sache, das war früher richtig schlimm, da war man dann wirklich platt hinterher, kein Vergleich zu der Covid-Impfung, ein Lebendimpfstoff auch – dann habe ich das natürlich gemacht, weil ich wusste, ich fahre in ein Tropenland beruflich und habe dann ein Expositionsrisiko. Also, da war es eine individuelle medizinische Entscheidung. Aber es gibt auf der anderen Seite auch Impfungen, die wir in Deutschland ja empfehlen. Zum Beispiel wird in der Kindheit ja empfohlen, gegen Hepatitis B zu impfen. Das ist eine Krankheit, die bekommen Erwachsene, die bekommt man durch Geschlechtsverkehr, durch IV-Drogenbenutzung und Ähnliches. Und da ist die Idee eigentlich eher, die Gesellschaft insgesamt vor diesem Virus zu schützen, indem man schon bei den Kindern anfängt. Also, da ist schon explizit die Herdenimmunität, wenn man das in dem Fall mal so nennen darf, die ist da schon der Gedanke, warum man die Impfung empfiehlt. Darum finde ich, das darf man als Staat schon. Es geht ja um Empfehlungen. Es geht ja nicht um Zwangsimpfungen. 


Man darf als Empfehlung schon sagen: Wir empfehlen hier in der Pandemie, dass sich möglichst alle ab 18-Jährigen impfen, auch, um für die anderen etwas Gutes zu tun. Ich finde es fast besser, das so rum zu formulieren als was ja dann manche Fachleute machen, dass sie sagen: Oh, auch bei 20-Jährigen gibt es diese tödlichen Verläufe und guckt mal her, ich habe da einen gefunden, der hatte überhaupt keine Risikofaktoren, war total sportlich, 21, liegt auf der Intensivstation. Da kommen dann fünf Kamerateams, um den zu filmen, den einen. So mit dem Leichentuch zu winken, finde ich eigentlich weniger seriös als zu sagen: Ja, wir wissen, dass die jungen Leute ein sehr geringes Risiko hier haben, aber wir wollen trotzdem, dass alle ab 18 zum Impfen gehen. Und den Aufruf würde ich sofort unterschreiben, weil das im Grunde genommen die Methode ist, um hier die Inzidenz im Herbst niedrig zu halten. Wenn wir das schaffen würden, dann haben wir tatsächlich eine Möglichkeit im Herbst, vor allem dann eben den Jüngeren – das sind also dann die Sekundarstufen in der Schule und die Grundschule natürlich und die Kitas und so weiter – denen ein halbwegs vernünftiges Leben zu ermöglichen, ohne, dass sie ständig irgendwie mit der Maske rumlaufen müssen und ohne, dass ständig Schulen geschlossen werden wegen irgendwelcher Ausbrüche. Ich glaube, das ist tatsächlich eine Solidarität, die wir jetzt einfordern können, den Jungen gegenüber.


29:31


Camillo Schumann


Über 500.000 Kinder wurden in Deutschland schon geimpft, so hat es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gesagt. In den USA mal zum Vergleich sind es acht Millionen 12bis 18-Jährige. Brauchen wir die Kinder eigentlich für eine Herdenimmunität?



Alexander Kekulé

Nein. Also, erstens, ich benutze es selber manchmal aber es gibt ein paar Wörter, die ich eigentlich vermeiden will. 


Herdenimmunität, das gibt es ja sowieso nicht. Das haben wir oft besprochen. Es gibt hier einen gewissen Herdenschutz oder eine Teilimmunität, könnte man das nennen. Aber immun heißt ja immer, dass gar nichts passieren kann. Und deshalb fand ich dieses Konzept der Herdenimmunität, was da immer so als Wurst vor die Nase der Bevölkerung gehängt wurde – insbesondere von Politikern, aber auch von ihren Beratern zum Teil – das fand ich von Anfang an keine so gute Idee, weil klar war, dass es sowas bei Coronaviren nicht geben kann. Und bei diesem speziellen Virus war es eigentlich spätestens so seit Juli, August klar, als die ersten Zweitinfektionen bekannt wurden, dass es dazu nicht kommen wird. Was wir haben ist natürlich, dass wir einfach die Inzidenz niedrig halten. Es wird weiter eine Inzidenz geben, es wird keine Herdenimmunität geben. 


Und um die Inzidenz niedrig zu halten und vor allem natürlich die Todesfälle und die schweren Erkrankungen zu kontrollieren, dafür brauchen wir im Moment den Schutz der Kinder nicht. Wenn Sie jetzt perspektivisch fragen: Ich glaube, wir wollen ja nicht ewig mit diesem Virus rummachen. Ja, wir müssen ja irgendwann mal wieder in einen Modus kommen, wo das irgendwie ein ganz normales Lebensrisiko ist, was wir in den Griff bekommen haben, genauso wie wir, was weiß ich, nicht ständig Tote durch Wolfsüberfälle in den Wäldern haben. Ja, das haben wir traurigerweise im Wesentlichen durch Ausrottung der Wölfe in den Griff bekommen. Aber es ist ja so, es gibt Lebensrisiken, die kann man als Gesellschaft irgendwann kontrollieren. 


Und solche Viren kann man natürlich auch kontrollieren. Und ich stelle mir so als Zielkorridor vor, dass wir vielleicht von jetzt an in eineinhalb Jahren, im nächsten Herbst, dann tatsächlich in der Lage sind, auch die Kinder oder zumindest die Jugendlichen ab 14 zu impfen, weil bis dahin die RNA-Impfstoffe eine wesentlich längere Beobachtungszeit hatten. Dann kann man sagen: Gut, eineinhalb Jahre Beobachtung, das ist natürlich schon mal eine andere Basis, um Langzeitwirkungen zu beurteilen. 


Und weil wir natürlich dann vielleicht auch andere Impfstoffe als Alternative haben. Mal sehen, vielleicht kommen da Protein-Impfstoffe von Novavax oder von woanders noch dazu. Und dass wir dann sagen: Okay, jetzt machen wir den nächsten Schritt und impfen ab 14. Wenn man sich das jetzt schon vornimmt, dann ist es perspektivisch doch dann irgendwann so, dass man natürlich dann irgendwann mal sagt: Dann werden ja hauptsächlich Kinder damit infiziert werden, weil die einfach nach der Geburt noch keinen Schutz haben. Und deshalb wird es dann irgendwann tendenziell eine Krankheit sein, die bei jüngeren Menschen und Kindern auftritt. Und wenn das dann so ist, wird man sehen, wie häufig diese Krankheit, die dann – fast hätte ich gesagt zu einer Kinderkrankheit wird – wie häufig die dann wirklich schwere Verläufe macht. Was ist mit Long Covid? Wie sieht es dann nach ein paar Jahren aus, wenn ein Kind so etwas durchgemacht hat? Und wenn wir diese Perspektive haben und falls wir dann feststellen: Okay, das ist doch bedenklicher, als wir dachten oder als ich jetzt speziell zum Beispiel dachte. Dann kann man ja sagen: Okay, wir denken daran, vielleicht wirklich die Kinder zu impfen und das dann in die normalen, empfohlenen Kinderschutzimpfungen aufzunehmen, wie wir das bei Masern machen. Aber im Moment ist es einfach so: Die Krankheiten, wo die Impfung im Kindesalter empfohlen wird, die haben ein vielfach höheres Risiko für schwerste Verläufe als Covid bei Kindern. Und deshalb wäre es wirklich ein Novum, dass man bei so einer Erkrankung eine Impfung im Kindesalter empfiehlt. Also, bei Influenza wird es ja auch nicht empfohlen, obwohl natürlich gelegentlich auch mal gerade Kleinstkinder an Influenza sterben. Das heißt, ich glaube, wir sollten jetzt, wenn ich jetzt so politisch den Fokus sehe, wir brauchen diese Perspektive. Aber im Moment ist es wichtig und ausreichend, die Erwachsenen zu impfen. Wir brauchen andere flankierende Schutzmaßnahmen für die Schulen. Das müssen eben nicht-pharmakologische Interventionen sein. Und wir müssen vor allem überlegen, wo wir sinnloserweise Risiken eingehen. Zum Glück haben wir diese Fußballspiele nicht, wie die Briten, sondern schauen uns das nur aus sicherer Entfernung im Fernsehen an. Fußball steckt zwar manchmal an, irgendwie, wenn man zuschaut, aber zum Glück nicht virologisch. Und es ist so, dass wir wirklich nochmal drüber nachdenken müssen, ich habe da echt Bedenken wegen der ganzen Urlaubsrückkehrer. Ja, Portugal ist jetzt immer noch Risikogebiet, kein Variantengebiet mehr. Aber Spanien, da geht es jetzt wieder in dieser Salamitechnik los, wie damals in Norditalien. Katalonien ist jetzt Risikogebiet, der Rest von Spanien so teilweise. Ich meine, man sollte jetzt wirklich ganz Spanien zum Risikogebiet erklären und zwar sofort und sagen: Wer da zurückkommt, der muss fünf Tage in Quarantäne und hinterher eine PCR machen zum Freitesten. Ich glaube, das wäre jetzt angezeigt, um nach dem Sommer eine massive Einschleppung von Virusinfektionen aus diesen Urlaubsgebieten zu verhindern. Weil ich wirklich glaube, dass dort zum Beispiel in Spanien jetzt die Fallzahlen gerade hochgehen.


34:56


Camillo Schumann


Kommen wir zurück zu den Kindern noch. Denn die Frage bei der Impfung der Kinder ist ja: Wie schwer sind Sie von der COVID-19 Krankheit betroffen? Und schaut man in die Statistik, dann sieht man, dass insgesamt – Stand jetzt – 25 Kinder und Jugendliche unter 19 an oder mit Covid-19 in Deutschland gestorben sind. Gemessen an allen Covid-Toten in Deutschland ist das eine Quote von 0,027 Prozent und alle Kinder hatten teilweise schwere Vorerkrankungen. Die gestorbenen Kinder sind das eine. Kinder, die die Krankheit durchgemacht haben und unter Long Covid leiden, ist ja das andere. Es gibt aber, wenn man mal so einen Strich drunter zieht, aber kaum Daten und Studien zu Long Covid bei Kindern, oder?



Alexander Kekulé

Das ist so, weil es einfach wenig Fälle gibt, die jetzt quasi dann wirklich genauer untersucht werden. Die meisten Kinder haben leichte Erkrankungen. Außer, wenn man jetzt dieses besondere immunologische Multiinflammationssyndrom sich anschaut, sind das eigentlich leichte Verläufe in der Regel. Und deshalb gibt es wenige Long Covid Studien, das stimmt.

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35:56



Camillo Schumann


Es gibt jetzt aber neue Daten zu genau dieser Frage, wie lang und stark Kinder, die die Krankheit durchgemacht haben, an weiteren Symptomen, also an Long-Covid Überschrift, leiden. Die Autoren dieser Studie, die wir jetzt mal kurz besprechen wollen, schreiben selbst, es sei die größte prospektive pädiatrische Kohortenstudie mit der längsten Nachbeobachtungszeit. Also, da kann man jetzt schon ein bisschen was erwarten. Und die Autoren schreiben auch zusammenfassend: Wir stellten fest, dass ein Viertel der Kinder und Jugendlichen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung anhaltende Symptome aufwiesen. Müdigkeit, Schlafstörungen etc. Was sagen Sie zu dieser Studie?



Alexander Kekulé

Ja, ich habe die sehr genau angeschaut, weil das natürlich eine gerade in Deutschland ja immer sehr emotional geführte Diskussion ist, die Frage: Wie schlimm ist Long Covid bei Kindern? Weil klar ist, dass die Verläufe nicht so schlimm sind. Klar ist auch, das Delta bei Kindern keine besonders schweren Verläufe macht, auch wenn das manchmal behauptet wurde. Und jetzt sozusagen die letzte Verteidigungsbastion für die schnelle Kinderimpfung ist ja Long Covid. Darum muss man sich diese Studie wirklich ganz genau anschauen. Die kommt ja aus Moskau, das ist von einem großen Moskauer Krankenhaus gemacht worden. Die haben für die Auswertung ein Protokoll, das in England hauptsächlich entwickelt wurde, verwendet. Das sogenannte ISARIC Protokoll, das heißt International Severe Acute Respiratory and Emerging Infection Consortium, auweja. Das ist ein Konsortium, was es schon länger gibt, die sich halt um neue Infektionskrankheiten, die hauptsächlich die Atemwege betreffen, kümmert. Und die haben jetzt gerade relativ neu ein Protokoll für Long Covid bei Kindern erstellt. Ja, und dann haben die gesagt: Okay, nehmen wir 518 Kinder, die im Krankenhaus waren, in Moskau, alle im gleichen Krankenhaus wegen Covid. Und was die Kinder nennen, ist schon mal so ein bisschen interessant, nämlich Personen bis einschließlich 18 Jahre heißen bei denen Kinder in dieser Studie. Also, ich würde sagen: Kinder und Jugendliche bzw. einschließlich 18 war das sogar. Und ja, dann

haben sie eben eine prospektive Kohortenstudie gemacht. Eine prospektive Kohortenstudie heißt – das ist eigentlich immer eine ganz gute Studie. Das heißt, ich entschließe mich, wenn ich anfange, dass ich bestimmte Personen eine Weile verfolge, um zu gucken, was dabei rauskommt. Wir haben mehrere englische Kohortenstudien besprochen. Und weiß also genau, welches Protokoll ich mache von Anfang an und deshalb kann ich das viel besser planen, als wenn ich retrospektiv draufschaue, also erst hinterher auf die Idee komme, irgendwas zu untersuchen, wo mir dann die Daten fehlen oder bestimmte Sachen nicht so genau gemacht sind. Und da ist schon der erste große Fehler dieser Studie. Und zwar, wenn ich eine Kohortenstudie mache und ich weiß das von Anfang an, dann nehme ich doch bitteschön eine Kontrollgruppe dazu. Das ist der ganze Witz bei einer prospektiven Gruppe. Also hier, wenn ich 518 Kinder mit Covid ab, dann nehme ich halt 500 Kinder, die irgendwie Grippe haben, Nasenbluten, irgendwas Anderes und gucke mal, wie bei denen im Vergleich der Verlauf ist, weil was die hier gemacht haben, ist, dann bei den Kindern später irgendwelche Telefoninterviews mit den Eltern zu führen, um zu fragen, ob die denn Kopfschmerzen haben, ob die müde sind oder sonst irgendwelche Long Covid mäßigen Symptome haben. Aber wenn ich das von Anfang an plane, wie sie hier behaupten, dass sie es geplant haben, sonst wäre es ja nicht prospektiv, dann brauche ich eine Kontrollgruppe. Die haben sie hier schon mal nicht dabeigehabt. Das zweite, was erstaunlich ist, ist: Die sagen, dass sie ab 02.04.2020, also seit 2. April schon Kinder da eingeschlossen haben, in diese prospektive Studie. So lange gibt es aber das ISARIC Protokoll noch gar nicht. Also, daher weiß ich nicht und ich habe mir auch das Protokoll angeschaut. Die haben nur einen Teil dieses Protokolls abgearbeitet. Wie funktioniert das dann? Die haben die ganzen Kinder, die da aus dem Krankenhaus entlassen wurden, haben sie dann ungefähr acht Monate später anrufen lassen von Studenten. Die haben dreimal versucht, anzurufen. Wer beim dritten Mal nicht rangegangen ist, ist rausgefallen. Oder wer nicht mitmachen wollte, ist rausgefallen. Und dann haben sie nicht die Kinder und Jugendlichen gefragt – einen 18-Jährigen kann man ja

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selber fragen – sondern die haben immer die Eltern gefragt, die Erziehungspersonen. Zwei Fragen. Erstens: Hat Ihr Kind in den letzten sieben Tagen eines der folgenden Symptome gehabt? Dann wird eine Liste abgefragt. Und zwar, das nicht vor der Covid-Erkrankung da war. Und zweitens: Bitte zählen Sie alle Symptome auf, die ihr Kind seit der Entlassung aus dem Krankenhaus hatte. Also, wenn Sie das Eltern fragen und gerade in Russland, also, das ist einfach so, in Russland ist das Misstrauen gegenüber Krankenhäusern und Ärzten viel größer als bei uns. Entschuldigung, das ist auch wieder so ein Klischee. Aber es ist tatsächlich das, was man dort beobachtet. Und dann sollen die Eltern sagen, wie es dem Kind seitdem geht. Die Tendenz, dann zu sagen, dem Kind geht es nicht so gut, seit es aus dem Krankenhaus kam – da ist einfach so viel Bias drinnen, dass man sowas ohne Kontrolle letztlich nicht bestätigen kann. Ja, und wenn man diese Frage dann stellt, dann hatten zehn Prozent angegeben, dass sie müde sind. Müdigkeit ist das häufigste Symptom. Das zweithäufigste, was sie als unabhängiges Symptom ausgewertet haben, ist Schlafstörung mit sieben Prozent. Und das dritthäufigste waren sensorische Probleme. Ich nehme an, damit meinen sie so Geruchsstörungen und Ähnliches. Übrigens war auch Haarausfall dabei als eines der Dinge, die nach dem Krankenhaus aufgetreten sind. Da muss man sich schon fragen, was das mit Covid zu tun hat. Und jetzt aus epidemiologischer Sicht, damit man mal sieht, wie so ein Epidemiologe auf sowas draufschaut: Das weiß doch jeder, wenn ich Schlafstörungen habe, dann bin ich doch auch müde. Das hängt doch zusammen. Und deshalb sind es schon mal keine unabhängigen Kriterien, sondern die hängen zusammen. Sie können nicht als zwei unabhängige Kriterien etwas statistisch auswerten, Schlafstörung plus Müdigkeit. Und in der Art gibt es ein paar andere Dinge, die da eine Rolle spielen. Ich will jetzt nicht die lange Liste der sonstigen Probleme schildern. Aber natürlich ist es so, wenn jemand sagt, ja, mein Kind ist krank, weil da jemand anruft, gerade in Russland, dann kann das auch immer so ein bisschen die Hoffnung sein, dass es dafür Geld gibt oder irgendwelchen anderen sekundären Krankheitsgewinn, der da eine Rolle spielt. Es ist so, dass

wir auch wissen, dass Symptome wie Müdigkeit und Schlafprobleme, das ist ganz oft auch mit Stress und anderen psychisch überlagerten Problemen verbunden. Und das haben die natürlich in Russland auch. Ja, da war auch Lockdown zum Teil. Es ist Stress für die Eltern, wenn die Kinder im Krankenhaus waren und so weiter. Allein die Tatsache, dass nur Krankenhausaufnahmen, also nur Kinder im Krankenhaus ausgewertet wurden, ist ein weiteres Problem. Weil das waren dann tendenziell schwerer kranke Kinder, ist eine besondere Auswahl. Und es ist auch eine besondere Auswahl: Welche Eltern bringen überhaupt ihre Kinder ins Krankenhaus? Das sind natürlich die, die tendenziell besonders aufmerksam sind, besonders besorgt sind. Und diese besonders besorgten Eltern werden dann hinterher gefragt: Wie geht es den Kindern jetzt? Sind die wirklich wieder top-gesund? Also, könnte man lange drüber reden. Aber ich ziehe aus dieser Studie ehrlich gesagt überhaupt nichts raus. Das einzig Wichtige ist, dass auch die Autoren dieser Studie, die so ein bisschen alarmistisch sind, trotzdem einräumen, dass praktisch alle Symptome auf dem Weg der Besserung sind. Es gab keine Fälle, wo das sozusagen konstant schlecht geblieben ist, sondern seit der Krankenhausentlassung sind die alle nach und nach besser geworden. Insbesondere die Geruchsstörungen, das wissen wir, sind sehr gut geworden, die Kopfschmerzen sind fast immer weggegangen, sodass ich jetzt sage: Das beunruhigt mich nicht, was da publiziert wurde.

43:32


Camillo Schumann


Kollegen von Ihnen nutzen aber diese Studie, um das in den Social-Media-Kanälen als Argument für Impfungen für Kinder zu nehmen. Würden Sie sich dem also nicht anschließen?


Alexander Kekulé

Auf keinen Fall. Also, das kann nur jemand sein, der sich die Details dieser Studie nicht richtig angeschaut hat. Das ist ja natürlich so, selbstverständlich ist es so, dass immer alles verwendet wird. Heutzutage haben leider auch Wissenschaftler irgendwie eine Agenda, hat man manchmal das Gefühl. Dann weiß man, okay, die haben diese Grundannahme und die wollen diese Grundannahme sozusagen bestä-

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tigt wissen. Genauso wie ich vorhin mal erwähnt habe, dass es Kollegen gibt, die schon immer gesagt haben, die Schnelltests sind Mist. Und als dann alle Daten kamen, die gesagt haben, die Schnelltests sind gut, quasi überstimmt wurden zum Teil sogar von den eigenen Fachgesellschaften und dann hinterher kommen sie jetzt wieder und sagen: Jetzt habe ich aber doch ein Argument, warum das alles nichts gebracht hat. Also, da muss man sehr aufpassen. Da nehme ich mich jetzt auch gar nicht aus. Ja, also, jeder hat sich so sein Weltbild in dieser Pandemie zurechtgelegt und hat so seinen Blick auf die Daten. Aber hier bei dieser Studie muss ich sagen, da ist es eindeutig. Also, die ist auch in einem nicht besonders guten Journal dann veröffentlicht worden. Und nur dieser eine Fakt, eine prospektive Studie ohne Kontrolle, nur Leute, die im Krankenhaus waren. Der einzige Hinweis auf diese Probleme war eine telefonische Befragung durch Studenten. Die sind ja nicht einmal einbestellt worden. Ein anderer Bias, vielleicht den einen auch noch, also eine andere Störung. Wenn ich Leute habe, die am Telefon befragt werden und diejenigen herausstreiche, die sagen, ich mache da nicht mit, dann habe ich natürlich immer die Leute am Telefon, die ein Problem haben und mir erzählen wollen. Das ist doch genauso wie die Feedback Formulare, was weiß ich, von der Lufthansa oder von der Bundesbahn. Die Leute, die alles gut fanden, die füllen sowas nicht aus. Das füllen immer nur die Leute aus, die ein Problem hatten und sich beschweren. Das weiß doch jeder. Und hier ist genau dieser Fehler gemacht worden, dass man hinterher erst angerufen hat. Und das eigentliche Protokoll, das war gar nicht so schlecht. Also, dieses ISARIC Protokoll sieht vor, dass man, wenn man im Krankenhaus ist, schon sein Einverständnis erklären muss, dass man bei dieser Studie mitmacht. Das können die aber Anfang April letzten Jahres noch gar nicht erklärt haben. Und es wird ja auch in der Studie geschildert, dass man die angerufen hat und wenn die dann nicht wollten oder nach einem dritten Anruf nicht erreichbar waren, hat man sie halt gestrichen. Dadurch kriegt man eine Auswahl von Leuten, die sagen: Ja, meinem Kind geht es nicht so gut. Und das Kind selber, selbst wenn es in Anführungszeichen „18 Jahre“ ist, wurde gar nicht gefragt.

46:18


Camillo Schumann


Und auch diese Studie werden wir verlinken in der Schriftversion dieses Podcasts, zu finden unter Audio & Radio auf mdr.de. Aktuell in der Diskussion zum Thema Kinder und Schule sind die Luftfilter und damit zu einem neuen Thema. Diese Luftfilter, die sollen nach den Ferien zum Konzept gehören und damit dann Schülerinnen und Schüler wieder normal zur Schule gehen können. Der Bund, der fördert ja seit kurzem den Einbau fester Luftfilteranlagen in Klassenräumen für Kinder bis zwölf, weil für sie noch keine Impfung möglich ist. Die bayerische Landesregierung zum Beispiel, die hat gerade rund 200 Millionen Euro für die Ausstattung von Klassenzimmern mit Luftreinigungsgeräten zur Verfügung gestellt, damit dann 60.000 Klassenzimmer und 50.000 Räume in Kindertagesstätten eben mit mobilen Luftreinigern versorgt werden können. Feste Luftfilter wären im Moment viel zu aufwendig. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat dazu Folgendes gesagt:

„Es ist eine der wirklich wichtigen Maßnahmen, das haben uns ja auch die Eltern und viele Experten gesagt, um die Aerosolbelastung zu verhindern und dann mit der Mischung von Maske, von impfen, von lüften, glaube ich, kommen wir ganz gut hin.“

Tja, die Frage ist ja, ob mobile Luftfilter einen wirksamen Beitrag zur Reduzierung der Aerosolbelastung und damit auch zur Verhinderung von Infektionen leisten können. Und Herr Söder sagt ja auch, dass die Luftfilter neben impfen und Masken ein Baustein sind. Die Frage ist jetzt: Wie wichtig ist dieser Baustein?


Alexander Kekulé

Na, die Frage ist, ob er überhaupt wirksam ist, das ist ja die grundsätzliche Frage. Wenn man fünf Bausteine hat und einer bringt überhaupt nichts, dann werden natürlich hinterher die Geschichtsschreiber dann immer sagen: Ja, mein Baustein hat irgendeinen Beitrag geleistet. Wir wissen aber nicht welchen. Das nenne ich immer so das schlaue Homöopathen-Argument. Also, in der Homöopathie ist ja, können Sie sich vorstellen, aus meiner Perspektive nicht belegt, dass irgendwas irgendeine Wirkung hat. Hoffentlich verlieren wir jetzt nicht die Hälfte unserer Hörer. Aber Homöopathie

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ist etwas, was keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hat. Trotzdem sagen Homöopathen zum Beispiel bei schwereren Erkrankungen immer: Ja, du hast jetzt zwar eine schwere Erkrankung, da musst du Antibiotika nehmen, das ist ganz klar. Das lernen die auch in der Ausbildung übrigens, dass sie dem dann zustimmen sollen. Aber es wäre gut, wenn du zusätzlich noch diese und jene Globuli nimmst, weil dann wirkt das Antibiotikum noch besser. Oder dann werden die Nebenwirkungen des Antibiotikums unterdrückt oder Ähnliches, sodass der sozusagen auch noch seine Mark damit macht und dann hinterher sagen kann: Schau mal, es hat so toll gewirkt, lag daran, dass du zusätzlich meine Globuli genommen hast. Also, da würde ich davor warnen quasi, dass diese Diskussion hinterher losgeht. Und darum würde ich mir wünschen, das haben wir hier schon mal vor langer Zeit besprochen: Ja, das mit den Luftfiltern, das ist vom Konzept her gut möglich, dass das was bringt. Das ist wirklich gut möglich, aber natürlich nur in bestimmten Settings. Das muss die richtige Filteranlage sein, das muss richtig aufgestellt sein, da müssen Probleme mit der Luftdurchwirbelung durch Menschen, die da durchgehen und Ähnliches berücksichtigt werden, die Wärmekonvektion, die eine Rolle spielt, und und und. Da gibt es ganz viele Dinge. Man weiß das aus dem Krankenhaus, wo man zum Beispiel versucht, sterile OPs zu machen. Da gibt es dicke Bücher darüber, wie man sowas macht. Und dort ist das auch genau untersucht worden. Und all diese Dinge sind ja nicht gemacht worden für die Klassenzimmer. Trotzdem sagt man jetzt: Wir stellen jetzt erstmal verschiedene Geräte da rein. Man weiß gar nicht, welche Technologie, ob das jetzt UV sein soll oder ein Hochleistungsschwebstofffilter oder sonst eine Möglichkeit. Also, ich bin wirklich dagegen, so einen Schrotschuss zu machen, der dann nur der Industrie, die diese Geräte herstellt, hilft, sondern ich glaube, man muss erstmal die Hausaufgaben machen und feststellen, welche Technologie bringt es? Welche Technologie vermeidet wirklich Infektionen und hält nicht nur Zigarettenrauch und künstlichen Nebel im Experiment zurück? Und wenn ich sehe, jawoll, da gibt es eine Infektionsvermeidung, wenn ich zehn Klassen gegen zehn andere getestet

habe, einmal mit und ohne Filter oder Ähnliches, dass die Inzidenz da anders ist, dann kann ich sagen: Okay, das empfehle ich allgemein.

50:27


Camillo Schumann


Das war eine ziemlich klare Positionierung zum Thema Luftfilter. Dass es auch unterschiedliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit gibt, das hat auch Bayerns Kultusminister Piazolo zugegeben und Folgendes gesagt:

„Wir wollen auch eine möglichst große Bandbreite an unterschiedlichen Technologien zulassen. Auch da ist einiges erweitert worden. Beim bisherigen Programm waren es die Hepa-Filter. Aber es gibt auch sinnvolle Plasma-Technologien oder auch UVC, also auch darüber werden wir die Details noch ausarbeiten. Und es hat aber auch immer, wie immer so bei Corona, es kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Die ersten waren ein bisschen kritischer in Bezug auf die Wirksamkeit. Das hat sich dann – gab mehrere Studien, ich erinnere nur an die Studie aus Neubiberg, die sehr positiv ist, was die mobilen Luftreinigungsgeräte anbetrifft.“

Tja, wie ist denn die Studienlage aktuell zum Thema Luftfilter und Viren?


Alexander Kekulé

Ja, man weiß, dass man mit dem Luftfilter Zigarettenrauch und Nebel abfangen kann, in einem komplett leeren Raum, wenn der Luftfilter sehr stark ist und das Ganze nicht gestört wird. Sie wissen überhaupt nicht, was mit Viren passiert. Bei Viren spielen eine große Rolle die Luftfeuchtigkeit und die Lufttemperatur. Die verändern sie natürlich durch solche Umweltaktionen – kommt ein bisschen darauf an, wie viel Frischluft unter Umständen dabei ist. Dadurch sind die Bedingungen für die Bildung dieser Infektionskeime, die ja dann die Infektion machen, unterschiedlich. Das ist überhaupt nicht erforscht. Also, null. Und wir haben von der Studienlage, das hat Herr Piazolo gerade angedeutet und ich höre aus beiden Politikerargumenten raus – man weiß ja, wie Politiker so sprechen und denken, die wissen schon, dass da eine Schwachstelle ist. Ja, und man hat das Gefühl, die wollen jetzt so ein bisschen, ja, die Lehrer schimpfen, die Eltern schimpfen,

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alle haben Angst. Jetzt wollen sie halt irgendwie etwas verteilen und nehmen letztlich wahrscheinlich in Kauf, dass es im schlimmsten Fall ein Placebo war. Aber ein Placebo ist ja auch eine gute Sache. Also, ich will jetzt nicht ausschließen, dass ich selber als total konservativer Mediziner das eine oder andere Mal einem Patienten homöopathische Medikamente verschrieben habe als Placebo, weil ich weiß, der Patient braucht das jetzt. Und wenn der Patient das braucht, sagt man, wer heilt, hat Recht in der Medizin. Wenn der dann wieder gesund wird durch die Kraft der Suggestion, dann ist auch gut, dann hat es auch keine Nebenwirkungen gehabt. Und ich habe das Gefühl, die Politiker denken ein bisschen in die Richtung, weil Herr Piazolo hat ja gerade gesagt, da gab es Studien, die dagegen waren und das sind nicht irgendwelche. Also, das Umweltbundesamt hat klipp und klar letztes Jahr gesagt: Fenster auf ist viel besser als diese Maschinen reinzustellen. Und alle, die sich intensiv auseinandergesetzt haben, haben letztlich gesagt: Es kommt auf die Technologie an, es kommt auf die Geräte an, man kann das nicht so pauschal sagen. Und wenn die jetzt alle möglichen Technologien zulassen, dann werden wir es nie wissen, weil wir es nicht ausprobieren.

53:25


Camillo Schumann


Entschuldigung, weil Sie gerade das Umweltbundesamt angesprochen haben: Heinz-Jörn Moriske, Geschäftsführer der Innenraumlufthygienekommission des Umweltbundesamtes, sowas gibt es dort, der hat gerade gesagt: Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren, wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind. Und er sagt nur, dass mobile Luftreiniger den Nachteil hätten, dass sie Viren herausfiltern oder mit UV-Licht deaktivieren, aber weder Kohlendioxid noch Schimmel oder Feuchtigkeit entfernen. Und in Kürze soll eine neue Stellungnahme zu mobilen Filtern veröffentlicht werden. Also, da regt sich was im Umweltbundesamt.


Alexander Kekulé

Ja, aber der virologische Aspekt ist der: Das eine ist, dass man im Test irgendwelche Viren

raus fängt, das kann ja sein. Aber das Praktische ist doch so: Sie haben so ein Klassenzimmer, da stellen Sie dann so eine Maschine rein. Wir haben vor einiger Zeit mal eine Studie hier besprochen, da wurde wirklich gezeigt, dass, wenn man das technisch richtig macht – damals noch mit künstlichem Nebel meine ich – dass man wirklich in der Lage ist, die Luft zumindest so auszutauschen, dass rein theoretisch, wenn jetzt nicht zu viele Menschen da rumlaufen, alle auf ihren Plätzen bleiben und so weiter, der vollständige Luftaustausch wenigstens gewährleistet wird. Aber die hatten in der damaligen Studie eben viermal so viel Gerätekapazität installiert wie eigentlich auf dem Beipackzettel der Geräte stand für ein Klassenzimmer. Und kein Wunder, dass das dann geht. Aber so wird das natürlich in einer Schulklasse nicht sein. Da wird nicht jedes Mal ein MaxPlanck-Institut anrücken, um zu messen, wie man das genau macht. Vielleicht sage ich was zu dieser Neubiberg-Studie, die da jetzt angeführt wurde: Die Studie hat mit einem Superhochleistungsgerät gearbeitet. Wirklich eins der teuersten, was es gibt, fast 5000 Euro kostet die Kiste. Hat das in einen Raum gestellt, an die optimale Position, der ungefähr Schulklassengröße hatte. Optimale Position war, glaube ich, ein Meter ungefähr weg von der Wand, genau in der Mitte vom Klassenzimmer. Jetzt weiß ich nicht, ob man das überall so hinstellen kann. Aber jetzt kommt es: Der Raum war leer, der war komplett leer. Es gibt Fotos davon in der Studie. Das ist ein leerer Experimentierraum. Und in diesem Raum hat man es tatsächlich mit diesem Gerät, was einen Hochleistungsschwebstofffilter hat – das sind diese Hepa-Filter, von denen Herr Piazola, glaube ich, gerade gesprochen hat. Das hat einen Luftdurchsatz von 2200 Kubikmeter pro Stunde. Also, das ist richtig mal ein Aggregat. Ja, das ist auch eine ziemlich große Kiste. Und jetzt fragt sich natürlich jeder: Was macht das Ding dann? Ja, ich habe mir erlaubt, mal nachzugucken, wie dieses Gerät, was da in Neuherberg – das war die Universität der Bundeswehr, die das dort gemacht hat, was da verwendet wurde – wie laut das ist. Das sind 64 Dezibel, was das Ding macht. 64 Dezibel. Und zwar in einem Meter Abstand. Das heißt, Sie müssen schon mal dafür sorgen, dass rund um das Gerät, was ja schon mal von der Wand ein bisschen weg

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steht, dann nochmal ein Meter Abstand ist. Und dann haben die, die daneben sitzen, 64 Dezibel. Nur für die, die das nicht so auf dem Plan haben. 40 Dezibel ist – das ist ja eine logarithmische Skala, diese Dezibel-Skala – 40 Dezibel ist die sogenannte Konzentrationsstörungsschwelle. Ganz wichtige Sache in der Schule. Ab 40 Dezibel wird die Konzentration gestört. 50 Dezibel entspricht ungefähr einer leisen Radiomusik. Das ist wahrscheinlich ungefähr die Lautstärke, mit der der typische Podcast-Hörer den Podcast jetzt gerade hört. (...) Dann ist es so: 55 Dezibel – das ist nur ein bisschen mehr, aber weil es eben eine logarithmische Skala ist, ist es ein erheblicher Unterschied – ist Zimmerlautstärke vom Fernseher. Also, da kann ich schon definitiv nicht mehr schlafen. 60 Dezibel ist ein normales Gespräch oder ein Rasenmäher in zehn Metern Entfernung. Und 65 Dezibel, das ist ungefähr das, was dieser Apparat dann produziert, wenn er auf vollen Touren ist. Da ist die Risikoschwelle für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei chronischem Schallpegel erreicht. Also, so ein Ding wollen die also in der Klasse aufstellen. Und dann sagt der Kultusminister, das sei eine optimistische Studie. Also, das Ding können Sie definitiv nicht in eine normale Schulklasse reinstellen. Und daher ist eben die Frage: Was macht man dann? Stellt man dann drei leisere Geräte rein, irgendetwas vielleicht von einem chinesischen Anbieter, was gerade im Angebot war und schnell geliefert werden konnte und billig ist? Und da geht es eben dann dahin, dass das ein totaler Wildwuchs wird, ganz abgesehen von der Frage, wer das aufstellt und ob das lieferbar ist und so weiter. Ich wäre dringend dafür gewesen, aber die Zeit läuft ja jetzt schon davon. Wir haben ja schon Anfang Juli. Ich wäre dringend dafür gewesen, eben vorher diese Tests zu machen, die Untersuchungen zu machen, zu sagen: Gibt es da eine Geräteklasse, die man wirklich empfehlen kann unter ganz bestimmten Bedingungen? Ist es vielleicht sogar ausreichend, nur – wie das ja auch die Mainzer mal ausprobiert haben da am Max-Planck-Institut – die Durchlüftung des Raums durch so einen Selbstbausatz irgendwie ein bisschen zu verbessern? Reicht das vielleicht schon? Ist das vielleicht besser oder nicht? Das muss man vorher ausprobieren und dann eine klare Empfehlung

machen. Und nicht „Feuer frei“, dass quasi jeder in den Baumarkt geht und sich irgendwie holt, was er gerade noch kriegen kann und das dann im Klassenzimmer aufstellt.

58:53


Camillo Schumann


Nochmal ganz kurz zurückgekommen auf die Studie, die Sie vorher angesprochen haben mit den vier Luftreinigern, mit den Hepa-Filtern. Da geben ja die Autoren der Studie noch eine Empfehlung und sagen: Die Versuche zeigen, dass Luftreiniger eine gut geeignete Maßnahme darstellen, um die Risiken von Übertragung von Sars-CoV-2 über die Luft erheblich zu verringern. Also, wenn ich jetzt auch politischer Verantwortlicher bin und mir überlege, welche Maßnahmen ich nehme und mir diese Studien durchlese, dann komme ich doch zu keinem anderen Schluss als zu sagen: Na gut, dann versuchen wir es mal als eine von vielen Maßnahmen.


Alexander Kekulé

Ja, aber die Frage ist halt, was man unter Versuch versteht. Für mich ist ein Versuch immer etwas, wo ich kontrollierte Bedingungen habe und ausprobiere, ob es klappt oder nicht. Also, wenn Sie einen Rasenmäher kaufen beim Baumarkt und wollen damit ihren Rasen mähen, dann versuchen Sie mal, ob Sie da in jede Ecke des Rasens hinkommen. Und wenn Sie dann merken, das Ding kommt irgendwie nicht nah genug an meine Rabatten ran oder an der Hauswand bleibt immer was stehen und so weiter. Dann merken Sie halt, dieser Rasenmäher ist für das, was ich hier machen will, ungeeignet.

59:56


Camillo Schumann


Da nehme ich einen Kantenschneider, weil ich will ja eigentlich nur eine große Wiese mähen.


Alexander Kekulé

Genau, nehmen Sie. Ja, aber da nehmen Sie ein anderes Gerät. Und es ist eben einfach so, hier ist das Beispiel vielleicht gar nicht so völlig abwegig: Hier kommt es halt darauf an. Es kann ja auch sein, dass durch so eine Luftverwirbelung, dass die Schwebstoffe, die da eine Rolle spielen bei der Infektion, dass die dann durch falsche Aufstellung, falsches Gerät, un-

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günstige Bedingungen, Temperatur und Luftfeuchte etc., dass die vielleicht sogar länger in der Luft schweben, als sie normalerweise würden, weil die würden ja normalerweise sich irgendwann absenken. Hinzu kommt dann, dass man schon davon ausgehen muss, dass, wenn so ein Ding dasteht, dass sich dann natürlich alle irgendwie sicherer fühlen. Also, Maske ab. Und dann ist die Frage, ob die Kombination – falsche Sicherheit, möglicherweise Schwebstoffe länger in der Luft – ob das insgesamt dann dazu führt, dass das Risiko im Klassenzimmer reduziert wird oder nicht. Und das muss man meines Erachtens vorher versuchen. Das muss man vorher ausprobieren. Und ja klar, die Studie damals haben wir ja besprochen, das war eine optimistische, das war richtig. Ja, es ist durchaus möglich, dass man auf diese Weise einen zusätzlichen Effekt erzielt. Aber ich würde dafür plädieren, sozusagen nicht Wildwuchs zu erlauben, sondern wirklich konkrete Spezifikation anzugeben, wie das zu machen ist. Das machen wir doch an jeder Ecke. Ja, es gibt doch für jeden Quatsch gibt es doch irgendwelche TÜV-Stempel und sonst was. Und gerade, wenn der Staat was zahlt, hat der immer Kriterien, unter welchen Bedingungen das getestet sein muss. Und ich glaube, bei dieser wichtigen Frage sollte man da keinen Wildwuchs schüren und düngen, sondern da sollte man einfach ganz konkret ausprobieren: In welchen Bedingungen bringt das was? Und die dann genehmigen und auch dafür sorgen, dass die Schulen natürlich entsprechende Beratung an die Seite bekommen. Das ist ja lüftungstechnisch nicht ganz einfach, je nachdem, wo die Fenster sind, wo die Türen sind, wer sich durch den Raum bewegt und solche Dinge. Ich glaube, das sind schon Sachen, ich weiß nicht, ob das jetzt jeder Lehrer kann.

01:01:59


Camillo Schumann


Also, Sie wären jetzt auch dagegen, zu sagen: Hier habt ihr, jeder Lehrer, habt ihr tausend Euro, geht mal in den Baumarkt und holt euch mal so ein Teil?


Alexander Kekulé

Da wäre ich dagegen, ja. Und ich meine, da haben wir in Deutschland auch wirklich genug Kapazitäten. Das Umweltbundesamt ist ja eben auch dran, das konkreter auszuprobieren. Was

man natürlich nicht machen kann, ist, jetzt einfach ein paar Viren im Klassenzimmer versprühen und gucken, wie viele sich anstecken. Das ist klar. Das testet man letztlich so ähnlich wie einen Impfstoff. Ja, man muss eine Kontrollgruppe haben und meines Wissens sind solche Anlagen in vielen Klassenzimmern ja schon vorhanden. Wir haben ja bundesweit ganz viele Klassen, die sich sowas schon aufgestellt haben. Zum Teil haben die Eltern verzweifelt selber gesammelt, damit so ein Gerät aufgestellt wird. Und wenn man jetzt die, wo solche Geräte stehen – wenn die Infektionszahlen höher sind als sie es jetzt sind, das hätte man halt am besten damals machen müssen, als wir zum ersten Mal darüber gesprochen haben – wenn man eine hohe Infektionszahl hat und dann sagt: Okay, in den Klassenzimmern, wo diese Geräte standen, da gab es wirklich weniger Infektionen. Dann ist das ein Grund. Vielleicht noch ein ganz ketzerisches Argument hinterher: Wir wissen ja eigentlich aus den meisten Untersuchungen, dass wahrscheinlich das Klassenzimmer selber gar nicht der Grund ist, warum bei Schulöffnungen die Infektionszahlen überall hochgehen, sondern die Kontakte außerhalb der Schule. Und da ist natürlich dann die Frage: Ja, und dann mache ich die Schulen auf, weil ich denke, da ist alles sicher und mache vielleicht keine Schnelltests mehr, sodass ich also Ausbrüche nicht mehr erkenne und verlasse mich dann auf so einen Ventilator, der irgendwo in der Ecke steht. Also, ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich glaube, man muss das einfach ein bisschen, sage ich mal, wissenschaftlich fundierter machen. Und ich glaube, das können wir auch. Und dazu würde ich appellieren, dass man da ein gutes Konzept hat. Und vielleicht ist es am Schluss wirklich so, dass wir da tatsächlich diesen einen Puzzlestein haben, mit dem wir die Sicherheit ein bisschen erhöhen können.

01:03:50


Camillo Schumann


Und Max-Planck-Forscher, die haben ja auch eine günstige Alternative zu den Luftfiltern entwickelt. Einen Link dazu – können wir jetzt nicht auch noch darüber sprechen, wir müssen noch ein anderes Thema besprechen – einen Link dazu und alle Studien, über die wir jetzt gesprochen haben, unter anderem die Studie aus Neubiberg, werden wir natürlich in der

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Schriftversion dieses Podcasts verlinken. Damit Herr Kekulé, kommen wir zum letzten Thema. Wir müssen noch darüber sprechen, weil es einfach so positiv ist. Gute Nachrichten von der Medikamentenfront: Die Weltgesundheitsorganisation hat zwei weitere Entzündungshemmer in die Medikamentenpalette zur Behandlung von Covid-19 aufgenommen. Tocilizumab und Sarilumab – habe ich das jetzt richtig ausgesprochen eigentlich?


Alexander Kekulé

Ja. Sie sind nicht der Einzige, der damit schwierigkeiten hat.


Camillo Schumann


Okay, Gott sei Dank.


Alexander Kekulé

„mAb“ am Schluss heißt immer monoclonal antibody, das sind also monoklonale Antikörper. Und das davor – ich weiß auch nicht, warum die Wörter immer so kompliziert sind.

01:04:43


Camillo Schumann


Auf jeden Fall sagt die Weltgesundheitsorganisation, diese eigentlich für rheumatische Gelenksentzündungen entwickelten Medikamente seien für schwerkranke Corona-Patienten lebensrettend. Können Sie mal vielleicht ganz kurz noch die Wirkungsweise dieser Medikamente kurz erklären?


Alexander Kekulé

Ja. Das sind Interleukin-6-Inhibitoren. Wir haben, glaube ich, über das Sarilumab – Kefzara heißt das ausführlich gesprochen – das waren von Anfang an heiße Kandidaten. Bekannt ist ja, dass man mit Kortison die überschießende Immunreaktion bei der Covid-Erkrankung dämpfen kann. Die Kortisonpräparate waren ja das erste wirklich sehr gut wirksame Mittel, oder zumindest gut wirksame Mittel, um Todesfälle zu verhindern und schwere Verläufe zu behandeln. Das ist heute Standard. Und die werden eben ehrlich gesagt an Universitätskliniken schon länger kombiniert mit diesen Interleukin-6-Inhibitoren. Das sind Substanzen, die eben dieses Interleukin-6 – das ist so ein Signalstoff, mit dem die weißen Blutzellen untereinander Signale weitergeben und die Entzündungsreaktion quasi anfachen – die werden dadurch gebremst. Also, die werden inhibiert

unterbrochen, quasi die Signalkette wird unterbrochen. Und das ist deshalb wichtig, weil das Interleukin-6 bei dieser überschießenden Immunreaktion – bei diesem Zytokinsturm, wie man da auch dazu sagt – das macht da so eine Rückkopplung. Also, das ist quasi wie so ein Rückkopplungspfeifen, wenn ein Mikrofon und ein Lautsprecher im gleichen Raum sind. Das schaukelt sich gegenseitig hoch und das kann man eben unterbrechen, diese Rückkopplung, indem man das Interleukin-6 abschaltet. Deshalb sind es gute Medikamente, das wissen wir schon länger. Da gab es diese Recovery-Studie im Vereinigten Königreich. Die hat im Februar schon mal gezeigt, dass das Tocilizumab quasi wirklich sehr, sehr gut wirkt im Sinne von Vermeidung von Todesfällen und schweren Verläufen. Und das Sarilumab, das Kefzara, da ist es ganz ähnlich, das war auch zu erwarten. Und die Weltgesundheitsorganisation hat jetzt die richtige Konsequenz gezogen. Nachdem so viele Studien gezeigt haben, dass das wirklich funktioniert, haben sie gesagt: Jawohl, wir empfehlen das jetzt, das ist jetzt bei uns quasi auf der Liste der von der WHO wiederum zugelassenen, empfohlenen Medikamente zur Therapie.

01:06:58


Camillo Schumann


Die Frage ist natürlich, das klingt ja wirklich sehr, sehr gut. Und dann wird das natürlich sich auch auf die Sterblichkeit auswirken, wenn es in ausreichendem Maß vorhanden ist und einigermaßen bezahlbar ist. Was kann man denn dazu sagen?


Alexander Kekulé

Ja, das ist das Problem. Sie können die Todesrate um 13 Prozent senken. Und das ist schon mal super. Und bei solchen, die beatmet werden, sogar um 28 Prozent. Aber: Sie müssen das Zeug natürlich bekommen und bezahlen. Eine Dosis von dem amerikanisch zugelassenen Tocilizumab – dort heißt es Actemra – kostet ungefähr 500 Dollar. Eine Dosis, ein so ein Fläschchen. Und das andere, Kefzara, das kriegen Sie so zum Schleuderpreis von sechs Ampullen für 4200 Euro in der Größenordnung. Das heißt, es ist wahnsinnig teuer das Zeug, das liegt an der Herstellung. Und deshalb ist völlig klar – ich meine, die Weltgesundheitsor-

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ganisation kümmert sich ja nicht im Wesentlichen um Länder wie Deutschland oder die USA, wo diese Medikamente sowieso verfügbar sind, sondern die kümmert sich eigentlich um die Armen dieser Welt, die sowas nicht haben. Und das ist tragisch. Die sagen jetzt: Ja, wir lassen das zu. Aber wissen natürlich ganz genauso – das hat Ghebreyesus, der WHO-Generalsekretär, in dem Zusammenhang ja auch gesagt – wir wissen genau: Das Zeug ist in den armen Ländern gar nicht verfügbar und überhaupt nicht bezahlbar. Und hat das deshalb mit einem Aufruf verbunden, die Hersteller mögen doch bitte auf ihre Exklusivitätsrechte verzichten, also quasi auf die Patentrechte verzichten und hat zusätzlich dazu aufgerufen, dass man ein sogenanntes prequalification Verfahren macht. Das wird bei der WHO gemacht, wenn bestimmte Substanzen quasi zum Einsatz in Entwicklungsländern in großer Menge gebraucht werden, dann kann man quasi als Hersteller sich da listen lassen bei der WHO. Da muss man das besonders billig abgeben in großer Menge, dass das quasi dorthin geschickt wird. Das ist aber echt ein frommer Wunsch, dass die Hersteller – also, Genentech ist der Hersteller in USA von dem Actemra zum Beispiel – dass die jetzt sagen: Okay, unsere Riesenentwicklungskosten, auf die verzichten wir jetzt und wir geben das jetzt für einen Appel und ein Ei raus oder sogar verzichten auf die Patente. Also, das kann man mal so sagen als Appell. Aber das ist schon ein sehr, sehr frommer Wunsch. Das wird nicht passieren. Und rein technisch gesehen ist das auch gar nicht in so großer Menge herstellbar, so ein monoklonaler Antikörper. Und deshalb ist es einfach so: Durch diese Zulassung der WHO ändert sich für die Länder, die jetzt diese Rieseninzidenzen haben, überhaupt nichts.

1:09:38


Camillo Schumann


Hätte ich mal nicht gefragt. Na ja, gut.


Alexander Kekulé

Tut mir leid. Sie wollten eine gute Nachricht zum Schluss machen. Ich ahne es immer. Also, für uns ist es gut. Wir haben das Zeug, aber wir wussten auch schon vorher, dass es wirkt. Das weiß heute jeder Intensivmediziner, der sich mit Covid beschäftigt.

01:09:53


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Herr S. fragt Folgendes:

„Und zwar hört man immer wieder, dass eine Virusvariante die andere verdrängt. Was heißt das für den Laien? Bekämpfte das eine Virus das andere? Also, eine Variante die andere? Und was wäre, wenn es die neue Variante nicht gegeben hätte? Wäre dann die alte von alleine verschwunden?“


Alexander Kekulé

Gute Frage, ja. Also, das ist im Mikrokosmos so ähnlich. Also, abgesehen von den Viren ist es so, dass sich diese Mikroorganismen tatsächlich richtig bekämpfen. Also, Bakterien zum Beispiel. Die vergiften sich gegenseitig, die bohren sich gegenseitig die Zellmembran an, damit der Saft rausläuft und so, die sind echt gemein zueinander. Auch Bakterien und Pilze untereinander machen das mindestens so brutal wie Raubtiere im großen Bereich. Nur die Viren, die können das alles nicht. Die sind ja so halbtot. Und deshalb ist hier der Effekt, warum Viren sich verdrängen, einzig und allein die Auseinandersetzung mit dem Wirt. Also, wer sich schneller vermehrt oder das Immunsystem überlisten kann, ist quasi immer der Sieger. Es ist also eigentlich mehr so eine Art Wettrennen und nicht so ein richtiges Gemetzel auf einem Schlachtfeld. Und dieses Wettrennen zwischen den Viren heißt: Wenn kein Konkurrent da ist, dann wäre das alte Virus geblieben. Ja, natürlich wäre das alte einfach da stattdessen und würde sich halt vielleicht einen Ticken langsamer vermehren und wäre natürlich besser bekämpfbar durch Impfstoffe als jetzt die Delta-Variante. Und das ist aber letztlich ein Wettrennen. Ich würde es eher immer mit einem Wettrennen vergleichen. Und die machen sich eben, wie gesagt, nicht gegenseitig kaputt, sondern derjenige, der quasi am besten sich anpasst an den neuen Wirt – das Virus kommt ja ursprünglich mal von Fledermäusen, passt sich zurzeit gerade an den Menschen an, arrangiert sich mit uns auch in gewisser Weise. Und der, der das am besten kann, der ist derjenige, der ist dann die Variante, die sich durchsetzt.

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01:11:50


Camillo Schumann


Und wäre sie alleine verschwunden?


Alexander Kekulé

Nein, auf keinen Fall. Die wäre dann ein bisschen langsamer, aber wäre natürlich auch dageblieben. Man kann ein bisschen spekulieren. Die Frage ist deshalb ganz interessant, weil man kann überlegen: Wie wäre das eigentlich gewesen mit der ursprünglichen Variante aus Wuhan? Da wissen wir, dass die Reproduktionszahl eher im Bereich von zwei bis drei lag – jetzt ist sie ja doppelt so hoch. Und da wissen wir auch, dass die Chinesen doch erstaunlich schnell das alles in den Griff bekommen haben. Da haben wir immer gesagt: Ja, die haben halt so einen totalitären, superautoritären Staat. Was die können, das können wir nicht. Aber es kann durchaus auch sein, dass das Virus damals noch nicht so kompetent war wie jetzt. Und es hat eigentlich so die erste Metamorphose durchgemacht, quasi die erste Verpuppung und Metamorphose hat es gemacht in Norditalien. Es ist fraglich, ob der Typ, der vor Norditalien da war, also der Original Wuhan Typ, der B-Typ, ob der sozusagen fit genug gewesen wäre, um eine echte Pandemie wie jetzt auszulösen. Aber dann hat sich in Norditalien eben mal, wenn ich richtig hingeguckt habe, B.1 entwickelt. Und das ist ja jetzt der weltweit dominante Typ, der jetzt im Moment dann abgelöst wird von Untervarianten des B.1. Also, wenn wir B.1.1.7 haben aus England zum Beispiel, ist das ja eine Untervariante davon. Und Delta ist auch eine weitere Untervariante vom B.1-Typ. Und man könnte fragen, ob ganz am Anfang möglicherweise das Virus von selber verschwunden wäre. Ja, wir haben tatsächlich solche Beispiele, das ist ganz interessant. Würde jetzt sehr weit führen, aber ich sage mal nur ganz kurz: Wir wissen, dass es einzelne Fälle von dem ursprünglichen Wuhan-Typ gab, zum Beispiel in Frankreich, lange bevor in Wuhan das bekannt wurde. Und auch in den USA gibt es so ganz frühe Ausbrüche, die man jetzt festgestellt hat, die von selber wieder verschwunden sind. Also, das war quasi so ein kleines Schwelfeuer, so ein kleiner Schwelbrand, der von selber wieder ausgegangen ist, weil es nicht genug Power hatte, um eine richtige pandemische Welle zu machen. Und deshalb kann es schon sein, dass ganz am Anfang

so einer Entwicklung der erste Virustyp irgendwann steckenbleibt, weil er noch nicht fit genug ist. Aber das jetzige Virus, das Delta und auch das Alpha vorher, auch diese G-Variante aus Norditalien, da war es schon ausgeschlossen, dass die sozusagen im Sande versickern, sondern es war klar, dass die pandemisches Potenzial haben.

01:14:11


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 205. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Samstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch was wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 06. Juli 2021 #204


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links

Bericht: Impfung weniger effektiv seit DeltaVariante (05.07.2021) Daten aus Israel: Impfung weniger effektiv seit Delta-Variante | tagesschau.de

Epidemiologisches Bulletin Robert Koch Institut Nr. 27. (08.07.2021) Epidemiologisches Bulletin 27/2021 (rki.de)

Studie: Ein Schuss gegen die Delta-Variante? (01.07.2021) https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.07.01.450707v1.full.pdf

Studie: Novavax legt abschließende COVID-19 Studiendaten für NVX-CoV2372 vor (30.06.2021) https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2107659?query=featured_home

Dienstag, 6. Juli 2021

Wirksamkeit der BioNTech-Impfung wegen der Delta-Variante nur noch bei 64 %? Grund zur Sorge?

Die Ständige Impfkommission hat die Empfehlung für AstraZeneca-Erstgeimpfte geändert. Auch Menschen über 60 sollen nun mit einem mRNA Impfstoff geboostert werden. Und was ist mit den bereits doppelt geimpften?

Außerdem keine Testpflicht mehr an den Schulen. Kalkulierbares Risiko?

Dann: Wie wirkungsvoll ist der EinmalImpfstoff von Johnson&Johnson gegen die Delta-Variante?

Außerdem: Abschließende Daten zum Protein-Impfstoff von Novavax. Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?

Und: Fast die Hälfte aller britischen DeltaTodesfälle waren bereits doppelt geimpft. Wie kann das sein?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Carmelo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Zu Beginn der Sendung wollen wir der Pandemie in Deutschland wieder den Puls fühlen? Schauen wir uns zuallererst mal die Todeszahlen an. Am Dienstag vor vier Wochen mussten wir 93 Menschen beklagen, die an oder mit Covid-19 gestorben sind. Die Woche drauf wurden am Dienstag 77 gemeldet, dann 57, und heute wurden 33 neue Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet. Ein ziemlich deutlicher Trend. Wie bewerten Sie den?


Alexander Kekulé

Es ist tatsächlich so. Ich glaube, man kann sich jetzt schon da optimistisch zeigen, dass die Sterblichkeit einfach entkoppelt ist jetzt von der Fallzahl. Und die Fallzahl ist ja sowieso sehr niedrig. D.h. also die Frage, die wir immer gestellt haben – werden die Todesfälle wirklich deutlich runter gehen – das kann man jetzt bejahen. So eine Zahl wie jetzt aktuell etwa

30 am Tag, das ist eigentlich... Wenn das jetzt keine Covid-Toten wären, dann würden wir ja gar nicht drüber reden. Also das ist im Grunde genommen eine Größenordnung, über die wir nur sprechen, weil es jetzt Covid-Tote sind. Das

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ist ja auch richtig. Aber wir sind vom Ergebnis in einer perfekten Situation. Genauso wie wir bis jetzt das Bestreben hatten, dahin zu kommen – und meines Erachtens schneller hingekommen sind, als wir es eigentlich uns erträumt haben – muss man jetzt versuchen, diesen Zustand zu halten. Das wird jetzt die Hauptaufgabe sein. Eigentlich fast die schwierigere Übung. Dass es nicht wieder zurückfällt.


Camillo Schumann


Weil Sie gerade gesagt haben, bei 30 Todesfällen würde man so gar nicht drüber reden, weil es aber Covid-Fälle sind... Nun mal so eine Zahl in den Raum geworfen: So zwischen 2.000 und 3.000 Menschen sterben in Deutschland jeden Tag. Um das mal so ins Verhältnis zu setzen. Kurz noch die Infektionszahlen, die steigen wieder leicht an. 440 wurden heute innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Neuinfektionen vor einer Woche waren es um die 400, also ein leichtes Plus. Und die 7-Tage-Inzidenz pendelt so um die 5. Ja, das ist sozusagen so ein Status quo, der sich hält.


Alexander Kekulé

Ja, das ist wahrscheinlich der Nadir, also so der Tiefpunkt dieser Kurve. Rein theoretisch kann die Kurve nicht auf Null gehen. Also wenn jetzt die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland null wäre, dann würde ich sagen, da stimmt was an der Zahl nicht. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass das sozusagen das maximal erreichbare ist. Das ist sowieso tiefer, als ich persönlich gedacht hätte. Und der Nachteil ist: Wenn man sozusagen ein Optimum erreicht hat, dann kann es nur schlechter werden von dort aus.


Camillo Schumann


Wie stark das Virus aktuell in der Bevölkerung verbreitet ist, zirkuliert, das gibt ja auch immer die Positivenquote sehr gut her. In der 25. Kalenderwoche, also vor zwei Wochen, lag die bei 0,96 % bei rund 700.000 PCR-Tests. Neun Wochen vorher lag die Positivenquote bei über 12 %, bei rund 1,4 Millionen PCR-Tests.

Was sagt uns das?


Alexander Kekulé

Ja, also die Positivenquote würde ich jetzt im Moment nicht so linear quasi auswerten. Ja, eine niedrige Positivenquote ist natürlich immer ein gutes Zeichen. Man muss aber auch sagen, dass die Antigen-Schnelltests ja massiv wieder abgenommen haben. Die sind ja zum großen Teil nicht mehr vorgeschrieben. Auch freiwillig werden sie oft nicht mehr gemacht. Selbst wenn die preiswert sind, muss man sie auch bezahlen. Viele halten auch die Krankheit, [...] die Pandemie jetzt einfach für überwunden und haben da ein entspannteres Verhältnis, dass sie sich deshalb nicht mehr so oft testen. Und dadurch, dass man jetzt weniger AntigenTests hat, ist natürlich dann der Anteil der PCRs, die gemacht werden zur Bestätigung von Antigen-Tests geringer. Und dadurch ist die Positivenquote geringer. Das ist klar, dass sie eine hohe Positivenquote haben, wenn einfach viele, die im Schnelltest positiv waren, die PCR nur machen, um das zu bestätigen.


Camillo Schumann


Oder wenn man gezielt danach schaut und es nicht sozusagen auf freiwilliger Basis hat, um jetzt z.B. zum Friseur zu gehen.


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau der Punkt. Da ändert sich einfach die Indikation. Wenn Sie mal aus diesem, mal aus jenem Grund testen... In der einen Woche ändern sich die Regelungen im Gegensatz zur nächsten. Dann können Sie die Positivenquote nicht direkt vergleichen. Aber trotzdem kann man sagen, dass sie so niedrig ist, ist natürlich hervorragend. Das ist übrigens weltweit so. Also in Israel ist die Positivenrate gerade bei 0,7 %, in New York ist angeblich die Positivenrate sogar unter 0,5 %. Die ist gerade ganz leicht angestiegen, was dort schon zu Nervosität führt. Aber wir haben im Moment eigentlich eine Situation... Das Virus ist auf dem Rückmarsch und zugleich ist aber auch mein Eindruck, dass einfach weniger getestet wird, weil man auch durch die zunehmenden Impfungen insgesamt so die Tendenz hat, diese Krankheit nicht mehr so ernst zu nehmen.

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05:55


Camillo Schumann


Eine Meldung bestimmt aktuell die Schlagzeilen und darüber müssen wir unbedingt sprechen. Es sind nämlich Aussagen des israelischen Gesundheitsministeriums. Und laut deren Daten hat die Wirksamkeit der BioNTech/Pfizer-Impfung gegen das Coronavirus in den vergangenen Wochen deutlich nachgelassen. Stichwort Delta-Variante. Die Wirksamkeit der Impfung bei der Verhinderung einer Infektion sei von 95 auf 64 % gesunken. Dies sei auch bei der Verhinderung einer Erkrankung mit Symptomen der Fall. Allerdings wehre die Impfung zu 93 % eine schwere Erkrankung und Krankenhausaufenthalte ab. Jetzt gibt es diese Studie noch nicht, um da selber mal reinzuschauen. Wie bewerten Sie das, was man da so lesen kann? Ist das jetzt ein Grund zur Beunruhigung?


Alexander Kekulé

Ja, das ist von den Daten, die wir bisher gehört haben über die Wirksamkeit der des BiontechImpfstoffs bei der Delta-Variante ... Da ist es sozusagen in dem weiten Spektrum von Zahlen, die man da gehört hat, bis jetzt die schlechteste. Also 64 % Wirksamkeit für BioNTech sozusagen unter Echtwelt-Bedingungen? Das ist schon mies, das war ja eben vorher bei 94 %. Und das ist natürlich nicht gut. Es gibt aber zugleich veröffentlicht, also nicht veröffentlicht, aber zugleich bekanntgegeben, eine Studie der Hebrew University, der Hebräischen Universität in Jerusalem. Die haben 60-80 % angegeben. Also die sagen 60-80 % ist die Wirksamkeit des BioNTech-Impfstoffs für die Delta-Variante, gegen die Delta-Variante. Dem steht jetzt gegenüber diese Bekanntgabe der Regierung: 64 %. Ich habe versucht, die Studie zu finden oder die Originaldaten zu finden. Die sind wohl nicht da, das ist ja veröffentlicht worden von einer Nachrichtenagentur in Jerusalem im Internet zunächst und dann von allen aufgegriffen worden. Jetzt der große Aufreger weltweit. Die Financial Times hat es wohl [geschafft; Anm. d. Red.], jemanden zu erreichen dort sowohl im Ministerium als auch an den

Universitäten, die beteiligt waren. Und die sagen: Alle die Daten sind vorläufig. Man sollte es nicht überinterpretieren. Und [sie] versuchen so ein bisschen, sage ich, jetzt diese weltweite Aufregung einzufangen. Aber unterm Strich ist es so: Es ist ja völlig klar, wenn Sie die DeltaVariante haben und die Wirksamkeit eines Impfstoffs dagegen testen ... Auch wenn der vorher sehr, sehr gut war, dann ist er natürlich bei der Variante nicht mehr ... kann er nicht mehr die Zahlen liefern wie vorher.

Und noch mal zur Erinnerung: Diese ca. 95 % Vaccine Efficiency, Wirksamkeit des Impfstoffs, [wird ja immer] gegenüber symptomatischen Erkrankungen gerechnet. Das waren ja die Zahlen von Moderna und BioNTech. Da war ja noch nicht einmal die Alpha-Variante im Umlauf, also nicht einmal die britische. D.h. diese Zahlen sind im Grunde genommen Vergangenheit sowieso aus der heutigen Lage, sondern wir müssen damit rechnen, dass die Impfstoffe ja, wenn man optimistisch ist, irgendwo bei 80-85 % liegen. Und wenn man sehr pessimistisch ist, dann eben diese 64 %.

Vielleicht noch mal zur Erinnerung: Im Mai haben wir ja auch hier besprochen von Public Health England, also von diesen englischen Gesundheitsbehörden. Die haben das ja sehr, sehr genau verfolgt. Und da war es ja so, dass bei deren Untersuchung gegen die Delta-Variante die Wirksamkeit für den BioNTech-Impfstoff bei 88 % lag im Vergleich zu 93 % in dieser Studie dort für die ursprüngliche, davorliegende Alpha-Variante. Da war es sozusagen von 95 auf 93 zurückgegangen durch den Übergang auf Alpha, also diese britische [Variante] B.1.1.7, dann noch mal runter auf 88 % für BioNTech bei der Studie, die im Mai vom Public Health England vorgelegt wurde. Da kann man sich jetzt quasi aussuchen, was man will. AstraZeneca, nur noch mal zum Vergleich, war damals bei 66 % für Delta. Das haben wir da als ziemlich schlecht angesehen. Jetzt sagt Israel: Bei uns ist aber BioNTech 66 %. Mit Astrazeneca haben die dort natürlich nicht geimpft. Da möchte ich gar nicht wissen, was dort rauskäme, wenn man den zum Vergleich hätte. Aber irgendwo, sage ich mal, zwei Drittel

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werden gegen die symptomatische Infektion auf jeden Fall geschützt, möglicherweise ein bisschen mehr, falls diese Daten zu pessimistisch waren.

10:14


Camillo Schumann


Weil Sie es gerade angesprochen haben: Sie möchten sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn mit Astra geimpft worden wäre. Gibt es denn Daten dazu?


Alexander Kekulé

Nein, überhaupt nicht. Also das ist... Letztlich ist Astra aus dem Rennen. Also in den Industrieländern, in den Ländern, die es sich leisten können, ist es komplett aus dem Rennen. Der Astrazeneca-Impfstoff spielt eine Rolle natürlich in Indien, weil man dort sehr viel auf diese Karte gesetzt hat und das Serum Institute of India halt hauptsächlich diesen Impfstoff produziert. Auch jetzt aktuell weiterhin nur für Indien. Die haben ja die Exporte gestoppt. Und es war ja die große Hoffnung für die ganzen weniger entwickelten Länder. Das ist völlig klar. Die armen Länder haben auf diesen Impfstoff aus verschiedenen Gründen gehofft. Aber die, die es sich leisten können, die haben dem mehr oder minder lautstark den Rücken gekehrt. Natürlich hat da keiner gesagt: Der Impfstoff ist schlecht, deshalb nehmen wir den nicht mehr. Aber selbst Großbritannien bestellt kein AstraZeneca mehr. Die EU hat ihre Bestellungen gestoppt, Kanada hat den vorhandenen Impfstoff nicht mehr ausgeliefert usw. In Singapur wird er nicht mehr verwendet. Es gibt quasi keine Anwendung mehr für den Astrazeneca-Impfstoff. Das ist einfach so. Ja, das ... kann man jetzt traurig finden. Aber wir haben ja immer in der Technologie immer das gleiche. Und von meiner Seite war das von Anfang an eigentlich so angelegt. Ja, wir haben ein Rennen gestartet unter mehreren Herstellern. Alle haben sehr viel Geld bekommen. Alle haben Unterstützung bekommen, weil man gesagt hat, wir brauchen möglichst schnell möglichst guten Impfstoff. Aber wenn man dann sozusagen einen Gewinner hat und sagt, da ist ganz klar, dass die eine Technologie hier die

andere quasi überholt hat aus verschiedenen Gründen, dann finde ich, ist auch gut damit. Dann muss man nicht weiter diese VektorImpfstoffe vorantreiben, zumindest den AstraZeneca-Impstoff nicht.


Camillo Schumann


Und über einen Spätzünder werden wir dann im Verlauf der Sendung noch einmal sprechen. Aber um das noch mal ganz kurz zu versachlichen, weil ja viele Menschen diese Überschrift lesen: 64 % Wirksamkeit und wesentlich schlechter, das wird ja dann auch noch mit bewertet in der Überschrift. Und dann bekommen die Menschen natürlich Angst. Und diese Angst müssen wir den Hörerinnen und Hörern, glaube ich, auch ein bisschen nehmen. Weil worüber reden wir eigentlich? Wir reden ja schon über eine Immunität, die da ist. Und wir reden auch darüber, dass schwere Verläufe und Krankenhausaufenthalte trotzdem ja verhindert werden.


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau der Punkt. Also man bestimmt ja diese klassische Impfstoff-Wirksamkeit, die in den Zulassungsstudien verwendet wird. Im Englischen sagt man da Vaccine Efficiency dazu. Diese Impfstoff-Wirksamkeit ist immer definiert für die symptomatische Infektion. D.h. jemand, der sagt oh, ich habe jetzt Kopfschmerzen, mir geht es schlecht, und der dann Covid bekommt, obwohl er geimpft wurde, der ist quasi dann in dieser Definition einer, wo das nicht gewirkt hat. Es gibt aber quasi dann immer eine größere Zahl von Personen, die geimpft sind, aber trotzdem infiziert werden. Die asymptomatisch infiziert werden. Das ist immer größer. Also bezüglich der Infektion ist die Wirksamkeit sowieso immer schlechter als bezüglich der symptomatischen Infektion. Und dann in die andere Richtung ist es so, dass man meistens noch mal guckt, wie ist es mit der Wirksamkeit gegenüber schweren Verläufen? Wie ist es mit der Wirksamkeit gegenüber Krankenhauseinweisungen? Das wird häufig gleichgesetzt mit den schweren Verläufen. Und wie ist es mit der Wirksamkeit gegenüber To-

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desfällen? Und da ist es so, dass eben Impfstoffe, die bei 95 % Wirksamkeit ganz allgemein liegen, dann irgendwo bei 100 % liegen für die Todesfälle typischerweise also. Das wäre dann zu erwarten. Also das ist immer deutlich höher. Und hier, wo wir es mit einer Situation zu tun haben, dass diese Delta-Variante kommt, das ist ja nur eine veränderte Form des ursprünglichen Virus. Und da ist das eine, was passiert, dass der Impfstoff nicht so perfekt greift. Aber parallel ist es natürlich so, dass das Immunsystem sich ja auch selbst ein bisschen zu wehren weiß. Und dadurch, dass jetzt, wenn jetzt Delta kommt zu jemandem, der zwar einen nicht vollständigen Immunschutz hat, aber doch einen gewissen Immunschutz, eben diese 66 % oder über 80 % durch die Impfung, dann hat das Immunsystem eine wesentlich bessere Ausgangssituation, weil einfach durch die Impfung schon mal Antikörper und Zellen vorhanden sind. Die eine erste Abwehr bilden können, die verhindern können, dass ganz am Anfang in der Infektion es zu überschießender Virusproduktion kommt. [Die verhindern,] dass das Virus z.B. es schafft, von den Schleimhäuten ganz am Anfang gleich übers Blut in irgendwelche inneren Organe weiterzukommen. Das wird ja auch verhindert, wenn man noch keinen Komplettschutz hat. Und dann legt dann das normale eigene Immunsystem natürlich los, so wie es immer loslegt, wenn eine Virusinfektion vorhanden ist. Und deshalb ist es einfach besser, wenn man das jetzt – ich mag immer diese kriegerischen Vergleiche nicht, aber es ist so ähnlich, als wenn Sie dann zum Angriff übergehen müssen oder dürfen, wenn vorher die Luftwaffe im gegnerischen Hinterland schon mal alles bombardiert hat. Das ist eine der bekannten Taktiken in kriegerischen Auseinandersetzungen und so ähnlich ist das hier auch. Da hat quasi der Impfstoff schon seine Arbeit geleistet und zusätzlich arbeitet das eigene Immunsystem. Und deshalb ist es einfach so, dass man da in der Regel dann nicht mehr daran stirbt. Natürlich gibt es auch da Todesfälle. Klar, das ist ja normal. Das wäre ja ein Wunder, wenn die

Sterblichkeit auf Null ginge. Aber ich bin wirklich der Meinung, dass wir da uns entspannen müssen und sagen müssen: Okay, das sind die Impfstoffe, die wir haben. Diese Delta-Variante macht weitere Infektionen. Das war von vornherein zu erwarten, dass sowohl Genesene als auch Geimpfte Durchbruch-Infektionen haben. Aber das ist jetzt nichts, wo wir alle deswegen in Panik geraten müssen.


Camillo Schumann


Haben Sie eigentlich Zivildienst geleistet? Oder haben Sie so eine Affinität zur Armee mit ihren sprachlichen Bildern dar?


Alexander Kekulé

Ich habe Zivildienst geleistet. Ich muss zugeben, ich habe da eine oder andere Studie gemacht, da ging es um biologische Waffen, aber immer nur auf der Verteidigungsseite bitte. Nicht im Sinne von Angriffswaffen, sondern wie man sich wehrt gegen biologische Waffen. Sodass ich nicht nur die Terminologie, sondern auch die handelnden Akteure in den verschiedenen Staaten kenne. Und es ist aber auch so, muss man sagen, ... in der Immunologie verleitet das einfach so. Ja, wenn Sie sehen, wie diese weißen Blutzellen dann ausrücken aus den Lymphknoten und scharfgemacht werden und dann ihre Ziele attackieren, indem sie sich selber z.T. zerlegen und irgendwelche zerstörerisch Chemikalien freisetzen. Das erinnert selbst wenn man es dann unterm Mikroskop z.T. sieht, ein bisschen an Krieg, das muss man schon einfach sagen.

17:13


Camillo Schumann


Die Frage ist ja, was wir eigentlich ..., weil wir uns natürlich auch von solchen Überschriften dann verunsichern lassen. Die Frage ist: Was können wir eigentlich von Impfstoffen erwarten bei einer sich verändernden Viruslage. Ein Piks und es kann nichts mehr passieren, das ist ja eher unwahrscheinlich, haben wir jetzt gerade so ein bisschen durchdekliniert. Noch nie wurde ja, das muss man auch ehrlich zugeben, jeder einzelne Schritt, jedes Detail bei der Bekämpfung einer Krankheit von der Öffentlichkeit so genau beobachtet. Aber jeder einzelne

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macht sich dann so einen eigenen Reim drauf, weil er die Daten auch gar nicht so richtig interpretieren kann. Dieser Podcast soll helfen, das alles zu verstehen. Ich finde, da helfen Vergleiche immer ganz gut. Welche Wirksamkeit hat denn eine z.B. eine Influenza-Impfung?


Alexander Kekulé

Also Influenza ist ein Impfstoff, der aus meiner Sicht kritisch zu betrachten ist. Und wir wissen das. Normalerweise freuen wir uns schon, wenn die Wirksamkeit bei 60 % liegt. Wir haben auch Jahre, wo gerade bei den Risikopersonen, den älteren Menschen, die Wirksamkeit so gering ist, also deutlich unter 50 %, dass man schon fast nicht mehr die Impfung empfehlen kann. Das ist also schon gut bei Influenza. Wir haben natürlich andere Impfstoffe, ich sage mal Masern z.B. oder früher die Pockenviren-Impfung. Da geht das Richtung 100 %. Das liegt daran, dass das Virus anders ist und die Immunantwort anders ist. Aber ich glaube, darüber sprechen wir ja schon länger. Bei diesem Coronavirus ist eine Eradikation, wie man das nennen würde, eine komplette Eliminierung des Virus vom Erdball, wie es bei den Pocken wohl gelungen ist, wie es bei den Masern geplant ist, wie man es bei der Kinderlähmung versucht. Diese Dinge, das ist bei diesem Virus völlig unmöglich, weil wir eben die Varianten haben. Die kommen auch aus anderen Gründen. Weil die Immunantwort etwas anders ist, ist das bei Coronaviren von vornherein nicht zu erwarten gewesen. Und deshalb ist für jemanden, der sozusagen, sage ich mal, dieses spezielle Virus sich angeschaut hat und diese Entwicklung konkret sich ansieht, kann man nur sagen, das ist ganz toll, wie das läuft. Ja, dass wir den Impfstoff haben. Und wir sind wesentlich besser aufgestellt als z.B. bei der Influenza. Die Influenza ist jetzt selten so eine schwere Erkrankung, aber die werden wir wirklich nicht los. Außer wir werden die Impfstoffe komplett umbauen, die wir dagegen haben. Und bei Corona ist es so, das passt sich eben an. Wir werden dann ein Virus haben, was alltäglich ist und was dadurch, dass wir einen gewissen Immunschutz haben, eben nur selten schwerste Erkrankungen machen. Und da wird

immer mal wieder eine neue Variante kommen, aber die werden wir dann gar nicht mehr registrieren. Also außerhalb der Fachwelt wird man sich nicht mehr über die neuen Varianten, die dann wahrscheinlich nach einem kyrillischen Alphabet benannt werden, weil bis dahin die [griechischen] Buchstaben ausgehen. Da wird man sich nicht mehr für interessieren in der Öffentlichkeit.


Camillo Schumann


Jetzt haben wir mal so ein Vergleich, um einzuordnen, das eben man nie davon ausgehen kann, dass ein Impfstoff zu 100 % wirkt und wirklich alles ausschließen kann. Aber dass man auch mit so einem gewissen Restrisiko ... Und wir haben ja jetzt die reduzierte Wirksamkeit mit den Daten aus Israel auch schon besprochen. Was macht das denn dort ganz konkret, diese verminderte Wirksamkeit?


Alexander Kekulé

Ja, das ist, muss man ganz klar sagen, mehr als die Hälfte der Fälle, die in Israel im Moment registriert werden. Das Gesundheitsministerium spricht von 51 % sind tatsächlich voll geimpft gewesen. Also das muss man sich vor Augen führen. Das wäre dann bei uns auch irgendwann die Situation, dass ein großer Teil der Fälle, die registriert werden, komplett geimpft sind. Und in Israel hatten die ja nur das BioNTech. Daher sind das alles mit guten RNA-Impfstoffen geimpfte Personen. Das ist ja auch irgendwie klar, wenn Sie durch die Impfung nur noch ganz wenige Fälle haben. Und wenn sie eine Variante haben, die aber im gewissen Anteil auch Geimpfte infizieren kann, dann ist der Anteil derer, die geimpft waren, unter den Infizierten hoch. Und das sind eben über 50 % im Moment. Insgesamt ist es so, dass in Israel gerade aktiv 2.600 Fälle sind. Das ist im Vergleich zu dem, was da früher war, eine ganz kleine Zahl. Und von denen sind nur 35 schwer erkrankt. 1,4 % von denen sind schwer erkrankt. Das ist eine verschwindend kleine Zahl. Also die haben von 2.600 gemeldeten Fällen, die aktiv sind gerade, 35 Schwererkrankte, und von denen ist deutlich über die Hälfte ungeimpft gewesen. Was bedeutet das? Das bedeutet,

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dass wir wahrscheinlich eine große Zahl haben auch von Personen, die infiziert sind, die es gar nicht merken, weil sie natürlich geimpft sind und dadurch fast keine Symptome haben. Oder die infiziert sind (ich glaube, das ist eine Lage, die werden wir in Deutschland auch demnächst haben) und die wissen, dass sie geimpft sind. Ich glaube, da ändert sich so im Kopf was, wenn ich weiß, ich bin geimpft, und ich habe jetzt trotzdem eine Infektion. Da ist die Tendenz dann loszurennen und sich testen zu lassen und in Quarantäne zu begeben, und die Tendenz überhaupt dann zum Arzt zu gehen, aus Angst, man würde jetzt schwer krank werden und sterben, nicht mehr so da.

Ein wichtiger Grund, warum die Menschen bei Covid dann sehr häufig dann zum Arzt gehen oder sehr häufig gerade bei jungen [Leuten, Anm.d.R.] und Kindern, ja auch ins Krankenhaus gehen, ist natürlich, weil sie Angst haben, weil es eine unbekannte neue Erkrankung ist. Und wenn es einen dann selber erwischt, dann denkt man auch an diese Bilder von den Menschen auf der Intensivstation und sagt okay, jetzt habe ich das. Und diese Angst ist natürlich viel geringer, wenn überhaupt, wenn man weiß, man ist geimpft. Und deshalb bin ich überzeugt, dass in einer Situation, wo viele Menschen geimpft sind, die Dunkelziffer von nicht erkannten Infektionen höher ist. Was bedeutet das für die Zahlen? Das bedeutet, wenn wir jetzt in Israel 2.600 offizielle Fälle haben, von denen 35 schwer sind, dass die 2.600 wahrscheinlich viel zu klein ist, also das wahrscheinlich drei oder vier oder fünfmal so viele Fälle unerkannt sind, weil sie asymptomatisch sind bei Geimpften. Und das wird wahrscheinlich bei uns dann auch irgendwann die Regel sein, dass man sehr viele Fälle hat, die einfach minimale Symptome machen oder gar keine. Und die in der Statistik nicht auftauchen, weil die Menschen das nicht ernst nehmen und auch nicht zum Arzt gehen.

23:16


Camillo Schumann


Jetzt waren das ja Zahlen und Daten aus Israel, wo ja hauptsächlich mit BioNTech geimpft wurde, also mit dem mRNA-Impfstoff, und alle

AstraZeneca-Geimpften sind jetzt möglicherweise ein bisschen verunsichert, auch wegen der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission, die jetzt angepasst und verändert wurde. Auch über 60-Jährige sollen nun als Booster-Impfung wegen der besseren Wirksamkeit auf einen mRNA Impfstoff zurückgreifen, also die zweite nicht mit Astra, sondern mit BioNTech oder Moderna. Ist das eine nachvollziehbare Entscheidung?


Alexander Kekulé

Ja, fast hätte ich gesagt, es ist eine überfällige Entscheidung gewesen. Das war ja, wenn man jetzt unseren Podcast in den letzten Wochen gefolgt ist, war das eigentlich klar, dass das die richtige Maßnahme wäre. Man muss auf der anderen Seite sagen: Das ist halt eine pragmatische Sache. Wenn mRNA-Impfstoffe knapp sind und AstraZeneca noch da ist und vorgesehen ist, und man hat einen Termin für AstraZeneca, dann ist es auf jeden Fall klug, da erstmal hinzugehen. Wenn man das so hört, scheint ja der Nachschub an mRNA-Impfstoffen anzusteigen. Und mit Blick darauf hat die Ständige Impfkommission diese wahrscheinlich schon länger anstehende Entscheidung jetzt öffentlich gemacht, weil es ja völlig klar war, dass diese heterologen Impfungen, wie man das dann nennt, also mit einem anderen Impfstoff (d.h. erst Astra und dann hinterher Moderna oder BioNTech), dass die deutlich wirksamer sind. Und warum soll man das dann nicht für alle empfehlen? Also gerade bei den Älteren, die ja Risikogruppe sind für den Fall, dass sie infiziert werden, und bei denen natürlich dann auch wieder, wenn es dann zu schweren Verläufen kommen sollte oder zur Todesfällen dann auch bei den Geimpften, dann sind natürlich diejenigen, die grundsätzlich mal das Risiko haben, bei Covid schwer zu erkranken, das sind dann auch wieder die ersten, die unter den Geimpften auf der Intensivstation landen würden. Und deshalb ist es richtig, dass man sagt, das kann ja nicht sein, dass man jetzt ausgerechnet die Risikopersonen mit AstraZeneca impft und einen geringeren Schutz bezüglich der Delta-Variante in Kauf nimmt.

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25:24


Camillo Schumann


Wenn man sich aber die Quote der Zweitgeimpften anschaut, dann kam diese Meldung für Millionen Menschen über 60 möglicherweise auch ein bisschen spät. Die meisten haben ihre zweite Impfung mit Astrazeneca hinter sich und fragen sich jetzt ja, was sie jetzt machen sollen. Eine dritte Impfung mit BioNTech oder Moderna? In unserem Postfach gab es seit der STIKO-Entscheidung von letzter Woche fast kein anderes Thema mehr. Was würden Sie empfehlen? Sollten auch doppelt mit Astra Geimpfte sich den dritten Schuss mit BioNTech holen? Oder vielleicht sogar eine neue Impfserie mit einem mRNA-Impfstoffe beginnen?


Alexander Kekulé

Nein, so ist es nicht. Also ich würde erst mal entspannt abwarten. Wir haben eine niedrige Inzidenz im Moment, und die wird auch jetzt im Sommer nicht so drastisch ansteigen. Also so große Fehler machen wir hier nicht. Wir wollen ja keine Fußball-Europameisterschaft austragen wie die Engländer. Und ich hoffe, dass wir keine großen Fehler machen. Und deshalb ist es so, wir werden jetzt bis September erstmal eine relativ niedrige Inzidenz hoffentlich behalten. Und es ist zusätzlich so, dass der Astrazeneca-Impfstoff natürlich – gerade wenn er zweimal gegeben wurde – was die Todesfälle und die schweren Erkrankungen betrifft, in der Regel auch hilft, schützt, Und dann würde ich eher draufsetzen: Im Herbst wird man mehr wissen, wie häufig sind die Durchbrüche eigentlich mit der Delta-Variante? Vielleicht gibt es dann auch schon neue Varianten, über die wir sprechen müssen, die sich irgendwo ausgebreitet haben. Und auf der Basis werden die RNA Impfstoffhersteller mit hoher Wahrscheinlichkeit dann neue Impfstoffe auf den Markt bringen. Also das ist ja dort ziemlich einfach einen Impfstoff 2.0 zu machen, wo die RNA, die da drinnen ist, an ein paar Stellen modifiziert wurde, damit man eben auch die neuen Varianten mit abgreift. Es gibt sogar so Tendenzen, dass dieser Impfstoff möglicher-

weise dann so breit ist, also so eine Regenschirm-Wirkung (Umbrella-Wirkung) quasi hat, dass man die vorherigen Varianten Alpha, Beta und so dann mitnimmt. Das ist gar nicht ausgeschlossen, dass man einen Impfstoff dann so baut, dass der quasi rückwärtskompatibel ist mit den früheren Varianten. Wenn so was dann da ist, dann würde ich natürlich sagen, wer zweimal Astra bekommen hat, der sollte vielleicht dann als Erstes dran denken, sich die Auffrischungsimpfung mit dem neuen Impfstoff geben zu lassen. Im Moment sehe ich dafür noch nicht die Daten.

Es kann aber auch sein ... das will ich jetzt nicht ausschließen: Kann sein, dass wir dann Ende August feststellen, die Fallzahlen gehen wieder hoch. Oder im September irgendwann. Die Fallzahlen gehen hoch. Wir haben wiederum neue Daten bezüglich der Durchbruch-Infektionen bei Delta. Was da jetzt ... gestern bekannt wurde aus Israel ist ja erst mal nur so ein pessimistisches Resultat. Das muss ich nicht bestätigen. Aber wenn wir dann sehen: Mensch, der Schutz bei Astra z.B., wo wir kaum richtige Daten für haben, der ist so schlecht gegen die Delta-Variante , dass er vielleicht auch bezüglich der Hospitalisierungen dann schlechter ist, als es jetzt aussieht, dann kann man immer noch, wenn die Inzidenz in Deutschland wieder steigt, sagen: Okay, jetzt geben wir denjenigen, die zweimal Astra bekommen haben, eine dritte Impfung. Viel wichtiger finde ich, was man jetzt schon machen kann. Das sind zwei Dinge. Das Eine habe ich ja, ich glaube, zum ersten Mal in diesem Podcast habe ich eine Empfehlung abweichend von der Ständigen Impfkommission tatsächlich gemacht. Und zwar, dass man die, die nur einmal Johnson&Johnson bekommen hat, dass man denen die zweite Impfung gibt. Ich glaube, das kann man sofort machen, und zwar nur bei den Risikogruppen. Also muss man nicht generell machen. Aber gibt ja einige, die wirklich klar zu den Hochrisikogruppen gehören, da sollte man das machen. Und das andere ist, dass man bei Personen, die Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken, also z.B. nach

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Transplantation oder aus irgendwelchen Gründen Kortison über längere Zeit nehmen müssen, dass man da ... Da gibt es zwei Varianten. Entweder nimmt man Blut ab und schaut, wie gut die Antikörper sind. Das finde ich pragmatisch. Oder wenn man genug Impfstoff hat, kann man natürlich auch sagen, man gibt bei diesen Leuten gleich eine dritte Dosis. Das ist in Israel z.B. gerade die Diskussion. Die wollen das gerade machen. Der neue Ministerpräsident Naftali Bennett, der hat angekündigt, dass die Leute, die Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken, einfach eine dritte Dosis kriegen, ohne dass man vorher die Antikörper-Titer bestimmt. Also kann man beides machen. Ich selber würde wahrscheinlich erst mal gucken, ob ich schon genug Antikörper habe. Aber man kann auch einfach die dritte Dosis geben. Aber das, wie gesagt, nur für diejenigen, die ein schlechtes Immunsystem hatten zum Zeitpunkt der Impfung z.B. meistens dann aufgrund von Medikamenten. Aber abgesehen davon, was ich gesagt habe, gibt es eigentlich keine weitere Konsequenz, die ich jetzt akut ziehen würde. Ich würde das jetzt in unserer jetzigen Lage entspannt anschauen und einfach noch mal daran erinnern, dass jeder, auch wenn er geimpft ist, eben auch nicht völlig aus dem Schneider ist. Die Amerikaner sagen: „Die Impfung ist keine Silver Bullet, also keine perfekte silberne Kugel, die einen vor allem schützt. Sondern man muss, auch wenn man geimpft ist und dann vielleicht zusätzlich Risiko hat, sich ein bisschen vorsichtig verhalten und nicht gleich wieder zum Draufgänger werden. Und wenn man das ein bisschen beherzigt... Es gibt ja auch andere Gründe, warum man in der einen oder anderen Situation noch eine Maske tragen sollte. Wenn man das beherzigt, dann glaube ich, braucht man wirklich keine dritte Impfung.

30:44


Camillo Schumann


Weil Sie grad den Impfstoff von Johnson&Johnson angesprochen haben. Von den über 77 Mio. verabreichten Impfdosen in Deutschland waren 3,6 Mio. Impfdosen von Johnson&Johnson. Und ja, da kann man ja auch

ziemlich genau sagen, dass auch 3,6 Mio. Menschen mit dem Vektor-Impfstoff geimpft wurden, weil es der einzige Einmal-Impfstoff aktuell ist. Die Frage ist aber: Wie sicher können sich diese 3,6 Mio. Menschen in Bezug auf die Deltaund auch andere Varianten sein? Es gibt neue Daten vom Hersteller selbst dazu. Herr Kekule, kann man diesen Daten – erst einmal gefragt – trauen?


Alexander Kekulé

Ja, das glaube ich schon. Die Zeiten, wo die Hersteller so richtig was fälschen... Ja so, was weiß ich, rauchen ist gesund, gezeichnet Doktor Marlboro oder so was. Ja das gibt es eigentlich nicht mehr oder zumindest in der pharmazeutischen Industrie nicht mehr. Da gab's ja mal Riesenprozesse. Ich glaube, man darf es offen sagen, weil die Tabakindustrie in den USA ja mal richtig gelogen hat. Und das ist auch richtig angeprangert worden. Die mussten große Strafen zahlen, weil sie Studien fabriziert hatten.

Also da sind wir weit von entfernt. Der eigentliche Hersteller ist ja Jansen in Holland. Und das ist eine hochseriöse Firma. Und ich glaube nicht, dass da irgendetwas dran gefälscht ist. Vor allem auch deshalb, weil die Daten gar nicht so toll sind. Und wenn man fälscht, dann sind die Daten ja hinterher immer besser, als sie es sonst wären. Die haben eigentlich nur acht Patientenseren genommen, also acht Probandenseren genommen, sagt man. Da einer, der an einer Studie teilnimmt, ist ja deswegen noch lange kein Patient. Und zwar ist das ihre normale Phase-III-Studie für den Johnson&Johnson-Impfstoff. Die läuft ja schon länger. Was wir da immer so hören, sind ja nur Zwischenauswertungen. Und die läuft in Brasilien, Südafrika und den USA. Und da haben sie aus diesen drei Ländern insgesamt 8 Blutproben gehabt von Leuten, die geimpft waren, mehr als 70 Tage nach der Impfung. Also sag ich mal zweieinhalb Monate oder so was. Und haben geguckt: Wie ist denn das mit dem Serum? Wirkt es denn im Labor? Wirken die Antikörper da drin im Labor so, dass sie quasi die verschiedenen Varianten des SARS-CoV-2 neut-

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ralisieren können. Also dass sie quasi im Laborversuch verhindern, dass diese Varianten Zellen infizieren können.


Camillo Schumann


Okay, mit welchem Ergebnis? Sie haben ja schon einschränkend davor gesagt, wem sie eine zweite Impfung mit mRNA-Impfstoffen empfehlen würden, möglicherweise auch basierend genau auf diesen Daten.


Alexander Kekulé

Ja, das ist eben so, diese Daten sind letztlich noch nicht so belastbar, also bei den acht Seren, die man da untersucht hatte. Es ist so, dass die Wirksamkeit gegen das Delta nur 1,6-fach reduziert wurde. Das ist wenig. Also das ist nicht so schlimm. Man muss allerdings dazusagen, dass wir z.B. gegen das Beta, also die Variante aus Südafrika, B.1.351. Da ist es ja so, dass wir bei diesem Johnson&JohnsonImpfstoff in einer Studie, die dort gemacht wurde, ein relativ schlechtes Ergebnis gesehen haben. Die Wirksamkeit war dort um den Faktor fünf reduziert, und auch gegen P1, also die brasilianische Variante. Da ist es auch so. Die heißt jetzt Gamma, diese brasilianische P1. Da ist es so, dass die Wirksamkeit bei Johnson&Johnson um den Faktor 3,3 schlechter ist. Also gegen die südafrikanische 5, die brasilianische 3,3. Und jetzt sagen die: „Überraschung, ausgerechnet bei Delta, was eigentlich allgemein als die Variante gilt, die am häufigsten Immun-Durchbrüche macht, sei also die Einschränkungen nur 1,6-fach. Und daraus schließen sie, dass man keinen Grund hat, zunächst mal anzunehmen, dass Johnson&Johnson nicht so richtig gegen Delta wirkt.

Ja, ich betrachte das so im Vergleich zu den Daten, die wir z.B. von BioNTech gehört haben. Da gab es ganz ähnliche Studien, die man gemacht hat, und die haben wir hier auch berichtet. Und da war es ja auch so, dass die am Anfang gesagt haben, wenn wir uns nur die Antikörperbildung im Labor ansehen, also die Antikörper im Labor ansehen, dann sieht das alles ganz toll aus in diesem sogenannten VirusNeutralisations-Essay. Und wenn wir aber dann die wirklichen Daten aus dem echten Leben

uns anschauen, in England, in Israel, die wir auch vorher besprochen haben, dann stellen wir eben bei BioNTech auch fest, dass das da im wirklichen Leben es doch immer mal wieder vorkommt, gar nicht so selten, dass Geimpfte sich infizieren. Und solche Real-World-Daten, wie man sagt, die gibt es eben überhaupt nicht für den Johnson&Johnson-Impfstoff, weil der nirgendwo im großen Stil eingesetzt wurde, sondern immer nur so zusätzlich als Nice-tohave irgendwie extra dabei war. D.h., wir haben wirklich keine Ahnung, wie gut der wirkt. Deshalb sage ich, weil diese Studie wird natürlich von Johnson&Johnson dann immer so rausgezogen nach dem Motto „Schaut her, wie toll hier unser Impfstoff ist“. Ich sag jetzt mal, ich würde dabei bleiben, dass es sinnvoll ist, Risikopersonen, die nur einmal Johnson&Johnson bekommen haben, einmal mit einem RNAImpfstoff aufzufrischen. Und ich würde vielleicht sagen: Einen Impfstoff, den man nur einmal gibt, also so Vektor Impfstoffe, da würde ich mal tendenziell fast empfehlen, die für immun-kompromittierte Patienten gar nicht zu geben. Also jemand, der unter Kortison steht oder aus anderen Gründen wirklich ein bekanntlich schlechtes Immunsystem hat (OrganTransplantationsempfänger ist vielleicht ein gutes Beispiel), da würde ich von vornherein auf den RNA-Impfstoff gehen.

36:12


Camillo Schumann


Damit verlassen wir für einen Augenblick das Thema Impfstoffe und kommen zum nächsten Thema. Es geht um die Schulen, und wieder spielt die STIKO, die Ständige Impfkommission eine Rolle. Denn der Vorsitzende der STIKO, Thomas Mertens, der zweifelt nämlich an der Sinnhaftigkeit von Massentests für Schüler. Er hat gesagt: „Ich frage mich, wie wichtig es tatsächlich ist, jedes symptomlos infizierte Kind durch Testung zu entdecken.“ Das hat Herr Mertens der schwäbischen Zeitung gesagt. Und weiter: „Würde es möglicherweise reichen, jedes Kind mit Symptomen frühzeitig zu identifizieren und zu isolieren? Das mag zwar ketzerisch klingen, aber man sollte darüber

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nachdenken.“ Mertens betonte, alle Maßnahmen zum Infektionsschutz an Schulen sollten auch hinsichtlich ihrer spezifischen Wirkung überprüft werden. Diese solle man dann möglichst sinnvoll einsetzen. Herr Kekule, erst will der STIKO-Chef nicht, dass die Kinder massenhaft geimpft werden. Jetzt will er nicht, dass die Kinder massenhaft getestet werden. In den sozialen Netzwerken tobt ein Sturm der Entrüstung. Man könnte es auch Shitstorm nennen. Jetzt haben sie ja mal gesagt, dass die Tests im Herbst an den Schulen wieder mit dazugehören sollten. Was sagen Sie denn zu den Aussagen von Professor Mertens?


Alexander Kekulé

Also erstens muss ich sagen, ich schätze ihn wirklich sehr. Wir können in Deutschland froh sein. Ich kenne ihn natürlich schon sehr, sehr lange. Wir können in Deutschland wirklich froh sein, dass er gerade Vorsitzende des STIKO ist. Und die ganze Kommission ist eine wirklich kluge und sehr gewissenhafte Kommission. Die kümmert sich natürlich primär um das Thema Impfen. Ja, nein, wann und warum nicht? Und deshalb haben die Empfehlungen der STIKO zum Impfen Hand und Fuß. Ich glaube, [...] was Herr Mertens da gesagt hat zu den Tests, das war eher so ein – sag ich mal – Appell, so ein Zwischenruf, der jetzt nicht wirklich ein wissenschaftliches Statement war. Man kann natürlich die Frage stellen... Ja, natürlich, die Frage wird ja immer jeder stellen, bevor er einen Test bestellt, ob das jetzt notwendig ist oder nicht. Ich glaube, das Argument zieht nicht ganz, und zwar aus folgendem Grund: Natürlich ist es nicht so schlimm, wenn sie ein symptomloses Kind übersehen. Also individualmedizinische ist es völlig egal oder meistens egal, weil die Kinder, ja gerade wenn sie symptomlos sind, dann eben typischerweise nicht schwer erkranken, keine schweren Folgewirkungen haben, und das war's dann. Warum machen wir denn die Tests in der Kita? Nicht, um symptomlose Kinder zu finden, sondern um mögliche Ausbrüche frühzeitig zu erkennen. Und diese Ausbrüche sind eben dort, weil bei Kindern, sage ich mal unter 14, geht die

Tendenz dahin, dass man jetzt sagt, zwei Drittel sind asymptomatisch. Das ist schon fast, wie bei Geimpften. Und dann, wenn da ein Ausbruch ist, das merken Sie nicht. Und diese Situation, die werden wir im Herbst ganz allgemein haben. Da haben wir dann die ganzen Geimpften, bei denen das Virus zirkuliert. Nochmal kleine Klammer zurück nach Israel: Die meisten Ausbrüche in Israel werden jetzt anfänglich von Geimpften initiiert. Weil die natürlich denken: Mir kann nicht passieren. Das sind junge Leute, die Party feiern. Die sind geimpft und stecken dann munter welche an. Und dann gibt es eine berühmte Sache, wo eine ganze Studentenparty sich dann infiziert hat, weil zwei Geimpfte am Anfang das Virus eingeschleppt haben. Und so ähnlich ist es dann auch mit den Schulen. Die Kinder sind halt asymptomatisch, schleppen das Virus ein, und sie kriegen dann unter Umständen einen Riesenausbruch in der Grundschule oder in der Kita oder sonstwo, ohne es irgendwie zu merken. Und darum geht es letztlich bei den Tests. Drum meine ich auch nicht... Mein Vorschlag ist ja im Herbst weiter zu testen und das vorzubereiten. Ich meine nicht, dass es dann noch notwendig sein wird, unbedingt jetzt zweimal die Woche wirklich da sehr konsequent zu testen, um jede Infektion frühzeitig zu erkennen. Aber man sollte z.B. einmal die Woche so einen Spucktest machen, um halt nicht zu übersehen, wenn da ein Ausbruch unterwegs ist. Und da spricht ja sehr viel dafür, dass wir das vermeiden wollen. Weil jetzt stellen Sie sich vor, dass in so einer Schule dann (was weiß ich) von 1.000 Schülern 400 infiziert sind, ohne dass sie es gemerkt haben. Dann kann man den Eltern ja eigentlich nicht mehr zumuten, denen die Kinder haben, die nicht angesteckt wurden, ihre Kinder da jeden Tag hinzubringen. Also dann kommen Sie wirklich wieder in so einer Situation, wo Sie Schulen schließen müssen. Und um das eben zu vermeiden, ist es sinnvoll, so ein Detektionssystem, wie auch immer das ist, für Ausbrüche zu haben. Ich habe ja auch schon mal vorgeschlagen, das Abwasser zu kontrollieren, weil man da natürlich frühzeitig sieht, ob im Haus jemand ist, der

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Corona hat. Aber wie auch immer man das macht, glaube ich: Die Feststellung von Ausbrüchen ist nach wie vor notwendig. Wir dürfen uns nicht blind machen, epidemiologisch, sondern wir müssen weiterhin hinschauen. Und es ist aber trotzdem jetzt nicht in jedem Einzelfall wahnsinnig wichtig zu wissen, ob jetzt ein Kind, das asymptomatisch ist, vielleicht unbemerkt infiziert wurde, sofern es nicht zu Hause mit einem ungeimpften Risikopatienten zusammenlebt.

41:14


Camillo Schumann


Unsere Hörerin Frau U., hat dazu auch eine Mail geschrieben. Sie schreibt:

In Thüringen gibt es seit dem 1. Juli für die Schulen keine Testpflicht mehr. Es besteht ein Testangebot. Doch die Lehrer, Erzieher und Schulbegleiter mit vollständigem Impfschutz dürfen das kostenlose Testangebot nicht mehr in Anspruch nehmen. Ist dies vertretbar, auch wenn bekannt ist, dass trotz Impfung eine Infektion möglich ist? Viele Grüße

Das ist ja genau das, was sie gesagt haben.


Alexander Kekulé

Ja, also, das wusste ich nicht, dass es da so ist. Aber das ist natürlich nicht vertretbar. Also die haben da (glaube ich), keinen Virologen gefragt, zumindest keinen, der sich auskennt. Wie gesagt, ich will da überhaupt nicht Angst machen, aber es ist einfach so: Über die Hälfte der Fälle in Israel im Moment gehen von Geimpften aus. Und deshalb ist es natürlich so, dass man sich das anschauen muss. Die Frage ist halt immer: Welche Situation habe ich? Was will ich mit diesen Geimpften? Was können diese Geimpften anrichten? Und wenn die, die geimpft werden, hinterher brav nach Hause gehen und z.B. nach einer Reise aus dem Ausland fünf Tage Quarantäne machen... Jetzt hab ich gerade blödes Beispiel mit den Geimpften aus dem Ausland. Also jetzt kommt es ein bisschen darauf an, was die Geimpften anrichten können hinterher. Wenn die Geimpften arbeiten in einem Krankenhaus, wo Schwerstkranke sind, die auf gar keinen Fall angesteckt werden

dürfen, dann müssen Sie natürlich auch erkennen, wenn die dort asymptomatische Infektionen haben. Und wenn es eine Situation ist, wo Sie einen richtigen Ausbruch befürchten müssten, d.h. also wo die dann in der Schule zusammen sind, ohne Maske, und der Unterricht ganz normal abläuft, dann müssten Sie irgendein Monitoring-System haben, um die Ausbrüche zu erkennen. Wenn sie aber quasi das normale Alltagsleben haben, wo sie sagen der Einzelne ist vielleicht jetzt nicht gerade mit besonderen Risikopersonen zusammen, dann kann man sagen: Es ist nicht so wichtig, jeden einzelnen Fall bei einem Geimpften zu detektieren. Und so wird es ja letztlich bei den Menschen selber auch sein. Wie gesagt, wenn Sie wissen, Sie sind geimpft, wenn Sie leichte oder gar keine Symptome haben, dann werden die Menschen das nicht mehr so ernst nehmen. Da werden wir wahrscheinlich dann Appelle im Herbst an die Menschen richten müssen, dass sie selbst bei den leichtesten Symptomen eben zu Hause bleiben sollen, um die Inzidenz nicht so in die Höhe zu treiben. Aber letztlich wird es eine ganz andere Situation sein. Wir werden dann eine relativ leicht verlaufende Erkrankung haben, wo wir häufig positive Fälle haben bei Leuten, die genesen oder geimpft sind. Das ist dann relativ gesehen häufig, wenn Sie insgesamt eine niedrige Inzidenz haben.

43:53


Camillo Schumann


Ihr Wort in Gottes Ohr. Dass man nicht von einer sterilen Immunität nach einer Impfung ausgeht, das ist ja, glaube ich, relativ klar. Aber wenn Sie jetzt diese Daten aus Israel zum Besten geben und sagen, dass jede zweite Infektion auf Geimpft zurückzuführen ist, muss sich jetzt die Risikobewertung verändern? Also geht jetzt von Geimpften noch ein größeres Übertragungsrisiko aus, als man bisher angenommen hatte?


Alexander Kekulé

Ja, das wird man sich anschauen müssen. [...] Genau diese Zahlen sind besonders interessant. Das sind jetzt nur erste Blicke da drauf. Wir haben bis jetzt kein Superspreading Event,

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wo ein Geimpfter dann gleich 30, 40, 50 angesteckt hat. Mag sein, dass die eine oder andere Zeitung von solchen Events berichtet. Aber letztlich ist es so, wenn Sie fünf Geimpfte auf einer Party haben und dann hinterher sind es 20 oder 30 Infizierte unter den Gästen gewesen, dann heißt es noch lange nicht, dass die sich alle dort angesteckt haben, weil das ja meistens Leute sind, die sich sonst auch kennen und treffen. Und die Infektionsketten sind da z.T. nicht nachvollzogen. Ich sag das so, weil solche Daten zirkulieren im Internet, wo in Singapur angeblich nachgewiesen wurde, das auch Geimpfte am Ausgangspunkt für Superspreading waren. Wenn man die Zahlen genauer anschaut, die werden vom Gesundheitsministerium dort veröffentlicht, dann findet man, dass das eigentlich nicht belegt ist. Aber kann sein, dass wir demnächst feststellen, dass diese Grundannahme, dass Geimpfte kein Superspreading machen, dass die möglicherweise falsch ist. Ich gehe jetzt weiterhin davon aus. Wir haben bisher keine Hinweise darauf. Und solange man davon ausgehen kann, dass Superspreading bei Geimpften eine absolute Rarität ist, wenn überhaupt, ist es epidemiologisch nicht notwendig für Geimpfte, sage ich mal, jetzt z.B. eine Quarantäne nach der Einreise zu verordnen o.ä. Die Lage würde sich dann ändern, wenn wir wirklich feststellen, dass die Impfung nicht einmal gegen Superspreading schützt. Das wäre dann sozusagen das WorstSase-Szenario, ja der schlimmste anzunehmende Unfall, der Super-GAU sozusagen, weil wir dann unsere ganze Strategie, zu sagen „Impfung heißt zugleich mehr Freiheiten“, dass wir die dann überdenken müssten. Und deshalb will ich darüber im Moment gar nicht nachdenken, sondern ich gehe einfach davon aus, dass es so ist, wie die Daten im Moment sich zeigen. Und d.h. individuelle, einzelne Infektionen gibt es, aber epidemiologisch ist diese Frage, ob Geimpfte da jetzt Riesenausbrüche verursachen können, das ist eher zu vernachlässigen.

46:41


Camillo Schumann


Wir waren gerade thematisch an den Schulen und den Tests, und da ist man ja relativ schnell bei den Impfungen für Kinder. Und man kann ja sagen, [...] wenn sich die Erwachsenen impfen hat das natürlich auch große Auswirkungen auf die Kinder, das zeigen ja auch Studiendaten. Auch das RKI, Robert-Koch-Institut, schreibt in seinem aktuellsten epidemiologischen Bulletin:

In Israel konnte eine Reduzierung der SARSCoV-2-Infektionen unter ungeimpften Kindern beobachtet werden, die sich mit jedem Anstieg der Impfquote um 20 % in der erwachsenen Bevölkerung verdoppelte.

D.h. je mehr Erwachsene sich impfen lassen, desto weniger Kinder bekommen das Virus?


Alexander Kekulé

Ja, da gibt es inzwischen viele Studien, da gibt es aus Israel Daten, da gibt es aus England Daten. Das ist inzwischen relativ klar. Kinder und Jugendliche, also Schüler im weitesten Sinn sind da meistens gemeint, die spiegeln immer so ein bisschen das Infektionsgeschehen in der sonstigen Region wieder. Die sind – das kann man sich vorstellen – eben nicht die Motoren der Pandemie, sondern wenn man eine lokal hohe Inzidenz hat, dann sieht man auch mehr Einträge in die Schulen. Aber meistens sind es eben Einträge in die Schulen und nicht andersrum. Und wenn man davon ausgeht, dann ist es so, dass man erstens natürlich – das haben wir ja letztes Mal besprochen – eine Option hat, da die Kinder nicht geimpft werden, die Fallzahlen in den Schulen und Kitas niedrig zu halten, indem man regional außen rum sozusagen die Inzidenz kontrolliert, hauptsächlich durch Impfung, aber auch durch andere Maßnahmen. Und d.h. eben dann, wie das jetzt gerade mal quantifiziert wurde, [...] dass das auch ein quantitativer Effekt ist.

Also das Impfen lohnt sich auch, um die Schüler zu schützen. Oder andersherum gesagt. Das ist ja letztlich die Basis dessen, was die Ständige Impfkommission schon mal festgestellt hat: Wir können die Schüler auch schützen,

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ohne sie zu impfen. Das ist ja sozusagen die Grundsatzfrage: Wird jeder, der nicht geimpft wird, dann stattdessen infiziert. Also so ein bisschen Tod oder Taufe, Infektion oder Impfung. Bzw. muss ich das andersrum sagen, Impfung oder Infektion. Oder ist es so, dass wir, wenn wir so einen gewissen Herdenschutz erzeugen bei den nicht Geimpften, das dann wir zumindest eine Zeitlang (ja, auf ewig wird das nicht halten, aber eine Zeitlang) uns Zeit erkaufen können, um die Kinder und die Schüler etwas später zu impfen.

49:02


Camillo Schumann


Es gibt ja, wer jetzt sein Kind impfen möchte, vielleicht später neue Daten des amerikanischen Impfstoffherstellers Novavax. Und sie sagen ja, dass dieser Protein-Impfstoff eine Alternative wäre, um die Kinder zu impfen, weil es eben ein Wirkprinzip ist, das wir kennen, das gut getestet ist, jahrzehntelang bekannt ist. Und die langfristigen Überraschungen, die uns möglicherweise mit mRNA Impfstoffen drohen, bei diesem Impfstoff eher überschaubar sein werden?


Alexander Kekulé

Ja, also, ich sage damit überhaupt nicht, dass es langfristige Überraschungen geben wird bei den RNA-Impfstoffen. Da kann ich so ein bisschen einfach hinter der Ständigen Impfkommission ja ein bisschen in Deckung gehen und sagen: Die haben einfach gesagt, die Langzeit Fragen sind noch nicht geklärt. Die Langzeitfolgen sind nicht geklärt bei diesen modernen Impfstoffen. Und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Das ist nicht so, dass irgendjemand einen Verdacht hat, was da sein könnte. Auch die ganzen Dinge, die da so im Internet zirkulieren, dass da die Gene verändert werden und so, das wird wahrscheinlich alles keine Rolle spielen. Aber wir wissen es nicht. Es ist einfach eine nagelneue Technik. Das muss man sagen und es gab in der Geschichte der Medizin immer wieder Fälle, wo etwas komplett Neues dann Überraschungen, positive wie negative, gebracht hat. Und diese, sage ich mal, diese unknown Unknowns, die sind bei dem neuen

Impfstoff von Novavax nicht zu erwarten. Es sind ja auch noch ein paar andere ProteinImpfstoffe in der Pipeline, aber das ist der, der am weitesten entwickelt ist. Und ich glaube, wenn man jetzt so, bevor wir über die Studie sprechen, von einer Strategie her... sehe ich das letztlich so: Irgendwann mal wird so sein, dass es sinnvoll ist, zumindest Jugendliche bis 14 Jahre runter dann auch zu impfen, und wenn die Impfstoffe sicher sind, dann auch irgendwann Kinder zu impfen. Weil wir natürlich insgesamt irgendwann mit einem Virus zusammenleben müssen, was klar immer die neuen Generationen befallen wird. Wenn alle Älteren irgendwie immunisiert oder genesen sind, dann wird es irgendwann eine Kinderkrankheit. Und da wird man natürlich darüber nachdenken, dann die Kinder auch zu impfen, weil dann auch die seltenen Komplikationen irgendwann mal so relevant sind. Dafür müssen die Impfstoffe aber dann besonders sicher sein, wenn die Komplikationen nicht so schwer und eher selten sind. Und deshalb glaube ich, wenn wir jetzt uns hier vornehmen würden, dass wir sagen: Okay, dieses Jahr geht ja sowieso nicht. Im Herbst müssen wir die Kinder schützen, auf andere Weise, wie gesagt. Ich glaube, wir sind ihnen das wirklich schuldig. Und dann für nächstes Jahr für die Saison, also den Schulbeginn 2022 uns vornehmen. Falls die Impfstoffe bis dahin geprüft und sicher sind, entweder mit RNA-Impfstoffen oder eben mit dem ProteinImpfstoff von Novovax oder einem ähnlichen die Kinder zu impfen, dann wäre das immer noch rechtzeitig. Also das ist ja nicht so, dass man hier eine kurzfristige Entwicklung im Auge haben muss, sondern die Frage ist ja, wie wir längerfristig mit dem Virus klarkommen. Und da jetzt sozusagen, um bei den Nebenwirkungen wirklich auf der sicheren Seite zu sein, ein Jahr zu warten, das finde ich wirklich vertretbar. Und dann haben wir eben, wie Sie richtig sagen, die Alternative. Dann kann man einen RNA-Impfstoff nehmen. Vielleicht bis dahin ist das Sicherheitsprofil halt ein gutes Jahr älter. Dann sieht man wesentlich mehr, was längerfristige Nebenwirkungen auch betrifft.

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Oder wer das nicht will, hat dann wahrscheinlich die Möglichkeit, auf einen Protein-Impfstoff umzusteigen.

52:17


Camillo Schumann


Wie gesagt, es gibt jetzt Daten, abschließende Daten, muss man sagen. Noch in diesem Jahr will das Start-up eine Zulassung beantragen, in der EU. 40 Mio. Impfdosen sind auch schon produziert. Es könnte jetzt eigentlich schon losgehen. Aber wie gesagt, die Zulassung wird noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Schon seit Februar prüft die EMA, was man aber sagen kann, die Daten sehen ganz gut aus. Bekommen die mRNA-Impfstoffe nun Konkurrenz, was die Wirksamkeit angeht?


Alexander Kekulé

Ja, das sieht so aus. Das war schon bei den Pressemitteilungen der Fall, da hatte man noch keine Daten schwarz auf weiß. Und jetzt ist also die sogenannte Zulassungsstudie, nennt man das, da ist jetzt eine erste Zwischenauswertung veröffentlicht. Am 30.06. war das im New England Journal of Medicine. Das ist so, dass eines der klassischen wichtigen Journale, wo immer solche Sachen dann drin entstehen. Und da hat man eben gezeigt... Diese Zulassungsstudie ist gemacht worden in Großbritannien in dem Fall hauptsächlich, und da hat man 18bis 84-Jährige genommen, also auch bis in eine sehr hohe Altersgruppe hinein. Man hat ziemlich viele gehabt, die schwere Erkrankungen hatten. Fast die Hälfte war, wie wir sagen, komorbid, hatten also bekannte schwere Erkrankungen. Viele waren über 65 Jahre, fast ein Drittel über 65, und da hat man eben mit zwei Dosen und insgesamt gut 14.000 Probanden, die Hälfte hat den Impfstoff gekriegt, also 7.000 Placebos, 7.000 Impfstoff hat man jetzt getestet, und da ist es so, das Resultat sieht super aus. Dafür, dass jetzt dort hier schon zum großen Teil Alpha, also die britische Variante vorhanden war. Die hatten in der Impfstoffgruppe von diesen 7.000 Geimpften 10, die Covid bekommen haben. Und in der PlaceboGruppe 96. Also das ist doch ein sehr deutlicher Effekt. Und keinen einzigen schweren

Verlauf in der Impfstoffgruppe. D.h. daraus rechnen die dann diese Impfstoff-Wirksamkeit, diese Vaccine Efficiency raus. Die war hier 86,3 % gegen die gegen B.1.1.7. Und wenn man dann separat noch rausrechnet, die die also keine Alpha sind – das ging zu dem Zeitpunkt noch, weil die Studie länger läuft – dann ist es sogar bei 96,4 %. Also das ist so die gleiche Größenordnung. Wenn man sagt 96 %, das entspricht ungefähr dem, was die RNA-Impfstoffe leisten, weil die wurden ja auch getestet zu einer Zeit, als es Alpha, B.1.1.7 noch nicht gab. D.h., wir haben jetzt echt ein New Kid on the Block sozusagen. Der kann das, der Impfstoff, und die Nebenwirkungen waren deutlich geringer, würde ich mal sagen, zumindest was die da publizieren, als bei den RNA-Impfstoffen. Das ist auch zu erwarten. Also hier ist zwar ein Adjuvans drinnen, aber die Wichtigste war eigentlich, dass 20-30 % der Probanden Kopfschmerzen hatten. Aber damit man mal sieht, wie das bei so Impfstoffstudien ist: Auch ungefähr knapp 20 % derer, die das Placebo gekriegt haben. Auch bei so Sachen wie Müdigkeit und so kommen sie kaum groß über die Placebo-Gruppe. Also das Delta, der Unterschied zwischen ... Ach, Delta darf man ja schon gar nicht mehr sagen mit dieser Variantenbezeichnung. Aber das ist der Unterschied zwischen der Placebo-Gruppe und der Impfstoffgruppe bei diesen typischen Reaktogenitäten, also bei den Impfstoff-Nebenwirkungen, die man erwartet. Das war immer so 5-10 % Unterschied zwischen Placebo und Wirkstoff. D.h. also ganz normal. So wie halt jede andere Impfung auch. Wenn man gepiekst wird, tut der Hälfte der Arm hinterher weh, wenn man draufdrückt. Das ist ja klar.


Camillo Schumann


Weil sie gerade Adjuvans gesagt haben, welcher Wirkverstärker wurde denn verwendet? Ist das möglicherweise auch ein Hinweis darauf, dass es nicht so viele Nebenwirkungen gab?

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Alexander Kekulé

Nein, so weit würde ich nicht gehen, weil es ist auch dieses Adjuvanz, dieses spezielle, noch nicht so lange im Umlauf. Warum macht man überhaupt ein Adjuvans rein? Das macht man rein, damit das Immunsystem angeregt wird, also bei so einem richtigen Virus, oder wenn man einen Lebendimpfstoff hat, braucht man das nicht. Man braucht es auch nicht bei einem Vektor-Impfstoff, so wie dieser von Oxford, AstraZeneca. Man braucht es bei den RNAImpfstoffen überraschenderweise überhaupt nicht, weil die RNA dermaßen das Immunsystem stimuliert, dass es schon fast an der Obergrenze ist. Man braucht es aber dann, wenn man nur so ein bisschen Protein da rein machen, weil das ist einfach ein bisschen Eiweiß. Das kann ja auch Schmutz aus der Umgebung sein oder sonstwas. Und da muss man dem Immunsystem sozusagen so ein bisschen einen Tipp geben. Da muss man dem Spürhund sagen: Fass! Und das Signal fürs Immunsystem, dass das jetzt was wichtiges ist, wo es quasi nicht nur schnüffeln, sondern auch zubeißen soll, das sind eben diese Adjuvantien. Damit reizt man das Immunsystem. Die sind, muss man sagen, umstritten bei vielen Impfkritikern. Aber man muss daran erinnern, die sind in fast allen Impfstoffen die Kinder kriegen z.B. drinnen. Ja, da wird dann Aluminiumoxid oder andere Salze mit reingemischt, damit das Immunsystem ein bisschen schneller, stärker auf dieses Protein reagiert. Und hier ist es jetzt so, dass bei Nano, bei Novavax ist es so: ... Das ist eine neue Firma, die gibt es noch nicht so lange. Und die haben ein Adjuvans entwickelt, wo sie ganz stolz darauf sind, wo sie, glaube ich, auch ein Patent drauf haben, das heißt Matrix M. Und das basiert, da ist Saponine drin. Saponin, das kommt irgendwie von dem Wort für Seife. Und zwar ist es eine Substanz, die aus dem Seifenrindenbaum gewonnen wird. Das ist so ein Baum, der wächst in Chile, in Südamerika und aus dem kann man natürlich Seife machen. Darum heißt er so. Die Kinder in Chile benutzen das schon lange, indem sie diese Rinde da pulverisieren und Niespulver

daraus machen. Ein berüchtigtes, muss ziemlich schlimm sein, habe ich noch nicht im Einsatz gesehen. Ein berüchtigtes Niespulver. Was heißt das? Das ist eine Substanz, die einfach wahnsinnig stark reizt. Ja, das ist wie so ein Reizgas oder eben Pulver. Und wenn man da ganz, ganz kleine Mengen von nimmt und das einem Impfstoff beimischt, dann reizt es eben das Immunsystem. Die Immunzellen nießen dann nicht, aber trotzdem reagieren sie drauf, und deshalb ist es ein gutes Adjuvans. Das ist ist so ähnlich schon mal verwendet worden von der Firma GlaxoSmithKline. Die haben einen Impfstoff, der heißt Shingrix und wird gegen Herpes Zoster verwendet. Es ist ein ZosterImpfstoff gegen diese Gürtelrose. Da ist ein Saponin-basiertes Adjuvans drinnen. Und man hat mit dem bisher keine Probleme, was irgendwie Nebenwirkungen betrifft. Aber es ist neu, ja, muss man sich erst mal anschauen. Aber das ist eben ein known Unknown. Ja, da wissen wir: Okay, Adjuvans, das macht folgende Reaktionen. Da schaut man sich die Reaktogenität besonders an. Da schaut man sich an, ob das hinterher komplett eliminiert ist und solche Dinge. Und da sehen die Sicherheitsdaten eben sehr gut aus. Und die Reaktogenität ist völlig in Ordnung bei diesem Impfstoff.

59:23


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Dame hat angerufen, sie beunruhigen Daten aus England.

In den Medien liest man sehr viel zurzeit darüber, auch von Ärzten und Fachleuten, dass insbesondere in Großbritannien und auch Israel die Todesrate grade bei den zweifach Geimpften doppelt so hoch ist. Was ist da dran? Was können Sie mir dazu sagen?


Alexander Kekulé

Also es ist so, dass wir tatsächlich natürlich eine Sterblichkeit haben, auch bei den Geimpften. Und das gilt vor allem in Israel, weil sie eben sehr wenig Menschen haben, die überhaupt noch infiziert werden. Und wenn sie sehr, sehr wenig Menschen haben, die infiziert

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werden, dann ist es natürlich ganz automatisch so, dass nur eine kleine Zahl von Menschen erkrankt ist. Und von denen wiederum gibt es natürlich dann auch welche, die schwer erkranken. Ich glaube, dass ... Ich kenne jetzt diese Zahlen nicht, auf die die Hörerin sich da bezieht. Aber ich glaube, was man immer im Auge haben muss in so einer Situation wie in Israel, wo die meisten Menschen geimpft sind: Da wissen die natürlich auch, dass sie geimpft sind. Und wenn sie dann Symptome haben oder irgendwie den Verdacht haben, sie können sich angesteckt haben, dann nehmen die das nicht mehr so ernst. Dann gehen die nicht zum Arzt. Dann lassen sie sich häufig auch gar nicht testen. Dann wollen sie natürlich auch nicht irgendwie Quarantäne o.ä. Das bedeutet, dass man quasi nicht mehr den Quotienten bilden darf. Dass man sagt: Die Todesfälle, die natürlich auch in so einem Fall noch irgendwann mal auftreten, die kann man jetzt als Quotient der Gesamtzahl der gemeldeten Infektionen nehmen und hätte dann irgendeine Aussagekraft darauf, wie viele Menschen sterben anteilig an der Infektion. Weil ein Großteil der Infektionen eben gar nicht mehr registriert wird. Und dadurch, dass, wenn Sie so wollen, der Nenner nicht mehr der gleiche ist, weil Sie in einer Situation, wo sie keine Geimpften haben, eine höhere Erfassungsquote haben, als wenn sie Geimpfte haben, kann man das nicht vergleichen, kann man natürlich nicht sagen, das doppelt so viele Leute bei den Geimpften sterben wie bei den Ungeimpften. Weil das natürlich immer unterschiedliche Populationen sind, die man da miteinander vergleicht.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 204. Herr Kekulé, vielen Dank, wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Donnerstag.


Camillo Schumann


Sie wollen auch etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Kostenlos geht das unter 0800 322 00

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de. In der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 03. Juli 2021 #203: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 03. Juli 2021

Zahnschmerzen nach einer AstraZenecaImpfung?

Welcher Impfstoff ist nach einer durchgemachten Infektion zu empfehlen?

Gehen durch Blutspenden wichtige Antikörper verloren oder bilden die sich neu?

Und: Wie war das nochmal mit der Umprogrammierung unseres Immunsystems durch mRNA-Impfstoffe?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

00:41


Camillo Schumann


Diese Hörerin hat angerufen. Ihr Mann wurde im März mit AstraZeneca geimpft. Doch danach:

„Nach ca. 10 bis 12 Tagen heftige Zahnschmerzen, sodass er dann nach drei weiteren Tagen zu seinem Zahnarzt ging, nachdem er mit Schmerzmitteln auch nicht weiterkam und das hörte auch nicht auf. Sein Zahnarzt hat Untersuchungen gemacht, konnte aber nichts feststellen – weder am Zahn noch an der Zahnwurzel. Wir vermuteten dann, dass es eine Impfreaktion sei. Wir konnten aber im Internet nichts

darüber finden, dass jemand so etwas schon mal hatte.“

Tja, und es geht auch noch weiter. Denn nach der zweiten Impfung bekam ihr Mann wieder starke Zahnschmerzen. Also: Gibt es da eine Verbindung zur AstraZeneca-Impfung?


Alexander Kekulé

Natürlich ist es so, dass als mögliche Impfreaktion bei manchen Menschen ganz selten mal Nervenschmerzen auftreten. Das ist als solches schon mal eine extreme Ausnahme. Und die können natürlich mal Zahnschmerzen vortäuschen, wenn es der entsprechende Nerv ist. Anders könnte ich es mir, wenn es ein Zusammenhang sein sollte, nicht erklären. Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist allerdings tatsächlich – obwohl das zweimal aufgetreten ist – dass es zufällig war. Also, dass hier zwei Ereignisse zusammenkamen, die ursächlich nichts miteinander zu tun hatten.

02:05


Camillo Schumann


Okay, also Nervenschmerzen. Was muss man sich darunter vorstellen? Wo passiert das normalerweise?


Alexander Kekulé

Das berichten manche Menschen, dass sie so diffuse Schmerzen haben, die quasi durch Immunaktivierung, wenn Sie so wollen, ausgelöst werden können. Das ist aber auch schon eine exotische Nebenwirkung, die jetzt in dem Sinne keine – also, es ist nicht klar, ob das jetzt wirklich kausal ist oder ob das nur berichtet wird. So wie auch kribbeln in den Beinen, kribbeln in den Armen und Ähnliches, das sind so Dinge, die immer mal wieder vorkommen, wo man sich vorstellen könnte, dass das was mit damit zu tun hat, dass irgendwie die Nerven vielleicht entzündet sind oder gereizt oder Ähnliches. Aber das muss man wirklich betonen, das sind Nebenwirkungen, die in dem Bereich liegen, wo sie so exotisch sind, dass man wahrscheinlich – falls es tatsächlich bei diesen einzelnen Menschen einen ursächlichen Zusammenhang gab – den nicht rausfinden wird, weil man dafür nicht genug Probanden hätte.

03:04


Camillo Schumann


Frau W. hat gemailt, sie schreibt:

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„Ich hatte im September Corona.“

Zwei Wochen war sie krank, mit allen möglichen Symptomen. Und ja, es war einigermaßen erträglich, schreibt sie.

„Ich habe noch zehn Prozent Antikörper. Ich habe mich entschlossen, den T-Zellen Test auch noch zu machen. Ich möchte einfach wissen, wie mein Körper mit der Sache umgeht. Wenn ich jetzt genug Helferzellen habe, die mutmaßlich mit dem Virus fertig werden, sollte ich mich dann trotzdem noch impfen lassen? Und wenn ja, warum? Mit freundlichen Grüßen, Frau W.“


Alexander Kekulé

Wir haben keinen Hinweis darauf, dass Genesene allein aufgrund der Tatsache, dass die Krankheit jetzt eine Weile her ist, deshalb plötzlich nicht mehr ausreichend immun wären. Natürlich wird das irgendwann passieren. Wir wissen von anderen Coronaviren, dass diese Immunität nicht ewig hält. Das liegt hauptsächlich daran, dass das Virus sich im Lauf der Zeit verändert, aber natürlich auch daran, dass die Immunantwort jetzt nicht so bleibend ist – zumindest bei der natürlichen Infektion nicht so wirklich lebenslänglich dann hält. In diesem Fall würde ich sagen: Die Pandemie läuft ja noch nicht so lange, es gibt eigentlich keinen Grund, sich aufgrund schwindender oder möglicherweise schwindender Antikörper impfen zu lassen. Zumal wir ja gar keine Grenzwerte haben, die da sozusagen getestet wurden. Also, wenn jetzt dabei rauskommt, dass die T-Zellen-Konzentration XY ist oder die Antikörper-Konzentration so und so, dann haben wir keine Referenz, an der wir sagen können: Ab dieser und jener Konzentration ist der Impfschutz nicht mehr ausreichend. Und es ist ja auch so, dass sowohl für die Antikörper als auch für die T-Zellen – also diese Zellen, die virusbefallene Zellen eliminieren können – für beides gibt es Gedächtnisfunktionen. Das heißt, das Immunsystem kann diese aktiven, wenn ich mal so sagen darf, Soldaten vom Feld zurückziehen. Die sind dann weg. Da gibt es keine aktiven Antikörper mehr, da gibt es keine Antikörper produzierenden Zellen mehr. Da gibt es keine T-Zellen mehr, die zytotoxisch sind und diese Aktivität haben. Trotzdem liegt der Schlachtplan irgendwo noch verborgen für den Fall, dass das Virus nochmal kommt und wird dann ganz schnell ausgepackt und es

kommt zu einer schnellen Mobilisierung. Und das kann man ja nicht einfach so messen, indem man die T-Zellen bestimmt und die Antikörper. Also, es gibt dafür auch Tests, aber die sind relativ kompliziert und werden nur im Rahmen von Studien gemacht. Deshalb rate ich wirklich davon ab, sich da verrückt zu machen mit der Frage: Ist meine Immunantwort jetzt noch gut genug? Ich würde einfach sagen: Wer die Krankheit durchgemacht hat, ist erstmal ausreichend immun, insofern er nicht mehr schwerst erkrankt und höchstwahrscheinlich auch nicht stirbt an der Erkrankung.

05:45


Camillo Schumann


Aber nichtsdestotrotz gibt es ja die Empfehlung, sich nach einem halben Jahr – dann gilt man ja nicht mehr als genesen – sich dann impfen zu lassen. Ist das so grundsätzlich eher so ein bisschen übertrieben?


Alexander Kekulé

Naja, die Empfehlung beruht auf den alten Daten, wo man noch nicht sicher war, wie lange dieser Immunschutz anhält. Aber je länger diese Pandemie jetzt geht, desto deutlicher sehen wir eigentlich, dass wir gegen den genau gleichen Virustyp – gegen die gleiche Variante, die damals quasi die Infektion gemacht hat – immer noch immun sind. Also, da gibt es jetzt keine Beispiele, wo die Immunität abgenommen hat. Natürlich gibt es neue Varianten, Delta ist ja ein prominentes Beispiel. Das hat aber auch schon für die B.1.1.7 Variante Alpha aus England gegolten. Die können auch bei immunen Personen noch eine Infektion machen. Das liegt aber nicht daran, dass das Immunsystem jetzt irgendwie müde geworden wäre zwischendurch oder vergessen hätte, wie das Virus aussieht. Sondern das Virus sieht halt ein bisschen anders aus und das ist dann individuell unterschiedlich. Also, die Immunsysteme der Menschen reagieren nicht alle gleich. Manche reagieren auf so ein Virus so, dass sie sehr ökonomisch sozusagen sind und weniger Antikörper machen, die aber dafür ganz speziell dieses eine Virus erwischen – dann auch meistens mit einer hohen Affinität, wie wir sagen. Also, Avidität heißt das dann technisch, die also sehr gut binden. Und manche Menschen reagieren interessanterweise eher mit einer breiteren Immunantwort. Die gehen also dann

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großzügig mit ihren Ressourcen um. Und wenn das Virus dann wiederkommt und sich ein bisschen verändert hat, dann wird es sozusagen am Rand noch miterwischt an der Stelle. Das heißt also, das ist individuell wirklich unterschiedlich, wie spezifisch, wie selektiv die gebildete Immunantwort ist. Und deshalb gibt es halt Menschen, bei denen kommt es zu einer Zweitinfektion und bei anderen kommt es nicht dazu, obwohl neue Varianten unterwegs sind. Und weil wir all diese Dinge noch nicht bewerten können, lohnt sich das eigentlich nicht, hier durch irgendwelche Tests zu versuchen, irgendwas rauszufinden. Das bringt eigentlich für die eigene Prognose nichts. Da die Empfehlung jetzt so ist, dass man sich nach sechs Monaten impfen lassen soll, weil das sonst nicht mehr anerkannt ist, wird man eher aus formalen Gründen dann dazu genötigt, das zu machen. Aber medizinisch gesehen ist das eigentlich überkommen.

08:04


Camillo Schumann


Vielleicht ist das ja auch dann die Antwort auf die Frage unseres Hörers, der angerufen hat. Er ist 81 Jahre alt. Er hat die Infektion im Januar durchgemacht und nun hat er eine Frage zum Impfen:

„Ich hatte im Januar leider Corona, hatte ich mir im Krankenhaus geholt. Und ich bin jetzt 81 Jahre. Mein Hausarzt hat mir angeboten, ich könnte jetzt im Juli mit dem Johnson-Impfstoff geimpft werden, er würde keinen anderen mehr verimpfen. Meine erste Frage ist: Ist das für mich ratsam oder soll ich lieber auf einen anderen Impfstoff ausweichen? Bzw. habe ich erfahren, dass die Impfzentren irgendwie nur noch, wenn man Corona hatte, diesen anderen Impfstoff, diesen BioNTech, nur noch einmal verimpfen. Ist das richtig oder sollte man lieber auch dann dort auf zweimal impfen bestehen?“


Alexander Kekulé

Ja, also einmal impfen reicht tatsächlich, wenn man es dann machen will. Aus meiner Sicht gibt es dazu keine Veranlassung nach den Monaten. Und der einzige Grund wäre, dass man diesen Geimpften-Status quasi haben will, weil genesen tatsächlich in Deutschland nur sechs Monate gilt. Ich würde aber eher jetzt schon an die Verantwortlichen appellieren, mal diese

sechs Monate anzupassen, weil die Studienlage inzwischen relativ eindeutig ist, dass diese Immunität auf jeden Fall länger als sechs Monate anhält. Und da wir die Impfstoffe ja dringend brauchen für andere Dinge – wir müssen ja zusehen, dass wir für den Herbst insgesamt die Bevölkerung soweit durchimpfen, dass wir dann nicht nochmal eine schlimme Welle bekommen. Deshalb meine ich: Jetzt anzufangen, die Genesenen auch noch zu impfen, das wäre aus meiner Sicht verfrüht.

09:52


Camillo Schumann


Diese Dame hat uns eine Mail geschrieben. Sie möchte anonym bleiben. Sie schreibt:

„Wenn ich richtig informiert bin, gab es eine Preprint-Publikation einer niederländischen Uniklinik, in der untersucht wurde, wie sich eine Impfung gegen das Coronavirus auf unser Immunsystem auswirkt. Die Forschenden aus dieser Studie sprechen von einer Umprogrammierung unseres Immunsystems. Das hört sich für mich als Laie sehr bedenklich an und ich frage mich, wie diese Ergebnisse einzuordnen sind. Was genau versteht man unter Umprogrammierung? Handelt es sich hierbei um unerwünschte und langanhaltenden Nebenwirkungen der Impfung? Für eine Antwort wäre ich sehr dankbar.“

An dieser Stelle der Hinweis: In Ausgabe 147 haben wir diese Studie ausführlich besprochen. Aber da es dazu in letzter Zeit auch mehrere Fragen von Hörerinnen und Hörern gab, vielleicht nochmal eine kurze Einschätzung.


Alexander Kekulé

Grundsätzlich ist es so, dass das Immunsystem immer, wenn wir eine Infektion haben, auf diese eine Infektion so reagiert, dass es sich in dem Moment spezialisiert. Das heißt also, wenn wir eine Virusinfektion haben, da wird die spezielle Antwort aktiviert quasi, die für eine Virusinfektion wichtig ist, aber nicht die Antwort, die zum Beispiel für die Abwehr von Bakterien wichtig ist oder die Abwehr von Parasiten. Und dadurch gibt es alle möglichen Effekte. Also, manchmal ist es so, dass, wenn ein bestimmtes Virus abgewehrt wurde und dann kurz danach ein ähnliches Virus oder ein anderes Virus kommt, dann ist das Immunsystem

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sozusagen schon vorprogrammiert für eine Virusabwehr und dann schneller, obwohl es ein anderes Virus ist. Also, Sie haben zum Beispiel einmal mit einem Schnupfenvirus zu tun gehabt und jetzt kommt als Nächstes so ein harmloses Coronavirus daher. Die sind sich bis zum gewissen Grad ähnlich und das Immunsystem ist sowieso schon so schön im Schwung und macht dann das Coronavirus eben schneller fertig, als es das machen würde, wenn es sich aus dem Stand quasi aktivieren müsste. Umgekehrt gibt es auch Effekte, dass, wenn dann man gerade mit einem Virus zu tun hatte und als Nächstes kommt also ein Bakterium oder ein Parasit wie die Malaria-Erreger, dann ist man wieder in der Situation, dass es erst quasi so einen Umschalt-Mechanismus geben muss, weil die Immunantwort dann anders funktioniert gegen diese anderen Arten von Erregern. Und dann kann es sein, dass die vorherige Virusinfektion das verzögert, dieses Umschalten quasi verzögert auf den anderen Erreger. Und bei den Impfungen sehen wir eben, dass das Immunsystem quasi in einen Status versetzt wird, wo kurz danach die Immunantwort gegen andere Erreger – bei der Studie dort ist es mit Bakterien und ich glaube mit Pilzen untersucht worden – dann quasi gestört wird. Das haben die Reprogrammierung genannt, weil einfach die Immunantwort dann sozusagen in dem einen Zustand ist, der also nicht geeignet ist, um den anderen Erreger abzuwehren. Ob das jetzt schädlich ist? Es ist zumindest eine überraschende Nebenwirkung, weil wir so was zumindest bisher bei Impfstoffen noch nicht beobachtet haben. Und deshalb ist die Studie interessant – wir haben sie hier besprochen – weil sie ein Beispiel dafür ist, dass mit diesen RNA-Impfstoffen eben noch nicht so viel erforscht ist wie mit anderen Impfstoffen und dass man deshalb interessante, auch überraschende neue Ergebnisse hat. Ob die jetzt gut oder schlecht sind, das kann man an der Stelle noch gar nicht sagen. Also, das hat jetzt keine nachteiligen Auswirkungen gehabt. Aber es illustriert halt so ein bisschen, dass man hier wissenschaftlich auch Neuland im Grunde genommen betreten hat und dass man das in sehr großem Stil einsetzt. Und da werden wir sicher sehr viel lernen über das Immunsystem an der Stelle. Ich glaube, dass das Coronavirus auch insgesamt für die Virologie

und für die Epidemiologie und eben auch für Teile der Immunologie so einen ähnlichen Effekt hat wie die Mondlandung für die Raumfahrt und für die Luftfahrt. Ja, das ist so, dass die ganze Technologie da vorangetrieben wird und wir irrsinnig viel lernen. Aber lernen heißt eben auch: Vorher nicht wissen. Und dafür war dieses Ergebnis – was sehr überraschend war, dass das Immunsystem hier so ähnlich umprogrammiert wird, wie wir das sonst eigentlich nur bei echten Infektionen kennen – das war ein überraschendes Ergebnis.

14:11


Camillo Schumann


Dieser Arzt hat angerufen. Er und seine Frau sind geimpft, auch seine Kinder im Teenageralter. Doch sein 14-jähriger Sohn noch nicht. Nun will er wissen: Soll er ihn impfen oder nicht?

„Mein Sohn, vierzehneinhalb Jahre. Soll ich ihn impfen? Soll ich ihn nicht impfen? Kontextfaktoren sind Folgende: Er hat vielleicht eine neurodermitische Neigung so zu seiner Gesundheit, sonst ist er relativ fit. Wir leben zusammen in einem Zweifamilienhaus, sehr eng mit meinen doch zunehmend pflegebedürftigen Eltern. Soll ich ihn nicht impfen, wegen den unknown unknowns? Also, ich tendiere, ihn impfen zu lassen, wenn die Schule wieder losgeht. Bei uns im Haushalt wäre er der einzige nicht Geimpfte und in der Schule, wenn ihnen dann wieder diese ganzen Testungen und die QuarantäneDrohung und sie dieses und jenes nicht dürfen – also, das sind so für mich diese Abwägungen. Und da wollte ich mal um Rat fragen, was Sie, Professor Kekulé, da an meiner Stelle machen würden. Sie sagen ja immer offen – das finde ich sehr sympathisch – dass Sie auch Kinder haben. Also, was würden Sie an meiner Stelle machen? Da bin ich so ein bisschen hinund hergerissen.“


Alexander Kekulé

Ich selber würde wahrscheinlich nicht aus Bequemlichkeit die Kinder impfen. Und ich fürchte, es wird im Herbst so sein, dass egal, ob die Kinder geimpft sind oder nicht – falls es dann wirklich zu so Quarantäneanordnungen oder Ähnlichem kommt – da wird man dann nicht ordentlich Spreu vom Weizen trennen. Das heißt also, das wird dann wahrscheinlich so sein, dass dann sowieso alle nach Hause

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müssen, wenn Quarantäne angesagt ist. Und wenn man dann sagt: Aber mein Kind ist das einzige geimpfte in der Klasse, wird es wahrscheinlich nichts bringen. Für mich wäre die entscheidende Frage, wie das mit den pflegebedürftigen Eltern ist. Wenn die bereits geimpft sind, also geschützt, dann gibt es eigentlich epidemiologisch keinen Grund, das Kind zu impfen, weil man dann davon ausgehen kann, dass der ganze Haushalt im Grunde genommen gesichert ist. Dann würde es auch nichts ausmachen, wenn das Kind im schlimmsten Fall sich dann ansteckt an der Stelle. Das Risiko, im Herbst als Kind eine Infektion abzubekommen, das ist halt jetzt schwer einzuschätzen. Wenn wir alles gut machen, wenn wir insgesamt die Inzidenz halbwegs unter Kontrolle halten, wenn wir einen großen Teil Geimpfte in der Bevölkerung haben, wenn wir massivere Ausbrüche in den Schulen verhindern – natürlich auch durch testen, klar, das wird vorkommen, testen und gelegentlich eben Quarantäne – dann ist es eigentlich nicht gesagt, dass jedes Kind dann im Herbst statt der Impfung eine Infektion bekommen soll. Das ist ja so eine Streitfrage, das Bundesgesundheitsministerium sagt ja im Moment gerade in Anlehnung an einen bekannten Virologen: Wer sich nicht impfen lässt, wird infiziert. Ich meine, das kommt ein bisschen auf uns an. Wenn wir die Pandemie nicht einfach durchlaufen lassen im Herbst, sondern klug reagieren, dann ist es keineswegs gesagt, dass die Kinder alle im Herbst infiziert werden. Und dann könnte man unter Umständen auch nochmal ein Schuljahr warten mit der Impfung, bis man mehr Daten hat bezüglich der RNA-Impfstoffe oder vielleicht sogar alternative Impfstoffe zur Verfügung stehen. Also, ich kann es leider nur so allgemein beantworten, weil das ist wahnsinnig schwierig, für eine Situation, die man nicht kennt, eine Empfehlung zu geben. Also, ich selber kann ja offen sagen, dass meine Kinder nicht geimpft sind gegen Corona, wegen der unknown unknowns. Ja, das ist letztlich ein Risiko, was schwer einzuschätzen ist. Und ein Risiko, was ich nicht einschätzen kann, das ist für mich immer wie: Wir schwimmen in einem Wasser, wo ich nicht weiß, wie tief das ist. Und da habe ich die Verantwortung für meine Kinder in diesem Sinn jetzt so ausgeübt, dass ich gesagt

habe: Ich warte erstmal ab. Heißt aber überhaupt nicht, dass ich dagegen wäre, die Kinder zu impfen. Also, ich glaube, es wäre aus meiner Sicht ein vernünftiges Konzept, insgesamt zu sagen: Wir werden eine Impfempfehlung für Kinder bei Covid aussprechen oder zumindest mal für die ab 14-Jährigen als erste Stufe – für den nächsten Herbst, also für den Schulbeginn 2022, weil dann eben die nächste Winterwelle droht und weil man bis dahin einfach genug Erfahrungen haben wird. Und ich sehe im Moment keinen Grund, warum das jetzt übers Knie gebrochen werden soll. Zumal ich glaube, dass wir die Herbstwelle anderweitig unter Kontrolle bekommen können.

18:52


Camillo Schumann


Dieser Arzt war sich eben noch unsicher. Diese besorgte Mutter, die uns eine Mail geschrieben hat, die hat die Entscheidung schon getroffen, ihren Sohn impfen zu lassen. Wir sollen ihren Namen nicht nennen, da auch ihr Kinderarzt diesen Podcast hört. Sie schreibt:

„Nun habe ich für unsere Tochter am kommenden Mittwoch einen Termin beim Kinderarzt bekommen. Unser Sohn muss noch mit der Impfung abwarten, bis er im Juli 12 wird. Das wird er demnächst sein. Wir wissen, dass insbesondere nach der zweiten Impfung bei Kindern sehr selten eine Myokarditis auftreten kann. Meine Frage: Würde es aus Ihrer Sicht Sinn machen, unsere Kinder vorerst nur einmal impfen zu lassen, da die Myokarditis meistens nach der zweiten Impfung auftritt? Denn nach der ersten Impfung müsste doch für gesunde Kinder vielleicht schon ein ausreichend guter Impfschutz vorliegen. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Nein, das macht in dem Fall keinen Sinn, weil beides extrem unwahrscheinlich ist. Und wenn man zwei extrem unwahrscheinliche Ereignisse hat, wo der Abstand, wo der Unterschied gering ist, dann ist das kein Grund, darauf eine Entscheidung zu basieren. Wenn Sie sozusagen versuchen, aus fünf Kilometern Entfernung auf eine Zielscheibe zu treffen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das ohne Zielfernrohr hinkriegen, relativ gering. Und wenn ich dann sage: Ja okay, dann mache ich die Zielscheibe eben statt einen Meter, einen Meter 50 groß. Dann wird es aber trotzdem Ihre Chancen, die

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Scheiben zu treffen, auch nicht verändern, obwohl 1,50 doch größer als ein Meter ist. Also, an so einem Beispiel sieht man, bei einem extrem unwahrscheinlichen Ereignis ist sozusagen eine kleine Änderung, die additiv ist und nicht multiplikativ – würden dann Mathematiker an der Stelle sagen – die macht da den Braten auch nicht fett. Und deshalb würde ich sagen, kann man dann auch zweimal impfen, weil eben überhaupt die Wahrscheinlichkeit für solche Nebenwirkungen gering ist. Und wenn es Gründe gibt, zu impfen beim jungen Menschen, würde ich jetzt die echt seltene Myokarditis nicht überbewerten. Selbst, wenn sie auftritt, geht sie normalerweise folgenlos vorüber – zumindest nach allem, was wir bis jetzt wissen. Und man sollte sich halt nach der Impfung, gerade jüngere Menschen, dann vielleicht die nächsten zehn Tage, zwei Wochen körperlich nicht überlasten.

21:09


Camillo Schumann


Frau H. hat gemailt und sie möchte wissen:

„Ist jemand, der zweifach geimpft ist und sich trotzdem infiziert, dadurch zusätzlich resistent? Oder anders ausgedrückt: Summieren sich die Abwehrkräfte sozusagen durch Impfung plus Infektion, sodass man dann einen nahezu hundertprozentigen Schutz hat? Für eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar. Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Einhundert Prozent werden es natürlich nicht, so ist die Frage auch nicht gemeint. Ja, das ist tatsächlich so. Es gibt diesen Additionseffekt. Es ist wahrscheinlich sogar mehr als Addition, sondern es sind synergistische Effekte. Also, das Immunsystem hat ja dann schon beim ersten Kontakt etwas gelernt – spielt keine Rolle, ob das erste die Impfung oder die Infektion war. Und beim zweiten Kontakt nutzt es sozusagen das Repertoire, was es beim ersten Mal schon gelernt hat, und setzt sich dann nochmal mit dem gleichen Erreger auseinander und wird dann eine Stufe besser. Das ist so ähnlich wie in der Schule, da kommt es einem ja auch ständig vor, dass man irgendwie nach ein paar Klassen das Gefühl hat, der gleiche Stoff wird nochmal durchgenommen. Lehrer machen das ganz absichtlich, weil, wenn man sich das gleiche Problem nochmal anschaut, aber schon Grundlagenwissen dazu hat, dann sieht man

mit einem ganz anderen Blickwinkel drauf, lernt effektiver und ist dann hinterher auch in der Lage, komplexere Zusammenhänge zu verstehen. Und das funktioniert eins zu eins so beim Immunsystem. Das kann dann unterscheiden: Welche Antikörper waren beim letzten Mal gut geeignet? Ah, der und der hat nicht so gut funktioniert. Und dann hat es sich quasi den Plan gemerkt für den guten Antikörper. Und wenn das gleiche Virus nochmal kommt, dann ist es nicht nur additiv, sondern das ergänzt sich dann multiplikativ, sozusagen synergistisch.

22:51


Camillo Schumann


Diese Dame hat angerufen. Sie möchte etwas für ihren Sohn wissen:

„Mein Sohn, 26 Jahre ohne Vorerkrankungen, soll seine zweite BioNTech-Impfung nun schon nach drei anstatt nach sechs Wochen erhalten. Wird dadurch die Wirksamkeit des Impfstoffs nicht geringer? Er hat die Gelegenheit, sich anderswo mit einer längeren Frist nach vier oder sechs Wochen Abstand impfen zu lassen. Für eine Empfehlung wäre ich dankbar.“


Alexander Kekulé

Ja, also, grundsätzlich ist es tatsächlich so, wenn der Abstand länger ist – das wissen wir ja so ganz allgemein – dann ist der Impfschutz etwas besser. Ob jetzt der Unterschied von drei Wochen – also, drei gegen sechs Wochen – ob das da den Braten fett macht und man deshalb den Termin jetzt absagen und sich nach einem anderen umsehen sollte, das würde ich jetzt nicht sagen. Also, wenn man den Termin hat und er ist nach drei Wochen, dann soll man das einfach machen. Bei den Zulassungsstudien war es ja so, dass drei bis sechs Wochen quasi möglich waren. Und der ist auch zugelassen, ganz offiziell, für einen Abstand von drei bis sechs Wochen zwischen den zwei Impfungen. Und deshalb würde ich jetzt sagen: Das lohnt sich nicht, da quasi an der zweiten Stelle hinterm Komma noch was zu optimieren. Klar, wenn man jetzt Empfehlungen für eine ganze Bevölkerung rausgibt, wo das ja dann natürlich Millionen von Menschen sind und wenn es nicht mehr um die Frage von drei Wochen plus oder minus geht, sondern zum Beispiel man sagen würde: Wie wäre es denn, wenn man sich erst nach einem halben Jahr impft, die zweite

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Impfung macht? Da würde man natürlich sagen, dann ist das insgesamt für die Gesamtimmunität, für den Herdenschutz, der da entsteht, natürlich schon besser, länger zu warten. Aber das hat dann ja auch den Nachteil, dass man dann viele Menschen hat, die eine lange Zeit nur einmal geimpft sind. Und wenn die dann im Risiko stehen, exponiert sind, wie wir sagen würden – also, in Gefahr sind, sich zu infizieren – dann kriegt man natürlich in diesem Zeitraum mehr Infektionen von einmal Geimpften. Und was die Epidemiologen dann immer abwägen, ist: Wie schlimm ist das? Und wenn man dann feststellt: Die einmal Geimpften, nun gut, die sterben nicht, die geben das Virus auch nur begrenzt weiter. Dann kann man sagen: Wir empfehlen sechs Monate, weil das insgesamt von der Gesamtdynamik besser ist. Und wenn aber zwischendurch die Leute schwerst erkranken, dann wird man sagen: Möglichst schnell die zweite Impfung. Das gilt aber nur epidemiologisch und individuell. Gerade bei drei Wochen Unterschied würde ich sagen: Das ist Jacke wie Hose. Einfach machen, wenn der Termin steht.

25:15


Camillo Schumann


Frau S. hat gemailt. Sie schreibt:

„Seit Mitte Juni gelte ich, weiblich, 56, offiziell als vollständig geimpft. Als regelmäßige Blutspenderin könnte ich am 14. Juli wieder Blutspenden. Ist das aus Ihrer Sicht ratsam? Oder verliere ich dadurch wertvolle Antikörper? Kann der Körper diese bei der Nachproduktion von Blut wieder auf den alten Stand bringen? Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, da ich davon abhängig eventuell den Termin auch absagen würde. Mit freundlichen Grüßen, Frau S.“


Alexander Kekulé

Also, bei einem ganzen Monat Abstand bis zur Blutspende würde ich sagen, ist das überhaupt kein Risiko, dann Blut zu spenden nach der Impfung. Sicherlich sollte man das vielleicht nicht in den ersten zwei Wochen machen. Da baut sich der Immunschutz erstmal auf. Und eine Blutspende ist natürlich auch eine gewisse Belastung für den Körper. Aber nach einem ganzen Monat Abstand sehe ich da gar kein Risiko. Und es ist ja so, dass das Wichtige ja nicht ist, dass man Antikörper hat, die man dann

quasi behält für den Fall, dass das Virus kommt. Die Antikörper werden zwar gebildet als Reaktion auf die Immunisierung, auf den Impfstoff. Aber es ist so, dass diese Antikörperbildung dann typischerweise auch wieder nachlässt. Und das Entscheidende ist, dass das Immunsystem gelernt hat, diese Antikörper zu bilden. Also, da gibt es dann weiße Blutzellen, die verschwinden irgendwo im Knochenmark oder in irgendwelchen Lymphknoten. Und die haben das dann drauf, die Antikörper jederzeit wieder neu zu produzieren, falls das Virus kommt. Und die gibt man auch nicht her, wenn man eine Blutspende macht, weil die sitzen eben, wie gesagt, irgendwo in Organen und zirkulieren gar nicht mehr im Blut.

26:52


Camillo Schumann


Herr M. hat gemailt:

„Wenn ich als aufmerksamer Zuhörer dieses Podcasts Professor Kekulé richtig verstanden habe, dann ist der Erwartungswert, dass Viren mit der Zeit in Richtung ansteckender, aber harmloser mutieren. Die Delta-Variante ist nach allem, was man weiß, deutlich ansteckender und es gibt Überlegungen, ob sie weniger gefährlich sein könnte. Wenn es nun eine harmlosere Variante gäbe, welche das Potenzial hat, einen bisherigen, gefährlicheren Typ zu verdrängen, kann dies dann nicht von entscheidendem Nutzen sein? Könnte es daher nicht auch kontraproduktiv sein, von vornherein die Verbreitung jeglicher neuer Varianten unterbinden zu wollen? Könnte dies nicht unter bestimmten Voraussetzungen sogar zu mehr Toten führen? Viele Grüße, Herr M.“


Alexander Kekulé

Die Dynamik haben wir noch nicht durchgerechnet. Also, mein Eindruck ist, dass das bei diesem Coronavirus nicht so ist, dass man was falsch macht mit der Impfung. Und zwar deshalb, weil wir einfach weltweit noch so viele Menschen haben, die wirklich im Risiko stehen und die, egal mit welcher Variante, ein hohes Risiko haben, daran zu sterben. Und deshalb muss man da einfach impfen, um diese Todesfälle zu verhindern. Das ist hauptsächlich der Grund. Rein theoretisch könnte man sich schon vorstellen, dass es eine Dynamik geben könnte bei einem anderen Virus, wo man un-

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günstigerweise Varianten züchtet, die gefährlicher sind als die, die natürlicherweise entstehen würden, indem man früh impft. Das ist nicht auszuschließen, dass es solche Effekte rein theoretisch gibt. Also, man könnte das akademisch diskutieren, aber bei dieser konkreten Pandemie ist das nicht der Fall. Da ist es wirklich so, dass die Varianten ja auch nicht als Folge der Impfungen entstehen. Sondern die Varianten entstehen ja typischerweise, wie wir gesehen haben, in Populationen, wo noch gar nicht geimpft wird.

28:37


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 203. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 06. Juli, wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an, das geht auch, kostenlos: 0800 300 22 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 01. Juli 2021 #202


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links

Studie: Prävention und Abschwächung von Covid-19 mit den Impfstoffen BNT162b2 und mRNA-127 (30.06.) Prevention and Attenuation of Covid-19 with the BNT162b2 and mRNA-1273 Vaccines | NEJM

Studie: Geruchsund Geschmacksstörungen verschwinden meist innerhalb eines Jahres (24.06.) Clinical Outcomes for Patients With Anosmia 1 Year After COVID-19 Diagnosis | Infectious Diseases | JAMA Network Open | JAMA Network

Donnerstag, 01. Juli 2021 

Camillo Schumann


Der Rückgang der Infektionen verlangsamt sich, und die Impfbereitschaft scheint abzunehmen, was diese Entwicklung für den Herbst bedeuten könnte.

Dann: wie wirkungsvoll die mRNAImpfstoffe von BioNTech, Pfizer und Moderna unter Realbedingungen gegen Varianten sind. Es gibt neue Studiendaten

Dann: Geruchs und Geschmacksverlust nach einer COVID-19 Erkrankung spätestens nach einem Jahr ausgestanden. Auch dazu neue Daten.

Und sollte man, um gegen die Varianten gut geschützt zu sein, zwei Impfserien mit unterschiedlichen Impfstoffen durchführen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR AKTUELL das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Ja. Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfektionen geht weiter zurück. Das ist gut. Aber es wird immer deutlicher, dass sich der Rückgang verlangsamt. Nahmen die Neuinfektionen am Donnerstag in der KW 23 auf Donnerstag in KW 24 noch um 58 Prozent ab, waren es die Woche drauf nur noch 25 Prozent und von vergangener auf diese Woche nur noch 12 Prozent. Und vergleicht man die anderen Tage der Woche, da sieht es ähnlich aus. Die Abnahme verlangsamt sich, und zwar spürbar. Grund zur Sorge wie bewerten Sie das?


Alexander Kekulé

Nein, das ist kein Grund zur Sorge, sondern man muss sich einfach vor Augen halten, wir werden nicht auf null kommen. Die Idee von null COVID sozusagen, die funktioniert nicht. War ja auch von den Autoren damals nicht so gemeint, dass es wirklich ganz auf null geht. Das liegt einfach daran, dass wir immer einzelne Blasen von Infektionen irgendwo im Land haben, die sich natürlich auch untereinander ausbreiten. Sprich, Leute, die sich nicht an die Regeln halten oder importierte Infektionen, die mal kleine Infektionsketten machen. Das ist natürlich auch bei einer niedrigen Inzidenz der Fall. Interessanterweise, wenn man dann für diese Ausbrüche den R-Wert ausrechnet, also diese Reproduktionszahl, dann wäre die durchaus ziemlich hoch. Also es kann durchaus sein,

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dass man jetzt, in einer kleinen Region in einem Ausbruch in einer Schule dann so ein R ermitteln würde, was bei drei, vier oder fünf liegt. Aber das sind eben lokale Ereignisse. Bundesweit mittelt sich das Ganze dann raus, sodass wir in so einer Situation natürlich nicht auf null kommen. Das ist völlig ausgeschlossen. Das wird sich auf irgendeinem niedrigen Plato einpendeln. Ich finde es schon ganz toll, dass es überhaupt so schnell so niedrig gegangen ist. Das hätte ich nicht erwartet, hätte eher gedacht, dass es eine Weile noch bei so 30 rumdümpelt und erst dann in diesem Bereich eigentlich sich festsetzt. Aber wir sind ja deutlich runter, und darüber sollten wir uns freuen. Dass es jetzt nicht weiter abnimmt, das ist nicht beunruhigend. Sondern alles andere wäre eher ein Hinweis darauf, dass die Zahlen nicht stimmen.


Camillo Schumann


Also die Abnahme der Neuinfektionen, verlangsamt sich. Sie sagen kein Grund zur Sorge, aber die Zahl der Zweitimpfung, die geht auch erwartungsgemäß zurück. Aber die Zahl der Erstimpfungen steigt nicht mehr an. Der Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes, Ulf Zitterbart, der spricht sogar von einem Sättigungsbereich, der nahezu erreicht sei. Die es wollten, sind geimpft. Andere sind noch unentschlossen, wollen es nicht oder sind zu jung für die Impfung? Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping sieht im Interview bei MDR AKTUELL hier ein echtes Problem. Wir hören mal rein.

Petra Köpping

Ja, der Sommer ist trügerisch. Das kann man durchaus so sagen. Auf der einen Seite sagen alle ist doch gar nichts mehr. Wir haben jetzt eine Inzidenz unter fünf in Sachsen. Wir haben sogar Städte und Gemeinden, die null haben. Insofern macht das natürlich auch ein Stück weit unbefangener. Ich will nicht sagen leichtsinnig, aber unbefangener. Und genau das ist das trügerische. Und deswegen ist es jetzt an der Zeit, dass genau die, die jetzt die ganze Zeit gesagt haben, warum waren wir nicht priorisiert? Warum konnten wir noch keinen Termin

bekommen? Dass wir jetzt wirklich in fast allen Impfzentren Termine zur Verfügung stellen können. Wir werden auch in Kürze beginnen, dass man ohne Termin ins Impfzentrum kommen kann. Also, wenn man Zeit hat, einfach hinkommt. Das werden wir propagieren. Und ich glaube, dass das ganz wichtig ist, dass die Menschen, die bisher noch zögerlich waren, weil sie vielleicht das System zu umständlich gefunden haben, dass die leichte Zugänge bekommen.


Camillo Schumann


Herr Kekulé, wir haben genug Impfstoff, regional auch erstmals mehr als abgerufen wird, heißt es im Bundesgesundheitsministerium. Aber die Impfbereitschaft, die scheint abzunehmen. Sättigungsbereich ist da gefallen. Was kann dieser Umstand für den Herbst bedeuten?


Alexander Kekulé

Wir haben hier letztlich mindestens drei Kategorien von Menschen. Die einen sind die, die unbedingt geimpft werden wollten und sich tatsächlich dann haben impfen lassen. Dann gibt es Menschen, die noch nicht überzeugt sind, aber die durchaus überzeugbar wären. Und die dritte Kategorie sind die Unverbesserlichen, die halt auf keinen Fall geimpft werden wollen. Und dieser mittlere Bereich, der ist ganz entscheidend bei jeder Kampagne. Das hängt wirklich von der Politik und von einer Kommunikation ab. Man muss eben jetzt sehr deutlich machen, wie wichtig diese Impfung ist und den Teil der Menschen erreichen, die eben nur über eine Kampagne überzeugt werden können. Das betrifft insbesondere natürlich Menschen in sozialen Brennpunkten, die auch vorher für die Corona-Schutzmaßnahmen schwer erreichbar waren. Wo ja auch, muss man offen sagen, ein großer Teil der Schwerstkranken herkamen, wenn man so das Bild auf die Intensivstation gesehen hat. Und jetzt sind wir in der Situation, dass wir die gleichen Menschen eben noch einmal erreichen müssen, die wir damals nur schlecht erreicht haben, diesmal mit dem Wunsch, dass sie sich impfen las-

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sen. Ich glaube, das darf man nicht aus den Augen verlieren. Das muss die Politik wirklich machen. Das ist die schwierigste Strecke. Man könnte fast sagen, das ist der schwierigste Teil dieser ganzen Pandemiebekämpfung, jetzt auf eine vernünftige Impfquote zu kommen. Und was bedeutet das für den Herbst? Also ich glaube, wenn man so 70 Prozent erreicht, das ist so mein Vorschlag, 70 Prozent der Erwachsenen, wenn man die immunisiert, dass man dann für den Herbst ein gutes Konzept machen kann, was keine weiteren Lock Downs braucht. Und das halte ich durchaus für machbar.


Camillo Schumann


Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, der hat sich im Interview bei WDR2 zur Situation im Herbst auch geäußert. Und der hat eine andere Zahl genannt.

Armin Laschet

Wir müssen als Erstes weiter impfen. Wenn wir bis dahin das Ziel erreicht haben, bis 80 Prozent der Menschen geimpft sind, ist es eine völlig andere Lage als im letzten Herbst. Wir haben dann einen Großteil der Bevölkerung geschützt. Und ansonsten gelten dann die Vorsichtsmaßnahmen, die wir auch im Moment walten lassen. Jetzt können wir Einschränkungen zurücknehmen, und wir werden auf Dauer, auf Jahre möglicherweise, das sagen übrigens auch Virologen mit Corona Viren leben müssen. Und wir können nicht jedes Mal wieder alles auf null fahren.


Camillo Schumann


Sie sagen 70 Prozent der Erwachsenen. Herr Laschet spricht von 80 Prozent, lässt hier aber völlig offen, ob er jetzt die Impfwilligen meint oder die Erwachsenen. 70 oder 80 Prozent, macht es einen großen Unterschied?


Alexander Kekulé

Naja, der Unterschied ist nicht so groß. Aber ich höre bei ihm schon ein anderes Konzept durch. Also er sagt ich glaube, er bezieht sich auf 80 Prozent der Bevölkerung. Und die Zahl wiederum die kommt noch aus der alten Welt, gegen die ich ja schon lange so ein bisschen

anrede. Die Idee, dass es da so etwas wie Herdenimmunität geben könnte. Da hat man ja am Anfang immer gesagt, so die einfache Rechnung, fast hätte ich gesagt Milchmädchenrechnung, die Maximalgeschwindigkeit R null bei dieser Virusausbreitung liegt im Bereich von drei. Und deshalb müssen ungefähr zwei Drittel, also 66 Prozent der Bevölkerung, geimpft sein oder immun sein auf eine andere Weise. Damit quasi die Pandemie abnimmt. Das war immer so diese Idee, dass dann Herdenimmunität eintritt. Sie wissen, dass ich von dem Begriff nichts halte und auch glaube, dass sich im Lauf der Pandemie wirklich deutlich gezeigt hat, dass dieses Konzept überholt ist, weil wir eben ständig Varianten haben und weil es keine sterile Immunität gibt, das heißt auch geimpfte und genesene gelegentlich mal das Virus weitergeben. Auf dieser Basis aufsetzend ist jetzt so, dass einige Leute, die noch so ein bisschen oldschool an der Stelle sind, die sind jetzt nicht nur in der Politik. Da gibt es durchaus auch Fachleute. Zum Beispiel bei der WHO, die so ähnlich denken. Die sagen, na gut, die Delta Variante ist stärker ansteckend. Also müssen wir von 66 Prozent auf 80 Prozent hochgehen. Und ich glaube, aus dieser Ecke hat Herr Laschet die Zahl gegriffen. Es ist nicht so wirklich wichtig. 80 Prozent der Gesamtbevölkerung das werden sie nicht schaffen, also von 83 Millionen Bundesbürgern 80 Prozent impfen, halte ich für absolut illusorisch. Ich weiß nicht genau, wie die Umfragen bei der Impfbereitschaft sind. Kommt weit, weit drunter. Und ich kann ja mal kurz sagen, wie ich auf die 70 Prozent komme. Das ist ja auch nur so eine Empfehlung. Also, ich würde da jetzt nicht schachern. Aber es ist natürlich so, wir haben erstens, so tendenziell, offiziell sagen meistens um die 75 Prozent der Leute, sie würden sich impfen lassen. Zweitens ist es so, wenn sie dann sagen 70 Prozent der Erwachsenen impfen. Die Jugendlichen und Kinder kommen im Moment ja gar nicht in Frage. Dann ist da noch ein gewisser Puffer drin. Zweitens bezieht dieser Schätzer mit ein, dass ein Teil der Menschen natürlich genesen und dadurch immun ist. Das ist ja inzwischen ein relativ großer Teil

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der Bevölkerung. Da kann man jetzt sagen, bravo, das liegt daran, dass wir vorher die Maßnahmen nicht konsequent durchgezogen haben. Aber das hat eben auf der einen Seite den Nachteil gehabt, dass viele Menschen gestorben sind. Unnötigerweise gestorben sind. Insbesondere, weil man die Risikogruppen, die man hätte schützen können, nicht geschützt hat. Aber wenn man so will, ist die andere Seite der Medaille, dass man natürlich auf diese Weise relativ viele durchimmunisiert hat, die eben nicht gestorben sind und jetzt quasi zu den geimpften dazugezählt werden können. Und wenn man sagt, 70 Prozent der Erwachsenen impfen, dann sind wir in einem Komfortbereich, wo wir eigentlich davon ausgehen können, dass wir uns für einen Herbst, ziemlich viel wieder leisten können. Mein Vorschlag sagt ja 70 Prozent. Übrigens, es gibt etwa 70 Millionen Erwachsene, also 70 Prozent von 70 Millionen impfen bis Mitte September. Wenn die Schulen dann wieder richtig anlaufen, dafür bräuchten wir ungefähr 30 Millionen Impfdosen so grob geschätzt. Die haben wir bis dahin. Also wenn die Lieferungen halbwegs okay sind, was das Bundesgesundheitsministerium auf der Webseite hat, dann haben wir die sogar locker. Das können wir alleine mit RNA-Impfstoffen stemmen. Meines Erachtens sind die Vektorimpfstoffe, also AstraZeneca und Johnson und Johnson, inzwischen aus verschiedenen Gründen aus dem Spiel heraus. Und wir werden, da wir ja in der Größenordnung von 600.000 Impfungen pro Tag ungefähr liegen, meine ich ist das auch auf jeden Fall bis Mitte September zu machen. Das heißt, das wäre ein klares Programm. Das wäre ein Ziel, was erreichbar ist, und das müsste man natürlich dann auch mit einer großen Kampagne kommunizieren. Und man müsste den Menschen auch dazu sagen, was sie dafür im Herbst bekommen, was sozusagen der Vorteil ist, wenn man diesen Anteil der Bevölkerung impft.


Camillo Schumann


Die COVID-19 Impfbereitschaft der Bevölkerung liegt nach aktueller RKI-Befragung, die kam gestern raus bei 67 Prozent. Das ist jetzt

nicht so doll. Das RKI, das schreibt noch dazu, berücksichtigt man die bereits mindestens einmal geimpften Personen mit. Dann ergibt sich ein Anteil von etwa 88 Prozent impfbereiter beziehungsweise bereits geimpfter Personen. Kann man diese beiden Werte einfach so addieren?


Alexander Kekulé

Das ist ein bisschen merkwürdig. Weil die, die geimpft wurden, gehören natürlich zu den impfbereiten. Ich kenne mich mit Umfragen nicht so aus, aber ich weiß, das wird ja immer wieder erhoben. Man muss sagen, diese Umfragen, die sind natürlich sehr, sehr saisonal. Also im Moment, das hat die Ministerin gerade im O-Ton völlig richtig gesagt. Die Menschen fühlen sich jetzt nach Entspannung. Die Pandemie ist irgendwie gefühlt vorbei. Und da ist der Druck, sich impfen zu lassen nicht mehr so groß. Und ich sag mal so ein bisschen zynisch, ich glaube auch, dass die Reiseplanungen für den Sommer abgeschlossen sind. Die einen sind schon geimpft und wollen wegfahren, die anderen sind ungeimpft, aber es ist ihnen egal, weil sie eh nicht wegfahren. Und ich glaube, diese Wurst, die da vor der Nase hing, wer geimpft ist, kriegt den EU-Pass und darf ins Ausland, die hat sich eine Rolle gespielt. Und man muss auch aufpassen. Dieses ganze Impfthema, das ganze Corona-Thema ist ja eines der vielen heißen Eisen geworden, die wir politisch und sozial haben in Deutschland. Erstaunlicherweise in kurzer Zeit hat es sich so verglichen zu anderen Themen, wie ich sag mal Tierschutz, Homöopathie, Umweltschutz und solchen Dingen dazu gesellt, wo ganz schnell Polarisierungen entstehen muss.


Camillo Schumann


Gender-gerechte Sprache.


Alexander Kekulé

Ja, Gender-gerechte Sprache, super Beispiel genau. Oder Vegetarier, um noch eins draufzusetzen. Und es ist so, diese ganzen Themen, diese Spalterthemen, da ist jetzt im Grunde genommen Corona in kürzester Zeit in die erste Reihe mit aufgerückt. Und was hat das zur

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Folge? Das hat zur Folge, dass Leute, die sich insgeheim gar nicht impfen lassen wollen, glaube ich, bei solchen Umfragen und auch im sozialen Umfeld, das eher nicht zugeben, sondern sie wissen, es ist jetzt einfach korrekt zu sagen ich will mich impfen lassen. Und deshalb glaube ich, dass auch diese Umfragen ein bisschen verzerrt sind.


Camillo Schumann


Sozial erwünschte Antwort wie früher. Lesen Sie die Bild-Zeitung? Natürlich nicht, aber trotzdem war es die auflagenstärkste Zeitung in Deutschland. Welchen Druck weil Sie gerade gesagt haben der Druck, der da ausgeübt wird, welchen Druck die Politik hat, die Impfung voranzutreiben und damit steigende Zahlen im Herbst und möglicherweise einen weiteren Lock Down zu verhindern, das hat man auch gestern in Bayern spüren können. Nach der Kabinettssitzung hat Ministerpräsident Markus Söder vor versammelter Presse seinen Vize Hubert Aiwanger sagen wir mal bloßgestellt. Wir hören mal rein.

Markus Söder

Ich habe ihn heute Morgen ehrlich befragt, ohne irgendwie maßregeln. Und vielleicht sagst du selber, was dazu war, warum du einfach, die ich nicht impfen lassen willst, weil ich finde jetzt, wäre eigentlich die Zeit, wo alle dran sein könnten. Es ist kein Vordrängeln mehr. Aber es entscheidet natürlich jeder selber.

Hubert Aiwanger

Ja, die Entscheidung, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Die nehme ich auch für mich in Anspruch. Und die lautet eben, dass ich mich bisher nicht dazu entscheiden konnte, mich impfen zu lassen, heißt nicht, dass ich mich generell niemals impfen lassen werde. Ich schaue mir einfach die Entwicklung jetzt in den nächsten Wochen und Monaten an. Und ich glaube auch, wir sollten keinen öffentlichen Druck aufbauen. Das gilt jetzt gar nicht in erster Linie für mich. Auch Menschen, die vom Impfen für sich als Person noch nicht überzeugt sind. Dies gilt

für Schüler. Das gilt auch für diverse Berufsgruppen und Altersklassen. Wir sollten hier nicht sagen, du agierst falsch, weil du dich noch nicht hast impfen lassen. Es ist eine persönliche Entscheidung. Und dabei sollten wir es belassen.


Camillo Schumann


Politisch liegen die Nerven blank, oder?


Alexander Kekulé

jetzt schauen wir mal, da sind wir schon immer in Bayern so sagt und den Kollegen „Derblecken“. Das ist schon in Ordnung. Also, den hat er natürlich schon ein bisschen vorgeführt.


Camillo Schumann


Aber das ist genau dieses Spannungsfeld, indem wir uns gerade eben befinden. Wir müssen sozusagen impfen, damit wir wieder einen einigermaßen normalen Herbst ohne Lockdown haben. Aber die Impfbereitschaft nimmt ab. Und es gibt ja auch nachvollziehbare Gründe, warum man sich nicht impfen lässt. Mal ganz nüchtern betrachtet Herr Kekulé, wenn sich jeder impfen lassen kann, wir aber vor dem Herbst bei einer Impfquote von vielleicht 65 Prozent landen, wenn dann die Zahlen wieder ansteigen. Aber spätestens dann stellt sich doch die Frage, ob die Politik COVID19, ich sage mal, zum allgemeinen Lebensrisiko erklären muss oder?


Alexander Kekulé

Die Zahlen werden sowieso wieder ansteigen. Auch wenn wir uns impfen, weil ja auch geimpfte, mal eine zweite Infektion oder eine Durchbruchsinfektion bekommen können. Es wird so sein, dass der Herbst natürlich noch mal eine Welle produziert. Die entscheidende Frage ist ja, ob in dieser Herbstwelle es wieder zum großen Sterben kommt. Um es mal so etwas plakativ zu sagen, wird diese Covid-Erkrankung im Herbst an Gefährlichkeit so weit abnehmen, dass es vergleichbar mit der Influenza wird, und das ist so meine Hoffnung. Ich glaube, wenn wir ungefähr, ob das jetzt 70 oder 65 Prozent sind. Aber wenn wir ungefähr 70 Prozent der Erwachsenen impfen. Und ich

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halte das tatsächlich für machbar. Herr Aiwanger gehört eben dann zu den 30 Prozent, die sich nicht impfen lassen. Wenn wir das machen, dann meine ich, würde es auf jeden Fall so sein. Zusätzlich sind ja die Risikogruppen halbwegs geschützt. Das ist ja jetzt schon weitgehend der Fall. Dann wird es auf jeden Fall so sein, dass wir mit dieser Krankheit ganz anders umgehen können. Und das ist eben extrem wichtig für die Wirtschaft. Das ist wichtig für unser persönliches, soziales Leben, ist extrem wichtig für die Schüler, und ich glaube, dass wir halt Werbung machen müssen im klassischen Stil. Es ist es immer ungünstig, wenn halt ein Politiker mal so eine, sage ich mal, nonkonformistische Meinung hat, weil der natürlich ein Multiplikator ist. Und wenn der natürlich sagt, ich lasse mich nicht impfen, ist es eher schwierig. Aber ich finde, im privaten Bereich ist es doch ganz normal, dass es Leute gibt, die sagen wir warten mal ab. Meine Position kennen Sie ja. Also, ich bin für viele vielleicht auch diskussionswürdig, weil ich sage, bei Kindern, zumindest denen, die unter 14 sind, sollte man mal eine Weile abwarten, wie sich das so entwickelt mit den modernen Impfstoffen und die Option im Auge behalten, dass wir ja spätestens nächstes Jahr auch konventionelle Impfstoffe haben. Da gibt es auch, wenn ich jetzt mit meinen Kollegen in den USA diskutiere, die also jetzt wirklich schon überlegen, wie man dann demnächst die Einjährigen impfen kann, dann schauen die mich auch an wie ein Alien. So ähnlich wie wir jetzt vielleicht auf den Herrn Aiwanger gucken. Und einen Akzent habe ich da übrigens auch, wenn ich mit denen spreche. Das ist einfach so. Also jeder hat ein bisschen eine andere Position. Ich glaube, wir sollten die, die andere Meinungen haben, da nicht in die Ecke drängen, sondern wir sollten einfach unsere Argumente wiederholen. Und für mich ist das wichtigste Argument der soziale Vorteil, den wir davon haben. Weil die Risikogruppen haben wir doch jetzt weitgehend geschützt. Es gibt ja nur noch relativ wenig Todesfälle. Das hat sich ja gut entwickelt. Übrigens auch in anderen Ländern, die inzwischen die Delta Variante haben. Es ist ja trotzdem so, dass die

Sterblichkeit da nicht auf den alten Stand wiederkommt. Und deshalb ist das Argument jetzt okay, die Risikogruppen sind geschützt, aber jetzt impfen wir uns eben letztlich, um unsere sozialen Freiheiten zurückzubekommen und vor allem für diejenigen, die nicht geimpft werden können oder sollen. Und das sind die Jugendlichen und Kinder.


Camillo Schumann


Was meinen Sie, die Urlaubszeit beginnt gerade. Was wäre denn so ein guter Zeitpunkt, wo man mal so einen Strich drunter zieht, Status quo, sich die Zahlen anguckt, also auf die Neuinfektionen, auf die Todesfälle, auf die Impfquote, um dann zu sagen so, COVID-19 gehört jetzt zum Lebensrisiko genau wie eine schwere Influenza.


Alexander Kekulé

Der richtige Zeitpunkt ist jetzt, das muss man ganz klar sagen. Es sind noch drei Monate bis die Schulen anfangen nicht einmal drei Monate, bis sie anfangen. Wir haben das dritte Quartal gerade begonnen, und ab Mitte September wird es langsam kühl, und die Schüler kommen zurück. Und das heißt im Grunde genommen müssen wir jetzt das machen, was ich ein Endspiel nenne. Also wir sind jetzt in der Phase, verglichen mit Schach, wo man das Endspiel der Pandemie planen muss. Und kein Schachspieler würde jemals gewinnen, wenn er erst zwei Züge vorher sich überlegt, was er da macht. Sondern man muss das jetzt vorbereiten. Und die Vorbereitung heißt eben, dass man ein klares Konzept braucht. Dass man einen gut strukturierten Vorschlag braucht, es die Bürger auch verstehen, wenn wir das und das machen. Mein Vorschlag wäre eben 70 Prozent der Erwachsenen zu impfen bis Mitte September. Dann haben wir die und die Konsequenzen. Und dann passiert zum Beispiel in den Schulen und im öffentlichen Nahverkehr und mit den Veranstaltungen passiert Folgendes. Das wird dann die Konsequenz. Also wenn Sie wollen, können wir das ein bisschen entwickeln, wie das im Herbst aussehen wird.

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20:44


Camillo Schumann


Dann tun sie das doch. Also 70 Prozent Impfquote ist sozusagen vorausgesetzt, plus die restlichen Parameter, von denen wir ja noch nicht wissen, wie sie sind. Also die Todesfälle, die Neuinfektionen oder spielen die dann keine Rolle mehr.


Alexander Kekulé

Also die Todesfälle werden dann nicht weiter raufgehen. Also das wird nicht so sein, dass es eine Überraschung gibt, da gehe ich einfach mal von aus. Das ist natürlich immer so, dass sie bei solchen Konzepten, sage ich mal Grundannahmen haben, sozusagen so eine Art Dogmen. In dem Fall ist das Dogma nicht kirchlich begründet, sondern so, dass wir andere Viren kennen und dieses Virus inzwischen ganz gut kennen. Die Varianten kennen, die Situation im Ausland natürlich beobachten. Da haben wir viele Parameter und deshalb würde ich davon ausgehen, wenn man 70 Prozent geimpft hat, plus noch den Effekt der genesenen dazunimmt, dann hat man eine Situation, da kann man dann folgendes machen, um das mal runter zu deklinieren. Also erstens für Kinder und Jugendliche brauchen wir natürlich Sonderregelungen, weil die sind dann nicht geimpft bis dahin. Also jeder bis 18. Das heißt für mich, in Grundschulen und Kitas würden wir im Herbst die Masken fallen lassen können. Keine Masken mehr für Grundschulen und Kitas. Ich würde die aber weiter testen, zum Beispiel einmal die Woche durch einen Spucktest oder ähnliches. Und man müsste natürlich da besonders aufpassen, dass man keine kranken Kinder zulässt. Es war sowieso ein Unding, das früher die kranken Kinder dann andere angesteckt haben. Aber im Grunde genommen mit diesen einfachen Regeln sind die Grundschüler schon mal aus dem Schneider. Das finde ich eine ganz wichtige Sache. Für die Sekundarstufe, die Älteren meine ich, sollte man im Herbst anfangen mit Masken und sehen, wie es sich entwickelt. Von vornherein sagen ihr müsst wieder mit Masken in die Schule kommen. Wir testen euch auch regelmäßig, einmal die Woche zum Beispiel die Spucktests finde

ich, ist wirklich zumutbar. Und man muss in den Schulen wirklich vorhalten, dass man, falls es regional mal zu einer hohen Inzidenz kommt. Ich habe ja anfangs gesagt, wie sowas entstehen kann. Das kann mal ein Landkreis sein, der plötzlich eine hohe Inzidenz hat. Ein Ausbruch in der Schule, dass man dann vorübergehend auch Hybridunterricht in der Sekundarstufe hat. Also da braucht man dann die übliche Technologie und kann jetzt vielleicht schon mal anfangen, die WLAN-Router einzubauen, die dann ja vorn und hinten immer noch fehlen. Die Kinder, meine ich, da sollten wir uns auch vornehmen und das auch kommunizieren, dass wir die dann ab Herbst 22, also ab Herbst nächsten Jahres eigentlich zur Impfung haben wollen. Ich meine jetzt nicht. Kinder, habe ich vielleicht falsch gesagt. Die Jugendlichen, dass man mit denen unter 18 anfängt, aber klipp und klar sagt, das heben wir uns jetzt ein Jahr auf. Bis September schaffen wir es sowieso nicht. Selbst wenn die STIKO morgen was Neues sagen würde. Und deshalb machen wir das dann und zu dem Zeitpunkt sind die RNA-Impfstoffe besser erprobt, und wir haben auch Alternativen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Protein-Impfstoffe. Und dann würde ich sagen von vornherein, selbst wenn wir das machen. Ganz wichtige Kommunikation, haben die Amerikaner gerade komplett falsch gemacht. Wir müssen sagen, ihr müsst trotzdem in bestimmten Situationen weiter Masken tragen. Und zwar immer dann, wenn anonyme Kontakte in geschlossenen Räumen sind. Heißt öffentlicher Nahverkehr, bei der Bahn, in Geschäften und Behörden und ähnlichem. Da können Sie ja die Leute nicht nachverfolgen und es sind geschlossene Räume dort. Im Winter würde ich die Masken beibehalten. Man kann vielleicht übergehen, in den Bundesländern wo die FFP2-Maske Vorschrift, ist auf normale OP-Masken. Und dann haben wir das weitere Instrument, das heißt GGG, genesen, genesen, geimpft oder getestet. Und wenn man das zusammen mit Nachverfolgung macht, also GGG plus Nachverfolgung natürlich immer, das gilt für körpernahe Dienstleistungen, Restaurants, Bars und Clubs,

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alle privaten Veranstaltungen und die Arbeitswelt, also Betriebe. Da würde man also auf die Masken verzichten und sagen GGG und natürlich in diesen Fällen die Möglichkeit der Nachverfolgung, das hat man ja im öffentlichen Verkehr hier üblicherweise nicht und bei den Großveranstaltungen. Die Fußballer sind natürlich jetzt enttäuscht, gerade wahrscheinlich im Moment. Bei Großveranstaltungen ist es so, da müssen sie möglicherweise dann zumindest am Anfang auch die Masken noch dazu nehmen. Je nachdem, wie die Risikosituation ist. Das waren mal so ein paar Beispiele. Aber ich glaube, so ein Paket hat ja auch schon mal funktioniert, was die Bundesregierung da gemacht hat. Und dass man sagt, das ist unser Fahrplan, dafür brauchen wir die 70 Prozent. Und jetzt bitte alle antreten, die noch unentschlossen sind.


Camillo Schumann


Das wirkt auf mich so ein bisschen Team Vorsicht. Was spricht denn dagegen bei 70 Prozent Impfquote, wenn sie denn erreicht wird, zu sagen, ja gut, der Rest möchte sich nicht impfen lassen. Aber wieso müssten die 70 Prozent unter den restlichen 30 Prozent, ich sage es jetzt mal so ein bisschen sehr salopp und zugespitzt, darunter leiden und weiter Maske tragen? Bei der Influenza tut man das ja dann auch nicht.


Alexander Kekulé

Ja, weil unter den 30 Prozent natürlich Menschen sind, die im Risiko stehen und die sterben könnten. Und jetzt sage ich mal zum Beispiel ja, sie hätten jemanden, der einen guten medizinischen Grund hat, sich nicht impfen zu lassen, ist aber eine Risikoperson. Der will ja trotzdem zum Einkaufen gehen. Und ich finde, das ist eine kleine Zumutung. Es ist eine Zumutung. Aber es ist eine kleine Zumutung zu sagen diese Wintersaison, wenn es also dann kalt wird und die Erkältungskrankheiten kommen und eben auch dann Corona nicht mehr so leicht zu differenzieren ist, man es nicht mehr so leicht erkennt. Dann muss man eben dann, wenn man in der Straßenbahn ist und beim Einkaufen und wenn man auf der Behörde ist,

irgendwo muss man halt die Maske kurz aufsetzen. Ehrlich gesagt finde ich das zumutbar, weil ich nicht davon ausgehe, dass die 30 Prozent jetzt alles sozusagen bösartige Verweigerer sind, die selber Schuld sind an Corona zu sterben. Sondern der Staat muss meines Erachtens allen Bürgern die Möglichkeit geben, essenzielle Lebensbereiche zu erledigen. Und da gehört eben Straßenbahnen und Einkaufen dazu. Da gehört nicht die Diskothek dazu. Ja, wenn einer sagt, ich will jetzt abends in Club in Berlin gehen, da ist es natürlich so, da wird man keine Maskenpflicht mehr haben. Aber da muss ja auch nicht jeder unbedingt hin, wenn er eine Risikoperson ist. Darum finde ich schon, dass man da unterscheiden muss. Und ich persönlich halte das für zumutbar. Aber sie haben vollkommen Recht. Es ist eine Riesendiskussion. Was Sie gerade gesagt haben in den USA. Wir haben dort die Situation, das die CDC, die nationale Gesundheitsbehörde. Da gab es so Mitte Mai eine wichtige Rede von der Chefin dort, Rochelle Walensky. Die hat gesagt wir heben jetzt die Maskenpflicht auf für geimpfte. Daraufhin haben einige Bundesstaaten die Maskenpflicht ganz aufgehoben. Natürlich die konservativen Bundesstaaten, die sowieso keinen Bock mehr darauf hatten, und haben gesagt, die CDC hat gesagt wir brauchen die Masken nicht mehr und haben es komplett aufgehoben. Und es gab eine Riesendiskussion. Und die WHO hat zwei Tage später gesagt, der dort zuständige Programmdirektor für die Emergency Programme, also für dieses Notfallprogramm, der Michael Green. Der hat gesagt, alles Quatsch. Wir brauchen unbedingt die Masken auch für geimpfte weiterhin. Also da ist so richtig die Diskussion am Dampfen. Und deshalb finde ich, bevor wir jetzt solche Diskussionen hier kriegen, in dieser Qualität, wo sich sogar CDC in den USA und die Weltgesundheitsorganisation in den Haaren liegen, sollte man lieber so eine klare Linie haben. Und was ich gerade gesagt habe, ist da mein Vorschlag. Ich bin da zum Glück kein Politiker und trete auch im September nicht an. Darum schauen wir uns mal an, wer das dann zu entscheiden hat.

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Camillo Schumann


Aber wenn ich richtig rausgehört habe und sie sagen ja dann auch für den Herbst 22, dann auch die Kinder impfen, möglicherweise dann mit Proteinimpfstoffen also mit einem Impfstoff dessen Wirkungsweise wir schon ein bisschen länger kennen. Aber nichtsdestotrotz ich sage mal so, das Jahr 22 mit allen von Ihnen genannten Maßnahmen wäre sozusagen etwas, was jetzt uns in naher Zukunft noch ja droht in Anführungszeichen. Maske et cetera.


Alexander Kekulé

Ich glaube ja. Ich finde es auch nicht so bedrohlich. Also ich finde die Maske nicht so bedrohlich, wenn ich sie nur kurz beim Einkaufen anziehen muss, sondern wieder ausziehen kann, wenn ich aus dem Laden gehe. Es mag natürlich eine Mediziner Krankheit sein, weil wir natürlich auch Stunden im OP früher standen oder ich dann im Labor mit irgendwelchen Spezialausrüstungen. Dann tut einem das nicht so sehr weh eine Maske auf zu haben. Klar, für Leute, die das als Symbol der Unterdrückung ansehen, ist es natürlich nervig. Das ist völlig klar. Aber ich glaube, dass wir nicht sagen können, weil wir jetzt am Impfen sind, ziehen wir im Herbst den Stecker, gerade ausgerechnet im Herbst. Ich habe jetzt nicht vom ganzen Jahr 22 gesprochen, sondern eigentlich nur von der Wintersaison, von der Erkältungssaison. Also von jetzt an noch ein Jahr ungefähr. Weil, wenn wir dann in dem Moment, wo die Ansteckungsfähigkeit dieses Virus wieder hochgeht, und natürlich neue Varianten kommen, ob die dann Delta heißt. Oder Epsilon, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber wir werden immer neue Varianten kommen. Da wird dann irgendeiner ausrechnen, dass das wieder einen Ticken infektiöser ist. Ich glaube, dass wir in der Situation tatsächlich so ein Grundschema brauchen, mit dem wir ganz allgemein die Infektionsrate ein bisschen drücken. Und dieses bisschen drücken wäre jetzt der gerade mal kurz genannte Vorschlag. Das brauchen wir parallel mit den Impfungen. Ganz alleine werden wir es nicht wuppen. Schon allein deshalb, weil sich eben wahrscheinlich 30 Prozent der Erwachse-

nen nicht impfen lassen werden. Also Herrn Laschets Wort in Gottes Ohren. Vielleicht wären es auch nur 20 Prozent, die sich nicht impfen lassen wollen. Aber ich glaube, es könnten eher 30 sein. Plus natürlich die Kinder und Jugendlichen. Und deshalb glaube ich, dass wir es auch den Kindern und Jugendlichen schuldig sind. Wissen Sie, was passiert denn, wenn wir jetzt uns wieder komplett entspannen? Dann gibt es wieder Ausbrüche, wo dann am Schluss das Gesundheitsamt wieder die Schule schließt. Ich kenne in Sachsen-Anhalt jetzt gerade Fälle, da ist schon wieder die ganze Kita in Quarantäne geschickt worden, weil ein Kind positiv war. Und das sind doch die Dinge, die wir im Herbst nicht mehr wollen. Und darum, glaube ich, ist das Maskentragen und diese kleinen Auflagen eben einmal die Woche testen und Nachverfolgung für Großveranstaltungen und ähnliches. Das ist etwas, mit dem können wir jetzt leben, finde ich. Und sonst werden wir dann alle wieder Party machen können. Wissen sie, dann gehen in die Kinos wieder auf. Dann sind die Theater wieder geöffnet. Dann haben die Klubs wieder auf, dann ist im Grunde genommen doch eigentlich eine perfekte Situation. Da stört es doch nicht, wenn ich in wenigen Situationen mal einen Test vorlegen muss. Ein Testergebnis oder wenn ich geimpft bin, das ist ja sowieso entspannt. Also GGG hat ja den Vorteil, dass viele Party-People wahrscheinlich einfach nur nachweisen müssen, dass sie Antikörper-positiv sind, weil sie sich das Virus schon längst eingeholt haben.

31:35


Camillo Schumann


Tja, ob das so ein entspanntes Leben für geimpft ist, sei dahingestellt. Wir sprechen ja schon die ganze Zeit über das Impfen. Dann können wir auch über neue Daten sprechen. Konkret geht es um die mRNA-Impfstoffe von BioNTech, Pfizer und Moderna. Immer wieder wird er von Impfdurchbrüchen berichtet, also dass die Varianten auch bei geimpften für eine Infektion sorgen. Die CDC, die Centers for Disease Control and Prevention in den USA wollten das ein bisschen genauer wissen und haben

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diese Impfstoffe unter Realbedingungen getestet. Und zwar bei denen, die an vorderster Front bei der COVID-Bekämpfung standen, um die Frage zu klären wie gut schützen denn die mRNA-Impfstoffe nun gegen diese Varianten? Und diese Frage ist, weil sie es ja auch gerade schon gesagt haben, ziemlich entscheidend. Denn bisher müssen ja vollständig geimpfte nach wie vor, wenn sie zum Beispiel aus Hochrisikogebieten beziehungsweise Virusvarianten-Gebieten kommen in Quarantäne. Oder sie müssen auch weiter Maske tragen.


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau die Diskussion, die hatten wir ja auch im letzten Podcast mit dem Beispiel die grundsätzliche Frage ist, wie geht man eben mit geimpften und genesenen um, wenn es um Reisefreiheiten geht, wenn es um Quarantäne geht, wenn es um Maskenpflicht geht. Und da gibt es jetzt, muss man offen sagen, unter den Wissenschaftlern, hauptsächlich bei der Weltgesundheitsorganisation, aber auch natürlich in Deutschland, beim RKI, die sind, kann man so ein bisschen kritisch sagen, doch immer sehr stark auf der WHO Spur, um keinen Fehler zu machen. Da gibt es die Auffassung, die Delta Variante, die kann in einzelnen Fällen aber dann Durchbrüche machen. Und deswegen können wir im Grunde genommen diese ganzen Goodies, die wir da versprochen haben, für die, die geimpft sind, jetzt gar nicht mehr verteilen. Was heißt das, was man sich da denkt? Man sagt, ja, es könnte sein, dass ein geimpfter trotzdem jemanden ansteckt. Und er könnte dann sterben. Ja, und das ist richtig, das ist vollkommen richtig. Das kann im Ausnahmefall vorkommen, wenn sie zurückkommen aus Indien oder sonst wo. Haben sich die Variante geholt, obwohl sie geimpft waren. Am nächsten Tag besuchen sie ihre ungeimpfte Mutter im Altersheim, stecken die an, die Mutter kann sterben. Die Konsequenz von diesem Denken wäre aber, dass sie eigentlich dazusagen müssten, und das ist das, was die natürlich nicht laut sagen. Eigentlich haben wir euch das falsche versprochen. Die Impfungen bringen gar nichts, weil aus den genannten Gründen müssen wir jetzt auf den nächsten Impfstoff

warten, der dann auch noch die Delta Variante mit abdeckt. Und wenn dann die Delta Epsilon Capa Variante kommt, dann heißt es eben noch mal ein Jahr warten. Deshalb glaube ich, dass das absolut nicht praktikabel ist. Man kann keiner Bevölkerung dieser Welt, die bisher das alles durchgemacht hat. Da sind wir Deutschen ja nicht, die einzigen. Jetzt nicht sagen alles zurück auf Los, wegen der, die da angesteckt werden können, dürfen wir euch die Freiheiten nicht geben, die wir uns überlegt haben. Und die andere Sichtweise ist eben die, dass man sagt und das ist meines Erachtens virologisch wirklich begründet, dass man sagt ja, es ist so. Wir haben einzelne Infektionen. Und statt jetzt sozusagen Regeln zu erlassen, die der Staat immer dann erlassen muss, wenn er die gesamte Bevölkerung schützen muss wie vor einer Lawine oder wie vor einer Flut oder ähnlichen. Da muss der Staat die gesamte Bevölkerung schützen und muss ein Deich bauen oder Vorschriften, irgendwelche Schilder hinhängen. Wenn es aber darum geht, das bei ihnen zuhause der Wasserhahn irgendwie überläuft und sie deshalb im Bad vielleicht auf die Nase fallen und sich einen tödlichen Schädelbasisbruch holen, dann hängt der Staat ihnen eben im Badezimmer, obwohl dieses Risiko besteht, kein Schild hin und hier sehe ich eigentlich einen Fall für Letzteres. Es ist eine Situation, wo man Empfehlungen geben muss. Wo man sagen muss, wenn du geimpft bist, auch doppelt geimpft, verhalte dich nicht unvernünftig, auch dann, wenn du Kontakt mit Risikopersonen hast. Es betrifft zum Beispiel gerade uns Ärzte. Ja, wenn wir Ärzte ins Krankenhaus kommen und da sind Menschen, die schwerst krank sind, die man auf keinen Fall anstecken darf, dann kann man natürlich nicht sagen ja, ich bin hier doppelt geimpft. Ich brauche keine Maske mehr aufziehen. Es wird auch kein Arzt machen.


Camillo Schumann


Und die Studie der CDC deutete eigentlich darauf hin, dass man die Maske als doppelt geimpft oder dem Fall vollständig geimpft, mit

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mRNA-Impfstoffe, ja tatsächlich weggelassen kann, oder?


Alexander Kekulé

Ja die Studie ist mir natürlich deshalb sympathisch, weil sie sozusagen die CDCPosition stärkt. Kein Wunder, kommt ja auch von dort. Gegen die WHO. Vielleicht auch kein Zufall, dass das gerade gestern erschienen ist in einem sehr renommierten Journal. Und die haben eben diese knapp 4000 Leute aus dem Gesundheitsbereich, Ärzte und Ärztinnen, Krankenpfleger und Schwestern haben sie dort verfolgt, über eine längere Zeit also konkret von Mitte Dezember bis Mitte April und die wurden geimpft, und zwar mit Moderna oder BioNTech, und einige haben eine Dosis bekommen, andere haben zwei Dosen bekommen. Insgesamt ist der größte Teil dann letztlich voll geimpft gewesen am Ende der Studie. Und man hat einfach nur verfolgt, wie viele von denen infizieren sich denn? Die haben natürlich ein relativ hohes Risiko gehabt. Und da haben sich dann fünf Prozent der Teilnehmer angesteckt. Und das Interessante ist eben, das nur ein ganz kleiner Teil von denen geimpft war. Und zwar waren es fünf Prozent. Fünf Personen waren voll geimpft und haben sich trotzdem angesteckt, und elf Personen waren einmal geimpft. Und haben sie sich trotzdem angesteckt. Daraus haben die, dass ausgerechnet, was diverse andere Studien auch schon gezeigt haben, nämlich das erste Mal, dass der Schutz bezüglich symptomatischer Erkrankung hier bei 91 Prozent liegt. Das ist das, was man erwarten würde, weil wir ja inzwischen mindestens die Alpha Variante haben, die zirkuliert. Früher waren es mal 95 Prozent bei diesen Impfstoffen. Das ist so im Bereich von 90 Prozent gesunken bei Alpha. Und auch der Schutz mit einer einmaligen Impfung ist bereits bei 81 Prozent. Also nicht am nächsten Tag der Impfung. Das ist immer gerechnet nach der ersten Impfung plus 14 Tage warten, bis es richtig gewirkt hat. Dann ist man mit 81 Prozent schon geschützt. Und das ist ja ein ganz wichtiges Thema. Das bestätigt das, was wir schon oft diskutiert haben, dass es eigentlich eine sehr gute Strategie ist, möglichst viele aus

den Risikogruppen einmal zu impfen. Und das Interessante ist eben jetzt, was ist eigentlich mit denen, die also geimpft wurden und trotzdem krank wurden? Entweder einmal geimpft oder zweimal. Und das interessante ist, dass die Viruslast bei diesen Menschen ganz massiv runtergegangen ist. Also die hat sich fast halbiert. Auch wenn die geimpft waren und trotzdem krank wurden. Das heißt also wer sich angesteckt hat trotz Impfung, wenn es zu diesen Durchbruchsinfektionen kommt, dann ist die Viruslast im Rachen viel geringer. Geringere Viruskonzentrationen und die sind auch deutlich kürzer krank. Also, die sind auf jeden Fall weniger als eine Woche lang krank und weniger als eine Woche lang Virusausscheider. Das heißt, man hat die kürzere Virusausscheidung. Man hat weniger schwere Symptome sowieso, und man hat eine geringere Viruslast. Und das bestätigt eigentlich das, was die Arbeitshypothese war für den Vorschlag, den ich vorhin gemacht habe. Nämlich, dass Leute, die geimpft sind, falls sie sich infizieren, zwar bei engen Kontakten noch jemand anstecken können. Der Arzt seinen Patienten oder man seine eigene Mutter oder ähnliches. Aber dass sie nicht mehr als Superspreader in Frage kommen. Und ohne Superspreading gibt es keine Pandemie. Bei diesem Virus ist es anders als bei Masern. Da kriegen sie eine Pandemie nur dann, wenn sie Superspreading-Ereignisse haben. Das heißt Ereignisse, wo eine Person wirklich viele ansteckt. Und dafür muss das R relativ hoch sein. Sie müssen viele infiziert bekommen und so ein hohes R oder so eine hohe Reproduktionszahl kriegen sie nicht hin, wenn sie geimpft sind und dann die Infektion bekommen, weil sie einfach zu wenig Virus haben und zu kurz auch die Virusbelastung ist.


Camillo Schumann


Da wäre doch diese Studie eine gute Grundlage, um die Quarantäne für Reiserückkehrer dann auch abzuschaffen, also für geimpfte Reiserückkehr.


Alexander Kekulé

Ja, also meines Erachtens ist es, so kann man hier an das bestätigt, im Grunde genommen

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das, was wir letzte letzten Podcast mal besprochen haben, ist auch nicht völlig überraschend. Also es ist ja nicht so, dass ich diese Studie vorher kannte oder Ähnliches, sondern aus virologischer Sicht gibt es ja absolut kein Gegenbeispiel. Wir kennen so viele andere Viruserkrankungen, wo wir wissen, wenn jemand eine sogenannte Teilimmunität hat. Also wenn einer eigentlich die Krankheit durchgemacht hat, aber es eben dann noch kommt mit einer Virusvariante oder wenn er geimpft ist, aber zum Beispiel die Impfung schon zu lange zurücklag, dass der Impfschutz nicht mehr so gut ist. Diese ganzen Fälle von Teilimmunität führen immer dazu, dass die Ansteckungsfähigkeit deutlich sinkt, wenn sie, wie bei dieser Situation, in der wir hier sind, eine Pandemie haben, die durch einen Atemwegserreger ausgelöst wird, wo der Atemwegserreger uns deshalb nur so plagen kann, weil er so hochinfektiös ist, weil er dieses Superspreading machen kann. Sonst wäre es kein Virus, über das wir hier reden würden. Wenn man ihm sozusagen diesen Zahn zieht, diese Möglichkeit zieht, dann ist das wie eine Schlange, der sie den Giftzahn rausgebrochen haben. Die kann dann noch herumbeißen und ihnen irgendwie wehtun. Aber der typische Schreckensfaktor ist weg und wahrscheinlich kann auch eine Schlange ohne Giftzahn, wenn sie sie ungünstig am Hals erwischt, auch mal jemanden töten. Aber das ist nicht das, worüber sich die WHO und die die Vereinten Nationen und alle Staaten dieser Erde seit über einem Jahr Gedanken machen, sondern dass ist eines der üblichen Lebensrisiken

41:02


Camillo Schumann


Übrigens alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen, verlinken wir auch in der verschriftlichten Ausgabe zu finden unter Audio und Radio auf MDR.de. So auch die nächste Studie, die wir jetzt noch kurz besprechen wollen. Husten, Fieber, Schnupfen und Störung des Geschmacksund Geruchssinns. Das sind die vier häufigsten Symptome einer Covid-19Erkrankung. Wenn dann aber Husten, Fieber und Schnupfen weg sind, bleiben sehr häufig

die Riechund Geschmacksstörungen. Eine französische Studie kommt nun zu dem Schluss die allermeisten Covid-19 Patienten können aber spätestens nach einem Jahr wieder riechen und schmecken. Positive Nachrichten. Wobei wenn man sich jetzt die Studie im Detail anguckt so viele Patienten wurden ja gar nicht in untersucht.


Alexander Kekulé

So viele nicht. Aber ich finde es ist trotzdem eine positive Nachricht. Die Studie ist jetzt gerade eine knappe Woche alt. Aus Straßburg kommt die, gemeinsam mit der McGill-Universität in Montreal und die haben was ganz Witziges gemacht. Die haben ganz am Anfang, als es losging, schon April 2020 gab es ja diese Berichte über diese Geruchsund Geschmacksstörungen. Das waren dann letztlich hauptsächlich Geruchsstörungen. Also die Leute schmecken ja schlechter, wenn der Geruchssinn ausfällt. Das ist ganz interessant, das ist ganz oft Patienten sagen, ich schmecke nichts mehr, aber es liegt daran, dass sie nichts mehr riechen, weil eben das Riechen für diesen Gesamtgeschmack eine beeindruckende große Rolle spielt. Und dieser Ausfall des Geruchssinns, wo wir inzwischen ja wissen, dass es Standard ist bei Covid und was gerade jüngere Leute plagt, die sonst häufig einfache Infektionen nur haben. Da haben sie eben 97 Patienten verfolgt. Die hatten also Geruchsstörungen, entweder in dem Sinn, dass sie nichts gerochen haben. Man nennt es dann Anosmie, oder dass sie irgendwie Fehlgerüche hatten. Das ist fast noch schlimmer als Dysosmie, dass irgendwie alles nach Klo riecht. Einige leiden da ganz fürchterlich darunter. Und es ist so, dass wenn dann ihr Lieblingsessen irgendwie nach irgendetwas riecht. Der typische Geruch der angegeben wird ist übrigens Benzin. Ganz häufig wird gesagt, irgendwie riecht alles nach Benzin. Komischerweise. Ich weiß nicht, warum. Auf jeden Fall haben die dann 51, also so ungefähr die Hälfte von diesen Patienten haben sie subjektiv und objektiv verfolgt, also in der Zeit danach. Und zwar haben sie sie gefragt, welche subjektiven Verbesserungen sie haben. Und sie haben aber auch Geruchstests

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gemacht, was ziemlich aufwendig ist. Also Geruch testen ist nicht so einfach, wie ein Sehtest und auch nicht so einfach wie ein Hörtest. Aber das kann man machen. Und da haben die festgestellt, nach vier Monaten sind von diesen 51, die sie davor verfolgt haben, schon 23 komplett genesen. Also, denen ging es objektiv und subjektiv wieder vollständig gut. Nach vier Monaten war es wieder in Ordnung. Das ist auch das, was man sonst so hört. Ungefähr die Hälfte, da ist es nach vier Monaten wieder komplett normal. Und dann gab es 27, etwas mehr als die Hälfte in dem Fall, die haben gesagt, wir haben eine teilweise Verbesserung. Und einer hatte überhaupt keine Verbesserung nach diesen vier Monaten. Das Interessante ist, von den 27, die gesagt haben mein Geruchssinn ist besser geworden, aber nicht so richtig. Also die sozusagen hier als teilweise Verbesserung geführt wurden. Die haben sie dann eben nochmal objektiv getestet mit solchen Geruchstests. Das ist ganz lustig, da kriegt man so alle möglichen Fläschchen unter die Nase gehalten und muss dann eben sagen, ob das nach Zitrone riecht oder nach Orange und Ähnliches. Die haben sie getestet, rauf und runter und haben tatsächlich festgestellt, dass von den nur 27, die gesagt haben, mein Geruchssinn ist noch nicht richtig wieder da, nach vier Monaten nach dem COVID, davon waren 19 komplett normal. Also, die hatten objektiv gemessen 100 Prozent Geruchssinn in Ordnung. Die konnten alles auseinanderhalten. Auch in der richtigen Konzentration. Das geht also auch quantitativ, ob man feine Gerüche riecht. Das wird auch mitbestimmt. Bei denen war alles in Ordnung. Aber sie haben trotzdem gesagt mein Geruchssinn ist nicht wieder in Ordnung. Also irgendwie hatten sie sich so an ihre Krankheit gewöhnt, dass sie die schon liebgewonnenen hatten oder Ähnliches. Und waren sich gar nicht dessen bewusst, dass sie wieder ganz normal riechen. Und dann haben sie diejenigen, die armen Schweine, die also jetzt immer noch keine richtige Verbesserung hatten, die haben sie dann weiterverfolgt. Also die, wo auch objektiv quasi eine Störung vorhanden war. Das waren dann insgesamt acht

Leute, und sechs von denen sind nach acht Monaten normal gewesen. Dann waren es nur noch zwei kleine Bäuerlein, die da übriggeblieben sind. Und diese zwei von insgesamt 51, bei denen ist es so gewesen, dass tatsächlich objektiv nach ein im Jahr immer noch Störungen messbar waren und der eine von beiden hat zu wenig gerochen. Also bei dem war das so, dass er zwar wieder Geruchssinn hatte, aber nur sehr starke Gerüche wahrnehmen konnte, quasi eine Geruchsschwäche, so als wenn man schwerhörig ist. Und der andere hatte eine Parosmie. Das heißt also der hat falsche Gerüche wahrgenommen. Also das war die Sache, wo dann zum Beispiel alles nach Benzin riecht. Also zwei von 51, bei denen es gemessen wurde. Und die anderen 46 sind nur subjektive Verbesserungen. Und die waren nach einem Jahr alle wieder in Ordnung. Die haben nach einem Jahr alle gesagt ist wieder in Ordnung. Entweder ganz in Ordnung oder zumindest zufriedenstellend. Das heißt unterm Strich kann man sagen, so zwei Prozent ist wahrscheinlich die Quote, die nach einem Jahr immer noch Ärger haben mit ihrem Geruchssinn nach dieser Studie. Das ist eine gute Nachricht für die 98 Prozent, die nach einem Jahr genesen sind.

46:37


Camillo Schumann


Kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Unser Hörer Herr Padalski hat folgende Frage zum Ursprung des Virus.

O-Ton

Würde es denn für uns zum jetzigen Zeitpunkt in der Pandemie überhaupt einen Unterschied machen, ob COVID-19 in irgendeinem Labor künstlich hergestellt wurde, oder ob es als Zoonose zu uns Menschen übergesprungen ist. Also zum Beispiel bei der Impfung oder bei der Behandlung oder auch bei Spätfolgen?


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine interessante Frage. Ich darf vielleicht an dieser Stelle sagen, dass ich inzwischen bei Focus Online eine Kolumne schreibe. Da habe ich genau zu dem Thema vor einigen Wochen mal Stellung genommen. Und das ist eine ganz interessante Frage, aus Folgendem

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Grund. Also für diese Pandemie macht es überhaupt keinen Unterschied. Null. Wir wüssten es natürlich deshalb gerne, weil wir eigentlich gerne wüssten, welches Tier ist es eigentlich, was hier als Zwischenwirt das Virus ausgebrütet hat? Indem offensichtlich dieses Virus gelernt hat. Das kommt ja ursprünglich mal von der Fledermaus, so perfekt, von Mensch zu Mensch zu springen, dass es aus dem Stand den weg einer Pandemie gemacht hat offensichtlich irgendwo, sage ich mal Zeitraum Mitte November, bis Mitte Oktober bis Mitte November 2019, muss es dieses Ereignis gegeben haben. Und dann war das Virus ruckzuck in der Lage, von Mensch zu Mensch so effizient zu springen. Und das ist schon erstaunlich. Da ist entweder ein Zwischenwirt unterwegs, von dem ähnliche Viren noch mal kommen könnten. Der lebt vielleicht irgendwo in China, irgendein Tier, was wir nicht kennen. Oder es ist eben so, das wäre die Alternative, dass ein Unfall im Labor passiert ist. Ich glaube auf keinen Fall, dass das Absicht war. Aber versehentliche Freisetzungen gibt es ja in der Geschichte der Labore öfters. Dann wäre es natürlich interessant, weil man sagen würde naja, vielleicht muss man noch besser aufpassen, um solche Labore zu schützen. Jetzt habe ich da eigentlich folgenden Gedanken dazu. Der geht so ähnlich wie das, was der Hörer gefragt hat. Wenn es denn Laborunfall ist, dann haben die Chinesen das garantiert kapiert und werden das nicht wiederholen. Shit happens. Ist in China schon ein paar Mal passiert, dass CoronaViren, aus dem Labor ausgebüxt sind. Wäre in diesem Fall dann wirklich mit globalen Folgen. Aber kein Labor der Welt würde ja sagen, na gut, wir machen weiter wie bisher, sondern die hätten natürlich dieses Loch, was auch immer das dann war, schon gestopft. Interessant ist die andere Version mit dem Zwischenwirt. Da sind wir auf die Zusammenarbeit mit China angewiesen. Irgendwo, das ist meine Variante, woran ich glaube, dass es daran gelegen haben könnte. Irgendwo in China, möglicherweise in der Pelzzucht, gab es Tiere, die infiziert waren. Die dieses Virus ausgebrütet haben. Diese Umstände können wir nur mit den

Chinesen zusammen gemeinsam durch Transparenz letztlich rekonstruieren und verhindern, dass es sich wiederholt. Oder dass sich Ähnliches wiederholt. Immer dann, wenn Tierzucht im Spiel ist, sei es für die Nutztiere, die gegessen werden, oder seien es für Pelztiere oder Ähnliches, kommt es ja zu solcher Optimierung von Viren, die auch mal auf den Menschen überspringen können. Das haben wir bei Influenza auch schon gesehen. Und die Zusammenarbeit mit den Chinesen, die wird natürlich viel besser sein, wenn wir ihnen nicht ständig vorwerfen, sie hätten dieses Virus aus einem Labor rausgelassen. Darum kann man eigentlich ganz pragmatisch, auch wenn das natürlich wehtut, ja sagen, Sherlock Holmes geh nach Hause. Wir wollen gar nicht wissen, wie das entstanden ist, weil wir die Zusammenarbeit mit den Chinesen brauchen. Weil falls die Dreck am Stecken haben, werden sie es uns nicht sagen und je kritischer wir fragen, wenn wir die sozusagen stellen und in die Ecke drängen, dann haben wir gar keine Chance rauszukriegen, wer der Zwischenwirt ist, der das nächstes Mal wieder eine Pandemie auslösen kann.


Camillo Schumann


Aber zur Bekämpfung und zur Therapie von COVID-19 macht es überhaupt keinen Unterschied. Kurz zusammengefasst.


Alexander Kekulé

Im Moment Nein, überhaupt kein Unterschied. Wir hätten keinen Vorteil davon. Es gibt ja da so diesen tollen Film aus Outbreak mit Dustin Hoffman und Rene Russo, den ich natürlich ganz klasse finde, weil der Held ein Virologe ist. Ja, den fand ich schon immer toll. Sonst sind die Helden immer so muskelbepackte Typen, die irgendwie ganz anders aussehen als ich. Aber deshalb fand ich den Outbreak Film nicht schlecht. Aber es ist so, dort wird letztlich was Falsches erzählt, nämlich, dass man unbedingt den Natural Host braucht, sozusagen den natürlichen Wirt braucht. Das ist in diesem Film ja so ein kleiner Affe, um das Gegenserum zu entwickeln. Das ist in unserer realen Welt nicht so. Also wir brauchen den nicht, um was gegen die

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Pandemie zu machen. Es wäre gut zu wissen, wie diese Pandemie entstanden ist, um die nächste zu verhindern.


Camillo Schumann


Prima, gut, dass sie das noch gesagt haben, weil wir hatten nämlich auch einen Hörer, der angerufen hat und wollte wissen, weil sie mal gesagt haben, das war in der 200ten Ausgabe, dass sie sich diesen Film angeguckt haben zu Beginn der Pandemie mit ihrer Frau, der Hörer wollte wissen, ob die Geschichte, ob das alles so überhaupt stimmig ist und ob das nachvollziehbar ist. Und es ist gut, dass sie es noch einmal gesagt haben, dass es an dieser Stelle jetzt weniger nachvollziehbar ist. Oder gab es sonst noch irgendwelche Probleme?


Alexander Kekulé

Es war die wichtigste könnte man. Witzigerweise kommt es bei mir in der Vorlesung vor genau dieses Thema. Ich habe sogar ein Ausschnitt aus dem Film, den ich da zeige. Es ist so, dass das, was vor allem nicht nachvollziehbar ist, die haben so einen kleinen Affen. Der hat vielleicht allerhöchstens anderthalb Liter Blut oder Ähnliches. Und innerhalb von wenigen Tagen machen die daraus das, was sie in dem Film immer Orangensaft nennen, nämlich ein Gegenmittel, mit dem das Virus bekämpft werden kann. Und dass das funktioniert in der Praxis nicht, dass man also aus einem Tier solche Unmengen von Antikörpern oder Ähnliches fabriziert. Und man braucht eben, wie gesagt, dafür heutzutage nicht den natürlichen Wirt. Wir können das alles in einer Zellkultur machen, und das dauert leider um einiges länger, wie wir ja jetzt auch in der Pandemie gelernt haben, um bei einem vollkommen neuen Erreger dagegen Impfstoffe zu entwickeln oder auch Antikörper zu entwickeln, mit denen man unter Umständen dann erkrankte heilen kann.


Camillo Schumann


Dafür ist es Hollywood. Frau Ebermann hat gemailt, ich wurde mit Johnson und Johnson geimpft und habe in Ergänzung zu ihren Ausführungen in Folge 200 noch eine Frage. Eine zweite Impfung ist ja hier aufgrund der Zulas-

sung bislang nicht vorgesehen. Auffrischungsimpfung weiter ungewiss. Könnte man aber nicht auch die Impfserie noch einmal neu starten, sich also noch einmal komplett mit einem mRNA-Impfstoff impfen lassen, um auf der sicheren Seite zu sein, was die Delta Mutation anbelangt. Viele Grüße.


Alexander Kekulé

Man muss jetzt ehrlich sagen es ist so, dass die Einmalimpfung mit dem Vektorimpfstoff von Johnson und Johnson, so gut die ist gegen die ursprünglichen Virustypen, dass wir da Zweifel haben müssen, dass sie bei der Delta Variante wirklich so gut funktioniert. Gerade bei der Delta Variante profitieren die geimpften von der zweiten Impfung. Das ist jetzt nicht mehr so wie vorher, dass man quasi mit einer Impfung fast den ganzen Effekt schon hat, sondern die zweite Impfung bringt wirklich was. Und zwar vor allem eben bei den Vektorimpfstoffen. Bei AstraZeneca haben wir das gesehen, dass der ohne die zweite Impfung ziemlich schlecht ist. Übrigens zirkulieren manchmal so Angaben, dass Leute sagen ja, die zweite Impfung brauchen wir unbedingt, weil die erste Impfung gegen Delta quasi überhaupt keinen Schutz bietet. Das stimmt nicht. Das basiert auf britischen Daten, wo sehr viel AstraZeneca eben mit in der Rechnung war. Wenn man die RNA-Impfstoffe nimmt, die bei uns zum großen Teil verwendet werden, ist die erste Impfung doch auch gegen Delta schon ein relativ guter Schutz. Natürlich braucht man die zweite, aber es ist nicht sinnlos. Ja und blöd für die, die eben nur Johnson und Johnson einmal bekommen haben. Ich würde jetzt schon so weit gehen, da wir davon ausgehen müssen, dass wir in Deutschland demnächst Delta als dominante Variante haben und da wir eingangs gehört haben es gibt so gerade so ein Überschuss an Impfstoff. Da würde ich fast sagen jemand, der jetzt Johnson und Johnson gekriegt hat, der macht sicher keinen Fehler, wenn er sich jetzt noch einen RNA-Impfstoff, eine Dosis hinterher geben lässt. Also quasi einmal Johnson und Johnson plus einmal Moderna oder Pfizer BioNTech. Weil wir einfach wissen, dass ers-

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tens diese Kombination noch mal eine deutliche Verstärkung des Schutzes gibt. Und zweitens, dass eben damit insbesondere diese neue Variante besser abgedeckt wird.


Camillo Schumann


Aber die komplette Impfserie, also zweimal, wäre ein bisschen zu viel des Guten.


Alexander Kekulé

Zweimal. Es gibt natürlich, das ist jetzt so ein bisschen freischwebende Impfempfehlung. Fast hätte ich gesagt aus dem Bauch heraus. Aber es ist so wir haben so viele Daten, die zeigen, dass eine Auffrischungsimpfung wirklich einen guten Effekt hat. Und zwar gerade wenn man verschiedene Impfstoffe nimmt, dass man dann, wie es ja auch zu erwarten ist, sozusagen das Spektrum der gebildeten Antikörper verbreitert. Und auch das Spektrum dieser T-Zellen, die sich da wehren, verbreitert, sodass ich sagen würde, wenn man einmal Johnson und Johnson und einmal einen RNA-Impfstoff hat. Das ist also wirklich dann ausreichend. Und da ist man dann genauso gut geschützt, mindestens, wie die die zweimal RNA-Impfstoffe bekommen haben. Und ich würde fast also, wenn es jetzt im privaten Kreis wäre und jetzt nicht hier formal ist natürlich die STIKO zuständig wäre. Dann würde ich die Empfehlungen auszusprechen, dass die Johnson und Johnson Leute jetzt mal, diese überschüssigen RNAImpfstoffe sich holen und eine zweite Impfung machen.

56:11


Camillo Schumann


Damit sind wir fast am Ende. Es gibt eine positive Meldung zum Schluss, und die kommt von unserer Hörerin Frau Birnbauer. Sie schreibt, kann es sein, dass durch die Corona-Impfung Warzen verschwinden? Ich hatte am 04.06. die zweite Impfung mit BioNTech Pfizer, 14 Tage später war das lästige Ding weg. Das wäre doch mal was Positives. Viele Grüße, Frau Birnbaum.


Alexander Kekulé

Ja, das stimmt. Natürlich kann es sein. Also Warzen verschwinden durch immunologische

Stimuli, also die Stimulation des Immunsystems. Und da kann man alles Mögliche machen. Da kann man Leute erschrecken. Soll glaube ich, auch funktionieren, nackig bei Vollmond durch einen Park laufen, habe ich auch mal gehört. Also gibt viele Dinge, die man gegen Warzen machen kann. Alles was halt irgendwie sage ich mal das Sensorium schockt. Also, wenn Sie irgendetwas haben, vielleicht ins Eiswasser springen oder so, gibt verschiedene Dinge, wo das funktioniert. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass der Immunstimulanz durch so eine Impfung bei manchen Menschen das ist natürlich nicht verbrieft, dass es immer geht und auch nicht verbrieft, dass es am Schluss dann auch in einer Studie bewiesen wird. Aber so im Prinzip solche Dinge gehen gegen Warzen.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 202. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne bis dahin Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Kostenlos geht das

0800 322 00

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich ihnen den Podcast „der Rechthaber“ empfehlen. Der Podcast für juristische Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um die Frage die Pflicht ist eher ausgelaufen. Kann ich aber als Arbeitnehmer trotzdem auf Homeoffice bestehen? Die Antwort bei der Rechthaber.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 29. Juni 2021 #201


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links

Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI

RKI – Coronavirus SARS-CoV-2  – Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI

Wie gefährlich ist die DELTA-Variante? Neue Daten aus Großbritannien (2 5.06.)

SARS-CoV-2  variants of concern and variants under investigation (publishing.service.gov.uk)

Neue Daten zur Impfung von Kindern aus den USA. (2 3.06.)

CDC Awardee COVID-19 Vaccination Planning Meeting

Dienstag, 2 9. Juni 2 02 1

Die Delta-Variante: Was bedeutet sie für die Urlaubssaison? Wie gefährlich ist sie wirklich? Sollte die Impfempfehlung für Kinder wegen ihr geändert werden? Und sollte auch der Impfabstand verkürzt werden? Was man jetzt dazu wissen muss.

Außerdem: Macht eine Quarantänepflicht für vollständig geimpfte Reiserückkehrer Sinn?

Dann: Neue Daten zur Impfung von Kindern aus den USA. Was sagen sie aus?

Außerdem: Volle EM-Stadien und hoch ansteckende Virusvarianten: Kalkulierbares Risiko oder rücksichtslose UEFAEntscheidung?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Ja, die Urlaubszeit beginnt. Für einige ist der Urlaub aber schneller vorbei als Ihnen lieb ist. Hunderte Touristen aus Deutschland haben ihren Portugal-Urlaub vorzeitig beendet, sind nach Deutschland zurückgekehrt, solange es eben noch ging. Denn das Robert-Koch-Institut hat das Land ab heute zum Virusvarianten-Gebiet erklärt. Das bedeutet, dass Fluggesellschaften, Busund Bahnunternehmen Menschen, die in diesen Gebieten sich aufgehalten haben, nicht mehr nach Deutschland befördern dürfen. Neben Portugal ist auch die Russische Föderation als Virusvarianten-Gebiet eingestuft worden, Großbritannien sowieso. Herr Kekulé, man hat so den Eindruck, es gibt 2 Gruppen von Ländern in Europa. Die einen kämpfen mit der Delta-Variante und die anderen noch nicht.


Alexander Kekulé

Ja, irgendwie kämpft jeder auf seinem Niveau. Natürlich, es ist ja nicht nur die Delta-Variante, sondern das Problem ist einfach, dass man Lockerungen beschlossen hat. In Portugal ja in ganz großem Stil. Man hat den Tourismus quasi wieder geöffnet. Und da ist es eben dann zu vielen Einreisen von Engländern gekommen, die ja gerne mal nach Portugal reisen. Es ist eins der beliebtesten Reiseländer neben Spanien dort. Ja, und dann ist das passiert, was – eigentlich muss man kein Virologe für sein – dass natürlich dann die Importe kommen und dann die Fallzahlen wieder hochgehen. Und in dem Fall halt die Delta-Variante, die infektiöser ist als ihre Vorgänger. Nicht so viel infektiöser,

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als dass sie der Grund dafür wäre, was wir da beobachten. Der Grund dafür ist das menschliche Verhalten und die politischen Regularien. Wenn ich jetzt Urlauber in Lissabon wäre oder irgendwo da schön am Meer sitzen würde, dann würde ich mich hauptsächlich ärgern eigentlich über die unberechenbaren Politiker. Also, die Varianten oder das Virus ist ja eigentlich relativ berechenbar, finde ich. Aber, dass man zuerst sagt: Ihr könnt dahinfahren. Und dann, wenn die dort sitzen, quasi einem erst einfällt: Wäre vielleicht doch ganz schön, Quarantäne zu haben nach der Rückkehr. Darum geht es ja letztlich. Das ist natürlich unglücklich gelaufen.


Camillo Schumann


Weil sie es gerade angesprochen haben. Menschen, die in diesen Hochinzidenzgebieten, dann auch in einfachen Risikogebieten oder in Virusvarianten-Gebieten unterwegs sind und nach Deutschland wieder zurückwollen, die müssen sich ja auf Einiges einstellen: Testen, Quarantäne, 10 Tage, 14 Tage, je nachdem, wo man war. Da muss man auch Einiges beachten. In der Schriftversion dieses Podcasts verlinken wir mal die aktuellen Regeln des Robert-KochInstituts dazu. Sehr interessant. Das kommt dann, wenn man sich das durchgelesen hat, so einer kleinen Abiturprüfung gleich. Und es gibt einen sehr interessanten Aspekt: Alle vollständig Geimpften, die stolz ja mit ihrem digitalen Impfpass unbeschwert Urlaub machen wollten, die müssen, wenn sie in Virusvarianten-Gebieten unterwegs waren und zurückkommen, ebenfalls 14 Tage in Quarantäne. Da bringt die Impfung praktisch überhaupt nix. Und Kanzleramtschef Helge Braun hat heute im ZDF-Morgenmagazin erklärt, warum so verfahren wird. Wir hören da mal rein.


Helge Braun

Weil wir bei normalen Risikogebieten, wo wir nicht von der Variante ausgehen, da sind Geimpfte und Genesene ausgenommen. Ja, das ist auch richtig so. Wenn wir über eine neue Variante reden. Sie müssen mal dran denken. Wir haben bei dem Wild-Typ des Virus bis ins Frühjahr hinein gebraucht, um sicher zu sein, dass eine Impfung auch eine sterile Immunität vermittelt. Und doch gibt es da immer wieder Unsicherheiten. Das heißt, wenn eine neue Variante auftritt, braucht es relativ lange, um sicher zu gehen: Wirkt der Impfstoff? Das ist die erste Frage. Und die zweite: Kann man, auch wenn der Impfstoff mich gut von einer Krankheit schützt, möglicherweise weiter als Überträger fungieren?



Camillo Schumann


Ist diese Argumentation schlüssig?



Alexander Kekulé

Also bei allem Respekt vor Herrn Kanzleramtsminister Braun, der ja auch Dr. med. glaube ich ist, aber jedenfalls Arzt. Das ist absolut nicht mehr nachvollziehbar. Es ist so, dass schon der erste Schritt, das wimmelt sozusagen von Falschinformationen. 



Camillo Schumann


Okay. Also völliger Quatsch, dass doppelt Geimpfte aus Virusvarianten-Gebieten 14 Tage jetzt in Quarantäne müssen.



Alexander Kekulé

In mehrerer Hinsicht. Erstens epidemiologisch, das habe ich gerade gesagt. Zweitens ist es meines Erachtens auch rechtlich... Also ich bin absolut sicher, dass es da das eine oder andere Gerichtsverfahren gibt. Und ich darf ja öfters mal Sachverständiger sein. Also wenn ich da Sachverständiger wäre vor Gericht, können Sie sich vorstellen, wie das Verfahren ausgehen würde. Nur nochmal, um es ganz deutlich zu machen: Wenn jetzt jemand – aus welchen Gründen auch immer – richtig schlimme Risikofaktoren selber hat. Also sagt: Wenn ich Covid kriegt, dann sterbe ich echt dran oder hab eine große Chance. Oder er lebt zusammen mit einem Hochaltrigen im gleichen Haushalt, der sich nicht impfen lassen wollte oder konnte. Und man sagt: Ich kann den Kontakt aber nicht vermeiden. Dann ist die einzige Konsequenz natürlich, nicht ins Ausland zu fahren, oder wenn man dort ist, wirklich maximal aufzupassen. Weil es auch da es zu Infektionen nach durchgemachter Erkrankung oder nach Impfung kommen kann. Und in solchen Einzelfällen mag das mal eine Rolle spielen. Aber wir reden ja jetzt nicht von dem Einzelfall. Wir reden nicht von der Individualmedizin, sondern wir reden von Epidemiologie. Und diesen Blickwinkel muss man als Politiker natürlich beibehalten.



Camillo Schumann


Also, ehrlich gesagt, war ich ein bisschen verwundert, als ich das gehört habe. Weil die Motivation ist ja, für jemanden, der sich impfen lässt, unter anderem ja natürlich, neben dem medizinischen Aspekt, auch niemanden anderen anstecken zu können und sich selber natürlich auch zu schützen, auch wieder Freiheiten zu genießen. Und dann gab es ja oder wurde ja lange der digitale Impfpass propagiert. Jetzt funktioniert er und man startet in die Urlaubssaison. Und stellt dann irgendwie fest: Eigentlich war es völlig sinnlos, dass ich mich hab impfen lassen. Also ich könnte mir vorstellen, dass möglicherweise auch die Impfbereitschaft dann so ein bisschen sinkt. Besteht eigentlich auch eine Gefahr, wenn man so etwas hört?



Alexander Kekulé

Ich bin natürlich kein Soziologe. Aber ich habe schon auch den Eindruck, dass es wirklich viele Menschen gab in Deutschland, die sich haben impfen lassen wegen der Freiheiten, wie Sie es richtig sagen. Und da natürlich insbesondere in den Urlaub fahren zu können jetzt im Sommer. Sie haben jetzt gerade gesagt: Neben den medizinischen Aspekten war das ein Motiv. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es für manche Menschen an der ersten Stelle stand. Ich bin ja immer so ein bisschen dagegen, diese Dinge zu vermischen. Und ich sehe das deshalb schon mal grundsätzlich kritisch, wenn der Staat quasi seine Bürger anhält – man könnte fast sagen, nötigt – sich impfen zu lassen, um Grundrechte zurückzubekommen. Das ist eine schwierige Kombination. Also ist schwierig, wie man sich da verhalten soll. So ähnlich war ich irritiert, als vor langer Zeit mal der Bundesgesundheitsminister gesagt hat: Wenn ihr eure Daten in die Corona-App eingebt, also quasi die Daten zur Verfügung stellt – damals ging es ja auch noch darum, personalisierte Daten dann letztlich preiszugeben – dann kriegt ihr dafür die Freiheit. Und so ein bisschen ist es jetzt auch. Das ist wieder so ein Versprechen, was nicht eingelöst wird. Aber jenseits dieser politischen Konsequenz und dessen, dass es tatsächlich sein kann, dass man die Zahl derer, die dann insgesamt – Stichwort Compliance – nicht mehr mitmachen wollen bei den ganzen Dingen, dass man die erhöht, ist es einfach auch epidemiologisch Unsinn. Vielleicht sage ich noch ein Wort zur Compliance. Es gibt inzwischen Studien aus den USA und aus England, die mal untersucht haben: Wie gut halten sich die Leute denn an so Quarantänevorschriften? Und aus England habe ich jetzt eine vor Augen. Da ist es so, dass das deutlich runtergegangen ist, also am Anfang dieser Pandemie oder im weiteren Verlauf war es so, dass die Menschen wirklich, wenn man gesagt hat: Okay, wenn du zurückkommst, musst du eine oder 2 Wochen zuhause bleiben – häusliche Absonderung, Quarantäne – dass die sich zu einem erstaunlich hohen Teil daran gehalten haben. Ich glaube, auch in Deutschland ist das so und war das so. Aber hier sehe ich jetzt bei den Reiserückkehrern ein großes Problem. Ja, weil, wenn sie nämlich die Maßnahmen gar nicht mehr nachvollziehen können: Sie sind doppelt geimpft und dann sollen sie in Quarantäne. Also da würde ich mal vorschlagen, vor jede Wohnungstür einen Polizisten zu stellen. Weil, ob die sich alle daran halten, also auch Leute, die sonst relativ vernünftig sind. Das würde ich jetzt mal glatt bezweifeln.



Camillo Schumann


Das war jetzt auch so ein kleiner Spaß, ne? Nicht, dass wir gleich wieder Zuschriften bekommen.



Alexander Kekulé

Mit dem Polizisten? Ja, die Gewerkschaft der Polizei beschwert sich gleich, dass sie nicht genug Personal haben.



Camillo Schumann


Aber um das mal zu versinnbildlichen, dass wirklich, gerade wenn man doppelt geimpft ist und dann soll man noch 14 Tage in Quarantäne. Dass das möglicherweise ein gefühlter Widerspruch ist und dass man sich dann möglicherweise doch nicht dran hält.



Alexander Kekulé

Wir müssen einfach lernen, auch lieber Herr Braun, Kanzleramtsminister, Sie und wir alle müssen damit lernen, dass es im Leben Risiken gibt. Ja, Sie haben ja auch nicht die ganze Zeit einen – was weiß ich – so einen Lawinen-Protektor dabei, wenn sie sich durch die Straße begeben, aus Angst, dass vielleicht ein Fahrrad Sie umfahren könnte, so ein Polster außen herum. Sondern man geht einfach ständig Risiken ein. Das sind nicht einmal Restrisiken im engeren Sinn des Wortes, sondern das sind knallharte Risiken. Jeder von uns, wenn er morgens aufsteht und sich aus dem Bett bewegt, hat ein handfestes Risiko, an diesem Tag zu sterben. Und diese Risiken gehen wir ein. Und so eine Idee – wussten Sie gar nicht, ne? Und so eine Idee, das Risiko in dem Bereich zu senken, wo man sagt, nicht einmal doppelt Geimpfte gelten jetzt als okay sozusagen. Das gleiche Thema haben wir bei denen, die vor mehr als sechs Monaten Covid durchgemacht haben. Obwohl eigentlich die ganze wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass diese Immunität im Sinne von Vermeiden von Super-Spreading und Vermeiden schwerer und tödlicher Erkrankungen natürlich länger als sechs Monate reicht. Da finde ich, müssen wir uns irgendwie jetzt auch mal entspannen und sagen: Irgendwo muss auch mal sozusagen Schluss sein. Da müssen wir eine Linie ziehen. 


Das Virus wird nicht gefährlicher, auch wenn ich weiß, Kollegen von mir sagen, Delta sei gefährlicher als Alpha. Da gibt es einfach keine Daten dafür. Und deshalb heißt es für uns: Wer ausreichend geimpft ist, wer die Krankheit durchgemacht hat, der ist jetzt erstmal aus dem Schneider. Und wenn wir dann in sechs Monaten neue Daten haben, die sagen, dass der Kekulé sich komplett geirrt hat und das total zu optimistisch war und dass doch das große Sterben einsetzt, dann müssen wir eben erklären, warum es falsch war, ja. Aber man muss gerade als Politiker – ich habe es natürlich leicht – aber als Politiker muss man auch mal ein Risiko eingehen. Sie können nicht sagen: Ich fahre hier Null-Risiko-Strategie und deshalb lasse ich doppelt Geimpfte 14 Tage in Quarantäne.


14:55


Camillo Schumann


Über diese neuen Daten zur Delta-Variante wollen wir gleich sprechen. Vorher noch mal ganz kurz auf das aktuelle Pandemiegeschehen in Europa, auch in Verbindung mit den Urlaubern. Und was das möglicherweise auch für Deutschland bedeuten könnte. Im Großraum Lissabon – wenn wir schon mal dabei sind – hat die Sieben-Tage-Inzidenz die 2 00er-Marke durchbrochen. Die Urlaubszeit in Deutschland beginnt ja auch gerade erst. Die Menschen haben Urlaube gebucht, wollen endlich mal wieder ins Ausland, mal raus. Und die große Frage: Werden die Reiserückkehrer dann dafür sorgen, dass in Deutschland am Ende des Sommers die Zahlen wieder nach oben gehen? Das hatten wir ja schon mal. Damals gab es sogar Grenzkontrollen. Einige Ministerpräsidenten haben die wieder gefordert. Gestern gab es eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Die Bundesregierung lehnt Grenzkontrollen aber ab. Kanzlerin Merkel dazu:


Angela Merkel

Die Grenzkontrollen, die waren etwas sehr hartes. In der damaligen Situation waren sie wahrscheinlich dann unumgänglich. Aber ich stimme zu, dass sich so etwas nicht wiederholen sollte. Das bedeutet dann aber auch sehr enge Abstimmung in bestimmten Bereichen. Denn damals waren es gerade auch die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder auf der deutschen Seite, die dringlich darum gebeten haben. Ich glaube, wir haben daraus unsere Lektion gelernt, wie wir auch regional besser kooperieren können und uns abstimmen können.



Camillo Schumann


Also keine Grenzkontrollen. Schleierfahndung im Grenzgebiet soll es nach Aussagen des Bundesinnenministeriums aber weiter geben, also Stichproben. Reicht das?



Alexander Kekulé

Das ist eine schwierige Frage, das sind ja mehrere Ebenen. Also wer sich jetzt gerade gefreut hat, dass ich es für doppelt Geimpfte für Unsinn halte, Quarantäne zu machen, der wird jetzt wahrscheinlich traurig sein. Ich finde, wenn jemand nicht geimpft ist, dann ist es definitiv notwendig in der jetzigen Situation – und das habe ich mir lange überlegt – in der jetzigen Situation tatsächlich Quarantäne zu haben nach der Einreise. Wir sind in Deutschland ja in einer ganz besonderen Lage jetzt. Das muss man sich mal auf der Landkarte anschauen. Wir sind umgeben von anderen Ländern, die steigende Fallzahlen haben. Zwar zum Teil noch nicht auf hohem Niveau. Aber wenn ich einfach mal England so als Beispiel sehe, die hatten jetzt am Montag 2 2 .868, ist die offizielle Zahl – also fast 2 3.000 neue Fälle allein am Montag. Und Schottland hatte am Montag die höchste eintägige Fallzahl, also die höchste Zahl von Neuerkrankungen überhaupt in der ganzen Pandemie. Also seit Beginn der Pandemie hatten die 3.000 neue Fälle. Das ist die höchste Zahl, die sie in Schottland jemals hatten. Und in diese Richtung geht es ja an verschiedenen Stellen. Und das heißt also: Wir haben jetzt so eine ähnliche Situation, wie es letztes Jahr so Februar, März war. Da hatte ich ja dringend für Einreisekontrollen plädiert, aus dem gleichen Grund wie jetzt. Und zwar ist es so, dass wir eine Situation haben, wo in Deutschland wenig Fälle sind. Unsere Inzidenz ist deutlich unter zehn. Aber in anderen Ländern, wo wir hinfahren und wo wir Kontakt haben, wo auch Menschen uns besuchen, die Inzidenz hoch ist oder gerade massiv steigt. Also ich möchte mal sagen: Exponentielles Wachstum dort außer Kontrolle im Moment zum Teil. Also Lissabon, muss man sagen, da ist die Situation zum Beispiel außer Kontrolle. Das ist die einzige Situation in so einer Pandemie, wo man erklären kann, dass es sinnvoll ist, die Grenzen zu kontrollieren. Sonst gab es oft Situationen, wo wir kontrolliert hatten und eigentlich selber schon Risikogebiet waren. Aber hier ist es wirklich mal so: Im Ausland sind die Fälle hoch und steigen auch, und wir sehen auch, dass viele das nicht unter Kontrolle bringen im Moment – aus welchen Gründen auch immer – hängt sicher mit der höheren Infektiosität auch der Delta-Variante zusammen. Aber wir sind niedrig. Und wenn man jetzt rein kaltblütig, epidemiologisch sozusagen das anschaut, ist das der Moment, die Grenzen zu kontrollieren, weil wir dadurch das Ansteigen der Delta-Variante oder der neuen Fälle – was in Deutschland definitiv auch passieren wird, das ist so sicher, wie es Amen im Gebet – dass wir hier natürlich auch eine Dominanz von Delta bekommen werden, auch wenn sich da die Fachleute ja bekanntlich streiten. Aber es ist so, das werden wir bekommen. Die Frage ist nur: Können wir uns Zeit für die Impfungen erkaufen, dass das quasi später kommt, dass dieses Einschleppen langsamer ist? Und die Erfahrungen vom letzten Herbst zeigen eben, wenn wir da nichts tun, dann macht es Peng, und plötzlich kommt die zweite Welle in dem Fall damals. Und wir brauchen diesen Puffer aus 2 Gründen meines Erachtens. Der erste Grund ist, dass wir die Zeit für die Impfungen brauchen, vor allem von den Älteren und den Risikogruppen. Da sind wir noch nicht so weit. Aber auch gerne weiter Richtung jünger, ich denke mal an Studenten zum Beispiel. Und zweitens brauchen wir diesen Puffer dringend, wenn wir im Herbst die Schulen aufmachen, sonst werden es wieder die Schüler sein, die die Zeche zu bezahlen haben.



Camillo Schumann


Okay, Grenzkontrollen: Jetzt schon? Fragezeichen. Denn wenn man sich so anschaut, die Länder, die zum Beispiel kein Risikogebiet mehr sind: Luxemburg, Lettland, Kroatien, Dänemark, Niederlande, Slowenien, Schweden. Sozusagen die uns im weitesten Feld ja auch umgeben, da ist die Situation ja im Moment noch völlig in Ordnung.



Alexander Kekulé

Ja, natürlich nicht generell. Also, das ist so, da macht übrigens das Robert-Koch-Institut wirklich gute Arbeit. Es ist so. Am Anfang haben sie da, wie ich fand, etwas zu kleinkariert reagiert, wenn man sich an Italien erinnert, der Ausbruch. Da haben die dann erst mal Teile der Lombardei zum Risikogebiet erklärt. Also virologisch muss man da wirklich drüber lachen. Dann die ganze Lombardei, dann die Lombardei und Venetien – so im Salami-Verfahren. Und das Virus war natürlich immer schon ein Schritt weiter. Völlig überraschend ist es dann auch über die Grenze nach Österreich, nach Ischgl längst gekommen, wo das RKI nicht dran gedacht hatte. Heute sind die ja viel weiter. Also die setzen sich ja – einmal die Woche ist das, glaube ich, gibt es so eine Konferenz. Da setzt man sich zusammen, wird zusammengeschaltet und wirklich für jedes Land diskutiert: Wie ist die Lage? Risikogebiet: Ja oder Nein? Dort noch die Unterscheidung nach Variantengebiet und Hochinzidenzgebiet. Halte ich jetzt nicht für optimal, aber sei es drum. Aber da können wir schon davon ausgehen, dass das eine relativ gute Analyse ist. Ich würde nur immer dafür plädieren, und ich glaube, in diese Richtung wird dort auch gedacht, dass man nicht nur den Ist-Zustand betrachtet, weil das ist natürlich inzwischen auch bekannt. Die gemeldeten Zahlen sind mindestens 2 Wochen im Verzug zur realen Situation. Im Ausland zum Teil mehr als bei uns. Und es ist auch so, dass natürlich, wenn so eine Welle dann gerade zunimmt, da hat man dann eine Dynamik, die quasi in den statischen, momentanen Zahlen noch nicht drin ist. Mallorca zum Beispiel oder Spanien. Es ist ja so gewesen, dass die Spanier, ähnlich wie Portugal, für britische Touristen aus genau dem gleichen Grund diese Einreisekontrollen gestoppt haben. Die haben gesagt: Ihr dürft jetzt kommen und bei uns Urlaub machen. Unter dem Druck der Tourismusindustrie. Dann sind jetzt die Fallzahlen hochgegangen und man hat ja jetzt diese Ausnahmen für Reisende aus dem Vereinigten Königreich. Die sind ja in Portugal, Spanien und in Malta, meine ich, noch. Die sind ja jetzt gerade aktuell zurückgenommen. Oder es ist zumindest angekündigt worden, dass die zurückgenommen werden. Aber trotzdem hatte man jetzt dieses Fenster, wo die alle eingereist sind. Viele sind vielleicht noch da, und da haben wir dann das Stichwort noch einmal: Compliance. Das heißt also: Wer hält sich an diese Maßnahmen? Und ich glaube schon, dass man, wenn man diese Dinge berücksichtigt, dass man dann die Länder identifizieren kann, wo man aufpassen muss, dass es nicht zu Einschleppungen kommt, natürlich auch auf dem Landweg. Und natürlich betrifft es auch unsere unmittelbaren geografischen Nachbarn zum Teil. Und dann muss man eben das machen, was wir schon am Anfang gemacht hatten: Zusehen, dass man für Pendler Sonderregelung findet. Pendler werden ja auch zum Teil jetzt schon bevorzugt geimpft. Und dass man ungeimpfte Reisende aus dem Ausland, egal auf welchem Weg sie nach Deutschland kommen, tatsächlich kontrolliert und auch natürlich in Quarantäne bringt, dann. Dass man sagt: Okay, jetzt ist die Quarantäne verpflichtend, zumindest mal die fünf Tage mit anschließendem frei testen.



Camillo Schumann


Ganz kurz noch mal, um das zusammenzufassen: Diese Grenzkontrollen. Wie stellen Sie sich die dann konkret vor?



Alexander Kekulé

Im Grunde genommen, wie man das vorher gemacht hat. Also man muss vor allem jetzt erstmal Einreisende aus Urlaubsgebieten hier ins Auge nehmen. Das heißt, tatsächlich Rückkehrer aus Portugal, Rückkehrer aus Spanien usw. Da muss man eine Quarantäne-Verordnung haben, dass man sagt, wenn die zurückkommen, haben die eben eine Quarantäne einzuhalten. Und das wird sehr, sehr sportlich, das dann zu kontrollieren. Und zwar natürlich nicht alle, sondern die, die nicht geimpft sind. Das ist klar, dass man die noch einmal fünf Tage in Quarantäne nimmt und dann testet.


23:40


Camillo Schumann


Wir müssen die immer stärkere Verbreitung der Delta-Variante so lange als möglich verlangsamen. Das geht vor. So heißt es aus der Bundesregierung. Und auch in Deutschland nimmt ja der Anteil der Delta-Variante an den Infektionen zu. Aktuell liegt der Anteil bei rund 50 %. Das war ja auch so zu erwarten. Irgendwann wird die Delta-Variante dominieren und Deutschland selbst zum Virusvarianten-Gebiet. Und die Gretchenfrage ist: Wie gefährlich ist diese Variante? Also wie viele Menschen sterben daran? Mehr als mit den alten Varianten? Weniger? Gleichviel? Großbritannien ist ja sozusagen der Testballon. 


In England ist die Delta-Variante schon ein paar Monate angekommen. Es gibt jetzt neue Daten der britischen Gesundheitsbehörden, die auf den ersten Blick, wie ich finde, eigentlich sehr verheißungsvoll aussehen. Auch diese Daten verlinken wir natürlich hier in der Schriftversion des Podcasts. 

Und in diesen Daten von den britischen Gesundheitsbehörden, auf Seite 8 dieses Papiers vom 25. Juni, wird die Fallsterblichkeit der einzelnen Varianten aufgeführt. 

Also Delta: Nur ansteckender, aber nicht gefährlicher?



Alexander Kekulé

So kann man es zusammenfassen. Ja, also aus diesen Daten kann man es vielleicht noch nicht 100 % rauslesen. Das ist ja – jeden Donnerstag sitzen die, glaube ich, zusammen und machen das sogenannte Technical Briefing. Also das ist quasi so der wöchentliche Lagebericht dort zu den Varianten von Public Health England. Und das ist jetzt der Bericht vom letzten Donnerstag. 


Ganz so einfach ist es meines Erachtens nicht. Und zwar deshalb, weil: 


Und dadurch ist die Situation die, dass die Alpha-Variante-Zahlen natürlich einen langen Zeitraum abdecken, 


Und die Delta-Zahlen sind frischer. Das heißt, sie werden in einer Zeit erhoben, 


Und es ist so, dass aktuell eben – wie überall – die Jüngeren jetzt sozusagen dran sind mit der Welle. Das ist keine besondere Eigenschaft von Delta, sondern das liegt daran,  

  1. dass die sich im Rahmen der Öffnungsbestrebungen jetzt frei fühlen und keine Vorsichtsmaßnahmen mehr ergreifen, 
  2. dass die natürlich nicht geimpft sind, in keiner Situation. 
  3. eben bei den ersten Wellen noch nicht so viele Infektionen abgekriegt haben. Da hatten wir zum Beispiel in Schulen gar nicht so viele Fälle. Und die holt das Virus jetzt nach. Ja, es ist quasi wie eine Welle, die sich immer den Bereich sucht, wo sie noch nicht war. Und die schwappt halt jetzt als Nächstes bei den jungen Leuten rein. Das heißt, das ist nicht verwunderlich, wenn sie jüngere Menschen haben, dass natürlich dann der Anteil der Todesfälle extrem gering ist. 


Trotzdem: Mit diesen ganzen Einschränkungen kann man trotzdem sagen: Es ist auf keinen Fall so, dass Delta gefährlicher ist als die bisherigen Varianten, sondern es ist tendenziell ungefährlicher, wenn man es zusammen mit der Immunität der Bevölkerung anschaut, weil wir eben viele Geimpfte und viele Genesene haben.


2 8:2 3


Camillo Schumann


Was heißt das jetzt in der Bewertung, wenn wir jetzt weiter „munter“ in Anführungszeichen – sollte auch ein Scherz werden – Virusvarianten-Gebiete in Europa auszeichnen?



Alexander Kekulé

Wie man es macht ist es falsch. Ja, es gibt immer irgendeinen Fachmann, der sagt: Ich weiß, ich habe da noch eine Idee, wie man es besser machen kann. Deshalb will ich jetzt an der Stelle sagen nochmal: Das Robert-Koch-Institut macht es inzwischen – Sie hören das inzwischen raus – inzwischen wirklich gut. Ich glaube, die Frage, ob sich dort die eine oder andere Variante ausbreitet, ist im Grunde genommen nichts, was man jetzt als besonderes Varianten-Gebiet auszeichnen sollte. Da kommt man dann eben ins Dickicht, genau wie sie angedeutet haben: Ab wieviel Prozent sind wir eigentlich dann Varianten-Gebiet? Ja?


Wenn wir dann irgendwann mal die 50-Prozent-Marke knacken, sind wir dann Variantengebiet oder erst vorher? Oder muss man da berücksichtigen: Die Variante ist ja infektiöser. Wenn sie jetzt, wie viele sagen, 50 % infektiöser ist, dann gilt es vielleicht schon beim Verhältnis von 2 5 zu 75 als Variantengebiet usw. Da kommen Sie in den Wald. Sondern wichtig ist einfach die Frage: Wir gucken uns die einzelnen Länder an, die Destinationen. Da spielt es eine Rolle, natürlich, wie gut dort die Daten erhoben werden. Das wird inzwischen sehr gründlich gemacht, wurde von Anfang an eigentlich gut gemacht. Und dann gucke ich natürlich auf die Frage: Wie schnell steigen die Fälle dort an? Also wie ist sozusagen das Wachstum? Wie steigt die Inzidenz? Und das wiederum hängt natürlich mit den Varianten zusammen. Wenn sie eine neue Variante haben, die erstens immunologische Durchbrüche macht und zweitens einen Ticken schneller ist, dann steigt die Inzidenz schnell. Aber das ist der entscheidende Faktor. Also ich würde wirklich nur Hochinzidenzgebiete ausweisen und solche, die sozusagen auf dem Weg zum Hochinzidenzgebiet sind, damit man das frühzeitig erfasst. Und nicht, wie man das schon ein paarmal gemacht hat, sozusagen diesen Stempel erst draufmacht, wenn schon viele Importe stattgefunden haben nach Deutschland. Und deshalb würde ich persönlich das mit diesem Varianten-Gebiet fallen lassen. Aber wie gesagt: Alles hat Vorund Nachteile. Ich glaube, die entscheidende Frage ist nicht: Gibt es da eine Variante? Sondern die entscheidende Frage ist: Wie stark steigen die Fallzahlen an im Moment? Wie ist unsere Erwartung? Und natürlich ein bisschen auch: Wie verhalten sich die Menschen, die dorthin fahren? Weil, wenn sie natürlich – ich sag mal – irgendein Gebiet haben, wo typischerweise nur Business-Reisende hinfahren. Wo man also eigentlich jetzt sagen kann: Das sind jetzt nicht unbedingt Leute, die in großer Menge, dann sich unvernünftig verhalten. Dann ist es unter Umständen nicht notwendig, da eine Quarantäne zu verhängen, wenn man zurückkommt. Aber bei

so klassischen Urlaubs Party-Destinationen würde ich da eher dazu tendieren.


31:18


Camillo Schumann


Ihr Kollege Karl Lauterbach hat der Rheinischen Post gesagt: In Großbritannien sind bereits viele Kinder mit Covid in der Klinik. Die Ständige Impfkommission argumentiert, dass Covid für Kinder harmlos sei. Für die Delta-Variante gilt dies seiner Ansicht nach aber nicht. Stimmt das denn? Also geben das die Daten her, dass viele Kinder in Großbritannien in der Klinik liegen und das Delta das Ganze noch verschlimmern können?



Alexander Kekulé

Also erstens stimmt alles, was Karl Lauterbach sagt. Zweitens kann ich das aber nicht nachvollziehen. Sie hatten mir vorher das Zitat geschickt und ich habe mal versucht zu recherchieren. 



Camillo Schumann


Wollen Sie es doch thematisieren?



Alexander Kekulé

Ist doch irgendwie nett. Ja also, der Matt Hancock sozusagen ist – also in England ist man, glaube ich, etwas schneller wegen politischer Unkorrektheiten draußen als in Deutschland. Und zwar natürlich nicht, das ist vielleicht doch interessant, der ist nicht deshalb zurückgetreten, offiziell, weil er verheiratet ist, genauso wie seine Assistentin auch. Und die also dann gefilmt wurden regelrecht von der Überwachungskamera. Und das kam dann auch noch zur Sun, so einem so einem...



Camillo Schumann


...Boulevardblatt.



Alexander Kekulé

Boulevardblatt, ja. Und nein, der ist nicht deshalb zurückgetreten. Nee, nee, der ist zurückgetreten, weil er natürlich damit die Hygienevorschriften nicht eingehalten hat.



Camillo Schumann


Köstlich.



Alexander Kekulé

Also jedenfalls, wie auch immer, der Neue, das ist der Grund, warum ich darüber spreche, natürlich. Der heißt Javid, der ist relativ bekannt in England, ein länger tätiger Politiker. Der ist jetzt Gesundheitsminister, und der ist relativ konservativ. Und er hat gestern seine Antrittsrede gehalten, und er hat diesen Satz ausgegeben: „It‘s end of line for the limits!“. Also: „Schluss mit den Beschränkungen!“ Und der hat klipp und klar gesagt: Er will jetzt sogar aufheben das Quarantänegebot für Schüler. Das heißt also, wenn einer in der Klasse positiv ist, dürfen die anderen weiterhin hin. Wenn es so wäre, wie da jetzt vorhin gesagt wurde, dass man da Daten hat, dass die reihenweise im

Krankenhaus landen, dann würde nie und nimmer ganz England über die Möglichkeit diskutieren, Schüler weiter zur Schule zu schicken, obwohl es einen positiven Fall gegeben hat.



Camillo Schumann


Das ist sozusagen die gegenteilige Argumentation von Professor Lauterbach. Und Professor Lauterbach sagte auch, die STIKO müsse wegen der Delta-Variante ihre Impfempfehlung für die Kinder ab zwölf Jahre hier bei uns ändern. Bisher empfiehlt die STIKO, nicht generell Kinder zu impfen. Es sei denn, sie haben Vorerkrankungen oder es finden sich Personen im Umfeld mit einem erhöhten Risiko. Sie sind da jetzt auch nicht grundsätzlich dafür, alle Kinder zu impfen. Ändert die Delta-Variante etwas daran?



Alexander Kekulé

Nö. Also das ist halt einfach so. Wenn Sie 2  Anwälte fragen, kriegen Sie 2  Meinungen. Wenn Sie 2  Fachleute fragen, kriegen Sie auch 2  Meinungen. Also ich glaube, der Karl Lauterbach war vorher schon der Meinung, dass man die Kinder impfen sollte ab zwölf. Und jetzt ist halt Delta das neue Argument. Und ich habe vorher schon Gründe, die dagegengesprochen haben, aufgezählt. Die wurden ja nicht nur eins zu eins von der STIKO übernommen, sondern meines Erachtens sogar zementiert. Also ich war da vorsichtiger als die STIKO. Die STIKO hat ja letztlich bei ihrer Begründung, warum sie sagt: Erst ab 18 empfehlen wir die Impfung, die ist ja noch mal ein Jahr hochgegangen von dem, was vorher war. Sie haben gesagt: Ab 18, letztlich aus 2 Gründen. Der eine Grund ist, dass der epidemiologische Nutzen nicht nachgewiesen ist. Und den epidemiologischen Nutzen, den haben wir jetzt, 2 Wochen später, natürlich auch nicht nachgewiesen. Oder wenige Wochen später auch nicht nachgewiesen. Das heißt also, den werden wir im Jahr 2021 nicht mehr belegen können. Und der andere Pfosten, den sie eingeschlagen haben, ist, dass sie sagen: Es geht um die fraglichen Langzeitrisiken. Und Langzeitrisiken sind solche, die nach einem Jahr plus X auftreten. Und das heißt also, mit diesen

2 Argumenten, die tragend waren, in der STIKO-Begründung haben sie Ihre Pfosten so tief in die Erde geschlagen, dass es eigentlich – wenn sie quasi wissenschaftlich begründet weitergehen und nicht irgendwelchen politischen Wellen folgen – dann kann die STIKO nicht anders, als bei dieser Empfehlung bleiben. Ich muss auch nochmal sagen, die Diskussion wäre ja epidemiologisch... 


Die Gegenseite sagt, es ist so: Wenn wir alle Kinder geimpft hätten, könnten wir denen mehr Freiheiten geben. Das ist so die Idee. Das Problem ist nur, die Lage an den Schulen ist ja immer der Spiegel der Gesellschaft. Das wissen wir inzwischen aus vielen Ländern, dass die Schulen jetzt sozusagen nicht der aktive Teil der Epidemie sind, von denen die Fälle ausgehen. Aber sie haben auch nicht weniger Fälle als im Umfeld. Das heißt in einem Niedrig-Inzidenz-Gebiet sieht man auch an der Schule wenig und andersrum. Und deshalb ist die Überlegung, jetzt zuerst die Kinder zu impfen, meines Erachtens falsch, sondern man muss zuerst diejenigen impfen, die Treiber der Pandemie sind. Und das sind eben die Erwachsenen und meinetwegen auch „ältere“ Jugendliche. Da kann man natürlich darüber diskutieren, wo dann so der Übergang ist, ob das jetzt wirklich mit genau 18 Jahren ist. 


Aber wir sind ja jetzt in der Situation, dass wir erstens in Deutschland weite Teile der Risikobevölkerung noch nicht vollständig geimpft haben. Vor allem in den prekären Vierteln, in bestimmten Teilen der Gesellschaft, die sich nicht impfen lassen wollen. Das sind nicht nur welche mit ausländischen Wurzeln, sondern auch welche, die also urdeutsch sind, aber grundsätzlich einfach bestimmte Dinge anders sehen. Das sind Menschen, die man überzeugen muss. Und das ist richtig viel Arbeit, weil dort wird ja auch gestorben. Die machen ja auch quasi Todeszahlen, dann im Herbst, wenn die Fallzahlen wieder hochgehen. 


Und an den Arbeitsplätzen sind wir noch nicht so weit. Wir haben meines Erachtens wirklich auf der ToDo-Liste – das würde ich mal als Forderung formulieren. Wir müssen auch jüngere Erwachsene überzeugen. Die Impfung ist jetzt empfohlen ab 18. Und wenn Sie mal zum Beispiel ans Studentenalter denken und gucken, welche geringe Teile der Bevölkerung da geimpft sind, da ist es tatsächlich wichtig, mal Kampagnen zu machen und Überzeugungsarbeit. 


Und wenn wir dann, ich sag jetzt mal so ein bisschen ironisch: In 2 bis drei Jahren, wenn man die Impfstoff-Versorgung noch mit reinnimmt und die Überzeugungsarbeit. Wenn wir dann sozusagen ab 18 im Trockenen sind, und dann sagen okay, jetzt denken wir über das Alter von 14 bis 18 nach, und dann in der nächsten Stufe irgendwann von mir aus auch über die Kinder, dann haben wir bis dahin viel mehr Daten. Dann haben wir ja diese Langzeitdaten, die wir brauchen, dass wir mal sehen: Wie sieht es eigentlich mit Effekten nach einem Jahr aus? Und ähnlichem. Und deshalb sehe ich die Eile nicht, dass man jetzt mit den Kindern anfangen muss. Wir haben aber umgekehrt eben die Verpflichtung, und das finde ich ganz, ganz wichtig, und ich glaube, das ist auch das, was Herrn Lauterbach antreibt... Wir haben die Verpflichtung, was zu tun, dass gerade die Grundschüler und Kita-Kinder nicht im Herbst wieder – so wie wir es jetzt in England ja sehen – wieder massenweise in die Quarantäne müssen, dass Schulen geschlossen werden müssen, dass die keinen Unterricht kriegen und jetzt nochmal quasi ein Jahr Bildungsausfall haben. Das müssen wir dringend verhindern. Aber meines Erachtens ist der Weg, das zu verhindern, nicht, die Kinder selber zu impfen, sondern dafür zu sorgen, dass die Inzidenz in der Gesellschaft in einem vernünftigen Bereich bleibt.

42 :19


Camillo Schumann


Wir sind jetzt beim Thema Kinder impfen. Mal eine Frage außer der Reihe: Es gibt ja die Empfehlung der STIKO, nicht generell die Kinder zu impfen, eben nur mit Vorerkrankungen, in speziellen Fällen und so. Und auch – das steht auch so schwarz auf weiß da – auf ausdrücklichen Wunsch nach eigener persönlicher Risikoabwägung und nach einem Aufklärungsgespräch. Aber nichtsdestotrotz hört man immer wieder, dass Kinderärzte ablehnen, zu impfen.

Das ist nur die Frage: Wenn man jetzt den eigenen Wunsch hat. Und man hat da zum Beispiel einen 13-jährigen Sohn, der auch sagt: Ja nö, ich möchte mich schon impfen lassen. Und der Kinderarzt verweigert das. Darf der Kinderarzt das verweigern?


Alexander Kekulé

Ja, der Arzt darf das verweigern, weil der Arzt letztlich bei seinen ärztlichen Handlungen nur an seine Regeln der Kunst und an sein persönliches Gewissen gebunden ist. Da muss man dann einfach zu einem anderen Arzt gehen.


Camillo Schumann


Also, Kinderarzt? Ganz kurz: Kinderarzt? Oder kann man auch zu einem normalen Hausarzt gehen?


Alexander Kekulé

Das kann jeder Allgemeinmediziner. Ich würde jetzt nicht gerade mit einem Säugling, die kommen ja eh nicht in Frage. Aber ein 14-Jähriger, das kann natürlich jeder Arzt. ... Gibt ja manche schlanke Achtzehnjährige, die haben also weniger Oberarmmuskeln als ein 14-Jähriger. Also, das kriegt ein Arzt hin, das ist nicht das Thema. Es ist nur so. Man muss halt einfach überlegen: Wie ist die Indikation? Und die Indikation, die ich da so zwischen den Zeilen gesehen habe bei den Empfehlungen der STIKO, die ich auch sehr gut finde, die Indikation heißt letztlich: Es kann ja sein, dass das Kind zusammenlebt mit einem Hochrisiko-Patienten, der einfach aus irgendwelchen Gründen nicht geimpft werden kann. Oder man eben sagt – wir haben ja vorhin mal über Durchbrüche gesprochen – wir wollen für den 100 % Sicherheit haben, der soll sich auf gar keinen Fall anstecken. Auch, wenn er wahrscheinlich dann kein hohes Risiko hätte zu sterben. Das ist eine Individualeinschätzung. Und da finde ich, wenn die Eltern das vernünftig handhaben, liegt es eigentlich in der Hand der Eltern. Ich geh davon aus, dass wir in Deutschland uns ja tendenziell ganz gut auskennen inzwischen mit Corona. Und wenn dann Eltern sagen: Wir machen das, weil wir das Risiko abgewogen haben. Dann sollte der Arzt das eigentlich schon ermöglichen.

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44:38


Camillo Schumann


Ja, wie Großbritannien der Testballon für die Delta-Variante ist, so sind ja die USA der Testballon für die Impfung bei Kindern. Dort wird im großen Stil der mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer verimpft und mit zunehmender Zeit kristallisieren sich ja zumindest die kurzfristigen Nebenwirkungen raus. Es gab ja schon ein paar Hinweise auf Herzmuskelentzündung zum Beispiel. Am Anfang waren das aber Einzelfälle. Jetzt, mit zunehmender Zeit, wächst ja die Grundgesamtheit der geimpften Kinder und Jugendlichen. Und somit werden ja auch die Aussagen über die Nebenwirkungen valider. Es gibt neue Daten der CDC vom 2 3. Juni. Und jetzt die große Frage: Ist nun die Herzmuskelentzündung ein weitverbreitetes Phänomen?


Alexander Kekulé

Wie weit es verbreitet ist, wissen wir nicht. Aber es ist so: Ja, sie ist eine echte Nebenwirkung. Das ist ja immer so der erste Schritt. Bloß, weil etwas zugleich passiert, heißt es ja noch lange nicht, dass es kausal ist. Und weil man bei so was die Ursächlichkeit jetzt wissenschaftlich schwer nachweisen kann – da müsste man ja Experimente machen – macht man das eben epidemiologisch so, dass man sagt: Okay, diese Herzmuskelentzündung kommt in dem und dem Alter, in der und der Jahreszeit kommt die mit einer bestimmten Häufigkeit schon immer vor. Und vergleicht quasi die normale Häufigkeit mit der Häufigkeit bei Geimpften. Und da ist es ganz eindeutig, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt. Das ist also weit über zufällig diese Assoziation, das heißt, wenn es eine überzufällige Assoziation ist, ist es kausal. Und aber anteilig gesehen ja, ich kann mal sagen, was da so drinnen stand. Also die hatten zum Beispiel in den Beobachtungszeitraum 82 7 Fälle registriert, in den USA, die haben da 2 verschiedene Registrierungsverfahren, mit denen die das machen, kann ich gleich etwas darüber sagen. Aber da hatten sie 82 7 Fälle nach der zweiten Dosis untersucht. Und nach der ersten Dosis

waren es nur 2 67. Das heißt also, diese Probleme treten wesentlich häufiger nach der zweiten Dosis auf. Und typisches Alter für die Fälle, wo es nach der zweiten Dosis auftritt, ist

2 4 Jahre. Und da sind 66 % männlich. Bei der ersten Dosis sind noch mehr Prozent männlich und das Alter ist etwas höher, 30 Jahre. Was heißt das? Wir haben dann insgesamt sozusagen – haben die da rausgerechnet bei der Altersgruppe: Bei den 12 -17-Jährigen weiblichen Personen sind es 9,1 Fälle pro Million, also neun Fälle pro Million. Das ist echt wenig. Bei den Jungs sind es allerdings 66 Fälle pro Million. Das heißt also, ich würde mal sagen: Bei den männlichen Geimpften ist es kein so seltenes Ereignis. Das andere, wenn man die Zahlen genauer anschaut. Die CDC gibt da natürlich Entwarnung und sagt: Das ist so selten, die heilen auch normalerweise alle aus. Kein Thema. Wenn man die Zahlen genauer anschaut, ist es so, dass die eine relativ große Altersspanne gebildet haben. Also die interessieren sich zwar für die jungen Leute, Alter 12 -17, aber sie haben letztlich die Auswertungen dann auch in einer größeren Altersspanne gemacht. Also ich glaube bis 30 Jahre rauf zum Teil, sodass wir jetzt keine Angabe darüber haben, ob das umso gefährlicher wird, je jünger die Patienten sind oder die Geimpften. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass es so sein könnte, weil eben bei den Jüngeren das etwas häufiger aufgetreten ist als bei den Älteren, insbesondere bei den männlichen. Sodass ich sagen würde: [...] Man kann aus diesen Daten nicht schließen, dass jetzt nicht vielleicht, wenn man jetzt nur 12 13 nehmen würde als Altersgruppe, da dann das Risiko nicht vielleicht noch höher wäre als diese bei Jungs jetzt 66 pro Million. Also kann sein, dass es dann noch mal ein Faktor höher ist. Sodass sich jetzt mal zusammengefasst sagen würde, die Myokarditis, also diese Herzmuskelentzündung oder Herzmuskelund Herzbeutelentzündung, das ist eine echte Nebenwirkung von diesen RNA-Impfstoffen. In dem Fall nicht, von dem bei uns viel verimpften – oder früher viel verimpften – AstraZeneca-Impfstoff, sondern es geht da um Mo-

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derna und BioNTech. Das ist eine Nebenwirkung, die man schon betrachten muss, wo man vor allem darauf achten muss, dass man sie nicht übersieht. Ganz wichtig ist aber: Die heilt fast immer aus. Also das ist fast immer eine Erkrankung, die ganz wenig Symptome macht. Oder wenn sie Symptome macht, dann wirklich ausheilt von selber wieder. Heißt natürlich im Umkehrschluss: Da dürfte auch eine hohe Dunkelziffer sein, weil etwas, was wenig Symptome macht – gerade wenn man die USA sich anguckt, wo die Leute ja oft keine gute Gesundheitsversorgung haben, wo sie bezahlen müssen, wenn sie zum Arzt gehen. Und wenn dann einer sich ein bisschen schlapp fühlt, ein paar Tage nach der Impfung, das tritt so typischerweise in der ersten Woche auf. Ob der dann zum Arzt geht und dann wieder Geld auf den Tisch legt, wo er eigentlich arbeiten müsste oder in die Schule müsste, das ist so ein bisschen fraglich. Und darum glaube ich, die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Und man sollte wirklich sagen: Okay, wenn du einen RNA-Impfstoff hattest, jüngere Menschen, vor allem. Die sollten ein bisschen darauf achten, ob in der nächsten Woche da irgendwie so ein Leistungsknick kommt oder vielleicht sogar Schmerzen oder Ähnliches. Und sich jedenfalls nicht überanstrengen, danach nicht gleich eine Bergbesteigung planen. Was ganz interessant ist, wie die in den USA diese Nebenwirkungen erfassen, die haben quasi 2 Parallelmethoden. Das eine ist: Es gibt so eine App quasi auf dem Handy, die heißt WeSafe. Das heißt dann After Vaccination Health Checker. Das ist quasi so ein Ding, da kann man nach der Impfung dann eingeben, wie es einem geht. Finde ich eigentlich ganz gut. Das motiviert ja da auch mitzumachen, vielleicht auch gerade die jungen Leute. Also das wurde da ausgewertet, was die selber angeben. Und natürlich dann das übliche Verfahren, was auch in Deutschland Gang und Gebe es, dass Ärzte natürlich ein Meldesystem haben für unerwünschte Nebenwirkungen. Aber das mit den Ärzten hat eben den Nachteil: Da muss der Patient erstmal zum Arzt gehen und

sagen: Ich hab da was. Und dieses mit der mobilen App, das hat eben den Vorteil, dass es vom Patienten direkt geht. Und die haben diese beiden Quellen hier ausgewertet

51:00


Camillo Schumann


So. Und wir müssen zum Ende der Sendung noch über Fußball sprechen. Sie sind ja jetzt nicht so der große Fußballfan. Oder?


Alexander Kekulé

Doch, ich bin immer dann der Fußballfan, wenn meine Mannschaft gewinnt. Das ist doch ganz klar


Camillo Schumann


Ihre Mannschaft?


Alexander Kekulé

Nein, ich bin schon Fußballfan. Also ich finde es sehr schön, weil Fußball hat irgendwie so was. Das ist so ein Ereignis. Ja, wir haben inzwischen so wenige gesellschaftliche Ereignisse, die wirklich viele oder alle betreffen. Jeder hört ja seinen eigenen Podcast und seinen eigenen Radiosender. Und man guckt da – früher hat man immer am Samstagabend irgendwie eine große Show im Fernsehen angeguckt. Da lachen die Leute heute darüber, dass man das früher gemacht hat, weil man alles, was quasi so getaktet ist von außen, nicht mitmacht. Fußball hat irgendwie noch so was eventartig Verbindendes, wo dann die ganze Republik und sogar jeder Taxifahrer drüber redet. Darum finde ich das eigentlich was ganz Tolles.


Camillo Schumann


Fakt ist: Wenn der Podcast online geht, dann ist Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft gegen England schon eine Runde weiter? Oder ausgeschieden?


Alexander Kekulé

Nein, auf jeden Fall eine Runde weiter. [Deutschland ist im Viertelfinale ausgeschieden. Anm.d.Red.]


Camillo Schumann


Wir wissen aber, dass im Wembley-Stadion trotz Corona 45.000 Fans bei diesem Spiel

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heute dabei waren. Zu den Halbfinals und dem Endspiel sollen sogar 60.000 Zuschauer in das Wembley-Stadion dürfen. Die Politik kritisiert die UEFA dafür sehr scharf. Innenminister Seehofer sagte mit Blick auf die Delta-Variante, vor allem in Großbritannien seien 10.000 Zuschauer im Stadion unverantwortlich. Wie bewerten Sie das? Könnten Zehntausende Fans im Wembley-Stadion die Pandemie dort noch mehr befeuern?


Alexander Kekulé

Ja, also je mehr, desto schlechter. Ich habe die Bilder gesehen. Ich glaube, zuletzt waren 40.000 oder 45.000 Fans dort. Das ist schon ziemlich voll. Man muss halt immer 2 Situationen vor Augen haben. Die eine ist: Nehmen wir mal an, es ist windstill, und man ist sehr nah zusammen. Dann kann man sich natürlich auch im Freien anstecken, vor allem, wenn man schreit. Und da habe ich gehört, das soll in England beim Fußball gelegentlich vorkommen. Und natürlich dann immer die Situation in den Nebenräumen. Die müssen ja auch mal auf die Toilette zwischendurch und das ganze Bier wieder loswerden. Und deshalb ist einfach bei so einem Fußballspiel ein Risiko vorhanden. Jetzt ist die Frage, wie das abgefedert wird. Wenn man nur Geimpfte ins Stadion lassen würde, könnte man natürlich sagen: Das ist dann mit dem vorhin Gesagten eigentlich eine ausreichend sichere Situation. Aber meines Wissens gibt es da Schnelltests. Es gibt sogar für einige ausländische Delegierte dann komplette Ausnahmen. Und deshalb glaube ich, das ist ein Risiko. Einerseits ein Risiko, wo ich sage: Warum muss man das eingehen? Das Geld wird ja eingespielt heutzutage durch die Rechte fürs Fernsehen, die paar Leute im Stadion mehr oder weniger – brauche ich die denn unbedingt, wenn dadurch die Sicherheit beeinträchtigt ist? Und das Andere ist natürlich auch das Signal. Jetzt haben Sie so ein Land, wo – Delta hin oder her, ob das jetzt am Delta liegt oder nicht – sind sie einfach in der Situation, dass die steigende Fallzahlen haben. Dass die darüber diskutieren, dass jetzt die Schüler geschützt werden sollen, insofern sie eben

nicht in jeder Situation wieder nach Hause sollen. Der Unterricht soll gewährleistet werden. Und ich verstehe dann ganz ehrlich gesagt – das hat aber nichts mit Fußballfan zu tun – Die Güteabwägung nicht. Für die 2 0.000 Leute, die da reinkommen, jetzt extra, ins Stadion, ist dann sozusagen unter Umständen der Preis, den man zahlt, dass dann die Welle wieder hochgeht. Und wenn die Welle wieder hochgeht, dann hat man wieder die Situation, dass man bei den Schulen rigider agieren muss. Und da finde ich: Jetzt sollte man schon Prioritäten setzen. Und wenn man Risiken eingeht, dann zum Beispiel für die Schüler und nicht dafür, dass dann ein paar Leute mehr im Stadion sitzen können.

Wir haben, muss ich vielleicht an der Stelle noch einmal sagen: Es gibt jetzt ganz, ganz interessante Daten aus Australien gerade. Das ist ja so ein Musterland fast wie Neuseeland gewesen. Oder ist es auch noch. Wo eigentlich durch konventionelle Maßnahmen sehr, sehr erfolgreich die Virusverbreitung eingedämmt wurde, also letztlich durch Lockdowns aller Art und natürlich Einreisekontrollen. Und dort ist es jetzt aber so, dass man einzelne Ausbrüche hat, natürlich Delta-Ausbrüche. (Meines Erachtens liegt es nicht unbedingt am Delta, dass es dort Ausbrüche gibt. Aber es gab halt Einschleppungen.) Und weil die so wenig Fälle haben, kann man dort etwas machen, was man sonst fast nirgendwo auf der Welt machen kann. Und zwar diese einzelnen Infektionsketten jetzt sehr gut nachvollziehen. Und die hatten da so Ausbrüche. Ich glaube, ein Taxifahrer hat gerade einen Ausbruch mit über 100 Leuten verursacht, wo sie Videokameras in Shoppingmalls hatten und gezeigt haben, dass 2 Leute relativ kurz in einer relativ großen Shoppingmall face-to-face waren. Aber es war ein kurzer Kontakt, also unter 5 Minuten auf jeden Fall. Und dabei ist es ganz offensichtlich zur Ansteckung gekommen. Und diese Analysen – Einige sagen das liegt daran, dass Delta ansteckender ist. Aber da kann ich nur erinnern: Die aktuellen Zahlen sagen 35 % ansteckender. Also die Ansteckungsquote ist 35 % mehr. Das macht jetzt wirklich nicht den Grund dafür aus.

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Aber was man eben daran sieht, ist, dass es eben doch so eine Situation gibt. Face-to-face, da genügt weniger als 5 Minuten. Übrigens ganz wichtig für die Corona-Warn-App, die, glaube ich, im Moment auf 10 Minuten eingestellt ist. Und daher wissen wir, dass solche Kontakte, wie sie zum Beispiel im Stadion sind, durchaus auch gefährlich sein könnten. Das haben wir jetzt gerade eben sozusagen in Australien live und in Farbe gesehen auf diesen Überwachungskameras. Und deshalb finde ich, sollte man da eher vorsichtig sein zum jetzigen Zeitpunkt.


Camillo Schumann


Nochmal nachgefragt, weil ja die EM-Spiele in unterschiedlichen europäischen Städten stattfinden. In Sankt Petersburg wurden zum Beispiel ja dann auch die Menschen positiv auf Corona getestet, nachdem dort das Spiel stattfand. Sollte die UEFA umdenken und die Zuschauer aus den Stadien verbannen? Oder maximal 5.000? Oder was würden Sie da sagen?


Alexander Kekulé

Ich kann da keine absolute Zahl sagen. Aber die UEFA sollte auf jeden Fall insofern umdenken, dass die Infektionssicherheit absoluten Vorrang haben muss. Und dass man Konzepte braucht, die wirklich sicherstellen, dass der übliche Abstand zwischen den Menschen, zumindest wenn es gerade windstill ist oder sie in geschlossenen Räumen sind, auf jeden Fall unter diesen 2 Metern ist. Six Feet heißt es ja bei denen und das sollte man absolut gewährleisten. Und ich bin sicher, wenn man das quasi obendrüber schreibt, dann kommt man nicht mehr auf 45.000 Leute im Wembley-Stadion oder sogar 65.000. Das ist meines Erachtens nicht möglich, so viele Leute in so einem Stadion zu bringen, ohne diese Sicherheitsabstände zu unterschreiten.

57:00


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau R. hat gemailt. Sie schreibt:

Meine Tochter ist 38, hat sich am 2 5.06. mit BioNTech Pfizer impfen lassen. Als zweiter Impftermin wurde für sie der 2 9. Juli vorgesehen. Das sind fünf Wochen. Derzeit werden auch kürzere Impfabstände diskutiert vor dem Hintergrund, dass nur mit einer zweiten Impfung der größtmögliche Schutz vor der sich ausbreitenden Delta-Variante erreicht werden kann. Oder ist es egal, ob meine Tochter nach drei, fünf oder sieben Wochen zum zweiten Mal geimpft wird? Wie schätzen Sie das ein?

Viele Grüße


Alexander Kekulé

Ja, da laufen 2 Daten gegeneinander. Das eine ist: Je später man die zweite Impfung hat, desto besser wirkt die Boosterung. Das ist schon lange bekannt. Und man hat diese 3-6 Wochen, die die Hersteller ursprünglich mal gemacht haben, ja nur deshalb genommen, weil man eben gesagt hat: Wir sind in einer Pandemie-Situation, und wir wollen möglichst schnell möglichst große Teile der Bevölkerung halbwegs immun kriegen. Aber für die individuelle Wirkung wäre es eigentlich, rein theoretisch zumindest mal, besser, länger zu warten. Jetzt ist es natürlich so, dass wir bei der DeltaVariante wiederum wissen: Wenn man nur eine einmalige Impfung hat, dann ist die bei den RNA-Impfstoffen ungefähr 10 %, 10-15 % schlechter. Das heißt also, die Schutzwirkung ist schlechter. Was heißt das? Ich habe dann natürlich ein Risikofenster zwischen der ersten und zweiten Impfung, wo ich mich anstecken könnte. Meines Erachtens ist es hauptsächlich relevant aus epidemiologischer Sicht. Also wenn ich die Gesamtbevölkerung angucke, muss man das gegeneinander abwägen. Individuell wird man ja nach der ersten Impfung sowieso kein bewusstes Risiko eingehen. Ich glaube, so dumm ist keiner, dass er sagt: Einmal reicht, jetzt haue ich auf die Kacke, sozusagen. Und deshalb würde ich sagen: Lieber die Zeit abwarten und zwischen den 2 Impfungen sich einfach vernünftig verhalten.

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Camillo Schumann


Und Sie würden sich dann, wenn ich es jetzt so rausgehört habe, dann für den größeren Impfabstand aussprechen.


Alexander Kekulé

Natürlich. Entschuldigung, falls ich das ungenau gesagt habe. Der größere Impfabstand ist individuell besser. Und falls es doch zu einer Infektion kommen sollte nach der ersten Impfung, dann ist es so, dass die ja fast nie tödlich verlaufen. Also selbst das wäre eine extreme Ausnahme. Und man muss sagen: Ja, das wird ja in der Presse auch diskutiert. Da werden ein bisschen Daten durcheinandergeworfen. Es gibt Leute, die fordern, den Impfabstand zu verkürzen. Das beruht aber auf Daten, wo man die AstraZenecaund die BioNTech-Impfwirkung zusammengeworfen hat. Also da hat man die RNA-Impfstoffe und die Vektor-Impfstoffe quasi gemeinsam betrachtet. Das ist eine englische Studie. Und hat festgestellt: Wenn man die gemeinsam – also insgesamt, egal welche erste Impfung das ist – ich meine, wir haben das im ersten Podcast mal besprochen. Egal, welche erste Impfung das ist, wenn man sich das anschaut, dann ist die Impfwirkung insgesamt nur noch so bei 50-60 %. Die Schutzwirkung nach der ersten Impfung. Und daraus hat man geschlossen: Auweia, wenn es nur noch 50-60 % sind nach der ersten Impfung, dann brauchen wir ganz schnell die zweite Impfung in Bezug auf die Delta-Variante. Aber wenn man das dann auseinanderdröselt, stellt man fest, dass dieser relativ schlechte Wert eben dadurch zustande kam, dass die in England sehr viel mit AstraZeneca am Anfang gemacht haben. Und wenn man jetzt nur die RNA-Impfstoffe ansieht, dann ist die, wie gesagt, die erste Impfung gar nicht so schlecht. Da geht es um 10-15 % runter von der Schutzwirkung bei Delta im Vergleich zu den vorherigen Alpha. Und das ist meines Erachtens noch vertretbar. Es ist nicht so, dass man deswegen jetzt epidemiologisch unbedingt die zweite Impfung vorziehen müsste. Klar, fragen Sie mich nochmal, wenn ich weiß, dass die Regale voll sind und wir die zweite Impfung haben. Aber im Moment ist es ja so: Jede Impfung, die wir als

Zweitimpfung vergeben, ist einer weniger, der erstgeimpft ist. Und deshalb sage ich: Im Moment ist dieser Punkt noch nicht erreicht, wo wir sagen müssen: Wir schwenken jetzt um auf Zweitimpfungen. Sondern im Moment muss die Priorität noch haben, möglichst viele Menschen mindestens einmal geimpft zu haben.


Camillo Schumann


Gut, damit sind wir am Ende von Ausgabe 2 01. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann. Bis Donnerstag.


Camillo Schumann


Sie wollen auch etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Kostenlos geht das unter

0800 32 2  00

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de. In der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. An dieser Stelle möchte ich Ihnen einen spannenden Film ans Herz legen. Bleibt alles anders? Mit Corona in die Zukunft thematisiert unser Leben, wie es nach Corona aussehen wird. Es kommen auch Menschen zu Wort, deren Leben durch Corona massiv beeinflusst wurde, im Positiven wie im Negativen. Und der Film versucht eben den Blick nach vorn. Bleibt alles anders? Mit Corona in die Zukunft am 30. Juni um 2 0:15 Uhr im MDR Fernsehen und natürlich schon jetzt in der ARDMediathek.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 2 6. Juni 2 02 1 #2 00: Hörerfragen Spezial


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Covid-Impfstoffe und Stillen: Was die Daten sagen Covid vaccines and breastfeeding: what the data say (nature.com)

Dienstag, 15. Juni 2 02 1

Wenn das Virus auch das Gehirn angreift, sollten aus diesem Grund vielleicht Kinder geimpft werden?

Dann: Operation und Impfung oder Tätowierung und Impfung an einem Tag. Kann man das machen?

Dann: Schützt der Einmal-Impfstoff von Johnson&Johnson gut gegen Virusvarianten?

Impfempfehlung für Kinder ab zwölf Jahre mit Vorerkrankungen. Wie sieht es aber mit jüngeren Kindern mit Vorerkrankungen aus? Sollten die auch geimpft werden?

Wenn Kunden und Personal geimpft sind, kann dann auf Maske verzichtet werden?


Camillo Schumann


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Prof. 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Und das ist nicht irgendeine Ausgabe, das ist die mittlerweile 2 00. Ausgabe von Kekulés Corona-Kompass. Wer hätte gedacht am 16.,

März, als wir gestartet sind, dass wir im Sommer 2 02 1 noch immer über Corona sprechen und sprechen müssen, oder?


Alexander Kekulé

Ja, das hätte ich tatsächlich auch nicht gedacht. Also, als die Pandemie losgegangen ist, kann ich ja verraten, habe ich mit meiner Frau zusammen aus Spaß mir den alten Film Outbreak nochmal angeschaut, und da habe ich noch gewitzelt, das müssen wir uns jetzt mal anschauen, als Einstimmung auf das, was vor uns liegt. Das war ganz am Anfang. Ich glaube, im Februar. Und ... die Filme haben ja den Vorteil, dass sie nach 90 Minuten zu Ende sind. Und hier diese Pandemie, das ist schon etwas, was man nie am Anfang geahnt hätte. Dass das so ein schwieriges Stück weltweit dann wird.


Camillo Schumann


Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an alle Hörerinnen und Hörern dieses Podcast. Viele sind ja auch von Anfang an mit dabei. Und manchmal sorgen ja bestimmte Themen, die wir besprechen, für eine enorme Resonanz. So auch geschehen nach Ausgabe 198. In dieser Ausgabe wurde ein Preprint aus England besprochen, von der Universität Oxford, wonach Covid-19 bei einigen Patienten Veränderungen im Gehirn verursacht hatte. Dazu haben uns wirklich viele Mails und Anrufe erreicht. Die wichtigsten Fragen dazu wollen wir nun ausführlich beantworten.

Herr A. z.B. hat gemailt. Er schreibt.

Die Studie zeigt ja wohl, dass es auch bei infizierten Menschen mit schwachem Verlauf zu Gehirnveränderungen kommen kann. Nun seine Frage:

Wie sieht es dann bei infizierten aber symptomfreien Kindern aus? Viele Grüße


Alexander Kekulé

Ja. Dazu kamen ja viele Fragen, was mit den Kindern ist. Also, man muss dazu sagen, diese Studie, die ist ja, hatte ich, glaube ich, versucht zu erklären... Das ist ja eine Alzheimer-Studie letztlich gewesen. Oder Alzheimerund Demenz-Studie. Da hatte man ja extra Aufnahmen gemacht im Zusammenhang mit dieser

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Demenzforschung von Menschen, die so im Alter von um die 60 waren, weil man sehen wollte, welche Faktoren könnten dazu beitragen, dass sich die Demenz entwickelt oder auch der Alzheimer, weil das ist ja eine große Frage, was da überhaupt dahintersteht. Und in dieser Altersgruppe gibt es eben bestimmte Auslöser oder bestimmte Frühzeichen, von denen man weiß, dass die im Zusammenhang mit der späteren Alzheimer-Entwicklung stehen. Und deshalb gab es überhaupt diese Studie. Die grundsätzliche Frage, ob jetzt Ereignisse in der Kindheit überhaupt eine Auswirkung haben, ob man dann, wenn man alt ist, irgendwann Altersdemenz kriegt oder Demenz bekommt, das ist völlig offen. Also, das wäre jetzt extrem spekulativ. Wir können ja ein bisschen über die Faktoren nachher vielleicht noch mal sprechen, die man so bei der Demenz im Auge hat. Das ist ja eine Krankheit, die noch häufiger ist als Covid. Aber es ist so, dass man wirklich sagen muss, die Faktoren, die eine Rolle spielen, die werden alle erst so im Alter von ungefähr also frühestens 50 angesetzt. Also, wie gesagt, die Studie, die hatte so ein mittleres Alter der Teilnehmer von etwa 60 Jahren. Und deshalb wäre das schon mal eine ganz steile These zu sagen, da sind Kindheitsereignisse – jetzt abgesehen von genetischen Faktoren, die werden natürlich diskutiert – da sind Kindheitsereignisse, die irgendwie eine Rolle spielen, ob man dann 60, 70 Jahre später mal dement wird.

04:16


Camillo Schumann


Das war die Antwort auf die Frage von Herrn A. Eine weiterführende Frage hat diese Hörerin, die auch die Ausgabe 198 gehört hat und folgende Schlussfolgerung gezogen hat.

Wenn das Virus, habe ich mir gedacht, neurotrop ist, müsste man dann nicht gerade die Kinder impfen, die ja ihre Gedächtnisleistungen noch länger brauchen, und wo es ja besonders schlimm wäre, wenn Demenzerkrankungen wirklich auftauchen würden? Ja, genau, das ist meine Frage.


Camillo Schumann


So nach dem Motto sicher ist sicher?


Alexander Kekulé

Ja, das geht ja in die gleiche Richtung. Die Frage ist grundsätzlich: Kann ein Ereignis in der Kindheit ... egal, was das ist ... Ich sage mal, das Kind fällt auf den Kopf und hat eine Gehirnerschütterung. Das Kind hat eine Blinddarmentzündung, die operiert werden muss. Das Kind zahnt. Das soll ja mal vorkommen, dass die ersten Zähne ausfallen. Und in all diesen Situationen kommt es zu immunologischem Stress. Bei der Gehirnerschütterung sogar zur mechanischen Stress noch zusätzlich. Und diese Demenzforschung, das ist natürlich ein super interessantes Gebiet. Kann man auch noch, sage ich mal, Nobelpreise gewinnen. Also abgesehen von der Infektiologie, die natürlich das interessanteste Gebiet von allen ist mit Abstand, kommt dann als Nächstes die Neurologie. In meinem Weltbild zumindest. Und da ist das Thema Alzheimer immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Aber vielleicht kann ich an der Stelle – gibt ja auch ältere Hörer, die sich da Gedanken machen – kann ich an der Stelle vielleicht mal sagen, was man beim Alzheimer so denkt? Also grundsätzlich ist es so: Das ist, glaube ich, bekannt. Es gibt dieses komische Amyloid, also so eine Ablagerung im Gehirn, wo keiner genau weiß, wie die entsteht, die aber beim Alzheimer vorhanden ist. Und dieses Amyloid, und noch ein anderes Protein, was man im Hirn findet bei Alzheimer-Patienten, das heißt Tau-Protein (wie der griechische Buchstabe Tau). Und das beides – so ist die Haupthypothese, es gibt auch noch ganz viele exotische – entsteht durch irgendwelche Entzündungsreaktionen. Und deshalb ist es tatsächlich so – das hat auch diese britische Studie, über die wir letztes Mal gesprochen haben, eigentlich im Fokus gehabt – dass so Ereignisse, die irgendwie das Immunsystem anstacheln – Das können große Operationen sein, das können Unfälle sein u.Ä. – dass die irgendwie diese Entwicklung zum Alzheimer beschleunigen. So ein Klassiker ist z.B., das nennt man postoperative kognitive Dysfunktion, wieder so ein super Mediziner Ausdruck, damit es

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keiner versteht. Also nach der Operation ist es so, dass viele ältere Leute irgendwie ziemlich lange verwirrt sind. Also die haben ganz kleine operative Eingriffe gehabt und brauchen Wochen und manchmal Monate, um wieder so richtig auf den Damm zu kommen. Und bei manchen ist es dann auch so, dass dann die Angehörigen sagen, wenn die dann später Alzheimer o.Ä. entwickelt haben oder Demenz, dass die dann sagen: Ja damals, seit dieser Operation, hat er oder sie sich nie so richtig erholt. Und dieses Phänomen sieht man relativ oft. Und die Idee ist eben auch: Bei einer Operation werden eben solche Entzündungsmoleküle, Mediatoren, in großer Menge freigesetzt, dass das irgendwie eine schon bestehende Veränderung im Gehirn quasi beschleunigen kann. Übrigens Faktoren, die übers Leben auch eine Rolle spielen, beim Alzheimer, sind z.B. für die, die da noch keine überzeugenden Argumente dagegen gefunden haben: massiver Cannabis-Konsum. Also, wer zu viel Haschisch raucht, hat echt eine große Chance auf Altersdemenz. Schlimmer als Alkohol noch. Aber auch psychische Erkrankungen, Schizophrenie, ADHS gehen in diese Richtung. Aber es gibt auch Leute, die gezeigt haben, dass im Alter dann eine chronische Zahnfleischentzündung oder sogar Veränderungen der Darmflora eine Rolle spielen können. Übrigens auch Stress und Kummer, also Depression, depressive Erkrankungen. So. Jetzt haben wir eine Riesenliste. Und all das führt bei denen, die sozusagen sowieso schon auf der Kippe sind, aber dann eben 50 plus, oder eher 60 plus, führt es zu einer Beschleunigung dieses Vorgangs, den man nicht genau versteht. Es gibt keine Zeichen bisher, und zwar auch nicht bei den sportlichsten Alzheimer-Forschern, das irgendwie Ereignisse in der Kindheit – also, die mal als Kind vom Fahrrad gefallen o.ä. – dann kausal irgendetwas beschleunigen würden bei dieser Altersdemenz. Und deshalb würde ich sagen: Nein, es gibt keine Indikationen ein Kind aus diesem Grund jetzt zu impfen.

08:48


Camillo Schumann


Und sozusagen abschließend noch einmal gesagt: Weil es gibt sicherlich viele Mütter und Väter, Eltern, die sich jetzt auch Gedanken machen bezüglich der Infektionen und mögliche Auswirkungen auf das Gehirn: Ist es denn komplett ausgeschlossen, das Covid-19 Kindergehirne angreift?


Alexander Kekulé

Nein, ausgeschlossen ist es natürlich nicht. Aber da muss man vielleicht Folgendes sagen: Also es gibt ja bei ganz vielen Virusinfektionen, übrigens auch bei bakteriellen Infektionen, aber typischerweise bei Virusinfektionen, da gibt's das, was wir dann eine Begleit-Enzephalitis nennen, also entzündliche Erscheinungen im Gehirn. In Enzephalon ist ja das Gehirn. Entzündliche Erscheinungen im Gehirn, die jetzt entweder damit zu tun haben, dass ein paar Viren es doch geschafft haben, über die sogenannte Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn zu kommen. Ohne dass jetzt da alles kaputtgemacht wird. Aber das Immunsystem arbeitet eben dort, und dadurch kommt es zu Entzündungsreaktionen. Oder ganz indirekt, ohne dass das Virus überhaupt das schafft, da reinzukommen ins Zentralnervensystem, kann es auch sein, dass quasi so eine immunologische Begleitreaktion eben für den Neurologen dann Symptome macht, die so aussehen wie eine Hirnentzündung. Das sehen wir... Im Grunde genommen, hat das auch damit zu tun, wenn man jetzt eine schwere Grippe hat, dann ist man ja auch so richtig Matsch im Kopf. Ja, da kann man sie nicht konzentrieren. Da ist man die ganze Zeit müde. Das sind Symptome, die haben auch damit zu tun, dass eben das Gehirn belastet ist, obwohl ja eine schwere Grippe natürlich eher eine Lungenerkrankung ist. Und deshalb wissen wir: Das machen Infekte manchmal und ja, das machen sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit natürlich auch bei Kindern. Aber je jünger das Zentralnervensystem ist, desto erholungsfähiger ist es, desto regenerationsfähig ist es. Und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt da solche Ereignisse, die natürlich mal auch vielleicht dazu geführt

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haben, dass es eine Begleitreaktion, also eine kleine Entzündungen im Gehirn gab, dass die dann im Alter schwere Ausfallerscheinungen machen. Das ist nicht wahrscheinlich. Und wir haben ja es nach wie vor nicht mit einem ... Also das kann sein, dass das Virus auch neurotrop ist. Also diese Geruchsstörungen gehen in diese Richtung und die Befunde, die wir letztes Mal vorgestellt haben. Aber zunächst mal sind die Haupterscheinungen natürlich ganz woanders.


Camillo Schumann


Okay, das ist jetzt aber ... Dieses Preprint ist jetzt kein Grund, auch nach dem Sommer jetzt alle Kinder flächendeckend zu impfen in weiser Voraussicht, dass ihnen dann hoffentlich im Alter jetzt nicht die Demenzerkrankung droht?


Alexander Kekulé

So kann man das zusammenfassen. Das wäre viel zu weit gespannt. Also, ich will jetzt nicht ausschließen, dass in 30 Jahren, wenn ich dann selber schön dement bin und mich nicht mehr darüber ärgern kann, sich dann doch herausstellt, dass Infektionen in der Kindheit irgendwie statistisch an der zweiten Stelle hinterm Komma da einen Einfluss haben. Aber dann würde das mit Sicherheit nicht nur für Covid gelten. Und dann würden ganz andere Bücher aufgemacht werden. Wie oft ist das Kind geschlagen worden? Hat es eine depressive oder eine fröhliche Kindheit gehabt? Hat es ADHS, also dieses Aufmerksamkeitsdefizitund Hyperaktivitätssyndrom, gehabt und so was? Das sind ja so Sachen, die heutzutage oft diagnostiziert werden. Fragezeichen, ob die Diagnose jetzt immer therapiebedürftig ist. Und es ist so, dass all diese Dinge, die wir in unserem Leben ansammeln, die wirken sich natürlich darauf aus, wie fit man dann im Alter ist. Und andere Faktoren, um die nochmal rauszukramen, sind natürlich viel wichtiger. Wie viel Sport habe ich gemacht? Wie übergewichtig bin ich? Wie ist überhaupt mein Metabolismus? Wie resilient bin ich jetzt als Persönlichkeit gegenüber Stress-Ereignissen und all diese Dinge. Ich bin ziemlich überzeugt, dass die viel, viel wichtiger

sind. Und erst, wenn man diese Dinge der offensichtlichen Alterungsbeförderungsfaktoren quasi alle abgehakt hat, dann kann man sich um die Frage kümmern: Und wie ist es jetzt mit Virusinfektionen in der Kindheit? Aber das wäre aus meiner Sicht so eine Optimierung, die erst ganz, ganz hinten kommt.

12 :55


Camillo Schumann


Soviel also als Reaktion auf Ausgabe 198. Und wer sich diese Studie, das Preprint zu den Hirnveränderungen nach einer Covid-19-Erkrankung im Original mal anschauen möchte: Wir haben diese Studie – wie auch alle anderen, die wir hier in den Sendungen besprechen – für sie verlinkt in der Schrift-Version dieses Podcasts. Und die finden Sie unter jeder Ausgabe auf mdr.de und dort einfach Audio und Radio anklicken.

Herr Kekulé, bleiben wir bei den Kindern. C. hat uns gemailt mit folgender Frage:

Es gibt jetzt eine Empfehlung, Kinder ab zwölf Jahren mit Vorerkrankungen gegen Corona impfen zu lassen. Aber was ist eigentlich mit Kindern unter zwölf mit Vorerkrankung? [...] Mein Sohn ist vier. Er hatte, seit er klein ist Bronchitis, nun innerhalb von wenigen Wochen zweimal schwere Bronchitis mit langem Krankenhausaufenthalt und Sauerstoffgabe. Auslöser jedes Mal ein einfaches Schnupfenvirus. Die Sorgen und Ängste sind nun was passiert, wenn er Corona bekommt? Im Kindergarten ist kein Kind geimpft, der Bruder geht in die Grundschule. Dort ist auch kein Kind geimpft. Was sagen denn Studien zu den Verläufen bei einer Corona-Erkrankung bei kleinen Kindern mit chronischen Lungenerkrankungen wie Bronchitis? Mein Sohn ist ja sicher kein Einzelfall. Es gibt bestimmt genügend Eltern mit ähnlichen Sorgen. Wie sollen sich Eltern mit chronisch kranken Kindern verhalten und sind die Sorgen berechtigt? Liebe Grüße.


Alexander Kekulé

Ui, das ist ja ein ganzes Feuerwerk von Fragen. Also mal grundsätzlich ist es so: Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die bei Kindern ein-

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fach beobachtet haben, wie schwer Covid verläuft. Und da bleibt es bei der grundsätzlichen Einschätzung: Bei Kindern verläuft es nicht schwerer als andere Atemwegsinfektionen auch. Häufig sogar asymptomatisch, das ist auch klar. Aber wenn es symptomatisch ist, dann ist es im Grunde genommen eine Erkältungskrankheit von vielen. Das ist schon mal das Wichtigste. Also dieser typische Unterschied, dass dieses eine Coronavirus Sars-CoV2 , unser Pandemie-Virus, dass das jetzt besondere Erkrankungen macht, um die man sich überhaupt kümmern muss, das ist bei Erwachsenen und älteren Menschen oder auch Älteren mit schweren Vorerkrankungen. Wenn wir nur Kinder hätten, dann würden wir das gar nicht bemerken, dass dieses Covid unterwegs ist. Dann würden wir sagen, naja, es war eine Saison mit vielen Atemwegsinfektionen und komischerweise nicht besonders viel Grippe dabei wie sonst. Aber dann ist die Frage, was ist mit Bronchitis im Kindesalter? Also erstens: Es gibt keine chronische Bronchitis in dem Sinne bei Kindern. Also, das ist eine akute Bronchitis, die immer mal wiederkommt. Also eine Veranlagung oder eine Prädisposition, wie wir sagen. Eine Schwäche quasi bezüglich solchen Atemwegsinfektionen. Die verlaufen bei manchen Kindern dann schwerer als bei anderen. Manche haben es auch einfach häufiger als andere. Das kann viele Gründe haben. Aber sozusagen die chronische Bronchitis, wie man das bei Erwachsenen und v.a. älteren Menschen hat oder chronischen Rauchern oder sowas, das gibt es also im Kindesalter in dem Sinne nicht. Das sind dann einzelne Ereignisse. Und dann muss man eben schauen, warum hat ein Kind immer wieder eine Bronchitis? Natürlich gibt es Umweltfaktoren. Ja, wenn das jetzt ein Flüchtlingskind ist, was unter ganz üblen Bedingungen irgendwie übers Mittelmeer geschippert ist, und so, das ist natürlich klar, dass die äußere Belastungen haben. Aber typischerweise sind die 2 Dinge, auf die man da gucken muss: Das eine: Ob es eine Schwäche in der Immunabwehr gibt? Sehr, sehr selten, aber kommt manchmal vor. Das wird normalerweise beim Kinderarzt dann irgendwann mal

untersucht, wenn er den Verdacht hat, dass ein Kind jetzt sich überdimensional häufig irgendwie alle möglichen Infektionskrankheiten holt. Aber das typische bei der kindlichen Bronchitis – gerade im Alter von vier Jahren – ist das, was die Kinderärzte ein „Hyperreagibles Bronchialsystem“ nennen, wieder so ein super Ausdruck. Also, dass die Bronchien, die Atemwege in der Lunge, die sind einfach besonders empfindlich quasi auf Fremdeinwirkungen, auf Fremdkörper. Quasi so ähnlich wie bei Asthma, aber in einer ganz einfachen Form. Ja, so ist das. Das Kind muss ja erst mal lernen, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Die ganzen Staubpartikel, die da drinnen sind und sonstigen auch natürlich Krankheitserreger sind neu, und da reagieren manche einfach ein paar Jahre lang so, dass sie so eine Art Asthma kriegen. Also die Bronchen ziehen sich dann so zusammen, dass beim Ausatmen die Luft nicht mehr so schnell raus kann. Und das hat dann zur Folge, dass auch die Neigung dann zur Bronchitis höher ist. Ganz wichtig ist mir, immer zu sagen, das ist kein Asthma und es geht normalerweise bis zur Einschulung weg. Weil ich weiß, dass viele Kinder heutzutage auch von besorgten Eltern dann auf Asthma therapiert werden. Das wird meines Erachtens völlig übertrieben. Sondern da muss man sagen: Hyperreagibles Bronchialsystem, fast Normalzustand in einem bestimmten Alter, und führt leider zu häufigen Bronchitiden. Das kann man auch übrigens dann von Fall zu Fall therapieren. Da kann man durchaus Inhalationen machen, bei älteren Kindern dann Sprays nehmen, um so was dann zu besser zu in den Griff zu bekommen. Aber das wissen die Kinderärzte. Wenn jetzt bei so einem Kind, das so eine Voraussetzung hat, das Coronavirus daherkommt, dann ist nach dem, was wir bisher aus den Studien kennen, passiert nichts Anderes, als bei den Kindern, die das Gleiche haben und ein anderes Erkältungsvirus kriegen. Ja, es wird dann schwerer. Ja, die haben dann meistens ebenso diese Atembeschwerden im Sinne, dass hauptsächlich die Ausatmung behindert ist. Manchmal pfeift es dann richtig, und die müssen nach Luft schnaufen. Aber es ist so,

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dass es da keinen Unterschied gibt zwischen dem SARS-CoV-2  und irgendeinem anderen Virus. Im Gegenteil, da gibt es ein paar Klassiker wie dieses Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) bei Kindern. Das macht also zum Teil ganz krasse Symptome in dieser Richtung. Und da ist – zumindest nach dem, was man bisher hört – die Symptomatik sogar schwerer bei solchen Kindern, die ein Hyperreagibles Bronchialsystem haben und dieses Virus kriegen. Deshalb heißt es für mich, den Ball niedrig halten. Ja, das ist es nicht so toll, wenn man jetzt immer nachts raus muss, weil so ein Kind irgendwie aus dem letzten Loch pfeift. Man kann sich dann überlegen, ob man tatsächlich unter Umständen so ein Pulsoximeter sich mal kauft. Das ist so ein kleines Gerät, was man an den Finger klippt, wo man gucken kann, wie viel Sauerstoff noch im Blut ist. Das bewahrt einen vor nächtlichen Aufbrüchen in die Nothilfe des Kinderkrankenhauses, weil, wenn man sieht, das sieht eigentlich noch ganz gut aus, obwohl mein Kind irgendwie über Luftnot klagt, dann sind die Eltern auch beruhigt. Aber die Lage für diese Eltern, die solche Kinder haben, hat sich durch Sars-CoV-2  nicht verändert.

19:40


Camillo Schumann


Ok, und C. ist ja besorgt, und die Frage war ja, nachdem es ja diese Empfehlung für Kinder ab zwölf Jahren mit Vorerkrankung für eine Corona-Impfung gibt, ob jetzt ihr Sohn der vier ist, der jetzt auch, wie sie geschrieben hat, lang im Krankenhaus war, Sauerstoff bekommen hat, mal vorsorglich lieber eine Impfung erhalten sollte?


Alexander Kekulé

Ja, erstens vielen Dank, das war keine Absicht, aber typisch, fast schon politikermäßig, bei der Antwort die Frage komplett aus den Augen verlieren, ist mir gerade passiert. Drum müsste es bei der 2 00. Folge eigentlich „Schumann und Kekulé“-Podcast heißen, weil ohne diese Rückfragen würde ich wahrscheinlich mich öfters mal verlieren. Vielen Dank auch an Sie an der Stelle.

Ja also es ist so, es ist es folgendermaßen: Wir haben die Situation, dass die Zulassung einfach ab zwölf ist. Das ist schon mal das Grundsätzliche. Das heißt also: 2 Stufen sind es ja immer. Erstens, es muss ein Medikament zugelassen sein, dann ist es sozusagen juristisch bei uns nach Arzneimittelgesetz in Deutschland verkehrsfähig. Zweite Stufe ist bei den zugelassenen Medikamenten: Welche Empfehlungen gibt es da? Und da ist ja bekannt, dass die Ständige Impfkommission eine generelle Impfung erst ab 18 jetzt empfiehlt und davor ab zwölf, wo die Zulassung besteht, eben nur mit Vorerkrankungen. Für mich ist so ein Hyperreagible Bronchialsystem keine der Vorerkrankungen, wo man überhaupt eben ... über eine Impfung nachdenken würde. Aber da gibt es natürlich schon die Möglichkeit, dass der Arzt so ein Medikament trotzdem verwendet. Das ist der sogenannte Off-Label Use. Wenn das jemand mal googeln will, also Off-Label, so heißt quasi etwas, was nicht auf dem Etikett steht, sozusagen nicht auf dem Beipackzettel steht. Und jeder Arzt hat ja die Freiheit – das ist, meine ich, sogar grundgesetzlich geschützt in Deutschland – dass er entscheiden kann im Rahmen seiner ärztlichen Therapie, was er einsetzt und was nicht. Der Arzt kann, wenn er will, Ihnen Blutegel aufsetzen, um sie zu therapieren. Auch wenn das vielleicht manche bisschen antiquiert finden. Oder Schröpfköpfe machen. Er kann, wie so ein Heiler in Westafrika, einfach ein paar bengalische Feuer machen, rot und grün, und dann der Meinung sein, dass Sie davon therapiert werden. Also der Arzt darf letztlich machen, was er für richtig hält. Das Arzneimittelgesetz greift da nicht ein, und es ist auch nicht verboten, das zu machen, weil in Deutschland der Grundsatz gilt: Alles, was nicht explizit verboten, ist es erst einmal erlaubt. Natürlich muss der Arzt, insbesondere, wenn dann was schiefgeht, hinterher belegen, dass er irgendwie auf wissenschaftlicher Grundlage gearbeitet hat, was insbesondere bei dem bengalischen Feuer dann irgendwie unter Umständen ein Problem sein könnte. Das heißt also, er kann mit dem Patienten bei dem Impfstoff mit dem Patienten oder in dem

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Fall mit den Eltern sprechen und sagen: Ich bin hier der Meinung, man sollte impfen. Da muss er besonders ausführlich über die Risiken aufklären. Und es gibt dann so eine Art, kann man sagen, juristisch gesehen, so eine Art RisikoGemeinschaft. Also das Risiko wird gemeinsam verantwortet zwischen den Eltern oder dem Patienten und dem Arzt. Und nach ausführlicher Aufklärung, insbesondere auch über das... Da muss dann auch drinnen stehen: Es kann auch Risiken geben, die überhaupt nicht bekannt sind. Weil bei einer nicht zugelassenen Substanz, also für das Alter nicht zugelassenen Substanz, kann es natürlich komplett unbekannte Risiken geben, über die man gar nichts weiß. Wenn die Eltern das alles unterschrieben haben, und der Arzt sagt, ich kann das auch im Notfall bei einer gerichtlichen Nachprüfung dann auch wissenschaftlich begründen, dann kann der off-label natürlich auch ein Kind unter zwölf impfen. Das ist durchaus möglich. Im Einzelfall natürlich eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Übrigens, solche Off-Label-Use wird in der Regel nicht von der Krankenkasse bezahlt. Da müsste im Einzelfall dann wirklich geprüft werden, ob die Erkrankung so schwerwiegend war, so heißt es dann formal, dass es dafür keine anderen Therapiemöglichkeiten gab und diese besondere Off-Label-Therapie begründete Aussicht auf Erfolg hatte. Also das ist extrem selten der Fall, dass ist eher so bei schwersten Krebserkrankungen, wenn man ein neues Medikament aus der Studie nimmt, für das es noch keine Zulassung gibt. Bei einer Impfung würde ich jetzt sagen: In dem Alter ist das nicht der Fall. Aber man weiß natürlich nie am Schluss, wie die Oberverwaltungsgerichte entscheiden. Aber grundsätzlich gesehen mal keine Kassenleistung, elterliche Zustimmung erforderlich, sehr, sehr ausführliche Aufklärung. Dann könnte der Arzt impfen.


Camillo Schumann


Wenn jetzt der Sohn von C. Ihr Sohn wäre, was würden Sie dann machen?


Alexander Kekulé

Ich selber würde das nicht machen. Ich sehe da, gerade weil ich jetzt... Zuletzt habe ich so

ein bisschen die juristische Abwägung ja geschildert, wenn man das vor Augen hat. Sie ahnen das, ich bin natürlich kein Jurist. Aber als Sachverständiger vor Gericht kriegt man das oft mit, worum es da so geht. Also es ist natürlich so bei dieser Abwägung... Wie gesagt, die Bronchitis ist nichts Chronisches. Das Kind hat quasi eine genetische oder Veranlagung im weitesten Sinne für schwere Verläufe bei Atemwegsinfektionen. Da gibt es aber viele andere, die mindestens genauso schlimm sind wie Covidoder Sars-CoV-2 -Infektionen. Und deshalb gibt es keinen Grund, jetzt ausgerechnet gegen Sars-CoV-2  zu impfen vor dem Hintergrund, dass der Impfstoff hier noch nicht zugelassen ist.


Camillo Schumann


Und in paar Monaten wird die Frage möglicherweise dann auch von den Herstellern beantwortet. Aktuell laufen ja auch Studien oder die Studien werden ja auch auf ganz kleine Kinder ausgeweitet. Bei Pfizer z.B. in ein paar Wochen sollen Kinder ab sechs Monate für eine Studie auch dazugeholt werden. Die sollen dann auch nur drei Mikrogramm pro Impfung erhalten.


Alexander Kekulé

Ja, es geht in die Richtung, und ich kann... Meistens sind die USA ja im Guten wie im Schlechten da Vorreiter und in den USA ist ganz stark der Druck und die Diskussion: Wir müssen jetzt die Kinder impfen, und das geht gar nicht, dass unter zwölf noch keine Zulassung ist. Und natürlich guckt man auf Israel. Da hat man jetzt gerade in 2 Städten Ausbrüche, obwohl in den Städten weitgehend geimpft wurde, ausgerechnet in Schulen, weil eben da zum Teil noch nicht geimpft wurde. Und sagt dann: Mensch, jetzt gibt es in Israel aktuell wieder Lockdown-Maßnahmen oder zumindest – sage ich mal – Beschränkungen. Die waren ja komplett gelockert und zur Erinnerung, Israel ist Weltmeister beim Impfen. Und trotzdem ... müssen die jetzt plötzlich wieder Masken tragen. Und da regen sich jetzt alle wahnsinnig auf und sagen: Nur ... weil die Kinder nicht geimpft sind, müssen wir jetzt wieder hier Maskentragen und können nicht mehr

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Party machen. Und wir wollen jetzt Schluss mit Corona, das heißt bei den meistens Schluss mit Lockdown, und deshalb her mit den Kindern, die sollen jetzt geimpft werden. Also so ist, sage ich mal, global die Tendenz. Sie hören aus meinem bisschen zynischen Ton raus, dass ich immer davor warne, das Genervtsein von den Lockdown-Maßnahmen zu vermischen mit den echten Gefahren durch die Krankheit selber. Die Krankheit ist gefährlich, und für bestimmte Personen supergefährlich. Und deshalb müssen wir etwas tun dagegen. Aber wir sollten nicht Kinder impfen, weil wir in Urlaub fahren wollen, weil wir keine Masken tragen wollen, weil wir keinen Bock mehr auf Lockdowns haben.

2 7:03


Camillo Schumann


Bleiben wir beim Thema Kinder. S. aus Regensburg hat uns gemailt. Sie schreibt:

Meine Schwägerin hatte im März 2 02 0 eine Corona-Infektion mit mildem Verlauf. Ihr Antikörpernachweis lag vor kurzem bei circa 50. Jetzt hat sie vor 2 Wochen meine kleine Nichte entbunden und stillt diese auch. Meine Frage wäre jetzt: Wenn die Kleine mit dem Coronavirus in Kontakt kommen würde, wäre sie durch die Antikörper der Mutter über die Muttermilch mit geschützt? Es heißt ja, die gestillten Säuglinge haben die ersten Wochen den sogenannten Nestschutz. Die Frage ist theoretisch, da sich alle Beteiligten selbstverständlich an die Maßnahmen halten und der Vater schon vollständig geimpft ist. Vielen Dank und freundliche Grüße aus Regensburg


Alexander Kekulé

Also nach allem, was wir wissen, ist es so, dass auch bei der Covid-Infektion oder auch bei der Impfung tatsächlich die Antikörper, die also die Mutter hat, durch die Muttermilch übertragen werden auf das Kind. Der Nestschutz hat ja sozusagen 2 Komponenten. Das eine ist, dass das Kind von Geburt an einfach eine gewisse Ausstattung an Antikörpern von der Mutter schon mal dabeihat. Die werden schon vor der Geburt übertragen. Und die halten sich

aber nicht besonders lang. Ich sage jetzt mal so in der Größenordnung sechs Monate. Und dann ist es aber so, dass durch das Stillen von der Mutter weitere Antikörper auch mit der Muttermilch übertragen werden können. Alle Studien, die wir bis jetzt so haben, deuten darauf hin, dass tatsächlich es auch einen Nestschutz gibt bei Kindern. Sodass man hoffen kann, dass ein Kind, was neugeboren ist, eine gewisse Zeit lang vor einer Covid-Infektion jetzt besser geschützt ist als ein Kind, wo die Mutter jetzt gar keinen Kontakt mit dem Erreger oder einem Impfstoff gehabt hat. Ob das jetzt sozusagen ... Wie lange das hält, ob das dazu führt, dass das Kind überhaupt nicht infiziert wird, oder nur asymptomatisch oder leichtsymptomatisch infiziert wird, dafür gibt es noch keine Studien. Also das ist nicht bekannt. Aber im Prinzip gibt es Daten, die schon gezeigt haben, dass die Antikörper auch in der Muttermilch übertragen werden z.B., oder das Neugeborene von Müttern, die Covid hatten, tatsächlich die Antikörper im Blut haben. Also das ist nachgewiesen. Aber wie gut der Schutz ist, das wissen wir nicht.

2 9:46


Camillo Schumann


Diese besorgte Mutter hat angerufen, ihr Sohn ist schon ein bisschen älter.

Mein Sohn, 2 6 Jahre alt, hat sich einen Weisheitszahn rausoperieren lassen und muss sich auch noch einen zweiten Weisheitszahn rausoperieren lassen. Und am selben Tag soll er seine zweite Impfung mit Moderna bekommen. Meine Frage an Sie: Sollte er das an einem Tag machen oder spricht etwas dagegen, eine OP und eine Impfung am selben Tag zu bekommen.

Und weiterführend hat Herr W. – das passt ja auch dazu – gemailt. Und er will wissen:

Mich würde interessieren, ob es in irgendeiner Weise bedenklich wäre, sich am selben Tag kurz hintereinander impfen und tätowieren zu lassen.

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Alexander Kekulé

Ja, das ist die grundsätzliche Frage, die man natürlich stellen muss. Wie ist es mit Operationen? Wir haben bei anderen Impfstoffen so als Faustregel – ich weiß gar nicht, ob das jetzt irgendwo ganz offiziell empfohlen wird, aber die meisten Krankenhäuser machen das so – dass man sagt: Bei einem Totimpfstoff soll man nach der Impfung drei Tage warten bis zur Operation, wenn die Operation natürlich geplant ist. Und bei einem Lebendimpfstoff soll man 2 Wochen warten bis zur Operation und v.a. nach der Impfung. Also, dass man quasi erst operiert und dann impft, das ist weniger kritisch, sofern die Operation natürlich gut verlaufen ist. Aber das Problem ist immer, wenn man zuerst impft. Und deshalb würde ich sagen: Hier in diesem Fall ist es sinnvoll, weil wir ja bei diesen neuen Impfstoffen noch nicht so viele Erfahrung haben, zu sagen:

14 Tage warten nach der Impfung, und dann erst geplante Operationen machen. Warum ist das so? Da gibt es letztlich 2 verschiedene Gründe, die da wichtig sind. Der eine ist: Die Operation aktiviert immer das Immunsystem. Das hatten wir vorhin so ein bisschen auch beim Thema Alzheimer. Es ist so, wenn man die Entzündungsparameter im Blut misst, ja, Laborärzte können sich da anschauen, in welchem Entzündungszustand ein Mensch ist. Die gehen also dramatisch hoch, selbst wenn sie nur eine kleine Blinddarmoperation oder sowas gemacht haben, weil einfach diese Verletzung des Körpers und die damit zusammenhängenden Regenerationsprozesse aus Sicht des Körpers eine ganz starke Entzündungsreaktion erfordern. Wenn man da jetzt sozusagen noch eins draufsetzt oder wenn man das parallel macht zu der Entzündungsreaktion, die durch die Impfung entsteht, dann ist es einfach so, dass man den Körper übermäßig stresst, ohne dass das notwendig ist. Klar, wird es in den meisten Fällen gut gehen. Aber ich würde das tendenziell nicht machen, weil eben unter der Operation dann mit der Narkose, auch den Medikamenten, die man gibt, das sowieso schon eine schwere Belastung ist. Und die dann noch drauf auf die Impfreaktion. Das

würde ich nicht empfehlen. Der andere, ganz praktische Grund ist der, dass die Operateure das nicht wollen. Weil, stellen Sie sich mal vor, Sie haben jemanden operiert und hoffen, dass alles gut gegangen ist. Und am nächsten Tag hat der Schüttelfrost und Fieber und sagt: Ich habe so Kopfschmerzen. Dann sind Sie als Operateur oder auch als Anarch... als Anästhesist, nicht als Anarchist, als Anästhesist sind sie dann sofort alarmiert, ja und denken: Oh, was ist da los? Dann nehmen Sie dem Blut ab. Dann machen Sie alle möglichen Tests, um zu gucken, ob da bei der OP nichts schiefgegangen ist. Und wenn sich dann herausstellt, ach, der ist vorgestern geimpft worden, das ist eine Nebenwirkung, eine Reaktion auf die Impfung, dann ist es schwierig. Ja dann können Sie es auch nicht auseinanderhalten. Dann wissen sie nicht, war es jetzt die Impfung oder war es meine OP? Und weil man eben diese Alarmzeichen des Körpers, also übermäßige Reaktion auf Entzündungen u.Ä., weil man die braucht als Alarmsignale nach der OP, das ist der zweite Grund, dass man diese Überlappung nicht empfiehlt. Das heißt also, nach der Impfung, wenn es irgendwie geht, 2 Wochen warten mit geplanten Operationen.


Camillo Schumann


Dann überlegt man sich wahrscheinlich, ob man sich überhaupt tätowieren lässt, oder vielleicht auch ein anderes Motiv. Unsere Hörerin Frau Müller hat angerufen. Sie hatte ein Aneurysma im Gehirn, sie hat alles gut überstanden. Aber nun hat sie Angst, sich impfen zu lassen und deshalb folgende Frage:

33:2 0

Ich weiß nicht, mit welchem Impfstoff? Mit Biontech? Oder soll ich warten auf dieses neue Novovax? Können Sie vielleicht erklären, wo der Unterschied besteht und ob es bei dem neuen Novovax eventuell weniger Nebenwirkungen sein werden? Und diese Hirnvenenthrombose, die möchte ich halt vermeiden. Ich glaube, das möchte jeder. Ich bin mir sehr unsicher, und ich würde mich sehr freuen, wenn sie meine Frage beantworten würden. Vielen Dank. Tschüss.

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Alexander Kekulé

Ja, also die Empfehlung ganz kurz: Ich würdemich impfen lassen mit BioNTech. AstraZeneca ist in der Tat jetzt in dem Fall vielleicht nicht der zu empfehlende Impfstoff. Aber bei BioNTech gibt es also keine Gründe, die dagegensprechen. Mit dem Novavax ganz kurz: Das ist ein Impfstoff, der ja erst im dritten Quartal, so ist es jetzt vorhergesagt, die Zulassung beantragen will. Wenn die Zulassung dann kommt, dann muss die Produktion hochgefahren werden, und dann muss abgewartet werden, ob das in die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission mit aufgenommen wird. Wahrscheinlich dann ja, und wir wissen aber nicht, wie es dann mit den Nebenwirkungen aussieht. Also das ist zu erwarten. Man kann grundsätzlich sagen, dass bei so einem Impfstoff der auf einem eher klassischen Wirkprinzip beruht – also in dem Fall ist es ein künstlich hergestelltes Protein – dass der jetzt keine völlig exotischen Langzeit-Nebenwirkungen haben wird. Unterschreiben kann es natürlich auch keiner, aber das ist irgendwie plausibel, weil man das Wirkprinzip ja seit Jahrzehnten kennt. Und z.B. bei der Hepatitis-B-Impfung, die so ähnlich funktioniert, da ist es so, die wird ja inzwischen schon bei Kindern empfohlen. Und daher ist es, kann man sagen, da hat man echt einen Erfahrungsschatz. Also für Menschen, die jetzt, sage ich mal, irgendwie Angst haben, was ist in 30 Jahren? Neues Wirkprinzip, muss das denn unbedingt sein? Da gibt es ja inzwischen, habe ich gelernt, sogar Buchautoren, die damit richtig viel Geld verdienen, dass sie solche Ängste schüren. Für solche Menschen ist quasi eine Kompromisslösung aus meiner Sicht, wenn man jetzt sagt: Okay, Ärzten und Technik traue ich mal grundsätzlich nicht, dass man sagt, dann kann man vielleicht sich ja mit so einem konventionelleren Impfstoff wie Novavax dann anfreunden. Wenn er denn kommt. Aber in diesem Fall, jetzt... Aneurysma habe ich verstanden, das ist also eine Ausbeulung eines Blutgefäßes, meistens einer Arterie, wo quasi eine Blutungsgefahr vorhanden ist. Je nachdem, wo das Aneurysma ist – wenn es im Ge-

hirn ist, kann ich mir vorstellen, dass das operiert wurde. Ich habe das jetzt nicht ganz verstanden, ob die Hörerin jetzt operiert wurde oder nicht, aber falls sie operiert wurde, ist es natürlich so: Solche Menschen haben danach auch ein erhöhtes Risiko für Thrombosen an genau der gleichen Stelle auch wieder, falls sie Corona bekommen. Also falls sie eine SarsCoV-2 -Infektion bekommen, das ist ja klar, dass die Corona-Infektion ein besonders hohes Risiko für Menschen mit Gefäßerkrankungen auch macht, weil es auch da ja viel massiver als nach der Astrazeneca-Impfung zu solchen Thrombosen kommt, zu solchen Mikrothrombosen, die sind ja quasi Standard bei SARSCoV-2 -Infektionen. Und wenn man dann so eine Stelle hat, die mal operiert wurde oder so ein Aneurysma, was quasi so eine Ausbeulung eines Gefäßes ist, wo das Blut nicht richtig durchfließt, sondern eher mal stockt. Und dann ist man besonders gefährdet. Wir wissen, dass auch Menschen, die operiert wurden, an Blutgefäßen nicht nur im Gehirn, dass die danach ein deutlich erhöhtes Risiko haben – da gibt es eigene Auswertungen – für schwerste Verläufe bei Covid. Und deshalb empfiehlt z.B. die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie, die sind also zuständig, vor solchen Gefäßoperationen grundsätzlich gegen Sars-CoV-2  zu impfen, also eine Corona-Impfung zu machen. Warum? Weil sie sagen eben: Damit kann man das postoperative Risiko ganz deutlich minimieren, falls es dann doch es danach irgendwann mal zu einer Infektion kommt. Und deshalb ganz klar: Nicht auf den Novavax-Impfstoff warten, sondern jetzt impfen.

37:2 9


Camillo Schumann


A. hat uns gemailt. Er schreibt:

Ich bin Mitte 40. Ich wurde vor ungefähr drei Wochen von meinem Hausarzt mit Johnson&Johnson geimpft. Eigentlich alles gut, könnte man meine. Aber nun wird bei den aktuellen neuen Mutanten immer davor gewarnt, sich nach der ersten Impfung schon in Sicherheit zu wiegen. Bei Johnson&Johnson gibt es

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bekanntlich aber nur die eine Impfung. Was bedeutet das nun für die Person, die mit diesem Impfstoff geimpft worden ist? Ist der Impfschutz für die aktuellen Mutanten gut genug? Oder sollte man sich noch mit einem anderen Impfstoff impfen lassen? Ich würde mich über eine Einschätzung freuen. Viele Grüße


Alexander Kekulé

Ui, das ist jetzt ein heißes Eisen. Also es ist ja so: Die Zulassung ist die Zulassung. Ist die Zulassung. Und sowohl die Zulassung als auch die Empfehlungen der Stiko sagen ja, einmal reicht bei Johnson&Johnson. Der aufmerksame Hörer hat natürlich richtig gedacht, das ist ein VektorImpfstoff. Wieso soll der bei einmaliger Impfung jetzt so wahnsinnig toll sein? Und die anderen Vektor-Impfstoffe, insbesondere der von Astrazeneca, ist ja bei den bei der Delta-Variante jetzt konkret nicht so gut wirksam wie die RNA-Impfstoffe. Wieso kann eine einmalige sozusagen Dosis hier so gut schützen? Ja, das fragen sich Fachleute auch, muss ich ehrlich sagen. Es bleibt grundsätzlich bei der Empfehlung, dass eine einmalige Johnson&JohnsonImpfung ausreicht. Und zwar aus dem Grund, weil einmal ist auf jeden Fall viel besser als gar nicht geimpft zu sein. Das ist ja das Wichtigste. Der Unterschied zwischen null Mal und einmal heißt wahrscheinlich, dass man auch mit einer einmaligen Johnson&Johnson-Impfung bei einer Infektion mit der Delta-Variante kaum eine Chance hat, daran zu sterben. Das wird nicht passieren. Das werden extremste Ausnahmen sein. Aber wir haben es ja hier auch mit einem Massenphänomen zu tun. Es gibt Hunderte von Millionen Geimpfte. Es gibt wahrscheinlich inzwischen Milliarden Infizierte auf der Erde, und wenn man so ein Massenphänomen hat, dann werden auch extrem seltene Ereignisse irgendwann mal plötzlich in der Zeitung stehen. Und es kann sein, dass irgendwann rauskommt dann tatsächlich, ja, ganz selten ist es so, wenn man nur einmal mit Johnson&Johnson geimpft wurde, ist die Wahrscheinlichkeit dann an Delta eine schwere Infektion zu bekommen oder vielleicht auch mal zu sterben, die ist etwas höher, als wenn man eine komplette Impfung hat mit einem RNA-Impfstoff.

Wir wissen bei den RNA-Impfstoffen, dass die gegen den Alpha-Typ, also den englischen Typ, der in England zirkuliert, etwas schwächer wirksam sind als gegen den vorher zirkulierenden Typ. Etwa 93 % haben sie dann noch an Wirksamkeit bezogen auf die symptomatischen Infektionen und – Erinnerung – in Studien waren es 95%, also etwa 2  % Abstriche muss man machen, das sind zumindest die Daten vom Public Health England, die wir hier ja auch schon mal besprochen haben. Bei dem AlphaTyp, also bei dem ursprünglichen englischen Typ B1.1.7, der ja vor einiger Zeit so für Alarmismus gesorgt hat. Und wenn man jetzt einen Schritt weitergeht und guckt, wie ist es dann bei Delta, dann ist es noch mal 5 % weniger. Das heißt also, die RNA-Impfstoffe – gemessen wurde es für BioNTech, aber das wird bei Moderna genauso sein – sind 88 % wirksam für die Delta-Variante bezüglich der symptomatischen Infektionen. Das reicht völlig aus. Das ist eine super Wirksamkeit, da kommen viele andere Impfstoffe nicht hin. Und wir wissen auch, dass sowohl BioNTech als auch AstraZeneca bezüglich der Hospitalisierungen, zumindest sagen das die Briten, etwas über 90 % Schutz haben, also dass man also auch einen guten Schutz hat, nicht ins Krankenhaus zu kommen. Solche Daten haben wir für den Johnson&JohnsonImpfstoff nicht aus verschiedenen Gründen. Der Hersteller hat bis jetzt keine. Warum auch immer. Und in England wird es nicht verimpft. In England wird Johnson&Johnson nicht verwendet. Die haben AstraZeneca, BioNTech inzwischen hauptsächlich und ein ganz bisschenModerna. Da haben sie nicht so viel bestellt. Es gibt aber, und es kann sein, dass das ein Hintergrund für diese Frage ist, dieses CBS-Interview. Der US-Fernsehsender CBS hat ein Interview gemacht mit dem früheren Leiter der FDA, der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde, Scott Gottlieb heißt der. Und der hat, das war, glaube ich, letztes Wochenende, der hat gesagt, er ist der Meinung, dass sowohl AstraZeneca als auch eben Johnson&Johnson, also alle Vektor-Impfstoffe hat er, glaube ich, gesagt, nur noch 60 % Wirksamkeit haben gegen die Delta-Variante. Und ich

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weiß nicht, wo er das herhat, das hat er dort gesagt. Das wird immer und überall zitiert. Der Hersteller hat keine Daten darüber und ich kenne auch keine. Aber der schätzt das halt so. Und ja, es kann sein, dass er mit seiner Schätzung nicht komplett danebenliegt. Also, es wird wohl so sein, dass im Ergebnis... Es kann gut sein, sagen wir mal so, es kann gut sein, dass im Ergebnis die Vektor-Impfstoffe alle miteinander schwächer wirken gegen die Delta-Variante. Und das gilt dann auch für die einmalige Impfung mit Johnson&Johnson.


Camillo Schumann


Was könnte man dem A. jetzt mit an die Hand geben? Kontakt mit seinem Hausarzt nehmen, das mit ihm besprechen, wenn vielleicht eine Dosis BioNTech über ist, wenn einer nicht zum Termin gekommen ist, die sich vielleicht noch verabreichen lassen? Oder was kann man ihm jetzt [raten]?


Alexander Kekulé

Also so eine allgemeine Empfehlung kann ich jetzt natürlich nicht geben, weil die würde abweichen von dem, was die Stiko empfiehlt. Aber mal so grundsätzlich kann man, wenn man in die Zukunft guckt, sagen: Es wäre nicht auszuschließen, dass irgendwann diejenigen, die einmal Johnson&Johnson bekommen haben, als Erstes wieder einbestellt werden für die zusätzliche Booster-Impfung. Also, falls man irgendwann beschließt, dass man bei Delta doch noch einmal boostern soll. Das ist ja auch noch gar nicht klar, ob man das irgendwann mal braucht. Oder auch bei neuen Varianten. Delta wird sicherlich nicht der letzte griechische Buchstabe sein, der da bemüht wird. Und es kann sein, dass man dann irgendwann sagt – vielleicht noch dieses Jahr, vielleicht nächstes Jahr – jetzt wäre es doch gut, noch mal zu boostern. Dann würde man möglicherweise diejenigen, die einen Vektor-Impfstoff bekommen haben und den nur einmal, die würde man vielleicht als Erstes wieder einbestellen für einen Booster.

43:38


Camillo Schumann


C. hat gemailt, sie schreibt:

Ich arbeite als Friseurin, bin vollständig geimpft. Wie ist Ihre Meinung: Wird es so kommen, dass, wenn Friseur und Kunde geimpft sind, man irgendwann die Maske weglassen kann? Viele Grüße.


Alexander Kekulé

Ja. Kann und muss und soll. Ja also ... irgendwann ist auch mal Schluss damit. Also wenn jetzt dann alle geimpft sind, geimpft oder genesen, dann, finde ich, sollten wir einfach auch ein bisschen uns entspannen und sagen ja, jetzt ist es eben eine Erkrankung, die nicht mehr dieses tödliche Potenzial hat. Ja, die meisten Menschen beschäftigen sich jetzt erst seit diesem Jahr zum ersten Mal mit Virologie. Irgendjemand hat kürzlich mal gesagt, dann sind wir nicht mehr 82  Millionen Virologen, sondern nur noch 82  Millionen Fußballtrainer. Und ich finde, das ist eine ganz gute Entwicklung in die richtige Richtung. Wenn wir dann geimpft und genesen sind, dann muss auch mal Schluss sein. Ja, wir haben uns jetzt alle so konzentriert auf dieses Virus-Problem. Und aber ich kann jetzt als jemand, der das sein Leben lang sozusagen vor Augen hat, sagen: Da muss man dann auch eine gewisse Entspannung entwickeln. Wir sind ja ständig umgeben mit Krankheitskeimen. Wenn Sie in Urlaub fahren, haben Sie plötzlich ganz neue Erreger, neue Infektionsgefahren. Und dass wir uns jetzt alle nicht mehr vor die Haustür trauen oder beim Friseur künftig dann immer die Maske haben, vor lauter Angst uns anzustecken, oder dass irgendwelche bösen Keime da rum schwirren, das ist ein psychologisch nachvollziehbares Phänomen. Gab es übrigens nach der Pest auch schon im Mittelalter, dass die Leute dann Angst hatten, obwohl die Pest vorbei war. Aber ich glaube, das ist ganz wichtig, dass wir dann auch lernen: Okay, solche Gefahren waren schon immer da, die haben wir bis jetzt noch nicht so auf dem Schirm gehabt, als, sage ich mal, Normalbürger. Jetzt weiß ich, dass die da sind. Aber trotzdem bin ich weiterhin mutig und fröhlich und gebe Leuten die Hand und blicke auch meinem Friseur ins Auge und auf den Mund, dann in dem Fall.

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45:32 


Camillo Schumann


Das war übrigens ... Die Aussage mit den 82  [Milliionen] Virologen und 82  Millionen Bundestrainern, das war übrigens Fußball-Nationalspieler Leon Goretzka.


Alexander Kekulé

Sie wieder. Gut, dass es einer von uns weiß. Oder haben Sie es jetzt schnell gegoogelt?


Camillo Schumann


Ich wusste das, der hat übrigens uns mit seinem Tor dann auch ins Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft geschossen. Und ...


Alexander Kekulé

Ach, gab es ein Tor, was nicht vom Gegner geschossen wurde, in diesem Turnier?


Camillo Schumann


In der Tat. Das lässt hoffen, dann für die weiteren Begegnungen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 2 00.

Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 9. Juni wieder. Bis dahin


Alexander Kekulé

Da freue ich mich drauf. Bis dahin, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Hören Sie doch mal in andere Podcast von MDR Aktuell rein. Z.B. in Das große Ganze – der gesellschaftskritische Podcast. In der aktuellen Ausgabe geht es um große Internetkonzerne, die mit unseren privaten Daten Geld verdienen. Die Datenkraken und die Gefahr, die von ihnen ausgehen. Das große Ganze – der gesellschaftskritische Podcast von MDR Aktuell.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 2 4. Juni 2 02 1 #199

Tim Deisinger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Dritte Impfung bei schwacher Immunantwort:

Three Doses of an mRNA Covid-19 Vaccine in Solid-Organ Transplant Recipients | NEJM

Tofacitinib

Tofacitinib bei Patienten, die mit Covid-19 Pneumonia | NEJM

Donnerstag, 2 4. Juni 2 02 1

Tim Deisinger

Donnerstag, 2 4. Juni 2 02 1 Ausgabe 199 unseres Podcasts unter anderem mit folgenden Themen:

Schwache Immunantwort auch nach 2 Impfungen. Hilft einfach eine dritte Impfung oben drauf?

Dann: neue Therapiehoffnung Tofacitinib. Kann das eine Standardmedikation werden.

Und: die Lage in Indien. Die Infektionszahlen gehen nach unten, die Erkrankungen mit dem schwarzen Pilz werden mehr. Viele sterben daran. Was tun?

Ich bin zum Deisinger Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, heute noch mal als Vertretung für 

Camillo Schumann

, der ist dann am Samstag zur Ausgabe 2 00 wieder auf der Matte. Wir wollen helfen, aktuelle Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus zu verstehen und einzuordnen. Wir beantworten ihre Fragen. Einschätzung holen wir ein, wie immer,

beim Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Tag Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Die sieben Tage Inzidenz heute bei 6,6. Vorgestern noch bei acht. Heute sind es 2 9 Kreise, die eine Inzidenz von null haben. Vorgestern waren es noch zehn, dass ist quasi eine Verdreifachung an 2 Tagen. Ja, da sind wir besser als die Delta Variante. Deren Anteil hat sich binnen einer Woche nur etwas mehr als verdoppelt. Ich weiß, eine Milchmädchenrechnung, aber man kann es sich ja auch mal schönreden, obwohl man es eigentlich gar nicht muss.


Alexander Kekulé

Nein, es ist einfach schön, das ist richtig gut. Und das zeigt, dass Exponentialfunktionen in beiden Richtungen funktionieren. Es geht auch nach unten exponentiell. Und ich glaub auch nach wie vor, also ich habe jetzt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass wir das im Sommer so durchhalten werden. Also ich glaube, das wird jetzt stabil bleiben, vielleicht in einzelnen Kreisen rauf und runtergehen, aber letztlich irgendwo auf einem niedrigen Niveau bleiben. Null ist es natürlich nicht, auch wenn dann gesagt wird null. Da muss man sich immer darüber klar sein, bloß weil man jetzt nichts mehr sieht, sozusagen bundesweit es dann eine kleine Zahl ist, heißt das nicht, dass irgendwo noch Ausbrüche vorhanden sind. Die gibt es weiterhin, und die werden wahrscheinlich im Herbst wieder zunehmen. Zumindest müssen wir uns darauf einstellen. Ich will ja nicht immer so einen Kassandrarufer sein aber sicher ist sicher. Und deshalb sollten wir davon ausgehen, dass es auch wieder hochgehen kann.

Tim Deisinger

Ich frag jetzt auch nicht, wie weit runter wir noch kommen. Sie haben mal mit Camillo noch die Wette offen.


Alexander Kekulé

Zum Glück hab ich nur eine Wette gemacht.

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Ich habe es ja nicht verloren. Ich habe nur gesagt, ich geb einen aus, sobald die Inzidenz unter zehn kommt, und das können wir leider nicht bei der fünf und bei der drei noch mal wiederholen. Sonst wäre es schon möglich.

Tim Deisinger

Ja mit mir wäre es schon möglich, aber ich bin ja nur noch heute hier und ich könnte sie auch nicht ans Einlösen der Wettschuld erinnern, wenn ich gewinnen sollte, schauen wir mal. Aber Delta hatte ich angesprochen. Was denken Sie, diese Variante wird die tatsächlich dominierend werden? Es gibt ja da unter Experten offensichtlich nicht wirklich Einigkeit. Also, Herr Drosten zum Beispiel sagt, das muss nicht so kommen wie in Großbritannien.

03:05


Alexander Kekulé

Ja, also das ist halt ganz interessant, das kann man offen kommunizieren. Wenn verschiedene Fachleute auf genau die gleichen Daten gucken, kommen Sie manchmal zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das mag jetzt ernüchternd sein für den Laien, dass man denkt Mensch, wie kann denn das sein. Und es ist aber wirklich so. Und ich plädiere dafür, dass auch zu sehen es gibt so einen menschlichen Faktor auch bei Experten. Und das heißt nicht, dass der eine dann schlecht oder der andere gut ist. Christian Drosten, ich habe das gelesen. Im Spiegel. Da wurde das noch mal wiedergegeben. Der soll gesagt haben, wenn der Spiegel das richtig geschrieben hat, dass er da nicht so sicher ist, dass sich Delta durchsetzt, weil in Großbritannien die Situation anders ist. Ja, das stimmt. Und zwar sagt er erstens die hatten diesen massiven Import durch Einreisende aus Indien, den sie nicht gestoppt haben. Und zweitens, die haben diese große indischstämmige Community, die häufig auch unter prekären Bedingungen lebt, in England. Das ist beides richtig. Und deshalb sagt er, es ist also möglich, dass das bei uns gar nicht so kommt, dass Delta sich durchsetzt. Vielleicht kann man noch folgendes ergänzen. Das wird in England Boris Johnson ganz massiv vorgeworfen, weil der ja vor hatte, nach Indien zu fahren. Das ist

der frühere British Commonwealth. Und da sollten eben jetzt, gerade nach dem EU-Austritt, starke bilaterale Beziehungen aufgebaut werden zwischen Großbritannien und anderen Ländern der Erde. Quasi unabhängig von der EU. Und da sollte eben Indien, der Besuch bei dem Premierminister dort, eben zeigen, dass Großbritannien an die alten Größe anknüpft. In diesem Zusammenhang wird ihm vorgeworfen, hat er einfach gezögert, Einreisekontrollen für Inder zu machen, obwohl völlig klar war, dass dort eben ein Hochrisikogebiet ist. Und so hatten sie tatsächlich massive Importe. Einige schätzen, dass zwischen 2 000 und 5000 Einzelimporte dazu geführt haben, dass in England die Delta-Variante so hochgeschossen ist. Und ganz klar, wer schon mal in Großbritannien war, in bestimmten Teilen von London kenne ich das persönlich. Da denkt man mal, wirklich, man wäre so ein bisschen in KleinDelhi. Da ist wirklich viel indische Bevölkerung unterwegs, was auch ein schönes Straßenbild macht. Die sind ja dann häufig dann auch traditionell noch gekleidet. Die Frage ist jetzt, kann es sich bei uns deshalb nicht wiederholen? Und Drosten sagt, er hält es für nicht sehr wahrscheinlich. Ich halte es trotzdem für praktisch sicher, dass es sich bei uns wiederholt, weil wir einfach die kritische Masse mit Delta in Deutschland schon überschritten haben. Und wenn man so eine Entwicklung hat und das ist ja immer nur die Spitze des Eisbergs, weil ja nicht alles sequenziert und alles analysiert wird. Dann kann man davon ausgehen, dass diese Variante da ist. Sie ist im Land, und sie verbreitet sich dann. Dazu brauchen wir sozusagen keine indische Community hier. Das können wir auch. Das Delta macht ja zwischen den Ethnien keinen Unterschied. Und Portugal hat es ja auch bewiesen. Also, da ist es auch ganz klar die haben es geschafft, also in großer Zahl. Ob das jetzt ein Fußballspiel war, wie diskutiert wird, oder auf anderem Weg, da einige verschleppt wurde. Wenn ein Virus mal da ist, kann man das in großer Zahl vermehren. In den USA die gleiche Situation. Da gibt es eben Gegenden, wo das genauer untersucht wird. Sonst sind die Amerikaner dann nicht so gut

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mit dem Sequenzieren aber da, wo es untersucht wird sieht man auch, dass dieses Delta sich ungefähr alle 14 Tage verdoppelt. Drum sehe ich es ein bisschen anders als der Kollege. Das ist für mich eigentlich klar, diesen Faktor mit der indischen Community oder auch dieses Einschleppen aus Indien, das brauchen wir nicht. Wir haben das Virus, und es wird sich durchsetzen. Aber am Schluss des Tages kann man natürlich da die nächste Wette aufmachen. Das weiß keiner wirklich. Also keiner von uns hat er die Wahrheit gekauft, und deshalb sage ich, man darf sich das einfach anhören und die Entwicklung ansehen hinterher.

Tim Deisinger

Vielleicht nimmt der Drosten ihre Wette ja an.


Alexander Kekulé

Ich würde gar nicht nochmal wetten, weil das irgendwie unfair wäre. Weil ich ganz sicher bin, wenn er jetzt dabei wäre, würde er erklären, dass er das, so wie es im Spiegel vielleicht ein bisschen pointiert wiedergegeben wurde, gar nicht so gemeint hat. Man kennt das ja, dass die die Medien dann gerne kurze Überschriften machen.

Tim Deisinger

Aber ich war ja vorhin beim Schönreden, und wenn man sich so durch die Medienlandschaft wühlt, dann kann man auch schon mal leicht den Eindruck bekommen, naja, eigentlich ist das doch gar nicht so schlecht mit Delta. Jetzt mal abgesehen von manchen sozialen Medien, in denen davon die Rede ist, dass das nur einen Schnupfen macht. So einfach wird es sicherlich nicht sein. Aber man hört auch, dass die Erkrankungsschwere vierfach geringer sein soll. Das würden wohl vorläufige Daten aus England hergeben. Ist das so korrekt?


Alexander Kekulé

Das wiederum sagt der Klaus Stöhr, der auch ein Freund von mir ist, und der guckt auf genau die gleichen Daten wie wir alle, die die Basis hier ist. Der Bericht von Public Health England. Also die Engländer sind ja in gewisser Weise unser Labor für Europa, in dem wir jetzt alle zuschauen. Oder man kann auch sagen unsere

Kanarienvögel, wo wir alle zuschauen, wie es sich dort entwickelt, weil die als erstes die Delta Variante im großen Stil hatten. Und weil sie, zweitens eben eine sehr, sehr gründliche Nachverfolgung haben. Auch Feststellungen, wie häufig diese Variante da ist, durch Sequenzierungen. Und in diesem Bericht, den haben wir hier im Podcast sogar mal besprochen. Da habe ich mir mal die Zahlen jetzt daraufhin herausgesucht. (...) Also es ist so, die Alpha-Variante in England, die ja quasi noch dominant ist. Die hat zuletzt in diesem letzten Bericht ungefähr 2 17.000 Fälle gehabt, die untersucht wurden und davon 42 50 Tote, so ungefähr. Das entspricht etwa 2 Prozent. Also, das ist nicht die Sterblichkeit, sondern das sind quasi der Anteil der Toten an den Fällen, und zwar nachverfolgt über vier Wochen. Das ist wichtig, wie lange man nachverfolgt hat, weil natürlich ein Fall ja erst mal krank wird und bis er dann stirbt, dauert eine Weile. Und da muss man einen längeren Zeitraum beobachten. Wenn man das jetzt vergleicht im gleichen Zeitraum die Delta Variante. Da war es so, dass die festgestellt haben, viel weniger Fälle, nur 5762 . Aber eben ansteigend und dazu passend dann 17 Tote. Und wenn man da den Quotienten draus macht, sind es ungefähr 0,3 Prozent. Und jetzt sagt also der Klaus Stöhr sinngemäß also im einen Fall 2 Prozent Tote, im anderen Fall 0,3 Prozent Tote, das wäre sogar mehr als dieses vierfach. Und wenn man das aber sehr konservativ rechnet, dann kann man sagen mindestens vierfach. Delta ist also weniger tödlich. Ich bin da etwas vorsichtiger. Ich habe mich auch, doch sehr stark gegen den Strom gestellt, indem ich gesagt habe, Delta ist nicht gefährlicher als die bisherigen Varianten. Das ist ja auch eine Position, wo man eigentlich allen bisherigen Fachleuten, also vor allem dem Robert Koch-Institut massiv widerspricht. Ich würde nicht so weit gehen, dass man aus den Zahlen sagt, dass es ungefährlicher ist, und zwar deshalb, weil eben nur vier Wochen nachverfolgt wurde. Wir wissen nicht, wie viele Deltaerkrankte jetzt noch auf den Intensivstationen liegen und vielleicht noch sterben. Es ist ja so, dass bei jüngeren Menschen das einfach

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länger dauert, bis die dann unter Umständen sterben, weil die weniger Vorerkrankungen haben und weniger Risiko haben. Der andere Faktor ist, wir haben bei dieser Studie aus England keine Untersuchung, welche Altersgruppen das betrifft. Und wir wissen aber grundsätzlich, dass zurzeit eher jüngere Menschen aus verschiedenen Gründen Covid bekommen, auch in England. Warum das? Weil die alten geimpft sind oder sich schützen und die Jüngeren eben erstens nicht geimpft sind und zweitens vielleicht ein bisschen mutiger sind. Da gibt es dann auch einen Effekt, den nennen wir Foundereffekt, also so eine Art Gründungseffekt. Wenn sich dann in so einer Population des Virus zum ersten Mal ausbreitet, dann gibt es einfach mehr Ausbrüche. Das haben wir in England zum Beispiel jetzt bei jüngeren Leuten oder auch dann an Schulen. Und wenn man natürlich diese Altersgruppe die Jüngeren vergleicht, mit denen die vielleicht etwas älter sind, (...) dann ist es ganz klar, dass man eine niedrigere Sterblichkeit bekommt. Wir wissen auch nicht, wie hoch der Anteil derer ist, die vielleicht geimpft waren oder schon mal die Krankheit durchgemacht haben, weil Delta ja wahrscheinlich häufiger mal zu Reinfektionen führt oder auch zu Durchbrüchen bei geimpften. Nicht sehr oft aber kommt vor und da verlaufen die Krankheiten natürlich viel harmloser, sodass diese ganzen Faktoren, also der Zeitablauf, die Frage wie ist das Alter? Die Frage, waren die Leute geimpft oder genesen? Das ist alles in diesem Fall noch nicht untersucht. (...) Kann sein, dass es stimmt. Aber ich werde noch nicht so weit gehen zu sagen die ist harmloser als die normale Variante, sondern ich würde sagen, es gibt zumindest überhaupt keine Hinweise, dass sie gefährlicher ist. Und das ist ja auch schon mal sage ich mal wirklich das Gegenteil von dem, was man so sonst liest.

12 :2 3

Tim Deisinger

Dann Daten aus England. Wir haben hier vorgestern in Ausgabe 198 über eine Studie gesprochen, auch aus dem Vereinigten König-

reich, die Veränderungen am Gehirn festgestellt hat. Geschrumpfte Gehirne nach einer Corona-Infektion beziehungsweise Covid-Erkrankung. Dazu haben uns ganz viele Mails erreicht. Es ist ja auch das böse Wort Alzheimer gefallen. Eine Frage zum Beispiel: könnten diese Schrumpfungsprozesse im Gehirn nicht durch den Impfstoff ausgelöst worden sein?


Alexander Kekulé

Nein, also ich weiß, das war letztes Mal nichts für schwache Nerven. Hat mich auch selber beeindruckt diese Studie, muss ich zugeben. Es ist nicht so, dass das irgendetwas mit dem Impfstoff zu tun hat oder haben kann. Also, es gibt überhaupt keine Hinweise darauf, weil entweder war es das Virus selber, was dort sein Unwesen getrieben hat. Die Autoren der Studie haben das ja vermutet, die wir beim letzten Mal besprochen haben. Oder es war so, dass es eine Immunreaktion auf die Virusinfektion war. Und das kann man nicht vergleichen mit dem, was passiert, wenn man so eine Spritze in den Arm verabreicht. Also dort kommt es natürlich nicht zu so einer Reaktivität im Gehirn, die dazu führen könnte, dass sich dann ein Alzheimer-Prozess oder diese sogenannten Amyloide, also diese Plaques, die da entstehen, beim Alzheimer oder auch dann die sekundären Erscheinungen, dass bestimmte Teile des Gehirns dann nach und nach zugrunde gehen. Dass das dadurch ausgelöst wird, also das wäre wirklich völlig abwegig. Deshalb kann ich nur sagen die Impfung macht es nicht. Im Gegenteil. Es ist ein Grund, sich impfen zu lassen, weil möglicherweise Menschen, die also wenig Risiko haben, daran zu sterben, dann doch solche Langzeitschäden haben könnten. Ich will da nicht den Teufel an die Wand malen. Aber diese Studie geht in die Richtung, dass man über Langzeitschäden eben nachdenken muss. Zumindest bei älteren Menschen, das waren ja alles Ältere, die sich haben impfen lassen.

Tim Deisinger

Deswegen haben sich in dem Zusammenhang, also Alzheimer, auch Sorgen um Kinder gemacht. Sollte man die nicht, vielleicht sogar deswegen forciert impfen? Wir lassen diesen

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Aspekt heute mal raus. Das würde ich bloß explizit sagen. Ich habe vorhin mit 

Camillo Schumann

 gesprochen. Der wird dann am Samstag in Ausgabe 2 00 ausführlich dann mit ihnen darauf eingehen. Schauen wir uns jetzt mal 2 Studien an. In einer Studie geht es auch um Impfungen, und zwar bei Personen, die operiert waren, transplantiert waren, bei denen 2 Impfstoffdosen nur eine schwache Immunantwort ausgelöst haben. Frage: wie kann man da helfen? Antwort mit einer dritten Dosis War das so in Kürze einigermaßen richtig

15:00


Alexander Kekulé

Ja, das war völlig richtig. Und aus verschiedenen Gründen fand ich das interessant genug, mal drüber zu reden. Das ist in Frankreich, in Toulouse gemacht worden. Gerade am 2 3. Juni veröffentlicht worden, im New England Journal of Medicine. So eins von unseren Star-Magazinen, wo wirklich normalerweise nur gute Sachen dahin kommen. Das ist eine ganz kleine Studie eigentlich. Und zwar haben die folgendes Phänomen sich vorgenommen. Wir wissen erstens, dass Menschen, die immunsupprimiert sind, also die irgendwelche Medikamente bekommen, um das Immunsystem zu unterdrücken. Das bekannteste ist Kortison, aber da gibt es auch viele andere. Das bei denen bei der Impfung gegen Corona, die Antikörper nicht so richtig ansprechen. Das ist häufiger, mal so, nicht immer. Aber tendenziell sieht man, dass die Antwort von den Antikörpern, die dann kommen, nach der Impfung oft schlechter ist. Und das zweite Phänomen was man hat ist, dass man bei transplantierten Patienten, die also eine Nierentransplantation oder Ähnliches hinter sich haben, dass man bei denen häufiger mal sehr schwere Verläufe sieht, von Covid auch tödliche Verläufe, obwohl sie voll geimpft wurden, obwohl sie zweimal geimpft wurden. Und das ist eher exotisch, also das zweimal geimpfte, natürlich noch sich anstecken können. Ja, das kommt vor aber, dass sie dann einen schweren Verlauf bekommen, das ist echt exotisch. Und das hat man eben bei diesen transplantierten mitunter beobachtet. Und da muss man dazusagen, dass die

transplantierten ja ihr Leben lang Medikamente nehmen müssen, die das Immunsystem unterdrücken, meistens das Kortison und noch ein, 2 andere dazu. Und deshalb hat man gesagt, offensichtlich ist es so, dass die medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems dazu führt, dass die Impfung nicht richtig wirkt, nicht richtig anspringt, nicht genug Antikörper kommen. Und jetzt schauen wir doch mal, ob man diesen Leuten einfach helfen kann. Ganz simpel, indem man ein drittes Mal impft. Also diese weitere Auffrischungsimpfung. Und da ist dabei rausgekommen tatsächlich bei dieser Gruppe, die man da hatte, das waren jetzt nicht so viele. Insgesamt hatte man 101 organtransplantierte Empfänger und die wurden also alle drei Mal geimpft. Und da hat man festgestellt nach der zweiten Impfung hatten nur 40 Prozent ausreichend Antikörper gebildet. BioNTech war der Impfstoff. Das ist echt wenig. Sonst bei den Phase-zwei-Studien ging es gegen hundert Prozent, also die Antikörperbildung. Die Schutzwirkung ist ja bekanntlich bei 95 Prozent vor der Infektion vor der symptomatischen aber Antikörper haben die nach meiner Erinnerung fast alle gebildet, nur 40 Prozent von dieser Gruppe, die also unter Immunsuppression stehen. Und da hat man denen dann die dritte Impfung verpasst und geschaut. Wie sieht es dann aus? Und dann erhöht sich das doch sehr deutlich auf 68 Prozent, die dann Antikörper haben. Das waren alles Leute, die schon vor vielen Jahren diese Transplantation hinter sich hatten. Also der Mittelwert war so bei acht bis neun Jahren. Das waren also Leute, die schon lange mit einer transplantierten Niere oder auch zwölf Leberpatienten, sogar ein paar Herztransplantationen. Und das heißt für mich also erstens, wenn wir Patienten haben, die ganz wenig Antikörper haben, dann muss man überlegen, ob man denen nicht vielleicht die dritte Impfung gibt, vor allem wenn es Risikopatienten sind. Und zweitens, dass man bei denjenigen, die jetzt aus anderen Gründen also nicht transplantiert sind, sondern aus anderen Gründen immunschwächende Medikamente nehmen. Also zum Beispiel dauernd Kortison nehmen,

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dass man bei denen vielleicht selektiv nachguckt, ob die Impfung funktioniert hat und dann drei Wochen später mal Blut abnimmt. Und die Antikörper bestimmt.

Tim Deisinger

Aber Sie haben es gesagt, ob man denen vielleicht eine dritte Impfung gibt. Warum? Dieses vielleicht? Kann man nicht sagen: klar, machen wir?


Alexander Kekulé

Naja, der Impfstoff ist knapp. Ja, man könnte beides machen. Wir haben die Situation oft bei der Frage, soll man noch mal impfen oder nicht? Polio ist so ein Klassiker. Gegen Kinderlähmung wird ja auch geimpft. Und da gibt es viele Leute, die sagen so eine Kinderlähmungsimpfung, das wirkt eigentlich lebenslänglich. Und andere sagen naja, sicherheitshalber nach zehn oder 2 0 Jahren noch mal auffrischen. Und bevor man jetzt da lange Blut abnimmt und irgendwelche Antikörper-Titer untersucht, gibt man einfach die Spritze, weil man sagt, es ist ja auch nur ein Pieks und schadet eigentlich nicht. Ich wäre jetzt persönlich eher für die Blutabnahme, weil ich natürlich neugierig bin und mich das wissenschaftlich interessieren würde, ob das dann wirklich bei diesen Leuten häufig so ist, dass man weniger Impferfolg hat. Das ist ja bisher nur eine Vermutung, die sozusagen extrapoliert ist von diesen Transplantationsempfängern. Und die kriegen ja nun ganz massiv Immunsuppression. Also ob man zum Beispiel bei einem Asthmatiker, der regelmäßig Kortison nimmt, da gibt es ja welche, die das noch nehmen, ob man da er jetzt auch sagen kann, diese Dosis reicht aus, um das Immunsystem so stark zu schwächen, dass die 2 Impfungen nicht ausreichen oder nicht richtig funktionieren. Das wissen wir ja nicht. Und darum werde ich eher dafür routinemäßig zu untersuchen. Und wenn die Antikörper irgendwo im Keller sind, trotz zweifacher Impfung, dann eine dritte Impfung hinterher.

Tim Deisinger

Aber wir wissen ja unabhängig von operierten Organtransplantierten, dass vor allem unter

anderem bei älteren Personen die Immunantwort auch bei 2 Dosen ohnehin schwächer ausfällt als bei Jüngeren. Da würde ich doch als Laie jetzt sagen also okay, dann dort auch einfach drauf. Auch denen eine dritte Impfung, dann sind die auf jeden Fall besser geschützt.


Alexander Kekulé

Ja, dafür gibt es ja Studien. Also, diese Gruppe der Älteren, das ist ja ganz selektiv untersucht worden, bei den Zulassungsstudien schon. Und natürlich jetzt auch im Nachfeld. Bei den sogenannten Post Marketingstudien oder auch Phase vier Studien sagt man dazu. Das ist quasi, was man untersucht, nach der Zulassung. Und da haben wir ja inzwischen sehr, sehr viele Daten. Und wir wissen, dass die Impfstoffe auch bei den höher altrigen gut wirken. Also da ist es nicht so, dass man grundsätzlich noch mal Impfen müsste. Sondern bei den RNA-Impfstoffen ist es eigentlich belegt, dass die auch bei den älteren Menschen helfen. Wo es eben nicht so sauber auseinanderzurechnen ist, weil es einfach nicht so viele Menschen dazu gibt und die Studie noch nicht, die Zahl der untersuchten nicht so groß ist, sind eben die Fälle, wo man Medikamente gibt, um das Immunsystem zu unterdrücken. Aber vielleicht kann man es andersrum drehen. Ihr Gedanke ist natürlich wichtig. Also wenn ich jetzt jemanden habe, wo ich einfach weiß, der hat ein hohes Risiko, kann jemand älteres sein. Aber ich würde jetzt auch zum Beispiel an stark übergewichtige denken, oder Personen, die aus anderem Grund eben zu denen gehören, wo man sagt, wenn die sich Covid holen sollten, ist das Risiko schwerer Erkrankungen erhöht. Ob man bei denen nicht vielleicht grundsätzlich sagt okay, nach drei Wochen noch mal Antikörper testen nach der letzten Impfung, da ja da jetzt sowieso mehr und mehr die Hausärzte das übernommen haben, wäre es ja eigentlich etwas, was man relativ einfach machen könnte. Dass man noch mal schaut, bei denen, wo es wirklich drauf ankommt. Hat es denn auch gewirkt. Und wenn es dann Hinweise darauf gibt, dass der Antikörperspiegel zu niedrig ist nach der zweiten Impfung, dass man dann tatsächlich die dritte Impfung

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macht, weil wir aus dieser aktuellen Studie sehen, selbst bei den Transplant-Empfängern, die also ein richtig unterdrücktes Immunsystem haben, da bringt es was.

2 2 :37

Tim Deisinger

Okay, das ist die Studie zum Impfen um eine Infektion einer Erkrankung zu verhindern. Leider Gottes aber erkranken natürlich auch noch immer viele Menschen. Und dann muss versucht werden zu therapieren. Offenbar gibt es ein Medikament, das nun auch wieder Hoffnung machen kann. Sie sind der Doktor. Ich habe mir am Anfang große Mühe gegeben in der Übersicht bei der Aussprache: Tofacitinib.


Alexander Kekulé

Ja, aber ich kann es auch nicht besser. Also diese neuen Medikamente Tofacitinib. Ja, dass das ist bei uns auch im Handel. Das ist gar nicht so neu. Aber das heißt bei uns heißt das Gsell Jans und wird als Rheumamittel verwendet. Ja, warum haben die immer so komische Namen? Das hat sich in letzter Zeit so rausgebildet, dass die so exotische Bezeichnungen immer bekommen. Das ist ein Medikament, was hier eingesetzt wurde, jetzt zur Therapie von Covid, also nicht mehr zur Verhinderung durch Impfung, sondern wenn einer krank ist. Was kann ich therapeutisch machen? Und da ist es ja so, dass eigentlich bisher die einzige Option, die funktioniert tatsächlich Kortison ist – Dexamethason oder andere Kortison-Präparate. Da wissen wir, das ist das einzige Medikament, was sozusagen übrig geblieben ist bei dem Rennen, was da am Anfang mal gestartet wurde in dieser Pandemie. Das einzige, was irgendwie tatsächlich die Überlebenschancen erhöht. Und wie funktioniert das? Wir wissen, dass der eigentliche Virusinfekt selber komischerweise gar nicht das Hauptproblem zu sein scheint bei der Erkrankung, sondern das Schlimme ist, dass es bei einigen Menschen eben den Zytokinsturm gibt. Also die eigene Immunantwort dreht völlig durch. Es kommen sogenannte Zytokine, das sind Substanzen, quasi Steuersubstanzen des Immunsystems, Signalsubstanzen, die die weißen Blutzellen,

die das Immunsystem vermitteln, die reden ja quasi miteinander. Und zwar nicht über Kabelverbindungen wie die Nerven das machen. Das wäre ja auch ein bisschen schwierig, wenn man so im Blut rumschwimmt und irgendwo im Gewebe unterwegs ist und wenn man eine Strippe hinter sich herziehen muss. Sondern die machen das so, dass die quasi über chemische Signale miteinander agieren. Und diese Signalstoffe die heißen Zytokine. Und dieses Medikament, was jetzt hier getestet wurde, das Tofacitinib. Das blockiert quasi die Reaktion auf die Zytokine in der Zelle. Das kann man sich so vorstellen, wenn so ein Zytokin andockt an eine Immunzelle. Da hat das einen bestimmten Rezeptor, wo es sich festhält, und daraufhin klingelt es in der Zelle. Also, es ist ein Signal in der Zelle. So ähnlich wie eine Klingelschnur oder sowas oder eine Schnur in so einen Glockenturm. Wenn sie da unten leuten macht es oben Bimbim. Und dieses Tofacitinib, das würde in diesem Bild quasi die die Schnur durchschneiden, die rauf zum Glockenturm führt. Das heißt also, das Zytokin versucht, draußen an der Zelle Signal zu schlagen. Aber in der Zelle ist die Signalübertragung gestoppt. Heißt übrigens, für die diesmal googeln wollen, das ist ein sogenannter Januskinase-Inhibitor. Eine Januskinase, die ist nach diesem römischen Gott benannt, weil die 2 sehr ähnlich aussehende reaktionsschnellen hat und Janus hat ja auch 2 Gesichter. Und dieser Januskinase-Inhibitor, der stoppt also die Wirkung der Entzündungsaktivatoren, wenn man so will. Darum wird es auch bei Rheuma verwendet. Und das haben die eben jetzt eingesetzt. In Brasilien aus Sao Paulo ist die Studie, die haben das dort eingesetzt bei Covid Patienten.

Tim Deisinger

Mit welchem Erfolg?


Alexander Kekulé

Die hatten insgesamt 2 89 Patienten an 15 verschiedenen Stellen in ganz Brasilien. Da waren sie also sehr fleißig und haben ungefähr die Hälfte zur Kontrollgruppe eingeteilt. Und das Interessante ist hier, dass fast 90 Prozent von denen zusätzlich Kortison bekommen haben.

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Also eigentlich schon die Standardtherapie inzwischen. Und dann haben sie der Hälfte eben zusätzlich dieses Tofacitinib gegeben. Und da ist wirklich ein deutlicher Unterschied rausgekommen. Und zwar bei der Kontrolle, um das zuerst zu sagen, sind 2 9 Prozent gestorben. Und bei dem Tofacitinib sind nur noch 18,1 Prozent gestorben. Also ein deutlicher Unterschied. Also nicht ganz die Hälfte. Aber so in diese Richtung geht es. Also an kann die Sterblichkeit fast halbieren mit dieser zusätzlichen Therapie. Übrigens für mich ganz schön schockierend, wenn man so liest Sao Paulo da machen die so eine Studie, und fast 30 Prozent ihrer Patienten sterben da erstmal. Das ist natürlich überhaupt schon eine Horrorzahl. Und da kann man sich so ein bisschen vorstellen, wie es da in Brasilien zugeht. Also, das wäre bei uns undenkbar und auch für schwere Verläufe, um das noch dazu zu sagen, ist es so wenn man das beobachtet, bis zum Tag 2 8. also, die haben das über vier Wochen lang beobachtet. Es ist so, dass die schweren Verläufe auch fast um 50 Prozent reduziert werden unter dieser Therapie. Das heißt, es ist wirklich ein wirksames Medikament, was zusätzlich zu dem Effekt, den man durch das Kortison kennt, nochmal einen Extraschutz hat, um diesen Zytokinsturm bei Covid zu bremsen.

2 7:47

Tim Deisinger

Und das man das auch nur in irgendeiner Anfangsphase geben kann. Es gab ja auch Medikamente für die man gesagt hat, also das geht nur im Anfangsstadium. Wenn's fortgeschritten ist, dann wirkt es nicht mehr. Oder ist das bei diesem Medikament dann egal, wann man es gibt?


Alexander Kekulé

Nein, hier ist es tatsächlich so, wenn es wirklich schlimm wird. Also, das ist so ähnlich wie bei Kortison hier, dass man das gibt zu einem Zeitpunkt, wo die Krankheit schon so ist, dass man sagt, jetzt müssen wir was therapieren. Also das waren schon Richtung mittelschwere Erkrankungen um die es ging. Es wäre auch nicht sinnvoll, das ganz am Anfang zu geben. Also

Ärzte wissen, dass es gerade in Europa eine große Diskussion gab, um die Zulassung von diesem Tofacitinib also dieses Gsell Jans als Rheumamittel. Das war so, dass das seit 2 012  in den Vereinigten Staaten schon zugelassen wurde. Und die europäische Arzneimittelkommission hat erstmal die Zulassung abgelehnt wegen möglicher Nebenwirkungen. In Deutschland ist es ungefähr seit 2 017, meine ich ungefähr, zugelassen in der Größenordnung. Warum ist das kritisch? Jetzt gerade am Anfang dieses Jahres war das glaube ich, ungefähr im Januar kam völlig unabhängig davon nochmal eine Warnung raus, dass es Nebenwirkungen gibt, die ganz am Anfang schon mal befürchtet wurden. Die sind jetzt gerade in den USA häufiger gesehen worden. Und zwar zum einen, dass es aufs Herz manchmal kardiale Ereignisse macht, wie eine Angina pectoris. Und zweitens, dass es wohl auch einen Effekt gibt in in Richtung Tumorwachstum, bei einigen Patienten. Also, man weiß nicht ganz sicher, ob es damit zusammenhängt. Aber es würde passen, weil die gleiche Signalkaskade in der Zelle, die verantwortlich dafür ist, dass diese Entzündung Signale weitergeleitet werden. Die hat auch etwas damit zu tun, dass das Tumorwachstum unterdrückt wird. Und darum ist so ein bisschen die Vermutung, dass dieses Medikament hier als Nebenwirkungen die Bildung von Tumoren haben könnte. Das gilt aber nur bei Dauertherapie, also die die Rheumapatienten, die kriegen das ja in großer Menge. Also der Hersteller, übrigens auch Pfizer, an der Stelle verdient er ganz gut. So eine Packung kostet, glaub ich, tausend Euro. Wo 56 Tabletten oder so drinnen sind. Und wenn man das regelmäßig nehmen muss als Rheumapatient, dann ist das echt eine Cash Cow für den Hersteller. Und die Leute, die das so lange nehmen, die haben dann diese Nebenwirkungen. Aber wenn man es ein paar Tage nimmt und Covid krank ist, dann ist das natürlich nicht zu erwarten. Dass das ein großes Problem sein wird.

Tim Deisinger

Klingt jetzt für mich ein bisschen danach, als ob 8

man das neben Kortison dann quasi auch zu einer Art Standardmedikamention machen kann.


Alexander Kekulé

Ich glaube auch, dass man auf jeden Fall das probieren muss, in weiteren Studien darauf hin. Das stimmt einen sehr optimistisch. Aber ich würde eben davor warnen, genauso wie beim Kortison, das jetzt einfach immer daran zu denken, das zu nehmen, wenn man einen leichten Verlauf hat. Auch bei dem Kortison ist es ja so. Weiteres Beispiel wo sich nicht alle Experten einig sind, es ist ja bekannt, dass ein in Deutschland sehr bekannter Gesundheitsfachmann und Politiker dafür plädiert hat, man sollte Kortison-Spray frühzeitig einsetzen bei Covid. Ich bin da immer vorsichtig. Aber das heißt jetzt nicht, dass der eine recht hat oder andere Unrecht. Aber ich bin immer vorsichtig bei Menschen, die eigentlich nichts haben, anzufangen, zu therapieren mit einem Medikament, wo ich definitiv weiß, es hat Nebenwirkungen. Und Kortison hat eben auch Nebenwirkungen. Jetzt nicht solche, dass es Tumore gibt, aber auch eben Nebenwirkungen. Und darum finde ich immer, muss man das mit Augenmaß machen. Man muss es dem Arzt überlassen, und der Arzt muss entscheiden. Ist die Erkrankung zu weit fortgeschritten, dass ich Kortison oder dann in Zukunft vielleicht auch noch das Tofacitinib dazu gebe?

31:35

Tim Deisinger

Okay, Punkt an dieser Stelle. Dies zu den beiden Studien. Schauen wir nach Indien. Dort gehen die Zahlen deutlich nach unten, die Infektionszahlen. Allerdings erkranken immer mehr Menschen an einem Pilz, einem schwarzen Pilz, und sterben auch vielfach daran. Dazu kommen wir gleich. Kurz zuvor aber, aus Indien kommt ja diese Delta Variante. Nun gibt es dort auch eine Delta Plus Variante. Ich bin ein bisschen irritiert über die Bezeichnung. Plus klingt eher nach besser. Ähnlich den Energieverbrauchswerten bei Haushaltsgeräten. Bei denen waren ja auch irgendwann bei A-Plus plus. Ich weiß gar nicht, wie viele Plus es da gab. Also Delta plus. Was ist denn das?


Alexander Kekulé

Also nach Corona müssen wir wahrscheinlich den ganzen Marketingsprech der Werbeleute nochmal revidieren. Wenn man sagt ich bin positiv, hat das ja durchaus negative Auswirkungen in dem Fall. Also ja, Delta plus, dass ist diese Delta Variante und die hat eine zusätzliche Mutation. Auch in dieser Stelle, wo das Virus andockt, an die Zielzelle. Das nennen wir die Rezeptorbindungsdomäne, wo also das an den Rezeptor zum Beispiel in der Lunge andockt. Da gibt es an der Position 417 eine weitere Mutation. Die heißt K 417 irgendwas. Und diese eine extra Mutation, die hat jetzt die Inder dazu bewogen zu sagen, das heißt Delta plus. Also glücklich ist das nicht. Es gibt natürlich auch technische Bezeichnungen. Nur Folgendes und vielleicht ist es noch wichtig. Diese Mutation. Die wurde auch gefunden in der in der Südafrikanischen Variante. Die darf man ja nicht mehr so nennen. Die heißt jetzt Beta, und sie wurde auch gefunden in der brasilianischen, die man auch nicht mehr so nennen darf, die heißt jetzt Gama. Aber die beiden haben quasi auch diese Mutation. Und jetzt hat man gesagt, jetzt hat also die indische Variante das auch entwickelt. Und einige haben die Befürchtung geäußert, dass sie dadurch noch ansteckender werden könnte. Wissenschaftlich ist es interessant, weil wir beobachten das, was wir eine echte Koevolution, eine Parallelevolution, die haben ja nicht voneinander abgeschrieben, wie irgendwelche Schüler, wo der Lehrer nicht aufpasst. Sondern die sind völlig unabhängig voneinander die Viren einmal in Indien, einmal in Südamerika und einmal in Südafrika auf die Idee gekommen, die gleiche Mutation zu bilden und haben dann gemerkt Hoppla, dann kann ich mich ja viel, viel besser vermehren. Sodass man also sozusagen eine Konvergenz hat. Also diese Viren steuern auf einen Optimalzustand zu, einfach durch Versuch und Irrtum. Und ja, wahrscheinlich kommt dann am Schluss raus, dass diese Delta Plus auch irgendeinen Vorteil hat. Sonst gäbe es das ja nicht für das Virus. Aber ich warne davor, jedes Mal wieder die Sau durchs Dorf zu treiben, wenn eine neue Variante da ist. Für

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Journalisten ist es natürlich klasse, wieder eine Schlagzeile zu haben, vielleicht auch für den ein oder anderen Wissenschaftler dann wieder zu sagen: Achtung, Achtung, Alarmstufe Rot. Oder mit der anderen Hand die Hand aufzuhalten, ich brauche mehr Forschungsmittel, je nach dem. Also es ist einfach so, dass dieses Virus ändert sich ständig. Ja, das ist so, und dieses Delta Plus ist jetzt wirklich kein Grund sich aufzuregen, ist auch nur ein paarmal bisher festgestellt worden. Und selbst, wenn das kommt, dann hat man im Grunde genommen wieder den gleichen Effekt wie bei Delta. Es ist halt ein bisschen besser ab optimiert. Aber das heißt nicht, dass es schwerer krankmacht.

Tim Deisinger

Mir ist auch gar nicht so sehr nach Sau durchs Dorf treiben. Ich habe da ein bisschen eher, ein Verarbeitungsproblem. Da kommt eine Variante, wie man liest, die ist ansteckender als die, die sie vielleicht ablöst. Da kommt wieder eine, die ist dann noch ansteckender und noch eine, die nochmal ansteckender ist. Irgendwann ist doch Mal Schluss, oder? Also irgendwann muss man anscheinend Corona nur noch denken, und schon hat man sich angesteckt.


Alexander Kekulé

Nein, das sind kleinste Unterschiede. Das ist eben das, was ich versuche, immer klarzumachen. Es ist so, wenn sie auch nur einen kleinen, minimalen Unterschied von einem Virus Typ zum anderen haben, dann wird er sich durchsetzen, weil einfach dieses Experiment, milliardenfach passiert. Also das ist eine Optimierung, die eben sehr schnell den besten rausfiltert. Dieses darwinsche Prinzip gilt in diesem Mikrokosmos noch viel brutaler als im Makrokosmos. Und wer da ein bisschen schneller ist, setzt sich durch. Das ist akademisch interessant, also unter Fachleuten jetzt zu diskutieren, woran das liegen könnte und wie sich da vielleicht die Form dieses Rezeptors geändert haben könnte und welche Effekte das haben könnte. Das ist alles super spannend. Aber das hat für die Praxis null Auswirkungen, weil keines von diesen Viren springt durch die

Masken durch. Keines kann weiter als 2 Meter hüpfen oder Six Feet, wie es in Amerika heißt. Bei uns ist irgendwie diese komische, 1,5 Meter-Regel irgendwann mal erfunden worden. Es geht auch nicht durch Plastikscheiben durch. Es überlistet auch auch nicht den Impfstoff. Und das überlistet auch unsere Schnelltests nicht. Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, die Nachverfolgung wird auch nicht beeinflusst dadurch, sodass praktisch gesehen alles, was wir jetzt machen, immer gleich ist. Und ich finde, das sollten wir einfach so beibehalten. Also ich sehe das so ein bisschen, wenn sie beim Sport sind. Also ich war noch nie in der Lage. Aber wenn ich mir vorstelle, ich, wäre beim Marathonlauf vorne, ich war meistens hinten. Aber wenn ich jetzt vorne wäre beim Marathonlauf, drehen Sie sich dann ständig um und gucken, wie weit es denn jetzt die anderen und ui der ist jetzt schon wieder einen halben Meter näher an mir dran oder weiter weg. Da würde ich mich nicht verrückt machen, sondern den Blick nach vorne richten aufs Ziel. Und da haben wir das Instrumentarium zusammen. Und dass der Gegner natürlich auch nicht schläft, ist klar. Aber der wird da nie und nimmer es schaffen von dem SARSCoV-2 , so heißt das Virus, und so ist das Virus, sich in irgendein Monster Ebola artiges Virus zu verwandeln. Oder in ein Masern artiges Virus, was eine explosionsartig höhere Verbreitungsgeschwindigkeit hat.

Tim Deisinger

Und es hüpft auch nicht wirklich.


Alexander Kekulé

Na ja, gut, das mit dem Hüpfen. Sie entschuldigen diese plastischen Bilder, in einer Vorlesung verkneife ich mir das immer. Aber es ist ja so die Vorstellung, wenn man sagt, es ist ansteckender, muss ich dann vielleicht mehr Abstand halten. Oder in USA gab es dann die Tendenz, dann haben wir gesagt, dann ziehen wir jetzt 2 Masken übereinander an und solche Sachen. Also wir müssen nichts an unseren Protokollen ändern, sondern wir müssen nur das, was wir sowieso entwickelt haben und da

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sind wir inzwischen Profis, wenn man sich die Fallzahlen in Deutschland anschaut, sind wir schon fast mit Weltmeister geworden. Beim Fußball ist noch nicht ganz klar ob sie das bei der Europameisterschaft hinkriegen. Aber mit den Fallzahlen sind wir doch echt gut. Und deshalb sage ich, lasst uns auf das besinnen, was wir jetzt entwickelt haben. Das ziehen wir jetzt durch und schauen nicht ständig, wie das Virus sich wieder irgendwie eine kleine Petitesse hat einfallen lassen und jetzt irgendetwas Delta plus heißt.

38:42 

Tim Deisinger

Okay zurück zu den ernsten Geschehnissen in Indien. Da gehen die Zahlen auf jeden Fall zurück, also die Zahl der gemeldeten Infektionen. Warum eigentlich?


Alexander Kekulé

Ja, das ist immer so ein bisschen unklar. Also die klassische Theorie ist, dass der Anteil der immunen Bevölkerung steigt. Dadurch findet das Virus weniger Opfer, und dadurch fällt dann R unter eins; 2 statistisch. Dass irgendwann jeder Infizierte weniger als einen weiteren infiziert, ansteckt. Und dadurch nimmt dann die Welle wieder ab. Wir wissen aber gerade seit dieser Pandemie, das der zusätzliche Faktor, der extrem wichtig ist, das Verhalten der individuellen selber ist. Also abgesehen davon, dass es diese Immunisierung der Bevölkerung gibt, die quasi bei Tieren ja genauso funktionieren würde, gibt es eben noch das spezifische Verhalten, das die Menschen, wenn diese Welle kommt, dann tatsächlich andere Kontakte meiden. Und wieviel da was in Indien ist, das wissen wir nicht genau. Also die Schätzungen sind unterschiedlich. Manche sagen, dass in Indien schon 70 Prozent der Bevölkerung immun sind. Natürlich in dem Fall nicht, weil sie geimpft wurden. Die Impfrate liegt irgendwie unter fünf Prozent auf jeden Fall, sondern weil sie die Krankheit durchgemacht haben. Andere sagen genesene sind höchstens 50 Prozent in Indien. Das kann doch nicht so einen massiven Herdeneffekt haben, dass die Welle wieder runtergeht. Und der

Rest, dass man da überhaupt so einen deutlichen Effekt sieht, dass die Welle auch dort wieder abnimmt, wäre Verhaltensänderungen der Bevölkerung. Aber was auch immer man macht, also das eine ist das Verhalten das andere, ist die Immunität. Im Ergebnis kommt eben dann raus, dass die Welle runtergeht. Und wenn sie dann erst mal runtergeht, macht es ja auch das eben wieder exponentiell, sodass wir in Indien jetzt quasi eine Welle sehen, die wieder zurückgeht. Wie überall, das sind immer diese Wellenbewegungen, die da entstehen.

Tim Deisinger

Und immer mehr der Corona beziehungsweise Covid-19 Kranken erkranken dort auch an einem Pilz. Ich mag es gar nicht beschreiben, was da genau passiert. Im Fernsehen werden die Erkrankten, die man da abfilmt, an den Stellen gepixelt, an denen die Krankheit wütet. Aber ich kann den Schwarzen Peter ja wieder mal zu ihnen schieben. Sie sind der Doktor beschreiben sie mal.


Alexander Kekulé

Ja, also, das ist der sogenannte schwarze Pilz. Black Fungus heißt es. Oder auch Muko. Das ist eigentlich ein Schimmelpilz. Der hängt in irgendwelchen Gebäuden rum. Ist eigentlich bei uns medizinisch kaum relevant. Also in meiner Vorlesung kommt der nur so am Rande vor, weil wir das so gut wie nie haben, dass wir Probleme haben. Diese Schimmelpilze. Die interessieren in Deutschland eigentlich mehr, so Gerichtsmediziner. Wenn so eine Leiche irgendwie ein Jahr lang im Wald gelegen hat, dann können sie an dem Pilzbefall feststellen, an welcher Stelle sie gelegen hat, wie lange sie dagelegen hat. Und dann gucken sie, wie sich dieser Pilz dann durch die Leiche durchgefressen hat. Und was macht dieser Pilz bei lebenden dann, wenn es dazu kommt, dass es zu einer Infektion kommt. Typischerweise Haut, Lunge, Darm, aber eben auch die Nebenhöhlen im Gesicht befallen. Das heißt also die Nasennebenhöhle hauptsächlich. Und wenn der da sitzt, breitet er sich aus und futtert sozusagen,

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ernährt sich von dem Fleisch und den Knochen, was sich um ihn herum findet. Und wenn man das nicht behandelt, und das ist in Indien extrem schwierig, das rechtzeitig zu behandeln, dann frisst er sich eben dann auch durch den Gesichtsknochen durch, nach außen mit den entsprechenden optischen zwischen Effekten. Und was in Indien das große Problem ist, der kann sich ja auch nach oben in die Augenhöhle fressen. Und da kommt es dann tatsächlich dazu, dass den Leuten dann quasi chirurgisch das eine Auge rausgenommen werden muss. Also, wenn man das so sagen darf, eine Krankheit, die man echt nicht haben will, die ziemlich gruselig ist und die bei uns therapierbar wäre. Wir haben Medikamente, mit dem wir das therapieren könnten. Aber Indien muss man sich so vorstellen, von diesen Erkrankungen sind höchstens 50 Fälle pro Jahr bisher überhaupt registriert worden. Das war völlig exotisch, dass es dazu kam, weil man eine echte Immunschwäche haben muss, quasi wie eine Leiche, damit dieser Schimmelpilz sich ausbreiten kann.

Tim Deisinger

Also im Normalfall, kann das Immunsystem darauf antworten und kann mit dem Pilz und locker umgehen.


Alexander Kekulé

Locker. Also, so ein Pilz ist im Vergleich zu Bakterien oder gar Viren ein einfaches Opfer fürs Immunsystem das ist ja eine Riesenzelle. Das ist ja eine, wie wir sagen eukaryonte Zelle also, das eine Zelle die einen richtigen Zellkern hat und so ähnlich funktioniert wie unsere eigenen und die normalerweise sich dem Immunsystem gegenüber verrät. Also quasi so, als wenn sie versuchen wollten, in einer Kleinstadt im Sattelschlepper unauffällig rumzufahren. Das geh einfach nicht. Weil das eben riesige Zellen sind, die da auftreten. Jetzt haben die in Indien über 30.000 Fälle registriert. Dunkelziffer riesig. 2 100 Todesfälle mindestens auch da die Dunkelziffer natürlich groß. Und das ist jetzt ein Riesenthema dort, weil die das kaum therapieren können.

Tim Deisinger

Aber sie sagten, dass man es therapieren kann. Man hört aber auch in Deutschland. Natürlich haben auch wir Kranke, also Covid-19 Kranke. Mann, hört aber auch nichts davon, dass die wegen dieses Pilzes behandelt werden müssen. Warum in Indien?


Alexander Kekulé

Ja, also darüber gibt es Theorien. Im Juni gab es bei dem quasi epidemiologischen Bulletin der amerikanischen CDC also, wie das Robert Koch-Institut hat (die CDC) so einen Bulletin, wo regelmäßig bekannt gegeben wird, was sich so epidemiologisch tut. Nicht nur bei dieser Erkrankung. Und das heißt bei den Amerikanern, heißt es MMWR, und in diesem Journal wurde das besprochen, welche Möglichkeiten es gibt, also der wahrscheinlichste Grund, woran das liegt, ist der, dass in Indien wahnsinnig viel Kortison gegeben wird, weil man zu wenig Sauerstoff hat. Also eigentlich ist die richtige Therapie bei einem Covid-Patienten, solange er jetzt noch nicht schwer krank ist und intubiert werden muss und so erst mal High-Flow-Sauerstofftherapie geben. Hohe Mengen Sauerstoff. Die allermeisten kommen damit über die Runden. Wenn man keinen Sauerstoff hat oder nicht genug davon hat, dann gibt man halt so ein bisschen was und zusätzlich Kortison, weil das in Indien überall vorhanden ist. Und die haben natürlich auch verstanden bis ins letzte Dorf, das Kortison wirkt, haben wir vorher noch drüber gesprochen. Deshalb geben die das massenweise, und das unterdrückt eben das Immunsystem. Zweitens sind die Krankenhäuser natürlich hygienisch im fürchterlichen Zustand, sodass ein Schimmelpilz da überall rumfliegt. Da würde ich aber sagen, dass ist nicht der Hauptgrund. Einer der Hauptgründe ist sicher, dass sie regelmäßig Kortison geben und dadurch das Immunsystem dieser Patienten geschwächt ist. Zusätzlich macht Kortison auch noch einen hohen Blutzucker. Und diese Pilze, die lieben es, wenn viel Zucker da ist, dann wachsen die besser. Ja, das ist für ihre für ihre Wachstumspläne Wachstumssituation günstiger.

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Tim Deisinger

Aber es klingt dann offenbar danach Sauerstoff würde helfen. Also, wenn man Indien irgendwie mit mehr Sauerstoff versorgen könnte.


Alexander Kekulé

Ja, wenn die Sauerstoff hätten, wäre es gut. Es ist übrigens, ich persönlich hab noch die Theorie, warum das gerade in den Nasenne-

benhöhlen da auftritt und warum das gerade bei dieser Erkrankung plötzlich in diesem massiven Verhältnissen da ist. Wir sehen diesen Mukor sonst bei Patienten, die Kortison geben, jetzt auch nicht so regelmäßig. Darum habe ich ganz persönlich als Mikrobiologe natürlich dann noch einmal so eine Spezialtheorie. Die ist völlig unbelegt. Aber ich will sie an der Stelle für die, die da Spaß haben, kurz erwähnen. Und zwar ist es so, wir wissen, dass dieser Mukor, das ist ein sogenannter dimorpher Pilz. Die können umschalten zwischen einem Zustand, wo sie quasi wie eine normale Zelle aussehen, so ähnlich wie eine Hefezelle und wie ein Schimmel und dann umschalten in den gefährlicheren Zustand, also der so fadenförmig wächst. Und dieses Umschalten, das wird durch Sauerstoff aktiviert, also nicht nur durch Zucker, sondern auch durch Sauerstoff aktiviert. Und da passiert es dann eben. Es ist eben die Möglichkeit, dass dieses Kortison plus die Behandlung mit Sauerstoff, die ja notwendig ist, dass das vielleicht dieses Umschalten auf diesen gefährlichen Zustand des Mukor macht, also das Immunsystem unterdrückt. Und der schaltet in diesen in fadenförmigen Wachstumszustand um. Man hätte den Indern natürlich helfen können, wenn die bessere Therapien haben würden. Und dazu müssten sie High-Flow-Sauerstofftherapie machen. Also sehr, sehr viel Sauerstoff in kürzester Zeit für jeden Patienten. Da braucht man pro Tag mehrere Flaschen von diesen Sauerstoffflaschen oder eben ein Sauerstoffgenerator. Da habe ich ja hier im Podcast mal dazu aufgerufen, dass man in Deutschland einfach alle Generatoren abbaut und hinschickt, um ganz schnell was zu machen. Ist leider nicht passiert. Es gab eine Riesenanlage, die wurde von der Bundeswehr

in Neu-Delhi errichtet. Es ist natürlich eine tolle Sache, aber das ist nur an einer Stelle ein Tropfen auf den heißen Stein. Und in der Fläche hilft es nicht, weil die viel zu wenig Flaschen haben, um das im Land zu transportieren. Und deshalb ist für mich die Lehre eigentlich, die wir aus Indien oder eine Lehre, die wir ziehen können. Wir wissen auch um solche Folgeerscheinungen dann wahrscheinlich von falscher Therapie. Also dieser schwarze Pilz ist wohl die Folge ärztlicher Therapiefehler. Um das zu verhindern, müssen wir einfach solchen Ländern, die dann die nächsten Ausbrüche haben, in großer Menge Sauerstoffgeneratoren zur Verfügung stellen.

48:16

Tim Deisinger

Stichwort solchen Ländern. Gibt ja auch welche, die sind noch schlechter aufgestellt als Indien, als wenn man mal auf den Kontinent daneben in Anführungszeichen schaute. Große Teile Afrikas, wo in weiten Teilen eine Impfkampagne noch nicht mal begonnen hat, fürchten sie also, dass sich das, was in Indien passiert, in Afrika wiederholt.


Alexander Kekulé

Die Weltgesundheitsorganisation warnt im Moment davor also das ist sozusagen die offizielle Linie, dass das befürchtet wird. Wir wissen es nicht ganz genau. Afrika hat natürlich so den Vorteil, dass die Bevölkerung jünger ist, dass es eher warm ist. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch in Indien das Thema, das die Bevölkerung jung ist. Und wir wissen nicht genau, warum das in Indien so gewütet hat. Letztlich deshalb ist es meines Erachtens das Szenario, was die Weltgesundheitsorganisation hat, dass es in Afrika jetzt quasi ein zweites Indien geben könnte. Das ist nicht unwahrscheinlich. Und gerade dadurch, dass das Virus sich ja jetzt einen Tick schneller auch ausbreitet. Durch diese Varianten kommt es halt schon drauf an. Wer ist schon geimpft und wer ist wie schnell geimpft, wie sie es richtig sagen in Afrika? Ich glaube, insgesamt haben die unter 2 Prozent Impfungen. Und es gibt ein paar Länder, die kommen so Richtung vier Prozent. Aber das

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ist alles weit von dem weg, dass man irgendwie einen Herdenschutz erzeugen könnte, sodass ich meine, was wäre denn jetzt das konsequente, was man machen würde? Man weiß es nicht. Aber was wäre gut jetzt zu machen? Also, mein Vorschlag ist quasi der gleiche wie in Indien. Was dort nicht gemacht wurde, wenn wir in großer Menge solche Sauerstoffgeneratoren zur Verfügung stellen. Das sind einfach kleine Maschinen, die sind so groß wie so ein nicht sehr großer Schrank. Wie so ein Regal, im Grunde genommen. Und die können auch 2 oder drei Leute zusammentragen. Und die können so ein kleineres Krankenhaus da mit Sauerstoff versorgen. Wenn man solche Geräte in großer Menge hat oder zumindest einen Alarmplan hat, dass jemand die dann schnell aktivieren kann. Die könnte man in Deutschland aus allen möglichen Krankenhäusern mal schnell ausbauen. Weil bei uns gibt es ja die Versorgung mit der Flasche quasi. Das können sie quasi bestellen und kriegen das innerhalb von zwölf Stunden dann von den großen Firmen bei uns geliefert. In Afrika oder Indien geht es nicht. Die brauchen die Generatoren. Deshalb, weil man den natürlich nicht schnell genug konstruieren kann, nicht schnell genug bauen kann, meine ich, muss man einen Alarmplan haben, wie man in solche Länder dann in großer Menge sehr schnell sehr viele Sauerstoffgeneratoren bringen kann.

Das ist wichtiger als die Beatmungsgeräte. Also das mit den Beatmungsgeräten. Das ist ja gemacht worden. Zum Teil. Da hat man dann Reserven der Bundeswehr eingepackt und hingeschickt. Aber was wollen Sie mit dem Beatmungsgerät, wenn sie keinen Sauerstoff haben? Und bei der Behandlung der Patienten ist die erste Stufe immer High-Flow-Sauerstofftherapie. Große Mengen Sauerstoff durch eine normale Nasensonde durch so einen Nasen Zwicker, den man da hat oder eine kleine Maske. Und erst wenn es den Patienten richtig dreckig geht, wird er irgendwann intubiert und maschinell beatmet. Aber für beides braucht man eben den Sauerstoff. Und wenn der nicht da ist, das haben wir in ihr übrigens in Brasilien

auch gesehen. Da im Amazonas, wenn der fehlt, dann ist einfach Land unter.

0:51:2 5

Tim Deisinger

Okay, wir sind schon weit fortgeschritten. Wieder mit der Zeit kommen wir zu den Hörerfragen, die allermeisten beziehen sich derzeit aufs impfen. Ist ja auch ein bisschen nachvollziehbar. Zum Beispiel diese hier:

O-Ton

Ja, hallo. Und zwar steht eine Impfung an. Ich bin 68 und habe aber chronische Borreliose und wollte mal fragen, ob das ratsam ist, dass man sich dann impfen lässt.


Alexander Kekulé

Ja, also kann man auf jeden Fall machen. Gibt keinen Grund, das nicht zu machen. Die Borreliose ist eine bakterielle Infektion, die wird normalerweise mit Antibiotika behandelt. Man sollte jetzt nicht nach dem Motto ich habe eine chronische Borreliose sagen: damit habe ich mich abgefunden, sondern man sollte schon versuchen, das macht die Hörerin sicher auch so, das zu therapieren. Und es ist ganz klar, dass die Antibiotikatherapie überhaupt kein Grund ist, sich nicht impfen zu lassen.

Tim Deisinger

Dann die nächste Frage. Auch die zum Impfen.

O-Ton

Guten Tag. Mein Sohn, 2 6 Jahre alt, hat sich ein Weisheitszahn rausoperieren lassen und muss sich auch noch einen zweiten operieren lassen. Und am selben Tag soll er eine zweite Impfung mit Moderna bekommen. Meine Frage an Sie: sollte er es an einem Tag machen oder spricht was dagegen, eine OP und eine Impfung am selben Tag zu bekommen. Vielen Dank und auf Wiederhören.

Tim Deisinger

Tja, das möchte ich auch nicht durchmachen.

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Alexander Kekulé

Also ich würde die OP verschieben, weil normalerweise ist es mit den Impfungen ja so, dass man, wenn man da nicht zum Termin geht, nicht weiß wann man das nächste Mal was kriegt und die Weisheitszähne rausnehmen. Das klingt jetzt nicht so, als wäre das quasi ein Notfall. Deshalb würde ich die OP nicht am gleichen Tag machen. Nicht weil die Impfung deswegen nicht wirkt. Natürlich kann man das machen. Aber warum soll man sich diese Doppelpackung geben?

Tim Deisinger

Vielleicht tut es weh im Mund.


Alexander Kekulé

Ja, natürlich. Also bei mir wurde auch schon mal so ein Weisheitszahn rausoperiert. Da ist man dann von sich aus erst mal hinterher, nicht im besten Zustand ein, 2 Tage lang. Manche jammern auch länger und lassen sich dann eine Woche lang krankschreiben. Das gibt es auch. Und nach der Impfung kann es gerade bei jüngeren Menschen natürlich sein, dass die dann mal einen Tag oder 2 nicht mehr auf einem Dampfer sind. Und deshalb würde ich mir jetzt nicht beides an einem Tag geben. Man muss sich ja nicht quälen.

Tim Deisinger

Dann eine Frage per Mail von Alex junge Mutter, der älteste Sohn 15. Im Alter von drei Jahren wurde bei ihm das Kawasaki-Syndrom festgestellt. Behandlung mit Immunglobulin erfolgreich, seit zwölf Jahren unauffällig. Nun hat sie gelesen, dass bislang 16 Todesfälle vorgekommen sind bei unter 18-Jährigen. Bei zwölf davon gab es Vorerkrankungen, unter anderem rheumatische, und sie liest das alle, so, dass möglicherweise auch das Kawasaki-Syndrom darunter fällt. Die Fragen: hat der Sohnemann eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf, und würden sie deswegen eine Impfung empfehlen? Oder würden Sie unter den genannten Umständen davon abraten.


Alexander Kekulé

Ui das ist jetzt echt schwierig, weil es da wenig

Daten gibt. Also wir haben ja dieses Multi-Inflammations-Syndrom bei Kindern. MIS-C das ist eine extrem seltene Erscheinung. Die sieht aber so ähnlich aus wie Kawasaki, als wir das hier im Podcast zum ersten Mal besprochen haben. Vor langer Zeit habe ich sogar noch gesagt das ist eine Art Kawasaki-Syndrom, das bei Covid Infizierten Auftritt. Inzwischen weiß man, dass es ein eigenes Krankheitsbild ist, was extrem selten ist. Wenn jemand, der vorher Kawasaki, also das klassische Kawasaki hatte, also das muss man vielleicht noch mal erklären, eine Autoimmunerkrankung, die im Kindesalter typischerweise vorkommt, wo Gefäße betroffen sind, also Blutgefäße betroffen sind. Und wenn es blöd läuft, ist es so, dass es eben zur Entzündung von Gefäßen am Herzen kommt, sodass die dann tatsächlich im schlimmsten Fall Herzversagen und Ähnliches bekommen können. Meistens, wenn man es rechtzeitig therapiert, es ist wichtig, dass rechtzeitig zu erkennen und zu therapieren. Und die Kinderärzte kennen das Syndrom auch, obwohl es selten ist, meistens kann man das verhindern. Die Patienten werden dann wieder gesund. Ob dann so jemand, das ist ja eine ganz kleine Gruppe von Menschen, die Kawasaki hatten. Ob dann so jemanden erhöhtes Risiko hat, wenn er hinterher Covid bekommt. Also, ich würde mal sagen, es ist nicht auszuschließen, weil natürlich der Immun-Mechanismus wahrscheinlich so ähnlich ist wie bei dem MIS-C. Wie bei diesenm Multi-inflammation-Syndrom. Es gibt die eine Theorie. Man könnte sagen na ja, wer es einmal hatte, da hat das Immunsystem sozusagen sich schon ausgetobt und gelernt, dass es das nicht noch mal macht. Oder es gibt die andere Theorie. Da ist irgendetwas genetisches. Das kann noch einmal passieren. Da gibt es definitiv bisher keine Daten zu, weil das einfach viel zu wenige Fälle sind. Ich würde wahrscheinlich im Zweifelsfall in so einer Situation auf die Impfung gehen. Also ich würde in so einer Situation als Vater würde ich wahrscheinlich sagen, ich lass da impfen, weil das auf jeden Fall im Vergleich zur Infektion das wesentlich geringere Risiko ist. Sollte man vielleicht mit dem Arzt besprechen, gibt ja viele

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Kinderärzte und auch einige, die spezialisiert sind, richtig auf solche Autoimmunerkrankungen. Wenn der Arzt dazu rät, dann würde ich Richtung Impfung gehen.

Tim Deisinger

Dann ein ich sage mal besonderer Fall in Bezug darauf, wie die Frage zustande kam, will ich jetzt mal ganz kurz erzählen. Ein junger Mann Anfang 2 0 will anonym bleiben, spricht auf unseren AB und bricht dann nach einer Minute ab. Ich hatte das Gefühl aber, dass er seine Frage eigentlich unbedingt loswerden möchte. Also habe ich ihn zurückgerufen. Wir haben uns einige Zeit unterhalten, und er hat mir seinen Fall geschildert, meinte aber, dass er damit eigentlich nicht der Allgemeinheit zur Last fallen möchte. Dann habe ich ihm gesagt darum soll er sich mal keinen Kopf machen. Und ich fasse das mal kurz zusammen. Er hatte alle paar Wochen ein Kribbeln an der Schläfe, so für etwa 2 0 Minuten. Dann gab es eine erste Impfung mit BioNTech, keine großen Nebenwirkungen. Zehn Tage später dann wieder dieses Kribbeln an der Schläfe, dass sich dann aber ausgeweitet hat bis zum Hinterkopf, als Dauererscheinung. Er war beim Hausarzt, hat MRT machen lassen und so weiter und so fort. Mittlerweile ist wieder fast verschwunden, tritt nur noch manchmal auf, und er hat nur die Frage Mensch, was ist das? Ist, dass jetzt psychosomatisch, was seine Vermutung und Hoffnung ist. Oder er kann es auch sein, dass es eine eventuell auch angestoßene Autoimmunerkrankung ist. Die Ärztin möchte sich da nicht festlegen, will Neurologen hinzuziehen. Aber das hilft ja dem jungen Mann nicht bei seinen schlaflosen Nächten, wenn er da hin und her grübelt.


Alexander Kekulé

Also wir wissen, dass diese neurologischen Erscheinungen das Kribbeln anders. Manche haben Kribbeln an der Schläfe, manche haben Kopfschmerzen, die da kommen können, bis hin zur Migräne. Was bekannt ist, die sind schon gekoppelt mit immunologischen Geschehen. Also wir wissen zum Beispiel, dass bei solchen Patienten zum Teil auch diese Zytokine

erhöht sind im Anfall also, dass man dann sieht, dass das Immunsystem irgendwie arbeitet. Aus Gründen, die man nicht genau versteht. Das ist die eine Seite. Also es kann was Immunologisches dabei ist, das andere ist, das natürlich diese Sachen ganz oft auch überlagert sind von Ängsten, die man hat, dass man Angst davor hat, dass das wiederkommt oder dass es kurz vor einer Prüfung kommt oder dass man deshalb nicht schlafen kann und am nächsten Tag nicht fit ist. Das ist die Kunst des guten Neurologen oder Neuro-Facharzt für Nervenleiden im Allgemeinen, der dann noch zusätzlich Psychiater ist, das auseinanderzuhalten. Das kann man so in dem Podcast quasi nicht genau analysieren. Also, es gibt beide Varianten. Aber ich höre da raus, die gute Nachricht ist, es ist irgendwie und sowieso auf dem Weg der Besserung. Und darum finde ich immer das Wichtigste, wenn Symptome wieder weg sind und man nicht jetzt was ganz typisches hat, was nicht nach Herzinfarkt aussah oder nach Krebs riecht, dann würde ich sagen so irgendwo ein Kribbeln. Wenn's wieder weg ist, ist es weg. Auf Wiedersehen.

Tim Deisinger

Aber dann steht die zweite Impfung vor der Tür und man fragt sich natürlich was mache ich jetzt?


Alexander Kekulé

Nein, impfen lassen. Das wird dann, wenn es dann wiederkommen sollte, wird es danach auch wieder weggehen. Also ich würde auf keinen Fall deshalb jetzt die Impfung abbrechen, weil da mal was gekribbelt hat.

Tim Deisinger

Okay, zum Schluss noch die Frage einer Dame. Ich habe ich den Eindruck, dass man da vielleicht erst mal sagen muss, dass das, was sie sich ausgedacht hat, keine gute Idee ist. Aber sie sind Experte. Vielleicht sehen Sie es ja völlig anders. Wie folgt. Ich zitiere: In den öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen hin und wieder Fahrgäste ohne Maske oder Fahrgäste, die die Maske unter der Nase tragen. Wenn man

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selbst eine FFP2  Maske trägt, würde es zusätzlich helfen, einen Handfächer zu benutzen, um mögliche Coronaviren von anderen Fahrgästen weg zu wedeln. Oder wäre das kontraproduktiv, würde man sich damit vielleicht erst recht herumschwirrende Viren durch die seitliche Durchlässigkeit der Maske hinein wedeln? Würde man geeignete Viren zu anderen in wedeln? Besten Dank.


Alexander Kekulé

Das Wichtigste ist ich glaube, man sollte nicht zu viel Gedanken machen über dieses Thema. Ja, dass der der Handfächer bringt nichts. Also, das ist ein Luftquirl, der im Grunde genommen für Infektiologie keinen Vorteil hat. Höchstens im Sommer, wenn es warm ist, kann ich mir schon vorstellen, dass man mit so einem Fächer vielleicht besser bedacht ist. Das Wichtigste ist, wenn man jetzt wirklich sich schützen will, dass die Maske dicht ist. Also das war ja so einem Halbsatz drinnen für den Fall, dass an der Maske die Luft noch vorbeigeht. Das kann man ja steuern. Man muss halt die Maske besorgen, die wirklich dicht ist. Da gibt es ja auch solche, die über der Nase so eine Art Kautschukband haben, was dann halbwegs schließt und nicht nur so Metallbügel. Und wenn man eine FFP-Maske hat, die dicht ist, das sieht man übrigens daran, dass beim Einatmen sich regelmäßig dann die Seitenteile nach innen ziehen. Dann ist alles in Ordnung. Dann braucht man keinen Fächer und auch keine Angst.

Tim Deisinger

Okay, damit sind wir durch. Das war's für heute und von mir erst einmal. Samstag dann, wie anfangs schon erwähnt es 

Camillo Schumann

 wieder hier, um den Professor zu löchern. Vielen Dank, Herr Kekulé von mir.


Alexander Kekulé

Danke Ihnen, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Und wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, unter: 0800 300 2 2  00. Kekulés

Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek, bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube, auf mdr.de und überall da, wo es sonst Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 2 2 . Juni 2 02 1 #198

Tim Deisinger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


time: 14:00

Lockdowns immer nur nach falschen oder zu späten politischen Vorschriften


time: 2 9:10

wir haben in Deutschland vieles zu spät und zu langsam gemacht


Links zur Sendung:

Zu den Auswirkungen auf das Gehirn:

Brain imaging before and after COVID-19 in UK Biobank | medRxiv

Risiko Geburtstage

Assessing the Association Between Social Gatherings and COVID-19 Risk Using Birthdays | Public Health | JAMA Internal Medicine | JAMA Network

Dienstag, 2 2 . Juni 2 02 1

Ausgabe 198 unseres Podcasts, unter anderem mit folgenden Themen:

Einmal Kindergeburtstag feiern und schon infiziert? Eine Studie hat untersucht, ob es in Haushalten, in denen Geburtstage anstanden, häufiger Coronainfektionen gab als in Haushalten ohne Geburtstag. Im Hinterkopf hat man natürlich, dass diese Geburtstage, wenn auch kleiner als vielleicht gewohnt, gefeiert wurden.

Und: Es gibt genauere Erkenntnisse darüber, wie Sars-CoV-2  Gehirne verändern kann. In Großbritannien hat man dazu Gehirnscans von vor der Pandemie verglichen mit Scans nach einer Corona-Infektion.

Tim Deisinger

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Heute und am Donnerstag sozusagen mal die Aushilfe, Vertretung für 

Camillo Schumann

, dem einfach auch mal ein paar Tage Urlaub gegönnt seien. Ob er vielleicht in ein Delta-Variantengebiet gereist ist,

was ich jetzt nicht glaube, kann er dann am Samstag erzählen. Pünktlich zur Ausgabe 2 00 ist er dann wieder da. Und dann kann Herr Kekulé ihn auch entsprechend rüffeln. Oder eben auch nicht. Wir wollen helfen, aktuelle Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus zu verstehen und einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Einschätzungen holen wir ein – wie immer – beim Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Tag, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Deisinger.

01:32 

Tim Deisinger

Herr Kekulé, wie falsch ist es, wie bedenklich oder wie egal, auch in einem Deltagebiet Urlaub zu machen? Warnungen davor hören wir ja nun immer öfter.


Alexander Kekulé

Ja, also ich glaube, Urlaub im Delta-Gebiet ist möglicherweise deshalb schädlich, weil man, wenn man zurückkommt, natürlich aus einem sogenannten Virusvarianten-Gebiet dann kommt und das hat ja zur Folge, dass man in die Quarantäne muss – ohne Wenn und Aber. Das ist grundsätzlich auch richtig, zumindest bisher richtig gewesen, weil die Delta-Variante breitet sich schneller aus als die bisherigen. Und das will man natürlich jetzt nicht zusätzlich noch als Problem haben, gerade weil wir ja in so einer Öffnungsphase sind. Und deshalb ist es am Anfang so einer Ausbreitung sinnvoll, das einzuschränken, also Quarantäne zu machen für Rückkehrer. Wir sind in Deutschland jetzt – ich glaube so sechs Prozent oder so ist die aktuelle Zahl der Anteile von der Delta-Variante an den Neuinfektionen. Tendenz stark steigend. Wir sehen überall auf der Welt, dass sich dieser Anteil der Delta Variante meistens innerhalb von 2 Wochen verdoppelt oder verdreifacht. Das heißt, wir kommen jetzt in eine Phase, wo man eigentlich dann sagen kann, wir sind demnächst auch Variantengebiet. Und dann macht es natürlich auch nicht mehr so viel Sinn, Einreise-Quarantäne zu machen. Und wenn Sie mich also dann quasi in vier bis sechs Wochen nochmal fragen, würde ich wahrscheinlich sagen, sie können überall Urlaub machen, weil wir selber sind sozusagen das Risiko.

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02 :59

Tim Deisinger

Klingt aber fast danach, als ob man sich privat auch jetzt eigentlich kein schlechtes Gewissen machen muss, wenn man jetzt in Quarantäne geht, dass man da vielleicht derjenige ist, der diese Delta-Variante mit einschleppt. Also, klingt so, als ob das eine Sache ist, die jetzt sowieso kommt.


Alexander Kekulé

Ja, die ist schon da. Entschuldigung, falls ich mich wiederholen sollte, aber ich glaube – das habe ich ja schon ein paar Mal gesagt – dass diese Delta-Variante hier auch dominant werden wird. Das ist ganz normal. Die Viren rennen, treten quasi gegeneinander an in so einer Art Zwergenrennen. Und wenn da einer ein bisschen schneller als der andere ist – bei dieser Unzahl von Viren, die da quasi im Wettbewerb stehen – dann setzt er sich ganz, ganz schnell durch. Und deshalb sage ich eigentlich immer, wir sollten jetzt nicht panisch werden, weil eine neue Variante kommt. Das ist nicht so, dass die Varianten das Problem sind. Das galt für die sogenannte Alpha-Variante, also B.1.1.7 aus Großbritannien genauso wie die jetzt viel diskutierte Delta. Und wer weiß, was da sonst noch kommt. Das Virus verändert sich halt ständig und das Virus, ja, passt sich an an den Menschen. Das kam ja ursprünglich mal aus der Fledermaus und ist sozusagen hier neu. Und so, wie Sie im Ausland irgendwie, wenn Sie da länger sind, die Sprache lernen, so lernt dieses Virus eben, sich mit dem menschlichen Immunsystem zu verständigen und es hier und da auch mal auszutricksen und eben auch schneller Menschen zu infizieren, effizienter zu infizieren. Das heißt aber nicht, dass das deshalb irgendwie ein Horrorvirus, Killervirus oder Ähnliches ist, wie man das oft hört, sondern es ist der gleiche Erreger wie vorher. Und die gleichen Maßnahmen, die vorher gewirkt haben zur Eindämmung der Covid-Pandemie, die wirken natürlich auch gegen die neuen Varianten.

04:40

Tim Deisinger

Das klingt bei Ihnen immer so normal. Ich weiß, dass Sie das auch schon seit Ewigkeiten erzählen, mit den Varianten und so weiter und sofort, dass das alles sowieso kommt. Manch

einer wird sich fragen: Ja Mensch, in welcher Welt lebt denn da der Herr Kekulé? Und in welcher Welt leben Politiker? Wenn Sie da ein bisschen in die Politik reinhorchen, da ist ja teilweise wieder richtig Alarm.


Alexander Kekulé

Ja, nicht nur teilweise. Also, ich hatte mich ganz am Anfang ein bisschen lustig gemacht vor vielen Monaten über die Politiker, die, als dann die Alpha-Variante damals aufgetreten ist – das war ja so die erste, die gründlich untersucht wurde im Vereinigten Königreich – da hat Boris Johnson dann gesagt: Oh, oh, die neue Variante hat uns hier quasi überrascht und die ist jetzt schuld, dass die Fallzahlen hochgehen. Aber nicht dazu gesagt, dass es vorher so war, dass er quasi alles aufgemacht hat, was man nur öffnen konnte. Und in dieser Situation hätten sich natürlich auch jeder andere Subtyp oder jede andere Variante von diesem SARS-CoV-2  Virus durchgesetzt. Eine ähnliche Situation hatten wir in Portugal, als dann dieser Ausbruch kam. Die hatten halt an Weihnachten sich lockergemacht. Und im Gegensatz zu den Deutschen, die ja da sehr vernünftig waren. Und in Portugal gab es dann einen Riesenausbruch mit dieser Alpha-Variante. Also, es ist ganz normal, dass, wenn Sie quasi bei einer Infektionskrankheit aufeinanderfolgende Wellen haben – solche Wellen sieht man ja auch bei anderen Viruserkrankungen. Und bei diesen Wellen ist es typischerweise so, dass die aufeinanderfolgenden Wellen nicht durch identisch gleiche Viren erzeugt werden. Auch, wenn es der gleiche Name ist. Auch, wenn wir das als gleiche Spezies quasi bezeichnen würden, haben die sich minimal verändert, weil sie auf diese Weise eben einen Teil der bereits Infizierten nochmal anstecken können. Die Krankheiten verlaufen dann meistens weniger schwer, weil die Bevölkerung ja nicht mehr, wie wir sagen, immunologisch naiv ist. Ja, und für die Politiker? Warum sagen die was Anderes? Die sagen deshalb was Anderes, weil das natürlich die perfekte Ausrede ist. Wenn ich jetzt ganz aktuell daran denke, der Bürgermeister von Moskau ist gerade mein Liebling. In Moskau haben sich die Fallzahlen in 2 Wochen gerade verdreifacht. Die haben im Moment allein in Moskau 10.000 Fälle pro Tag. Also, ich glaube, so 12  Millionen Einwohner ungefähr. Und Sobjanin, der Bürgermeister, der

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hat eben gesagt: Ja, wir werden hier von der Delta-Variante heimgesucht. Delta klingt auch besonders klasse, weil das ja im NATO-Alphabet vorkommt. Alpha, Bravo, Charlie, Delta. Deshalb gibt es ja immer so Delta-Force, das klingt dann wie etwas ganz Ultragefährliches. Weiß nicht, ob das so eine tolle Idee von der WHO war, jetzt ausgerechnet diesen Namen zu nehmen. Und das sagen alle, ja. Also, es gibt ja noch einen entfernten Namensverwandten von unserem Jogi Löw. Der heißt Jokowi, ist bekanntlich Präsident in Jakarta von Indonesien. Joko Widodo. Heute wird es ähnlich genannt. Also, Jokowi heißt der. Und der hat auch gerade, weil in Jakarta die Fallzahlen hochgehen, gesagt, es ist die Delta-Variante. Aber jeder weiß natürlich, dass die gleichen Politiker vorher entweder keine Restriktionen eingeführt haben oder meistens Lockerungen gemacht haben. Und ich hoffe sehr, dass wir in Deutschland, oder habe es eigentlich gehofft, dass wir in Deutschland nicht auf dieses relativ primitive Narrativ verfallen. Man muss auf der anderen Seite sagen: Ja, das breitet sich einen Tick schneller aus. Das haben wir hier im Podcast schon mal besprochen. Also, die Infektionswahrscheinlichkeit zum Beispiel in einem Haushalt, wenn einer Delta hat, im Gegensatz zu Alpha, die ist ungefähr 40 Prozent höher statistisch gesehen. Zumindest haben die Briten das ausgerechnet. Es gibt keine Daten dafür, dass das Delta wirklich gefährlichere Infektionen macht. Immer wieder Behauptungen, dass es so sei. Die Chinesen haben gerade in Guangzhou einen Riesenausbruch unter Kontrolle gebracht, auch mit dem Delta und sagen: Oh, das war besonders gefährlich. Wahrscheinlich auch, um zu zeigen, wie toll sie das kontrolliert haben. Aber man muss immer aufpassen, dass da sozusagen die kalten wissenschaftlichen Daten nicht mit politischen Intentionen so ein bisschen überlagert werden.

08:55

Tim Deisinger

Der ein oder andere Politiker hierzulande erwartet aber neben dem ganzen Alarm auch noch, dass es dann wieder neue Einschränkungen geben könnte nach dem Sommer. Heißt das dann also, das gleiche Spiel nochmal wie im letzten Herbst und Winter?


Alexander Kekulé

Ich fürchte ja. Und zwar, weil wir nicht schnell genug mit dem Impfen sein werden. Also, ich glaube, inzwischen gibt es ja keine Politiker mehr, die jetzt optimistische Vorhersagen machen, dass wir durch Impfungen im Herbst so etwas wie eine Herdenimmunität bekommen. Ich finde es auch gut, dass dieser unsägliche Ausdruck so ein bisschen aus dem öffentlichen Vokabular verschwunden ist, so mehr oder minder oder zumindest seltener geworden ist. Es gibt einen Herdenschutz, aber es wird bei diesem Virus aus verschiedenen Gründen keine Herdenimmunität geben. Der Wichtigste ist, dass es eben ständig neue Varianten gibt, die aus dem Ausland zu uns kommen. Und die können eben auch Geimpfte und Genesene nochmal infizieren. Auch wenn die – das kann man nicht oft genug sagen – dann eben eine leichte Erkrankung in der Regel bekommen. Das heißt, diese Erkrankung ändert ihr Gesicht im Laufe der Monate jetzt. Und es wird so sein – klar, die Prognosen sind ja eindeutig. Wir haben im Herbst nicht genug Menschen geimpft. Vielleicht war es auch nicht so geschickt, dass man eben unbedingt alle zweimal impfen wollte. Sonst hätte man quasi doppelt so viele. Also, jetzt mal den Johnson & Johnson-Impfstoff außen vor, der nur einmal gegeben wird. Aber grundsätzlich, wenn man jeden erstmal einmal impft, hat man natürlich doppelt so viele Menschen zumindest teilweise immunisiert, als wenn man darauf besteht, dass diese doppelte, zweifache Impfung sein muss. Und dann hätten wir mehr, dann wären wir jetzt schon bei 70 Prozent irgendwo, oder etwas höher sogar. Und jetzt sind wir eben im Bereich, ich glaube, 50 Prozent der Deutschen ungefähr sind einmal geimpft.

10:43

Tim Deisinger

Und dann hätten wir vielleicht heutzutage wieder höhere Ansteckungsraten. Also, wenn wir nach Großbritannien schauen, da hat man ja einmal geimpft und da gehen die Zahlen wieder nach oben.


Alexander Kekulé

Ja, aber nicht bei den Geimpften. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ja, genau was Sie sagen wird übrigens genauso, wie Sie es gerade ge-

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sagt haben, wird es unter Fachleuten diskutiert. Also, Großbritannien hat zum Teil – am Anfang zumindest, da hatten sie noch nicht so viel Impfstoff – da haben sie einmal geimpft erstmal. Die USA haben das nicht so gemacht auf Empfehlung der CDC, was ja dann auch quasi Blaupause für Deutschland war. Und da hat das Robert Koch-Institut gesagt: Nein, wir wollen zweimal Impfung sehen, so wie CDC das auch empfiehlt in den USA. Und jetzt diskutieren die gerade so, was war jetzt der bessere Weg? Aber wenn man sich das genauer anschaut, kommt man eigentlich immer zu dem Ergebnis: Die Delta-Variante, genauso wie alle anderen – und darum bin ich eigentlich dagegen, so auf die Varianten zu starren. Also wir Fachleute müssen das machen. Aber im öffentlichen Diskurs ist es nicht so wichtig. Die DeltaVariante, die breitet sich eben aus bei den Menschen, die gar nicht geimpft sind. Also, da ist es relevant. Also, bei den Altersgruppen, die bisher nicht geimpft sind. Das sind eher jüngere Menschen, Schüler, Kinder. Und wenn man dann in den Herbst schaut, dann müssen sie gar nicht Delta dazu sagen. Egal, welches Virus da unterwegs ist, das ist in jedem Fall natürlich sehr ansteckend. Und sie müssen die Schulen wieder aufmachen. Und sie haben eine Beschleunigung des Infektionsgeschehens, die ganz massiv ist durch die kühle Jahreszeit. Und deshalb kann man vorhersagen, dass man, da wir ja bis dahin natürlich nicht geimpft sein werden insgesamt und auch insbesondere bei den Jüngeren noch nicht – der Impfstoff wird ja auf keinen Fall unter zwölf Jahren zugelassen sein und ist ja jetzt auch noch nicht empfohlen für Kinder und Jugendliche. Und deshalb sage ich: Wir müssen uns im Herbst wirklich darauf vorbereiten, dass wir die Schulen aufmachen. Das finde ich ganz wichtig. Und jetzt haben wir nun wirklich, ich sage, fast genau das Gleiche wie vor einem Jahr. Jetzt haben wir nun wirklich genug Zeit, das bis zum Herbst mal zu arrangieren, dass wir dann mit den üblichen Maßnahmen halt – außer der Impfung – einen halbwegs sicheren Schulbetrieb gewährleisten.

12 :42 

Tim Deisinger

Wäre das das Einzige oder gibt es noch andere Dinge, mit denen man sich auf die Lage dann im Herbst und im Winter vorbereiten muss?


Alexander Kekulé

Es sind letztlich aus meiner Sicht mal so drei Dinge. Das eine ist die Schule, das ist ganz klar. Das Zweite ist, dass wir nach wie vor das Thema Arbeitsplätze noch nicht abgehakt haben. Da hat uns ja das Sinken der Fallzahlen sozusagen überholt. Und das ist ja eine ganz tolle Entwicklung, dass wir jetzt in so einen Bereich kommen, wo Sommer plus vernünftiges Verhalten plus Impfung jetzt auch erstmalig den Effekt machen, dass die Inzidenz so in den Keller geht. Sodass wir letztlich an den Arbeitsplätzen noch nicht alles getan haben, um – falls die Inzidenz wieder hochgeht – an solchen Arbeitsplätzen, wo die Menschen nicht geimpft sind, das dann mit konventionellen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Also, das müssen wir machen. Und das dritte, was ich wichtig finde, ist einfach das Allgemeine, sage ich mal, die Ansage an die Bevölkerung. Also, letztlich kommt es ja auf das Mikroverhalten des Einzelnen an. Was der privat macht, zum Beispiel bei Geburtstagsfeiern. Da werden wir noch drüber sprechen heute. Und deshalb muss man den Leuten einfach sagen – und das machen die Politiker ja auch richtigerweise – es ist noch nicht vorbei. Wir können uns jetzt im Sommer vielleicht mal ein bisschen entspannen. Aber im Herbst werden wir weiterhin Anstrengungen unternehmen müssen, und zwar auch jeder in seinem eigenen Bereich. Und wir können da nicht völlig unvernünftig Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen machen.

14:09

Tim Deisinger

Nun weiß ich, dass Sie natürlich keine Glaskugel haben, aber jeder fragt sich natürlich, wenn man auf den Herbst und den Winter guckt: Lockdowns, wird es das nochmal geben?


Alexander Kekulé

Also, meines Erachtens waren Lockdowns überall – also, diese kompletten Lockdowns – überall immer dann notwendig, wenn die Politik vorher zu spät reagiert hat oder falsch reagiert hat. Das kann man an jedem Einzelfall nachdokumentieren, beweisen, warum es so ist. Ich habe ja in meinem Buch ein ganzes Kapitel darüber auch geschrieben. Also, es ist so, dass man, wenn wir jetzt klug und vernünftig

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sind und die Instrumente, die wir ja jetzt endlich in der Hand haben – wir haben ja jetzt die Masken allgemein verfügbar, wir haben die Schnelltests verfügbar. Wir haben jetzt endlich sogar – seit einigen Wochen ist jetzt sogar in dieser Corona-App, von der ich ja bisher nicht so viel gehalten habe – jetzt diese Superfunktion eingebaut, dass man quasi jede private Party damit absichern kann. Also, absichern nicht im engeren Sinne, aber dokumentieren kann intern. Man kann quasi da registrieren, dass man eine Veranstaltung hat. Die Leute, die kommen, scannen sich mit ihren Handys da irgendwie ein. Und falls einer positiv ist, meldet er das hinterher und es wird dann nur in dieser Blase quasi kommuniziert, dass da jemand dabei war, der hinter positiv getestet wurde, ohne das irgendwie am nächsten Tag die Polizei oder das Gesundheitsamt auf der Matte stehen. Das finde ich ein super Feature, um es mal so zu sagen. Und mit diesen ganzen Instrumenten – wir haben jetzt ein tolles Instrument der Nachverfolgung zusätzlich, die Gesundheitsämter sind sehr schnell, wir haben die Schnelltests am Start, wir wissen alle, wie man mit den Masken umgeht. Und wir haben hoffentlich alle verstanden, dass geschlossene Räume, wo sich die Luft nicht bewegt, mit vielen Menschen sozusagen ganz schlecht sind bei Corona. Ich glaube, dass wir damit ohne Lockdowns durchkommen. Würde mich echt wundern, wenn wir die nochmal brauchen. Ich glaube auch, die Bevölkerung ist jetzt nun endgültig sauer gefahren und würde das wahrscheinlich auch gar nicht mehr mitmachen.

16:08

Tim Deisinger

Habe ich Sie richtig verstanden? Sie installieren die Corona-Warn-App jetzt auch?


Alexander Kekulé

Also, es gibt auch Wettbewerber davon übrigens. Also, ich wollte jetzt mal was Positives zu dieser Warn-App sagen. Ich habe die schon längst, auf meinem Handy habe ich die natürlich schon längst. Das muss ich aus professionellen Gründen machen. Ich bin auch tatsächlich schon ein paarmal gewarnt worden, muss aber sagen, dass ich an keiner Situation irgendwie auch nur ansatzweise – also, man weiß ja, mit wem man Kontakt hatte, gerade, wenn man sehr aufmerksam ist. Also, ich bin gewarnt

worden, wo es quasi ausgeschlossen war, dass ich mich hätte infiziert haben können. Keine Ahnung, was das für ein Wackelkontakt in meinem Handy war. Aber wahrscheinlich bin ich da auch kein gutes Beispiel. Da gibt es sicher viele andere, wo das sehr, sehr seriöse und ernste Warnungen waren. Aber es ist klar, die Fehlalarme, die ja wohlweislich in der Auswertung, die jetzt kürzlich erfolgte, jetzt nicht so zitiert wurden und nicht quantifiziert wurden, die sind natürlich dann der Grund, warum man dann hört, dass nur 60 Prozent der Befragten überhaupt gesagt haben: Wenn da ein Alarm ist, gehe ich zum Schnelltest oder mache einen Test. Und das waren ja Befragte, die auch noch eine Auswahl waren. Das war sozusagen die Musterklasse, weil das Leute waren, die sich freiwillig gemeldet haben, ihre Daten zu spenden. Und diese besonders aufmerksamen Bürger, die gehen nur zu 60 Prozent zum Testen, wenn da die rote Lampe leuchtet. Und das hängt sicher mit den Fehlalarmen zusammen. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.

17:37

Tim Deisinger

Kurz nochmal nachgefragt zu den Varianten und den Impfstoffen: Die Impfkampagne geht ja auch in der Bundesrepublik weiter. Wir sehen, dass die Impfstoffe wirken – auch gegen die Varianten. Aber es hat den Eindruck, dass sie dann doch ein bisschen weniger wirksam werden. Ab wann muss man denn eigentlich beginnen, Impfstoff-Updates einzusetzen?


Alexander Kekulé

Also, ich mache mir da erstmal keine Sorgen, auch aus ganz pragmatischen Gründen. Wir haben nun mal nicht die Option, jetzt Updates zu machen. Wir sind ja noch deutlich hinterher im weltweiten Vergleich bei den Erstund Zweitimpfungen. Wer weiß, ob die Lieferungen so kommen, wie sie angesagt sind. Es gibt ja auch Länder, die große Probleme im Moment haben, weil die BioNTech-Lieferungen nicht – also, nicht Deutschland, aber in anderen Ländern – weil die BioNTech-Lieferungen nicht so kommen wie vorhergesagt. Ich würde jetzt mal sagen: Diese zusätzlichen Updates, also die sind Luxus. Bevor wir über die nachdenken, gehen wir doch ganz pragmatisch davon aus, dass jemand, der geimpft ist, zwar gegen neue Varianten nicht in der Weise geschützt ist, dass

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er sie nicht mehr bekommen und weitergeben kann – das ist eben ein wichtiger Punkt, wenn man mit Risikopersonen Kontakt hat, die kann man noch infizieren – aber dass das einfach eine Krankheit wird, die generell überhaupt nicht mehr dieses Maß an Aufmerksamkeit dann verdient, wie wir es im Moment jetzt bei dem Covid-19 natürlich haben. Das heißt, die Impfung macht das zu einer relativ harmlosen Krankheit. Und das ist das Wichtigste. Klar ist es so, kann man ja in Zahlen sagen: Die RNAImpfstoffe sind so, dass sie im Fall der DeltaVariante auf jeden Fall zehn Prozent schlechter wirken nach der zweifachen Impfung. Also, das geht so im Bereich von zehn Prozent. Und bei nur einfacher Impfung ist der Effekt, also dieser Nachteil noch deutlicher. Und ich habe jetzt schon von den besseren Impfstoffen gesprochen. Da erinnere ich aber daran, dass die WHO ja mal ganz am Anfang gesagt hat: Unser Ziel bei dieser Pandemie für die Impfstoffe, unsere Vorgabe, unsere Messlatte ist letztlich, dass es 50 Prozent Wirksamkeit bezüglich der symptomatischen Erkrankung haben muss. 50 Prozent war damals sozusagen die Ansage. Und wenn man jetzt sagt, okay, anstatt 95 Prozent habe ich nur noch 85, dann ist das wirklich jammern auf hohem Niveau.

2 0:03

Tim Deisinger

Aber Geimpfte des letzten Winters oder auch des Frühjahrs fragen sich natürlich, ob sie denn in der nächsten Saison auch noch geschützt sind. Gibt es dazu jetzt irgendwelche wesentlichen neuen Erkenntnisse?


Alexander Kekulé

Das haben wir noch nicht. Das werden wir leider erst im Herbst sehen. Also, ich will jetzt nicht völlig ausschließen, dass wir im Herbst dann sehen – das wird man einfach durch die große Zahl von Menschen, die da betroffen ist, dann feststellen – dass wir im Herbst dann sehen: Es nimmt die Zahl der Reinfektionen zu. Und dann vielleicht auch im Laufe der Zeit von schwereren Reinfektionen. Das kann schon sein, aber das wird kein Prozess sein, der quasi über Nacht kommt, dass jetzt sozusagen die Horror-Variante zum Fenster einsteigt und man morgens aufwacht und merkt: Oh Gott, jetzt bin ich schwerstkrank, obwohl ich doch

genesen oder geimpft war. Sondern das werden einzelne Fälle sein, die nach und nach berichtet werden. Wir haben ja ein weltweites Monitoring von diesen Fällen. Und Sie können ganz sicher sein, sobald wir da Hinweise darauf haben, dass es da so einen Durchbruch gibt, der dann auch medizinisch relevant ist und nicht nur epidemiologisch eine Rolle spielt bezüglich der Verbreitung, dass wir das wissen werden. Und das würde ich jetzt einfach mal entspannt abwarten. Wir hatten ja auch die ähnliche Situation, dass wir bei der britischen Variante – der sogenannten Alpha-Variante B.1.1.7 – da ist es ja auch schon so, dass wir jetzt in Großbritannien wirklich sehen bei den Reinfektionen, die dort stattfinden – also, Menschen, die zum zweiten Mal Covid bekommen – in den allermeisten Fällen ist das Alpha. Also, B.1.1.7 ist in Großbritannien nach wie vor die Nummer eins bei den Reinfektionen – zumindest bei den Daten, die erhoben wurden. Die sind natürlich immer so ein bisschen verzögert. Das ist kein Jetzt-Bericht, sondern ein paar Wochen verzögert. Aber das ist ganz klar, dass es da Reinfektionen gibt, aber absolut keine Hinweise darauf, dass das schwere Erkrankungen werden. Und deshalb würde ich immer sagen: Ich mache mich doch jetzt in so einer Lage, wo wir eine weltweite Pandemie haben und wirklich viele schlimme Baustellen haben, wo es gerade ganz schlimm ist – Indonesien habe ich gerade genannt als ein Beispiel – dann würde ich jetzt nicht in den Herbst projizieren und mir jetzt Sorgen machen, ob vielleicht dann der Impfschutz von hoffentlich bis dahin 83 Millionen Deutschen dann – so viele werden es nicht sein – aber von vielen Deutschen dann nicht mehr funktioniert. Und wichtig ist dann eben die Gruppe derer, die weder genesen noch geimpft sind. Also, das sind eben die, die dann auch die massiven Ausbrüche haben können. Und da muss man eben dann genau hinschauen: Sind das dann wirklich nur Junge, wo die Krankheit nicht so schwer verläuft? Wie ist es mit Long-Covid? Wie sind die Langzeitperspektiven von so einer Infektion? Das ist eher die Frage, die jetzt in Europa wichtig sein wird.

2 2 :43

Tim Deisinger

Dann nochmal zurück in die Gegenwart und in die Halbwegs-Gegenwart. Stand heute sind wir

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– auf die gesamte Republik bezogen – bei einer 7-Tage-Inzidenz von acht. Zehn Landkreise verzeichnen gar eine Inzidenz von null. Wie schätzen Sie das ein? Sind wir damit jetzt nun am Boden angekommen, oder kann das noch weiter runtergehen? Klar, bei den Nuller-Kreisen, nicht, aber auf das Bundesgebiet bezogen.


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine gute und eine schlechte Nachricht. Also, die gute Nachricht ist: Das ist quasi eine Null. Also, Sie werden nicht auf null kommen, weil das ist eben ein Erreger, der ist nicht auszumerzen in dem Sinne. Also, null Covid, das ist ja auch mal so ein bisschen provokativ von den Autoren dieser Strategie mal aufs Papier geschrieben worden. Null Covid gibt es natürlich nicht. Es ist auch von den Leuten nicht so gemeint gewesen, sondern wir sind jetzt dann sozusagen am Boden angekommen. Für mich muss ich ehrlich sagen, dass es so schnell jetzt gegangen ist, war für mich auch, ich würde jetzt nicht sagen eine Überraschung, aber quasi in dem Erwartungskorridor das optimistischste aller Szenarien. Ja, also das ist wirklich eine tolle Sache. Das kann aber natürlich, sobald wir wieder massive Infektionen irgendwo haben – im Sinne von Superspreading in geschlossenen Räumen – kann es auch ganz schnell wieder hochgehen. Es ist zugleich eine schlechte Nachricht, weil ich jetzt natürlich dem 

Camillo Schumann

 einen ausgeben muss. Ich habe gesagt, wenn es unter zehn geht, gebe ich einen aus. Zum Glück ist er jetzt gerade nicht da. Aber das sieht für mich natürlich jetzt übel aus in der Hinsicht.

2 4:17

Tim Deisinger

Das werden Sie sich leisten können. Zu den vielen Lockerungen jetzt – die Halbwegs-Gegenwart und Superspreading ist vielleicht auch ein Stichwort. Zu diesen vielen Lockerungen, die es mittlerweile gibt, gehört ja auch, dass es in den nächsten Monaten vielleicht Konzerte geben kann, größere Veranstaltungen mit entsprechenden Sicherheitskonzepten. Nun sind dann dort aber viele Menschen, möglicherweise auch mal über mehrere Tage, wenn es ein richtiges Festival ist. Muss man sich da als Besucher jetzt in dieser Lage Sorgen machen, sich den Sommer über dort anzustecken?


Alexander Kekulé

Also, als Besucher würde ich da ganz ehrlich gesagt nur hingehen, wenig ich mir ganz bewusst ein gewisses Risiko in Kauf nehme. Oder andersherum gesagt: Wenn ich 80 Jahre alt und ungeimpft bin, dann bleibe ich da lieber zuhause und gehe da nicht hin nach Wacken oder sonst wo, wo dann die großen Partys laufen. Ich weiß nicht, ob das große Konzert dort wieder stattfindet, aber es ist so: Das Problem ist letztlich, der eine ist der Individuelle, der dahin geht, also die Menschen selber. Die haben ein Risiko und da würde ich einfach sagen, das muss man individuell entscheiden, ob man das Risiko in Kauf nimmt. Und wenn man nicht geimpft ist und viele Kontakte auf so einem Konzert hatte – auch wenn da natürlich immer irgendwelche Sicherheitsregeln sind, von Schnelltests über Genesene und Geimpfte, die da irgendwie kontrolliert werden – gibt es immer ein Restrisiko, würde ich sagen, was da besteht. Und da muss man dann wissen, wenn ich von dort gekommen bin, sollte ich vielleicht nicht gleich am nächsten Tag die nächste Party feiern und dann irgendwie, falls es irgendwo noch ältere Menschen gibt, die ungeimpft sind, die dann auch noch besuchen und so weiter und so weiter. Also, da würde ich sagen, muss man einfach wissen: Da gab es jetzt ein Risiko. Ob man das selber in Kauf nimmt – ja, sehr groß wird das nicht sein, wenn die Veranstalter vernünftig sind. Da meine ich, das kann man durchaus verantworten unter bestimmten Bedingungen. Es gibt aber da natürlich Auflagen aus epidemiologischer Sicht. Und die Wichtigste ist, dass man das nicht einfach blind laufen lässt. Also, aus meiner Sicht ist das Wichtigste, wenn wir jetzt solche Veranstaltungen haben, dass wir wirklich ein supergutes Monitoring haben dafür. Das heißt, dass wir wirklich hinterher wissen – und das geht ja dann ruckzuck, eine Woche später hat man das ja normalerweise raus – gab es da Ansteckungen? Ja, oder nein? Und da, finde ich, darf man dann auch nicht mehr sagen: Ja, ja, die Gesundheitsämter in Deutschland brauchen 2 bis drei Wochen, bis das beim RKI ist. Das muss dann quasi in Echtzeit kommen, die Elektronik dafür haben wir ja. Das heißt, nach fünf Tagen, spätestens sieben, muss ich wissen: Gab's da Ansteckungen? Und dann wird man ganz schnell eine Analyse machen, wenn man sieht, es gab

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da so ein Cluster von Infektionen. Und wenn man nicht feststellen kann, woran es lag und nicht weiß, welche Sicherheitsmaßnahme da vielleicht zu wenig kontrolliert wurde, dann muss man sich überlegen, wenn sich das häuft, ob man es wieder zurückfährt. Aber ohne das auszuprobieren, um es mal ganz brutal zu sagen, wird das nicht funktionieren, wird man es nie wissen. Sondern man muss halt sagen, man fängt halt an mit Open-Air-Veranstaltungen, dann – unter gewissen kontrollierten Bedingungen – auch in geschlossenen Räumen. Und ich glaube, man kann sowas relativ sicher machen. Fragen Sie mich nicht nach der Olympiade in Tokio, da ist es ein bisschen komplexer. Da ist ja jetzt gerade, ich meine aus Uganda, der erste Sportler gefunden worden, der ist eingereist. Er ist angeblich geimpft gewesen vorher mit einem chinesischen Impfstoff. Dann ist er auch angeblich getestet worden vor dem Abflug mit PCR und kommt in Japan an und ist dann, Bingo, positiv und geht dann in die Isolierung. Da kann man natürlich sagen: Erfolgsgeschichte. Also, das Olympische Komitee verkauft das jetzt als Erfolgsgeschichte, weil sie den gefunden haben. Aber man kann natürlich auch sagen: 2 von drei Sicherheitsnetzen sind schon gerissen und an der letzten Stelle ist er dann doch noch aufgefallen. Und der Rest seiner Mannschaft ist jetzt – also, ich weiß nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war – der Rest der Mannschaft ist jetzt ganz normal in den Trainingslagern da in Tokio. Also, das ist halt so eine Sache. Also, bei einer Olympiade, wenn man jetzt weltweit Leute zusammenzieht, da fand ich eigentlich die bayrische Entscheidung, das Oktoberfest mal ausfallen zu lassen, richtiger.

2 8:37

Tim Deisinger

Und dann gibt es ja Leute, die dort auf jeden Fall nicht hingehen zu solchen Open-Air-Veranstaltungen, zu Konzerten, die sich aber Sorgen machen, dann auch um sich selbst. Also, die sehen da: Mensch, da treffen sich wieder Hunderte, Tausende. Und genau das könnte am Ende dann doch wieder irgendwelche Lockdowns auslösen, von denen Sie sagen, dass Sie glauben, sie kommen nicht mehr. Sollte man das dann doch ein bisschen entspannter sehen als Unbeteiligter?


Alexander Kekulé

Also, ich sehe das relativ entspannt, weil ich da schon inzwischen das Vertrauen in die Behörden habe. Also, wir haben in Deutschland natürlich vieles eben zu spät und zu langsam gemacht. Es hat auch keinen Sinn, da immer darüber zu jammern. Aber es ist doch so, so ein Konzert – meistens sind es ja jetzt erstmal Open-Air-Veranstaltungen. Und das sind ja Gesundheitsämter – um die 400 haben wir da in Deutschland – die inzwischen ein Jahr knallhartes Corona-Training hinter sich haben. Ja, das sind echte Corona-Profis alles. Und am Anfang gab es da viel Wildwuchs, aber inzwischen ist doch relativ klar, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten und welche nicht. Sogar der Quatsch mit den Masken im Freien ist inzwischen mehr oder minder vom Tisch. Zumindest werden die jetzt nach und nach dann aufgegeben die Auflagen in dieser Richtung. Und darum würde ich einfach mal vertrauen, dass das lokale Gesundheitsamt das dann im Griff hat, wenn die sowas genehmigen. Das ist ja dann eine Großveranstaltung letztlich, die hat Auflagen, die wird unter Auflagen genehmigt, und ich gehe davon aus, dass das, was ich gerade gesagt habe, dann passiert, dass man wirklich eine Woche später sagen kann: Hat es da Fälle gegeben? Ja, oder nein? Also, ich habe ja selber mal das Sicherheitskonzept vor längerer Zeit für so eine Großveranstaltung gemacht bei der FIS, also dieser Nordischen Ski-Weltmeisterschaft in Oberstdorf und bei der Vierschanzentournee. Da war ich an dem Konzept beteiligt. Jedenfalls, natürlich, letztlich macht das Gesundheitsamt das. Und da hatten wir die Lage am Ende des Tages hundert Prozent im Griff. Man wusste ganz genau, es gab ein paar Infektionen, die wurden aus dem Verkehr gezogen, und Schluss. Es gab keine weiteren Infektionsketten. Also, man kann das durchziehen. Und ich gehe davon aus, dass das inzwischen sehr viele in Deutschland können. Und da würde ich mich mal auch drauf verlassen, wenn ich dann die Bilder von irgendwelchen Menschen sehe, die angeblich geimpft, getestet oder genesen sind und etwas enger zusammen sind, als man das sonst in der Pandemie so gesehen hat.

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30:54

Tim Deisinger

Okay. Wollen wir uns mal 2 Studien bisschen genauer anschauen. Die erste stellt fest, es gibt da wohl einen Zusammenhang zwischen Geburtstagen und Corona-Infektion. Das klingt, so, wie ich es jetzt formuliert habe, vielleicht zunächst mal ein bisschen nach Astrologie. Aber ist es natürlich mitnichten.


Alexander Kekulé

So habe ich es noch gar nicht gesehen. Also, ja, man hätte da einen Astrologen vielleicht noch zuziehen sollen. Also, es ist eine Studie, die ist so simpel, dass ich es einfach klasse finde, dass wir auch hier drüber reden. Und zwar ist doch immer das Riesenthema die Frage: Wo infizieren sich die Leute? Und Virologen, die sagen ja jetzt seit einiger Zeit: Es ist in geschlossenen Räumen, es sind irgendwelche Veranstaltungen, wo eben Superspreading möglich ist. Und es ist nicht das, was wir immer so im Fernsehen sehen, die vielen Menschen auf der Straße, die irgendwie zusammenstehen, aber erstens, meistens dann doch, wenn man genauer hinschaut, einen Meter 50 Abstand haben und zweitens eben im Freien sind. Und dass jetzt tatsächlich in dieser Situation, wenn der Staat und das Fernsehen nicht zusehen, es zu den Infektionen kommt, das haben die da jetzt gerade gezeigt. Und zwar ist das von der RAND Corporation gemacht worden, das ist eigentlich so eine Art Unternehmensberatung da in Santa Monica in Kalifornien. Gemeinsam mit der Harvard-Universität, also ein Ost-WestProjekt in den USA. Gibt es auch nicht so oft, die sind ja sonst Konkurrenten. Und das ist gerade veröffentlicht worden am 2 1.06. Also, das ist noch brandneu von gestern. Und die haben Folgendes total simples und eine simple Analyse gemacht. Die haben Versicherungsdaten von Privatversicherten genommen. In den USA ist das ja so, dass es nicht so eine gesetzliche Versicherung für alle gibt, sondern da ist die private Versicherung eigentlich der Standard. Und von denen hatten sie die Daten – 2 ,9 Millionen Haushalte in den USA. Und haben im ganzen letzten Corona-Jahr, könnte man fast sagen, also von Januar bis Anfang November letzten Jahres, haben sie einfach mal geguckt: Wie häufig gab es da oder wo gab es da positive Covid-Befunde? Und haben geguckt, welche dieser positiven Covid-Befunde sind denn

zufällig innerhalb von 14 Tagen nach einem Geburtstag aufgetreten? Ganz simple, supersimple Studie. Gab es denn da 14 Tage vorher einen Geburtstag? Ja oder nein? Und dabei ist eben rausgekommen, dass die Wahrscheinlichkeit, Covid zu haben, um 30 Prozent, 31 Prozent höher ist, wenn es in der Familie im Haushalt innerhalb der letzten 2 Wochen einen Geburtstag gab. Oder andersherum gesagt: Das ist eindeutig, dass es an den Geburtstagen richtig massiv zu Infektionen gekommen ist. Die zusätzlichen Infektionen beziffern sie so 8,6 pro 10.000. Also, 8,6 zusätzliche Infektionen pro 10.000 Einwohner allein durch die Geburtstage. Und das kann natürlich – außer man ist jetzt echt Astrologe – jetzt nicht wirklich mit dem Tag zusammenhängen, sondern das stinkt natürlich irgendwie nach Party. Und in die Richtung geht auch eine weitere Auswertung. Sie haben dann geguckt: Wie alt waren denn die Jubilare? Bei kleinen sagt man ja Geburtstagskinder. Und irgendwann ist man dann plötzlich Jubilar. Also, wenn das zu Ihnen jemand sagt, dann wissen Sie: Oh Backe, jetzt bin ich alt geworden. Und es ist tatsächlich so: Das Risiko bei Kindergeburtstagen ist viel, viel höher, da typischerweise so im Alter von um die zehn Jahre – also, null bis fünf geht noch, klar, da sagt man ja immer ein Gast pro Lebensjahr, sagt man immer so. Also, ein Fünfjähriger darf irgendwie fünf Gäste empfangen, aber bei zehn Jahren werden es dann größere Geburtstage. Also, das ist das Alter, wo richtig viele Infektionen stattgefunden haben. Und bei älteren, also Ü-60 oder sowas, oder auch so richtige runde 60er-, 70er-, 80er-Geburtstage. Da ist die Korrelation auch höher als die Durchschnittsbevölkerung. Aber es ist nicht mehr als sonst bei den Erwachsenen. Das könnte daran liegen, dass natürlich alte Menschen auch an ihrem Geburtstag dann vernünftig sind. Die wissen das ja auch. Die wussten zumindest dann in der zweiten Hälfte des letzten Jahres, dass sie im Risiko stehen. Und die werden dann jetzt nicht die rauschenden Partys gefeiert haben.

35:19

Tim Deisinger

Wie groß sind Ihre Geburtstagsfeiern, Herr Kekulé?

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Alexander Kekulé

Meine Geburtstagsfeiern sind tatsächlich nicht so groß, weil ich schon immer so war, dass also so viele Menschen auf einmal, wo ich mich dann um gar niemanden kümmern kann, eigentlich nicht so mein Ding waren, ganz ehrlich gesagt. Aber ich gehe gerne auf Geburtstagsfeiern von anderen. Und dann: Je mehr, desto besser.

35:39

Tim Deisinger

Und stecken sich dann möglicherweise dort an, mal schauen.


Alexander Kekulé

Schauen wir mal, wie es im Herbst wird.

Tim Deisinger

Hat diese Untersuchung auch festgestellt, also, liegt das daran – der Anstieg der Infektionen dort in Zusammenhang mit den Geburtstagen – dass sich da einfach Leute getroffen haben, dass sie einfach zusammen waren, egal wo? Oder hat man möglicherweise auch auf die Jahreszeit geguckt und hat gesagt: Besonders ist das sozusagen in den kalten Monaten aufgetreten, weil die Leute haben sich dann drinnen betrunken oder mit Limonade zugeschüttet?


Alexander Kekulé

Das ist hier nicht runterdifferenziert worden. Also, hier sind quasi jahreszeitliche Effekte sogar rausgerechnet worden. Also, man nennt das dann stratifizieren. Also, die Daten werden dann sozusagen bereinigt bezüglich Fehlern, die zum Beispiel das Alter betreffen – also, das ist nach Alter ja ausgewertet worden – oder das Geschlecht oder eben auch die Region. Das ist so das Übliche, was man so macht, dass man, wenn man Vergleiche macht, aufpasst, dass man keine Störeffekte hat, die jetzt gar nichts mit der Fragestellung zu tun haben, die vielleicht eine Rolle spielen könnten. Und da gehört natürlich auch die Jahreszeit dazu. Also, da gibt es aber andere Studien, die jetzt speziell versucht haben, die Infektionshäufigkeit nach der Jahreszeit wiederum festzustellen. Und der Zusammenhang ist völlig eindeutig. Also, ein saisonales Risiko ist kürzlich mal ausgerechnet worden, mindestens von R 0,5. Also, das R ist mindestens um 0,5 höher im Winter als im Sommer. Ich persönlich glaube, dass es sogar noch höher als das ist. Also, den Effekt

hat man zusätzlich auf jeden Fall. Und ich gehe fest davon aus, dass natürlich Indoor-Partys hier der Treiber waren und nicht irgendwelche Gartenfeste

37:2 5

Tim Deisinger

Bestätigt aber letztlich auch eigentlich, dass die Kontaktbeschränkungen, die es natürlich auch hier in Deutschland sehr heftig gegeben hat, richtig waren.


Alexander Kekulé

Sagen wir mal so: Sie waren wirksam. Ja, also, das ist völlig klar. Die Kontaktbeschränkungen sind letztlich ein wirksames Instrument. Wenn man das jetzt so politisch diskutieren will, ist ja die Frage: Hätte es auch Maßnahmen gegeben, die weniger einschränkend sind, aber ähnlich wirksam? Und da, meine ich, dass es in manchen Bereichen schon möglich gewesen wäre. Also, dass man Kontaktbeschränkungen im Freien dann auch hatte und solche Dinge, das wäre möglicherweise nicht notwendig gewesen. Oder, dass man in bestimmten Phasen der Pandemie jetzt wirklich konsequent die Gaststätten zugemacht hat, ohne Wenn und Aber. Also, auch im Außenbereich, auch wenn sie gute Konzepte hatten, auch die Hotels geschlossen hat. Da ist die Frage – das wird man dann hinterher in Analysen genauer feststellen – ob es da nicht weniger eingreifende Maßnahmen gegeben hätte. Aber es ist natürlich letztlich immer so, wenn man auf so einer Zeitachse den Punkt verpasst hat, wo man mit intelligenten Maßnahmen, mit gezielten Maßnahmen was machen kann, dann kommt irgendwann der Moment, wo sie sagen müssen: So, jetzt ist das Einzige, was ich machen kann sozusagen die Hammer-Methode. Und das ist dann die Kontaktbeschränkung. Und das die wirksam ist, ist ohne Frage. Ja, natürlich. Wenn Menschen keinen Kontakt miteinander haben, können sie sich auch nicht anstecken.

38:51

Tim Deisinger

Und ganz private Schlussfolgerung aus dieser Studie: Heißt das jetzt, noch ein Jahr auf Geburtstagsfeiern verzichten? Dann hätte man zumindest auch eine Begründung, wenn man einfach kein Geld ausgeben will.

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Alexander Kekulé

Nein, ich glaube, man muss halt einfach wissen, dass das das Risiko ist. Das ist ja ein Grund, warum wir überhaupt diesen Podcast machen. Um zu zeigen, wo genau die Risiken sind. Und wenn man weiß, Achtung, Geburtstagsfeier, ist ein relevantes Thema im geschlossenen Raum, dann muss ich halt einfach klären: Sind die alle geimpft? Sind die alle genesen? Das gibt es ja jetzt auch zunehmend, dass einfach zu einer Party nur noch Genesene kommen, gerade bei jüngeren Leuten. Und die, die da weder noch sind, die müssen sich halt wirklich konsequent testen lassen. Und ich lese überall, dass die Test-Bereitschaft runtergeht. Die ersten Schnelltest-Zentren machen schon wieder zu. Gerade haben sie noch Bonanza gefeiert und da im Goldrausch quasi abkassiert und jetzt schließen sie wieder. Und das liegt daran, dass die Menschen also jetzt auch nicht mehr so freiwillig von sich aus solche Tests machen. Und da kann ich nur sagen, das sollte man dringend aufrechterhalten das Angebot, auch über den Sommer hinweg – insbesondere für solche Situationen. Ja, wenn ich da zehn Leute habe, die zum Geburtstag kommen und wenn da jemand dabei ist, der also nicht geimpft oder genesen ist, der soll sich halt dann bitte vorher testen lassen.

40:10

Tim Deisinger

Kann natürlich auch sein, dass weniger zum Test gehen, weil immer mehr geimpft sind. Also, wenn man geimpft ist, dann sagt man sich natürlich: Was muss ich da jetzt noch einen Test holen?


Alexander Kekulé

Richtig, ja. Also, ich glaube, dass da mehrere Effekte sind. Das ist jetzt nicht so, dass das nur ein schlechtes Zeichen ist. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass die Auflagen nicht mehr da sind. Also, wenn man in ein Geschäft ging, immer, wenn man zum Einkaufen geht, einen Schnelltest braucht, dann werden natürlich vielmehr Schnelltests gemacht – auch mehr, als es sinnvoll ist. Ja, wenn der Test nur 2 4 Stunden gültig ist, da muss ich ja quasi jeden Tag einen neuen vorlegen, bei den Leuten, die jeden Tag shoppen gehen. Aber trotzdem, meine ich – das wäre mein Aufruf an der Stelle

– dass man wirklich, wenn man solche Veranstaltungen im geschlossenen Raum im Privaten macht, dass man wirklich alle Möglichkeiten nutzt, es abzusichern und einfach einen Moment lang darüber nachdenkt, wie man das klug machen kann. Wenn ich eine Kinderparty mache, dann denke ich ja auch darüber nach: Ist der Pool gesichert? Habe ich am Pool ein Geländer, oder habe ich jemanden hingestellt, der aufpasst, dass mir da kein Kind reinplumpst? Also, zumindest alle Eltern, die ich kenne, haben solche Gedanken im Kopf. Oder was ist mit der Kellertreppe? Oder wenn die 17-jährigen eine Party machen, dann sehe ich mal zu, dass ich irgendwie die Alkoholvorräte im Keller weggeschlossen habe. Es gibt einfach spezifische Maßnahmen, die man ergreift in jeder Situation. Und jetzt ist Corona, da gibt es eben bestimmte Maßnahmen, die man da ergreifen muss.

41:35

Tim Deisinger

Wo schleppen Sie ihre Alkoholvorräte hin, Herr Kekulé? Okay, Punkt an dieser Stelle. Zweite Studie, eine aus dem Vereinigten Königreich. Es geht um Veränderungen am Gehirn, die durch das Coronavirus ausgelöst worden sein könnten. Ein neues Wort habe ich da schon mal gelernt, obgleich ich mir jetzt nicht sicher bin, ob mein Gehirn sich das noch merkt: Neurotropismus. Da geht es um Veränderungen im Gehirn, die Folge eines viralen Neurotropismus sein können. Aber wir haben ja zum Glück Sie.


Alexander Kekulé

Ja, also Neurotropismus oder Neurotropie stimmt. Das heißt einfach nur, dass ein Virus quasi die Nervenzellen befällt. Und hier meint man speziell das Gehirn. Das ist ja so eine der Fragen, die von Anfang an eigentlich bei Covid im Raum standen und die wirklich für Ärzte sehr spannend sind. Ist das Virus selbst neurotrop? Also, ist das Virus so, dass es quasi eine milde Hirnentzündung macht, indem es selbst ins Hirn irgendwie einwandert? Oder ist das, was man an neurologischen Veränderungen sieht – sowohl bei Covid als auch bei Long-Covid, Post-Covid – ist das vielleicht nur ein Ergebnis einer Immunreaktion. Also, dass das Virus gar nicht selber da war im Gehirn, sondern nur das Immunsystem quasi ein bisschen über-

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reagiert. Und in dieser Richtung wird viel geforscht. Die Frage ist noch nicht abschließend beantwortet, aber die Daten, die jetzt gerade hier aus Oxford gekommen sind, von der Universität Oxford und noch vielen anderen, die da mitgemacht haben, die deuten in diese Richtung. Das ist ein Preprint, was am 11.06. rausgekommen ist. Und die Vorgeschichte dazu ist ja die, dass wir eigentlich schon ganz früh immer dieses Phänomen gesehen haben, dass Menschen, die Corona hatten, dass die manchmal so Geruchsstörungen hatten, bis zum totalen Verlust des Geruchssinns. Jetzt habe ich es wiedermal falsch gesagt, Corona, ich meine natürlich Covid-19, also ausgelöst durch SARS-CoV-2 . In dem Fall muss man das so auseinanderhalten, weil es gibt nämlich tatsächlich auch das Phänomen bei anderen Coronaviren, den normalen Erkältungsviren, dass die auch das Umfeld der Nerven befallen, die für den Geruchssinn in der Nase zuständig sind. Also, da gibt es bestimmte Endpunkte von Nerven, die da quasi die Geruchssignale ans Gehirn weiterleiten. Und das weiß man auch von anderen Coronaviren, dass die diesen Bereich betreffen können, aber ohne, dass es zu diesen merkwürdigen Totalausfällen kommt. Und da gibt es ja immer wieder Daten – da haben die auch in Berlin ganz gute Daten zu produziert vor einiger Zeit – die darauf hindeuten, dass das Virus möglicherweise – sowas Ähnliches kennen wir von anderen Viren auch, die in der Nase quasi die Schleimhaut befallen und dann über die Nervenbahnen zum Gehirn wandern. Also, dass die die Riechnerven quasi als Eintrittsautobahn zum Gehirn verwenden, um dann retrograd, wie wir sagen – also, rückwärts quasi in Nervenrichtung – zum zentralen Nervensystem vorzudringen und das dann zu infizieren. Das ist so eine der Hypothesen, die da so im Raum steht. Und in diese Richtung haben diese Forscher aus Oxford da Untersuchungen angestellt.

44:47

Tim Deisinger

Und was hat das konkret für Auswirkungen? Also, was heißt „die Nervenzellen infizieren“?


Alexander Kekulé

Ja, also, die Nervenzellen werden infiziert, das ist eben die Frage. Also, ich persönlich, sage ich mal, bin so eher 60, 40 der Meinung, dass es

tatsächlich neurotrop ist, das heißt, dass das Virus selber da was macht. Ich erzähle mal kurz, was die da gemacht haben in Oxford. Vielleicht muss man an dieser Stelle sagen, wie das manchmal im Fernsehen so ist: Die folgenden Bilder sind für Menschen mit leichten Gemütern, mit schwachen Gemütern nicht geeignet. Und zwar, die sogenannte Biobank im Vereinigten Königreich gibt es schon länger, das sind so etwas über 40.000 Personen. Die haben die schon vor Jahren rauf und runter gescannt mit so Kernspintomographie, also quasi das Gehirn durchleuchtet mit Super-Hightech Methoden. Und eigentlich wollten die damit – die wussten natürlich nicht, das Covid kommt – sondern die wollten damit gucken: Wie verändert sich das Gehirn im Laufe des Lebens, wenn es so Richtung Demenz und Alzheimer geht? Das ist nämlich so, dass das gar nicht so leicht ist, an einer Alterskohorte, wie wir sonst sagen, quasi beim Menschen untereinander zu vergleichen, weil jeder ist individuell wahnsinnig unterschiedlich. Also, was weiß ich, Radiomoderatoren, da sieht das Gehirn einfach anders aus als bei Virologen. Bei Männern sieht es anders aus als bei Frauen, bei Dicken anders als bei Dünnen und so weiter. Also, jeder hat, wenn man das Gehirn anschaut, einfach individuelle Schwankungen, die so enorm sind, dass es wahnsinnig schwer ist, dann zu sagen: Ja, also, das ist jetzt die Frühstufe von Alzheimer. Und deshalb hat man gesagt: Okay, dann schauen wir uns einfach an, wie bei einem Individuum im Laufe seines Lebens sich das Gehirn verändert. Das nennt man dann eine Longitudinalstudie und die ist besser als das andere. Das ist eine cross-sektionale Studie, das andere. Und jetzt haben sie also diese Longitudinalstudie sowieso schon aufgelegt gehabt, hatten da die paar 40.000 untersucht und die haben sie dann nochmal einbestellt, als also Covid da im Lande war in England und haben insgesamt 394 Covid-Patienten daraus gezogen und dazu 388 gut passende Kontrollen. Also, die wurden wieder gematched, wie wir sagen. Dass das Geschlecht stimmt, dass die Ethnie stimmt, dass ungefähr der Wohnort stimmt und vor allem die Zeit, die vergangen ist seit der CovidInfektion ähnlich ist. Insgesamt war der Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Scan ungefähr drei Jahre. Ja, und das, was da rauskommt, ist eben, wie schon angedroht, ein

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bisschen gruselig. Also, man hat tatsächlich festgestellt mit diesen bildgebenden Verfahren, dass es einen eindeutigen Unterschied gibt in mehreren Gehirnregionen zwischen denen, die Covid hatten und denen, die es nicht hatten. Und zwar unabhängig von der Schwere der Erkrankung. Also, für mich ein gruseliges Ergebnis, wenn man das so schwarz auf weiß als Bild zieht. Die haben dann bestimmte Regionen des Gehirns untersucht – das kann man mit diesem dreidimensionalen Röntgen ganz toll machen. Da kann man gucken, erstens: Wie groß sind die Regionen? Zweitens: Gibt es Entzündungszeichen und so was? Aber das Wichtigste, was sie gemacht haben, ist, sie haben bestimmte Regionen, ich glaube über 300 verschiedene Regionen, die sie da relevant fanden, vermessen und geguckt: Wie groß ist das Volumen sozusagen? Und wir wissen beim Gehirn, dass, wenn bestimmte Teilbereiche nicht mehr so funktionieren, dann schrumpft es. Also, im Alter sowieso ein bisschen, aber auch Detailbereiche schrumpfen dann, sodass sie das Volumen quasi sich angeschaut haben und auch quasi die Breite und das Volumen sich angeschaut haben. Und da haben sie drei Bereiche gefunden. Für die Medizinstudenten, die zuhören, kann man ja mal sagen, welche das sind: Das eine ist der Gyrus Hippocampi, das ist so ein Lappen, der anderen Seite vom Großhirn ist, neben dem Hippocampus. Der Hippocampus ist so der Datenspeicher im Gehirn. Und direkt daneben gibt es so einen Bogen, der seitlich im Schläfenbereich ist, der ganz wichtig ist für das Erkennen von Dingen und für das Gedächtnis wichtig ist. Gehört auch zu dem System, was Emotionen steuert, das sogenannte limbische System. Und das Interessante ist, dass dieser Gyrus direkt am Riechsystem dranhängt. Also, das ist so, dass die das auch selektiv angeschaut haben, weil sie gedacht haben: Vielleicht kommt es über die Riechfasern rein. Und haben also hier die Veränderungen festgestellt an der Stelle, wo man es als erstes erwarten würde, falls das Virus über die Riechfasern reingekommen ist. Und das Zweite, was sie gefunden haben, ist der sogenannte Orbitofrontalcortex, wahnsinnig fürchterliches Wort. Aber das ist eigentlich nichts Anderes als der Teil des Großhirns, der direkt über der Augenhöhle liegt. Und das ist der Bereich, wo man so Entscheidungsfindung hat, wo soziale Kontrolle

stattfindet, wo Emotionskontrolle stattfindet. Auch das hängt mit der Verarbeitung von Riechund Geschmackssignalen zusammen. Und die dritte Region, wo man das gefunden hat, ist die sogenannte obere Insel. Was auch immer das ist, da weiß man nicht genau, wie sie funktioniert. Die ist auch so im Temporalbereich, also im Schläfenbereich an der Seite am Gehirn. Die Insel ist deshalb wichtig, weil das so eine Ecke im Hirn ist. Und wir in Halle sind da besonders stolz drauf, weil die ist entdeckt worden von einem Hallenser Forscher, der heißt Johann Christian Reil im 18. Jahrhundert, In Halle gibt es das Reileck. Ja, das kennen alle Hallenser, ist eine Adresse dort. Das Reileck ist ein Platz und das ist also nach dem Reil benannt. Aber das ist nicht das Eck, was er im Hirn gefunden hat, sondern das ist ein Straßeneck. Also, diese drei Regionen sozusagen – das Reileck und die 2 anderen – sind da befallen. Und das Interessante ist, dass die alle was mit dem Riechen zu tun haben, alle was mit Gedächtnis zu tun haben und – Achtung, jetzt kommt es – alle auch bei Alzheimer im Frühstadium befallen sind. Ja, vor allem dieser Hippocampus, dieser Gedächtnisspeicher, aber auch eben dieser Gyrus Hippocampi, der da nebenan ist. Und das klingt natürlich echt so, als würden wir in zehn Jahren dann Studien sehen, dass Menschen mit Covid statistisch gesehen häufiger Alzheimer bekommen könnten, oder eine andere Demenzform. Das wäre natürlich fürchterlich.

51:01

Tim Deisinger

Das heißt – ich versuche, es zu verstehen. Ich habe die ganze Zeit die Augen zugehabt und habe mir vorgestellt, Sie stehen da an einer Karte vom Gehirn und zeigen mit Zeigestock die Regionen, das hat es mir einfacher gemacht bei den ganzen Begriffen.


Alexander Kekulé

Ich auch. Das, was ich mal in Anatomie gelernt habe, habe ich jetzt auch vor Augen gehabt.

51:2 0

Tim Deisinger

Also, es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit möglicherweise, dass man nach einer Corona-Infektion weniger Grips hat als vorher.

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Alexander Kekulé

Also, eine Wahrscheinlichkeit gibt es. Und das hängt zusammen vor allem mit dem Merken und mit dem Erkennen. Und der Region, die sozusagen die emotionalen Erinnerungen auch steuert. Also, dass man Zugriff auf emotionale Erinnerungen hat. Und wenn ich jetzt von Patienten, die Long-Covid haben, so höre, was die für Symptome schildern, das passt eigentlich zu diesen anatomischen Befunden. Man muss aber sagen: Das heißt nicht, dass das alle haben, sondern das ist ja nur eine statistische Korrelation. Die haben einfach festgestellt: Diese Veränderungen, dass diese Regionen also quasi geschrumpft sind, die sind dort häufiger als im Durchschnitt oder als bei der Vergleichsgruppe, die eben genommen wurde als Nicht-Infizierte. Und nochmal muss man an der Stelle sagen – so eine Art Disclaimer: Es ist ein Preprint, das haben noch nicht die Reviewer gesehen, also, die Gutachter gesehen. Und ich muss jetzt sagen: Ich kann natürlich virologische oder epidemiologische Papiere ganz gut beurteilen, aber mit diesen neurologischen Themen und Kernspin und so kenne ich mich jetzt nicht besonders aus. Das heißt, ich habe jetzt einfach wiedergegeben, was in der Studie steht und nicht beurteilt, ob das richtig ist.

52 :37

Tim Deisinger

Ist da in der Studie auch von einem Mechanismus die Rede? Also, wie sozusagen das Virus das Hirn schrumpft?


Alexander Kekulé

Das ist nicht klar. Also, die Autoren denken eben, es könnte neurotrop tatsächlich sein. Für mich ist das damit noch nicht so ganz bewiesen. Erstens, weil es doch viele Daten gibt, wo sich die Wissenschaftler bei anderen Studien dann gewundert haben, dass sie das Virus nicht finden. Also, es wurden ja Hirne von Covid-Verstorbenen noch und nöcher in Scheibchen geschnitten und auf das Genaueste untersucht. Ich habe ja gesagt, das wird nichts für Zartbesaitete. Und da ist also dann rausgekommen, dass sie dieses verdammte Virus nicht finden. Also, sie finden manchmal Virus-RNA Spuren, aber nicht richtig das Virus. Also, Smoking Gun hatten wir noch nicht, dass man wirklich sagen kann: Bingo, da vermehrt sich das

Virus in der Nervenzelle. Das gibt es so ein bisschen in der Zellkultur, aber das ist nicht in Menschen gefunden worden bisher. Und aus meiner Sicht ist es damit noch nicht bewiesen. Aber eigentlich ist es ja egal, ob es das Virus selber war oder ob es nur eine immunologische Reaktion ist, die da im Gehirn stattfindet. Im Ergebnis ist es so, dass man – zumindest nach dieser Studie, falls die Studie sich bestätigen sollte, dann auch im Urteil der Gutachter – dass man nach dieser Studie davon ausgehen muss, dass also bei der Covid-Infektion – und zwar jetzt zunächst mal ohne große Korrelation zur Schwere der Erkrankung – man hier ernste, bleibende neurologische Probleme haben könnte. Weil, wenn sowas quasi so ähnlich aussieht wie die Anfangsphase von Alzheimer letztlich oder von Demenz, von Frühdemenz, dann ist das jetzt nichts, was auf normalem Weg reversibel ist, sondern dann ist das ein beschleunigter Alterungsprozess letztlich.

54:2 1

Tim Deisinger

Und das ist, in Anführungszeichen, „nur“ eine Erkenntnis, welcher Schaden angerichtet werden kann, oder stecken da auch Ansätze drin, wie man dem begegnen kann? Also, wenn man denn schon keine Infektion verhindern konnte.


Alexander Kekulé

Ja, es gibt ja Versuche, sozusagen auch Alzheimer irgendwie zu therapieren. Das ist klar. Ist jetzt nicht gerade die, sage ich mal, Erfolgsgeschichte der Neurologie. Es gibt noch eine ein bisschen mystische Ähnlichkeit zum Alzheimer, wo es einem Neurologen kalt den Rücken runterläuft. Und zwar: Wir wissen seit einigen Jahren, dass im Frühstadium von Alzheimer die Menschen tatsächlich auch Geruchsverluste haben. Das ist bekannt. Es gibt sogar ein Testverfahren – das ist kein Standard, aber wissenschaftliches Testverfahren – Alzheimer früh zu erkennen über Geruchsstörungen. Und da ist die Besonderheit, dass diese Geruchsstörungen asymmetrisch sind. Dass also beim Alzheimer der linke Cortex, also die linke Hälfte des Gehirns, das ist der Bereich des Gehirns, den wir so zum Sprechen, Rechnen, laut Denken benutzen. Die rechte Hirnhälfte ist mehr so, sagt man, so ein bisschen mehr assoziativ, emotional unterwegs. Und die linke Hälfte, das ist die, wo beim Alzheimer typischerweise

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dann diese frühen Ausfälle im Bereich der Geruchswahrnehmung sind. Und genau diese Seitendifferenz findet man hier auch, es ist stärker links als rechts. Und praktisch gesehen heißt das für mich, dass man wirklich überlegen muss – das ist aber nichts Kurzfristiges, sondern über die nächsten Jahre wird man sich das halt sehr, sehr genau anschauen müssen. Man wird intensiv untersuchen müssen, ob es tatsächlich zu diesen Weiterentwicklungen kommt, die jetzt auch die Autoren befürchten. Das ist ja eine Schlussfolgerung, die jetzt nicht ich getroffen habe, sondern es steht auch in dem Paper so drin, dass es eben sein könnte, dass man da häufiger Alzheimer quasi dann bekommt nach einer Covid-Infektion. Und das würde natürlich auch in diese Richtung Therapie gehen. Aber da sieht es ja schlecht aus. Sie wissen wahrscheinlich, dass gerade vor ungefähr 2 Wochen von Biogen seit Jahrzehnten das erste Alzheimer-Mittel wieder zugelassen wurde. Antikörper, die diese Ablagerungen im Gehirn attackieren sollen. Und da ist es aber so, dass die Studien extrem umstritten waren. Die FDA in den USA hat es zugelassen, daraufhin sind dann gleich 2 Leute aus dem Gremium ausgetreten, die gesagt haben, die Daten waren nicht gut genug. Sodass man sagen muss, es gibt jetzt endlich mal seit Jahrzehnten wieder ein Alzheimer-Mittel. Ich weiß nicht, 2 0.000 Dollar oder 30.000 Dollar kostet die Therapie im Jahr. Es ist umstritten, ob es wirklich wirkt. Und so ist die Lage bei der Alzheimer-Therapie. Also, es ist jetzt nicht so wie bei Halsschmerzen, wo man dann mal schnell eine Tablette lutscht und dann gehen sie weg, sondern es ist wirklich eine ganz harte Nuss zu knacken. Kann man noch einen Nobelpreis verdienen, wenn man da eine Therapie findet. Und damit haben wir es hier zu tun.

57:19

Tim Deisinger

Dann wieder Punkt an dieser Stelle. Kommen wir zu den Hörerfragen. Zunächst eine von der Mailbox:

„Guten Tag. Mein Name ist P. aus Oberursel bei Frankfurt und ich habe folgende Frage: Meine Frau war Probandin oder ist Probandin bei der CureVac-Studie und aufgrund ihrer sehr ausgeprägten Reaktionen hat sie mit sehr ho-

her Wahrscheinlichkeit den Impfstoff bekommen. Wir stehen jetzt vor der Entscheidung, weil es eben jetzt sehr unwahrscheinlich geworden ist, dass CureVac überhaupt zugelassen wird, braucht sie eine offizielle Impfung natürlich. Welches Vorgehen würden Sie, Herr Professor Kekulé, in so einem Fall empfehlen, damit sie einen möglichst medizinisch guten Impfschutz mit entsprechendem Nachweis im Impfpass bekommt?“

Also, möglicherweise hat sie einen, aber keinen offiziellen. Aber man weiß es auch nicht so richtig. Was raten Sie?


Alexander Kekulé

Bei CureVac ist es ja so, die haben zwar relativ wenig, also anteilsmäßig gab es wenig Leute, die ausreichend geschützt wurden durch die Impfung. Es war knapp die Hälfte. Aber das heißt natürlich trotzdem, dass knapp die Hälfte geschützt wurde. Möglicherweise ist hier die Probandin eine von der Hälfte, die geschützt wurde. Also, kann man jetzt nicht sagen, dass es nicht funktioniert haben muss. Also, wenn ich es jetzt wäre, würde ich wahrscheinlich erst einmal Blut abnehmen lassen, je nachdem, wie hoch da die Hemmschwelle ist und Antikörper bestimmen. Das ist schon mal ein ganz guter Hinweis. Wenn man Antikörper im Blut hat, dann weiß man auf jeden Fall, dass man zur Prüfgruppe gehört hat. Also, zum sogenannten Impf-Arm, sagt man in dem Fall bei den Studien, auch wenn das doppelsinnig ist, im Gegensatz zum Kontroll-Arm. Und es ist so, wenn das der Fall war, dann reicht aus meiner Sicht wahrscheinlich eine einfache Impfung mit einem anderen RNA-Impfstoff. Wenn man jetzt sagt, nein, ich will jetzt nicht vorher testen, ob ich da zur Kontrollgruppe gehört habe oder nicht, dann muss man halt 2 Impfungen machen. Grundsätzlich würde ich – wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Hörerin weiblich und wahrscheinlich etwas jünger, also unter 60. Dann würde ich mal davon ausgehen, dass in dem Fall halt die RNA-Impfstoffe von Moderna oder von BioNTech in Frage kommen. Also, man kann nicht zu viel Impfen. Also, man muss keine Angst haben, dass, wenn man jetzt im quasi auf eine doppelte CureVac-Impfung nochmal eine doppelte BioNTech draufhaut, dass das irgendwie schaden würde. Das tut es

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mit Sicherheit nicht. Sodass man entweder sagen kann: Okay, ich mache jetzt einfach das ganze Impf-Programm durch, oder ich würde wahrscheinlich den Antikörper nehmen, um mal neugierig festzustellen, ob ich in der Kontrollgruppe war oder nicht. Es können auch durchaus die Leute, die diese Studie durchgeführt haben – also, wenn die Studie dann quasi geöffnet wurde, wie man sagt – dann dürfen die das ja auch den Probanden mitteilen. Ich weiß aber nicht, ob sie für diesen konkreten Fall jetzt geöffnet wurde oder nicht. Sonst kann man es eben durch eine Antikörperbestimmung feststellen. Und dann noch einmal RNA hinterher.

01:00:17

Tim Deisinger

Neugier des Arztes. Ich glaube, ich würde mir das einfach ersparen und nochmal draufimpfen, dann habe ich diesen ganzen Bürokratismus nicht.


Alexander Kekulé

Ja, und keine Blutabnahme und so.

1:00:30

Tim Deisinger

Okay. Nächste Frage ist per Mail gekommen von Frau E.:

„Lieber Herr Kekulé, liebes Podcast-Team, meine Tochter hat in jungen Jahren einen Typ1-Diabetes diagnostiziert bekommen. Sie ist mittlerweile erwachsen, gegen das Virus geimpft. Nun habe ich einen noch nicht erwachsenen Sohn in der Pubertät. Er hat keinen Diabetes. Es ist aber bekannt, dass Geschwister von Typ-1-Patienten ein genetisch bedingt höheres Risiko tragen, einen Typ 1 zu entwickeln. Außerdem ist bekannt, dass Virusinfektionen in Zusammenhang mit einem Ausbruch des Typ-1Diabetes in Verbindung stehen, ihn triggern könnten. Wäre also meinem Sohn trotz seines noch jugendlichen Alters zu einer Impfung zu raten? Wie ist Ihre Sicht der Situation? Mit freundlichen Grüßen.“


Alexander Kekulé

Also, deshalb nicht. Ja, alles, was da gesagt wurde, ist richtig. Es gibt die Vermutung, dass bestimmte Virusinfektionen mit Diabetes zu tun haben. Das sind ja so Zellen auf der Bauchspeicheldrüse, so kleine Zellen, die in so Inseln

angeordnet sind. Wenn die kaputtgehen, produzieren sie kein Insulin mehr. Und dann kommt es halt zum Diabetes Typ 1. Und dieses Zerstören dieser kleinen insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, das machen manchmal Viren. Aber es ist definitiv jetzt nicht für dieses Coronavirus irgendein Hinweis darauf gefunden worden. Und das Risiko von Diabetikern, schwerer zu erkranken bei Covid, das ist ja wirklich assoziiert mit der Stoffwechselentgleisung. Also, das ist jetzt nicht so, dass der Status „Ich bin jetzt Diabetiker und deshalb Risikopatient“ – so stimmt es nicht. Sondern ein gut eingestellter Diabetiker – da sind die Zahlen inzwischen eindeutig – der hat das gleiche Risiko für einen schweren Verlauf wie jemand anderes aus seiner Altersgruppe. Meistens sind die ja auch jetzt nicht so übergewichtig. Also, insbesondere Typ-1-Diabetiker, die haben jetzt dieses Problem eigentlich nicht so. Und deshalb kann man sagen: Also, wenn das nur ein Risiko für einen möglichen Diabetes ist, ohne, dass es irgendeine Stoffwechselentgleisung schon gibt – also, dass der Zuckerspiegel jetzt außer Kontrolle wäre – dann gibt es keinen Grund, deshalb zu impfen.

01:02 :36

Tim Deisinger

Noch eine Mail, die ist gekommen von einer Dame, die nicht namentlich genannt werden möchte. Und sie hat eigentlich eine spezielle Frage zu ihrem PCR-Befund. Sie hat einen Ausschnitt mitgeschickt, den ich jetzt natürlich hier im Podcast nicht zeigen kann. Deswegen formuliere ich die Frage mal ganz allgemein: Kann aus einem PCR-Befund herausgelesen werden, mit welcher Mutation, mit welcher Variante man sich infiziert hat?


Alexander Kekulé

Nein, bisher jedenfalls nicht. Es ist so, dass der PCR-Befund ganz oft nicht einmal angibt, in welcher Menge diese PCR gefunden wurde. Also, die sogenannte Viruslast steht da ganz oft auf den Befunden gar nicht mit drauf, sondern nur positiv, negativ. Ich finde es immer besser, wenn man zusätzlich die Viruslast auch noch ablesen kann, dass man so eine ungefähre Vorstellung hat, in welchem Bereich man lag. Und diese Mutationen, die werden ja in Deutschland zum großen Teil dann aus Analysen der Gesamtsequenz des Virus gemacht. Also, da

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wird das Coronavirus sequenziert. Alle 30.000 Bausteine, die das hat, werden analysiert und häufig dann zum Robert Koch-Institut geschickt und die schauen dann nach, an welcher Stelle da Veränderungen sind und können daraus feststellen, welche Mutationen das waren. Einige Labore machen das parallel, dass sie quasi so einen Schnelltest machen, der funktioniert wie eine PCR, oder so einen PCR-Test machen, wo man auch ganz selektiv gezielt nach den Mutationen gucken kann, die typisch sind für diese bedenklichen Varianten. Diese Variants Of Concern, die jetzt Alpha, Beta, Delta und so weiter heißen. Es ist aber so, dass das noch nicht gang und gäbe ist. Und deshalb sieht man auf seinem Befund nicht, welche Mutation man hat. Und normalerweise weiß das Labor das auch gar nicht.

01:04:2 0

Tim Deisinger

Und noch eine Frage von der Mailbox:

„Hallo, mein Name ist H. Ich habe eine Frage zum Händeschütteln. Gibt es Untersuchungen, gibt es irgendeinen Nachweis, dass sich jemals jemand über Händeschütteln mit Corona infiziert hat? Denn es geht mir langsam wirklich auf die Nerven, dass wir anstatt des schönen Brauchs des Händeschüttelns uns mit Fußtritten, Ellbogen ausfahren und ausgeben begrüßen. Finde ich völlig unmöglich und vermute mal, dass es kaum jemanden gibt, er sich über Händeschütteln infiziert hat. Herzlichen Dank.“


Alexander Kekulé

Gemeine Frage. Es ist tatsächlich so, dass ich jetzt auch keine Studie kenne, die das bestätigt hätte. Das ist so, dass wir wahrscheinlich am Anfang dieser Pandemie die falschen Prioritäten gesetzt haben. Da gab es dieses berühmte Bild, wo die Bundeskanzlerin ihrem Innenminister nicht mehr die Hand geben wollte wegen Corona. Und es ist so, dass seitdem quasi das Händeschütteln irgendwie Haram ist, also irgendwie nicht mehr in Ordnung ist. Das Problem ist nicht das Händeschütteln, sondern was man hinterher mit seinen Händen macht. Also, Leute wie ich, die ihr Leben lang irgendwie Mikrobiologie und Virologie gemacht haben, die denken nicht nur an Corona, sondern haben ja ständig irgendwelche Viren und Bakterien im Kopf. Darum bin ich jetzt jemand, wenn ich jetzt so fremden Leuten die Hand gegeben

habe, auch, wenn sie mir sympathisch waren: Ich esse dann hinterher nichts und fasse mir auch selber nicht ins Gesicht, bevor ich sie mal gewaschen habe. Wenn man so ein DauerHändeschüttler ist, der dann seine Hände hinterher nicht unter Kontrolle hat und sich dann ständig ins Gesicht fasst und Ähnliches, dann würde ich schon davon ausgehen – auch, wenn es nie bewiesen wurde wohl – dass man sich da infizieren kann. Also, man infiziert sich quasi, indem man Viren des anderen – die müssen dann aber nicht quasi in komplett trockenem Milieu sein, sondern das muss quasi irgendwie eine feuchte Hand gewesen sein. Vielleicht hat er vorher da auch reingespuckt oder sich die Nase geputzt oder Ähnliches oder in der Nase gebohrt. Man weiß ja nie, was die Leute so gemacht haben, bevor sie einem die Hand geben. Und das muss quasi dann so ein Virus in so einer kleinen Schleimmasse sein, weil sonst überlebt das Virus nicht lange. Und wenn man dann schnell genug danach sich den Schleim quasi in die Augen reibt oder in die Nase oder was, dann kann man sich halt infizieren. Ja, die Möglichkeit besteht. Es gibt aber auch die Möglichkeit, seine Hände unter Kontrolle zu halten und gelegentlich die Hände zu waschen. Also, ich mag das ganz ehrlich gesagt auch nicht mit dem, dass man sich nicht mehr die Hände schüttelt. Das haben immer so die Hygieniker im Krankenhaus schon immer gemacht mit dem Ellbogen. Und irgendwie habe ich so das Gefühl, die Hygieniker haben jetzt die Weltrevolution gewonnen. Das mit dem Pogo kenne ich aus meiner Berliner Zeit. Da hat man sich auch so beim Pogotanzen irgendwie mit den Füßen getreten und mit den Schultern angerempelt. Das war aber eine andere Art von Begrüßung. Und ich würde mir schon sehr wünschen, dass man jetzt wieder Hände geben kann. Der feige Virologen-Trick ist dann der – ich war tatsächlich kürzlich im Biergarten und habe eine Reihe von Bekannten getroffen, allen die Hand gegeben natürlich. Aber dann hinterher bin ich diskret zu dem Desinfektionsmittelspender gegangen, der da stand und hab mir die Hände vor dem Essen dann doch desinfiziert. Also, da sehen Sie also, dass auch Leute, die sich da intensiv mit beschäftigen, so ein bisschen ambivalent sind.

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01:07:45

Tim Deisinger

Und ich dachte schon, das gehört zum festen Begrüßungsritual, dass Sie Guten Tag sagen, Hände schütteln und als nächstes fragen: Wo ist denn bei Ihnen die Toilette, damit ich mir die Hände waschen kann?


Alexander Kekulé

(lacht) Nein, nein, das nicht. Das gar nicht. Es kommt wirklich drauf an, was man dann mit den Händen macht. Aber wenn Sie halt wissen, Sie essen hinterher was – ja dann. Ähnliche Situation ist, wenn Sie auf Reisen sind, im Zug zum Beispiel und Sie wollen dann im Zug wirklich jetzt eine Stulle essen, weil man länger unterwegs ist: Da wasche ich mir definitiv vorher die Hände. Und als Kind von einem Virologen müssen Sie, wenn Sie nach Hause kommen, sich immer die Hände waschen und das war schon lange vor Covid so. Das ist halt das Problem. Ja, also, wenn Ihr Vater Musiklehrer ist, müssen Sie erstmal ein Mozart Stückchen vorspielen. Und bei uns ist Händewaschen angesagt, wenn man nach Hause kommt.

01:08:34

Tim Deisinger

Und damit sind wir erstmal wieder durch. Das war es für heute. Vielen Dank, Herr Kekulé und bis zum Donnerstag.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Donnerstag, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Und wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter MDR Aktuell Minus Podcast MDR. De oder rufen Sie uns an unter null 800 32 2  null null Kekules Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek bei Spotify bei Apple, Google, YouTube, auf MDR.DE und ja, überall da sonst, wo es Podcasts gibt.

Tim Deisinger

Und wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, unter: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek, bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube, auf mdr.de und überall da, wo es sonst Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 19. Juni 2 02 1 #197: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Samstag, 19. Juni 2 02 1

Sorgen Geimpfte für besonders clevere Virusvarianten?

Beeinflusst die Impfung die Wirkung der Antibabypille?

Sollten doppelt geimpfte Lehrkräfte im Unterricht eine FFP2 -Maske weiterhin tragen?

Sollte man bestimmte Lebensmittel vor einem Corona-Test meiden?

Verhindern Immunsuppressiva die Wirkung der Impfung?

Sollte sich eine 95-Jährige nach durchgemachter Infektion noch impfen lassen?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

0:48


Camillo Schumann


B. hat uns aus der Schweiz gemailt. Auch dort hört man uns. Sie schreibt:

„Die aktuellen Impfungen erzeugen nach meinem Wissensstand keine sterile Immunität. Geimpfte können weiterhin erkranken und das Virus weitergeben. Wenn dem so ist, besteht dann nicht die Gefahr, dass das Virus gerade über Geimpfte weiter mutieren kann und sich

neue Varianten daraus entwickeln? Vielleicht sogar Varianten, die sich besonders clever weiterentwickeln und die Impfungen austricksen. Ich stelle fest“, schreibt sie weiter, „dass sich sehr viele Geimpfte in falscher Sicherheit wähnen und die allgemeingültigen Verhaltensregeln nicht mehr einhalten. Frei nach dem Motto: Ich bin geimpft, mir kann nichts mehr passieren. Viele Grüße, B.“


Alexander Kekulé

Ja, also ich stelle auch fest, dass sich viele Geimpfte in Sicherheit wähnen. Und da muss man aufpassen, vor allem, wenn man nur einmal geimpft ist. Das haben wir ja schon ein paar Mal besprochen. Jetzt geht es um die zweimal Geimpften, um die, die richtig geimpft sind. Gibt es da noch ein Risiko? Es ist ganz klar, dass die neuen Varianten auch Geimpfte infizieren können. Da müssen insbesondere Personen, die noch unvollständig geimpft sind, aufpassen. Da ist die Wahrscheinlichkeit höher. Und deshalb hat man ja am Anfang mal diskutiert, dass es möglicherweise gefährlich ist, den Abstand zwischen der ersten und zweiten Impfung auseinanderzuziehen, weil man die Befürchtung hatte, dass dadurch die Häufigkeit von Mutanten hochgehen könnte, weil eben mehr Menschen mit so einem partiellen, mit einem teilweisen Immunschutz rumlaufen. Das hat sich nicht bestätigt. Es ist im Gegenteil inzwischen klar, dass die einmalige Impfung ein ganz wichtiger Schutz ist. Es ist viel, viel besser, viele einmal Geimpfte zu haben als weniger zweimal Geimpfte. Aber trotzdem: Die akademische Frage ist ja: Bilden sich dadurch neue Varianten raus? Und das ist höchstwahrscheinlich so. Also, die Varianten müssen ja irgendwie lernen, wie der Immunschutz sozusagen zu umgehen ist. Und das kann man nur „Learningby-doing“ machen, sozusagen. Das heißt, sie können das nur trainieren an Personen, die eben einmal geimpft sind, zweimal geimpft sind, die Krankheit schon mal durchgemacht haben, die eine Immunantwort haben und wie man sich da dann sozusagen trotzdem reinfuchsen kann. Quasi das Schloss an der Tür irgendwie mit dem Dietrich dann doch noch knacken, wenn eins eingebaut wurde. Und deshalb gibt es überhaupt diese neuen Varianten. Also, insbesondere die indische, von der jetzt so viele sprechen – die sogenannte Delta Vari-

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ante. Die hat sich natürlich in Indien herausgebildet, anhand von Menschen, die mit den anderen Varianten schon mal infiziert waren. Also, nicht an Geimpften, sondern an Infizierten. Und jetzt ist die Frage: Wird das dann insgesamt durch die Impfungen häufiger? Die Antwort ist: Nein, das wird viel, viel seltener. Warum wird das seltener? Weil es natürlich so ist, dass durch die Geimpften viele Menschen das Virus nicht mehr ausscheiden. Oder nur noch in kleiner Menge ausscheiden. Also, jemand, der geimpft ist, der ist auf jeden Fall weniger ansteckend. Der ist auch weniger schwer krank natürlich, falls er sich mal infiziert. Und dadurch, dass weniger hochansteckende Menschen rumlaufen, wird es wahrscheinlich auch kaum noch Superspreading-Ereignisse geben. Und dann geht die Reproduktionszahl runter. Das heißt, das Virus kann sich nur noch so ganz langsam ausbreiten, die Epidemie ebbt sozusagen ab. Und in dieser Phase hat das Virus dann weniger Infizierte. Und um aber eine neue Mutation hervorzubringen – das ist ja Versuch und Irrtum aus Sicht des Virus – muss es möglichst viele Versuche machen. Also, wenn Sie beim Roulette irgendwie 100 Mal spielen, ist die Chance, einen guten Gewinn zu machen, höher, als wenn sie nur einmal da eine Münze hinlegen. Und so ist es für das Virus auch. Das muss das ganz oft machen. Und je mehr Infizierte, desto besser. Das heißt, wenn wir dem Virus den Boden entziehen, indem wir die Reproduktionszahl runterfahren und nur wenige Menschen infiziert sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit für Mutanten auch geringer. Oder andersherum gesagt: Impfen bringt was und wird insgesamt nicht dazu führen, dass es mehr Mutanten gibt, sondern wird dazu führen, dass es weniger Mutanten gibt. Und das Gleiche gilt auch für die einmalige Impfung.

04:52 


Camillo Schumann


Die Frage war ja, ob es möglicherweise dann cleverere Mutanten oder Variationen gibt. Also, vielleicht seltener, die dafür aber umso cleverer. Oder sind die genauso doof oder clever wie die, die sozusagen bei den Nicht-Geimpften entstehen?


Alexander Kekulé

Ich schätze, das „clever“ steht so ein bisschen in Anführungszeichen. Also, es ist natürlich so,

Viren sind ja grundsätzlich mal nicht so besonders clever. Ein IQ-Punkt weniger und sie wären wahrscheinlich eine Pflanze. Aber es ist so, dass ein Virus natürlich sich so anpasst, dass das Immunsystem überlistet wird. Und das sind diese Immun-Escape-Mutanten, wie wir die ja nennen. Die entstehen sowohl eben bei Geimpften als auch bei Genesenen als auch während der Erkrankung von Menschen. Also, schon während jemand krank ist, kann das durchaus passieren. Früher hat man immer gedacht, das wird gezüchtet dadurch, dass vielleicht Menschen mit eingeschränkter Immunfunktion – also, die vielleicht AIDS haben oder Ähnliches oder unter Therapie stehen – dass die vielleicht diese Varianten ausbrüten. Das hat sich nicht bestätigt. Und ja, die sind insofern natürlich cleverer, als dass sie das Immunsystem überlisten. Also, so kann man das schon sagen. Und diese Immun-Escape-Varianten, die würden sich nicht bilden, wenn das Virus nicht zunehmend auf Geimpfte treffen würde. Man kann sogar sagen, ganz am Anfang, als die allerersten Varianten aufgetaucht sind – ich erinnere mich, als wir beide das mal besprochen haben, vor vielen Monaten – da habe ich ja gesagt, das ist eigentlich auch ein gutes Zeichen, dass diese Varianten auftauchen, und zwar vor dem Hintergrund, dass das ein Beleg dafür ist, dass das Virus zunehmend auf immune oder teilimmune Personen trifft und sozusagen gerade an die Decke stößt bei seinen Bemühungen, sich auszubreiten. Und dann fängt es eben an, sich zu verändern und zu sehen, ob da nicht doch noch was geht, das Immunsystem auszutricksen. Und genau das macht die südafrikanische Variante, macht die brasilianische und macht auch die indische.

06:44


Camillo Schumann


Genau. Sie werden ansteckender, aber nicht gefährlicher dann in Summe, oder?


Alexander Kekulé

Naja, also aus meiner Sicht werden sie nicht gefährlicher. Das ist natürlich nicht, wie soll ich mal sagen, in Stein gemeißelt. Wir haben in der Geschichte kein Beispiel dafür, dass ein Virus auf diese Weise gefährlicher geworden wäre. Und es ist so, dass es aus Sicht des Virus' natürlich – nicht des einzelnen Virus', aber insgesamt der Virusart, wenn man so sagen darf –

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gibt es natürlich einen Selektionsdruck in der Richtung, dass Viren, die Menschen sehr schwer krank machen, sich nicht so gut weiter verbreiten, weil jemand, der krank ist, normalerweise dann im Bett bleibt, weniger Leute trifft. Die genialsten Viren in der Hinsicht sind eben Schnupfenund Erkältungsviren. Ja, wenn Sie einmal niesen – was ja keine schlimme Erkrankung ist – und Sie machen das schön in der U-Bahn oder an der Arbeitsstelle, dann können Sie ganz viele Menschen damit anstecken. Und Ebola ist, wenn Sie so wollen, das dümmste Virus von allen, weil das die Menschen so schwer krank macht, dass man erstens sofort sieht, dass sie krank sind, dass man sie nicht mehr anfassen möchte eigentlich, so, wie die aussehen. Und, dass die Patienten selber natürlich auch liegenbleiben an der Stelle, wo sie sind. Und deshalb ist es so, dass von der Evolution her ein Virus immer in die Richtung geht: Stärker ansteckend und dafür weniger stark krankmachend.

08:58


Camillo Schumann


Gut. Eine Lehrerin hat uns angerufen – damit zum nächsten Thema. Sie möchte anonym bleiben. Sie es 64 Jahre alt, Lehrerin an einer Grundschule, ist doppelt geimpft, lebt in einem Vier-Generationen-Haushalt und hat folgende Frage:

„Die Klassen sind jetzt wieder voll und die Maskenpflicht wurde aufgehoben. Es gilt das Kohorten-Prinzip. Das heißt, die Jahrgänge bleiben im Prinzip unter sich – auch in den Pausen. Ich als Lehrkraft muss aber zwischen den Kohorten hin und her wechseln. Das heißt, vom ersten Jahrgang in den vierten Jahrgang, zum Beispiel. Ist es ratsam, trotz Impfung im gesamten Unterricht eine FFP2 -Maske zu tragen? Denn einen hundertprozentigen Schutz hat man durch die Impfung ja auch nicht. Und die Kinder sind ja alle ungeimpft.“


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine wichtige, grundsätzliche Frage. Die müssen wir uns letztlich als Gesellschaft stellen. Das kann ich jetzt als Virologe nicht perfekt beantworten, aber ich kann die Optionen mal aufblättern. Es ist so, dass wir auch mit der Impfung keinen hundertprozentigen Schutz haben. Das war ja bei der letzten Frage auch das Thema. Es gibt ein Restrisiko, dass ein

Geimpfter tatsächlich das Virus ausscheidet. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass er zum Superspreader wird, würde ich mal sagen, ist sehr, sehr, sehr gering, viel geringer als sonst. Sodass man aus epidemiologischer Sicht sagen würde, wenn man sich die ganze Bevölkerung anschaut: Selbstverständlich können Geimpfte die Maske abnehmen. Das würde wahrscheinlich auch das Bundesverfassungsgericht so sehen, wenn es die Güterabwägung macht. Aus rein medizinischer Sicht kann man natürlich sagen: Jeder einzelne, der irgendwie dann doch infiziert wird, ist einer zu viel. Wir wollen 100 Prozent Sicherheit. Und wenn wir sozusagen auf 100 Prozent Sicherheit gehen würden – Sie ahnen schon, ich halte das für nicht praktikabel – dann müssten wir sagen: Auch Geimpfte müssen langfristig und auch in solchen kontrollierten Situationen wie in der Schule immer die Maske tragen. Mein persönliches Plädoyer ist, dass man sich da an der Stelle, auch wenn's schwerfällt nach so einer langen Zeit von Warnungen von Fachleuten – da gehöre ich ja auch dazu – jetzt sich locker zu machen und zu sagen: Okay, wenn jemand geimpft ist, gibt es natürlich ein Restrisiko, aber das nehmen wir jetzt einfach mal in Kauf. Da sagen wir als Gesellschaft – gerade in so einer Situation, der Lehrer steht vorne, der muss die ganze Zeit sprechen, der ist doppelt geimpft, die Kinder sind jetzt auch nicht die Hochrisikogruppe. Es ist ja auch inzwischen von der Ständigen Impfkommission schwarz auf weiß verbrieft, dass Kinder also wirklich da ein eher mit der Influenza vergleichbares Risiko haben, wenn sie sich infizieren. Und vor diesem ganzen Hintergrund würde ich sagen, ist es verantwortbar, dass man auch bei Lehrern sagt, die dürfen die Maske abnehmen, wenn sie doppelt geimpft sind. Es ist natürlich dann immer noch der Individualschutz auf der anderen Seite. Da ist sozusagen jetzt die medizinische Seite und nicht die epidemiologische. Es kann ja sein, dass eins von diesen Kindern zu Hause einen wirklichen Superrisikopatienten hat. Ja, da ist die Oma Zuhause, die ist aus irgendwelchen Gründen nicht geimpft und steht im Risiko. Das wäre so ein Grenzfall, wo man eben sagen muss, dass ist vielleicht eine Indikation, dann das Kind zu impfen. Und das müssen die Leute eben dann selber überlegen, was sie machen. Aber ich

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glaube jetzt so generell, zu sagen – auch pädagogisch gegenüber dem Volk, wenn ich mal so sagen darf – jetzt haben wir alle auf diese Impfung hin gehofft. Und eigentlich haben die Fachleute – zumindest die, die sich auskennen – schon immer gesagt, eine Impfung wird nie eine sterile Immunität haben. Es wird immer so sein, dass es weitere Infektionen – auch durch die Varianten – gibt. Und jetzt zu sagen: Ätsch, wir haben euch da das Falsche versprochen, ihr müsst bis zum Sankt Nimmerleinstag die Masken aufbehalten – das wäre natürlich eigentlich auch politisch gar nicht praktikabel. Und deshalb sage ich: Lass uns konsequent sein. Wer geimpft ist, gilt jetzt einfach erst mal als sicher. Und wer sich darüber hinaus schützen will, weil er quasi Richtung 100 Prozent gehen will oder muss, der muss eben selbst dann Schutzmaßnahmen ergreifen.

11:53


Camillo Schumann


Also, Ihr Plädoyer dafür, Covid-19 quasi zum normalen Lebensrisiko erklären zu lassen, wenn ich das so richtig rausgehört habe, oder?


Alexander Kekulé

Ja. Bei Geimpften, also sobald sie geimpft oder genesen sind, finde ich, müssen wir einfach sagen: Jetzt ist auch mal gut. Und dann haben wir einfach alles getan als Staat und die Epidemiologen haben sich ins Zeug gelegt. Und dann müssen wir uns dann auch anderen Problemen zuwenden als jetzt da eine Wahrscheinlichkeit von eins zu 5000 oder so auch noch auszuschließen.

12 :2 3


Camillo Schumann


Aber, weil Sie ja das Individualrisiko oder die Individualentscheidung angesprochen haben: Darum ging es der Lehrerin ja. Sie ist doppelt geimpft, Vier-Generationen-Haushalt, also quasi vom Jüngsten bis zur Ältesten oder bis zum Ältesten ist alles mit dabei. Im ganz konkreten Fall: Trifft das da auch zu? Also, kann man Ihre Empfehlung da auch anwenden?


Alexander Kekulé

Das muss ich zugeben, da habe ich vielleicht die Frage nicht ganz verstanden. Also, ich dachte jetzt den Schutz der Schüler. Also, wenn es jetzt darum geht, dass sie selber Angst hat, dass sie sich trotz der Impfung infiziert von

den Schülern. Also, ich würde sagen: Ein Geimpfter, der noch Angst hat davor, sich anzustecken, also, da sollte man die Ängste nehmen. Wenn wir damit anfangen würden, ja, dann dürften sie ja auch keine Geimpften im Altersheim arbeiten lassen als Pfleger und Ähnliches. Da würden wir dann zurück sozusagen zu den Plexiglasscheiben kommen. Und ich glaube, das müssen wir in beiden Richtungen gelten lassen. Also, der Geimpfte ist zunächst mal rein statistisch kein Überträger. Ich hatte jetzt eher gedacht, dass die Lehrerin vielleicht ausversehen einen Schüler ansteckt. Der könnte ja dann das Vollbild entwickeln, damit hoch ansteckend sein und dann eine Gefahr für andere werden. Aber jemand, der selber geimpft ist, der wird mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine massive Virusausscheidung machen, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass der überhaupt jemand anderes ansteckt, extrem gering ist.

13:46


Camillo Schumann


Man kann die Frage sicherlich in beiden Richtungen interpretieren. Und da haben wir das ja jetzt umfassend beantwortet. Hervorragend. Herr E. hat uns gemailt. Er arbeitet als Förderschullehrer und er ist neben seinem Unterrichtseinsatz in der Förderschule auch in der Inklusion-Beratung an 2 weiteren allgemeinen Schulen eingesetzt. Er schreibt:

„Meine zweite Impfdosis BioNTech habe ich vor drei Wochen erhalten und ich gelte somit als vollständig geimpft. Ich habe gelesen, dass eigentlich kein Grenzwert festgelegt ist bzw. festgelegt werden kann, an dem sich ein Immunschutz gegen Covid-19 ablesen lässt. Zum Vergleich konnte ich meine Masern-Immunität mit einem Antikörpertest gegenüber meinem Arbeitgeber nachweisen. Daher meine Frage: Ist es sinnvoll, einen Antikörpertest machen zu lassen? Oder ist dieser aufgrund der Virus-Mutation nicht aussagekräftig? Wenn es sinnvoll ist, wann wäre ein guter Zeitpunkt, um den Impfstatus Covid-19 bestimmen zu lassen? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Es ist nicht sinnvoll. Zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall. Die Antikörper sind übrigens nicht wegen der Mutanten nicht aussagekräftig, sondern sie sind deshalb nicht aussagekräftig, weil

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man das noch nicht sauber korreliert hat. Also, wir wissen nicht, ab welcher Konzentration von IgG – so heißen die ja dann, das sind die Immunglobuline G, also der G-Typ von Antikörpern. Da ist es so, dass wir nicht wissen, ab welchem Titer sozusagen noch eine Immunität besteht. Bei Masern kann man das besser sagen. Und eins ist klar: Der Hörer wird sicher in der Kindheit gegen Masern geimpft worden sein und nicht vor drei Wochen. Und natürlich ist es dann nach vielen Jahren irgendwann mal sinnvoll, so einen Titer zu bestimmen – bei Masern geht es um Jahrzehnte und wahrscheinlich ist das sogar ein lebenslänglicher Schutz. Und bei Covid-19 wird es wohl so sein, ich würde mal sagen, wahrscheinlich werden wir so in sechs Monaten, zwölf Monaten etwas bessere Daten haben, wie lange denn der Impfschutz gegen genau die gleiche Variante noch gültig ist. Dass es gegen andere Varianten nicht so perfekt ist, das ist jetzt schon klar, da können Sie aber auch mit Antikörperbestimmung nicht viel ausrichten. Deshalb würde ich sagen: Nein, keine Bestimmung machen. Wir gehen einfach davon aus, dass alle, die geimpft sind, jetzt erstmal geschützt sind. Ich würde auch dafür plädieren, das für die Herbstwelle dann noch aufrechtzuerhalten. Einfach, um die Sache nicht unnötig kompliziert zu machen, auch die Leute nicht zu verunsichern. Sondern ich würde sagen: Geimpft ist geimpft. Und das gilt jetzt auch weiter, nicht nur sechs Monate lang. Genauso wie genesen würde ich erstmal gelten lassen, weil man damit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Pandemie in den Griff bekommt und keine weiteren Maßnahmen braucht. Was natürlich schon sein kann, ist, dass wir dann im Herbst entweder die bekannten Varianten oder neue Varianten besser untersucht haben und dann feststellen: Naja, bei dieser bestimmten Variante ist der Impfschutz schon schneller weg. Also, ich sag mal, dass die Kreuzimmunität – wie wir das dann nennen – vielleicht nach drei, vier Monaten schon nicht mehr richtig ausreicht. Das wird dann die Diskussion sein: Brauchen wir eine dritte Impfung? Also, eine zweite Auffrischimpfung mit einem möglicherweise angepassten Impfstoff. Aber das wird dann auch nicht so sein, dass man sagt, wir bestimmen die Antikörper-Titer, sondern da wird man ganz allgemein sagen: Wenn eine neue Variante kommt und zirkuliert

und man sieht, dass der Schutz gegen diese Variante mit den bisher verabreichten Impfstoffen nicht so perfekt ist, dann wird man einfach zur neuen Impfung aufrufen. So, wie es bei der Influenza ja auch alle Jahre wieder ist. Ich bin gar nicht so sicher, ob das bei Covid notwendig sein wird. Mein Eindruck ist, dass man das Coronavirus insgesamt viel besser in den Griff kriegen kann als die Influenzaviren. Sozusagen perspektivisch. Dass das so völlig aus dem Ruder gelaufen ist in diesem Pandemie-Jahr, lag auch wirklich an falschen politischen Entscheidungen – weltweit, nicht nur in Deutschland. Und da haben wir ja inzwischen alle viel gelernt. Und deshalb glaube ich schon, dass die Chance besteht, wenn jetzt die Impfungen einmal durchgelaufen sind, dass dieses Virus – es wird noch dableiben, es wird in niedriger Frequenz dableiben, es wird bestimmte Subpopulationen immer wieder befallen. Aber es könnte schon sein, dass wir hinter das Problem irgendwann mal wirklich einen Haken machen können.

17:55


Camillo Schumann


Was macht Sie da so sicher, dass man dann möglicherweise ein Jahr später oder 2 Jahre später nicht mehr geimpft werden muss? Ich meine, nach dieser Aussage von Ihnen, da gehen jetzt die Aktienkurse von BioNTech/Pfizer, Moderna in den Keller.


Alexander Kekulé

Nein, ich habe ja extra gesagt, ich bin eben gerade nicht sicher. Aber es ist halt so, es ist relativ klar, dass wir eine langanhaltende Immunität haben auf der zellulären Basis. Wir haben ja viele Daten, die zeigen, dass die Gedächtniszellen und auch so langlebige Knochenmarks-BZellen, also Plasmazellen im Knochenmark, länger leben, die diese Antikörper produzieren, dass die richtig lange erhalten bleiben. Und mein Eindruck ist, dass es so sein wird, dass wir eine Kreuzimmunität bekommen – auch gegen die neuen Varianten. Und das eben dann – natürlich werden neue Varianten kommen – aber dadurch, dass die Bevölkerung dann durch Impfungen oder durchgemachte Infektionen allgemein so eine Art Basisimmunität hat, dann fällt halt dieser Neuheitsfaktor für dieses Virus weg. Also, wenn eine neue Variante kommt, ist die für das Immunsystem nicht komplett neu,

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sondern man hat so was Ähnliches schon mal erlebt und dieser Überraschungseffekt ist dann weg. Früher habe ich sehr intensiv Schach gespielt und da gibt es ja das Thema, wenn einer eine neue Eröffnung kann – und Sie kennen die Eröffnung nicht – dann haben Sie in der Regel 100 Prozent Sicherheit, dass Sie das nächste Spiel verlieren, weil der kommt da mit einem komplett neuen Ansatz. Und sie machen nur Fehler, weil sie sich darauf nicht eingestellt haben. Am schlimmsten ist es, wenn man mit der Uhr spielt und schnell spielt. Und dann setzt der Sie matt und dann gucken Sie dumm in die Röhre, egal, wie gut Sie meinen, spielen zu können. Aber wenn der dann mit der gleichen Eröffnung nochmal kommt und die nur ein bisschen variiert, dann hat der schon keine Chance mehr. Weil ich ja dann weiß – habe mir natürlich hinterher Gedanken gemacht, was da die beste Abwehr ist oder im Buch nachgelesen. Und das Immunsystem ist so ähnlich. Das hat eben dann sozusagen 80 Prozent des Programms gegen diese Coronaviren schon drauf. Und wenn dann eins kommt, das sich um fünf Prozent verändert hat, dann deckt man das im Randbereich noch mit ab. Deshalb ist meine Hoffnung, dass wir insgesamt als Population dann nicht mehr, wie wir sagen, immunologischen naiv sind gegenüber dem Virus, sondern insgesamt eine gewisse Basisimmunität haben. Und dann werden die Varianten natürlich immer mal wieder schwerere Wellen machen. Aber es wird nicht so sein, dass unsere Immunität quasi komplett weg ist, als hätten Sie den Stecker gezogen.

2 0:2 0


Camillo Schumann


Okay. Und warum gibt es dann bei der Influenza – um jetzt so einen kleinen Ausflug zu machen – so einen Dreifach-, Vierfachimpfstoff? Warum trifft das nicht zu, oder möglicherweise nicht zu, was Sie jetzt gerade für die Coronaviren plastisch dargestellt haben?


Alexander Kekulé

Ja, wir können gern ein bisschen Vorlesung machen. Es ist so, die Influenzaviren haben so einen Trick drauf, den die Coronaviren nicht können. Die haben so eine Art Kassetten-Modell. Also, die sind in der Lage, wirklich ganze Teile von ihren Antigenen, also von der Oberfläche, wie in einer Kassette auszutauschen.

Vielleicht haben Sie das schon mal gehört, H1, N1 oder so heißen die. Dieses H und dieses N, das sind einzelne Bausteine, die können die nicht nur so ein bisschen mutieren, das dann so einzelne Elemente sich ändern, sondern die tauschen sie komplett aus, und zwar fieserweise mit Vogelviren. Das sind Wasservögel in Zentralasien. Von denen holen sie sich immer wieder neue solcher Bausteine. Und dann passiert eben genau das, dass gegen diesen neuen Baustein – bei der Influenza ist dann sozusagen die Bevölkerung komplett naiv, weil die das noch nicht kennt, weil das bis jetzt nur bei irgendwelchen Enten in Zentralchina bekannt war. Und dadurch ist es fast wie ein neues Virus. Und diesen Supertrick, den können aber die Coronaviren nicht. Die können so ein bisschen was Ähnliches, um schneller zu mutieren, aber sie haben nicht dieses Kassetten-Modell. Und deshalb ist die Situation bei Influenza tatsächlich anders als bei Coronaviren.

2 1:52 


Camillo Schumann


Frau K. hat uns gemailt. Sie hat die Spezialsendung vom 12 .06.2 02 1 gehört, in der es ja darum ging, dass die BioNTech-Impfung möglicherweise ruhende Viren wieder aktivieren kann. Als Beispiel hatten wir über die Gürtelrose gesprochen. Nun will Frau K. wissen:

„Ich selbst leide seit gut 2 0 Jahren am chronischen Fatigue-Syndrom aufgrund des EpsteinBarr-Virus. Meine Frage ist: Könnte die Impfung mein Epstein-Barr-Virus wieder aktiv werden lassen, sodass sich meine Erschöpfung weiter verschlimmert? Das würde mich sehr wahrscheinlich berufsunfähig machen. Ich schaffe meinen Alltag nur noch so mit Mühe und Not. Viele Grüße, Frau K.“


Alexander Kekulé

Also, beim Epstein-Barr-Virus, das hat ja eine Assoziation zu diesem chronischen Müdigkeitssyndrom. Da ist es nicht so, dass es echte Virusaktivierungen gibt, die dann zur Verschärfung der Krankheit führen. Also, dieses Modell, wie man das bei Herpes kennt, das gibt es beim Epstein-Barr-Virus nicht. Bei Herpes ist es ja so, wenn Sie den normalen Lippenherpes nehmen, der ist ja im Prinzip immer im Körper drinnen. Und dann haben Sie eine Grippe oder eine andere Erkältung und dann gibt es diese Fieberbläschen. Und das ist ja nichts anderes

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als ein Herpesbläschen, was wieder ausgebrochen ist, weil das Immunsystem es nicht geschafft hat, dieses Virus vorübergehend unter Kontrolle zu halten. Das gleiche gibt es, wenn man sich in die Sonne legt, bei manchen Leuten, wenn der Sommer anfängt. Also, diese Reaktivierung – obwohl Epstein-Barr-Virus auch zu der Gruppe der Herpesviren gehört – die gibt es da in dem Sinne nicht. Zumindest nicht so, dass es assoziiert ist mit schwereren Phasen von der chronischen Müdigkeit. Und deshalb würde ich sagen: Das ist fast ausgeschlossen, dass jetzt durch das Covid oder durch eine Impfung gar das Epstein-Barr-Virus aktiviert wird.

2 3:2 9


Camillo Schumann


Unsere Hörerin K. hat – wie viele Frauen – mitbekommen, dass es Berichte gibt, wonach der Impfstoff von BioNTech/Pfizer bei einigen Frauen möglicherweise den Zyklus beeinflusst, er zum Beispiel unregelmäßiger wird. Nun treibt sie folgende weiterführende Frage um:

„Meine Frage ist jetzt zum Thema Pille. Und zwar nehme ich die Pille, bin jetzt einmal geimpft, der zweite Impftermin steht an. Könnte das eventuell auch die Wirkung der Pille beeinflussen? Ich denke, das interessiert einige junge Frauen, deshalb wäre ich sehr dankbar für eine Antwort. Dankeschön.“


Alexander Kekulé

Das ist ja eine smarte Frage. Also, nochmal rekapituliert: Es gibt Hinweise darauf, dass bei der Impfung mit den RNA-Impfstoffen – bei den anderen ist es nicht so genau dokumentiert – einige Frauen verstärkte Periodenblutungen, Regelblutungen haben, einige haben stärkere Schmerzen und einige berichten darüber, dass die Blutung früher als normal angefangen hat. Jetzt muss man aber sagen: Das ist jetzt erstmal nur eben ein Bericht, dass das ungefähr gleichzeitig passiert. Nur, weil etwas gleichzeitig passiert, muss es nicht unbedingt kausal sein. Also, wenn es irgendwie während des Gewitters knallt, kann es entweder sein, dass das tatsächlich ein Blitz war, der eingeschlagen hat und es donnert. Oder es kann sein, dass irgendwie um die Ecke ein Brett umgefallen ist. Könnte natürlich auch kausal sein, wenn es der Wind umgeblasen hat. Aber im

Prinzip ist es so: Es gibt kausale und nicht kausale Gleichzeitigkeit. Wir wissen noch nicht, ob das wirklich so ist, dass diese Phänomene, die die Frauen berichten – in den USA gibt es da inzwischen sogar eine eigene Website, wo man das melden kann – dass die wirklich kausal sind. Falls das so wäre – das werden sicherlich die Gesundheitsbehörden, die diese Medikamentenwirkungen jetzt überwachen, die werden das natürlich weltweit zusammentragen und demnächst dann auswerten. Falls es überhaupt einen richtigen Zusammenhang gibt, ja, dann muss man überlegen: Wodurch würde das Zustandekommen? Die wahrscheinlichste Erklärung ist dann Folgende: Also, es ist ja so, dass die Schleimhaut von der Gebärmutter – das heißt Endometrium bei den Ärzten, also diese Schleimhaut der Gebärmutter, die ja einmal im Monat abgestoßen wird bei Frauen, bei jüngeren Frauen. Da ist es so, die ist immunologisch extrem empfindlich. Also, die reagiert sehr stark auf Zytokine zum Beispiel, diese Botenstoffe, mit denen das Immunsystem Signale sendet. Warum braucht sie das? Mindestens einmal im Monat wird die Immunität in diesem Bereich absichtlich runtergeregelt – für den Fall, dass sich ein befruchtetes Ei, also ein Embryo im Frühstadium, einnisten sollte. Da will man ja nicht, dass dieser Fremdkörper – das ist ja ein fremder Organismus, das sich entwickelnde Kind – dass das gleich abgestoßen wird. Und darum hat diese Schleimhaut der Gebärmutter so einen Zustand, dass die dann zyklushaft – also nicht den ganzen Monat, aber an den Tagen, wo die Einnistung möglich ist – eben ihre Immunität absichtlich runterreguliert. Jetzt könnte man sich natürlich vorstellen, wir wissen ja nun, dass die RNA-Impfstoffe – wie alle Impfstoffe, aber in dem Fall besonders stark – das Immunsystem aktivieren. Wenn da diese blanke RNA gespritzt wird, ist es offensichtlich so, dass da quasi Alarmstufe Rot bei der Immunantwort ist. Die wird geradezu hysterisch. Hysterisch ist eine gute Überleitung, weil Hysteria heißt Gebärmutter auf Griechisch. Und es ist so, dass eben dann durch diese Überaktivierung des Immunsystems möglicherweise die Gebärmutterschleimhaut diesen gedämpften Zustand, den sie sonst haben sollte, verliert. Und dann würde das erklären, warum zum Beispiel eine sowieso stattfindende Monatsblutung dann stärker wird,

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mehr schmerzen macht oder warum sie eventuell ein bisschen zu früh geht. Das ist aber nicht so, dass das, was ich gerade gesagt habe, jetzt das wissenschaftliche Ergebnis irgendwelcher Studien ist, sondern das ist rein hypothetisch die Überlegung, woran es theoretisch liegen könnte, falls ein kausaler Zusammenhang da wäre. Warum sage ich das so ausführlich? Falls das so wäre, müsste man damit rechnen, dass jetzt die Wirkung der Pille eigentlich nicht abgeschwächt wird, sondern eher Frauen, die einen Kinderwunsch haben – wenn an dem Tag Grad die Einnistung des Embryos wäre – da ein Problem kriegen. Also, dass das dann sozusagen bei dringendem Kinderwunsch halt einen Monat nicht klappt, obwohl es vielleicht hätte klappen können, weil man gerade geimpft wurde. Also diese Variante gibt es. Dass man sich vorstellen kann, dass sozusagen die Pille deshalb nicht mehr wirkt, da müsste man wirklich ganz weit in die abstrakte Kiste greifen und sagen: Naja, gut, das Ganze wird natürlich durch Rückkopplungsmechanismen irgendwie geregelt. Und dann müssten indirekt dann irgendwelche Dinge beeinflusst werden, die etwas mit den Hormonen zu tun haben. Das wäre mir zu abwegig. Aber die naheliegende, sage ich mal, Möglichkeit, die man schon in den Raum stellen muss, ist, dass möglicherweise, wenn gerade an dem Tag, wo man geimpft wurde oder kurz danach sich ein befruchtetes Ei einnisten wollte und die Gebärmutterschleimhaut aktiviert wird durch diese Impfung, dass sie möglicherweise dieses Ei rausschmeißt, obwohl sie es nicht soll. Das ist, glaube ich dann wichtig für Frauen, wenn sie einen Kinderwunsch haben und zum Beispiel gerade eine künstliche Befruchtung machen und viel, viel Geld ausgeben für eine In-VitroFertilisation. Und da würde ich jetzt wahrscheinlich so weit gehen und sagen: Also, wenn Sie gerade eine IVF machen – eine künstliche Befruchtung – da in der Zeit würde ich jetzt vielleicht auf die Impfung verzichten, nach den Daten, die es da gibt. Aber für alle anderen kann man sagen: Im schlimmsten Fall kommt die Regel mal 2 Tage früher. Das kann im Urlaub ja auch passieren.

2 9:07


Camillo Schumann


Genau. Und die konkrete Frage nach der Pille

ist damit auch beantwortet. Also, keine Unregelmäßigkeiten sind zu erwarten im Moment.


Alexander Kekulé

Es ist keine Einschränkung der Wirkung der Pille zu erwarten. Im Gegenteil. Eher, wenn man so will, eine synergistische Wirkung, dass so einen ähnlichen Effekt möglicherweise auch so eine Stimulation des Immunsystems hat. Aber nochmal mit der Einschränkung: Das war jetzt wilde Spekulation. Wir haben darüber keine Daten und bis jetzt ist noch gar nicht klar, ob diese Effekte wirklich überhaupt korreliert sind mit der Impfung.

2 9:35


Camillo Schumann


Herr L. hat eine Mail geschrieben. Er hat im Radio gehört, dass Patienten, die Medikamente wie Methotrexat unter anderem einnehmen müssen, um ihr Immunsystem herunterzufahren, womöglich Probleme beim Corona-Impfen hätten. Nämlich, es würden zu wenige oder gar keine Antikörper gebildet. Also: Trotz Impfung bleibt man ungeschützt.

„Das war“, schreibt er, „auf nüchternen Magen ein echter Hammer, der nicht nur zur Fröhlichkeit während des Tages beitrug. Was sagen Sie dazu? Viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Auweia. Ich höre da raus, dass er das Methotrexat nimmt. Also, Methotrexat ist eins von den sogenannten Basis-Antirheumatika, also Rheumapatienten und andere mit Autoimmunkrankheiten nehmen häufig Methotrexat. Meistens sind es auch ältere Patienten. Das ist ein lang bewährtes, relativ billiges Medikament. Und in dieser Basistherapie gibt man das, um – wenn ich mal so sagen darf – die Aktivität der Immunzellen so ein bisschen zu bremsen, weil Rheumapatienten haben ja Immunzellen, die den eigenen Körper angreifen und das muss man da so ein bisschen dämpfen. Und es ist in der Tat so, dass es Hinweise darauf gibt, dass das Methotrexat die CovidImpfung negativ beeinflusst, also den Erfolg der Impfung beeinflusst. Das sind bisher nur Hinweise. Es gibt, glaube ich, ein oder 2 Studien, die das untersucht haben. Eine, die ich jetzt gerade im Kopf habe, ist so, dass die in New York, und ich meine in Erlangen in

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Deutschland, so eine Handvoll Patienten, 50 oder 80 Patienten, zusammen gehabt und die Hälfte ungefähr mit Methotrexat behandelt. Und da haben sie herausgefunden, dass die IgG-Antwort nach der Impfung, also die Antikörperbildung nach der Impfung, signifikant schlechter war bei denen, die Methotrexat gekriegt haben, als bei der Kontrollgruppe. Und dass vor allem auch die T-zelluläre Antwort, also diese zytotoxischen T-Zellen, die ein ganz wichtiger Teil der Immunantwort bei der Impfung sind, dass die, wenn ich mich richtig erinnere, gar nicht mehr nachweisbar waren. Und das ist aber eine ganz kleine Gruppe von Probanden gewesen. Warum ist das trotzdem ein relevantes Ergebnis? Wir wissen das eigentlich schon von der Influenza-Impfung. Also, die Influenza-Impfung, da wissen wir schon, dass Patienten die Methotrexat kriegen, tendenziell schlechter auf die Impfung ansprechen. Und es gibt auch Leute, die empfehlen, vor und nach der Influenza-Impfung 2 Wochen Pause zu machen mit dem Methotrexat. Hat sich noch nicht durchgesetzt, aber zumindest diese Idee steht im Raum. Sodass man jetzt schon die Frage stellen muss: Ist da was dran oder nicht? Diese ersten Studien haben natürlich viele Nachteile. Das sind keine richtig kontrollierten Studien. Da hat man irgendwelche Daten genommen, die sowieso schon da waren und hinterher ausgewertet. Das ist immer ein Problem, weil man dann Fehler nicht so leicht ausmerzen kann. Es ist auch so, dass das Methotrexat eher ältere Patienten kriegen. Und von älteren Patienten wissen wir sowieso, dass sie schlechter reagieren auf die Impfungen und auch auf die Corona-Impfung, sodass es also damit auch zusammenhängen könnte. Es gibt also sehr, sehr viele Fehlerquellen. Und das Wichtigste ist eigentlich auch der zeitliche Ablauf, das wird bei der Influenza diskutiert. Da sagt man: Wenn das Methotrexat hier die Immunantwort bremst, kann es nicht sein, dass die im Ergebnis genauso gut ist, aber nur ein bisschen länger dauert, bis sie anspringt. Und das ist bei Covid noch überhaupt nicht untersucht worden. Also, diese eine Studie, die ich im Kopf habe, da ist es so, da hat man nur gesehen, es ist zu einem kurzen Zeitpunkt nach der Impfung keine so gute Reaktion. Aber man weiß nicht, ob sich das nach ein paar Wochen später wieder einfängt, weil es einfach nur

sozusagen langsamer reagiert. Das heißt: Ja, es gibt Hinweise darauf, dass das einen negativen Einfluss hat. Und es kann sein, dass wir in einigen Monaten im Beipackzettel die Empfehlung haben, dass man im Zusammenhang mit der Impfung die Methotrexat Behandlung für plus, minus 2 Wochen aussetzt. Ich würde dringend davor warnen, dass jetzt selber schon im Do-It-Yourself Verfahren zu machen. Die Rheumatiker wissen, dass man das nicht absetzen darf, sondern wenn überhaupt dann wirklich mit dem Hausarzt diskutieren, ob man auf ein anderes Basis-Medikament umsteigt vorübergehend, das ist im Prinzip möglich. Ob sich der Aufwand jetzt lohnt für die Impfung und dafür, dass die Daten noch nicht so klar sind, ist schwierig zu sagen. Also, ich meine, es lohnt sich letztlich nicht. Man sollte sich einfach impfen lassen und hoffen, dass es wirkt.

33:55


Camillo Schumann


Da hat Herr L. sicherlich die Besprechung dieser Studie, die Sie gerade genannt haben, im Radio gehört und sich dann so seinen Reim darauf gemacht und war dann natürlich dementsprechend verunsichert. Nachvollziehbar. Aber dafür gibt es ja den Corona-Kompass, dann nochmal nachzufragen.

Herr W. aus Dresden hat angerufen. Seine Schwiegermutter ist 95 Jahre alt, geistig und körperlich topfit. Die Dame hat eine Corona-Infektion durchgemacht, war auch im Krankenhaus? Es ist alles gut abgelaufen. Allerdings hat sie bei der Entlassung kaum Antikörper gehabt. Nun hat Herr W. folgende Frage:

„Soll sich meine Schwiegermutter im Alter von 95 Jahren nach durchlebter Corona-Infektion jetzt impfen lassen? Wann wäre die günstigste Zeit? Sechs, acht oder zehn Monate danach? Soll sie vorneweg einen Antikörpertest machen, oder nicht? Oder soll sie sich gar nicht mehr impfen lassen? Vielen Dank.“


Alexander Kekulé

Die Fragen werden ja immer schwieriger im Laufe dieses Podcasts. Also, wenn es meine Mutter wäre, würde ich sagen: Jetzt hast du das durchgemacht, jetzt hast du da die Immunität, jetzt lass mal stecken.


Camillo Schumann


Aber auch, wenn sie kaum Antikörper hatte?

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Alexander Kekulé

Das hat damit nichts zu tun, nein. Also, dass sie die Krankheit gut weggesteckt hat, heißt ja, dass das Immunsystem da war, etwas getan hat. Es ist ja nicht so, dass das Virus gnädiger wäre zu alten Menschen, sondern es ist so, dass das Immunsystem hier natürlich agiert hat. Und man kann auch sagen, wir wissen ja, die schweren Verläufe, die haben was mit der Genetik zu tun. Also, es ist ganz klar, dass diejenigen, die einen schweren Verlauf haben, entweder eine Vorerkrankung haben oder irgendeine angeborene Prädisposition. Irgendein angeborenes Problem, was das dann schwerer macht. Und darum kann man schon sagen: Jemand, der einmal in dem hohen Alter – also das Alter ist ja ein Risikofaktor – die Krankheit mal so weggesteckt hat, das würde dann beim nächsten Mal auf jeden Fall auch wieder so laufen. Also, sie gehört offensichtlich nicht zu der Gruppe der Personen, die aus genetischen Gründen ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken. Und dass man jetzt mit 95 sich noch irgendwie so einen Wanst anfuttert, dass man irgendwie einen Risikofaktor kriegt, ist auch nicht so wahrscheinlich. Darum würde ich jetzt einfach sagen: In dem Alter gibt es gute Gründe, die Impfung wegzulassen. Die ist ja immer auch eine Belastung, weil sie natürlich dann auch durch die Reaktogenität – gerade bei älteren Menschen, wenn es dann reaktogen wird – den Kreislauf belastet, es sie ein, 2 Tage lang da aus dem Gefecht zieht. Und deshalb würde ich es wahrscheinlich in dem Fall nicht machen. Mit dem Vorbehalt, dass wir nicht wissen, welche Mutanten da in einem Dreivierteljahr möglicherweise zirkulieren. Das sollte man vielleicht beobachten. Und wenn man dann liest oder in unserem Podcast – wenn es den dann noch gibt – hört, dass man aufgrund der neuen Mutanten jetzt mit einem neuen Impfstoff ranmuss, dann gilt das Gleiche natürlich auch für die, die durch genesenen Zustand quasi immun sind. Also, da könnte man dann auch empfehlen, Genesene nochmal zu impfen.

36:48


Camillo Schumann


M. aus Köln hat angerufen. Er hat eine CoronaInfektion durchgemacht und nun plant er seine Impfung. Deshalb will er Folgendes wissen:

„Jetzt frage ich mich: Ist die Impfung auch mit Johnson & Johnson möglich? Normalerweise ist es ja so, man kriegt nur die zweite Impfung, wenn man schon positiv war. Wie sieht das bei Johnson & Johnson aus? Weil da gibt es ja eigentlich nur eine Impfung.“


Alexander Kekulé

Das kann man ganz normalen nehmen. Also, Sie müssen nicht die halbe Dosis nehmen oder Ähnliches, sondern das hat eigentlich hauptsächlich mit den Studien zu tun, wie das Ganze eingetütet wurde, ob man jetzt einoder zweimal impft. Es ist ja so, dass auch AstraZeneca ursprünglich mal so designt worden ist, dass man an eine Einmalimpfung gedacht hat. Und leider war dann einfach die Wirkung nicht gut genug, sodass man die zweite Impfung dann nachträglich eingeplant hat. Und Johnson & Johnson hatte da mehr Glück. Der Impfstoff ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas cleverer konstruiert worden. Aber das heißt nicht, dass man jetzt eine halbe Dosis braucht, sondern man kann den selbstverständlich nehmen, wenn man die Krankheit durchgemacht hat.

37:53


Camillo Schumann


Frau J. hat gemailt:

„Ich bin seit einer Woche an einer akuten Borreliose erkrankt und werde deswegen mit Penicillin behandelt. Da nächste Woche mein Termin für die Zweitimpfung mit BioNTech ist, bin ich mir unsicher, ob ich diesen wahrnehmen sollte. Ich wäre sehr froh, Herrn Kekulés Meinung zu hören, ob das ein Problem darstellt, oder ob ich die Zweitimpfung lieber verschieben sollte auf die Zeit nach Abschluss der dreiwöchigen Penicillin-Therapie. Vielen Dank und viele Grüße.“


Alexander Kekulé

Ja, also die Borreliose ist ja eine bakterielle Infektion. Die holt man sich üblicherweise durch Zecken. Und nach einem Zeckenbiss können dann die Borrelien das Nervensystem befallen und das muss man dann mit Penicillin behandeln. Jetzt kommt es wirklich darauf an, wie gut es der Patientin geht. Wenn jemand unter Penicillin-Behandlung eigentlich sich wohlfühlt, der Allgemeinzustand gut ist und er sozusagen impffähig ist, wie die Ärzte dann sagen – ja,

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man muss ja auch impffähig sein. Und wenn man also impffähig ist, dann würde ich sagen, kann man das ohne Weiteres machen. Also, der einzige Grund, die Impfung bei einer Penicillin-Behandlung unter Borreliose nicht zu machen, wäre, wenn es ihr trotz Penicillin-Therapie, also trotz Antibiotikatherapie, so schlecht geht von der Borreliose her, dass sie deshalb nicht impffähig wäre. Aber ich nehme jetzt einfach mal an, da ist alles in Ordnung, wenn sie hier munter E-Mails schreibt. Und das heißt für mich: Kann man machen. Ganz grundsätzlich ist es so, dass man sagen muss, dass es bei Antibiotikatherapie ja oft die Frage gibt – also zumindest in meinem persönlichen Bereich werde ich oft gefragt: Ich habe Antibiotikatherapie, ich nehme Antibiotika, da werden doch gerade Bakterien bekämpft. Ist es dann sinnvoll, zu impfen gegen Covid? Die Antwort ist: Ja. Also, das ist weltweit ganz oft untersucht worden. Gibt es ganz oft diese Frage. Also, man kann praktisch in jeder Antibiotikatherapie zu jedem Zeitpunkt eine Covid-Impfung machen. Die einzige Einschränkung ist eben, wenn die Grunderkrankung, deretwegen man therapiert, so schwer ist, dass man deshalb die Impfung jemandem nicht zumuten möchte. Aber sonst gibt es keine Interferenz, keine Störung zwischen Antibiotika und dem Impfstoff.

40:08


Camillo Schumann


Und Frau S. hat gemailt. Sie will wissen:

„Gibt es Lebensmittel oder Substanzen, die zu falschen Ergebnissen von Corona-Tests führen können, wenn man sie vor dem Test zu sich nimmt?“ Sie schreibt: „Ich habe gehört, dass einige Leute eine Stunde vor dem Test auf koffeinhaltige Getränke oder Ascorbinsäure verzichten. Mit freundlichen Grüßen.“


Alexander Kekulé

Ja, sowas steht in dem Beipackzettel manchmal drinnen. Ich muss zugeben, ich weiß jetzt nicht, welchen Test man mit was genau fälschen kann. Aber solche Tricks gibt es. Also, das ist insbesondere aus dem Sport inzwischen bekannt. Es ist ja bekannt, dass Sportler sich testen lassen müssen vor den Turnieren. Und die wollen natürlich da nicht unangenehm positiv auffallen. Und da gibt es alle möglichen Tricks zu gurgeln. Ich habe schon gehört, mit

Wasserstoffperoxid zu gurgeln soll super funktionieren. Zitronensaft habe ich auch schon mal gehört. Aber ich kann bei nichts dafür garantieren, dass es funktioniert. Ich kann natürlich auch überhaupt nicht dafür plädieren, einen Antigen-Schnelltest sozusagen absichtlich falsch-negativ zu machen. Grundsätzlich ist es so: Man sollte, wenn man das nicht absichtlich macht – das ist natürlich ein kleiner Spaß gewesen – dann soll man lesen, was im Beipackzettel steht, weil der jeweilige Hersteller hat seinen jeweiligen Test schon überprüft auf die üblichen, verdächtigen Störfaktoren. Und das, was da drinsteht, sollte man dann machen. Ganz allgemein gilt beim Rachenabstrich, sofern man den noch macht – das ist ja ein bisschen aus der Mode gekommen, seit es die Spucktests gibt und die Gurgeltests und die Nasentests. Aber wenn man wirklich einen klassischen Rachenabstrich macht, da sollte man wirklich eine halbe Stunde vorher nichts essen und trinken.

41:46


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 197 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns übernächste Woche wieder. Nächste Woche haben Sie das Vergnügen mit meinem Kollegen Tim Deisinger. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.


Alexander Kekulé

Ja, bis dahin. Dann wünsche ich Ihnen auch einen schönen Urlaub nächste Woche und freue mich, wenn Sie wiederkommen.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein, zum Beispiel in den Rechthaber. Der Podcast für juristische Alltagsfragen. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um die Frage: Darf mich mein Arbeitgeber zu einer Corona-Impfung zwingen?

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 17. Juni 2 02 1 #196


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links

Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2  in Deutschland (16.06.)

Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2  in Deutschland (rki.de)

Impfstoff von CureVac ist nicht so wirksam wie erhofft – Unternehmensmitteilung (16.06.)

CureVac Provides Update on Phase 2 b/3 Trial of First-Generation COVID-19 Vaccine Candidate, CVnCoV CureVac

Saisonale Verbreitung des SARS-CoV-2 -Virus (13.06.)

Studie: Seasonal variation in SARS-CoV-2  transmission in temperate climates | medRxiv

Donnerstag, 17. Juni 2 02 1

Ein Jahr Corona-Warn-App. Wie fällt die Bilanz aus?

Dann: Schlechte Nachrichten vom ehemaligen Hoffnungsträger: Dem Impfstoffhersteller CureVac aus Tübingen. Eine Zwischenanalyse zeigt: Die Wirksamkeit liegt deutlich hinter den Erwartungen. Ist CureVac damit völlig aus dem Rennen?

Außerdem: Warum gehen die CoronaInfektionszahlen im Sommer zurück? Eine Studie gibt Hinweise.

Und: Fünf Wochen nach Impfung keine Antikörper wie kann das sein.


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Ein kurzer Blick auf die Infektionslage und das macht wirklich Spaß, darauf zu schauen. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz aktuell bei 11,6. Das klingt gut. Die Deutschlandkarte des Robert Koch-Instituts wird immer heller. Es gibt noch so drei kleine rote Flecken mit einer Inzidenz knapp über 50. Aber ansonsten nehmen die Landkreise und kreisfreien Städte mit einer offiziellen 0,0 Inzidenz zu. Das ist die eine Seite. Die andere: Auf der Intensivstation aktuell noch rund 1000 Covid-19-Patienten. Vor 2 Wochen waren es noch doppelt so viele und die Zahl der Toten: Weiter recht hoch. Aktuell wurden 105 Todesfälle innerhalb von 2 4 Stunden gemeldet. Vor 2 Wochen waren es 2 66. Licht und Schatten. Wie bewerten Sie diese Lage?


Alexander Kekulé

Wir sind natürlich auf dem richtigen Weg. Also man darf sich da wirklich freuen, dass das weiter runtergeht. Und ich bin da sehr optimistisch, dass wir irgendwo da unten dann auch bleiben die nächsten Wochen. Ja, mit den Sterblichkeiten, das ist einfach schwer zu interpretieren. Man könnte optimistisch sagen, das ist vielleicht doch noch so ein Nachziehen, quasi der Intensivbelegungen, die natürlich dann immer später sind als die Infektionen selber. Wir hatten ja das Phänomen, dass natürlich zuletzt auch mehr jüngere Menschen also zumindest nicht mehr Hochaltrige betroffen waren. Dadurch bleiben die natürlich auch länger auf der Intensivstation. Trotzdem gibt es

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auch leider die Möglichkeit, das so zu interpretieren, dass wir in den Risikogruppen noch nicht genug durchgeimpft haben. Darauf deutet ein bisschen auch hin, dass das Robert Koch-Institut ja darauf hingewiesen hat, dass es immer noch viele Ausbrüche in Altenheimen gibt, nach wie vor. Also das ist kaum zu glauben, dass wir jetzt das tatsächlich schaffen, im Juni 2 02 1, immer noch im Altersheim mehr Ausbrüche zu haben in Deutschland. Und vor diesem Hintergrund sehe ich auch diese Sterblichkeit und Intensivbelegung, die nicht so richtig runtergehen mag. Da sind wir ja deutlich schlechter als einige umliegende europäische Länder, die höhere Inzidenzen haben als wir, also von Zehner-Inzidenzen können die träumen. Die liegen irgendwo bei 50 oder so. Aber haben weniger Sterblichkeit auf die Bevölkerung gerechnet.


Camillo Schumann


Dann ist ja die Delta-Variante in aller Munde, die indische Variante. Aktuell breitet die sich in Großbritannien ja rasend schnell aus. Sie soll ansteckender sein und Geimpfte wieder anstecken können. Sie hatten sich dafür ausgesprochen, schneller zu sequenzieren, um dann quasi in Echtzeit zu erkennen, wie sich diese Variante bei uns ausbreitet, um dann auch vorbereitet zu sein. Nach aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts wurden seit Anfang des Jahres über 185.000 Gesamtgenomsequenzen sequenziert und an das RKI übermittelt. Rein rechnerisch und jetzt wird es interessant gibt sich aus der Zahl der verfügbaren Genomsequenzen und bekannter laborbestätigter Infektionen für die Kalenderwoche 2 2  in Deutschland ein Anteil sequenzierter Proben an positiv getesteten Proben von 14 Prozent. Fünf sollten es ja mal werden. Das hat der Bundesgesundheitsminister angekündigt. 14 sind es aktuell. Damit liegen wir ungefähr mit Großbritannien gleich auf. Dort sind es rund 15 Prozent. Ist das ein guter Wert?


Alexander Kekulé

Ja, also das ist wirklich super. Da muss man sagen, bei dem Anteil der Sequenzierungen haben wir in Deutschland wirklich spektakulär

aufgeholt. Es war sicherlich auch eine ganz gute Idee, sozusagen da alle Labore zu aufzurufen und da quasi ein Kopfgeld für jede Sequenz auszuschreiben. Ich glaube, 2 50 Euro oder so was gibt es pro Sequenz. Und da haben sich also jetzt viele ins Zeug gelegt und liefern also fleißig Daten ans RKI. Also das machen wir wirklich ganz toll. Der Nachteil ist natürlich, dass das relativ aufwendig ist, dann die Daten zu sammeln und auszuwerten. Und wenn man immer diese Vollgenomsequenzen macht. Das sieht man auch daran, dass eben jetzt hier die Daten von der 2 2 . KW vorliegen, also 2 Wochen alt sind. Man hat eben dadurch, dass man das sehr aufwendig macht was grundsätzlich mal toll ist natürlich ist man nicht mehr so schnell. Und irgendwann wird man die Frage stellen müssen, ob es auch dann am Schluss noch ökonomisch ist. Und noch einmal zur Erinnerung: So ein Sars-CoV-2 -Virus, das hat eben ungefähr 30.000 Basen, aus denen die Erbinformation zusammengesetzt ist. Um eine bestimmte Mutante festzustellen, braucht man meistens nur die Kenntnis von der Position von zwei, drei, vier, fünf einzelnen Basen. Also es sind ganz bestimmte Einzelpositionen, die mutiert sind. Und aus denen kann man dann sagen, welche Mutante von den bekannten Variants of Concern oder Variants of Interest das ist, also von den bedenklichen oder auch gerade beobachteten Varianten. Und wenn man jetzt sozusagen jedes Mal 30.000 Einzelbausteine, also quasi 30.000 Buchstaben hat, aber dann nur nach einem oder 2 Buchstaben schaut, um zu gucken: Ist es die Variante oder nicht. Dann ist es natürlich erstens langsam und zweitens jetzt finanziell, wirtschaftlich nicht so sinnvoll. Und darum glaube ich nach wie vor das wird ja auch gemacht parallel dass es sinnvoll ist, die Varianten, die man sucht, wo man einfach weiß: Da muss ich gucken, ist die da? Ja oder nein? Dass man die ganz spezifisch selektiv mit diesen besonderen PCRs sucht, bei denen man nachgucken kann, ob die eine Variante vorhanden ist: Ja oder nein? Weil man da sehr, sehr viel schneller die Informationen bekommt, und es wesentlich weniger aufwendig ist, als wenn man für diese

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Detailinformationen immer jeweils das ganze Genom sequenzieren muss. Ich sag mal ein Beispiel, wo es zum Beispiel relevant ist. Wir haben die Lambda-Variante, die jetzt auch manchmal so diskutiert wird. Die ist ja in Peru und in Chile aufgetreten, die so genannte LambdaVariante. Das ist eine Weiterentwicklung von B 1.1.1. Die hat sich dann weiterentwickelt, wurde von den Leuten in Lima dann erstmal C.37 genannt und jetzt von der WHO Lamda. Damit es irgendwie extra kompliziert ist. Kann man sich wenigstens merken: Lambda wie Lima. Das hat irgendetwas mit Peru zu tun. Und es ist so, dass die Variante zum Beispiel, die ist in Deutschland schon nachgewiesen worden. Also, die hat man schon hier und da mal festgestellt, natürlich Einzelfälle. Zumindest schreiben das die Autoren, die diese Variante erstmalig identifiziert haben. Schon vor einigen Monaten, muss man inzwischen sagen. Trotzdem erscheint sie auf der Liste des RKI nicht. Warum nicht? Sie erscheint wahrscheinlich deshalb nicht, weil man diese Sequenzen irgendwo im Computer hat, aber halt noch nicht nach Lambda geguckt hat. Also da müsste man dann halt die alle noch einmal rausholen und schauen: Wie ist es mit Lambda? Wieviel sind davon vorhanden gewesen? Und die Labore, die quasi nur die Sequenz machen und dann 30.000 Buchstaben nach Berlin zum RKI schicken, ohne das weiter auszuwerten, die gucken das natürlich auch nicht nach. Und man weiß auch nicht, welche Qualität die Sequenzen haben. Deshalb glaube ich nochmal, dass es gut wäre, wenn man die Varianten, die man auf dem Kieker hat Lambda wird da sicherlich die nächste sein, auf die man schauen muss in Deutschland dass man die quasi ansagt und danach dann ganz spezifisch in den Laboren diese PCR-Tests macht. Weil das einfach schneller geht. Es soll nicht heißen, dass es nicht ganz toll ist, diese Vollsequenzierung zu machen. Aber da haben wir, kann man jetzt echt sagen, dass wir unsere Aufgabe erfüllt haben. Mission accomplished an dieser Stelle. Und das ist ja auch mal eine Erfolgsgeschichte, dass wir da jetzt mit den Engländern quasi auf Augenhöhe sind.


Camillo Schumann


Die Delta-Variante ist er mittlerweile bei sechs Prozent aller positiven PCR-Testungen erkannt worden. Das ist ja auch nur eine Stichprobe. Vor 2 Wochen waren es noch drei Prozent. Wenn sich das jetzt so munter verdoppelt, besteht da zumindest die Möglichkeit, dass es doch dann schneller geht als gedacht. Oder?


Alexander Kekulé

Ja, ich weiß nicht, ob sich irgendjemand gewagt hat, laut zu denken, wie schnell das gehen könnte. Aber ich habe ja schon vor einiger Zeit die Prognose gewagt, dass Delta bei uns genauso wie das in Großbritannien passiert ist das Alpha ablösen wird. Also wir werden statt der B 1.1.7 dann diese B 1.6.7.2  haben. Das ist die Delta-Variante. Übrigens für die, die da Spaß haben: Das Delta ist gar nicht mal ganz genau die, die in Indien entstanden ist, sondern dieses .2  am Schluss heißt, dass das die in England weitergebrütete indische Variante ist. Für das original indische Modell gibt es auch noch griechische Buchstaben. Also daher, sie hören es schon raus, bin ich jetzt nicht so ein Fan dieser neuen WHO-Nomenklatur. Also Delta ist sozusagen die indische Variante weiter optimiert in England. Das ist dann die .2 , die es dort gibt. Und ja, die wird sich durchsetzen. Also das können wir in Deutschland jetzt bremsen. Im Moment haben wir die Situation diese sechs Prozent, das muss man ja vielleicht erklären da ist das Gleiche, was wir ganz am Anfang der Pandemie auch schon immer hatten. Da hat man so kleine Cluster. Das ist ja immer das, was am Anfang passiert. Also die Cluster hießen mal „Webasto“, wenn sie sich an den Autozulieferer erinnern. Oder dann gab's dann „Ausbruch Tönnjes“, wenn man an die Fleischfabrik denkt. Und so ist es jetzt auch bei diesen neuen Varianten. Die kommen erst mal in Cluster. Also, da gibt es irgendeinen Ausbruch, das werden jetzt eher Jüngere seien, weil die Alten natürlich zum großen Teil geschützt sind oder sogar geimpft. Und da wird man jetzt solche Ausbrüche haben, was weiß ich, mal in der Schule oder bei irgendwelchen jüngeren Leuten im Gym oder so was. Und am

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Anfang repräsentieren diese sechs Prozent daher eigentlich die Summe von Einzelausbrüchen. Die werden übrigens tendenziell häufiger genauer untersucht und dadurch vielleicht sogar häufiger sequenziert. Könnte sein, dass da ein kleiner Bias drin ist, also eine kleine Verfälschung der Daten. Das weiß ich nicht genau. Aber dann ist es so, irgendwann kommt der Moment, wo das sprungartig in die Fläche geht. So wie wir es letzten Sommer dann hatten bei dem ursprünglichen Ausbruch. Und das gleiche Phänomen sehen wir dann bei den Varianten, dass wir quasi dann einen sprungartigen Anstieg haben, nachdem man vorher so einzelne lokale Cluster gesehen hat.


Camillo Schumann


Genau. Es gibt ja mehrere Meldungen aus vor allem Grundschulen in Hamburg, in Sachsen, wo die Delta Variante nachgewiesen wurde. Und wie schnell diese Delta Variante zuschlagen kann. Das zeigt auch ein Beispiel aus Cornwall und den Scilly Isles, dort sind die Infektionsfälle auch sprunghaft angestiegen und haben die Inzidenz dort von fünf auf 44 steigen lassen. Die Behörden gehen davon aus, dass Reiserückkehrer dafür verantwortlich sind. Aber auch das Verhalten der Menschen in den Innenräumen der Kneipen soll zu diesem Anstieg der Zahlen geführt haben. Also wenn ich das alles mal so zusammenrechne wird uns die Delta-Variante den Sommer vermiesen?


Alexander Kekulé

Ich hoffe das nicht. Also ich bin da aber nageln Sie mich bitte nicht fest, das ist natürlich eine schwierige Frage. Ich habe die Hoffnung, dass wir im Sommer nicht durch diese neue Variante oder andersherum gesagt, durch ansteigende Fallzahlen allzu sehr malträtiert werden. Ich glaube, wir werden es im Sommer in den Griff bekommen. Da sind ja dann auch Schulferien. Und durch diesen Effekt, dass die Kinder nicht in der Schule sind, dass man insgesamt viele Menschen hat, die gar nicht zu Hause sind, also im Urlaub sich befinden. Da hat man ja nicht so viel Kontakt wie zu Hause am Urlaubsort. Außer sie fahren jedes Jahr auf den gleichen Campingplatz. Dann kennen Sie

natürlich irgendwann alle. Aber sonst ist es so, dass tendenziell im Sommer die Kontakte abnehmend sind. Mehr Freiluft-Kontakte und dadurch hätte ich den Optimismus, dass dieser Sommer-Effekt, wenn ich ihn mal so nennen darf, deutlich stärker sein wird als die Probleme, die es natürlich durch die Öffnungen gibt. Dadurch, dass die Gaststätten wieder aufhaben und so weiter. Der kritische Punkt wird kommen, wenn es dann wieder kühler wird, so Ende September. Und dann zusätzlich die Delta-Variante möglicherweise bei uns ist, dann haben wir so ein bisschen so eine Cornwall-Situation. Die haben ja dort viele indische Einwohner natürlich, oder indischstämmige in Großbritannien, das ist ja dort aufgrund des alten Commonwealth natürlich noch so, und die häufig hinund herfahren. Und deshalb ist die Analyse sicher richtig gewesen: Import durch Fernreisen. Und dann zweiter Schritt: Dann aber eben die Verbreitung dort. Und das kann man nur nochmal sagen: Die Engländer haben eben im weitesten Sinn die Pubs aufgemacht, die Schulen aufgemacht, alle möglichen Restriktionen fallen lassen. Und dann sind die Fallzahlen angestiegen in Cornwall und auch anderswo. Und die wären auch angestiegen, wenn die Delta-Variante nicht da wäre. Das kann man nicht oft genug betonen. Natürlich breitet sich dieses Delta mit einem höheren R aus, aus verschiedenen Gründen. Aber wir müssen jetzt nicht vor der Variante zittern, sondern wir müssen einfach, sozusagen cool unseren Kurs weiterfahren. So ähnlich wie wenn Sie Ski fahren und fahren Slalom, dann haben Sie einfach einen gewissen Rhythmus, um um die einzelnen Masten da herumzukommen. Und Sie zittern nicht vor jedem Stock, der da drinnen steht aufs Neue und überlegen: Oh Gott, was mach ich denn jetzt? Sondern Sie brauchen sozusagen ein Gesamtkonzept, um da herunterzufahren. Und deshalb plädiere ich dafür, nicht vor jeder neuen Variante wieder zu zittern, sondern zu sagen: Die Varianten sind da, und wenn wir unseren Kurs halten, also in dem Fall einen Nicht-Schlingerkurs, bitteschön, dann ist es so, dass wir damit klarkommen können.

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Camillo Schumann


„Nicht-Schlingerkurs“ auch das Stichwort für das weiterführende Thema, weil wir gerade dabei sind: Bei den Reiserückkehrern. Um zu verhindern, dass eben Touristen die Delta-Variante in Deutschland verbreiten und damit auch eine vierte Welle auslösen, gelten weiter strenge Testund Quarantänepflichten für Reiserückkehrer aus Risiko-, Hochinzidenzund Virusvarianten-Gebieten. Haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern drauf geeinigt. Außerdem muss jeder oder weiter jeder der mit dem Flugzeug nach Deutschland reisen will, einen negativen Test vorweisen. Und diese Maßnahmen sollten im Juli auslaufen, werden jetzt aber bis mindestens Mitte September verlängert. Dann ist das ja infolge dessen, was wir gerade besprochen haben, ja eine gute Entscheidung.


Alexander Kekulé

Ja, das ist 100 Prozent richtig, das konnte man nur so machen. Ich wäre entsetzt gewesen, wenn man da irgendwie eingeknickt wäre. Wir müssen auch bei dem, was wir seit neuerdings wissen über Flugreisen, müssen wir ganz klar sagen: Das ist notwendig, sich im Flugzeug weiter zu schützen. Im Flugzeug vor der Ansteckung. Und natürlich: Im Ausland wird weniger sequenziert als bei uns, häufig in Urlaubsländern natürlich. Und deshalb müssen wir das unter Kontrolle haben, was da eingeschleppt wird. Es gibt da eine Studie, die gerade am 09.06. veröffentlicht wurde. Das ist ganz interessant: Am Flughafen von Katar. Die haben ja nur einen großen internationalen Flughafen, da in Doha den Hamad Airport. Nach dem alten Emir da benannt. Warum dieser superschicke Airport? Der hat den Vorteil, dass die wirklich praktisch alle getestet haben auf PCR, die da eingereist sind. Und die haben jetzt gerade ausgewertet über 2 60.000 PCRs. Die sie also von Februar bis April gemacht haben in 2 Monaten. Und haben sich da rausgezogen ungefähr 10.000 Personen, die jeweils einmal geimpft waren, einmal genesen waren und einmal gar nichts hatten. Also Geimpfte, Genesene und solche, die wieder keins von dem vorweisen können. Und da haben die, um es

ganz kurz zu machen, Folgendes festgestellt: Von denen, die also überhaupt nichts hatten, waren 3,7 Prozent positiv. Also ganz schön viel ja. Und die da so einreisen, klar weiß man nicht, wer da so hinfliegt. Aber es sind trotzdem sehr viel Langstreckenflüge da nach Katar. Und das andere ist jetzt die noch schlechtere Nachricht. Von denen, die voll geimpft waren und zwar über 14 Tage lang schon voll geimpft waren immerhin noch 0,8 Prozent positiv. Und von denen, die nur eine Infektion hatten, die in dem Fall länger als 90 Tage zurückliegen musste, war ein Prozent ungefähr positiv. Das heißt, man kann so grob sagen, wenn man so einen Flieger hat mit 300 Leuten, ein Prozent, das sind dann drei Leute, die da drinnen sitzen, die also positiv sind, obwohl sie vorher eine Infektion hatten. Ganz zu schweigen von denen, die also weder geimpft sind noch irgendetwas am. Deshalb ist es richtig, gerade bei so Fernflügen wirklich zu testen bei der Ankunft, was wir machen. Beziehungsweise den Test zu verlangen, bevor man ins Flugzeug steigt. Und an diejenigen, die mit dem Flugzeug Urlaub machen wollen, kann ich nur noch einmal appellieren: Das ist wirklich eine Situation, wo man weiterhin die FFP2 -Maske braucht.


Camillo Schumann


Wir waren gerade im Ausland, wir waren im Flugzeug, wir kommen mal zurück nach Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern, um nur mal ein Beispiel zu nennen, müssen Urlauber ab sofort sich nicht mehr regelmäßig testen lassen, wenn sie vor Ort sind. Sie müssen nur noch bei Anreise einen negativen Test vorweisen. Danach fallen die regelmäßigen Tests alle zwei, drei Tage weg. Wie bewerten Sie das?


Alexander Kekulé

Ja, das ist richtig. Also, man muss es ja so sehen: Bei Anreise einmal testen. Das ist ja schon gut. Das ist ja schon, sag ich mal, erstaunlich, dass man innerhalb Deutschlands quasi dann von einer Einreise spricht, in ein anderes Bundesland. So, als käme es aus dem außerhalb des EU-Gebiets. Und da kann man bei der Anreise mal testen, ja. Und damit ist also klar,

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dass zu dem Zeitpunkt der Tourist quasi wohl nicht infiziert war. Die Schwächen der Tests sind ja bekannt. Es bleibt ja tendenziell jetzt da keiner 2 Monate lang. Sondern der Urlaub ich weiß nicht, was der Durchschnitt in MeckPomm ist aber so normalerweise wird man wahrscheinlich sagen: Zehn Tage wird wahrscheinlich so der Mittelwert sein von allen Touristen. In der Größenordnung. Und dann noch mehrmals zu testen, in der jetzigen Situation wäre es übertrieben. Ich würde aber auch hier dafür plädieren, wirklich das Personal zu testen. Also, das ist in den ganzen Hotelbetrieben immer das Problem, dass sie Personal haben, was natürlich an diese Urlaubsorte, wenn dann Saison ist, von überall zusammengezogen wird. Die arbeiten dann oft drei Wochen lang durch. Dann haben sie eine Woche frei und fahren irgendwo nach Hause, entweder in Deutschland oder im Ausland. Viele sind ja dann auch aus Osteuropa. Und dann kommen sie wieder zurück, wenn sie eine Woche frei haben und arbeiten weiter. Also, da wäre es wirklich notwendig, konsequente Teststrategien zu haben, dass die in einem bestimmten Rhythmus getestet werden. Das ist hier viel, viel wichtiger als bei den Touristen, die tendenziell ja auch wahrscheinlich in dieser Situation dort nicht so viel Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung und untereinander haben. Sondern es ist ja tendenziell Urlaub. Ich weiß nicht, was die da machen, am Strand liegen oder ein bisschen Sport oder sowas oder Wanderungen. Aber das ist ja nicht so dieser riesige soziale Kontakt, den die dort typischerweise haben.


Camillo Schumann


Schauen wir kurz auf den Impfstatus. Fast 50 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Erstimpfung erhalten und rund 2 8 Prozent davon schon eine Zweitimpfung. Aber in Sachen Impfdosen gibt es nun weniger erfreuliche Nachrichten. BioNTech Pfizer wird im Juli weniger Impfdosen liefern. Laut BMG Bundesgesundheitsministerium war das auch so angekündigt. Dafür hat das Unternehmen im Juni mehr geliefert als vertraglich vereinbart, um die Impfkampagne zu beschleunigen. Also im Juli weniger BioNTech. Bei Johnson & Johnson,

da gab es Produktionsprobleme. Das sind 60 Millionen Impfdosen, die mussten zerstört werden, heißt: Auch von diesem Hersteller gibt es weniger. Aber auch Moderna und AstraZeneca kämpfen mit Lieferschwierigkeiten.


Alexander Kekulé

Also wir brauchen diesen Impfstoff oder diese Impfungen, um der Pandemie Herr zu werden. Wir haben im letzten Jahr gelernt, dass wir es anders nicht hinkriegen. Ohne die Impfung wird es ein ewiges Geziehe. Und die Bereitschaft der Bevölkerung, da mitzumachen, wird abnehmen. Was wir jetzt sehen in Deutschland ist ja wohl schon der erste Effekt von so einer Art Herdenschutz, also Herden-Immunität kann man es nicht nennen. Aber wir wissen aus Studien in den USA das ab so einer Grenze, wenn so 50, 60 Prozent mindestens einmal geimpft sind. Dann treten diese Herdeneffekte auf. Vorher ist das einzige, was man mit dieser Impfung ja erreicht, dass man die die Risikogruppen sinnvollerweise schützen kann. Aber jetzt sind wir in Deutschland gerade so an der Grenze, wo die Impfungen tatsächlich auch eine Wirkung zeigen. Und also, wo man sagen kann, dass die Abnahme der Inzidenz auch mit den Impfungen zu tun hat und das nicht ein unabhängiges Ereignis ist. Und das sollten wir wirklich weiter durchziehen. Und deshalb: Je mehr Impfstoff wir kriegen, desto besser. Und es ist schade, dass wir nicht mehr haben. Das ist klar. Aber so funktioniert das halt, ich meine da bei Johnson & Johnson USA ist in einem Herstellerwerk richtig was schiefgegangen. Und da wurden verschiedene Impfstoffe wohl miteinander vermischt auch noch. Also es ist ein Riesenskandal in den USA zum Glück nicht bei uns passiert. Und dadurch haben die diese Lieferschwierigkeiten.


Alexander Kekulé

Gestern wurden zum Beispiel 1,2 8 Millionen Impfdosen verimpft, das ist zum Vergleich so der letzten Woche ein absoluter Rekord gewesen. Und wir haben ja jetzt von den Herstellern gehört, die Lieferschwierigkeiten haben oder gar nicht liefern. Und da gibt es oder anders:

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Da gab es ja noch die Hoffnungsträger, die sich noch in den Zulassungsstudien befinden, auf die man gesetzt hat oder gesetzt hatte. Aber es gibt ziemlich schlechte Nachrichten vom Tübinger Hersteller CureVac. Zu Beginn der Pandemie wurde das Unternehmen auch von der Politik doch schon ziemlich unter Druck gesetzt, dann auch zu liefern. Wenn man sich die aktuellen Daten aus der zweiten Zwischenanalyse anschaut, stellt sich die Frage, ob CureVac jemals liefern wird. Der Impfstoff hat eine Wirksamkeit von nur 47 Prozent erreicht. Ähm, das ist dann doch noch schlechter als gedacht. Oder?


Alexander Kekulé

Ja, also, das deutete sich so ein bisschen an die letzten Tage, fast hätte ich gesagt Wochen. Weil eben keine Zwischenergebnisse präsentiert wurden, obwohl man sie angekündigt hatte. Und es ist ja so, dass der Hersteller, weil hier auch ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren läuft. Also quasi während die Studie gemacht wird, parallel die Europäische Arzneimittelbehörde informiert wird und das immer parallel schon auswertet, um im Falle eines Falles schneller eine Zulassung auszusprechen. Deshalb standen die unter Druck, jetzt die Daten rauszurücken. Und das haben sie also gestern gemacht in einer Pressekonferenz. Zum Glück nach Börsenschluss in den USA. Und ja, also das ist natürlich miserabel gelaufen. Also das tut mir wahnsinnig leid, der Franz-Werner Haas ist ja bekanntermaßen da der CEO. Und jemand ein Mann der ersten Stunde der sich mit diesem Thema überhaupt beschäftigt hat. Einer derer, die diese ganze Technologie quasi mit auf die Beine gestellt haben. Und keiner weiß genau, warum das so mies gelaufen ist. Also 47 Prozent ist unterhalb der 50 Prozent, die von der WHO festgelegt wurde, als Mindestmarke für einen Impfstoff. Das muss mindestens erreicht werden, damit der Impfstoff überhaupt quasi von der WHO zugelassen oder empfohlen wird in dem Fall. Und man muss sagen diese Marke ist gesetzt worden, ganz am Anfang. Bevor man irgendeine Ahnung hatte, was rauskommt bei den ganzen Studien. Und inzwischen ist natürlich mit den 95 Prozent, die

die RNA-Impfstoffe sonst erzielen, ist natürlich da mal das Benchmark letztlich erhöht worden damit, de facto. Die WHO ist auch damals ja massiv kritisiert worden dafür, dass sie nur 50 Prozent angesetzt hat, weil man gesagt hat: Mit 50 Prozent können wir nie so etwas wie eine Herdenimmunität erreichen. Was soll das? Und die WHO hat nicht einmal differenziert nach Altersgruppen, sondern gesagt 50 Prozent insgesamt. Und man hat gesagt: Mensch, die Alten sind doch die Risikogruppe. Es muss doch zumindest klar sein, dass es bei den Alten 50 Prozent wirkt. Da ist ja die Wirksamkeit oft schlechter. Und das ist die zweite Schwachstelle dieser Phase 2 b/3-Studie, die sie jetzt gemacht haben. Was es ist: Eine kombinierte Phase 2 /3 Studie, die ineinander übergehen. Phase 3, ebenso diese große klinische kontrollierte Studie. Da haben sie 40.000 Probanden gehabt, Südamerika und Europa. Das Problem ist nur bei dieser Auswertung ist noch kein signifikantes Ergebnis herausgekommen bezüglich der Schutzwirkung von Personen über 60 Jahren. Also genau die, auf die es ankommt, haben Sie sozusagen, um es mal neutral auszudrücken, noch keine Daten. Aber noch keine Daten bei dieser Zwischenauswertung in 2 bis drei Wochen wollen sie die Endauswertung präsentieren heißt natürlich letztlich: Es wird da keine sauberen, also zumindest keine sehr optimistischen Daten geben. Der Impfstoff ist im Grunde genommen kein Totimpfstoff, aber der Impfstoff ist tot in gewisser Weise. Das können wir vergessen. CureVac selber hat auch bei der Pressekonferenz das lässt dann immer die Analysten aufhorchen bei der Pressekonferenz ziemlich viel Zeit verwendet darauf, zu erklären, was sie sonst noch in der Pipeline haben und was sie noch weiterentwickeln wollen. Dann an weiteren Impfstoff mit GlaxoSmith-Kline zusammen. Das war ja ein Projekt gemeinsam mit Bayer, die natürlich jetzt auch in die Röhre gucken an der Stelle. Der Kurs ist um weiß ich nicht 45 Prozent oder so eingebrochen.

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Camillo Schumann


Fast 70.


Alexander Kekulé

Fast 70 Prozent? Ja da haben Sie die aktuellen Daten. Bayer hat übrigens nicht so viel nachgelassen. Wir sind ja hier kein Börsenradio. Aber das ist ganz interessant, dass Bayer nicht so viel Verluste hatte, obwohl natürlich die Fachleute wissen, dass das ein Giant Venture werden sollte. Das heißt, man hat bei Bayer im Grunde genommen schon vorher das nicht eingepreist in den Kurs. Also, man ist davon ausgegangen: Erst einmal abwarten. Und Bayer ist natürlich auch viel größer und nicht von einem Produkt zu sehr abhängig. Die EU hatte über 400 Millionen Dosen bestellt. Das ist natürlich auch schlecht für die EU jetzt. Deutschland hat ja auch in dieses Unternehmen ziemlich viel Steuergeld investiert schon ganz früh. Der Baden-Württembergische Ministerpräsident hatte sich ja da auch richtig stark gemacht für. Und jetzt, ich glaube, das war es eigentlich, ja. Also was lernen wir daraus? Man muss irre vorsichtig sein. Ich war ja auch optimistisch. Ich dachte, der Impfstoff kommt zu spät. Ich dachte, es wird schwierig, die praktische klinische Studie dann zu machen. Aber man muss einfach aufpassen, wenn man so zum Beispiel Phase 1-Ergebnisse dann überträgt auf die wahrscheinliche Phase 3. Ja, also hier war es ja auch so. Im November haben die die Phase 1, also die ersten Prüfungsergebnisse, so bekannt gegeben, was man so in den ersten kleinen Tests gemacht hat. Da gab es dicke AntikörperAntwort, die Antikörper sind richtig fett hochgegangen. Dann waren die T-Zellen gut aktiviert und sah alles super aus erstmal. Die T-Zellen waren genauso gut aktiviert wie bei einer natürlichen Infektion, kann ich mich erinnern. Und dann denkt man ja: Sonst ist das Prinzip ja auch schon erprobt. Es gibt ja schon 2 erfolgreiche RNA-Impfstoffe, aber scheinbar steckt da der Teufel im Detail. Also CureVac wollte ja den Impfstoff so optimieren, dass er im Kühlschrank gelagert werden kann. Das ist auch so spezifiziert bei diesem Impfstoff, dass man den monatelang im Kühlschrank hat, also nicht im Tiefkühler. Großer Vorteil, aber ich

weiß nicht, was sie dafür verändert haben. Dann müssen sie irgendetwas an den Lipid nanoparticels verändert haben. Die RNA war chemisch nicht modifiziert. Also da haben Sie auch paar kleinere Abstände, paar kleinere Unterschiede, sozusagen zu den anderen Herstellern. Und keiner weiß natürlich ganz genau, welche RNA-Sequenz sie genommen haben. Also noch einmal: Diese RNA da drinnen, das ist ja quasi die genetische Information für das Spike an der Oberfläche des Sars-CoV-2 , also das Pandemie-Virus. Und dieser Zapfen, dieses Spike, was da außen an dem Virus ist, das wird quasi, wenn man RNA als Impfstoff verwendet, von demjenigen, den man geimpft hat, dann selber hergestellt. Weil bei dem nur die genetischen Informationen quasi übertragen wird. Und da haben Sie vielleicht irgendetwas anders zusammengestrickt, dass es nicht so gut funktioniert. Also irgendwie weiß man nicht, warum. Aber ich erinnere mich gut an meine Zeit, wo ich so Grundlagenforschung am Max-PlanckInstitut gemacht habe. Und das war so unser Normalzustand, dass wir mindestens einmal die Woche irgendwo doof rumstanden und überlegt haben: Es hat nicht funktioniert, aber wir wissen nicht, warum.


Camillo Schumann


Man muss ja aber auch zur Rettung sagen: Hätten sie dieselben Startvoraussetzungen gehabt wie jetzt die anderen, also Testorte ohne oder ich sage mal, mit wenig Varianten, hätte das Ergebnis sicherlich besser ausgesehen.


Alexander Kekulé

Ja, also das ist eben eines der großen Probleme, des haben wir auch schon vorher schon mal thematisiert. Es ist wirklich so: Es sind quasi 2 Probleme. Das eine ist: Man kriegt schlechter Probanden. Man muss sich da mehr Mühe geben, Probanden zu kriegen, wenn jetzt natürlich ein Impfstoff zur Verfügung steht, den jeder haben kann, sodass also dieses Recruiting ein größeres Problem ist. Und dann ist es schwieriger, dann sozusagen eine gute Stichprobe zu kriegen. Das Zweite ist genau, was sie sagen ein Großteil der Studien ist in Südamerika gemacht worden, wo wir jetzt nun

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wissen, dass diese ganzen Varianten unterwegs sind, die auch Immune Escape machen. Und auch in Europa ist es ja so, dass wir jetzt inzwischen zumindest B 1.1.7 sehr weit verbreitet haben und vielleicht auch noch weitere. Und das ist auch das Ergebnis gewesen, was CureVac natürlich jetzt präsentiert hat. Die haben gesagt: Wir haben uns das angeschaut und ein großer Teil von dem, was wir dort dann sequenziert haben, also diejenigen, die dann sich infiziert haben. Also während der Studie gab es bisher eben 134 Fälle, die sich angesteckt haben. Sie haben nicht gesagt, wer daraus aus der Kontrollgruppe war und wer aus der geimpften Gruppe war. Und von denen hat man 12 4, also fast den größten Teil, sequenziert. Und da war es eben so, dass sie sagen, über die Hälfte von denen waren Variants of Concern. Also solche Problemvarianten Alpha, Beta und wie sie alle heißen


Camillo Schumann


Und nur einer mit dem Wild-Typ.


Alexander Kekulé

Nur einer mit dem Wild-Typ. Ja, genau, das habe ich auch gelesen. Da muss man ein bisschen aufpassen. Dann sagen sie: Nur einer aus dem 12 4 war original SARS-CoV-2 . Da steht jetzt nicht dabei, was sie damit meinen. Also wenn sie damit den Wuhan-Typ meinen. Das wäre nämlich eigentlich original SARS-CoV-2 . Dann ist das eine etwas merkwürdige Aussage. Weil eigentlich muss man heute sagen: Original Sars-CoV-2  war Wuhan-Typ, aber heute dominiert ja weltweit im Grunde genommen diese G-Variante, die B1-Variante, die in Norditalien sich dann entwickelt hat. Und auf die müsste man es schon beziehen. Also das ist das Mindeste so. Und da weiß ich nicht, was diese eins genau sagt. Dass könnte man heute Nachmittag – es gibt heute Nachmittag eine Investoren-Pressekonferenz, wo man diese Frage wahrscheinlich dann stellen kann. Und irgendeiner wird sie stellen. Was damit gemeint ist, mit dieser einen original SARS-CoV-2 , aber trotzdem blöd gelaufen. Die Varianten sind jetzt da. Und wenn man morgen jetzt die alten, die bekannten zugelassenen Messenger-RNA

Impfstoffe von Moderna und von BioNTech testen würde, die würden auf keinen Fall wieder auf 95 Prozent kommen. Das sehen wir an den Daten, dass da eher dann bei so 80 Prozent oder 85 Prozent wohl liegen dürfte. Aber sie würden natürlich nicht unter die 50 Prozent Wirksamkeit abfallen. Außer das wissen wir auch nicht dass da irgendwo in Südamerika vielleicht jetzt ausgerechnet in Peru eine Studie gemacht wurde. Das habe ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht recherchiert, wo genau das gemacht wurde. Aber ich gehe doch mal davon aus, dass die jetzt nicht so richtig ins Mutantengebiet gegangen sind, um ihren Impfstoff zu testen.


Camillo Schumann


Also, um da nochmal einen Strich drunter zu ziehen: Das war eher jetzt so ein Zwischenzeugnis. Aber für Sie ist das auch gleich das Abschlusszeugnis mit einer nicht vorhandenen Versetzung.


Alexander Kekulé

Ja, ich glaube, das ist so. Ja, weil in zwei, drei Wochen wollen sie die Endergebnisse präsentieren. Da wird sich nicht mehr viel ändern. Das ist zwar jetzt eine Presseerklärung gewesen, aber die ist ja auch spät gewesen. Das heißt, sie haben wahrscheinlich die Daten schon fast vollständig und mussten halt jetzt auch wegen des Rolling Reviews und wegen des Drucks der Investoren mal rausrücken. Die sind ja im Nasdaq notiert. Also das ist ja keine Tübinger Klitsche, wo man denkt: Oh ja, nette, kleine Firma, sondern die sind jetzt richtig in Nasdaq Boston notiert und haben da natürlich auch eine amerikanische Dependance. Und da war der Druck natürlich sehr hoch, jetzt mal die Hosen runterzulassen.


Camillo Schumann


Okay. Machen wir da an CureVac vorerst einen Haken. Man kann sich ja immer noch überraschen lassen. Kommen wir zur Corona-WarnApp, die hatte diese Woche Geburtstag. Ist ein Jahr alt geworden. Haben wir immer mal wieder hier im Podcast thematisiert. Gerade am Anfang, als es losging. Und seit dem Start vor

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einem Jahr wurde sie 2 8 Millionen Mal heruntergeladen. Das war der erfolgreichste Start einer App überhaupt in Deutschland. Ob und wie sie genutzt wird und ob sie wirklich was bringt, Infektionsketten zu durchbrechen, das hat das Robert Koch-Institut in den letzten Monaten analysiert. Es hat dazu Daten aus einer OnlineBefragung mit den Daten, die Nutzer der App freiwillig gespendet haben, kombiniert. Und daraus wurde dann eine Schätzung gemacht. Insgesamt, so das Ergebnis, sind 110.000 bis 2 30.000 Nutzer der Corona-Warn-App nach einer roten Warnung positiv getestet und damit aus Infektionsketten gezogen worden. Das Bundesgesundheitsministerium und das RKI die kommen dann zu dem Schluss: Den Beitrag, den die Corona-Warn-App zur Eindämmung leistet, wird in etwa so hoch eingeschätzt wie den aller Gesundheitsämter zusammen. Das ist auch meine Aussage. Kommen sie auch zu diesem Ergebnis?


Alexander Kekulé

Ich würde jetzt mal eine Lanze für die Gesundheitsämter brechen. Ich glaube nicht, dass die App so gut ist wie alle Gesundheitsämter zusammen. Und ich bin auch ziemlich sicher, dass die da ziemlich auf die Barrikaden gehen, wenn sie das hören. Also ich weiß gar nicht, ob die das dürfen. Das sind ja so Staatsdiener, die haben ja immer so eine gewisse Schweigepflicht. Nee, also das ist schon sehr positiv gerechnet. Also ich habe mir die Rechnung mal angeschaut da mit über 100.000. Muss man sich anschauen, wie die das gerechnet haben. Also es weiß ja keiner genau, wer denn nun wirklich tatsächlich gewarnt wurde, weil das eine anonyme App ist. Das ist ja im Prinzip auch mal gut, dass man das so gemacht hat. Und deshalb haben die ja eben, sie haben es gerade auch schon gesagt, so eine Befragung gemacht, eine Zeit lang, und zwar im März und April. Freiwillig konnte man Daten spenden, wie das, glaube ich hieß, haben sie so Befragungen gemacht. Und aus dieser Befragung haben sie dann so ein gewisses, wie sie meinen, typisches Verhalten des Nutzers rausgefiltert und geguckt, wie viele sind dann positiv

geworden. Und bei dieser Befragung ist als erstes Mal gesagt worden: Ein Drittel der Befragten war davon, dass sie gewarnt wurden, nicht überrascht. Das heißt für mich: Ein Drittel wussten sowieso schon, dass sie einen Risikokontakt hatten. Dann ist es so, dass von denen, die dann befragt wurden, nur 65 Prozent gesagt haben, sie würden, wenn sie gewarnt werden, auch einen Test machen, also etwas mehr als die Hälfte. Und dann ist es so, dass ungefähr sechs Prozent der Getesteten positiv waren. Aber bei dieser Befragung hat man dann rausgekriegt, dass von denen wiederum ein Fünftel das Resultat gar nicht in die App eingegeben hat. Und das Ganze ist jetzt aber die Gruppe gewesen, derer, die sich freiwillig gemeldet haben, ihre Daten zu spenden. Also das waren sozusagen die Prime Users von dieser App. Also die Oberfleißigen. Und wenn die schon sagen, 2 0 Prozent, von denen: Nö, ich bin, zwar positiv, aber ich tippe es da nicht ein, und 65 Prozent wollen nur den Test machen. Dann sage ich mal: Das war eine Stichprobe von sozusagen lauter Einserschülern. Und die kann man nicht extrapolieren auf die gesamte Bevölkerung, das geht einfach nicht. Das Zweite, was sie gemacht haben, ist dann im nächsten Schritt: Dieses Ergebnis, was sie dabei der kleinen Befragung genommen haben. Diese sechs Prozent vor allem, die da positiv waren. Das haben sie jetzt hochgerechnet auf alle, die jemals mit der App als positiv quasi gewarnt wurden. Also nicht positiv, sondern auf alle, die gewarnt wurden. Genau. Das Problem ist Folgendes: Das kann man auch nicht machen, und zwar aus folgendem Grund. Die haben ja diese Befragung mitten in der dritten Welle März, April gemacht. Also da, wo wir die höchste Zahl ever hatten, an neue neuen Fällen. Und da waren eben sechs Prozent positiv. Das mag schon sein, aber das können sie natürlich dann nicht nehmen und sagen: Dieser Quotient an Positiven gilt für alle, bei denen jemals die App geklingelt hat. Und deshalb glaube ich, dass aus all diesen Gründen, das sage ich doch mal sehr optimistisch, hochgerechnet wurde. Und man diese Schlussfolge-

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rung mit über 100.000 zumindest aus den Daten, die bis jetzt da bekanntgegeben wurden, vielleicht wissen sie ja auch noch mehr, als da in dieser Pressemitteilung war das kann man daraus nicht rechnen. Und wir wissen nicht, wie viele falsche Alarme mit drinnen waren, das ist ja auch vollkommen unklar, wie viele falsch alarmiert wurden. Darum würde ich sagen: Also jetzt zu sagen, die waren genauso erfolgreich wie alle Gesundheitsämter. Da würden sie ja die armen Menschen, die da wirklich sich ein Bein ausgerissen haben, im öffentlichen Gesundheitsdienst, das ist ja eine Ohrfeige für die. Und ich würde sagen: So gut war die App auf gar keinen Fall.


Camillo Schumann


Die Frage ist ja, wie hätte man es denn dann machen sollen? Wichtige Daten, die geliefert werden, die werden ja nicht geliefert. Weil das ist ja freiwillig, also sozusagen die Datenspende. Stand da so ein bisschen der Datenschutz über dem Schutz der Bevölkerung. Also hätte man das nicht von Anfang an mit einbauen müssen?


Alexander Kekulé

Ja, also wenn Sie mich als Epidemiologen fragen: Klar, ich hätte natürlich gesagt: Mensch, wir haben hier Pandemie. Und die Situation haben wir oft, wenn es um irgendwelche Datenerhebungen im Gesundheitsbereich in Deutschland geht, dass man neidisch ins Ausland guckt. Und bei uns ist halt immer der Datenschutz vor. Das war im Grunde genommen, am Anfang dieser ganzen Sache ist man quasi den Weg gegangen, dass man gesagt hat: Datenschutz wollen wir haben, wir wollen es anonym haben. Man hat aber nicht erkannt, dass dadurch im Grunde genommen einer der drei Webfehler dieser App quasi zementiert war. Nämlich, dass die Gesundheitsämter trotzdem alles selber noch nachverfolgen müssen. Die App hilft sozusagen dem Gesundheitsamt nicht. Das ist übrigens auch ein weiteres Problem bei dieser stolzen Behauptung: Wir haben über 100.000 Infektionswege unterbrochen. Es ist ja überhaupt nicht klar, wie viele von denen

sind von den Leuten selber unterbrochen worden, weil sie gemerkt haben: Ich bin krank und bleibe zuhause. Oder: Ich hatte den Risikokontakt und mach das deshalb und wie viele hätten die Gesundheitsämter unterbrochen. Also die Hypothese ist ja hier, wenn man sagt, wir haben 100.000 Infektionen unterbrochen, dass die Gesundheitsämter alle im Tiefschlaf waren und keinen von denen erkannt hätten, die da die App erkannt hat. Aber das ist also am Anfang das Problem gewesen, dass dadurch der ÖGD quasi, weil er ja nicht wusste, wer die, also der öffentliche Gesundheitsdienst. Weil er nicht wusste, wer die App hat und wer nicht, trotzdem alles nachverfolgen musste, sodass also quasi Webfehler Nummer eins war, dass man die nicht entlastet hat. Sondern die müssen dadurch genauso viel tun. Webfehler Nummer 2 hängt auch mit dem Datenschutz zusammen. Dadurch, dass man eben freiwillig alarmiert, ist es extrem ineffektiv gewesen. Also die ganze Alarmierungskette ist ineffektiv, und keiner weiß auch, was jemand macht, der da eben so eine rote Lampe auf der App hat. Wie gesagt nur 65 Prozent wollen dann überhaupt einen Schnelltest machen, wenn sie gewarnt wurden. Und zwar von den besonders fleißigen, die befragt wurden. Und das technische Problem, was leider immer noch im Raum steht, ist, dass eben die Definition von Risikobegegnung, die also zu einer Warnung führt. Das ist ja, das waren diese Bluetooth-Sensoren, sagen: So, da war jetzt jemand lange genug in der Nähe. Das ist über die Monate immer wieder verbessert worden. Zuletzt haben sie im April noch mal ein komplettes Update gemacht. Und es ist so, dass es trotzdem immer das Grundproblem bleibt: Bloß, weil einer weiter als 1,5 Meter weg ist oder 2 Meter, wie es er nach dem letzten Update war. Oder 2 ,5 Entschuldigung, der Fernbereich war dann 2 ,5 Meter nach dem letzten Update. Das heißt trotzdem, dass der einen trotzdem anstecken kann. Das war ganz am Anfang der Pandemie so ein bisschen die Idee, dass man gedacht hat: Mensch, die Tröpfcheninfektion. Wie weit kann man spucken? 1,5 Meter Abstand, hieß es dann immer. In Amerika sechs Fuß, also

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2 Meter. Und das war aber immer bezogen auf die Tröpfcheninfektion. Und dass wir eigentlich ein Problem haben, was in geschlossenen Räumen durch Aerosole stattfindet, das kann die App nicht berücksichtigen, weil sie jemanden, der weiter weg ist, nicht feststellt. Und weil sie nicht feststellt, ob man im Raum oder im Freien war. Und nicht feststellt: Hatte, der eine Maske auf: Ja oder Nein? War da eine Plexiglasscheibe vielleicht dazwischen? Sogar eine richtige Glasscheibe wird unter Umständen nicht erkannt. Gerade in geschlossenen Räumen gibt es so Brechungen dieser Wellen, die also dazu führen, dass es, wenn Menschen sich bewegen, zu Fehlern kommt. Und deshalb war im Grunde genommen das ganze Ding hatte diese eine Schwachstelle und die ist ergänzt worden, ganz am Schluss. Das hat man jetzt seit April eingeführt, dass man das eingeführt hat, was mit Verlaub einige Fachleute schon ganz lange gefordert hatten, nämlich, dass man einfach nur Veranstaltungen checken kann. Dass man sagen kann: Wir waren auf der gleichen Veranstaltung. Und es ist so, dass ich jetzt quasi auf dem kleinen Dienstweg alle diejenigen warne, die auch da waren. Zum Beispiel eine Party, im Gym, in einer Vorlesung oder so, weil ich festgestellt habe ich bin jetzt Covid-positiv. Einfach auf einen Knopf drücken und zack, haben die anderen eine Warnung. Das ist im April jetzt endlich eingebaut worden. Und das ist eigentlich das Beste, weil sie da auch völlig anonym bleiben, was die App ja machen will. Und den Leuten die Chance geben zu sagen: Okay, ich habe da tatsächlich zwei, drei Leuten die Hand geschüttelt. Ich war da oder war anderen Leuten nahe. Oder: Ich glaube, dass ich da in der Nähe von jemandem gewesen sein könnte, der vielleicht krank war. Und dann lassen sie sich testen. Also das ist ganz neu jetzt mit drinnen, dass man mit diesem Datenschutz, das sagen Sie richtig, sich im Grunde genommen selber ein Bein gestellt hat von Anfang an. Was jetzt erst im April korrigiert wurde.


Camillo Schumann


Aber so eine Veranstaltung muss dann auch jemand händisch anlegen. Also die wird dann nicht automatisch, nur, weil da ein Gebäude ist oder da gerade eine Veranstaltung ist, sondern das muss noch jemand machen.


Alexander Kekulé

Das ist genau das Konzept, was ich, glaube ich, letztes Jahr so ab Juli gefordert und vorgeschlagen habe und in meinem Buch ja auch sehr ausführlich geschildert habe. Dass quasi jemand, der eine Veranstaltung macht, dass der die anlegt, und der generiert dann damit letztlich einen QR-Code. Und jeder, der kommt checkt sich ein wie im Restaurant. Also das Gleiche, was wir immer im Restaurant hatten, und zwar anders als bei der Luca-App, ohne, dass man diese automatische Meldung über das Gesundheitsamt hat. Sondern quasi als direkte, private „Hallo, ich bin positiv, Leute.“Meldung ja sozusagen. Macht daraus, was ihr wollt. Weil das ist ja ein Unterschied. Wissen Sie, jetzt nehmen wir mal an, Sie sind auf irgendeiner Veranstaltung gewesen, wo man drinnen und draußen sein konnte. Und sie saßen die ganze Zeit draußen, haben den Mond angeschaut und ein Bier getrunken. Dann wissen sie: Okay, ich war da zwar, aber da habe ich mich doch echt nicht infiziert. Oder sie waren irgendwie die ganze Zeit in der Schlange gestanden. Im geschlossenen Raum, wo es stickig war, um sich vielleicht für dieses Bier anzustellen, bis sie es bekommen haben, dann wissen sie: Oh, das könnte gefährlich gewesen sein. Und wenn sie dann die Warnung auf der App gehen kriegen, gehen Sie zum Test. Also ich finde, das ist ein guter Weg. Und um es positiv auszudrücken: Das ist ja jetzt auch endlich in der App drinnen. Und man hat Luca im Grunde genommen, dem Konkurrenten in gewisser Weise ein Bein gestellt, dass die ja über das Gesundheitsamt laufen. Also Luca muss ja seine Daten an die Gesundheitsämter melden. Und witzigerweise: Die Corona-Warn-App des Bundes macht es dann nicht an der Stelle. Und das ist gut. Also für die nächste Pandemie oder wenn wir im Herbst noch mal eine schlimme

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Welle bekommen sollten, wird die App super sein. Ja, da ist die dann richtig, richtig am Start.


Camillo Schumann


Und, ganz neu: Den digitalen Impfpass, kann man sich ja auch noch da hochladen. Also sozusagen: Das ist ja eine App für alle Fälle in der Pandemie. So unterm Strich, weil sie haben es ja schon gesagt. Für den Herbst wird es dann, sage ich mal, ein Mittel sein, um dann mit der App dann auch wirklich effektiv arbeiten zu können.


Alexander Kekulé

Ja, eben leider für den Herbst da wird es mit dem Impfpass, da geht es ja ums Reisen. Was ich jetzt, ganz ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden habe, ist: Zugleich wurde der CovPass das ist eine weitere App vom Bund veröffentlicht. Was das jetzt soll? Es gibt da irgendwie 2 verschiedene, aber angeblich geht es auch mit der Corona-Warn-App. Und ob die jetzt beide sozusagen reisetauglich sind, habe ich ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden. Aber was beide definitiv nicht können, ist auch den Zustand „Genesen“ mit reinzunehmen. Oder auch den ja gar nicht so seltenen Zustand: Genesen plus einmal geimpft, weil das ja auch quasi als voller Impfschutz gilt. Das ist bis jetzt immer noch nicht drinnen. Und jetzt schreiben wir den 17. Juni. Das heißt also, man kann schon sagen, dass die Reisesaison jetzt beginnt. Und wenn jetzt also nur die Geimpften quasi reisen dürfen. Ja, Sie haben es ja vorhin erwähnt, dass also noch nie so viel geimpft wurde wie dieser Tage. Das liegt vielleicht daran. Aber dass man seinen genesenen Zustand jetzt da nicht eingeben kann, das fehlt halt einfach noch. Und ich schätze, dass ist dann auch bis September alles möglich. Aber da sind viele ja aus dem Urlaub schon wieder zurück.


Camillo Schumann


Kommen wir zu einer weiteren Schätzung. Es klang ja schon so ein bisschen an: Draußen sind es 30 Grad, die Corona-Infektionszahlen, die gehen zurück. Da freuen wir uns darüber. Nur die große Frage: Warum ist das eigentlich so? Weil wir uns häufiger draußen aufhalten? Ist

das vielleicht eine Erklärung? Haben Coronaviren grundsätzlich ein Problem mit Hitze. Oder die Coronaviren sind im Urlaub. Kleiner Spaß. Grundsätzlich spielt das Wetter ja eine ziemlich große Rolle, auch bei anderen Viren. Aber welche und warum? Es gibt eine Vielzahl plausibler Kausalpfade, wie es die Wissenschaft so schön sagt. Aber so richtig klar ist es trotzdem bisher nicht so grundsätzlich.


Alexander Kekulé

Wir wissen natürlich grundsätzlich, dass Atemwegserkrankungen im Sommer deutlich seltener sind als im Winter. Und wir wissen, dass sie in den Tropen zum Beispiel keine so starke Saisonalität haben, manchmal vom Monsun, also von der Regenzeit so ein bisschen abhängig sind. Aber nicht so deutlich wie in den gemäßigten Zonen. Und das ist tatsächlich ein Enigma, über das wir schon immer nachdenken. Das gab es bei der Grippe auch schon. Die Diskussion: Woran liegt das Ganze? Ist das Immunsystem des Menschen im Winter schwächer. Also irgendwie die Atemwege sind trockener und Ähnliches. Ja, das spielt wahrscheinlich eine Rolle. Sind die Menschen häufiger in geschlossenen Räumen, weil es so kalt ist? Ja, das spielt sehr wahrscheinlich eine Rolle. Oder liegt es vielleicht irgendwie an der Luftfeuchtigkeit und an der Temperatur, weil sich dadurch die Tröpfchenkerne, die man für richtige Aerosolbildung braucht, weniger bilden? Und auch das spielt eine Rolle. Aber was jetzt sozusagen der Klimafaktor ist, das ist bisher sozusagen quantitativ völlig unklar gewesen.


Camillo Schumann


Einige Wissenschaftler, die wollten nun wissen: Gibt es diese Saisonalität auch bei SARS-CoV2 ? Oder liegt es möglicherweise an anderen Dingen? Wir tragen Masken, wir haben uns darauf eingestellt. Dazu haben sie einige Berechnungen und Schätzungen angestellt. Und man kann sagen: Ja, es gibt diese Saisonalität, aber offenbar nicht in dem Maße, wie man es vielleicht vermutet hätte, oder?

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Alexander Kekulé

Also ich zumindest. Also die Autoren, man kann es ja so sagen: Die rechnen daraus, dass also das R, also diese Reproduktionszahl, sich um 42  Prozent ungefähr verändert, wenn man von der maximalen Situation im Sommer auf die maximale Situation im Winter geht. Also im Winter 42  Prozent mehr Übertragung. Dazu haben Sie das gemacht. Es ist nur ein Preprint, muss man dazusagen, also noch nicht von Fachleuten übersehen, kontrolliert, das sind Leute von der Uni Oxford und von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Und noch ein paar andere, die sich zusammengetan haben. Und die haben in 143 europäischen Regionen, also gemäßigte Klimazone, haben die einfach mal die ganzen nicht-pharmazeutischen Interventionen rausgerechnet, also die ganzen Maßnahmen Maske, Kontaktverbote und was es so alles gab, und haben es da mit 2 verschiedenen statistischen Modellen darüber laufen lassen und geguckt, wenn man das rausrechnet mit den Maßnahmen: Was bleibt dann sozusagen übrig, was mit dem Klima assoziiert ist? Und da haben Sie diese 42  Prozent ausgerechnet. Also die fanden, dass das ganz schön viel ist. Ich hätte erwartet, dass das mehr ist. Also nur 42  Prozent zwischen Sommer und Winter, wenn man mal guckt, wie letztes Jahr im Sommer schlagartig die Pandemie bei uns in Deutschland wieder zu Ende war. Auch wenn man jetzt sieht, was mit der wärmeren Jahreszeit passiert oder wenn man die Unterschiede auch sieht in verschiedenen Ländern, die jetzt warmes oder kaltes Klima haben. Ich glaube schon, dass da der Unterschied noch mehr als diese 40 Prozent Unterschied beim R ist. 40 Prozent, mal so zur Größenordnung: Das wäre ja dann ungefähr so wie die Differenz zwischen der Delta-Variante und der vorherigen Alpha-Variante, also der indischen Variante im Vergleich zur britischen. Das ist ja auch ungefähr 40 Prozent höheres R. Ich glaube, dass das Klima doch deutlich mehr als das ausmacht.


Camillo Schumann


Aber das waren ja jetzt, ich sage mal, sehr handfeste Parameter, die da rausgerechnet wurden. Wenn man das vielleicht ein bisschen feingliedriger macht, vielleicht auch noch medizinische Fakten dazu, dann würde sich möglicherweise diese Zahl noch erhöhen.


Alexander Kekulé

Ja, also, das haben die Autoren auch selber gesagt, dass da natürlich ein paar Schwachstellen sind. Das eine ist, was ganz wichtig ist, zum Beispiel die Schulschließungen, die natürlich einen Rieseneffekt haben. Die natürlich auch saisonal sind, weil die Schulschließungen passieren ja nicht zufällig irgendwann im Jahr, sondern im Sommer werden die Schulen zugemacht, wenn Ferien sind. Das wurde in deren Studie jetzt zum Beispiel als nicht-pharmazeutische Intervention gerechnet. Also Schulschließung galt als Maßnahme. Und wurde aber nicht der Jahreszeit zugerechnet. Und das kann natürlich hier ein Bias machen. Ja, wenn man quasi die den Effekt, der zeitgleich zu den Schulschließungen passiert, die ja nun mal meistens in der warmen Jahreszeit sind, in Europa. Wenn man den jetzt quasi grundsätzlich mal abzieht, weil man sagt: Ja, da war die Schule geschlossen, das gilt nicht. Dann hat man künstlich quasi den Sommereffekt verkleinert. Und es gibt auch ein paar andere Faktoren, die jetzt sagen die Autoren auch selber die konnten sie natürlich nicht beurteilen. Zum Beispiel, ob das Verhalten der Menschen sich parallel irgendwie geändert hat. Sind die dann mehr im Freien oder nicht? Benutzen Sie vielleicht Klimaanlagen? Das ist ja immer so mein Argument, warum wir auch in sehr warmen Ländern manchmal Ausbrüche haben. Weil ich wirklich glaube, dass es daran liegt, dass diese häufig dann in den Klimaanlagen in klimatisierten Räumen sitzen, wo es Verteilung von Viren gibt. Also sagen wir mal so unterm Strich: Das ist ein guter erster Versuch, mal das zu quantifizieren. Dass der Effekt da war ist schon immer klar gewesen übrigens auch letzten Herbst, als einige Politiker gesagt haben es gibt keine Herbstwelle aber jetzt haben wir es quantifiziert. Erster Versuch landet mal bei 40

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Prozent mehr im Winter. Also 40 Prozent schnellere Ausbreitung im Winter. Was heißt es in der Bilanz? Eigentlich 2 ganz einfache Sachen. Erstens wir dürfen uns nicht auf den Sommer verlassen. Weil nur 40 Prozent, wenn es wirklich stimmt, dann ist es nicht so ein fetter Effekt, dass man sagen kann: Hier kommt der Sommer und wir entspannen uns alle total, sondern es kann auch im Sommer Ausbrüche geben. Das muss man ganz klar sagen. Wir müssen da auch auf der Hut sein. Und das andere, was leider das auch sagt, ist, wenn es im Winter, im Herbst wieder kalt wird, dann ist ganz sicher so, dass das R dann wieder ansteigen wird. Und wir müssen eben zusehen, dass wir dann alle Maßnahmen platziert haben, um mit dieser Herbstwelle, die da mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit kommen wird, mit der so klarzukommen, dass das nicht wieder so ein Chaos gibt wie letztes Jahr.


Camillo Schumann


Alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen und alle wichtigen Links zur Sendung gibt es wie immer in der verschriftlichen Version unter jeder Folge zu finden. Gehen sie dafür auf MDR.de, dort auf Podcasts und Radio klicken und dann den Corona-Kompass auswählen. Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Wir haben eine Mail bekommen. Der Absender möchte nicht namentlich genannt werden, er oder sie schreibt:

Hörer*in

Mich würde sehr interessieren, ob die Wirkung einer Impfung mit BioNTech Pfizer bei der Hitze zum Beispiel, wenn man direkt nach der Impfung 2 0 Minuten Auto fährt und die volle Sonne auf den Arm scheint, der Arm wird dabei sehr, sehr heiß beeinträchtigt werden kann. Viele Grüße.


Alexander Kekulé

Nein, da würde ich nicht davon ausgehen, dass es eine Beeinträchtigung gibt. Man soll eigentlich, wenn man geimpft ist, sich ein bisschen schonen hinterher. Also längere Autofahrt, wo einen die Sonne die ganze Zeit anstrahlt,

würde ich nicht empfehlen, weil man einfach aufgrund der Reaktogenität dieser Impfstoffe immer damit rechnen muss, dass es einem mal schlecht geht zwischendurch, aus welchen Gründen auch immer. Vielen geht es nicht schlecht. Es wird ja immer über diese Nebenwirkung, sogenannten Nebenwirkungen gesprochen. Man muss da immer betonen: Das ist ja so, die meisten haben ja keine Nebenwirkungen oder fast keine. Aber die wenigen, die welche haben, die sind halt die, über die wir hier reden. Und deshalb würde ich das nicht empfehlen, sich die ganze Zeit da die Sonne auf dem Arm brennen zu lassen. Ohne Sonnencreme auf gar keinen Fall. Aber es ist so, dass man vom Immunschutz her kein Nachteil erwarten würde.


Camillo Schumann


Diese Hörerin hat angerufen. Sie ist 72  Jahre alt, gesund, keine Vorerkrankung. Sie hat sich Anfang Mai mit AstraZeneca impfen lassen. 2 Tage später musste sie wegen zu hohem Blutdruck den Notarzt aufsuchen. Fünf Tage später dasselbe Spiel. Nochmal will sie das natürlich nicht durchmachen und hat angerufen und diese Frage:

Hörerin

Da ich nachdachte, ob ich mir die zweite Impfung dann holen werde, aufgrund dieser Nebenwirkungen, ließ ich mein Blut untersuchen und auf Antikörper testen. Fünf Wochen nach dem 02 .05. Zur Überraschung wurde festgestellt, dass ich null Antikörper gebildet habe. Meine Frage ist jetzt: Liegt das möglicherweise am Serum? Das heißt, an den Verunreinigungen von AstraZeneca. Oder ist es möglich, dass die Antikörper sich in Anführungszeichen irgendwo anders im Blut oder im Körper „verstecken“ und im Blut gar nicht zu finden sind?


Alexander Kekulé

Nach einer einmaligen Impfung mit Astrazeneca. Wenn dann fünf Wochen später wirklich null Antikörper festgestellt wurden und das Labor das richtiggemacht hat, würde ich schon empfehlen, nochmal zu impfen. Also, es ist ja einfach, muss man ganz klar sagen, wenn ein

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Wirkstoff eine 80-prozentige Schutzwirkung hat, dann haben halt 2 0 Prozent keine Schutzwirkung und des korreliert wohl. Das sehen wir jetzt langsam zunehmend schon, mit der Antikörper Menge, die da bestimmbar ist. Klar, die Methoden sind unterschiedliche, wir wissen nicht ganz genau, welche Menge jetzt wirklich schützend ist und welche nicht. Aber es gibt zunehmend Studien, die darauf hindeuten, dass die Antikörper also das IGG, was man da bestimmt auch eine gewisse Vorhersagekraft hat für die für die Schutzwirkung gegen die Infektion. Ich glaube, eine von den Studien haben wir auch mal besprochen. Und deshalb würde ich in dem Fall schon sagen: Einfach nochmal Impfen mit einem RNA-Impfstoff. Ja, und das eine muss man leider korrigieren. Also wenn so etwas Auftritt im Zusammenhang mit der Impfung ist es jetzt definitionsgemäß noch keine Nebenwirkung. Also das ist mir völlig klar, dass natürlich jeder denkt: Jetzt bin ich da gerade geimpft worden. 2 Tage später habe ich ein Problem mit dem Blutdruck, dass man denkt, das ist der Grund dafür. Aber es gibt einfach Dinge, die zugleich passieren oder zeitlich nacheinander passieren und die nicht kausal zusammenhängen, wo das eine nicht unbedingt die Ursache vom anderen ist. Darum bin ich immer vorsichtig zu sagen: Das war jetzt eine Nebenwirkung. Kann auch sein, dass das jetzt andere Gründe hatte in dem Fall.


Camillo Schumann


Und die Verunreinigung? Könnten die ein Grund sein?


Alexander Kekulé

Nein. Die Verunreinigung, das ist ganz klar also die Verunreinigungen sind etwas, was ein Grund ist, mit dem Finger auf AstraZeneca zu zeigen. Was ein Grund ist, prinzipiell zu fordern, dass die ihr Qualitätsmanagement besser in den Griff bekommen müssen als pharmazeutischer Hersteller. Es ist aber so, dass die Menge der Verunreinigungen, die da festgestellt wurde und die Art der Verunreinigungen eigentlich überhaupt kein Anlass zur Besorgnis sind, dass man jetzt sagen würde: Da gibt es konkrete Gesundheitsschäden dadurch. Ja, das

ist eher so, ja, was weiß ich. Sie haben ein Gulasch bestellt im Restaurant, das ist einmal richtig gut durchgekocht.


Camillo Schumann


Nee, Herr Kekulé, das würde ich nie machen. Entschuldigung, Gulasch bestellen.


Alexander Kekulé

Ach so, Sie haben ein gut durchgekochtes Müsli bestellt im Restaurant. Und dann sitzen sie da. Das ist richtig gut gekocht worden und da ist ein Haar drin. Da wissen wir natürlich beide, dass ein abgekochtes Haar null Schaden ist. Aber es deutet irgendwie daraufhin, dass vorher in der Hygiene-Etikette in der Küche etwas nicht so ganz optimal gelaufen ist. Und so ähnlich ist es, wenn sie in seinem AstraZeneca -Impfstoff quasi diese Proteine finden. Also die schaden zwar nicht also wir haben keinen Hinweis darauf, dass die schaden aber es deutet daraufhin, dass man da beim Produktionsprozess Verbesserungsbedarf hat.


Camillo Schumann


Es gibt auch ganz, ganz tolles veganes Gulasch muss ich an dieser Stelle mal sagen.


Alexander Kekulé

Ach so, dann Tofu.


Camillo Schumann


Es gibt kaum einen Unterschied, muss ich dazu sagen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 196. Und zum Schluss habe ich etwas Positives gefunden. Herr Kekulé, wollen Sie es hören?


Alexander Kekulé

Ja, unbedingt. Also nach den vielen guten Nachrichten.


Camillo Schumann


Oder? Wollen wir noch etwas Positives. Das ist die positivste Podcast-Ausgabe seit 196 Folgen. Die Kollegen vom ZDF, die haben bei Schülerinnen und Schülern in Sachsen mal nachgefragt wie sieht es eigentlich so finden, dass sie im Unterricht und im Schulgebäude jetzt keine Maske mehr tragen müssen. Und das haben Sie gesagt:

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Schüler*in

Das fühlt sich schon so an, als würde etwas fehlen am Anfang. Aber es ist halt schon angenehmer.

Schüler*in

Ich finde es schon schön. Nur manchmal, da ist es auch ein bisschen unpraktisch. Zum Beispiel, wenn man so lacht, weil dein Nachbar irgendetwas gesagt hat und die Lehrer das dann sehen, das ist dann ein bisschen unpraktisch.

Schüler*in

Nee, also die Masken vermissen wir nicht. Es ist sehr schön ohne Maske. Die Lehrer sehen natürlich auch wer quatscht, man sieht sich untereinander lächeln und man kann einfach besser, jetzt, im Sommer ist es besser mit dem Atmen.

Schüler*in

Ich bin ja auch dabei, dass ich auch die Maske sehr oft noch so trage. Auch in Bus und Bahn und auf den Gängen trage ich es immer noch.


Alexander Kekulé

Wissen Sie, das erinnert mich ein bisschen daran, wenn sie ein Tier haben, was die ganze Zeit in Gefangenschaft war. Und dann machen sie den Käfig auf. Das läuft nicht einfach raus, sondern das ist total verunsichert, dass es jetzt raus soll und macht erst mal ein Schritt raus. Geht wieder zurück im Käfig, weil es Angst hat. Und so müssen wir uns, glaube ich, auch in Deutschland so an diese neuen Freiheiten erst gewöhnen.


Camillo Schumann


Vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen-Spezial. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dann Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch etwas wissen? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Kostenlos geht das

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Podcast Der Rechthaber sehr empfehlen. Daran bespreche ich juristische Alltagsfragen mit dem Anwalt Thomas Kinschewski. In der aktuellen Folge geht es unter anderem um die Frage: Darf mich mein Arbeitgeber zur Corona-Impfung beim Betriebsarzt zwingen?

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

0800 32 2  00

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 15. Juni 2 02 1 #195: Hörerfragen


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Stiko: Covid19-Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung (10.06.) Epidemiologisches Bulletin 2 3/2 02 1 (rki.de)

Studie: Immunflucht bei B.1.617.2  und B.1.351 (03.06.) Neutralising antibody activity against SARSCoV-2  VOCs B.1.617.2  and B.1.351 by BNT162 b2  vaccination The Lancet

Dienstag, 15. Juni 2 02 1

Diskussion über Ende der Maskenpflicht – können wir uns den kompletten Verzicht schon leisten?

Dann: Großbritannien verschiebt wegen der ansteckenderen Delta-Variante die komplette Aufhebung der Maßnahmen. Kann uns diese Variante den Sommer vermiesen?

Außerdem der Protein-Impfstoff des amerikanischen Unternehmens Novavax ist laut Zulassungsstudien hochwirksam. Was muss man über diesen Impfstoff wissen?

Außerdem: Die Ständige Impfkommission gibt keine generelle Impfempfehlung für Kinder ab zwölf Jahre. Ist damit eine Massenimpfung vor dem Ende der Sommerferien vom Tisch?

Und: Können sich Geimpfte noch anstecken?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Draußen ist es heiß und mindestens genauso heiß wird die Abschaffung der Maskenpflicht diskutiert. Es gab dazu schon jede Menge Äußerung. Bundesjustizministerin Lambrecht regte ein Ende der Maskenpflicht gerade für Schülerinnen und Schüler an. Bundesgesundheitsminister Spahn schlägt einen Stufenplan zur Abschaffung vor. Und Martina Fietz, stellvertretende Regierungssprecherin, sagte, dass die Maßnahmen Stück für Stück aufgehoben werden müssen.

„Aber trotzdem mahnen wird zur Vorsicht, nicht zu schnell zu lockern. Und das gilt auch für die Maskenpflicht, vor allen Dingen in den Innenräumen. Und wir haben alle mehr davon, wenn wir uns noch ein wenig disziplinieren und vorsichtig sind. Denn wir müssen immer wieder im Blick halten, dass es natürlich Mutationen des Virus gibt die gefährlich werden können.“

Herr Kekulé, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um über die Abschaffung der Maskenpflicht zu diskutieren?


Alexander Kekulé

Natürlich ist es so, dass die Inzidenz ja wirklich in den Keller zu fallen droht. Ich glaube, ich habe angekündigt, wenn sie unter zehn fällt, dann gebe ich Ihnen einen aus. Wir sind kurz davor – ich muss schon mal Geld sparen in diese Richtung. Und es ist ganz klar, wenn jetzt natürlich das Virus zum großen Teil verschwunden ist, anders kann man es ja nicht sagen, dann ist es natürlich nicht sinnvoll, überall die Masken auf zu haben. Also was sicher sinnvoll

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ist, bei dieser Gelegenheit mal nachzubessern, dass die Maske im Freien schon immer Quatsch war. Und das kann man ja jetzt mal abschaffen. Ich glaube, das ist auch in der Diskussion. Im Freien war noch nie belegt, dass die Masken irgendetwas bringen. Und deshalb kann man das als Erstes zumindest symbolisch abschaffen. Etwas schwieriger ist es in Innenräumen. Da kommt es halt wirklich auf die Situation an. Man muss über die Schulen z.B. diskutieren, wie das im Herbst weitergeht. Man muss überlegen, wie ist es in Diskotheken, wenn ganz viele Menschen im geschlossenen Raum sind und die Luft nicht richtig ausgetauscht wird? Solche besonderen Situationen muss man weiterhin im Auge behalten.


Camillo Schumann


Reden wir da eigentlich, bevor wir ins Detail gehen, über ein Ende der Maskenpflicht oder eher über eine Unterbrechung der Maskenpflicht?


Alexander Kekulé

Ja, das ist genau das Problem. Also im Grunde genommen kann das nur eine Pause sein, zumindest für die, die noch nicht geimpft sind. Und das sind ja doch viele. Wir haben ja nicht einmal im Risikobereich über 60 in Deutschland ausreichend Menschen geimpft. Und am anderen Ende der Altersskala bei den Schülern ist es ganz klar, dass die im Herbst, was auch immer dann noch beschlossen wird, nicht durchgeimpft sein werden. Und deshalb wird man im Herbst, wenn dann die Zahl der Infektionskrankheiten wieder zunimmt – das liegt einfach an der Natur dieser Erkältungsviren, zu denen ja im weitesten Sinne des Coronavirus auch gehört – da ist es einfach so, da steigt die Infektionsgefahr wieder massiv an. Wir haben dann eine Situation, wo wir z.T. ungeimpfte und sonst nicht geschützte Kinder in der Klasse sitzen haben und den anderen geschlossenen Räumen. Und da brauchen wir dann u.a. auch die Maske. Natürlich zusätzlich haben wir die Möglichkeit, mit Schnelltests zu arbeiten, die Nachverfolgung ist wichtig, aber die Maske wird weiterhin eine Rolle spielen. Und die Frage ist halt: Ja, wir können uns ja mal im

Sommer freimachen. Dann wird auch der Teint im Gesicht irgendwie schöner statt so einen Maskenabdruck im Gesicht dann zu haben, so wie man sonst von der Badehose einen hat. Das ist an sich in Ordnung. Aber ich fürchte, wir müssen oder die Politiker müssen einen pädagogischen Weg finden, der Bevölkerung klarzumachen, dass das eher eine Unterbrechung als ein komplettes Abschaffen ist.

04:35


Camillo Schumann


Weil wir gerade bei den Schulen sind. Paar Tage, paar Wochen ist ja noch Schulzeit. Bevor dann die Ferien losgehen in Deutschland. Würden Sie sich jetzt schon sozusagen für die Abschaffung der Maskenpflicht in der Schule aussprechen? Also könnte man das schon versuchen?


Alexander Kekulé

Ist die Frage, wen sie fragen. Also wenn Sie mich als Epidemiologen fragen, sage ich ja, im Moment könnte man in der Schule dadurch, dass die Fenster aufgemacht werden können, natürlich im Unterricht auf die Masken verzichten, das wäre im Moment jetzt in der warmen Jahreszeit aus meiner Sicht möglich. Die Kinder in der Schule sind ja auch gut nachverfolgbar, wenn es wirklich mal zu einer Infektionssituation kommt. Das ist ja nicht so wie in anderen [Situationen; Anm.d.Red.], sage ich mal Partys oder Ähnliches. Die Frage muss man eher auf einer pädagogischen Ebene stellen. Und wenn Sie mich da jetzt sozusagen als Kindsvater fragen, da sage ich also, bevor ich jetzt meinen Kind erklären müsste, er dürfte jetzt mal die Maske eine Weile abnehmen, aber wahrscheinlich brauchen wir sie nach den Sommerferien wieder – würde ich wahrscheinlich im Sinne einer, sage ich mal, pädagogischen Kontinuität, um die Geschichte nicht zu schwierig zu machen, sondern einfach zu machen wie ein Verkehrsschild – würde ich wahrscheinlich es einfach jetzt lassen, bis zum Sommer. Also nicht die Maskenpflicht abschaffen. Aber das ist eine Sache, des müssen letztlich die Lehrer sagen, weil auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, durch die viele Warnerei,

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auch von den Virologen, da nehme ich mich durchaus ein, sind ja viele Menschen auch, die das jetzt nicht so differenziert betrachten, verunsichert und sagen: „Was? Jetzt hieß es immer ‚Maske auf‘, jetzt sollen wir plötzlich die Maske wieder absetzen.“ Das schürt bei Eltern und übrigens auch bei Kindern durchaus auch Ängste. Und deshalb glaube ich, dass man wirklich psychologisch überlegen muss, ob das günstig, eine gute Idee ist, jetzt sozusagen den Alarm aufzuheben, aber dann mit der Option im Herbst mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einmal zu brauchen.

06:33


Camillo Schumann


Aber es ist doch eigentlich nachvollziehbar: Wenn es kaum Ansteckung gibt, braucht man die Maßnahmen nicht mehr. Und möglicherweise in vorauseilendem Gehorsam das, was man in den vergangenen 14 Monaten teilweise sehr, sehr falsch gemacht hat, dass man dann vielleicht am Ende der Sommerferien sagt: Okay, zum ersten Schultag, alle wieder Maske auf. Das wäre auch ein gangbarer Weg, oder?


Alexander Kekulé

Natürlich. Also ich muss jetzt sagen, da würde ich wahrscheinlich ... Wenn ich Politikberatung mache, dann mache ich es ganz selten so, dass ich jetzt sage: Ihr Politiker, ihr sollt jetzt, ihr müsst jetzt, ich empfehle jetzt ... Also, das machen manche Kollegen, das weiß ich, sogar öffentlich. Aber ich bin jetzt in der Politikberatung immer so, dass ich sage: Es gibt die Möglichkeit 1: Da habt ihr folgende Pros und folgende Kons, folgende Probleme, folgende Risiken, Vorteile. Dann gibt es die Möglichkeit 2  und 3. Und hier ist es wirklich so: Die 2 Varianten stehen sich eigentlich so gegenüber, dass man sagen muss, für das Beibehalten der Maskenpflicht im Moment in der Schule, spricht eigentlich nur, sage ich mal, überpädagogische Überlegungen sowohl den Kindern gegenüber als auch deren Eltern gegenüber. Epidemiologisch gibt es keinen Zwang. Und da steht natürlich dann der Politiker immer so ein bisschen unter dem Druck, dass die Maskenpflicht eine Einschränkung der persönlichen

Freiheit ist, und die Verwaltungsgerichte natürlich nicht zulassen, dass man Dinge aus pädagogischen Gründen einschränkt. Sondern da muss schon eine handfeste Gefahr dahinter stehen im, sodass ich mir vorstellen kann, wenn Sie jetzt als drittes neben dem Vater und dem Epidemiologen noch einen Juristen dazu holen würden, dann wird es 2 :1 stehen, am Schluss wahrscheinlich.


Camillo Schumann


Das kann schon sein. Ich frage jetzt aber den Virologen und Epidemiologen. Sie sagen auch, das wird eher eine Unterbrechung. Im Herbst werden wir sie wieder brauchen. Wie sieht es denn aus? Ab wann sollte denn dann wieder die Maske aufgesetzt werden?

8:2 3


Alexander Kekulé

Das müssen wir natürlich anhand der Inzidenz sehen. Also wenn die Inzidenz unter zehn bleibt, dann braucht man grundsätzlich mal keine Masken. Das muss man dann auch lokal sich ansehen. Es gibt sicherlich einzelne Schulen, wo die Schüler so zusammengesetzt sind, dass eine höhere Infektionsquote vorhanden ist. Aber die wichtigste Botschaft aus meiner Sicht ist: Wir dürfen jetzt nicht hoffen, dass wir im Herbst mit der Impfung plus dem Schwung, den wir dann noch aus im Sommer haben, quasi auf die klassischen, nicht pharmakologischen Interventionen verzichten können. Und deshalb kann ich mir wirklich nur noch einmal appellieren, dass uns nicht wieder so was wie letztes Jahr passiert. Wir müssen dieses Jahr wirklich vorbereitet sein. Gewehr bei Fuß, dass wir die ganzen klassischen Interventionen ohne Impfung, also Maske, Lüftungskonzepte, v.a. Schnelltests, natürlich in der Schule. Das ist ein Riesenvorteil, weil man da dem auf die Maske dann auch verzichten kann, wenn man den Test hat und die Möglichkeit zur Nachverfolgung. Dass man das wirklich konsequent vorbereitet. Und dann am Tag eins, wenn die Schule wieder losgeht, das dann dosieren kann, je nachdem, wie die Infektionssituation ist.

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Camillo Schumann


Was gerade ganz gut passt: Vorbereitet sein, dann auf den Herbst, auf die möglicherweise vierte Welle. Schulen und Kitas können nun beim Bund Fördermittel für den Einbau von festen Luftfilteranlagen beantragen, und ist zwar die Förderung begrenzt auf Räume und Einrichtungen für Kinder bis zwölf Jahre, da für diese Altersgruppe bisher kein Impfstoff gegen Corona zugelassen ist. Ja, ist auch eine Argumentation. Aber so grundsätzlich?


Alexander Kekulé

Wissen Sie mit diesen Luftfiltern... Also, das ist wieder so deutsch, ab zwölf Jahre ist es dann erlaubt, und die Schulen müssen Anträge stellen. Also ich sehe das letztlich folgendermaßen: Also wir haben für die Wirksamkeit dieser Luftfiltersysteme, wo natürlich es eine Lobby gibt dafür, dass die verkauft werden, das muss man klar sagen. Wir haben dafür überhaupt keinen Beleg. Also, es gibt überhaupt keinen Beleg, dass die irgendetwas zum Infektionsschutz beitragen. Ja, rein theoretisch. Wenn Sie das Ganze mit Zigarettenrauch ausprobieren und irgendwelche Aerosole messen, dann kommen Sie natürlich zu dem Ergebnis. Aber es ist ja so, dass praktisch alle Studien, die bisschen gründlicher waren, gezeigt haben, dass die Infektionsgefahr im Zusammenhang mit Schulöffnungen eigentlich hauptsächlich außerhalb der Schule besteht. In der kontrollierten Situation im Klassenzimmer, insbes. wenn sie dann eine Maske haben und/oder Schnelltests haben, und natürlich bei der Klasse auch wissen, wer mit wem zusammensitzt, also die Nachverfolgung im Griff haben, da passiert eigentlich relativ wenig. Wer insbes. sich ja schützen muss, ist der, der am meisten spricht. Das ist ja bekannt. Wenn man spricht, erzeugt man viel mehr Aerosole, als wenn man schweigt. Und brave Schüler sollen ja auch schweigen, während der Lehrer redet. D.h. der Lehrer muss geimpft sein und/oder eine Maske auf haben. Und jetzt ist es so, dass die eigentliche Infektion ist wahrscheinlich nach der Schule und im sozialen Umfeld, um die eigentliche Klassensituation außen rum. Und das können sie mit solchen Luftfilteranlagen sowieso

nicht beeinflussen, die da im Klassenzimmer rumstehen. Darum glaube ich, dass ist eine teure, sehr aufwändige Lösung. Die Dinger machen z.T. dann auch Lärm, je nachdem, welches Modell sie haben. Sie brauchen auch – haben wir schon mal besprochen in diesem Podcast vor langer Zeit – Sie brauchen viele Luftfilter. Also sie brauchen ungefähr viermal soviel Hardware installiert, wie auf dem Gerät draufsteht. Also wenn da draufsteht „geeignet für 40 qm“, dann müssen Sie viermal so viel installieren, damit sie halbwegs vernünftigen Luftwechsel haben. Das bewirkt dann auch, dass es ganz schön zieht in der Klasse. Und und, und. Also, daher meine ich, es müsste erst mal gezeigt werden, dass diese Geräte überhaupt einen Effekt haben bei der Vermeidung von Infektionen. Das ist überhaupt noch nicht gezeigt. Und dann wäre erst der nächste Schritt zu sagen, man baut das ein. Weil: Was hat das für Konsequenzen? Die Leute bauen das ein, setzen alle die Masken ab, und dann probieren Sie in der Praxis aus, ob es funktioniert oder nicht. Und da bin ich eigentlich dagegen, so ein Feldexperiment zu machen. Sondern wenn man brav seine Hausaufgaben macht, dann überprüft man erst einmal, ob das überhaupt eine Wirkung hat – im Sinn von Infektionsvermeidung. Und dann legt man solche Programme auf, dass die Schulen sich da bewerben können für die Installation.

12 :44


Camillo Schumann


Okay, nochmal auf die Masken zurückzukommen, also die Unterbrechung der Maskenpflicht an Schulen. Erst mal kein Problem bis zum Herbst. Wie sieht es denn im normalen Leben draußen aus? Wenn wir z.B. jetzt Innenräume in Kneipen sehen, beispielsweise, wir sehen den ÖPNV. Wie würden Sie sich da positionieren?


Alexander Kekulé

Also im ÖPNV ist eine Situation, da müssen Sie die Maske weiterhin vorschreiben. Und insbes. in Innenräumen, die quasi öffentlich sind, in dem Sinn wie Behörden oder Ähnliches. Ich bin der Meinung, dass der Staat den Menschen,

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die nicht geimpft sind, den Zugang zu allen normalen Einrichtungen haben muss. Also Einrichtungen, die sozusagen essenzielle Lebensbereiche sind. Dazu gehört natürlich der öffentliche Nahverkehr, da gehört auch der Fernverkehr dazu. Da gehört immer die Situation dazu, wo Sie hin müssen und im geschlossenen Raum dann einfach mehrere Menschen sind, und eine Infektionsgefahr bestehen könnte. Da genügt ein Superspreader letztlich. Da nützt es auch nichts, wenn Sie sagen: Ja, die Inzidenz ist gering. Wenn da einer drinnen war, dann können sie sich quasi beim Schlangestehen an der Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle infizieren. Und deshalb meine ich, solche Bereiche, die essenziell sind, wo jeder hin muss, da muss der Staat dafür sorgen, dass auch Menschen, die nicht geimpft sind, geschützt sind. Die meisten können ja gar nichts dafür, dass sie nicht geimpft sind, weil sie einfach noch nicht dran waren. Es gibt aber auch Risikopersonen, die jetzt z.B. stark übergewichtig sind, eindeutig ein Risiko haben. Und die entscheiden sich einfach gegen die Impfung. Ja, und da wir die Impfung freiwillig machen, müssen Sie für diese Menschen das Leben in Deutschland dann auch sicher gestalten. Als Staat also, da meine ich, muss man eingreifen. Und d.h., weiterhin Maske in diesen Bereichen, weil sie ja mit den anderen Methoden – Schnelltest und Ähnliches – da nicht weiter kommen. Sie können ja weder Nachverfolgung noch Schnelltestung in der Straßenbahn hinbekommen. Anders ist es aber, wenn Sie jetzt private Situationen haben. Da kann man natürlich im Herbst eher daran denken – wenn man eine Hochzeit hat z.B. oder eine privat organisierte Veranstaltung, dass man da die Verantwortung stärker wieder zu den Menschen selber zurückgibt. Sie können sich auch privat entscheiden, am Wochenende Fallschirmspringen zu gehen. Hindert sie ja auch keiner dran, obwohl sie da ein gewisses Risiko haben, umzukommen. Und drum meine ich, da ist eigentlich sozusagen der Aufgabenbereich des Staates an der Stelle zu Ende. Und wenn jetzt nicht insgesamt man einen wahnsinnigen Infektionsdruck durch eine schwere Pandemiewelle von der Gesamtbevölkerung abhalten muss, dann

gibt es eigentlich keine Rechtfertigung mehr, so im privaten Bereich scharfe Regularien zu haben. Man müsste überlegen, ob das dann z.B. auch für Gaststätten gilt, nicht? Es kann dann letztlich ein Gaststättenbesitzer sagen: Bei mir gibt es keine Maskenpflicht und so nach dem Motto wer Ü80 ist und ungeimpft und hier reinkommt, ist selber schuld. Also in so einem privaten Bereich, finde ich, kann man sowas diskutieren. Im öffentlichen Bereich, bei essenziellen Lebensbereichen, finde ich, muss der Staat Sicherheit schaffen.

15:44


Camillo Schumann


Gut. Was passieren kann, wenn man zu schnell lockert, und auch mehr Virusvarianten das Kommando übernehmen, das macht uns ja gerade Großbritannien vor. Die Infektionen steigen dort, obwohl rund 80 % der Erwachsenen zumindest eine erste Impfung erhalten haben und 60 % vollständig geimpft sind. In absoluten Zahlen sind die Neuinfektionen in Großbritannien jetzt noch gar nicht so viel. Aber die Steigerungsraten machen schon Sorge. Es gibt die reale Möglichkeit, dass das Virus die Impfung überholen könnte. Das hat Premier Boris Johnson gestern Abend im Fernsehen gesagt und angekündigt, das geplante Ende der Maßnahmen um vier Wochen zu verschieben. Erst einmal, Herr Kekulé, wir sprechen über die indische Delta-Variante. Wieso nervt diese Variante so sehr?


Alexander Kekulé

Also, die nervt richtig, das muss ich schon sagen. Auch die neuen Daten, die jetzt aus England gekommen sind. Es ist so, dass die DeltaVariante auf jeden Fall nach den Zahlen, die jetzt Ende letzter Woche aus England bekannt wurden, ein um 50 % höheres R hat noch mal – also die Verbreitungsgeschwindigkeit ist 50 % höher. Und auch die Infektiosität ist deutlich höher, vielleicht so 30-40 %. Das muss man voneinander unterscheiden. Viele sagen dann: Ja, die ist dann auf jeden Fall stärker infektiös, wenn sie sich schneller ausbreitet. Das stimmt nicht. Es ist so, dass die reine Infektiosität –

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also wie hoch ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit, wenn man zusammen ist, wir nennen das auch Secondary Attack Rate, also quasi die Angriffsrate auf Mitbewohner. Z.B., wenn man sagt: Ich hatte zehn Minuten Kontakt mit 1 m Abstand. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich dann im geschlossenen Raum infiziert habe, wenn der andere positiv war? Das ist die wirkliche Ansteckungsfähigkeit, diesen Teil davon. Aber ein anderer Teil ist natürlich, dass wir in England auch sehen, dass wieder neue Subpopulationen quasi hier betroffen sind. Das sind insbes. Jüngere und eben natürlich aus dem indischen Bereich, die Leute, die indische Verwandte haben oder selber von dort kommen. Das sind diejenigen, die also betroffen sind. Und da sehen wir so einen Founder-Effekt. D.h. also, wenn in so bestimmten Populationen eben noch nicht so viele Leute infiziert sind, dann kann das Virus da einmal durchrasen und macht dadurch ein höheres R. Andere Effekte gibt es natürlich auch noch, dass man sagen muss, diese Variante ist eben leider so, dass sie ganz klar auch Menschen, die mit den Wildtyp oder mit dem norditalienischen Typ, also dem B1-Typ, sich infiziert haben, dass die mit dieser (...) Delta-Variante definitiv noch eine zweite Infektion bekommen können. Zu einem Teil. Jetzt nicht 100 %, aber zum Teil. Und die Infektionen werden harmloser, aber man kann natürlich dann auch noch einmal ansteckend sein, sodass also die beobachtete schnellere Ausbreitungsgeschwindigkeit auch damit zu tun haben kann, dass einfach Leute Zweitinfektionen bekommen mit dieser Variante.

Aber alles zusammen: Es ist mühsam. Wir sehen Daten, dass die Impfung nicht richtig funktioniert. Wir sehen Daten, dass sie schneller sich ausbreitet, aus welchen Gründen auch immer. Und deshalb hat Boris Johnson in dem Fall natürlich völlig recht, dass er sagt jetzt. Die wollten ja die totale Öffnung haben am

2 1. Juni. Sie wollten da alles abschaffen, was es an Maßnahmen gab. Und das ist mal wieder ein weiteres Beispiel dafür, dass es keine gute Idee ist von Politikern, so ein Datum zu nennen mit klaren Lockerungen. Ich erinnere mich an

den 4. Juli in Amerika, den Independence Day. Da will ja Joe Biden 70 % der Erwachsenen durchgeimpft haben. Das wird er auch nicht schaffen. Und deshalb ist es immer schlecht, solche Ankündigungen zu machen.

19:19


Camillo Schumann


Ja, aber man braucht ja Ziele im Leben. Also, ich persönlich kann damit umgehen.


Alexander Kekulé

Sie sind also für Ankündigung mit Verschiebung. Na gut, also wenn ich Politiker wäre, wäre ich vorsichtig. Aber wahrscheinlich würde ich deshalb keine Wähler kriegen.


Camillo Schumann


An irgendwas muss man sich ja klammern. Mittlerweile macht die Delta-Variante, weil Sie gerade die USA angesprochen haben, dort 6 % der Fälle aus, das ist zumindest die offizielle Zahl. Die USA sequenzieren ja auch eher sporadisch, deswegen könnte die Dunkelziffer auch wesentlich höher sein. Das hat der oberster Epidemiologe Anthony Fauci gesagt. Auch in Österreich breitet sich die Delta-Variante aus. Unserer Hörer, Herr S., verfolgt die CoronaMeldungen aus Großbritannien und anderswo mit starkem Interesse. Und er macht sich Sorgen. Deshalb hat er angerufen und folgende Frage:

„In Großbritannien steigen die Inzidenzwerte wieder an aufgrund der Mutante Delta, oder indische Variante genannt. Besteht die Gefahr in Deutschland auch? Und was wird dagegen getan, damit es nicht zur vierten Welle kommt? Das wäre meine Frage.“


Alexander Kekulé

Also erstmal nur noch einmal zur Vorsicht, muss ich zur Vorsicht mahnen: Die Inzidenz steigt nicht notwendigerweise wegen der Mutante an. Sondern man hat in England ganz viele Lockerungen beschlossen, und danach stiegen die Fälle an, und die Fälle, die nach der Lockerung angestiegen sind, waren verursacht durch die neue Variante. Also sozusagen bei dem Wettkampf der verschiedenen Viren, hat

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ganz klar die Delta-Variante die Nase vorne gegenüber der sogenannten Alpha-Variante B11.7, die vorher in England war. Aber es ist nicht so, dass wegen dieser Variante die Fälle ansteigen. Ich weiß, die Politiker sagen das immer so, und es gibt ganz viele Journalisten, die das dann auch brav nachschreiben, so eine Art Hofberichterstattung an der Stelle machen. Aber ich kann es nicht oft genug sagen, wenn man die vorherige Variante gehabt hätte. Also die Beta oder die Alpha-Variante in England – also dieses Alpha-Beta macht mich noch ganz verrückt, was die WHO sich ausgedacht hat. Aber es ist so: Also die B.1.1.7, die britische Variante, die würde natürlich auch wieder hochkommen, die wär jetzt ganz genauso hoch gekommen mit der Lockerung der Maßnahmen, die Boris Johnson beschlossen hat. Aber er stellt sich natürlich nicht hin bei der Pressekonferenz, die gerade war: „Liebe Leute, ich habe die Maßnahmen zu früh beschlossen. Leider gehen die Fälle wieder hoch.“. Sondern er sagt: „Oh, da kam jetzt aber die Delta-Variante.“ Und das sieht natürlich für ihn besser aus. Also da warne ich wirklich davor, sozusagen diesen Politikersprech einfach so zu übernehmen. Aber ja, es ist so: Wir müssen natürlich in Deutschland jetzt darauf achten. Es wäre ungut, wenn wir diese neue Variante schnell im Land hätten. V.a. aus folgendem Grund. Die kann ja nun Infektionen wohl machen von Menschen, die schon geimpft sind, und auch von Menschen, die natürlich immunisiert sind. Diese Infektionen verlaufen nicht schwer. Für denjenigen, der es dann abkriegt, ist es nicht so schlimm. Und das macht es wohl auch gefährlich. Ich glaube, das ist ein Grund, warum das in England zu schwierig ist. Weil: Stellen Sie sich vor, Sie sind geimpft, sogar vielleicht zweimal geimpft. Ja, und dann wissen Sie, mir kann eigentlich nichts mehr passieren. Da setzt man sich die Maske auch nicht mehr so ordentlich ins Gesicht und trifft sich auch mal mit Freunden und sagt: „Ich bin geimpft und ach ja, du auch. Kann uns ja nichts passieren.“ Und drückt sich die Hand und so weiter. In diesen Situationen kommt das auch nicht zu schweren

Erkrankungen. Aber es wird natürlich unbemerkt diese neue Variante weitergegeben, sodass eben dann die Zahl der Infektionen steigt. Also die Inzidenz steigt. Und ich glaube, das ist ein Teil des Effekts, den man da hat. Dass man also Geimpfte hat und Genesene, die glauben, sie seien sicher vor der Variante. Sind sie auch. Aber die anderen sind es eben nicht. Und das müssen wir bei uns letztlich durch 2 Maßnahmen verhindern. Die eine ist: Ist es richtig, dass wir versuchen, dass Menschen, die aus England kommen und aus Indien, erst einmal in Quarantäne müssen? Das ist in dem Fall ausnahmsweise die richtige Maßnahme. Und zweitens: wenn wir eben jetzt so Zeit gewinnen durch diese Quarantänemaßnahmen... Wir gewinnen nur Zeit. Ich bin absolut sicher, dass die Delta-Variante in Deutschland auch dominant werden wird, über kurz oder lang. Aber bis das soweit ist, müssen wir eben impfen, was das Zeug hält, weil wir dadurch verhindern können, dass die Menschen daran sterben.

Bei der Sterblichkeit sind wir in Deutschland, das muss man nur noch mal sagen, stehen wir ja relativ mies da. Also unsere Inzidenz ist irgendwo bei 15 zurzeit, was ganz toll aussieht. Aber wenn man das z.B. mit Dänemark vergleicht, die ja auch gerade gesagt haben, Masken weg, die haben noch eine Inzidenz von über 50, aber die Sterblichkeit ist bei denen gering. Die hatten zuletzt einen Toten gemeldet und haben 36 Personen auf der Intensivstation. Gut, Dänemark ist 15 Mal kleiner als Deutschland, von der Bevölkerung her. Aber, wenn Sie die 36 mal 15 nehmen, wären Sie trotzdem irgendwo unter 1.000, auf jeden Fall mal so grob gerechnet. Und in Deutschland haben wir auf der Intensivstation 1.2 80 im Moment. Und wenn sie den einen Toten mal 15 nehmen würden, das ist einfach zu rechnen, hätten sie 15 Tote. In Deutschland haben wir 93 Tote. Also d.h. wir sind ... – und das Gleiche könnte ich jetzt vergleichen mit dem Vereinigten Königreich. Da stehen wir auch schlechter da, und wir stehen sogar deutlich schlechter da als die USA, die also jetzt nicht gerade Weltmeister sind in der Pandemiebekämpfung. Ist

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ja auch schwierig bei 330 Millionen Einwohnern. Wir haben also von der Zahl der IntensivBelegungen und von der Zahl der Todesfälle immer noch ein Problem mit dem Covid. Und deshalb kann man nur sagen: Also wir müssen jetzt impfen, die Risikogruppen konsequent. Und zwar ein Grund mehr ist, dass diese DeltaVariante vor der Tür steht. Weil, wenn die dann kommt, wird die Impfung weniger effizient sein.

2 5:02 


Camillo Schumann


Weil Sie gerade die Impfkampagne angesprochen haben. Sie haben sich ja immer dafür ausgesprochen, möglichst viele Menschen erstmal einmal zu impfen. Nun wird aber immer häufiger auch von die Varianten berichtet – Sie haben es ja selber schon gesagt – die sich von der Impfung jetzt nicht abhalten lassen und für Infektionen sorgen. Man spricht davon ImmuneEscape-Varianten. Immundurchbruch. Und dann gibt es gerade auch eine aktuelle britische Studie. Das Best-Case-Szenario sind 2 Impfungen. Also aufgrund der sich anbahnenden Probleme auch mit Delta besser so schnell wie möglich zweimal impfen? Auch vielleicht auch den Impfabstand verkürzen?


Alexander Kekulé

Ja, in der jetzigen Situation in Deutschland nicht. Also das ist eine sehr komplizierte Entscheidung, auch eine simple Frage, aber kompliziert zu beantworten. Also grundsätzlich gilt natürlich nach wie vor – da brauchen wir gar keine Studie, aber es ist auch in Studien gezeigt worden: Ungeimpft ist viel schlechter als einmal geimpft und zwar egal, ob sie Delta haben oder die ursprünglichen Typen. Es ist aber so, dass Sie nach der einmaligen Impfung mit dem ursprünglichen Typen – und da gibt es eben inzwischen mehrere Studien sogar, das eine ist Ende letzter Woche von dem Public-Health-Komitee in England bekanntgegeben worden, das andere ist gerade in Lancet erschienen vom Francis Crick Institute in London. Die Daten sagen eigentlich alle das Gleiche letztlich: Wenn Sie zweimal geimpft sind und werden dann

konfrontiert mit einem der ursprünglichen Typen, einschließlich dem ursprünglichen britischen Typ, also der B.1.1.7, Alpha-Typ, dann sind Sie auf der sicheren Seite. Da passiert sozusagen fast nichts. Da ist der Nachteil von der Wirksamkeit in einer Größenordnung von 5 % oder so was 5 % weniger oder so, und zwar sogar gemittelt über verschiedene Impfstoffe. Da ist AstraZeneca mit dabei, weil die das in England viel gemacht haben, was ja schlechter wirkt. Wenn Sie aber die südafrikanische Variante abkriegen, wohl auch P1 aus Brasilien und eben jetzt die neue indische, die sogenannte Delta-Variante. Dann sind Sie in der Situation, dass Sie ein deutlich höheres Risiko haben, eine symptomatische Infektion zu bekommen nach nur einer Impfung. Um mal so ein paar Zahlen zu sagen. Für die einmalige Impfung ist die Wirksamkeit ungefähr um 17 % reduziert bei diesen genannten Varianten, die diesen Immundurchbruch machen können. Und bei der doppelten Impfung, also bei vollständigem Impfschutz nur um etwa 8 % reduziert. D.h., das ist schon ein Unterschied, ob Sie 17 % weniger Schutz haben oder 8 % weniger Schutz. Das ist bezogen auf die symptomatischen Erkrankungen. Das müssen Sie sozusagen abziehen von den 95 % Schutz, die Sie ja anfangs Mal hatten bei BioNTech oder Moderna. Diese Studien mit den 95 % Schutz wurden ja gemacht zu dem Zeitpunkt, als die Varianten noch nicht da waren. Und das ist also schon deutlich schlechter. Das muss man klar sagen. Sodass wir jetzt in ein Fenster reinlaufen. Es kann sein, dass wir irgendwann mal in einer Situation sind, dass wir so viele Varianten haben, wie es jetzt in England ist. Da ist die Delta-Variante quasi 100 % der Neuinfektionen, dass man sagen muss: In dieser Situation ist es eigentlich gut, wenn möglichst viele Menschen zweimal geimpft sind. Aus epidemiologischer Sicht, dass sie quasi die Delta-Variante unter Kontrolle bringen. Weil die einmal geimpften zwar nicht mehr schwer krank sind, aber es ja weitergeben können.

Aus individueller Sicht sage ich: Wenn da so eine Delta-Variante kommt, ist irgendeine Impfung zu haben – und sei es auch nur eine – ist

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immer besser als gar nichts. Sodass hier also quasi die medizinische Bewertung für das Individuum der epidemiologischen irgendwann mal zuwiderläuft. Aber da sind wir zum Glück noch nicht. Die Diskussion wird in den USA gerade geführt war. In Amerika hat man den Abstand nicht verlängert. Im Vereinigten Königreich hat man ihn verlängert. Und jetzt, sagt die CDC, naja, vielleicht war das ja gar nicht so schlecht, dass wir es nicht verlängert haben. Aber in Deutschland haben wir noch die Chance zu impfen, bevor die Delta-Variante so dominant wird. Und wenn sie dann dominant ist, muss man epidemiologische Argumente, die für eine Verkürzung des Abstands sprechen zur zweiten Impfung, den medizinischen Argumenten gegenüberstellen, die natürlich sagen: Jedes Individuum, was geimpft ist, hat quasi null Chancen da und an dem Virus zu sterben.

2 9:17


Camillo Schumann


Diese Diskussion wird möglicherweise kommen. Wir haben im Podcast jetzt schon mal drüber gesprochen. Möglicherweise in zwei/drei/vier Wochen könnte diese Frage ein bisschen aktueller werden. Aber entscheidend ist doch zu wissen, wie weit sich diese Variante bei uns überhaupt verbreitet. Es wird sequenziert. Wie könnte man das noch ein bisschen praktischer machen, dass es schneller geht, dass man besseren Überblick bekommt? Jetzt ist es ja doch recht aufwendig.


Alexander Kekulé

Ja, wir haben in Deutschland ja die Situation, dass wir sehr spät angefangen haben mit den Sequenzierungen, auch weil die Berater der Bundesregierung gesagt haben, das brauchen wir nicht. Dann hat man gesehen, dass das in England einen extremen Vorteil hat, wenn man einfach sieht, was los ist mit diesen Varianten im Land. Und da wurde ja ein großes Programm jetzt dann aufgelegt, wo jedes Labor aufgefordert wurde, möglichst viele der Virusisolate zu sequenzieren. 5 % ist also das Ziel,

5 % aller Isolate sollen sequenziert werden. Es gibt richtig viel Steuergelder dafür. Das Problem ist: Diese Sequenzierung, was heißt das?

Das heißt, dass man von diesem Coronavirus – das SARS CoV2  ist irgendwie ungefähr 30.000 Basen lang, also 30.000 einzelne Buchstaben sind da hintereinander gebaut, um die genetische Information dieses Virus‘ darzustellen. Und sie lesen quasi das ganze Ding ab. Und dann haben Sie eine riesige Datenmenge in ihrem Computer und müssen dann, weil ja nicht bei jeder Sequenzierung genau das Gleiche rauskommt – die Sequenzierung selber macht leider auch ein paarmal Fehler – müssen sie das abgleichen, müssen rauskriegen, was waren Sequenzierungsfehler, was ist eine echte Variantenänderung? Was ist eine echte Mutation, die ich festgestellt habe? Und dann müssen sie das mit den Datenbanken, die es im Internet gibt, vergleichen und feststellen, welchen Einfluss hat das eigentlich auf die Virus1struktur? Ist es etwas, was für dieses besondere Sars-Cov-2  wichtig ist? Ist es an einer Stelle mutiert, wo es eine Rolle spielt? Und so weiter. Das ist eine Sache, wo ich jetzt mal sagen würde, wenn es da in Deutschland fünf Arbeitsgruppen gibt, die das können, dann ist das schon viel. Also klar, Christian Drosten und seine Clique da in Berlin. Die haben das natürlich drauf seit zehn Jahren. Die können das. Und ich würde mal vermuten, dass es eins 2 drei gibt, die das sich in den letzten Monaten angeeignet haben. Aber das ist wirklich ein schwieriges Geschäft. Ich hab das selber früher intensiv bei Hepatitis-Viren gemacht. Da müssen Sie sich wirklich gut auskennen. Wenn es jetzt jedes Labor in Deutschland macht mit einem Riesenaufwand... Da werden ja z.T. Sequenziergeräte extra beschafft, die irres Geld kosten. Naja, die freuen sich, dass sie bei der Gelegenheit die Mittel dafür plötzlich kriegen. Dann bringt das eigentlich nicht so viel vom Erkenntnisgewinn her, sondern mein Vorschlag ist eigentlich, ein ganz anderer, zu sagen: Es wäre besser, wenn diese Auswertung der Sequenzen wirklich zentral gemacht wird von einigen wenigen Arbeitsgruppen, die das wirklich können. Und die können ja dann feststellen, so wie es in England auch gemacht wird: Was sind überhaupt Varianten, die man unter Beobachtung stellen muss? Die heißen dann variants of

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interest im Englischen. Und was sind Varianten, die besorgniserregend sind? Es sind diese variants of concern und wenn die definiert sind, wenn einmal eine Arbeitsgruppe gesagt hat, okay, die und die sind die gefährlichen, dann ist es für die Pharmahersteller, für die Hersteller, die diese diagnostischen Tests für die PCR herstellen, ein Leichtes, spezielle Tests zur Verfügung zu stellen, mit dem man dann eben feststellen kann: Liegt diese eine Variante jetzt bei mir vor? Ja oder nein. Das nennt man Genotypisierung, genotyping, und funktioniert im Grunde genommen auf der normalen PCR-Maschine. Was also jedes Labor kann. Solche Maschinen hat jedes Labor stehen und mit diesen sozusagen für jede Variante schon extra hergestellten Testverfahren, die man dann kaufen kann, ist über das genotyping das wesentlich billiger und wesentlich schneller zu machen. Sodass ich eigentlich dafür bin, dass man das zweistufig macht. Die erste Stufe, das Sequenzieren, sollen die Profis machen. Wenige Labore, die stellen fest, was sind die variants of concern, was sind die bedenklichen Varianten. Für die nimmt man dann Genotyping Kits, die lässt man auf der normalen PCR-Maschine laufen. Und dann hätten wir einen wesentlich schnelleren und besseren Überblick über das, was in Deutschland los ist, als im Moment, wo jeder sich im Sequenzieren versucht.


Camillo Schumann


Also, das würde ja bedeuten, dass dann tatsächlich jeder Test auch gleichzeitig noch einen Test auf diese spezielle Variante ist. Also das könnte man auch dann um die Ecke machen.

33:43


Alexander Kekulé

Na 100 % würden Sie weder machen noch machen wollen oder machen müssen. Aber es ist ganz klar, dass Sie, wenn sie das genotyping dazunehmen, also nicht nur die Sequenzanalysen nehmen, sondern zusätzlich massenweise genotyping einsetzen, dass Sie dann einen viel größeren Überblick haben. Also da kommen Sie – ich weiß nicht, wie viel wir in Deutschland im Moment sequenzieren, wieviel Prozent.

Aber Sie kommen mit genotyping dann auf jeden Fall in einen Bereich, wo Sie vielleicht 102 0 % der Isolate testen können, weil praktisch gesprochen: Es gibt ja diese PCR. Mit der stellt man fest, ob das Virus da ist, ob die Virus-Erbinformation, diese RNA vorhanden ist. Und wenn es positiv ist, dann nehmen Sie halt, wenn Sie noch PCR-Kapazitäten übrighaben und ihre Maschine nicht gerade unter Volllast läuft, dann nehmen Sie von der Probe noch mal was und lassen eine zweite PCR laufen. Im Grunde genommen genau das Gleiche noch mal nur diesmal mit einem speziellen Ansatz da drinnen, der eben feststellt: Ist diese eine Mutation vorhanden? Ja oder nein. Die kann man übrigens auch kombinieren. Da können Sie mit einem Lauf dann mehrere zusammen testen. Und wenn Sie da jede fünfte einfach ein zweites Mal laufen lassen als großes Labor, dann haben wir 2 0 % aller Isolate genotypisiert, und das ist wesentlich effektiver, als wenn man jetzt dazu aufruft, das jetzt quasi jedes Labor anfangen soll, eben ganze Genome durchzusequenzieren von diesem SARS CoV2 .

2 5:55


Camillo Schumann


Und dann haben wir die Informationen. Und was macht man dann damit?


Alexander Kekulé

Ja dann sehen wir z.B., das ist genau eine wichtige Information. Und dann würden wir z.B. fast in Real Time, in Echtzeit sehen, wie sich diese Delta-Variante vermehrt. Das ist ja so, das geht ja in Clustern los. Auch in England haben wir das gesehen. Das Delta ist übrigens bis heute in England nicht überall in großer Menge vorhanden, sondern in bestimmten Gegenden Englands gibt es gerade eine hohe Inzidenz. Da ist das R auch deutlich über eins, und da ist dieses Delta in großer Menge jetzt vorhanden. Und am Anfang hat es auch so angefangen, dass man wirklich nur einzelne Spots hatte, natürlich mit hohem indischen Bevölkerungsanteil, wo also dieses Delta aufgetaucht ist. Und wir würden einfach in Deutschland das Überwachungsnetz viel enger machen, weil das zur

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Folge hätte, dass wir dann auch, wenn in bestimmten Teilen in einer Region, einfach weil zwei, drei Familien irgendwie das mitgebracht haben aus dem Urlaub oder sonst was, dann würde man sehen: Aha, da geht es gerade los mit der Delta-Variante. Und da können Sie natürlich dann unter Umständen sogar mit antiepidemischen Maßnahmen reagieren. Aber auch solche Fragen wie: Ist es jetzt noch sinnvoll, den Abstand zwischen erster und zweiter Impfung so stark zu verlängern? Oder sie könnten sogar, wie wir das ja gemacht haben, in diesen grenznahen Regionen oder z.T. in Ortschaften mit hoher Inzidenz, da gab es das ja, dass man gesagt hat, wir fahren jetzt da mal Lastwagen von Impfstoff extra hin, damit die möglichst viel jetzt ohne Priorisierung da durchimpfen können, um diesen Ausbruch zu kontrollieren. So ähnlich könnte man das machen, wenn man sieht, dass irgendwo z.B. die Delta-Variante oder eine von den weiteren, die da noch kommen mögen. Ich glaube, das griechische Alphabet ist bald erschöpft mit neuen Varianten. Wenn die kommen, dann ist es einfach ein Riesenvorteil, wenn alle Labore vor Ort sehr schnell über eine PCR sehen, sind da die Varianten da, ja oder nein.

37:00


Camillo Schumann


Wir haben über die Delta-Variante gesprochen und wie sich Deutschland möglicherweise dann auch darauf vorbereiten kann. Herr Kekulé, lassen Sie uns noch mal über das Impfen von Kindern ab zwölf Jahren sprechen. Die Ständige Impfkommission, die hat sich ja nun positioniert und keine generelle Impfempfehlung gegeben. Sie empfiehlt die Impfung mit dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff nur, wenn die Kinder Vorerkrankungen haben. Dazu hat die STIKO insgesamt zwölf Krankheiten aufgelistet. Bevor wir über Details so ein bisschen sprechen: Ihre Prognose war ja, dass die STIKO vor u.a. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einknicken wird, da er ja nun das Impfen aller Kinder stark befürwortet. Die STIKO ist nun alles andere als eingeknickt. Überrascht?


Alexander Kekulé

Ah ja, also ich bin sehr positiv überrascht. Ich weiß gar nicht, ob es meine Prognose war. Meine Befürchtung auf jeden Fall war es, und ich finde jetzt, Hut ab in dem Fall. Die STIKO hat da klar mal einen Pfosten eingeschlagen. Und das ist sehr mutig, wenn man sich mal vorstellen, dass die CDC in Amerika sich generell für die Impfung ausgesprochen hat. Das amerikanische Pendant dort, die Kommission, die für die Impfungen zuständig ist. Und jetzt zu sagen, quasi als kleines Schneiderlein: Nö. Wir haben die Daten auch gesichtet, und wir sehen das anders. Und zwar sehr gut begründet, finde ich. Ich habe die Begründung durchgelesen natürlich – mit sehr, sehr klaren Worten. Das finde ich ist echt eine Ansage auch an die Politik. Man sieht auch der Begründung an, dass die Wissenschaftler der STIKO, glaube ich genervt davon waren, dass einige Politiker vorgeprescht haben und schon angedeutet haben, dass Kinder in der Schule möglicherweise grundsätzlich geimpft sein sollten dann im Herbst. Und ich finde auch sehr konsequent, und es macht einige Dinge auch leichter von der Kommunikation, dass die STIKO ja noch darüber hinausgegangen ist, nämlich was viele vielleicht gar nicht so rausgelesen haben: Der Beschluss, auf eine generelle Impfempfehlung zu verzichten, bezieht sich auf Kinder bis 17, also auf alle Kinder. Ab 18 sind sie dann Erwachsene. D.h., dass alle Kinder und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, da wird also ein klarer Cut gemacht. „Unter 18 geben wir keine generelle Impfempfehlung zum jetzigen Zeitpunkt ab.“ Sie wissen, die Zulassung, diese ergänzende Zulassung von dem BioNTechImpfstoff war ja für 12 -16. D.h. also, die haben das 17. Jahr dazugenommen. Das liegt ein bisschen daran, dass die USA da andere Grenzen haben mit den 16. 12 -16 ist eine Altersgruppe, wo typischerweise bei den Zulassungsstudien in der Stufe II eben die Untersuchungen gemacht werden dürfen. In Deutschland ist die Regel etwas strenger, und man hat jetzt einfach gesagt: Nö, für Kinder und Jugendliche keine allgemeine Empfehlung. Also nicht nur, dass man quasi das nicht gemacht hat, was die

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Politik ja brachial z.T. gefordert hat, sondern man hat dem sozusagen noch eins draufgesetzt und gesagt: Für die 17-Jährigen auch nicht.

39:50


Camillo Schumann


Ganz zum Schluss gibt es diesen Satz in der Begründung. „Die STIKO spricht sich explizit dagegen aus, dass der Zugang zur Teilhabe an Bildung, Kultur und an deren Aktivitäten des sozialen Lebens vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht wird.“ Das ist zwar nur ein Satz, aber der hat da natürlich eine gewisse Wirkung.


Alexander Kekulé

Der hat deshalb die Wirkungen, den habe ich u.a. gemeint, als ich vorhin gesagt habe, man hat den Eindruck, die sind genervt. Das ist ja total unüblich, dass so was in so einer wissenschaftlichen Begründung drinnen steht. Ja, also, der ist ein Fremdkörper da drinnen. Und dass die sich sozusagen da so positionieren, heißt, dass die nicht nur im Labor sitzen, sondern auch Fernsehen. Und ich wäre als STIKOMitglied auch genervt, wenn ich quasi den staatlichen Auftrag habe – das ist ja ein gesetzlicher Auftrag, Empfehlungen auszusprechen, welche Impfung sinnvoll ist und welche nicht – und dann kommen irgendwelche Politiker daher, und vielleicht sogar der Ressortleiter meines Ministeriums, an dem ich angeschlossen bin, und meint, er kann da kraft eigener Wassersuppe erst mal was vorneweg beschließen oder empfehlen. Also, das finde ich sehr gut, dass die jetzt hier in dem Fall sich das Heft wieder in die Hand genommen haben.


Camillo Schumann


Interessant fand ich die Zusammenfassung, die auch am Ende steht: Die Krankheitslast von Covid19 bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12  bis 17 ist mit der Krankheitslast von Influenza in dieser Altersgruppe vergleichbar. Es wird ja immer sehr häufig der Vergleich mit der Influenza gescheut. Hier wird er explizit gemacht. Können Sie uns das erklären?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Also, ganz ehrlich gesagt, ich habe so den Eindruck, den Hörern dieses Podcasts muss man das nicht erklären, weil im Grunde genommen, die Ständige Impfkommission komplett auf der Linie liegt, die wir hier vertreten haben in den letzten Monaten. Es ist letztlich so. Also, die haben sich noch einmal auf der einen Seite... Jetzt so ganz systematisch: Die wägen ja immer Nutzen und Risiken gegeneinander ab. Und dann gibt's die eine große Seite der Waagschale, wo der Nutzen drinnen ist. Und da steht also erst mal die Frage: Wie ist es mit Sterblichkeit? Wie viele Tote gibt es? Und wie viele schwere Erkrankungen gibt es? Wie viele Hospitalisierungen? Und das haben sie wirklich – das muss man sagen – sehr, sehr gründlich gemacht. Die ganze Begründung ist, glaube ich, um die 40 Seiten lang. Da haben sie wirklich lange alles, was es gibt an Daten, zusammengefasst und gesagt: Unterm Strich sehen wir überhaupt nicht, warum die Hospitalisierungen oder die Sterblichkeit in dieser Altersgruppe – da geht es ja jetzt erst mal um 12 -17 in dem Zusammenhang oder 12 -16 – ob in dieserAltersgruppe irgendwie dieses SARS CoV2  schwerer wiegen würde als die Influenza, mal so zum Vergleich. Ich finde das auch interessant, dass sie die Influenza zum Vergleich herangezogen haben. Warum ist das interessant? Es wissen vielleicht einige noch, dass ich mit vier anderen Autoren im Spiegel, vor ungefähr einem Jahr muss das gewesen sein, gesagt: Lass uns doch mal die Influenza so als Maßstab nehmen für das, was wir in der Gesellschaft für noch tolerabel halten als Risiko von einer Infektionskrankheit. Da gab es ja eine quasi bundesweite Gegenbewegung, wo alle gesagt haben, das kann man nicht machen, wir müssen sozusagen Richtung Null Covid kommen, usw. Und jetzt hat die STIKO im Grunde genommen genau diesen Vergleich aufgemacht und gesagt: Lass uns doch mal eine Krankheit nehmen, von der wir alle wissen, dass sie da ist, derentwegen wir bei Kindern keine Impfung empfehlen in der Regel. Also Influenza-[Impfung, Anm.d.Red.] im Kindesalter, zumindest im Alter

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von 12 -17 wird nicht empfohlen. Nicht generell. Es gibt natürlich einzelne Indikationen und deshalb finde ich das sehr richtig, dass man hier einfach die Risiken ins Verhältnis liegt. Sie haben übrigens auch (für diejenigen, die das interessiert) natürlich dieses Multi-Inflammationssyndrom angesehen, dieses MISC, Multi Inflammation Syndrome in Children, PIMS heißt es auch manchmal, und haben gesagt: Das Risiko ist da einfach so gering, dass man so was kriegt. Das sind so wenig Fälle, auch wenn es einige dann mit schwerem Verlauf erwischt. Dass wir das nicht als Indikation für die allgemeine Impfung sehen. Sie haben die Sterblichkeit von diesem Syndrom nochmal ausgerechnet und festgestellt, dass die Sterblichkeit, wenn man das dann hat, so selten das ist, bei 1,7 % liegt, nach Meinung der STIKO. Das ist aber jetzt aus den weltweiten Daten. Und sie haben betont, dass mit guter medizinischer Behandlung inzwischen man das gut im Griff hat und die Sterblichkeit noch deutlich geringer ist und in Deutschland bisher nicht ein einziger Todesfall durch diese Erkrankung usw. Dann haben sie Long Covid mit aufs Korn genommen und haben gesagt bei Long Covid, da hab ich so beim Lesen so das Gefühl gehabt, da waren sie sich nicht ganz sicher, da haben sie gesagt: Wir haben einfach keine Daten, ob Long Covid bei Kindern eine Rolle spielt. Bis jetzt ist die Antwort Nein, aber kann sich natürlich noch ändern.

44:40


Camillo Schumann


Was die STIKO auch gemacht hat: Sie hat eigene Berechnungen angestellt, was es eigentlich für Nutzen bringen würde, die Kinder zu impfen. Und hat dann auch Zahlen, wie viele Erwachsene eigentlich geimpft werden müssten und wie viele nicht. Wie bewerten Sie das?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz interessant. Da gibt es quasi 2 Überlegungen, die eine ist, haben wir immer gesagt: Kinder zu impfen, damit die Erwachsenen quasi mehr Freiheiten haben oder mehr Sicherheit haben vor diesem Virus. Das

ist die eine Variante. Das haben sie durchgerechnet und haben letztlich gesagt, man müsste, selbst wenn man alle 12 -17-Jährigen impfen würde, also alle 100 %, was natürlich illusorisch ist, dann würde man insgesamt 400 Todesfälle bei Erwachsenen verhindern. Das ist sozusagen das, worum es geht, also 400 Todesfälle. Dafür müsste man aber alle Kinder in dem Alter impfen. Und das für sozusagen solche Erwachsenen, die Risikogruppen sind, die aber trotzdem sich geweigert haben, sich impfen zu lassen. Und man liest so quasi in Klammern, das schreiben sie natürlich nicht, dass sie das nicht finden, dass es das wert ist, sozusagen, in dem Fall das zu machen. Und sie sagen aber auch noch einmal ganz klar: Sie haben auch die epidemiologischen Daten ausgewertet. Und da steht eben klipp und klar drinnen, dass sie sagen, die Studienergebnisse legen nahe, dass es unwahrscheinlich ist, dass Bildungseinrichtungen eine zentrale Rolle für das Infektionsgeschehen in der Pandemie spielen. Und sie schreiben auch an einer anderen Stelle: Nach Einschätzung der STIKO sind Kinder nicht die Treiber des Pandemiegeschehens. Also da sagen sie im Grunde genommen ganz klar: Wir haben bis jetzt keine Daten, dass es einen großen Vorteil bringt, die zu impfen. Und selbst bei den Kindern selber ist es so, weil eben so wenig Kinder schwer erkranken: Man müsste 100.000 Kinder impfen, nur um einen einzigen Todesfall in dieser Altersgruppe zu verhindern. Rein statistisch, das nennt man number needed to vaccinate, das ist eine festgelegte Zahl, dass man sagt, okay, wie viele Leute muss man eigentlich impfen, um einen Toten zu verhindern? Die ist hier bei 100.000. Und das ist weit jenseits dessen, wo man eine allgemeine Impfempfehlung aussprechen würde. Also bei 100.000 würde man nie sagen, alle impfen. Ich persönlich finde, vielleicht sage ich das an der Stelle noch dazu, dieses Argument der STIKO ein bisschen angreifbar. Es soll jetzt nicht zu akademisch werden. Aber man muss ja die Subpopulationen anschauen. Also sie werden sicherlich Subpopulationen in Deutschland haben, wo sie z.B. Kinder haben, die generell übergewichtig sind, oder die aus

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anderen Gründen schlecht ernährt sind o.Ä., oder wo die Gesundheitsversorgung schlecht ist. Und da würden sie natürlich schon einen Benefit [Nutzen, Anm.d.Red.] haben, wenn sie die impfen. Und das fängt die STIKO damit ab, dass sie ja sagt: Okay, wenn wir besondere Indikationen haben, medizinische, dann empfehlen wir ja die Impfung. Ich glaube nach diesem Ding, das ist ja die Waagschale mit dem Nutzen. Und da kann man auch die Risiken sich anschauen auf der anderen Seite, aber dadurch, dass der Nutzen im Grunde genommen verneint wird, bräuchten wir fast nicht über Risiken sprechen, weil, wenn etwas nichts nutzt, brauche ich überhaupt nicht mehr überlegen, ob die Risiken diesen Nutzen aufwiegen.


Camillo Schumann


Jetzt ist das ja eine sehr umfassende Auswertung. Das liest sich teilweise wie so ein Manifest, ohne es jetzt erhöhen zu wollen. Aber es ist schon wirklich sehr, sehr interessant. Und man kommt nach der Lektüre eigentlich auch nur zu dem Schluss, den die STIKO dann gemacht hat. Aber aktuell wird ja geschaut, wie die größte Feldstudie zum Thema Kinder impfen in den USA läuft. Dort werden ja Millionen Kinder ab zwölf Jahre geimpft. Und die STIKO sagt aber auch: Wenn wir in ein, 2 Monaten erweiterte Erkenntnis haben, dann haben wir immer noch großen Spielraum, bis zum Schulbeginn darüber erneut zu beraten und das eventuell anzupassen. Wir wissen ja, dass die Politik es gern sehen würde, wenn sich die Kinder und Jugendlichen impfen lassen. Aber nachdem, was die STIKO jetzt vorgelegt hat... Braucht es die Daten aus den USA eigentlich noch?


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine sehr gute Frage, die ... Ich frag mich ein bisschen: Das, was Sie gerade gesagt haben, stimmt. Die STIKO sagt das, aber nicht die ganze Kommission, das steht auch nicht in diesem Papier darin, dass man sich jetzt die US-Studien anschaut und dann in 2 Monaten vielleicht noch oder in drei Monaten rechtzeitig vor Schulbeginn irgendwie noch was ma-

chen könnte. Sondern das sagen einzelne Mitglieder der Presse. Daraus höre ich so ein bisschen raus – das ist ja zum Glück in sehr verschwiegener Verein. Das finde ich ganz toll. Ich höre aber da heraus, dass es da wahrscheinlich schon Diskussionen zu dem Thema gegeben hat. Und die einen sehen das so, die anderen sehen das so. Die Risiken auf der anderen Seite, um die nur kurz aufzuzählen, sind ja schon oft erwähnt worden, sind ja, was in Amerika rauskommen könnte rein theoretisch. Also erstens: Wir wissen schon mal, dass bei Kindern die Reaktogenität höher ist. Also, dass mehr Kinder Schmerzen, Schwellung, Rötung, Allgemeinsymptome usw. nach der Impfung haben, als es bei Erwachsenen der Fall ist. Schon in dieser Altersgruppe von 12 -16 oder 12 -17. Und natürlich wird es bei noch jüngeren dann noch deutlicher. Wir wissen auch, dass diese Herzmuskelentzündungen, die Myokarditis, bei jüngeren Menschen aufgetreten sind. Falls die was mit der Impfung zu tun haben, wäre das natürlich eine rote Fahne für Impfung von Jugendlichen und Kindern. Und dann steht in diesem Papier, der tolle Satz drinnen: „Bei einem Nachbeobachtungszeitraum von weniger als drei Monaten bei der Mehrzahl der Probanden, kann über das Auftreten von mittelund langfristigen, unerwünschten Ereignissen keine Aussage getroffen werden.“ Damit sagen sie im Grunde genommen, mittel und langfristige Ereignisse können wir jetzt noch nicht beobachten. Warum ist das wichtig? Das ist deshalb wichtig, weil da steht „und langfristigen“. Langfristig heißt in der Medizin in diesem Zusammenhang im Zeitraum von einem Jahr plus X. Also ein oder mehrere Jahre. D.h. mit dem Aufschlag, den die STIKO jetzt gemacht hat, dass sie einerseits, wenn man sich die 2 Schalen der Waage vorstellt, auf der Nutzenseite sagen, wir brauchen die Impfung der Kinder und Jugendlichen nicht, zumindest nicht in dieser Altersgruppe. Das würde für die noch Jüngeren ja dann noch stärker gelten. Also man muss eigentlich sagen sogar in dieser Altersgruppe von 12 -17 braucht man es nach Meinung der STIKO nicht. Ich persönlich ganz

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ehrlich gesagt glaube schon, dass so bei Jugendlichen über 14 Jahren vielleicht man hätte diskutieren können, ob das epidemiologischen Sinn macht. Aber die STIKO sagt Nein. Also sie sagen, es bringt nichts, weder epidemiologisch noch gesundheitlich für die Betroffenen. Auf der anderen Seite sind Risiken da, und wir müssen die langfristigen Risiken ins Auge nehmen, um das zu beurteilen. Da haben sie eigentlich keine Optionen mehr vor dem Herbst, egal, was in Amerika rauskommt, eine andere Entscheidung zu treffen. Aber wenn ich gesagt hab, langfristige Risiken, die haben sie in 2 Monaten ja auch nicht aufgeklärt, sondern dann müssen sie ein Jahr plus X warten.


Camillo Schumann


Also sozusagen die Wahrscheinlichkeit von Impfzelten am ersten Schultag nach den Sommerferien – eher unwahrscheinlich.


Alexander Kekulé

Also Politiker machen das ja gerne, dass sie irgendwie plötzlich was Neues verkünden und man hat das Gefühl, in Klammern steht „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“

Wissenschaftler machen so was nicht. Also, dass die da jetzt heute das reinschreiben und dann riskieren, dass sie dann von anderen Kollegen sich vorhalten lassen müssen: Ihr habt aber damals das und das geschrieben, jetzt ändert ihr eure Position. Ich glaube das nicht, dass die das machen. Also daher wäre es zumindest für mich jetzt wieder eine Überraschung. Aber ich bin ja schon einmal im positiven Sinn überrascht worden. Das wäre dann eine negative Überraschung, wenn die Ständige Impfkommission von der Position, von dem Pfosten, den sie eingeschlagen hat – keinen Nutzen, weder medizinisch noch epidemiologisch, und langfristige Risiken sind wichtig zu beurteilen. Und wenn sie da von diesen letztlich drei wichtigen Statements abweichen würden und dann in 2 Monaten eine andere Entscheidung treffen würden, das würde mich sehr überraschen.

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Camillo Schumann


Und man muss das jetzt auch der Vollständigkeit halber mit dazu sagen:ir haben ja schon gesagt, es gibt zwölf Krankheiten, die aufgelistet wurden. Da wird es empfohlen. Und es wird auch, wenn es z.B. im Umfeld Personen gibt, die sich nicht impfen lassen können, wo möglicherweise ein Übertragungsrisiko da ist. Also das gehört ja auch mit dazu.


Alexander Kekulé

Das ist super wichtig. Danke, dass Sie das noch mal gesagt haben, das hätte ich jetzt [vergessen]. Das ist ganz wichtig, dass auch zu erwähnen, wenn jetzt z.B. die Mutter schwanger ist und damit eine echte Risikoperson ist. Das ist inzwischen auch in der Liste aufgenommen worden. Wenn die Mutter z.B. schwanger ist, das Kind zu impfen, weil man sagt, das geht in den Kindergarten, wo sie es sich infizieren kann, wo man z.B. im Herbst dann beschlossen hat, die Maskenpflicht fallen zu lassen, dann noch zweimal die Woche zu testen o.ä., weil die Inzidenz niedrig ist. Man weiß aber vielleicht, dass da viele Kinder sind, die Familien haben, die sonstwo wohnen und Kontakte zum Ausland haben. Da meine ich, gibt es dann ganz klare individuelle in Indikationen, wo man auch sagen kann: Der Impfstoff ist ja sicher und der ist wirksam. Das sind ja 2 Sachen, die bei der Zulassung eine Rolle spielen. Das hat die Europäische Arzneimittelbehörde festgestellt, und deshalb gibt es natürlich die Möglichkeit, den anzuwenden. Und in solchen Fällen würde dann natürlich das Risiko für die Mutter das begründen, dass man das Kind in dem Fall impft.

54:00


Camillo Schumann


Genau. Das dazu. Dann gibt es Neuigkeiten vom Impfstoffhersteller Novovax aus den USA. Gestern Abend wurden Daten der Phase-3-Studie veröffentlicht, kurz zusammengefasst: 90 % Gesamtwirksamkeit, sogar hundertprozentiger Schutz vor mittelschweren und schweren Erkrankungen. Schwere Nebenwirkungen gab es keine.

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Wie bewerten Sie die Ergebnisse? Man muss ja auch sagen, dass die Daten vom Unternehmen selber kommen. Die sind jetzt noch nicht von der Fachwelt gegengecheckt worden.


Alexander Kekulé

Ja, das ist eine Pressemitteilung. Aber nachdem, was AstraZeneca passiert ist, nachdem sie bei einer Pressemitteilung so ein bisschen, sage ich mal, die Daten beschönigt haben, glaube ich, dass jetzt alle anderen Hersteller den Teufel tun werden und irgendetwas treiben, was dann hinterher von den Fachkollegen zerpflückt wird, wenn es nicht stimmt. Ich glaube daran. Die haben hier eine Studie. Es ist eine Studie, die mit 30.000 Teilnehmern gelaufen ist, wahrscheinlich ungefähr die Hälfte geimpft und die Hälfte mit Placebo, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko, an insgesamt fast 12 0 Krankenhäusern oder Untersuchungsstellen hat man das gemacht. Also eine richtig große Zulassungsstudie. Da muss man dazusagen, die ist gelaufen unter echt erschwerten Bedingungen, aus mehreren Gründen. Der wichtigste ist, das ja jetzt dort die Varianten unterwegs sind, das hatten die anderen Hersteller nicht. Und dass sie so gute Wirksamkeit jetzt haben – auch gegen Varianten übrigens, gegen diese neuen variants of concern, die in Amerika ja auch schon vorhanden sind, ist die Wirksamkeit immer noch so bei 93 %. Also die Vakzineffizienz sagt man da. D.h. also die Wirksamkeit bezüglich symptomatischer Erkrankungen. Bezüglich Krankenhaus und Todesfällen, ist sie deutlich höher – geht Richtung 100 %. Kein einziger der geimpft ist, also der den richtigen Impfstoff bekommen hatte, musste ins Krankenhaus. Es gab insgesamt in der PlaceboGruppe 63 Infektionen, und in der geimpften Gruppe waren es 14. Also 14 in der Geimpftvs. 63 in der Placebo-Gruppe. Und andere Punkte, die toll sind an dieser Studie, was gut gemacht wurde, ist, dass man einen großen Teil von Hispanics und Schwarzen in den USA genommen hat und auch viele Menschen aus Risikogruppen, also aus Bereichen, wo man weiß, dass die ein erhöhtes Sterberisiko haben. So ein hoher Anteil von Risikopatienten wie in

dieser Studie hat es bis jetzt noch nicht gegeben. Und deshalb meine ich, dass es ein optimistisches Ergebnis ist dafür, dass Novavax ja immer das Problem hatte bei der Herstellung. Die hatten und haben erhebliche Produktionsprobleme beim Übergang von dem Labormaßstab zum Industriemaßstab. Also das nennt man scaling up, dass man quasi von dem kleinen Maßstab im Labor zur industriellen Produktion übergeht. Novavax war eigentlich eine kleine Klitsche, eine kleine Firma letztlich, die bis jetzt auch nicht so viel Gewinn gemacht hatten. Ich meine, wir haben bisher nur richtig Verluste gefahren. Wie andere auch, aber in dem Fall war es besonders deutlich. Und sie hatten ja diesen massiven Rückschlag, dass die kleine Unter-Studie, die gemacht wurde in Südafrika mit etwas über 4.000 Teilnehmern, dass da ja die Effizienz irre schlecht war, bei unter 50 % in Südafrika, wo man am Anfang gedacht hat, gegen diese südafrikanische Variante funktioniert es vielleicht nicht so gut. Das ist alles ausgeräumt. Es sieht jetzt wirklich sehr, sehr gut aus. Der ist quasi auf Augenhöhe, der Impfstoff, so wie es jetzt aussieht, mit den RNAImpfstoffen. Und kann man im Kühlschrank aufheben – muss man aber überhaupt nicht tiefkühlen, weil das quasi ein Protein ist. Also technisch gesehen ist es ein künstlich hergestelltes Protein, so wie wir das bei Hepatitis-BVirus z.B. schon lange haben. Und das ist ein so kleine Mini-Fettbläschen eingeschlossen, damit das Immunsystem so ein bisschen angestachelt wird. Und das soll übrigens auch vom Serum Institut in Indiana in großer Menge hergestellt werden. Die haben schon angekündigt, dass sie 750 Mio. Dosen herstellen, sodass man sagen kann: So ein Impfstoff, der im Kühlschrank transportiert werden kann, und wenn er aus dem Kühlschrank rauskommt, glaube ich, noch 2 4 Stunden lang verwendet werden kann. Das ist super für die Dritte Welt und für die bei uns, die halt, sagen: Ich will lieber so einen konventionellen Impfstoff haben, der auf Proteinbasis ist im Prinzip.


Camillo Schumann


Und das abschließend noch dazu. Novovax will ja auch oder testet glaube ich auch schon an

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den etwas Jüngeren. Wäre das möglicherweise, wenn dann die Zulassung durch ist in Europa, etwas, womit sich die STIKO dann positiv auseinandersetzen kann im Sinne von einer Empfehlung?


Alexander Kekulé

Das ist zu früh, das zu sagen. Also, da muss man wirklich die Daten sich dann angucken, weil es kann ja durchaus auch so andere Dinge geben. Es kann sein, dass bei Kindern die Reaktogenität vielleicht besonders hoch ist. Das wissen wir nicht. Es hängt dann z.B. damit zusammen, welche Fette man da zusammengemischt hat, um dieses Fettbläschen zu machen. Also es kann schon so handwerkliche Probleme geben auf der Strecke, keine exotischen, aber so naheliegende praktische Probleme. Die würden dann berücksichtigt werden. Und wir wissen – und das ist auch bei diesem Impfstoff natürlich so – dass wir in der ersten Stufe (das ist einfach ein internationaler Standard – Ich meine, es ist auch z.T. gesetzlich verankert) müssen Sie es mit Erwachsenen testen. Und nur wenn das da wirklich funktioniert hat, können Sie im nächsten Schritt anfangen, was bei Kindern zu machen. Was Novovax auch macht, ist, dass sie jetzt schon parallel angepasste Impfstoffe testen. Zumindest sagen sie, dass die gegen die neuen Varianten jetzt schon abgerichtet sind. Das machen aber natürlich Moderna und BioNTech auch. Also, daher muss man mal sehen. Es kann auch sein, dass bis zum Herbst so eine Euphorie bezüglich der RNA-Impfstoffe da ist, weil vielleicht die amerikanischen Daten zumindest für den Zeitraum bis dahin so optimistisch stimmen, dass Novovax dann zu spät kommt für einen Großteil derer, die da ihre Kinder impfen wollen. Ich würde da jetzt noch keine Prognose machen. Und wie gesagt, das mit der Herstellung scheint schwierig zu sein. Das tut mir ein bisschen leid, weil das eine Firma ist, sie schon lange kämpft und, wie gesagt, die hatten an der Börse früher schon Probleme. Und jetzt haben Sie endlich mal ein goldenes Nugget gefunden und kriegen das nicht richtig ins Regal gebracht. Es ist natürlich aus unternehmerischer Sicht dann auch ärgerlich.


Camillo Schumann


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau W. aus Berlin hat angerufen. Sie möchte, dass v.a. Risikogruppen geimpft werden. Und sie kann es nicht nachvollziehen, wenn sich ihre jungen und fitten Freunde impfen lassen und sich, obwohl die Impfreihenfolge aufgehoben wurde, quasi in ihren Augen so ein bisschen vordrängen. Frau W. diskutiert dann oft mit ihren Freunden und bekommt das zu hören als Erklärung:

„Ich will doch aber meinen Vater, meine Mutter schützen und besuchen. Dann sag ich immer: Die sind doch geimpft! Und dann kriege ich zu hören, dass es da Studien gibt, die ganz sicher sind, dass man noch immer ganz schlimm ansteckend ist, wenn man nicht geimpft ist, für die Geimpften. Diese Studien, die ganz sicher das belegen, lasse ich mir dann gerne schicken. Aber die kommen nie bei mir an. Anscheinend gibt es da irgendeine israelische Studie wohl aus dem Bereich, aber vielleicht könnten Sie das noch einmal thematisieren.“

Aber gerne.

01:01:17


Alexander Kekulé

Erstens ich bin auch total dafür, diese Priorität die Impfpriorität beizubehalten. Übrigens hat die Ständige Impfkommission das in ihrem Statement auch noch einmal klipp und klar gesagt, dass die Priorität einzuhalten ist, das liest man da sehr deutlich raus, auch mit Sorge, dass das aufgehoben wurde. Letztlich ist die Priorisierung ja schon lange aufgehoben, de facto dadurch, dass die Hausärzte das machen, weil wir nach wie vor – ich kann es nur noch mal sagen – in Deutschland zu viele Menschen auf der Intensivstation haben, zu viele Tote haben. Dafür, dass wir eine relativ niedrige Inzidenz haben. Also wir sind ja wahrscheinlich dann bald Inzidenz-Europameister. Beim Fußball muss man mal schauen, aber bei der Sterblichkeit und bei der Intensivstation nicht. Und d.h. nichts Anderes, als dass wir die falschen Leute geimpft haben. D.h., dass wir die Priorisierung nicht richtig gemacht haben, das immer noch Leute, die ein hohes Risiko haben, eben sich infizieren. So. Und jetzt aber mit der

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Oma. Da ist es so, da haben die Freunde unserer Hörerin was falsch verstanden. Und zwar ist das so: Ja, wenn man selbst geimpft ist, kann man das Virus trotzdem noch weitergeben. Man kann sich, auch wenn man selbst geimpft ist, natürlich von jemand anders, der entweder geimpft ist oder der gar nicht geimpft ist, im Prinzip infizieren, v.a. mit den neuen Varianten. Das ist eben hier möglich. Aber natürlich der Geimpfte selber, der stirbt dann nicht mehr dran. Also ich sage es jetzt mal so pauschal, wahrscheinlich der eine oder andere auf der ganzen Welt vielleicht schon. Aber im Prinzip ist es so, wenn Sie geimpft sind, vollständig geimpft sind – selbst wenn die neue Variante kommt – ist die Wahrscheinlichkeit, das Risiko, daran zu sterben, vernachlässigbar. Und deshalb ist das eine Ausrede. Und ich würde jetzt nicht sagen, dass es Vordrängler sind, weil es ja wohl tatsächlich so ist, dass, wenn die Priorisierung freigegeben ist, dann kann man ja dem einzelnen Menschen keinen Vorwurf machen, dass er von diesem Recht, was er dann hat, Gebrauch macht. Aber das ist so ein ähnlicher Fall wie im Frühjahr. Wenn Sie mal ausrechnen würden, wie viele zigtausend Tote durch das zu späte Handeln der Politik in Deutschland quasi verursacht wurden oder nicht vermieden wurden, dann müsste man sich eigentlich wirklich schämen dafür. Und wenn sie jetzt in der Situation sind, dass Sie die Priorisierung aufheben, dann haben sie im Grunde genommen auch wieder eine Situation, wo hinterher dann die Statistiker ausrechnen können, wieviele Tote man hätte vermeiden können, wenn man konsequent weiter in der Priorisierung geblieben wäre. Wir hätten nicht 1.2 80 Intensivpatienten im Moment und 93 Todesfälle zuletzt am Tag gemeldet in Deutschland, wenn wir das mit der Priorisierung wirklich richtig gemacht hätten.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 195. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Donnerstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Hören Sie doch mal in andere Podcast von MDR Aktuell rein z.B. in den ‚Rechthaber der Podcast für juristische Alltagsprobleme‘.In der aktuellen Ausgabe geht es um die Frage: Darf mich mein Arbeitgeber zur Corona-Impfung zwingen?

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 12 . Juni 2 02 1 #194: Hörerfragen SPEZIAL


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Studie: Hypertonie bei Patienten nach mRNAbasierter SARS-CoV-2 -Impfung (2 5.03.2 02 1) https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/HYPERTENSIONAHA.12 1.17316

Studie: Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus nach Impfung gegen SARS-CoV-2  (01.06.) Vaccines | Free Full-Text | Reactivation of Varicella Zoster Virus after Vaccination for SARSCoV-2  (mdpi.com)

Samstag, 12 . Juni 2 02 1

Wie viele Impfungen braucht man nach einer vor langer Zeit durchgemachten Corona-Infektion? Eine, 2 oder gar keine?

Ist eine Gürtelrose im Gesicht nach einer BioNTech-Impfung möglich?

Wie erkenne ich eine Sinusvenenthrombose?

Verbessern sich nach einer Impfung die Blutzuckerwerte?

Und: Wird man nach einer Impfung an der Einstichstelle magnetisch?


Camillo Schumann


Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

0:45


Camillo Schumann


Frau F. hat angerufen. Ihre Corona-Infektion liegt jetzt 14 Monate zurück. Sie gehörte also zu den Infizierten der ersten Stunde. Nun will sie wissen, wie sie mit dem Thema Impfung umgehen soll:

„Es heißt immer wieder, dass erkrankte Menschen nach etwa sechs Monaten eine Impfung erhalten sollten. Wie sieht es aber aus, wenn jemand schon vor so langer Zeit erkrankt war und seine erste Impfung erst nach über einem Jahr erhalten hat? Ist in einem solchen Fall nicht auch eine zweite Impfung zu empfehlen, damit der volle Impfschutz besteht? Zumal zeitweise schon darüber diskutiert wird, ob für geimpfte Personen eventuell im Herbst oder Winter eine dritte Impfung nötig werden könnte. Bisher konnte uns niemand dazu eine verbindliche Auskunft geben, jeder Arzt sagt etwas Anderes.“

Tja, und Herr Kekulé vielleicht auch.


Alexander Kekulé

Ich hoffe, dass ich tendenziell immer das gleiche sage, aber vielleicht nicht immer das gleiche wie meine Kollegen, das kann schon sein. Es ist so, wir haben viele Daten, die inzwischen mehr und mehr darauf hindeuten, dass der Impfschutz schon ein Jahr lang anhält. Und der Schutz durch die durchgemachte Infektion mindestens genauso lang. Also, in diese Richtung gehen die Daten nach und nach. Wir haben ja aus den ersten Studien schon Leute, die vor einem Jahr geimpft wurden. Und rein biologisch gesehen ist es so, dass wir inzwischen sehen, dass diese zelluläre Antwort – also es gibt ja immer Antikörper, die werden von so Lymphozyten, sogenannten B-Lymphozyten oder Plasmazellen produziert und es gibt zytotoxische T-Zellen, die steuern das Ganze und können auch selber andere Zellen abtöten. Und diese zelluläre Antwort scheint also noch langlebiger zu sein. Also, unterm Strich: Die anfängliche Vermutung, dass das deutlich länger anhält als diese sechs Monate bestätigt sich derzeit. Und deshalb kann ich nur sagen: Einmal impfen reicht vollkommen. Es ist sicher sinnvoll, wenn es 14 Monate her ist, sich jetzt einmal impfen zu lassen, dann hat man wirklich einen vollen Schutz. Zumal ja auch die Vorschriften, wenn man mal reisen will oder ohne

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Test zum Friseur oder Ähnliches, verlangen, dass man einmal geimpft ist oder genesen – eben kürzer als sechs Monate. Darum würde ich sagen: Einmal impfen reicht. Und es kann sein, dass im Herbst irgendwann mal eine zweite Generation von Impfstoffen auf den Markt kommt, die dann aber gegen neue Varianten wirksam wäre. Ist noch nicht klar, ob wir das brauchen. Aber falls wir das brauchen, wäre das der Moment, sich dann zum zweiten Mal impfen zu lassen, wenn man die Krankheit schon mal durchgemacht hat.

3:19


Camillo Schumann


Frau P. hat gemailt:

„Ich bin zweimal geimpft mit BioNTech und meine zweite Impfung ist jetzt vier Wochen her. Trotzdem sollte man geimpft beim Zahnarzt bei längerer Behandlung einen Corona-Test vorlegen. Und ich hörte dort, dass ich noch andere anstecken könne und ich mich nicht sicher fühlen kann und doch trotz vollständigem Impfschutz infiziert sein könnte. Das verwundert, verunsichert und ängstigt mich jetzt wieder, denn ich bin herzkrank und chronisch krank. Dürfen meine Enkelinnen – beide unter elf Jahre – nun immer noch nicht zu mir zu Besuch kommen, ohne dass ich Angst haben muss, mich bei ihnen oder sie zu infizieren? Wie soll ich mich in Zukunft verhalten? Viele Grüße, Frau P.“


Alexander Kekulé

Ja, also ich weiß, das ist bei Ärzten – wenn sie jetzt nicht speziell Virologie machen – ein bisschen durcheinander. Also, aus epidemiologischer Sicht ist es so, dass ein Restrisiko besteht, dass jemand, der genesen ist oder geimpft wurde, tatsächlich sich nochmal infiziert. Das kann passieren. Der kann dann im Prinzip auch andere anstecken. Aber eben hauptsächlich im Prinzip, weil die Virus-Dosis, die man dann im Rachen hat, viel geringer ist. Und auch die Tage, die man das Virus ausscheidet, sind weniger. Ich würde mal immer sagen: Wenn man jemanden küsst oder ganz engen Kontakt zu jemandem hat, kann man auch als Genesener oder Geimpfter – sofern man ausgerechnet in dem Moment gerade Viren ausscheidet aufgrund einer weiteren Infektion – jemand anderes anstecken. Das ist epidemiologisch deshalb wichtig, weil diese Menschen ja

höchstwahrscheinlich keine, oder nur ganz minimale Symptome haben. Sie sind ja eigentlich immun und merken das dadurch nicht. Darum ist das aus Sicht der Epidemiologen eine wichtige Sache. Aus praktischer Sicht sozusagen, nicht, wenn man aufs ganze Volk guckt – also, „epidemos“ heißt ja „über dem Volke“, also nicht über das ganze Volk blickt, sondern den Einzelfall sich ansieht, dann ist es so: Das spielt überhaupt keine Rolle fürs Einzelrisiko. Die Infektionsgefahr in der Einzelsituation – sei es beim Arzt, sei es beim Friseur oder in der Massage oder im Fitnessstudio – die ist absolut vernachlässigbar, wenn man entweder genesen oder eben geimpft ist. Sodass ich sagen würde: Der Zahnarzt sollte vielleicht mal seine Vorschriften überdenken, ob er nicht diejenigen, die genesen und vollständig geimpft sind, mit den Getesteten einfach gleichstellt.

05:43


Camillo Schumann


Und die Enkelinnen? Beide unter elf. Da hat jetzt Frau P. schon Angst, dass sie die jetzt nicht mehr sehen kann.


Alexander Kekulé

Ja, das ist jetzt der andere Weg. Ist man selber in Gefahr, sich anzustecken? Sozusagen im Prinzip: Irgendwie ja. Es könnte schon sein, dass man sich ein zweites Mal mit Covid infiziert, vor allem, wenn das jetzt Varianten sind, die unterwegs sind. Wenn man gegen eine Variante geimpft ist und eine andere Variante einen infiziert, dann ist das schon möglich, dass man sich nochmal ansteckt. Aber das Wichtigste ist ja: Das werden fast immer asymptomatische oder ganz leicht symptomatische Verläufe sein. Die schweren Verläufe in solchen Situationen werden – das sage ich jetzt mal für die Zukunft – absolut exotisch sein. Wir haben bis jetzt keine schweren Verläufe dokumentiert.

06:2 8


Camillo Schumann


Herr L. hat eine Mail geschrieben. Er hat jetzt keine Frage, sondern er hat uns mal geschildert, wie es seiner Frau und ihm nach einer Impfung erging. Er schreibt:

„Am 11. Mai wurden meine Frau und ich mit Moderna geimpft. 2 4 Stunden später hatte meine Frau 2 60 zu 155 Blutdruck. Bis heute hat

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sie den trotz Medikation nicht im Griff, diesen Blutdruck. Er schwankt zwischen 2 11 zu 143 und 90 zu 56. Bei mir gab es keine Nebenwirkungen – bis zum 04.06. Seitdem habe ich 190 zu 145 Blutdruck. Wir lassen uns kein zweites Mal impfen. Gruß, Herr L.“

Ist das etwas, was man des Öfteren mal hört nach der Impfung? Bluthochdruck?


Alexander Kekulé

Das ist exotisch, aber man hat es schon mal gehört. Also, es gibt Einzelberichte, wo tatsächlich und in unterschiedlichem Abstand – manchmal gleich am nächsten Tag, manchmal erst eine Woche später oder Ähnliches – tatsächlich ein höherer Blutdruck kommt. Typischerweise bei älteren Patienten. Da gibt es jetzt gerade eine Studie, wo habe ich denn die gelesen? In der Schweiz war das jedenfalls, kann ich nochmal raussuchen, können wir dann auch auf die Webseite stellen. Wo man so eine Handvoll Patienten, ungefähr zehn Patienten, beschrieben hat, bei denen das aufgetreten ist. Wir haben keine Ahnung, woran das liegt. Also, da gibt es bisher überhaupt keine Idee, was der Mechanismus sein könnte. Das einzige, was dort aufgefallen war, ist, dass das hauptsächlich ältere Patienten sind. Jetzt weiß ich nicht genau, ob er L. geschrieben hat, wie alt er und seine Frau sind. Aber der typische Fall ist, dass das ältere Patienten sind. Und in den Zulassungsstudien – es geht ja hier um die RNA-Impfstoffe, also Moderna und BioNTech – in den Zulassungsstudien ist das jeweils nicht beschrieben worden. Das ist das Interessante. Da sieht man mal wieder, dass es einfach so ist, dass man bestimmte seltene Nebenwirkungen, aus welchen Gründen auch immer – auch, wenn man mit zigtausend Probanden solche Studien macht – eben erst hinterher nach der Zulassung feststellt. Und es könnte sein, dass das eine assoziierte Nebenwirkung ist. Also, diese Berichte gibt es tatsächlich und dem wird natürlich inzwischen nachgegangen. Es gibt auch leider keine guten Daten, wie die Prognose ist. Also, ob das dann nach ein paar Wochen wieder ganz verschwindet oder nicht. Hier ist eine kleine Besonderheit, dass – wenn ich es richtig verstanden habe – zuerst die Frau von Herrn L. und dann er selber die Nebenwirkung bekommen hat. Das wäre sozusagen dop-

pelt unwahrscheinlich, da Ehepartner ja typischerweise nicht genetisch verwandt sind. Und das heißt also, da würde ich jetzt bei dem zweiten eventuell vielleicht auf Aufregung tippen oder Ähnliches. Das kann ja auch mal sein. Also, dass das so häufig ist, dass es in einer Familie gleich zweimal auftritt, wäre extrem ungewöhnlich. Hier auch nochmal der Hinweis: So was muss unbedingt dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet werden, weil: Nur Nebenwirkungen – oder mögliche Nebenwirkungen – die registriert sind, können natürlich weiter untersucht werden.

09:2 7


Camillo Schumann


Kommen wir zu einer auch neuen, assoziierten Nebenwirkung. Diese Hörerin hat angerufen. Sie hat eine Netzhautablösung und deshalb wurde ihre Netzhaut gelasert. Das nur als Hintergrundinfo für ihre Frage. Denn als erstes schildert sie mal, welche Nebenwirkung ihre Mutter nach der ersten BioNTech-Impfung hatte:

„Nach der ersten Impfung bekam sie eine Gürtelrose im Gesicht bzw. auch am Auge, sodass sie auch doppelt gesehen hat. Im Krankenhaus erzählten mir weitere Patienten, dass auch sie eine Gürtelrose am Auge bekamen nach der ersten Impfung von BioNTech. Nun meine Frage: Kann ich mir die Impfung bedenkenlos geben lassen? Oder muss ich irgendwelche Nebenwirkungen befürchten?“

Tja, vollziehbare Frage, wenn man das in der Familie hat.


Alexander Kekulé

Ja, das mit der Gürtelrose ist auch wieder sowas, das ist auch – heute kommt es wirklich dicke nacheinander – das ist auch wieder eine Nebenwirkung, die in den Zulassungsstudien nicht beschrieben wurde. Da gab es sozusagen keine Fälle. Und es ist in der Tat so, dass in den letzten Wochen Berichte aufgetaucht sind von Ärzten, die also Patienten hatten, wo eine Gürtelrose reaktiviert wurde nach der RNA-Impfung. Ich meine, der eine war aus Israel und der andere, den ich gelesen habe, da weiß ich nicht mehr ganz genau, wo der herkam. Aber es gab mehrere Berichte, die in diese Richtung gehen. Jetzt muss man sagen, das ist ja folgendermaßen: Also, Gürtelrose ist ja das Varizella-

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Zoster-Virus, also ein Virus, was sowohl die Windpocken – Varizellen – macht, als auch eben dann später im Alter die Gürtelrose – den Zoster. Und das ist das gleiche Virus, was wir in unserer Kindheit uns einfangen – die Windpocken – und das bleibt dann ein Leben lang in unseren Nervenzellen sozusagen erhalten. Das ist dort nur unter Kontrolle des Immunsystems, ist aber noch vorhanden, es wird quasi in Schach gehalten. Und wenn dann, aus welchen Gründen auch immer – meistens natürlich im höheren Alter, wenn die Immunität nachlässt, sozusagen diese Überwachung nicht mehr funktioniert – dann gehen also diese Hunde von der Kette und fangen also an, Unsinn zu machen. Und das heißt konkret, dass man dann einen Zoster bekommt, die Gürtelrose. Wir wissen, dass das zum Beispiel der Fall ist auch bei Aids-Patienten. Bei Aids ist es ja so, dass das Immunsystem sehr massiv geschwächt wird. Und da sehen wir dann auch immer wieder Menschen, die also Gürtelrose bekommen. Und es gibt auch bei anderen Impfungen – das sind echte Raritäten, das ist sozusagen das Kleingedruckte aus dem Lehrbuch – aber es gibt bei anderen Impfungen auch immer mal wieder Berichte von Zoster als Reaktion auf die Impfung. Und deshalb nehmen wir an, dass einfach dadurch, dass durch den Impfstoff sozusagen das Ganze Immunsystem in Alarmstimmung versetzt wird gegen dieses eine Virus – also gegen dieses Antigen, gegen das gerade geimpft wird – dagegen sich zu aktivieren, dass es sozusagen seine anderen Aufgaben vernachlässigt. Und deshalb – wegen dieser Fokussierung auf diesen neuen Gegner – dann das in Schach halten des Zoster-Virus nicht mehr so richtig funktioniert und es deshalb zu diesen Seiteneffekten kommt. Das würde auch zu den RNA-Impfstoffen passen, weil die ja diese sehr, sehr starke Immunogenität haben, unerwartet stark. Und das sieht eben so aus, als würden die regelrecht das Immunsystem umprogrammieren. Ich glaube, da haben wir auch schon mal drüber gesprochen. Da werden sozusagen die Funktionen von TLymphozyten, die normalerweise den Job haben, andere Viren in Schach zu halten, praktisch umgeswitcht, um jetzt wirklich alles auf Abwehr dieses vermeintlichen Gegners – der natürlich nichts anderes als eine Attrappe ist, nämlich ein Impfstoff – zu setzen. Und dadurch

kommt es zur vorübergehenden Aktivierung des Zoster-Virus. Ist zumindest eine Nebenwirkung, wo man davon ausgehen muss, dass die – sobald dann diese akute Reaktogenität zu Ende ist, also spätestens nach einigen wenigen Wochen – dann auch wieder vorbei ist. Und das war es dann auch.

13:2 9


Camillo Schumann


Aber das heißt ja auch, oder könnte möglicherweise heißen: In dem einen Fall reaktiviert es die Gürtelrose, in dem anderen Fall dann eine andere Viruserkrankung, die dann wiederkommt oder wieder zuschlägt.


Alexander Kekulé

Ja, es gibt nicht so viele Viruserkrankungen, wo tatsächlich die Viren so richtig in Bereitschaft in den Nervenzellen oder woanders schlafen. Aber Herpes-Viren haben das so an sich. Also, Varizella-Zoster-Virus gehört zur Familie der Herpes-Viren und das normale Herpes-Virus, was wir Herpes-simplex sonst nennen, das funktioniert eigentlich so ähnlich. Da würde man auch erwarten, dass so eine Reaktivierung durchaus vorkommt. Es gibt zum Glück nicht so viele Viren, die das quasi so im Standardrepertoire haben. Bei den anderen ist das eher exotisch, wenn die sich reaktivieren lassen. Aber ja, solche Dinge muss man natürlich berücksichtigen, zumindest mal unter Beobachtung haben. Und das ist ja einer der Gründe – ist glaube ich bekannt, dass ich bei Impfung von Kindern, also unter zwölf Jahren, dann demnächst eher zur Vorsicht mahne oder zum Abwarten. Nennen wir es nicht Vorsicht, sondern zum Abwarten mahne. Und das ist eben einer der Gründe, dass wir jetzt immer wieder Dinge, die selten sind, entdecken. Wo wir nicht genau verstehen, warum das so ist, wo wir was dazulernen vom Immunsystem. Und ja, das könnte sein, dass auch andere Viren aktiviert werden. Heißt aber übrigens umgekehrt nicht, wenn jemand jetzt einen Zoster schon mal hatte, dass der jetzt Angst haben muss, dass das in seinem Fall jetzt durch den Impfstoff insbesondere nochmal aktiviert wird. Also, da gibt es bisher zumindest kein besonderes Risiko, was man ausgemacht hätte.

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15:01


Camillo Schumann


Okay, da kommen wir nämlich gleich zur nächsten Frage dazu. Vorher nochmal kurz nachgefragt, weil es ja doch ein interessantes Thema ist: Wir haben sozusagen jetzt über inaktivierte Viren gesprochen, die sozusagen durch die Impfung wieder geweckt werden. Wie sieht es denn zum Beispiel mit Bakterien aus, mit denen sich das Immunsystem ja auch permanent auseinandersetzen muss? Dass man vielleicht nach der Impfung dann, ich sage mal, eine Flechte am Mund bekommt, ein Gerstenkorn oder so. Kann so etwas auch passieren?


Alexander Kekulé

Das wäre ein anderer Mechanismus. Also, man darf Wissenschaftler nie fragen: Kann so etwas sein? Also, es kann immer alles sein, aber das wäre jetzt zumindest mal unwahrscheinlich und nicht auf der gleichen Strecke, weil die Bakterien werden über andere Mechanismen in Schach gehalten. Das ist jetzt nicht so dieses klassische T-Zelle passt auf, dass das Virus nicht aus der Zelle rauskommt. Das ist ja so quasi der Mechanismus bei den Herpes-Viren. Das kann man sich wirklich so vorstellen, dass die schlummern in den Ganglien, also in den Nervenzellen im Rückenmark schlummern diese Viren. Und immer, wenn sie mal raus wollen, kommt sofort eine T-Zelle und haut denen eins auf die Mütze. Diesen Mechanismus, den gibt es bei Bakterien nicht, weil die sind ja typischerweise außerhalb von Zellen. Und da gibt es dann andere Teile des Immunsystems, die dafür wiederum zuständig sind. Da ist aber eine Interferenz, also eine Beeinflussung eigentlich nicht zu erwarten an der Stelle. Aber das ist ein super spannendes Thema. Also, ich kann vielleicht an der Stelle noch sagen für die, die gerne Virologen werden wollen: Es ist tatsächlich so, dass wir früher das nur von den Herpes-Viren kannten und inzwischen bei mehr und mehr Virusinfektionen feststellen, dass, wenn man denkt, der Patient sei geheilt, irgendwo im Körper diese Mistviecher noch sitzen und warten. Die sind tatsächlich noch da. Und wahrscheinlich ist ein Großteil der Viruserkrankungen, die wir durchgemacht haben, in dem Sinne nicht erledigt, dass der Erreger komplett weg ist, sondern der Erreger wird in Schach gehalten.

16:58


Camillo Schumann


Ja, und für mich als Laie wirkt dieser mRNAImpfstoff zunehmend so als Überraschungsei.


Alexander Kekulé

Naja, das würde ich nicht negativ sehen. In einem Überraschungsei von einem Bekannten Schokoladenhersteller für Kinder sind ja auch positive Dinge drin. Also, es ist natürlich schon so: Es gab diese wahnsinnig positive Überraschung, dass wir diese 95 Prozent Wirksamkeit haben. Das war wirklich total erstaunlich. Aber was wir jetzt hier so hören, gerade so diese Überreaktion des Immunsystems – es gibt ja noch ein paar andere Nebenwirkungen, wie diese großflächigen Rötungen, die an der Einstichstelle ein paar Wochen später entstehen und Ähnliches – das sind eben, wenn man so will, die Kehrseiten der Medaille. Es kommt hier wohl zu einer Umprogrammierung des Immunsystems, die wir noch nicht ganz verstanden haben. Die sicherlich Grundlage wird für Impfstoff-Entwicklungen einer ganzen Generation. Also, das wird so sein, dass das, was wir hier gelernt haben, alle künftigen ImpfstoffEntwicklungen beeinflussen wird. Aber ja, jetzt sofort im Moment können wir Virologen und auch die Immunologen noch nicht die ganze Geschichte erzählen.

18:06


Camillo Schumann


Damit zurück zur Gürtelrose. Sie haben es ja schon anklingen lassen. Und wir kommen zur Frage von Frau N., die angerufen hat:

„Meine Tochter, die hat Gürtelrose und würde gern wissen, ob sie geimpft werden kann, obwohl sie Gürtelrose hat.“


Alexander Kekulé

Also, das ist das gleiche Thema. Ja, würde ich schon sagen. Also, in die Gürtelrose reinimpfen, wenn sie gerade aktiv ist, würde ich natürlich nicht empfehlen. Das wird auch kein Impfarzt machen, dass man in eine aktive Gürtelrose reinimpft. Aber sobald die ausgeheilt ist und sozusagen der Schub vorbei ist, kann man natürlich impfen.

18:43


Camillo Schumann


Immer wieder wird ja über mögliche negative

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Impfnebenwirkungen berichtet und gesprochen. Wir haben es ja gerade eben getan. Diese Hörerin schildert mal eine positive Nebenwirkung:

„Kann es sein, dass die Corona-Impfung BioNTech/Pfizer die Blutzuckerwerte beeinflusst? Mein Mann hat nach der zweiten Impfung sehr gute Blutzuckerwerte. Und das hätte mich interessiert, ob das möglich sein kann.“


Alexander Kekulé

Ja, also davon habe ich noch nichts gehört. Also, es ist bekannt, dass Menschen nach Impfungen manchmal einen erhöhten Blutzucker haben. Das hängt mit dem Stress zusammen, mit der Situation, dass der Körper insgesamt da herausgefordert wird. Aber dass sozusagen bei einem Diabetiker, wenn ich das richtig verstanden habe, sich die Diabeteswerte verbessern, habe ich noch nie gehört. Also, da müsste man jetzt wild spekulieren. Da hätte ich die eine oder andere Idee, aber die behalte ich jetzt mal für mich, weil das zu spekulativ wäre. Also, man kann sich irgendwie überlegen, ob so eine Impfung durch die Aktivierung des Immunsystems die Blutzuckerwerte verbessern könnte um drei Ecken. Aber das ist überhaupt nicht beschrieben und habe ich noch nie etwas davon gehört.

19:58


Camillo Schumann


Aber man könnte ja der Frau N. möglicherweise auch den Tipp geben – das war ja jetzt nach der ersten Impfung – dass man vielleicht so eine kleine Langzeitbeobachtung macht mit ihrem Mann. Nach der zweiten Impfung dann vielleicht auch die Blutzuckerwerte kontrolliert und vielleicht vergleicht mit den Wochen vor den Impfungen. Und dann mal so zu schauen, ob es da möglicherweise Veränderungen gibt.


Alexander Kekulé

Ja, an Ihnen ist ja noch ein echter Wissenschaftler verloren gegangen. In so einem Fall würde ich immer zum Arzt gehen. Also, falls das nicht schon passiert ist, ist das so ein Fall, den sollte man nicht im Impfzentrum machen, wenn man wirklich der Meinung ist, das hat es eine ganz deutliche Veränderung gegeben bezüglich der Blutzuckerwerte in dem Sinn. Wenn ich es richtig verstehe, sind sie niedriger geworden. Und dann sollte man auf jeden Fall

das mit dem Arzt, der sich sonst um den Diabetes kümmert, besprechen. Und ja, das wäre natürlich sinnvoll, dann nach der zweiten Impfung nochmal zu gucken, ob es dabei bleibt, ob sich wirklich etwas verbessert hat oder nicht. Aber wie gesagt, das Typische ist eigentlich, dass durch den Stress der Impfung – wenn ich das mal so sagen darf – der Blutzucker hochgeht.

2 0:55


Camillo Schumann


Unser Hörer C. hat angerufen. Er möchte, dass sich seine Mutter impfen lässt. Allerdings: Ein tragischer Todesfall in der Familie lässt sie zweifeln.

„Mein Onkel – 80 Jahre, vor ca. fünf Jahren Schlaganfall und Einschränkungen nur körperlich an den Beinen, mit Gehstock 50 Meter maximal möglich – ist eine Woche nach einer BioNTech-Impfung verstorben, an einem Aneurysma Bauchschlagader. Noch am Tag davor war er fit. Frage: Würde ein Arzt sagen, dass es an der Impfung lag? Und wie überzeuge ich nun seine Cousine ersten Grades, also meine Mutter, 79 Jahre, dass sie sich impfen soll? Sie selber hat mit Krampfadern zu kämpfen und ist Thrombose gefährdet.“


Alexander Kekulé

Also, man muss einfach immer erklären: Das ist eine extrem seltene Sache. Natürlich sollte jemand, der so Thrombose gefährdet ist, dass man davon ausgehen muss, dass jetzt schon ein kleiner zusätzlicher Schubser dieses Blutgerinnungssystem durcheinanderbringen könnte, dass es zu massiven weiteren Thrombosen kommt, so jemand sollte schon mal überlegen, ob er einen RNA-Impfstoff oder natürlich auf keinen Fall dann einen Vektor-Impfstoff nehmen sollte. Also, den Astrazeneca-Impfstoff, der bei uns ja auch zugelassen ist, und Johnson und Johnson würde ich in so einem Fall dann nicht empfehlen wegen der fraglichen, wenn auch seltenen Nebenwirkungen. Aber das sind ja eigentlich ganz wenige Patienten, bei denen das so ist, dass sie quasi schon eine sehr weit entwickelte Thrombose haben, die dann durch diese zusätzliche Stimulation – diese Immunstimulation bringt zugleich auch bei manchen Patienten zumindest eine Veränderung der Blutgerinnungswerte kurzzeitig. Aber das kann na-

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türlich schon sein, dass sowas bei einem Patienten, der sowieso schon auf der Kippe war, dann eine Rolle gespielt hat. Es gab einen berühmten Fall, der vor einigen Wochen passiert ist, wo in Thailand jemand tatsächlich auch eine Thrombose hatte – ich meine sogar, daran gestorben ist – aber zumindest eine schwere Thrombose hatte nach der Impfung. Das wurde durch die thailändische Presse getrieben und hat dann dort für einen Riesenwirbel gesorgt, weil das die Bereitschaft, sich zu impfen, in ganz Thailand massiv verändert hat. Ich meine, das war auch ein Bauchaortenaneurysma dort, was da in der Diskussion stand. Da haben die Behörden aber dann hinterher gesagt, das hätte mit der Impfung überhaupt nichts zu tun gehabt. Also, ich würde mal sagen: Man wird sowas statistisch einfach wahnsinnig schwer beweisen können, weil das so seltene Ereignisse sind. Und dann auch noch zu sagen, das seltene Ereignis ist jetzt dadurch provoziert worden, dann müsste man ja dann nachweisen: Okay, wie häufig passiert dieses extrem seltene Ereignis einer solchen Aortenaneurysmen-Thrombose oder -Riss oder was auch immer das war? Wie oft passiert das sonst durchschnittlich? Das ist extrem selten. Und dann: Wie stark wird das erhöht bei den Geimpften? Also, das kriegt man statistisch nicht sauber getrennt. Und deshalb wird das immer so ein Fragezeichen bleiben. Aber ich kann nur sagen: Es sind extrem seltene Ereignisse. Und man kann jetzt wirklich nicht sagen, dass dieses extrem seltene Risiko höher wäre als das Risiko für jemanden, der diese ganzen Vorerkrankungen hat, der rein theoretisch dann wirklich Thrombose gefährdet ist, wenn er sich Covid-19 holt. Also, das Risiko mit der Infektion ist natürlich gerade bei diesen Menschen viel, viel höher als das durch die Impfung. Und deshalb würde ich im Zweifel immer auf die Impfung gehen.

2 4:10


Camillo Schumann


Und was soll C. jetzt seiner Mutter sagen, wenn der Bruder, also sozusagen sein Onkel, verstorben ist?


Alexander Kekulé

Ich würde einfach sagen, falls da was in der Familie liegt, falls da solche Veranlagungen vor-

handen sind, dann heißt es mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass man auch im Falle einer Covid-19 Infektion besonders gefährdet ist. Und zwar viel gefährdeter als durch die Impfung. Deshalb würde ich die Impfung empfehlen, einfach weil die Alternative ist, zu Hause zu bleiben und sich einzusperren, solange dieses Virus zirkuliert. Und das kann ja noch eine Weile dauern.

2 4:45


Camillo Schumann


Herr A. hat eine interessante Frage gemailt. Er fragt:

„Gibt es eine schleichende Immunisierung gegen Viruserkrankungen? Gemeint ist: Können Menschen im Laufe der Zeit immun gegen das Coronavirus werden, wenn sie immer wieder kleinen Mengen des Virus ausgesetzt sind? Könnte dieser Sachverhalt neben anderen auch ein Grund für niedrige oder vorhandene Antigenspiegel bei Testungen sein? Viele Grüße, Herr A.“


Alexander Kekulé

Ja, also wir nehmen an, dass es das gibt. Das ist auch nicht so richtig belegt. Aber es gibt so einen Dosis-Effekt auch bei Virusinfektionen. Also, früher hat man immer gesagt: Bakterien sind dosisabhängig, Viren nicht. Das war so die alte Schule, habe ich in meiner Vorlesung auch ganz früher immer so erklärt. Beispielsweise: Wenn Sie im Urlaub Durchfall bekommen von irgendwelchen Speisen, weil sie im Süden unterwegs waren, dann hängt es – wie schwer man krank wird und ob man krank wird – unter anderem von der Dosis ab. Also, wie viele Bakterien habe ich überhaupt abbekommen. Darum ist es oft so, dass der eine das gleiche Essen gegessen hat wie der andere. Der eine ist krank geworden, der andere nicht. Das hängt nicht nur vom Immunsystem des Individuums ab, sondern davon, dass vielleicht mehr oder weniger Bakterien drinnen waren in der einen oder anderen Portion. Eigentlich hat man immer gesagt: Nein, bei Viren ist das anders. Egal wie, das Virus vermehrt sich so schnell, dass es auf die ursprüngliche Dosis – auf das Inokulum, wie wir sagen – gar nicht ankommt. Aber in letzter Zeit ist klar, dass es so einen InokulumEffekt eben auch bei Viren gibt. Und das ist ja schon mal diskutiert worden im Zusammenhang mit der Maske. Da hat, glaube ich, sogar

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Tony Fauci, der berühmte amerikanische Immunologe und Virologe, der hat ja da schon mal vermutet, dass so eine Maske einen positiven Effekt haben könnte, indem man nur ganz kleine Dosen vom Coronavirus abkriegt und sich vielleicht auf diese Weise immunisieren könnte. War aber eine reine Spekulation natürlich. Und diese Spekulation gilt im Prinzip weiter, ja, das könnte sein. Wir nennen sowas in der Virologie stille Feiung. Schönes Wort, finde ich. Feiung, wenn man gegen etwas gefeit ist. Also, das heißt stille Feiung, das kennen wir zum Beispiel bei Kindern in Nordafrika mit Hepatitis-A, dass die, ohne irgendetwas zu merken, irgendwie, indem sie mit der Nahrung immer wieder ein paar Viren aufnehmen, dann immun gegen die Hepatitis-A werden. Wir haben aber keine Hinweise darauf, dass das bei den Coronaviren tatsächlich funktioniert und wie häufig das funktioniert. Aber könnte es sein? Die Antwort ist: Ja, das ist nicht auszuschließen.

2 7:13


Camillo Schumann


Diese Hörerin aus Leipzig hat gleich 2 Fragen:

„Wann kommt der erste Totimpfstoff, der so ähnlich wie der Grippeimpfstoff hergestellt wird? Und die zweite Frage: Wenn man chronischer Kopfschmerzpatient ist, wie würde man merken, wenn man eine Sinusvenenthrombose nach einer Impfung bekommt? Vielen Dank für Ihre Antwort und einen schönen Tag. Wiederhören.“

Tja, fangen wir vielleicht mit der ersten Frage an: Wann kommt der Totimpfstoff?


Alexander Kekulé

Ja, also die sind in der Entwicklung. Also der, der am weitesten fortgeschritten ist, auf den ich ja hoffe, ist Novavax. Da ist es allerdings so, dass die gerade vor ein paar Wochen bekanntgegeben haben, dass sie immer noch Produktionsprobleme haben. Der Impfstoff sieht gar nicht so schlecht aus. Aber sie haben jetzt gesagt, dass sie frühestens im dritten Quartal dieses Jahres überhaupt Anträge auf Zulassung stellen werden. Es läuft gerade eine große Studie mit, ich glaube, knapp 40.000 Teilnehmern. Man weiß noch nicht, was dabei rausgekommen ist. Also, in der Phase-III-Studie, die ist

also noch nicht geöffnet worden, also noch keine Teilergebnisse sind bisher bekannt. Novavax hat angekündigt, dass sie das eigentlich im Juni bekannt geben wollen. Ich wäre jetzt nicht überrascht, wenn sich das auf Juli verschiebt, weil wenn jemand Produktionsprobleme hat, dann heißt es natürlich auch, dass sie unter Umständen nicht genug Dosen für die Studie dann zur Verfügung haben. Das war ja das Riesenproblem bei AstraZeneca, dass ein Teil der Studien dann nicht vorschriftsgemäß gemacht wurden, weil die nicht genug Impfstoff zur Verfügung hatten während der Studie. Also, Novavax hat da offensichtlich Probleme, wo jetzt naturgemäß so pharmazeutische Firmen nicht so im Detail damit rausrücken, was los ist. Aber man beobachtet das natürlich mit einer gewissen Sorge. Dann gibt es noch den Impfstoff von Sanofi, der ist aber noch nicht so weit entwickelt. Der ist in der Phase II, die gerade abgeschlossen ist, da sieht die Phase II sehr gut aus. Aber das sind eben nur ganz kleine Patientenzahlen, oder Probanden sagt man da eigentlich, wo man hauptsächlich Richtung Dosisfindung geht und häufige Nebenwirkungen oder offensichtliche Nebenwirkungen sucht. Und dann gibt es natürlich noch die chinesischen Impfstoffe. Das muss man ja sagen. Die sind von der Weltgesundheitsorganisation, alle beide. Also, Sinovac und CanSino. Also, die beiden chinesischen Impfstoffe Sinovac und CanSino, die sind ja beide von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen, eine echte Zulassung in dem Sinn gibt es da nicht. Die sagen da zwar Zulassung dazu, aber das ist natürlich keine formaljuristische Zulassung. Aber die WHO hat die quasi auf der Liste, sodass man sagen muss: Die stehen im Prinzip zur Verfügung. Also, die in Deutschland zu verimpfen wäre im Prinzip möglich. Da müsste man eben die importieren und müsste dann der Arzt, der das anwendet, das dann auf eigene Verantwortung machen, also ohne Zulassung. Sowas ist im Prinzip möglich. Ich würde jetzt nicht dafür plädieren, das zu machen, weil wir jetzt nicht so in Eile sind. Und es ist ja bekannt, dass diese Impfstoffe eine deutlich schlechtere Wirksamkeit haben. Also, es ist ziemlich klar, dass die – selbst bei zweimaliger Impfung – nicht über die 70 Prozent hinauskommen. Und deshalb, finde ich, warten wir lieber ab, bis ein guter, in Europa zugelassener Totimpfstoff zur Verfügung

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steht. Und das wird aber wahrscheinlich Ende des Jahres sein.

30:38


Camillo Schumann


So, und die zweite Frage der Hörerin aus Leipzig war: Wie erkennt man eigentlich eine Sinusvenenthrombose – in ihrem Fall auch noch als Kopfschmerzpatientin? Erstmal so grundsätzlich: Wie erkennt man das?


Alexander Kekulé

Ja, also viele werden gar nicht erkannt. Das ist ja das Problem. Selbst die Neurologen vertun sich da manchmal. Die klassische Sinusvenenthrombose ist ja eine der Ursachen des Schlaganfalls. Also, wenn man sozusagen als Arzt, Notarzt, Neurologe, Internist die Ursachen des Schlaganfalls runterdekliniert, da ist eine davon die Sinusvenenthrombose. Da kommt es ja dann typischerweise durch diese Thrombose zu einer Massenblutung oder zu einer Blutung im Gehirn und den entsprechenden neurologischen Ausfällen. Es gibt natürlich Berichte, dass diesem schweren Ereignis manchmal leichtere Vorstadien vorangehen. Das kann sich in psychischen Auffälligkeiten äußern, das dann so merkwürdige Stimmungsstörungen da sind, dass man plötzlich sich nicht mehr konzentrieren kann, auch in Kopfschmerzen selbstverständlich. Aber das sind so unspezifische Symptome, dass ich davor warnen würde, jedes Mal, wenn einer – was weiß ich – den Namen seiner Schwiegermutter nicht mehr weiß oder seine Telefonnummer nicht mehr weiß im Stress plötzlich oder Ähnliches, dann denkt: Jetzt habe ich eine Sinusvenenthrombose. So unspezifische Symptome, die haben halt einfach den Nachteil, dass sie irre oft auftreten. Und zu denen gehören auch die Kopfschmerzen. Es ist sicherlich nicht sinnvoll, nur, weil man mal Kopfschmerzen hat, dann sofort an die Sinusvenenthrombose zu denken. Ich glaube sogar, dass jemand wie hier die Hörerin, die gesagt hat, sie ist Kopfschmerzpatientin – klingt ja so, als wüsste sie ziemlich genau, was sie da hat. Solche Menschen sind eigentlich in gewisser Weise im Vorteil, weil die kennen diese Art von Kopfschmerzen, die sie selber immer und schon seit Jahren in bestimmten Situationen immer wieder haben sehr gut. Die wissen auch, wie sie die in den Griff kriegen. Manchmal medikamentös,

manchmal reicht es, die Rollos runter zu machen und sich hinzulegen und so weiter. Und jemand, der sehr genau seine Kopfschmerzen kennt, der merkt sofort, wenn da was anders ist. Also, die merken den Unterschied eher als jemand, der sonst nie Kopfschmerzen hat und jetzt plötzlich nicht weiß, was damit los ist. Deshalb würde ich eher beruhigen. Also, ein Kopfschmerzpatient, der merkt dann schon, dass das anders als sonst ist, wenn es sich um so eine Sinusvenenthrombose handelt.

33:03


Camillo Schumann


Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, erkennt man die eigentlich erst, wenn es zu spät ist, oder?


Alexander Kekulé

Gemeinerweise ist das tatsächlich in der Praxis so. Also, ich muss jetzt zugeben, ich glaube, wenn jetzt der eine oder andere Neurologe zuhört, der wird wahrscheinlich sagen: Nein, stimmt doch gar nicht, ich habe das voll drauf und bei mir passiert das nicht. Aber wenn man jetzt so ins Feld reinschaut – ich meine, nicht jeder Patient geht ja sofort zum Facharzt und in eine Spezialabteilung, die sich mit sowas besonders auskennt. Es ist dann häufig so, dass man das spät bemerkt. Zumindest die Fälle, wo es jetzt nicht so um klassische, volle Hirnschlag-Symptomatik geht. Die werden oft erstmal falsch diagnostiziert oder gar nicht erkannt.

33:44


Camillo Schumann


Ich meine, wir hatten ja auch über Monate unerkannte Sinusvenenthrombosen, Tote nach Sinusvenenthrombosen in Bezug auf den AstraZeneca-Impfstoff. Die wurden ja auch erst gefunden, als man da nachgeschaut hatte.


Alexander Kekulé

Ja, also Hirnschlag hat ja – müsste jetzt das ganze Medizin-Lehrbuch durchblättern – aber Hirnschlag hat ja, mal so grob gesagt, 2 verschiedene Möglichkeiten. Die eine ist, dass eine Arterie verstopft ist. Also, dass quasi kein Blut mehr ins Gehirn kommt an irgendeiner Stelle durch eine Thrombose, also eine arterielle Thrombose. Und die andere ist die sogenannte Massenblutung, dass also quasi im Gehirn irgendwo Blut rausläuft und es aus dem

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Grund zu Schäden kommt. Das sind ja meistens alte Patienten, häufig mit einem Bluthochdruck in der Vorgeschichte, häufig mit Arteriosklerose in der Vorgeschichte oder anderen Grunderkrankungen. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, in irgendeinem Kreiskrankenhaus auf dem Land ist ein alter Mensch, was weiß ich, 80 plus, hatte schon immer Vorerkrankungen, kriegt dann einen Hirnschlag, liegt noch zwei, drei Tage auf der Intensivstation und stirbt. Das ist zwar tragisch, aber das wird ja als schicksalhaft empfunden. Und da kommt ja keiner auf die Idee, da weitere Diagnostik zu machen oder den zum Pathologen zu schicken, um festzustellen, ob da vielleicht eine Hirnvenenthrombose dahintersteckte, sondern der hat halt, wie man in Bayerisch sagen würde, einen Schlagerl bekommen. Und das war's dann. Und welche Art von Hirnschlag, das wird dann in diesen Situationen nicht unbedingt weiter differenziert. Und deshalb weiß man, klar, da gibt es eine Dunkelziffer. Ganz klar. Und auch bei denen, die natürlich überhaupt nicht diese volle Ausprägung haben, sondern wo es vorübergehend zu thrombotischen Symptomen oder Erscheinungen kommt, die sich dann auch wieder zurückbilden. Das kann ja auch sein, dass das sozusagen glimpflich ausgeht. Die Blutgerinnung und die Auflösung von Blutgerinnseln ist ja ein ständiges Gleichgewicht. Das schwankt quasi wie ein Pendel hin und her. Oder wie Ebbe und Flut geht es vor und zurück. Und das kann ohne Weiteres sein, dass sich vorübergehend da ein paar Thromben bilden, dass die Durchblutung schlechter wird. Man hat dann vielleicht ein paar Symptome, aber das Ganze schwankt dann wieder zurück, ohne dass es zu merklichen Ausfällen kommt.

35:59


Camillo Schumann


Und zu guter Letzt reden wir über eine Mail, die uns ein Hörer geschrieben hat. Er möchte nicht, dass wir seinen Namen nennen. Er lebt im spanischsprachigen Raum und er ist leicht verzweifelt. Warum? Das hat er folgendermaßen beschrieben:

„Seit Beginn der Impfungen verschärfen sich in der Familie die Diskussionen über die Pandemie – ob und was angeblich dahintersteckt.“

Er schreibt, das ist immer sehr unangenehm, da es sich ja um geliebte Menschen handelt,

mit denen man diskutiert. Und im spanischsprachigen Raum – Spanien, Südamerika – wird das Phänomen verbreitet, dass Leute, die geimpft wurden, an den Impfstellen magnetisiert sind. Als Beweis gelten Videos, in denen Leute sich Löffel, Handys und auch Magnete an die Impfstelle heften, einige auch an den Oberkörper. Weil sich das alles ja im Körper ausbreitet, das ist die Argumentation.

Nun will er wissen, völlig klar, ob Magnetisierungen nach einer Impfung in der Wissenschaftswelt diskutiert werden und ob Graphen in den Impfstoffen nachgewiesen wurde. Erhofft, dass wir seine Mail nicht als Blödsinn abtun und löschen. Und er hofft, dass die Antwort zum Familienfrieden beiträgt. Daran werden wir jetzt einen großen Anteil haben, glaube ich.


Alexander Kekulé

Ja. Weiß ich nicht, wirklich. Es ist ja gerade bei dieser Art von Auseinandersetzungen so, dass Antworten eigentlich nur weiteren Streit bringen. Ja, also, es gibt sowas nicht. Also, Magnetisierung durch Impfung, das ist Quatsch. Ich kann mir da verschiedene Möglichkeiten vorstellen, wie man das vielleicht schafft, so einen Löffel am Körper festzumachen. Notfalls muss man halt den Magneten schlucken vorher oder unter die Haut bringen oder Ähnliches. Aber das funktioniert nicht, das ist eine Räuberpistole. Und so etwas gibt es nicht nur in Südamerika, aber natürlich dort auch. Und ja, weil das Graphen da angesprochen wurde: Vielleicht kann ich sagen, was da der Hintergrund ist. Das ist nun dreifach abwegig. Graphen ist – ich hoffe, dass ich das jetzt richtig erkläre, das ist aber eher was aus der Physik – das sind so Nanopartikel, die aus Kohlenstoff bestehen und die so kleine Kohlenstoff-Käfige letztlich sind, so Kohlenstoff-Gitter. Also, diese Kohlenstoffatome sind quasi in einem stabilen Gitter angeordnet. Und dann kann man denen durch sehr, sehr komplizierte chemische Synthesen ganz raffinierte Eigenschaften beibringen. Also, man kann so Minigraphene leitend machen. Die werden eingebaut in so Nanoroboter und Ähnliches. Das ist also eine ganz tolle Science-Fiction Sache, die also schon Wirklichkeit ist, zum Teil. Und es gibt eben auch Graphene, die kann man magnetisieren, das ist ganz was Spezielles, relativ Neues. Hängt damit zusammen, dass

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Elektronen – für die, die in Physik aufgepasst haben: Elektronen, wenn die einzeln sind, haben die immer so ein magnetisches Moment, was man Spin nennt. Und man kann das so trennen, dass in einem Molekül dann 2 verschiedene sind und wenn die 2 einsamen Elektronen quasi in die gleiche Richtung schwingen, dann hat man ein magnetisches Moment da drin. Sowas wird für Computer diskutiert, ob man damit so Mini-Schalter machen kann, dass man bei künftigen Computern Schaltkreise aus Graphenen machen kann, die also magnetisiert sind. Sowas wird – darum habe ich es so ausführlich erklärt – sowas wird definitiv nicht in Impfstoffe verbaut. Also, das gibt es in Impfstoffen nicht.

39:17


Camillo Schumann


Das war, glaube ich, der wichtige Fakt, den dann unserer Hörer in seine Familie tragen kann. Und wir hoffen, dass wir hier zum Familienfrieden beitragen.


Alexander Kekulé

Ob es eines Tages im Handy ist, das weiß ich nicht. Kann schon sein, dass diese Technik im Handy dann irgendwann ist, aber davor muss man dann keine Angst haben. Das leuchtet dann vielleicht im Dunkeln. Wir wissen es noch nicht.

39:37


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 194 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 15. Juni, wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé

Bis dahin. Schönes Wochenende, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 10. Juni 2 02 1 #193


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Studie: Übersterblichkeit während der Pandemie in 94 Ländern (03.06.)

The World Mortality Dataset: Tracking excess mortality across countries during the COVID19 pandemic (medrxiv.org)

Donnerstag, 10. Juni 2 02 1

Ab Herbst keine Maßnahmen mehr das Risiko muss jeder selber tragen. Was ist aus fachlicher Sicht von dieser politischen Forderung zu halten?

Dann: In vielen Orten fällt wegen der sinkenden Inzidenz die Testpflicht. Kalkulierbare Lockerung?

Dann: Homeoffice-Pflicht läuft Ende Juni möglicherweise aus. Sollte sie verlängert werden?

Außerdem: Interessante Daten zur Übersterblichkeit durch COVID-19. Wie hat die Pandemie die Sterblichkeit beeinflusst?

Und: Wird ein Nasentest als SpuckTest verwendet? Ist er dann genauso aussagekräftig?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Corona-Virus. Und wir

beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann!


Camillo Schumann


Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow macht heute mit bemerkenswerten Aussagen Schlagzeilen. In einem Interview mit der Rheinischen Post schlägt er nämlich eine komplette Öffnung im Herbst vor. Er sagt: „Ich glaube, wir können das Risiko der kompletten Öffnung im Herbst eingehen.“ Die Widerstandskraft sei durch den Impfstoff in diesem Jahr höher. Er wisse aber auch, dass sich 2 0 bis 2 5 Prozent der Bevölkerung nicht impfen lassen werden. Dazu sagt er: „Die müssen das Risiko dann selbst tragen und verantworten.“ Herr Kekulé, wie schätzen Sie das ein? Können wir uns im Herbst schon Normalzustand leisten und COVID-19 zum normalen Lebensrisiko werden lassen?


Alexander Kekulé

Also das weiß natürlich keiner genau. Aber ich würde davor warnen, jetzt schon für den Herbst Prognosen zu machen. Weil die Menschen ja, wenn man so eine positive Einschätzung gibt, schwer wieder einzufangen sind, wenn man sie dann doch wieder überreden muss, Maßnahmen zu ergreifen. Richtig ist sicher, dass wir im Herbst nur einen Teil der Bevölkerung geimpft haben werden. Also wenn wir da auf 70 Prozent kämen, wäre das schon super. Also glaube ich nicht wirklich. Aber das kann man ja mal als optimale Möglichkeit in den Raum stellen. Dann haben wir immer noch 30 Prozent Ungeimpfte. Und ich wäre aufgrund dessen, wie wir bis jetzt so durch die Pandemie geschlingert sind wäre ich einfach vorsichtig für den Herbst schon so eine klare Prognose abzugeben.


Camillo Schumann


Was Bodo Ramelow glaube ich möchte: Dass die Verantwortung jetzt auf die Bevölkerung

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übergeht, der Staat sich zurücknimmt. Wir wissen ja, wie sich das Virus in den letzten Monaten entwickelt hat, siehe Mutation. Wir wissen auch, dass zum Beispiel Großbritannien vor der vierten Welle steht. Und wissen wir genug über das Virus und hat sich das Virus jetzt so in Anführungszeichen – „abgeschwächt“, dass wir dann dieses Risiko eingehen können, uns zurückzuziehen als Staat?


Alexander Kekulé

Nein, das Virus hat sich natürlich nicht abgeschwächt, und das ist immer eine staatliche Aufgabe, das Risiko zu beurteilen. Das kann der Einzelne gar nicht. Was natürlich im Ansatz die Diskussion ist, die man schon führen muss, ist die Frage: Ab welcher Sterblichkeit greift der Staat ein? Also wir haben ja als Referenz immer aus meiner Sicht die Influenza. Da hatten wir mal ein Jahr, wo wirklich gezählt über 2 5.000 Menschen gestorben sind. Und der Staat hat nicht eingegriffen, sodass man schon sagen muss: Wo ist quasi das Wächteramt des Staates in dem Fall gefragt? Und natürlich wird man nicht, wenn jetzt nur noch eine Handvoll Menschen an COVID sterben sagen: „Da muss der Staat quasi alle kontrollieren.“ Andererseits ist es so, dass viele Menschen sich nicht selber schützen können. Und ich persönlich finde immer, der Staat muss dafür sorgen, dass auch Menschen, die ein Risiko haben und die sich aus welchen Gründen auch immer eben nicht geimpft haben. Das ist ja manchmal eine Entscheidung, die jetzt auch gar nicht so freiwillig gefällt ist, wie Herr Ramelow das so ein bisschen impliziert hat. Auch diese Menschen müssen zumindest in öffentlichen Bereichen geschützt werden. Also wenn die dann privat wilde Hochzeiten feiern, sind sie sozusagen selber schuld. Aber wenn jemand U-Bahn fährt, Straßenbahn fährt oder Ähnliches oder auf einer Behörde ist, dann muss er davon ausgehen, dass man das sicher machen kann.


Camillo Schumann


Also öffentliche Einrichtungen, gerade das, was

Sie gesagt haben, da weiter Maßnahmen – ansonsten alles freigegeben. Das wäre dann der gangbare Weg schon ab Herbst?


Alexander Kekulé

Na ja, alles freigeben würde ich nicht. Also wir müssen uns im Herbst darüber unterhalten. Also das ist einfach wahnsinnig schwierig, jetzt im Juni da eine Prognose zu machen. Ich verstehe natürlich die Politik, dass sie jetzt im Hinblick auf die Bundestagswahlen alle möglichen Versprechungen aller Art macht. Und ich glaube aber rein wissenschaftlich gibt es einfach keine Basis für so eine Prognose.


Camillo Schumann


Verstehe. Also mit anderen Worten: Das ist jetzt so ein politisches Ablenkungsmanöver, um jetzt zu punkten. Aber aus wissenschaftlicher Sicht entbehrt das jeder Grundlage.


Alexander Kekulé

Ablenkungsmanöver habe ich nicht gesagt. Aber die Motivation ist glaube ich, schon ziemlich offen. Und ich glaube, wir alle sollten jetzt in den nächsten Monaten aufmerksam sein oder immer mit in der Rechnung haben, dass das, was Politiker sagen, eben jetzt im Wahlkampf geschieht. Und da wird es eine Überlagerung geben von dem, was wirklich vernünftig ist aus antiepidemiologischer Sicht und dem, was wünschenswert ist und dann natürlich in solchen Statements vorkommt.


Camillo Schumann


Aber ist das nicht gerade so auch aus ihrer Sicht – Virologe, Epidemiologe dann nicht auch immer so ein bisschen „nervig“ in Anführungszeichen, dann diese Diskussion wieder einzufangen und zu versachlichen und zu sagen „Obacht.“


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja immer so. Das ist tatsächlich so, dass diese Überlagerung mit der Politik ein Dauerthema ist. Wir sind hier in Deutschland noch relativ gut. Ich fürchte, im Wahlkampf wird es mühsam werden, aber wir sind sonst bisher eigentlich relativ gut gewesen. Es gab wenig parteipolitische Querelen zum Thema Corona. Das ist doch versucht worden, immer

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sehr sachlich zu führen. Also, wenn man da ins Ausland schaut, da ist es zum Teil viel, viel schlimmer. Also wenn Sie sich angucken, in Staaten: Die Regierung um Brasilien ist ein berühmtes Beispiel, die USA ist ein Beispiel, wo die Regierung diese Themen für sich vereinnahmt und dann auch so weit geht, Fake-Facts richtig zu produzieren. Da sind wir weit entfernt von. Und deshalb rege ich mich auch nicht so auf, wenn Herr Ramelow da mal irgendwie so eine optimistische Ansage macht. Ich glaube, die Menschen verstehen das schon.


Camillo Schumann


Okay, also die Diskussion nicht jetzt führen, sondern im Herbst dann auf die Sterblichkeit schauen. Und dann entscheiden, wie man dann mit den Maßnahmen umgeht. Aber die Diskussion jetzt viel zu früh.


Alexander Kekulé

Ja, wenn sie in einem Kind Schwimmen beibringen, machen Sie am Anfang normalerweise solche Schwimmflügel dran. Zumindest habe ich das immer so gemacht. Und jetzt würde ich es nie wagen, quasi an einem Tag zu sagen: „Okay, nächste Woche Mittwoch mache ich die Schwimmflügel ab.“ Ja, also das wissen sie vorher nicht genau. Also kann schon sein, kann aber auch sein, dass nicht. Und so eine Ansage vorher hätte halt dann bei dem Kind zumindest zur Folge, dass das dann sagt: „Papa, du hast aber gesagt heute darf ich meine Schwimmflügel wegmachen.“ Und das kann dann fatale Folgen haben im engsten Sinne. Und so ein bisschen ist die Bevölkerung ja auch, sage ich mal, mit gewissen pädagogischen Aspekten zu behandeln. Man muss einfach aufpassen, wenn man den Leuten Versprechungen macht und sie wünschen sich was. Und sie haben jetzt die Nase voll von diesem ganzen LockdownGedöns. Dass man dann Schwierigkeiten hat, wieder zurück zu rudern und die Glaubwürdigkeit ist ja immer das höchste Gut in solchen Pandemien.


Camillo Schumann


Nehmen wir mal an im Herbst würde es keine Maßnahmen mehr geben. Fliegt uns da nicht auch die Grippewelle zusammen dann mit

möglicherweise der vierten Corona-Welle, dann um die Ohren?


Alexander Kekulé

Ich glaube schon, dass es auch, wenn man jetzt nichts mehr machen würde, speziell insbesondere natürlich die Masken weglässt im Herbst. Dann wird es wahrscheinlich ziemlich viele allgemeine Atemwegsinfektionen geben. Grippe und andere Erreger einfach, wenn man da ein Jahr ausgesetzt hat. Es gab ja keine Grippewelle im Moment, dann ist wahrscheinlich die Immunitätslage, zumindest bei Teilen der Bevölkerung, schlechter als in den Jahren zuvor. Also, da muss man schon mit so einer Art Rebound-Effekt würde man das Englisch nennen also dass das quasi sich nochmal verstärkt dadurch, dass man es vorher unterdrückt hatte. Damit würde ich schon rechnen. Wissen wir nicht genau ob es passiert, so ein Experiment ist ja noch nie gemacht worden. Es ist das erste Mal, dass wir solche Maßnahmen ergriffen haben. Aber ja, da würde dann wahrscheinlich COVID kommen und die Grippe auch kommen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass wir jetzt, weil wir hier gelernt haben, dass in diesem Fall so ein Virus mal so schlimm sein kann und wirklich solche radikalen Maßnahmen erfordert, dass wir jetzt die nächsten Jahre in so eine Art Virus-Paranoia verfallen, weil wir leben halt einfach schon immer mit Infektionskrankheiten als Menschheit, als Spezies. Und ich glaube nicht, dass wir unser ganzes Leben jetzt danach ausrichten sollten. Ich habe sowieso Befürchtungen, dass es so eine Art Generation C gegen geben wird. Die jungen Menschen, also gerade Kinder, die jetzt zum Teil wirklich Angst vor Corona haben. Da gibt es einige, die schon wirklich mit depressiven Syndromen reagieren. Und wenn man jetzt das fortsetzt und danach sagt okay, jetzt war es Corona und alle anderen Viren sind auch so gefährlich. Dann nehmen sie die Masken gar nicht mehr ab. Also da müssen wir, glaube ich, auch aufpassen, dass wir unser Leben nicht von einem Winzling diktieren lassen, letztlich am Tage, oder von vielen Winzlingen. Was allerdings gut bei den Masken ist, warum ich weiterhin viel von denen halte, nicht nur jetzt

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für den Herbst, sondern vielleicht für einige Menschen länger. Ich habe schon ganz oft gehört: Im Moment ist es ja so, dass die Pollensaison gerade läuft und viele Allergiker unterwegs sind. Und da höre ich oft: „Wenn ich die Maske aufhabe, speziell so eine FFP-Maske, dann geht es mir wesentlich besser.“ Die ziehen also tatsächlich das, was ich ja immer für albern gehalten habe die ziehen tatsächlich im Freien und draußen diese FFP-Masken an, weil es ihnen dann beim Pollenflug bessergeht.


Camillo Schumann


Gut, dann schauen wir mal, wie sich die Diskussion, angestoßen von Bodo Ramelow, dann so verselbständigen wird oder möglicherweise im Sande verlaufen wird. Sie haben ja in ihrer Argumentation den Bogen zur Influenza-Saison und zur Übersterblichkeit gemacht. Wir haben dann im weiteren Verlauf des Podcasts noch eine Studie zu besprechen, wo es um die Übersterblichkeit während der Corona-Pandemie geht. Die Infektion, die gehen ja weiter zurück. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz liegt bei rund 19 heute. Deutschland macht sich locker und so locker, dass in manchen Städten jetzt sogar die Testpflicht wegfällt. In Leipzig zum Beispiel, seit gestern in anderen Orten ebenfalls, zum Beispiel im Innenbereich der Gastronomie, beim Friseurbesuch, bei weiteren körpernahen Dienstleistungen. In der Kultur, Schwimmbäder und Hochzeiten. Überall dort braucht es ab sofort keinen negativen CoronaTest mehr. Und wir wissen ja: Gerade im Innenbereich der Gastronomie beim Bier, da stört die Maske ja auch nur, also quasi jetzt Normalzustand in der Gastronomie. So schnell, wie die Tests gekommen sind, sind sie schon wieder weg. Was halten Sie davon?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja mein zweites, großes Steckenpferd gewesen, außer den Masken. Also eigentlich bin ich total stolz darauf gewesen. Ich war natürlich nicht der Einzige, der das gefordert hat. Vielleicht einer der frühen, die das gefordert haben, aber nicht der einzige. Eigentlich bin ich total stolz darauf, dass wir in Deutschland

diese Schnelltests jetzt so breitflächig einsetzen und uns damit eigentlich die Freiheiten auf einem sicheren Niveau ermöglichen. Übrigens ist es auch so, dass Deutschland international für dieses Setzen auf die Schnelltests große Beachtung findet. Es ist gerade gestern in der New York Times ein Riesenartikel gewesen, wo sie eben geschrieben haben, dass das ein ganz besonderer Weg ist. Und das loben quasi, dass wir in Deutschland diese Tests benützen, um uns Freiheiten zu gönnen. In den USA ist das ja gar nicht so üblich. Und ich würde davor warnen, das jetzt einfach so wieder aufzugeben, bevor man wirklich sicher ist, dass man am rettenden Ufer ist. Wir sind mit den Impfungen noch nicht durch. Es können jederzeit Ausbrüche passieren, in geschlossenen Räumen natürlich sowieso. Und so bestimmte Situationen, Fitnessstudio zum Beispiel, Gastronomie. Wenn wirklich die Fenster alle zu sind im Untergeschoss irgendwo. Zur Gastronomie gehören dann wahrscheinlich auch Diskotheken, Clubs und Ähnliches. Da bin ich eigentlich schon der Meinung, dass der Test weiterhin eine zusätzliche Sicherheitsebene bietet, auf die wir nicht verzichten sollten. Naja, und bei so einer Hochzeit. Man muss es ja auch andersherum sehen. Also der Test gibt uns ja eigentlich ein größeres Sicherheitsgefühl. Natürlich ist es nicht so, dass da 100 Prozent sind. Das ist klar. Man rechnet da mit so einer 80prozentigen Zuverlässigkeit vielleicht. Aber insgesamt gesehen ist es einfach so: Wenn ich auf einer Hochzeit bin und mit jemandem tanzen will, den ich vielleicht vorher noch nicht kannte das soll ja auf Hochzeiten vorkommen. Und weiß, alle wurden vorher getestet, dann ist es einfach wesentlich besser. Ja, aber wer soll denn dann den Brautstrauß fangen, bitte schön? Wenn man Angst haben muss, dass das alle infiziert sind. Naja, und sie wissen ja auch, bei jeder Hochzeit ist es so: Man sagt doch immer, auf einer guten Hochzeit hat sich ein Paar getrennt und ein zweites gefunden. Auch diese ganze soziale Dynamik ist dann irgendwie weg. Deshalb würde ich irgendwie sagen: Lass uns doch diese technischen Hilfsmittel, die wir ha-

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ben und dazu gehören Masken, Tests, natürlich die Impfung als allererstes inzwischen. Lasst uns die doch benutzen, statt das genauso wieder zu machen wie bevor wir diese Dinge alle implementiert haben.


Camillo Schumann


Jetzt haben wir ja speziell über die Hochzeit, wir haben über den Innenbereich der Gastronomie gesprochen. Wie sieht es denn jetzt beim Friseurbesuch zum Beispiel aus, in der Kultur, Schwimmbäder? Wäre es da in Ordnung, oder sollte man sich, sage ich mal auf Orte kaprizieren, wo er nachweisbar klar ist, dass man sich anstecken kann?


Alexander Kekulé

Naja, also beim Friseur, meine ich, wenn man jetzt die Maske auf hat und keinen Test und die Inzidenz sehr niedrig ist, kann man das natürlich vorübergehend aufgeben. Andererseits: Wenn man niedrigschwellige Tests anbietet und die zur Verfügung hat, dann ist das ja eigentlich ein Klacks, das zu machen. Man kann ja vielleicht auch die Abstände ein bisschen vergrößern, dass man jetzt nicht mehr sagt das muss vom selben Tag sein, sondern dass man einfach sagt 48 Stunden. Ein negativer Test reicht. Da hat man ja dann sowieso ein Unsicherheitsfenster, quasi, was man in Kauf nimmt. Ich glaube, entscheidend ist immer für die Situationen, in denen man den Test brauchen kann oder behalten sollte: Wieviel Menschen sind wie lange im geschlossenen Raum zusammen. Also wenn sie wenig Menschen haben, die kurz zusammen sind, dann kann man darauf unter Umständen verzichten. Wenn sie aber lange beim Friseur sitzen und da wird ja auch üblicherweise ziemlich geschnackt. Vielleicht gibt es da ein Nord-Süd-Gefälle, das weiß ich nicht genau. Aber es ist auf jeden Fall so, dass beim Friseur doch das Mitteilungsbedürfnis groß ist. Das heißt, die Menschen sprechen die ganze Zeit, erzeugen Aerosole. Ich finde schon, das ist eine Situation, die sollte man weiterhin schützen. Da wäre ich eigentlich dafür, in der jetzigen Situation die Tests mal noch eine Weile zu behalten. Im Sommer wird es so-

wieso so sein, dass wir mit der Inzidenz in Bereiche kommen, wo man das dann nicht mehr braucht. Aber ob man es jetzt sofort aufgeben muss, also ich wäre da, glaub ich, vorsichtiger. Aber das ist schwer zu entscheiden. Also, ganz einfach ist es, wenn Sie sagen: Hundert Leute in einem Raum zusammen. Ja, also das Beispiel „Hochzeit“ ist leichter zu entscheiden. Das geht meines Erachtens nicht. Wenn sie einen Frisiersalon haben, wenn dann auch noch die Fenster offen sind im Sommer und die haben Masken auf. Dann kann man natürlich fragen: Braucht man zusätzlich die Tests? Also irgendwo dazwischen ist die Grenze, wo man die Entscheidung treffen muss.


Camillo Schumann


Ganz kurz, weil sie gesagt haben, dann wird es eine Inzidenz geben, da braucht man sie nicht. Was wäre das für eine?


Alexander Kekulé

Naja, wenn sie im Sommer jetzt mal nehmen wir mal an, wir würden bundesweit irgendwo unter zehn liegen und das stabil. Dann würde man natürlich schon sagen: „Also, wir sind jetzt in dem Bereich, wo das eine langsam seltene Erkrankung ist.“ Ja, und dann Inzidenz von zehn pro 100.000 in sieben Tagen. Das ist natürlich wirklich dann nicht mehr so viel und das wäre so ein Bereich, wo man sagen muss: Das kann man dann wahrscheinlich lockern an der Stelle.


Camillo Schumann


Nicht nur die Testpflicht fällt weg, auch die Homeoffice-Pflicht für Arbeitgeber vermutlich Ende des Monats. Dann läuft auch die CoronaArbeitsschutzverordnung aus. Die FDP möchte die Homeoffice-Pflicht lieber heute als Ende des Monats abschaffen. FDP-Generalsekretär Volker Wissing dazu im ZDF-Morgenmagazin:

Volker Wissing

Die Infektionszahlen gehen deutlich zurück, die Gastronomie öffnet, und es macht ja keinen Sinn zu sagen Biergarten geht, Büro geht nicht. Also Regeln müssen immer den veränderten Umständen angepasst werden und die Homeoffice-Pflicht ist eine große Belastung für die

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Wirtschaft. Wir dürfen jetzt nicht unnötige Belastungen unnötig lange fortführen. Regeln dürfen kein Selbstzweck sein.


Camillo Schumann


Dazu haben wir eine Frage einer unserer Hörerinnen Frau Schmidt aus Bielefeld: Wie stehen Sie dazu, dass die Homeoffice-Pflicht Ende Juni wegfallen soll? Ich selber arbeite im öffentlichen Dienst. Wir Mitarbeiter sind alle von Berufs wegen her seit einigen Wochen in der PrioGruppe drei. Die Möglichkeit zur Impfung hatten bisher nur die wenigsten. Nun plant wohl unsere Geschäftsführung die Rückkehr für alle aus dem Homeoffice zum 01.07. Ich persönlich finde das fatal, weil einfach noch nicht jeder die Chance hatte, sich impfen zu lassen. Und ich habe Sorge, dass es wieder vermehrt zu Ausbrüchen kommt. Über ihre Einschätzung würde ich mich freuen. Viele Grüße, Frau Schmidt aus Bielefeld.


Alexander Kekulé

Naja, das sind letztlich 2 verschiedene Überlegungen, das geht ja hier immer um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ja, das ist ja auch ein Verfassungsgebot. Und natürlich gibt es auch die Freiheit im Arbeitsleben, letztlich für den Arbeitgeber und für die Leute, die Geschäfte machen wollen, das so zu machen, wie sie wollen. Es ist ja auch grundgesetzlich geschützt, die Berufsfreiheit. Und auf der anderen Seite eben die Frage: Wann muss der Staat eingreifen und das beschränken? Und mit dieser Grundfrage hat die FDP natürlich schon recht, dass er sagt: Diese Frage, die darf man nicht außer Acht lassen. Der Vergleich da in dem O-Ton zwischen Biergärten und Büros war natürlich unglücklich, weil das eine draußen und das andere drinnen ist. Aber wenn man das mal außen vor lässt, ist es letztlich so. Also eine gesetzgeberische Pflicht, sozusagen, das Homeoffice anzuordnen, so wie wir es bis jetzt haben. Die ist natürlich nur gerechtfertigt, wenn da wirklich eine hohe Infektionsgefahr besteht. Das heißt, wenn wir jetzt mit der Inzidenz weiter fallen im Moment ist es ja auf einem guten Weg kommt irgendwann der Punkt, wo man sagen muss: Das kann man

jetzt eigentlich sozusagen von der Abwägung der Grundrechte nicht mehr verantworten. Also, der Staat greift ja quasi in das Leben der Menschen an der Stelle ein. Und das finde ich sehr gut, dass wir da im Rechtsstaatsprinzip eigentlich immer sagen: Dafür muss es wirklich einen knallharten Grund geben. Auch nicht nur irgendwie so Wischiwaschi, sondern das muss wirklich sehr, sehr konkret sein. Da gab es ja eigentlich schon Grenzfälle, wo man die Frage stellen musste: War das denn wirklich so? Also wenn ich jetzt zum Beispiel an die Schließung der Außengastronomie denke und Ähnliches. Oder Maskenpflicht in Innenstädten im Freien. Und der Übergang müsste eigentlich der sein, dass man es in eine Empfehlung umwandelt, also dass man sagt, wo immer es möglich ist, empfehlen wir weiterhin das Homeoffice. Aber ich glaube, eine echte gesetzgeberische Verpflichtung kann man rechtfertigen, wenn wirklich die Inzidenz hoch ist.


Camillo Schumann


Also jetzt nicht die Fortführung über den 01.07. hinaus. Auch wenn, wie Frau Schmidt aus Bielefeld anmerkt, auch ein ja doch noch größerer Teil der Prio-Gruppe drei noch nicht geimpft ist.


Alexander Kekulé

Ja, man kann nicht die Impfung da als Maßstab nehmen. Weil sonst müssten wir ja wahrscheinlich noch sehr, sehr lange das Homeoffice haben. Ich glaube, eine Empfehlung hat auch einen anderen positiven Impact. Es ist ja so: Viele haben ja in der Wirtschaft eigentlich auch erkannt, dass das Vorteile hat. Auch die Unternehmen selber. Ja, wenn ich mal denke, wie sich die Reisekosten reduziert haben, auch die Krankheitstage natürlich reduziert haben, weil die Leute sich auch nicht mit anderen Sachen mehr anstecken. Das ist schon so, dass unser Arbeitsleben sich da ein bisschen verändert hat. Und ich glaube, selbst wenn man jetzt diese Pflicht weglässt, dass da eigentlich durch diese Corona-Pandemie Dinge passiert sind. Die sind wohl nicht reversibel. Also ich glaube, da ist so eine Art Katalysator-Effekt eingetreten

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durch die Pandemie, dass sich Dinge, die in unserem Wirtschaftsleben, auch in unserem privaten Leben sowieso schon angebahnt haben, wo wir eigentlich schon geahnt haben: So ist es eigentlich nicht optimal. Die haben jetzt einen großen Sprung nach vorne gemacht, sozusagen zehn Jahre weiter, als man es sonst gewesen wäre. Und eins davon ist eben die Frage im Arbeitsleben: Muss ich immer für alles im Büro sitzen, damit man quasi kontrollieren kann, dass ich da bin. Oder ist es nicht vielleicht unter Umständen für den Arbeitgeber auch ganz effizient zum Teil Homeoffice zu haben? Das spart sich ja auch Kosten an der Stelle.

2 1:02 


Camillo Schumann


In der Corona Pandemie, um jetzt mal so ein paar Zahlen zu nennen, arbeiten über 10 Millionen Beschäftigte ausschließlich im Homeoffice, weitere 8 Millionen arbeiten teilweise im Homeoffice. Das sind in Summe 45 Prozent aller Berufstätigen. Das sind Zahlen des Branchenverbandes bitkom und die bitkom, die hat auch mal gefragt: Na ja, wie sieht’s denn danach aus? Und das ist auch sehr erstaunlich. Jeder zweite möchte nach der Pandemie weiter im Homeoffice arbeiten. Also das hat sich offenbar sehr durchgesetzt und positiv ausgewirkt. Jetzt gerade mit Blick auf die Verbreitung von Viruserkrankungen: Wäre das nicht auch so ein dauerhaftes Homeoffice eine gute Waffe gegen die Verbreitung von Viruserkrankungen? Wenn so viele Menschen zu Hause sind?


Alexander Kekulé

Das hätte natürlich Vorteile. Aber da gilt für mich das Gleiche, wie ich vorhin schon mal angedeutet habe. Also, wir sollten uns jetzt nicht als Gesellschaft quasi zum Getriebenen des Virus machen. Also es hat auch sehr viele Vorteile, zusammen zu sein im Büro. Gerade bei kreativen Prozessen, wo man Dinge entwickeln muss. Im künstlerischen Bereich ist es völlig unmöglich, das alleine zu machen. Außer man ist Einzelkünstler, sowieso. Aber stellen Sie sich eine Theatercrew vor. Also wenn die da vorher üben müssen per Zoom. Das geht irgendwie

auf Dauer gar nicht. Wie Sie sagen, eben dieser Wunsch, zu Hause zu sein, das ist auch ein Lebensstil. Also, es gibt ja jetzt schon die Tendenz, dass die Immobilien auf dem Land teurer werden, weil die Leute einfach erkannt haben: Ich muss ja gar nicht in der Stadt sein, also weder fürs Shopping noch fürs Arbeiten. Ich kann ja irgendwie alles von zuhause machen. Und ich glaube, das wird ein Trend sein, der ganz lange noch nach dieser Pandemie anhält. Weiß jetzt nicht, ob das nur positiv ist. Aber mal so als ersten Aufschlag würde ich sagen, im Sinne von Ressourcenschonung könnte es sein, dass das eigentlich eine positive Entwicklung ist.


Camillo Schumann


Nochmal die Frage: Wenn jetzt, sag ich mal, die Hälfte der Berufstätigen da, wo es geht und wo es ja auch Sinn macht, zuhause sind. Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen. Mit Blick auf Viruserkrankungen, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, würde sich das epidemiologisch auswirken? Was meinen Sie?


Alexander Kekulé

Ja, das würde sich natürlich schon auswirken. Das ist klar. Wenn man also die Leute wieder zurückschickt, wird es eine gewisse Zunahme an Infektionen geben. Frage ist, ob die sich sozusagen durchschlägt bis zur Sterblichkeit und bis zum Anteil der schweren Erkrankungen. Ich glaube, diese ganze Homeoffice-Diskussion muss man einfach selektiv machen. Es ist doch so: Der Bereich, wo wir die Infektionen jetzt hatten, zuletzt noch, das waren ja nicht die, die im Homeoffice sitzen. Und das sind auch nicht die, die jetzt zurückkommen, sondern da war ja das Problem, dass man dort nicht nachgeschärft hat in ganz vielen Bereichen. Und es ist auch so, dass sie im Büro natürlich nicht nur mit Impfungen, sondern auch mit anderen Maßnahmen verhindern können, dass es massenweise Infektionen gibt. Das Problem ist nur, das ist ja nicht gemacht worden. Also letztlich war das Homeoffice ja in gewisser Weise die Ultima Ratio, weil die Arbeitgeber trotz guten Zuredens nicht dazu zu bringen waren, ihre Menschen am Arbeitsplatz zu

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schützen. Und weil das nicht funktioniert hat, weil man eben keine Tests gemacht hat, keine Masken hatte. Und auch sonst ist allerdings alles relativ lax gesehen hat, wenn die Rollos rund unten waren. Und deshalb musste dann das Homeoffice letztlich herhalten, auch als Verpflichtung. Das hätte man auch anders lösen können, zumindest in vielen Betrieben. Und da sehen wir halt, das ist schon auch etwas, was wir in dieser Pandemie gelernt haben: Mit diesen positiven Empfehlungen, mit dem guten Zureden hat leider vieles eben nicht funktioniert. Ja, wir hatten immer mal wieder so Empfehlungen, die ganz vernünftig gewesen wären. Aber erst wenn der Gesetzgeber sozusagen dann ein richtiges Instrument in der Hand hat, dann geht‘s. Die Empfehlung, die Altersheime zu schützen, war ja auch so ein Ding. Da waren die Instrumente, lagen auf der Hand. Die Schnelltests hätten wir einsetzen können, seit letztem April 2 02 0. Ist auch nicht gemacht worden. Und dann hat man dann immer am Schluss sozusagen immer nur das nächst schärfere Mittel, um irgendwie noch das gleiche Ziel so halbwegs zu erreichen. Und ich sehe letztlich diesen Zwang zum Homeoffice auch so. Dass man jetzt alle, die jetzt eigentlich keine Vorteile davon haben, dazu nötigt, ist eigentlich ein Armutszeugnis. Andererseits glaube ich, ganz ehrlich gesagt also, ich arbeite auch in einem großen Unternehmen. Wir können nicht ins Homeoffice, weil wir ja im Labor sind. Aber es ist natürlich schon so, wenn man sich das anschaut. Es gibt sicherlich auch Arbeitnehmer, die finden es einfach gemütlicher zu Hause. Und es gibt so die eine oder andere Verwaltung ich rede jetzt natürlich auf keinen Fall über meine eigene wo es schon auffällig ist, dass die Leute, seit sie im Homeoffice sind, überhaupt nicht mehr zu erreichen sind. Vorher war es schon schwierig, und jetzt ist es zum Teil unmöglich. Da war halt dann immer gerade die Skype-Verbindung nicht in Ordnung, oder die Weiterleitung hat nicht funktioniert. Früher hat es dann immer „Tut tut“ gemacht, da geht keiner ran. Jetzt ist es zum Teil so, dass die Leitung ganz tot ist, weil irgendwie

so ein technisches Verbindungsglied dazwischen nicht funktioniert. Ist natürlich klasse, wenn sie gerade im Garten sitzen und vier Stunden lang keiner anruft. Ist für bestimmte Homeoffices natürlich auch von Vorteil. Ich will das jetzt niemandem unterstellen. Aber ich glaube, man muss die beiden Seiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer natürlich da ausgewogen sehen.


Camillo Schumann


Sie sprechen sich aus nach der Pflicht, eine Empfehlung daraus zu machen. Nun sitzen ja, wie wir schon gesagt haben, gut 45 Prozent aller Berufstätigen aktuell zu Hause. Sollen die jetzt zum 01.07. zurückgeholt werden? Was meinen Sie? Soll das dann auslaufen? Bis wann sollten die dann wieder zurückkommen?


Alexander Kekulé

Das kann man epidemiologisch nicht beantworten. Ich glaube, das müssen die Firmen unternehmerisch beantworten. Man kann zum einen eben sagen es gibt gute unternehmerische Gründe. Das habe ich ja gerade versucht, so ein bisschen auszumalen, die Leute im Homeoffice zu lassen in einigen Bereichen. Und ich hoffe und glaube, dass es dort dann auch diese Überlegungen gibt, es tatsächlich zu machen oder einen größeren Teil Homeoffice zu machen. Oder nur noch einmal die Woche freitags Office-Day oder so etwas zu machen, je nachdem. Ich glaube, dass es in diese Richtung unserer Arbeitswelt sich in vielen Bereichen sowieso verändern wird. Und es gibt andere Bereiche, da ist es wahrscheinlich für die Arbeitgeber eine Zumutung und wird als solche empfunden. Insbesondere dann, wenn die Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen nicht mehr so produktiv sind. Da wird es sicher Studien geben, dass es jetzt noch überhaupt nicht mein Beritt. Aber da werden sicher Studien bezüglich der Produktivität im Homeoffice und im richtigen Office stattfinden. Und ich würde erwarten, dass es da branchenspezifische Unterschiede gibt.

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2 7:43


Camillo Schumann


Herr Kekulé, wissen Sie, was morgen startet?


Alexander Kekulé

Startet schon wieder irgendwas? Nein, weiß ich tatsächlich nicht.


Camillo Schumann


Herrlich. Bin ich froh, dass Sie das jetzt wirklich nicht wissen. Morgen startet die Fußball-Europameisterschaft.


Alexander Kekulé

Ah Mist, die Hälfte unserer Zuhörer haben wir jetzt verloren.


Camillo Schumann


Normalerweise ist das ja was, was ganz viele Menschen auf dem Schirm haben. Aber irgendwie ist so diese Euphorie für dieses sportliche Event wegen Corona doch sehr zurückhaltend. Sei es drum, es geht nun morgen los. Das erste Spiel: Türkei gegen Italien, Anstoß 2 1 Uhr in Rom. Das erste Spiel in Deutschland ist dann am 15. Juni. Das ist nächste Woche Dienstag in München. Dort treffen dann Frankreich und Deutschland aufeinander, tolles Spiel wird's. Nun gibt es diesbezüglich eine interessante Entscheidung des Bundestages auf Vorschlag des Bundesinnenministers, seines Zeichens ja auch für den Sport verantwortlich, nämlich, dass Beteiligte der Fußball-Europameisterschaft von den Quarantäneregeln bei Einreise ausgenommen sind. Dass nicht nur Fußballer dann von der Pflicht zur Anmeldung und Absonderung nach Einreise aus sogenannten Virusvarianten-Gebieten ausgenommen sind, sondern zum Beispiel auch Journalistinnen und Journalisten, die von den Spielen berichten, plus Entourage. Auch das für solche Gebiete eigentlich verhängte Beförderungsverbot gilt für diese Fälle nicht. Rund um die Veranstaltungen sollen aber strenge Schutz und Hygienekonzepte gelten. Klar. Was meinen Sie? Ist das eine Sonderbehandlung, die wir uns aus virologischer Sicht leisten können? Oder steckt darin möglicherweise ein unkalkulierbares Infektionspotenzial?


Alexander Kekulé

Das kommt darauf an, wie gut die Hygienekonzepte sind. Ich war ja wahrscheinlich einer der Ersten, die damals glaube ich, in der ARD Sportschau überhaupt gesagt haben als Virologe: Jawoll, man kann rein theoretisch, wenn man das will. Mit entsprechendem Riesenaufwand kann man zum Beispiel Fußballspiele jetzt ohne Publikum natürlich sicher machen. Es ist ja dann auch ein Konzept dazu entwickelt worden von der DFL. Und das deutsche Konzept war eins der ersten. Das ist international auch zum großen Teil übernommen worden, dieses COVID-Konzept der Deutschen Fußball Liga. Aber im Ergebnis muss man dann sagen hinten dran war es so: Es gab eben immer wieder Ausbrüche. Ja, wenn Sie denken, was da bei der italienischen Nationalmannschaft passiert ist und wieviel andere Beispiele es gab, wo man wirklich in der Mannschaft ganz viele Fälle hatte, wo man im Zusammenhang mit Spielen auch Infektionen der gegnerischen Mannschaft hatte. Also daher sage ich jetzt mal: Also diese Konzepte haben einfach Sicherheitslücken. Das ist kein Vorwurf an die, die es gemacht haben, sondern wahrscheinlich in der Umsetzung halt dann schwieriger, als man sich das vorher gedacht hat. Vielleicht auch, als ich mir das damals gedacht hab. Ich habe eher wahrscheinlich so die Bundesliga-Kicker im Auge gehabt, die in München-Grünwald in der Villa wohnen und eigentlich ohne weiteres in eine private Bubble eingeschlossen werden können. Aber das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Und jetzt denke ich bei der Europameisterschaft ist halt jetzt schon der Druck sehr groß. Wenn man diese Öffnung nicht machen würde, dass man die von der Quarantäne freistellt. Also so, wie ich es verstanden habe. Auch wenn ich, wie Sie gerade schon gemerkt haben, von Fußball nicht so viel verstehe. Also so wie ich es verstanden habe, ist es so, dass man das logistisch sonst gar nicht hinkriegt mit den EM-Spielen, weil wenn Sie da jedes Mal 14 Tage Quarantäne machen, wird das unter Umständen mühsam. Müssen sie dann A und B Mannschaften wahrscheinlich gegeneinander spielen lassen. Aber jedenfalls

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ist es letztlich die Frage: Nimmt man dieses Risiko in Kauf für den Sport, für diesen Sport? Ein Risiko ist auf jeden Fall da. Wenn sie mich als Epidemiologe fragen, sage ich: Ja, das ist ein kalkuliertes Risiko, was man in Kauf nimmt. Und hundert Prozent sicher können sie das nach den Erfahrungen, die wir jetzt im letzten Jahr gemacht haben können Sie das nicht machen. Sie haben immer einzelne Fälle, wo es zu Infektionen kommt. Und auch die Konzepte sind, sag ich mal, nicht ganz optimal. Ich habe ja selber das ist, glaube ich, bekannt für die Nordische Ski-WM das Hygienekonzept gemacht. Da hatten wir es wirklich im Griff, das ist alles auch leichter, weil es nicht so viele Teilnehmer waren. Weil es eine einmalige Veranstaltung war. Weil es im Winter war, vieles draußen. Aber ist es eben so, dass im Vergleich dazu beim Fußball es eine wesentlich höhere Anforderung ist. Und es ist nicht sicher. Nein, man kann diese EM-Teams und ihre Entourage nicht auf sichere Weise transportieren, sondern man muss sich fragen: Gehe ich dieses Risiko ein dafür, dass mir dieser Sport so wichtig ist?


Camillo Schumann


Und wir haben ja mehrere Corona-Fälle bei den Mannschaften Spanien und Schwedens. Die treffen ja dann am Montag in ihrem ersten Gruppenspiel aufeinander. Also, es gibt ja die Fälle. Ja, was kann man da machen? Also ist das etwas, wo wir jetzt sagen: Okay, wir wollen dieses Erlebnis haben. Wir wollen einfach mal nicht an Corona denken, auch wenn es direkt vor Ort ist. Und so ist es eben. Wir kalkulieren es halt mit ein.


Alexander Kekulé

Da fragen sie echt den falschen. Also ich als Epidemiologe. Ja, das ist so ähnlich, als wenn sie einen Arzt fragen: Darf ich nicht doch mal eine Zigarette rauchen? Klar ist es so, wenn jemand mal raucht oder ein wenig raucht, dann ist es wahrscheinlich so, dass statistisch das schwer nachzuweisen ist, wie groß das Risiko ist. Was ist mit dem berühmten Glas Wein am Abend oder der einen Flasche Bier pro Tag. Jeder Arzt wird immer sagen: Nein. Das ist so.

Und das heißt da muss man auf die andere Seite. Also auf der einen Seite steht die medizinische Beurteilung. Da muss man sagen, es ist ein Risiko, und das ist relativ sicher, dass es dadurch zu zusätzlichen Infektionen kommen wird. Ich vertraue auch ehrlich gesagt, nicht so diesen Hygienekonzepten dann wiederum von ausländischen Mannschaften. Es müssen ja quasi alle europäischen Mannschaften dann das wirklich, wirklich sehr ernst nehmen. Und man darf nicht vergessen, da geht es um viel Geld. Das ist Berufssport. Also ich habe das an verschiedenen Stellen nicht nur bei der Nordischen Ski-WM mitbekommen, mit wie harten Bandagen eigentlich die Sportler kämpfen müssen. Ja, also was die alles tun, um zum Beispiel nicht aufzufallen. Dass die COVID-positiv sind, obwohl sie es unter Umständen wissen, das sind Faktoren. Sie wissen ja auch, dass Doping ein Thema ist, was in dem professionellen Sport eine Riesenrolle spielt. Und Leute, die sich also mit Dopingmitteln, die also überhaupt null erprobt sind von irgendwelchen obskuren Ärzten vollpumpen lassen, damit sie bessere Leistung erzielen. Ich unterstelle das natürlich nicht dem deutschen oder dem internationalen Fußball. Aber dieser Mindset im Profisport, der ist beim Teil der Menschen einfach da, dass man da sehr weit geht, um Erfolg zu erzielen. Und dem steht halt dann jemand gegenüber, der da sagt mit so einem Tupfer: Mach mal einen Abstrich und hoffentlich ist der negativ. Also diese Möglichkeiten, die zum Beispiel die WADA, die Welt-Anti-Doping-Agentur hat, um Doping im Sport zu verhindern. Die sind ja viel weitreichender als das, was jetzt so ein COVID-Konzept irgendwie macht. Und darum glaube ich, das ist relativ klar, dass aus verschiedenen Gründen das kein sicheres Abwehrnetz sein wird, sondern wir werden einzelne Fälle haben. Und dann frage ich sie zurück: Wie wichtig ist der Fußball? Und in meinem Freundeskreis und dem, was ich in der Zeitung mitkriege, würde ich mal sagen in Deutschland ist der Fußball so wichtig, dass man kollektiv mehrheitlich der Meinung ist, dass man dieses Risiko eingeht. Und beim

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Stichwort Mehrheit haben sie auch schon wieder die Brücke zu dem Ereignis im September in Deutschland und wissen dann, dass das eigentlich nicht verhandelbar ist. Natürlich wird das gemacht, weil, egal welche Partei, die sagt, wir schaffen in Deutschland die Europameisterschaft ab, die wäre chancenlos. Ja, also das ist auch eine Art von Risikoabwägung ganz andere Art.


Camillo Schumann


Die UEFA, die hat ja auch darauf reagiert und erlaubt einen Spielerkader von nicht nur 2 3, sondern 2 6 Spielern. Können dann auch nachnominiert werden. Bis zu sechs Spieler. Und so eine Corona-Infektion wird offiziell wie eine Verletzung behandelt, also der Spieler, der tritt dann nicht an. Und da wird dann eben ein Spieler nachnominiert. Also da ist sozusagen jetzt schon ein Mechanismus entwickelt worden, wie damit umgegangen wird. Nur dann darf es natürlich nicht zu einem größeren Ausbruch kommen.


Alexander Kekulé

Das Problem ist einfach folgendes: Ich habe ja durchaus Einblicke in die Hygienekonzepte, die da gemacht werden. Und die Schwachstelle ist einfach folgende: Das Konzept heißt Bubble des Fußballkaders. Also jetzt mal rein die Mannschaft und ihr Umfeld hier: Das ist eine Bubble, das ist eigentlich die Idee. Eigentlich müssen Sie, wenn Sie ein Loch in der Bubble haben, also wenn einer positiv ist, da müssen Sie ja feststellen: Es gab beim Labor würde man sagen Containment Breach. Also, es gab eine Verletzung des Sicherheitssystems. Das heißt automatisch: Sobald einer positiv ist, müssen sie die ganze Mannschaft und die ganze Entourage, also Trainer, Masseure, Ärzte und so weiter komplett unter Quarantäne stellen. Wenn sie das machen, ist die Mannschaft raus. Dann können sie nicht sagen: Das ist, als wenn sich einer den Fuß gebrochen hat. Dann kommt eben der andere. Sondern dann ist einfach Schluss. Und das zieht natürlich keiner durch. Weil am Anfang hat man so in die Richtung gedacht. Dann hat man mal festgestellt:

Einzelne Fälle gibt immer mal wieder. Irgendeiner aus der Mannschaft war halt dann doch irgendwo auf einer Party und hat sich nicht an die Regeln gehalten, an die Bubble gehalten. Und an der Stelle ist einfach die Schwachstelle. Sie isolieren dann einen und die anderen haben doch beim Training und ständig überall mit dem Kontakt gehabt. Das können Sie ja gar nicht verhindern.


Camillo Schumann


Also, wenn wir jetzt die Spiele sehen, wissen wir: Okay, es kann Fälle geben, die nehmen wir in Kauf. Einfach, weil wir so fußballverrückt sind.


Alexander Kekulé

Ich sehe das letztlich so ja, aber ehrlich gesagt, ich sehe das auch nicht so bierernst, sondern wir haben ja viele Risiken, die wir uns leisten. Und das ist etwas, das leisten wir uns halt jetzt mal. So sieht es zumindest die Politik. Aber wie gesagt, wenn Sie einen Epidemiologen fragen, kriegen Sie da irgendwie eine Antwort, die sie gar nicht hören wollen.


Camillo Schumann


Ach doch, das hat mich schon interessiert. Wenn die Politik über Normalzustand spricht ab Herbst, dann ist es ja auch ein guter Zeitpunkt. Ich habe schon angekündigt, immer so ein bisschen Bilanz zu ziehen. Wie schwer hat COVID-19 die Welt eigentlich getroffen? Also wie stark hat sich das Virus auf die Todeszahlen wirklich ausgewirkt? Also wie viele Menschen sind mehr gestorben als üblich in dieser Zeit? Wie hat sich die sogenannte Übersterblichkeit entwickelt? Es gibt ja schon ein paar Studien und Berechnung gerade eine ganz aktuelle, von 2 jungen Forschern aus Tübingen und Israel. Die haben die Daten aus 94 Ländern ausgewertet. Bevor wir auf die Daten so eingehen: Wie sind diese Forscher vorgegangen? Die haben ja öffentlich zugängliche Daten genommen.

38:49


Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz interessant, das waren eigent-

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lich 2 Wissenschaftler, der eine aus Jerusalem, und der andere interessanterweise von einem Augenforschungsinstitut in Tübingen. Und die haben jetzt folgendes gemacht. Es gibt ja schon ganz lange alle möglichen Daten zur Sterblichkeit, weil man von Anfang an verstanden hat: Die Frage: Wieviel Übersterblichkeit es gibt durch COVID, also wie viele Menschen sind sozusagen zusätzlich gestorben? Tatsächlich, das wird ganz wichtig. Und da hat man ja schon angefangen. Also was weiß ich, im April letzten Jahres ist Eurostat gestartet, also eine europäische Datenerhebung. Hängt zusammen mit den Fällen in Italien, wo eben nicht klar war, ob das eine wirkliche Übersterblichkeit war oder ob nur die Hochaltrigen gestorben sind, die sowieso quasi plus minus vier Wochen rein statistisch gesehen ein hohes Sterbensrisiko hatten. Dann gibt's ältere Datenbanken des sogenannte UNdata ist so etwas. Ja, das benutzt die Weltgesundheitsorganisation, manchmal, die sind wahnsinnig langsam. Also, wenn die 2 Jahre später die Daten halbwegs komplett haben, ist man schon froh drüber. Und dann gibt es die sogenannte Human Mortality Data Base, dass es etwas was, glaub ich, mehrere Universitäten machen, die sich zusammengetan haben. Und das ist, glaube ich, von der Universität, von Berkeley und vom Max-Planck-Institut in Rostock. Die sind da glaube ich federführend. Und die haben dort jetzt schon vor einiger Zeit etwas gemacht. Das nennen sie Short Term Mortality Fluctuations Data des Tests also. Da geht es darum, dass man eben etwas hat, was kurzzeitige Veränderungen in der Sterblichkeit mitkriegt. Also was schneller ist letztlich. Das Problem bei den anderen Datenbanken ist, dass sie so langsam sind. Und diese Datenbank, die es schon gibt, die also andere gemacht haben. Ich glaube eben, Berkeley und das Max-Planck-Institut in Rostock zusammen. Das ist dieses demografische Forschungsinstitut dort. Diese wurde von den Autoren weiterentwickelt. Und sie haben zusätzlich insgesamt 50 weitere Länder da reingenommen. Also, Sie haben das erweitert um sehr viele Länder haben da interessanter-

weise dann auch Daten eben aus Zeitungen genommen. Ist ja so, dass die New York Times zum Beispiel eine berühmte Datenbank selber aufgelegt hat, weil sie eben diese Lücke erkannt hat, dass man gar nicht weiß, wie viele Menschen wirklich sterben, versuchen die das in Realtime. Das Wall Street Journal, glaube ich, auch. Und das Interessante ist jetzt eben, dass diese neue Datenbank, die da vorgestellt wird, die gibt schon eine Weile. Die ist auch schon übernommen, muss man sagen. Auch wenn das jetzt ein Preprint vom 4. Juni ist, ist die schon länger übernommen worden von verschiedenen Zeitungen. bei ihren Auswertungen. Bei Financial Times weiß ich, dass es übernommen ist und ist auch schon übernommen worden von dieser Datenbank, über die wir auch schon öfters gesprochen haben: Our World in Data. Das ist dieses Ding, wo eigentlich jeder nachschaut, wenn man wissen will, wie viele Leute sind jetzt an COVID wo gestorben. Also da ist es schon integriert, es ist nichts ganz Neues, sondern es ist jetzt eine Datenbank, die es schon länger gibt, die insgesamt 94 Länder auswertet, auf einem relativ zeitnahen Niveau und sehr große, tolle Fleißarbeit. Und da haben die eben jetzt mal die aktuellen Resultate vorgestellt.


Camillo Schumann


Also sozusagen ein sehr, sehr großer Datensatz, der dort sehr zeitnah ausgewertet wird und was ich besonders interessant fand. Was ich mich auch am Anfang gefragt habe: Wie ist das eigentlich? Jetzt gibt es ja nicht nur die normalen Todesfälle, also normal durch Erkrankungen et cetera plus dann COVID. Was man ja sozusagen die Differenz ausrechnen muss, sondern es gibt ja ganz viele Störfaktoren. Die haben ja auch ganz viele Faktoren herausgerechnet, die das Ergebnis am Ende dann beeinflussen. Zum Beispiel haben sie die Toten im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach ausgerechnet. Haben sie dann sehr großzügig für beide Seiten so um die 4000 Tote abgezogen. Dann wurden noch die Menschen, die durch die Hitzewelle in Belgien, Niederlanden, Frankreich und Deutschland gestorben sind auch rausgerechnet. Also

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so was muss man ja machen, um dann, ich sag mal, eine valide Aussagen treffen zu können.


Alexander Kekulé

Was sie da nennen, ist eine der Schwachstellen von diesen Studien immer. Auch diese aktuelle hier, dass man da 2 Datensätze hat, wo man bei beiden nicht genau weiß, wie hoch die Zahlen sind. Es weiß ja keiner wirklich, wie viele an der Hitzewelle genau gestorben sind, weil das auch schon so eine Art Excess Mortality war. Also diese Übersterblichkeit ist ja eben immer der Vergleich mit früheren Perioden, die angeblich vergleichbar sind, wo man sagt okay, damals sind in diesem Zeitraum so und so viele Leute gestorben, pro Bevölkerung natürlich immer und pro Altersgruppe. Und wie hat sich das verändert während der Grippewelle oder während der COVID-Welle? Und was weiß ich, wenn sie jetzt die Grippesaison 2 017/18, die wird ja immer angeführt. Da hatten wir 2 5.100 an Übersterblichkeit, die angeblich sozusagen durch die Grippe im weiteren Sinne gestorben sind. Natürlich hatten die nicht alle einzeln Influenza-Tests, die positiv waren. Aber da hat man einfach gemeint das sind die Grippetoten. Und wenn man sich in dem Jahr, wo diese Grippe besonders gewütet hat, in Europa die Daten von der europäischen solchen Agentur ECDC ansieht, dann ist es so, dass die sagen, dass zu der Zeit, wo diese Grippe da gewütet hat, 53 Prozent, also über die Hälfte der Intensivpatienten in Deutschland, Influenza-Patienten waren. Das muss man sich mal erinnern. Es ist also durchaus schon ein spektakuläres Ereignis gewesen, wenn über die Hälfte aller Intensivpatienten in Europa Influenza haben. Und damals war es ja so, dass also auch die Übersterblichkeit bei der Influenza bei den über 45-Jährigen ganz eindeutig riesengroß war. Das ist in diesem EuroMOMO -was wir auch schon einmal besprochen haben: EuroMOMO, eine europäische Datenbank ist es dokumentiert. Und daher ist es sehr, sehr schwierig aktuelle und frühere Zeiten zu vergleichen. Wir haben immer diese Verzögerung bei der Registrierung. Das ist aber hier bei dieser Datenbank wohl ganz gut. Und schwierig ist es eben immer zu sagen: Wie ist

es eigentlich mit diesem Kompensationseffekt? Die Epidemiologen nennen das gemeinerweise Harvest Effect, also Ernte-Effekt. Das heißt eben, wenn jemand stirbt, der sowieso schon, wo der Sensenmann sowieso schon neben dem Bett gewartet hat. Und dann stirbt er und hatte eben auch noch COVID. Und dann ist eben so ein bisschen die Frage: Wie rechnet man das in diesen Übersterblichkeiten ein? Mit anderen Worten: Wieviel Plusminus-Wochen gibt man da sozusagen, um zu sagen, das war zu diesem Zeitpunkt eine echte Übersterblichkeit. Das alles zusammen ist ein interessanter Datensatz, der so ein paar Sachen klar zeigt. Und wo ich glaube, das ist eine Basis, auf der wir die nächsten 2 Jahre mindestens noch weiter diskutieren werden über die Frage: Wieviel haben eigentlich die ganzen Maßnahmen gebracht? Und wie viel haben Sie geschadet? Also welche Sekundärschäden hatten wir letztlich? Und das ist aber eine Diskussion, die wird jetzt erst begonnen.

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Camillo Schumann

 Wir können uns ja mal aus diesem Datensatz 2 Beispiele herausnehmen: Deutschland und Schweden. Wie hat sich COVID-19 auf die Exzess-Mortalität bei uns, also in einem Land mit Maßnahmen und Schweden, einem Land, das erst keine und dann sehr späte Maßnahmen auch gar nicht so umfangreich – ergriff, ausgewirkt? Wie würden Sie es vergleichen?


Alexander Kekulé

Ja bei dieser Datenbank ist es so, wenn man da einfach mal reinschaut: Die haben immer 2 ganz interessante Sachen gemacht. Sie haben erstens die tatsächliche Übersterblichkeit, Excess Mortality, angeschaut und zweitens haben sie aber auch die offiziell gemeldeten Zahlen sich angeschaut. Das sind nämlich 2 unterschiedliche. Und da haben schon mal Deutschland und Schweden gemeinsam, dass bei uns interessanterweise wesentlich mehr Fälle gemeldet wurden als COVID-Fälle als die wirklich rechnerische Übersterblichkeit war. Also Deutschland zum Beispiel offizielle Meldung zu dem Zeitpunkt, wo sie das ausgewertet haben: 87.000 Tote in der Summe durch

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COVID. Aber die echte Excess Mortality, die echte Übersterblichkeit, wenn man jetzt sozusagen die gleiche Rechnung wie damals bei der Influenza ansetzen würde: 36.000. Also nochmal zum Vergleich: Influenza war 2 5.000 damals bei dieser schweren Welle. Und jetzt sagen die also 36.000 bis jetzt ist die Übersterblichkeit in Deutschland. So etwas ist immer fehlerbehaftet. Also ich würde sagen, es ist schon klar, dass es mehr ist als die Influenza-Saison 17/18. Aber es ist jetzt nicht so signifikant mehr, dass man aus den Zahlen allein rauslesen könnte, dass es ein viel schlimmeres Ereignis ist. Wir hatten eine Zunahme der Sterblichkeit von plus vier Prozent in Deutschland. Damit sind wir genauso wie zum Beispiel Griechenland. Die gleiche Erfolgsbilanz wie Griechenland haben wir. Auch die gleiche Erfolgsbilanz wie Kalifornien, wie Kanada, um die zweimal zu vergleichen. Und in Schweden war es eben so, dass die Sterblichkeit nicht um vier Prozent hochgegangen ist, sondern um zehn Prozent. Also die hatten dann das kann man ja absolut nicht so gut vergleichen wenn man es auf die Bevölkerung mal anschaut, sind bei uns 40 gestorben pro 100.000 und in Schweden 90 pro 100.000 also mehr als doppelt so viel pro Bevölkerung. Und die Sterblichkeit ist hochgegangen durch COVID um zehn Prozent, bei uns nur um vier Prozent. Da würde ich schon sagen, dass es zulässig ist, an der Stelle zu sagen, dass die deutsche Methode, Leben zu retten, hier in dem Fall effektiver als die schwedische.


Camillo Schumann


Wir haben gerade Deutschland mit Schweden verglichen. Was ist Ihnen sonst aufgefallen?


Alexander Kekulé

Ja, also das ist natürlich ein interessanter Steinbruch, in dem man so schürft, kann man stundenlang lesen in diesen Tabellen. Also das eine ist, in den USA haben die richtig schlecht abgeschnitten. Da ist die Sterblichkeit um 2 1 Prozent hochgegangen. In Deutschland wie gesagt um vier Prozent. Also das ist so ein Beispiel, wo es echt schiefgelaufen ist. Die haben 190 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Aber vielleicht

für die Deutschen interessant: Nicht nur die Schweden standen schlechter da als wir, sondern zum Beispiel auch Frankreich und Italien. Also die Franzosen bei zehn Prozent, elf Prozent. Die Italiener, glaube ich, noch ein bisschen schlechter. Ist also die Zunahme der Sterblichkeit durch die COVID-Pandemie bisher. Und das heißt also letztlich, dass auch ein Land wie Frankreich das finde ich deshalb ganz interessant in der gleichen Größenordnung wie Schweden liegt, obwohl die Franzosen ja nun wirklich nicht so ein Laissez-faire gemacht haben an der Stelle. Sondern, wenn ich mich erinnere, ganz am Anfang: Der Lockdown in Frankreich war ja viel strenger als in Deutschland, das war ja damals das Plädoyer, wenn ich mich richtig erinnere von Christian Drosten und mir relativ einhellig, dass wir gesagt haben, wir können die Menschen nicht in die Bude einsperren. Und zum Glück hat die Politik das dann nicht gemacht. Dass bei uns man also noch rauskonnte, nicht nur mit dem Hund, sondern auch so. Und das ist ja in Frankreich nicht so gewesen. Und trotzdem haben die eigentlich ein ähnlich schlechtes Ergebnis wie Schweden. Also das finde ich interessant, dass die Franzosen da wirklich so schlecht abgeschnitten haben. Wer hier in unserem direkten Umfeld die Stars sind, sind die Dänen. Also in Dänemark ist es so: Die haben -1 Prozent. Oder andersherum gesagt: Die Exzess-Sterblichkeit war minus 730 Tote. Das heißt, da sind weniger Menschen gestorben als sonst. Das sind eben die Effekte, die man immer berücksichtigen muss. Dadurch, dass alle Masken haben, Abstand halten und so weiter, gehen halt die Infektionskrankheiten runter. Und die Menschen sind insgesamt natürlich in so einer Situation, wo man weiß, jetzt ist so eine Pandemie unterwegs, auch gesundheitsbewusster. Also die gehen dann schneller zum Arzt, wenn es irgendwelche Symptome haben, weil sie denken: Auweija, vielleicht ist das COVID. Und das sind wahrscheinlich die 2 Haupteffekte, die dazu führen, dass es immer auch einen Gegeneffekt gibt. Also dass man quasi eine negative Übersterblichkeit heißt es dann bekommt.

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Und in Dänemark hat die richtig durchgeschlagen. Für jemanden, der jetzt noch sich richtig deprimieren will: Die größte negative Übersterblichkeit hatte Taiwan. Da ist die Sterblichkeit durch die Pandemie um vier Prozent runtergegangen, genauso wie sie bei uns um vier Prozent rauf ist. Und die hatten insgesamt nach dieser Aufstellung Achtung die offizielle Zahl der Toten gemeldet: Zehn. Also kein Schreibfehler: Eins-null. Zehn Tote. Und die hatten eine Excess Mortality, also die Übersterblichkeit im Rahmen der Pandemie von 7100, und zwar negativ. Also da sind 7100 Menschen weniger gestorben, als man das statistisch erwartet hätte. Also, das heißt, man kann durch Gesundheitsmaßnahmen, Maskentragen und so eben wie im Fall von Taiwan über so eine Pandemie hinweg dann gut 7000 Leben retten oder 30 pro 100.000 Einwohner. Ungefähr in der Größenordnung ist das umgerechnet. Und das spiegelt so ein bisschen zurück zu Ihrer Frage von vorhin, wenn wir jetzt die Maßnahmen weiter durchziehen, weiter Masken haben und so weiter. Auch wenn die Pandemie vorbei ist, dann würden wir wahrscheinlich in der Größenordnung 2 0, 30 Tote pro 100.000 verhindern pro Jahr. Frage ist halt einfach: Will man sich das antun, in dem Zusammenhang. Aber das kann man natürlich diskutieren.


Camillo Schumann


Sehr interessante Studie. Wer Lust auf Grafiken hat und selber mal so ein bisschen vergleichen möchte, der kann sich die anschauen. Alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen, verlinken wir natürlich Ihnen in jeder verschriftlichen Version. Und die kann sich jeder herunterladen unter jeder Folge unter Audio und Radio auf mdr.de. Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Dame hat angerufen. Sie hat eine Frage zu einem Test, der nicht so verwendet wird, wie eigentlich sollte:

52 :2 0

Zuhörerin

Es geht um Corona-Nasentests. Manche verwenden ihn als Spucktest. Ob das auch die gleichen Ergebnisse bringt?


Camillo Schumann


Also der Nasentest, der als Spucktests verwendet wird. Einige Hörerinnen und Hörer haben diesbezüglich sich bei uns gemeldet. Was sagen Sie dazu?


Alexander Kekulé

Also man kann das natürlich machen. Aber das Problem ist: Vom Ablauf her ist es dann natürlich nicht standardisiert. Also rein der Test. Also das, was da stattfindet in dieser Kassette, wo dann eine oder 2 blaue Banden entstehen. Manchmal sind sie auch Rot. Das ist eigentlich der gleiche Test, da wird also nichts geändert. Nur das ganze Drumherum ist natürlich anders. Also man hat ja bei einem Spucktest, wenn der gut gemacht ist: Es gibt so ein Volumen, in dem man das aufnimmt, hinterher. Und dass ist darauf dann standardisiert. Die Flüssigkeiten, die dabei sind, sind sozusagen ein bisschen anders. Ganz deutlich ist es natürlich, wenn sie gurgeln müssen. Da haben Sie ja dann eine Flüssigkeit, mit der sie gurgeln, wo das Volumen bestimmt ist und Ähnliches. Darum würde ich jetzt eigentlich sagen: Wenn sie es ernst nehmen mit dem Test, sollte man den auch so machen, wie es in der Gebrauchsanweisung beschrieben ist. Aber natürlich rein technisch gesehen funktionierte so ein Nasentest, wenn man ihn als Spucktest ausführt, im Grunde genommen auch. Dann ist die ist die Wahrscheinlichkeit, dass man da von einer Sensitivität und Spezifität noch genauso gut ist, wie das der Hersteller angegeben hat, eben noch geringer. Also das ist klar, dass man da nicht genau auf die gleichen Qualitätswerte kommt. Allerdings muss ich sagen, wenn jetzt Fachleute das nachprüfen, was da so in den Packungen steht, kommt man sowieso oft nicht auf die angegebenen Werte. Das ist wahrscheinlich wie beim Auto mit der Höchstgeschwindigkeit, die man auch selten erreicht.

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Camillo Schumann


Oder Benziner mit CO2 -Ausstoß.


Alexander Kekulé

Benziner genau, eigentlich noch besser. CO2 Ausstoß ja, keine Ahnung, was die so messen. Und das ist einfach so: Wir sind hier immer in dem Bereich, da darf man sich nichts vormachen. Diese Tests haben einfach eine große Unsicherheit, gerade wenn sie eben selbst im Selbsttest durchgeführt werden. Und die sind eine zusätzliche Sicherheitsebene. Und eine solche zusätzliche Sicherheitsebene hat man auch wenn man den quasi illegal als Spucktest verwendet. Aber ich würde einfach davon ausgehen, dass es dann eben noch ein Ticken unsicherer ist als es sowieso schon war.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 193. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem HörerfragenSpezial


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Samstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch was wissen? Eine Frage stellen? Dann schreiben Sie uns. An mdraktuellpodcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Das kostet nichts. 0800 32 2  00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Podcast Tabubruch sehr empfehlen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Milene und Henry. Milan ist 18 und Henry ist 58. Beide sind seit gut einem Jahr verheiratet und wie so eine Liebe mit 41 Jahren Altersunterschied funktioniert sie hören es in Tabubruch.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 10. Juni 2 02 1 #193


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Studie: Übersterblichkeit während der Pandemie in 94 Ländern (03.06.)

The World Mortality Dataset: Tracking excess mortality across countries during the COVID19 pandemic (medrxiv.org)

Donnerstag, 10. Juni 2 02 1

Ab Herbst keine Maßnahmen mehr das Risiko muss jeder selber tragen. Was ist aus fachlicher Sicht von dieser politischen Forderung zu halten?

Dann: In vielen Orten fällt wegen der sinkenden Inzidenz die Testpflicht. Kalkulierbare Lockerung?

Dann: Homeoffice-Pflicht läuft Ende Juni möglicherweise aus. Sollte sie verlängert werden?

Außerdem: Interessante Daten zur Übersterblichkeit durch COVID-19. Wie hat die Pandemie die Sterblichkeit beeinflusst?

Und: Wird ein Nasentest als SpuckTest verwendet? Ist er dann genauso aussagekräftig?


Camillo Schumann


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Corona-Virus. Und wir

beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Herr Kekulé.


Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann!


Camillo Schumann


Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow macht heute mit bemerkenswerten Aussagen Schlagzeilen. In einem Interview mit der Rheinischen Post schlägt er nämlich eine komplette Öffnung im Herbst vor. Er sagt: „Ich glaube, wir können das Risiko der kompletten Öffnung im Herbst eingehen.“ Die Widerstandskraft sei durch den Impfstoff in diesem Jahr höher. Er wisse aber auch, dass sich 2 0 bis 2 5 Prozent der Bevölkerung nicht impfen lassen werden. Dazu sagt er: „Die müssen das Risiko dann selbst tragen und verantworten.“ Herr Kekulé, wie schätzen Sie das ein? Können wir uns im Herbst schon Normalzustand leisten und COVID-19 zum normalen Lebensrisiko werden lassen?


Alexander Kekulé

Also das weiß natürlich keiner genau. Aber ich würde davor warnen, jetzt schon für den Herbst Prognosen zu machen. Weil die Menschen ja, wenn man so eine positive Einschätzung gibt, schwer wieder einzufangen sind, wenn man sie dann doch wieder überreden muss, Maßnahmen zu ergreifen. Richtig ist sicher, dass wir im Herbst nur einen Teil der Bevölkerung geimpft haben werden. Also wenn wir da auf 70 Prozent kämen, wäre das schon super. Also glaube ich nicht wirklich. Aber das kann man ja mal als optimale Möglichkeit in den Raum stellen. Dann haben wir immer noch 30 Prozent Ungeimpfte. Und ich wäre aufgrund dessen, wie wir bis jetzt so durch die Pandemie geschlingert sind wäre ich einfach vorsichtig für den Herbst schon so eine klare Prognose abzugeben.


Camillo Schumann


Was Bodo Ramelow glaube ich möchte: Dass die Verantwortung jetzt auf die Bevölkerung

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übergeht, der Staat sich zurücknimmt. Wir wissen ja, wie sich das Virus in den letzten Monaten entwickelt hat, siehe Mutation. Wir wissen auch, dass zum Beispiel Großbritannien vor der vierten Welle steht. Und wissen wir genug über das Virus und hat sich das Virus jetzt so in Anführungszeichen – „abgeschwächt“, dass wir dann dieses Risiko eingehen können, uns zurückzuziehen als Staat?


Alexander Kekulé

Nein, das Virus hat sich natürlich nicht abgeschwächt, und das ist immer eine staatliche Aufgabe, das Risiko zu beurteilen. Das kann der Einzelne gar nicht. Was natürlich im Ansatz die Diskussion ist, die man schon führen muss, ist die Frage: Ab welcher Sterblichkeit greift der Staat ein? Also wir haben ja als Referenz immer aus meiner Sicht die Influenza. Da hatten wir mal ein Jahr, wo wirklich gezählt über 2 5.000 Menschen gestorben sind. Und der Staat hat nicht eingegriffen, sodass man schon sagen muss: Wo ist quasi das Wächteramt des Staates in dem Fall gefragt? Und natürlich wird man nicht, wenn jetzt nur noch eine Handvoll Menschen an COVID sterben sagen: „Da muss der Staat quasi alle kontrollieren.“ Andererseits ist es so, dass viele Menschen sich nicht selber schützen können. Und ich persönlich finde immer, der Staat muss dafür sorgen, dass auch Menschen, die ein Risiko haben und die sich aus welchen Gründen auch immer eben nicht geimpft haben. Das ist ja manchmal eine Entscheidung, die jetzt auch gar nicht so freiwillig gefällt ist, wie Herr Ramelow das so ein bisschen impliziert hat. Auch diese Menschen müssen zumindest in öffentlichen Bereichen geschützt werden. Also wenn die dann privat wilde Hochzeiten feiern, sind sie sozusagen selber schuld. Aber wenn jemand U-Bahn fährt, Straßenbahn fährt oder Ähnliches oder auf einer Behörde ist, dann muss er davon ausgehen, dass man das sicher machen kann.


Camillo Schumann


Also öffentliche Einrichtungen, gerade das, was

Sie gesagt haben, da weiter Maßnahmen – ansonsten alles freigegeben. Das wäre dann der gangbare Weg schon ab Herbst?


Alexander Kekulé

Na ja, alles freigeben würde ich nicht. Also wir müssen uns im Herbst darüber unterhalten. Also das ist einfach wahnsinnig schwierig, jetzt im Juni da eine Prognose zu machen. Ich verstehe natürlich die Politik, dass sie jetzt im Hinblick auf die Bundestagswahlen alle möglichen Versprechungen aller Art macht. Und ich glaube aber rein wissenschaftlich gibt es einfach keine Basis für so eine Prognose.


Camillo Schumann


Verstehe. Also mit anderen Worten: Das ist jetzt so ein politisches Ablenkungsmanöver, um jetzt zu punkten. Aber aus wissenschaftlicher Sicht entbehrt das jeder Grundlage.


Alexander Kekulé

Ablenkungsmanöver habe ich nicht gesagt. Aber die Motivation ist glaube ich, schon ziemlich offen. Und ich glaube, wir alle sollten jetzt in den nächsten Monaten aufmerksam sein oder immer mit in der Rechnung haben, dass das, was Politiker sagen, eben jetzt im Wahlkampf geschieht. Und da wird es eine Überlagerung geben von dem, was wirklich vernünftig ist aus antiepidemiologischer Sicht und dem, was wünschenswert ist und dann natürlich in solchen Statements vorkommt.


Camillo Schumann


Aber ist das nicht gerade so auch aus ihrer Sicht – Virologe, Epidemiologe dann nicht auch immer so ein bisschen „nervig“ in Anführungszeichen, dann diese Diskussion wieder einzufangen und zu versachlichen und zu sagen „Obacht.“


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja immer so. Das ist tatsächlich so, dass diese Überlagerung mit der Politik ein Dauerthema ist. Wir sind hier in Deutschland noch relativ gut. Ich fürchte, im Wahlkampf wird es mühsam werden, aber wir sind sonst bisher eigentlich relativ gut gewesen. Es gab wenig parteipolitische Querelen zum Thema Corona. Das ist doch versucht worden, immer

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sehr sachlich zu führen. Also, wenn man da ins Ausland schaut, da ist es zum Teil viel, viel schlimmer. Also wenn Sie sich angucken, in Staaten: Die Regierung um Brasilien ist ein berühmtes Beispiel, die USA ist ein Beispiel, wo die Regierung diese Themen für sich vereinnahmt und dann auch so weit geht, Fake-Facts richtig zu produzieren. Da sind wir weit entfernt von. Und deshalb rege ich mich auch nicht so auf, wenn Herr Ramelow da mal irgendwie so eine optimistische Ansage macht. Ich glaube, die Menschen verstehen das schon.


Camillo Schumann


Okay, also die Diskussion nicht jetzt führen, sondern im Herbst dann auf die Sterblichkeit schauen. Und dann entscheiden, wie man dann mit den Maßnahmen umgeht. Aber die Diskussion jetzt viel zu früh.


Alexander Kekulé

Ja, wenn sie in einem Kind Schwimmen beibringen, machen Sie am Anfang normalerweise solche Schwimmflügel dran. Zumindest habe ich das immer so gemacht. Und jetzt würde ich es nie wagen, quasi an einem Tag zu sagen: „Okay, nächste Woche Mittwoch mache ich die Schwimmflügel ab.“ Ja, also das wissen sie vorher nicht genau. Also kann schon sein, kann aber auch sein, dass nicht. Und so eine Ansage vorher hätte halt dann bei dem Kind zumindest zur Folge, dass das dann sagt: „Papa, du hast aber gesagt heute darf ich meine Schwimmflügel wegmachen.“ Und das kann dann fatale Folgen haben im engsten Sinne. Und so ein bisschen ist die Bevölkerung ja auch, sage ich mal, mit gewissen pädagogischen Aspekten zu behandeln. Man muss einfach aufpassen, wenn man den Leuten Versprechungen macht und sie wünschen sich was. Und sie haben jetzt die Nase voll von diesem ganzen LockdownGedöns. Dass man dann Schwierigkeiten hat, wieder zurück zu rudern und die Glaubwürdigkeit ist ja immer das höchste Gut in solchen Pandemien.


Camillo Schumann


Nehmen wir mal an im Herbst würde es keine Maßnahmen mehr geben. Fliegt uns da nicht auch die Grippewelle zusammen dann mit

möglicherweise der vierten Corona-Welle, dann um die Ohren?


Alexander Kekulé

Ich glaube schon, dass es auch, wenn man jetzt nichts mehr machen würde, speziell insbesondere natürlich die Masken weglässt im Herbst. Dann wird es wahrscheinlich ziemlich viele allgemeine Atemwegsinfektionen geben. Grippe und andere Erreger einfach, wenn man da ein Jahr ausgesetzt hat. Es gab ja keine Grippewelle im Moment, dann ist wahrscheinlich die Immunitätslage, zumindest bei Teilen der Bevölkerung, schlechter als in den Jahren zuvor. Also, da muss man schon mit so einer Art Rebound-Effekt würde man das Englisch nennen also dass das quasi sich nochmal verstärkt dadurch, dass man es vorher unterdrückt hatte. Damit würde ich schon rechnen. Wissen wir nicht genau ob es passiert, so ein Experiment ist ja noch nie gemacht worden. Es ist das erste Mal, dass wir solche Maßnahmen ergriffen haben. Aber ja, da würde dann wahrscheinlich COVID kommen und die Grippe auch kommen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass wir jetzt, weil wir hier gelernt haben, dass in diesem Fall so ein Virus mal so schlimm sein kann und wirklich solche radikalen Maßnahmen erfordert, dass wir jetzt die nächsten Jahre in so eine Art Virus-Paranoia verfallen, weil wir leben halt einfach schon immer mit Infektionskrankheiten als Menschheit, als Spezies. Und ich glaube nicht, dass wir unser ganzes Leben jetzt danach ausrichten sollten. Ich habe sowieso Befürchtungen, dass es so eine Art Generation C gegen geben wird. Die jungen Menschen, also gerade Kinder, die jetzt zum Teil wirklich Angst vor Corona haben. Da gibt es einige, die schon wirklich mit depressiven Syndromen reagieren. Und wenn man jetzt das fortsetzt und danach sagt okay, jetzt war es Corona und alle anderen Viren sind auch so gefährlich. Dann nehmen sie die Masken gar nicht mehr ab. Also da müssen wir, glaube ich, auch aufpassen, dass wir unser Leben nicht von einem Winzling diktieren lassen, letztlich am Tage, oder von vielen Winzlingen. Was allerdings gut bei den Masken ist, warum ich weiterhin viel von denen halte, nicht nur jetzt

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für den Herbst, sondern vielleicht für einige Menschen länger. Ich habe schon ganz oft gehört: Im Moment ist es ja so, dass die Pollensaison gerade läuft und viele Allergiker unterwegs sind. Und da höre ich oft: „Wenn ich die Maske aufhabe, speziell so eine FFP-Maske, dann geht es mir wesentlich besser.“ Die ziehen also tatsächlich das, was ich ja immer für albern gehalten habe die ziehen tatsächlich im Freien und draußen diese FFP-Masken an, weil es ihnen dann beim Pollenflug bessergeht.


Camillo Schumann


Gut, dann schauen wir mal, wie sich die Diskussion, angestoßen von Bodo Ramelow, dann so verselbständigen wird oder möglicherweise im Sande verlaufen wird. Sie haben ja in ihrer Argumentation den Bogen zur Influenza-Saison und zur Übersterblichkeit gemacht. Wir haben dann im weiteren Verlauf des Podcasts noch eine Studie zu besprechen, wo es um die Übersterblichkeit während der Corona-Pandemie geht. Die Infektion, die gehen ja weiter zurück. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz liegt bei rund 19 heute. Deutschland macht sich locker und so locker, dass in manchen Städten jetzt sogar die Testpflicht wegfällt. In Leipzig zum Beispiel, seit gestern in anderen Orten ebenfalls, zum Beispiel im Innenbereich der Gastronomie, beim Friseurbesuch, bei weiteren körpernahen Dienstleistungen. In der Kultur, Schwimmbäder und Hochzeiten. Überall dort braucht es ab sofort keinen negativen CoronaTest mehr. Und wir wissen ja: Gerade im Innenbereich der Gastronomie beim Bier, da stört die Maske ja auch nur, also quasi jetzt Normalzustand in der Gastronomie. So schnell, wie die Tests gekommen sind, sind sie schon wieder weg. Was halten Sie davon?


Alexander Kekulé

Ja, das ist ja mein zweites, großes Steckenpferd gewesen, außer den Masken. Also eigentlich bin ich total stolz darauf gewesen. Ich war natürlich nicht der Einzige, der das gefordert hat. Vielleicht einer der frühen, die das gefordert haben, aber nicht der einzige. Eigentlich bin ich total stolz darauf, dass wir in Deutschland

diese Schnelltests jetzt so breitflächig einsetzen und uns damit eigentlich die Freiheiten auf einem sicheren Niveau ermöglichen. Übrigens ist es auch so, dass Deutschland international für dieses Setzen auf die Schnelltests große Beachtung findet. Es ist gerade gestern in der New York Times ein Riesenartikel gewesen, wo sie eben geschrieben haben, dass das ein ganz besonderer Weg ist. Und das loben quasi, dass wir in Deutschland diese Tests benützen, um uns Freiheiten zu gönnen. In den USA ist das ja gar nicht so üblich. Und ich würde davor warnen, das jetzt einfach so wieder aufzugeben, bevor man wirklich sicher ist, dass man am rettenden Ufer ist. Wir sind mit den Impfungen noch nicht durch. Es können jederzeit Ausbrüche passieren, in geschlossenen Räumen natürlich sowieso. Und so bestimmte Situationen, Fitnessstudio zum Beispiel, Gastronomie. Wenn wirklich die Fenster alle zu sind im Untergeschoss irgendwo. Zur Gastronomie gehören dann wahrscheinlich auch Diskotheken, Clubs und Ähnliches. Da bin ich eigentlich schon der Meinung, dass der Test weiterhin eine zusätzliche Sicherheitsebene bietet, auf die wir nicht verzichten sollten. Naja, und bei so einer Hochzeit. Man muss es ja auch andersherum sehen. Also der Test gibt uns ja eigentlich ein größeres Sicherheitsgefühl. Natürlich ist es nicht so, dass da 100 Prozent sind. Das ist klar. Man rechnet da mit so einer 80prozentigen Zuverlässigkeit vielleicht. Aber insgesamt gesehen ist es einfach so: Wenn ich auf einer Hochzeit bin und mit jemandem tanzen will, den ich vielleicht vorher noch nicht kannte das soll ja auf Hochzeiten vorkommen. Und weiß, alle wurden vorher getestet, dann ist es einfach wesentlich besser. Ja, aber wer soll denn dann den Brautstrauß fangen, bitte schön? Wenn man Angst haben muss, dass das alle infiziert sind. Naja, und sie wissen ja auch, bei jeder Hochzeit ist es so: Man sagt doch immer, auf einer guten Hochzeit hat sich ein Paar getrennt und ein zweites gefunden. Auch diese ganze soziale Dynamik ist dann irgendwie weg. Deshalb würde ich irgendwie sagen: Lass uns doch diese technischen Hilfsmittel, die wir ha-

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ben und dazu gehören Masken, Tests, natürlich die Impfung als allererstes inzwischen. Lasst uns die doch benutzen, statt das genauso wieder zu machen wie bevor wir diese Dinge alle implementiert haben.


Camillo Schumann


Jetzt haben wir ja speziell über die Hochzeit, wir haben über den Innenbereich der Gastronomie gesprochen. Wie sieht es denn jetzt beim Friseurbesuch zum Beispiel aus, in der Kultur, Schwimmbäder? Wäre es da in Ordnung, oder sollte man sich, sage ich mal auf Orte kaprizieren, wo er nachweisbar klar ist, dass man sich anstecken kann?


Alexander Kekulé

Naja, also beim Friseur, meine ich, wenn man jetzt die Maske auf hat und keinen Test und die Inzidenz sehr niedrig ist, kann man das natürlich vorübergehend aufgeben. Andererseits: Wenn man niedrigschwellige Tests anbietet und die zur Verfügung hat, dann ist das ja eigentlich ein Klacks, das zu machen. Man kann ja vielleicht auch die Abstände ein bisschen vergrößern, dass man jetzt nicht mehr sagt das muss vom selben Tag sein, sondern dass man einfach sagt 48 Stunden. Ein negativer Test reicht. Da hat man ja dann sowieso ein Unsicherheitsfenster, quasi, was man in Kauf nimmt. Ich glaube, entscheidend ist immer für die Situationen, in denen man den Test brauchen kann oder behalten sollte: Wieviel Menschen sind wie lange im geschlossenen Raum zusammen. Also wenn sie wenig Menschen haben, die kurz zusammen sind, dann kann man darauf unter Umständen verzichten. Wenn sie aber lange beim Friseur sitzen und da wird ja auch üblicherweise ziemlich geschnackt. Vielleicht gibt es da ein Nord-Süd-Gefälle, das weiß ich nicht genau. Aber es ist auf jeden Fall so, dass beim Friseur doch das Mitteilungsbedürfnis groß ist. Das heißt, die Menschen sprechen die ganze Zeit, erzeugen Aerosole. Ich finde schon, das ist eine Situation, die sollte man weiterhin schützen. Da wäre ich eigentlich dafür, in der jetzigen Situation die Tests mal noch eine Weile zu behalten. Im Sommer wird es so-

wieso so sein, dass wir mit der Inzidenz in Bereiche kommen, wo man das dann nicht mehr braucht. Aber ob man es jetzt sofort aufgeben muss, also ich wäre da, glaub ich, vorsichtiger. Aber das ist schwer zu entscheiden. Also, ganz einfach ist es, wenn Sie sagen: Hundert Leute in einem Raum zusammen. Ja, also das Beispiel „Hochzeit“ ist leichter zu entscheiden. Das geht meines Erachtens nicht. Wenn sie einen Frisiersalon haben, wenn dann auch noch die Fenster offen sind im Sommer und die haben Masken auf. Dann kann man natürlich fragen: Braucht man zusätzlich die Tests? Also irgendwo dazwischen ist die Grenze, wo man die Entscheidung treffen muss.


Camillo Schumann


Ganz kurz, weil sie gesagt haben, dann wird es eine Inzidenz geben, da braucht man sie nicht. Was wäre das für eine?


Alexander Kekulé

Naja, wenn sie im Sommer jetzt mal nehmen wir mal an, wir würden bundesweit irgendwo unter zehn liegen und das stabil. Dann würde man natürlich schon sagen: „Also, wir sind jetzt in dem Bereich, wo das eine langsam seltene Erkrankung ist.“ Ja, und dann Inzidenz von zehn pro 100.000 in sieben Tagen. Das ist natürlich wirklich dann nicht mehr so viel und das wäre so ein Bereich, wo man sagen muss: Das kann man dann wahrscheinlich lockern an der Stelle.


Camillo Schumann


Nicht nur die Testpflicht fällt weg, auch die Homeoffice-Pflicht für Arbeitgeber vermutlich Ende des Monats. Dann läuft auch die CoronaArbeitsschutzverordnung aus. Die FDP möchte die Homeoffice-Pflicht lieber heute als Ende des Monats abschaffen. FDP-Generalsekretär Volker Wissing dazu im ZDF-Morgenmagazin:

Volker Wissing

Die Infektionszahlen gehen deutlich zurück, die Gastronomie öffnet, und es macht ja keinen Sinn zu sagen Biergarten geht, Büro geht nicht. Also Regeln müssen immer den veränderten Umständen angepasst werden und die Homeoffice-Pflicht ist eine große Belastung für die

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Wirtschaft. Wir dürfen jetzt nicht unnötige Belastungen unnötig lange fortführen. Regeln dürfen kein Selbstzweck sein.


Camillo Schumann


Dazu haben wir eine Frage einer unserer Hörerinnen Frau Schmidt aus Bielefeld: Wie stehen Sie dazu, dass die Homeoffice-Pflicht Ende Juni wegfallen soll? Ich selber arbeite im öffentlichen Dienst. Wir Mitarbeiter sind alle von Berufs wegen her seit einigen Wochen in der PrioGruppe drei. Die Möglichkeit zur Impfung hatten bisher nur die wenigsten. Nun plant wohl unsere Geschäftsführung die Rückkehr für alle aus dem Homeoffice zum 01.07. Ich persönlich finde das fatal, weil einfach noch nicht jeder die Chance hatte, sich impfen zu lassen. Und ich habe Sorge, dass es wieder vermehrt zu Ausbrüchen kommt. Über ihre Einschätzung würde ich mich freuen. Viele Grüße, Frau Schmidt aus Bielefeld.


Alexander Kekulé

Naja, das sind letztlich 2 verschiedene Überlegungen, das geht ja hier immer um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ja, das ist ja auch ein Verfassungsgebot. Und natürlich gibt es auch die Freiheit im Arbeitsleben, letztlich für den Arbeitgeber und für die Leute, die Geschäfte machen wollen, das so zu machen, wie sie wollen. Es ist ja auch grundgesetzlich geschützt, die Berufsfreiheit. Und auf der anderen Seite eben die Frage: Wann muss der Staat eingreifen und das beschränken? Und mit dieser Grundfrage hat die FDP natürlich schon recht, dass er sagt: Diese Frage, die darf man nicht außer Acht lassen. Der Vergleich da in dem O-Ton zwischen Biergärten und Büros war natürlich unglücklich, weil das eine draußen und das andere drinnen ist. Aber wenn man das mal außen vor lässt, ist es letztlich so. Also eine gesetzgeberische Pflicht, sozusagen, das Homeoffice anzuordnen, so wie wir es bis jetzt haben. Die ist natürlich nur gerechtfertigt, wenn da wirklich eine hohe Infektionsgefahr besteht. Das heißt, wenn wir jetzt mit der Inzidenz weiter fallen im Moment ist es ja auf einem guten Weg kommt irgendwann der Punkt, wo man sagen muss: Das kann man

jetzt eigentlich sozusagen von der Abwägung der Grundrechte nicht mehr verantworten. Also, der Staat greift ja quasi in das Leben der Menschen an der Stelle ein. Und das finde ich sehr gut, dass wir da im Rechtsstaatsprinzip eigentlich immer sagen: Dafür muss es wirklich einen knallharten Grund geben. Auch nicht nur irgendwie so Wischiwaschi, sondern das muss wirklich sehr, sehr konkret sein. Da gab es ja eigentlich schon Grenzfälle, wo man die Frage stellen musste: War das denn wirklich so? Also wenn ich jetzt zum Beispiel an die Schließung der Außengastronomie denke und Ähnliches. Oder Maskenpflicht in Innenstädten im Freien. Und der Übergang müsste eigentlich der sein, dass man es in eine Empfehlung umwandelt, also dass man sagt, wo immer es möglich ist, empfehlen wir weiterhin das Homeoffice. Aber ich glaube, eine echte gesetzgeberische Verpflichtung kann man rechtfertigen, wenn wirklich die Inzidenz hoch ist.


Camillo Schumann


Also jetzt nicht die Fortführung über den 01.07. hinaus. Auch wenn, wie Frau Schmidt aus Bielefeld anmerkt, auch ein ja doch noch größerer Teil der Prio-Gruppe drei noch nicht geimpft ist.


Alexander Kekulé

Ja, man kann nicht die Impfung da als Maßstab nehmen. Weil sonst müssten wir ja wahrscheinlich noch sehr, sehr lange das Homeoffice haben. Ich glaube, eine Empfehlung hat auch einen anderen positiven Impact. Es ist ja so: Viele haben ja in der Wirtschaft eigentlich auch erkannt, dass das Vorteile hat. Auch die Unternehmen selber. Ja, wenn ich mal denke, wie sich die Reisekosten reduziert haben, auch die Krankheitstage natürlich reduziert haben, weil die Leute sich auch nicht mit anderen Sachen mehr anstecken. Das ist schon so, dass unser Arbeitsleben sich da ein bisschen verändert hat. Und ich glaube, selbst wenn man jetzt diese Pflicht weglässt, dass da eigentlich durch diese Corona-Pandemie Dinge passiert sind. Die sind wohl nicht reversibel. Also ich glaube, da ist so eine Art Katalysator-Effekt eingetreten

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durch die Pandemie, dass sich Dinge, die in unserem Wirtschaftsleben, auch in unserem privaten Leben sowieso schon angebahnt haben, wo wir eigentlich schon geahnt haben: So ist es eigentlich nicht optimal. Die haben jetzt einen großen Sprung nach vorne gemacht, sozusagen zehn Jahre weiter, als man es sonst gewesen wäre. Und eins davon ist eben die Frage im Arbeitsleben: Muss ich immer für alles im Büro sitzen, damit man quasi kontrollieren kann, dass ich da bin. Oder ist es nicht vielleicht unter Umständen für den Arbeitgeber auch ganz effizient zum Teil Homeoffice zu haben? Das spart sich ja auch Kosten an der Stelle.

2 1:02 


Camillo Schumann


In der Corona Pandemie, um jetzt mal so ein paar Zahlen zu nennen, arbeiten über 10 Millionen Beschäftigte ausschließlich im Homeoffice, weitere 8 Millionen arbeiten teilweise im Homeoffice. Das sind in Summe 45 Prozent aller Berufstätigen. Das sind Zahlen des Branchenverbandes bitkom und die bitkom, die hat auch mal gefragt: Na ja, wie sieht’s denn danach aus? Und das ist auch sehr erstaunlich. Jeder zweite möchte nach der Pandemie weiter im Homeoffice arbeiten. Also das hat sich offenbar sehr durchgesetzt und positiv ausgewirkt. Jetzt gerade mit Blick auf die Verbreitung von Viruserkrankungen: Wäre das nicht auch so ein dauerhaftes Homeoffice eine gute Waffe gegen die Verbreitung von Viruserkrankungen? Wenn so viele Menschen zu Hause sind?


Alexander Kekulé

Das hätte natürlich Vorteile. Aber da gilt für mich das Gleiche, wie ich vorhin schon mal angedeutet habe. Also, wir sollten uns jetzt nicht als Gesellschaft quasi zum Getriebenen des Virus machen. Also es hat auch sehr viele Vorteile, zusammen zu sein im Büro. Gerade bei kreativen Prozessen, wo man Dinge entwickeln muss. Im künstlerischen Bereich ist es völlig unmöglich, das alleine zu machen. Außer man ist Einzelkünstler, sowieso. Aber stellen Sie sich eine Theatercrew vor. Also wenn die da vorher üben müssen per Zoom. Das geht irgendwie

auf Dauer gar nicht. Wie Sie sagen, eben dieser Wunsch, zu Hause zu sein, das ist auch ein Lebensstil. Also, es gibt ja jetzt schon die Tendenz, dass die Immobilien auf dem Land teurer werden, weil die Leute einfach erkannt haben: Ich muss ja gar nicht in der Stadt sein, also weder fürs Shopping noch fürs Arbeiten. Ich kann ja irgendwie alles von zuhause machen. Und ich glaube, das wird ein Trend sein, der ganz lange noch nach dieser Pandemie anhält. Weiß jetzt nicht, ob das nur positiv ist. Aber mal so als ersten Aufschlag würde ich sagen, im Sinne von Ressourcenschonung könnte es sein, dass das eigentlich eine positive Entwicklung ist.


Camillo Schumann


Nochmal die Frage: Wenn jetzt, sag ich mal, die Hälfte der Berufstätigen da, wo es geht und wo es ja auch Sinn macht, zuhause sind. Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen. Mit Blick auf Viruserkrankungen, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, würde sich das epidemiologisch auswirken? Was meinen Sie?


Alexander Kekulé

Ja, das würde sich natürlich schon auswirken. Das ist klar. Wenn man also die Leute wieder zurückschickt, wird es eine gewisse Zunahme an Infektionen geben. Frage ist, ob die sich sozusagen durchschlägt bis zur Sterblichkeit und bis zum Anteil der schweren Erkrankungen. Ich glaube, diese ganze Homeoffice-Diskussion muss man einfach selektiv machen. Es ist doch so: Der Bereich, wo wir die Infektionen jetzt hatten, zuletzt noch, das waren ja nicht die, die im Homeoffice sitzen. Und das sind auch nicht die, die jetzt zurückkommen, sondern da war ja das Problem, dass man dort nicht nachgeschärft hat in ganz vielen Bereichen. Und es ist auch so, dass sie im Büro natürlich nicht nur mit Impfungen, sondern auch mit anderen Maßnahmen verhindern können, dass es massenweise Infektionen gibt. Das Problem ist nur, das ist ja nicht gemacht worden. Also letztlich war das Homeoffice ja in gewisser Weise die Ultima Ratio, weil die Arbeitgeber trotz guten Zuredens nicht dazu zu bringen waren, ihre Menschen am Arbeitsplatz zu

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schützen. Und weil das nicht funktioniert hat, weil man eben keine Tests gemacht hat, keine Masken hatte. Und auch sonst ist allerdings alles relativ lax gesehen hat, wenn die Rollos rund unten waren. Und deshalb musste dann das Homeoffice letztlich herhalten, auch als Verpflichtung. Das hätte man auch anders lösen können, zumindest in vielen Betrieben. Und da sehen wir halt, das ist schon auch etwas, was wir in dieser Pandemie gelernt haben: Mit diesen positiven Empfehlungen, mit dem guten Zureden hat leider vieles eben nicht funktioniert. Ja, wir hatten immer mal wieder so Empfehlungen, die ganz vernünftig gewesen wären. Aber erst wenn der Gesetzgeber sozusagen dann ein richtiges Instrument in der Hand hat, dann geht‘s. Die Empfehlung, die Altersheime zu schützen, war ja auch so ein Ding. Da waren die Instrumente, lagen auf der Hand. Die Schnelltests hätten wir einsetzen können, seit letztem April 2 02 0. Ist auch nicht gemacht worden. Und dann hat man dann immer am Schluss sozusagen immer nur das nächst schärfere Mittel, um irgendwie noch das gleiche Ziel so halbwegs zu erreichen. Und ich sehe letztlich diesen Zwang zum Homeoffice auch so. Dass man jetzt alle, die jetzt eigentlich keine Vorteile davon haben, dazu nötigt, ist eigentlich ein Armutszeugnis. Andererseits glaube ich, ganz ehrlich gesagt also, ich arbeite auch in einem großen Unternehmen. Wir können nicht ins Homeoffice, weil wir ja im Labor sind. Aber es ist natürlich schon so, wenn man sich das anschaut. Es gibt sicherlich auch Arbeitnehmer, die finden es einfach gemütlicher zu Hause. Und es gibt so die eine oder andere Verwaltung ich rede jetzt natürlich auf keinen Fall über meine eigene wo es schon auffällig ist, dass die Leute, seit sie im Homeoffice sind, überhaupt nicht mehr zu erreichen sind. Vorher war es schon schwierig, und jetzt ist es zum Teil unmöglich. Da war halt dann immer gerade die Skype-Verbindung nicht in Ordnung, oder die Weiterleitung hat nicht funktioniert. Früher hat es dann immer „Tut tut“ gemacht, da geht keiner ran. Jetzt ist es zum Teil so, dass die Leitung ganz tot ist, weil irgendwie

so ein technisches Verbindungsglied dazwischen nicht funktioniert. Ist natürlich klasse, wenn sie gerade im Garten sitzen und vier Stunden lang keiner anruft. Ist für bestimmte Homeoffices natürlich auch von Vorteil. Ich will das jetzt niemandem unterstellen. Aber ich glaube, man muss die beiden Seiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer natürlich da ausgewogen sehen.


Camillo Schumann


Sie sprechen sich aus nach der Pflicht, eine Empfehlung daraus zu machen. Nun sitzen ja, wie wir schon gesagt haben, gut 45 Prozent aller Berufstätigen aktuell zu Hause. Sollen die jetzt zum 01.07. zurückgeholt werden? Was meinen Sie? Soll das dann auslaufen? Bis wann sollten die dann wieder zurückkommen?


Alexander Kekulé

Das kann man epidemiologisch nicht beantworten. Ich glaube, das müssen die Firmen unternehmerisch beantworten. Man kann zum einen eben sagen es gibt gute unternehmerische Gründe. Das habe ich ja gerade versucht, so ein bisschen auszumalen, die Leute im Homeoffice zu lassen in einigen Bereichen. Und ich hoffe und glaube, dass es dort dann auch diese Überlegungen gibt, es tatsächlich zu machen oder einen größeren Teil Homeoffice zu machen. Oder nur noch einmal die Woche freitags Office-Day oder so etwas zu machen, je nachdem. Ich glaube, dass es in diese Richtung unserer Arbeitswelt sich in vielen Bereichen sowieso verändern wird. Und es gibt andere Bereiche, da ist es wahrscheinlich für die Arbeitgeber eine Zumutung und wird als solche empfunden. Insbesondere dann, wenn die Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen nicht mehr so produktiv sind. Da wird es sicher Studien geben, dass es jetzt noch überhaupt nicht mein Beritt. Aber da werden sicher Studien bezüglich der Produktivität im Homeoffice und im richtigen Office stattfinden. Und ich würde erwarten, dass es da branchenspezifische Unterschiede gibt.

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2 7:43


Camillo Schumann


Herr Kekulé, wissen Sie, was morgen startet?


Alexander Kekulé

Startet schon wieder irgendwas? Nein, weiß ich tatsächlich nicht.


Camillo Schumann


Herrlich. Bin ich froh, dass Sie das jetzt wirklich nicht wissen. Morgen startet die Fußball-Europameisterschaft.


Alexander Kekulé

Ah Mist, die Hälfte unserer Zuhörer haben wir jetzt verloren.


Camillo Schumann


Normalerweise ist das ja was, was ganz viele Menschen auf dem Schirm haben. Aber irgendwie ist so diese Euphorie für dieses sportliche Event wegen Corona doch sehr zurückhaltend. Sei es drum, es geht nun morgen los. Das erste Spiel: Türkei gegen Italien, Anstoß 2 1 Uhr in Rom. Das erste Spiel in Deutschland ist dann am 15. Juni. Das ist nächste Woche Dienstag in München. Dort treffen dann Frankreich und Deutschland aufeinander, tolles Spiel wird's. Nun gibt es diesbezüglich eine interessante Entscheidung des Bundestages auf Vorschlag des Bundesinnenministers, seines Zeichens ja auch für den Sport verantwortlich, nämlich, dass Beteiligte der Fußball-Europameisterschaft von den Quarantäneregeln bei Einreise ausgenommen sind. Dass nicht nur Fußballer dann von der Pflicht zur Anmeldung und Absonderung nach Einreise aus sogenannten Virusvarianten-Gebieten ausgenommen sind, sondern zum Beispiel auch Journalistinnen und Journalisten, die von den Spielen berichten, plus Entourage. Auch das für solche Gebiete eigentlich verhängte Beförderungsverbot gilt für diese Fälle nicht. Rund um die Veranstaltungen sollen aber strenge Schutz und Hygienekonzepte gelten. Klar. Was meinen Sie? Ist das eine Sonderbehandlung, die wir uns aus virologischer Sicht leisten können? Oder steckt darin möglicherweise ein unkalkulierbares Infektionspotenzial?


Alexander Kekulé

Das kommt darauf an, wie gut die Hygienekonzepte sind. Ich war ja wahrscheinlich einer der Ersten, die damals glaube ich, in der ARD Sportschau überhaupt gesagt haben als Virologe: Jawoll, man kann rein theoretisch, wenn man das will. Mit entsprechendem Riesenaufwand kann man zum Beispiel Fußballspiele jetzt ohne Publikum natürlich sicher machen. Es ist ja dann auch ein Konzept dazu entwickelt worden von der DFL. Und das deutsche Konzept war eins der ersten. Das ist international auch zum großen Teil übernommen worden, dieses COVID-Konzept der Deutschen Fußball Liga. Aber im Ergebnis muss man dann sagen hinten dran war es so: Es gab eben immer wieder Ausbrüche. Ja, wenn Sie denken, was da bei der italienischen Nationalmannschaft passiert ist und wieviel andere Beispiele es gab, wo man wirklich in der Mannschaft ganz viele Fälle hatte, wo man im Zusammenhang mit Spielen auch Infektionen der gegnerischen Mannschaft hatte. Also daher sage ich jetzt mal: Also diese Konzepte haben einfach Sicherheitslücken. Das ist kein Vorwurf an die, die es gemacht haben, sondern wahrscheinlich in der Umsetzung halt dann schwieriger, als man sich das vorher gedacht hat. Vielleicht auch, als ich mir das damals gedacht hab. Ich habe eher wahrscheinlich so die Bundesliga-Kicker im Auge gehabt, die in München-Grünwald in der Villa wohnen und eigentlich ohne weiteres in eine private Bubble eingeschlossen werden können. Aber das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Und jetzt denke ich bei der Europameisterschaft ist halt jetzt schon der Druck sehr groß. Wenn man diese Öffnung nicht machen würde, dass man die von der Quarantäne freistellt. Also so, wie ich es verstanden habe. Auch wenn ich, wie Sie gerade schon gemerkt haben, von Fußball nicht so viel verstehe. Also so wie ich es verstanden habe, ist es so, dass man das logistisch sonst gar nicht hinkriegt mit den EM-Spielen, weil wenn Sie da jedes Mal 14 Tage Quarantäne machen, wird das unter Umständen mühsam. Müssen sie dann A und B Mannschaften wahrscheinlich gegeneinander spielen lassen. Aber jedenfalls

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ist es letztlich die Frage: Nimmt man dieses Risiko in Kauf für den Sport, für diesen Sport? Ein Risiko ist auf jeden Fall da. Wenn sie mich als Epidemiologe fragen, sage ich: Ja, das ist ein kalkuliertes Risiko, was man in Kauf nimmt. Und hundert Prozent sicher können sie das nach den Erfahrungen, die wir jetzt im letzten Jahr gemacht haben können Sie das nicht machen. Sie haben immer einzelne Fälle, wo es zu Infektionen kommt. Und auch die Konzepte sind, sag ich mal, nicht ganz optimal. Ich habe ja selber das ist, glaube ich, bekannt für die Nordische Ski-WM das Hygienekonzept gemacht. Da hatten wir es wirklich im Griff, das ist alles auch leichter, weil es nicht so viele Teilnehmer waren. Weil es eine einmalige Veranstaltung war. Weil es im Winter war, vieles draußen. Aber ist es eben so, dass im Vergleich dazu beim Fußball es eine wesentlich höhere Anforderung ist. Und es ist nicht sicher. Nein, man kann diese EM-Teams und ihre Entourage nicht auf sichere Weise transportieren, sondern man muss sich fragen: Gehe ich dieses Risiko ein dafür, dass mir dieser Sport so wichtig ist?


Camillo Schumann


Und wir haben ja mehrere Corona-Fälle bei den Mannschaften Spanien und Schwedens. Die treffen ja dann am Montag in ihrem ersten Gruppenspiel aufeinander. Also, es gibt ja die Fälle. Ja, was kann man da machen? Also ist das etwas, wo wir jetzt sagen: Okay, wir wollen dieses Erlebnis haben. Wir wollen einfach mal nicht an Corona denken, auch wenn es direkt vor Ort ist. Und so ist es eben. Wir kalkulieren es halt mit ein.


Alexander Kekulé

Da fragen sie echt den falschen. Also ich als Epidemiologe. Ja, das ist so ähnlich, als wenn sie einen Arzt fragen: Darf ich nicht doch mal eine Zigarette rauchen? Klar ist es so, wenn jemand mal raucht oder ein wenig raucht, dann ist es wahrscheinlich so, dass statistisch das schwer nachzuweisen ist, wie groß das Risiko ist. Was ist mit dem berühmten Glas Wein am Abend oder der einen Flasche Bier pro Tag. Jeder Arzt wird immer sagen: Nein. Das ist so.

Und das heißt da muss man auf die andere Seite. Also auf der einen Seite steht die medizinische Beurteilung. Da muss man sagen, es ist ein Risiko, und das ist relativ sicher, dass es dadurch zu zusätzlichen Infektionen kommen wird. Ich vertraue auch ehrlich gesagt, nicht so diesen Hygienekonzepten dann wiederum von ausländischen Mannschaften. Es müssen ja quasi alle europäischen Mannschaften dann das wirklich, wirklich sehr ernst nehmen. Und man darf nicht vergessen, da geht es um viel Geld. Das ist Berufssport. Also ich habe das an verschiedenen Stellen nicht nur bei der Nordischen Ski-WM mitbekommen, mit wie harten Bandagen eigentlich die Sportler kämpfen müssen. Ja, also was die alles tun, um zum Beispiel nicht aufzufallen. Dass die COVID-positiv sind, obwohl sie es unter Umständen wissen, das sind Faktoren. Sie wissen ja auch, dass Doping ein Thema ist, was in dem professionellen Sport eine Riesenrolle spielt. Und Leute, die sich also mit Dopingmitteln, die also überhaupt null erprobt sind von irgendwelchen obskuren Ärzten vollpumpen lassen, damit sie bessere Leistung erzielen. Ich unterstelle das natürlich nicht dem deutschen oder dem internationalen Fußball. Aber dieser Mindset im Profisport, der ist beim Teil der Menschen einfach da, dass man da sehr weit geht, um Erfolg zu erzielen. Und dem steht halt dann jemand gegenüber, der da sagt mit so einem Tupfer: Mach mal einen Abstrich und hoffentlich ist der negativ. Also diese Möglichkeiten, die zum Beispiel die WADA, die Welt-Anti-Doping-Agentur hat, um Doping im Sport zu verhindern. Die sind ja viel weitreichender als das, was jetzt so ein COVID-Konzept irgendwie macht. Und darum glaube ich, das ist relativ klar, dass aus verschiedenen Gründen das kein sicheres Abwehrnetz sein wird, sondern wir werden einzelne Fälle haben. Und dann frage ich sie zurück: Wie wichtig ist der Fußball? Und in meinem Freundeskreis und dem, was ich in der Zeitung mitkriege, würde ich mal sagen in Deutschland ist der Fußball so wichtig, dass man kollektiv mehrheitlich der Meinung ist, dass man dieses Risiko eingeht. Und beim

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Stichwort Mehrheit haben sie auch schon wieder die Brücke zu dem Ereignis im September in Deutschland und wissen dann, dass das eigentlich nicht verhandelbar ist. Natürlich wird das gemacht, weil, egal welche Partei, die sagt, wir schaffen in Deutschland die Europameisterschaft ab, die wäre chancenlos. Ja, also das ist auch eine Art von Risikoabwägung ganz andere Art.


Camillo Schumann


Die UEFA, die hat ja auch darauf reagiert und erlaubt einen Spielerkader von nicht nur 2 3, sondern 2 6 Spielern. Können dann auch nachnominiert werden. Bis zu sechs Spieler. Und so eine Corona-Infektion wird offiziell wie eine Verletzung behandelt, also der Spieler, der tritt dann nicht an. Und da wird dann eben ein Spieler nachnominiert. Also da ist sozusagen jetzt schon ein Mechanismus entwickelt worden, wie damit umgegangen wird. Nur dann darf es natürlich nicht zu einem größeren Ausbruch kommen.


Alexander Kekulé

Das Problem ist einfach folgendes: Ich habe ja durchaus Einblicke in die Hygienekonzepte, die da gemacht werden. Und die Schwachstelle ist einfach folgende: Das Konzept heißt Bubble des Fußballkaders. Also jetzt mal rein die Mannschaft und ihr Umfeld hier: Das ist eine Bubble, das ist eigentlich die Idee. Eigentlich müssen Sie, wenn Sie ein Loch in der Bubble haben, also wenn einer positiv ist, da müssen Sie ja feststellen: Es gab beim Labor würde man sagen Containment Breach. Also, es gab eine Verletzung des Sicherheitssystems. Das heißt automatisch: Sobald einer positiv ist, müssen sie die ganze Mannschaft und die ganze Entourage, also Trainer, Masseure, Ärzte und so weiter komplett unter Quarantäne stellen. Wenn sie das machen, ist die Mannschaft raus. Dann können sie nicht sagen: Das ist, als wenn sich einer den Fuß gebrochen hat. Dann kommt eben der andere. Sondern dann ist einfach Schluss. Und das zieht natürlich keiner durch. Weil am Anfang hat man so in die Richtung gedacht. Dann hat man mal festgestellt:

Einzelne Fälle gibt immer mal wieder. Irgendeiner aus der Mannschaft war halt dann doch irgendwo auf einer Party und hat sich nicht an die Regeln gehalten, an die Bubble gehalten. Und an der Stelle ist einfach die Schwachstelle. Sie isolieren dann einen und die anderen haben doch beim Training und ständig überall mit dem Kontakt gehabt. Das können Sie ja gar nicht verhindern.


Camillo Schumann


Also, wenn wir jetzt die Spiele sehen, wissen wir: Okay, es kann Fälle geben, die nehmen wir in Kauf. Einfach, weil wir so fußballverrückt sind.


Alexander Kekulé

Ich sehe das letztlich so ja, aber ehrlich gesagt, ich sehe das auch nicht so bierernst, sondern wir haben ja viele Risiken, die wir uns leisten. Und das ist etwas, das leisten wir uns halt jetzt mal. So sieht es zumindest die Politik. Aber wie gesagt, wenn Sie einen Epidemiologen fragen, kriegen Sie da irgendwie eine Antwort, die sie gar nicht hören wollen.


Camillo Schumann


Ach doch, das hat mich schon interessiert. Wenn die Politik über Normalzustand spricht ab Herbst, dann ist es ja auch ein guter Zeitpunkt. Ich habe schon angekündigt, immer so ein bisschen Bilanz zu ziehen. Wie schwer hat COVID-19 die Welt eigentlich getroffen? Also wie stark hat sich das Virus auf die Todeszahlen wirklich ausgewirkt? Also wie viele Menschen sind mehr gestorben als üblich in dieser Zeit? Wie hat sich die sogenannte Übersterblichkeit entwickelt? Es gibt ja schon ein paar Studien und Berechnung gerade eine ganz aktuelle, von 2 jungen Forschern aus Tübingen und Israel. Die haben die Daten aus 94 Ländern ausgewertet. Bevor wir auf die Daten so eingehen: Wie sind diese Forscher vorgegangen? Die haben ja öffentlich zugängliche Daten genommen.

38:49


Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz interessant, das waren eigent-

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lich 2 Wissenschaftler, der eine aus Jerusalem, und der andere interessanterweise von einem Augenforschungsinstitut in Tübingen. Und die haben jetzt folgendes gemacht. Es gibt ja schon ganz lange alle möglichen Daten zur Sterblichkeit, weil man von Anfang an verstanden hat: Die Frage: Wieviel Übersterblichkeit es gibt durch COVID, also wie viele Menschen sind sozusagen zusätzlich gestorben? Tatsächlich, das wird ganz wichtig. Und da hat man ja schon angefangen. Also was weiß ich, im April letzten Jahres ist Eurostat gestartet, also eine europäische Datenerhebung. Hängt zusammen mit den Fällen in Italien, wo eben nicht klar war, ob das eine wirkliche Übersterblichkeit war oder ob nur die Hochaltrigen gestorben sind, die sowieso quasi plus minus vier Wochen rein statistisch gesehen ein hohes Sterbensrisiko hatten. Dann gibt's ältere Datenbanken des sogenannte UNdata ist so etwas. Ja, das benutzt die Weltgesundheitsorganisation, manchmal, die sind wahnsinnig langsam. Also, wenn die 2 Jahre später die Daten halbwegs komplett haben, ist man schon froh drüber. Und dann gibt es die sogenannte Human Mortality Data Base, dass es etwas was, glaub ich, mehrere Universitäten machen, die sich zusammengetan haben. Und das ist, glaube ich, von der Universität, von Berkeley und vom Max-Planck-Institut in Rostock. Die sind da glaube ich federführend. Und die haben dort jetzt schon vor einiger Zeit etwas gemacht. Das nennen sie Short Term Mortality Fluctuations Data des Tests also. Da geht es darum, dass man eben etwas hat, was kurzzeitige Veränderungen in der Sterblichkeit mitkriegt. Also was schneller ist letztlich. Das Problem bei den anderen Datenbanken ist, dass sie so langsam sind. Und diese Datenbank, die es schon gibt, die also andere gemacht haben. Ich glaube eben, Berkeley und das Max-Planck-Institut in Rostock zusammen. Das ist dieses demografische Forschungsinstitut dort. Diese wurde von den Autoren weiterentwickelt. Und sie haben zusätzlich insgesamt 50 weitere Länder da reingenommen. Also, Sie haben das erweitert um sehr viele Länder haben da interessanter-

weise dann auch Daten eben aus Zeitungen genommen. Ist ja so, dass die New York Times zum Beispiel eine berühmte Datenbank selber aufgelegt hat, weil sie eben diese Lücke erkannt hat, dass man gar nicht weiß, wie viele Menschen wirklich sterben, versuchen die das in Realtime. Das Wall Street Journal, glaube ich, auch. Und das Interessante ist jetzt eben, dass diese neue Datenbank, die da vorgestellt wird, die gibt schon eine Weile. Die ist auch schon übernommen, muss man sagen. Auch wenn das jetzt ein Preprint vom 4. Juni ist, ist die schon länger übernommen worden von verschiedenen Zeitungen. bei ihren Auswertungen. Bei Financial Times weiß ich, dass es übernommen ist und ist auch schon übernommen worden von dieser Datenbank, über die wir auch schon öfters gesprochen haben: Our World in Data. Das ist dieses Ding, wo eigentlich jeder nachschaut, wenn man wissen will, wie viele Leute sind jetzt an COVID wo gestorben. Also da ist es schon integriert, es ist nichts ganz Neues, sondern es ist jetzt eine Datenbank, die es schon länger gibt, die insgesamt 94 Länder auswertet, auf einem relativ zeitnahen Niveau und sehr große, tolle Fleißarbeit. Und da haben die eben jetzt mal die aktuellen Resultate vorgestellt.


Camillo Schumann


Also sozusagen ein sehr, sehr großer Datensatz, der dort sehr zeitnah ausgewertet wird und was ich besonders interessant fand. Was ich mich auch am Anfang gefragt habe: Wie ist das eigentlich? Jetzt gibt es ja nicht nur die normalen Todesfälle, also normal durch Erkrankungen et cetera plus dann COVID. Was man ja sozusagen die Differenz ausrechnen muss, sondern es gibt ja ganz viele Störfaktoren. Die haben ja auch ganz viele Faktoren herausgerechnet, die das Ergebnis am Ende dann beeinflussen. Zum Beispiel haben sie die Toten im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach ausgerechnet. Haben sie dann sehr großzügig für beide Seiten so um die 4000 Tote abgezogen. Dann wurden noch die Menschen, die durch die Hitzewelle in Belgien, Niederlanden, Frankreich und Deutschland gestorben sind auch rausgerechnet. Also

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so was muss man ja machen, um dann, ich sag mal, eine valide Aussagen treffen zu können.


Alexander Kekulé

Was sie da nennen, ist eine der Schwachstellen von diesen Studien immer. Auch diese aktuelle hier, dass man da 2 Datensätze hat, wo man bei beiden nicht genau weiß, wie hoch die Zahlen sind. Es weiß ja keiner wirklich, wie viele an der Hitzewelle genau gestorben sind, weil das auch schon so eine Art Excess Mortality war. Also diese Übersterblichkeit ist ja eben immer der Vergleich mit früheren Perioden, die angeblich vergleichbar sind, wo man sagt okay, damals sind in diesem Zeitraum so und so viele Leute gestorben, pro Bevölkerung natürlich immer und pro Altersgruppe. Und wie hat sich das verändert während der Grippewelle oder während der COVID-Welle? Und was weiß ich, wenn sie jetzt die Grippesaison 2 017/18, die wird ja immer angeführt. Da hatten wir 2 5.100 an Übersterblichkeit, die angeblich sozusagen durch die Grippe im weiteren Sinne gestorben sind. Natürlich hatten die nicht alle einzeln Influenza-Tests, die positiv waren. Aber da hat man einfach gemeint das sind die Grippetoten. Und wenn man sich in dem Jahr, wo diese Grippe besonders gewütet hat, in Europa die Daten von der europäischen solchen Agentur ECDC ansieht, dann ist es so, dass die sagen, dass zu der Zeit, wo diese Grippe da gewütet hat, 53 Prozent, also über die Hälfte der Intensivpatienten in Deutschland, Influenza-Patienten waren. Das muss man sich mal erinnern. Es ist also durchaus schon ein spektakuläres Ereignis gewesen, wenn über die Hälfte aller Intensivpatienten in Europa Influenza haben. Und damals war es ja so, dass also auch die Übersterblichkeit bei der Influenza bei den über 45-Jährigen ganz eindeutig riesengroß war. Das ist in diesem EuroMOMO -was wir auch schon einmal besprochen haben: EuroMOMO, eine europäische Datenbank ist es dokumentiert. Und daher ist es sehr, sehr schwierig aktuelle und frühere Zeiten zu vergleichen. Wir haben immer diese Verzögerung bei der Registrierung. Das ist aber hier bei dieser Datenbank wohl ganz gut. Und schwierig ist es eben immer zu sagen: Wie ist

es eigentlich mit diesem Kompensationseffekt? Die Epidemiologen nennen das gemeinerweise Harvest Effect, also Ernte-Effekt. Das heißt eben, wenn jemand stirbt, der sowieso schon, wo der Sensenmann sowieso schon neben dem Bett gewartet hat. Und dann stirbt er und hatte eben auch noch COVID. Und dann ist eben so ein bisschen die Frage: Wie rechnet man das in diesen Übersterblichkeiten ein? Mit anderen Worten: Wieviel Plusminus-Wochen gibt man da sozusagen, um zu sagen, das war zu diesem Zeitpunkt eine echte Übersterblichkeit. Das alles zusammen ist ein interessanter Datensatz, der so ein paar Sachen klar zeigt. Und wo ich glaube, das ist eine Basis, auf der wir die nächsten 2 Jahre mindestens noch weiter diskutieren werden über die Frage: Wieviel haben eigentlich die ganzen Maßnahmen gebracht? Und wie viel haben Sie geschadet? Also welche Sekundärschäden hatten wir letztlich? Und das ist aber eine Diskussion, die wird jetzt erst begonnen.

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Camillo Schumann

 Wir können uns ja mal aus diesem Datensatz 2 Beispiele herausnehmen: Deutschland und Schweden. Wie hat sich COVID-19 auf die Exzess-Mortalität bei uns, also in einem Land mit Maßnahmen und Schweden, einem Land, das erst keine und dann sehr späte Maßnahmen auch gar nicht so umfangreich – ergriff, ausgewirkt? Wie würden Sie es vergleichen?


Alexander Kekulé

Ja bei dieser Datenbank ist es so, wenn man da einfach mal reinschaut: Die haben immer 2 ganz interessante Sachen gemacht. Sie haben erstens die tatsächliche Übersterblichkeit, Excess Mortality, angeschaut und zweitens haben sie aber auch die offiziell gemeldeten Zahlen sich angeschaut. Das sind nämlich 2 unterschiedliche. Und da haben schon mal Deutschland und Schweden gemeinsam, dass bei uns interessanterweise wesentlich mehr Fälle gemeldet wurden als COVID-Fälle als die wirklich rechnerische Übersterblichkeit war. Also Deutschland zum Beispiel offizielle Meldung zu dem Zeitpunkt, wo sie das ausgewertet haben: 87.000 Tote in der Summe durch

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COVID. Aber die echte Excess Mortality, die echte Übersterblichkeit, wenn man jetzt sozusagen die gleiche Rechnung wie damals bei der Influenza ansetzen würde: 36.000. Also nochmal zum Vergleich: Influenza war 2 5.000 damals bei dieser schweren Welle. Und jetzt sagen die also 36.000 bis jetzt ist die Übersterblichkeit in Deutschland. So etwas ist immer fehlerbehaftet. Also ich würde sagen, es ist schon klar, dass es mehr ist als die Influenza-Saison 17/18. Aber es ist jetzt nicht so signifikant mehr, dass man aus den Zahlen allein rauslesen könnte, dass es ein viel schlimmeres Ereignis ist. Wir hatten eine Zunahme der Sterblichkeit von plus vier Prozent in Deutschland. Damit sind wir genauso wie zum Beispiel Griechenland. Die gleiche Erfolgsbilanz wie Griechenland haben wir. Auch die gleiche Erfolgsbilanz wie Kalifornien, wie Kanada, um die zweimal zu vergleichen. Und in Schweden war es eben so, dass die Sterblichkeit nicht um vier Prozent hochgegangen ist, sondern um zehn Prozent. Also die hatten dann das kann man ja absolut nicht so gut vergleichen wenn man es auf die Bevölkerung mal anschaut, sind bei uns 40 gestorben pro 100.000 und in Schweden 90 pro 100.000 also mehr als doppelt so viel pro Bevölkerung. Und die Sterblichkeit ist hochgegangen durch COVID um zehn Prozent, bei uns nur um vier Prozent. Da würde ich schon sagen, dass es zulässig ist, an der Stelle zu sagen, dass die deutsche Methode, Leben zu retten, hier in dem Fall effektiver als die schwedische.


Camillo Schumann


Wir haben gerade Deutschland mit Schweden verglichen. Was ist Ihnen sonst aufgefallen?


Alexander Kekulé

Ja, also das ist natürlich ein interessanter Steinbruch, in dem man so schürft, kann man stundenlang lesen in diesen Tabellen. Also das eine ist, in den USA haben die richtig schlecht abgeschnitten. Da ist die Sterblichkeit um 2 1 Prozent hochgegangen. In Deutschland wie gesagt um vier Prozent. Also das ist so ein Beispiel, wo es echt schiefgelaufen ist. Die haben 190 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Aber vielleicht

für die Deutschen interessant: Nicht nur die Schweden standen schlechter da als wir, sondern zum Beispiel auch Frankreich und Italien. Also die Franzosen bei zehn Prozent, elf Prozent. Die Italiener, glaube ich, noch ein bisschen schlechter. Ist also die Zunahme der Sterblichkeit durch die COVID-Pandemie bisher. Und das heißt also letztlich, dass auch ein Land wie Frankreich das finde ich deshalb ganz interessant in der gleichen Größenordnung wie Schweden liegt, obwohl die Franzosen ja nun wirklich nicht so ein Laissez-faire gemacht haben an der Stelle. Sondern, wenn ich mich erinnere, ganz am Anfang: Der Lockdown in Frankreich war ja viel strenger als in Deutschland, das war ja damals das Plädoyer, wenn ich mich richtig erinnere von Christian Drosten und mir relativ einhellig, dass wir gesagt haben, wir können die Menschen nicht in die Bude einsperren. Und zum Glück hat die Politik das dann nicht gemacht. Dass bei uns man also noch rauskonnte, nicht nur mit dem Hund, sondern auch so. Und das ist ja in Frankreich nicht so gewesen. Und trotzdem haben die eigentlich ein ähnlich schlechtes Ergebnis wie Schweden. Also das finde ich interessant, dass die Franzosen da wirklich so schlecht abgeschnitten haben. Wer hier in unserem direkten Umfeld die Stars sind, sind die Dänen. Also in Dänemark ist es so: Die haben -1 Prozent. Oder andersherum gesagt: Die Exzess-Sterblichkeit war minus 730 Tote. Das heißt, da sind weniger Menschen gestorben als sonst. Das sind eben die Effekte, die man immer berücksichtigen muss. Dadurch, dass alle Masken haben, Abstand halten und so weiter, gehen halt die Infektionskrankheiten runter. Und die Menschen sind insgesamt natürlich in so einer Situation, wo man weiß, jetzt ist so eine Pandemie unterwegs, auch gesundheitsbewusster. Also die gehen dann schneller zum Arzt, wenn es irgendwelche Symptome haben, weil sie denken: Auweija, vielleicht ist das COVID. Und das sind wahrscheinlich die 2 Haupteffekte, die dazu führen, dass es immer auch einen Gegeneffekt gibt. Also dass man quasi eine negative Übersterblichkeit heißt es dann bekommt.

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Und in Dänemark hat die richtig durchgeschlagen. Für jemanden, der jetzt noch sich richtig deprimieren will: Die größte negative Übersterblichkeit hatte Taiwan. Da ist die Sterblichkeit durch die Pandemie um vier Prozent runtergegangen, genauso wie sie bei uns um vier Prozent rauf ist. Und die hatten insgesamt nach dieser Aufstellung Achtung die offizielle Zahl der Toten gemeldet: Zehn. Also kein Schreibfehler: Eins-null. Zehn Tote. Und die hatten eine Excess Mortality, also die Übersterblichkeit im Rahmen der Pandemie von 7100, und zwar negativ. Also da sind 7100 Menschen weniger gestorben, als man das statistisch erwartet hätte. Also, das heißt, man kann durch Gesundheitsmaßnahmen, Maskentragen und so eben wie im Fall von Taiwan über so eine Pandemie hinweg dann gut 7000 Leben retten oder 30 pro 100.000 Einwohner. Ungefähr in der Größenordnung ist das umgerechnet. Und das spiegelt so ein bisschen zurück zu Ihrer Frage von vorhin, wenn wir jetzt die Maßnahmen weiter durchziehen, weiter Masken haben und so weiter. Auch wenn die Pandemie vorbei ist, dann würden wir wahrscheinlich in der Größenordnung 2 0, 30 Tote pro 100.000 verhindern pro Jahr. Frage ist halt einfach: Will man sich das antun, in dem Zusammenhang. Aber das kann man natürlich diskutieren.


Camillo Schumann


Sehr interessante Studie. Wer Lust auf Grafiken hat und selber mal so ein bisschen vergleichen möchte, der kann sich die anschauen. Alle Studien, die wir hier im Podcast besprechen, verlinken wir natürlich Ihnen in jeder verschriftlichen Version. Und die kann sich jeder herunterladen unter jeder Folge unter Audio und Radio auf mdr.de. Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Dame hat angerufen. Sie hat eine Frage zu einem Test, der nicht so verwendet wird, wie eigentlich sollte:

52 :2 0

Zuhörerin

Es geht um Corona-Nasentests. Manche verwenden ihn als Spucktest. Ob das auch die gleichen Ergebnisse bringt?


Camillo Schumann


Also der Nasentest, der als Spucktests verwendet wird. Einige Hörerinnen und Hörer haben diesbezüglich sich bei uns gemeldet. Was sagen Sie dazu?


Alexander Kekulé

Also man kann das natürlich machen. Aber das Problem ist: Vom Ablauf her ist es dann natürlich nicht standardisiert. Also rein der Test. Also das, was da stattfindet in dieser Kassette, wo dann eine oder 2 blaue Banden entstehen. Manchmal sind sie auch Rot. Das ist eigentlich der gleiche Test, da wird also nichts geändert. Nur das ganze Drumherum ist natürlich anders. Also man hat ja bei einem Spucktest, wenn der gut gemacht ist: Es gibt so ein Volumen, in dem man das aufnimmt, hinterher. Und dass ist darauf dann standardisiert. Die Flüssigkeiten, die dabei sind, sind sozusagen ein bisschen anders. Ganz deutlich ist es natürlich, wenn sie gurgeln müssen. Da haben Sie ja dann eine Flüssigkeit, mit der sie gurgeln, wo das Volumen bestimmt ist und Ähnliches. Darum würde ich jetzt eigentlich sagen: Wenn sie es ernst nehmen mit dem Test, sollte man den auch so machen, wie es in der Gebrauchsanweisung beschrieben ist. Aber natürlich rein technisch gesehen funktionierte so ein Nasentest, wenn man ihn als Spucktest ausführt, im Grunde genommen auch. Dann ist die ist die Wahrscheinlichkeit, dass man da von einer Sensitivität und Spezifität noch genauso gut ist, wie das der Hersteller angegeben hat, eben noch geringer. Also das ist klar, dass man da nicht genau auf die gleichen Qualitätswerte kommt. Allerdings muss ich sagen, wenn jetzt Fachleute das nachprüfen, was da so in den Packungen steht, kommt man sowieso oft nicht auf die angegebenen Werte. Das ist wahrscheinlich wie beim Auto mit der Höchstgeschwindigkeit, die man auch selten erreicht.

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Camillo Schumann


Oder Benziner mit CO2 -Ausstoß.


Alexander Kekulé

Benziner genau, eigentlich noch besser. CO2 Ausstoß ja, keine Ahnung, was die so messen. Und das ist einfach so: Wir sind hier immer in dem Bereich, da darf man sich nichts vormachen. Diese Tests haben einfach eine große Unsicherheit, gerade wenn sie eben selbst im Selbsttest durchgeführt werden. Und die sind eine zusätzliche Sicherheitsebene. Und eine solche zusätzliche Sicherheitsebene hat man auch wenn man den quasi illegal als Spucktest verwendet. Aber ich würde einfach davon ausgehen, dass es dann eben noch ein Ticken unsicherer ist als es sowieso schon war.


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 193. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem HörerfragenSpezial


Alexander Kekulé

Gerne. Bis Samstag, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie wollen auch was wissen? Eine Frage stellen? Dann schreiben Sie uns. An mdraktuellpodcast@mdr.de oder Sie rufen uns an. Das kostet nichts. 0800 32 2  00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und hören Sie doch mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein. Zum Beispiel kann ich Ihnen den Podcast Tabubruch sehr empfehlen. In der aktuellen Ausgabe geht es um Milene und Henry. Milan ist 18 und Henry ist 58. Beide sind seit gut einem Jahr verheiratet und wie so eine Liebe mit 41 Jahren Altersunterschied funktioniert sie hören es in Tabubruch.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag 08. Juni 2 02 1 #192 


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zur Sendung:


Studie: USA Krankenhauseinweisung von Jugendlichen von 12  bis 17 Jahren (04.06.2 02 1) Hospitalization of Adolescents Aged 12 –17 Years with Laboratory-Confirmed COVID-19 — COVID-NET, 14 States, March 1, 2 02 0–April 2 4, 2 02 1 | MMWR (cdc.gov)


Studie: Hunde erschnüffeln das Corona-Virus (2 4.05.2 02 1) Using trained dogs and organic semi-conducting sensors to identify asymptomatic and mild SARS-CoV-2  infections (lshtm.ac.uk)


Studie: Elektronische Nase „erschnüffelt“ das Corona-Virus (16.02 .2 02 1) https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2 02 1.02 .14.2 12 51712 v1


Dienstag, 08. Juni 2 02 1


Das Bundesgesundheitsministerium sagt: Bis Mitte Juli werden fast alle Impfwilligen eine Impfung erhalten haben. Mit Blick auf nicht Geimpfte und die Varianten: Was ist die Quote im Kampf gegen die Pandemie wert?


Dann: Covid 19 bei Kindern und Jugendlichen, neue Daten aus den USA.


Außerdem: Des einen Freud‘, des anderen Leid. Die WHO prangert eine skandalöse Ungleichheit bei der Verteilung der Impfdosen an.


Außerdem: Corona am Geruch erkannt, wie Hundenasen und elektronische Nasen das Virus erschnüffeln können.


Und: Sollte man zwischen 2 Impfungen oder nach der vollständigen Immunisierung in den Urlaub fahren?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Schauen wir uns gleich zu Beginn mal die Impfquote in Deutschland an. 46 % haben mindestens eine Impfdosis erhalten, davon sind fast 2 2  % vollständig geimpft, immer gemessen an der Gesamtbevölkerung. Wie bewerten Sie diesen Stand der Impfung?



Alexander Kekulé


Ja, es geht langsam voran, das muss man einfach optimistisch sehen. Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll.



Camillo Schumann



Jens Spahn hat heute getwittert wir wollen eine Impfquote von über 75 % erreichen und dafür müssen wir noch mindestens 15 Mio. Menschen überzeugen. Werden wir das schaffen?



Alexander Kekulé


Naja, das mit dem überzeugen, das klingt so ein bisschen ... Es ist ja nicht so, dass die Leute jetzt irgendwo in der Ecke sitzen, schmollen, und überzeugt werden müssen, sondern so wie ich das in den Nachrichten mitbekomme, drängen die in die Praxen, aber da gibt es nicht genug Impfstoff. Also dieses ‚überzeugen‘, da weiß ich nicht genau, wie politisch diese Aussage war, weil hier eigentlich, glaube ich, doch eher der Druck ist, dass von denen, die geimpft werden wollen (darunter sind auch viele aus den Risikogruppen, das darf man nicht oft genug sagen) (...), viele noch nicht geimpft sind und natürlich auch noch nicht vollständig geimpft sind.


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Camillo Schumann



Fakt ist, dass auch im Monat Juni die Impfdosen in rauer Menge dann auch vorhanden sind, in ‚rauer Menge‘ in Anführungszeichen, also deutlich mehr als in den vergangenen Monaten, bis zu 6 Mio. Impfdosen pro Woche. Hanno Kautz, Sprecher des Gesundheitsministeriums, wagt dazu mal eine Prognose:


„Wir gehen davon aus, dass 80 % aller Erwachsenen bis Mitte Juli geimpft werden können. Und bei der Annahme, dass 70 bis 75 % von den Erwachsenen sich impfen lassen, also Impfquote von 75 %, erreichen wir bis Mitte Juli eine Quote von 90 % der impfwilligen Erwachsenen.“


Also mal angenommen, diese Prognose stimmt, dass bis Mitte Juli fast alle Impfwilligen auch geimpft werden. Da bliebe ja noch ein Rest, die sich nicht impfen lassen. Und da gibt es ja auch noch die Impf-Durchbrüche, also Virusvarianten, die auf den Impfschutz, ich sage mal, pfeifen. Also was wäre diese hohe Impfquote wirklich wert?





Alexander Kekulé


Doch die ist schon sehr viel wert, weil einfach dann der epidemiologische Effekt anfängt. Das ist ja so, dass man eigentlich immer 2 Kriterien hat: Das eine ist, dass man die Sterblichkeit verhindern will. Das passiert mit den Impfungen jetzt schon in großem Stil. Und das Zweite ist, dass man eben zusehen muss, dass man die Epidemie bremst, also letztlich die bundesweite Inzidenz. Da ist es so, dass die Impfungen insofern Einfluss haben, als jetzt natürlich zunehmend auch Menschen geimpft werden, die sozial sehr aktiv sind und die sonst vielleicht einen hohen Beitrag zur Inzidenz leisten würden. Das muss man aber ein bisschen auseinanderhalten. Und dieser Impfeffekt, im Sinne von Epidemiologie, der mag jetzt gerade vielleicht anfangen. Aber wenn man solche Zahlen dann am Schluss aufruft, wie das der Herr Kautz gerade gemacht hat, dann ist sicher ein richtiger epidemiologischer Effekt, also das, was man immer Herden-Immunität nennt, nennen wir es mal einen Herdenschutz-Effekt, vorhanden.



Camillo Schumann



Aber schauen wir mal ins Ausland. In England z.B.: Die Briten, die waren ja, was die Impfungangeht, sehr weit vorne. Und da richten sich alle Blicke auf den 2 1. Juni, denn dann, so hatten auch viele gehofft, würden alle gesetzlichen Restriktionen zum Schutz vor Corona wegfallen. Aber angesichts der in Indien nachgewiesenen Delta-Mutante steht das Vorhaben dort jetzt aber so was von auf der Kippe. Was ist da los und könnte uns das auch drohen?



Alexander Kekulé


Ja, man schiebt es in England jetzt wieder auf die Delta-Variante. Also ich kann es nur noch mal sagen, wir haben immer eine Situation, dass sich die Epidemie in Wellen ausbreitet. Das ist immer und überall so gewesen, auch bei anderen Epidemien. Und dann, sozusagen im ersten Seuchenzug, wie man das ja früher genannt hat, erwischt es eben in diesem Fall häufig die Altenheime, Pflegepersonal, und in den weiteren Seuchenzügen kommen dann andere Subpopulationen dran. Das ist ganz normal. Kann man auch mathematisch zeigen, warum das so ist. Und hier ist es eben so, dass wir jetzt eine neue Welle haben, die wiederum Jüngere erfasste. Gerade in England haben wir viele Infektionen an Schulen, auch deshalb, weil die Schulen gerade geöffnet haben. So was Ähnliches sieht man in den USA übrigens auch nach den Schulöffnungen. Und da ist es so, dass jetzt die neue Variante, die eben gerade im Moment sozusagen die (...) schnellste ist [sich durchsetzt; Anm. d. Redaktion]. Matt Hancock, der Gesundheitsminister, hat ja gestern gesagt: Nach seiner Schätzung ist die 40 % ansteckender. Damit meint er die Infektionsverbreitung ist 40 % schneller, also das effektive R ist um 40 % höher. Und diese Variante, die setzt sich dann durch. Also es passieren quasi 2 Sachen, die man nicht vermischen darf: Das eine ist, dass die Viren untereinander ein Wettrennen machen, die sind ja auch im biologischen Wettstreit miteinander, also Virus gegen Virus. Diese Auseinandersetzung gibt es durchaus, und da möge der stärkste gewinnen, bei diesen Mini-Olympiaden, die da stattfinden. Und ganz klar die sogenannte indische Variante, die jetzt politisch korrekt Delta heißen soll, die ist schneller bei der Ausbreitung und deshalb setzt die sich durch. Aber die ist deswegen nicht der Grund, dass man überhaupt noch Infektionen hat. Sondern der Grund, dass man Infektionen hat sind 2 Dinge: 

  1. Das eine ist: Selbst in Großbritannien, wo man bei 60 % einfach geimpften ungefähr liegt, sind dann nach Adam Ries 40 % eben noch gar nicht geimpft. Und das ist ja doch eine stattliche Zahl von Menschen. Bei uns in Deutschland sind es noch mehr. Und diese gar nicht geimpften, die sind eben die, die natürlich dann für das Virus empfänglich sind und da kann sich das Virus ausbreiten. Das passiert im Moment gerade in England. Die Frage, die wir jetzt alle natürlich mit großem Interesse beobachten ist: Wird die Sterblichkeit wieder anziehen? Weil in England haben wir die Situation: Neues Virus, aber nicht erhöhte Sterblichkeit bisher. Absolut nicht, es gibt keine Indikatoren, die in diese Richtung gehen. Und jetzt gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder hat man durch die Impfung vieles eben schon abgepuffert, also quasi die Sterblichkeit reduziert, weil man ja auch in England die alten Menschen und die Risikogruppen zuerst geimpft hat, oder es (...) könnte sein, dass das mit ein, zwei, drei Wochen Verspätung dann erst kommt, mit der Sterblichkeit. Da wird sich am Donnerstag das einschlägige Team da treffen, dieses SAGE-Komitee, das heißt Scientific Advisory Group for Emergencies. Das trifft sich am Donnerstag. Und am Freitag, glaube ich, soll die nächste Beurteilung von Nervtag kommen, also immer diese offiziellen staatlichen Beurteilungen. Und da werden die vielleicht schon eine erste Analyse wagen, inwieweit welche der beiden Theorien jetzt stimmt. Ob jetzt diese Mutante, wenn man so sagen darf, gefährlicher ist oder ob sie nur schneller ist.



Camillo Schumann



Noch einmal kurz zurück auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit, weil sie gesagt haben 40 %. Wo liegen wir denn da jetzt eigentlich? Also wo ist denn R jetzt?



Alexander Kekulé


Na, das ist immer schwer zu sagen. Es ist eine gute Frage, weil das auch ein bisschen relativiert, weil es immer so politische Ansagen sind, wenn bspw. der britische Gesundheitsminister sagt, das ist 40 % höher, bzw. er sagt ja sogar infektiöser. Da muss man noch einmal rekapitulieren. Also, es gibt die reine Ansteckungsfähigkeit, sozusagen von Person zu Person. Die hängt mit der Dosis des Virus hauptsächlich im Rachen zusammen, vielleicht auch mit der Umweltbeständigkeit so eines Virus, und da wissen wir überhaupt nicht, ob dieses Delta wirklich gefährlicher oder infektiöser ist. Es gibt Hinweise, die in die Richtung gehen. Aber es kann genauso gut sein, dass die Menschen länger ansteckend sind oder dass es was mit den Gruppen zu tun hat, die infiziert werden. Aber wie auch immer ist es so, die Basiszahl, von der man ausgeht, ist eben sozusagen die vorherige Ausbreitungsgeschwindigkeit, die man beobachtet hat, bevor diese Variante sich durchgesetzt hat. Man kann das nicht wirklich direkt parallel vergleichen. Also ideal wäre es ja, man würde sozusagen, wie beim echten Wettrennen auf der Tartanbahn, die Leute nebeneinander, also die Viren, genau parallel starten lassen und gucken, wer geht schneller durchs Ziel. Am besten noch mit Stoppuhr. Das geht aber nicht, denn dann müssten sie ja genau vergleichbare Populationen haben, die sich in gleicher Weise an die Maßnahmen halten, die gleichermaßen empfänglich sind und ein ähnliches Verhalten haben. Bei den einen breitet sich die indische Variante aus, Entschuldigung für die politische incorrectness. Bei den anderen breitet sich die britische Variante aus, nochmal Entschuldigung, auch dafür. Und es ist so, wenn Sie quasi den Wettlauf Indien gegen Großbritannien hätten (in einer gut definierten Population), dann könnten Sie sagen, wer wirklich schneller ist. Da das aber immer unterschiedliche Populationen und auch verschiedene Zeiträume sind, die Sie vergleichen, spielen natürlich andere Faktoren eine Rolle. Z.B. hat man die Schulen geöffnet? Welche Altersgruppe ist betroffen? Wie ist die psychologische Stimmung im Land? Und in England, wie Sie richtig sagen, warten die im Moment alle darauf, dass wie angekündigt im Juni (das ist ja bald in knapp in 2 Wochen, wenn ich es richtig sehe) die Maßnahmen fallen gelassen werden. Die ganzen Vorschriften. Und ich bin sehr gespannt, ob sie das einhalten können.


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10:40



Camillo Schumann



Nochmal kurz nachgefragt wegen der Ausbreitungsgeschwindigkeit. Man ist ja immer davon ausgegangen, dass R so bei 3 liegt. Nur zum Vergleich: Masern, glaube ich, bei 18 oder 2 0. Wie viel höher als 3 ist es denn so ungefähr? Was wird denn da so gerätselt?



Alexander Kekulé


Wenn man jetzt die 3 als Basis nehmen würde, das kann man aber im Moment gar nicht mehr so sauber berechnen, weil die Zahlen dafür viel zu klein sind. Man kann so etwas wirklich nur in einer epidemischen Welle mit sehr großen Zahlen berechnen oder hinterher. Meistens weiß man es hinterher besser. Aber gut, 3,0 plus 40 % wäre natürlich in dem Fall dann schon >4. Das würde ich, selbst als Mediziner, schon so im Kopf versuchen zu rechnen. Aber das wäre schon ein deutlicher Unterschied. Also, das muss man sagen, 40 % mehr Verbreitungsgeschwindigkeit de facto ist natürlich ein wesentlicher Unterschied. Das macht eben bei der Geschwindigkeit der Ausbreitung, bei dem, was man misst, sozusagen an Inzidenz, einen Unterschied. Aber mir ist immer wichtig zu sagen, weil immer so vor diesen Varianten gewarnt wird: Das Virus verändert sich ständig. Das können wir letztlich entspannt uns anschauen. Diese indische Variante, hatte ich, meine ich, auch vor vielen Monaten mal vorhergesagt, dass die kommen würde. Und da sage ich mal in gewisser Weise: Was soll‘s?


Ja, wir müssen unsere Gegenmaßnahmen ergreifen. Und solange wir die ergreifen, wirken die gegen alle Varianten. Und es gilt ja wohl auch für die Impfungen. Die sind auch noch zumindest halbwegs wirksam bei diesen neuen Varianten.



Camillo Schumann



Aber die Varianten, gerade jetzt Großbritannien, treffen auf eine Population, die doch recht großen Impfschutz schon genießt. Trotzdem denkt man darüber nach, möglicherweise die eine oder andere Lockerung dann wieder zurückzunehmen oder überhaupt nicht erst zu lockern. Müsste da nicht möglicherweise auch der Fokus verschoben werden, also weg von der Zahl der reinen Inzidenz und den Neuinfektionen, nur auf die Sterblichkeit zu schauen? Weil sonst ist das ja ein Teufelskreis.



Alexander Kekulé


Ja, das wird inzwischen international auch genauso diskutiert. Komischerweise erst seit kurzem bekomme ich das mit, dass das jetzt auch Kollegen aus dem Ausland wirklich ganz offen sagen: Wir können uns eine gewisse Inzidenz leisten. Sie sagen tolerate, also wir können sie tolerieren. Ich habe früher, glaube ich, immer ‚leisten‘ gesagt dazu. Wir können uns eine gewisse Inzidenz leisten, wenn die Sterblichkeit unter Kontrolle ist, also wenn sie sehr niedrig ist. Und das ist genau die Diskussion, die jetzt begonnen wird gerade, ich finde relativ spät. Aber es ist in der Tat ganz, ganz wichtig, natürlich zu überlegen: Wo ist sozusagen die Balance zwischen den Maßnahmen, die ja wirtschaftlich und sozial erhebliche Folgen haben, auf der einen Seite, und dem Bedürfnis, jetzt jede Infektion zu vermeiden, auf der anderen Seite, weil jede Infektion natürlich rein theoretisch, das muss man jetzt sagen, immer auch zum Tod führen kann. Ja, es kann auch ein Zwölfjähriger rein theoretisch an so einer Infektion sterben. Und es gibt natürlich auch Fälle von jungen Menschen, die haben keine bekannten Risiken gehabt und sind an Covid gestorben. Das ist ja bekannt und ich glaube, diese Diskussion: Wie streng müssen wir da sein? Müssen wir sozusagen eine Nullrisiko-Politik fahren? Oder wo ist da unsere Schmerzgrenze als Gesellschaft? Die wird hier ein weiteres Mal ganz dringend herausgefordert dadurch, dass eben jetzt die Impfstoffe vorhanden sind.



Camillo Schumann



Und wenn man diese Frage beantwortet hat und sagt: Okay, wir tolerieren jetzt so ein gewisses Grundrauschen, sag ich jetzt mal so ein bisschen salopp, dann braucht man sich ja über die Frage der dritten Impfung dann auch nicht mehr unterhalten oder? Dann wird die Intensität dieser Frage auch deutlich abgeschwächt.



Alexander Kekulé


Ja, das ist dann Teil der Diskussion. Also ich war früher ja Notarzt und Rettungssanitäter und ich kann mich gut erinnern, dass wir irgendwann mal die Einsatzzeit verkürzt hatten (das ist wahrscheinlich schon Asbach Uralt, diese Zahlen), ich erinnere mich, dass es mal die Zahl gab: Sieben Minuten dauerte es (damals war ich in München) durchschnittlich, bis ein Rettungswagen am Einsatzort war. Das war super. Also heute ist das vielleicht nicht mehr so toll. Aber damals war das absoluter Rekord. Wir waren so stolz auf dieses Ergebnis. Aber dann gab es Leute, die haben gesagt: Na ja, aber wenn ihr in sechs Minuten da wärt im Durchschnitt, dann würden pro Jahr so und so viele Menschenleben gerettet. Also brauchen wir noch 2 0 mehr Notärzte und Rettungswägen usw. Und das ist halt die Frage. Wo geht man gesellschaftlich hin? Weil das immer ja mit Ressourceneinsatz verbunden ist. Und da ist der Epidemiologe halt ein bisschen kaltblütiger als der Arzt. Der Arzt sieht immer seinen einzelnen Patienten vor sich, den er partout retten will. Und der Epidemiologe sagt natürlich auf Bevölkerungsebene: Gestorben wird immer, an ganz vielen Krankheiten. Wo sind die Prioritäten, dass man jetzt ausgerechnet darauf so einen Fokus setzen muss? Und das wird jetzt in den nächsten Monaten, glaube ich, die Diskussion werden. Da will ich jetzt nur nichts vorwegnehmen. Ob man da jetzt schon an so einem Punkt ist, dass man sagt, dritte Impfung. Also bei der dritten Impfung, ist es so, dass wir ja 2 verschiedene Ansätze haben: Der eine ist die Frage, das verfolgt Pfizer meines Wissens, soll man jetzt wirklich nochmal impfen, um damit einen besseren Immunschutz zu bekommen mit dem gleichen Impfstoff, vielleicht auch gegen die Varianten, vielleicht, weil die Immunwirkung nachlässt? Oder soll man, das macht den Presseerklärungen zufolge zumindest Moderna hauptsächlich, vielleicht an veränderten Impfstoffen forschen und die vielleicht für die dritte Impfung dann nehmen? In beiden Fällen ist es so: Ich glaube im Moment brauchen wir das noch nicht. Also es sieht nach allen Daten so aus, als würde zumindest der Schutz, der uns jetzt vom Sterben bewahrt oder vor schweren Verläufen bewahrt, definitiv ein Jahr lang anhalten, wahrscheinlich länger. (...) Ich beobachte das sehr optimistisch eigentlich. Und deshalb finde ich über die dritte Impfung


sollte man jetzt zwar nachdenken, aber die ist für uns jetzt noch kein Thema, zumal es ja andere gibt, die das wahrscheinlich dringender brauchen.


16:51



Camillo Schumann



Genau und über die Situation der ärmeren Länder und den Appell der Weltgesundheitsorganisation werden wir dann im weiteren Verlauf des Podcasts sprechen.


Weil Sie Priorisierung angesprochen haben. Seit diesem Montag 7. Juni ist die Impfpriorisierung aufgehoben. Jeder, der will und einen Termin ergattern kann, das ist ja die Grundlage, der darf sich jetzt impfen lassen. Völlig egal, ob er ein Risikopatient ist oder einfach nur, ich sage mal, sorgenfrei in den Urlaub fahren möchte. Der Vorsitzende des Regionalverbandes Nordrhein-Nord im Verband Deutscher Betriebsund Werksärzte, Thomas Meier, beschrieb die Lage wie folgt: Das ist wie bei den Tickets für ein Madonna-Konzert. In 2 Minuten ist alles weg.“ Aber trotz dieses, ich sage mal, enormen Ansturms, hat Hanno Kautz, den wir gerade eben gehört haben, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, die Aufhebung der Priorisierung gestern in der Bundespressekonferenz noch mal verteidigt und zwar mit folgender Argumentation:


„Wir haben ja verschiedentlich gesagt, auch der Minister hat gesagt, dass wir nach anderthalb Jahren Pandemie Kindern und Jugendlichen auch die Möglichkeit eröffnen wollen, sie zu schützen. Wir können auch nicht so ganz schematisch Vorgehen. Klar gibt es eine Impfpriorisierung, die wir eingeführt haben und die wir auch versuchen zu befolgen. Aber Sie müssen dann von der Prio-Gruppe drei, die jetzt geimpft wird, auch den Switch schaffen, einen fließenden Übergang zur Freigabe des Impfstoffes für alle. Und da sind wir gerade dabei.“


Die Frage ist ja: Müssen wir den Switch jetzt schaffen?



Alexander Kekulé


Ich höre da überhaupt nicht, was jetzt die Begründung ist. Die Begründung ist eigentlich, wir wollten das schon immer, und deshalb machen wir das jetzt auch. Also aus meiner Sicht ist so, was ja ursprünglich mal für die Aufhebung der


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Priorisierung gesprochen hat oder grundsätzlich dafür spricht, ist, dass das in Arztpraxen wohl praktisch nicht durchzuhalten ist. Aus vielen Gründen. Das geht so nicht. Also die Ärzte können da nicht den verlängerten Arm des Gesundheitsministeriums machen. Und gerade wenn man dann auch in den Betrieben anfängt zu impfen, das ist dann wahnsinnig schwierig. Es ist so, dass selbst in Krankenhäusern ja interne Priorisierungen aufgestellt wurden. Und da gab es dann tatsächlich Fälle, wo z.B. Leute aus der Verwaltung zuerst geimpft wurden und das mikrobiologische Labor dann erst hinterher. Und da können Sie sich vorstellen, dass das im Haus ziemlichen Ärger gab. Und so kann man sich das an allen Ecken vorstellen. Priorisierung funktioniert in Impfzentren. Priorisierung funktioniert dann, wenn der Staat quasi die Hand auf dem Impfstoff hat, weil er knapp ist. Aber das funktioniert nicht mehr, wenn sie die Entscheidungshoheit nach draußen geben. Das ist das Argument dafür, die Priorisierung aufzuheben. Und dagegen spricht eben, dass man meines Erachtens immer überlegen muss, was ist denn sinnvoll? Sinnvoll sind die 2 Strategien (habe ich vorhin schon mal kurz gesagt): Entweder impft man die Risikogruppen gezielt, da sind wir in Deutschland noch nicht mit fertig. Das muss man ganz klar sagen. Die Ü60 haben wir noch nicht geimpft. Und auch zwischen 50 und 60 ist das Erkrankungsrisiko für schwere Erkrankungen, tödliche Verläufe um ein Vielfaches höher als bei Menschen unter 2 0. Und entweder man geht eben nach Risikogruppen vor oder man hat quasi dieses Thema ‚Immunschutz für alle, Verhinderung von Übertragung‘, also quasi so eine Art Herdenschutz im Auge. Dann muss man die Menschen, die ein besonders hohes Infektionsrisiko haben, erwischen. Das hat man ja zum Teil gemacht. So Ortschaften in Grenzregionen oder wenn irgendwo in bayerischen Dörfern plötzlich das Virus ausgebrochen ist, warum auch immer. Dann hat man da eben Extra-Dosen hingeschickt. Das sind logische und sinnvolle Konzepte. Aber solange man dafür nicht genug Impfstoff hat, sprich auch an Brennpunkten zu impfen, halte ich es nicht für sinnvoll, die Priorisierung aufzugeben. Und ich würde prophezeien, dass das die nächsten Wochen, sag ich mal, eher Unmut bei der Bevölkerung sät,


diese Ankündigung, die dann voraussichtlich nicht eingehalten werden kann.



Camillo Schumann



Und möglicherweise auch eine Erklärung dafür ist, dass die Todeszahlen zwar zurückgehen, aber enorm langsam. Das zieht sich wie ein Kaugummi und wird sich möglicherweise dann auch in den nächsten Wochen und Monaten noch ziehen. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau das. Also die Sterblichkeiten haben sich auf einem niedrigen Niveau irgendwie festgefressen. Und wir haben ja in Deutschland dafür wenig Daten. Ich bin immer neidisch, wenn ich Studien aus den USA lese. Eine werden wir nachher besprechen, was die für schöne Daten haben von allen Details. Aber wir wissen ja gar nicht ganz genau, warum die Sterblichkeit immer noch so hoch ist. Aber (...) das kann man vereinfacht sagen: Da sind offensichtlich die Risikogruppen noch nicht ausreichend geimpft, weil jemand, der geimpft ist, der stirbt an dieser Erkrankung nicht. Wir haben gerade ein ganz gutes Beispiel. In Norwegen ist gerade der ‚Lothar Wieler der Norweger‘ sozusagen, einer der Chefs der Impfbehörden dort, der ist da gerade an die Presse getreten und hat gesagt: Die Pandemie ist vorbei für Norwegen. Die sind von den Impfzahlen gar nicht so toll. Die sind so ähnlich wie wir, die haben einen wichtigen Unterschied gemacht. Die haben sehr früh den Abstand zwischen der ersten und zweiten Impfung ganz massiv verlängert. Ich glaube, zwölf Wochen wurde da erlaubt. Und auch dann, wenn die zweite Impfung nicht rechtzeitig kam, haben sie gesagt: Egal, wir machen mit den Erst-Impfungen weiter und bei denen ist es jetzt wirklich so, dass die Sterblichkeit so niedrig ist. Sie haben in Norwegen nur noch eine vernachlässigbare Sterblichkeit bei Covid, und deshalb hat (möglicherweise ein bisschen zu sportlich) der zuständige Gesundheitsbeamte gesagt, die Pandemie ist vorbei. Da bin ich immer vorsichtig, es gibt es andere Länder, wenn wir an Thailand denken, da wurde so was mal gesagt, sogar in Indien hat Modi ja so was Ähnliches mal verbreitet. Also (...) die Halbwertszeit von Erfolgen


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gegen die Pandemie, die ist kurz. Und ich glaube, das kann man ganz grundsätzlich sagen. Wo auch immer wir hinschauen, wenn man sich da zurücklehnt, weil man sagt: Och, jetzt haben wir schon so viele geimpft, es fehlen uns nur noch 40 % (in Deutschland wären es ja, wenn man sich die erste Impfung anschaut, 55 %, die noch fehlen) und sagt: Jetzt können wir uns ein bisschen entspannen, dann muss man immer vorsichtig sein. Die andere Hälfte, die noch gar nicht geschützt ist, ist einfach absolut gesehen, immer eine große Zahl. Und im Moment gibt es Riesenausbrüche in Thailand, die am Anfang sehr erfolgreich waren. Da gab es zwei, drei Partys in Bangkok, im Zweifelsfall von reichen Leuten, die haben irgendwelche riesigen Club-Feste gefeiert und seitdem bricht die Seuche da wieder richtig aus. Und zwar in allen Teilen der Bevölkerung, und dann auch in denen, wo es schwierig ist, die zu erreichen mit der Impfung, und wo es schwierig ist, die zu schützen auf andere Weise. Und deshalb kann ich nur warnen. Das geht alles in die richtige Richtung, aber solange wir einen großen Teil der Bevölkerung, und zwar der Risikobevölkerung haben, die noch nicht geimpft sind, kann es jederzeit wieder unangenehm losgehen.



Camillo Schumann



Weil es gerade passt. Heute hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auch interessante Zahlen genau dazu getwittert. Bei den Ü60-Jährigen sind über 80 % geimpft und bei den 18-59-Jährigen 40 % mindestens einmal. Also die, die das höchste Risiko haben, an Covid zu sterben, bei den Ü60-Jährigen, die haben den Piekser schon bekommen. Dann ist es doch eigentlich ein guter Zeitpunkt für den Switch oder?



Alexander Kekulé


Naja, 80 %. In Großbritannien sind es, glaube ich, 10 % mehr. Die Frage ist halt, warum die anderen nicht geimpft sind. Also meine Erfahrung, ich durfte auch mal so Altersheimbetreiber beraten bei solchen Konzepten, und meine Erfahrung ist, dass wir so 5-10 % auch bei den alten Risikogruppen und wahrscheinlich auch in anderen Risikogruppen haben, die sich einfach nicht impfen lassen wollen. Und da sage


ich immer: Geschenkt. Aber die Frage ist: Bei diesen 80, da sind 2 0 % ungeimpft. Wollen die alle nicht? Oder würden die gerne und waren aber noch nicht dran und müssen jetzt zuschauen, wie diskutiert wird, ob man jetzt die u-2 0 Generation auch noch impft? Und das ist ein wichtiger Unterschied. Also, ich finde: Wenn die Menschen, die jetzt wirklich nicht geimpft werden wollen, also wenn die Risikogruppen quasi bedient wurden und jeder sein Angebot hatte, wie das ja immer so schön heißt, dann kann man das nach unten öffnen. Aber solange das noch nicht klar ist...


Und 80 % sehe ich wegen der 2 0 %, die da noch fehlen von den (...) Risikopersonen, jetzt nicht als Grund zur Entwarnung.


2 5:44



Camillo Schumann



Weil es um die Kinder ging und noch gibt es ja keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission zu den Kindern. Die Empfehlung wird für Donnerstag erwartet. Wegen der dünnen Datenlage wird erwartet, dass sich die STIKO nicht für eine generelle Impfung für Kinder aussprechen wird, sondern den Impfstoff erstmal für Kinder mit Vorerkrankung vorsehen wird. Dabei geht es um das Nutzen-Risiko-Verhältnis. Einige Bundesländer impfen ab dieser Woche prioritär auch nur Kinder mit Vorerkrankungen, Baden-Württemberg z.B. Und Daten sind genau das Stichwort. Es gibt neue Daten zu Covid 19 und Kindern und Jugendlichen. Die Daten kommen, wir haben es ja schon angekündigt, von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC, die sind sehr detailliert. Um sozusagen die Erkenntnis gleich vorwegzunehmen, die Erkenntnis bleibt ja, ne? Covid 19 ist für Kinder und Jugendliche keine große Gefahr.



Alexander Kekulé


Ja, es ist im Grunde genommen eine sehr geringe Gefahr. Aber diese geringe Gefahr ist hier noch mal quantifiziert worden. Die haben dort ein Netzwerk, wo aus verschiedenen Bundesstaaten und Counties dort die Daten zusammengetragen werden, exemplarisch für das ganze Land. Und da sind eben jetzt die Hospitalisierungen, die Krankenhauseinweisungen, von den 12 -17-Jährigen ausgewertet worden, im ersten Quartal 2 02 1, ein paar Daten sind noch aus dem April mit dabei gewesen. Und es


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ist ganz interessant, denn, wenn man das erst einmal liest, die Überschriften, auch so, wie es zum Teil in den amerikanischen Medien zitiert wurde, denkt man: ‚Oh, das ist jetzt ein Hinweis darauf, dass bei den Kindern doch was ganz Schlimmes vor sich geht‘, weil sie gesagt haben, von denen, die also erkrankt sind und ins Krankenhaus mussten, sind immerhin fast ein Drittel, 31 % auf der Intensivstation gelandet, 5 % wurden beatmet. Und daraus schließen die dann, dass sie sagen: Naja, insgesamt hatten wir 2 04 Patienten, die ins Krankenhaus mussten in dieser Altersgruppe 12  bis 17. Heißt also auch: Kinder in diesem Alter können schwer erkranken. Es gab keinen einzigen Todesfall, aber sie können auch schwer erkranken. Da würde ich jetzt erst einmal sagen: Okay, dass das auch möglich ist, war ja eigentlich schon vorher klar. Aber die CDC-Chefin, die neue, Rochelle Walensky, die hat eben daraus gemacht: Wir müssen auch die Kinder impfen. Das ist eben deshalb eine wichtige Diskussion, und ich bin sicher, dass die Mitglieder der Ständigen Impfkommission im Moment auch über diesen Daten brüten. Die sind ja erst am 04.06. rausgekommen. Und wenn man das genauer anschaut, ist es aber so, dass sich eigentlich an dem, was wir bisher wissen, über diese Altersgruppe nichts Wesentliches geändert hat.



Camillo Schumann



2 04 hospitalisierte Kinder, von wieviel Infizierten? Das ist ja sozusagen dann das Wichtige.



Alexander Kekulé


Ja, die Basiszahl, die gibt es dazu nicht, weil das ist quasi ein Register, dass sich nur diejenigen anschaut, die ins Krankenhaus gekommen sind. Also man kann jetzt nicht sagen, so und so viel Prozent kamen insgesamt ins Krankenhaus von einem Anteil der Infizierten, das ist auch relativ unbekannt. Man hat die Hospitalisierungsrate so ein bisschen mit der Influenza aus den Vorjahren verglichen und hat dann gesagt: Naja, die ist 2 ,5-3-mal höher als bei der Influenza. Also man kommt wegen Covid doppelt bis dreifach so häufig ins Krankenhaus in der Altersgruppe. Aber vielleicht ist das ganz interessant, sich diese Zahl mal anzuschauen. Dann kann man ein bisschen lernen, wie Epidemiologen so


etwas insgesamt anschauen. Die sagen also erstens: Häufiger im Krankenhaus. Zweitens sagen sie: Die Hospitalisierungsrate ist aber trotzdem 12 ,5-mal niedriger als bei den Ü18-Jährigen, also bei den Erwachsenen. Also mehr als zehnmal weniger Leute kommen ins Krankenhaus. Und wenn man das dann genauer anschaut, muss man Folgendes sagen: Also erstens, 30 % kommen auf die Intensivstation, von denen, die im Krankenhaus sind. Das ist eigentlich eine geringere Quote als bei Erwachsenen. Da liegt sie eher so Richtung 50 %, je nachdem, welche Region sie anschauen. 5 % werden beatmet. Es ist so, dass auf den Intensivstationen bei den Erwachsenen wesentlich mehr als 5 % beatmet werden, kommt immer so ein bisschen darauf an, wie voll die ITS gerade ist und unter welchem Druck die Ärzte stehen, wie großzügig sie die Betten vergeben können. Aber 5 % Beatmungspatienten, also nur ein Sechstel von denen, die auf die ITS kommen in dem Fall, ist echt wenig. Und dann muss man halt sagen: Insgesamt gab es bei Covid in den USA in der Altersgruppe bis 17 Jahre 32 2  Todesfälle. Im Vergleich dazu die anderen sind über 600.000. Also 32 2  gegenüber 600.000 aus den anderen Altersgruppen. Und wenn man dann noch genauer hinschaut, dann muss man sagen wie sieht es denn eigentlich mit den persönlichen Risiken aus? Da ist es so: Über 70 % hatten irgendeine bekannte medizinische Vorerkrankung hatten, etwa die Hälfte davon übergewichtig. Wobei man in Amerika sagen muss, übergewichtig heißt dann ‚richtig übergewichtig‘. D.h. sie haben einfach eine hohe Zahl von deutlich übergewichtigen Jugendlichen. Und die kriegen natürlich dann häufiger Probleme auch bei der Atmung, wenn sie diese Erkrankung haben. Und die andere Zahl die ich wichtig finde ist, dass 2 Drittel entweder Schwarze oder Latinos waren in den USA. Also das sind Gruppen, die sowieso benachteiligt sind, die häufig in ärmeren Gegenden leben, die leider auch schlechter ernährt sind, häufig deshalb auch übergewichtig sind, und die insgesamt bei Covid häufiger betroffen sind, auch insbesondere von schweren Verläufen. D.h. unterm Strich ist es so: Man sieht eigentlich das erwartete Profil in dieser Altersgruppe. Wenn ein Risikofaktor dazukommt, dann ist es sinnvoll, die zu schützen. Weil sie


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dann ein relativ hohes Risiko haben, auf der Intensivstation zu landen. Tote gab es, wie gesagt, in dem Zusammenhang nicht. Und dann muss man vielleicht noch eine Überlegung mit reinbringen an der Stelle: Wenn wir uns hier den Zusammenhang zwischen Krankenhaus und Covid anschauen, bei dieser Studie speziell, dann haben die nur [einbezogen; Anm. d. Redaktion]: Wer war positiv für Covid bei der PCR und wurde ins Krankenhaus genommen. Sie schreiben selber in ihrem Bericht, dass fast die Hälfte dieser jüngeren Personen wahrscheinlich wegen anderer Gründe ins Krankenhaus gekommen sind. Also, die waren zwar Covid-positiv, aber sind nicht deshalb im Krankenhaus gewesen. Also mit anderen Worten: Sie brechen sich ein Bein, sind zufällig PCR-positiv, was in der Hochphase bei Ausbrüchen in Schulen usw. durchaus mal sein kann und dann zählen Sie hier sozusagen als Krankenhausaufnahme wegen Covid. Und weil eben viele, fast die Hälfte, 46 % waren es, aufgenommen wurden aus anderen Gründen, muss ich sagen: Wenn ich das alles sozusagen dann in einen Topf werfe, stelle ich fest: Ja, junge Menschen haben auch ein Risiko, und ja, dieses Risiko ist aber viel, viel geringer als bei Erwachsenen und deshalb ist es kein Argument dafür, sozusagen in Richtung Ständige Impfkommission, aufgrund dieser ersten Daten, die man jetzt aus dieser Altersgruppe in dieser Detailliertheit hat zu schlussfolgern, dass man die jetzt impfen müsste.



Camillo Schumann



Sie malen ja immer so sprachliche Bilder, damit man sich das immer sehr gut merken kann. Was wäre denn ein schönes sprachliches Bild für die Situation oder für das Risiko für Kinder, an Covid zu erkranken und dann möglicherweise auch schwer, im Vergleich zu anderen Lebensrisiken. Die Kinder auch haben.



Alexander Kekulé


Hui, das ist schwierig, so auf Herausforderung und dann noch mit dem Lob vorneweg!



Camillo Schumann



Na selbstverständlich, ein bisschen Druck aufbauen (lacht)!



Alexander Kekulé


(lacht)Hm, ob das jetzt ein gutes Bild ist, weiß ich nicht. Wenn Sie mich so provozieren,


würde ich sagen, stellen Sie sich vor, Sie wissen, dass ein Teil der Kinder nicht schwimmen kann. Und die müssen aber auf dem Schulweg an einem Schwimmbecken vorbeigehen. Und jedes Jahr ertrinken drei Kinder. Und jetzt würden Sie sagen: Jetzt geben wir die Anordnung, dass alle Kinder auf dem Schulweg (und zwar ausnahmslos) eine Schwimmweste tragen müssen. So in der Art ist es ja. Sie haben quasi eine Maßnahme, die natürlich dann diese drei Todesfälle verhindern würde, ja das ist ganz klar. Aber die Frage ist dann immer nach der Verhältnismäßigkeit. Und vielleicht ist es dann auch so, dass die mit ihrer Schwimmweste dann häufiger vom Fahrrad fallen oder andere Unfälle haben, weil sie vielleicht nicht so mobil sind. Also von daher bin ich immer dafür, man muss gerade bei diesen Dingen, wir sind ja jetzt in der Corona Pandemie im Krisenmodus. Ja, ich möchte nicht immer sagen im Krieg. Aber es ist schon eine Situation, wo wir insgesamt ein bisschen Hornhaut brauchen. Wir müssen ein bisschen hartgesotten sein, weil es wirklich für ganz viele Menschen um Leben und Tod geht, nicht nur in den Entwicklungsländern, bei uns eben auch bei Risikogruppen, die noch nicht geschützt sind. Und da bin ich dann dagegen, sozusagen da so ein Feintuning zu machen an irgendwelchen Zahlen, wo eben dann die Rochelle Walensky, an der Stelle sogar selber dann einräumen muss, dass selbst die Häufigkeit der Krankenhauseinweisungen bei dieser Studie gar nicht wirklich notwendigerweise überall zusammenhängen mit Covid. Und daher sage ich jetzt mal: Man muss nicht jede Studie aus der Kiste kramen und sagen, wir haben jetzt noch einen Hinweis darauf, dass jetzt unbedingt geimpft werden muss. Und wir haben sie hier deshalb rausgeholt, weil es in USA natürlich so gemacht wurde. Die ist in dieser Richtung eigentlich diskutiert worden, dass das ein Beleg dafür sei, dass es wichtig ist, die Jüngeren jetzt auch noch durchzuimpfen.



Camillo Schumann



Und es ist ja so, dass die Kinderund Jugendärzte ja genau den dreien, die da ertrunken wären, sozusagen per Impfung dann ihre Schutzweste geben könnten.


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Alexander Kekulé


Das ist genau das was ich vorhin auch sagen wollte. Sie haben ja erwähnt, dass man jetzt in vielen Bundesländern die Jugendlichen impft, die also ein extra Risiko haben. Meines Wissens war das schon vorher möglich. Das darf man auch ohne Zulassung. In so einem Fall als Einzelentscheidung des Arztes darf man natürlich auch Menschen in der Altersgruppe, für die das gar nicht zugelassen ist, impfen. Wenn man sagt, in diesem einen Fall halte ich das aber für dringend notwendig. Da kommt der Arzt jetzt nicht ins Gefängnis dafür. Und ich kann es nur noch mal sagen: In den USA wird ja seit einigen Wochen jetzt massiv geimpft bei den Ü12 -Jährigen, mit dieser zusätzlichen Werbekampagne der CDC wahrscheinlich demnächst noch mehr. Und wir haben aber bis jetzt noch keine Daten, was das bringt epidemiologisch, und wie es mit den Nebenwirkungen aussieht und zwar nach Altersgruppen gestaffelt. Und ich finde, das bisschen Zeit sollten wir jetzt doch haben und jetzt nicht erwarten, dass die Ständige Impfkommission gleich am Wochenende da grünes Licht für die nächste Altersgruppe gibt. Dann drängeln sich noch mehr Leute in den Arztpraxen. Sondern dass man einfach sagt: Das warten wir jetzt einfach mal ab, was die Daten dort sind. Man kann natürlich sagen: Der ist jetzt irgendwie zynisch, der nimmt da die ganzen Amerikanerkinder als Versuchskaninchen. Aber das habe ja nun nicht ich entschieden, dass das in Amerika jetzt so gemacht wird. Und wenn es nun so gemacht wird, blicken wir dahin, genauso wie (das kann man vielleicht auch als zynisch bezeichnen) wir ja ganz genauso im Moment nach England schauen und jetzt wissen wollen, was macht die neue Variante da? Wir haben die Engländer ja zum Variantengebiet erklärt. Da darf also keiner mehr unkontrolliert zu uns. Und wir schauen jetzt gemütlich quasi von außerhalb des Glaskastens zu, wie schlimm das dazu schlägt, weil wir haben ja nur so etwa 2  % von dieser Delta Variante bis jetzt. Und so ist es halt in der Epidemiologie. Man guckt immer dorthin, wo was passiert. Und das ist quasi ein natürliches Experiment, was wir hier beobachten. Das kann man als kaltblütig bezeichnen. Aber ich würde trotzdem sagen abwarten und schauen, was in den USA für Daten rauskommen bei den Impfungen der Ü12 -Jährigen jetzt.


37:47



Camillo Schumann



Tja, zynisch, kaltblütig ... Also besser hätte die Überleitung zum nächsten Thema überhaupt nicht sein können. Wir beginnen mit den Impfungen jetzt für die Kinder, denken über die dritte Impfung nach. Wir haben darüber gesprochen und sind auch beim Impfstoff. Der eine oder andere ist auch ziemlich wählerisch. ‚Ach, Astra möchte ich nicht. Lieber BioNTech‘. Dabei gibt es ja genügend Menschen auf der Welt, vor allem in ärmeren Ländern, die würden sich freuen, überhaupt eine Impfung zu bekommen, völlig egal, welcher Wirkstoff das ist. Und genau auf diesen Umstand hat die Weltgesundheitsorganisation noch mal sehr eindringlich hingewiesen, spricht von einer skandalösen Ungleichheit. WHO-Generaldirektor Ghebreyesus hat gesagt und das ist wirklich spannend: Die Anzahl der bisher weltweit verabreichten Dosen hätte ausreichen können, um das gesamte Gesundheitspersonal und ältere Menschen zu versorgen, wenn sie gerecht verteilt worden wären.



Alexander Kekulé


Und wenn man noch dazu sagt, wenn man nur einmal geimpft hätte, dann hätte es auf jeden Fall gereicht. Es ist tatsächlich so: Wir haben jetzt im Moment angeblich 72  Mio. Dosen an die armen Länder verteilt. Das geht so nach Länderschlüssel und das reicht in den jeweiligen Bevölkerungen der Empfängerländer jeweils für weniger als 1 %. Und das ist schon hart, also die sind überhaupt nicht in den Bereich, dass man hier, wie bei uns die Luxusdiskussion ‚erreichen wir vielleicht eine HerdenImmunität‘ oder sowas führen kann, sondern da geht es wirklich sozusagen um einen Kampf bis aufs Messer gegen dieses Virus. Da stehen Leute im Krankenhaus, die sterben dafür, dass sie die Patienten behandeln und die sind nicht geimpft. Und wir brauchen die Impfstoffe insbesondere für das medizinische Personal dort und aber auch natürlich die Risikogruppen. Wobei man sagen muss, diese Hochaltrigen, wie bei uns, die gibt es in diesen Ländern nicht in der großen Zahl. Trotzdem ist es so, dass es natürlich andere Risikogruppen gibt, die man da sinnvollerweise impfen kann. (...) Es ist ja bekannt, dass im Moment gerade die offizielle Bilanz, der Covid-Pandemie bei 3,5 Mio. Toten weltweit liegt. Aber die WHO hat das anhand


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der Exzess-Mortalität, also dieser Übersterblichkeit, nochmal nachgemessen. Da vergleicht man, wie viele Menschen starben jetzt während der Pandemie-Zeit im Vergleich zu sonstigen Jahren vorher. Und wenn man sich diese Pandemie-abhängige Sterblichkeit insgesamt anschaut, dann kommt man auf das Zweibis Dreifache. Das sind also 7-8 Mio. oder 10 Mio. Tote, die da geschätzt werden. Und viele davon natürlich in den Ländern, wo man es nicht so registriert wie bei uns, dass man bei jedem Einzelnen, der da im Krankenhaus gemeldet wird, dann einen Strich auf der Liste macht. Also das ist ein Riesenproblem. Und um das kurz zu machen, es wurde ja früher mal gesagt, dass die reichen Länder 5 %, jede zwanzigste Dosis, an die ärmeren Länder abgeben sollen. Da sind wir Lichtjahre von entfernt. Und es gibt jetzt aktuell den Aufruf von Einigen, ich meine sogar ehemaligen Staatschefs und einem großen Teil von wichtigen Leuten, die gesagt haben, die G7 sollten jetzt einfach mal tief in die Tasche greifen und dafür sorgen, dass die armen Länder diese Impfstoffe bekommen. Das kann ich nur unterstreichen. Also das ist ein Riesenproblem. Wir haben ja das Serum Institute of India, das ist der größte Hersteller, der in riesigen Stil AstraZeneca produziert und die haben ja schon seit längerem jetzt einen Exportstopp. Und das war aber eigentlich die Hoffnung für viele von diesen Ländern. Und wir haben Probleme an allen Enden, bei der Produktion, bei der Distribution, gerade aus Indien, was jetzt gestoppt wurde, und natürlich auch bei der Bezahlung. Und ich glaube, das wäre dringend notwendig, dass man sich da mal zusammensetzt und überlegt, was man machen kann. Auf jeden Fall wichtiger als bei uns zu überlegen, wer jetzt noch die dritte Impfung brauchen könnte.


41:36



Camillo Schumann



Jetzt reden wir noch über ein Thema über das wir schon ganz lange sprechen wollten, wenn wir mal ehrlich sind. Wir haben es aber nie so richtig unterbekommen. Es geht ums Thema Coronavirus erschnüffeln. Zum einen gibt es eine neue Studie, wie Hunde das Virus erschnüffeln können, und dann haben Forscher mit Hilfe einer sogenannten elektronischen Nase das Virus nachgewiesen. Haben Sie eine


Präferenz? Womit wollen wir beginnen? Vielleicht mit der elektronischen Nase?



Alexander Kekulé


(lacht) Sie sind doch der Hundebesitzer!



Camillo Schumann



(lacht) Ich bin Hundebesitzer, deswegen das Beste zum Schluss. Die elektronische Nase, würde ich vielleicht sagen, das fand ich total bemerkenswert. Ich habe da ein bisschen recherchiert vorab und habe festgestellt, Mensch, elektronische Nasen, so ungewöhnlich ist das gar nicht, so eine Geruchs-Sensorik. Z.B. wird es bei der Blutzucker-Analyse verwendet. Und nun auch bei Corona. Wer hätte es gedacht?



Alexander Kekulé


Ja, also das ist aber trotzdem faszinierend für mich. Also muss ich sagen. Dass man jetzt Krankheiten riechen kann seit einiger Zeit, das ist ein Ding. Jeder weiß ja, dass es im Krankenhaus irgendwie komisch riecht. Das liegt aber mehr an den Desinfektionsmitteln. Und jemand, der Arzt ist, der weiß auch, dass Patienten mit bestimmten Erkrankungen einen bestimmten Eigengeruch plötzlich entwickeln. Also gerade weil sie Zucker gesagt haben. Wenn da metabolisch was nicht in Ordnung ist, vom Stoffwechsel her, dann weiß man noch relativ genau, was das ist. Bestimmte Stoffe, die dann bei einer fehlgeleiteten Verwertung entstehen, Ketone heißen die z.B., die kann man riechen, weil die einfach über die Atemluft abgegeben werden. Aber da ist es ja ganz klar, wenn Sie jetzt einen Stoffwechselprozess haben, der ist irgendwie nicht in Ordnung, da entstehen die falschen organischen Moleküle, und die werden abgeatmet quasi als Volatile, als in der Luft befindliche Moleküle. Dass man die feststellen kann, ist klar. Aber dass man solche flüchtigen organischen Verbindungen auch bei einer Virusinfektion findet, also das hat mich echt umgehauen.



Camillo Schumann



Jetzt ist das eine ziemlich gut gemachte Studie, aus meiner Sicht. Und was ist für Sie sozusagen jetzt der praktische Nutzen davon? Also können Sie die elektronische Nase kurz erklären? Oder können Sie vielleicht noch mal kurz erklären, wie die eigentlich aussieht? Sieht die jetzt so aus wie unsere Nase?


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Alexander Kekulé


Nein, nicht ganz. Aber technisch ist das eigentlich ganz primitiv. Jeder weiß ja wahrscheinlich noch, was ein MOSFET ist, aus der Schule. Also so was Ähnliches wie ein Transistor, also Metall-Oxid-Halbleiter (Semiconductor) MOS, und wenn das dann ein Feldeffekttransistor ist, dann heißt der MOSFET. Und Jungs, die früher gebastelt haben mit dem Lötkolben, die wissen das. Und diese MOS-Sensoren, die funktionieren letztlich wie so ein Transistor. D.h. man hat so eine Ebene, das ist das sogenannte Gate heißt das auf Englisch, bei uns heißt es glaube ich Basis, auf Deutsch. Das ist eine LeiterSchicht. Meistens ist da Silizium mit drin oder Metall mit drin, die so gebaut ist, dass sie durch chemische oder physikalische Einflüsse ihre Leitfähigkeit ändert, mal so grob gesagt. Und man baut es dann so zusammen, dass quasi dieses Gate, also der Teil der den Strom steuert, wenn ich es mal so sagen darf, dass dieser Teil empfindlich ist auf Chemikalien im weitesten Sinne, auf chemische Reaktionen. Das gleiche gibt es übrigens auch als Lichtempfindlichkeit. Dann wird genau das gleiche Prinzip verwendet in einer Filmkamera z.B. Also diese Kameras, die man da hat, die funktionieren im Grunde genommen ganz genauso. Und was man dann misst, ist aber eigentlich nur ein Spektrum von Leitfähigkeitsveränderung, was mit einer Handvoll verschiedener Sensoren gemacht wird. Keiner weiß, was die Grundlage ist. Das ist nur so eine Art Fingerabdruck von einem Lebewesen, wo man nicht einmal weiß, wie es aussieht, ob es nur einer ist oder mehrere. Sie haben sozusagen nur so ein Fußabdruck irgendwo gefunden, aus der Urzeit. Und dann sagen sie: Okay, ich vergleiche jetzt diese Fußabdrücke auf diesem MOSFET-Sensor. Die vergleiche ich quasi bei Gesunden und bei Leuten, die Covid haben. Und da gibt es eben offensichtlich einen Unterschied. Das kann man dann auch mit sogenannter künstlicher Intelligenz, also mit irgendwelchen Algorithmen auswerten. Und kann dann den Computer richtig trainieren und sagen: Okay, diese Leute sind hier positiv, und jene Leute sind negativ. Und wenn wir das dann hinterher vergleichen, dann kriegen wir intern sozusagen einen rein elektronischen Unterschied. Und diesen Unterschied nehmen wird dann, um zu testen: Ge-


sunde und Kranke. Und Bingo, es war in diesem Experiment tatsächlich so ... (Die eine Studie, die wir da haben – da gibt es aber mehrere, das kann man vielleicht noch einmal sagen – ist aus Holland und nur ein Preprint schon aus dem Februar, von einer Firma auch, die beteiligt ist, die das macht. Breathonix heißt die, die stellt diese Dinger her. Es gibt aber auch andere Hersteller.) Und die sagen also: 2 5 waren positiv. 869 Patienten waren negativ. Und dann haben wir das verglichen mit dem Ding, und haben tatsächlich eine Sensitivität von 98-100 % hingekriegt. D.h. wenn einer Covid hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn auch findet, über 98 %. Spezifität deutlich schlechter, aber diese Sensitivität, dass man also die, die Covid haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit rausfischen kann, das nimmt der Hersteller, dass er sagt: Okay, ich kann es zwar nicht für eine Diagnose verwenden (das wäre ja auch ein bisschen schräg, also mit der Methode, quasi das wirklich zu diagnostizieren). Aber sie behaupten, wir können es zumindest zuverlässig ausschließen. Und das ist natürlich in der Praxis das Wichtigste. Also da war die holländische Regierung ganz heiß drauf, hat dann Hunderte von Geräten bestellt gleich und meines Wissens ist es auch beim Eurovision Song Contest eingesetzt worden, da in Rotterdam Ende Mai.



Camillo Schumann



Und die Frage ist ja: Wie schnell geht das Ganze? Puste ich da rein und kommt eine Sekunde später das Ergebnis oder muss ich dann auch wie nach einer Impfung eine Viertelstunde dann noch warten?



Alexander Kekulé


Achso, ne. Es geht sofort. Also das ist so: Bei dem speziellen Experiment haben sie es bisschen ausführlicher gemacht. Jeder musste ein halbes Glas Wasser trinken, dann musste er fünfmal tief durchatmen, jeder Proband, fünf Sekunden lang die Luft anhalten und dann ganz ausatmen und zwar in das Gerät rein. Also, das wurde hier sehr gut standardisiert. Und damit hat man dann auch diese Ergebnisse produziert. Übrigens ist es später dann bei der Anwendung: Die Holländer haben das dann gekauft und an allen möglichen Bahnhöfen eben, glaube ich, auch ausprobiert. Da gab's richtig viel Ärger, weil da gab es dann eine ganze


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Reihe von Positiven – ich glaube, 2 5 waren es, habe ich mal gelesen. Die wurden dann positiv, obwohl sie in diesem Gerät negativ getestet waren, in der PCR dann positiv und haben dann Corona gehabt. Einer musste sogar ins Krankenhaus. Da hat man gesagt: Was ist denn das für eine Kiste, die beweist ja gar nicht, die hält ja gar nicht ihr Versprechen. Und jetzt, sagt der Hersteller: Das liegt aber daran, dass ihr das falsch gemacht habt. Ihr habt eben diese Gebrauchsanweisung nicht richtig beachtet, und die holländische Regierung beschimpft den Hersteller, dass der eben seine Gebrauchsanweisung nicht gut genug formuliert hätte. Aber sagen wir mal, abgesehen von diesen Geburtsschwierigkeiten, die so eine neue Technologie hat, kann man unterm Strich sagen, dass durch solche Geruchstests im weitesten Sinne das, was der Arzt bis jetzt eigentlich mehr so intuitiv gemacht hat, wenn er ins Patientenzimmer kam und gedacht hat: Nach was riecht es hier? Es könnte sein, dass das in der Diagnostik insgesamt demnächst eine ganz große Rolle spielt



Camillo Schumann



Oder die Hunde, womit wir bei den Hunden wären. Die haben ja auch einen großen psychologischen Effekt. Und ganz nebenbei können sie dann auch noch Corona erschnüffeln. Eine britische Studie. Und diese Hunde haben auch mit einer recht hohen Treffsicherheit Corona-Infizierte erschnüffelt. Und was ich persönlich im interessant fand, das war ja so eine Blindstudie. Also weder die Hunde, noch die Wissenschaftler wussten, welche Proben von Infizierten und welche von Gesunden stammten. Also, um das sozusagen mal zu vergleichen.



Alexander Kekulé


Ja, ja, die haben das in 2 Stufen gemacht. Also Hundebesitzer wissen das besser als ich. Die mussten die Hunde sechs Wochen lang trainieren. Scheinbar brauchen die Hunde solange. Und zwar hatten sie da 32 5 positive Proben und 675 negative. Witzig fand ich, wie sie diese Proben bekommen haben. Das ist übrigens im natürlich auch ein Preprint von der London School of Hygiene und Tropical Medicine, so eine der absoluten Star-Einrichtungen in diesem Arbeitsgebiet. Und die haben das


zum großen Teil von ihren eigenen Mitarbeitern geholt oder auch von anderen, die da im nationalen Gesundheitswesen arbeiten in England. Und da durfte dann jeder seine Socken, seine getragenen Masken oder auch seine TShirts abgeben. Ich stell mir die Sammlung irgendwie so nett vor (lacht). Und mit der haben sie dann erst einmal trainiert. Und dann kam eben die große, aufregende Phase, doppelblind. Also der Hund war nicht blind, aber der Untersucher wusste nicht, was das jetzt für eine Probe ist und der Hund hoffentlich auch nicht. Obwohl, da weiß man nie, was die sich so merken. Und da hat eben bei 2 00 gegen 2 00 Proben, also 2 00 positive und 2 00 negative, und der beste Hund von allen sechs Hunden immerhin 94,3 % Sensitivität gehabt. D.h. von 100 Proben – in dem Fall waren es 2 00, die er genommen hat, da hat er 94 %, also 94 von 100 oder 188 (habe ich jetzt richtig gerechnet?) von 2 00 richtig erschnüffelt. Das ist schon ganz erstaunlich.



Camillo Schumann



Und da ist natürlich die Frage: Die elektronische oder die Hundenase? Wer hat die Nase vorn? Knapper Punkt-Sieg jetzt für die elektronische Nase, ne?



Alexander Kekulé


Knapp für die elektronische Nase. Vor allem: die muss nicht so lange trainieren, nicht individuell trainieren. Also das mit den Hunden, der eine oder andere mag das ja toll finden. Aber wenn ich mir so vorstelle, die Hunde haben ja bis jetzt auch keine Menschen erschnüffelt, sondern immer nur irgendwelche Gegenstände. Wenn ich mir vorstelle, der Hund kommt da ins Krankenhaus und schnüffelt. Vielleicht schlabbert der mir noch die Nase ab, ich weiß nicht, ob ich das haben will. So ein Hund, der mit dem Arzt zusammen kommt. Aber gut, für den einen oder anderen mag es vielleicht das höchste sein. Wer weiß.



Camillo Schumann



Wollte gerade sagen, z.B. in Helsinki oder in Dubai, da kommen diese Corona-Spürhunde am Flughafen schon zum Einsatz. Also, da kann man sich dann auch teilweise nicht wehren.


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Aber das ist doch spannend. Auch für den Alltag, wo sozusagen Wissenschaft dann auch ganz konkret, jetzt in der Pandemie, dann auch gute Lösungsvorschläge für den Alltag hat. Oder?



Alexander Kekulé


Das Tolle ist, dass wirklich jede Disziplin in der Wissenschaft (und da gibt es ja ganz viele, die vorher nichts mit Virologie und Epidemiologie zu tun hatten) sich Gedanken macht. Was könnte ich jetzt beitragen zu diesem Weltproblem? Und dadurch ist schon viel entstanden. Also dass man viel interdisziplinärere Arbeitsgruppen hat, dass man über seine Grenzen hinaus nachdenkt über die Probleme und dass man eben so, fast hätte ich gesagt, skurrile Ideen, wie so ein Hund quasi zur Diagnostik zu verwenden oder so einen Geruchs-Schnelltest auf den Virus zu machen, dass man so etwas einsetzt. Es gibt ja noch eine andere Studie, die haben wir gar nicht besprochen. Da hat man die Hunde einfach nur an Reagenzgläsern riechen lassen, wo manchmal das Virus drin war und manchmal nicht. Und angeblich haben die das unterscheiden können. Also das glaube ich irgendwie gar nicht, weil wie soll denn das bitte gehen, dass man die verschiedenen RNAMoleküle auseinanderhält. Aber die Autoren schwören beinahe Stein und Bein, dass sogar das möglich sein soll.


52 :46



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Hörerfragen, Frau A. hat angerufen. Sie hat eine Urlaubsfrage. Aber eigentlich ist es eine Impffrage:


„Ich habe meine erste Corona-Impfung Anfang Juni und meine zweite Mitte Juli und wir überlegen jetzt gerade, wann wir in den Urlaub fahren mit dem Wohnmobil, wahrscheinlich Richtung Südtirol. Also die erste Frage: Macht es Sinn, zwischen der ersten und der zweiten Impfung zu fahren? Das wäre nämlich eigentlich der Plan gewesen, also die letzten 2 JuniWochen und die erste Juli-Woche. Oder sollten wir vielleicht doch lieber warten, bis ich dann bis Mitte Juli voll durchgeimpft bin, und dann eher Ende Juli, Anfang August fahren? Da wollte


ich nur fragen, ob es sich lohnt die Pläne zu ändern oder ob man eben nach der ersten Impfung eh schon genug Schutz hat.“



Alexander Kekulé


Ähm ja, weder noch, also ich glaube nicht, dass es sich lohnt, die Pläne zu ändern. Ich würde da wirklich fahren und jetzt nicht wegen der zweiten Impfung alles verschieben. Und zwar deshalb, weil man sich schützen kann. Man kann ja auch vorsichtig sein, ohne jetzt vollständig geimpft zu sein, auf andere Weise sich schützen. Und es ist eben so, dass man eben leider nicht wirklich gut geschützt ist, mit einer Impfung. Das reicht nicht in dem Sinn aus, dass man die Krankheit, die Infektion vermeiden kann. Und da würde ich es nicht darauf ankommen lassen. Das heißt Campingwagen, Wohnwagen klingt irgendwie so nach einem Urlaub, wo man jetzt nicht so wahnsinnig viel Kontakt mit anderen hat. Vielleicht auf dem Campingplatz in der Dusche oder so. Aber wenn man da vorsichtig ist in den Bereichen, wo man also anderen Menschen nahe kommt oder in geschlossenen Räumen mit ihnen ist, dann finde ich, kann man natürlich in den Urlaub fahren. Wenn man einmal geimpft ist, ist es besser. Aber ich würde wirklich davor warnen, mit der einmaligen Impfung so ein bisschen zu denken, so: Hola, jetzt kann mir eigentlich schon nichts mehr passieren. Also infizieren kann man sich schon noch nach einer einfachen Impfung. Und man kann auch noch krank werden und vor allem dann eben andere anstecken. Und darum sollte man da ein bisschen vorsichtig sein.



Camillo Schumann



Und bleiben wir beim Thema Urlaub. Herr H. hat uns gemailt. Nach ewiger Zeit im Homeoffice will er nun endlich mal wieder raus. Er steht zwar auf der Warteliste für eine Impfung bei seinem Hausarzt, aber er geht davon aus, dass eine vollständige Impfung vor dem Urlaub nichts wird. Er will nun wissen:


„Ist das Restrisiko in Hotels mit Hygienekonzept vernachlässigbar in einem Gebiet in Deutschland mit einer Inzidenz unter 30 und der Notwendigkeit von Tests alle 48 Stunden.“


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Alexander Kekulé


Also wenn es ein Restrisiko ist, dann ist es definitionsgemäß vernachlässigbar. Aber es ist so: Das Risiko ist natürlich, mal grundsätzlich gesagt, ganz gering unter diesen Bedingungen, wenn man auch ein bisschen aufpasst. Man wird nie auf absolute Sicherheit gehen können. Man muss bei Hotels natürlich Folgendes beachten, weil die Inzidenz jetzt genannt wurde. Also im Hotel sind ja als Gäste nicht die Leute, die jetzt sozusagen die Postleitzahl des Hotelorts wiedergeben bezüglich der Inzidenz. Da kommen Leute von auswärts, und je nachdem, wo die herkommen, kann das Risiko hoch sein. Wenn da so eine Partytruppe aus Berlin einreist und dann in dem Hotel sitzt die ganze Zeit, dann kann es schon sein, dass vielleicht Leute dabei sind, die jetzt grundsätzlich nicht so viel von Schutzmaßnahmen gehalten haben bisher und wo mal einer positiv ist. Also die Inzidenz des Gebiets, wo man hinreist sagt eigentlich beim Hotel gerade nicht so viel und auch übrigens bezüglich des Personals. Da ist es ja kein Geheimnis, dass in vielen europäischen Hotels einfach dann Mitarbeiter sind, die gar nicht von dem Ort sind, sondern die z.B. aus Osteuropa eingereist sind. In der Schweiz ist es so, dass ganz viele Portugiesen z.B. in den Hotels tätig sind. Und deshalb muss man dann immer gucken: Wo kommt das Personal her? Wo kommen die Gäste her? Und wenn man das mit reinwirft, kann man, glaube ich jetzt, nicht sagen: Die Inzidenz am Urlaubsort spielt eine große Rolle. Ein Hotel bleibt immer, weil eben Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen, ein gewisses Risiko. Und es kommt aufs eigene Verhalten an. Wenn man sich da vernünftig verhält, kann man natürlich auch dort einen Urlaub halbwegs sicher gestalten.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 192 . Vielen Dank, Herr Kekulé! Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne, bis Donnerstag! Es wird spannend, die STIKO will ja dann entscheiden.



Camillo Schumann



Wir sind gespannt.


Sie wollen auch was wissen, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder Sie rufen uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Und an dieser Stelle der Hinweis: Hören Sie doch mal in andere Podcast von MDR Aktuell rein z.B. in den ‚Rechthaber der Podcast für juristische Alltagsprobleme‘. Und in der aktuellen Ausgabe Nummer 10 geht es ums Thema Streitfall: Hund.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial


Samstag, 05. Juni 2 02 1 #191



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Samstag, 05. Juni 2 02 1


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


[0:00:10]:



Camillo Schumann



Frau I:


Wird bei der Bewertung der Risiken durch eine Impfung nur der Wirkstoff oder auch die Trägersubstanz der Impfstoffe betrachtet? Mich würde das interessieren beiden Pro und Contra einer Impfung. Vielen Dank.



Alexander Kekulé


Es wird beides betrachtet. Natürlich ist die Träger-Substanz genauso wichtig. Gerade diese Aufbereitung des Medikamentes spielt eine Rolle. Bei manchen Medikamenten gibt es wie bei Salben oder so, irgendwelche Komponenten, die nichts mit dem Wirkstoff zu tun haben. Natürlich wird unterschieden. Manchmal sind diese Beimischungen, die da drinnen sind bei Impfungen. Die sind ja zum Teil schon alt bekannt. Wenn man da irgendwelche Aluminiumsalze nimmt, Aluminiumhydroxid o.ä. Dann sind das Wirkverstärker, die wirklich seit Jahrzehnte in auf jeden Fall im Einsatz sind. Da wird man jetzt nicht noch mal riesige Studien wegen dieser Kombination machen. Sondern da wird man sagen, die Sicherheitsdaten liegen vor.


Speziell bei den RNA-Impfstoffen ist es so, dass da ein Stück RNA eingepackt ist in ein kleines Fett-Bläschen. Lipid-Nanopartikel sagen wir dazu. Da kommt es extrem auf die Zusammensetzung dieser Lipide an. D müssen die Hersteller ganz genau auf den Tisch legen, wie sie das zusammengebaut haben. Es ist übrigens ein Staatsgeheimnis, was nur die Zulassungsstellen genau sich anschauen dürfen. Da will man genau wissen, wo ist das hingegangen. Was passiert damit? Welche Halbwertszeit hat das? Wo wird es abgebaut? Kann die Leber dss abbauen? Wie schnell baut sie das ab? usw. Es wird beides untersucht.


[0:02 :31]:



Camillo Schumann



Der Robert hat gemailt. Er hat sich mit Biontech erstmalig impfen lassen. Nach circa einer Woche ist er dann wandern gegangen inklusive




Verändern MRNA-Impfstoffe den weiblichen Zyklus? Tagelange Lymphknotenschwellung eine Woche nach Impfung. Gibt es einen Zusammenhang? Antikörper-Titer bei 12 .000. Wie kann das sein?


Schützt eine Impfung auch vor Long Covid? Sollten Heuschnupfenpatienten zwischen den Impfungen auf Medikamente verzichten.


Hallo kulés mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


und herzlich willkommen zu einem KeCorona-Kompass Hörerfragen-Spezial nur



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.


Frau I. hat folgende Frage zur Zulassung von Impfstoffen:


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Einkehr in den Biergarten. Paar Tage später entdeckte er einen druckempfindlichen geschwollenen Lymphknoten über dem linken Schlüsselbein. Links war auch der Impf-Arm und er spürte ein Stechen in der linken Achsel. Die Schwellung ist auch nach vier Tagen nicht zurückgegangen. Nun, seine Frage: Gibt es eventuell doch Berichte, dass solche Impfreaktionen auch erst nach über einer Woche auftreten und länger als zwei, drei Tage andauern? Oder es ein Zusammenhang zwischen Lymphknoten und Impfung nach dieser Zeit eher unwahrscheinlich. Und die Schwellung hat eine andere Ursache. So langsam, schreibt er, mache ich mir Sorgen. Die Ursache könnte vielleicht Schlimmeres sein als eine einfache Impfreaktion. Herzlichen Dank und viele Grüße.


[0:03:17]:



Alexander Kekulé


Das wäre nicht untypisch, dass ein geschwollener Lymphknoten noch durchaus nach einer Woche noch da ist. Vielleicht hat er den vorher noch nicht bemerkt. Da ist ja auch jeder Mensch bisschen anders. Kann gut sein, dass er nach 2 Tagen schon dick war. Und es dauert einfach eine Weile beim Wandern. Das klingt so nach Rucksack. Und wenn man den Rucksack länger getragen hat und das drückt auf so einen geschwollenen Lymphknoten. Vielleicht hat er das deshalb bemerkt. Also daher würde ich dem jetzt zunächst mal nichts Großes geben. Vielleicht allgemein noch mal zur Erinnerung, dass ich hoffe, dass die Ärzte das immer schön sagen vor der Impfung. Der Arzt ist verpflichtet, eine Aufklärung zu machen. Auch wenn es jetzt natürlich eine Massenveranstaltung mit diesen Impfungen ist. Wir wissen, dass ungefähr zehn Prozent der mit diesen RNA-Impfstoffen geimpften Personen danach eine Schwellung auf der gleichen Seite von den Axillar-Lymphknoten haben. Also in der Achsel von den Lymphknoten. Das kann auch mal am Schlüsselbein sein. Aber jedenfalls auf der gleichen Seite typischerweise. Es sind die Axiliar-Lymphknoten. Und nach der zweiten Impfung ist es sogar ein bisschen höher. Eher bei 15 Prozent. Das ist ein wirklich häufiges Phänomen. Wurde bei dem Moderna Impfungen richtig erfasst. Ich weiß nicht genau, ob bei der Biontech Zulassungsstudie das auch mit drinnen. Weil ich meine, die hatten das nicht so sauber in einer Studie drin. Aber das Phänomen ist inzwischen einfach bekannt für den Arzt. Für die Ärzte, die da vielleicht zuhören, muss man natürlich schon auch sagen. Vorsicht jetzt jeden geschwollenen Lymphknoten, vor allem, wenn er sich dann auch in bildgebenden Verfahren, Röntgen, Ultraschall usw., zeigt, dann immer zu sagen ja, wird schon die Impfreaktionen sein. Da hat natürlich unsere Hörer recht. Wenn man jetzt als Arzt tätig ist, muss man immer auch fragen, ist das vielleicht der erste Hinweis auf irgendein anderes Geschehen. Es gibt ja bösartige Tumore in der Lunge oder auch bei Frauen in Brust-Bereich, die sich durch solche geschwollenen Lymphknoten äußern könnte. Sodass man jetzt quasi rein ärztlich sagen würde, Vorsicht vor der Differentialdiagnose. Also nicht, dass man aus Versehen was übersieht. Aber aus Patientensicht kann man sagen, dass das häufige ist häufig und das Seltene ist selten. Und deshalb ist es also erst mal ganz normal, dass im Zeitraum der Lymphknoten noch dick ist.


[0:05:35]:



Camillo Schumann



Jetzt haben Sie dem Robert die Angst erst genommen und dann gleich wieder gemacht.



Alexander Kekulé


Für die Ärzte. Da muss man aufpassen. Es wird nämlich tatsächlich zurzeit diskutiert. Weil das da geht in den radiologischen Fachblättern. Da gibt es jetzt richtig Artikel, die sagen: na ja, auch das ganz Seltene dürfte ihr nicht aus dem Auge verlieren. Ich möchte niemandem Angst machen an der Stelle. Aber wenn es nach einem Monat immer noch ist, gehen Sie mal zum Arzt.


2 


[0:06:03]:



Camillo Schumann



Wenn hier sozusagen der direkte Anlass oder der vermeintlich direkte Anlass vorhanden ist, nämlich die Impfung. Deswegen sagen Sie, um das abzuschließen: Das ist alles noch im Rahmen.


[0:06:14]:



Alexander Kekulé


Das ist vom Zeitraum auf jeden Fall im Rahmen. Kommt auch immer ein bisschen aufs Alter an. Aber jemand, der jung ist. Der hat ja auch sowieso kein großes Risiko, eine bösartige Erkrankung der Lunge zu haben. Außer er ist gerade Kettenraucher. Deshalb würde ich mal sagen, ein Monat das wäre für mich auf jeden Fall die Karenzzeit, wo es immer noch zur Impfung zählt. Und wenn es nach einem Monat immer noch ist, da ist dann der Moment, wo man mal drüber nachdenken muss, ob man das untersuchen lässt.


[0:06:46]:



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie hat eine Frage stellvertretend für alle Frauen. Sie hat sich mit Biontech impfen lassen und danach folgendes beobachtet.


[0:06:56]:


Zuhörerin


Nun ich festgestellt habe, dass ich ein sehr, sehr verfrühten Eisprung und entsprechend auch früher meine Menstruation erwarten würde. Das habe ich erst mal gar nicht in Zusammenhang gebracht. Ich habe einen regelmäßigen Zyklus habe und mit natürlicher Familienplanung verhüte. Also das Ganze immer gut aufschreibe und ich genau weiß, wie mein Körper funktioniert. Jetzt habe ich über Google rausgefunden, dass es von der Universität in Illinois bereits Studien dazu gibt. Und dass es tatsächlich eine Impfreaktion sein könnte. Und dass sich das öfter auf den weiblichen Zyklus auszuwirken scheint, mit Unterleibsschmerzen, mit veränderter Regelblutung und ähnlichen. Das finde ich ein sehr interessantes Thema und würde das gerne weiter vertiefen oder von Ihnen erklärt bekommen nach Möglichkeit. Ich danke Ihnen ganz herzlich. Es ist ja auch ein bisschen beängstigend, finde ich, was das vielleicht für Folgen haben könnte.


[0:07:49]:



Camillo Schumann



Wir haben doch mehrere Hörerinnen, die dasselbe geschildert haben.



Alexander Kekulé


Da kann ich nur sagen, das ist ein Phänomen, was auch die Ärzte auf dem Schirm haben, nicht nur in Illinois. Und wir wissen nicht, woran es liegt. Sogar in meinem persönlichen Umfeld gibt es die gleichen Berichte. Ich würde dafür plädieren, dass Frauen, die merken, dass es Zyklus-Veränderungen gibt oder Menstruations-Veränderungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Dass sie es auf jeden Fall ihrem Arzt mitteilen. Und dass das auf jeden Fall ans Paul-Ehrlich-Institut gemeldet wird. Das ist ja immer der erste Schritt. Die Patientinnen in dem Fall müssten es melden als mögliche Nebenwirkung. Das kann ja sein, dass es eine Assoziation ist. Die Ärzte, die darüber nachdenken, welche Ursache das haben könnte. Die sind so ein bisschen ratlos. Man sagt dann immer, es könnte an der Aufregung liegen. Die eine oder andere ist irgendwie besonders angespannt aus Angst vor Nebenwirkungen. Man weiß natürlich, dass sowas zu Zyklusverschiebungen führen könnte.


Das passt letztlich alles nicht wirklich ins Gesamtbild rein. Und die Hörerin gerade eben. klang jetzt nicht so hysterisch, wenn ich mal sagen darf. Es ist sicher nicht nur so ein Aufregungsthema. Sonst würde sich das nicht so breit in verschiedenen Ländern widerspiegeln. Wir haben keine Idee, woran das liegen könnte.


Natürlich die Kritiker, die sagen an dieser Stelle, dieser Impfstoff, das muss man fairer Weise sagen, der bleibt nicht an der Injektionsstelle. Das ist bekannt. Sondern ganz kleine Mengen von diesem Impfstoff verteilen sich im Körper. Und da wissen wir, dass die sich in den fettreichen Geweben ansammeln. Diese feinen Bläschen, diese Lipid-Nanopartikels. Die sind ja quasi Fett-Bläschen. Und Gleiches suchte immer Gleiches in der Chemie. Also die fettigen Substanzen verbinden sich mit den fettigen. Und deshalb ist zum Beispiel bekannt, dass diese Nanopartikels in den Eierstöcken bei Ratten in relativ höherer Konzentration als in anderen Organen gefunden werden. Wobei man sagen muss, das sind alles Mini, Mini, MiniSpuren, die da in Phase-zwei-Studien festgestellt wurden. Und man muss jetzt sagen, okay jetzt hat man da so ein Symptom. Erste Stufe: ist es überhaupt statistisch korreliert. Das ist bei solchen Sachen ziemlich schwierig, weil es natürlich viele, viele Frauen gibt, die immer mal wieder Zyklusstörungen haben. Sie setzen sich ins Flugzeug, machen eine Reise über eine Zeitzone. Da ist dann bei vielen alles hinterher durcheinander. Deshalb muss man das auseinanderdividieren. Und wenn man sagt, ja, es ist korreliert. Dann muss man schauen, hat es irgendeinen echten kausalen Zusammenhang. Und wenn es ein kausaler Zusammenhang ist, ist der dann bedenklich. Ist das etwas, was man sozusagen als Nebenwirkung im engeren Sinn dann bezeichnen muss. Auf dem Weg wird das gerade untersucht. Und ich muss zugeben ich bin an der Stelle völlig blank. Ich habe zu wenig Ahnung von der Reproduktionsmedizin, wie das kausal zusammenhängen könnte. Das gibt so unterschiedliche Störungen. Es gibt Zyklus-Verlängerungen. Es gibt Berichte von Zyklus-Verkürzungen. Also beides. Und es gibt Berichte, dass die Beschwerden bei der Menstruation sich verstärken. Was soll ich ihnen sagen? Das sind gynäkologisch gesehen, ganz unterschiedliche Dinge durch die gleichen Impfungen. Da sind noch viele Fragezeichen dran. Bisher gibt es eine Studie. Die hat untersucht, wie ist das eigentlich mit den Hormonen? Verändern sich die klassischen weiblichen Hormone durch diese Impfung. Auch im Zusammenhang mit diesen Nebenwirkungen, die beobachtet wurden. Da ist mal rausgekommen, dass der Mittelwert der Standard-Hormone Östrogene, Gestagene, was man so kennt. Dass sich das nicht verändert hat. Es gibt nicht irgendeine krasse Veränderung. In dem Sinn, dass plötzlich die Östrogene raufgehen oder Ähnliches. Aber das würde man auch gar nicht erwarten. Das schließt jetzt einen feineren Mechanismus nicht aus. Man kann eigentlich so sagen, es gibt diese Berichte. Es Ist notwendig, dass weiter zu verfolgen. Vor allem auch eben zu melden, wenn es auftritt. Wir sind auf jeden Fall noch Monate davon entfernt, wirklich zu verstehen, was da passiert.


[0:12 :08]:



Camillo Schumann



Herr K. hat gemailt. Vor wenigen Tagen habe ich meine erste Impfung erhalten, die ich gut vertragen habe. Nun, mit dem endlich aufkommenden Frühling und Sommer treten meine typischen Allergiesymptome gegen Gräser ein. Meine Frage ist diesbezüglich, ob ich bedenkenlos Antiallergika einnehmen kann, während mein Körper den Immunschutz gegen SARSCoV-2  noch aufbaut. Immerhin schreibt er, dass eine Allergie eine Fehlleitung des Immunsystems gegen den eigenen Körper, die man mit Antiallergika entgegentreten will. Ich würde lieber eine Woche lang juckende Augen ertragen, bevor mein Immunsystem von der Impfung ablenkt. Viele Grüße.


10 [0:12 :44]:



Alexander Kekulé


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Das muss man nicht. Man kann die Antiallergika weiter nehmen. Die alten waren ja sogenannte Antihistaminika, die da das Histamin gebremst haben. Die neueren, die haben so etwas indirektere Wirkung. Lorano kennen wahrscheinlich viele und das. Die wirken aber alle, wenn man sich so vorstellen kann, relativ weit hinten in der Kaskade des Immunsystems. Das Immunsystem hat eine schnelle, frühe Reaktion. Das nennen wir die angeborene Immunantwort. Das hat historische Gründe. Aber die ist tatsächlich auch angeboren. Die passiert ganz schnell innerhalb von Sekunden und Minuten. Und dann gibt es die wesentlich besser entwickelte, kompliziertere Immunantwort. Die gibt es nur bei Wirbeltieren. Die heißt adaptive Immunantwort oder erworbene Immunantwort. Dass ist die Sache mit diesen Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen, über die wir oft sprechen. Das ist das, was im Laufe des Lebens sich bildet und nicht angeboren ist. Und wenn das Ganze in Gang gekommen ist, gibt es hinten auf der Effektor-Seite, wie wir sagen. Sozusagen auf der Output-Seite dieses Immunsystems. Wenn dann das Virus wiederkommt und sagt, ich wollte noch einmal vorbeischauen und versuchen, dich zu infizieren, dann reagiert der Körper. Diese Reaktion auf der anderen Seite ganz am Schluss, die ist überschießend bei Leuten, die zum Beispiel eine Pollenallergie haben. Das sind dann bestimmte Immunglobuline. Bestimmte Antikörper sind dann plötzlich erhöht. Nur dieses letzte Stück, diese letzte Antwort,mdas wird moduliert durch diese Antiallergika. Und vorne die Stufe eins und 2 werden, soweit man das weiß, nicht beeinflusst.


[0:14:2 5]:



Camillo Schumann



Normalerweise wird Menschen empfohlen, die eine Impfung mit Astrazeneca hatten, die zweite Impfung mit dem Wirkstoff von Biontech durchzuführen. Diese Dame hat angerufen und will wissen, wie es denn eigentlich andersherum ist.


Zuhörerin


Ich möchte wissen, ob ich bei meiner zweiten Impfung den Astrazeneca-Impfstoff bevorzugen sollte. Bei der ersten Impfung habe ich Biontech erhalten. Untersuchungen scheinen zu zeigen, dass diese heterologische Impfung wirksamer sein sollte. Würden Sie das empfehlen?


10 [0:15:07]:



Alexander Kekulé


Das ist tatsächlich auch untersucht worden. Die Antwort ist Nein. Es ist es so, dass zweimal Astra weniger wirksam ist als zweimal Biontech. Biontech plus Astra egal in welcher Reihenfolge liegt dazwischen. Das heißt also mit zweimal Biontech hat man eine höhere, statistische Wirksamkeit des Impfstoffs. Und ich würde jetzt wegen dieser Verbreiterung. Das ist ein Effekt, den man grundsätzlich erwarten kann. Das wäre eher interessant, wenn man einen Impfstoff hat, der von der WirksamkeitsKomponente, also von dem, wogegen er eigentlich mal gemacht wurde. Wenn der sich deutlich verändert. Sprich ein Impfstoff, der gegen die neuen Varianten vielleicht ausgerichtet ist. Wenn ich den Anspruch habe, ein zweites Mal Biontech zu bekommen. So ist es ja in Deutschland geregelt, dass das aufgehoben wird für die Impfungen. Aus dem Grund machen wir ja kaum Erst-Impfungen zurzeit. Dann würde ich das, wenn ich das Glück habe, dass man mir das anbietet, das auch wahrnehmen.


[0:16:12 ]:



Camillo Schumann



Diese Hörerin hat gemailt. Sie will wissen, eine vollständige Impfung schützt bisher nur vor einem schweren Krankheitsverlauf. Wenn ich trotz Impfung leicht erkranken kann, habe ich dann auch weiterhin das Risiko von Long Covid? Viele Grüße.


10 [0:16:2 7]:


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Alexander Kekulé


Das ist ja eine pfiffige Frage. Das weiß keiner. Also erstens, das weiß natürlich im Moment keiner. Superinteressant. Wenn ich die Frage höre, würde es mich auch interessieren. Wahrscheinlich ist es nicht. Weil wir ja davon ausgehen, dass bei diesem Long Covid letztlich.. das, was da passiert, ist eine Art Einnistung des Virus. Dass das Virus vielleicht noch irgendwo sitzt und nicht ganz eliminiert wurde. Oder dass es Teile des Virus sind, vielleicht irgendwo. Oder das Spike-Protein oder irgendwelche anderen Bestandteile des Virus, die in irgendwelchen Zellen noch sitzen. Und das Immunsystem knabbert sich daran noch weiter ab. Darum hat man so eine latente leichte Entzündung immer noch irgendwo in den Gefäßen vielleicht. Man nimmt an, dass diese Richtung die Erklärung für das Long-Covid-Syndrom gehen könnte. Um beides ist natürlich extrem unwahrscheinlich, wenn man jetzt eine Impfung hatte und dann auf den Geimpften-Zustand obendrauf quasi eine Infektion bekommt. Die wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit hauptsächlich dann an den Schleimhäuten abspielen. Weil das Immunsystem schafft es dann zwar nicht direkt an der Schleimhaut schnell genug zu sein, um das das Virus abzufangen. Sodass es zu einer lokalen Vermehrung kommt und damit auch möglicherweise zu einer Weitergabe. Man kann ja, wenn das Virus sich in den Atemwegen vermehrt, das auch ausatmen. Konzentration wird nicht mehr so hoch sein. Aber möglich ist es. Long Covid ist nach allem was wir jetzt verstehen, eigentlich eine echte systemische Infektion, wie wir sagen,m notwendig. Das heißt also, das Virus muss sich dann wirklich im sich ausbreiten und wahrscheinlich auch in die Organe kommen, die die klassischen Long Covid Opfer sind. Also meistens das Zentralnervensystem oder eben auch die Lunge im schlimmsten Fall. Manchmal Herzmuskel und solche Dinge. Es gibt auch an den Nieren Beschwerden. Was es nicht alles gibt. Aber daran, dass das Virus dahin kommt, bei einem, der geimpft ist. Das halte ich für unwahrscheinlich. Und wenn es dahin kommt,


dass es dann auch noch so eine Art Dauerentzündung gibt als Reaktion. Das wäre extrem unwahrscheinlich. Aber die Frage ist pfiffig. Sie sollte man auf jeden Fall geklärt werden. Da wird es demnächst Daten zu geben, weil wir ja immer mehr Geimpfte haben und immer mehr Geimpfte sich auch mit den Varianten gerade infizieren können. Dann wird man irgendwann Berichte haben, ob es nach diesen zweifelsohne sehr leichten Infektionen dann trotzdem manchmal Long Covid gibt. Aber bis jetzt muss ich passen. Die Daten gibt es noch nicht.


[0:18:48]:



Camillo Schumann



Wie empfinden Sie eigentlich diese Hörerfragen? Ist es dann wie so eine Prüfungssituation für Sie? Oder ist das so eine Quizshow?


[0:18:56]:



Alexander Kekulé


Ich finde das spannend. Ich finde das total interessant, das es hier so eine Art Schwarmintelligenz gibt von unseren Hörerinnen oder überhaupt von der Bevölkerung. Das sind eigentlich die gleichen Fragen, die man auf wissenschaftlichen Konferenzen hören würde. Klar, wir haben immer auch Fragen dabei, wo man sagt na, das hast du jetzt aber schon fünfmal gehört und dreimal im Podcast erklärt. Das ist mehr so die Abteilung „Aufklärung der Bevölkerung“. Aber manche Fragen sind wirklich so, dass sie genauso gut von einem super vorgebildeten Wissenschaftler stammen könnten. Und deshalb finde ich das sehr spannend und interessant. Und Prüfungssituation. Nein, ich habe in meinem Leben schon so viele Prüfungen machen müssen. Ich werde wohl keine mehr machen. Ich bin da relativ entspannt.



Camillo Schumann



Mich hat es mal interessiert.


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Alexander Kekulé


Das ganze Leben bei mir ist inzwischen auf Talkshow, vom Blutdruck her, auf Talkshow-Niveau, weil ich durch keine Prüfung mehr fallen kann. Aber ich muss oft Prüfungen abnehmen. Ich hoffe dann immer, dass meine, sag ich mal gelassene Grundstimmung sich auf die Prüflinge abfärbt.


[0:2 0:06]:



Camillo Schumann



Hoffentlich jetzt auch auf unseren treuen Hörer Herrn W. Der hat angerufen und folgende Frage gestellt:


Zuhörer


In meinem Bekanntenkreis sind in den letzten sechs Wochen eine Frau und ein Mann, beide um die 90 Jahr, verstorben. Sechs bis sieben Wochen nach der Corona-Impfung. Beschwerden waren: Atemnot, Wasser in den Beinen,im Herzen. Sie sind dann im Krankenhaus verstorben. Meine Frage: Ich vermute einen Zusammenhang mit der Impfung.


[0:2 0:39]:



Alexander Kekulé


Das müsste man wirklich die Ärzte vor Ort fragen, statt so etwas an einem Telefon aus der Ferne zu machen. Es ist echt schwierig. Es gibt rein theoretisch die Situation, dass jemand durch diese Immunreaktion, die ja durchaus stark sein kann. Wenn er vorher schon in einer extrem kritischen Situation war, dass das ihm sozusagen den Rest gibt. Das ist rein theoretisch möglich. Gleich in 2 Fällen nacheinander oder gleichzeitig. Das halte ich für fast ausgeschlossen. Wenn sozusagen die Tage gezählt sind, dann kann es auch sein, dass es eine schlimme Nachricht ist, die die Leute vom Leben zum Tode befördert oder sonst etwas. Es kann sein, dass man abends vergessen hat, das Fenster zuzumachen. Und am nächsten Tag ist ein sehr gebrechlicher Mensch nicht mehr am


Leben. Aber da jetzt einen kausalen Zusammenhang herzustellen. Das würde ich auf Anhieb auf keinen Fall machen. Dann müsste der Arzt wirklich sagen, das sah verdammt danach aus. Das kann man aus der Ferne nicht machen.


[0:2 1:48]:



Camillo Schumann



Unsere Hörerin Steffi hat einen besonders hohen Antikörperwert. Und den kann sie sich nicht erklären.


Zuhörerin


Ich habe zweimal Moderna bekommen und habe dazu MS. Ich bekomme da alle vier Wochen mein Medikament. Ich habe nach 2 Wochen meinen Antikörperwert bestimmen lassen. Der ist bei knapp 12 .000 gelandet. Meine Hausärztin war verwundert. Ich auch. Der Impfschutz besteht ja schon bei 30. Eventuell hat Herr Kekulé eine Erklärung.


[0:2 2 :2 8]:



Alexander Kekulé


Ich habe noch nie von so einem hohen Wert gehört. Die Tests, die ich kenne und die wir auch selber im Labor einsetzen. Da ist bei einigen Hundert Schluss. Das sind ja Antikörper-Titer, was weiß ich. 2 50 ist dann schon ein hoher Titer. Und über tausend messen die normalerweise nicht mehr. 12 .000. Das muss entweder ein Testverfahren sein, was ich gar nicht kenne oder eine besondere Auswertung, die das Labor an der Stelle macht. Aber so einen hohen Titer gibt es mit den Standardtests eigentlich nicht.


[0:2 2 :58]:



Camillo Schumann



7


Und möglicherweise eine Verunreinigung oder ein Fehler im Labor...


[0:2 3:04]:



Alexander Kekulé


Die erste Vermutung ist, dass das ein Schreibfehler ist oder dass die irgendwie eine andere Art haben, diese Werte zu berechnen. Das wäre ein Antikörper-Titer ... Das ist erklärungsbedürftig, wie man den generiert hat.



Camillo Schumann



Also das Labor nochmal kontaktieren?



Alexander Kekulé


Ja, ich würde einfach im Labor mal nachfragen. Das wäre das Naheliegende für den Hausarzt. Die stehen ja mit den Laboren normalerweise in engem Kontakt. Und wenn das irgendwie ungewöhnlich ist. Dann rufen die meistens an. Da gibt es jemanden, der kann das erklären, warum das so ist. Die sind ja nicht so standardisiert. Es ist nicht so, dass diese Antikörper-Titer bei diesem SARS-CoV-2 , diesem Pandemie-Virus, jetzt 1:1 quasi weltweit genau standardisiert sind und immer die gleichen sind. Sondern, gerade weil zum Beispiel gesagt wurde, ab 30 besteht Immunität. Das kommt eben darauf an, welchen Test man hat. Jeder Test hatte auch andere Angaben. Bei manchen sagt man ab 50. Aber so in der Größenordnung sind die Werte. Das sind Einheiten pro Milliliter. Wo man dann sagt, dann und dann gilt als immun. Aber 12 .000. Das weiß ich nicht. Das habe ich noch nie gehört. Und das wird das Labor erklären können.


[0:2 4:17]:



Camillo Schumann



Steffi, melde dich doch mal, wenn das Labor, oder wenn deine Hausärztin das Labor kontaktiert hat. Damit wir dann auch Bescheid wissen. Wäre doch mal interessant.


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 191, „Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial“. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 8. Juni wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne, Herr Schumann. Schönes Wochenende.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Alle Ausgaben vom Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 03. Juni 2 02 1 #190


Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Stellungnahme: EU-Gesundheitsbehörde ECDC gibt wissenschaftliche Überlegungen zur COVID19-Impfung für Jugendliche heraus (01.06.) Interim public health considerations for COVID19 vaccination of adolescents in the EU/EEA (europa.eu)


Studie: 1 von 3000 Israel meldet Zusammenhang zwischen seltenen Fällen von Herzentzündungen und der COVID-19-Impfung bei jungen Männern (01.06.)


Israel reports link between rare cases of heart inflammation and COVID-19 vaccination in young men | Science | AAAS (sciencemag.org)


Donnerstag, 03. Juni 2 02 1


Deutschland macht sich locker. Zu locker? Die Testpflicht wird vielerorts nicht eingehalten, auf Corona-Regeln wird gepfiffen. Gefährdet diese Laissez-faire Haltung unserer Bemühungen?


Dann: Steile These: Ungeimpfte Kinder werden im Herbst für Massenausbrüche an Schulen verantwortlich sein. Die Folge: Erneute Schulschließungen. Wie realistisch ist dieses Szenario?


Außerdem: Herzmuskelentzündung bei jungen Männern nach Impfung mit BioNTech. Wie sind diese Daten aus Israel einzuordnen?


Und: Wo bleibt eigentlich der Impfstoff von CureVac?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


01:04



Camillo Schumann



Zu Beginn der Blick auf die Zahlen. Rund 4600 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Das sind ungefähr 1600 Fälle weniger als vor einer Woche. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz fällt auf 34,1 von fast 37 gestern. 166 weitere Todesfälle mussten gemeldet werden. Das ist also der aktuelle Status quo am 3. Juni 2 02 1. Kurzer Blick zurück: Letztes Jahr um dieselbe Zeit hatten wir eine Inzidenz von 3,8 mit fallender Tendenz und etwa so viele Todesfälle in einer Woche wie jetzt an einem Tag. Mit Blick auf die Lockerungen: Machen wir uns zu früh zu locker?



Alexander Kekulé


Oh, das ist die tausend Dollar Frage. Also, es ist so, dass wir 2 gegenläufige Entwicklungen natürlich haben. Das eine ist: Die Inzidenz fällt und das verstärkt sich natürlich selber. Wie wir schon mal besprochen haben, gibt es möglicherweise eine kleine Verfälschung dadurch, dass die Schnelltests natürlich dann auch weniger gemacht werden und man dann so eine Art Scheinabsturz der Inzidenz bekommt. Und wir haben natürlich das Frühjahr zugleich, was uns auch hilft, weil wir vieles draußen machen, weil die Infektionswahrscheinlichkeit im Freien nicht so hoch ist. Das ist die positive Entwicklung, wo ich glaube, dass das schon ein starker Motor ist. Also, fallende Inzidenz, steigende Temperaturen. Ich glaube, das wird dominieren. Zugleich gibt es natürlich die Gegenbewegung: Unser Gefahrenbewusstsein nimmt ab. Auch politisch gesehen wird das Thema so ein bisschen aus dem Zentrum verschwinden in den nächsten Wochen, weil man damit wahrscheinlich nicht sinnvoll Wahlkampf machen kann. Und da muss man eben aufpassen, ob


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dieses sinkende Gefahrenbewusstsein möglicherweise die positiven Entwicklungen kompensiert. Mein Gefühl ist, dass wir trotzdem auf der richtigen Seite bleiben werden. Also, mit anderen Worten, uns diese gewissen Eskapaden, von denen Sie gesprochen haben, wahrscheinlich leisten können.


03:00



Camillo Schumann



Über die werden wir dann vertiefend im Podcast noch sprechen. Aber wenn man diese beiden Zeitachsen mal vergleicht – Stand heute, 3. Juni, und wo wir vor einem Jahr standen. Zugegeben, wir kommen jetzt natürlich von einem völlig anderen Niveau, auch mit anderen Rahmendaten. Aber die Daten von heute vor einem Jahr hätten ja dazu geführt, dass wir in einen Lockdown gegangen wären.



Alexander Kekulé


Ja, weil man natürlich eine aufsteigende Entwicklung befürchtet hat. Jetzt ist es so, dass wir zum einen sehen, dass es Richtung Besserung geht. Zum anderen – ich möchte jetzt nicht sagen, dass wir eine Hornhaut entwickelt haben gegenüber hohen Inzidenzen. Das ist ja völlig richtig, was Sie sagen, dass da die Empfindlichkeit abgenommen hat. Aber auch mit einer gewissen Berechtigung, weil dadurch, dass viele Menschen geimpft sind, ist einfach die Sterblichkeit nicht mehr so hoch. Also, zumindest von der Tendenz her nicht mehr so hoch. Man kann die Zahlen schwer vergleichen, weil damals hatten wir einzelne Ausbrüche und jeder einzelne Ausbruch war eine Schlagzeile. Und jedes Mal ist dadurch – zumindest im betroffenen Landkreis – der RWert, um den es ja damals noch zum großen Teil ging, hochgegangen. Heute haben wir natürlich schon lange ein diffuses Geschehen über das ganze Land verteilt. Klar, zusätzlich vielleicht noch den einen oder anderen Ausbruch. Aber wenn man sehr, sehr viele Betroffene hat – nicht nur einzelne Regionen Deutschlands, wo das Virus unterwegs ist, sondern insgesamt eine endemische Lage, wie wir das dann nennen würden, es ist also überall vorhanden – dass man da natürlich dann höhere Zahlen hat, ist ja völlig klar. Der Infektionsdruck für den Einzelnen ist jetzt zumindest etwas niedriger als es noch vor drei, vier Wochen war. Die Infektionsgefahr sozusagen in


Alltagssituationen. Und das würde ich jetzt schon mal als positives Zeichen sehen.


04:48



Camillo Schumann



Weil Sie gerade den R-Wert angesprochen haben: Wir schauen uns mal die 2 wichtigen Werte an. Wir blicken zum einen mal auf die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz. In den vergangenen Tagen gab es da eine interessante Entwicklung. Erst gab es ja extrem fallende Inzidenzen, eine Stagnation bei so um die 35. Dann so einen Anstieg auf über 36, fast 37. Und heute fällt sie wieder auf 34,1. Der RWert, also der Wert, der aussagt, wie viele Menschen von einer infizierten Person angesteckt werden, in dieser Zeit relativ konstant bei 0,8. Erklären Sie uns doch mal diese beiden Entwicklungen.



Alexander Kekulé


Ja, das kann man eigentlich nur mit statistischen Streuungen erklären, ob das jetzt 36, 38 oder 34 bei der Inzidenz ist. Ja, da sagt man, es ist gefallen, aber im Grunde genommen ist ja nur der Schätzwert gefallen. Und das Ganze ist noch innerhalb der Fehlertoleranz. Also, wenn Wissenschaftler so Zahlen aufschreiben, dann sagen Sie ja immer: Also, es ist so und so. Und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es wirklich so ist, ist so und so viel Prozent. Da gibt man so Fehlerkorridore an. Und solange etwas noch in diesem Unsicherheitskorridor ist, kann man eigentlich nicht wirklich davon sprechen, dass man ein Fallen oder Ansteigen konstatiert. Nein, wir sind jetzt in so einem Bereich, das wird jetzt noch eine Weile wahrscheinlich da in der Gegend um die 30 rumdümpeln, würde ich mal sagen, die Inzidenz, weil wir letztlich eine Mischsituation haben. Insgesamt ist die Zahl der Infektionen zurückgegangen in der Fläche. Es gibt aber einzelne Subpopulationen, auch Regionen, wo es immer mal wieder hochgeht. Eben gerade die, wo man sich eben nicht besonders um die Schutzmaßnahmen kümmert. Das kann durchaus auch mal so ein kleiner Ausbruch sein in Folge, sage ich mal, was Sie jetzt beschrieben haben, dass man in Kneipen irgendwie da in die Lockerungsphase übergegangen ist. Aber das wird natürlich den bundesweiten Durchschnitt nicht groß verändern, sodass wir durch diesen Staffellauf einzelner Infektionsblasen wahrscheinlich noch eine


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ganze Weile so im Bereich von 30 bleiben werden. Wichtig ist die Frage, ob die Sterblichkeit runtergeht. Das tut sie ja nach wie vor. Aber da würde ich mir natürlich schon sehr wünschen, dass wir tatsächlich wieder in den Bereich kommen, dass wir das ganze Infektionsgeschehen entspannter ansehen können. Dafür wiederum ist viel wichtiger als die Frage „Was machen die Leute in der Kneipe?“, die Frage „Wie fleißig sind eigentlich die Regierungen mit der Nachverfolgung, mit dem Aufsuchen der Risikogruppen, die dann noch geimpft werden müssen?“ Und die muss man ja nicht nur aufsuchen, die muss man zum großen Teil noch überzeugen. Die letzten 2 0 Prozent werden sicher viel, viel schwieriger als die ersten 80 Prozent sein in den Risikogruppen. Und das ist richtig Arbeit. Und da würde ich mir wünschen, mehr von zu hören. Man spricht immer über irgendwelche Leute, die in der Kneipe sitzen und sich leicht angeschickert zuprosten. Das ist im Moment nicht unser Problem, sondern unser Problem ist sozusagen dieses unsichtbare Geschehen bei denen, die eben noch gar nicht geimpft sind.


07:47



Camillo Schumann



RKI-Präsident Lothar Wieler, der hat zu Inzidenz und R-Wert so seine eigene Ansicht. Und zwar Folgende:


„Es wird auch wieder Folgendes geschehen: Je geringer die Inzidenzzahlen sind, desto stärker schwankt natürlich auch wieder dieser R-Wert. Wenn es jetzt zum Beispiel, Sie erinnern sich vielleicht noch an den großen Ausbruch im letzten Sommer bei Tönnies in dieser Fleischverarbeitungsfabrik, wo dann dadurch allein der RWert nach oben geht, weil dann Ausbrüche einen viel höheren Einfluss natürlich auf die geringen Zahlen haben. Also, da müssen wir uns wieder dran gewöhnen. Aber ich habe es lieber unten und der R-Wert schwankt mehr, als es oben zu haben mit einem stabilen R-Wert. Das ist klar, ja.“


Geht es Ihnen da genauso?



Alexander Kekulé


Ja, also, wir könnten im Grunde genommen, wenn Herr Wieler erinnert an die Zeit damals, könnten wir jetzt ein paar alte Bänder raus kra-


men von den Podcasts. Also, es ist ja tatsächlich so, dass, wenn man einzelne Ausbrüche hat, dass dann der R-Wert nicht mehr so eine starke Aussagekraft hat. Inzwischen sagt Herr Wieler, dass, so, wie er es jetzt sagt – damals, erinnere ich mich, mussten wir immer sehr stark gegenhalten – dass der R-Wert in den Fällen eben nicht so viel aussagt. Das war ja damals immer unser ceterum censeo, dass man da aufpassen muss. Und ich erinnere mich auch noch gut an die Verwechslungen beim Robert Koch-Institut, als man noch nicht so genau wusste, was eigentlich R-Null ist im Unterschied zum wirklichen R. Also R-Null, diese Höchstgeschwindigkeit, die theoretische, die wurde ja da immer mal verwechselt. Also, so gesehen sind wir jetzt alle sattelfest mit dem Thema. Und ja, es ist tatsächlich so, dass, wenn Sie einzelne Ausbrüche haben und man insgesamt viele – wie soll ich sagen. Wenn die Basiszahl klein ist, also, wenn Sie nur fünf Kinder in einer Klasse haben, die Einsen schreiben und die anderen sind alle schlecht. Und 2 von den fünf Kindern sind krank an dem Tag, wo die Schulaufgabe gemacht wird, dann drückt das den Durchschnitt ganz gemein. Dann sieht es so aus, dass wäre die Klasse wahnsinnig schlecht geworden. Und so ist es hier eben auch. Wir haben jetzt eine Stichprobe, die sozusagen absolut gesehen nicht mehr so groß ist. Und wenn Sie dann solche Mittelwertbildungen oder Entwicklungen sich anschauen, dann sieht das dann so aus, als würde das stärker ausschlagen, was gar nicht unbedingt der Fall ist. Vielleicht kann man sich so praktisch Folgendes überlegen: Also, im Grunde genommen genauso gut wie der Blick immer auf den R-Wert, ist – das ist das, was ich eigentlich immer mache. Man sieht ja die Inzidenzen und die Medien sind da – fast hätte ich gesagt – schon einen Schritt weiter. Die sagen nämlich immer dazu, wie wir ja auch: Wie war denn die Inzidenz eigentlich vor einer Woche? Und das ist eigentlich die viel wichtigere Information, weil wir wissen, dass es normalerweise ja so vier Tage dauert, bis jemand, der positiv war, jemand anders angesteckt hat. Also, zwischen Erkennung der Krankheit und Ansteckung des Nächsten – dieses sogenannte Intervall zwischen 2 Infektionsgenerationen – das liegt so bei vier, fünf Tagen. Und dann mit ein bisschen Meldeverzug kann man dann sagen: So


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eine Woche ist ein ganz guter Parameter. Wenn also die Inzidenz heute höher ist als vor einer Woche und ich das über Tage hinweg immer wieder sehe, dass es höher als vor einer Woche ist, dann ist das ein Hinweis darauf, dass R über eins ist. Und wenn R heute niedriger als vor einer Woche ist, dann ist das ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass R geringer als eins ist. Und ganz ehrlich gesagt: Ich versuche mich da immer ein bisschen zu entspannen und jetzt nicht immer wahnsinnig nervös auf die aktuellen Zahlen zu gucken. Wir sind in einer guten Entwicklung und ich gucke einfach immer nur: Ist die Inzidenz tendenziell genauso groß oder vielleicht sogar niedriger als vor einer Woche? Und wenn das der Fall ist, dann ist alles gut.


11:2 7



Camillo Schumann



Wir besprechen das auch deswegen, weil man das ja auch häufig liest oder dann sieht in Talkshows, dass dann selbst die Inzidenz einen Tag vorher schon in die Waagschale geworfen wird und dann ganz hektisch Fragen gestellt werden: Wie kann das sein? Sind wir jetzt überhaupt noch auf einem guten Weg? Also, sozusagen: Alle mal ein bisschen entspannen, ein bisschen durchatmen. Und wenn überhaupt, dann vergleichen mit der Woche davor. Und das über einen längeren Zeitraum, um dann einigermaßen eine Aussage zu treffen, ab wann wir uns dann wieder entspannen bzw. unentspannt sein können.



Alexander Kekulé


Ja, ich plädiere da sozusagen für die Entdeckung der Langsamkeit. Das Infektionsgeschehen ist ja so ein Prozess, der jetzt nicht so etwas Nervöses hat wie eine Fliege, die irgendwo hin und her saust. Und wenn man die erwischen will, muss man natürlich schnell sein. Ich würde das eher im Moment vergleichen mit jemandem, der zuguckt, wie eine Pflanze wächst oder was die tut. Und da hat es jetzt keinen Sinn, zu sagen: Jetzt ist aber das Blatt weiter links oder weiter rechts. Sondern die eigentliche Entwicklung, also das Wachstum bei so einer Pflanze – bei uns hoffentlich dann der Rückgang der Zahlen – ist eben ein längerfristiger Prozess. Und da ist es vielleicht ganz gut, immer mal alle 2 Tage nur die Nachrichten


anzuschauen. Dann hat man einen besseren Überblick.


12 :42 



Camillo Schumann



Okay, das dazu. Ein bisschen mehr Gelassenheit für uns alle mit Blick auf die Zahlen. Ich muss jetzt an dieser Stelle eine persönliche Beobachtung mal zum Besten geben, wo ich jetzt nicht so ganz gelassen bin. Ich war diese Woche das erste Mal wieder im Biergarten. Waren Sie eigentlich schon im Biergarten jetzt nach den Lockerungen?



Alexander Kekulé


Nein, tatsächlich nicht. Ich bin nicht so ein großer Biergarten-Fan. Aber da ich ja gebürtiger Münchner bin, ist es natürlich so, dass ich nicht drum herumkomme, gelegentlich in den Biergarten zu gehen. Kommt noch, kommt noch.



Camillo Schumann



Es ist ja in Ihrer DNA. Also, es war ja sehr, sehr schön im Biergarten. Ich war nur ein bisschen erschrocken, was der halbe Liter Bier kostet, das war man ja lange nicht gewöhnt. Da hat man es sich ja selber gekauft. Egal. Ich und mein Bekannter, wir haben uns dann vorschriftsmäßig vor dem Biergartenbesuch testen lassen. Das hätten wir uns aber wirklich sparen können. Die Testergebnisse, die wurden nämlich überhaupt nicht kontrolliert. Ich habe die Bedienung dann gefragt, warum das nicht gemacht wird, da sagte sie: Na ja, wir wurden letzte Woche von den Gästen beschimpft und bedroht, deshalb verzichten wir darauf. Wir haben die letzten Monate nichts verdient und jetzt sollen wir uns auch noch bepöbeln lassen. Sie sagte dann noch so im Scherz zu mir: Na, du bist ja auch nur ein Hausstand, also brauchst du auch keinen Test. Mein Friseur vorletzte Woche wollte das Testergebnis auch nicht sehen. Ein befreundeter Wirt von mir hat mir auch erklärt, dass erst ab drei Hausständen Tests gemacht werden müssen, was nicht stimmt. Bilder von überfüllten Kneipen und Bars gibt es ja aus vielen deutschen Städten. Herr Kekulé, das ist ja so eine Mischung aus, weiß ich nicht, Überforderung, Trotz, Ignoranz. Wie gefährlich ist diese Laissez-faire Haltung? Also, könnte uns das noch wirklich auf die Füße fallen?


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Alexander Kekulé


Also, ich weiß jetzt nicht, ob es uns in dieser Welle jetzt auf die Füße fällt. Man kann allerdings natürlich schon Folgendes sagen: Wenn wir es da völlig übertreiben an der Stelle, dann lohnt der Blick ins Ausland. Es gibt ja Länder, die haben am Anfang dieser Pandemie wirklich hervorragend reagiert. Also, ein Beispiel, was ich manchmal erwähnt habe ist ja Uruguay zum Beispiel, in Südamerika. Die haben jetzt inzwischen es einfach nicht mehr durchgehalten, diese Maßnahmen. Haben sich auch lockergemacht, weil die Fallzahlen runtergegangen sind. Und die haben im Moment übelste Ausbrüche dort. Das ist wirklich so, dass auch wirklich die Intensivstationen wieder voll sind. Ganz berühmt ist ja das Beispiel von Chile, wo sogar viele Menschen geimpft sind, aber eben nur einmal geimpft sind und viele eben auch nicht geimpft sind. Also, ich weiß nicht, glaube, die haben eine Impfquote von 70 Prozent oder so, was eigentlich toll ist. Aber die anderen 30 Prozent können sich natürlich auch noch schwerst infizieren. Und die 70 Prozent Teilgeimpften, die können auch zur Weiterverbreitung natürlich beitragen. Ohne, dass sie jetzt vielleicht schwere Symptome bekommen. Und wie man hört ist in Chile jetzt auch die Situation so, dass die kaum noch Intensivbetten haben im Moment, weil sie eine ganz fürchterliche weitere Welle haben. In Thailand, weiß ich, ist gerade wieder ein Lockdown angeordnet worden, weil einfach die Bevölkerung, wie soll ich es sagen, denen geht einfach die Puste aus. Also, das merkt man ja auch bei uns. Man sagt: Jetzt muss aber endlich mal Schluss sein damit, ich halte das nicht mehr durch. Und denen kann ich nur sagen: Dieses Virus, das ist nicht heimtückisch, sondern das ist einfach tote Materie. Ja, das lauert im Keller und wartet auf seine Chance. Und das kann echt warten. Wenn Sie tot sind, können Sie wirklich warten. Und das Virus kann warten. Und wenn wir irgendwann uns locker machen nach dem Motto „Wird schon nicht so schlimm sein wie vor einem Jahr“, dann ist das ein Automatismus, dass die Fallzahlen wieder hochgehen. Und dann auch die Sterblichkeit. Also, das muss man sich mal vor Augen halten, das ist nicht so eine psychologische Komponente, die wir Menschen ja alle haben, so nach dem Motto „Jetzt müssen wir auch irgendwie mal vom lieben Gott belohnt


werden dafür, dass wir so brav waren.“ Das Virus belohnt uns gar nicht. Das ist da völlig kaltblütig und kommt einfach wieder. Egal, ob das die Varianten sind, vor denen immer gewarnt wird, oder das ursprüngliche Virus. Das spielt in dem Zusammenhang nicht die große Rolle. Wichtig ist einfach: Der Feind ist noch da. Und wenn wir das im Bewusstsein haben und, sage ich mal, das Ganze mit Maßen machen – insbesondere dann so Treffen versuchen, im Freien zu machen – dann glaube ich, ist das schon in Ordnung. Man muss halt aufpassen, dass man nicht große Ausbrüche irgendwo bei Kellerpartys und Ähnliches demnächst hat.


17:00



Camillo Schumann



Gerade die Unterhaltung mit dem Wirt oder mit der Bediensteten im Biergarten hat mich doch sehr schockiert. Also, dass zum einen das ja auch nur eine Reaktion auf die Gäste ist, die eben zunehmend ungehalten sind, pöbeln, bedrohen. Und zum anderen der Wirt, der offenbar sehr uninformiert ist. Also, das sind ja quasi 2 Problemlagen. Wenn die zusammenkommen, dann wird es ja richtig brenzlig. Also, mit anderen Worten: Die Verordnungen scheinen nicht mehr so durchdrungen zu werden und die andere Seite hat keine Lust mehr.



Alexander Kekulé


Ich würde fast jetzt mutmaßen, dass die Bevölkerung das Parlament auch irgendwie spiegelt. Eigentlich sollte es ja umgekehrt sein, dass das Parlament sozusagen ein Mikrokosmos für die Bevölkerung ist. Aber hier geht es in beide Richtungen. Ich glaube nicht, dass die Abgeordneten inzwischen alle auf dem Radar haben, wo was jetzt genau erlaubt ist. Und es ist natürlich so, der Präsident des Robert Koch-Instituts, der sagt natürlich zurecht: Wir stufen jetzt mal die Risikosituation von sehr hoch auf hoch runter. Da hört man einfach nur: Ist nicht mehr so schlimm wie vorher. Und in dieser Situation ist es auch wahnsinnig schwierig, sich weiter am Riemen zu reißen. Das verstehe ich schon. Andererseits muss ich sagen, es gibt natürlich Situationen – Sie wissen, ich gucke einfach wirklich immer sehr fokussiert auf die Situationen, wo wir Superspreading Gefahr haben. Und dass das jetzt zum Teil – ich habe das, kann ich ja sagen, in Halle tatsächlich gesehen, wo ich ja unter der Woche immer bin.


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Und da ist es wirklich so, wenn man da jetzt in einer Straßenbahn fährt, haben viele Menschen keine Masken mehr im Gesicht. Ich weiß nicht, ob da FFP2 -Pflicht besteht, aber aufgezogen werden sie jedenfalls nicht. Die haben alle normalen Mundschutz auf und den häufig auch nicht über der Nase. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass da so eine Stimmung ist, dass man dann jemandem sagt: Pass mal auf, ziehe dir doch bitte mal deine Maske an. Sondern es ist eher so die allgemeine Stimmung: Jetzt reicht es mit diesem Masken Krimskrams. Also, eher so wie in republikanisch dominierten Staaten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist in anderen Bundesländern anders, ohne jetzt da Beispiele zu nennen. Aber das ist in anderen Bundesländern dann schon so, dass die Leute konsequent noch die FFP2 -Masken aufhaben. Und wahrscheinlich jemand, der gar keine Maske aufhätte, das würde auf jeden Fall dann eine Reaktion der Mitreisenden herbeiführen. Ob die erfolgreich ist, weiß man natürlich nicht. Also, so die Stimmung, sage ich mal, will ich damit sagen, ist dann schon lokal auch unterschiedlich. Und das kann man aber jetzt nicht vom Virus sagen. Das Virus ist überall das Gleiche. Und wenn es irgendwo eine Lücke sieht – Beispiel Uruguay, Thailand, Chile, es gibt viele weitere Beispiele – dann schlägt es auch wirklich gnadenlos nochmal zu.


19:46



Camillo Schumann



Kommen wir zum nächsten Thema. Das Thema Impfung für Kinder wird ja nach wie vor heiß diskutiert. Deutschland wartet auf eine klare Ansage der Ständigen Impfkommission. Die EUKommission, die hatte ja den Impfstoff von BioNTech nach einer Zulassungsempfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde auch für zwölf bis 15-Jährige zugelassen. Insbesondere für Kinder mit Vorerkrankungen ist der Nutzen höher als die Risiken. Nun hat sich das ECDC Europäische Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zum Impfstoff von BioNTech für Kinder auch positioniert. Und das, wie ich finde, sehr deutlich. Das ECDC schreibt zum Beispiel:


„Der individuelle, direkte Nutzen einer Covid-19 Impfung bei Jugendlichen dürfte im Vergleich zu älteren Altersgruppen begrenzt sein.“


Und weiter:


„Die Impfung von Jugendlichen mit hohem Risiko für schweres Covid-19 sollte wie bei anderen Altersgruppen als Priorität angesehen werden.“


Wie bewerten Sie diese Positionierung?



Alexander Kekulé


Ich freue mich darüber, dass hier einfach eine wissenschaftlich nüchterne, wirklich sachgetriebene Argumentation stattgefunden hat. Und die bestätigt ja das, was, glaube ich, in diesem Podcast schon sehr früh formuliert wurde und was jetzt ein bisschen gegen den Strom eigentlich ging am Anfang. Da ist man dann immer froh, wenn es Mitstreiter gibt. Ich bin sehr gespannt, wie die Ständige Impfkommission sich jetzt demnächst äußert. Aber letztlich ist das, was hier runterdekliniert wurde, ganz einfach nach dem wissenschaftlichen Buch, sozusagen nach dem Lehrbuch. Nummer eins ist: Was bringt es für die Gesundheit der geimpften Individuen selbst? Das ist auch gesetzlich vorgeschrieben bei der Notfallzulassung. Und da sagt ECDC eben in der Abwägung: Unterm Strich rechtfertigt das nicht die Risiken. Zweitens: Was bringt es möglicherweise um die Menschen nicht gesundheitlich, aber sonst zu einem normalen Leben zurückzubringen? Also, hier diese Jugendlichen, um die es ja da geht – Altersgruppe zwölf bis 15 – oder Kinder und Jugendliche – ich glaube, ab 14 sagt man bei uns dann nicht mehr Kind irgendwann – da ist es so, dass die natürlich eine gewisse Normalisierung ihres Lebens dringend brauchen, insbesondere in der Schule, aber auch sonst im Alltag. Und da ist die Frage: Okay, wenn es jetzt für die Gesundheit dieser Altersgruppe vielleicht nicht so viel bringt, kann man vielleicht für die Normalisierung ihres Lebens irgendwie Schlussfolgerung ziehen? Dieses Argument ist meines Erachtens noch nicht ganz ausdiskutiert, weil da das Für und Wider noch nicht richtig diskutiert wurde. Und dann gibt es das dritte Argument, was ja einige Kollegen von mir dann immer bringen, die sagen: Ja, ja, für die Gesundheit bringt es vielleicht nicht so viel, aber wir müssen doch die Pandemie kontrollieren und das können wir nur, wenn wir diese Altersgruppe impfen. Und da hat eben eigentlich ECDC klipp und klar gesagt: Für dieses Argument gibt es keine Daten. Also, die sagen, dass


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es so ist, dass das völlig unklar ist. Hier in dieser Situation sagen sie zum Beispiel, ich habe mir da eine Stelle rausgeschrieben aus diesem Statement, das können wir ja vielleicht auch auf die Webseite dann stellen. Also mehrere Studien zeigen, dass es einen Altersgradienten gibt, von alt nach jung. Kinder im Alter von zehn bis 14 und jüngere sind scheinbar weniger empfindlich für oder weniger empfänglich für Covid. Das ist also das Statement von der Europäischen Gesundheitsbehörde. ECDC ist ja quasi das CDC in Europa, das europäische CDC. Es gibt inzwischen übrigens auch ACDC nicht die Rockgruppe, sondern African Centers for Disease Control. Und es ist so, dass sie dann eben klar sagen: Es sind eben nur sehr wenige – ich lese hier auch vor – sehr wenige Daten über Post-Marketing-Sicherheit von CovidImpfstoffen in dieser Altersgruppe verfügbar. Das heißt im Klartext: Wir haben eben noch kaum jemanden geimpft. Und deshalb haben wir zu wenige Sicherheitsdaten, um das wirklich richtig zu beurteilen. Und deshalb sagen sie im Gesamtpaket: Eher Vorsicht. Also, sie sagen im Grunde genommen, man sollte sich das nochmal überlegen, ob die Indikation besteht. Ein Punkt, den sie fordern – finde ich auch richtig, wissenschaftlich weiter zu untersuchen – ist, dass sie sagen: Wir haben auch zu wenig Daten, ob jetzt Long Covid bei Jugendlichen und Kindern eine Rolle spielt. Natürlich gibt es Fälle, gibt inzwischen drei oder vier Studien, die das an kleinen Fallzahlen gezeigt haben, dass es vorkommt. Aber wir wissen nicht, wie das längerfristige Schicksal dieser Kinder ist. Ob das Long Covid vielleicht nach drei, vier Monaten wieder weggeht. Diese Dinge haben ja auch – gerade, wenn es jetzt neurologische Erkrankungen sind – immer auch eine psychologische Überlagerung. Ich meine, Kinder, die da monatelang im Lockdown waren, da ist nicht ganz klar, wenn der dann sagte, ich habe immer noch Kopfschmerzen, wie signifikant das langfristig ist. Also, da muss man schon einige Daten dann erheben. Und da sagen sie: Long Covid müssen wir genauer untersuchen, weil das könnte ein Grund sein. Also, das muss man ja auch umgekehrt sagen. Wenn ich immer so ein bisschen sage: Überlegt euch das gut, ob ihr die Kinder jetzt so konsequent impfen wollt, kann man auf der anderen Seite natür-


lich in die Waagschale werfen – falls jetzt rauskommen sollte, dass die zum Beispiel sehr häufig Long Covid kriegen, wo es im Moment überhaupt keine Daten für gibt, also keine Hinweise darauf gibt, sieht eher so aus, als wäre es extrem selten – aber falls das häufiger ist als erwartet, kann man ja diskutieren: Bringt die Impfung, zumindest in einem bestimmten Alter, dann vielleicht doch was? Und ich kann es nur nochmal sagen: Das Hauptproblem ist, dass wir – selbst, wenn wir die zwölf bis 15Jährigen jetzt impfen – dann haben wir halt die Situation: Was ist mit den jüngeren Kindern? Sodass ich letztlich meine – und das liest man aus der ECDC-Studie raus – dass, wenn man wirklich von Jugendlichen spricht, also ich sage mal 15 und älter oder von mir aus auch Teenager, die wären ja dann ab 13 – da heißt es ja dann thirteen und darum heißen sie Teenager bekanntlich. Und bei Teenagern, würde ich mal sagen, na ja, wenn man sich da entschließt, die letztlich wie die Erwachsenen zu behandeln, dann ist das immunologisch extrem plausibel. Es sieht so aus, als wäre da das Immunsystem sehr gut vergleichbar mit den Erwachsenen. Heißt aber für mich nicht, dass man dann nach unten weitergehen kann bei den Kindern. Also, 13, zwölf, elf und so weiter. Da wird es dann eben kompliziert. Da müssen wir über Impfstoffdosen nachdenken. Da müssen wir über ungewöhnliche Risiken von Kindern nachdenken. Und da finde ich sehr gut, dass ECDC jetzt mal einen Pfosten eingeschlagen hat und im Grunde genommen so eine Art Stoppsignal hier gesetzt hat und gesagt hat: Nee, da müssen wir erst die Datenlage erweitern.


2 6:2 0



Camillo Schumann



Aber grundsätzlich sind Sie jetzt nicht gegen das Impfen, sondern haben eben nur gesagt, dass es dort besonders Sinn macht. Das muss man auch dazu sagen.



Alexander Kekulé


Ja genau, also ich bin überhaupt nicht gegen das Impfen. Also, ich bin sogar extrem dafür. Also, das Impfen ist das einzige, was uns hier aus der Pandemie rausbringt. Das war ja von Anfang an sehr früh klar, dass wir keine Chance haben, diese Pandemie zu beenden ohne Impfen. Ich glaube auch inzwischen, dass wir sie


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selbst mit impfen nicht beenden werden wegen der Varianten, die auftreten und weil wir immer Teile der Bevölkerung haben – zumindest, wenn man es global anschaut – die eben ungeimpft bleiben. Aber das Impfen wird eben diese Krankheit zu einem erträglichen Phänomen machen. Es wird nicht diese Pandemie irgendwann zu Ende sein, in dem Sinn, dass es ein großes Feuerwerk gibt. Und dann, was weiß ich, eine Parade am 17. Juni und dann feiert man das Ende der Pandemie oder so ähnlich, wie man das vielleicht in einem Hollywood-Film sich vorstellen könnte, sondern das wird so langsam ausschleichen. Und irgendwann werden wir halt merken: Mensch, dieses Virus ist immer da, aber irgendwie interessiert es uns nicht mehr so, sondern es ist halt da. Und es ist eine Krankheit von vielen geworden. Also, so wird letztlich die Pandemie zu Ende gehen. Das war bei den früheren Pandemien auch so. Also, das Pandemie-Virus von 1918, Spanische Grippe, eine der sehr gut dokumentierten Pandemien, wo man weiß, das war eine ganz fürchterliche Sache, auch global ähnlich vernetzt wie heute schon. Und da gab es auch kein Ende, sondern zehn Jahre später gab es noch Infektionen mit dem Pandemie-Virus von 1918, weil der eine oder andere halt das noch nicht abgekriegt hatte und aus welchen Gründen auch immer da empfänglich war. Und so wird es ja auch sein. Das Virus entwickelt sich weiter und wir werden das noch lange, lange als Thema haben. Aber es ist eben keine Headline mehr. Und das Wichtigere ist ja die Frage: Wann können wir unsere nicht-pharmakologischen Gegenmaßnahmen beenden? Also, wann können wir letztlich aufhören, die Leute einzusperren, zu nötigen, Masken zu tragen, die sozialen Beschränkungen zu machen und so weiter. Und da meine ich schon, dass wir eine gute Chance haben, dass, wenn jetzt die Herbstwelle dann durchgelaufen ist, dass wir dann in der Situation sind, wo wir also in einem Jahr von jetzt wahrscheinlich nicht mehr über das Thema „Welche Maßnahmen brauchen wir sonst noch?“ reden müssen.



Camillo Schumann



Haben Sie jetzt wirklich einsperren gesagt?



Alexander Kekulé


Ja, ich finde schon. Also, das Einsperren ist natürlich symbolisch gemeint. Aber, wenn Sie


jetzt – zum Teil hatten wir das ja wirklich mit diesen Ausgangssperren, die gab es ja tatsächlich. Und dann haben wir nächtliche Ausgangssperren zum Teil jetzt noch als Möglichkeit im Raum stehen. Und ich finde auch für Kinder, wenn die dann ihre Freunde nicht treffen können und nicht in die Schule gehen und so. Das hat schon einen Charakter von einsperren für mich. Also, ich glaube, psychologisch ist das nicht so ein großer Unterschied.


2 9:15



Camillo Schumann



Weil Sie ja auch gesagt haben, das Virus wird uns noch lange begleiten, liegt unter anderem auch möglicherweise daran, dass die armen Länder ja auch nur einen Bruchteil der versprochenen Impfdosen bisher erhalten haben, die die reicheren Länder ihnen ja versprochen haben. Also, das ist sozusagen auch noch ein Problem in der Waagschale.



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein Trauerspiel, weil das ist so: Das, was wir hier machen als Pandemiebekämpfung – das muss man doch klar sagen – das können doch nur die Reichen, dass man sagt: Bleibt mal schön zu Hause, bestellt mal alles bei Amazon oder einem anderen Lieferanten Ihres Vertrauens. Ihr macht alles online mit irgendwelchen Laptops, die ihr zu Hause stehen habt. Ja, wir wissen, es gibt Teile der Bevölkerung, die haben das nicht. Und es gibt viele Schulen, die sind schlecht ausgestattet. Aber das ganze Konzept, das funktioniert ja nur in einer von der Infrastruktur extrem gut funktionierenden Gesellschaft. Und das hat auch viele weitere Aspekte. Der andere ist diese Ausgleichszahlungen, dass also jetzt Kurzarbeit bezahlt wird und was es nicht alles gibt, um den wirtschaftlichen Ruin zu verhindern oder zumindest teilweise zu verhindern von manchen Menschen. Das gibt ja in vielen oder in den meisten anderen Ländern gar nicht. Also, das sind dann Länder, wo man sagt: Wenn wir jetzt eine Ausgangssperre in Indien verhängen, zum Beispiel, dann wird die nicht eingehalten, weil die Leute müssen doch raus, um sich etwas zu essen zu besorgen. Die müssen raus, um sich irgendwie Geld zu besorgen. Die können nicht einfach zu Hause bleiben und sagen: Wir machen das jetzt wie die Deutschen. Und da sind im


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Grunde genommen Konzepte dann auch übergestülpt worden. Das wird in Indien gerade groß diskutiert. Die haben sich dann in Industrieländern so halbwegs bewährt. Und dann sagt man jetzt, man müsste das genauso machen. Und das funktioniert eben dort nicht. Und gleiche Situation haben wir jetzt in Thailand. So drastische Maßnahmen kann man eben dort nicht machen. Und deshalb können wir froh sein, dass wir überhaupt dazu in der Lage waren, das zu machen. Und ja, im Ausland wird es zum großen Teil so sein – in den weniger entwickelten Ländern – die fallen jetzt im Grunde genommen in folgende Falle rein. Die haben sich auch Mühe gegeben. Die können das nur nicht so lange durchhalten wie wir. Die haben auch versucht, anti-pandemische Maßnahmen zu ergreifen. Und jetzt, wo die Bevölkerung bei denen auch müde ist, weiterzumachen, so wie bei uns – Vietnam ist ein gutes Beispiel, die halten es einfach nicht mehr durch wirtschaftlich und psychologisch wahrscheinlich auch nicht. Und da ist aber jetzt kein Impfstoff da. Also, stellen Sie sich mal vor bei uns dieser Druck in der Bevölkerung, sich jetzt die Masken vom Gesicht zu reißen, nicht einmal in der Straßenbahn wollen Sie sie noch aufhaben. Und zugleich wäre kein Impfstoff da. Und so geht es dem größten Teil der Welt. Das muss man sich mal klarmachen. Und deshalb ist es völlig richtig, was Sie sagen: Solange der Rest der Welt eben noch nicht durchimmunisiert ist, auf welche Weise auch immer, ist es für uns auch weiterhin ein Thema, dass wir hier aufpassen müssen, dass wir nicht weitere Einbrüche haben von diesem Virus.


32 :08



Camillo Schumann



Kommen wir zurück zum Thema Impfung für Kinder. Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die hat ja vor ein paar Tagen eine Diskussion angestoßen. Sie hatte ja gesagt:


„Ich möchte, dass vor allem nach den Sommerferien überall der Schulbetrieb wieder relativ normal beginnen kann. Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn möglichst viele Schülerinnen und Schüler geimpft wären.“


Viele Eltern, auch Experten und Expertinnen, hörten da so eine implizite Forderung heraus, so nach dem Motto „Schulen nur aufmachen, wenn alle geimpft sind.“ Das war natürlich


nicht so gemeint. Aber ich sag mal so, die Kunst der Kommunikation wird in der Pandemie von Entscheiderinnen und Entscheidern ja unterschiedlich beherrscht, sei es drum. Nun hat sich ihr Kollege Karl Lauterbach in der Sendung Markus Lanz auch für die Impfung von Schülerinnen und Schülern ausgesprochen. Und als Begründung hat er eine einfache Rechnung aufgemacht. Wir hören nochmal zusammen rein:


„Die Kinder gehen wieder in die reguläre Schule, sind aber nicht geimpft. Dann werden wir mit den Varianten – wahrscheinlich auch die ähnliche Variante im Vordergrund – werden wir riesige Ausbrüche in den Schulen sehen. Und da ich das verhindern möchte, da ich also einfach verhindern möchte, dass wir im Herbst nochmal in eine Situation kommen, wo dann entweder Quarantäne, Schule schließen und so weiter und so fort. Oder Wechselunterricht und so weiter. Und da wäre ich bereit, zu sagen – also Ross und Reiter nennen – die 2 Wochen schieb ich diejenigen, die keine Priorisierung haben, aber Erwachsene sind, die schiebe ich nach hinten, schiebe die Kinder dazwischen.“


Erst einmal: Würden Sie sich dieser Einschätzung anschließen, dass ungeimpfte Kinder für Massenausbrüche sorgen und damit für Schulschließungen im Herbst verantwortlich sein werden?



Alexander Kekulé


Erstens gibt es die Gefahr, dass – oder wie er sagt, dann wird es, er sagt ja nicht, es gibt die Gefahr, sondern er macht da so einen Automatismus draus: Es wird riesige Ausbrüche geben, wenn die Kinder nicht geimpft sind. Antwort: Nein, das wird nicht so sein. Und zwar, weil da ist ja noch die Frage dazwischen: Was machen wir eigentlich, wenn es Fälle in der Schule gibt? Und müssen wir dann die Schule schließen? Auch da kann man sagen: Das ist kein Automatismus. Sondern Nummer eins ist die Frage: Wird es überhaupt viele Fälle in der Schule geben? Wie das Zitat von der ECDC vorhin von der Europäischen Seuchenbehörde ja gezeigt hat: Die Mehrheit der Fachleute ist eigentlich der Meinung, dass bei Kindern die Infektionsgefahr und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sozusagen Motor sind für eine Weiterverbreitung der Pandemie, nicht so groß ist wie bei älteren. Keiner weiß genau, wo die Grenze ist.


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Also, ich würde schon sagen, Jugendliche in der Schule sind ein Risikofaktor. Aber Kinder und Kita-Kinder, von da ist ja – anders als wir das von Influenza immer gesehen haben und von anderen Krankheiten – jetzt nirgendwo wirklich die Pandemie ausgegangen, in keinem Land der Erde. Und das kann man erstmal so konstatieren. Übrigens, als kleiner Nebeneinwurf: Es gab ja mal diese Diskussion, Christian Drosten hat mal eine Studie gemacht, wo er, ich glaube, auch missverstanden wurde und wo er verglichen hat, wieviele Viren eigentlich im Rachen von Kindern sind, also in den Abstrichen, die da gemacht wurden an der Charité. Und hat gesagt, am Anfang ist das ungefähr gleich und da wurde dann immer so die Schlussfolgerung gezogen: Kinder sind genauso infektiös wie Erwachsene. Und jetzt muss man sagen, also, diese Studie ist ja gerade zusammen mit anderen Daten veröffentlicht worden und da ist herausgekommen, dass nun definitiv – zumindest bei den Daten, die da erhoben wurden – Kinder statistisch gesehen weniger Viren in der Probe hatten als Erwachsene. Warum auch immer, kann gelegen haben an der Art des Abstrichs oder sonst was. Aber Kinder hatten weniger Viren, sogar in dieser Studie, die ja in Deutschland viel diskutiert wurde. Und jetzt muss man sagen, also, da wir ja nun wirklich keinen klaren Hinweis darauf haben, dass es dann massive Ausbrüche gibt – schon epidemiologisch, finde ich, darf man diese Prognose nicht einfach so eins zu eins stellen. Wenn es dann dazu käme, kann ja sein, der Rest der Bevölkerung ist vielleicht geimpft, nur noch die armen Kinder sitzen in der Schule zusammen. Ich glaube, wie gesagt, dass das Berufsumfeld gefährlicher ist. Aber nehmen wir mal an, es wäre so, dass die Kinder dann sozusagen die Pandemietreiber wären. Es ist ja immer noch die Frage: Was machen wir? Und da, glaube ich, haben sich ja die Maßnahmen Schnelltests, Gruppenbildung in der Schule und ähnliches ja sehr bewährt. Und ich plädiere ganz massiv dafür, das in der Schule jetzt schon vorzubereiten, sodass wir im Herbst diese Sachen dann wirklich am Start haben und nicht wieder dastehen wie letztes Jahr. Weil, wenn die Schule losgeht, wird es natürlich dann wieder kühler. Und wenn dann wieder keine Luftreinigungsgeräte da sind, wenn dann irgendwie die Tests nicht verfügbar sind und keiner weiß, wer die


machen soll und so weiter, dann gibt es dafür wirklich absolut keine Entschuldigung. Und selbst wenn der Impfstoff – der ja jetzt für zwölf bis 15-Jährige zugelassen ist – selbst wenn es so wäre, dass der dann auf Empfehlung der STIKO angewendet werden sollte, dann würde das eben nur die Jugendlichen, zwölf bis 15, betreffen. Also, nur ganz wenige Kinder im engeren Sinne. Und die Jüngeren wären sowieso weiterhin vulnerabel empfänglich. Und da bräuchte man dann sowieso diese Schutzkonzepte. Deshalb glaube ich nicht, dass man da so schwarz-weiß malen darf, bei allem Respekt vor Herrn Lauterbach. Aber es ist nicht so, dass wir sagen: Wenn wir die jetzt nicht impfen, dann kommt also hier die große Katastrophe. Sondern erstens ist die Frage: Kommt sie überhaupt? Zweitens: Wenn es dann Fälle gibt, können wir die nicht anderweitig auch kontrollieren? Und da sage ich: Ja. Und drittens, das ist vielleicht nochmal ganz wichtig: Jetzt nehmen wir mal an, wir hätten dann so eine Inzidenz, die sich tatsächlich weiterhin bei 30, 40, vielleicht sogar 50 bewegt. Und wir wüssten, ein erheblicher Teil davon ist auf Ausbruchsgeschehen in Schulen zurückzuführen. Das ist jetzt rein theoretisch. Dann ist ja immer noch die Frage: Ist das überhaupt mit einer hohen Sterblichkeit korreliert? Weil, wenn es wirklich so sein sollte, dass wir die Risikogruppen bis dahin im Griff haben – wo ich ja absolut für plädiere und warum ich das auch für prioritär halte und dafür auch keine Impfstoffe hergeben will an die Jüngeren. Dann können wir uns das auch leisten, dass wir mit einer Inzidenz von 50 da sind. Dann müssen wir deswegen doch nicht die Schulen schließen.


38:01



Camillo Schumann



Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf: Mit anderen Worten braucht man dann auch die Tests nicht mehr. Dann ist es halt so.



Alexander Kekulé


Doch, die Tests braucht man schon. Es ist es ganz wichtig, dass man ein unkontrolliertes Geschehen verhindert. Also, unkontrolliertes Geschehen heißt ja, dass sich das sozusagen in den Schulen dann ausbreitet. Ohne, dass man es merkt. Ohne, dass man es verhindert. Und dann irgendwie um drei Banden die Schüler


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und Kinder – natürlich auch solche Leute irgendwann infiziert, die immer noch ein hohes Risiko haben und an Covid sterben. Also, das müssen wir verhindern. Aber das können wir natürlich nie im Einzelfall verhindern. Aber insgesamt für die Gesellschaft als Risiko müssen wir das minimieren. Und dafür ist die Teststrategie ganz extrem wichtig. Das wollte ich jetzt überhaupt nicht falsch verstanden haben. Diese Instrumente müssen wir dann eben gerade am Start haben im Herbst. Und da kommen wir überhaupt nicht drum herum an der Stelle.


38:52 



Camillo Schumann



Ich glaube, so wie ich ihn verstanden habe, dass, wenn die Kinder wieder zurückkommen – ein paar sind geimpft und ein paar eben nicht – und wenn dann einer positiv ist, muss dann wieder die ganze Klasse, dann vielleicht in der Nachbarklasse wieder einer und – eins, zwei, drei – ist man dabei, eine Schule zu schließen. Ich glaube, das Szenario möchte er nicht.



Alexander Kekulé


In Herrn Lauterbachs Szenario wären ja alle geimpft als Alternative. Ich halte das für absolut unrealistisch. Sondern Sie werden immer, ich sage jetzt mal eine Hausnummer, die Hälfte der Klasse oder 2 0, 30 Prozent haben, die nicht geimpft sind. Und sobald Sie das haben, kommen Sie eben um testen, test and trace, nicht drum herum. Und deshalb sollte man sich darauf, glaube ich, einstellen.


39:31



Camillo Schumann



Wir denken das jetzt mal weiter. Wir testen jetzt weiter im Herbst an den Schulen. Dann wird es aber möglicherweise so sein: Wir haben eine signifikante Zahl an Schülern, die geimpft sind, die muss man ja dann nicht mehr testen, sondern wir testen dann wirklich nur noch die ungeimpften, was ja auch einer gewissen Stigmatisierung gleichkommt. Schüler können grausam sein oder Kinder können grausam sein. Und da müssen sie dann ins Separee, erstmal einen Test machen und dann dürfen sie zurück. Ist jetzt auch, finde ich jetzt, kann man machen, das ist faktisch absolut richtig. Nur für den praktikablen Alltag finde ich das jetzt ein bisschen schwierig.



Alexander Kekulé


Man muss sich dann halt eine Teststrategie überlegen, das ist ganz klar. Das wird letztlich auf GGG hinauslaufen, wie jetzt ja auch. Geimpft, genesen oder getestet. Ob man das dann jeden Tag machen muss in einer Situation, wo die Inzidenz niedrig ist, ist die Frage. Also, meine Hoffnung wäre, dass – wir werden natürlich im Herbst wieder eine Welle kriegen, aber wir werden jetzt vielleicht nicht so eine Inzidenz bekommen, dass wir jeden Tag jedes Kind da testen müssen. Dann werden einige geimpft sein, vielleicht auch einige schon genesen sein. Und dann wird man halt so eine Mischsituation haben, wo man einfach versucht, Ausbrüche möglichst früh zu entdecken. Ganz wichtig wird sein, das kann man jetzt schon sagen, wenn wir im Herbst den Podcast weitermachen, wird das das ceterum censeo sein: Es wird so sein, dass wir wirklich Kinder, die Erkältungssymptome haben, zuhause lassen müssen. Ja, das ist ja so eine Unsitte, die es sowieso vorher gab. Und ich hoffe, dass die mal vorbei ist mit Covid. Also, wer Symptome hat und hustet oder Fieber hat, der muss einfach zuhause bleiben. Auch im Herbst noch. Vielleicht noch ein Faktor, der meines Erachtens wichtig ist: Herr Lauterbach hat ja letztes Jahr diesen Vorschlag gemacht, wo ich ihm schon mal widersprochen habe – ungern, aber widersprechen musste. Zusammen mit Christian Drosten hat er ja vorgeschlagen, dass man eine Cluster-Strategie in der Schule macht, die so aussieht: Wenn in einer Klasse jemand positiv ist, wird nicht weiter getestet und stattdessen die ganze Klasse fünf Tage nach Hause geschickt. Fünf Tage. Und nach fünf Tagen kommen alle wieder zurück, egal, ob sie positiv waren oder negativ. Meines Erachtens – und das ist ja zum Teil so umgesetzt worden – ist das ein Faktor gewesen, warum wir so hohe Fallzahlen im Herbst in der Schule hatten. Ich weiß auch, dass die Gesundheitsämter die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, weil sie dadurch natürlich überhaupt keine Chance mehr hatten, was nachzuverfolgen. Ich würde dringend dafür plädieren – ich weiß jetzt nicht, ob er diese Variante auch noch im Kopf hatte – also, das dürfen wir im Herbst natürlich nicht noch einmal diskutieren oder machen. Also, wenn wir positive Fälle haben, müssen wir die sorgfältig nachverfolgen und nicht


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einfach sagen: Nach fünf Tagen kann hier keiner mehr ansteckend sein. Deshalb glaube ich, wenn wir da ein bisschen klügere Strategien haben als beim letzten Mal, müssen wir nicht alle Kinder impfen. Klar, wünschenswert, schön wäre das schon. Ich meine, die Welt, wo alle geimpft sind und man sagt: Na lass das Virus doch kommen, wir leben weiter wie vorher. Das ist natürlich irgendwie ein Traumzustand. Aber ich würde einfach für ein bisschen Geduld plädieren und sagen: Das wird wahrscheinlich dann der Schulanfang im Jahr 2 02 2  sein, wo wir in so einer Situation sind, weil wir bis dahin genauer Bescheid wissen, wie das mit den Impfstoffen ist. Wir werden insgesamt so eine Art Herdenimmunität in der Gesellschaft haben. Zumindest eine Situation haben, dass durch die Infektionen, die weiterhin stattfinden, die Sterblichkeit nicht groß hochgeht. Und da kann ich mir dann schon vorstellen, dass man dann sagt: Okay, wir haben so viel geimpft, auf die paar Ungeimpften und nicht Genesenen kommt es jetzt nicht an. Aber für diesen Herbst sehe ich das einfach auf der Zeitachse noch nicht.


43:05



Camillo Schumann



Da können wir ja dann im weiteren Verlauf der kommenden Wochen und Monate dann für die Schulen ja auch noch mal unter diesen neuen Gegebenheiten eine Teststrategie besprechen. Die Befürchtung der Menschen, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, sind ja Langzeitfolgen, die heute noch nicht absehbar sind. Aber auch Nebenwirkungen, die jetzt schon bei jüngeren Menschen auftreten. Konkret geht es um die Herzmuskelentzündung Myokarditis, davon hört man immer mal wieder. Die amerikanischen Gesundheitsbehörden untersuchen ja gerade solche Fälle. Die New York Times spricht von Dutzenden Fällen bei männlichen Jugendlichen. In den USA werden ja auch im großen Stil Jugendliche geimpft. Israel will in der kommenden Woche damit beginnen, zwölf bis 15-Jährige zu impfen. Und gerade deshalb sind die Daten der israelischen Gesundheitsbehörden sehr spannend. Denn die haben ebenfalls Myokarditis Fälle bei 16 bis 30-Jährigen nach einer Impfung mit BioNTech untersucht. Und man kann sagen: Ja, eine Herzmuskelentzündung kann insbesondere bei jungen Männern eine Folge der Impfung sein.



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube, das muss man jetzt so konstatierende. Muss man ja immer vorsichtig sein. Diese Assoziation heißt ja noch nicht, dass es kausal ist, aber in diesem Fall sieht es einfach verdammt danach aus. Und die Daten aus Israel sind deshalb so wichtig, weil die Israeli haben ja als eines der ganz wenigen Länder jetzt bis ganz unten runter durchgeimpft. Also, die meisten haben ja bei den Alten angefangen, sodass es eigentlich außerhalb Israels nicht so viele Daten mit jüngeren Geimpften gibt. Und dort ist das eben aufgetreten, tendenziell eher bei Männern. Die aktuelle Veröffentlichung sieht so aus, dass die sagen: So ungefähr einer von 3000 bis einer von 6000 hat dann hinterher, wenn er im Alter von 16 bis 2 4 ist, hat dann hinterher eine Myokarditis. Todesfälle gab es eigentlich keine. Ja, nach diesem Papier gab es 2 Tote, aber ich habe mir das genauer angeschaut. Also, da ist die Diagnose extrem schwammig und die Frage, ob das überhaupt mit der Impfung zusammenhängt, unklar. Also, kein, sage ich mal, sauber dokumentierter Todesfall in Israel bisher. Aber trotzdem klipp und klar: Die Myokarditis, also die Herzmuskelentzündungsrate geht hoch und die Dunkelziffer ist mit Sicherheit viel größer als dieses eins zu 3000, was man da sieht, weil das eine häufig übersehene Erkrankung ist.


45:2 0



Camillo Schumann



Wer das jetzt hört, Herzmuskelentzündung, der schreckt erstmal zusammen und denkt: Oh Gott, oh Gott, oh Gott. Aber Herzmuskelentzündung ist nicht gleich Herzmuskelentzündung. Können Sie mal so ein paar Basics über diese Erkrankung vielleicht unseren Hörern und Hörerinnen näherbringen?



Alexander Kekulé


Ja, das muss man eben an der Stelle sagen. Also, das gibt es ganz oft. Eine Herzmuskel-Begleitentzündung sozusagen, gibt es häufig bei Sommergrippe. Also, Leute, die sich eine Sommergrippe einfangen, so eine Virusgrippe, die haben relativ häufig, wenn man genauer hinschaut, eine Herzmuskelentzündung. Der Patient sagt dann in der Regel: Na ja, ich fühle mich irgendwie schlapp. Und der Arzt oder die


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Freunde sagen: Na klar, bist ja auch schwer erkältet, bleib mal ein paar Tage zu Hause. Da würde man jetzt nicht so einen Alarmismus verbreiten und sagen: Oh, Herzmuskelentzündung. Es ist sogar so bei Virusentzündungen, wenn man sich da so fühlt, dass man so eine Matschbirne hat, also irgendwie keinen Gedanken mehr fassen kann, sich nicht mehr konzentrieren kann und eigentlich nur ins Bett legen will, das liegt zum Teil sogar daran, dass man eine Begleitentzündung des Gehirns hat. Also, es gibt eine Enzephalitis auch als Begleitphänomen von relativ harmlosen Virusinfekten. Die heilen dann folgenlos aus in der Regel. Und das Gleiche gilt für die Herzmuskelentzündung. Und werden fast nie sauber diagnostiziert. Warum kommt es in dem Fall jetzt zu dieser Infektion, zu diesem Phänomen? Das wissen wir natürlich nicht genau. Also, der Impfstoff ist ja kein Virus, sondern ist etwas Totes. Und die Spekulation steht da im Raum, dass das einfach eine Autoimmunreaktion ist. Das liegt wahrscheinlich daran, dass diese RNAImpfstoffe einfach extrem stark immunogen sind. Also, die haben ja auch deshalb keinen Wirkverstärker mit drinnen, den man sonst braucht, weil die RNA, die da drinnen ist, vom Körper eben erkannt wird wie ein Virus. Das ist also so: Diese RNA-Moleküle, die da drinnen sind – gerade, wenn die außerhalb der Zelle erstmal vorliegen – dann denkt unser Organismus: Oh wow, da ist ein Virus im Anmarsch, sowas gibt es eigentlich nur bei Viren, dass der RNA so alleine rumliegt. Und das angeborene Immunsystem reagiert dann extrem heftig. Und zwar insbesondere da, wo man die Impfung gemacht hat, aber auch sonst im Körper. Und es kann eben sein, dass diese, sage ich mal jetzt, panischen Immunzellen – wenn die dann im Herzmuskel irgendetwas finden, was auch nur annähernd so ähnlich aussieht – dass die da drauf losgehen. Oder es ist auch nicht auszuschließen, dass ganz kleine Mengen von dem Impfstoff, den man da in den Schultermuskel gespritzt hat, das verteilt sich natürlich schon zum Teil im Körper. Und wer weiß, vielleicht spielt es auch eine Rolle an der Stelle, dass da das Immunsystem jetzt quasi kämpft mit den paar Molekülen, die da rumliegen von dem Impfstoff. Und bei der Gelegenheit – sozusagen als Kollateralschaden – der Herz-


muskel irgendwas abgekriegt. Das heilt praktisch immer von selber aus, wird normalerweise nicht diagnostiziert. Da muss man ein guter Internist sein, um das überhaupt im EKG zu erkennen. Ich selber könnte es heute, glaube ich, nicht mehr und war früher schon relativ schlecht im EKG lesen. Deshalb sag ich mal: Keine Panik deswegen. Ja, das ist so ein Phänomen, was wahrscheinlich, wenn man wirklich suchen würde, sehr, sehr häufig ist. Und hier bei den Geimpften sucht man halt extrem gründlich.


48:41



Camillo Schumann



Nochmal so ein bisschen praktische Lebenshilfe hier im Podcast zum einen. Aber Sie haben ja schon gesagt, man fühlt sich schlapp, so ein bisschen Matschbirne und so. Aber es ist zum Beispiel jetzt nicht so, weil Herzmuskelentzündung, würde man ja denken, drücken, stechen in der Brust oder so, das gibt es nicht?



Alexander Kekulé


Na ja, also der Medizinstudent lernt: Bei der klassischen Myokarditis, also bei der reinen Herzmuskelentzündung, gibt es keine Schmerzen. Aber es ist so: Das breitet sich dann häufig auch Richtung Herzbeutel aus, also an den Außenbereich des Herzens. Und da sind dann Schmerzfasern. Und deshalb – das nennen wir dann Perikarditis, wenn es sich quasi ein bisschen nach außen ausbreitet. Und es ist so, dass bei dieser vermuteten Nebenwirkung nach den RNA-Impfstoffen – insbesondere bei Pfizer/BioNTech ist es jetzt schon ziemlich gut dokumentiert, aber ich nehme an, dass es bei Moderna genauso ist, in den USA laufen da gerade Studien – da ist es dann so, dass man davon ausgehen kann, dass auch eine Perikarditis immer mal wieder auftritt. Also, der Herzmuskel und die umgebenden Nervenfasern betroffen sind. Und dann kann man auch mal Schmerzen verspüren. Das ist dann so ein stechender, plötzlicher Schmerz, der belastungsunabhängig ist. Aber bitte Vorsicht, solche Schmerzen haben ganz viele, weil irgendwie mal eine Rippe irgendwie knackst oder weil man schief gelegen hat oder nicht richtig ausgeatmet hat oder sonst was. Der einmalige Schmerz ist auf keinen Fall ein Hinweis auf eine Herzmuskelentzündung, sondern das sollte


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dann schon auf jeden Fall mit einer Leistungsschwäche einhergehen, vielleicht, dass man kurzatmig wird. Manche spüren auch, dass der Herzrhythmus irgendwie komisch ist, Herzrasen oder sowas. Also, es müssen schon deutliche Symptome sein, damit man jetzt selber den Verdacht hat und deswegen zum Arzt geht. Sollte jetzt nicht jeder, der sich irgendwie komisch fühlt, gleich nach der BioNTech-Impfung zum Arzt rennen.


50:35



Camillo Schumann



So, und was heißt das jetzt praktisch für die, die möglicherweise künftig ihre Kinder impfen lassen wollen? Ist das jetzt ein Ausschlusskriterium oder ist das, was man wissen muss, dass man dann vielleicht sagt: Okay, Junior, wenn du jetzt die zweite Impfung bekommen hast, machen wir jetzt erstmal drei, vier Wochen keinen Sport? Irgendeinen Hinweis?



Alexander Kekulé


Solange nicht. Ich würde bei allen – das liegt aber, glaube ich, auch in den Empfehlungen schon drinnen – ich würde bei allen Impfungen auf jeden Fall 2 Tage danach mal keinen Leistungssport oder sowas machen. Erstmal ruhig machen und mal gucken, wie man sich so fühlt. Gut ist immer eine Impfung am Freitag, dann hat man das Wochenende. Und das ist auf jeden Fall schlecht, kurz nach einer Impfung wahnsinnig anstrengende Sachen zu machen, körperlich anstrengende Sachen zu machen. Ganz grundsätzlich. Das gilt übrigens auch für andere Impfungen. Übrigens gibt es auch andere Impfungen, wo mal so Myokarditis beobachtet wurde. Aber so häufig wie bei dem BioNTech-Impfstoff jetzt nicht. Also das war eher was total Exotisches früher. Hat man gesehen bei Diphtherie und Pertussis, also Keuchhusten-Impfung gab es mal Berichte, bei Pockenimpfung. Früher gab es das. Aber hier ist es scheinbar schon gehäuft durch diese starke Anstachelung des Immunsystems. Und deshalb würde ich sagen: Das Immunsystem ist halt einfach so ein bisschen aus dem Lot nach der Impfung. Und das heißt für mich, dass ich 2  Tage Päuschen mach mit allem, was körperlich anstrengend ist. Und natürlich, wenn Sie jetzt von Kindern sprechen, da finde ich schon, da müssen wir jetzt über Dosisverringerungen nachdenken, weil gerade wenn das jetzt so ein


Effekt sein sollte – das ist ja eine Spekulation – aber wenn es jetzt so ein immunologischer Überstimulationseffekt sein sollte, dann ist natürlich die Konsequenz, dass man überlegen muss: Okay, bei Jugendlichen und Kindern ist es vielleicht doch besser, mit der Dosis runterzugehen, sodass man nicht zu viel stimuliert. Und diese Dosisfindungsstudien für Jüngere werden ja jetzt gemacht. Bei den zwölf bis 15Jährigen hat man es einfach bei der Erwachsenendosis belassen. Muss man halt vielleicht an der Stelle mal überlegen: Wie ist es dann bei den Zwölfjährigen? Brauchen die wirklich die volle Dosis? Ist es vielleicht optimal, da runter zu gehen, wenn man da impft in diesem Alter? Und da sind viele, viele Fragezeichen im Moment noch.


52 :47



Camillo Schumann



Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Aber nochmal zusammenfassend, ist jetzt keine – oder diese Studie, diese Hinweise – wären jetzt kein Grund, Eltern, die ihre Kinder impfen lassen wollen, von dieser Entscheidung jetzt abzubringen?



Alexander Kekulé


Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Wir werden ja demnächst die Daten aus den USA haben, wo jetzt sehr, sehr viele Kinder geimpft werden in dem Alter. Und zwar mit der vollen Dosis. Und bisher haben wir ja keine – wie die ECDC richtig festgestellt hat, die Europäische Seuchenbehörde – wir haben ja keine Post-Marketing-Daten. Also, wir haben nur diese etwas über Tausend – 1300 waren es, glaube ich – Geimpften aus der Zulassungsstudie. Und wir haben keine Daten sozusagen nach der Zulassung. Und die kommen aber jetzt. Und ich würde es jetzt nicht völlig ausschließen, dass dann, wenn man das dann vielleicht so in 2 Monaten auswertet, dass man dann nach Altersgruppen – das kann man in den USA ja dann machen – feststellt, dass so eine Herzmuskelentzündung, gerade wenn man gezielt danach sucht – das werden die jetzt natürlich auch machen – dass die zum Beispiel bei Jüngeren dann doch häufiger als bei Älteren ist. Also, in der Gruppe von zwölf bis 15 kann es schon sein, dass man dann merkt, die Zwölfjährigen haben es häufiger als


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die 15-Jährigen. Und da kommt dann irgendwann bei dieser berühmten Abwägung zwischen Nutzen und Risiken der Moment, wo man sagen muss: Na ja, wie häufig ist es dann wirklich? Wie sehen die Daten wirklich aus? Und es kann sein, dass wir in 2 Monaten dann darüber reden, dass vielleicht in diesem Alter schon die Dosis reduziert wird, weil ja keiner genau weiß, ab welchem Alter exakt jetzt sinnvollerweise die Dosis heruntergesetzt werden sollte. Bei den Studien mit den Jüngeren wird natürlich die Dosis jetzt herabgesetzt. Aber das hat man in dem Fall jetzt noch nicht gemacht.


54:34



Camillo Schumann



Die israelische Studie, die wir gerade eben besprochen haben und alle wichtigen Links zur Sendung gibt es wie immer in der verschriftlichten Version dieses Podcasts. Zu finden wie immer unter Audio & Radio auf mdr.de. Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau S. hat angerufen. Sie hat eine Frage zu einem Impfstoff aus Deutschland, von dem man schon lange nichts gehört hat, und zwar dem CureVac-Impfstoff.


„Warum dauert es so lange, bis dieser Impfstoff zur Verfügung steht? Vielen Dank. Ich wäre dankbar für eine Antwort.“


Prägnant gestellt.



Alexander Kekulé


Ja, das fragen sich genauso in der kurzen Form viele. Also, die Vorgeschichte. Warum? Ja, man ist deshalb ungeduldig, weil die Ankündigungen natürlich so vollmundig waren. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat ja schon letzten Sommer gesagt, bis zum Herbst wird ein Impfstoff aus seinem Ländle zur Verfügung stehen. Da meinte er natürlich den CureVac-Impfstoff. Das war ein bisschen gemein, die Leute da so unter Druck zu setzen. Und natürlich völlig abwegig schon damals. Die CureVac Leute selber haben ja eigentlich bis vor kurzem immer gesagt, dass sie Ende Mai, Anfang Juni – das wäre also jetzt – den Zulassungsantrag stellen werden. Das haben sie nicht gemacht. Jetzt aktuell reden sie nur noch davon, dass sie demnächst ein Studienupdate, also bis Ende diesen Monats, bis Ende Juni,


wollen sie ein Update ihrer Wirksamkeitsstudien haben. Ich schätze mal, das dauert dann danach doch noch ein paar Wochen, vielleicht nochmal Monate, bis dann der Zulassungsantrag gestellt wird. Man weiß nicht genau, woran es liegt. Die Firmen sind auch klug genug, das nicht so im Detail zu kommunizieren. Allein dadurch, dass diese Verzögerung eingetreten ist, ist der Aktienkurs von CureVac gleich mal eingestürzt. Und es ist so, dass man so allgemein sagen kann: Die Studien zu machen wird einfach jetzt immer schwieriger. Aus mehreren Gründen. Erstens: Die Probanden, die da gesucht werden müssen, die kriegen ja bei so Doppelblindstudien – immer nur die Hälfte kriegt ja den richtigen Wirkstoff und die andere kriegt ja nichts gespritzt, also nichts Wirksames. Übrigens, ganz interessantes Nebenphänomen: Einige Studien verwenden Wasser oder Kochsalzlösung als Placebo, wie wir sagen. Also, für die nicht wirksame Kontrolle. Das hat den Nachteil, da ja inzwischen jeder weiß, dass diese Impfstoffe deutliche Reaktionen herbeiführen und wenn sie nun gar nichts spüren, haben sie eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es Placebo war. Das hat man leider auch bei den Kinderstudien übrigens so gemacht bei diesen 1300, die da geimpft wurden. Die wurden gegen Placebo Kochsalzlösung getestet. Hat zur Folge, dass gerade, weil Kinder ja stark reagieren, meines Erachtens die Probanden schon eine Ahnung davon hatten, ob sie im Studienarm oder im Kontrollarm waren. Es heißt dann Studienarm und Kontrollarm, das hat nichts mit den Schultern links und rechts zu tun. Also, jedenfalls ist es so, das ist wahnsinnig schwierig in diesen Phasen jetzt jemanden zu finden, der da mitmacht, wenn er stattdessen das richtige Zeug kriegen könnte. Das ist schon seit Monaten schwierig, da Teilnehmer zu finden. Das Nächste ist: Wir haben ja jetzt neuerdings diese Mutationen im Umlauf und bei den Mutationen werden die Ergebnisse erfahrungsgemäß schlechter, weil alle Impfstoffe gegen den Prototyp, den ursprünglichen Typ, den sogenannten Wuhan-Typ – oder Norditalien-Typ müsste man eigentlich sagen – gemacht wurden. Und jetzt gibt es aber die neuen Varianten, Südafrika, England, Südamerika, Brasilien, Indien und so weiter. Und wo auch immer man die Tests macht, muss man die ja dort machen, wo gerade richtig die


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Krankheit im Gange ist. Den können Sie ja nicht in Deutschland machen, den Test. Da müssen Sie nach Indien gehen oder so was. Und dort, wo die Krankheit richtig tobt immer noch, da sind die Varianten. Und darum kommen bei diesen Studien, die jetzt gemacht werden, schlechtere Wirksamkeiten raus. Also, die sind dann mal schnell zehn Prozent schlechter wirksam als vorher. Und das fuchst natürlich dann die Hersteller, das ist für CureVac gemein. Wahrscheinlich ist das genauso wirksam wie BioNTech oder Moderna, schätze ich jetzt mal. Aber die werden nie auf 95 Prozent kommen, weil die nicht mehr in diesem Paradies quasi testen, wo es keine Varianten gibt wie ihre Wettbewerber. Und der letzte Punkt, warum es schwieriger geworden ist, ist, dass die anderen ja schon Richtung jüngere Altersgruppen gehen. Also, die gehen jetzt runter. Am Anfang waren es 18 und 16 Jahre. Jetzt geht man runter bis zwölf. Aktuell werden die Studien noch weiter mit Jüngeren gemacht. Aber sie können, wenn sie so eine Ersttestung haben, also zum ersten Mal eine Phase-3-Studie haben, dann müssen sie mit den Erwachsenen anfangen. Dann dürfen sie nicht gleich die Kinder mit reinnehmen. Und aus diesem ganzen Paket heraus ist es wahnsinnig schwierig, jetzt so eine Studie fertigzukriegen. Und ich nehme an, dass es an der einen oder anderen Stelle, die ich jetzt mal so pauschal genannt habe, bei CureVac klemmt.


59:2 2 



Camillo Schumann



T. hat eine Mail geschrieben:


„Ich habe vor ein paar Tagen meine erste BioNTech-Impfung beim Hausarzt erhalten. Der Hausarzt hat empfohlen, die Impfung in den Po anstelle des Arms zu geben, da dies weniger Nebenwirkungen hätte. Ich hatte tatsächlich keine Nebenwirkungen. Sämtliche meiner Bekannten wurden aber in den Oberarm geimpft. Daher würde mich sehr interessieren, ob die Impfung in den Po genauso wirksam ist. Ich würde mich sehr freuen über eine Beantwortung meiner Frage. Viele Grüße aus RheinlandPfalz.“



Alexander Kekulé


Also, die Impfung in den Pomuskel, in den Gesäßmuskel, die wird eigentlich als Standard schon lang nicht mehr empfohlen, weil es sich


einfach in vielen Auswertungen gezeigt hat, dass man da viel häufiger als beim Arm aus Versehen mal den Nerv erwischt, manchmal auch Blutgefäße. Aber eigentlich ging es immer darum, dass man Nerven manchmal erwischt. Und die Wirksamkeit ist beim Oberarm genauso gut, vielleicht sogar ein bisschen besser. Und deshalb sagt man heute eigentlich: In den Po wird nur noch dann gespritzt, meistens bei Kindern, wenn der Oberarmmuskel jetzt so wenig da ist, so wenig Muskel da ist, dass man da eigentlich nix hat, wo man richtig reinstechen kann. Darum weiß ich jetzt nicht. Ich nehme an, dass das bei T. nicht so der Fall gewesen sein wird. Aber ich nehme an, dass in diese Richtung vielleicht der Arzt gedacht hat. Aber mal grundsätzlich kann man sagen, dass das eigentlich nicht mehr üblich ist, in den Gesäßmuskel zu injizieren.



Camillo Schumann



Und hier geht es ja darum, ob dann auch die Wirksamkeit dieselbe ist. Das ist unabhängig davon, oder?



Alexander Kekulé


Da habe ich vor längerer Zeit mal eine Studie gelesen – ich weiß aber nicht, ob sich das überhaupt bestätigt hat – die sogar zeigte, dass die Wirksamkeit von anderen Impfstoffen natürlich im Oberarm besser sei als im Gesäßmuskel. Das hängt immer ein bisschen damit zusammen, wie schnell der Impfstoff dann wegtransportiert wird. Der soll ja eigentlich an dem Ort, wo man ihn reininjiziert, eine Weile bleiben, damit das Immunsystem Zeit hat, da sozusagen anzukommen. Da werden ja Immunzellen angelockt, die bilden dann so kleine Entzündungsherde an der Stelle und die Immunzellen, die dort eingewandert sind, die verspeisen dann quasi diesen Impfstoff und wandern mit dieser Information – das nehmen sie dann mit wie so ein Jäger eine Trophäe dabeihat – in den nächsten Lymphknoten und präsentieren dann dieses Antigen, wie wir sagen. Also, in dem Lymphknoten zeigen sie den anderen, was sie da gefunden haben. Und daraufhin wird diese Immunreaktion gestartet. Und für diesen ganzen Prozess ist es gut, wenn das eine Weile da im Muskel liegen bleibt. Und in dem Zusammenhang hat man früher – ich muss aber zugeben, ich weiß nicht, ob das immer noch aktuell ist – hat man früher gesagt:


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Na ja, das wird aus dem Gesäßmuskel schneller abtransportiert als aus den Oberarmmuskel. Also, genau das Gegenteil. Also, der Oberarmmuskel – Deltoideus heißt der bei den Ärzten – der ist eigentlich der bessere Injektionsplatz.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 190. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial.



Alexander Kekulé


Gerne, bis dann.



Camillo Schumann



Sie wollen auch was wissen? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de, oder Sie rufen uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und hören Sie mal in andere Podcasts von MDR Aktuell rein, zum Beispiel in den „Rechthaber“, der Podcast für juristische Alltagsprobleme. In der aktuellen Ausgabe Nummer 10 geht es um das Thema Hund.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag 01. Juni 2 02 1 #189



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Bundesnotbremse und „Lockdown-Light“ wirkungslos? Münchner Wissenschaftler analysieren Daten Bericht 16 (uni-muenchen.de)


Comirnaty erhält Zulassung für Jugendliche in der EU (2 8.05.) First COVID-19 vaccine approved for children aged 12  to 15 in EU | European Medicines Agency (europa.eu)


Studie: SARS-CoV-2 -Infektion induziert beim Menschen langlebige KnochenmarkPlasmazellen (2 4.05.) SARS-CoV-2  infection induces long-lived bone marrow plasma cells in humans | Nature


Dienstag, 01. Juni 2 02 1



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.


01:07



Camillo Schumann



Wir starten mal mit Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts. Der hat heute nämlich folgende positive Nachricht für uns gehabt:


„Die Entspannung auf den Intensivstationen und der Abwärtstrend der Fallzahlen. Der scheint aktuell stabil zu sein. Das RKI stuft eben deshalb heute die Risikobewertung für Deutschland nach rund sechs Monaten ab, von sehr hoch auf hoch.“


Tja, die Risikobewertung sinkt. Das ist doch was, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist Optimismus aus einer Quelle, wo man sonst immer nur ganze düstere Zahlen gehört hat in den letzten Monaten und dann


Stark fallende Zahlen in den vergangenen muss es einfach stimmen.


Tagen. Es wird gelockert. Wie vorsichtig müssen wir noch sein und auf welche Bevölkerungsgruppen müssen wir besonders achten?


Dann: Der BioNTech Impfstoff kann in der EU nun auch an Jugendliche zwischen 12  und 15 verimpft werden. Wie hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA die Zulassung begründet und auf welche Daten hat sie sich dabei gestützt?


Außerdem: Offenbar neue Virusvariante in Vietnam entdeckt. Wie ist diese Meldung einzuordnen?


Und: Warum Knochenmark Plasmazellen der Schlüssel zur Immunität gegen SARSCoV-2  sein könnten?



Camillo Schumann



Interessant ist ja, wie ich finde, die lokale Entwicklung. 32 4 der rund 412  Landkreise und kreisfreien Städte sind mittlerweile unter einer 50er Inzidenz, die meisten so zwischen 30 und 2 0, viele auch darunter. Die Zahlen gingen in den vergangenen Tagen wirklich drastisch nach unten. Hat Sie dieser sehr starke Rückgang bisher überrascht?



Alexander Kekulé


Äh, ja. Wenn man jetzt mal rausrechnet, dass da vielleicht noch ein bisschen WochenendEffekt heute drin war, ist es trotzdem überraschend, dass es jetzt einfach so unter die 50 runtergefallen ist. Ich habe natürlich dann immer epidemiologisch den Verdacht, oder man muss genau hinschauen, ob man möglicher-


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weise eine Verzerrung hat, dadurch dass ja auch weniger getestet wird. Also die Schnelltests werden natürlich jetzt weniger gemacht. Das ist so eine Art selbstverstärkendes System in beide Richtungen. Wenn die Fallzahlen hochgehen, macht man mehr Schnelltests. Dadurch findet man dann noch mehr Fälle. Und wenn die Fallzahlen runtergehen, hört man auf mit den Tests. Und dadurch wird dieser Abstieg sozusagen scheinbar beschleunigt. Aber auch wenn man diese Verzerrung durch die Zahl der Schnelltests rausnimmt, ist es trotzdem aus meiner Sicht ganz klar, dass wir jetzt auf einem sehr guten Weg sind.



Camillo Schumann



Wir hatten vergangene Woche, weil sie gerade bei den Tests sind, eine Anzahl der Tests von ungefähr 1,2  Millionen und einer PositivenQuote von 5,8 %. 2 Wochen davor lag sie noch doppelt so hoch. Wie ist das zu bewerten?



Alexander Kekulé


Das sind ja jetzt die PCR-Tests. Und die (...) sollte man immer dann machen, wenn die Schnelltests positiv geworden sind, und deshalb ist es so, wenn man sehr viele Schnelltests macht, wird die Positiven-Quote bei der PCR automatisch höher, ohne dass sich das groß in der Gesamtzahl niederschlagen muss. Und jetzt ist die Positiven-Quote deutlich gesunken, das ist einerseits ein gutes Zeichen, andererseits muss ich jetzt auch daran erinnern (...): damals, als wir das Thema das erste Mal besprochen haben, hatte ich, glaube ich, darauf hingewiesen (...), dass man in den USA in manchen Bundesstaaten diesen Quotienten der positiven Tests bei den PCRs als Indikator für das Pandemiegeschehen nimmt (...), so ähnlich wie bei uns die Inzidenz, quasi stattdessen. Und da waren ja fünf % immer die Grenze, wo in New York z.B. die Schulen geschlossen wurden. Also wir sind jetzt nicht so völlig im grünen Bereich, sondern es geht in die richtige Richtung. Aber über fünf % Positiven-Quote ist immer noch viel. Und es könnte eben sein, dass das deshalb so stark runtergegangen ist, weil quasi weniger positive Schnelltests bestätigt wurden. Und dann ist klar, dass natürlich die Positiven-Quote bei der PCR sinkt.



Camillo Schumann



Nun wird ja fleißig geöffnet, die Biergärten sind voll, Innengastronomie ist teilweise auch wieder erlaubt, Einkaufen, Friseur ohne Tests istmöglich etc. Die deutschlandweite 7-TageInzidenz liegt heute fast unverändert im Vergleich zum Montag bei 35, also gab es mal keinen Rückgang wie in den vergangenen Tagen. Wäre zu vermuten, dass die Zahlen wieder leicht steigen beziehungsweise sich auf so einem Plateau halten werden oder wollen wir da jetzt mal nicht die Pferde scheu machen?



Alexander Kekulé


Ich habe ja schon seit vielen Wochen diese Plateau-Theorie. Also die Virologen werden immer genötigt, Vorhersagen zu machen, obwohl wir nie beim Wetterbericht arbeiten wollten (lacht). Da sich nun alle daran beteiligen, habe ich damals mit allen üblichen Vorbehalten gesagt: Ich erwarte eher in diesem Bereich, wo wir jetzt sind, so ein vorübergehendes Plateau. Nicht dass es dann wieder ansteigt, sondern einfach deshalb, weil die letzten Meter zu machen ist viel aufwändiger als am Anfang das Ganze runterzubremsen. Und weil es eben diese Effekte gibt, über die wir gerade gesprochen haben, z.B. die Häufigkeit von Schnelltests. Man kann sich das so ganz plastisch vorstellen: So eine Population in Deutschland ist ja nicht eine homogene Masse. Eben nicht eine Herde, wie bei den berühmten Leuten, die mal mit Schafen das Konzept der HerdenImmunität erfunden haben, sondern wir sind ja verschiedene Subpopulationen, sozusagen soziale Blasen, die miteinander nicht so viel Kontakt haben und die sich auch unterschiedlich verhalten und unterschiedlich schützen. Und deshalb ist dieser Mittelwert mit Vorsicht zu genießen, weil d.h. letztlich: Man hat selbst, wenn das für die meisten Landkreise inzwischen ja gilt höchstwahrscheinlich einzelne Bereiche, wo die Inzidenz noch relativ hoch ist. Ich finde ganz interessant, in den USA wurden kürzlich so Studien gemacht, wo man mal verglichen hat, wie ist denn eigentlich die Inzidenz bei den Ungeimpften im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Und da liegt sie also gut 70 % höher. D.h. also und das kann man einfach auf Deutschland übertragen an der Stelle so grob gesagt: Bei uns ist es wahrscheinlich auch so, dass in den ungeimpften Populationen (v.a. wenn sie viel Kontakt miteinander


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haben, wenn sie sich zusätzlich nicht an die Schutzmaßnahmen halten) einfach eine relativ hohe Inzidenz wahrscheinlich ist. (...) Das sind ja häufig auch solche Bevölkerungskreise, die der Impfung kritisch gegenüberstehen oder einfach von der Kommunikation her schwer zu erreichen sind bezüglich der Impfung. Bis die dann sich natürlich durchimmunisiert haben, dauert es eben eine Weile. Und darum ist so eine Plateaubildung eigentlich das, was man erwarten würde.



Camillo Schumann



Und jetzt ist ja immer die große Kritik der fehlenden Daten, um eben genau diese Subpopulation ausfindig zu machen. Also wer ist da noch nicht geimpft? Wer hat möglicherweise auch dann noch eine gewisse Angriffsfläche? Bisher gibt es eine Vereinbarung zwischen den Ärzten und Ärztinnen und der Politik, dass bisher eben nur 2 Daten übermittelt werden: Welcher Impfstoff und wie alt ist der Patient oder die Patientin. Im dritten Quartal, wenn die Abrechnung durch ist an die KV, wird man dann unter anderem so Daten übermitteln wie z.B. die Postleitzahl und noch mehr Daten. Ist das dann enorm wichtig, um dann genau diese Population [ausfindig; Anm. d. Redaktion] zu machen?



Alexander Kekulé


Ja, man bräuchte viel mehr. Also die Postleitzahl ist bei uns in Deutschland nicht so aussagekräftig, weil wir unter der gleichen Postleitzahl eben Menschen haben, die mit ganz unterschiedlichem sozialen Hintergrund leben. Man müsste viel eher wissen: Aus welcher Ethnie kommen die Leute? Was haben Sie für ein berufliches Umfeld? Haben wir es hier mit sozial schwierigen Bereichen zu tun? Wie gut sind wir in diesen Bereichen? Und das ist ja mein langes Drängen schon, dass wir dieses dicke Brett eigentlich bohren müssten, um für den Herbst besser gewappnet zu sein. D.h. wir müssten wirklich die Teile der Bevölkerung erreichen. Sowohl mit unseren Maßnahmen, die wir natürlich nach wie vor brauchen (also den nicht pharmakologischen Interventionen, wie wir dann so schön sagen) als auch bezüglich der Impfung, müssten wir die erreichen, die ein hohes Risiko haben und sich zusätzlich möglicherweise nicht immer ganz vernünftig verhalten. Und das ist wahnsinnig schwierig.


Sehen Sie, der Impfstoff ist knapp. Es gibt ganz viele Menschen, die drängeln regelrecht in die Arztpraxen und soweit sie noch geöffnet sind, auch an die Impfzentren, soweit sie noch Stoff haben. (...) Und dann sollen sie also (...) die, die da kommen und schon den Ärmel hochgekrempelt haben, wenn sie die Treppe rauflaufen, (...) alle zurückschicken und stattdessen sagen, nee, ich gehe jetzt aber mal in die schwierigen Viertel meiner Stadt auf die Suche, ob ich nicht noch jemand finde, der wichtiger ist und der eigentlich eine höhere Priorität hätte. Das ist die Hausaufgabe, die wir nicht machen. Und insbesondere auch, weil wir die Daten nicht haben. Es gibt ja diese große Diskussion mit den Antigen-Schnelltests, wo über die Abrechnung geschimpft wird. Also das Thema Abrechnung ist jetzt nicht so meine Spezialität, aber (...) was man da sieht als Epidemiologe ist: Aha, die haben also die Abrechnung nicht unter Kontrolle gebracht. Aber viel schlimmer ist, dass sie dorther überhaupt keine Daten haben. Also man weiß in diesen Schnelltest-Zentren gar nicht, wie viele Leute da negativ getestet waren. Es ist nur Stichproben-halber aufgefallen, wie viele positiv waren. Und da hätte man natürlich, weil das ja etwas ist, was man ganz neu installiert hat, schon mal versuchen können (Mensch, jetzt sind wir über ein Jahr in der Pandemie), da ein paar bessere Daten ranzuschaffen. Das wird uns im Herbst auf die Füße fallen.



Camillo Schumann



Gab es denn Beispiele aus der Vergangenheit, wo man das schon mal gemacht hat, also wo es Erfahrungswerte gab? Ich könnte mir vorstellen, dass es ja auch unheimlich schwierig ist, an diese doch sehr persönlichen Daten zu kommen. Der Datenschutz wird in Deutschland sehr hoch gehalten. Weil sie auch sagen er, sozial schwierige Populationen. Was ist das eigentlich? Also, welche Parameter kann man da eigentlich erheben?



Alexander Kekulé


Also wir hatten in der Vergangenheit die Diskussion immer wieder. Ich erinnere mich sehr gut zuletzt bei der Masernimpfung. Dabei war ja auch der Bundesgesundheitsminister Spahn ein Motor, der gesagt hatte, wir müssen jetzt unbedingt eine Masernimpfung haben, als quasi Pflicht-Impfung. Es gab Leute, zu denen


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ich gehört habe, die gemeint haben, das wäre eher aktionistisch, weil wir nach wie vor eben bestimmte Subpopulationen haben, wo die Masern gelegentlich mal ausbrechen, und die allerallermeisten Menschen absolut vernünftig sind. Und die allermeisten lassen ihre Kinder gegen Masern impfen, sodass wir gesagt haben, es wäre sinnvoller dort, wo man weiß, dass die Menschen sind, die sich nicht impfen lassen wollen. Um jetzt nicht immer die Sinti und Roma in Duisburg zu bemühen, sage ich mal auf der Schwäbischen Alb gibt es auch so ein richtiges Nest von Leuten, viele Anthroposophen, viele Menschen, die aus grundsätzlichen Überlegungen sagen nee, so etwas will ich nicht. Und da gezielt vorzugehen und zu wissen, wer ist das überhaupt? Das ist wahnsinnig schwer. Und bei den Masern haben wir auch die Daten nicht bekommen. Also das Robert-Koch-Institut ist, wenn Sie so wollen, ein Tiger mit Maulkorb oder mit festgebundenen Pfoten, weil, wenn sie keine Daten haben, was sollen sie dann machen als Bundeseinrichtung, und das hätte man natürlich hier. Andererseits, bei den Antigen-Schnelltests, das war jetzt eine neue Sache, das ist komplett neu aufgesetzt worden. Und ich meine schon, so ein paar Daten, zumindest positiv/negativ, hätte man schon mal abfragen können.



Camillo Schumann



Aber sie wollen ja viel mehr Daten und detailliertere Daten haben. Müssen wir uns möglicherweise dann auch damit abfinden, dass wir genau diese Daten, die Sie sich wünschen, nie bekommen werden?



Alexander Kekulé


Ich finde nicht, dass wir das sollten, sondern ich finde, wir sollten aus dieser Pandemie lernen, dass wir in der Situation, wenn wir eine Seuche haben, die sich ausbreitet, das einfach wissen müssen: Wer infiziert sich. Weil wir auch dadurch viel schneller gelernt hätten, in welchen Situationen des Virus sich schnell ausbreitet. Also wenn jetzt ein Virologe sagt (die Hörer dieses Podcasts wissen das): Ja, theoretisch müsste das Virus sich im geschlossenen Raum ausbreiten, wenn die Luft sich nicht besonders bewegt und die Leute da längere Zeit drinnen sind. Ja, das konnte man von Anfang an aus den Ergebnissen von 2 003 von SARS sozusagen extrapolieren. Aber Sie brau-


chen natürlich trotzdem den Beweis, dass es dann auch so ist. Also man kann ja nicht nur sagen, ich nehme das an und deshalb machen wir das so, sondern Sie müssen es belegen. Und das hat irrsinnig lange gedauert, bis wir einfach mal gesehen haben, wo infizieren sich überhaupt die Leute? In welchen Situationen? Wie kann man das verhindern? Und das liegt daran, dass wir bei den Daten quasi das Problem haben, dass wir die ja nicht übermitteln, auch nicht in anonymisierter Form. Bei den Meldungen steht ja nicht einmal dabei, wie groß der Haushalt ist z.B., aus dem der positive Fall kommt. Das wäre doch eine Kleinigkeit, so etwas zu codieren. Es war auch nicht dabei, am Anfang, in welchem Zusammenhang die Infektion stand. Also, ist es vielleicht eine berufliche Exposition gewesen? Ja oder Nein? Es hat ewig gedauert, bis man überhaupt wusste, welcher Anteil der positiven Fälle im Heim gewesen ist. Und das kostet halt immer Menschenleben. Und darum finde ich, das hat nichts damit zu tun, den Datenschutz jetzt hinten anzustellen, sondern es geht ja hier um anonymisierte Daten. Das sind Meldedaten, da steht sowieso nicht der Name, in dem Fall.



Camillo Schumann



Gibt es denn Beispiele aus dem Ausland, wo man diese Daten erhoben hat und dann auch besser mit der Pandemie umgehen konnte?



Alexander Kekulé


Ja, also die USA sind natürlich jetzt zu dem Beispiel kein so leuchtender Stern, weil Donald Trump viele wichtige Dinge dort geblockt hat, sonst wären die von Anfang an viel besser gewesen. Wissenschaftlich waren die sehr gut aufgestellt. Und anders als in Deutschland haben die wissenschaftlichen Berater in den USA auch von Anfang an die richtigen Empfehlungen gegeben. Die wurden da zum großen Teil gegeben, sage ich mal. Und dort ist es eben, finde ich ganz interessant: Die geben z.B. natürlich bei der Meldung die Ethnie des positiven Falls weiter, natürlich ohne Namen, da ist höchstens noch die Postleitzahl dabei. Daher ist das aus meiner Sicht vom Datenschutz her kein Problem. Die haben aber den umgekehrten Ansatz ein bisschen wie wir, bei uns sagt man ja: Man will niemanden diskriminieren. Man hat dann Angst. Wenn dann rauskommt, was weiß ich, das wären rein theoretisch die


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Migranten, die häufig positiv sind. Es ist nicht der Fall gewesen, aber wenn es so gewesen wäre, dann hätte man Angst gehabt, dass es da Ressentiments in der Gesellschaft gibt. Also erhebt man die Daten gar nicht erst. In den USA ist es eher umgekehrt. Da erhebt man diese Daten, weil man aufgrund politischer Korrektheit sagt: Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass z.B. Farbige in unserer Gesellschaft benachteiligt werden. Und diese Benachteiligung wäre z.B. schlechterer Zugang zu den Impfungen oder schlechterer Zugang zu den Testmöglichkeiten. Das könnte man dann ablesen möglicherweise. Das war ja auch so, die sind ja häufiger gestorben, weil sie auch weniger getestet wurden usw. Und diese ganzen Studien, die macht man, weil man sagt, man will die Gleichberechtigung haben. Aber um die Gleichberechtigung sozusagen zu quantifizieren, muss man erst einmal die Daten haben, also quasi aus dem gleichen Grund. Also ich sag mal, ethisch haben wir das gleiche Ziel. Nur wir in Deutschland sagen: Nee, wir registrieren das gar nicht erst. Die Amerikaner registrieren es mit dem Ziel, soziale Ungerechtigkeiten zu identifizieren.



Camillo Schumann



Wir erheben die Daten, wenn ich Sie richtig verstehe, aus falsch verstandener Political Correctness [nicht].



Alexander Kekulé


Ich finde, das ist jetzt ein bisschen anmaßend. Ich bin ja nun Virologe und Epidemiologe, also ich würde mir jetzt nicht mehr so ein richtig politisches Urteil zutrauen. Aber ich sehe halt einfach, dass wir dringend notwendige Daten für die Pandemiebekämpfung nicht hatten. Und zwar deshalb, weil wir sie ganz am Anfang nicht erhoben haben. Ich sage mal ein anderes Beispiel: Ich habe ja schon vor langem diesen Vorschlag gemacht, dass wir jetzt momentan wenigstens die Leute, die jetzt aktuell geimpft werden – und das sind ja ganz viele die jetzt ihre zweite Impfung bekommen, darum klemmt es ja so ein bisschen mit den Erstimpfungen im Moment. Und die werden nicht registriert. Also die werden natürlich irgendwo beim Arzt auf einen Zettel geschrieben, aber die werden nicht elektronisch erfasst und es wird auch nichts gemacht, um die zu erfassen. Ich hatte ja gesagt, wenn man jedem einfach


nur eine Nummer mitgibt (und das kann die gleiche Nummer für den ganzen Tag bei dem Arzt sein, ohne dass er die täglich wechseln muss. Muss der sich einmal am Tag eine Nummer aus denken.) (...), dann hätte man schon den Fuß in der Tür, damit die sich dann selber hinterher registrieren können, über ein Webportal z.B. Und man nicht die Digitalisierung dieser Analog-Daten in einem zweiten Schritt wieder durch ein persönliches Treffen mit dem Arzt oder einer Behörde machen muss. Also selbst diese simple Sache, dass man sagt: Mensch, die kommen da zum Arzt, die werden dabei geimpft, der Arzt schreibt sich sowieso alles Mögliche von denen auf. Wir haben ja gerade gehört, die Kassenärztliche Vereinigung wird dann auch mit einbezogen. Aber man wird diesen Impfpass hinterher nur so machen können, dass die eben noch mal hingehen. Und da finde ich, das gibt so viele Dinge, wo man, wenn man (...) mal so ganz operativ, praktisch denkt, da hätte man vieles einfach machen können. Und ich glaube nicht, dass ein Datenschützer sich aufregt, wenn jetzt jeder Patient einen Zettel in die Hand gedrückt bekommt, wo eine, was weiß ich, 15 stellige Ziffer draufsteht.



Camillo Schumann



Worüber ich sehr überrascht war, war wie das Ganze technisch läuft, bei den SchnelltestCentern, also von der Anmeldung über QR Code und Netz bis zur Bescheinigung und vorgefertigten PDF-Dokument mit Unterschrift des Arztes, Bescheinigung über das negative Testergebnis. Das lief alles virtuell und das innerhalb von Minuten. Also, da war ich richtig erstaunt, dass es ja gehen kann. Also das Beispiel wurde ja gebracht.



Alexander Kekulé


Natürlich ja, also das ist, glaube ich, überall so. Das ist so ähnlich wie diese Luca-App, die inzwischen ja in aller Munde ist. Dass wir so etwas brauchen, war ja schon seit letztem Sommer relativ klar. Wahrscheinlich gab es Leute, die das noch davor gefordert haben. Aber dieses Konzept war so (...) ab Juni (ein Jahr ungefähr ist es jetzt her), dass wir wussten: Wir brauchen so eine Check-In-App. Und Mensch, wie lange hat es gedauert und wie einfach sind die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Das gleiche war ja bei den PCRs, wenn ich mich


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erinnere, in Bayern war es ja so, da konnte man diese gratis PCRs immer machen. Bis heute ist das noch so. Da geht man in so ein Zentrum, das dauert in der Regel nicht länger als fünf Minuten, manchmal zehn, wenn es voll ist. Und dann hat man vier Stunden später auf dem Handy das Ergebnis. Manchmal dauert es sechs bis acht Stunden, je nachdem. Aber da sieht man, wie schnell so ein Labor, wenn alles durchdekliniert ist, arbeiten kann, und dass dann dieser EU-Pass so langsam ist, dass die Behörde Robert-Koch-Institut solche Probleme hat, an die Daten heranzukommen, das sind Dinge, wo ich ein bisschen Angst habe. Wir müssen es sicher noch einmal diskutieren, wenn diese Pandemie vorbei ist. In dieser Pandemie haben wir es nicht so richtig hingekriegt. Aber ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass dann wahrscheinlich keiner mehr Lust hat, darüber zu reden, uns beide eingeschlossen, das ist der normale menschliche Reflex. Wenn man etwas Unangenehmes hinter sich gebracht hat wie so eine Pandemie, dass man dann sagt so, jetzt ist aber mal Schluss. Jetzt will ich mich mit etwas anderem beschäftigen. Und wenn dann das nächste Problem dieser Art kommt, stellen wir wieder fest wir haben keine Daten. Ich habe ja das Déjà-vu schon gehabt von 2 009. Der damalige Bundesgesundheitsminister saß mit mir damals bei Maybrit Illner und hat also auch gesagt, in den nächsten Wochen werden wir die Kommunikation zwischen den Gesundheitsämtern und dem RKI verbessern. Und 2 009 ist schon ein bisschen her. Also, da ist wirklich die Frage werden wir diesmal was lernen? Ja oder nein? Ich hoffe sehr, dass irgendwie so ein gewisser Schwung drin bleibt, dass man ein paar Sachen verbessert für die Zukunft.



Camillo Schumann



Bleiben wir noch ganz kurz bei den Zahlen. Nur vier Landkreise liegen noch über der 100erInzidenz und damit greifen für sie ja auch noch die Maßnahmen der Bundes-Notbremse. Aber die Tage dieser Bremse sind gezählt. Regierungssprecher Steffen Seibert gestern in der Bundespressekonferenz dazu:


„Wenn die sehr erfreuliche Entwicklung der letzten Wochen anhält, was wir alle hoffen, dann ist aus heutiger Sicht die Tendenz, diese Notbremse mit dem 30.06. auslaufen zu lassen.


Aber das ist natürlich abhängig von der pandemischen Entwicklung.“


Sollte die Bundes-Notbremse über den 30.06. hinaus verlängert werden?



Alexander Kekulé


Ich glaube, sie jetzt aktiv zu verlängern, ist aus meiner Sicht nicht notwendig, weil das wieder so ein Akt wäre, der natürlich v.a. Politikern schwer fallen würde. Wir haben ja Bundestagswahlen und in Sachsen-Anhalt haben wir auch noch Wahlen demnächst, am nächsten Wochenende. D.h. also, es wäre sicher das falsche Signal, sich jetzt hinzusetzen und aktiv zu sagen, wir verlängern jetzt die Notbremse. Auf der anderen Seite muss man sagen, naja, es ist eine Bremse, die sowieso erst ab 100 greift. Und die Kanzlerin hat, glaube ich, angedeutet, dass, wenn die Fallzahlen wieder steigen sollten, dass man dann die BundesNotbremse wieder brauchen würde. Das ist so ähnlich wie wenn sie sagen: Na ja, die Handbremse im Auto habe ich jetzt im letzten Jahr nicht gebraucht. Jetzt baue ich sie aus. Also eine Bremse, die ich nicht brauche, stört mich ja eigentlich auch nicht, wenn sie da ist, weil sie ja erst ab 100 bremst und ab 100 brauche ich sie ja sowieso wieder. Deshalb kann ich es jetzt so rein logisch nicht ganz nachvollziehen. Aber politisch kann ich es nachvollziehen, dass das jetzt nichts ist, was ein Politiker machen will. Vielleicht so ein praktischer Aspekt, ich habe ja sehr deutlich gemacht, dass ich die Ausgangssperre als Teil dieser BundesNotbremse nicht für sinnvoll hielt aus verschiedenen Gründen. Und wenn man jetzt die Bremse erst mal auslaufen lässt und im Falle eines Falles dann neu einführt, vielleicht kann man dann über die nächtliche Ausgangssperre noch mal nachdenken, ob die in dieser Form wieder rein muss.



Camillo Schumann



Also noch einmal neu justieren, BundesNotbremse 2 .0 sozusagen. Alle 2 Wochen veröffentlichen die Statistiker der LudwigMaximilians-Universität München Daten zur Pandemie: Infektionsgeschehen, Sterblichkeit etc. und dazu schreiben die Wissenschaftler dann auch Erklärungen und Interpretationen der Daten. Und der letzte Bericht befasst sich unter anderem mit der Wirkung des Lockdown


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light und der Bundes-Notbremse. Und dort steht, ich würde das mal kurz vorlesen:


„Man erkennt dabei, dass der R-Wert bereits vor dem Lockdown light am 2 . November 2 02 0 sowie der Verschärfung am 16. Dezember 2 02 0 sank, was somit auf eine Abschwächung des Infektionsgeschehens bereits vor den ergriffenen Maßnahmen hindeutet.“


Dann weiter:


„Ab Mitte April fällt der R-Wert erneut. Der Abfall ist auch hier schon vor der BundesNotbremse erkennbar, sodass die ergriffenen Maßnahmen den Verlauf des Infektionsgeschehens durchaus positiv beeinflusst haben könnten, jedoch nicht allein ursächlich für den Rückgang verantwortlich sind.“


Herr Kekulé, also die Maßnahmen kamen nach dem Effekt und hatten offenbar gar nicht so große Auswirkung. Wie ist das erklärbar?



Alexander Kekulé


Ja, so ganz wie die Münchner Statistiker sehe ich das nicht. Das ist übrigens eine sehr empfehlenswerte Lektüre, wenn jemand Spaß daran hat, sich das genau anzuschauen, weil die wirklich immer wieder kluge Analysen machen. Das ist das Institut für Statistik an der Münchner LMU zusammen mit der medizinischen Epidemiologie dort. Covid Data Analysis Group, CoDAG nennen die sich. Und die machen das schon lange und werden eigentlich nicht so viel beachtet. Und in dem Fall haben sie anhand des R-Werts ein Phänomen eigentlich noch einmal aufgezeigt, was wir schon kennen. Wenn ich das richtig erinnere, haben wir mit der Viola Priesemann schon vor langer Zeit hier mal drüber geredet. Das gab es in der ersten Welle auch schon. Da hatte man den Lockdown und dann hinterher gesehen, Mensch komisch, der R-Wert ist schon runter gegangen, bevor der Lockdown erklärt wurde. Und das gleiche Phänomen haben wir eben jetzt hier beim Lockdown light im November gehabt, bei der Verschärfung im Dezember und auch bei der Bundes-Notbremse im April. Das Phänomen ist letztlich so: Erstens werden ja Teilmaßnahmen in den Ländern häufig vorher schon ergriffen. Das hatten wir auch im Frühjahr schon, das hatten wir dann auch beim Lockdown light, dass z.T. da erste Maßnahmen vorher schon angekündigt oder tatsächlich in


einzelnen Bundesländern ergriffen wurden. Bei der Bundes-Notbremse war es ja ganz klar so. Das hat ja ziemlich lange gedauert, bis das durch die Gesetzesänderung usw. dann durchgestellt wurde. Und da sind der einige Bundesländer schon vorangegangenen und haben gesagt, wir machen das jetzt einfach bevor vom Bund quasi das dann auch formal festgelegt ist. Plus die Bürger, die natürlich in der Situation verstehen: Okay, die Zahlen gehen hoch, es wird wieder ernst, wir müssen jetzt was tun. Sodass ich glaube, solche Maßnahmen werfen einfach ihre Schatten voraus. D.h. aber umgekehrt. Wenn man die Maßnahmen nicht ankündigen und ergreifen würde, dann gäbe es eben diese Reaktion meines Erachtens nicht. Also diese Schlussfolgerung der Autoren, die sie gerade vorgelesen haben, dass sie sagen, das war nicht alleine ursächlich, da bin ich jetzt nicht so sicher, weil es war jetzt vielleicht nicht als Maßnahme ganz alleine ursächlich, aber das psychologische Umfeld, was damit geschaffen wurde, die Tatsache, dass einzelne Politiker schon mal Entscheidungen für ihre Bereiche getroffen haben, dieses Gesamtpaket hängt natürlich mit der Bundes-Notbremse und der Diskussion zusammen. Sodass ich davor warnen würde, jetzt zu sagen, das hätte man gar nicht gebraucht. Das ist ja immer so ein bisschen die Gefahr, die da im Raum steht.



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten: Dass zu den Maßnahmen die Zeit davor auch gezählt werden muss. Also was sie gerade eben gesagt haben, die Diskussion der Politiker, dann auch die mediale Berichterstattung, das Ganze ‚massiert‘ ja schon die Menschen, sich darauf vorzubereiten, dass dann was kommen wird möglicherweise.



Alexander Kekulé


Ja, genau. Das Entscheidende bei jeder Infektionskrankheit ist immer das Individuum selbst. Also der Mensch selber ist die letzte Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger und in gewisser Weise auch die einzige, weil Sie können ja nicht einen Wall rund um Deutschland bauen, der die Viren draußen hält. (Naja gut, bei den Einreisekontrollen hätte man darüber nachdenken können. Aber so richtig funktioniert das ja nicht.) Und deshalb ist es so: Das Verhalten des Individuums ist hier entschei-


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dend. Wir brauchen da eben so eine Art Schwarmintelligenz bezüglich der Abwehr der Infektionskrankheiten. Und diese Schwarmintelligenz liest die Zeichen natürlich, bevor der Gesetzgeber dann am Schluss sagt: Jetzt ist das Gesetz in Kraft getreten.


2 7:33



Camillo Schumann



Mal unabhängig von der Bundes-Notbremse muss ja der Bundestag bis Ende Juni auch über dasFfortgelten der sogenannten „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ entscheiden. Solange diese epidemische Lage besteht, ist ja das Gesundheitsministerium ermächtigt, bestimmte Vorschriften und auch Anordnungen zu erlassen. Z.B. Pflicht zum Tragen von Masken, Beschränkung von Sportveranstaltungen etc. Da ist natürlich die Frage: Sollte diese Bewertung verlängert werden, also sollte der Status quo ‚Pandemie‘ nach wie vor gelten?



Alexander Kekulé


Da kommen wir nicht drum herum aus meiner Sicht. Das wäre ein reines Politikum, falls diskutiert wird, ob man das nicht machen sollte. Das ist ja so, dass wir weltweit noch eine Pandemie haben. Wir haben Varianten, die weltweit auftreten, die wahrscheinlich in der Lage sind, Menschen ein zweites Mal zu infizieren, vielleicht auch Geimpfte zu infizieren. Und deshalb würde ich sagen: Wir sind nicht in der Situation, dass wir uns jetzt komplett entspannen können. Ich rechne wirklich mit einer weiteren Welle im Herbst. Diese Welle wird aber nach allem, was wir jetzt aus dem Kaffeesatz lesen können, wesentlich sanfter verlaufen. Wenn wir ganz viel Glück haben, wird sie so ähnlich wie eine schwere Infektionskrankheit oder vergleichbar mit der Influenza laufen. Trotzdem ist es natürlich auch eine Situation, wo ich glaube, dass wir die Freiheit brauchen oder die Handlungsoptionen für die Politik brauchen, die besonderen Maßnahmen, die in der Pandemie notwendig sind, zu ergreifen.



Camillo Schumann



Ist das jetzt ein Blick auf den Herbst und dieses Jahr, beziehungsweise vielleicht noch das Frühjahr und danach ist dann auch mal gut? Kann man das jetzt schon sagen?



Alexander Kekulé


Ich glaube das schon. Wir werden ja auch nachher eine optimistische Studie besprechen, was die Immunität betrifft. Ich glaube tatsächlich, dass wir auf einem Weg sind, wo dieses Virus, wenn ich mal sagen darf, sich an den Menschen anpasst, der Mensch sich an das Virus anpasst und wir damit zu so einem Modus Vivendi kommen, wie wir das bei allen Krankheitserregern letztlich haben. Da gibt es ganz wenige Ausnahmen, Ebola z.B. Da gab es nie so eine richtige Immunität. Die Menschen sind immer gestorben, aber dafür hat Ebola ja auch massive Gegenwehr erfahren. Und wir haben inzwischen Impfstoffe, die so gut sind, dass man diese Krankheit wahrscheinlich ausrotten wird, so wie es aussieht, oder weitgehend ausrotten wird. Und ich glaube, dass das Schicksal von diesem SARS-CoV-2 -Virus jetzt nicht ist, dass es komplett verschwinden wird. Also ich persönlich glaube nicht an die Eradikation, es wird auch meiner Meinung nicht in dem Sinn endemisch bleiben, dass wir ständig weitere Infektionen haben, die wir überhaupt nicht unter Kontrolle bekommen, sondern es wird in einen kontrollierten Zustand übergehen. Es wird so sein, dass das Virus sich immer mal wieder verändert, es werden v.a. aus dem Ausland neue Varianten auftauchen, die dann Zweitinfektionen oder Drittinfektionen machen können. Möglicherweise brauchen wir dann aktualisierte Impfstoffe, das ist gut möglich, oder zumindest wäre das sinnvoll, welche zu haben, um die Zahl der Zweitinfektionen zu drücken. Aber das wird im Grunde genommen so ein bisschen Business as usual sein. Ja, wir haben ja eine ganze lange Liste von Kinderkrankheiten, gegen die wir regelmäßig impfen. Es wird dann vielleicht am Ende des Tages eine Impfung mehr sein.


30:35



Camillo Schumann



Kinder ist genau das Stichwort. Kinder ab zwölf Jahren können nun in der Europäischen Union mit dem Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer geimpft werden. Die EU-Kommission ist der Empfehlung der EU-Arzneimittelbehörde EMA gefolgt, den Impfstoff für Personen unter 16 zuzulassen. Die Mitgliedstaaten können jetzt also selber entscheiden, ob sie ihre Impfkampagne auch auf junge Leute ausweiten. Wir haben ja letzte Woche sehr ausführlich und


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sehr differenziert über die Impfung von Kindern gesprochen. Wie bewerten Sie denn die Argumentation der EMA für die Zulassung für die Kinder zwischen 12  und 15? Ist das eine Zulassung, ich sage mal, erster Klasse?



Alexander Kekulé


(Lacht) Vielleicht eine gute Formulierung: Zulassung zweiter Klasse. Also, erstens muss man rein formal sagen: Die EMA lässt nicht zu. Das ist in Europa anders als in den USA. Sondern die EMA spricht eine Empfehlung aus für die Europäische Kommission. Die formale Zulassung macht die Europäische Kommission.



Camillo Schumann



Diesen Schritt habe ich jetzt bewusst übersprungen. Aber es ist gut, dass Sie es noch mal gesagt haben, weil zur Empfehlung für die Zulassung, da gab es ja dann auch in der Berichterstattung retrospektiv so ein bisschen Verwirrung, weil dann die Überschrift war: Die EMA empfiehlt den Impfstoff. Was natürlich falsch ist.



Alexander Kekulé


Ja, genau. Also, das ist ein bisschen skurril. Ich meine, die Europäer müssen immer alles speziell machen. Die haben sich ja auch später zusammengerauft als die Bundesstaaten der Vereinigten Staaten in Amerika. Und deshalb gibt es immer alle möglichen Extra-Klauseln. Und eine Extra-Klausel, die man sich eben ausbedungen hat, schon vor langer Zeit (das ist nicht erst als die EMA von London nach Amsterdam umgezogen ist), war eben, dass man gesagt hat, die darf selber nicht autonom die Zulassung machen. So viel wollte man den europäischen Institutionen dann doch nicht zutrauen, sondern die spricht eine Empfehlung aus, die dann von der Europäischen Kommission letztlich abgehakt wird. Da gibt es so ein Gremium in der Kommission, das das macht, was meines Wissens auch aus mehreren Ländern dann noch einmal zusammengesetzt ist. Das ist aber letztlich eine reine Formsache. Das ist ganz klar, und so läuft es halt in Europa. Das ist aber keine Empfehlung zur Impfung. Das muss man vielleicht, genau wie sie sagen, in der öffentlichen Diskussion nochmal auseinanderhalten. Also die Zulassung ist ja die Voraussetzung dafür, dass etwas überhaupt vermarktet werden darf bei uns. Also, das ist eine Markt-Autorisierung, dass man es verkaufen


darf letztlich. Aber bloß, weil es verkauft werden darf, heißt das noch lange nicht, dass man es kaufen muss oder kaufen soll. Und diese zweite Stufe der Empfehlung, das macht ja dann bei uns in Deutschland die Ständige Impfkommission. Theoretisch. Es gibt auch Politiker, die in letzter Zeit meinen, sie könnten so was. Aber im Prinzip macht das die Ständige Impfkommission und das, was die EMA macht, ist eine Empfehlung zur Zulassung, also letztlich die Voraussetzung für die Zulassung. Mehr als das ist es nicht.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz ist die Grundlage für diese Empfehlung zur Zulassung eine Studie. Deswegen noch mal gefragt und das wurde ja dann auch erklärt. Wie bewerten Sie die Argumentation im Begleitschreiben dazu?



Alexander Kekulé


Ja, also die EMA war da sehr vorsichtig, übrigens ähnlich wie die FDA. Also beide Behörden haben sich so ein bisschen da durchlaviert, weil die Behörden, anders als die Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks, irgendwie doch mehr nach dem Wortlaut ihrer formalen Aufgaben denken. Und zwar sowohl in den USA als auch in Europa handelt es sich um eine Notfallzulassung. Die Notfallzulassung ist ein Instrument, das an ganz strenge Voraussetzungen gebunden ist. Und eine dieser Voraussetzungen ist, es muss für die Betroffenen selbst der Nutzen ganz klar die erkennbaren Risiken überwiegen. Das Wesen der Notfallzulassung ist ja, dass man noch nicht alle Risiken abschätzen kann, weil noch nicht alle Daten vorliegen. Und in dieser Lage, um auf die EMA speziell zu sprechen zu kommen, müssen die also eine Empfehlung abgeben, die sich eigentlich bezieht auf die Betroffenen selbst. Also man darf eigentlich nicht so indirekt argumentieren, nach dem Motto: wir wollen jetzt die Pandemie insgesamt bekämpfen, drum werden jetzt die Kinder geimpft oder so ähnlich. Sondern man muss nachweisen, warum es für die Kinder, in dem Fall zwischen 12  und 15 Jahren, von Vorteil ist. Und da hatte man eben ganz wenig Daten. Insgesamt wurden in dieser sogenannten Zulassungsstudie von BioNTech 1.131 Kinder geimpft. Das ist nicht sehr viel, also Kinder zwischen 12  und 15. Wenn wir uns erinnern, fast 36.000 Erwachsene wurden, zusammen-


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genommen für die Impfstoffe von BioNTech und Moderna, die ja sehr, sehr ähnlich sind, geimpft, und wir haben etwas über 2 50 Millionen Personen, die geimpft wurden inzwischen weltweit mit diesen RNA-Impfstoffen. Also bei den Kindern Basis der Überlegungen 1.131 plus noch einmal ungefähr genauso viele als Kontrollgruppe, die aber quasi Kochsalzlösung bekommen haben. Und aus diesen Daten kann man letztlich Nutzen und Risiken nicht sauber ableiten. Erstens, weil natürlich der Schutz der Kinder, sag ich mal, ein Fragezeichen ist. Wovor werden die geschützt? Die meisten haben ja asymptomatische Verläufe, nur sehr, sehr wenige sind schwer krank. Und zweitens, weil die Risiken, also seltene Nebenwirkungen, um die es da geht, oder langfristige Nebenwirkungen, selbstverständlich bei einer Beobachtungszeit von 2 Monaten und 1.131 Personen, die geimpft wurden, nicht wirklich ablesbar ist. Was hat die EMA also gemacht? Habe ich mir hier mal aufgeschrieben. Da heißt es sinngemäß: Trotz der Unsicherheit bezüglich möglicherweise unerkannter seltener Nebenwirkungen. (Die Unsicherheit bezog sich unter anderem auch auf diese Herzmuskelentzündungen, das ist aber ein Fragezeichen, ob die wirklich assoziiert sind mit dem BioNTech Impfstoff und dem Moderna-Impfstoff. Aber es gibt gewisse Hinweise, dass jüngere Menschen manchmal Herzmuskelentzündungen haben.) Und trotz all dieser Unsicherheiten, sagen sie, der Nutzen überwiegt bei den 12  bis 15Jährigen trotzdem die Risiken. Und jetzt kommt's: Und zwar insbesondere für Kinder mit Vorerkrankungen, die das Risiko schwerer Verläufe von Covid erhöhen. D.h. also insbesondere die mit Vorerkrankungen. Und da ist natürlich die Sache glasklar. Also jemand mit Vorerkrankungen muss sich impfen lassen, egal in welchem Alter, wenn diese Vorerkrankung das Risiko des schweren Verlaufs erhöht. Aber diese Einschränkung, dass die sagen ‚Okay, das überwiegt insbesondere in diesem Fall‘, d.h. letztlich, sie haben (was ich in dem Fall sehr positiv finde) ganz genau verstanden, was ihr gesetzlicher Auftrag ist. Ich habe ja vorher so ein bisschen befürchtet, dass die darüber hinweg galoppieren. Aber nein, die haben das genau wörtlich genommen, was die Voraussetzungen der Notfallzulassung sind in Europa. Und sie haben im Grunde genommen uneinge-


schränkt die Impfung nur für Risikopersonen im Alter von 12  bis 15 empfohlen. Das werden die Leute von der Ständigen Impfkommission auch ganz genau lesen. Also selbst von der Zulassung her ist es so, dass man im Grunde genommen gesagt hat, bei Risikopersonen uneingeschränkt in dem Alter, heißt aber dann im Umkehrschluss bei denen, die kein Risiko haben, wollen wir uns nicht so genau festlegen.



Camillo Schumann



Genau. Das war ja schon im Vorfeld dieser Entscheidung ungefähr auch die Stoßrichtung der Ständigen Impfkommission. Dass sie sich vorstellen könnte, möglicherweise den Impfstoff zu empfehlen, eben für Kinder mit Vorerkrankungen. Das ist ja sozusagen jetzt eine einheitliche Linie. Das bedeutet, die Ständige Impfkommission hat jetzt, sage ich mal, den Rücken gestärkt für ihre Entscheidung, sich dann gegenüber ihrer oberen Behörde durchzusetzen.



Alexander Kekulé


Also noch schwieriger als Kaffeesatz lesen ist zu lesen, was Kollegen so im Kopf haben und v.a. welche Dynamik entsteht, wenn die dann zusammensitzen oder zusammen zoomen. Aber ich würde es so interpretieren wie Sie. Ich habe ja beim letzten Mal so ein bisschen pessimistisch gesagt: Naja, könnte sein, dass die STIKO einknickt, wenn der politische Druck so groß ist. Also in gewisser Weise hat die EMA jetzt hier bei der Empfehlung – zur Zulassung, muss mal sagen! – der STIKO, die die Empfehlung für die Impfung dann selber machen soll, eigentlich den Ball jetzt vorgelegt, es genauso zu machen, wie es aus meiner Sicht sinnvoll wäre. Und ich bin deshalb optimistischer als beim letzten Mal, nachdem ich das jetzt hier gelesen habe, dass die das tatsächlich dann auch so umsetzen, weil das kann man direkt von der Zulassungsbehörde jetzt in dem Fall aufnehmen.



Camillo Schumann



V.a. kann man es ja auch nicht mehr wegdiskutieren. Also könnte sich die STIKO hinter dieser Empfehlung zur Zulassung dann auch wieder, ich sage mal, zurückziehen oder dann sagen: Naja, gut, das ignorieren wir jetzt und wir sagen uneingeschränkt für alle?


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Alexander Kekulé


Ja, das machen ja die Politiker sogar. Man darf nicht vergessen, die STIKO hängt am RKI, das RKI hängt am Gesundheitsminister, und dessen Meinung ist bekannt. Also es gibt beide Möglichkeiten. Aus meiner Sicht ist es ganz spannend und an der Stelle noch offen. Aber ich kann noch mal zwei, drei pragmatische Sachen sagen und das wird auch eine Rolle spielen bei der STIKO. Die sind ja jetzt nicht so, dass die Scheuklappen aufhaben. Sie wissen, ich halte sehr viel von dieser Kommission. Ganz pragmatisch ist es so: Erstens, wir haben nicht genug Impfstoff, um die Risikogruppen zu impfen. Es wird auch bis September so sein, dass wir nicht im Impfstoff schwimmen und sagen können, jetzt haben wir einfach wahnsinnig viel übrig, um irgendwelche Kinder zu impfen. Sondern wir müssen letztlich von alt nach jung impfen, um die Sterblichkeit und die Krankheitsentwicklungen quasi sinnvoll zu bekämpfen. Da haben wir noch viele Baustellen. Wir haben vorhin drüber gesprochen, in bestimmten Gesellschaftsgruppen v.a. Zweitens ist es so, dass wir ja in den USA diese Zulassung haben, also die FDA hat ja für die 12 bis 15-Jährigen die Zulassung ausgesprochen. Und da wird ja jetzt im Moment im richtig großen Stil in dieser Altersgruppe geimpft. Weil die haben diese Zweifel nicht. Die sind also sozusagen auf dem Vorwärts-Weg, die wollen, dass die Wirtschaft wieder anläuft, die wollen diese Masken endlich wegschmeißen, die wollen, dass der Betrieb wieder wie vorher ist. Daher werden jetzt die 12 bis 15-Jährigen geimpft. Und das kann man jetzt so oder so sehen. Aber für uns ist es natürlich der Riesenvorteil, dass wir in Kürze nicht 1.100, sondern wir werden in Kürze Hunderttausende von Daten haben von Kindern, die in den USA geimpft wurden. Und da hat man dann zumindest von der Masse her mal eine Situation, wo man seltene Nebenwirkungen, d.h. welche, die vielleicht mit 1:5.000 oder so auftreten, dann mit einer halbwegs zuverlässigen Sicherheit auch ausschließen kann. Was wir natürlich nicht haben bis dahin, das ist ganz klar, ist eine Langzeitbeobachtung. Und die Frage muss man dann grundsätzlich stellen: Wollen wir mit so einem Impfstoff, der auf einem ganz neuartigen Wirkprinzip beruht, ohne Langzeitdaten impfen? Ja oder Nein. Da, um das noch einmal zu sagen bin ich der Mei-


nung, muss man mit in die Waagschale werfen zumindest, dass es ja Alternativen gibt, dass es demnächst Antigen-Impfstoffe geben wird, also Protein-Impfstoffe, die auf einem klassischen Wirkprinzip letztlich beruhen. Und das wird zweitens epidemiologisch keine Eile haben, die Kinder zu impfen, weil es ist ja so, bei den jüngeren Kindern unter zwölf wird es sowieso im September keinen Impfstoff geben. Das wäre ja völlig illusorisch. Und die ab 16, da ist es ja schon empfohlen oder zumindest, sage ich mal, möglich, da gibt es ja eine Zulassung. Und warum ist dann die Altersgruppe zwischen 12  und 15 so wichtig? Also ich glaube, da diskutieren wir im Grunde genommen etwas, was deshalb keine Priorität haben muss, weil wir in den Schulen sowieso im Herbst diese klassischen und unbeliebten, nicht pharmakologischen Interventionen weiterhin brauchen werden. Also wir brauchen im Herbst weiter die Schnelltests in den Schulen, schon allein wegen der Jüngeren. Und wir brauchen weiterhin natürlich in Situationen, wenn es jetzt mal ein Ausbruch gibt o.Ä., dann wieder die Gruppeneinteilungen und eventuell wieder Masken im Unterricht. Wenn die Inzidenz insgesamt niedrig ist, und davon gehe ich mal aus, dass wir das hinkriegen, dann sind wir in der Situation, dass wir aus meiner Sicht, die Impfung der Schüler epidemiologisch nicht brauchen. Also das gibt keine Notwendigkeit, das jetzt unbedingt zu machen. Und deshalb sage ich, wir könnten es auch ein bisschen geruhsamer angehen an der Stelle. Wie gesagt, der Impfstoff ist sowieso knapp. Mal schauen, ob dann so viel da ist.



Camillo Schumann



Und an dieser Stelle noch der Hinweis: Wenn dann die STIKO sich positioniert hat und dann die Impfdosen auch bei den Hausärzten sind, bleibt es natürlich dann auch eine Entscheidung der Eltern. Also es ist ja dann nicht verboten. Es kann da jeder machen, was er will.



Alexander Kekulé


Das finde ich ein super wichtiges Argument. Ja, da ist ja jeder ein bisschen unterschiedlich gestrickt. Und ich glaube, es wird ja niemand sagen: Mensch, du sollst dein Kind jetzt nicht impfen, wo der Impfstoff zugelassen ist. Das ist ja selbstverständlich. 12  bis 15 ist die Zulassung da oder kommt die Zulassung gerade, und


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damit ist völlig klar, dass man das machen kann. Das Umgekehrte ist die Gefahr, dass es dann eine Stigmatisierung gibt, dass man dann sagt: Mensch, ihr sollt euch alle impfen lassen und die, die es noch nicht gemacht haben, die werden es dann bald hoffentlich auch noch tun, so ein gewisser Druck. Das fände ich in dem Fall falsch. Aber dass natürlich die Eltern auch unterschiedlich gestrickt sind, manche haben amerikanischere Gene, die sagen, wir machen das. Vielleicht noch einmal: Was ist wichtig und was es nicht wichtig. First things first. Das Wichtigste wird im Herbst sein, wenn wir uns die vierte Welle anschauen: Wieviel ungeimpfte Erwachsene haben wir? Da kommt es auf die Impfverweigerer an. Da kommt es darauf an, Leute zu überzeugen, die sich grundsätzlich nicht impfen lassen wollen im Erwachsenenalter, und auf die schwierig zugänglichen sozialen Gruppen im weitesten Sinne. Haben wir ja durchaus auch, was weiß ich, jetzt gerade sind Wahlen in SachsenAnhalt, es ist bekannt, dass der Süden SachsenAnhalts doch durchaus einen hohen Anteil von Leuten hat, die das Ganze sehr kritisch sehen. Und das sind die Bereiche, wo man durchdringen muss. Das ist ganz wichtig und zwar trotz der Bundestagswahl, finde ich, ist es nicht richtig, da den Wählern quasi so eine Art Appeasement-Politik zu machen, sondern man muss immer wieder gerade bleiben und sagen, es ist extrem wichtig, sich impfen zu lassen für die Erwachsenen. Und die, die dann nicht geimpft sind, müssen die Schutzmaßnahmen einhalten. Das wird das Allerwichtigste sein. Und das zweitwichtigste wird sein, dass wir am Arbeitsplatz die Infektionen in den Griff bekommen. Es ist heute noch so, dass die höchsten Infektionszahlen immer noch am Arbeitsplatz sind. Ist besser geworden, seit es diese Verpflichtung zum Schnelltest-Angebot für die Betriebe gibt. Aber es ist trotzdem noch so, dass wir dort nach wie vor hohe Fallzahlen haben. Und der nächste Punkt wird dann im Herbst sein: Die Einschleppung aus dem Ausland. Und das ist etwas, was man dann offen diskutieren muss. Da werden wir so einen ähnlichen Effekt haben wie nach dem Sommer letzten Jahres, natürlich nicht mehr so drastisch. Aber da wird es natürlich auch Einschleppungen geben, zumindest mal in den grenznahen Regionen, wo man keine Tests


macht. Da wird die Diskussion sein: Wie können wir das unter Kontrolle bekommen? Und der letzte und vierte Punkt letztlich ist, dass wir nach wie vor zu wenig Daten haben und nicht genau verstehen, was passiert. Wenn wir uns um diese vier Baustellen kümmern würden. Schulen sind da übrigens eben keine wichtige Baustelle an der Stelle. Wenn wir uns um die vier Baustellen kümmern, dann können wir die Herbstwelle wirklich in den Griff bekommen. Da müssen wir aus meiner Sicht nicht die Kinder alle impfen und die 12 bis 15-Jährigen.


45:59



Camillo Schumann



Lassen Sie uns an dieser Stelle im Podcast über Virusvarianten reden. Aber wenn es nach der WHO geht, dann sollten wir nicht mehr von der indischen oder der britischen oder südafrikanischen Variante sprechen, sondern von Alpha, Beta, Gamma. Denn die WHO hat die Varianten nach dem griechischen Alphabet nun umbenannt. Die indische Variante z.B. heißt jetzt Delta. Alpha = die britische, Beta = die südafrikanische und Gamma = die brasilianische. Das Argument: So soll die Stigmatisierung einzelner Länder vermieden werden, also aus PoliticalCorrectness-Gründen. Wie finden Sie das? Also für mich als Journalist ist es z.B. unheimlich praktisch zu wissen, von wo welche Variante kommt und gefunden wurde, damit man das auch besser einordnen kann in der Berichterstattung. So müsste ich da jetzt immer nachgucken, wo was war.



Alexander Kekulé


Ja, das ist eine Diskussion, die haben wir seit vielen Jahren in der Wissenschaft. Wir werden politisch korrekter. Früher hieß die Spanische Grippe halt Spanische Grippe, und Ebola ist nach einem Fluss im Kongo benannt. Ja, das ist der Ebola-River. Und es gibt eine lange Liste von Krankheiten, die wurden meistens entweder nach dem Ort, wo sie aufgetreten sind, oder nach ihrem Entdecker benannt, je nachdem, wer sich da durchgesetzt hat. Und es ist ja in der Psychologie der Menschen so, wenn wir uns jetzt mal erinnern: Jetzt ist diese britische Variante zum ersten Mal eben in im Vereinigten Königreich festgestellt worden. Klar weiß keiner, ob sie dort sozusagen genetisch entstanden ist. Wir haben es ja jetzt weltweit, da haben die Norditaliener Glück gehabt, wenn


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es nach mir gegangen wäre, hieße die weltweite Variante, die wir jetzt eigentlich haben, die B1, hieße bei mir norditalienische Variante. Da ist aber damals noch von vielen nicht so genau erkannt worden, woher die kam. Und deshalb hat man es quasi verpasst, bevor sie sich weltweit ausgebreitet hat, die dann so zu nennen. Aber im Grunde genommen ist es doch immer so: Irgendwo findet man das zum ersten Mal. Die norditalienische ist ja auch nicht zum ersten Mal dort aufgetreten, wirklich genetisch gesehen, sondern die hat sich dort richtig durchgesetzt, durchgemendelt. Und das gleiche war in England mit dem B.1.1.7. Und wir haben eben in anderen Bereichen auch Varianten, die sich ganz typisch dort zum ersten Mal durchgesetzt haben. In Brasilien ist es ja sogar das Amazonasgebiet gewesen, wo ganz speziell jetzt diese B1, B2 -Varianten aufgetaucht sind. Darum finde ich das genau wie Sie, also das lokal zuzuordnen, da erinnert man sich dann, ahja, das war das, wo es zum ersten Mal aufgetreten ist. Man hat dann auch besser dieses Bild, wie sich so eine Variante dann von dort in der Welt ausbreitet oder auch nicht. Muss ja nicht sein, dass sie sich ausbreitet. Und auch in der Weiterentwicklung ist das dann nicht so abgebildet. Jetzt das Beispiel mit der indischen, da war es ja auch so, dass die Inder also geschimpft haben, dass das nicht geht, dass die "indische Variante“ heißt. Das war der Auslöser bei der WHO letztlich. Den Briten war das egal, glaub ich. Und die original indische Variante, die ist ja im Vereinigten Königreich eine Stufe weiterentwickelt. Also die hat einen Ableger in England. Und dort ist es aber so, die heißt dann schon .2  hinten, weil die doch noch eine Weiterentwicklung ist. Und da müsste man dann Alpha.1 und Alpha.2  [sagen] und in England ist dann die Delta.2  und naja. Also ich finde, das trägt eigentlich nur zur zusätzlichen Verwirrung bei, wenn man jetzt in öffentlichen Bereichen spricht. Und für uns Epidemiologen, wir benutzen sowieso diese Nummern, weil da kann man besser erkennen, wer von wem abstammt.



Camillo Schumann



Tja, und wie machen wir das jetzt hier im Podcast, wenn wir das nicht mehr sagen dürfen?



Alexander Kekulé


Wir dürfen das doch noch, oder gibt es schon ein Verbot?



Camillo Schumann



Nein, nein, natürlich nicht.



Alexander Kekulé


Also ich nehme das zur Kenntnis, dass es da wieder eine neue Nomenklatur gibt. Ich finde, wenn wir jetzt bisher immer von der indischen Variante gesprochen haben, müssen wir halt mal einen Disclaimer machen, dass wir damit weder den Ministerpräsidenten von Indien beleidigen wollen noch damit irgendwelche Inder irgendwie herabsetzen wollen. Und ich glaube, das ist so, wissen Sie, ich erinnere mich in der Anfangszeit, da gab es ja Leute, die haben die Straße gewechselt, wenn ihnen jemand, der asiatische aussah, entgegenkam, weil es hieß, dieses Virus kommt aus Asien. Und Donald Trump hat es dann auch immer chinesisches Virus genannt, was natürlich auch nicht so nett war. Und das hat in der Tat dann in bestimmten Gesellschaften dazu geführt, dass da Aggressionen entstanden sind und Vorurteile entstanden sind. Ich glaube aber nicht, dass man, indem man da jetzt Alpha Beta Delta dazu sagt, irgendwie das aus dem Kopf der Leute rausbekommt, wo es ursprünglich mal herkam. Und deshalb glaube ich, das ist letztlich ein Nebenschauplatz.


50:48



Camillo Schumann



Fakt ist, seit ein paar Tagen geistern Nachrichten über eine neue Variante durchs Netz. Nämlich soll in Vietnam aus der britischen und der indischen Variante eine noch ansteckendere Variante gebildet worden sein. Noch scheinen es ja so unbestätigte Meldungen zu sein. Wissen Sie mehr darüber? Und wie sollten wir diese Meldung einordnen?



Alexander Kekulé


Nein, also ich habe auch wirklich recherchiert. Das ist ganz offensichtlich so, dass das von Reuters, der Nachrichtenagentur, ursprünglich mal kam; und alle, die da in den Medien schreiben: Wir erklären euch jetzt, wie die Variante aus Vietnam quasi funktioniert, die schreiben eigentlich nur den Reuters-Artikel ab. Und das wiederum kam dadurch zustande, dass die vietnamesischen Behörden das selber


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bekanntgegeben haben. Das ist ja immer so eine Ambivalenz, die Wissenschaftler, auch in Vietnam (übrigens Vietnam ist ja so ein so einen Vorzeige-Kandidat, die das eigentlich sehr, sehr gut gemanagt haben, bisher) und es ist so, dass die natürlich jetzt stolz darauf sind, dass sie da eine neue Variante gefunden haben. Und die Wissenschaftler, die geben das dann bekannt und wollen zeigen: Hier schaut mal her, nicht nur die Engländer, sondern wir können so etwas auch. Zugleich gibt es klar dann den Reflex mancher Regierungen, die sagen: wir wollen das aber nicht, dass das so ein Stigma ist, was unserem Land anhaftet. Und hier ist es so, dass praktisch nichts bekannt ist. Also man weiß ein, 2 Mutationen, die da angeblich gefunden wurden. Ich würde da mal den Ball ganz niedrig spielen. Aus meiner Sicht ist es so, je mehr man sucht, desto mehr Varianten wird man finden. Ich glaube, ich habe schon mal gesagt, ich vermute, dass da schon einige Hundert unterwegs sind, die miteinander z.T. schon auf Augenhöhe konkurrieren. Die Viren wollen sich ja auch durchsetzen und optimieren sich. Und man kann nur daran erinnern, dass da eine Parallel-Evolution stattfindet. Also die Varianten in Südamerika, in Südafrika, in Indien und in England, die stammen ja nicht unbedingt voneinander ab, wenn man einmal davon absieht, dass die indische nach England auch gewandert ist, sondern die sind (...) mehr oder minder unabhängig voneinander aus diesem norditalienischen Typ entstanden und haben aber fast zum Verwechseln ähnliche Mutationen. D.h. das Virus optimiert sich sozusagen parallel in verschiedenen Teilen der Welt. Und wenn man das weiß, kommt es dann nicht mehr so drauf an: Ist das jetzt die vietnamesische Variante oder die indische? Sondern das ist einfach so, dass wir es mit einem Virus, einer Virus-Blase zu tun haben. Wir nennen das Quasi-Spezies übrigens, das ist also keine echte Spezies mehr, sondern weil es so viele verschiedene Subtypen gibt, sagt man dann Quasi-Spezies dazu. Also man kann quasi gar nicht mehr ein Virus erkennen, sondern es gibt einen Raum von verschiedenen Viren, die verschiedene Zustände haben. Manfred Eigen, der Nobelpreisträger, hat diesen Begriff mal geprägt. Und damit ist es so, diese QuasiSpezies ist auf der ganzen Welt ausgebreitet und entwickelt sich weiter. Klingt jetzt so ein


bisschen alienmäßig, das ist bei Viren halt einfach so. Und deshalb ist es nicht mehr wichtig, welche Variante von welchem Erdteil Sie jetzt genau im Visier haben.



Camillo Schumann



Gut, trotzdem vielleicht so ein kleiner Blick mal drauf. Vielleicht spielt die Variante hier im Podcast ja noch mal eine Rolle, aber zum derzeitigen Zeitpunkt: Keine gesicherten Informationen zur Verbreitung, Sterblichkeit, etc. Da tappt man noch absolut im Dunkeln?



Alexander Kekulé


Es ist eine reine Spekulation. Man wird auch in Vietnam solche Reproduktionszahlen nicht besonders sauber erheben können. Das konnten wir nicht einmal in Brasilien. Nicht einmal in Brasilien, auch nicht in Südafrika konnten wir saubere Zahlen haben, ob z.B. der R-Wert, also das R0 quasi, die natürliche Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Variante, höher ist oder nicht. Man kann das annehmen. Das ist höchstwahrscheinlich so. Sonst würde sie sich nicht so durchsetzen gegenüber den anderen. Aber sauber gemessen wurde sowas bisher, meines Wissens, nur im Vereinigten Königreich. Und wir wissen in Vietnam noch gar nichts. Das sind eben Mutationen, wo die Leute, die die entdeckt haben, gesagt haben: Das sieht aber gefährlich aus. Und die Variante ist relativ häufig nachgewiesen worden. Aber so viel sequenziert haben die natürlich auch nicht. Deshalb würde ich sagen, erst einmal kein Grund, schlecht zu schlafen.



Camillo Schumann



Und wir sind jetzt am Ende und Sie haben es ja schon angekündigt: Das Positive kommt jetzt. Die positive Studie zum Schluss, nämlich kam die Antwort auf die Frage: Wie lange hält eigentlich die Immunität nach einer SARS-CoV-2 Infektion an? Zu dieser Frage wurden ja schon einige Studien durchgeführt. Letzte Woche haben wir in Ausgabe 186 z.B. über neutralisierende Antikörper und ihre Rolle im Kampf gegen das Virus gesprochen. Und nun scheint es Zellen im menschlichen Körper zu geben, die ein Gedächtnis wie ein Elefant haben könnten, nämlich die Plasmazellen des Knochenmarkes. Forscher der Washington University School of Medicine haben ihre Studie zur Begutachtung im Netz hochgeladen. Herr Kekulé, Sie haben


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sich die durchgelesen. Erst einmal: Wie bewerten Sie so grundsätzlich diese Erkenntnis?



Alexander Kekulé


Ja, also das ist schon ganz toll, weil wir haben es hier noch einmal mit der humoralen Antwort zu tun, der sogenannten humoralen Antwort, das ist die Antikörper-Antwort. Also es gibt ja diese zytotoxischen T-Zellen, die andere Zellen kaputtmachen, wo das Virus drin ist. Und hier geht es jetzt um die Antikörperbildung im weitesten Sinne. Das machen die sogenannten B-Zellen, B-Lymphozyten. Und da kann man jetzt sagen, das Elefantengedächtnis steckt uns in den Knochen. Es ist tatsächlich so: Wir haben 2 Arten von Gedächtniszellen bei diesen B-Zellen. Das eine sind die klassischen Memory Cells oder Gedächtniszellen. Die haben die Eigenschaft, dass sie reaktiviert werden, wenn man mit einem ähnlichen Virus wieder infiziert wird, und dann relativ schnell antikörper-produzierende Zellen herstellen können. Also die entwickeln sich dann weiter in antikörper-produzierende Zellen und dadurch ist die Antwort schneller und spezifischer als bei der ersten Infektion. Und dieser Gedächtniszell-Effekt ist ein wichtiges Standbein des Immunsystems. Und das andere Standbein dieser Antikörperbildung ist eben (...) meines Wissens erst vor ein paar Jahren entdeckt worden, dass das wirklich so funktioniert. Das sind im Knochenmark lagernde Plasmazellen, wie die heißen, also Zellen, die Antikörper produzieren, die aber nicht komplett abgeschaltet sind, sondern die weiter Antikörper herstellen. Also die sind quasi schlafende Antikörper-Produzenten, die auf niedrigem Niveau weiter Antikörper machen. Und das sind eben diese lang lebenden Knochenmarks-Plasmazellen. Und wenn die hergestellt werden und wenn die vorhanden sind, dann heißt das, dass man eine wirklich komplett durchlaufende Immunantwort gehabt hat auf dieses SARS-CoV-2 -Virus. Da ist nämlich vorher ein Reifungsschritt in den Lymphknoten passiert. In den sogenannten Lymph-Follikeln kommt es dann zur Bildung eines „Keimzentrums“ heißt das. Und dabei Reifen diese BLymphozyten so weit, dass eben am Schluss diese langlebigen Knochenmark-Zellen entstehen. Und wenn man die nachgewiesen hat, was jetzt hier der Fall ist, dann beweist das, dass das Immunsystem sozusagen alle Register


gezogen hat bei der Produktion der Antikörper. Und da gab es eben früher ein Fragezeichen. Da gab es Leute, die gesagt haben, es gibt Hinweise darauf, dass das gar nicht richtig stattfindet bei den Coronaviren. Dass die Immunantwort unvollständig ist. Was ist dann mit den Antikörpern, die da so oft nach vier Monaten wieder verschwinden? Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass wir unser immunologisches Gedächtnis gegen dieses Coronavirus verlieren. Und diese Vermutung, die da im Raum stand, eigentlich schon sehr, sehr lange, weil man am Anfang eben diese Daten aus China hatte, wo die Antikörper, die man so einfach messen kann, verschwunden sind z.T. Diese Vermutung die ist damit jetzt vom Tisch.



Camillo Schumann



Und die große Frage ist ja: Sind die dann in ausreichender Zahl vorhanden, um dann auch substanziell gegen das Virus vorgehen zu können?



Alexander Kekulé


Ja, also da reicht eine kleine Zahl. Das ist das Interessante. Also, das kann man sich so vorstellen: Es gibt am Anfang, wenn jetzt so ein Virus kommt, ganz viele antikörperproduzierende Zellen, die heißen dann Lymphoblasten an der Stelle, B-Lymphoblasten. Und die machen schlampige, große Mengen von Antikörpern, die aber nicht so speziell sind. Und von denen gibt es dann eben so nach ein paar Monaten einen Übergang, etwa nach vier Monaten, wo diese Lymphoblasten langsam abnehmen, verschwinden, und auch die von ihnen produzierten Antikörper und stattdessen eben diese superspezialisierte langlebigen Knochenmarkszellen entstehen, die im Knochenmark dann auch hauptsächlich sitzen. Und die machen wenig Antikörper, aber dafür mit hoher Qualität. Und dieser Übergang, den kennen wir z.B. von anderen Viren und der ist bei der Influenza sehr genau erforscht worden. Und diese Arbeitsgruppe aus St. Louis in Missouri, die hat das eben hier jetzt auch mal gezeigt für das SARS-CoV-2 -Virus. Und deshalb, finde ich, ist das eigentlich jetzt der letzte Beleg, dass wir wahrscheinlich, wenn man das positiv sieht, lebenslang ein immunologisches Gedächtnis haben gegen das Virus, was uns genau infiziert hat. Also genau die Variante von


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SARS-CoV-2 , die uns infiziert hat, die vergisst unser Immunsystem nicht.



Camillo Schumann



Und ist dann auch bereit und fähig, dagegen vorzugehen?



Alexander Kekulé


Ja, davon kann man ausgehen. Also was wir nicht genau wissen, eine Schwäche bei der Studie (es gibt immer irgendwelche Wermutstropfen) ist... Es gibt 2 Wermutstropfen: Das Eine ist, es wurden jetzt nicht speziell die neutralisierenden Antikörper getestet. Das muss man im nächsten Schritt machen, ob das auch wirklich neutralisierende Antikörper sind, die da generiert werden von diesen langlebigen Plasmazellen, die da im Knochenmark sitzen. Und das Zweite ist, dass wir hier hauptsächlich leichte Verläufe hatten. Also das war so, dass man insgesamt bei 18 Probanden das Knochenmark entnommen hat. Das ist jetzt nicht so eine super angenehme Sache. Da bohrt man so in den in den Beckenkamm, in den Knochen rein, unter örtlicher Betäubung. Und dann haben sie so etwa sieben bis acht Monate nach der Infektion eben diese Untersuchung mitgemacht. Nach elf Monaten haben fünf von denen sich bereit erklärt, das noch mal zu machen, die anderen wollten scheinbar nicht mehr. Und deshalb hat man jetzt nicht so wahnsinnig viele Daten. Aber vom Ergebnis kann man sagen, das waren alles Patienten, die natürlich leichte Verläufe hatten. Das hat man jetzt nicht mit Leuten gemacht, die super schwere Verläufe hatten. Sodass wir nicht genau wissen, wie wäre das beim ganz schweren Verlauf von SARS-CoV-2  von Covid19, bilden sich dann auch diese wirklich sehr, sehr langlebigen immunologischen Gedächtniszellen. Oder in dem Sinne sind es nicht die klassischen Gedächtniszellen, sondern die, die weiterhin Antikörper produzieren. Dieses Fragezeichen steht noch so ein bisschen im Raum. Ob das bei schweren Verläufen dadurch, dass das Immunsystem ja da ganz massiv gestört wird, bei den schweren Covid-Erkrankungen, ob das auch funktioniert. Da kann man den Vergleich machen mit Ebola. Wir wissen in Westafrika 2 014 wurde Ebola relativ genau untersucht. Da gab es ja auch Überlebende. Und das macht also das Immunsystem noch mehr kaputt als die Covid-Infektion. Und auch da war es so,


dass selbst schwere Ebola-Verläufe immer diese ganz lang anhaltende Immunität durch diese Knochenmarks-Plasmazellen hatten, sodass wir wissen: Bei Ebola zumindest hing es wohl mit der Schwere des Verlaufs nicht zusammen. Darum bin ich ganz optimistisch, dass es hier, obwohl die Studie das jetzt nicht gezeigt hat, genauso der Fall ist, dass Leute, die schweres Covid hatten, trotzdem auch dann lebenslänglich so eine Erkennung haben. Also einen Wiedererkennungswert. Also man kann es sich so vorstellen: Diese Zellen sind so ein bisschen unser Gästebuch für die Infektionserreger, die uns je besucht haben. Und in diesem Gästebuch ist einfach der Eintrag nicht mit Bleistift oder mit irgendetwas, was schnell weggeht, sondern mit dicker Tinte eingetragen. Und das wird also nicht vergessen.



Camillo Schumann



„Es war schön hier. Da kommen wir wieder.“ Ist das denn ein biologischer Vorgang, der jedem Menschen zu eigen ist? Oder wird es da auch noch mal ausgesiebt?



Alexander Kekulé


Nein, das können wir alle. Und es ist es faszinierend, was für tolle Sachen wir eigentlich können, ohne es zu bemerken. Wir sind ja so stolz auf unsere kognitiven Leistungen. Aber ich vergleiche das immer mit dem Immunsystem. Nein, das können wir tatsächlich alle, das können wohl alle höheren Vertebraten, also Wirbeltiere. Und deshalb kann das jeder von uns. Aber was hier letztlich passiert, also unterm Strich kann man das noch mal so sagen: Das Covid-erzeugende Virus, das PandemieVirus ist letztlich auf dem Weg, von einem Raubtier zu einem Haustier zu werden. Und zwar, weil das Virus sich verändert und weil unser Immunsystem sich dran anpasst. Und diese Studie ist ein weiterer, ganz wichtiger Stein, der eben zeigt, dass wir tatsächlich also alle Register ziehen, auch gegen dieses Virus, was die Bildung von langanhaltender Immunität betrifft. Da hatte man eben ein bisschen Fragezeichen, weil wir wissen, z.B. bei den normalen saisonalen Coronavirus-Infektionen, die so Erkältungen machen. Da wissen wir, die kann man sich nach einem Jahr oder spätestens nach 2 Jahren eigentlich schon nochmal holen. Da kriegt man also dann alle 2 Jahre wieder eine Coronavirus-Infektion. Und


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da gab es eben Leute, die gesagt haben, das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Immunität gar nicht aufgebaut wird, also dass es gar keine volle Immunreaktion gibt. Und diese Daten, die da am Anfang im Raum standen, oder Vermutungen, die finde ich sind damit eigentlich vom Tisch. Also wir haben eine sehr, sehr gute Immunität. Gegen genau die Variante, die uns infiziert hat natürlich. Wenn jetzt der Bruder von der daherkommt und ein bisschen anders aussieht, sofern es kein Zwillingsbruder ist, dann wird sich das Immunsystem nochmal was überlegen müssen. Aber es wird nach meiner Einschätzung wirklich keine tödlichen Verläufe oder ganz selten nur noch tödliche Verläufe geben.



Camillo Schumann



Und an dieser Stelle: Jede Podcast-Folge, auch in schriftlicher Form zum Nachlesen mit natürlich allen wichtigen Links auch zu dieser besprochenen Studie, finden Sie unter Audio & Radio auf mdr.de.


Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Und Herr W. aus Jena hat angerufen und eine Frage zu den Impfungen für Jugendliche:


„Bekommen die die gleiche Dosis an Impfstoff wie Erwachsene? Oder wird bei ihnen die Dosis reduziert? Und wenn sie reduziert wird, wie findet man dann die optimale Menge, die den Jugendlichen gespritzt wird? Herzlichen Dank und viele Grüße aus Jena.“



Alexander Kekulé


Ja, also die Dosis wurde in diesem konkreten Fall, es ist es ja jetzt der BioNTech/PfizerImpfstoff, der für 12 bis 15-Jährige in der Zulassung ist. Dort wurde die Dosis nicht reduziert. Man macht da sogenannte Phase-IIDosisfindungsstudien erst mal vorher. Und in den Studien hat sich gezeigt, dass man im Grunde genommen die gleiche Dosis nehmen kann wie bei Erwachsenen. Das gilt aber jetzt speziell für diesen Impfstoff und speziell für 12 bis 15-Jährige. Wenn wir es mit jüngeren Kindern zu tun haben, muss höchstwahrscheinlich die Dosis dann reduziert werden, weil das Immunsystem von jüngeren Kindern einfach stärker reagiert. Das ist vielleicht sogar ein ganz positiver Hinweis, dass es zumindest bisher mal so aussah, weil das deutet an, auch die


immunologischen Daten, die man dann erhoben hat... Man hat dann natürlich Antikörperbildung und so was gemessen bei den 12 bis 15-Jährigen. Das sah alles ganz ähnlich aus wie bei den Älteren. Also wenn Sie die Altersgruppe von 16 bis 2 1 damit vergleichen, gab es eigentlich keine wesentlichen Unterschiede in dieser Studie, die dann auch die Grundlage für die Zulassungsempfehlung war. Und das deutet darauf hin, dass in dem Alter das Immunsystem zumindest mehrheitlich schon so reif ist, dass man es eigentlich mit den Erwachsenen vergleichen kann. Es gibt ja immer Pro und Kontra, kann man so sagen. Das ist vielleicht ein Argument, was dafür sprechen würde, dass man 12 bis 15-Jährige noch so ähnlich wie Ältere impfen kann. Aber es ist ganz sicher, dass bei den Jüngeren dann, wenn das Immunsystem unreifer ist, man noch mal über die Dosis nachdenken muss. Und wie macht man das? Das ist halt immer schwierig. Also man muss bei den Kindern dann verschiedene Dosen ausprobieren. Und natürlich wird man hauptsächlich runtergehen mit der Dosis von den Erwachsenen. Das übertreibt man in so einer pandemischen Situation natürlich nicht. Also, dass man das jetzt sozusagen abstimmt, bis aufs letzte Optimum, das wird man nicht machen, sondern man wird gleich 2 oder drei verschiedenen Konzentrationen nehmen und gucken, reicht die niedrigste Konzentration vielleicht schon aus, um hier einen Immunschutz herbeizuführen. Da macht man ja dann auch nicht sofort als nächstes die Altersgruppe 0,5 bis 11, sondern da wird man wahrscheinlich erst mal eine Altersgruppe, so etwas wie 7 bis 11 machen als nächste Stufe, und dort halt ausprobieren, ob eine geringere Dosis ausreicht. Das ist da wesentlich schwieriger, weil man die Immunantwort von diesen Kindern, wenn man Blut abnimmt und dann guckt wie sieht es mit den Antikörpern und den Zellen aus, die sich da bilden? Das kann man nicht so einfach 1:1 mit Erwachsenen vergleichen. Also je jünger, desto komplexer wird die Frage.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 189. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Gerne, bis Donnerstag, Herr Schumann.


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Camillo Schumann



Sie wollen auch etwas wissen, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das:


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Übrigens hören Sie doch mal andere spannende Podcasts von MDR Aktuell dort an. Z.B. „Tabubruch der Podcast über Schicksale hinter den Nachrichten“.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 9. Mai 2 02 1 #188: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Sollte man nach einer Impfung pralles Sonnenlicht vorerst meiden?


Bekommt man nach einer Impfung Durchfall?


Ein junger sportlicher Mann bekommt nach seiner 1. Impfung mit BioNTech eine Thrombose im Bein, sollte er auf die 2 . Impfung verzichten?


Keine Langzeitimmunität nach Impfung mit AstraZeneca?


Impfabstand: je größer, desto besser?  Und wann können wir auf Maske und Ab-


stand halten komplett verzichten?


Camillo Schuhmann


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem „Kekulés Corona-Kompass“-Hörerfragen-Spezial nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


0:00:46 Camillo Schuhmann


Frau S. hat gemailt: „Meine Tochter stillt ihre 4 Monate alte Tochter voll. Nun soll meine Tochter am 1. Juni ihre erste BioNTech-Impfung erhalten. Genau 14 Tage vor diesem Termin hat meine Enkelin eine Rotaviren-Schluck-Impfung erhalten. Reicht dieser 14-Tage-Abstand zwischen den beiden Impfungen, um kein Risiko für die Kleine einzugehen?



Alexander Kekulé


Ja, es wird empfohlen, 14 Tage Abstand zu halten. Bei Lebendimpfstoffen und speziell bei dem Sars-CoV-2 -Impfstoff ist es so, dass die Ständige Impfkommission ja auch sicherheitshalber 14 Tage Abstand empfiehlt. Das würde ich sagen, das reicht also. Zumal in dem Fall ist es ja so, dass nicht das Kind selber geimpft wird, sondern im einen Fall ist es das Kind, im anderen Fall ist es die Mutter. Also, ich sehe nicht, warum das gefährlich sein sollte.


0:01:39 Camillo Schuhmann


Frau W. aus Bremen hat angerufen. Sie hat Ausgabe 184 gehört, in der wir eine Studie besprochen haben, wonach es starke Verunreinigungen im AstraZeneca-Impfstoff gab. Dazu hat Frau W. 2  Fragen:


„Ist es möglich, dass AstraZeneca seine Zulassung aufgrund der gefundenen Verunreinigungen verliert? Die 2 . Frage ist: Im März bekam ich meine 1. Impfung mit AstraZeneca. Ich bin 61 Jahre alt. Ich habe es wunderbar vertragen. Am 16. Juni wäre meine 2 . Impfung. Ich würde lieber die 2 . Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bekommen. Kann ich mir das aussuchen, dass ich nicht noch einmal AstraZeneca bekomme oder ist das nach wie vor nicht möglich?“



Alexander Kekulé


Zum ersten Teil der Frage: Verliert es seine Zulassung? Das hängt natürlich von der Zulassungsbehörde ab. Wir haben aber hier, um es noch einmal zu sagen, ein Notfallverfahren. Das Notfallverfahren, bei der Notfallzulassung. Es ist ja nicht so, in dem Sinn, dass man die verliert, sondern die Frage ist, ob sie verlängert wird. Die Notfallzulassung wird immer nur für ein Jahr erteilt, in Europa. Nach einem Jahr kann der Antragsteller eine Verlängerung beantragen. Er muss in diesem Jahr auch Daten vorlegen. Und natürlich ist die Sicherheit und die Zuverlässigkeit des Produktionsprozesses ein ganz wesentlicher Faktor dabei. Ich bin sicher, dass die Europäische Arzneimittelbehörde die aufgetretenen Probleme genau im Blick hat. Und die werden natürlich von AstraZeneca Nachweise verlangen, dass so etwas ausgemerzt ist, nicht mehr vorkommen kann, unter Kontrolle ist. Und je nachdem, was der


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Hersteller dann vorlegt, werden sie nach einem Jahr die Verlängerung genehmigen oder nicht. Wenn der Hersteller nicht klar belegen kann, dass hier in Zukunft so etwas ausgeschlossen ist. Oder belegen kann, dass die Verunreinigungen ungefährlich sind. Das ist sehr gut möglich, dass die zwar vorhanden sind, aber kein Problem darstellen. Wenn also keins von beiden möglich ist, durch den Hersteller, dann wird diese Notfallzulassung einfach nicht verlängert.


0:03:58 Camillo Schuhmann


Das wäre dann der 30. Januar 2 02 2 , ich habe gerade mal geguckt, wann die EU den AstraZeneca Impfstoff zugelassen hat, also so Mitte oder Anfang des Jahres 2 02 2  sind wir dann schlauer.


So jetzt der 2 . Teil der Frage: Lieber BioNTech oder lieber AstraZeneca für die 2 . Impfung?


0:04:17 

Alexander Kekulé


Die Daten sind ziemlich klar, dass, wenn man einen Vektor-Impfstoff AstraZeneca und hinterher einen RNA-Impfstoff bekommt, dass man dann in der Summe einen höheren Schutz hat. Also dieser Teil ist relativ eindeutig, weil dann sozusagen 2  Faktoren zusammenkommen. Das eine ist, dass die RNA-Impfstoffe grundsätzlich allgemein stärker schützen, eine höhere Effizienz haben. Und zweitens ist es so, dass es immer von Vorteil ist, sage ich, dem Immunsystem so ein bisschen was Anderes zum Fressen hinzuwerfen als beim ersten Mal. Dann verbreitert sich der Immunschutz, kann man sagen, dann wird es sozusagen auf eine breitere Basis gestellt. Das heißt, es gibt unterschiedliche Zellen, die dann in der Lage sind, verschiedene Teile des Erregers zu erkennen. Weil die Präsentation gegenüber dem Immunsystem sich immer ein bisschen ändert, je nachdem, was für ein Impfstoff das ist. Also daher spricht, rein medizinisch gesehen, alles dafür, beim zweiten Mal ein RNA-Impfstoff zu nehmen. Die Frage ist, ob der verfügbar ist. Die Ärzte dürfen das ja jetzt auch. Und natürlich kann der Arzt sagen, ich möchte in diesem Fall den RNA-Impfstoff verimpfen. Ich würde aber, wenn jetzt wirklich die Situation kommt, dass


man sagt, es gibt aber nur AstraZeneca, das andere ist gerade nicht verfügbar, dann würde ich trotzdem des AstraZeneca nehmen. Also mit über 60. Wenn es beim ersten Mal gut vertragen wurde, was soll der groß passieren? Also, das würde ich auf jeden Fall machen, besser als auf einer Impfung sitzen zu bleiben.


0:05:51 Camillo Schuhmann


Die Stiko empfiehlt auch Personen über 60 Jahre, die 2 . Impfung auch wieder mit AstraZeneca zu machen. Wenke aus Hamburg hat angerufen, sie hat eine Freundin, und diese Freundin lebt auf Gran Canaria. Dort hält sich hartnäckig ein Gerücht, was Geimpfte unbedingt die Sonne meiden sollten.


„Sie hat mir erzählt, sie sei tagelang nicht in die Sonne gegangen, da es ein Gerücht gibt, dass man negative Reaktionen entwickeln kann, wenn man sich in die Sonne legt.“


Stimmt das?



Alexander Kekulé


Ja, also ganz allgemein kann man sagen, dass das Impfen stimuliert natürlich das Immunsystem. Oder man könnte auch sagen, es stresst des Immunsystem, weil das ist ja für das Immunsystem so ähnlich, als würde man wirklich eine Krankheit bekommen. Wir wissen, dass das nur ein Impfstoff ist. Sind da vielleicht entspannt. Aber unsere Immunzellen, die geraten so ein bisschen in Panik, weil für die ist das natürlich ein echter Krankheitserreger. Die werden ja sozusagen reingelegt an der Stelle. Und dieser Stress des Immunsystems äußert sich durchaus auch in einer erhöhten Bereitschaft für irgendwelche Ausschläge, die man kriegen kann, wenn man sonst in die Sonne geht. Weil auch Sonnenbestrahlung fürs Immunsystem erstmal eine Belastung ist. Die Sonne bildet Vitamin D, und das ist alles ganz wunderbar, wenn man die in Maßen genießt. Aber so, wie viele Urlauber sich in die Sonne legen, das ist durchaus auch nicht zu empfehlen, wenn man einen Virusinfekt hat oder Ähnliches. Und deshalb finde ich eine allgemeine die Regel gut, nach einer Impfung vielleicht 2 Tage lang körperliche Anstrengung zu meiden, Alkoholexzesse oder andere Drogen zu meiden und eben nicht massiv in die Sonne zu gehen. Das heißt nicht, dass man im Keller bleiben muss. Aber


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dass ich mich zumindest nicht gerade auf den Teutonengrill legt. Das ist schon zu empfehlen.


0:07:45 Camillo Schuhmann


Wir haben Post von einer Dame erhalten, die an einer Waldorfschule arbeitet. Sie schreibt: Ich bin Schülermutter an einer Waldorfschule. In Gesprächen mit Eltern und Lehrern und Lehrerinnen stoße ich immer wieder auf tiefes Misstrauen gegenüber Corona-Maßnahmen. Maskentragen und Schnelltests. Immer wieder begegnet mir die Überzeugung, die Maßnahmen seien nicht verhältnismäßig, da das Virus weniger gefährlich sei, als allgemein angenommen. Der Schularzt unserer Schule bezeichnet die Maßnahmen als Coro-neua. Er impft in seiner hausärztlichen Praxis nicht gegen Corona und war im vergangenen Herbst Veranstalter einer Querdenken-Demo. In diesem Zusammenhang habe ich 2 Fragen. Haben Sie Kenntnis von einer Häufung von Corona-Ausbrüchen im Waldorf-Umfeld? Bekanntlich waren Sie ja selber Waldorfschüler. Haben Sie einen Vorschlag, wie ich hier aus der Elternschaft heraus zur Aufklärung beitragen kann, ohne Gräben zu vertiefen? Herzlichen Dank und viele Grüße. Da hat sich diese Dame was vorgenommen.



Alexander Kekulé


Also klar, das Phänomen gibt es. Das kennen wir von anderen Impfungen auch. Ich habe Kenntnis von Häufungen im Waldorf-Umfeld, muss ich dazusagen, von wo?. Aber um Gräben nicht zu vertiefen, sage ich jetzt nicht, wo. Und es ist ganz klar das ist doch ... Das sind aber nicht nur die Anthroposophen von den Waldorfschülern, sondern da gibt es viele Strömungen in der Gesellschaft, die grundsätzlich gegen Impfungen sind und schon immer waren. Und die natürlich hier, wenn man sich vom Staat gegängelt fühlt, doppelt genervt sind davon. Weil außer den rein medizinischen Fragen, die man ja durchaus diskutieren darf, es eben da auch so ein bisschen grundsätzliche Probleme mit Impfungen gibt. Ja, wie kann man so etwas überwinden?


Meine Erfahrung ist: Das beste Argument ist immer noch, dass man sich klarmacht, und das auch immer wieder kommuniziert, dass eine Impfung in der Regel weniger schadet als eine


natürliche Infektion. Also die meisten. Es gibt auch Religionen, die in diese Richtung gehen, oder Strömungen innerhalb einzelner Religionen, die in diese Richtung gehen. Die sagen so ein bisschen, die natürliche Feiung ist das Beste. Das kann man aber rein biologisch im 2 1. Jahrhundert einfach nicht mehr unterschreiben. Das ist so, dass diese Täuschung des Immunsystems die gleiche Reaktion auslöst, oder eine ähnliche Reaktion auslöst, wie bei einer Erkrankung. Das ist für den Menschen allemal besser, als die Erkrankung selber durchzumachen. Und vielleicht noch ein anderes Argument, was ich immer wichtig finde. Wir wissen ja bei den Impfungen zum Teil nicht, was Langzeiteffekte sind. Das ist ja immer das, wo man sich Gedanken macht und wo es auch schwierig ist, die komplett auszuräumen. Andererseits, wir wissen auch nicht, was bei den Infektionen die Langzeiteffekte sind. Und deshalb finde ich, wenn man so in so einer Situation ist, dass man sich nicht schützen kann vor einer Erkrankung oder nicht schützen will vor einer Erkrankung, ist die Impfung meistens der bessere Weg. Das gilt also ganz allgemein für die Impfstoffe, die wir haben. Und das galt übrigens auch in der Vergangenheit schon als Plan. Die Impfkritiker sagen dann immer, „ja, damals Polio, die Riesenkatastrophe“. Als Kinderlähmung in den USA da war. Die dann auch optimistisch mit dem neuen Impfstoff geimpft haben gegen Kinderlähmung. Und dann gab es einen gewissen Anteil von Kindern, die haben durch den Impfstoff, das war ein Lebendimpfstoff, damals tatsächlich so eine Form der Kinderlähmung bekommen. Das gilt als große Katastrophe in der Geschichte der Impfstoffentwicklung. Dieses Zeug wird nicht mehr verimpft heute. Aber trotzdem, wenn man das gegenrechnet gegen die vielen, vielen Kinder, die keine Kinderlähmung bekommen haben, weil sie erfolgreich geimpft wurden, dann ist das natürlich auf die Gesamtbevölkerung gesehen, eine ganz kleine Größe. Insgesamt ist es immer so, dass die Impfung viel besser ist als das Durchmachen der Krankheit.


0:11:45 Camillo Schuhmann


Wir wünschen toi toi beim Versuch der Diskussion. Man muss dazusagen, der Transparenz halber, Sie sind Waldorfschüler und ich auch.


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Hier unterhalten sich 2 Waldorfschüler über das Thema Coronavirus, was auch sehr interessant ist.



Alexander Kekulé


Was wir vorher nicht verabredet haben, muss man dazusagen. Es ist irgendwann rausgekommen. Wahrscheinlich treten noch andere Dinge zutage.


0:12 :12  Camillo Schuhmann


Eine Dame hat angerufen, sie möchte nicht, dass wir Ihren Namen nennen. Kein Problem. Sie hat eine Frage zu möglichen Problemen nach einer BioNTech-Impfung.


„Gibt es Erfahrunswerte, in welcher Zeit nach einer BioNTech-Impfung eine Diarrhoe auftreten kann? Ich wurde am 15.4. geimpft. Ich habe seit 8.5. Probleme. Komme vom Abdomen-CT. Bis dahin ging ich in die Diagnostik, da ich Medizinerin bin. Weil ich mir meine Bescherden nicht erklären kann. Auch ein PCRTest war negativ. Diarrhoe kann ja als Impfnebenwirkung auftreten, aber ich finde nirgendwo, in welcher Zeiteinheit.“



Alexander Kekulé


Ich kenne das auch nur in relativ kurzer Zeit. Typisch wäre so innerhalb von spätestens 2 Wochen. Wir wissen aber tatsächlich, dass bei den RNA-Impfstoffen es so ist, dass wir merkwürdige immunologische Spätreaktionen haben, typischerweise als Hautreaktionen. Wenn man nun weiß, dass es an der Einstichstelle schwierig erklärbare, verzögerte Immunreaktionen gibt, die noch nicht genau geklärt werden können. Aber die haben wohl was zu tun mit so einer Art Allergie, so eine ähnliche Reaktion wie bei Allergien. Dann kann man so was natürlich auch für die Darmschleimhaut vermuten. Und deshalb kann man rein theoretisch ableiten, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass das auch nach ein paar Wochen mal auftritt. Aber meines Wissens ist bisher nichts dokumentiert, was nach mehreren Wochen noch solche Nebenwirkungen macht, sollte man auf jeden Fall melden. Das ist ja ganz wichtig. Das Paul-Ehrlich-Institut sammelt ja solche Fälle, um zu sehen, ob es da eine Häufung und eine Assoziation gibt. Und darum sollte man so was, wenn man das hat, durchaus mal melden, weil


der lange Zeitraum hier doch schon interessant ist.


0:14:00 Camillo Schuhmann


Frau P. hat gemailt: „Ich habe die Möglichkeit, mich Mitte Juni bei meinem Hausarzt mit BioNTech impfen zu lassen. Allerdings bin ich 6 Wochen später, wenn die Zweitimpfung ansteht, im Urlaub und könnte die zweite Impfung daher erst nach acht Wochen machen lassen. Halten Sie dies für problematisch? Welche Konsequenzen könnte dies für den Impfschutz haben? Mit freundlichen Grüßen, Frau P.“



Alexander Kekulé


Also für den Impferfolg hat es höchstens positive Konsequenzen, weil wir wissen, dass eine etwas spätere zweite Impfung tendenziell eher den Immunschutz danach verstärkt. Kommt halt darauf an, was man zwischen der ersten und zweiten Impfung macht. Das heißt, wenn der Urlaub eine Kreuzfahrt sein sollte, auf einem der neu eröffneten Kreuzfahrtschiffe oder es in einen der Partykeller irgendeiner Insel auf den Balearen gehen sollte, dann könnte es nachteilig sein. Aber jetzt, für den Langzeiteffekt ist es eigentlich überhaupt kein Nachteil, sondern ein Vorteil, noch 2 Wochen zu warten.


0:14:55 Camillo Schuhmann


Unser Hörer Stefan hat gemailt. Er schreibt: Ich bin männlich, 44, Nichtraucher, sportlich und ohne Vorerkrankung. Das Arztzimmer sehe ich für gewöhnlich nur für Vorsorge, Impfung und Vorsorgeuntersuchung. Am 12 . Mai habe ich meine erste Impfdosis BioNTech erhalten. Die Tage unmittelbar danach waren frei von merklichen Impfwirkungen. Später, am 2 0. Mai, bekam ich aus heiterem Himmel eine Thrombose im rechten Oberschenkel. Nach ärztlicher Diagnose mit Ultraschall bekomme ich nun täglich Blutverdünner, trage tagsüber einen Kompressionsstrumpf, nehme Schmerztabletten, lagere die Beine regelmäßig hoch und laufe ebenso regelmäßig kleine Strecken. Die Maßnahmen sind vorerst für 30 Tage angesetzt. In diesem Zeitfenster liegt auch meine zweite Impfung mit BioNTech. Bisher gab es


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nie Probleme mit meinen Venen oder Blutgerinnung. Der Grund für die Thrombose ist mir absolut schleierhaft. Mir ist bewusst, dass RNA-Impfstoffe für thrombotisches Geschehen oder für Venen-Entzündungen nicht bekannt sind. Aber ich kann nur diesen Zusammenhang mit der BioNTech Impfung herstellen. Meine Frage, sollte die zweite Impfung lieber verschoben werden oder sehen Sie keinen Grund zum Warten? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Das ist ja keine sozusagen staatlich anerkannte Nebenwirkung. Hier gilt auch wieder, dass es wichtig ist, diese Assoziationen, es sind ja keine Nebenwirkungen. Aber diese unerwünschten Dinge, die passieren, im Zusammenhang mit der Impfung wirklich dem Paul-Ehrlich-Institut zu melden. Ich würde wahrscheinlich schon rein aus psychologischen Gründen nicht während der Therapie, da wird jetzt ein Blutverdünner gegeben, jetzt die zweite Impfung machen. Ich würde die tatsächlich ein bisschen rausziehen und erst mal abwarten, bis die Thrombose völlig ausgeheilt ist. Dadurch entsteht ja auch kein Nachteil in dem Fall. Und jemand, der sowieso Stützstrümpfe hat, dann die Beine hochlegen muss, der ist wahrscheinlich auch nicht so gefährdet, sich mit dem Virus zu exponieren.


Camillo Schuhmann


Und er schreibt auch noch, ob ein Impfstoffwechsel ratsam wäre.



Alexander Kekulé


Nein, das würde ich nicht machen. Also ich glaube nicht, dass es von dem RNA-Impfstoff gekommen ist. Also das wäre jetzt ein sehr ungewöhnlicher Bericht. Darum würde ich für einen Impfstoff-Wechsel in der Situation nicht sprechen. Aber ich würde eben nicht in die Therapie rein, jetzt sozusagen mit Stützstrumpf und unter Blutverdünner-Therapie, mir die zweite Impfung geben lassen. Das würde ich nicht machen.


0:17:14 Camillo Schuhmann


Diese Dame hat unseren Podcast vom Dienstag, den 2 5. Mai gehört, Ausgabe 186. Darin haben wir eine Studie zur Immunität durch neutralisierende Antikörper besprochen. In der


Studie wurde ja die Immunität nach der Gabe von 7 Impfstoffen mit der Immunität nach einer durchgemachten Infektion verglichen. Und dazu hat unsere Hörerin folgende Frage: „AstraZeneca schneidet in der Studie eher schlecht ab. Wie kann ich als über-60-Jährige, mit AstraZeneca Geimpfte damit umgehen? Was kann ich daraus schließen? Bin ich nicht mehr geschützt vor eine Neuinfektion und kann ich eine schwere Infektion bekommen? Ich freue mich über eine Antwort, herzlichen Dank.“


0:17:55 

Alexander Kekulé


Ich würde jetzt nicht auf jede Studie gleich so reagieren, dass ich sage nein, dann mache ich jetzt das nicht mit der zweiten Impfung. Das ist jetzt geplant. Man kann froh sein, dass man überhaupt die Möglichkeit hat, sich zu impfen. 2 Impfungen sind auf jeden Fall bei AstraZeneca wesentlich besser als nur eine Impfung. Dass es am Ende des Tages wahrscheinlich Impfstoffe geben wird, wo wir 2 Jahre später sagen, da war der Immunschutz am besten. Und diese eine Studie, die wir hier vorgestellt haben, ging ja in die Richtung, das ist ganz klar. Aber da ist ja auch noch nicht das letzte Wort gesprochen, sondern ich empfehle, jetzt, hier das zu machen. Und falls es wirklich so sein sollte, dass die Antikörper-Titer im Herbst schlecht sind oder nächstes Frühjahr schlecht sind, dann kann man ja noch mal eine weitere Impfung machen.


0:18:40 Camillo Schuhmann


Diese Dame hat angerufen. Auch sie möchte ein wenig Klarheit bezüglich mehrere Gerüchte haben: „Ist es waht, dass wenn man geimpft ist, man anfälliger für Corona ist? Dass man sich eher anstecken kann? Und wird das Immunsystem durch die Impfung geschwächt, dass man dann für andere Infektionen anfälliger wird? Und dass das Immunsystem nicht mehr gut gegen Zellmutationen wirkt, dass man Krebszellen nicht gut abwehren kann?



Alexander Kekulé


Also das waren jetzt 2 klassische Gerüchte, wie sie von Corona-Gegnern gestreut werden.


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Deshalb ist vielleicht ganz gut, mal kurz darauf einzugehen. Das eine ist die Frage, ist man dann anfälliger für eine Infektion? Das ist Unsinn. Das ist überhaupt nicht der Fall. Ja, man kann sich immer noch infizieren. Und man kann unter Umständen dann ausnahmsweise auch mal so viel Virus ausscheiden, dass man jemanden anders, der ungeimpft ist, damit noch anstecken kann. Aber das ist wesentlich weniger wahrscheinlich, als wenn man ungeimpft wäre. Das heißt, die Impfung schützt auf jeden Fall auch vor der Ansteckung in den allermeisten Fällen. Und das ist ein echtes Gerücht. Hier ist das Umgekehrte der Fall. Das gleiche gilt für die Behauptung, die habe ich auch schon ein paar Mal so gehört, dass man dann anfälliger für Krebs wäre. Es ist so, dass es sogar früher mal Therapien gab gegen Krebs, bei denen man das Immunsystem unspezifisch stimuliert hat. Es hat nie so richtig funktioniert. Aber es war schon mal so die Idee, dass man durch eine Art Impfung quasi das Immunsystem anheizt. In der Hoffnung, dass dadurch dann durch diese Aktivierung nebenbei auch Krebszellen eliminiert werden. Das heißt also auch, das stimmt eben nicht, dass durch die Impfung die Abwehr gegen Krebs schwächer wird, sondern sie wird rein theoretisch sogar eher etwas stärker. Zumindest vorübergehend. Vielleicht kann ich dazu noch sagen, man muss ein bisschen aufpassen. Es gibt tatsächlich systematische Desinformationskampagnen inzwischen. Wir haben ja noch nicht so explizit darüber gesprochen. Aber es gibt wirklich Desinformationskampagnen, wo die Amerikaner der Meinung sind, die werden aus Russland gesteuert. Wo ganz gezielt auch der BioNTech-Impfstoff angegriffen werden soll oder andere Impfstoffe angegriffen werden sollen. Vielleicht im Zusammenhang mit mit dem Marketing. Als Marketingmaßnahme für Sputnik V, aber das ist nicht ganz klar. Und es gibt ja jetzt ganz aktuell von gestern Aussagen von Bloggern in Europa, die behaupten, sie seien angesprochen worden über das Internet. Von Leuten, die gefragt haben, ob sie bereit wären, gezielt den BiontecImpfstoff schlechtzumachen. Gegen Bezahlung natürlich. Also, das heißt, da gibt es jetzt richtige Kampagnen, die auch gegen die Impfstoffe gehen und die nicht davor zurückschrecken, systematisch Falschinformationen zu verbreiten. Und so ein


bisschen in diese Richtung geht das, was ich da gerade gehört habe.


0:2 2 :04 Camillo Schuhmann


Frau M. hat gemailt. Es wird immer wieder gesagt, dass leichte Maßnahmen wie die Maskenpflicht und das Abstandsgebot uns noch sehr lange erhalten bleiben. Nun sind aber gerade diese Maßnahmen aus meiner Sicht zwar einerseits leicht umsetzbar, andererseits auf Dauer aber belastend und damit alles andere als leicht. Wir sind als Menschen nicht auf ein dauerhaftes Abstand-Halten zu anderen Menschen ausgelegt. Ich bin Lehrerin und Tänzerin. In beiden Bereichen ist aufgrund von Maskenpflicht und Abstandsgebot eine Rückkehr zur Normalität nicht einmal ansatzweise vorstellbar. Wie schätzt Herr Kekulé das ein, wann werden wir in manchen Bereichen auf die Maskenpflicht und das Abstandsgebot komplett verzichten können? Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.



Alexander Kekulé


Ich würde da überraschend sagen, wahrscheinlich überraschend sagen, in einigen Bereichen könnten wir sofort darauf verzichten. Indem wir gründlich testen. Also, wir brauchen im Grunde genommen hier nur das Testen und die Nachverfolgung. Und den Schutz der Risikogruppen. Sie ahnen, dass das ein altes Konzept ist, ein Jahr alt inzwischen. Mit diesem Konzept können Sie natürlich auf die Masken in dieser speziellen Situation verzichten. Beim Tanzen z.B. ist ja bekannt, wenn Sie nicht gerade mit Wildfremden tanzen, wer das ist, den sie als Partner haben. Wenn beide getestet sind und für den Fall, dass zusätzlich sich auch noch einer infiziert, so dass man eine Kontaktnachverfolgung machen kann. Dann ist es eigentlich schon fast sichere Sache. Und wenn dann auch noch zusätzlich diejenigen, die wirklich ein hohes individuelles Risiko haben, geschützt sind durch Impfung, dann sehe ich da überhaupt kein Problem damit, das zu machen. Die Maskenpflicht bezog sich, wie ich jetzt empfehle, die Maske zu behalten, auf Situationen, wo wir mit mehr oder minder anonym mit anderen Leuten zusammentreffen. Und nicht sicher sein können, dass diese anderen keine


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Risikopersonen sind und möglicherweise ungeimpft sind. Also z.B. im öffentlichen Nahverkehr. Da glaube ich, wäre es sinnvoll, einfach die Masken zu behalten, weil wir da auch diese Situation mit den geschlossenen Räumen haben. Aber das Tanzstudio oder andere Situationen, oder eben die Schule als Lehrerin, das ist so eine klassische Situation, die man auch anderweitig kontrollieren kann. Sogar erst mal ohne Impfung. Und da muss man dann keine Masken tragen. Wenn alle getestet sind und es nachverfolgbar ist und die Inzidenz niedrig ist und die Risikogruppen geschützt sind.


0:2 4:35 Camillo Schuhmann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 188 „Kekulés Corona-Kompass“-Hörerfragen-Spezial, vielen Dank. Wir hören uns am Dienstag, den 1. Juni wieder. Bis dahin schönes Wochenende.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.


0:2 4:48 Camillo Schuhmann


Sie haben auch Fragen? Dann schreiben Sie uns an MDR-aktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, das kostet nichts. 0800 32 2 00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen von „Kekulés Corona-Kompass“ finden Sie auf mdr.de, dort unter „Audio und Radio“. In der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo Podcasts gibt.


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 7. Mai 2 02 1 #187: Die Zahlen sinken



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung


Studie: Wirkung von 2  inaktivierten SARS-CoV2 -Impfstoffen auf die symptomatische COVID19-Infektion bei Erwachsenen (2 6.05.) Effect of 2  Inactivated SARS-CoV-2  Vaccines on Symptomatic COVID-19 Infection in Adults: A Randomized Clinical Trial | Global Health | JAMA | JAMA Network


Studie: „Impfdurchbruch“ Infektionen trotz Impfung (2 5.05.) COVID-19 Vaccine Breakthrough Infections Reported to CDC — United States, January 1–April 30, 2 02 1 | MMWR


Studie: Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen gegen die Variante B.1.617.2  (2 5.05.) Effectiveness of COVID-19 vaccines against the B.1.617.2  variant (khub.net)


die Zahlen sinken was tun bei einer Inzidenz von null?


Dann: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will Kindern und Jugendlichen Impfungen anbieten, auch wenn die Ständige Impfkommission des möglicherweise nicht empfehlen wird. Wie sollen sich Eltern dann verhalten?


Neue Daten zu Protein Impfstoffen. Wie wirkungsvoll können sie Infektionen verhindern und während sie eine Alternative Tiefe für uns?


Außerdem: trotz Impfung infizieren sich Menschen mit dem Corona Virus und sterben auch daran. Das ergab


eine Datenanalyse in den USA. Grund


zur Besorgnis?  Und: Corona, Zecken, Pneumokokken,


Masern, Tetanus, Rotaviren, Influenza. Sind so viele Impfungen gegen Viren und Bakterien überhaupt gesund?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Schauen wir auf die aktuellen Zahlen bei der Belegung der Intensivbetten mit Covid-19 Patienten. Da liegen wir, stand heute, bei rund 2 880. Damit wurde ihre Zahl innerhalb von fünf Monaten halbiert und wir sind wieder unter dem Höchststand der ersten Welle. Es ist praktisch das Gegenteil eingetreten von dem, was prognostiziert wurde. Dann die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz liegt bei 41. Das ist natürlich wegen der Feiertage auch mit Vorsicht zu genießen, ebenso die Zahl der Neuinfektionen. Die beträgt mit rund 6000 nur die Hälfte von vor einer Woche, aber noch immer konstant über 2 00 Menschen, die an oder mit Covid-19 sterben. Wie fällt Ihre Bewertung der aktuellen Lage aus?


01:54



Alexander Kekulé


Weiterhin optimistisch. Das ist ja, glaube ich, jetzt ganz gut die Tür, die wir da aufgemacht haben durch die Impfungen möglicherweise. Zumindest, auf jeden Fall, durch die Wärme, durch die Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Schon länger scheint es jetzt auf einem


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guten Weg zu sein. Ich glaube auch, dass wir eigentlich schon so gut wie am sicheren Ufer sind in dieser Welle. Ich glaube nicht, dass es jetzt noch einmal massiv hochgehen wird. Und ja, das hatten wir ja schon besprochen. Also diejenigen, die diese falschen Prognosen abgegeben haben. Das wird ja jetzt auch öffentlich viel diskutiert. Ich finde, da muss man schon eine Fehleranalyse machen, ohne mit dem Finger auf irgendjemand zeigen zu wollen. Aber wir haben ja im Herbst wahrscheinlich wieder ein Ansteigen des Infektionsgeschehen. Und da wird es dann eben ganz wichtig sein, dass wir gute Prognosen haben. Vor allem, dass wir die Bevölkerung mitnehmen. Wenn sie sich erinnern, (...) diese sehr, sehr negativen Aussichten, da waren ja Inzidenzen von über 2 000 im Gespräch für Mitte Mai glaube ich. Die Kanzlerin ist darauf eingestiegen, es war so, dass man im Grunde genommen vor Ostern ganz massiv Richtung Oster-Lockdown argumentiert hat. Das hat dann nicht stattgefunden, aber ich glaube, man muss jetzt aufpassen. Wer immer Wolf schreit und der Wolf kommt nicht. Oder wer einmal Wolf schreit, in dem Fall ist es ja nur einmal gewesen. Der muss beim nächsten Mal schon sehr gute Argumente haben, warum es diesmal stimmt. Und darum bin ich wirklich für eine Aufarbeitung dieser Fehler, die ich bis jetzt noch nicht sehe, muss ich sagen.



Camillo Schumann



Weil sie sicheres Ufer gesagt haben. Sie glauben nicht, welcher Landkreis aktuell die niedrigste Inzidenz in ganz Deutschland hat. Wissen Sie es? Soll ich Ihnen sagen?



Alexander Kekulé


Ich weiß es nicht. Aber wenn sie es so sagen vielleicht irgendetwas mitten in Sachsen?



Camillo Schumann



Fasst. Es ist der ehemalige Hotspot Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz. Dort gab es davor ein paar Monaten einen Inzidenzwert von 1000. Jetzt 4,2 . Tirschenreuth steht also quasi kurz vor einer Null-Inzidenz. Das ist doch Wahnsinn, oder?



Alexander Kekulé


Ja, epidemiologisch völlig klar. Das sind ja quasi Kräfte, die da wirken und Gegenkräfte. Man hat natürlich in Bayern, ich weiß nicht, ob es in Tirschenreuth gemacht wurde, aber ich nehme an, dass es da auch der Fall war. Man hat in die Hotspots massiv reingeimpft. Da hat man eine Freigabe gemacht, eine Prioritätsfreigabe gemacht und einfach geimpft dort. Das Zweite ist, dass die Bevölkerung natürlich dann auch verstanden hat: „Moment mal. Jetzt müssen wir was tun“, und ihr Verhalten schlagartig geändert hat. Ich bin immer noch der Meinung, dass das der wichtigste Faktor ist. Und da sind wir erfolgreich. Und wo immer das richtig gemacht wird, läuft es. Und der dritte Effekt ist, wenn ich mal so gemein sagen darf, ein kleiner biologischer. Natürlich haben sie, wenn sie eine hohe Inzidenz haben, einfach viele Menschen die es bekommen haben. Die sind dann Zustand genesen. Und ob sie genesen oder geimpft sind, ist natürlich erst mal aus Sicht der Welle relativ egal. Die zählen quasi wie die Geimpften. Und auch das wird eine Rolle gespielt haben, dass jetzt die Inzidenz runtergegangen ist.



Camillo Schumann



Es gab in der Tat Sonderkontingente für den Landkreis Tirschenreuth an Impfdosen, und die Impfquote liegt auch deutlich über dem Bundesschnitt. Also gerade dieser Dreiklang, den sie da beschrieben haben, das wird es dann gewesen sein. Hätte man ja auch woanders machen können.



Alexander Kekulé


Ja, hat man, glaube ich, auch. In Passau ist es meines Erachtens so ähnlich gelaufen. Das Problem ist, wir haben einzelne Landkreise und einzelne Regionen in Deutschland, wo eben die Inzidenz zu hoch ist, weil die Menschen sich nicht so richtig an die Maßnahmen gehalten haben. Das sind dann erstaunlicherweise oft die gleichen, die dann sagen: “Und impfen will ich mich aber auch nicht“. Und da ist es dann eher schwierig. Aber Tirschenreuth, Passau das waren halt Leute, die, als man gesagt hat, wollt


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ihr euch impfen lassen, sofort den Ärmel hochgekrempelt haben. Und deshalb glaube ich, wenn wir da eine positive Einstellung zum Impfen hinbekommen, das wird ganz wichtig sein Richtung Ende des Sommers, dann können wir insgesamt diese Pandemie meines Erachtens wirklich sehr, sehr gut jetzt in den Griff bekommen. Der Pharmaindustrie sei Dank an der Stelle.



Camillo Schumann



Also die Menschen in Mitterteich zum Beispiel. Die können jetzt geimpft, das Starkbierfest ohne Reue dann auch genießen. Von den aktuell 2 91 Landkreisen liegen die meisten bei einer Inzidenz so zwischen 30 und 2 0. Das ist ja schon mal ein sehr guter Trend. Und aktuell haben 51 eine Inzidenz unter 2 0. Zwölf von ihnen sogar unter zehn. Es ist also davon auszugehen, dass es in den kommenden Tagen einige Landkreise geben wird, die eine Inzidenz von null haben werden. Siehe Tirschenreuth. Sollte es dort dann keine Maßnahmen mehr geben. Wir sind ja gar nicht mehr gewöhnt, gar keine Neuinfektion zu haben.



Alexander Kekulé


Das muss man nach dem Landkreis entscheiden. Also wenn jetzt dort, wo man wirklich weiß, dass die Risikogruppen quasi im Trockenen sind, dann meine ich, kann man die Maßnahmen tatsächlich aufheben. Das wird aber in größeren, komplexeren Landkreisen oder Städten nicht der Fall sein. Da gibt es immer einzelne Risikogruppen, die man eben noch nicht erreicht hat. Und man muss daran erinnern, das bundesweit eben, wenn man an die über 60-Jährigen denkt, wir noch weit davon entfernt sind, hier alle durch immunisiert zu haben. Und diese Arbeit darf man auf keinen Fall aufgeben. In bestimmten Regionen wird man die Maßnahmen dann aufheben können, sofern man keine Risikogruppen dort hat. Sonst heißt es weiterhin Maske auf. Quasi aus Solidarität mit denen, die noch nicht geimpft sind.



Camillo Schumann



Das ist nämlich genau der Punkt. In den ganzen Maßnahmeplänen spielt die null aktuell gar


keine Rolle. Also irgendwie muss man darauf vorbereitet sein.



Alexander Kekulé


Ach, das da mache ich mir keine Sorgen. Die Politik wird vor der Bundestagswahl da schon aufspringen auf das Thema. Man muss vielleicht noch einen kleinen Wermutstropfen einschenken.



Camillo Schumann



Ich hab‘s gewusst.



Alexander Kekulé


Wenn sie so nachfragen, muss ich noch eines nachsetzen. Es gibt natürlich folgenden Effekt. Wenn sie ganz wenig Fälle haben, dann wird ja auch die Testpflicht in vielen Bereichen fallen gelassen. Das ist ja einfach an diesem Maßnahmenplan, dass sie dann in die Geschäfte zum Beispiel wieder gehen können, ohne zu testen. Es gibt ja Großstädte, wo man jetzt wieder einkaufen kann, ohne testen. Und dadurch, dass sie ohne testen einkaufen gehen, werden weniger Schnelltests gemacht. Dadurch, dass weniger Schnelltest gemacht werden, sinkt natürlich die gemeldete Fallzahl und das ist so eine Art selbstverstärkender Effekt auf der Abwärtsbewegung bei der Inzidenz. Da muss man aufpassen, dass man sich da nicht in falscher Sicherheit wiegt.



Camillo Schumann



Okay, nicht in falscher Sicherheit. Aber was noch?



Alexander Kekulé


Das heißt eine Null, glaube ich nicht. Also eine Null gibt's nur, wenn man überhaupt nicht mehr testet. Sofern sie in einem halbwegs vernünftigen, größeren Landkreis Tests machen. Und das betrifft natürlich insbesondere auch die, die an den Außengrenzen sind, die Pendler haben, oder auch die Großstädte. Da werden sie immer ein weiter schwelendes Infektionsgeschehen haben. Aber die Frage ist, in der Tat wenn wir jetzt, was viel wichtiger ist, bei der Sterblichkeit soweit absinken, wie es jetzt der


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Fall ist, dann ist die Frage, können wir so ein schwelendes Infektionsgeschehen, was einfach nicht ganz weg zu bekommen ist, im Sinne von elimination. Können wir das nicht sozusagen in Kauf nehmen? Das wäre dann eine Kontrollstrategie. Und ich glaube, die muss man einfach mal offen diskutieren und sagen, wir gehen jetzt demnächst offene Kontrollstrategie über. Das heißt die, die Fallzahl XY, die nehmen wir in Kauf, sofern sie nicht wieder ansteigt.


09:30



Camillo Schumann



Wir werden das beobachten und dann hier im Podcast besprechen, wie sich die Inzidenzen weiter entwickeln. Kommen wir zu einem Thema, das jetzt so richtig Fahrt aufnimmt. Nämlich die Diskussion über Impfungen für Kinder und Jugendliche. In Ausgabe 186 hatten sie ja auch schon Bedenken geäußert, ob es überhaupt notwendig ist, dass die jüngsten unserer Gesellschaft geimpft werden müssen. Die Ständige Impfkommission will sich nun über die Zulassungsdaten beugen und in zehn bis 14 Tagen entscheiden, ob sie eine Empfehlung für Kinder aussprechen wird. Wenn ja, auch wie die aussehen könnte. STIKO-Mitglied Rüdiger von Kries hat im RBB dazu folgendes sehr interessantes gesagt:


Rüdiger Kries (O-Ton)


„Wir haben einen guten Impfstoff, keinen Zweifel. Der Impfstoff ist wirksam. Aber es gibt eben drei Kriterien, die unserer Entscheidung zugrunde liegen. Das eine ist, handelt es sich um eine schwere Erkrankung für die sich impfen lohnt? Zweitens haben wir einen wirksamen Impfstoff? Und drittens, können wir die Risiken abschätzen? Es ist völlig klar wir haben einen wirksamen Impfstoff. Es ist klar wir haben eine Erkrankung, die durchaus in der Liga der Erkrankungen spielt, gegen die wir impfen, also wie Rota zum Beispiel und Windpocken. Aber wir wissen praktisch nichts über die Risiken, dieses Impfstoffs. Wir haben mit neuen Impfstoffen durchaus unliebsame Erfahrungen gemacht, die wir eigentlich nicht gewünscht haben. Wir hatten mit dem SchweinegrippeImpfstoff das Problem der Narkolepsie. Und


die betraf genau die Altersgruppe, bei der jetzt die Impfung diskutiert wird. Also die Jugendlichen, die 12  bis 15-Jährigen genau die war häufig betroffen. Und das haben wir überhaupt nicht vorhersehen können.



Camillo Schumann



Herr Kekulé, dieser Satz von Herrn Kries hat sich bei mir eingebrannt, er hat gesagt, wir wissen praktisch nichts über die Risiken dieses Impfstoffs. Aber sind die nicht auch Teil des Zulassungsverfahrens?



Alexander Kekulé


Ja, das stimmt. Aber es ist eben und das muss man leider an der Stelle noch einmal sagen, eine Notfallzulassung. Und auch wenn das prominente Politiker geflissentlich negieren. Es ist eine Notfallzulassung. In den USA heißt es ganz offiziell so und in Europa stets in den Papieren der EU einfach drinnen. Bei einer Notfallzulassung ist eben die Besonderheit, dass man etwas zulässt, obwohl man die Risiken noch nicht vollständig kennt oder noch nicht abschließend beurteilt hat. Vollständig kennen tut man sie wohl nie. Und diese nicht abschließende Beurteilung, heißt bei Notfallzulassungsverfahren, dass der Hersteller in den etwa 2 Jahren nach der Notfallzulassung dann nach und nach die Daten nachliefern darf, die man braucht für die ursprüngliche Zulassung. Man hat sozusagen ein Vertrauensvorschuss insbesondere bezüglich der Risiken. Weil manche Dinge, das ist eben in der Pharmakologie so, eine Weile brauchen, bis sie auftreten. Das ist ganz normal. Und hier gibt es eben verschiedene Effekte, die wir überhaupt nicht berücksichtigen können, weil das eben ein komplett neuartiger Impfstoff ist. Ich freue mich sehr, dass die Ständige Impfkommission das hier gewissenhaft prüft. Und man kann ja auch an der Stelle, sag ich mal Kaffeesatz lesen machen, warum die STIKO sich jetzt dazu äußert. Das ist nämlich schon ein bisschen ungewöhnlich, weil der Impfstoff ist ja noch gar nicht zugelassen. Also die EMA macht erstmal die Zulassung, und ich habe so das Gefühl, meine Position ist, glaube ich, bekannt, dass ich sehr für die Impfung bin,


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und auch dafür bin, dass man sinnvolle Impfungen bei Kindern durchführt. Nur, dass ich in diesem besonderen Fall noch nicht die überzeugenden Argumente gehört habe, warum man unbedingt dann jüngere Kinder impfen muss. Genau mit der Argumentation, die jetzt, auch wenn ich es höre, erstmalig von der STIKO aufgebracht wurde. Und deshalb finde ich es gut, dass die das machen. Aber es ist ungewöhnlich, dass sie das machen, bevor die EMA hier gesprochen hat, weil eigentlich die Reihenfolge ist, erst einmal zulassen. Zulassen heißt, dass es überhaupt in den Verkehr gebracht werden darf, in dem Fall als Notfallzulassung. Dann nächste Stufe, dass man mit dem Impfstoff, der dann verfügbar ist, eine Empfehlung gibt, mehr ist es ja nicht, in welchen Fällen der eingesetzt werden soll. Hier greift die STIKO vor, und ich habe so das Gefühl, die haben so ähnlich wie ich Angst, dass man einfach im Eifer des Gefechts, so wie es in den USA auch gerade der Fall ist, zum Beispiel und wie man sie auch von Politikern bei uns hört, im Eifer des Gefechts, sagt die Kinder, müssen jetzt alle mitgeimpft werden und fertig. Und da ist die STIKO quasi eine der wenigen Bastionen, die wirklich ganz sachlich die Interessen der Betroffenen, nämlich der Kinder selbst prüft.



Camillo Schumann



Offenbar, und das wäre ja sozusagen jetzt implizit, tun das die Behörden in den USA nicht. Da sind ja schon Hunderttausende Kinder geimpft worden.



Alexander Kekulé


Nein, in den USA geht man viel pragmatischer vor. Das darf man jetzt nicht so verstehen. Ich habe ja jetzt auch nicht im Keller irgendwelche geheimen Argumente, warum jetzt die RNAImpfstoffe insbesondere bei Kindern gefährlich sein sollten. Das ist, glaube ich, in diesem Podcast auch offen kommuniziert worden. Es ist einfach die philosophische Frage, was macht man mit Dingen, die man nicht kennt und wo man nicht einmal weiß, dass man sie nicht kennt. Also die unknown unknowns, um es


noch einmal zu sagen. Das ist ja auch das, wo sich das STIKO-Mitglied ganz klar darauf bezogen hat. Wenn er sagt, wir wissen so gut wie nichts über die Sicherheit. Das ist natürlich bezogen auf die Langzeitdaten, die bei Kindern relevant sind und bei Langzeitdaten muss man einfach sagen, wenn sie so ähnliche Impfstoffe schon hatten, die es seit 2 0 Jahren gibt, dann ist es leichter, sozusagen von dort zu extrapolieren und zu sagen okay, wir haben so etwas Ähnliches schon mal gemacht. Aber das Beispiel mit der Schweinegrippe, das ist ja in diesem Podcast auch schon mal drangekommen. Sie wissen, ich war damals allein gegen den Rest der Welt als Warner vor diesem Impfstoff. Und es ist ja jetzt damit auch noch einmal offiziell von der STIKO bestätigt worden, dass diese Narkolepsie eben fast keiner vorhergesehen hatte. Ich habe auch keine Narkolepsie vorhergesehen, aber mich dringend gegen diesen Impfstoff ausgesprochen. Wegen des Adjuvans, wegen des Wirkverstärkers. Und der macht wohl auch diese Narkolepsie. Das war ein neuer Wirkverstärker, und das ist eigentlich nur eine Kleinigkeit. Normalerweise nehmen wir häufig Aluminiumsalze als Wirkverstärker, die also quasi das Immunsystem so ein bisschen anstacheln, damit der Impfstoff richtig wirkt. Und da hat die Firma GlaxoSmithKline einen neuen damals gehabt, auf den sie ganz stolz war. Der auch super funktioniert hat und der in allen Experimenten keine relevanten Nebenwirkungen gezeigt hat. Und dann steht der eben jetzt in Verdacht, so ganz bewiesen ist es noch nicht, hier massive Nebenwirkungen in seltenen Fällen gemacht zu haben. Und das sind eben Dinge. Da könnte man lange Liste aufmachen. Das sind so Dinge, wo man sagen muss, das wissen wir einfach nicht. Und darum finde ich, man muss es gesellschaftlich diskutieren. Ich will jetzt nicht sagen, dass meine Meinung hier die abschließende ist oder meine Vorsicht hier man auf alle übertragen muss. Aber die Amerikaner sind bei diesen technischen Dingen einfach irgendwie technikaffiner und positiver. Und ganz ehrlich gesagt, so den feinen Unterschied, was jetzt einen RNA-Impfstoff ist und ein anderer und Vektor-Impfstoff


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und so. Das ist auch jetzt nicht so mehrheitlich in den USA so ausdiskutiert und auf allen Ebenen bekannt bei den Betroffenen. Die sagen einfach impfen ist super. Wir haben unsere Freiheit wieder, läuft die Wirtschaft wieder an und fertig.



Camillo Schumann



Der Deutsche will’s eben ganz genau wissen.



Alexander Kekulé


Das ist genau, was sie sagen. Das ist ganz wichtig. Ja, das ist so ein bisschen unser Gemüt, dass wir diese deutsche Gründlichkeit, Vorsicht. Ich finde schon, dass wir das irgendwie sind. Und dazu dürfen wir uns auch bekennen.



Camillo Schumann



Man kann auch zu gründlich und zu vorsichtig sein. Und wir haben ja in dieser Impfdiskussionen mehrere Akteure, um das mal kurz ein bisschen darzustellen. Wie haben die Zulassungsbehörden. Gerade eben kam es ja. Die EMA, die den Impfstoff vermutlich als unbedenklich für Kinder und Jugendliche zulassen wird. Wir haben die Ständige Impfkommission, die die Risiken für Kinder und Jugendliche nicht abschließend einschätzen kann und deshalb vermutlich keine generelle Impfempfehlungen geben wird. Und wir haben den Bundesgesundheitsminister, der sich an die Aussagen der Zulassungsbehörden hält und scheinbar wenig draufgibt, was die Experten der STIKO sagen. Jens Spahn hat bei NTV nämlich Folgendes gesagt.


Jens Spahn (O-Ton)


Eines wird ja passieren. Jedem von uns, egal ob er zehn Jahre alt ist oder 50 oder 80. Man wird entweder infiziert oder geimpft. Aber man wird sozusagen mit dem Virus, beziehungsweise das Immunsystem, damit konfrontiert werden müssen und sich schützen. Und ich kann im Zweifel nur empfehlen, die Impfung im Vergleich zu Infektionen. Und das gilt ja altersunabhängig. Ich habe immer gesagt, es wird keine verpflichtende Impfung geben. Das soll eine informierte, individuelle Entscheidung sein. Und die soll auch nicht indirekt irgendwie


erzwungen werden. Schule geht dann auch mit einem Teil der Kinder und Jugendlichen, die geimpft sind, und ein Teil, die noch nicht geimpft sind. Das müssen wir nicht voneinander abhängig machen.



Camillo Schumann



Jens Spahn sagt es soll eine informierte und individuelle Entscheidung sein. Mal Hand auf‘s Herz wie gut informiert und individuell kann diese Entscheidung zum derzeitigen Informationsstand der Dinge eigentlich sein.



Alexander Kekulé


Also, wenn sie da fünf Fachleute zusammensetzen, sofern die nicht alle handverlesen sind vom Bundesgesundheitsministerium. Da werden sie schon da nicht eine einheitliche Meinung bekommen. Und zwar bei Leuten, die es wirklich ernst meinen und die sich gut auskennen. Das ist ein sehr, sehr spezielles Problem. Und ich meine deshalb, dass es schwierig ist. Und wir haben ja, glaube ich, beide sehr genau gehört, dass Herr Spahn gesagt hat, solche, die geimpft sind, und solche, die noch nicht geimpft sind, da muss, das muss man sich erst mal auf den Ohren zergehen lassen. Das impliziert ja, früher oder später seid ihr alle dran. Ich bin wirklich dafür, dass die Politik hier Experten der Kommission in diesem Fall wirklich freie Hand lässt. Wir haben ja schon mal darüber gesprochen, vor einigen Wochen, dass ich es nicht so gut fand, dass die STIKO in einer anderen Sache so ein bisschen unter Druck gesetzt wurde politisch. Jetzt ist es schon wieder so, dass quasi die Politik so ihre Vorstellungen hat, weil natürlich der Wähler will, dass die Kinder nicht mehr zu Hause sind. Vielleicht sage ich etwas Grundsätzliches an der Stelle noch einmal. Ich bin ja selber Vater von fünf Kindern. Vielleicht darf ich an der Stelle mal da eine Lanze brechen. Das ist einfach so. Die Kinder haben ja irgendwie nicht so eine richtig gute Lobby in Deutschland, das ist relativ offensichtlich. Auch die Eltern der Kinder haben, nicht so eine gute Lobby. Warum? Weil, ich weiß nicht, 80 Prozent der Deutschen eben kinderlos sind. Aber trotzdem viele von denen Wähler sind. Und es ist so, dass die Familien


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mit Kindern ja, wenn sie jetzt an das WLAN in Schulen denken, zum Beispiel. Also in Büros, wenn da kein WLAN funktioniert, dann geht man sofort auf die Barrikaden. Aber wenn es in Schulen kein Toilettenpapier gibt und kein WLAN und der Putz von der Wand bröckelt, dann ist es irgendwie unser Normalzustand. Und jetzt kommen wir auch noch in eine Phase der Bundestagswahlen. Man spürt es schon überall so durch, wo natürlich bedient werden soll, was der Wähler gerne haben will. Und der Wähler will in den Urlaub fahren. Ich kenne die Zahlen nicht, aber ich schätze mal, dass es mehr Menschen gibt, die in den Urlaub fahren wollen, als Menschen, die jetzt besondere Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder an dieser Stelle haben. Weil, man muss schon sagen, es ist wirklich eine besondere Sorge. Vielleicht eine übertriebene Sorge. Das muss man ganz klar sagen. Aber ich glaube, diese Entscheidung wird zum Teil im Moment auch politisch getroffen.


2 0:54



Camillo Schumann



Weil sie die Eltern ansprechen. Es gibt verunsicherte Eltern und genervte Eltern. Eltern, die sagen: „Mensch, jetzt wird der gute Impfstoff von BioNTech madig gemacht. Und Eltern sollen davon abgehalten werden, dass sie ihre Kinder impfen lassen.“ Obwohl die ja sehr, sehr stark unter der Gesamtsituation leiden und ebenfalls ja auch sehr schwer krank werden können. Und es gibt die Eltern, die jetzt total verunsichert sind und nach dem Sinn der Impfung fragen. Es gibt wie so häufig in der Diskussion mal wieder nur 2 extreme Lager. Wie sollen die sich denn jetzt verhalten, wenn Herr Spahn sagt: „Nö, lass sie sich impfen“, und die STIKO sozusagen als Teufelchen auf der Schulter sagt: „Na ja, wir finden das jetzt nicht so gut.



Alexander Kekulé


Die STIKO wird das nicht sagen. Die STIKO wird einknicken. Ist meine Prognose an der Stelle ganz ehrlich gesagt. Das sind ja Wissenschaftler, und das darf ich sagen, weiß ich aus eigener Erfahrung. Es ist ganz schön schwer dem


öffentlichen oder politischen Druck standzuhalten, wenn man eine auch nur minimal abweichende Meinung hat. Und die STIKO, das darf man nicht vergessen, ist ja eine Einrichtung des Robert Koch-Instituts. Und das Robert Koch-Institut ist eine obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministers. Das heißt also, da ist schon ganz klar, wer der Ober und wer darunter ist. Ich glaube, der Ausweg ist aus meiner Sicht tatsächlich, dass man sich klarmacht, dass es um die Zeitachse hier geht. Also erstens: wir werden nicht innerhalb von 18 Monaten alle infiziert haben, die nicht geimpft sind. Dazu wird es in dieser kurzen Zeit nicht kommen. Also diese Wahl ist nicht so eindeutig, impfen oder infizieren, wie der Bundesgesundheitsminister, das glaube ich in seinem kurzen Beitrag auch gerade so dargestellt hat. Die Frage ist letztlich, haben wir genug Zeit, das abzuwarten. Und (...) zu beobachten, ob wir mit den Verfahren, die wir ja jetzt entwickelt haben, Schnelltests zu machen. Ob wir damit die Schulen ausreichend absichern können in einer Situation, wo wir ja insgesamt dann hoffentlich im Herbst keinen massiven Infektionsdruck mehr haben, weil der Rest der Gesellschaft halbwegs geschützt ist. Auf der anderen Seite haben wir ja die alternativen Impfstoffe. Stoffe, die auf klassischen Verfahren beruhen, die ja auch in der Pipeline sind und demnächst kommen. Und das Beispiel gerade wurde er auch genannt von dem STIKOVertreter. Wir haben so eine Situation zum Beispiel bei Windpocken oder Rotaviren. Zum Beispiel hat er gesagt, Rotaviren machen ja Durchfallerkrankungen. Und wenn er ja natürlich jetzt Covid mit Rota vergleicht, dann sehen sie schon, wie der denkt. Und man würde nie einen Rotavirus Impfstoff zulassen, der auf einem komplett neuen im Wirkprinzip beruht und das gleich für Kinder nach so kurzer Zeit. Das würde man nicht machen, wenn es gegen Rotaviren ginge. Also, daher muss man schon sagen, die Frage ist, vielleicht ein bisschen abzuwarten in dieser Situation? Und wie gesagt da gibt es Alternativen, die am Horizont sind. Und die würde ich schon gerne, wenn sie so wollen, mit in die Waagschale werfen.


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2 3:57



Camillo Schumann



Da wollen wir gleich darüber sprechen. Es geht um Protein-Impfstoffe noch mal ganz kurz zurück, weil auf der einen Seite haben Sie sich darüber gefreut, dass die Ständige Impfkommission quasi schon mal den Aufschlag gemacht hat, zu sagen wie sich diese ganze Diskussion hält, um jetzt zu sagen, dass die STIKO wieder einknicken wird. Jetzt bin ich ein bisschen verwirrt ehrlich gesagt.



Alexander Kekulé


Also, das war meine, wenn Sie so wollen, pessimistische Prognose. Kann ja sein, dass es nicht so ist. Ich glaube, die werden einen Mittelweg finden. Also, dass die wirklich aufs Papier schreiben, dass das wirklich bei Kindern ab 12 , es ja demnächst dann zugelassen wird. Das ist relativ klar, dass bei Kindern zwischen 12  und 18 die Impfung nur empfohlen wird, wenn ein besonderes individuelles Risiko besteht. Da würde ich den Hut ziehen. Also das wäre sehr, sehr mutig in der jetzigen Lage.



Camillo Schumann



Und nochmal jetzt verbunden mit der Frage wenn das jetzt alles so kommt. Wie sollen sich dann Eltern entscheiden, die jetzt auch total verunsichert sind?



Alexander Kekulé


Ich meine, wenn wir ganz trivial so vorgehen, dass wir erst mal die Risikogruppen ins Auge fassen, das ist ja noch nicht abgeschlossen. Dann kommen die Kinder sowieso erst mal nicht dran. Also, in der ganz normalen Impfreihenfolge müssen wir von alt nach jung vorgehen, weil wir das Risiko abhängig machen müssen bei der Impfung. Das Wichtigste ist ja schwere Krankheiten und Tod zu vermeiden und nicht irgendwelche Zahlenkosmetik für die Inzidenzen zu machen. Und wenn wir dabeibleiben, dann wäre es ja so, dass wir im September sowieso nicht so viel Impfstoff übrig haben, dass wir alle Schulkinder durch impfen können. Völlig absurde Vorstellung. Und ich halte auch nichts davon, jetzt sozusagen, wie es ja vorgeschlagen wurde, Impfstoffe beiseite


zu legen, damit man im Herbst dann die Kinderimpfung kann. Das hätte zur Folge, dass man dann von den Risikogruppen weniger impfen kann. Da bin ich nach wie vor dagegen. Ich finde, es ist eine ganz klare Sache von alt nach jung zu impfen. Plus die Leute, die ein individuelles, ungewöhnliches Risiko haben. Was weiß ich, schwere Erkrankung, Diabetes und was es da so gibt.


2 6:05



Camillo Schumann



Aber möglicherweise ja, gibt es jetzt auch so ein bisschen Diskussion und ja, Kritikerbeifang in dieser Diskussion um die Impfung von Kindern. Uns erreichen durch diese Diskussion sehr viele Zuschriften, auch nach unser Ausgabe 186. Frau Schüßler zum Beispiel. Sie schreibt: Sollte dann der Einsatz von mRNAImpfstoffen bei den Erwachsenen nicht auch viel, viel kritischer beleuchtet werden? Schließlich wollen die meisten von ihnen auch noch ein paar Jahrzehnte gesund bleiben. Ich wäre deshalb sehr froh, wenn sie noch einmal etwas zur Sinnhaftigkeit von mRNA-Impfstoffen bei Erwachsenen sagen und die Risiken einordnen könnten, damit ich mich entscheiden kann. Und jetzt kommt's, ob ich mich noch ein zweites Mal impfen lassen sollte. Also die Diskussion, die verselbständigt sich jetzt in einen Bereich, wo man sie eigentlich gar nicht wollte.



Alexander Kekulé


Ja, also jeder, der einmal geimpft ist, sollte sich definitiv das zweite Mal impfen lassen. Da gibt es genug Daten, die sagen, dass das noch einen erheblichen zusätzlichen Schutz gibt. Sicher, nach dem ersten Mal ist man so rein statistisch aus dem Gröbsten raus, was die Sterbe-Wahrscheinlichkeit betrifft. Aber das ist überhaupt kein Grund, die zweite Impfung wegzulassen. Es hat ja nun keiner Lust, irgendwie Wochen auf der Intensivstation zu liegen oder Ähnliches. Und es ist auch so, dass gerade mit den Varianten, die jetzt kommen, gibt es diverse Studien, die das jetzt wieder aktuell gezeigt haben, dass wir bei den Varianten die zweite Impfung wirklich definitiv brauchen, um davor vernünftig geschützt zu sein. Auch im


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Sinne, dass die Weitergabe halbwegs verhindert wird.



Camillo Schumann



Da sind wir ja im Hier und Jetzt, und die Frage zielt er auch auf die Jahrzehnte, die noch kommen. Also warum führt man die Diskussion für die Kinder, die Erwachsenen, keine Ahnung, wenn man jetzt 40 ist, hat man vielleicht auch noch 40 Jahre vor sich. Da kann ja auch noch einiges passieren von den unknown unknowns.



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. Abe da kann man jetzt nicht sagen, der ist jetzt Professor für Virologie und Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und deshalb weiß er, was hier die richtige Antwort ist. Für mich liegt, das ist eine ethische Bewertung, in der einen Waagschale das Risiko, was man hat, wenn man durch SARS-CoV2  eine Infektion bekommt. Und auf der anderen Seite die unbekannten Risiken von neuen Impfstoffen. Und da finde ich jetzt, zumindest für mich persönlich ist es so, wenn jemand Üdreißig ist, würde ich mal sagen, da ist es ganz klar, dass der Vorteil der Impfung überwiegt. Es ist ja auch so, dass die Lebensbereiche von jüngeren Kindern, also letztlich dann Grundschülern um die es am Ende geht. So bis 12 , 14 Jahre irgendwo in dem Bereich. Da ist es ja so, dass die Lebensbereiche jetzt nicht so komplex sind wie bei Erwachsenen. Also der Erwachsene geht ja zur Arbeit, wo man nicht weiß, wie ist der Schutz an der Arbeitsstelle, wenn man die Arbeitgeber nötigt, Sicherungsmaßnahmen für nicht geimpfte zu ergreifen. Dann hat das wirtschaftliche Folgen und so weiter. Die Erwachsenen müssen, oft auch aus beruflichen Gründen, reisen. Bei Kindern geht es ja im Wesentlichen erst mal um die Kita und die Schule. Und da haben wir inzwischen Schutzkonzepte, die auch für Nicht-Geimpfte funktionieren. Und deshalb meine ich schon, dass man überlegen kann, wenn man die Kita und die Schulen noch eine Weile schützt, dass man dann einen ganz wichtigen Bereich, der für die Kinder wichtig ist, auch pädagogisch natürlich wichtig ist, dass man den so halbwegs im Griff


hat. Und dann ist die Frage reicht es nicht erst mal, um abwarten zu können, bis es andere Impfstoffe gibt und überhaupt mal abzuwarten, wie die Entwicklung ist. Ob die Fallzahlen dann wieder hochgehen, ob wir vielleicht im Herbst feststellen, dass wir dann in den Kitas ganz viele Infektionen haben, die wir nicht in den Griff bekommen und solche Dinge. Aber ich glaube, das kann man deshalb nicht vergleichen. Und für einen Erwachsenen ist es in den vielen komplexen Lebenssituationen, in die er sich begibt, der geht ja auch alleine zum Einkaufen und so was. Da glaube ich, ist es viel schwieriger, sich zu schützen oder aufwendiger, sich zu schützen, wenn man ungeimpft ist.


30:03



Camillo Schumann



Die Frage die wir schon mehrfach aufgeworfen haben, gäbe es denn Alternativen zu den mRNA-Impfstoffen für Kinder. Also, wenn man jetzt nicht so einen experimentellen Impfstoff haben will. Der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca, der fällt er jetzt auf kurz oder lang weg, weil die EU ja auch nicht mehr nachbestellt hat, gibt es noch Restbestände, die verimpft werden? Sputnik V vielleicht? Der hängt aktuell noch im Zulassungsverfahren. Also wäre so einen Vektor was für Kinder?



Alexander Kekulé


Oh Gott. Ich würde auf die altbewährten Dinge gehen. Das mache ich übrigens auch sonst. Wenn ich Kinder therapiere, also meine eigenen Kinder. Weil ich Beamter bin haben die automatisch den Status von Privatversicherten. Ja, das ist so. Da kann ein Beamter sich quasi nicht gegen wehren. Der ist dann beihilfeberechtigt, wie das heißt. Und damit sind die Kinder dann quasi beihilfeberechtigt. Und die werden behandelt wie Privatversicherte. Ich musste schon öfters den Kinderärzten dann ausreden, die neuesten Antibiotika einzusetzen, die doppelt so viel kosten wie die alten, weil irgendein Pharmavertreter gesagt hat, dass es jetzt aber das Neueste vom Besten. Das musst du jetzt bei denen, die sich das leisten können, anwenden. Ich bin immer dafür, die Medikamente zu nehmen, wo ich weiß, die


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sind seit vielen Jahren, am besten seit Jahrzehnten, erprobt. Da gibt's keine Überraschungen, und das Neueste vom Neuesten da warte ich lieber mal ab, ob sich das wirklich durchsetzt. Der eine oder andere Star in der Pharmakologie, mit dem der Hersteller dann zum Teil auch redlich verdient hat, wird dann nach 2 Jahren plötzlich wieder vom Markt genommen, weil es halt von den Nebenwirkungen nicht so lief, wie man sich das gedacht hatte. Da könnte ich ihnen eine lange Liste von Beispielen sagen. Mit diesen konservativen Einstellungen, die ich jetzt aber habe, sage ich: Nein, ich brauche nicht das Neueste vom Neuesten. Aber es gibt auch andere, die vielleicht so sind. Das ist ein Mensch. Das ist eine Typsache. Ich habe auch nicht das Allerneueste Handy immer, weil ich erst mal abwarten will, ob das überhaupt funktioniert. Und bis das zweite und dritte Update dann drauf ist und die Software so ist, dass sie stabil läuft, dann kommt der Moment, wo ich mir überlege, ob ich mir so etwas kaufe. Aber ich weiß, da ist jeder ein bisschen anders. Können sie dann nicht sozusagen per Fachexpertise die richtige Antwort finden. Es muss sich jeder selber überlegen.



Camillo Schumann



Hängt ja auch ein bisschen dann von der Erkrankung ab, gegen die man dann vorgehen möchte.



Alexander Kekulé


Natürlich. Wenn sie Krebs haben, der sonst unheilbar ist. Dann nehmen sie natürlich, was sie kriegen können.


32 :2 7



Camillo Schumann



Weil sie Konservativ gesagt haben. Da wäre man ja bei den Proteinimpfstoffen. Unter anderem werden die in China verimpft. Klassische Impfstoff-Methode aktuell gibt es auch neue Daten zur Wirksamkeit. Und diese Daten sehen gar nicht so schlecht aus. Sie haben sich drüber gebeugt.



Alexander Kekulé


Die sind ganz neu. Die sind jetzt gerade gestern


rausgekommen. Ich habe mich kurz drüber gebeugt. Im Prinzip wissen wir, das ist dieser Sinopharm-Impfstoff und kann man kurz an der Stelle erwähnen, dass jetzt gestern, erstmalig meines Wissens, die Ergebnisse einer Phase-3-Studie wirklich publiziert wurden. Man hat den Chinesen ja immer vorgehalten, dass sie nicht richtig mit den Daten rüberkommen, sondern nur per Presseerklärung Dinge veröffentlichen. Da gab es Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen der Studie, die in den Vereinigten Emiraten gelaufen ist, und der Studie oder den Studien, die in Brasilien gelaufen sind. Es ist, glaube ich, auch bekannt, dass die Brasilianer sich total zerstritten haben mit China aus verschiedenen Gründen. Und jetzt ist aber der Teil, der also in den Vereinigten Emiraten und Bahrain gelaufen ist, veröffentlicht. Und das ist eine, wenn man das liest, einfach wirklich ganz normale, solide Studie wie die anderen Zulassungsstudien auch, die man so kennt. Fast 40.000, also 38.2 06 Probanden waren drinnen. Die hat man in drei Gruppen geteilt. Eine davon sind Kontrollen, 2 haben verschiedene Proteine bekommen, von Sinopharm. Also die ist letztlich die staatliche chinesische Forschungsbehörde, die das macht. Und da ist eben rausgekommen, dass sie eine Wirksamkeit für eine von den beiden Komponenten von knapp 73 Prozent hatten und für die andere 78 Prozent. Und mit der Wirksamkeit in den Siebziger-Prozenten ist es also auf Augenhöhe mit einem Vektorimpfstoff und das ist ja nur erst einmal der erste Versuch. Da ist noch nicht diese Doppelproteinmodifikation gemacht worden, mit der man das Protein stabilisieren kann und eine bessere Impfwirkung herbekommt. Deshalb verspreche ich mir sehr viel davon, dass wir parallel diese Protein-Impfstoffe entwickeln. Klar, das wird noch, sage ich mal, ein Jahr dauern, bis man sagen kann, die sind dann vielleicht auch für Jugendliche und Kinder geeignet. Aber das heißt letztlich ein Schuljahr später. Also was ist schon ein Schuljahr? Fragen Sie mal Leute, die durchgefallen sind. Also ein Schuljahr mehr, die müssten dann letztlich ein Schuljahr durchhalten. Und in dem Sinn, dass man sagt, man impft sich


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jetzt erst mal nicht, oder man wartet erst einmal ab. Das wäre die Alternative. Ich will jetzt überhaupt nicht sagen, dass das die einzige Möglichkeit ist. Man kann auch die RNA-Impfstoffe nehmen. Aber ich glaube, diese Alternative muss offen diskutiert werden.



Camillo Schumann



Und warum ist ausgerechnet dieser ProteinImpfstoff eine Alternative?



Alexander Kekulé


Alle Protein-Impfstoffe funktionieren ja letztlich auf so einem ganz uralten Prinzip. Das ist ein totes Eiweißmolekül, was biologisch nix macht und abgebaut wird. Und bei diesem Abbau des Eiweißmoleküls, das wird vom Immunsystem erledigt, kommt es eben zur Immunisierung. Das Wirkprinzip ist sozusagen wissenschaftlich basiert seit dem achtzehnten Jahrhundert. Da hat Edward Jenner in England den ersten Impfstoff gegen Pocken gemacht oder entwickelt. Und tatsächlich ist es schon in der Ming-Dynastie in China wesentlich lange vorher gemacht worden. Es ist wirklich so ein Uraltprinzip inaktivierter, also nicht mehr vermehrungsfähige Viren. Und da kennen wir ganz viele Impfstoffe, die darauf basieren. Und hier ist auch als Adjuvans, als Wirkverstärker so ein Aluminiumsalz mit drinnen. Das ist so eines der ältesten Adjuvanzien, die wir verwenden. Was in vielen Impfstoffen, die der Kinderarzt schon lange als Regelimpfungen gibt, auch mit drinnen ist. Darum sage ich jetzt mal, aber das ist eben meine Einstellung, das ist ein Wirkprinzip, was man kennt, wo ich so ein bisschen eben extrapolieren kann und es wäre, zumindest eine Möglichkeit, darauf zu warten, um mal zu schauen, ob diese Impfstoffe dann uns letztlich diese Lücke füllen, die dazwischen ist. Die sind nicht so wirksam wie die RNA-Impfstoffe. Ganz offensichtlich. Und vielleicht ist es so, dass man in 2 0 Jahren nur noch RNA-Impfstoffe hat. Kann gut sein, dass die ganze Impfstoffindustrie sich umstellt, weil die viel besser sind, schneller herzustellen sind, tausend Vorteile haben. Aber ich glaube, dass wir den El-


tern diese Alternative schon zumindest erklären müssen und als Alternative in den Raum stellen müssen.



Camillo Schumann



Und man muss auch dazu sagen, dass Proteine auch in anderen Impfstoffen für Kinder ja eine große Rolle spielen. Das wird ja sowieso schon verimpft.



Alexander Kekulé


Das ist das Standardverfahren. Natürlich werden sie jemanden, der ein echter Impfgegner ist, also ein Impfkritiker, der sich sowieso nicht impfen lässt. Der wird sich natürlich mit dem Teufelszeug dann auch nicht impfen lassen. Teufelszeug in Anführungszeichen, das ist klar. Aber es ist zumindest mal so ein ähnliches Prinzip.


37:36



Camillo Schumann



Impfstoffe gegen Covid-19 sind sehr effektiv. Wir haben es jetzt gerade eben gehört. Um die 70er-Effektivität. Und die meisten Impfstoffe verhindern ja auch die allermeisten schweren Verläufe und Todesfälle. Die Impfstoffe sind, muss man so sagen, im Moment unser Weg, um das Virus in Schach zu halten. Aber trotzdem gibt es ja auch bei Impfungen ein gewisses Restrisiko, sich anzustecken und auch einen schweren Verlauf der Krankheit Covid-19 durchmachen zu müssen. In den Zulassungsstudien könnte man das Restrisiko nach zweimaliger Impfung aus der Effektivität ableiten bei BioNTech rund 95 Prozent. AstraZeneca gibt die Effektivität so mit 76 Prozent an. Jetzt sind es ja Durchschnittswerte, und die Varianten spielten damals ja auch noch keine große Rolle. Die Frage ist also, wie sieht die Effektivität, also der Schutz im echten Leben aus? Unter Normalbedingungen? Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hat dazu die Daten der Gesundheitsämter ausgewertet. Und diese Daten sind doch recht Aussagekräftig. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das sieht im Moment, auch wenn das vielleicht auf den ersten Blick gruselig wirkt, sehr gut aus. Es gab bei den Vollgempften, die also


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jetzt in den vier Monaten von Januar bis Ende April diesen Jahres geimpft wurden, in den USA. Da gab es insgesamt etwas über 10.000 Infektionen. 10.000 Infektionen, bei etwas über 100 Millionen Geimpften. Also da ist dann eins zu 10.000 überhaupt mal die Chance, so eine sogenannte Break-Through oder Durchbruch Infektion zu bekommen. Und davon war über ein Viertel asymptomatisch. Also, die haben überhaupt nicht gemerkt, dass sie was haben. Nur zehn Prozent mussten ins Krankenhaus. Allerdings ist es so, dass von denen, die ins Krankenhaus mussten, fast ein Drittel gar kein Covid hatte. Da wurde also nur registriert Krankenhaus, ja oder nein. Und die mussten aus anderen Gründen dann ins Krankenhaus. Das heißt also insgesamt so eine Infektion von eins zu 10.000, das ist ja 0,01 Prozent. Das ist wirklich super. Wenn man das mit den fünf Prozent, die eigentlich, wie sie es gesagt haben, von einer Zulassungsstudie her zu erwarten wären, vergleicht, ist es wesentlich besser.



Camillo Schumann



Und woran kann das liegen, dass es eigentlich besser ist als in den Zulassungsstudien?



Alexander Kekulé


Naja, das ist natürlich eine gemeine Frage. Aber genau die Richtige, schreiben die Autoren des CDC. Die wissen das natürlich auch. Da gibt es eine Dunkelziffer. Das kann eigentlich nicht so gut sein, sondern es ist so. Die haben halt nur ein Teil erfasst, weil gerade bei den asymptomatischen haben wir es hier mit geimpften zu tun. Da wird es sicher so sein, dass viele einfach völlig asymptomatisch krank werden oder ganz leichte Symptome haben. Und die wissen ja dann auch, dass sie geimpft sind. Und dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die dann damit zum Arzt gehen und damit sich noch einmal testen lassen nicht so groß. Also, da würde ich sagen, da fischt man tendenziell eher nur die raus, denen es dann doch relativ schlecht geht und die dann vielleicht einen deutlichen Hinweis darauf haben, dass sie sich tatsächlich mit Covid angesteckt haben. Das andere, was wichtig ist: von denen, die man sequenziert hat,


waren also 64 Prozent sogenannte Varianten, variants of concern, also diese bedenklichen Varianten. Das ist in den USA über die Hälfte jetzt die britische Variante. Die bei uns ja auch quasi der Platzhirsch ist. Dieses B1.1.7 ist bei denen 56 Prozent. Und dann haben die 2 so kalifornische Varianten und auch so ein bisschen brasilianisch und südafrikanisch. 64 Prozent von denen, die also eine Break-ThroughInfektion hatten, hatten so eine variant of concern.



Camillo Schumann



Und es gab auch Todesfälle. Wie sind die zu bewerten?



Alexander Kekulé


Das waren insgesamt 160 Todesfälle. Also da sagt man erst einmal: Oh 160 Tote. Aber das sind von diesen 10.000 so ungefähr 2 Prozent, kann man sagen. Da ist folgendes wichtig. Erstens, von denen hatten 2 8 schon mal gar nichts mit Covid zu tun. Die wurden aber statistisch erfasst. Dann sind es also nur noch etwas über 130. Es ist so, dass alle, die da gestorben sind, über 70 Jahre alt waren. Der Mittelwert der Altersverteilung lag bei 82  Jahren. Also, es waren wirklich sehr alte Menschen oder Richtung hochaltrige Menschen, die dann trotz der Impfung gestorben sind, sodass man sagen muss, diese berühmte Frage an Corona oder mit Corona gestorben, des klingt schon eher nach mit Corona gestorben.



Camillo Schumann



Okay, also unterm Strich sind das doch eigentlich Mut machende Daten auch für Menschen, die sich schon hier in Deutschland haben impfen lassen beziehungsweise das vorhaben.



Alexander Kekulé


Ja, ich kann Ihnen sagen, das ist wirklich super. Also, dass ein Impfstoff so gut funktioniert, sowohl in der Zulassungsstudie seinerzeit als auch jetzt, dann auch im wirklichen Leben. Diese Impfstoffe, mit denen ist es wirklich möglich, diese Krankheit in die Knie zu zwingen. Und ich bin, mit den Einschränkungen, die


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wir vorhin besprochen haben, wirklich sehr, sehr dafür, dass auch breitflächig einzusetzen.



Camillo Schumann



Weil die Varianten schon anklangen. Wie effektiv Impfstoffe gegen die indische Variante sind, die sich ja immer stärker ausbreitet, das wurde jetzt in einer britischen Studie nachgewiesen. Konkret ging es um den BioNTech und den Astrazeneca-Impfstoff, und da muss man so ein paar Einbußen in Kauf nehmen.



Alexander Kekulé


Ja, das ist nur ein Preprint bisher. Das ist am 2 4. Mai erschienen. Interessanterweise hat das an einer Stelle andere Ergebnisse als die CDC. Kann ich gleich mal kurz erklären. Der Hintergrund ist ja der, es gibt diese indische Variante. Und wir wissen über die ja noch bisher relativ wenig, also letztlich in Zellkulturexperimenten sieht es so aus, als würde das Serum von geimpften gegen die nicht so gut funktionieren. Wir wissen, dass die südafrikanische Variante auch im wirklichen Leben in einigen Situationen bei geimpften häufiger auftritt. Da gab es eine Studie, die in Katar mal gemacht wurde, die in diese Richtung geht. Oder ich meine in Südafrika ist eine Studie von Novavax gemacht worden, wo die effiziente Impfung nur noch bei 51 Prozent lag oder immerhin bei 51, wie sie wollen. Aber die südafrikanische Variante ist hier bedenklich. Bei der brasilianischen Variante haben wir auch keine richtigen Feldstudien und zwar deshalb, weil die natürlich in Brasilien für so etwas keine facilities und keine Zeit haben. Da gibt es auch nur Laborexperimente, die eigentlich zeigen, dass BioNTech zumindest als Impfstoff noch ganz gut funktioniert. Im Labor also genug neutralisierende Antikörper produziert. Deshalb war es natürlich super spannend, mal in einer Feldstudie festzustellen, wie ist es jetzt mit dieser indischen Variante. Und da sind die Briten in der tollen Lage, toll wieder in Anführungszeichen, dass die halt dort im Moment gerade eine massive Zunahme der indischen Variante haben. Die war im Februar bei ungefähr zehn Prozent. Und jetzt ist sie bei 60. Das geht also jetzt richtig hoch anteilsmäßig. Und dadurch können die


im Moment sehr gut vergleichen. Wie ist es denn? Kann man mit dieser, wenn man sich infiziert mit dieser indischen Variante, hat man dann eine höhere Chance, als geimpfter, trotzdem eine Infektion zu bekommen.



Camillo Schumann



Und wie fallen die Ergebnisse aus?



Alexander Kekulé


Und da ist rausgekommen, wenn man das, wenn man das vergleicht, das nach der zweiten Dosis, also 14 Tage nach der zweiten Dosis, die Wirksamkeit von BioNTech absinkt. Von 93,4 Prozent. So viel war es nach der zweiten Dosis in diesem Feldversuch auf 87,9 Prozent. Also 93 bis 87 sind die Differenz um 5,5 Prozent. Das ist nicht viel. Also das ist immer noch eine sehr gute Schutzwirkung. Und bei Astrazeneca ist es von 66 Prozent, dass ist die Wirksamkeit von Astrazeneca in dieser Feldstudie nach 2 Impfungen, runter auf etwas unter 60 Prozent, also hier ein Delta von 6,3 Prozent, um das das runtergegangen ist. Das heißt fünf Prozent bis sechs Prozent mal so grob gesagt, schlechter wirken die Impfstoffe, wenn man diese indische Variante nimmt im Vergleich zu dem B1.1.7, was sowieso schon eine Herausforderung für die Impfstoffe ist. Aber das ist im Grunde genommen nur ein kleiner Abstrich. Und deshalb kann man sagen wer zweimal geimpft ist, hat auch einen sehr guten Schutz bezüglich dieser indischen Variante.



Camillo Schumann



Aber jetzt gibt es ja Unterschiede zwischen der Effektivität hier in dieser Studie der Impfstoffe und bei der Auswertung der CDC-Daten. Woher kommt dieser Unterschied?



Alexander Kekulé


Bei der CDC hat ist ein anderer Faktor, den die hier sich angeschaut haben. In dieser britischen Studie haben die auch einen ganz interessanten Test gemacht. Und zwar haben die geguckt, wie hoch ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass man die indische Variante kriegt. Wenn ich das vergleiche bei vakzinierten, geimpften und ungeimpften. Wenn jetzt


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diese Varianten, quasi sich eher durchsetzen, bei geimpft, dann müsste man ja eine unterschiedliche Verteilung sehen. Dann müsste das so sein, das in der Gruppe, der bereits geimpften die indische Variante anteilmäßig häufiger ist als in der Gruppe der ungeimpften. Das wäre sozusagen das, was man erwarten würde, dass man nicht mehr die gleiche Verteilung wie in der allgemeinen Population hat bei den geimpften, sondern anteilmäßig mehr, weil ja die Impfung auf jeden Fall vor den normalen Varianten schützt. Und das hat die CDC indirekt auch bestimmt. Die haben gesagt die Verteilung ist in den USA bezüglich der Breakthrough-Infektionen bei geimpften die gleichen Varianten betroffen sind, wie die Verteilung dieser Varianten in der allgemeinen Population. Also, die sagen, da gibt es keinen Unterschied, sodass die CDC aus ihrer Studie, die jetzt auch am gleichen Tag erschienen ist, schlussfolgert unsere Impfung wirkt gegen die Varianten genauso gut, wie gegen die Wildtypen. Und diese britische Studie, über die wir gerade sprechen. Da hat man das wirklich dann ganz genau verglichen. Mit besseren, detaillierteren Methoden. Und da ist herausgekommen, dass es sehr wohl einen Unterschied gibt. Die geimpften haben 60 Prozent häufiger, diese indische Variante ist im Vergleich zu der allgemeinen Population. Also, die es dort 60 Prozent mehr, 1,6-fach so häufig vorhanden. Das heißt, hier auch diese zweite Auswertung sagt noch mal ganz deutlich, die Impfstoffe sind nicht absolut sicher bezüglich der indischen Variante. Also was kann man daraus schließen? Es ist so, wir müssen impfen in Deutschland wirklich bevor diese resistenten Varianten sich durchsetzen. Weil es einfach so ist, wenn man unvollständig geimpft ist, das habe ich jetzt nicht so im Detail da noch mal erklärt, aber wenn man nur einmal geimpft ist, hat diese Studie eben gezeigt, dass beide Impfstoffe, AstraZeneca und BioNTech nicht so gut funktionieren. Und das heißt wir müssen uns jetzt wirklich beeilen, die Risikogruppen geimpft zu bekommen, bevor wir in Deutschland weitere Varianten haben. Es gibt sozusagen, wenn ich


mal so sagen darf, das Prinzip den Letzten beißen die Hunde. Wer nicht geimpft ist und die Varianten sind schon da, der hat dann eine schlechtere Chance. Vor allem die Länder, die das spät machen. Und in Deutschland sind wir spät dran. Wir sind ja so indirekt, so ein bisschen die die Leidtragenden der Länder um uns herum. Die anderen impfen. Dadurch entstehen die Varianten, und wir kriegen die Varianten ab, obwohl wir keinen Impfstoff haben. Sozusagen die Abgase von den anderen, die da die mit Volldampf voraus impfen. Und deshalb müssen wir uns da beeilen, die Risikogruppen zu impfen. Und das ist aus meiner Sicht ein weiteres Argument dafür, dass jetzt so eine totale Freigabe der Impfung der Impfpriorisierung, bevor man die Risikogruppen geschützt hat, eigentlich nicht sinnvoll ist.



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Dieser Hörer aus Hamburg macht sich so seine Gedanken, um die grundsätzlich hohe Zahl an unterschiedlichen Impfung die es so gibt.


49:32 


O-Ton


Man bekommt ja so viele Angebote gegen so viele Infektionen. Sei es Corona, sei es Gürtelrose, sei es Masern. Also es gibt ja ganz viele Erkrankungen. Und dann fragt man sich mitunter ist das, so gut, so viele verschiedene Impfstoffe im Körper zu haben? Wo man ja auch nicht genau weiß, inwieweit die miteinander harmonieren diese Impfstoffe. Da macht man sich schon ein bisschen Sorgen, ohne dass man jetzt ein Impfgegner ist. Aber man ist schon etwas nachdenklich. Wenn ich da noch mal etwas zu hören könnte, wäre es gut.



Alexander Kekulé


Also, ich habe die Sorge überhaupt nicht, sondern das kann man sich so vorstellen. Das Immunsystem ist extrem lernbegierig. Das ist im Grunde genommen ein ständig lernendes System, so ähnlich wie unser Gehirn. Na gut, der eine lernt gerne der andere nicht so. Aber es ist so, das Immunsystem will ständig was lernen. Und im Laufe unseres Lebens ist es ja


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ständig dabei, die Krankheitserreger oder die Keime, mit denen wir zu tun haben, auf seine Liste zu schreiben, sozusagen sich zu merken, wie man dagegen vorgehen kann. Welche sind gefährlich, welche nicht? Es gibt ja auch ganz viele Bakterien, zum Beispiel die haben wir im Darm. Oder die haben wir auf der Haut. Da lernt das Immunsystem. Das ist ein Freund, den musst du nicht töten. Und dieses Risiko, wenn man sich diese riesige Liste von Krankheitserregern, also ich würde mal schätzen viele Tausend, wahrscheinlich Zehntausende, die da auf einem Zettel des Immunsystems stehen. Nach ein paar Jahren. Wenn Sie da noch eine Handvoll Impfungen oder 2 Hand Impfungen dazugeben, dann gibt es eben zehn weitere Krankheitserreger, die auf der Liste des Immunsystems stehen und wo es weiß, wie es sich dagegen wehren kann, ohne dass man die Krankheit durchgemacht hat oder ohne, dass es einen echten Kontakt mit dem Erreger gehabt hat. Das ist aus meiner Sicht völlig klar, dass das kein Nachteil ist, sondern das Immunsystem ist halt dann ein bisschen schlauer. Und wir haben dafür gesorgt, dass es etwas gelernt hat, ohne sozusagen ein Preis dafür bezahlen



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 187. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem HörerfragenSpezial bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne bis dahin Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie wollen auch etwas wissen. Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 5. Mai 2 02 1 #186:



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Neutralisierende Antikörper und ihre Rolle im Kampf gegen das Virus (2 1.05.)


Neutralizing antibody levels are highly predictive of immune protection from symptomatic SARS-CoV-2  infection | Nature Medicine


Studie: Der BNT162 b2 -mRNA-Impfstoff gegen SARS-CoV-2  programmiert sowohl adaptive als auch angeborene Immunantworten neu (06.05.)


The BNT162 b2  mRNA vaccine against SARSCoV-2  reprograms both adaptive and innate immune responses | medRxiv



Camillo Schumann



Für einen unbeschwerten Sommer peilt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Inzidenz unter 2 0 an. Ist das realistisch? Oder werden uns die Varianten in die Quere kommen?


Dann: Sorgt eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung dafür, dass ein Supervirus entsteht?


Dann: Die Politik knüpft den Schulbetrieb an Impfungen. Impfung oder Infektionen? Was ist für Kinder und Jugendliche risikoreicher?


Außerdem: Egal ob Infektion oder Impfung: Wie lange hält eine Immunität an und gibt es Unterschiede? Eine Studie gibt Hinweise.


Und: Wie lange bleiben Corona Viren im Freien aktiv?



Camillo Schumann



Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekule.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Haben Sie denn über Pfingsten neue Freiheiten genossen? So ein bisschen?



Alexander Kekulé


Oh weh! Nein, habe ich tatsächlich nicht. Hab so viel zu tun zur Zeit, dass ich ja gelegentlich mal 2 Stunden mit der Familie rausgehe zum Spazierengehen oder Ähnliches, aber vielmehr ist da leider nicht drin.



Camillo Schumann



Also noch nicht auf dem Freisitz gesessen. Pfingsten ist vorbei, und viele haben dort, wo es natürlich die Inzidenz zugelassen hat, vielleicht mal das erste Mal mit Freunden im Biergarten gesessen. Oder haben auf einen Campingplatz das Wohnmobil fit gemacht, ein wenig Normalität gespürt. In einigen Bundesländern kommen ja heute neue Lockerungen dazu. Die Inzidenzen, die lassen das ja auch zu. Damit es aber wirklich ein unbeschwerter Sommer wird, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein neues Inzidenz-Ziel ausgerufen. Das neue Ziel lautet Inzidenz von 2 0. Erst dann könne es weitreichende Lockerungen geben. Herr Kekulé, 100 hatten wir, 50, jetzt die 2 0. Ist das ein realistisches Ziel? Was sagen Sie dazu?



Alexander Kekulé


Ach, das ist schon machbar. Ich glaube nicht, dass die Zahlen jetzt so im freien Fall weitermachen werden – ich lass mich gern eines Anderen belehren. Ich freue mich natürlich dann auch. Aber ich glaube schon, dass das letzte Stück schwieriger zu schaffen sein wird, als der Anfang. Und im Sommer. Ja, das ist durchaus möglich. Wir impfen ja jetzt weiter.


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Wir halten uns halbwegs vernünftig weiter an die Maßnahmen, und wir haben natürlich die Wärme, die dazu kommt. Die Menschen halten sich im Sommer im Freien auf. Also deshalb wäre es nicht überraschend, wenn wir im Sommer quasi sehr weit wieder runtergehen von der Inzidenz. Die Frage ist nicht, was im Sommer passiert. Das ist eine einfache Wettervorhersage. So als wenn Sie sagen würden, ich erwarte die nächsten Tage, dass es zunehmend wärmer wird. Das stimmt im Frühjahr immer, und im Herbst ist es immer andersrum. Nein, die Frage ist wirklich, was im Herbst passiert, ob wir dann eine weitere Welle bekommen. Und wenn wir eine weitere Welle bekommen, hat es dann schwere Verläufe wieder? Oder ist das mehr so etwas Ähnliches wie eine Erkältung, was wir dann erleben, wenn Covid noch einmal wiederkommt.



Camillo Schumann



Ab Mitte Juli 2 02 0, also im Sommer 2 02 0, hatten wir so eine Inzidenz von drei bis fünf. Ist damit auch wieder zu rechnen?



Alexander Kekulé


Oh Gott, da bin ich nicht so mutig wie der Bundesgesundheitsminister, mich da auf Zahlen festzulegen. Rein theoretisch kann man sagen, wäre es unwahrscheinlich, dass man wieder in den gleichen Kellerbereich der Inzidenzen kommt. Aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass wir jetzt natürlich noch systematischer suchen nach den Fällen. Wir haben ja sehr, sehr viele Schnelltests überall laufen, sodass man auch asymptomatische und sehr leichte Infektionen eher erwischt als vor einem Jahr. Das Zweite ist, dass wir natürlich insgesamt von einem hohen Plateau ausgehen. Also es gibt einfach im ganzen Land verteilt sozusagen nicht mehr Cluster-förmig, sondern überall gibt es einzelne Fälle, und zwar in sehr großer Zahl und praktisch überall. Es ist ja keine Region mehr verschont. Und in dieser Ausgangssituation ist es sehr, sehr schwierig, dann wirklich konsequent runterzufallen auf so einen ganz niedrigen Wert. Nochmal eine Warnung: ein niedriger Wert als Bundesdurchschnitt sagt natürlich nichts über die Gefährdung in ganz


bestimmten Regionen, wo das wesentlich mehr sein kann und wo man dann auch durchaus eine faire Chance hat, sich z.B. im öffentlichen Nahverkehr anzustecken.



Camillo Schumann



Faire Chance, das klingt immer so positiv. Es schreiben uns auch viele Hörerinnen und Hörer. Wenn Herr Kekulé sagt, faire Chance ... „die Gefahr möglicherweise sich anzustecken!“



Alexander Kekulé


Das ist so eine leichte Ironie, was die Epidemiologen natürlich sagen – als Reiter haben sie eine faire Chance auf eine Querschnittslähmung und als Motorradfahrer eine faire Chance auf ein Schädel-Hirn-Trauma. Das ist vielleicht so ein bisschen... Medizinerslang. Da muss ich mich entschuldigen vielleicht.



Camillo Schumann



Oder werden uns möglicherweise die Varianten einen Strich durch die Rechnung machen? Die indische vielleicht? Die Infektionszahlen, die Neuinfektionszahlen, die sinken zwar, aber die indische Variante nimmt weiter zu. Auf einem sehr niedrigen Niveau, muss man dazusagen. Bei rund 2 Prozent aller Virusproben ist die indische Variante in Deutschland letzte Woche nachgewiesen worden. Das ist jetzt nicht viel, aber diese Variante steht er auch im Verdacht, noch ansteckender zu sein als die vorherrschende britische Variante B1.1.7. Und sie steht auch im Verdacht, dass sie dem Immunsystem möglicherweise besser ausweichen könnte. Also könnte uns die indische Variante den Sommer vermiesen?


5:30



Alexander Kekulé


Ich glaub nicht, also eins ist sicher: wenn wir im Sommer uns entspannen und die Fallzahlen nicht runtergehen, wie jetzt das vielleicht der Gesundheitsminister vorhergesagt hat, dann steht jetzt schon auf einen kleinen Zettel wahrscheinlich bei ihm drauf, was dann die Ausrede sein wird, nämlich die indische Variante, damit wäre er ja nicht allein auf der Welt. Praktisch alle Politiker haben immer die Varianten verantwortlich gemacht, wenn irgendwas nicht so


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gelaufen ist wie geplant. Ich glaube ist es sinnvoll, die im Auge zu behalten. Natürlich. Aber man muss vielleicht ein bisschen zurechtrücken, was die eigentlich macht. Also erstens: Es sieht so aus, als sei sie nochmal einen Ticken ansteckender als B.1.1.7. Das kann man daraus ableiten, dass sie sich in Großbritannien schon seit längerer Zeit ausgebreitet hat. Es ist wohl jetzt klar, dass das schon einige Wochen, viele Wochen der Fall ist. Und sie breitet sich weiter in Großbritannien aus. Im Vereinigten Königreich haben sie ja jetzt ganz aktuell acht Regionen ausgerufen, also acht Counties, wo richtig Reisewarnungen innerhalb des Königreichs bestehen. Also kleinere Ortschaften, zum Glück bisher, aber die eben einen großen Anteil indisch stämmiger Bevölkerung haben, z.B. in Bolton, was da oben bei Manchester ist, oder in Bedford, was, glaube ich, nördlich von London liegt, weiß nicht genau, wie weit weg, da irgendwo auf halber Strecke. Und noch ein paar andere. Also, die haben jetzt wirklich da, nehmen das sehr ernst, dass die Variante sich ausbreitet. Aber dort, wo sie sich ausbreitet, ist überhaupt keine Zunahme der Hospitalisierungen zu beobachten. Zumindest bis jetzt. Da gibt es ja immer so eine Verzögerung. Ich sag mal vielleicht zehn Tage.


Aber trotzdem ist es so: Man geht davon aus, dass die Varianten schon länger dort zirkulieren, bisher unbemerkt. Warum hat man die nicht bemerkt in Großbritannien? Oder nicht so schnell bemerkt? Diese B.1.1.7 hat uns den Gefallen getan, dass sie das macht, was wir immer S-Drop-out genannt haben. Also, das ist ein Begriff aus dem Englischen, den wir da einfach aus Großbritannien übernommen haben. Beim Testen ist es so, dass ein bestimmter Test bei der PCR, der regelmäßig verwendet wird, v.a. in England viel verwendet wird von einem Hersteller. Der verwendet drei verschiedene Regionen des SARS-CoV2 -Virus zum Nachweis und einer dieser drei Spezialtests sozusagen fällt immer aus. Das ist der, der dieses S-Gen nachweist, und deshalb ist die B.1.1.7 so leicht nachzuweisen. Und deshalb kann man da auch hervorragende Statistiken machen, ohne jedes Mal die RNA-Sequenz des


Virus festzustellen, also eine Sequenzierung zu machen. Bei dieser indischen Variante ist es anders. Da müssen Sie wirklich sequenzieren oder zumindest Tests machen, die sehr spezifisch sind für die indische Variante. Und es geht nicht mehr so hoppla hopp nebenbei. Es ist auch schwieriger, sozusagen Daten, die schon vorher erhoben wurden, ex post dann nachzuuntersuchen. Und das ist wiederum eine Schwachstelle bei uns in Deutschland. Wir sequenzieren ja immer noch zwar mehr als früher, aber wir haben spät damit angefangen und machen natürlich viel, viel weniger als die Briten, sodass ich sagen würde wahrscheinlich gibt es eine Dunkelziffer bei uns. Wahrscheinlich wird sich auch die indische Variante weiter ausbreiten. Aber wir müssen keine besonderen Befürchtungen im Moment haben bezüglich höherer Sterblichkeit oder Ähnliches. Das ist ja auch mehr oder minder bei der B.1.1.7 vom Tisch. Und sie erwähnten dann das Thema Immunsystem austricksen, dass ist so ein Etikett, was glaube ich, die Presse oder ein, 2 Fachkollegen dem Virus angehängt haben, dieser indischen Variante also. Die gilt dann immer als Doppel-Mutante bei denen, weil die auch das Immunsystem austricksen. Das machen die anderen auch. Die britische Variante macht das ganz genauso, dass es so Mutationen hat, die wahrscheinlich das Immunsystem beeinflussen. Und in der Praxis haben wir darauf noch keinen Hinweis. Wir haben überhaupt keine Daten, die sagen, dass das Immunsystem hier irgendwie ausgetrickst wird, und die Variante deshalb die Menschen zweimal infizieren kann. Das sind alles Spekulationen. Und das ist für mich eine von vielen. Und ja, es ist sinnvoll zu verhindern, dass die jetzt nach Deutschland kommt. Soweit man es machen kann.


09:35



Camillo Schumann



Sie würden sozusagen Ihre Analyse der vergangenen Wochen und Monate jetzt auch nicht korrigieren, aktualisieren bezüglich der Varianten?


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Alexander Kekulé


Nein, das nicht. Was ich mir genau angeschaut habe, ist, in welchen Regionen diese Variante im Vereinigten Königreich aufgetreten ist. Dort haben wir einfach bessere Zahlen als in Indien. Klar kommt die aus Indien, aber sie macht auch im Moment in Nepal einen ganz fürchterlichen Ausbruch. Aber dort haben wir keine guten epidemiologischen Zahlen, ist ja klar. Und in England ist es eben so. 90 Prozent der Briten sind ja inzwischen geimpft. Ja, das ist schon richtig viel. Und auch in diesen Städten, wo man diese sogenannten Varianten Ausbrüche hatte, wo man die häufig findet, also Bolton, Bedford und andere. Da ist es auch so, dass die nicht deutlich unterhalb dem Landesniveau bei den Impfungen lagen. Das wäre ja eine mögliche Erklärung, sodass man schon die Frage stellen muss: Kann es da zu Zweitinfektionen kommen, ja oder nein, bei Leuten, die schon mal eine Covid-Infektion hinter sich hatten? Bis jetzt sehen wir da keine klaren Hinweise darauf. Also sieht im Moment so aus, als würden die Varianten tatsächlich sich dort ausbreiten, wo Menschen eben nicht geimpft sind. Und das ist eben in England leider zum großen Teil, die Bevölkerung mit indischem Hintergrund.



Camillo Schumann



Gut. Und hier bei uns trifft es ja auf eine bisher relativ breit und in zunehmendem Maße geimpfte Bevölkerung, deswegen werden uns die Varianten den Sommer jetzt – um da vielleicht noch mal ein Strich drunter zu ziehen – jetzt nicht die Entspannung versauen?



Alexander Kekulé


Ich glaube nicht, dass die uns die Entspannung versauen, wenn wir bis dahin vernünftig geimpft sind. Ich meine, auf die 90 Prozent der Engländer müssen wir erst einmal kommen. Ich meine, wir sind bei den Erstimpfungen hier so bei 40 Prozent und bei den Zweitimpfungen weiß ich es gar nicht, 14-15 oder so. Das heißt also, wir sind da noch weit weg. Wir haben jetzt wohl noch keine richtige HerdenImmunität. Man muss halt einfach sehen, ob wir die dann Richtung Sommer entwickeln. Ich glaube ja. Also wenn wir in dem Tempo weiter-


impfen wie bisher, kommen wir mit der Variante genauso klar wie mit jedem anderen Typ des SARS-CoV-2 .



Camillo Schumann



14,3 Prozent doppelt geimpft, also vollständiger Impfschutz. Wir haben ja die Menschen, die sich infiziert haben – weil sie gerade Herden-Immunität angesprochen haben – wir haben ja dann die Menschen, die dann auch ihre Erstimpfung jetzt auch zunehmend bekommen werden im Juni, wir haben die Genesenen. Das alles zusammen müsste doch eigentlich schon ein großer Batzen sein, dass wir uns in Richtung Herdenimmunität dann bewegen oder nicht?


12 :05



Alexander Kekulé


Das ist genau die richtige Überlegung. Also man kann jetzt pessimistisch sagen, wir sind bei den 14 Prozent Vollgeimpften. Das ist natürlich Lichtjahre entfernt von der sogenannten Herdenimmunität. Aber dann könnte man natürlich auch optimistischer sein und sagen: Ja, vielleicht reicht ja auch schon einmal geimpft, um einen deutlichen Herdeneffekt zu machen, sozusagen. Herdenschutz nenne ich es mal. Und dann wären Sie ja schon bei


40 Prozent. Und wenn Sie jetzt ganz optimistisch rechnen, dann können Sie sagen: Na gut, 40 Prozent sind einmal geimpft, die sind also weitgehend geschützt – epidemiologisch, also individuell können Sie natürlich noch krank werden, aber epidemiologisch tragen sie nicht mehr zu einem massiven Krankheitsgeschehen bei. Und dann schätze ich einfach mal genauso viele, noch einmal 40 Prozent, haben sich einfach schon infiziert. Das kann ja auch durchaus sein, dass wir 30 Prozent haben oder wer weiß, wie viele das sind. Und dann sind Sie natürlich sofort in dem Bereich, wo sie auch wirkliche Herdeneffekte sehen würden. Irgendwo dazwischen wird wahrscheinlich die Wahrheit liegen. Also ich glaube, wir sind gerade dabei, eine Art Übergabe zu machen, fast wie beim Staffellauf, wo die Staffel übergeben wird. Bisher waren es unsere eigenen Maßnahmen, die uns geschützt haben. Diese fünf Maßnahmen des


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Smart-Konzepts. Also wir nennen das dann nicht-pharmakologische Maßnahmen. Und jetzt, nach und nach, übernimmt sozusagen die Sicherung hier die Impfung. Und das, glaube ich, wird in den nächsten Wochen vollständig stattfinden. Wir werden im Sommer dann hauptsächlich die Impfung als Schutz vor den Neuinfektionen haben und nicht mehr so sehr die Maßnahmen und deshalb glaube ich auch nicht, dass das die Variante uns groß verhageln wird.



Camillo Schumann



Bleiben wir beim Thema Impfen und bleiben wir auch bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er hat sich in einem Interview zu den Schulöffnungen geäußert. Spahn hat gesagt: „Ein Weg zur regulären Unterricht nach den Sommerferien ist das Impfen der Jugendlichen.“ Er verknüpft also ganz bewusst die Schulöffnung an Impfung. Dasselbe tut auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Sie hat gesagt: „Ich möchte, dass v.a. nach den Sommerferien überall der Schulbetrieb wieder relativ normal beginnen kann. Dafür wäre es sehr hilfreich, wenn möglichst viele Schülerinnen und Schüler geimpft werden.“ Jetzt sind Sie ja Virologe, Sie sind aber auch Vater. Wie bewertet denn der Virologe Kekulé diese Verknüpfung der Politik von Impfung mit Schulöffnungen und wie der Vater Kekulé?



Alexander Kekulé


Also rein virologisch ist es so: Virologen lieben es, wenn Leute geimpft sind und sich nicht anstecken können. Ich glaube, dass überhaupt, die Erfindung der Impfstoffe in der Medizin eine der wichtigsten überhaupt ist, die wir haben. Fast nirgendwo in der Medizin können wir als Ärzte so effektiv Krankheiten vermeiden. Das ist fast nichts. Also das zweite, was ich noch ganz toll finde, ist die Unfallchirurgie, weil ich Leute gesehen habe, die wirklich quasi zermatscht waren nach irgendwelchen Unfällen und dann von den Chirurgen wieder zusammengeflickt worden. Und wenn sie die ein halbes Jahr später sehen, denken Sie, Wahnsinn, das kann er kaum sein. Also das sind für mich die wichtigsten Themen: Impfung, viel-


leicht noch Antibiotika. So, und das vorhergesagt ist es hier aber so. Wir haben natürlich einen neuartigen Impfstoff, und die Frage ist halt immer die gleiche. Wir impfen ja die Schüler nicht wegen ihres individuellen Risikos, sondern wir impfen sie deshalb, weil sie die Gesellschaft insgesamt vor Infektionen schützen sollen. Wenn jetzt aber die restliche Gesellschaft schon immun ist, was ja sozusagen die Idee der ganzen Impfaktion sein soll – gerade die Risikopersonen sind ja hoffentlich immunisiert bis dahin – dann ist einfach für mich jetzt sozusagen der Druck, die Schüler zu impfen, nicht mehr so hoch wie vorher, wo das der einzige Weg war, die Alten zu schützen oder ein wichtiger Weg war. Und wir wissen ja, dass bisher zumindest die Infektionen eher von den Erwachsenen auf die Kinder gingen als andersrum. Kann natürlich sein, dass sich das ändert, wenn die Kinder dann ungeimpft sind. Und natürlich wird es Ausbrüche im Herbst geben, wenn wir ungeimpfte Kinder haben. Klar.


16:13



Camillo Schumann



Die Frage ist ja, weil Sie es gerade eben angesprochen haben: Wenn jetzt Eltern und Großeltern geimpft sind, müssen sich dann Kinder ab zwölf Jahre überhaupt noch impfen lassen aus epidemiologischer Sicht?



Alexander Kekulé


Ich wäre eben dafür, dass man da die Diskussion einfach mal offen führt, was ist unser Ziel von der ganzen Sache? Wir sind ja jetzt bei der Pandemiebekämpfung – fast hätte ich gesagt zum Glück oder danke an die Pharmaindustrie – tatsächlich in eine Phase gekommen, wo sozusagen man über Ziele auch sprechen darf. Ganz am Anfang wäre ein Ziel gewesen Elemination oder Vermeidung –Prevention und Elemination sind so die ersten Stufen. Das ist der Luxus, den man sich in Neuseeland z.B. geleistet hat oder auch in Taiwan versucht hat. Jetzt ist die Frage, was wollen wir am Schluss? Da gibt es 2 Varianten, sozusagen im Endzustand, der eine heißt Kontrolle. Ich nehme die Kategorien, die ich in diesem Podcast immer


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beschrieben habe und auch in meinem Buch ja sehr ausführlich beschrieben habe. Und dieses Kontrollstadium heißt, dass man an noch eine gewisse Zahl von Infektionen toleriert und dadurch eben nicht total strikt sein muss, aber die durch schnelle Nachverfolgung und die üblichen Methoden dingfest macht und daher quasi keine unkontrollierte Epidemie mehr hat. Aber man sagt: Ja, wir nehmen eine gewisse – ich habe das immer kontrollierte Durchseuchung genannt – in Kauf. Das heißt nicht, dass man die Leute absichtlich ansteckt. Aber man riskiert halt ein bisschen mehr, als wenn man die totale Elimination wollte. Und die zweite Variante, die man diskutieren könnte – und Sie ahnen es schon, die finde ich jetzt nicht so sinnvoll – wäre die vollständige Elimination. Elimination heißt dann wirklich, das Virus verschwinden zu lassen aus der Region. Bei einer weltweiten Elimination sprechen wir technisch gesehen von einer Eradikation. Das haben wir mit den Pocken z.B. geschafft. Ich glaube, dass bei dem Corona-Virus (bei dem aktuellen, und bei den Varianten, die da jetzt so kommen) eine vollständige Elimination sowieso eine Illusion ist, könnten wir lange drüber reden, warum, aber das ist meines Erachtens ein nicht erreichbares Ziel. Technisch nicht erreichbar und der Aufwand wäre viel zu groß. Und das ist nicht möglich selbst mit dem Impfstoff meines Erachtens. Kann sein, dass ich mich irre. Aber das ist bisher meine Beurteilung und deshalb sage ich, wir können sowieso nur einen Kontrollzustand erreichen. Und dann müssen wir natürlich nicht auf Teufel komm raus alle Kinder bis zum Alter von null am Schluss durchimpfen, v.a. allem, wenn wir sie durchimpfen und trotzdem das Virus nicht ganz verschwindet. Welchen Zweck hat dann die Übung gehabt?



Camillo Schumann



Ganz kurz, weil Sie sagen „bis null“: die EMA arbeitet derzeit an einer beschleunigten Zulassung von BioNTech-Pfizer für 12 bis 15Jährige. In den USA werden ja schon Kinder ab zwölf Jahre geimpft.



Alexander Kekulé


Es ist so, dass die pharmazeutische Industrie natürlich im Moment schon die Studien startet, für sechs Monate bis zwölf Jahre. Das ist jetzt die nächste Phase. Und in den USA wird natürlich darüber diskutiert, auch unter 12 Jährige demnächst zu impfen.



Camillo Schumann



Noch mal kurz der Sprung zurück, weil Sie gesagt haben Elimination, nicht möglich – ganz kurz, vielleicht 2 Sätze dazu. Warum nicht?



Alexander Kekulé


Wir haben da mehrere Effekte. Die wichtigsten sind, vielleicht Nummer eins: Diese Varianten können offensichtlich – egal, ob das jetzt die indische oder eine andere ist – die können offensichtlich Menschen noch mal infizieren, die schon mal Covid hatten. Dadurch werden sie immer quasi einen schwelenden Infektionszustand haben. Wir sagen, das Virus ist dann endemisch, das heißt, es sitzt sozusagen fest. Es ist gekommen, um zu bleiben, weil es eben Menschen gibt, die, obwohl sie geimpft sind oder obwohl sie die Krankheit durchgemacht haben, sich zum zweiten Mal infizieren können wegen der Varianten. Und dann ist es so, dass der Immunschutz natürlich irgendwann nachlässt. Man weiß nicht genau, wann. Aber ich würde mal sagen in der Größenordnung von Jahren muss man natürlich damit rechnen, dass die Menschen nach und nach weniger immun sind gegen das Virus, selbst wenn exakt die gleiche Typ wiederkäme. Und der dritte Faktor ist die weltweite Reisetätigkeit. Die Menschen bringen ja die Krankheiten sozusagen zu uns und exportieren sie woanders hin. Und wir wissen ja heute bereits, dass wir die allermeisten Impfstoffe, die es überhaupt gibt, in ganz wenigen Ländern verimpft haben. Ich meine 15 Prozent der weltweit verfügbaren Impfstoffe wurden in zehn oder zwölf Ländern bisher verkauft, so sagt es die WHO aktuell. Und das heißt natürlich, was mit den anderen Ländern ist. Da werden wir noch lange, lange die Situation haben, dass diese Krankheit eine Rolle spielt. Und deshalb ist es, wenn man die


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Grenzen nicht zumacht, illusorisch, von Elimination in Deutschland zu sprechen.


2 0:47



Camillo Schumann



Kommen wir wieder zurück zum Impfschutz in der Bevölkerung, die wir ja so ein bisschen durchdekliniert haben. Und dann auch verbunden mit der Frage: Sollen sich jetzt auch Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren in Deutschland impfen lassen? Die Politik verknüpft das ja mit den Schulöffnungen. Wir haben ja gesagt, wenn sich jetzt Eltern und Großeltern, Risikogruppen etc. schon geimpft haben, stellt sich diese Frage und wir müssen sie diskutieren. Da bliebe ja, wenn jetzt Eltern und Großeltern geimpft sind, nur noch die Frage des Eigenschutzes der Kinder. Also wie hoch ist das Risiko für Kinder, an Covid-19 zu erkranken und dann auch schwer zu erkranken?


Bevor Sie antworten: Ich habe mal ein paar Zahlen rausgesucht, weil ich etwas immer ganz interessant finde. Der Anteil, der unter 18Jährigen, der auf der Intensivstation behandelt wurde, lag, Stand 2 0. Mai 2 02 1, bei 0,4 Prozent. Oder anders ausgedrückt von den 3368 Covid19-Intensivpatienten waren 13 unter 18. Und jetzt noch eine Zahl: Unter den 85.500. Menschen, die an oder mit Corona gestorben sind, waren acht zwischen 10 und 19, also die Gruppe, die jetzt geimpft werden soll. Die allermeisten von ihnen hatten teilweise gravierende Vorerkrankung. Herr Kekulé, würde es denn nicht Sinn machen, wenn Kinder und Jugendärzte ganz genau schauen, welches Kind geimpft wird anstatt flächendeckend alle?



Alexander Kekulé


Ja, das wäre auch meine Empfehlung. Zumal wir ja hier, das kann man nicht oft genug sagen, einfach einen experimentellen Impfstoff haben, der noch nicht einmal eine reguläre Zulassung hat. Aber ich habe das Gefühl, dass wir da fast schon in 2 verschiedene Welten zerfallen. So ein bisschen. Das ist so ähnlich. Die einen sind halt jetzt wirklich auf einem Durchmarsch mit diesen Impfungen und sagen:


Wir brauchen die Impfungen, damit wir Urlaub machen können, damit wir Schule machen können, damit keiner mehr darüber redet über die Fehler, die wir in der Vergangenheit vielleicht gemacht haben als Politiker, und weil wir Bundestagswahlen haben. Und die anderen wagen es zu diskutieren, was die Vorund Nachteile sind, was ja eigentlich der der Regelfall sein sollte meines Erachtens. Und diejenigen, die für die Impfungen sind, die sagen eben dann auch dazu. Ja, es gibt sowieso nur die Wahl Infektion oder Impfung. Also gibt ja das bekannte Statement von Christian Drosten, der sagt, jeder, der sich jetzt nicht impfen lässt, wird in den nächsten 18 Monaten sich infizieren. Wie gesagt, ich habe das ja schon mal angedeutet. Ich sehe das epidemiologisch nicht ganz so pessimistisch, und wenn man das nicht so pessimistisch sieht, sondern sagt, Nein, wir können eigentlich auch die Kinder schützen und die Gesellschaft schützen, wenn jetzt nicht alle immunisiert sind, geimpft sind, dann hat man natürlich mehr Optionen. Und eine Option ist ja z.B. zu warten, bis sich klassische Impfstoffe auf dem Markt befinden. Z.B. ist der Novavax-Impfstoff jetzt in der Phase II sehr erfolgsversprechend. Im Juli soll die abgeschlossen werden. Wahrscheinlich wird der dann Anfang 2 02 2  bei uns verfügbar sein. Das ist ein Protein-Impfstoff, der von der Wirksamkeit her genauso gut ist, also von seiner Schutzwirkung her genauso gut ist wie die RNA-Impfstoffe. Weil das Protein so moduliert wurde – wir haben, glaube ich, irgendwann schon darüber gesprochen. Das wurde so moduliert, dass man an 2 Stellen so Proline eingebaut hat, um einen bestimmten stabilen Zustand dieses S-Proteins herzustellen, der stark immunogen ist, also wo quasi die Antikörper, die dagegen gebildet werden, dann auch wirklich schützen vor der Infektion. Das haben die anderen alle nicht. Das haben die Vektor-Impfstoffe nicht und auch z.B. der chinesische Protein-Impfstoff nicht. Also, das ist ein Hightech-Produkt, was halt bis jetzt aus verschiedenen Gründen noch nicht auf dem Markt ist. Aber das wird es dann geben. Und es ist aber im Prinzip mit einer klassischen Tech-


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nologie entwickelt. Und ohne jetzt wirklich vor irgendetwas warnen zu wollen. Ich sehe überhaupt keine, ich kann es nur noch mal sagen, ich sehe überhaupt keine bekannten Risiken bei diesen RNA-Impfstoffen. Wir haben Hunderte von Millionen Menschen damit geimpft, zwar nicht so viele Kinder, aber es sieht wirklich sehr, sehr gut aus. Aber: wir haben eben nur eine wenige Monate Beobachtungszeit nach der Impfung. Und ich finde, da müssen sich die Eltern selber und frei entscheiden können, was sie machen wollen. Also wollen sie jetzt impfen oder nicht? Und ich sehe so ein bisschen eine Gefahr, dass dann so ein sozialer Druck oder vielleicht sogar ein politischer Druck entsteht. Ich stelle mir so eine Klasse vor, wo dann 80 Prozent geimpft sind und paar Kinder eben nicht. Ich weiß nicht, ob das gut ist, wenn wir da sozusagen die Leute dazu nötigen. Oder auch dann die Impfpflicht beim Urlaub, die dann möglicherweise im Raum steht. Was ist, wenn ich meine Kinder mitnehmen will? Was sagt dann der Reiseveranstalter? Also das sind so Dinge, wo ich wirklich dafür plädiere, dass wir trotz dieser großen Gefahr, gegen die wir hier gemeinsam kämpfen, immer noch den gesunden Menschenverstand behalten, und die Risiken relativ sozusagen gegeneinander bewerten. Und es gibt immer die Unbekannten Unbekannten, die unknown unknowns. Überraschungen sind in der Wissenschaft nicht selten. Und manchmal hat es ja auch negative Überraschungen gegeben.



Camillo Schumann



Also um das noch mal so ein bisschen zu verdeutlichen. Es macht schon sozusagen in der Bewertung einen Unterschied, ob sich jetzt ein 50-jähriger impfen lässt – bezogen jetzt auf seine Lebenszeit – oder eben ein Zwölfjähriger. Der hat dann eben noch 70 Jahre vor sich, wo sozusagen noch Dinge passieren können, von der die Wissenschaft von heute noch überhaupt nicht dran denken könnte.



Alexander Kekulé


Genau das ist die Frage ja, und das ist letztlich keine virologische, sondern das ist eine indivi-


duelle, psychologische, vielleicht sogar ethische Frage. Ich sag mal nur ein Beispiel, was mich jetzt gerade aktuell wieder fasziniert hat. Natürlich, ein Virologe findet es toll, wenn was Neues da ist. Es gibt gerade eine Studie von Anfang Mai, die in Holland gemacht wurde, und da hat man genauer untersucht, was passiert eigentlich nach der Impfung mit so einem RNA-Impfstoff, also BioNTech hat man in dem Fall genommen, aber Moderna wird genauso funktionieren. Und was wir schon wussten, ist das, da sowohl die angeborene Immunantwort als auch die erworbene Immunantwort eine Rolle spielt. Also wir reden ja immer nur von Antikörpern, die nach der Impfung entstehen. Aber es sind eben nicht nur die Antikörper, sondern es sind zum einen auch diese zytotoxischen T-Zellen. Das gehört aber auch zu erworbenen Immunität. Und dann gibt es die angeborene Immunität, die ja eigentlich tätig werden soll, bevor der Organismus quasi ein Gedächtnis für den Erreger hat. Und auch die, die ja eigentlich gar nichts mit der Impfung zu tun hat, die wird moduliert, wie wir sagen. Und da ist es so, was eben hier faszinierend ist, dass diese Modulation, das haben die Holländer jetzt gerade gezeigt, so ist, dass bestimmte Abwehrmechanismen also z.B. gegen bestimmte Viren und Bakterien, also andere Viren und Bakterien, gebremst werden durch die Impfung. Das heißt ich impfe gegen SARS-CoV-2 . Dann gibt es natürlich eine Aktivierung der Antwort gegen dieses neue Virus. Aber parallel wird die Antwort gegen andere Viren z.B. gebremst. Also, es ist sozusagen eine Umleitung der Aktivität auf das SARS-CoV-2 , und gegen andere Viren ist man dann sozusagen weniger gut immun. Wir haben andere Virusinfektionen, oder wir haben Virusinfektionen, bei denen genau der gegenteilige Effekt eintritt. Da haben Sie eine Virusinfektion mit dem Virus A, und dadurch kann das Virus B den gleichen Menschen nicht so gut infizieren. Aber hier eben: Die angeborene Immunantwort wird heruntergeregelt. Aber jetzt kommt es: Bei den Pilzen ist es genau umgekehrt. Das heißt, wenn Sie die Impfung mit BioNTech kriegen, haben Sie sie eine Weile eine verstärkte Immunant-


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wort gegen Pilze, aber eine abgeschwächte gegen andere Viren und Bakterien. Und das heißt, das ist interessant, dass eine neue Tür aufgemacht wurde in der Forschung, wo dahinter riesige Katakomben und verzweigte Gänge sind, die in den nächsten Jahrzehnten noch erforscht wurden. Und die Autoren aus Holland, die sagen: Wir schließen daraus, dass dieses sehr komplexe Reprogrammieren sowohl der angeborene Immunantwort als auch der erworbenen, dass das berücksichtigt werden sollte bei der Anwendung dieser neuen Klasse von Impfstoffen. Das heißt, unter Fachleuten ist das so ein bisschen ein erhobener Zeigefinger: Schaut mal her, dass ist komplett unerwartet und neu – woher wollt ihr wissen, was in 30 Jahren noch alles so herausgefunden wird? Sonst müssten wir Virologen ja aufhören zu forschen.


2 9:18



Camillo Schumann



Dazu passt auch die Frage unserer Hörerin Frau W. aus Eckernförde. Sie hat uns angerufen. Sie macht sich genau wegen dieser Impfdiskussion für Schülerinnen und Schüler Sorgen.


„Ich bin also besorgte Großmutter und mach mir wirklich Sorgen über Impfungen bei Kindern. Inwieweit greifen diese Impfstoffe wirklich in unser Genom ein? Kann es zu Veränderungen führen? Also ich habe nichts gegen Impfungen bei alten Leuten. Aber ich sehe sehr, sehr kritisch Impfungen für Kinder oder Kleinkinder und habe Angst, dass es auch einen Zwang gibt für Schulen und Kindergärten. Da hätte ich gerne mal die Meinung von Herrn Kekulé dazu. Vielen Dank.“



Alexander Kekulé


Also 80 Prozent habe ich, glaube ich, schon gesagt. Meine Meinung ist, glaube ich, deutlich geworden. Es ist so, vielleicht zu dem einen Punkt: Also es zirkuliert immer so die Idee, dass diese RNA-Impfstoff ins Genom eingreifen könnten. Wir haben ja da einmal in einer der letzten Folgen sehr ausführlich darüber gesprochen. Vielleicht können wir die ja auch noch einmal verlinken. Und es ist aber so – da


muss man Folgendes sagen: Also das setzt voraus, dass bestimmte Teile im Genom des Menschen aktiviert werden, die ein Enzym fabrizieren, das heißt Reverse Transkriptase. Nur mit diesem Enzym kann die RNA von einem RNA-Virus wie den Coronaviren rückgeschrieben werden in eine DNA, und nur die DNA kann sich dann ins Genom irgendwie einklinken. Dass dieser Prozess, diese Aktivierung der Reverse-Transkriptase, das kennen wir von Virusinfektionen. Das passiert tatsächlich bei einer Virusinfektion manchmal und deshalb kann man dort den Prozess beschreiben. Wir haben keine Hinweise darauf, dass diese Aktivierung auch bei der Impfung stattfindet. Selbst bei der Impfung mit den RNAImpfstoffen gibt, ich sag mal in Klammern bisher, keinerlei Hinweise darauf, dass es zu so einer Aktivierung kommt. Und wenn, dann wäre das nach dem gesunden Menschenverstand derzeitiger Stand der Technik wohl eher nur an der Einstichstelle, also an der Stelle, wo man jetzt quasi auch dann die Schmerzen und Rötung hat usw., also die Reaktogenität direkt spürt. Das ist anders als bei einer Virusinfektion, weil die Viren sich ja im ganzen Körper erst mal ausbreiten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt hier nennenswerte Mutationen durch dieses Virus passieren, so wie wir das mit manchen anderen Viren kennen, extrem gering also. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft sehe ich also keine Daten, die jetzt irgendwie in dieser konkreten Richtung Angst machen würden. Mein erhobener Zeigefinger richtet sich nur gegen das, was wir nicht wissen, also gegen unbekannte Faktoren, die vielleicht in 5 oder 10 Jahren gefunden werden. Und dann leben in der Tat die Kinder noch, und ich gehe dann langsam in Ruhestand. Und ich muss jetzt auch sagen, wenn Sie als 60-Jähriger die Wahl haben gegen ein gefährliches Virus sich zu impfen, den Rest ihres Lebens mit der FFP2 -Maske rumzurennen oder dann quasi im ersten Fall die Nebenwirkungen der Impfung in Kauf zu nehmen, die dann irgendwann mit 80 plus kommen. Da ist man, glaube ich, eher robust, auch von der subjektiven Entscheidung her. Man glaubt ja nicht,


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dass man dann zu denen gehört die es betrifft. Bei Kindern entscheiden Erwachsene für andere. Und ich glaube, da muss man auch einen höheren, strengeren Maßstab anlegen, als wenn man selber freiwillig ein Risiko eingeht.


32 :48



Camillo Schumann



Wenn man mal alle Unbekannten in der Zukunft mal wegrechnet und sich nur die Zahlen und Fakten anschaut, die ich vorhin vorgetragen habe. Nochmal kurzer Bezug darauf. Also Anteil der Intensivpatienten der unter 18Jährigen 0,4 Prozent, acht von 85.500 Menschen, die gestorben sind, waren zwischen 10 und 19. Wenn man sich nur diese Zahlen und Fakten anschaut, würde man da auf die Idee kommen, eine breit angelegte Impfkampagne für Zwölfjährige zu fahren?



Alexander Kekulé


Ja, Sie fragen, warum man sozusagen so eine abwegige Idee hat. Drum hatte ich das vorher noch einmal erwähnt. Wenn sie davon ausgehen, dass jeder, der nicht geimpft ist, stattdessen in kurzer Zeit infiziert sein wird. Das ist ja die Grundannahme, die hier dahintersteht. Dann würden Sie natürlich dann die Frage stellen müssen: Okay, was ist eigentlich schlimmer, Impfung oder Infektion. Und dann würden natürlich diese sehr niedrigen Zahlen, die Sie nennen... Also Sie sagen zu Recht, also nach der Infektion gibt es ganz wenige Menschen im jungen Alter, die schwere Erkrankungen haben. Das ist quasi vernachlässigbar, selbst wenn man ... Nicht dass jetzt nicht gleich wieder die Eltern anrufen, deren Kinder MIS-C haben also dieses Multiple Inflammationssysndrom bei Kindern. Das sind wenige. Aber es ist eine ganz epidemiologisch geringe Zahl. Aber es ist so, dass Sie, wenn Sie sagen, jeder muss entweder geimpft werden oder kriegt die Krankheit, dann vergleichen Sie die Krankheit mit der Impfung. Und dann ist natürlich so, dass selbst wenn die Krankheit wenig Schäden macht bei Kindern, ist es so, dass es immer noch mehr ist als bei Geimpften. Also die Impfung ist höchstwahrscheinlich – so, wie es jetzt aussieht auch bei Kindern mit den Nebenwir-


kungen, die wir feststellen können in dem Bereich – wo man sagen muss, das wird immer geringer sein als das Virus. Das kann man sich so praktisch vorstellen. Ja, auf der einen Seite haben sie ein Virus, mit dem sie sich auseinandersetzen, und auf der anderen Seite sozusagen nur ein Fragment dieses Virus. Klar ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Bruchstück eines Virus weniger schwere Nebenwirkungen macht. Aber mit dieser Grundannahme gehe ich jetzt persönlich nicht mit. Ich bin der Meinung, dass man nicht sagen kann, jedes Kind, was sich jetzt nicht impft, wird Covid bekommen, sondern es gibt Möglichkeiten, die Kinder vorläufig zu schützen. Sie werden durch eine gewisse Herdenimmunität der Alten auch geschützt, und es wird so sein, dass wir nächstes Jahr auch Impfstoffe zur Verfügung haben, die auf, sage ich mal, älteren Wirkprinzipien beruhen. Und da kann man die Frage dann noch mal stellen.



Camillo Schumann



Ein kleiner Einschub, eine Beobachtung aus dem Bekanntenkreis. Die Eltern waren beide Corona-positiv, und die kleinen Kinder, die waren glaube ich acht und fünf im selben Haushalt, haben zusammen gespielt und gekuschelt und so. Die waren negativ. Also sie haben sich überhaupt nicht angesteckt. Also sowas passiert ja auch.



Alexander Kekulé


Also von solchen Geschichten höre ich immer wieder. Für mich ist privat noch nicht ganz die Idee vom Tisch, dass die Kinder sich anstecken, aber so eine gute angeborene Immunantwort haben, dass die dieses Virus quasi auf der Schleimhaut sofort ratzifatzi eliminieren, sodass Sie keine Chance haben, das in der PCR nachzuweisen, wenn Sie jetzt nicht jeden Tag zweimal abnehmen. Und das dann möglicherweise auch die IGG-Reaktion im Blut so minimal ist, dass sie mit den Standardmethoden vielleicht nicht nachgewiesen wird. Das ist eine reine Spekulation. Da gibt es keine Hinweise darauf. Aber es ist in der Tat erstaunlich, dass man ganz auf diese Situation hat, dass die Kinder die einzigen sind, die sich nichts geholt


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haben sollen. Und wenn man weiß, wie diese Viren in der Luft rumfliegen, und wie Sie richtig sagen, enger Kontakt, das ist ja kaum möglich, dass dieses Virus nicht auf der Schleimhaut dieser Kinder gelandet ist. Die Frage ist halt, hat es da vielleicht so dermaßen eins auf die Mütze gekriegt, dass es keine richtige Infektion ausgelöst hat?



Camillo Schumann



Ganz kurz noch nachgefragt, weil ich das eingangs gesagt habe, die Kinderund Jugendärzte, die ja, was Sie ja auch gerade gesagt haben, es gibt ja auch Eltern, die Kinder haben mit schweren Erkrankung. Also sollten die Kinderund Jugendärzte, gerade was jetzt diese Impfkampagne für die Schülerinnen und Schüler angeht, nicht wesentlich stärker mit einbezogen werden? Und auch was die Bewertung der Impfung angeht?



Alexander Kekulé


Also ja. Das ist natürlich wichtig, weil die Kinderärzte sind ja die, die den Patienten im Blick haben, nämlich das Kind selber, und nicht so die Gesamtgesellschaft und schon gar nicht den Urlaub auf Mallorca. Also ich glaube, das Problem ist nur – ich sag’s ganz ehrlich – das ist ja eine weltweite Tendenz in den Industrieländern. In den USA sehe ich das hautnah. Da wird keine Sekunde gezögert, die Kinder zu impfen, jetzt bis zwölf Jahre runter. Selbstverständlich werden die geimpft, ja, weil weg mit dieser Maske – die Maskenpflicht ist ja in den USA in großen Bereichen schon fallen gelassen worden. Und auch in den Schulen wird es nicht mehr gemacht zum großen Teil, und deshalb ist dort völlig klar, dass die Kinder geimpft werden ab zwölf. Bisher, weil der Impfstoff ab zwölf zugelassen ist. Und das auch unter den Kinderärzten. Also es ist so, dass eigentlich da schon so eine Einigkeit besteht zwischen Kinderärzten, zwischen Politikern und Epidemiologen und Reiseveranstaltern. Und da ist es wahnsinnig schwierig, überhaupt noch gegenzuhalten. Ich habe das Gefühl, da rollt eine Lawine los, und es wird in der Tat im Herbst so sein, dass man wahrscheinlich mit dem Finger


auf die Kinder zeigt, die nicht geimpft werden wollen.



Camillo Schumann



Gibt es denn vergleichbare Viruserkrankungen, wo das schon ähnlich gemacht wurde? Oder ist das jetzt wirklich eine absolute Ausnahme?



Alexander Kekulé


Das ist ein Weltexperiment, ein historisches Experiment seit Entstehung des Homo sapiens. Das gab es noch nie, dass man erstens eine Pandemie mit einer Impfung beendet hat und zweitens einen neuen Impfstoff, der auf neuen Wirkprinzip beruht, quasi global in allen Altersgruppen anwendet



Camillo Schumann



Gut. Lassen wir mal so stehen, wie gesagt, offen zur Diskussion. Dafür ist ja der Podcast auch da, zur Meinungsbildung und Informationen, um aus dem Ganzen dann eine Handlungsempfehlung für sich ganz persönlich auch zu haben, was man tut.



Alexander Kekulé


Ja, ja, das ist es. Ich finde, am Schluss muss man eine individuelle Abwägung haben, und vielleicht, um noch ein Positives zu sagen: Es gibt ja Jugendliche, die haben Long-CovidSymptome – z.B. diese Geruchsstörungen bleiben manchmal. Da ist es möglich, dass die Impfung vielleicht hilft, diese Symptome zu bereinigen. Und es gibt natürlich viele Jugendliche, die einfach ein hohes Risiko haben, entweder von ihrem Verhalten her oder weil sie individuelle Risikofaktoren haben. Und da wird man natürlich nicht lange zögern. Sobald der Impfstoff ab zwölf zugelassen ist, ist es ganz klar, dass man auf Grund individueller Überlegungen viele Situationen hat, wo man Impfen sollte.


39:52 



Camillo Schumann



Weil es auch gerade gut passt. Lassen Sie uns über eine australische Studie sprechen, die doch einiges Licht ins Dunkel bringt. Zu den Fragen ist eine Impfung ein wirksamerer Immunschutz als eine durchgemachte Infektion? Und wie lange hält eigentlich so ein Immun-


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schutz an? Da gibt es ja die berühmte 6Monatsregel sowohl für Genesene als auch für Geimpfte. Genesene sollten nach einem halben Jahr ihre erste Impfung erhalten und Geimpft und ihre Auffrischungsimpfung. Aber ist das wirklich nötig? Es geht um neutralisierende Antikörper und ihre Rolle im Kampf gegen das Virus. Erst mal: Was sind so die wichtigsten Rahmendaten zu dieser Studie?



Alexander Kekulé


Ja, das ist eigentlich eine ganz interessante Studie, die gemacht wurde. Daten auswerten, die es schon gibt, weil die genau diese Frage beantworten wollten: Wie kann man eigentlich den Schutz, die Schutzwirkung von Impfung oder auch von durchgemachter Infektion korrelieren mit irgendwelchen Laborparametern? Also kann ich das irgendwie messen, ohne jedes Mal ein Experiment machen zu müssen. Also was weiß ich, 2 0.000 / 40.000 Leute exponieren und schauen, wie viele haben sich infiziert? Das will man natürlich nicht für jede Fragestellung machen, sondern man will eigentlich am liebsten Blut abnehmen und mal checken: Gibt es da eigentlich Antikörper? Und wir wissen ja schon. Es gibt diese neutralisierenden Antikörper, die in der Zellkultur getestet werden. Da probiert man aus, ob eine Virusinfektion, die in der Zellkultur stattfindet, quasi durch den Antikörper gehemmt wird. Und diese Hemmung nennt man Neutralisierung und drum heißen die dann eben neutralisierende Antikörper. Und die sind ja schon in ganz vielen Studien, also in den ganzen Zulassungsstudien, getestet worden und bestimmt worden, und es gibt einige Untersuchungen. Und die haben jetzt hier insgesamt sieben Zulassungsstudien genommen und noch eine andere Studie, die mit konvaleszenten Seren gemacht wurde, also mit Seren von Personen, die die Krankheit durchgemacht haben. Und man weiß ja, dass der normale Schutz so in der Größenordnung bei 95 Prozent liegt bei den RNA-Impfstoffen. Und es gab mal so Daten, die aber sehr schlecht waren, die gesagt haben, dass Rekonvaleszente, also Genesene, „nur“ 90 Prozent Schutz ungefähr haben. Und dieser Unterschied 90-95 Prozent, der geistert noch


ein bisschen so durch die Diskussion rum, weil, weil manche Leute sagen, impfen ist besser als das Virus zu bekommen, da wäre man besser geschützt. Da habe ich schon öfters was zugesagt, dass meines Erachtens nicht so einfach die Schlussfolgerung gezogen werden kann. Und die Australier haben jetzt Folgendes gemacht: Die haben einfach mal ein Verfahren verwendet, was wir schon länger kennen, was man bei Influenza schon länger gemacht hat, das ist eigentlich fast schon virologisch ein traditionelles Verfahren. Man kann mathematisch bestimmen, welchen Titer von Antikörpern braucht man, also welche Konzentration von Antikörpern im Blut braucht man, um


50 Prozent der Infektionen zu verhindern? Das ist so ein mathematisches Modell, da kann ich bisschen erklären, wie das funktioniert. Aber das gehört zum Standard, der eigentlich in der Influenza Virologie entstanden ist. Und weil die das da besonders gut können... Das ist dieses Docherty-Institut da in Melbourne, da haben die das einfach verwendet dafür und haben jetzt eben Folgendes gemacht: Die haben diese sieben Studien gehabt, sieben plus eins Studien, und haben erst mal bei jeder Studie festgestellt, bei denjenigen, die immun geworden sind, also die geschützt wurden vor der Infektion, wieviel neutralisierende Antikörper hatten die denn im Mittelwert so im Blut? Und dann haben die bei jeder Studie quasi die Mittelwerte wiederum gemittelt. Also geguckt, was ist der Mittelwert aller neutralisierenden Antikörper? Und dann haben sie das korreliert mit der Frage, wer war geschützt und wer war nicht geschützt? Und das ist eine mathematisch interessante Ableitung, wo aber am Schluss man dann rauskriegen kann – und das ist das Ergebnis der Studie – Was brauche ich eigentlich für einen Antikörper-Titer von diesen neutralisierenden Antikörper, um wahrscheinlich geschützt zu sein gegen eine Infektion.



Camillo Schumann



Und den wollen wir jetzt erfahren.



Alexander Kekulé


Da ist es folgendermaßen: Ich mache es ein bisschen spannend.


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Camillo Schumann



Trommelwirbel!



Alexander Kekulé


Die Schutzwirkung haben sie auch verglichen, also jetzt quasi korreliert Schutzwirkung mit den Antikörpern. Also am schlechtesten, den letzten Platz in diesem Rennen hat der chinesische Impfstoff Sinovac gemacht. Das wissen wir schon. Das war ja der, wo man zweimal impfen musste, damit da was passiert, oder noch ein drittes Mal impfen musste, damit etwas passiert. Entschuldigung. Dann gibt es den von AstraZeneca, der ist auf dem zweiten Platz von unten. Gleich etwas weiter oben ist dann Johnson&Johnson. Dann kommt Covaxin, etwas besser, das ist der indische Impfstoff, der bei uns aber, glaub ich, nicht zugelassen ist. In Europa gibt es, glaube ich, kein Land, das ihn zugelassen hat.


Und dann etwas besser als die genannten vier ist eben Konvaleszenz, also quasi schon mal eine Infektion durchgemacht zu haben. Das ist auf jeden Fall besser als die vier. Und dann etwas besser, aber das ist eigentlich kaum Abstand mehr (jetzt wird es spannend)... Etwas besser ist tatsächlich Sputnik V. Bei denen muss man aber sagen, da haben sie die russischen Daten eins zu eins übernommen, ohne die nachzuprüfen, wer weiß, ob die stimmen. Und ungefähr auf Augenhöhe dann die Impfstoffe von BioNTech und Moderna – gemeinsam mit dem jetzt noch nicht zugelassenen Impfstoff von Novavax, also dem ProteinImpfstoff. Das heißt also, man kann grob sagen: RNA-Impfung oder Konvaleszenz, vielleicht sogar auch noch Sputnik V, das ist nicht ganz klar, sind auf Augenhöhe, sind ungefähr gleich gut. Und in all diesen Fällen hat man ungefähr neutralisierende Antikörper-Titer von 1:10 bis 1:30. Diese Größenordnung ist das. Also ein Titer von 10 bis 30. Oder auch, wenn man es in internationalen Einheiten ausdrückt 54 Einheiten. Das ist das ist aber nicht das, was 100 Prozent schützt, sondern das ist das, was 50 Prozent der Infektionen verhindert,


50 Prozent der symptomatischen Infektionen. Was ich ganz interessant fand, ist – natürlich erwartungsgemäß, aber trotzdem hier mal


schwarz auf weiß zum ersten Mal – wenn man das gleiche dann umrechnet für die schweren Infektionen, also wie groß ist der Schutzfaktor, also wieviel brauche ich eigentlich für die schweren Infektionen? Da ist es so, dass ein Sechstel der Antikörper genügt. Also wenn die Antikörper langsam abnehmen im Lauf der Zeit oder wenn nicht so viele produziert wurden bei einem Individuum (das ist sehr individuell ganz unterschiedlich) dann reicht immer noch ein Sechstel der gerade genannten Konzentration aus, um schwere Verläufe zu 50 Prozent zu verhindern.


46:36



Camillo Schumann



Womit wir bei der 6-Monatsregel wären. Also das war jetzt die erste Frage, also die wirksame Schutzimpfung oder durchgemachte Infektion? Und jetzt die zweite Frage: Wie stabil hält sich das Ganze im Körper? Und braucht es diese 6Monatsregel überhaupt?



Alexander Kekulé


Also hier haben sie zum Teil gemessen, zum Teil simuliert, das Abnehmen dieser neutralisierenden Antikörper, und zwar für acht Monate nur – weil die Studie ging einfach nicht länger. Länger haben sie das nicht angeschaut. Und da ist eigentlich das Wichtigste, was dabei rausgekommen ist, dass das ein non-linearer Effekt ist. Was heißt non-linear? Das nimmt nicht einfach gerade nach unten ab, sondern die Abnahme der Antikörper wird erstens nach einer Zeit gebremst. Also nimmt am Anfang stärker ab und dann schwächer. Und zweitens korreliert es sozusagen nicht eins zu eins mit der Schutzwirkung, sondern wenn man am Anfang eine sehr gute Schutzwirkung hatte, dann ist es so, dass relativ lange das anhält und man relativ lange noch auch einen Schutz vor Infektionen hatte. Und wenn die Wirkung am Anfang schlechter war, dann ist der Abfall deutlicher. Z.B. jetzt auf diese acht Monate ungefähr – 2 50 Tage waren das. Da ist es so wenn man anfängt mit einer Vakzin-Effizienz von 95 Prozent, also das wäre so ein RNAImpfstoff, dann landet man nach den acht Monaten bei 77 Prozent. Das reicht noch di-


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cke, um eine Infektion zu vermeiden. 77 Prozent. Und das ist jetzt immer bezogen auf die symptomatische Infektion. Das heißt, vor schwerer Infektion wäre die Schutzwirkung noch in der Größenordnung von sechsmal größer. Wenn man aber nur mit 70 Prozent Effizienz anfängt, wie z.B. AstraZeneca jetzt mal wohlwollend sein könnte, dann landet man bei ungefähr 33 Prozent nach acht Monaten. Das heißt also, Anfangen mit einem nicht so effektiven Impfstoff hat zur Folge, dass es deutlich stärker abfällt, die Schutzwirkung, als wenn man am Anfang sehr gut anfängt. Das also nicht linear, sondern die, die am Anfang schwächer da sind, sind sozusagen schneller verbraucht. Und so ähnlich ist es auch bei den Varianten. Das ist ganz interessant, wenn man jetzt quasi die Schutzwirkung gegen Varianten sich anschaut, also wenn jetzt eine britische oder südafrikanische Variante daherkommt. Wenn es so ist, dass man anfängt z.B. mit einem fünffach erniedrigten neutralisierenden Antikörper-Titer gegenüber dem ursprünglichen Virus. Also eine Variante, – das ist so ein Effekt, den sehen wir z.B. bei den RNAImpfstoffen manchmal. Da ist also gegen die Variante der Antikörper-Titer fünfmal geringer als gegen den ursprünglichen Typ. Und dann haben sie sich angeschaut, wie stark verringert denn das rein mathematisch dann tatsächlich die Schutzwirkung. Und da wäre es so, wenn man mit einem RNA-Impfstoff anfängt bei 95 Prozent, dann landet man bei der Variante immer noch bei 77 Prozent. Das wäre immer noch ausreichend, um sich vor der Krankheit zu schützen. Also 77 Prozent ist ganz gut. Oder anders gesagt: die gut wirksamen Impfstoffe, die schützen auch vor der Variante. Wenn man aber mit 70 Prozent anfängt, dann ist bei der Variante dann eben nur noch 32  Prozent übrig. Oder andersherum gesagt, wenn man sich mit Astrazeneca impft und dann kommt eine Variante daher, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich da infiziert, einfach deutlich höher.



Camillo Schumann



Und weil es so unterschiedliche Start – ich sage mal – Effizienzen gibt, deswegen hat man sich


so auf dieses halbe Jahr kapriziert und sagt, okay, gut, das ist, sage ich mal, so ein Durchschnittswert, damit können wir leben. Danach sollte schon was passieren, um alle einigermaßen abzudecken.


50:17



Alexander Kekulé


Ich glaube, man hat sich da gar nicht so viel Gedanken gemacht, weil zu dem Zeitpunkt, als das festgelegt wurde, war ja auch noch die Ansage, dass AstraZeneca fast genauso gut wie die anderen sei. Sie wissen, einige Kollegen von mir behaupten immer noch, dass da kaum Unterschiede wären. Und es ist so, dass das, glaube ich, nicht die Motivation war, sondern ich nehme einfach mal an, dass es so ist, dass man gesagt hat, wir gehen jetzt mal auf Nummer sicher, wir wissen nichts Genaues, jetzt schreiben wir erst mal sechs Monate rein und dann überprüfen wir das noch mal. Wir wissen Folgendes: Wir wissen, dass bei vielen anderen Impfstoffen, wo das untersucht wurde – nicht nur bei Impfungen, sondern auch nach Infektionen – es so einen schnellen Abfall gibt dieser neutralisierenden Antikörper, und die fangen sich dann auf so einem niedrigen Plateau ein. Und auf diesem Plateau bleibt es dann mit einer Halbwertszeit von zehn Jahren. Also am Anfang geht es schnell runter. Halbwertszeit ist kurz. Ich sage mal ein paar Wochen oder Monate. Und dann fängt sich das so, ich sag mal, ungefähr nach einem Jahr oder so, oder nach 2 Jahren fängt sich das auf einem niedrigen, sich langsam reduzierenden Plateau, was dann Halbwertszeit nur noch von zehn Jahre hat, also alle zehn Jahre sich nur noch halbiert. Das kennen wir z.B. von Masern, Mumps, Röteln, was ja eine klassische Impfung ist, und wo das mal untersucht wurde. Das ist auch hier zu erwarten, weil das ein immunologischer Effekt ist, der damit zu tun hat, dass das Immunsystem im Lauf der Jahre die Gedächtniszellen sortiert, die noch gebraucht werden, und die die rausschmeißt, die nicht mehr gebraucht werden. Und dann werden eben die besten Gedächtniszellen sozusagen irgendwo in den Safe gelegt, so ähnlich, als wenn man seinen Speicher entrümpelt und die Sachen wegwirft,


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wo man sagt, das brauche ich jetzt irgendwann nicht mehr. Aber die Sachen, die man da aufhebt, da ist es dann tendenziell so, dass man die sehr lange aufheben wird, weil man sich schon mal entschlossen hat, die waren wichtig. Und wenn das Immunsystem diesen, sage ich mal, Bereinigungs-, Aufräumprozess hinter sich hat, dann ist eben die Halbwertszeit sehr, sehr lange. Und die Frage ist jetzt: Schaffen wir es mit den Impfstoffen, die wir haben, in einen Bereich zu kommen, das auch nach diesem ersten Aufräumvorgang, der vielleicht ein, 2 Jahre dauert, eine Dauer-Immunität gegen diese bestimmte SARS-CoV-2  Variante ist, gegen die man geimpft hat. Die Autoren sagen Ja. Aber wenn man anfängt, mit einem sehr wirksamen Impfstoff, wie z.B. einen RNA-Impfstoff mit 95 Prozent Effizienz am Anfang, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man tatsächlich nach 2 Jahren auf ein Plateau kommt, was immer noch ausreicht, um zumindest schwere Verläufe zu verhindern. Sodass sie sagen, es ist durchaus möglich, dass wir gar keine Auffrischungsimpfung brauchen, sondern dass wir quasi in einen Bereich rutschen, wo wir einen Großteil der Menschen, die eben am Anfang mit 95 Prozent effizient geimpft wurden, dann noch ausreichenden Schutz haben. Sofern das Virus sich nicht verändert



Camillo Schumann



Und auch alle, die heterologisch geimpft wurden. Könnte man daraus jetzt so eine allgemeine Regel ableiten. Die sechs Monate braucht man nicht mehr. Wir lassen das bei beiden, sowohl Genesen als auch Impfungen. Wir lassen das offen?



Alexander Kekulé


Also ich persönlich bin jetzt nach dieser Studie noch mehr der Meinung, dass man zumindest bei den Genesenen sagen kann: Wir brauchen da die Sechsmonatsregel nicht. Es ist ganz klar, dass eine neue Variante immer die Menschen noch mal infizieren kann. Dass die dann aber weniger ansteckend sind, ist inzwischen ja auch aus verschiedenen Quellen belegt. Und epidemiologisch kommt es ja auf diese Ansteckungsfähigkeit an. Wir machen ja die ganzen


Gesetze nicht deshalb, weil die Menschen selber sich schützen sollen, sondern wir machen sie deshalb, weil wir die Gesellschaft schützen wollen. Einen anderen Auftrag hat ja die Politik nicht. Und unter dieser Überschrift würde ich sagen, es ist eigentlich ziemlich klar, dass man z.B. die Menschen, die in der ersten Welle sich infiziert haben, dass man die auch als Genesene bezeichnen sollte, sofern sie es noch nachweisen können zum heutigen Zeitpunkt.


54:2 6



Camillo Schumann



Und zum Thema Antikörper passt jetzt auch ganz gut die Frage von unserer Hörerin Frau Z.:


„Ich habe nach ihrer Aussage nach Befund sehr viele Antikörper. Sodass eine Impfung aus ihrer Sicht nicht notwendig ist, wir mindestens bis zum Herbst warten. Und sie hofft sogar, dass ich dann noch so viele Antikörper habe, dass ich damit über den Winter kommen und erst in einem Jahr impfen müsste. Sehen Sie das auch so, dass man, wenn man im Antikörper hat, dass man dann sich nicht impfen lassen sollte? Ich habe jedoch dann keinen Nachweis darüber, dass ich als ja als von Corona Genesene gelte. Müsste also mich dann trotzdem an alle Einschränkungen usw. halten, die für nicht Geimpfte und nicht Genesene gelten.“


Der Tipp kam von der Hausärztin von Frau Z.



Alexander Kekulé


Ja, also das ist naheliegend. Man muss dazu sagen, die Studie, über die wir gerade gesprochen haben, betraf speziell die neutralisierenden Antikörper. Das ist ein Verfahren, was jetzt nicht so standardmäßig im Labor gemacht wird. Das müsste dann im nächsten Schritt korreliert werden, mit den Labortests, die gemacht werden. Das sind so klassische IGGAntikörper, also Immunglobulin-G-Antikörper, die man hier nachweist. Da ist nicht klar, dass das hier eins zu eins auch gilt. Also ein bestimmter Titer von einem neutralisierenden Antikörper ist was anderes, als wenn man den klassischen Labornachweis macht. Aber ich glaube, dass man trotzdem aufgrund dieser Daten jetzt sagen kann: Die Wahrscheinlichkeit


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ist doch ziemlich hoch, dass die Antikörper Konzentration, auch die normale IGGKonzentration, Hinweis zumindest darauf ist, wie gut man immun ist gegen eine Virusinfektion. Und ja, wenn jemand einen hohen Titer hat – das wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen dann noch untersucht werden; ich bin ganz sicher, dass diese Studie von vielen aufgegriffen wird, die jetzt dann Reihenuntersuchungen damit machen, und dann werden wir in den nächsten Wochen sicher sehen, wie gut korreliert das auch mit dem normalen IGGTest, den quasi jedes normale Labor macht. Und wenn dann jemanden einen hohen Titer hat, dann ist es eigentlich nicht sinnvoll, noch mal an eine Auffrischungsimpfung zu machen mit exakt dem gleichen Impfstoff. Also mit einem 2 .0-Impfstoff, der an Varianten angepasst ist, meine ich, wird es immer sinnvoll sein. Aber ob es mit dem gleichen jetzt notwendig ist, das wissen wir nicht. Übrigens gibt es von BioNTech-Pfizer eine Studie, die gerade läuft, die auch das untersuchen will, ob das was bringt, ein drittes Mal mit dem gleichen Impfstoff zu arbeiten.


Die andere Frage, die die Hörerin natürlich da gestellt hat – man muss sich natürlich schon fragen, wie weise ich das jetzt nach. Ja, wenn ich jetzt letztlich die Regel habe, sechs Monate, dann muss ich mich impfen lassen, damit ich die Maske ausziehen darf. Ich finde, da ist gerade wieder die Gefahr, dass wir in so eine Schieflage irgendwie reinkommen. Wir sollten vielleicht jetzt relativ zeitig das noch einmal überprüfen, dass der Gesetzgeber auch nochmal darüber nachdenkt, ob man das nicht lockern kann. Und meines Erachtens ist es so: Jemand, der einen Antikörpernachweis vorweisen kann, also der sage ich mal, einen Titer von über 50 hat ungefähr im normalen IGG-Test gegen SARS-CoV-2 . Diese Tests sind auch sehr gut geworden inzwischen, die waren am Anfang nicht so gut wie jetzt. Das heißt für mich eigentlich das gilt als genesen und fertig.



Camillo Schumann



Also der Antikörpertest löst den PCR-Tests ab – sozusagen in umgekehrter Reihenfolge. Also dort hatte man sozusagen nachgewiesen, dass


man Corona hat. Und hier, da weist man dann nach, dass man Corona überstanden hat.



Alexander Kekulé


Ja, genau das, aber das finde ich da nur konsequent. Ja, warum nicht. Es ist doch so: Wir reden hier immer von einem epidemiologischen Zusammenhang. Wir reden nicht von der Situation, wo der einzelne Arzt den einzelnen Patienten behandelt und hundert Prozent optimal für den agieren will. Sondern wir reden von der Eingriffsschwelle des Staates, wo der Staat, weil die Kanzlerin ja geschworen hat, sie wird Schaden von ihrem Volk abzuwenden – ich glaube, so in der Art ist das im Eid drinnen – deshalb ist der Staat ja hier tätig, von dem ganzen Volk Schaden abzuwenden. Und ich glaube, da darf man sich die Unschärfe leisten, wirklich zu sagen, ob der jetzt eine positive PCR hatte oder ob der jetzt noch Antikörper im Blut hatte, das ist uns egal. In beiden Fällen gilt es als Genesen und fertig.


58:58



Camillo Schumann



Wir kommen zur weiteren Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Frau S. hat uns gemailt, sie will wissen, kurz und schmerzlos. „Wie lange bleiben die Coronaviren im Freien aktiv?“



Alexander Kekulé


Oh weh – also, das kann man nicht so kurz und schmerzlos sagen. Also Viren mögen keine frische Luft. Viren mögen keine Trockenheit. Viren mögen absolut kein Licht. Viren mögen keine rauen Oberflächen. Also alles, wo irgendwie organisches Material vielleicht drauf ist. Haare und Ähnliches oder Pflanzen. Wenn man das alles jetzt zusammenfasst, gibt es kaum einen Platz im Freien ein, wo jetzt speziell die Corona-Viren eine Chance haben, länger als sag ich mal zwei, drei Stunden zu überleben, das wäre so ein Zeitraum. Natürlich kann man sich vorstellen, dass jemand auf den Boden gespuckt hat und da sozusagen ein Batzen liegen geblieben ist, der für so ein Virus ein optimales Umfeld generiert. Das Ganze ist im Schatten passiert an einer Stelle, wo das schön lange liegen bleibt. Da würde ich meine Hand


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nicht ins Feuer dafür legen, dass vielleicht am nächsten Tag dann noch infektiöse Viren drin sind. Aber so in der Größenordnung ist das von wenigen Stunden bis zu vielleicht einen Tag.



Camillo Schumann



Das war sozusagen jetzt die Schmierinfektion. Wenn man tatsächlich rein fasst und wie sieht es mit Aerosolen aus, die sich halten und infektiös sind?



Alexander Kekulé


Das gibt es im Freien praktisch nicht. Also die Aerosolbildung ist aus physikalischen Gründen eigentlich im geschlossenen Raum der Klassiker. Im Freien wird ein Aerosol nicht weiter – würde ich mal sagen – als vielleicht einen Meter von demjenigen, der es ausgeatmet hat, überhaupt Bestand haben und dann auch natürlich verteilen. Und die klassische Tröpfcheninfektion, wo man also auf ballistischer Bahn fliegende Tröpfchen hat, die den anderen treffen müssen. Das ist ja eine Sache in dem Moment, die passiert in dem Moment, wo sie passiert, weil die fallen dann hinterher zu Boden. Deshalb würde ich sagen die luftgetragenen Infektionen sind vernachlässigbar sowieso, außer man steht ganz nahe von Gesicht zu Gesicht zusammen. Und es kommt eigentlich nur noch auf die Schmierinfektionen an.



Camillo Schumann



Herr L. hat gemailt:


„Mein Vater hat seit seiner Corona-Infektion letzten Oktober keinen Geruchsund Geschmackssinn mehr, obwohl er einen sehr milden Verlauf hatte. Und weil Herr Kekulé in einer seiner letzten Folgen erklärt hatte, dass es sein könnte, dass sich das Virus teilweise in unserer DNA einnistet, wollte ich fragen, ob das eine Erklärung dafür sein könnte und ob er damit rechnen kann, seinen Geruchsund Geschmackssinn bald wieder zu haben. Vielen Dank und viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Also könnte natürlich, das darf man den Wissenschaftlern nie fragen – es könnte schon sein, ja, weil es, was wir hier haben, ist ja das offensichtlich die Entzündung weiter stattfin-


det. So wie es im Moment aussieht nach den aktuellen Daten ist es so, dass diese Geruchsstörung – das ist wirklich eine Entzündung rund um die Nervenfasern, rund um die Riechfasern, und nicht eine Durchtrennung etwa der Riechfasern. Und das Axon, also der eigentliche Nervenstrang selber ist auch nicht komplett kaputt, sondern es ist nur eine Entzündung. Das heißt natürlich prognostisch gesehen, muss man hoffen, dass diese Entzündung irgendwann wieder aufhört und dann natürlich der Geruchssinn wiederkommt. Rein theoretisch muss man auch sagen, kann eine Entzündung so lange dauern, dass der dann irgendwann den eigentlichen Nerv, sozusagen das Kabel innen drinnen, wenn ich das mal so sagen darf, zerstört. Das gibt es auch, aber dann muss sie schon eine ganze Weile dauern. In der Neurologie ist so eine klassische Größenordnung sechs Monate. Also was sich nach sechs Monaten nicht gebessert hat, ist meistens dann auch in der Reha hinterher zäh zur Behandlung. Da wird es dann mühsam, die Nerven wieder zu reaktivieren, sodass ich sagen würde, alles, was unter sechs Monate ist bei Geruchsverlust, hat noch eine gute Prognose. Zunächst mal. Aber ich habe auch schon von Leuten gehört, die durchaus länger Geruchsverlust hatten. Da wissen wir nicht, ob es jemals wiederkommt. Es gibt inzwischen Therapie-Programme, die experimentell versuchen was zu machen, z.B. mit Kortisongabe und Ähnlichem. Ich würde wahrscheinlich, wenn sich innerhalb von drei, vier Wochen nach der Infektion der Geruchssinn nicht wieder einstellt, würde ich damit schon mal zu einem Spezialisten gehen und fragen, ob der da was machen kann, bis hin zu der ja nicht völlig unbewiesenen, möglichen Wirkung einer Impfung, die man dann da drauf setzen kann, weil dann das Immunsystem unter Umständen diese autoimmunologische Entzündung, um die es sich ja hier handelt, außer Kraft setzt.



Camillo Schumann



Hier sind es sieben Monate in dem Fall.


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Alexander Kekulé


Ja, das habe ich natürlich mitgekriegt. Das ist schon ziemlich lang. Also sieben Monate ist so ein Zeitraum, wo man aus neurologischer Sicht schon anfängt, sich Sorgen zu machen, ob es zurückkommt. Aber, wie gesagt, die Daten, die wir bisher haben, sind so, dass wir keine AxonDegeneration haben. Also dass das Innere, diese Nervenzelle, wo quasi das elektrisch leitende Kabel ist – wenn ich das mal so in einem ganz schlechten Bild machen darf – das ist noch nicht kaputt. Aber außen rum ist so viel Entzündung, dass die Signalübertragung nicht mehr funktionieren. Und wenn man die Entzündungen in den Griff bekommt, die sicher eine autoimmunologische Komponente hat, dann heißt es am Ende, dass das ist schon sein kann, dass es alles wieder gut wird. Aber wie gesagt, das ist jetzt so ein Grenzfall mit den sechs Monaten. Sieben Monate ist schon ziemlich lange.


1:04:15



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 186.


Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder, bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei Youtube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 2 . Mai 2 02 1 #185: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Samstag, 2 2 . Mai 2 02 1


Können sich Coronaviren im Körper verstecken?


Wieso gehen die Infektionen saisonal im Frühjahr/Sommer zurück?


Wenn ich im Herbst die Corona-Auffrischungsimpfung erhalte, kann ich mich trotzdem gegen die Grippe impfen lassen?


Abakterielle Prostatitis, Gesichtslähmung. Verschwinden solche Impfreaktionen wieder?


Sollte man nach einer Impfung prophylaktisch einen Gerinnungshemmer einnehmen?


Ist im September eine Feier mit 100 Personen wieder möglich?


Wie steht es um die Langzeitnebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen?



Camillo Schumann



Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


00:54



Camillo Schumann



Frau A. aus Bremen hat geschrieben:


„Besteht theoretisch die Möglichkeit, dass sich Coronaviren nach einer überstandenen Erkrankung in den T-Zellen verstecken, somit eine erneute Erkrankung ohne Infektion von außen entstehen kann? Ähnlich, wie die Herpesviren in den Nervenzellkörpern im Körper überdauern und bei einer gestörten Immunabwehr des Körpers reaktiviert werden? Vielen Dank und viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Bei Coronaviren kennen wir das bisher nicht. Es gibt natürlich immer Überraschungen. Wir haben ja kürzlich eine Studie besprochen, dass Teile von Coronaviren möglicherweise eine ganze Weile überwintern können, irgendwo im Körper. Aber dass jetzt wirklich das Virus selber, wie bei den Herpesviren, so eine echte, versteckte Infektion, so eine latente Infektion machen würde, das kennen wir da nicht und halte ich jetzt auch für unwahrscheinlich. Das passt eigentlich sonst auch nicht zum Vermehrungszyklus dieser Viren.


01:50



Camillo Schumann



Dr. H. aus Kaufbeuren hat angerufen und diese Frage:


„Bei einem Patienten, der in China zweimal mit einem chinesischen Impfstoff geimpft worden ist, jetzt aber für die weitere Zeit in Deutschland ist, ob er nochmal geimpft werden soll mit einem hier zugelassenen Impfstoff oder ob das nicht notwendig ist.“



Alexander Kekulé


Ich würde das machen. Ich würde den nochmal impfen für alle Fälle. Weil erstens sind in China mehrere Impfstoffe unterwegs. Die haben einen Vektor-Impfstoff, den sie verwenden und mehrere Protein-Impfstoffe. Und da sind die Daten einfach widersprüchlich, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wir wissen, dass auch in China zum Teil jetzt zum dritten Mal geimpft wird – je nachdem, was man bekommen hat. Und der Sinopharm-Impfstoff, da ist es so, dass die dritte Impfung jetzt dort empfohlen wird. Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist es so, dass jetzt die dritte Impfung empfohlen wird mit dem chinesischen Impfstoff. Und da würde ich sagen: Wenn der schon hier ist, würde ich ihm dann etwas, was hier zugelassen ist, geben.


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02 :49



Camillo Schumann



Herr K. hat gemailt:


„Offensichtlich unterliegt das SARS-CoV-2  Virus auch einem gewissen saisonalen Einfluss. Ähnlich wie letztes Jahr sinkt die Häufigkeit im Mai stark ab und die Situation entspannt sich. Wieso gibt es diese Saisonalität nicht nur bei Sars-CoV-2 ? Und wo versteckt sich das Virus im Sommer? Ist diese Saisonalität jeweils umgekehrt zu den Ländern auf der Südund Nordhalbkugel der Erde? Viele Grüße, Herr K.“



Alexander Kekulé


Ja, um das letzte zu beantworten: Das ist genau so. Also immer da, wo gerade Herbst und Winter ist und sozusagen Erkältungssaison ist, da sind diese Erkältungsviren unterwegs. Das kennen wir ja bei der Influenza, aber auch bei anderen Erkältungsviren. Übrigens wird der Influenza-Impfstoff deshalb auch immer für die Nordhalbkugel und für die Südhalbkugel dann zeitversetzt ein halbes Jahr später produziert. Warum ist das so? Wir haben immer mehr Hinweise, woran das liegt. So ganz verstanden haben wir es interessanterweise nicht, wie das oft bei so einfachen Fragen in der Wissenschaft ist. Also, es sieht so aus, als hätte das mit der Lufttemperatur zu tun, mit der Luftfeuchtigkeit zu tun und mit dem Verhalten der Menschen, dass sie in geschlossenen Räumen sind. Diese drei Faktoren spielen eine Rolle, weil bei bestimmter Luftfeuchte und gewisser Temperatur sich, wenn ich so sagen darf, optimal fliegende Viruspartikel bilden beim Ausatmen – das sind ja kleine Tröpfchen, die wir ausatmen – und da muss dann die Feuchtigkeit verdunsten, damit die weit fliegen können. Hinterher entstehen dann solche kleinen Kondensationskerne, praktisch Mini-Staubpartikelchen, die dann halbwegs trocken sind. Und die können sehr weit fliegen, so ähnlich wie Zigarettenrauch. Und dieser Effekt, der braucht eben bestimmte Voraussetzungen. Die sind im geschlossenen Raum besonders gut gegeben. Die brauchen eine bestimmte Temperatur und Feuchtigkeit. Und das ist wohl der Haupteffekt, warum wir diese Saisonalität haben. Der zweite Effekt ist, dass die Menschen halt im Sommer eher draußen sind und im Winter eher drinnen. Und das wissen wir ja jetzt seit Corona ganz genau, dass das in geschlossenen


Räumen mit vielen Leuten gefährlich ist. Und ein weiterer Effekt, den man immer so diskutiert hat – das ist sozusagen nicht mein Favorit, aber den muss ich der Vollständigkeit halber erwähnen – ist, dass man ja weiß, dass die Schleimhäute im Winter eher anfällig sind. Die Kälte, die Austrocknung schädigen die Schleimhäute. Und dass man sagt: Vielleicht ist auch die Immunität in den Atemwegen dann dadurch schlechter, weil einfach die Kälte und die Trockenheit den Schleimhäuten zusetzt. Irgendwie eine Mischung aus den drei Faktoren ist es. Wir haben übrigens bei der CoronavirusPandemie an der Stelle wirklich viel dazugelernt, weil das früher ganz, ganz viele Fragezeichen waren. Und wir wissen ja jetzt bei Corona sehr, sehr genau, dass also der Hauptfaktor diese geschlossenen Räume sind mit der stehenden Luft und so weiter. Also diese Superspreading-Events. Wir wissen sogar – das ist eigentlich schon seit 2 003 von SARS bekannt – dass es ohne Superspreading eigentlich gar keine richtige Pandemie geben kann bei diesen Viren. Dass man so nur das Superspreading verhindern muss, um die massive Ausbreitung zu verhindern. Das ist ja ein Grund, warum wir praktisch keine Grippewelle jetzt im Winter hatten. Und das wird uns die nächsten Jahre natürlich auch helfen, um andere Erkältungskrankheiten im weitesten Sinne zu bekämpfen.


06:02 



Camillo Schumann



Frau S. hat gemailt:


„Ich bekomme Anfang Juni meine zweite Corona-Impfung. Im Herbst würde ich mich gern, wie jedes Jahr, gegen die alljährliche Grippe impfen lassen. Nach derzeitigem Stand wäre nach einem halben Jahr eine Auffrischung mit der Corona-Impfung erforderlich. Sind denn beide Impfungen möglich? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Ja, das kann man nach meiner Meinung einfach völlig unbedenklich machen. Ist auch nicht ganz klar, ob diese Auffrischung notwendig ist. Also, das mit dem halben Jahr ist einfach so eine Vorsichtsmaßnahme. Weil man da nicht so viele Daten hat, hat man gesagt: Na gut, gilt erstmal ein halbes Jahr, insbesondere natürlich für den GGG-Pass. Aber es ist so, dass ich mir gut vorstellen kann, dass man bis zum Herbst dann das nochmal revidiert und sagt: Das gilt


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länger, man muss keine Auffrischungsimpfung machen. Und dann ist ja auch noch völlig unklar, womit man die macht. Da kann ich nur noch einmal daran erinnern, dass Moderna eigentlich den Ansatz verfolgt, dass sie jetzt ganz massiv testen, ob es sinnvoll ist, einen an die Varianten angepassten Impfstoff zu machen. Die nehmen also die südafrikanische Variante so als Prototyp für diese neuen Varianten, wo offensichtlich Zweitinfektionen möglich sind. Es gibt ja noch die südamerikanische, brasilianische, die britische natürlich. Und jetzt aktuell hat ja auch die indische schon den Status variant of concern, also bedenkliche Variante, bekommen. Und all die werden möglicherweise durch einen anderen Impfstoff dann besser abgedeckt. Das wäre sozusagen die Impfung 2 .0. Und Pfizer ist ja dabei, im Moment noch zu untersuchen, ob man nicht einfach, wenn man mit dem gleichen Impfstoff nochmal impft, das Immunsystem so nochmal anschubsen kann, dass es dann auch gleich die Varianten mit einkassiert. Eins von beiden wird wohl kommen. Aber es ist keineswegs sicher, dass das nach sechs Monaten ist. Vielleicht noch ein letztes: Das Robert Koch-Institut empfiehlt ja, im Umfeld der Corona-Impfung 14 Tage Pause zu machen zu anderen Impfungen. Also, den Impfabstand von 14 Tagen einzuhalten. Das ist eigentlich unüblich bei Impfstoffen, die keine Lebendimpfstoffe sind. Und das hat man hier wirklich aus äußerst besonderer Vorsicht gemacht, weil es einfach ein erster Impfstoff ist, den man noch nicht kennt. Wo man nicht weiß, ob es vielleicht irgendwelche Interferenzen gibt, dass er dann schwächer wirkt. Und es kann auch gut sein, dass diese Empfehlung dann im Herbst wieder aufgehoben wird, wenn man sieht, darauf kommt es eigentlich nicht so sehr an, sodass möglicherweise dann auch ohne Sicherheitsabstand Influenza und Covid-19 – sofern es überhaupt nötig ist bei Covid-19 – gegeben werden können.


08:38



Camillo Schumann



C. aus Gotha hat uns geschrieben:


„Ich bin 31, arbeite als Erzieherin im Kindergarten. Vor sechs Jahren wurde mir operativ ein großer Sequester an der Lunge entfernt. Weiterhin leide ich an verschiedenen Allergien. Die Grippe-Impfung habe ich in den vergangenen


Jahren nicht mehr machen lassen, da es mir danach sehr schlecht ging. Jetzt wurde mir von meinem Hausarzt gesagt, dass die Impfung gegen Covid-19 ebenfalls sehr starke und eventuell gefährliche Nebenwirkungen bei mir auslösen kann. Was raten Sie mir? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Also, so ein Sequester, muss man nochmal sagen, wer das nicht weiß: Es ist so, dass in der Lunge das vorkommt, dass durch chronische Entzündungsprozesse quasi Teile abgestoßen werden. So ähnlich wie man das, was weiß ich, auf der Haut manchmal beim Pickel hat, dass sich dann da was bildet, was nach außen rausgeht. In der Lunge kann das aber eben nicht nach außen weg. Und darum wird es nach innen sozusagen abgesondert sequestriert. Und wenn jemand so etwas hat, dann ist das ein Hinweis auf eine chronische Entzündung, die da lange stattgefunden hat. In so einer Situation würde ich dringend zur Impfung raten, weil da ist man wirklich eine ganze klare Risikoperson, um nach einer Covid-Infektion zu sterben. Und zwar unabhängig vom Alter in dem Fall. Und ja, es ist so, dass Allergiker natürlich unter Umständen eine starke Reaktogenität auszuhalten haben. Aber das wird sicherlich dann auch, wie die Hörerin da beschreibt, nach Influenza-Impfung so gewesen sein. Aber das sind alles Probleme, die reversibel sind. Das geht wieder weg. Ja, da hat man diese Nebenwirkungen, da fühlt man sich 2 Tage schlecht. Ich bin immer der Meinung, es kommt ein bisschen darauf an, welche innere Einstellung man zu dieser Tortur dann hat. Wenn man sich so ein bisschen einbildet: Mein Immunsystem arbeitet hier gerade und macht mich schön immun gegen das Virus. Dann fühlt man sich gar nicht so schlecht dabei. Aber wenn man das Gefühl hat, man hat jetzt irgendwie Teufelszeug von der Pharmaindustrie gespritzt bekommen, dann geht es einem subjektiv gleich viel schlechter. Und ich würde wirklich dafür plädieren, das erste Bild sich vor Augen zu nehmen und zu sagen: Da muss ich jetzt durch. Das ist so ähnlich wie die Sauna, so ein bisschen, wo man sich ja auch nicht wirklich gut dabei fühlen kann bei den Temperaturen, aber irgendwie das Gefühl hat, das tut einem trotzdem gut.


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10:52 



Camillo Schumann



Frau A. hat angerufen, sie hat Großes vor:


„Wir wollen Ende September unser 50-jähriges Abitur-Jubiläum feiern mit circa 100 Personen aus sechs Klassen. Lohnt es sich, die Feierlichkeiten weiterhin vorzubereiten? Oder wird eine Feier mit so vielen Menschen zu dieser Zeit noch nicht möglich sein? Und wir sollten vielleicht das Fest lieber um ein Jahr verschieben? Vielen Dank für Ihre Antwort.“



Alexander Kekulé


Es ist natürlich immer schwierig, da in die Kristallkugel zu gucken. Ich kann nur sagen: Ich würde es machen, ich würde das jetzt vorbereiten. Vielleicht jetzt nicht gerade die teuerste Band der Welt jetzt schon fest buchen. Also, bei den Verträgen kann man ja auch durchaus heutzutage so Corona-Klauseln reinschreiben. Aber ich meine mit 100 Ende September, da sehe ich jetzt natürlich eine Veranstaltung, die tendenziell eher draußen ist. Gerade, wenn es 50-jähriges Abitur-Jubiläum ist, dann werden die jetzt nicht in den Partykeller sich verziehen. Und deshalb glaube ich, wenn man da einen Teil draußen notfalls gestalten kann, wenn ein Großteil der Menschen geimpft ist – wenn ich jetzt mal rechne: Abitur, 2 0 plus 50 ist 70, das dürften dann alles Leute sein, die sozusagen auch eine Impfberechtigung jetzt schon haben. Da wäre ich optimistisch an der Stelle.


12 :05



Camillo Schumann



Herr Z. hat gemailt:


„Ich bin 40 und vor rund zehn Tagen mit AstraZeneca geimpft worden. Ich habe die Impfung gut vertragen. Allerdings stellte sich einen Tag später ein merkwürdiges Phänomen ein. Ich verspürte plötzlich einen übermäßigen Harndrang, der 2 Tage später in starke Unterleibsschmerzen überging, was mich dann sogar zum Notdienst in ein Krankenhaus trieb. Es wurde keine Entzündung im Blutbild und auch nicht im Urin gefunden. Die Symptome haben sich dann auch wieder abgeschwächt, der verstärkte Harndrang ist aber geblieben. Ein befreundeter Arzt schließt nicht aus, dass es sich um eine Impfreaktion, gegebenenfalls eine allergische Reaktion auf das sich ausbreitende Spike Protein handelt, welche eine abakterielle


Prostatitis ausgelöst haben könnte. Ist dies möglich? Ich finde keine vergleichbaren Fälle. Wichtigste Frage: Würden solche Impfreaktionen wieder abklingen? Mit freundlichen Grüßen, Herr Z.“



Alexander Kekulé


Also, die wichtigste Frage: Sowas klingt hinterher wieder ab. Also, da würde ich jetzt auch nicht im Traum daran denken, deshalb auf die zweite Impfung zu verzichten. Ich muss jetzt zugeben, dass es eine Prostatitis nach einer Impfung gibt – also, ich habe schon viel gehört, aber das müsste ich jetzt wirklich auch nochmal sehr gründlich recherchieren, ob das schon mal vorkam. Das ist zumindest wenn, dann eine ganz exotische Sache. Und es ist jetzt nicht so, dass das unbedingt das Spike Protein sein muss, weil bei AstraZeneca diese Reaktogenität eben in erster Linie wohl gegen den Vektor geht, also gegen das Adenovirus. Und möglicherweise – das ist nicht ganz klar – auch ein Teil davon eben Verunreinigungen geschuldet sein könnte, wie wir beim letzten Mal besprochen haben. Aber ich würde jetzt erstmal sagen: Das war höchstwahrscheinlich eine coincidence. Also etwas, was zufällig zusammengetroffen ist. Das halte ich für unwahrscheinlich, dass sich das wiederholt nach der Zweitimpfung und sogar auch für unwahrscheinlich, dass es mit der Impfung zusammenhängt.


13:58



Camillo Schumann



Und eine weitere unangenehme Impfnebenwirkung wurde beobachtet. Professor D. fragt deshalb:


„Ich wende mich an Sie, weil mir eine Frage gestellt wurde, die ich selbst nicht beantworten kann. Und zwar hat die Frau meines Neffen, die am letzten Sonntag mit Moderna-Impfstoff geimpft wurde, jetzt eine Lähmung im Gesicht entwickelt, mit gleichzeitig motorischen Störungen und aber auch sensiblen Störungen. Und sie geht deswegen auch in neurologische Abklärung. Was sie aber wissen möchte, ist: Kann sie sich nochmals mit Moderna-Impfstoff impfen lassen? Oder soll sie einen anderen bekommen? Oder lieber gar nicht?“


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Alexander Kekulé


Also, zunächst mal: Das ist nicht völlig überraschend, aber sehr selten. Es gibt tatsächlich – nach Impfungen aller Art – gibt es manchmal Nervenlähmungen, im schlimmsten Fall das sogenannte Guillain-Barré-Syndrom. Das geht dann so weit, dass es quasi fast wie eine Querschnittslähmung auftreten kann. Das ist eine immunologische Reaktion, eine Autoimmunreaktion, die sich gegen einen bestimmten Teil des Nervengewebes richtet und dadurch eben diese Lähmungen zur Folge hat. Zum Glück sind die typischerweise reversibel. Ist auch ganz gut, dass dann früh zu behandeln, muss man das Immunsystem unterdrücken. Und ja, das sind extrem seltene, aber bekannte Komplikationen nach Impfungen, weil eben manchmal das Immunsystem aus Gründen, die wir nicht verstehen, so überreagiert. Und da ist es durchaus auch möglich, dass eine Gesichtsnervlähmung, der Nervus facialis heißt der, der Gesichtsnerv, einseitig gelähmt ist. Das kommt durchaus vor. Aber um es nochmal zu sagen: Es ist eine extrem seltene Nebenwirkung irgendwo im Kleingedruckten. Und das nimmt man bei jeder Art von Impfung im Prinzip in Kauf. Ich würde schon sagen, wenn es abgeklärt und völlig abgeklungen ist – das muss man natürlich jetzt erstmal abwarten, wie das dann ist, ob die Neurologen dann überhaupt diese Diagnose stellen, dass es damit im Zusammenhang steht, das kann natürlich immer auch ganz viele andere Gründe haben, dass man eine Gesichtsnervlähmung hat. Aber wenn dann wirklich am Schluss bei rauskommt, es lag wohl an der Impfung, dann heißt das nicht, dass man nicht nochmal impfen dürfte. Es ist nicht so, dass jemand, der einmal Guillain-Barré hatte, jetzt dann beim nächsten Mal eine statistisch stark erhöhte Wahrscheinlichkeit hat dafür, das nochmal zu bekommen. Andererseits ist es in der Praxis so, ganz ehrlich gesagt: Die meisten, die das erlebt haben, haben dann natürlich solche Hemmungen davor, dass sie – selbst, wenn der Arzt empfehlen würde, nochmal zu impfen – das dann eigentlich nicht machen.



Camillo Schumann



Aber Sie würden es schon empfehlen?



Alexander Kekulé


Ich würde abwarten, wie die Diagnose ist. Ob


das komplett ausgeheilt, ob es überhaupt damit zusammenhängt. Und man kann grundsätzlich sagen: Das wiederholt sich interessanterweise nicht. Es ist nicht so, dass man quasi dann bei der nächsten Impfung wieder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür hat. Allerdings muss man sagen, die Daten dafür sind relativ wenig, weil das ist eine extrem seltene Erkrankung und dass einer die dann zweimal kriegt bei 2 verschiedenen Impfungen, da ist die Datenbasis natürlich sehr gering.



Camillo Schumann



Und wahrscheinlich auch den Impfzeitraum zwischen erster und zweiter Impfung dann voll ausreizen, möglicherweise auch noch ein bisschen drüber gehen.



Alexander Kekulé


Da würde ich auf jeden Fall länger warten, weil die Diagnostik und das Ausheilen von so einer Gesichtsnervlähmung, das dauert eine Weile.


17:19



Camillo Schumann



Frau S. hat angerufen. Sie will es ganz genau wissen:


„Welche Laborparameter kann man neben den IgG-Antikörpern noch bestimmen? Zum Beispiel zur Überprüfung der T-Zell-Immunität. Wären neutralisierende Antikörper sinnvoll? Ich möchte hier bewusst so detailliert wie möglich testen, da ich immunsuppressive Medikamente einnehmen und eine große Infektionsgefahr durch meinen 15-jährigen Sohn über den Schulbesuch habe.“



Alexander Kekulé


Ja, das ist relativ schwierig. Also, es geht um die Frage: Kann man durch einen Bluttest feststellen, ob man immun ist oder nicht? Also, es gibt tatsächlich – sozusagen in der Wissenschaft – gibt es tatsächlich inzwischen Tests für besondere neutralisierende Antikörper. Gibt es jetzt auch gerade neue Studien, die wir vielleicht mal demnächst besprechen können, wo man wirklich sagen kann: Da ist jetzt inzwischen die Korrelation erstaunlich gut. Dass man bei ganz bestimmten Tests also sagen kann: Okay, wenn das und das vorliegt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Immunität besteht. Das sind aber keine Verfahren, die man einfach so irgendwo im Labor be-


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stellen kann, sondern das machen Forschungsgruppen. Und da gibt es dann vielleicht weltweit fünf Arbeitsgruppen, die das richtig gut können. Und das dann irgendwo ins Ausland zu schicken dafür, das lohnt sich eigentlich nicht. Also, ich würde – bevor ich da lange rummache – ich würde den normalen Antikörper-Titer bestimmen. Man sagt ja, wenn der über 50 ist, der normale IgG-Titter mit einer der modernen Methoden – es gibt so ein bisschen ältere Verfahren, aber inzwischen hat man so modernere zweistufige Verfahren – wenn der über 50 ist, dann ist das eigentlich ein deutlicher Hinweis darauf, dass da noch Immunität besteht. Wenn der im Bereich zwischen 2 00 und 300 ist, dann kann man sich eigentlich im Moment mehr oder minder entspannen, wenn es jetzt nur um die individuelle Entscheidung geht. Und im Zweifelsfall einfach nochmal impfen. Also, bevor man jetzt mit den Bluttests so viel macht, steht ja eigentlich nichts dagegen, einfach die zweite Impfung zu machen.


19:15



Camillo Schumann



Frau Dr. L. hat eine Mail geschrieben:


„Ich lebe in Kathmandu, Nepal, wo wir derzeit den Höhepunkt der Pandemie erleben. Anfang Juni werden es drei Monate sein, seit ich die erste Dosis von AstraZeneca erhielt. Doch ein Impfstoff ist hier derzeit nicht in Sicht. Gibt es Untersuchungen und Erkenntnisse darüber, ob die Wirksamkeit der zweiten Dosis nach einem längeren Intervall als zwölf Wochen nachlässt? Viele Grüße, Frau Dr. L.“



Alexander Kekulé


Da gibt's wenige Studien. Das wird zwar im Moment gerade untersucht, aber die Studien sind noch nicht offen, nach 96 Tagen wird, glaube ich, gerade geprüft. Aber das ist so, dass diese Studien dann, wie man sagt, geöffnet werden, erst zu einem bestimmten Zeitpunkt. Also, die Daten werden nicht vorher bekanntgegeben. Ich würde vermuten, dass eigentlich eine spätere zweite Impfung keinen Nachteil macht, sondern tendenziell eher Vorteile, weil wenn man den Impfabstand etwas länger wählt erfahrungsgemäß dieser BoosterEffekt der Auffrischungsimpfung sogar etwas stärker ist. Natürlich ist es so, mit nur einer Impfung von AstraZeneca in Kathmandu zu


sein – da ist ja jetzt gerade die Welle von Indien rübergeschwappt und das ist das wirklich eine Katastrophe dort, die sich da anbahnt. Also, ich kann nur empfehlen, sich überhaupt nicht darauf zu verlassen, dass das eine Schutzwirkung hat, zumal ja dort die indische Variante unterwegs ist. Und da ist relativ klar, dass das Virus, was in dem Impfstoff von AstraZeneca drinnen ist, dass das sich doch deutlich unterscheidet von dem, was jetzt im Moment in Indien zirkuliert. Sodass ich davon ausgehen würde, dass man sich hier überhaupt nicht darauf verlassen kann. Vielleicht sogar darüber nachdenken sollte, die zweite Impfung mit dem RNA-Impfstoff zu nehmen, weil da gibt es Daten, dass die indische Variante doch eher abgehalten wird.


2 1:01



Camillo Schumann



Sie ist ja vor Ort und hat dort jetzt keine Möglichkeit, sich mit mRNA, zum Beispiel, zu impfen. Die Überlegung, vielleicht nach Hause zu fliegen?



Alexander Kekulé


Wegen eines Virus zu flüchten, so weit würde ich jetzt nicht gehen. Ich persönlich. Aber man muss wirklich sagen, die Frage ist, wie gut man sich schützen kann. Also, wenn man jetzt dort zum Beispiel als Entwicklungshelfer eingesetzt wäre und die Hilfsorganisation hat keine Schutzmasken oder Ähnliches: Das wäre der Moment, wo ich an das nach Hause fliegen denken würde. Aber wenn man jetzt nicht in so einer Extremsituation ist, kann man sich natürlich auch in Kathmandu schützen.


2 1:35



Camillo Schumann



Eine Dame hat uns eine Mail geschrieben. Und die Dame möchte gern anonym bleiben. Sie schreibt:


„Ich bin 65, wurde letzte Woche mit dem Impfstoff von BioNTech geimpft. Dabei wurde mir und anderen Geimpften ohne spezielle Diagnose empfohlen, prophylaktisch 2 Wochen lang Xarelto 2 ,5 Milligramm einzunehmen. Da ich diese Empfehlung noch nie von jemand anderem gehört habe, möchte ich gern Ihre Meinung dazu wissen und würde mich über eine Antwort freuen.“


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Alexander Kekulé


Also, die Idee, einen Blutverdünner zu nehmen – Xarelto ist so ein Blutverdünner – als Prophylaxe nach der Impfung und dann auch noch bei BioNTech, finde ich jetzt spontan abwegig, muss ich ganz ehrlich sagen. Will jetzt keinen Kollegen da angreifen, der das offensichtlich empfohlen hat. Aber es ist so, dass es ja überhaupt keine Hinweise gibt, dass man überhaupt nach BioNTech-Impfungen, also RNAImpfstoffen, überhaupt Thromboserisiken hat. Da in diese Richtung geht das. Und es ist sogar bei der Covid-Infektion selber nicht ganz klar, ob die prophylaktische Einnahme von Blutverdünnern – das wird ja zum Teil in Studien untersucht – ob das wirklich was bringt. Ich tendiere dazu, ja, dass es was bringt. Aber es ist nicht so, dass es klar ist, ob das zum Beispiel bei leichten Verläufen einen Unterschied macht. Und deshalb würde ich sagen: Das habe ich noch nie gehört und da sehe ich keine Evidenz, dass das was bringen könnte.


2 2 :56



Camillo Schumann



Herr R. hat uns gemailt, er hört den Podcast regelmäßig.


„Bei Diskussionen im Familienund Bekanntenkreis landet die Diskussion dann häufig um das Pro und Contra von Covid-19 Impfungen. Und bei der Frage: Wer kann mir garantieren, dass eine Impfung mit einer relativ neuen Technologie – mRNA – welche in fünf oder zehn Jahren heute unbekannte, gravierende Nebenwirkungen verursacht – und zwar nicht als seltene Randerscheinung, sondern systemisch bei allen oder einem großen Teil der Geimpften – wenn man das nicht garantieren kann, woher nehmen die Entscheidungsträger die ausreichende Gewissheit, eine solche Impfung trotzdem zu genehmigen oder sogar zu empfehlen? Dabei sind dann sofort die Beispiele Pandemrix und Narkolepsie auf dem Tisch. Vielen Dank für die Einordnung. Herr R.“



Alexander Kekulé


Tja, also Pandemrix und Narkolepsie ist natürlich so eine Steilvorlage für mich. Das ist, glaube ich, nicht mehr so bekannt, dass es bei der Schweinegrippe 2 009 – bei der sogenannten letzten Influenza-Pandemie – da gab es das Pandemrix, das war der GlaxoSmithKline Impfstoff. Und da habe ich ja quasi wie David gegen


Goliath irgendwie gesagt, davor gewarnt, diesen Impfstoff zu verwenden. Es gab wüste Auseinandersetzungen zwischen dem Paul-EhrlichInstitut und mir. Und am Schluss wurde der Impfstoff, erstens, in Magdeburg verbrannt zum großen Teil, in einer Müllverbrennungsanlage. Und zweitens hat man dann später diese wahrscheinlich nicht ganz sichere Assoziation zur Narkolepsie gefunden. Deshalb fragen Sie da den richtigen, wenn ich mal so sagen darf. Aber trotzdem, obwohl ich damals – deshalb ist es wichtig, das hier zu sagen nochmal – obwohl ich damals wirklich klar gesagt habe: Das ist, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, dass man diesen speziell adjuvantierten Impfstoff damals gegen die Schweinegrippe verwendet hat. Die bis heute gute Freundschaft zum Robert Koch-Institutes ist übrigens aus der damaligen Zeit begründet. Das ist so, da sage ich eben jetzt dann in vollem Bewusstsein: Heute ist es so, dass wir überhaupt keine Hinweise darauf haben, dass die RNA-Impfstoffe irgend so eine Langzeitwirkung machen könnten. Ja, es gibt ein paar Fragezeichen bei den Lipiden. Kann schon sein, dass der eine oder andere da allergisch drauf reagiert. Das ist aber alles kurzfristig. Wir haben Hinweise, dass das Virus selber, also das SARS-CoV-2  Virus – obwohl es ein RNA-Virus ist – tatsächlich sozusagen versehentlich mal sich ins Erbgut einklinken kann. Dass das umgeschrieben wird in eine DNA – das war ein ganz spektakuläres Ergebnis, was kürzlich bestätigt wurde – und in die Wirtszelle sich einklinken kann. Aber da sprechen wir jetzt von der Virusinfektion, also nicht von dem Impfstoff, sondern von einer Virusinfektion. Und bei der Virusinfektion ist es eben so, dass bestimmte Mechanismen in der Zelle umgeschaltet werden. Konkret, wenn ich erinnern darf, diese sogenannte Reverse Transkriptase aktiviert wird, die eben da gebraucht wird für dieses Einklinken der Erbinformation in das Genom des Wirts. Also, in das zelluläre Genom dessen, der geimpft wurde. Das alles haben wir nicht einmal ansatzweise bei der Impfung auf der Liste, sodass ich sagen muss: Es gibt keinen Mechanismus, den ich jetzt beschreiben könnte, wo ich auch nur hypothetisch sagen würde: Ja, das macht in 30 Jahren die und die Komplikation. Aber wir kennen natürlich die Geschichte – und ich glaube, darauf zielt die


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Frage von Herrn R. ab – wir kennen die Geschichte und wir wissen, dass es in der Geschichte der Medizin immer überraschende Dinge gab, wo man nicht im Traum daran gedacht hätte, dass das diese Nebenwirkung hat. Oder überhaupt in der Geschichte der Technik. Das kann ja komplett aus dem Nichts kommen. Und wir haben ständig neue Erkenntnisse, wo wir nie gedacht hätten, dass das so ist, ein paar Jahre vorher. Und deshalb muss ich als Wissenschaftler sagen: Ja, es gibt immer die Möglichkeit, dass eine völlig neue Technologie, die gerade jetzt mal ein halbes Jahr lang im Einsatz ist – so muss man das sagen – dass die sich nach fünf Jahren als mit einer Nebenwirkung behaftet herausstellt, die man eben vorher nicht gesehen hat. Oder nach zehn Jahren. Diese Entscheidung muss jeder für sich selber treffen. Und ich finde, da ist das Wichtigste der Blick auf das Geburtsdatum. Wenn Sie, sage ich mal, Ü-60 sind, dann ist die Entscheidung völlig klar für die Impfung aus meiner Sicht. Wenn Sie sich fragen, ob Sie eine Schwangere impfen wollen oder ein Kind, was gerade unter zwölf Jahren ist, da ist die Entscheidung eben viel, viel schwieriger, weil Sie eben auch mit berücksichtigen müssen, dass Dinge, die in drei Jahren oder in zehn Jahren passieren – auch, wenn sie komplett unwahrscheinlich sind, auch, wenn wir jetzt wirklich keine Vorstellung davon haben und ich wäre die richtige Adresse, um Ihnen zu sagen, wenn es eine gäbe – aber wir haben keine Vorstellung davon, was es sein könnte. Aber trotzdem ist es nicht auszuschließen, dass muss man ganz klar sagen, muss jeder sich selber überlegen. Das Wichtigste ist die Einschätzung des individuellen Infektionsrisikos. Wenn Sie sagen: So eine COVID-19-Infektion – inzwischen sind die Daten ja auf dem Tisch – was weiß ich, ich bin 2 5, die Wahrscheinlichkeit, dass ich sterbe, ist gering. Long Covid würde ich notfalls in Kauf nehmen, kann ja auch sein, dass sich das noch ausheilt. Und wenn ich dann halt mein Leben lang, im allerschlimmsten Fall, meinen Geruchssinn verliere oder Ähnliches, das ist für mich nicht so schlimm wie dieses rein theoretische Langzeitwirkungsrisiko einer Impfung. Dann müssen Sie sich dagegen entscheiden. Und in anderen Fällen eben dafür. Das ist extrem schwierig, da eine allgemeine Empfehlung zu geben. Aber nein, man kann es nicht letztlich ausschließen.


2 8:31



Camillo Schumann



Und noch der Hinweis an dieser Stelle, weil Sie es erwähnt hatten: Wie sich das Virus in unser Erbgut einnisten kann, haben wir besprochen in Ausgabe 181. Ja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 185 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank an dieser Stelle, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag nach Pfingsten wieder, bis dahin. Bleiben Sie schön gesund.



Alexander Kekulé


Gerne. Sie auch. Bis dann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés CoronaKompass gibt es unter Audio & Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 0. Mai 2 02 1 #184



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zur Sendung:


Studie: AstraZeneca Sinusvenenthrombosen durch verunreinigten Impfstoff? (04.05.2 02 1) Process-related impurities in the ChAdOx1 nCov-19 vaccine | Research Square


Donnerstag, 2 0. Mai 2 02 1


Mit dem digitalen Impfnachweis durch Europa reisen. Ende Juni soll es soweit sein. Gibt es eine schnellere Lösung?ƒ163


Dann: Die Rolle der Impfverweigerer. Wie stark beeinflussen sie den Erfolg der Impfkampagne?


Außerdem: Sinusvenenthrombose nach AstraZeneca-Impfung durch verunreinigten Impfstoff? Eine Studie gibt Hinweise.


Und: Wie viele Menschen sterben eigentlich nach einer Corona-Impfung?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


0:59



Camillo Schumann



Ja, die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz, die sinkt weiter. Heute bei 68, also die 50 ist


gar nicht mehr so weit weg. Alle Bundesländer, bis auf Thüringen, sind unter 100. Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sogar unter 50. Und das Ostseebad Eckernförde, das ja Mitte April als Modellstadt für Touristen Hotels, Restaurants und Schwimmbäder öffnen durfte, hat sogar eine Sieben-Tage-Inzidenz von 0. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Immer noch konstant rund 2 00 Menschen pro Tag, die an oder mit Covid-19 sterben. Wie ist das erklärbar?



Alexander Kekulé


Ja, dass Menschen noch sterben, also ich bin nicht ganz sicher, woran das liegt. Also, es gibt 2 verschiedene Modelle sozusagen. Die optimistische Variante wäre die, dass das einfach der übliche Zeitverzug ist, den wir sehen. Es ist ja klar, dass es zwischen dem Anstieg der Inzidenz oder auch dann dem beginnenden Abfall der Inzidenz und der Sterblichkeitskurve so eine Verzögerung von mindestens vier Wochen gibt. Da kommt im Moment noch dazu, dass die Patienten etwas jünger sind, tendenziell, als am Anfang und dadurch natürlich länger im Krankenhaus sind. Und falls Sie daran sterben, das auch länger dauern kann. Sodass ich mir vorstellen könnte, dass diese Verzögerung vielleicht noch etwas länger ist. Aber das wäre die optimistische Variante, dass man sagt: Na ja, das kommt schon noch, wird alles besser. Man kann natürlich auch etwas pessimistischer sich das ansehen. Und das ist, dass man sagen muss: Es sind ja nach wie vor einige Mitglieder der Risikogruppen noch nicht geimpft. Das betrifft sowohl eben Menschen über 60 – wenn ich mal so pauschal sagen darf – als auch eben in ganz bestimmten Blasen Subpopulationen, wo man die zu impfenden schwer erreicht und wo vielleicht auch so Sicherheitsregeln nicht so gut eingehalten werden. Das wäre die andere Erklärung, dass wir einfach Teile der Bevölkerung haben, bei denen eigentlich diese Epidemie einfach weitergeht. Relativ ungebremst. Und das, was wir da sehen, sind dann die Menschen, die hier auf der Intensivstation liegen und sterben.


03:00



Camillo Schumann



Wenn man sich die Inzidenz der 60bis 79-Jährigen anschaut, die liegt bei 41, weiter stark


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sinkend. Und der über 80-Jährigen bei 30. Welcher Hinweis auf die beiden Theorien wäre das?



Alexander Kekulé


Das kann man daraus noch nicht ablesen, weil die Inzidenz sinkt natürlich jetzt, das ist klar. Aber 30 bei den Hochaltrigen heißt natürlich immer noch, dass da einige von sterben werden. Und ich glaube, mein Eindruck ist – auch wenn die Daten ja leider nicht vorliegen. Das ist ja immer unser Problem. Da kann das Robert Koch-Institut nichts dafür. Aber das wird eben bei uns zum Teil nicht so sauber gemeldet, auch aus einer gewissen politischen Korrektheit heraus. Und dadurch wissen wir einfach zum Teil nicht genau, wer das ist, der sich da infiziert und wir sehen aber erst dann hinterher, wer auf den Intensivstationen liegt. Mein Eindruck ist aber schon, dass wir einige Regionen in Deutschland haben, wo wir zu wenig tun. Also, zum Teil sind es Menschen mit Migrationshintergrund natürlich. Zum Teil sind es Menschen, die aus kulturellen Gründen einfach die Vorstellung haben, dass das jetzt nicht so wichtig sei, sich da zu schützen oder auch zu impfen. Zum Teil sind es aber auch ideologische Gründe. Das gibt's ja auf der Schwäbischen Alb durchaus, dass da halbe Dörfer irgendwie der Meinung sind, dass Impfungen Teufelszeug sind. Wir haben auch in den neuen Bundesländern vereinzelt ländliche Regionen, wo man doch schon deutlichen Widerstand der Bevölkerung auch spürt. Und das war jetzt keine abschließende Liste natürlich. Aber all diese Phänomene führen dazu, dass wir nie bei 83 Millionen sozusagen alle auf Linie bringen, dass die sich schützen oder impfen.


04:39



Camillo Schumann



In Thüringen nehmen die Neuinfektionen auch ab. Trotzdem liegt das Bundesland als einziges über einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100. Eigentlich auch logisch, immerhin kommt es ja von der höchsten Zahl an Neuinfektionen deutschlandweit. Dementsprechend dauert es natürlich. Warum es nicht schneller geht, hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow diese Woche im ZDFMorgenmagazin so erklärt:


„In den Städten ist die Inzidenz schon deutlich runter und im ländlichen Raum ist sie immer


noch viel zu hoch. Wir haben eine Sondersituation gehabt. Die war entlang der Ostthüringer Landkreise eingetragen, sehr stark eingetragen durch Arbeitspendler, die aus Tschechien jeden Tag nach Thüringen einreisen zur Arbeit. Dort haben wir auch sehr früh die britische Mutation gehabt. Und von der sind wir einfach nicht weggekommen. Deswegen müssen wir jetzt über die Immunisierung gehen, damit wir tatsächlich dauerhaft auch die 100 unterschreiten in ganz Thüringen.“


Das ist der erste Teil der Erklärung. Also, die Berufspendler haben das Virus ins Land gebracht, vor allem auch aufs Land. Und im zweiten Teil der Erklärung, warum auf dem Land in Thüringen die Inzidenz nach wie vor sehr hoch ist, hat er Folgendes gesagt:


„Es scheint mir so zu sein, dass man auf dem Land etwas unvorsichtiger ist. Dass der Eindruck sich verfestigt hat, dass, wenn man zum Geburtstag der Tante geht, wenn die einen runden Geburtstag hat und 80 wird, dass man denkt, man hat schon alle Vorsicht walten lassen, wenn statt der sonst angekündigten 60 oder 80 Personen nur 30 kommen. Aber auch 30 ist schon viel zu viel. Oder wenn man glaubt, man könne so eine kleine Feier unter Jugendlichen machen – wir haben jetzt wieder mehrere solcher Fälle gehabt, wo ein gewisses Maß an Unvorsichtigkeit sich breitgemacht hat. Und da ist unsere Erfahrung, dass tatsächlich im städtischen Milieu die AHA-Regeln konsequenter angewandt worden sind, wie im ländlichen Raum.“


Also, die Berufspendler haben das Virus eingeschleppt und das Ganze traf dann auf eine unvernünftige Landbevölkerung in Thüringen. Ist das plausibel?



Alexander Kekulé


Ja, das ist jetzt zumindest nicht unplausibel. Das kann schon sein, dass das hier so ein Effekt war. Es ist immer wahnsinnig schwierig für so ein ganzes Bundesland einheitlich eine Erklärung zu finden. Ich habe so den Eindruck gehabt, dass Herr Ramelow das auch ganz gut gemacht hat. Also, so mit der Vergröberung der Brille, die man da einfach haben muss. Ich habe 2 Punkte, wo ich jetzt nicht so ganz mitgehen würde. Das eine ist, dass er sagt, die Mutante hat auch eine Rolle gespielt. Das war


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ja quasi das Vorhergesagte. Ich kann mich gut erinnern, als die Briten immer gesagt haben: Die Mutante ist schuld. Boris Johnson damals oder als die Iren gesagt haben: Die Mutante war schuld und nicht die Öffnung an Weihnachten, dass die Zahlen hochgegangen sind. Da war ja absehbar, dass in Deutschland Politiker das dann auch instrumentalisieren würden. Also, das liegt nicht an der Mutante. Das kann ich nur noch mal sagen. Die Mutante kommt dann, wenn man die Maßnahmen nicht einhält. Und die Mutante ist ja auch nicht ein Thüringer Phänomen, sondern die ist bundesweiter ja jetzt dominant, diese britische Mutante B.1.1.7. Das andere ist, dass ich nicht ganz so optimistisch bin – das hört man aus der Politik ja sehr oft – dass das Impfen uns jetzt sozusagen auf der geraden Linie da rausholen kann. Nach dem Motto: Wir müssen jetzt impfen, anstatt andere Maßnahmen zu ergreifen. Bisher ist der Impfschutz mit den wenigen, die bisher vollständig geimpft sind und auch den teilweise Geimpften in Deutschland noch lange weit, weit entfernt von irgendwelchen Herdenimmunitätseffekten. Gerade in den Gruppen, die sich – wie Herr Ramelow beschrieben hat – vielleicht eher unvernünftig verhalten, weil die, die sich nicht impfen lassen, häufig auch die sind, die sich an die Maßnahmen nicht so gehalten haben. Und deshalb würde ich davor warnen, zu denken, man kann jetzt kurzfristig die Impfung als Ausweg suchen. Sicherlich langfristig wird das irgendwie uns schützen. Ich sag mal bis zum Herbst. Aber jetzt so in den nächsten Wochen wird es nicht so viel bringen. Was mir noch eingefallen ist – also ich, wie gesagt, ich muss ganz offen sagen, das ist jetzt nicht so mein home turf. Wenn man immer nur im Büro und im Labor sitzt, dann hat man nicht so viel Blick auf die Welt draußen. Aber mein Eindruck ist auch, dass man auf dem Land – zumindest in Bayern kenne ich das aus eigener Anschauung ganz gut – da ist einfach auch die polizeiliche Kontrolle nicht so streng. Bis da mal die grüne Minna vorbeifährt, das hat eher Seltenheitswert auf irgendwelchen Dörfern. Und in der Fußgängerzone in der Großstadt werden sie halt sofort gesehen und erwischt, im Zweifelsfall von Überwachungskameras, wenn sie sich nicht an die Maßnahmen halten. Also möglicherweise ist auch die fehlende Kontrolle hier ein


Faktor, den ich vielleicht an Herrn Ramelows Stelle noch auf dem Schirm hätte.


09:15



Camillo Schumann



Und er hat ja gesagt, dass Thüringen eine andere Impfstrategie hat, auf vollständig Geimpfte setzt, da auch deutschlandweit Spitzenreiter ist jetzt unter anderem, mit Sachsen teilen sie sich Platz 1 mit 15,7 Prozent. Also vollständig Geimpfte anstatt erstmal viele Erstgeimpfte. Ist das vielleicht auch ein Problem?



Alexander Kekulé


So weit würde ich nicht gehen, weil auch bei den Erstgeimpften der Immunitätseffekt noch nicht da ist. Also der bevölkerungsmäßige Effekt natürlich – bezüglich der Risikogruppen schon. Ich habe mir das auch, was Sie gerade sagen, vor ein paar Tagen mal genauer angesehen. Also, wenn man so guckt, wieviel Prozent Erstgeimpfte und wie viel Prozent zweimal Geimpfte haben wir in welchen Bundesländern – da sind die Zahlen ja veröffentlicht – und wie sieht es mit der Inzidenz aus? Da sieht man also keine Korrelation im Moment. Also, das wäre Kaffeesatz lesen, da irgendwas abzuleiten.


10:07



Camillo Schumann



Die Impfungen, die kommen aber so grundsätzlich gut voran. Das kann man sagen. Fast 40 Prozent Erstimpfungen, rund zwölf Prozent sind das zweite Mal geimpft worden durchschnittlich. Im Juni könnte es dann nochmal einen richtigen Impfturbo geben, denn dann sind fast 6 Millionen Impfdosen pro Woche angekündigt. Und schaut man sich die Impfbereitschaft der Bevölkerung an, dann stellt man fest: Sie nimmt offenbar zu. Fast drei Viertel, 74 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind derzeit bereit, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen oder haben schon eine Dosis erhalten. Das hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergeben. Nur mal zum Vergleich: Ende Dezember lag die Impfbereitschaft noch bei 65 Prozent. Jetzt 74 Prozent. Zehn Prozent sind noch unentschlossen. Und 15 Prozent sagen, sie lehnen die Impfung ab. Würden diese 15 Prozent „Impfverweigerer“ den Gesamterfolg der Impfkampagne gefährden?


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Alexander Kekulé


Aus meiner Sicht auf keinen Fall. Also, damit müssen wir einfach Leben. Ich finde auch nicht, dass man Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – das dann nach reiflicher Überlegung ablehnen, da irgendwie durch die Hintertür quasi einen Impfzwang auferlegen sollte. Und wir haben ja sowieso nie eine perfekte Situation. Das ist ja hier sozusagen keine militärische Truppe, die vom Einsatz geimpft werden muss, wo auf keinen Fall was schiefgehen darf, sondern wir sind eine dynamische Gesellschaft. Da kommen Leute, die zuziehen aus dem Ausland. Da kommen Kinder neu dazu. Da kommen auch neue Varianten dazu, wenn man die im weiteren Sinne auch hier als Teil unseres Systems betrachtet. Und in dieser gesamten Gemengelage, da gibt es ja auch Menschen, bei denen die Impfung nicht funktioniert. Selbst wenn man 95 Prozent Schutz hat, heißt es ja nach Adam Riese, dass fünf Prozent – aus welchem Grund auch immer – nicht richtig funktioniert haben. Und in dieser gesamten Gemengelage würde ich jetzt sagen: Die 15 Prozent Verweigerer, mit denen kann der Rest der Gesellschaft ganz gut leben.


12 :01



Camillo Schumann



Also, ist sozusagen unser Ziel, im Sommer wieder oder zumindest dann irgendwann nächstes Jahr wieder ein normales Leben zu führen, jetzt von den 15 Prozent jetzt nicht abhängig?



Alexander Kekulé


Überhaupt nicht. Ich gehe davon aus, dass wir ab dem Herbst eigentlich nur aus zusätzlichem Sicherheitsbedürfnis, sozusagen als Extra-Maßnahme, weiterhin Masken tragen werden in geschlossenen Räumen, zumindest im öffentlichen Bereich. Aber es wird so sein, dass wir insgesamt durch die stattgehabten Infektionen und durch die Impfungen insgesamt so einen deutlichen Herdenschutz – ich spreche immer ungern von Herdenimmunität – aber so einen deutlichen Herdenschutz haben werden. Wir werden weiterhin Infektionen haben. Vor allem, falls da neue Stämme kommen, neue Varianten kommen, die vielleicht auch bei Geimpften oder Genesenen nochmal eine Infektion machen können. Aber die Hoffnung ist wirklich da, dass im Herbst – wenn ich mal so sagen darf – der Spuk vorbei sein wird.


12 :57



Camillo Schumann



Sie haben gesagt, es wird eine große Zahl sein und Sie sagen ja auch, eine Impfung ist und soll auch eine freiwillige Sache bleiben. Es gibt aber natürlich, ich sage mal, einen Gewissen sozialen Druck, sich impfen zu lassen. Und wir haben ja auch gerade die Zahlen gehört: 74 Prozent – das nimmt zu – der Menschen, die sich impfen lassen wollen. Möglicherweise auch aus dem Antrieb heraus, wieder Freiheiten genießen zu können. Weniger medizinische Gründe. Ein Kollege von Ihnen, Christian Drosten von der Charité in Berlin, hat den Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, so ein bisschen – aus meiner Sicht – Angst gemacht. Er hat gesagt: 100 Prozent, nicht 70 oder 80, sondern 100 Prozent in der Bevölkerung werden unweigerlich in einem Fenster, das von jetzt noch so anderthalb Jahre läuft, immun werden. Entweder durch die Impfung, oder – und jetzt wird es interessant – durch eine natürliche Infektion. Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Wer sich jetzt aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren. Mit allem, was dazugehört. Intensivstation, etc. 100 Prozent. Geht diese Rechnung wirklich auf?



Alexander Kekulé


Das müssen wir natürlich in eineinhalb Jahren nochmal prüfen, ob er da recht hatte. Also, erstens: Was auf jeden Fall stimmt ist dieser Begriff, das Virus wird endemisch werden. Damit meint man das, was wir hier auch schon oft besprochen haben. Das Virus ist gekommen, um zu bleiben. Das wird nicht weggehen. Ich finde, das ist eine wichtige Nachricht, auch an die Bevölkerung, weil zum Teil ja auch in der Vergangenheit immer gesagt wurde, wir werden diese Pandemie beenden oder Ähnliches. Das finde ich sehr wichtig, dass jetzt ein großer Protagonist und ausgezeichneter Fachmann hier das auch nochmal sagt, dass man sich darauf einstellen muss. Ich bin jetzt nicht so drastisch in der Forderung und auch nicht so pessimistisch bei der Prognose – aus verschiedenen Gründen. Also, erstens: Sozusagen zu sagen, Impfung oder Infektion. Das klingt für mich so ein bisschen nach Tod oder Taufe, was man früher im Mittelalter hatte. Ich glaube, diese Alternative stimmt schon mal nicht. Und zwar


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deshalb, weil ja auch Leute, die geimpft wurden, können natürlich – wenn eine neue Variante kommt – danach nochmal eine Infektion bekommen. Es ist keine knallharte Entoder weder Entscheidung. Und dann von der Statistik her, kann ich es ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Es ist ja so: Wenn weniger Menschen infiziert sind, also sozusagen andere anstecken können, dann sinkt ja die Wahrscheinlichkeit, dass man sich selber ansteckt. Und wenn man sich zusätzlich auch noch vernünftig verhält, dann kann man das auch ein bisschen mitsteuern. Also, diese ganz einfache Rechnung, da braucht man, glaube ich, kein Epidemiologe zu sein. Wenn jetzt zum Beispiel, ich sag mal nur so von der Wahrscheinlichkeit, wenn man jetzt mal eine Inzidenz von 2 0 hat zum Beispiel – es wird ja wahrscheinlich noch weiter sinken – wenn Sie eine Inzidenz von 2 0 haben, dann heißt es, dass sich in einer Woche 2 0 Personen infiziert haben von 100.000. Jetzt wissen wir auch, dass die Ansteckungsfähigkeit, die ist etwas kürzer als sieben Tage, also eher so vier Tage. Das heißt also, dann sind von den 100.000 ich sag mal so ungefähr 15 vielleicht gerade ansteckend, in der Größenordnung. Dann haben Sie also eine Wahrscheinlichkeit von 15 aus 100.000, dass sie jemanden treffen, der angesteckt ist, der infektiös ist, wenn sie quasi überall rumlaufen und einen engen Kontakt haben. Meinetwegen in der Fußgängerzone, in der U-Bahn oder irgendwo anders. Die Wahrscheinlichkeit, sich dann, wenn sie so jemandem überhaupt begegnen, dann auch noch sich zu infizieren, ist ja nicht 100 Prozent, sondern – die sogenannte AttackRate nennen wir das, also die Wahrscheinlichkeit, dass bei so einem engeren Kontakt es zur Infektion kommt – liegt vielleicht so bei zehn Prozent in der Größenordnung, vielleicht 2 0 Prozent. Je nachdem, was Sie da machen in der U-Bahn mit dem Fremden. Und dann müssen Sie das immer weiter runter rechnen, sodass Sie also eigentlich dann sagen müssen, dann müssten sie am Tag dann schon in der Größenordnung von – wenn ich jetzt mal über einen Daumen peile – 2 0 bis 30.000 Menschen treffen um dann irgendwie so eine Art sicheres Ereignis in kurzer Zeit zu erzeugen, statistisch sicheres Ereignis. Und das ist natürlich ganz offensichtlich nicht der Fall. Also, ich vergleiche


es mal. Jeder kennt ja wahrscheinlich diese Autoscooter, die man bei den Volksfesten hat. Da fährt man mit so einem kleinen Elektroauto rum und ich versuche immer so zu fahren, dass mich keiner anrumpelt. Das ist gar nicht so einfach, weil irgendwie wollen die anderen immer ständig rumpeln. Und jetzt stellen Sie sich vor, die Autoscooter-Fläche ist so groß wie ein Fußballfeld und es sind außer Ihnen nur drei andere Scooter da. Dann können Sie durch halbwegs vernünftiges fahren mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit verhindern, dass Sie einer von den wenigen anrumpelt. Das wäre ganz was anderes, wenn die Fläche knallvoll ist und sehr viele da sind. Das nennen wir in der Infektiologie Infektionsdruck. Und der Infektionsdruck – also sozusagen der Druck der anderen, die Sie anrempeln wollen, der Viren, die Sie infizieren könnten – der nimmt einfach drastisch ab, wenn nur wenige Infizierte rumlaufen. Und darum würde ich jetzt mal sagen: Wenn man halbwegs vernünftig sich verhält mit Maske, Abstand und so weiter, hat man eine faire Chance, innerhalb von eineinhalb Jahren sich eben nicht zu infizieren. Und wenn es einer schafft, sind Sie schon nicht mehr bei 100 Prozent. Vielleicht kann man sich auch andere Krankheiten anschauen, so zum Vergleich. Also, ich sage mal was ganz Drastisches. Vielleicht hat Christian Drosten daran gedacht, das kann sogar sein. Also, wir kennen in der Epidemiologie das Beispiel von den Faröer-Inseln. Die sind da oben in der Nähe von Island, am Ende der Welt, irgendwo im Nordmeer. Und da gab es den berühmten Fall, den jeder kennt bei uns. 1846 ist ein Tischler aus Kopenhagen rübergefahren – das gehört ja zu Dänemark oder gehörte zumindest damals wohl – und ist da rübergefahren. Und da gab es 7800 Einwohner ungefähr. Und weil die noch nie Masern hatten oder ganz lange keine Masern hatten und dieser Tischler die Masern eingeschleppt hat, ist praktisch die ganze Insel erkrankt. Da hat praktisch jeder aus der Inselgruppe, praktisch jeder die Masern gekriegt. 100 Prozent, fast 100 Prozent Infektionsquote. Aber die wussten gar nicht, was da ist. Zu der Zeit ist diese Infektionskrankheit nicht verstanden gewesen. Und die Infektion Masern ist viel ansteckender als Sars-CoV-2  als Virus. Und es ist so, dass das zugleich passierte, also das ist quasi wie eine Welle durch die ganze Insel gegangen.


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Die haben sehr enge Kontakte gehabt. Da ist es ja auch kalt. Man ist in geschlossenen Räumen, da machte es sozusagen Peng und alle sind infiziert. Wenn Sie die reale Welt, also heutige Situationen anschauen: Die Influenza, die macht in sehr schlimmen Wintern mal so 10 Millionen Infizierte, aber niemals 83 Millionen. Und die anderen Coronaviren – wir haben ja noch so 2 Coronaviren, die in Europa zirkulieren, das eine ist auch ein Betacoronavirus wie das SARS-CoV-2 , das heißt OC43 und das andere heißt 2 2 9E, was auch immer das ist – die machen alle zusammen in der Saison ungefähr zehn Prozent der Infektionen, der Erkältungen aus. Zehn Prozent. 90 Prozent sind andere Viren. Und nicht jeder wird ja jeden Winter immer erkältet, sodass Sie auch da schon sehen: Also, Richtung 100 Prozent geht es nicht, weil Sie eben den Effekt haben, dass es nacheinander ist, dass es saisonal ist und dadurch, dass es nacheinander ist, hat man eben so einen Effekt, die, die es schon durchgemacht haben oder die geimpft sind, schützen letztlich die anderen. Anders als damals auf den Faröer-Inseln, wo ja niemand geimpft war. Und deshalb glaube ich, dass, wenn wir so einen Herdenschutz haben, die wenigen, die eben sich nicht angesteckt haben, dass die schon eine Chance haben, möglicherweise lebenslang nicht infiziert zu werden, weil eben das Virus dann eine Seltenheit ist, wenn sich alle anderen regelmäßig impfen. Was gut sein kann, ist, dass wir alle Jahre wieder uns neu impfen müssen, weil eben kein Universalimpfstoff gefunden wird gegen die Varianten, die da auftauchen. Das kann schon sein, dass uns das jetzt noch ein paar Jahre begleitet, bis dann weltweit die Pandemie abebbt. Aber ich würde nicht so pessimistisch sein, dass sich jetzt wirklich 100 Prozent der Bevölkerung, so oder so, Tod oder Taufe sozusagen, impfen oder krank werden. So weit würde ich nicht gehen.


2 1:09



Camillo Schumann



Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Es wird immer so einen Bodensatz an Menschen geben, die dann auch nie Kontakt mit SARSCoV-2  hatten. Ist das denn bei der Influenza denn auch noch so, obwohl wir das schon seit vielen, vielen Jahren kennen?



Alexander Kekulé


Ja, wenn Sie mal so überlegen. Also, ich selber hatte ziemlich sicher dreimal im Leben eine richtige Influenza, also eine klassische Influenza A. Und wenn Sie das dann pro Jahr runterrechnen oder pro Saison runterrechnen, dann kommen Sie natürlich nicht auf eine Trefferquote von 100 Prozent in eineinhalb Jahren. Über das ganze Leben gerechnet, wenn jetzt der Kollege gesagt hätte, die Chance, sich im ganzen Leben früher oder später mal Sars-CoV2  zu holen, wenn man nicht geimpft ist, da würde ich sagen: Ja, da muss man schon sehr aufpassen, damit es dann gar nicht mehr passiert. Aber 18 Monate für alle, sozusagen hundert Prozent Infektionswahrscheinlichkeit, das kann ich jetzt zumindest so nicht nachvollziehen. Da müsste man ihn vielleicht mal in den Podcast einladen und das mal ausdiskutieren. Vielleicht gibt es da gute Gründe.


2 2 :13



Camillo Schumann



Er sagt ja immun. Also, zum einen entweder Impfung oder unweigerlich dann die Infektion.



Alexander Kekulé


Aber das heißt ja, dass alle nicht Geimpften unweigerlich als einzige Alternative die Infektion kriegen. Und wie gesagt, erstens stimmt das oder nicht, weil man kann leider auch nach der Impfung noch die Infektion kriegen. Und zweitens aber – was wichtiger ist – ich glaube nicht, dass jetzt, was weiß ich, alte Leute, die irgendwo auf dem Land wohnen und noch ein paar Freunde haben, dass die sich nicht schützen können. Und auch in den Städten ist es ja so, wenn Sie sich wirklich vorstellen, es sind sehr, sehr viele Menschen immunisiert, dann ist einfach die Wahrscheinlichkeit, überhaupt auf jemanden zu treffen, der gerade ansteckend ist, extrem gering. Und bei einer niedrigen Inzidenz dann sowieso. Und dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, wenn man den trifft, sich dann überhaupt zu infizieren – das haben Sie auch ein bisschen selber in der Hand durch Ihr Verhalten. So ähnlich wie beim Autoscooter, wo man ein bisschen noch selber lenken darf. Und deshalb glaube ich unterm Strich, also, ich kann es zumindest nicht ganz nachvollziehen. Aber wie gesagt, ich respektiere, wenn jemand da einen pessimistischeren Blick hat. Es ist ja auch wichtig, dass Virologen,


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sage ich mal – gerade weil die Politik ja manchmal so entspannt sich geriert – dass die Virologen zumindest mal die mahnende Position einhalten. Aber für die, die jetzt dadurch erschrocken sind, kann ich vielleicht rekapitulieren. Vor einem Jahr hat ja Christian Drosten geschätzt, dass sich innerhalb kurzer Zeit 70 Prozent der Bevölkerung infizieren werden mit diesem Virus, damals ausgehend von einer Sterblichkeit von einem bis 2 Prozent. Und das wären ja über eine halbe Million Tote. Und das sind wir auch weit weg von. Also, sicher war das damals kein falsches Szenario, das war sicher rein mathematisch nicht falsch gerechnet. Aber man kann halt immer in solchen Situationen eine optimistischere Position einnehmen oder eine pessimistischere. Und ich glaube, was er da geäußert hat, war sicher auch bewusst sozusagen der absolute Worst Case. Und dafür sehe ich jetzt keine Anzeichen, dass es so kommen sollte.


2 4:15



Camillo Schumann



Auf Vorbereitung auch jetzt auf das Thema Impfbereitschaft, Impfquote, weil mich diese 74 Prozent doch sehr überrascht haben, weil im Verlaufe der Pandemie hat sich das ja jetzt wirklich gesteigert. Am Anfang war das ja noch relativ wenig. Und ich habe mal geschaut, nur zum Vergleich: Die Impfquote bei der Grippeschutzimpfung ist in Deutschland jetzt nicht besonders groß. Gerade mal 35 Prozent der über 65-Jährigen lassen sich gegen die Grippe impfen. Nur mal zum Vergleich: In Korea sind es 85 Prozent. Logisch, wir haben mit dem Influenzavirus auch ein Virus, das wir seit vielen Jahren kennen. Viele Menschen hatten auch Kontakt. Aber nur 35 Prozent der über 65-Jährigen, die ja auch ein erhöhtes Risiko haben, dann auch zu sterben, ist jetzt nicht unbedingt viel, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das stimmt. Also, vor allem, ich weiß die Zahlen nicht genau. Aber noch schlimmer ist eigentlich die Tatsache, dass sich auch im medizinischen Bereich das medizinische Personal größtenteils nicht impfen lässt gegen Influenza. Ja, also ich glaube, da sind mehrere Effekte. Das eine ist natürlich, wir haben jetzt so einen akuten Angstmacher bei Covid-19. Das ist ganz klar. Das ist irgendwie etwas Unbekanntes, wie


Sie richtig sagen. Ich glaube, dass da mehr Menschen einfach bereit sind, sich impfen zu lassen. Das ist ja letztlich auch der Grund, warum wir die Impfung auch empfehlen, weil das eine Erkrankung ist, die eben dann unvermittelt bei Personen, wo das Risiko schwer einzuschätzen ist, dann zum Tod führen können. Das andere ist, glaube ich, dass wir im Moment natürlich eine Überlagerung haben mit dem Wunsch nach Urlaub und Ähnlichem. Da bin ich nicht so glücklich darüber. Das ist jetzt keine virologische Aussage, sondern eher so eine ethische Überlegung. Ich finde, Menschen quasi mit Goodies zu locken und zu sagen: Ihr dürft dann auch wieder eure Grundrechte wahrnehmen, wenn ihr euch impfen lasst. Das ist eine ganz ambivalente Sache. Und darum bin ich auch so ein bisschen vorsichtig mit drastischen Mahnungen, sondern ich finde, das muss man alles mit Augenmaß machen. Jemand soll sich impfen lassen, weil er nach Abwägung aller Risiken und Nutzen sagt: Das ist für mich gesundheitlich sinnvoll und vielleicht auch noch für mein Umfeld, für meine Mitmenschen. Aber ich glaube, dass man sagt, nur dann darfst du den Urlaub fahren, das ist so eine ganz einfache Sprache. Ich glaube, die ist uns Deutschen nicht würdig. Wir sind klug genug. Und die deutsche Bevölkerung versteht schon, wenn man es ihr etwas genauer erklärt.



Camillo Schumann



Herr Kekulé, das sagt ja keiner. Wer sich impfen lässt, darf dann auch in den Urlaub fahren.



Alexander Kekulé


Ja, aber ich glaube schon, dass das manchmal so durchgehört wird.



Camillo Schumann



Im Subtext, ja.



Alexander Kekulé


Und ich meine auch, dass das, wie Sie richtig sagen, bei manchen Menschen ein Teil der Motivation ist, dass die durch die Impfung ihre Freiheiten wollen und nicht so sehr sich den medizinischen Aspekt da ganz genau überlegt haben. Und dann gibt es natürlich noch den anderen Aspekt. Ich meine, man sieht jetzt einfach, da sind ja – mit den RNA-Impfstoffen insbesondere – sind ja weltweit Hunderte von Millionen geimpft worden und man sieht, diese Nebenwirkungen sind extrem gering. Und wir


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sehen an einzelnen wenigen Beispielen, wo dieser Herdeneffekt schon einsetzt – Israel ist der Klassiker – sehen wir: Aha, das Impfen führt wirklich dazu, dass die Krankheit zurückgeht. Und all das haben vielleicht manche Menschen erstmal abgewartet, was ich durchaus nachvollziehen kann. Und das sind vielleicht die zehn Prozent, die damals gesagt haben: Ich warte noch ab. Und die jetzt sagen: Nee, ich lasse mich impfen. Und natürlich ist dann insgesamt auch der Peer Pressure größer geworden. Der soziale Druck auf das Impfen, aus welchen Gründen auch immer. Und das verfälscht ja bekanntlich bei solchen Umfragen dann auch ein bisschen die Antworten.


2 7:44



Camillo Schumann



Das ist der Durst, in Gemeinschaft mal wieder ein Bier zu trinken. Das kann natürlich auch sein, dass man sagt: Mensch, ich will wieder in den Biergarten mit meinen Freunden.



Alexander Kekulé


(lacht) Durst ist schlimmer als Heimweh.



Camillo Schumann



(lacht) Genau. Aber egal, ob geimpft oder nicht. Bis zum Start des Sommerurlaubs, spätestens am 1. Juli, soll es eine EU-weite Corona-App auf dem Smartphone geben, mit der man dann reisen kann. Die App, die soll den Impfstatus beinhalten oder den genesenen Status oder ein aktuelles Testergebnis. Die Pilottests in zehn Ländern waren laut EU-Kommission auch schon sehr erfolgreich. Bis Ende kommender Woche soll die App dann in 2 2  Staaten in der EU getestet werden. Ein paar Länder und das EU-Parlament, die diskutieren noch über Details, da geht es um Geld. Wer zahlt die Tests, etc.? Man soll ja nicht den Tag vor dem Abend loben, Herr Kekulé, aber das hört sich doch erstmal nach einer vernünftigen Lösung an, oder nicht?



Alexander Kekulé


Ja, das sieht eigentlich optimistisch aus. Also, wenn man mal glauben will, was da aus Brüssel kommt, dann haben die sich in Kürze geeinigt plus eine hervorragende App auf die Schiene gesetzt und dann auch noch die Voraussetzungen geschaffen, dass mit dieser App dann sinnvoll dieses GGG nachgewiesen werden kann. Genesen, geimpft oder getestet. Ich würde,


ganz ehrlich gesagt an der Stelle ein Plädoyer für was Anderes loswerden wollen: Wir sollten uns nicht alleine auf die EU-App verlassen. Also, ich glaube, wenn wir diese EU-App kriegen, wie die das jetzt sagen und diesmal nicht enttäuscht werden, was die Zeitachse betrifft – da gibt es ja viele Beispiele, wo es anders gelaufen ist – dann ist es gut und da freuen wir uns alle. Aber wir brauchen ja diesen Nachweis hauptsächlich im Inland. 99,9 Prozent der Situationen sind doch: Sie wollen zum Friseur, Sie wollen einen Massagetermin oder sonst was, wo dann vielleicht der Impfstatus wichtig sein kann. Und die Auslandsreisen, das ist ja nun nicht das Tagesgeschäft. Und deshalb würde ich sagen: Um im Inland ganz schnell einen halbwegs brauchbaren Ausweis zu haben, sollte man parallel eine zweite Strecke jetzt schon beginnen. Für den Fall, dass das mit der EU nicht schnell genug klappt.



Camillo Schumann



Zweite Strecke wie muss ich mir das vorstellen?



Alexander Kekulé


Praktisch das Wichtigste ist doch jetzt Folgendes im Moment, wenn man so ein bisschen in die Zukunft guckt: Da gibt es also diese App. Die soll ja bekanntlich so laufen, dass in Brüssel dann zentral EU-weit die Daten zusammenlaufen und irgendwie Freigabe-Codes dann von Brüssel generiert werden auf einem Server. Da wird es auf jeden Fall so sein, dass digitale Daten von den Mitgliedsländern nach Brüssel übermittelt werden müssen, damit das überhaupt funktioniert. Und deshalb ist der Schritt, der jetzt ganz entscheidend ist – und das ist wirklich zeitkritisch, weil man es jetzt machen muss – ist sozusagen die Digitalisierung der analogen Daten. Weil im Moment ist es ja noch so, dass irgendwelche Listen in irgendwelchen Impfzentren und Arztpraxen rumliegen, wo draufsteht, wer wann wie wo geimpft wurde. Und das dann nachträglich zu digitalisieren, da müssen die Leute noch einmal zurück sozusagen. Da gibt es ja jetzt die Diskussion: Nicht Schwerter zu Pflugscharen, sondern Arztpraxen zu Bürgerbüros heißt es im Moment. Das heißt also, jede Arztpraxis soll da so eine Servicestelle haben, um irgendwelche Dokumente auszugeben. Also, ich würde dringend dafür plädieren: Jetzt, wenn geimpft wird – und im


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Moment laufen ja die Zweitimpfungen im großen Stil, das ist ganz wichtig, weil man jetzt quasi die Dokumente machen könnte – dass jeder von der Impfstelle, also von dem Arzt, der gerade impft, jetzt schon einen Code in die Hand gedrückt bekommt, mit dem man dann hinterher – zum Beispiel über eine Webseite oder Ähnliches – sich dann entweder selber den Ausweis machen kann, falls die Brüsseler noch nicht so weit sind, oder den man dann verwenden kann, um sich zu verifizieren in Brüssel. Aber das würde ich jetzt machen, quasi direkt ab morgen am liebsten an jeder Impfstelle in jeder Arztpraxis ausgeben. Zusammen mit der Impfung, mit dem Stempel im Impfausweis einen Zettel, wo ein arztgenerierter Code mit drauf ist, der maschinenlesbar ist. Aber ich sage mal nur ein Beispiel, wie man so einen Code machen könnte. Damit man versteht – das ist jetzt nur eine Möglichkeit, also Datenschützer oder Datenleute können sich da etwas Anderes ausdenken wird. Der Arzt müsste ja nur einmal am Tag eine Nummer generieren oder feststellen. Und diese Nummer könnte zum Beispiel bestehen, erstens, aus seiner Zulassungsnummer bei der Ärztekammer, seiner Mitgliedsnummer bei der Ärztekammer. Die hat jeder Arzt in Deutschland. Zweitens: Aus seiner Postleitzahl. Und drittens: Aus dem aktuellen Datum. Das ist datenschutzrechtlich völlig unbedenklich. Also, das ist dann einfach nur eine Nummer. Die generiert er und wenn er nett ist zu seinem Patienten, kann er mit irgendeinem Web-Interface daraus auch einen QR-Code machen, dann ist es direkt maschinenlesbar oder anderweitig ist diese Nummer drauf. Wenn man dann im zweiten Schritt, falls Brüssel nicht in die Pötte kommt – Sie hören schon durch, ich habe die Befürchtung, dass es so sein wird – wenn man im zweiten Schritt dann einfach ein Web-Interface zur Verfügung stellt, wo sich jeder selber eintragen kann. Wie er heißt, seinen Namen, die üblichen Daten, am liebsten auch ein Foto hochladen – das finde ich auch eine Schwäche bei der Brüsseler Lösung, dass da kein Foto ist, da können Sie ja dann beim Eintritt in die Bar oder zum Friseur alles Mögliche vorzeigen – und das würde man dann hochladen auf ein Web-Interface und eben diese vom Arzt generierte Nummer dazu. Und dann könnten Sie postwendend sich entweder selber ausdrucken einen Ausweis oder


Sie kriegen ein Plastikkärtchen zugeschickt, wie die Ungaren das machen. Warum ist das besser? Weil es einfach sofort funktioniert, weil ein Foto dabei ist und es ist meines Erachtens auch ausreichend fälschungssicher. Weil dadurch, dass die Daten ja dann einmal zentral gespeichert sind mit dieser Nummer, wo der Impfarzt und das Datum stehen, weiß ja jeder: Wenn ich da was Falsches eintrage und jetzt eine Fälschung irgendwie generiere, das ist 100 Prozent ganz einfach beweisbar, dass ich dann Betrug begangen habe, weil der Impfarzt im Zweifelsfall noch die Liste hat von den Leuten, die er an dem Tag geimpft hat, wenn es zum Schwur kommt. Und ich glaube nicht, dass jetzt die Menschen – also, Urkundenfälschung sind, glaube ich, fünf Jahre Strafmaß – dass die Menschen jetzt mit der Aussicht, fünf Jahre in den Knast zu gehen, dass sie sowas dann im großen Stil versuchen, um irgendwie ohne Tests zum Friseur zu kommen. Darum glaube ich, für das Thema, um das es hier geht – so ein einfacher Nachweis im Inland – ist das Richtige, die richtige Maßnahme in gewisser Weise die Erkenntnis, dass die Taube auf dem Dach aus Brüssel da vielleicht auch noch eine Weile sitzen bleiben wird. Und das andere ist, dass wir diesen ganz entscheidenden Schritt von der analogen Welt in die digitale Welt dann zugleich mit der Impfung vollziehen und nicht in einem zweiten Durchgang hinterher machen müssen.


34:2 6



Camillo Schumann



Und dieser digitale Impfnachweis, dieser Code, der wird ja zum Beispiel in Thüringen schon praktiziert als Testballon allerdings. In anderen Bundesländern auch an manchen Impfzentren. Also, da gibt es schon vereinzelt Bestrebungen, sowas zu tun. Und das wäre ja auch eine super Vorbereitung, wenn dann der Schalter umgelegt wird, das EU-weit zu machen. Man hätte die Infos ja schon. Man müsse die dann nicht erst nachträglich generieren.



Alexander Kekulé


Das ist genau der Punkt. Ja, diese Pilotprojekte, die gehen so ähnlich. Das ist ja klar, dass das jetzt keine geniale Idee ist, die nur einer hatte. Aber ich will nur sagen: Das Wichtige ist, dass man darauf hinweist, dass nicht immer die technisch beste Lösung, sozusagen die Taube


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auf dem Dach, ja, die eierlegende Wollmilchsau. Die soll ja aus Brüssel kommen und dann GGG machen. Ja, also ich frag mich sowieso, wie man den getesteten Status dann nachweisen will. Ich habe große Zweifel, dass das überhaupt möglich ist. Daher würde ich einfach ganz pragmatisch ja, wir haben es ja jetzt nur noch, im Grunde genommen, mit einem Sommer bis zum Herbst zu tun, wo das jetzt mal aktuell brennt. Danach werden wir die Sache hoffentlich in ruhigerem Fahrwasser behandeln. Und deshalb würde ich ganz pragmatisch sagen, wie ich es gerade erklärt habe, eine einfache Lösung, die den Vorteil hat, dass die Digitalisierung zugleich läuft. Und das ist für die Ärzte ja sozusagen null Aufwand, einmal am Tag so eine Nummer aufzuschreiben und dann einen Zettel auszudrucken, die sie jedem Patienten, der geimpft ist, mitgeben. Man muss vielleicht nochmal sagen, bei der anderen Lösung gibt es ja auch noch viele Fragezeichen. Also, zum Beispiel ist es ja so: Innerhalb der EU mag es ja dann sein, dass, wenn dieses Wunder von Brüssel passiert, dass zum ersten Mal die EU-Mitgliedstaaten sich so schnell einigen und dann auch noch die App funktioniert und die dann auch noch beim End-User überall funktioniert – da muss ja jeder Friseur dann in der Lage sein, das auszulesen – und das auch noch halbwegs als fälschungssicher gilt, obwohl kein Foto drin ist und so weiter. Also, wenn dieses Wunder passiert, dann ist es ja immer nur noch das Wunder der Europäischen Union. Weil, sobald Sie außerhalb der EU Urlaub machen wollen, gilt das ja alles nicht mehr. Das heißt also, für den Thailand-Urlaub müssten sie dann doch wieder den gelben Lappen rausholen, weil der gelbe Impfpass der Weltgesundheitsorganisation ist nun mal das international akzeptierte Reisedokument. Und ich finde es ja ganz toll, wenn man Sachen digitalisiert. Klar, habe ich jetzt noch gut in Erinnerung, wie das gelaufen ist bei der sogenannten Corona-App. Aber ich finde es gut, wenn man das jetzt nochmal versucht. Aber spätestens, wenn Sie dann in Bangkok beim Zoll stehen: Die wollen einen ganz normalen, old-fashioned Pass sehen. Die wollen dieses Papierding sehen und dazu den gelben Impfausweis von der WHO.


37:06



Camillo Schumann



So, Herr Kekulé. Bei der Vorbereitung auf diesen Podcast, da sammeln wir ja interessante, spannende Studien. Wählen Sie ja dann auch aus unter der Prämisse, dass sie für unsere Hörerinnen und Hörer wichtig sein könnten. Und bei der nächsten Studie ist das auch wieder so. Es geht um den Impfstoff von AstraZeneca. Der hat ja in den letzten Monaten viel Kritik einstecken müssen. Und leider reißt diese Kritik auch nicht ab. Es kam ja zu Hirnvenenthrombosen und auch die Nebenwirkungen nach der ersten Impfung, die sind besonders stark. Forscher der Uni Ulm, die kommen in ihrem Preprint nun zu der Schlussfolgerung, dass diese Nebenwirkungen und Impfreaktionen Folge von Verunreinigung sein könnten. Denn die Forscher, die haben jede Menge sogenannte Protein-Verunreinigung entdeckt. Und bevor wir auf diese Studie eingehen, erstmal so grundsätzlich: Verunreinigung bei der Herstellung von Impfstoff. Was bedeutet Verunreinigung eigentlich in diesem Fall?



Alexander Kekulé


Normalerweise heißt Verunreinigung, dass Sie im Produktionsprozess irgendetwas haben, was unkontrolliert mit in die Charge reinkommt, in den Impfstoff. Und das heißt jetzt unter Normalbedingungen, dass Sie keine Chance haben, eine Zulassung zu kriegen. Und wenn so etwas gefunden wird, nachträglich, wird die Zulassung sozusagen postwendend zurückgerufen, zurückgenommen. In dem Fall ist es so: Wir haben natürlich bei diesen modernen, nicht nur Impfstoffen, sondern den Biologicals, wie die dann im weiteren Sinne da heißen – also alles, was sozusagen biotechnologiemäßig hergestellt wurde – das sind ja immer entweder Bakterien, die was produziert haben oder menschliche oder tierische Zellen in der Zellkultur, aus denen irgendwelche gentechnisch veränderten Dinge produziert werden. Und die müssen dann aufgereinigt werden. Und da haben wir immer das Problem, dass die Qualitätssicherung eigentlich Neuland ist. Dass die alte Methode, wie man früher – da will ich jetzt keinen Vortrag halten – aber wie man früher so die Reinheit von Injektionsmedikamenten getestet hat, das gilt hier alles nicht. Man braucht eigene Methoden, um zum Beispiel si-


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cherzustellen, dass, wenn Sie so eine menschliche Zelle haben, die irgendwelche, wie in dem Fall, Viren produziert – dieser AstraZenecaImpfstoff, das sind ja Adenoviren, die den Impfstoff enthalten, die aber nicht vermehrungsfähig sind – und wenn die da produziert werden, dann müssen Sie die irgendwie ernten. Und dabei müssen Sie aufpassen, dass Sie keine Bestandteile der Zellen, die das produziert haben, mitkriegen. Und das ist ganz schön schwer, das nachzuweisen. Ein altbekanntes Problem. Und wir haben es hier schon ein paar Mal besprochen, die sogenannte Distributed Production, also die verteilte Produktion, die AstraZeneca gewählt hat, weil sie eben keine eigenen Anlagen haben. Im Gegensatz zu Pfizer haben sie Vertragsleute, die Teile herstellen. Und das wird dann von dem einen zu dem anderen gefahren und hat ja auch schon zu vielen Problemen geführt. Das ist etwas, was wir natürlich schon lange auf dem Zettel haben als Risikofaktor. Das ist auch im Zusammenhang mit den Hirnvenenthrombosen vor der Europäischen Arzneimittelkommission diskutiert worden, dass man prüfen muss, ob da vielleicht Fehler passiert sind. Und da sage ich jetzt mal: Die fleißigen Schwaben aus Ulm haben diesen Verdacht – der schon immer so ein bisschen im Raum stand und wo es auch deutliche Hinweise an der einen oder anderen Stelle gibt – jetzt quasi Schwarz auf Weiß sehr, sehr gründlich bestätigt.


40:17



Camillo Schumann



Okay. Das sozusagen mal ausdefiniert, wie es dazu kommen kann, zu diesen Verunreinigungen im Produktionsprozess und hier sozusagen im Speziellen im Zusammenführen, weil es eben unterschiedliche Anbieter gibt. Wenn es schon Hinweise darauf gab, wieso sind da nicht die Alarmglocken angegangen? Oder ist das was, was man vernachlässigen kann, was man zur Kenntnis nimmt, wo man weiß: Okay, kann passieren, fällt aber gar nicht so richtig ins Gewicht?



Alexander Kekulé


Man wusste es nicht genau, das war ja nur eine Hypothese. Also zum Beispiel ist schon diskutiert worden, dass es Unregelmäßigkeiten gibt bei den Exporten des AstraZeneca-Impfstoffs aus Indien. Der ist in Indien hergestellt und da


gab es dann immer von irgendwelchen Ländern, die da beliefert wurden, wurde also geunkt, dass da Verunreinigungen sind. Oder, das ist jetzt einen anderen Impfstoff, aber es ist ja bekannt, dass der russische Impfstoff Sputnik V, der hat ja in Brasilien keine Zulassung bekommen, weil dort die ANVISA, diese brasilianische Gesundheitsbehörde, die heißt Agência Nacional de Vigilância Sanitária – ich hoffe, ich habe es jetzt auf Portugiesisch richtig gesagt – die haben einfach gesagt: Moment mal, wir haben dieses Sputnik untersucht. Das funktioniert ja nach einem ähnlichen Prinzip wie AstraZeneca. Und da sind ja noch vermehrungsfähige Adenoviren mit drin. Das geht aber nicht. Und da wissen Sie, ist ein Riesenstreit zwischen Russland und Brasilien entstanden. Die Slowakei hat auch Sputnik V gestoppt. Und so ist es immer so, dass bei diesen Biologicals eben die Möglichkeit besteht, dass man was übersehen hat. Hier ist es jetzt so – vielleicht kann ich mal sagen, wie normalerweise jetzt bei solchen Impfstoffen momentan State of the Art, wenn ich mal so sagen darf, festgestellt wird, ob da Verunreinigungen von der Zelle mit drinnen sind, aus der der Impfstoff gewonnen wurde. In dem Fall das Adenovirus. Und zwar macht man das so: Man nimmt Antikörper, die gegen zelluläre Bestandteile sind, also gegen menschliche, in dem Fall. Das Adenovirus wird auf menschlichen Zellen produziert. Die heißt witziger Weise T-REx 2 93, diese Zelllinie, darum kann man es sich leicht merken, ist aber ein Spaß, ist eine Abkürzung. Die heißt T-REx 2 93. Und es ist so, das ist eine humane Zelllinie. Und da nimmt man die Bestandteile dieser humanen Zellen, spritzt das in irgendein Tier – meistens, um Antikörper zu generieren, nimmt man Schafe oder Lamas oder sowas – und dann nimmt man dem Tier Blut ab und die Antikörper, die man da gefunden hat, mit denen geht man fischen in dem Medikament – also zum Beispiel in der Impfdosis von AstraZeneca – und macht so einen Antikörpertest. ELISA heißt dieser Test bei uns. Und da hat man nichts gefunden. Also keine Reaktion. Das heißt also, die gegen alle möglichen menschlichen Proteine gerichteten Antikörper haben nichts gefunden. Das heißt, scheinbar ist in diesem Impfstoff kein Rest von dieser Zelle, in der das Virus produziert wurde, drin. Aber die


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Leute aus Ulm, die haben über tausend Verunreinigungen festgestellt. Aber eine davon ist bedenklich. Das sind die sogenannten Heat Shock Proteine. HSPs heißen die. Und eins davon, Heat Shock Protein 90, HSP90, ist so ein Klassiker, eines der wichtigsten. Und dieses Protein hat die Eigenschaft, dass es eben auch in tierischen Zellen vorhanden ist. Übrigens sogar in Bakterien. Also, das gibt es auch in den Lamas, aus denen man den Antikörper machen will. Und was heißt das? Das heißt, das Lama produziert in diesem Experiment keinen Antikörper dagegen, weil es ja selber dieses Protein auch hat. Das heißt also, wenn man den Test so macht, wie ich es gerade geschildert habe, dann findet man das nicht, weil das so menschenidentisch ist. Und genau dieses Heat Shock Protein HSP90, das ist eben in dem Impfstoff – man möchte es kaum glauben – praktisch doppelt so viel vorhanden wie der eigentliche Wirkstoff. Also, doppelt so viel wie das Virus ist die Verunreinigung. Die haben drei Proben untersucht. Bei 2 Proben war es so, dass es ungefähr fifty-fifty war, also 50 Prozent Verunreinigung, 50 Prozent Wirkstoff. Und bei der dritten war es eins zu drei, also doppelt so viel Verunreinigung. Und das ist insgesamt natürlich schon etwas, wo man sagen muss, so in dieser ganzen langen Liste von Dingen, die jetzt nicht so super gelaufen sind, ist es aus meiner Sicht schon der nächste Punkt, wo man sagen muss: Ja, warum haben wir das nicht vorher [gemerkt, Anm. d. Red.]? Warum kriegen wir das erst jetzt mit, wo so viele Menschen damit geimpft sind und haben nicht vorher sozusagen dieses Risiko genauer taxiert?


44:46



Camillo Schumann



Das ist ja genau der Punkt. Sie sind der Experte. Sie kennen sich da aus und Sie können das Risiko auch einschätzen. Der, der sich damit impfen lässt natürlich nicht. Wenn der hört Verunreinigung, um Gottes Willen. Wie gefährlich ist das denn? Weil die Ulmer Forscher stellen ja auch die Verbindung zu den Sinusvenenthrombosen her. Also, muss man sich jetzt als Impfling Gedanken machen?



Alexander Kekulé


Also, es ist eine sehr gute Arbeit und es ist wirklich etwas, wo ich sagen muss: Erschre-


ckend, dass die Europäische Arzneimittelbehörde das nicht selber so gemacht hat. Aber ich gehe ehrlich gesagt bei der Schlussfolgerung, dass das möglicherweise die Sinusvenenthrombosen verursacht, diese Verunreinigungen, nicht mit. Ich glaube, die Hypothese, dass das eher einfach nur die DNA in den Adenoviren ist – das ist ja eine der anderen alternativen Möglichkeiten – die ist nach wie vor sozusagen für mich die Haupterklärung. Und dass das jetzt mit den Verunreinigungen speziell zusammenhängen soll, das halte ich für unwahrscheinlich, weil die auch in sehr kleiner Konzentration letztlich vorhanden sind. Genau wie der Wirkstoff selber, da braucht man ja nicht so viel. Ich glaube eher, dass es vielleicht einen Teil dieser starken Reaktogenität mitverursacht. Wir wissen ja, dass man nach der Adenovirusimpfung, also nach der AstraZenecaImpfung, nach der ersten Impfung eine relativ starke Reaktogenität hat. Also, die Impfreaktion ist stark. Es kann sein, dass das teilweise nicht nur durch den Vektor, also durch die Tatsache, dass man da ja quasi ein Virus injiziert bekommt – ein nicht vermehrungsfähiges wohlgemerkt – dass es nicht nur dadurch verursacht ist, sondern vielleicht zusätzlich auch durch Verunreinigungen, die aus dem Herstellungsprozess, speziell eben aus dieser Zelle stammen, in der man das Virus angezüchtet hat.


46:2 9



Camillo Schumann



Baut der Körper das dann ab? Also, muss mich das irgendwie tangieren? Bleibt das, reproduziert sich das? Kann sich daraus irgendetwas entwickeln? Oder kann ich da jetzt ganz entspannt sein, wenn ich mich damit impfen lasse?



Alexander Kekulé


Ja, also das wissen wir eben letztlich nicht genau. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es abgebaut wird und meistens keinen Schaden hat, würde ich jetzt schon mal optimistisch sagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt da irgendein unbekanntes Prinzip plötzlich ist, was Nachteile hat – sozusagen ein unknown Unknown – die ist nicht sehr hoch, muss man ehrlich sagen. Auf der anderen Seite sind es eben über tausend Komponenten und über tausend


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verschiedene Proteine, die die gefunden haben. Also, wenn man die Daten als Biochemiker ansieht, dann muss man schon sagen: Das ist ziemlich erschreckend, weil die haben nämlich gemeinerweise daneben so ein Adenovirus aus ihrem eigenen Labor genommen. Das sind ja Leute an der Uni Ulm, die sonst Gentherapie machen. Die können das deshalb technisch sehr gut. Und dann haben sie selber mal ein Adenovirus, so einen Vektor-Impfstoff – also, nicht einen Impfstoff, so einen anderen Vektor, der für etwas Anderes verwendet wurde – haben sie mal im Labor richtig gut gereinigt und dann diesen super aufgereinigten in der Publikation direkt neben dem Impfstoff gezeigt. Also, da ist zwar viel drinnen, aber ob das irgendwie stört, wissen wir nicht. Ich kann aber auch sagen, dieses HSP90 zum Beispiel, was der Hauptbestandteil der Verunreinigungen ist, dieses Heat Shock Protein, das hat ganz viele Funktionen. Eine davon ist, dass es ein sogenanntes Chaperon ist. Eine Chaperone ist ja eigentlich so eine, die aufpasst, dass Kinder sich gut benehmen. Und die Chaperone in der Biologie, die sorgen dafür, dass – also so etwas wie eine Gouvernante ist das eigentlich, ein bisschen altmodisches Wort – und in der Virologie, in der Biochemie sorgen Chaperone dafür, dass sich Proteine richtig falten. Das passiert nicht, simsalabim, von selber, sondern da gibt es quasi so Gouvernanten, die eben dafür sorgen, dass in der Zelle die Proteine sich richtig falten. Und dieses HSP90 hat unter anderem diese Funktion. Und das wird deshalb von Viren, wenn eine Zelle virusinfiziert ist, ganz stark aktiviert, also so um den Faktor fünf hochgetrieben die Konzentration. Warum? Weil die Viren typischerweise ziemlich schlampig wie Proteine produzieren. Die machen ständig Fehler, haben nicht so perfekte Proteine wie tierische Zellen. Und deshalb brauchen sie diese Chaperone, um diese zweitklassigen, drittklassigen viralen Proteine irgendwie so hinzubiegen, dass sie sich richtig falten. Und darum haben die einen Nutzen davon, wenn sie viel von diesen Heat Shock Proteinen haben. Das gleiche übrigens auch bei den Tumorzellen. Da ist es auch so, dass sich so schlechte, durch Mutation geschwächte Proteine quasi bilden. Und viele Tumorzellen haben deshalb auch einen erhöhten HSP90-Spiegel, sodass man schon sagen muss: Also, man könnte sich


jetzt das eine oder andere überlegen, dass dadurch die angeborene Immunantwort gestört wird, das dadurch vielleicht auch vor allem die Wirksamkeit des Impfstoffs selber schlechter wird. Also, das ist durchaus möglich, dass das ein Grund ist, warum der AstraZeneca-Impfstoff dann – zumindest in den stark verunreinigten Dosen – nicht mehr so gut wirkt. Oder im Extremfall kann man natürlich überlegen, ob es da Langzeitwirkungen gibt. Da glaube ich aber jetzt persönlich nicht so daran, dass das wichtig ist. Wichtig ist: Man hat einen Impfstoff hergestellt, man hat eine gewisse Wirksamkeit nachgewiesen in den Studien – das war ja schon mehr schlecht als recht. Und jetzt kommt auch noch raus, dass dieses Produkt gar nicht stabil das enthält, was auf der Packung steht. Und deshalb würde ich sagen: Ja, die EMA hat jetzt ein Problem.


50:01



Camillo Schumann



Das wäre jetzt meine Frage mit der Bitte um eine Ein-Wort-Antwort. Wenn das bekannt gewesen wäre während des Zulassungsprozesses, hätte der AstraZeneca-Impfstoff in Europa eine Zulassung bekommen?



Alexander Kekulé


Also, wenn ich im Panel gesessen wäre, auf keinen Fall. Also, wenn das bekannt gewesen wäre, hätte man dem Hersteller gesagt: Geht mal zurück und macht eure Hausaufgaben. Es ist auch so, dass im Zusammenhang – Entschuldigung, wenn es nicht nur ein Wort ist – im Zusammenhang mit den Sinusvenenthrombosen ist es ja von der EMA rauf und runter diskutiert worden. Und die haben dort in ihrem Statement, was ja bekannt ist, dazu haben sie gesagt: Eine Möglichkeit, ein möglicher Grund für die Sinusvenenthrombosen sind Verunreinigungen beim Herstellungsprozess. Wir überprüfen das jetzt, wir halten es aber aus 2 Gründen für unwahrscheinlich. Erstens: Keiner der angegebenen Inhaltsstoffe des Impfstoffs ist dafür bekannt, so etwas zu machen. Ja, aber da sind ja eben tausend Komponenten, die nicht angegeben waren. Und zweitens: Nach unserem Wissen ist diese Nebenwirkung, also diese Sinusvenenthrombose, nicht mit einem bestimmten Batch, mit einer bestimmten Produktionscharge verbunden gewesen. Das


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müsste aber so sein, wenn es irgendeine Verunreinigung war. Und aus diesem zweiten sieht man sofort, dass die EMA noch in der alten Welt lebt. Ja, das ist bei anderen Medikamenten so. Aber hier ist es ja nicht mit einem bestimmten Batch assoziiert, sondern ganz offensichtlich in allen Impfstoffen mit drinnen, weil es ein generelles Problem des Herstellungsprozesses ist, wo man was übersehen hat. Und die Überlegung der EMA beweist im Grunde genommen, dass die da nicht systematisch nachgedacht haben, weil sie gedacht haben, wenn sie andere Injektionsstoffe herstellen, die man besser kontrollieren kann, dass diese Regeln hier bei den Biologicals auch gelten. Und das ist aber nicht der Fall. Und deshalb muss ich sagen: Die haben nicht nur das nicht bedacht damals, sondern sie haben obendrein in ihrer Prüfung von den möglichen Sinusvenenthrombosen-Nebenwirkungen haben sie quasi völlig falsch argumentiert.


52 :07



Camillo Schumann



Und noch kurz nachgefragt, weil sicherlich ganz viele Hörerinnen und Hörer sich diese Frage stellen. Wenn es solche Verunreinigung beim AstraZeneca-Impfstoff gibt, gäbe es denn solche Verunreinigung auch oder könnte es solche Verunreinigung denn auch bei anderen Herstellern geben, also Vektor-/mRNA-Impfstoffe?



Alexander Kekulé


Bei den mRNA-Impfstoffen ist es so, die werden sozusagen clean im Labor hergestellt. Das sind so Synthesemaschinen, die machen die RNA. Da gibt es andere Möglichkeiten, wenn man jetzt spekulieren wollte, ob bei den LipidNanopartikeln – also diesen Lipiden, die da mit drinnen sind – da kann es natürlich sein, dass die Fettsäuren verunreinigt sind oder so. Das sind aber, sage ich mal so, klassische Probleme der Pharmakologie. Das hätte man sicher in den Griff bekommen mit der Qualitätskontrolle, weil es auch eine einfache Übung ist, so etwas zu prüfen. Ich würde schon sagen, dass man auch nach diesen Daten jetzt – weil man ja weiß, dass diese ELISA-Prüfung, also diese antikörperbasierte Prüfung hier bezüglich der gefundenen Verunreinigung, insbesondere dieser Heat Shock Proteine, gar nicht funktionieren sollte – dass man jetzt die Methode, wie


sie von den Ulmern angewendet wurde – das haben die nicht selber erfunden, das ist eine Standardmethode – dass man die natürlich auch auf die anderen Impfstoffe erstmal anwenden muss. Aber eines will ich nochmal betonen: Verunreinigt heißt jetzt nicht gleich gefährlich. An die Freunde der Naturheilkunde, Naturheilmedizin, sage ich mal: Also, es gibt ja ganz viele natürlich basierte Medikamente, die auch zugelassen sind und die bekanntermaßen wirken, die auch massenweise Verunreinigungen haben, weil sie halt pflanzlich sind oder sonst was. Und nichts davon schadet. Also bloß, weil es verunreinigt ist, heißt es nicht, dass etwas Schädliches drinnen ist. Das, was jetzt einen Insider wie mich natürlich an der Stelle ärgert, ist: Es ist verunreinigt und die EMA hat es nicht gemerkt. Das ist das Ärgerliche. Nicht, dass ich sagen würde, dass jetzt eine von diesen tausend Komponenten da jetzt unbedingt einen Schaden machen muss.


54:01



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Hörerin hat angerufen. Sie hat die vielen Meldungen zu den Sinusvenenthrombosen nach einer AstraZeneca Impfung auch verfolgt und sie findet die Berichterstattung einseitig:


„Ich habe aber im Internet gelesen, dass es schon 500 Todesfälle in Deutschland in zeitlichem Zusammenhang mit dem BioNTech-Impfstoff gegeben hat. Natürlich kann das auch andere Ursachen haben. Das weiß man ja auch. Aber warum wird darüber nicht berichtet? Und wie sieht der Herr Kekulé das, dass das eventuell auch mit als Komplikation gewertet werden kann, dass da Zusammenhänge zum Impfstoff bestehen. Und wenn es denn kommuniziert würde, würden doch viele Menschen sicher auch die Komplikationen mit AstraZeneca anders bewerten und nicht so Sorge und Angst haben vor diesem Impfstoff. Ich wäre für die Beantwortung dieser Frage sehr dankbar.“


Tja, was können Sie dazu sagen? Ich habe noch ein paar Zahlen.



Alexander Kekulé


Es gibt 2 wichtige Unterschiede. Der eine ist: Diese Sinusvenenthrombosen mit gleichzeitigem Abfall der Blutplättchen, das ist ein ganz


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exotisches, ungewöhnliches Phänomen, was man sonst ganz selten nur bei exotischen Erkrankungen mal gesehen hat. Und das ist so ungewöhnlich, dass man deshalb hauptsächlich darauf aufmerksam geworden ist. Die Komplikationen, die es in zeitlichem Zusammenhang, also nicht kausal, aber im zeitlichen Zusammenhang mit anderen Impfstoffen gibt, die haben eben nicht dieses völlig exotische. Und das zweite ist, was man dann einfach macht – das kann man nur nochmal erklären und da bin ich fest überzeugt, dass die das in Deutschland extrem gründlich machen. Das Paul-Ehrlich-Institut macht es ja, könnte man fast sagen, gründlicher, gewissenhafter als die EMA. Zumindest, wenn man sich die Vergangenheit mit AstraZeneca anschaut. Die gucken halt bei den Nebenwirkungen, die ständig gemeldet werden. Da werden ständig – das heißt nicht Nebenwirkungen, das heißt erst mal unerwünschte Effekte im zeitlichen Zusammenhang. Und dann schauen die sofort, erstens: Ist es plausibel, dass das vielleicht dadurch verursacht werden könnte? Und zweitens: Wie häufig ist diese zum Beispiel Todesart in der gleichen Altersgruppe, bei Menschen, die nicht geimpft werden normalerweise? Also, gibt es eine Häufung? Und da kommt dann in fast allen Fällen raus: Ja, Menschen sterben immer und sie sterben eben auch, wenn sie gerade zufällig geimpft wurden. Aber es ist mit dieser Todesursache keine Häufung, die man beobachtet und solange man keine ungewöhnliche Häufung sieht – und zusätzlich braucht man dann das Element einer gewissen Plausibilität – solange das beides nicht der Fall ist, gilt es eben nicht als mögliche Nebenwirkung.


56:40



Camillo Schumann



Und jetzt würde ich die Zahlen noch kurz nachreichen vom Paul-Ehrlich-Institut. Demnach wurden in Deutschland bisher 52 4 Todesfälle gemeldet insgesamt. Das sind 0,0018 Prozent der geimpften Personen, also aller. 405 betrafen Personen, die mit BioNTech geimpft wurden. In zehn Fällen verstarben Personen nach einer Impfung mit Moderna und in 48 Fällen nach einer Impfung mit AstraZeneca. Nur, um das mal ins Verhältnis zu setzen. Und zu diesem Zeitpunkt wurden 2 8,8 Millionen Menschen mit BioNTech geimpft und 8,4 Millionen Menschen mit AstraZeneca. Nur, um mal da so


ein Verhältnis zu haben der Zahlen, was ja auch ganz interessant ist.



Alexander Kekulé


Ja, genau das ist wichtig. Wie viele wurden überhaupt geimpft in der gleichen Zeit? Und BioNTech ist natürlich jetzt im Moment Nummer eins. Deshalb wird man da auch mehr gemeldete mögliche Komplikationen haben. Und ich kann nur sagen – das klingt so ein bisschen kaltblütig – also, da hat jemand, was weiß ich, einen Opa, der kriegt eine Impfung und 2 Tage später ist er tot. Oder ich kann auch sagen, ich habe persönlich eine gute Bekannte in meinem Bekanntenkreis, die ist in ihren 40erJahren, die ist geimpft worden und hat hinterher 2 Tage später einen Schlaganfall gekriegt. Das sagt man natürlich: Hä, mit 40 Jahren einen Schlaganfall? Und klar ist dann die Familie überzeugt, das liegt an der Impfung. Aber da ist der Epidemiologe ein bisschen kaltblütiger, der sagt: Moment mal, das kann auch ein Zufall gewesen sein. Und jetzt schauen wir uns mal an: Wie häufig ist eben das dann in der Gesamtpopulation? Da muss man so ein bisschen, sage ich mal, ruhig Blut bewahren. Und da kann ich nur wirklich denjenigen, die da Angst haben, dass sie schlecht betreut werden, denen kann ich nur nochmal sagen: Also, das Paul-Ehrlich-Institut ist – neben der britischen Behörde übrigens – das gilt also weltweit als eine der gründlichsten und besten Behörden in diesem Bereich. CDC übrigens auch. Aber das sind so weltweit die drei, wo man international wirklich sagt: Die machen das extrem gründlich und extrem gut. Und deshalb gehe ich einfach davon aus, dass die gewissenhaft Alarm schlagen würden, wenn sie irgendeinen Hinweis haben auf eine merkwürdige Nebenwirkung – gerade bei dieser Impfkampagne jetzt. Und dass das Paul-Ehrlich-Institut bei AstraZeneca Alarm geschlagen hat, am Anfang dafür ja ziemlich viel Kritik einstecken musste, das ist ja auch ein Beweis dafür, dass die das ernst nehmen.


59:02 



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 184. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wie immer zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.


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Alexander Kekulé


Gerne, ich freue mich auf die Fragen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge unter Audio & Radio auf mdr.dehttps://www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/index.html.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag 18. Mai 2 02 1 #183



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zur Sendung:


Heterologe COVID-19-Impfung mit PrimeBoost: erste Daten zur Reaktogenität (12 .05.) https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(2 1)011156/fulltext


WHO-Expertengremium: Pandemie hätte verhindert werden können Expert independent panel calls for urgent reform of pandemic prevention and response systems The Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response


Dienstag, 18. Mai 2 02 1


Wir haben noch nicht die Voraussetzungen für einen entspannten Sommer, sagt die Bundesregierung. Stimmt das?


Mehr Freiheiten schon nach erst Impfung? Sinnvolle Forderung?


Nebenwirkungen bei gemischter CoronaImpfung häufiger, eine Studie gibt Hinweise


Impfpriorisierung wird zum 7. Juni deutschlandweit aufgehoben. Richtige Entscheidung?


Außerdem: Eine Expertenkommission der WHO kommt zu dem Schluss, die Weltgesundheitsorganisation und die Regierungen haben in der Pandemiebekämpfung komplett versagt. Welche Lehren ziehen wir daraus?


2 8 Tage Karenz für Genesene, was ist von diesem Zeitraum zu halten?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


01:10



Camillo Schumann



Wir starten mit Regierungssprecher Steffen Seibert.


„Die täglich fallenden Neuinfektionszahlen zeigen uns ja, dass wir insgesamt auf einem sehr guten Weg sind. Dazu kommt die Impfkampagne, die mit großem Schwung läuft. Das sind gute Nachrichten. Das kann uns wirklich zuversichtlich machen. Ich sag zuversichtlich, aber auch nicht voreilig. Denn wir haben noch nicht die Voraussetzungen dafür erreicht, einen genauso entspannten Sommer wie letztes Jahr zu genießen. Zur Erinnerung: um diese Zeit vor einem Jahr lagen wir bundesweit bei einer Inzidenz knapp über fünf. Jetzt sind wir bei 83. Also wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Es muss unser Ziel bleiben, die Zahl der Ansteckungen deutlich weiter zu senken.“


Herr Kekulé, hat er recht, wenn er sagt, wir haben noch nicht die Voraussetzungen für einen entspannten Sommer wie letztes Jahr? Sieht doch alles sehr, sehr gut aus. Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé


Ich bin eigentlich ganz optimistisch. Ich glaube, es war auch eher so ein politischer Mahnruf, dass man jetzt nicht übermütig werden soll und alles wieder sozusagen aufs Spiel setzen soll. Es ist ja letztlich so, wir haben ja auch noch nicht Sommer, das ist ja noch ein bisschen Zeit hin und im Moment nehmen die Fallzahlen ab. Das ist ganz klar. Wir haben so eine Entwicklung, wo im Moment letztlich diese Exponentialfunktion rückwärts läuft. Es ist ja


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auch ein rückbezügliches System, wenn es bergab geht mit den Fallzahlen, nicht nur beim Anstieg. Und das heißt in dem Fall, der Infektionsdruck nimmt ab. Also weniger Menschen haben die Krankheit. Die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren, sinkt dadurch. Dadurch infizieren sich weniger, und die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, sinkt wieder. Und dadurch ist es eben eine Exponentialfunktion, auch wenn's abnimmt, weil es quasi so eine interne Rückkopplung drin hat. Und das wird sich jetzt noch eine Weile fortsetzen. Ich glaube, dass wir am Schluss so einen Effekt haben werden, dass einzelne Blasen in der Gesellschaft nicht richtig unter Kontrolle zu bekommen sind. Das heißt also wir werden sicherlich bestimmte Gruppen haben, wo einfach die Infektion hoch bleibt. Wir werden vielleicht einzelne Ortschaften haben, wo die Infektion hoch bleibt. Aber insgesamt wird der Infektionsdruck abnehmen. Aus meiner Sicht sind es 2 gegenläufige Effekte. Der eine ist, um es mal ganz deutlich zu sagen, das Smart-Konzept funktioniert. Hier wird zum ersten Mal im Grunde genommen bewiesen, dass dieses Konzept tatsächlich funktioniert, weil das ist das, was wir machen: Wir haben die Risikogruppen geschützt, leider nicht so, wie es eigentlich möglich gewesen wäre durch Schutz der Alten, sondern halt durch die Impfungen jetzt. Wir tragen die Masken konsequent. Wir haben die aerogenen Ausbreitungswege im Blick und sind relativ konsequent, dass wir in geschlossenen Räumen die Infektionen verhindern. Dadurch kommen wir auch wieder gut mit der Nachverfolgung nach. Und das Wichtigste eben, dass die Tests jetzt breit eingesetzt werden. Also dieses Paket ist der Grund, warum die Fallzahlen abnehmen. Das ist der Haupteffekt. Vielleicht kommt so ein kleiner Temperatureffekt jetzt die letzten Tage und in Zukunft dann noch dazu. Es ist nicht, wie manche denken und man vielleicht manchmal auch so hört, so, sage ich mal, selbstgefällig von der Politik, dass das ein Effekt, der Impfungen wäre. Das kann nicht sein. Wir haben 37 Prozent der Bevölkerung einmal geimpft. Wir haben etwas über zehn Prozent zweimal geimpft im Moment. Da kriegen Sie keine Herden-Immunität in diesem Bereich, das völlig ausgeschlossen. Zumal wir ja diejenigen zuerst geimpft haben, die ein besonders hohes Risiko haben. Das sind alte


Menschen und diejenigen die beruflich exponiert sind. Das sind Leute, die sich tendenziell auch vernünftig verhalten. Das sind nicht die Hochrisikogruppen, bei denen durch soziale Aktivität viele Infektionen stattfinden. Das heißt, wir haben hier durch diese Impfquote nicht einmal im Ansatz irgendwie einen epidemiologischen Effekt bis jetzt. Sondern der Effekt ist letztlich, dass das Smart-Konzept funktioniert. Und das war ja bis jetzt letztendlich auf gewisser Weise immer nur auf dem Papier. Und hier in der Praxis beweist sich das. Der Gegeneffekt und die Befürchtung von Herrn Seibert ist natürlich, das jetzt Unvernunft einkehrt und die Leute sich eben an diese relativ einfachen Regeln einfach nicht mehr halten. Also ungetestet irgendwie zusammenkommen, die Masken wegtun und so weiter. Deshalb hat er recht mit seiner Warnung. Aber auf der Schiene Richtung Sommer, glaube ich, sind wir auf einem sehr positiven Weg. Und wenn wir es jetzt nicht ganz grob wieder falsch machen, dann glaube ich, werden wir wirklich einen entspannten Sommer haben.



Camillo Schumann



Noch mal ganz kurz nachgefragt: Kann man denn überhaupt die Inzidenzwerte von vor einem Jahr mit den Inzidenzwerten von heute mit allen Begebenheiten überhaupt vergleichen?



Alexander Kekulé


Na ja, das ist ja immer die Schwäche der Inzidenz. Vor einem Jahr, muss man auch dazu sagen, haben wir ja alle noch über R gesprochen. Das war ja, wenn ich mich an die Anfänge dieses Podcasts erinnere, damals sozusagen die Bastion, die wir versucht haben zu knacken. Dass alle auf dieses R gespannt geguckt haben, wie sozusagen die Maus auf die Schlange. Was aus meiner Ansicht ein dafür nicht besonders gut geeignetes Kriterium war, das hat man inzwischen ja geändert. Und damals gab es noch diese Idee ‚the hammer and the dance‘, da wurde irgendwie gesagt, man muss jetzt das R erst einmal runter hämmern und hinterher zirkuliert das irgendwie um den Wert von eins. Das war ja bei vielen Politikern im Kopf drin. Leider haben das auch manche Fachleute


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übernommen in den öffentlichen Statements. Das waren so Irrwege in der Anfangszeit. Und ich glaube, da sind wir heute viel, viel besser. Wir gucken jetzt auf die Inzidenz. Das ist ein besserer Parameter. Aber da ist eben vor allem nur so lange gut, wie man das lokal ansieht. Ein bundesweiter Durchschnitt sagt nicht so viel und ist mehr so eine Art politisches Fieberthermometer und kein epidemiologisches. Und die Inzidenz ist natürlich jetzt demnächst nicht mehr so wichtig, wenn wir die Fallzahlen entkoppeln von der Sterblichkeit. Und da sind wir ja gerade. Ich kann nur nochmal vor dieser Fehldeutung warnen: was wir jetzt sehen, ist eine Reduktion der Sterblichkeit. Die Intensivstationen sind auch nicht mehr so voll, weil wir die Risikogruppen geschützt haben. Schutz der Risikogruppen ist ja sozusagen abgehakt in dem Fünf-Punkte-Plan. Es ist aber so, dass wir nicht irgendwie einen epidemiologischen Effekt sehen, der irgendetwas mit Herden-Immunität zu tun hätte, weil eben die Gruppen, die wir geimpft haben, nicht die sind mit der besonders hohen sozialen Beweglichkeit oder mit besonders hohem Expositionsrisiko im Sinne von Ausbrüchen, die man nur durch Impfungen verhindern könnte. Ein bisschen geht die Tendenz dahin. Es ist ja bekannt, dass es so Schwerpunkt-Impfungen zum Beispiel gab. Da hat man in den einzelnen Gemeinden einfach wirklich auf Teufel komm raus geimpft, und zwar jenseits der bisherigen Impfpriorität, weil die Fallzahlen so hoch waren. Und da ist es auch runtergegangen. Und das war, meine ich, schon auch in diesen speziellen Gemeinden. Ich glaube Passau war so ein Beispiel, vielleicht noch ein, 2 andere grenznahe Regionen, da hat man das glaube ich, auch zum Teil gemacht. Das ist eben ganz wichtig in prekären Regionen, das weiterzumachen. Wo eben Menschen leben, die also ein besonders hohes Risiko haben, weil sie nicht erreicht werden von den Impfkampagnen. Das sind wahrscheinlich die gleichen, die vorher nicht erreicht wurden von den Appellen, sich anderweitig zu schützen.


08:14



Camillo Schumann



Impf-Priorisierungsgruppe eins, 2 oder drei, das spielt ja bundesweit bald keine Rolle mehr. Ab dem 7. Juni soll sich jeder für einen Termin anmelden können, denn ab diesem Tag fällt die Impfpriorisierung komplett weg. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dämpfte aber so ein bisschen die Erwartungen.


„Auch wenn wir die Priorisierung aufheben, wird es nicht möglich sein, alle innerhalb des Junis schon zu impfen, die geimpft werden wollen. Sondern wir werden die Impfkampagne wie geplant bis weit in den Sommer hinein auch fortsetzen müssen.“


Wie bewerten Sie das, dass im Impfpriorisierung am 7. Juni komplett wegfällt? In einigen Bundesländern ist das ja schon der Fall. Also die Impfpriorisierung fällt komplett weg – Impfstoff vorausgesetzt, natürlich.


09:00



Alexander Kekulé


Ja. Die Impfpriorisierung aufzuheben hat, ganz einfach gesagt, einen Sinn und ist auch richtig in dem Moment, wo man genug Impfstoff hat. Das hängt mit der Frage zusammen, will man einmal impfen oder zweimal impfen. Jetzt hat sich entgegen dem, was ich ja schon lange empfehle, die Bundesregierung und auch die Länder entschlossen, immer zweimal zu impfen, konsequent die zweite Impfung durchzuführen. Das hat zur Folge, dass sehr viel Impfstoff im Moment gerade benutzt wird, um die Zweitimpfungen zu machen. Im Moment machen wir ganz wenig erste Impfungen, weil eben jetzt die ganzen Zweitgeimpften dran sind, aber nicht genug Impfstoff vorhanden ist, um weiterzumachen mit den ersten Impfungen. Jetzt in dieser Lage quasi zu sagen, in Kürze heben wir die Priorisierung auf, wäre dann sinnvoll, wenn man wüsste, es kommt ganz, ganz sicher sehr viel Impfstoff nach. Ich mach jetzt hier einfach mal ein kleines Fragezeichen dran, ohne die genauen Zahlen zu kennen. Ich glaube auch, dass der Bundesgesundheitsminister oder die anderen Minister, die


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jetzt hier sagen, wir heben die Priorisierung auf. Die hätten es sicher dazu gesagt: okay, am 5. Juni kommt jetzt ganz, ganz viel Impfstoff von BioNTech und deshalb heben wir auf‘. So ist es ja nicht formuliert worden. Es ist ja eigentlich gesagt worden, wir heben erst mal auf und wieviel Impfstoff wirklich kommt, wissen wir ja jetzt nicht genau. Das ist ja auch von den Herstellern abhängig. Ich halte das aus 2 Gründen für ein bisschen riskant, möchte ich mal sagen. Der eine ist, dass man halt damit Erwartungen letztlich schürt und die Menschen dann denken ich kann mich jetzt impfen lassen, wie ich meine. Und ich glaube schon, dass die Unzufriedenheit, fast hätte ich gesagt, vorprogrammiert ist. Deshalb hätte ich das wahrscheinlich politisch nicht so gemacht. Das ist aber kein epidemiologischer Grund. Und der epidemiologische Grund, der zweite Grund, ist, wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass eben, wie gesagt, einige Teile der Bevölkerung immer noch nicht vollständig geimpft sind, die aber zu den Risikogruppen gehören. Und das sind die Teile, wo es jetzt besonders schwierig wird. Wo man also nicht einfach sagen kann, kommt in die Impfzentren, sondern wo man in bestimmte Regionen in den Großstädten fahren muss, wo prekäre Verhältnisse herrschen, wo man mit Dolmetschern hingehen muss und die Leute eben überzeugen muss, die sich dringend impfen lassen sollen, weil sie eben ein hohes Risiko haben. Entweder von der Infektion Seite her ein hohes Risiko, weil sie vom Verhalten her nicht, sage ich mal, sich an die Regeln halten oder auch durchaus von den individuellen Risikofaktoren, weil übergewichtig sind, alt sind oder Ähnliches. Und ich glaube, man darf diese schwierige Übung, die sozusagen das dicke Brett ist, was man hier bohren muss, die darf man auf keinen Fall jetzt aus dem Auge verlieren, indem man sagt ‚hurra wir machen eben jetzt Priorisierungen auf‘, weil das wird uns hinterher auf die Füße fallen. In dem Moment, wo wir eben dann eine Situation haben, wo ein Großteil der Bevölkerung, jetzt sag ich mal im Herbst, geimpft ist. Andere sind natürlich inzwischen auch durch-immunisiert. Das muss man immer sagen, das ist auch ein


wesentlicher Effekt bei dieser Herdenimmunität, die dann langsam aufgebaut wird. Und dann wird es aber eben so einzelne Subpopulationen geben, sozusagen kleine Blasen geben, wo es immer weiter Ausbrüche geben wird. Das ist bei ganz vielen Infektionskrankheiten so. Das hatten wir bei den Masern ja auch. Und diese Situation bereiten wir jetzt im Grunde genommen schon vor, indem wir aufhören, die schwierig zugänglichen Bevölkerungsteile konsequent zu impfen. Ja, das ist viel mehr Aufwand, aber ich finde, das muss man jetzt machen und stattdessen die Priorisierungen freizugeben. Vielleicht noch ein letzter Gedanke dazu: es ist ganz offensichtlich so, dadurch, dass man einfach den Ärzten ja inzwischen überlassen hat die Impfungen zu machen, ist de facto die Priorisierung auch aufgehoben.



Camillo Schumann



Wenn man sich mal anschaut, weil sie gesagt haben, es braucht dann ausreichend Impfstoffdosen, wenn man sich auf die Lieferprognosen jetzt kapriziert nur für die Ärzte, sind das im Juni pro Woche ungefähr so dreieinhalb Millionen Impfdosen und für die Impfzentren ungefähr zweieinhalb. Also wir haben ungefähr sechs Millionen Impfdosen pro Woche, das hört sich doch ziemlich vernünftig an. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, also wenn das so geliefert wird, die Logistik funktioniert und man dann sozusagen pro Werktag auf gut eine Millionen Impfungen kommt, dann ist das quantitativ auf jeden Fall auf dieser Seite schon der richtige Moment. Ich nehme auch an, dass das der Hintergrund ist. Aber, wie gesagt, es kommt eben bezüglich der Sterblichkeit insbesondere und bezüglich der Langfristigkeit, Nachhaltigkeit sozusagen, des Programms darauf an, wen man impft. Und da gibt es eben Risikogruppen sowohl vom Verhalten her als auch von der medizinischen Empfänglichkeit oder von einem persönlichen Risiko, daran zu sterben. Und ich glaube, die muss man nach wie vor im Auge behalten.



Camillo Schumann



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Ja, und wer vollständig geimpft ist, kann wieder ein halbwegs normales Leben führen, Freiheiten genießen, und das soll auch schon für einmal Geimpfte gelten. Das jedenfalls hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gefordert. Kretschmer hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe mit Blick auf den Sommerurlaub gesagt, wer mit AstraZeneca geimpft wurde, sollte schon drei Wochen nach der ersten Dosis mehr Freiheiten bekommen. Der Schutz sei schon nach der ersten AstraZeneca Impfung sehr gut. Was halten Sie denn von dieser Forderung? Reicht der Impfschutz mit Astra nach drei Wochen schon aus?



Alexander Kekulé


Ich halte von der Forderung nichts. Ich bin ja derjenige, der immer nach wie vor fordert – aber dass, wie man weiß, erfolglos – wir brauchen eine erste Impfung für möglichst viele aus den Risikogruppen. Und die zweite Impfung kann warten. Bis zum gewissen Grad hat, dass er Erfolg gehabt, das Intervall ist ja deutlich verlängert worden, das muss man schon sagen. Aber das darf man nicht verwechseln mit der Herdenimmunität oder mit der Immunität. Und zwar die erste Impfung hat den Effekt, dass man etwa 14 Tage danach, von mir aus auch drei Wochen danach, ein extrem geringes Risiko hat, noch an der Krankheit zu sterben. Das ist super wichtig natürlich für uns als Gesellschaft, dass wir sozusagen dieser Seuche ihren Schrecken dadurch nehmen können. Und dadurch kann man sich natürlich ein paar mehr Freiheiten erlauben. Die Frage ist jetzt nur: wie ist es epidemiologisch, wenn jemand nur einmal geimpft ist. Ist er dann nicht auch nicht mehr ansteckend? Und da muss man sagen, da kommt es eben auf die Effizienz der Impfung an. Auf die Impf-Effektivität, heißt das eigentlich. Und es ist so, die bezieht sich sozusagen auf die Frage wieviel symptomatische Infektionen kann ich verhindern oder dann auch, wie viele asymptomatische möglicherweise, die also ansteckend sind. Und da gibt es keine so sauberen Daten. Aber ich kann nur nochmal erinnern, wir wissen ja, wenn man zweimal


impft, dass dann die RNA Impfstoffe von BioNTech und Moderna ungefähr 95 Prozent Effizienz haben, also bezüglich der Verhinderung von symptomatischen Erkrankungen. Das ist sehr, sehr gut, aber nach 2 Impfungen. Und dann ist es so, dass AstraZeneca deutlich schlechter war. Da sind die Studien ja ganz unterschiedlich. Ich nehme jetzt mal den aller optimistischsten Fall von der USA-Studie. Da liegt man so bei 80 Prozent für 2 Impfungen bei AstraZeneca. Es gibt aber auch andere Studienteile, das ist ja bekannt, wo nur etwas mehr als 60 Prozent rausgekommen ist bei AstraZeneca. Und jetzt ist die Frage: okay, wenn man das hat für Doppelimpfungen, was kann man denn nach einer einfachen Impfung erwarten, jetzt nicht, kommt eine ins Krankenhaus oder wird einer schwerstkrank, sondern bezüglich der Frage ist er dann noch ansteckend? Und darum geht es ja letztlich, wenn man neue Freiheiten genehmigt. Vielleicht noch einmal zur Erinnerung: wir haben ja auch diese Schottland-Studie vor einiger Zeit hier besprochen. Und da war es ja so, dass AstraZeneca und BioNTech ungefähr 90 Prozent der Hospitalisierungen verhindert haben, nach einer Impfung schon. Aber das hat eben noch nichts mit der Effizienz zu tun. Also mit der epidemiologischen Verbreitung des Virus. Und dann schaut man in die Zulassungsstudien rein, da war es ja so, dass die wesentlich schlechter waren nach einer Impfung. Das war ja ein Grund, warum das Robert Koch-Institut eben dann gesagt hat: auf jeden Fall, die zweite Impfung muss her, weil die nach einer Impfung so bei einer Effizienz von 50 Prozent lagen und die RNA-Impfstoffe, wenn man sich die anschaut, im Vergleich zu 95. Das klingt wahnsinnig schlecht. Warum war das so schlecht, wenn man genauer hinschaut? Das waren Leute, die waren nach der ersten Impfung, innerhalb von meistens so zehn Tagen schon, positiv und die sind deshalb quasi als Impfversager gewertet worden. Weil man hat gesagt: okay, wenn einer nach der ersten Impfung noch Covid 19 bekommt, dann hat die Impfung nicht funktioniert. Es ist auf der anderen Seite von Anfang an klar gewesen, die Inkubationszeit beträgt bis zu 14 Tage, mal so


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grob gesagt. Die, die nach der ersten Impfung positiv wurden, hatten sich natürlich schon vorher angesteckt. Also die haben sich angesteckt und dann haben sie die erste Impfung bekommen und deshalb gilt es eigentlich nicht. Das ist unter Fachleuten von Anfang an Konsens gewesen, hat aber zu diesem, meines Erachtens, Fehler geführt, dass das Robert KochInstitut und andere gesagt haben, es muss die zweite Impfung her, weil die erste so unzuverlässig ist. Wenn man das sozusagen wegstreicht und die aktuelleren Daten sich anschaut, da gibt es inzwischen natürlich im wirklichen Leben Studien. Die eine haben wir, glaube ich, mal besprochen, die ist in diesem April als Preprint rausgekommen im Vereinigten Königreich. Da hat man geguckt, wie effizient ist denn eigentlich die erste Impfung überhaupt, also im wirklichen Leben sozusagen. Wie kann sie Ansteckungen verhindern? Dass lag so etwas über 70 Prozent für AstraZeneca und BioNTech, eine Impfung. Das ist interessanterweise der gleiche Bereich, wo ungefähr auch die Johnson & Johnson Impfung liegt, die man ja sowieso nur einmal macht. Die liegt bei 67 Prozent. Das heißt also wir haben eine Impfung und egal welchen Impfstoff man hat, liegt man irgendwo bei 67 Prozent. Und ganz aktuell, jetzt im aus dem April gab es eine Studie aus dem Vereinigten Königreich noch mal, wo man geguckt hat: wie wahrscheinlich ist eigentlich die Infektion im Haushalt? Also, dass andere Haushaltsmitglieder angesteckt werden? Also wenn einer positiv ist, wie wahrscheinlich ist es, dass jemand anders, der einmal geimpft wurde, angesteckt wird. Und da ist die Wirksamkeit eben nur bei etwa 50 Prozent gewesen. Also 50 Prozent und zwar unabhängig davon, ob es AstraZeneca oder BioNTech war. Einmal geimpft in Großbritannien hieß eine Reduktion der Infektionswahrscheinlichkeit im gleichen Haushalt, wenn man mit jemandem zusammen ist, der positiv ist, um 50 Prozent. Und vor diesem Hintergrund, wenn ich jetzt irgendwo zwischen 50, 60 oder 70 Prozent liege, dann sage ich, politisch sind diese 30 bis 50 Prozent Risiko, dass dann die Leute doch noch jemanden anstecken, in Kauf


zu nehmen. Dafür, dass man halt die paar Wochen gewinnt. Das heißt, ein bisschen Mallorca buchen oder auf 30 bis 50 Prozent Schutz verzichten und dann können Sie sich vorstellen, wo meine Antwort liegt. Nicht weil ich Mallorca nicht mag, aber ich bin natürlich auf der sicheren Seite und sage also, Kinder, lasst uns doch dieses Risiko jetzt nicht unvernünftigerweise eingehen.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz, weil Sie es ja selber angesprochen haben, den einmal Impfstoff von Johnson & Johnson, der ja auch auf eine Wirksamkeit von ungefähr 67 Prozent kam: wenn man so einen zugelassenen Impfstoff hat, also nur einmal bei so einer Effektivität, dann ist die Forderung nach mehr Freiheit nach der ersten AstraZeneca Impfung mit dem gleichen Wirkprinzip doch eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Oder nicht?



Alexander Kekulé


Ja, das stimmt. Da haben Sie sozusagen die Zulassungsbehörden erwischt. Also es ist ja so, dass von Anfang an im Grunde genommen, ich will jetzt nicht dieses Fass noch einmal aufmachen, aber da gibt es ja die Frage wie gut sind Vektor-Impfstoffe. Und egal, ob man da jetzt von erster, zweiter oder dritter Klasse spricht, es ist einfach so: ein Impfstoff, der selbst in den guten Studien nur so bei sich bis 75 Prozent Effizienz lag, der wird natürlich letztlich eine Herdenimmunität nicht erbringen. Echte Herdenimmunität gibt es sowieso nicht, aber zumindest so einen Effekt, der ja gewünscht wird, damit man in den Urlaub fahren kann und solche Dinge. Und ja, das kann man durchaus diskutieren, ob man, wenn man Impfstoffe hat, die nach zweimal Impfen 95 Prozent erzeugen, von der Wirksamkeit her, ob man dann überhaupt generell noch welche verwenden soll, wo die nur bei 67 Prozent liegt. Sorum, würde ich eigentlich sagen, muss man argumentieren. Deshalb sage ich, dieser Johnson & Johnson-Impfstoff hat seine ganz klare Berechtigung bei solchen Bevölkerungsgruppen, die man eben nur einmal erwischt. Das ist bei


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uns in Deutschland, was weiß ich, bei Obdachlosen die Situation, die Sie nicht zuverlässig zweimal einbestellen können und ähnlichen Situationen, wo man sagt ich bin froh, wenn ich den überhaupt nur einmal bei mir habe. Jetzt davon auszugehen, dass der noch mal kommt, ist nicht so wahrscheinlich. Und das wird den USA übrigens auch so diskutiert. Also, die CDC wollen ganz klar den Johnson & Johnson-Impfstoff genau für solche Indikationen einsetzen. Und das ist natürlich auch in vielen Ländern, die jetzt nicht so reich sind wie wir und nicht so gut strukturiert sind. Wo man mit medizinischen Teams in irgendwelche Dörfer fahren muss, um eine Impfung zu realisieren. Da ist das natürlich eine ganz tolle Sache. Wenn man nur einmal kommen muss und nicht zweimal. Also daher hat das seine Berechtigung, das ist ganz, ganz wichtig. Aber wir sind ja hier in Deutschland und haben doch immer so ein hohes Sicherheitsniveau, was für überall einziehen wollen, sozusagen mit Hosenträger und Gürtel arbeiten. Und da würde ich jetzt sagen auch die Johnson & Johnson Impfung mit 67 Prozent gehört natürlich in den Bereich, wo man die Frage stellen muss: warum nehmen wir da das zweitbeste anstatt wirklich konsequent mit den RNA-Impfstoffen zu arbeiten?



Camillo Schumann



Da müssen wir auch sagen, dass das auch eine leichte Phantomdiskussion ist. Der Impfstoff von Johnson & Johnson wird ja kaum verimpft in Deutschland, als Beispiel in KW 2 1 im Mai werden 540.000 Dosen geliefert, ab Juni dann gar nicht mehr. Gleiches gilt dann auch für AstraZeneca. Dafür wird dann BioNTech hochgefahren, also diese Vektor Impfstoffe sind ein absolutes Auslaufmodell in Deutschland.



Alexander Kekulé


Ja, das ist eine Brückentechnologie gewesen. Ja, das kann man nicht anders sagen. Und insofern ganz wichtig ja, ich meine, es kann ja keiner sagen, dass wir die moderne Industrialisierung hinbekommen hätten ohne die Dampfmaschine. Aber es ist so, dass wir einfach jetzt was Besseres haben. Und das ist ja der Reflex


in Deutschland, dass wir nicht zum zweitbesten greifen, egal wie klein der Abstand ist. Und deshalb gibt es ja auch schon lange die Empfehlung, dann die zweite Impfung mit BioNTech zu machen, zumindest in bestimmten Altersgruppen. Und mein Eindruck ist, ganz ehrlich gesagt hat AstraZeneca ja auch erhebliche Lieferschwierigkeiten, da wird ja auch nichts mehr nachbestellt. Selbst Großbritannien bestellt jetzt BioNTech also, was das Heimatland von Oxford bekanntlich ist und Heimatland des Impfstoffs AstraZeneca. Und deshalb glaube ich, das ist ganz toll, dass wir so ein Rennen haben. AstraZeneca wird seine Berechtigung auch noch haben in Ländern, die die RNA-Impfstoffe nicht schnell genug bekommen. Wobei ich jetzt auch sagen muss, auch China stellte jetzt auf die RNA-Impfstoffe um. Selbst Indien will jetzt den RNA-Impfstoff produzieren, nachdem es erhebliche Produktionsschwierigkeiten bei AstraZeneca gab. Also das geht schon in die Richtung, dass wir uns jetzt weltweit optimieren an der Stelle. Und deshalb haben Sie recht, das ist ein bisschen eine Phantomdiskussion.


2 4:45



Camillo Schumann



In Deutschland gibt es auch viele Menschen, die 2 unterschiedliche Impfstoffe erhalten haben oder eben noch erhalten werden. Zuerst AstraZeneca und dann BioNTech. Diese Menschen werden also, wenn man so will, gemischt geimpft oder auch heterologisch geimpft. Sie erhalten erst den Vektorund dann einen mRNA-Impfstoff. Mehrere Fragen stellen sich da. Die erste: gelten die Menschen, die 2 unterschiedliche Impfstoff erhalten haben, als vollständig geimpft? Ja, sagt die Ständige Impfkommission. Durch die zweite Impfstoffdosis wird die Impfserie vervollständigt. Wichtig zu wissen, eine weitere Frage wurde jetzt wissenschaftlich geklärt wie sieht es denn eigentlich mit den Nebenwirkungen aus, wenn man 2 unterschiedliche Impfstoffe erhält? Dazu wurde jetzt eine Studie der Universität Oxford im Lancet veröffentlicht. Und man kann sagen: wer heterologisch geimpft wird, sollte sich zumindest den nächsten Tag freinehmen.


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Alexander Kekulé


Naja, also das ist ein Zwischenergebnis, wo man kurz festgestellt hat, dass die Impfreaktion, also die Reaktogenität, stärker ist, wenn Sie 2 verschiedene Impfstoffe nehmen, egal in welcher Reihenfolge. Man muss vielleicht kurz sagen, dass es eine ganz interessante Studie ist und zwar heißt die Com-COV von der Uni Oxford. Das Ziel der Studie ist eigentlich ganz was anderes, es ist eine richtige kontrollierte Multicenter-Studie. Wo also die Probanden nicht wissen, welchen Impfstoff sie bekommen, der Arzt weiß es in dem Fall. Darum heißt sie nicht doppelblind, sondern sozusagen einfach blind. Und es ist also eine professionell gemachte Studie, wo man wissen will: wie gut ist denn eigentlich die Schutzwirkung dieser Kombinationen? Dieses Ergebnis, auf das die Studie abgestellt ist, das kriegen wir im Juni. Vielleicht kann ich an der Stelle sagen, es ist für mich ganz klar, dass die Kombination besser sein wird als der Einzelimpfstoff. Also wenn sie erst AstraZeneca und dann BioNTech machen, was bei uns in Deutschland häufig empfohlen wird, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, Schweden, Norwegen ist es so. Diese Kombination wird ja jetzt für die gemacht, die als erste Impfung AstraZeneca bekommen haben. Es ist ziemlich klar für mich, dass das besser wird und zwar nicht nur deshalb, weil der eine Impfstoff besser ist, sondern auch deshalb, weil es für das Immunsystem immer ein Vorteil ist oder eine andere Situation ist, wenn der Impfstoff ein bisschen, sag ich mal, anders aussieht der dann beim zweiten Mal kommt, bei der Booster-Impfung. Das kann man sich so vorstellen, dass das Immunsystem den gemeinsamen Nenner erkennt. Also das sieht ‚aha, das ist so etwas Ähnliches‘. Und das sortiert dann diejenigen Immunzellen raus, also pflegt dann diejenigen Leukozyten, die weißen Blutzellen ein, die sozusagen in der Lage sind, gegen beides zu agieren. Und dadurch wird das Spektrum der Immunantwort einfach auf eine breitere Basis gestellt. So ein ähnlicher Effekt wie wenn man die Impfung selbst mit einer natürlichen Infektion vergleicht. So etwas Ähnliches hat man im


Grunde genommen, wenn man 2 verschiedene Impfstoffe nimmt, dass die Immunantwort breiter wird und dadurch auf jeden Fall aus meiner Sicht ohne Frage besser sein wird. Aber dieses Ergebnis ist noch nicht da. Trotzdem haben die gesagt, sie geben mal vorläufig raus: Wie sah es denn jetzt mit der Impfreaktogenität aus? Was hat man sich angeschaut? Man hat einen Teil dieser Menschen, die waren übrigens alle über 50 Jahre alt und nicht besonders krank (also die hatten keine schweren Vorerkrankungen) und die haben dann entweder zuerst Astra und dann BioNTech oder andersrum bekommen oder zweimal das gleiche je nachdem. Und für die eigentliche Studie wurden jetzt interessanterweise auch 2 Impfabstände getestet, einmal 2 8 Tage und einmal 84 Tage, also der zweite, dann nach fast drei Monaten. Das finde ich sehr gut, meine Vermutung ist tatsächlich, dass der längere Abstand den besseren Schutz machen wird. Aber das werden wir im Juni erfahren. Und bei dem 2 8 Tage Abstand, dem kürzeren Abstand, da haben die eben jetzt gesagt: Wie sieht es denn aus nach der zweiten Impfung mit den Nebenwirkungen? Und da ist Folgendes rausgekommen: insgesamt hatte man 463 Probanden, die da beteiligt wurden, und ich gucke jetzt gerade mal die Zahlen nur für das Fieber an. Als ein Beispiel, wie viel hatten Fieber, wenn man die ganz normale AstraZeneca-Impfung zweimal macht? Da hat man mehr Nebenwirkungen nach der ersten Impfung also, das ist dort auch noch einmal gezeigt worden. Fieber, 30 Prozent nach der ersten Impfung bei AstraZeneca und nur zehn Prozent bei der Auffrischungsimpfung. Umgekehrt ist es bei BioNTech, da ist es bei Fieber zum Beispiel nur zehn Prozent nach der ersten Impfung, aber dafür 2 5 Prozent bei der Auffrischung. Das ist aber, glaube ich, schon länger bekannt, dass AstraZeneca beim ersten Mal mehr Nebenwirkungen oder mehr Reaktogenität macht und BioNTech und Moderna beim zweiten Mal. Und jetzt kommt eben das Interessante, wenn man die Kombination anschaut, die eben in den meisten Ländern natürlich üblich ist, zuerst Astra und dann BioNTech. Die haben auch das andere getestet,


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aber das ist hier vielleicht ja nicht so wichtig. Und da ist eben gezeigt worden, dass man so zehn Prozent Nebenwirkungen bei zweimal Astra hat, also Fieber, in dem Fall. Und wenn man das aber boostert mit BioNTech, dann ist es mehr als dreimal so hoch. Also 34 Prozent. Das Fieber nach der zweiten Impfung ist 34 Prozent beim Booster im Vergleich zu zweimal AstraZeneca. Also ich möchte nur sagen, wer jetzt sozusagen nicht stark genug für diese zweite Impfung ist und sagt, ich habe aber Angst vor der Impf-Reaktogenität. Der ist mit zweimal Astra besser gefahren. Aber es ist dann auch so, dass die Impfung natürlich da wahrscheinlich schwächer wirkt. Die gute Nachricht ist, ich sage das so spaßig, das sind natürlich immer Effekte, die von selber wieder aufhören. Spätestens nach 48 Stunden war das wieder weg. Das Gleiche galt für Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Übelkeit, was es so gibt. Das war eigentlich immer so das gleiche Prinzip. Wer mit BioNTech boostert kriegt eine stärkere Impf-Reaktogenität. Meine Vermutung ist, das liegt daran, dass es tatsächlich dann auch wirksamer ist. Also dass man hier tatsächlich spürt, dass der Impfstoff wirkt.



Camillo Schumann



Sie haben gesagt, betrachtet wurden Freiwilliger im Alter von über 50 Jahren. Jetzt wurden ja vor allem in Deutschland auch unter 50-jährige geimpft. Ist zu vermuten, dass die Nebenwirkungen bei dieser Kombination aus Astra und BioNTech bei jüngeren stärker ausfallen werden.



Alexander Kekulé


Wollen Sie noch eins drauflegen? Leider ja, also ich muss aber wirklich sagen, da kann ich wirklich nur dazu aufrufen, also wegen dem einen Tag nach der Impfung, also bitte nicht deshalb darauf verzichten. Also ich musste so viele Impfungen machen, weil ich natürlich oft in den Tropen gearbeitet habe, wo man echt richtig fertig danach ist. Im Vergleich dazu ist es hier nichts, nichts Schlimmes. Aber ja, sie haben völlig recht. Bei jüngeren Leuten ist diese Reaktogenität tendenziell stärker. Es gibt ja


zum Teil auch ältere, die sagen ‚Mensch, ich hatte überhaupt keine Nebenwirkungen, nicht einmal der Pieks hat irgendwie weh getan, bin ich denn überhaupt immun?‘ Und wir wissen, dass das bei jüngeren Leuten eben häufig ein deutlicherer Effekt ist. Auch Krankenschwestern, die geimpft wurden, ja ganz früh, die haben sich dann reihenweise gleich krankschreiben lassen, ein, 2 Tage danach. Aber es ist wirklich maximal 2 Tage, kann man so sagen. Bei jüngeren Leuten, würde man erwarten, dass es noch ein bisschen mehr ist als die hier festgestellten 34 Prozent, die beim boostern dann Fieber bekommen haben.



Camillo Schumann



Tja, wenn man nach der Impfung keine Nebenwirkung hat, dann ist man alt. Dann fühlt man sich auch alt (lacht).



Alexander Kekulé


(lacht) Ja, das kann schon sein, das ist ja tatsächlich so, das muss man schon sagen, dass dieser Effekt kommt ja zum großen Teil durch den angeborenen Teil der Immunantwort, auch beim Boostern hat es damit zu tun. Und es ist in der Tat so, das Immunsystem wird, ja auch älter. Die Alterung des Immunsystems ist ein eigener Wissenschaftszweig und so wie die Muskeln schwächer werden, so werden natürlich auch die immunologischen Abwehrkräfte, zumindest die von diesem angeborenen Teil, mit dem Alter schwächer. Und dass das hängt wohl tatsächlich damit zusammen. Notfalls hilft dann immer noch Paracetamol. Also wer jetzt auf Tabletten steht, kann ja dann so ein Medikament nehmen. Das war in dieser Studie übrigens so, dass das freigestellt wurde. Und auch da hat man festgestellt, die die diese kombinierten Impfungen bekommen haben, von 2 verschiedenen Herstellern, die haben dann freiwillig, in 60 Prozent der Fälle irgendwann mal entweder beim ersten oder beim zweiten Impfen, Paracetamol genommen. Und von denen, die jetzt zweimal das Gleiche bekommen haben, egal ob es zweimal AstraZeneca oder zweimal BioNTech war, die haben


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zu 40 Prozent dann zum Paracetamol gegriffen. Ich kann nur noch einmal sagen, das sind Nebenwirkungen, die sollten wir wirklich in Kauf nehmen an der Stelle. Das hat überhaupt nichts zu tun mit Langzeiteffekten. Es ist nicht so, dass man deswegen Schäden von der Impfung hat, sondern das ist das Immunsystem. Was sich an dem Impfstoff abarbeitet.


33:49




Politikversagen WHO-Auswertung



Camillo Schumann



Wir kommen zu einem anderen Thema. Und hier im Podcast haben wir ja nie mit Kritik am Pandemie-Management sowohl international als auch national gespart, ich will jetzt nicht von Nörgler-Podcast sprechen, ne?





Alexander Kekulé


Nein, nein (lacht). Das fände ich aber auch unfair, weil es ist so, wissen Sie, da ging es wirklich um Menschenleben. Und wenn sie zuschauen müssen, wie staatliche Organisationen, und zwar nicht nur in Deutschland, Entscheidungen treffen, die dann mindestens fünfstellige Todesopfer fordern, dann ist es, glaube ich, kein nörgeln. Sondern das ist eine berechtigte Kritik daran, dass wirklich falsche Entscheidungen getroffen worden sind.





Camillo Schumann



Ich habe ja gesagt, ich will jetzt nicht von Nörgler-Podcast sprechen. Aber wenn man den Finger in die Wunde legt, dann hört sich das eher selten schön an. Und sie haben gesagt fünfstellig, 3,3. Millionen Menschen sind mittlerweile an oder mit Covid 19 gestorben. Nun haben eine ganze Reihe unabhängiger Experten den Finger in die Wunde gelegt und das globale Corona Pandemie-Management sowohl der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, als auch der einzelnen Regierungen analysiert. Und diese Expertenkommission wurde von der WHO selbst eingesetzt. Acht Monate haben die Frauen und Männer nun geschaut, was die WHO und die Staaten getan haben oder eben nicht getan haben. Und die Co-Vorsitzende des Ausschusses, die ehemalige Präsidentin Liberias, Ellen Johnson Sirleaf, kommt zu diesem vernichtenden Urteil




(übersetzt):


„Wir haben in jeder Phase Versäumnisse festgestellt und wir glauben, dass es möglich gewesen wäre, diese Pandemie zu verhindern. Der Februar war ein vergeudeter Monat. Trotz eindeutiger Warnungen glaubten viel zu viele Länder, es würde sie nicht treffen und sie nahmen eine unwirksame, abwartende Haltung an.“




Tja, deutliche Worte. 




Die Kommission kommt außerdem noch zu dem Schluss, dass das System, wie es zurzeit besteht, nicht dazu geeignet ist zu verhindern, dass sich mit einem neuen und hochansteckenden Erreger, der jeden Augenblick auftauchen könnte, eine Pandemie entwickelt. Also scheinen wir ein systemisches Problem gehabt zu haben. Aber keines, bei dem bewusst weggeschaut wird. Was meinen Sie?





Alexander Kekulé


Doch, ich glaube das Problem waren einfach die Ratschläge am Anfang. Ja, sie hat das richtig beschrieben. Februar ich würde in Europa noch den März dazunehmen, Teile des März, das haben wir wirklich verschlafen, weil wir dort nicht tätig geworden sind. Bei uns, also es gab ja viele Länder, die was gemacht haben, um diese Pandemie zu stoppen. 


Und der Fehler war damals nicht so sehr im politischen System, sondern dass es einfach auch wissenschaftliche Ratgeber gab, die ganz klar gesagt haben ‚Nein, wir müssen jetzt nichts tun, es ist zu früh, Alarm zu schlagen‘. Und die Politik verlässt sich natürlich dann immer auf denjenigen, der die weniger einschneidenden Maßnahmen empfiehlt. Ich sag mal selber, aus meiner Erinnerung, es ist ja bekannt, dass ich damals selber auch an die Weltgesundheitsorganisation Konzepte geschrieben habe. Bin mal gespannt, ob die Frau Johnson Sirleaf das auf dem Tisch hatte oder ob man das in die Schublade geschlossen hat. 





Camillo Schumann



Jetzt haben wir das Ergebnis schwarz auf weiß. Was machen wir jetzt damit? Nehmen Sie denn Signale wahr, dass da ein Umdenken stattfindet? Wird jetzt anders gesprochen? wird jetzt auf Konzepte zurückgegriffen? Werden da jetzt schon Strukturen geschaffen? Oder macht man einfach weiter wie bisher, weil man ja sowieso noch mit der aktuellen Pandemie zu tun hat?





Alexander Kekulé


Ich glaube, die Zeit nach der Pandemie, in dem Zitat hat sich Johnson Sirleaf sich da ja ein bisschen drauf bezogen, was machen wir für die nächste Pandemie? Das wäre mir zu früh darüber jetzt schon zu spekulieren. Also das wäre nochmal ein ganz eigenes Thema, um es mal so zu sagen, das können wir vielleicht noch einmal separat machen. 


Aber ich glaube, wo wir jetzt hinschauen müssen, ist wirklich das: wir werden im Herbst noch mal eine Welle haben. 





Camillo Schumann



Die Kommission, um das noch abschließend zusammenzufassen, schlägt unter anderem einen Rat für globale Gesundheitsbedrohung vor. Mitglieder sollen Staatsund Regierungschefs und Chefinnen sein, die das Thema PandemieVorbereitung dann im weltweiten Fokus halten.





Alexander Kekulé


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Also ich weiß nicht genau, wie das gemeint ist. Also ich hatte ja vor einigen Monaten auch schon einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht. Und zwar ist für mich eigentlich das das beste Rollenmodell, was es bisher gab, Die UNMEER-Kommission. Die Vereinten Nationen haben das damals gegründet als der Ausbruch in Westafrika war, der Ebola-Ausbruch, und Johnson Sirleaf – nur noch einmal zur Erinnerung Präsidentin von Liberia damals – die ja unmittelbar betroffen war. Das war auch die, die diesen Hilfeschrei an Angela Merkel damals, diesen berühmten Merkel Brief, geschrieben hat, woraufhin Deutschland dann auch versucht hat zu helfen, mehr oder minder erfolgreich. Aber es ist so, dass tatsächlich wir damals diese UNMEER-Kommission hatten. Die Vereinten Nationen haben die eingesetzt, weil sie gesehen haben, dass die WHO einfach zur Bekämpfung solcher Situationen nicht in der Lage war. Und ich glaube, das war eigentlich ein gutes Konzept, das ist dann nicht fortgesetzt worden. Letztlich auch, weil nicht nur Deutschland der der WHO beigesprungen ist und gesagt hat wir müssen die WHO stärken anstatt eine weitere UN Einrichtung zu haben, die sich hier um so was kümmert. 


Ich bin ehrlich gesagt der Meinung, dass das schon sehr gut wäre und unterstütze deshalb die Idee von Frau Sirleaf jetzt an der Stelle. Die spricht ja auch aus Erfahrung mit Ebola, dass man sagt das ist nichts, was letztlich die WHO kann. 





Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Dieser Anrufer hat eine Frage zur Karenzzeit für Menschen, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben:


„Wie sieht es denn mit der Karenzzeit von 2 8 Tagen ab positivem PCR-Test aus, ab der man erst als genesen gilt? In meinem Fall ist der positiven PCR-Test gerade 14 Tage alt. Ich bin wieder gesund und symptomfrei und eine Isolation wurde jetzt nach einem negativen Test beendet. Und dennoch gelte ich offiziell noch nicht als genesen an, sondern erst in 2 Wochen. Gibt es dafür medizinische Gründe oder hat das eher, wie ich vermute, vielleicht einen politischen Hintergrund, dass man es sozusagen unattraktiv machen will, dass sich junge Leute zum Beispiel, die kein größeres Erkrankungsrisiko haben, sich absichtlich anstecken, um dann schneller ihre Freiheiten zubekommen?“


Tja, was stimmt denn?


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Alexander Kekulé


Der zweite Teil ist ja ganz sportlich. Ja, das ist so etwas, wo viele dran denken. Aber keiner drüber sich zu sprechen traut. Also zu der ersten Frage ist es so, das ist ein pragmatischer Zeitraum, den man gewählt hat. Man hat halt gesagt, okay, ohne dass man noch mal die PCR macht – da ist ja kein weiterer PCR-Test vorgesehen – ab wann ist es jetzt wirklich absolut sicher? Und da kann ich mir schon vorstellen, da saßen die Politiker mit ganz vielen Virologen zusammen und da wird wahrscheinlich einer gesagt haben ‚naja, 2 Wochen ist schon ziemlich sicher‘, dann der nächste ‚ja, ich kenne aber dann einen Fall, da war es erst nach drei Wochen wieder negativ‘ und dann ‚ja, dann gibt es ja diese Leute die nach 2 Monaten immer noch positiv sind in der PCR, die Frage ist sind die noch ansteckend? Eher nicht‘ und dann hat man halt gesagt: okay, wir versuchen jetzt, irgendwie auf der sicheren Seite zu sein, mit vier Wochen, 2 8 Tagen. Klar könnte man argumentieren: Moment mal, was ist denn, wenn jemand zum Beispiel einen harmlosen Verlauf hatte und 14 Tage nach der Infektion oder nach dem ersten Testen legt der eine negative PCR vor oder vielleicht 2 negative PCRs. Dann würde man natürlich medizinisch sagen, klarer Fall: der es genießen und nicht mehr ansteckend. Das wäre für mich ein ganz klares G, für genesen in dem Fall. Da müsste der Gesetzgeber vielleicht ein bisschen nachbessern, dass ein ärztlicher Nachweis, der auf Labordaten beruht und der nachweist ‚genesen und nicht mehr ansteckend‘, dass der sozusagen dann auch gültig ist, bevor die 2 8 Tage abgelaufen sind.



Camillo Schumann



Was halten Sie von den 2 8 Tagen?



Alexander Kekulé


Ich hätte das glaube ich genauso gemacht. Ja, wissen Sie, Sie müssen ja pragmatisch vorgehen. Sie können ja nicht sagen, jeder muss sich dann noch mal testen lassen, ob er wirklich negativ geworden ist. Und was machen Sie dann mit denen, die immer noch positiv im Test


sind? Wir wissen ja gerade wenn diese CT Werte hoch sind, also irgendwo Richtung 30 gehen, das heißt also, wenn ganz wenig RNA nachgewiesen wird im Abstrich, da gibt es dann einfach schon einige, die haben viele Wochen, nachdem sie wieder gesund sind, immer noch eine positive PCR. Und nach aller Wahrscheinlichkeit sind die nicht mehr ansteckend oder zumindest nur bei engstem Kontakt ausnahmsweise ansteckend. Darum finde ich die 2 8 Tage sind vernünftig.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende. Und es gibt eine gute Nachricht zum Schluss, Herr Kekulé und die kommt von unserer Hörerin Frau S., ihr Mann hat eine kleine positive Nachricht in der französischen Zeitung gelesen und zwar in der abgelegenen chinesischen Region Lingchi stimmten vier Einsiedler sogar zu, eine kurze Pause von ihrer Meditation einzulegen, um ihre Impfung zu erhalten.



Alexander Kekulé


(lacht) Das ist nett. Wobei ich mich jetzt frage, wenn einer so wirklich tief meditiert, hätte man die ja auch einfach so impfen können oder muss man da unterbrechen für? (lacht)



Camillo Schumann



Vermutlich. Er hätte es wahrscheinlich gar nicht gemerkt. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 183. Vielen Dank! Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne, bis dann Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 15. Mai 2 02 1 #182 : Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zur Sendung:


Studie: SARS-CoV-2 -Spike-Protein beeinträchtigt die Endothelfunktion durch Herunterregulierung von ACE 2  (30.04.2 02 1) SARS-CoV-2  Spike Protein Impairs Endothelial Function via Downregulation of ACE 2  (ahajournals.org)


Samstag, 15. Mai 2 02 1


Sollten vollständig Geimpfte auf Masken in Innenräumen verzichten dürfen?


Greifen mRNA-Impfstoffe das Gefäßsystem an?


Sollte vor einer Impfung Plasma gespendet werden dürfen?


Darf ein Arzt die Gabe von AstraZeneca ablehnen?


Sind mehrere Wochen Nebenwirkungen nach einer Impfung normal?


Und: Wenn nach der ersten Impfung die Antikörperzahl sehr hoch ist, besser auf die zweite Impfung verzichten?



Camillo Schumann



Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


00:46



Camillo Schumann



Dieser Hörer hat angerufen, er würde sich gern impfen lassen, ist sich aber aufgrund seiner Vorgeschichte sehr, sehr unsicher:


„Ich hatte vor ca. 2 0 Jahren einen Verkehrsunfall. Als Folge habe ich ein Blutgerinnsel im Gehirn bekommen. Und meine Frage ist: Mit welchem Impfstoff kann ich mich impfen lassen, um die möglichst geringsten Beschädigungen zu bekommen? Oder aber kann ich mich überhaupt nicht impfen lassen?“



Alexander Kekulé


Also, nach so langer Zeit würde ich sagen, dass da keine Gefahr mehr ist, dass sich das Blutgerinnsel reaktiviert. Sodass man jeden Impfstoff nehmen könnte, auch AstraZeneca, der ja – aus Gründen, die wir nicht ganz genau verstehen – manchmal Blutgerinnsel machen kann. Sicherlich wäre es so, vielleicht aus psychologischen Gründen, würde ich mich wahrscheinlich wohler fühlen, wenn ich dann einen RNA-Impfstoff nehme, also den von Moderna oder von BioNTech. Aber es spricht auch letztlich, wenn das angeboten werden sollte, nichts dagegen, den AstraZeneca Impfstoff in dem Fall zu nehmen. Weil der Mechanismus, auf dem hier ganz selten mal diese berühmten Hirnvenenthrombosen entstehen, das ist ein ganz anderer Mechanismus als der Weg, auf dem Blutgerinnsel manchmal nach Verkehrsunfällen oder anderen Schlägen auf den Kopf passieren.


02 :08



Camillo Schumann



Herr H. hat uns gemailt und er möchte wissen:


„Mich würde mal interessieren, wie Sie Herr Professor Kekulé, zum Ansinnen von Jens Spahn stehen, den bisher empfohlenen Impfabstand zu verkürzen, um früher als vollständig geimpft zu gelten. Auf Kosten einer verringerten Wirksamkeit vielleicht? Viele Grüße.“


Am Anfang hieß es ja, erst 4 Wochen nach Zulassung. Dann hat man es ausgedehnt auf 12  Wochen und jetzt ist man wieder zurückgerudert, nach vier Wochen die zweite Impfung zu geben.



Alexander Kekulé


Ja, grundsätzlich ist es so, dass Impfstoffe – das wissen wir auch aus vielen anderen Beispielen


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– dann besonders gut wirken, wenn man die Booster-Impfung, also diese Auffrischungsimpfung, relativ spät macht. Also, eigentlich ist optimal sechs Monate später, diese Größenordnung. Oder sogar ein Jahr später. Das sind ja auch die typischen Abstände, die man zum Beispiel bei Impfungen im Kindesalter empfiehlt. Warum ist es bei den Zulassungsstudien sowohl bei den RNA-Impfstoffen als auch bei den Vektor Impfstoffen kürzer gewählt worden? Da hat man drei bzw. vier Wochen genommen. Der Grund ist der, dass man gesagt hat: Wir sind hier in einer Pandemie und wir müssen möglichst schnell möglichst viele Leute halbwegs immun bekommen. Und deshalb ist es wichtig, die zweite Dosis, die man ja braucht, um die Immunität nochmal richtig hochzufahren, so schnell wie möglich zu geben. Das ist sozusagen der pandemischen Situation geschuldet und war schon bei den Herstellern, sage ich mal, so eine Art Kompromiss zwischen optimaler Wirksamkeit – da hätte man länger gewählt – und schneller Wirksamkeit. Da ist es eben gut, die zweite Dosis schnell zu geben. Ja, und deshalb ist AstraZeneca Mal angetreten mit diesen vier Wochen. Und dann hat man – was völlig erwartungsgemäß war – nach der Zulassung festgestellt, dass es besser ist, dass die Wirkung besser ist, also der Immunschutz besser ist, wenn man etwas länger wartet. Zwölf Wochen wurde da mal so ausprobiert. Ich schätze, wenn man sechs Monate gewartet hätte, wäre es genauso gut oder vielleicht noch besser gewesen. Das war ja auch ein bisschen der Hintergrund, warum ich von Anfang an gesagt hatte, es wäre sinnvoll, möglichst schnell alle einmal zu impfen, weil, wenn die zweite Dosis bisschen später kommt ist es nicht so schlimm, im Zweifel sogar besser bezüglich der gesamten Wirksamkeit. Da ist dann sozusagen im zweiten Schritt in Deutschland die Bundesregierung darauf eingegangen, das Gesundheitsministerium, und hat – letztlich auch wegen der Impfstoffknappheit gesagt – man darf bis zu drei Monate den Abstand zwischen den beiden Impfungen machen. Das war der Tatsache geschuldet, dass man eben zu wenig Impfstoff hatte. Im Grunde genommen die Empfehlung, die ich immer gegeben hatte, hat man jetzt teilweise umgesetzt. Ich hätte es vielleicht noch weniger reglementiert gemacht – ob das jetzt drei oder vier Monate sind, wäre mir egal


gewesen. Ja, und jetzt ist man wiederum auf der anderen Seite angekommen. Jetzt sagt man: Wir haben einfach so viel AstraZeneca im Regal rumliegen, das Zeug muss raus, sonst verfällt es. Also, nichts wie weg damit. Und deshalb ist es natürlich nicht sinnvoll, das dann noch ein paar Monate abzulagern – die haben ja relativ kurze Verfallsdaten zum Teil. Sondern deshalb ist es sinnvoll, das einfach raus zu impfen. Darum hat man es aus meiner Sicht jetzt wieder verkürzt. Ja, man gibt damit einen Teil, sage ich mal, dieser leichten Verbesserung – das war eine Studie von der Oxford Universität, die, ich glaube, im Februar oder so ist die rausgekommen, die gezeigt hat, dass etwas länger warten besser ist – man gibt das wieder auf. Das war aber jetzt kein so dramatischer Effekt, dass man deswegen sagen würde, vier Wochen ist jetzt überhaupt nicht zu verantworten, weil es ist eben nach wie vor diese Balance. Lieber schnell und dafür bisschen stärkere Immunität oder lieber später impfen. Da hat man einfach eine längere Pause zwischen der ersten und zweiten Impfung. Und in dieser Pause ist ganz klar, dass man nicht den vollen Schutz hat. Vor allem, wenn man jetzt natürlich anguckt: Kann ich krank werden? Kann ich Symptome bekommen. Da ist der Schutz unvollständig. Er ist relativ vollständig bezüglich der Gefahr: Kann ich an dem Virus dann sterben, wenn ich's bekomme? Da, würde ich sagen, ist die Schutzwirkung weit über 80 Prozent. Aber so hat man sich halt jetzt in diese Richtung entschieden. Ich glaube, das war so eine Gesamtgemengelage, hauptsächlich mit Blick auf die vollen Regale.


06:12 



Camillo Schumann



Aber trotzdem noch mal nachgefragt: Auf wieviel Wirksamkeit, wie viel Prozent Wirksamkeit verzichtet man denn dann? Ist es zu vernachlässigen? Oder ist es schon signifikant, wenn man sagt: Okay, ich hole mir die zweite Impfung bisschen früher ab.



Alexander Kekulé


Es ist ein bisschen schwierig, die Studien zu vergleichen, weil die ursprüngliche Zulassungsstudie von AstraZeneca bestand ja aus mehreren Elementen, Teilstudien, sage ich jetzt mal, wo sich ja dann leider später herausgestellt hat, dass die unter relativ unterschiedlichen


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Bedingungen gelaufen sind. Zum Beispiel im Vereinigten Königreich und in Brasilien, wo Teilstudien stattfanden und dass man aufgrund von Problemen bei der Lieferung schon damals bei einem Teil der Probanden – ich glaube, das war der Studienarm, der Studienteil in Brasilien – da hat man sowieso diese Frist nicht eingehalten und sozusagen aus Versehen zu spät geimpft. Also, unter Protokollverletzung zu spät geimpft. Was man übrigens bei Zulassungsstudie niemals machen darf. Also, das Wort Protokollverletzung ist sozusagen ein absolutes NoGo bei Zulassungsstudien. Haben die aber da gemacht und haben eben einfach später geimpft. Und das war die berühmte Sache, da hatte man dann eben zu wenig. Dann hat man die halbe Dosis gegeben und hat dann gemerkt: Hoppla, bei der halben Dosis ist es plötzlich stärker wirksam, als wenn man die volle Dosis gibt. Und wie sich dann später herausstellte, lag das eben nicht daran, dass man das Protokoll verletzt hat, indem man die halbe Dosis gegeben hat, sondern an der weiteren Protokollverletzung, dass man eben zu spät gegeben hat. Und zu spät hieß in dem Fall, dass also der Booster-Effekt eben besser gewirkt hat aus den genannten Gründen. Da kam raus bei der ersten Studie eben bei einer, dass die Wirksamkeit bezüglich der symptomatischen Erkrankung bei 62  Prozent liegt, bei der anderen Studie deutlich höher. Und AstraZeneca hat im Zulassungsverfahren ja erst mal versucht, diese Daten miteinander zu vermischen – so eine Art Mittelwert gebildet, was gar nicht geht, sozusagen die dritte Protokollverletzung. Und daraufhin haben die Amerikaner ja gesagt, ihr müsst alles nochmal von vorne machen. Darum mussten sie für die FDA die Studie komplett neu machen. Und wenn man jetzt diese Studie – die eben wie gesagt hundert Fragezeichen hat – wenn man die jetzt vergleicht mit dem, was dann später von den Leuten aus Oxford rausgerechnet wurde, dann ist es folgendermaßen: In der ersten Studie lag eben die Wirksamkeit, je nachdem, wem Sie glauben wollen, zwischen 62  und 75 Prozent – irgendwo in dem Bereich. Und wenn man das Protokoll verlängert, also, wenn man jetzt wirklich auf zwölf Wochen geht, dann kommt man ungefähr auf 82  Prozent. Aber die Schwankungsbreite ist da auch so grob gesagt zwischen 60 und 90. Also, ich sag mal so über den


Daumen gepeilt aus dem Bauchgefühl: Vielleicht gewinnen sie zehn Prozent Wirksamkeit bezüglich der Erkrankung. So in der Größenordnung wird es wahrscheinlich liegen. Und es wäre auch das, was wir von anderen Impfstoffen erwarten würden.


08:52 



Camillo Schumann



Ist das analog – noch eingeschoben – analog zu vergleichen mit den mRNA Impfstoffen, wenn man die Zeit verlängert, reden wir da auch über zehn Prozent oder sind es mehr?



Alexander Kekulé


Naja, von 95 Prozent plus zehn wäre sozusagen überwirksam. Also, das ist ja immer bei solchen Effekten so, dass wir Sättigungseffekte im oberen Bereich haben. Also, wenn Sie ihr Zimmer sauber machen, so mal schnell sauber machen – kölsche Wisch, sagt man im Rheinland – das geht ganz schnell. Aber wenn Sie wollen, dass es halbwegs gründlich ist, dann müssen Sie schon doppelt so lang arbeiten. Und wenn Sie die letzten zehn Prozent Dreck wegmachen wollen, dann arbeiten Sie drei Tage lang und steril rein heißt dann: 2 Wochen lang putzen. Und so ähnlich ist es hier immer, wenn Sie so Sättigungseffekte haben und das heißt also in diesem Fall: Von 95 Prozent auf 100 Prozent zu kommen ist extrem schwierig. Also, mit der gleichen Anordnung unter gleichen Bedingungen – ich glaube, dass man vielleicht ein, 2 Prozent gewinnt, wenn man bei den RNA-Impfstoffen ein bisschen länger wartet. Aber im Grunde genommen ist es so, dass die Wirksamkeit ja dort auch schon nach der ersten Injektion extrem hoch ist. Wir wissen, dass die RNA superstark reaktogen ist, also die aktiviert das Immunsystem eben sehr stark. Und deshalb ist es so, dass man wahrscheinlich nach den drei Wochen, die jetzt empfohlen werden – bzw. man kann es ja erweitern bis sechs Wochen – das ist so der Zeitraum, wo man wohl schon deutlich über 95 oder im Bereich von 95 Prozent liegt. Und vielleicht ein bisschen drüber. Ich glaube nicht, dass es einen Sinn hat, wegen der stärkeren Wirksamkeit bei den RNA-Impfstoffen jetzt nochmal ein halbes Jahr zu warten, nur bezüglich der Verfügbarkeit. Ja, mein Argument ist ja immer, dass ich sage: Viele Menschen einmal zu impfen bringt epide-


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miologisch mehr als wenige Menschen besonders gut abzusichern. Vor allem, wenn Letztere eben jünger sind und gar nicht zu der Gruppe gehören, die das hohe Risiko hat.


10:48



Camillo Schumann



Millionen Menschen haben ja auch schon eine Corona-Infektion durchgemacht und stehen dann auch vor der Frage: Ja, lasse ich mich jetzt impfen oder nicht? Wie dieser Hörer, der angerufen hat:


„Ja, guten Tag. Ich bin 42  Jahre alt und wollte gern wissen, ob ich nach einer Genesung vom Coronavirus mich impfen lassen soll, da ich jetzt in drei Wochen die Möglichkeit habe, mich als Wahlhelfer mit dem Impfstoff von BioNTech impfen zu lassen. Ist das empfehlenswert? Weil das Robert Koch-Institut ja sagt, erst sechs Monate nach Genesung ist eine einzelne Impfdosis zu empfehlen. Vielen Dank.“


Tja, soll er sich die Chance entgehen lassen? Ja oder nein?



Alexander Kekulé


Also erstens, weiche ich natürlich niemals von den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts ab. Hier waren es ja deutlich weniger als sechs Monate. Ich kann aber vielleicht so allgemein Folgendes sagen: Wenn man nach einer CovidInfektion, die man sicher hatte – das muss natürlich wirklich bestätigt sein, bitte unbedingt auch mit PCR – wenn man danach keine Symptome mehr hat und völlig gesund ist, also kein Long Covid, nicht einmal ansatzweise, dann gibt es aus meiner Sicht in der jetzigen Lage – also schon gar nicht nach drei Monaten nach der Infektion – eigentlich keinen Grund, sich da impfen zu lassen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Impfung dann einen zusätzlichen Schutz bieten würde. Wir haben da schon ein paar Mal darüber gesprochen. Es werden dann die speziellen Antikörper hochgehen, die ganz speziell durch den Impfstoff ausgelöst werden. Aber die natürliche Infektion ist in der Breite wesentlich besser aufgestellt, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass das jetzt irgendwie den Braten fett macht, ob man sich zusätzlich impfen lässt. Es gibt eine Überlegung, dass man sagen kann: Okay, ich habe noch irgendwelche Symptome. Also, das haben ja nicht so wenige. Man spricht da von 2 0, 2 5


Prozent, die neurologische Symptome haben oder noch Probleme beim Atmen oder Ähnliches, was dann unter diesem – noch nicht so genau definiertem – Überbegriff Long Covid zusammengefasst wird. Und da gibt es eine Theorie, mehr als eine Theorie ist es nicht. Aber es gibt die Theorie, dass das damit zu tun hat, dass irgendwo noch Spike-Proteine dieses Virus oder andere Teile dieses Virus im Körper sind, die dort nicht als Virus sich vermehren, aber die irgendwie das Immunsystem reizen, so eine Art Entzündung irgendwo machen und da arbeitet sich da quasi das Immunsystem kontinuierlich daran auf. Und das macht möglicherweise diese Symptome. Und falls diese Theorie stimmen würde, wäre es unter Umständen sinnvoll, sich impfen zu lassen, weil man da quasi so einen immunologischen Reset mit manchmal machen kann. In dem Sinn, dass dann also aufgrund der Impfung die Immunantwort nochmal richtig hochfährt und dann diese irgendwo noch versteckten, rumliegenden Viruskrümel einsammelt und das Long Covid beendet. Es gibt einzelne Fallberichte – die aber nicht in dem Sinn jetzt auswertbar sind, als sag ich mal, wissenschaftliche Basis – die in die Richtung deuten. Es gibt Ärzte, die sagen: Jawohl, ich hatte da Patienten mit Long Covid, die habe ich geimpft mit dem RNA-Impfstoff, und danach ging es ihnen deutlich besser. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Es gibt auch Leute, die sagen, sie nehmen homöopathische Globuli und danach geht es ihnen deutlich besser. Man muss da immer vorsichtig sein mit so subjektiven Schilderungen. Aber aus diesen ganzen gründen, würde ich sagen: Wenn jemand Long Covid hat – da es keine bekannten Nebenwirkungen bei Erwachsenen hat – würde ich sagen, kann man es machen. Und ansonsten meine ich: Die sechs Monate sind ja natürlich willkürlich, die ja da jetzt erstmal als Abstand empfohlen werden. Aber praktischerweise ist es ja so, dass wir im Herbst wahrscheinlich eine neue Version von Impfstoffen haben werden. Oder – das waren diese unterschiedlichen Strategien, die von Moderna und BioNTech verfolgt werden – wir haben das auch schon mal besprochen: Entweder neu angepasste Impfstoffe, die die Varianten besser abdecken. Oder wir haben Daten, die möglicherweise zeigen, dass eine dritte Impfung mit dem BioN-


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Tech Impfstoff tatsächlich nochmal die Immunantwort verbreitert und vielleicht auf diese Weise zusätzlich die Varianten, die da aus Südamerika und aus Südafrika und aus Indien und so kommen – aus Afrika neuerdings ja auch. Und wenn man das alles zusammenfasst, sage ich: Mit einer durchgemachten Infektion ist es eigentlich – wenn man keine besonderen Gründe hat – sinnvoll, mal bis zum Herbst zu warten und zu schauen, ob man zu dem Zeitpunkt dann vielleicht einen neu angepassten Impfstoff bekommen kann.


15:15



Camillo Schumann



Unsere Hörerin Frau F. hat uns gemailt:


„Eine Freundin von mir wurde mit Moderna geimpft. Nach fünf Wochen hat sie einen Antikörpertest gemacht. Das Ergebnis war 332 . Beim Termin für die zweite Impfung hat der Impfarzt gesagt, dieser Titer ist zu hoch und hat ihr keine zweite Dosis gegeben. Stattdessen eine Bescheinigung. Was halten Sie davon? Ich überlege das nun auch für mich und meinen Sohn. Er ist 2 2 . Wir beide haben unsere erste Impfung mit BioNTech. Vielen Dank und beste Grüße.“



Alexander Kekulé


Na ja, grundsätzlich ist es so: Ja, die einmalige Impfung schützt viele Menschen sozusagen ausreichend, weil es uns ja nicht darum geht, die Infektion hundert Prozent zu verhindern – das können wir sowieso nicht wegen der Varianten, die da so kommen – sondern, weil wir halt nicht schwer krank oder sterben wollen. Deshalb reicht eigentlich erstmal eine Impfung aus. Andererseits gibt es natürlich auch Argumente für die zweite Impfung. Und das ist jetzt nicht nur die Höhe des Antikörpertiters, sondern, das eine ist, dass wir nach der zweiten Impfung wissen, dass auch die T-zelluläre Antwort breiter wird. Das heißt also, es sind ja nicht nur die B-Zellen, die die Antikörper machen – also die Nachfahren der B-Zellen machen die Antikörper, die heißen dann Plasmazellen, die produzieren Antikörper – sondern es gibt ja auch diese zelluläre Immunantwort. Das sind weiße Blutzellen, so Lymphozyten, die darauf abgerichtet sind, körpereigene Zellen zu erkennen, in denen sich gerade das Virus vermehrt. Und die heißen deshalb zytotoxische


Zellen, weil sie diese Zellen, die sie da angreifen, kaputtmachen, umbringen und sozusagen toxisch sind für die. Und dieser Effekt – und noch ein paar andere – der wird natürlich deutlich verbreitert, wenn man diese zweite Booster-Impfung oder Auffrischungsimpfung macht. Darum würde ich die auf jeden Fall aus medizinischer Sicht grundsätzlich empfehlen, auch wenn man natürlich im Einzelfall einen hohen Titer, also 332  – das heißt dann Einheiten pro Milliliter. Das ist ein relativ hoher Titer, da würde man jetzt normalerweise sagen: Das reicht erstmal aus. Aber ich glaube, wir haben noch nicht genug Daten, die jetzt diesen Antikörper-Titer wirklich sauber mit der Immunität korrelieren. Darum würde ich grundsätzlich empfehlen, jetzt aus medizinischer Sicht die zweite Impfung zu machen, wenn man sie bekommen kann. Es gibt noch einen anderen Grund, der wichtig ist. Und das ist jetzt rein formal für die Freiheiten, die man ja jetzt wiederbekommen soll, wenn man jetzt mit diesem Impfpass oder Ähnliches, was jetzt alles kommen soll, dass man also wieder sich nicht mehr testen lassen muss, unter Umständen demnächst keinen Mundschutz mehr tragen muss und all diese Dinge. Die sind alle gekoppelt an die vollständige Impfung. Und das heißt bei BioNTech: Zweimal impfen. Da erreicht einmal impfen eben nicht. Und bei Moderna auch. Das heißt also zweimal impfen. Und mit einer Impfung ist kein Blumentopf zu gewinnen. Und eine Impfung plus Nachweis, dass die Antikörper hoch sind, das reicht eben nach der seit Mittwoch in Kraft getretenen neuen CoronaVerordnung – da auch noch die Corona-Einreiseverordnung, die es ja da auch jetzt neu gibt – reicht es eben nicht. Man kann es diskutieren, ob das sinnvoll ist vom Gesetzgeber. Also, ich persönlich hätte es wahrscheinlich anders gemacht. Ich hätte Personen, die einen hohen Antikörper-Titer haben – also, die nachweisen können, dass sie die Infektion durchgemacht haben oder geimpft wurden und dann zusätzlich noch einen offensichtlich ausreichenden Antikörper-Titer haben – die hätte ich gleichgestellt mit solchen, die nachweisen, dass sie genesen sind. Das ist aber im Gesetz nicht so, kann man jetzt als paradox bezeichnen. Im Gesetz heißt es eben, oder in der Verordnung heißt es eben, dass ein PCR-Test im Zeitraum zwischen, jetzt schlagen Sie mich tot, ich


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glaube, es ist vier Wochen und sechs Monaten, so in dem Zeitraum – also, er darf nicht zu neu sein und er darf man auch nicht zu alt sein – in diesem Zeitraum muss der PCR-Test positiv gewesen sein. Und man muss inzwischen wieder genesen sein. Dann gilt man als genesen. Wenn man nur die Antikörper nachweist, dann ist man eben nicht genesen. Und Antikörper plus einmal impfen reicht eben auch nicht. Darum würde ich es auch aus diesem ganz praktischen Grund, wenn man irgendwie mal in Urlaub fahren will, in Datsche will oder Ähnliches, würde ich das doch empfehlen. Allen Ferienhausbesitzern in Meck-Pomm und so weiter.


19:2 9



Camillo Schumann



Ganz kurz noch: Diese 332 . Das ist eine ziemlich abstrakte Zahl für Menschen, die sich damit nicht auskennen. Können Sie das so ein bisschen einordnen, diese Zahl?



Alexander Kekulé


332 , ja, das sind so ganz kurz gesagt Einheiten pro Milliliter. Also, wenn wir so Antikörper bestimmen, da gibt es einfach mehr oder minder willkürliche Einheiten. Die heißen da zwar zum Teil dann internationale Einheiten, aber die sind im Grunde genommen sehr stark geräteabhängig und in der Praxis nicht so sauber standardisiert. Aber wie auch immer einigen sich die Labore so ein bisschen drauf, was halt bei einem bestimmten Antikörper dann die Einheit ist. Und hier ist es so, dass diese Einheiten pro Milliliter gemessen werden. Man kann vielleicht sagen: Wenn jemand negativ ist, dann hat er in diesen Tests auf jeden Fall unter 50, also der Wert, der da rauskommt, ist dann unter 50 – meistens null oder zehn oder sowas. Das sind dann sozusagen Negativwerte. Und alles, was über 50 Einheiten ist, gilt dann als immunisiert. Und deshalb ist 332  natürlich schon ein Wert, wo man sagen kann: Klarer Fall. Das ist etwas, was zum Beispiel bei jemandem, der eine richtige Covid-19-Infektion durchgemacht hat, einen Monat später würde man auch was in dieser Größenordnung erwarten.


2 0:46



Camillo Schumann



Okay. Diese Hörerin informiert sich sehr intensiv über das Thema Corona und Impfstoff und


alles, was dazugehört. Und nun will sie mit ihrem geballten Wissen Folgendes wissen:


„Ich habe mal eine Frage, und zwar hat man ja oder haben Forscher in den USA jetzt rausgefunden, dass Covid-19 keine reine Atemwegserkrankung ist, sondern auch die Endothelzellen und damit das Gefäßsystem schädigt. Und die Schädigung kommt durch das Spike-Protein zustande. Jetzt ist es ja so, dass bei der mRNAImpfung ja der Körper praktisch den Bauplan kriegt, um das Spike-Protein selber herzustellen. Also gibt es da möglicherweise irgendwelche Sachen, die zu befürchten sind?“


Glückwunsch zu dieser tollen Frage.



Alexander Kekulé


Ja, die Frage ist wirklich klug. Ich muss vielleicht dazu sagen: Wir haben, glaube ich, diese Studie nicht besprochen, um die es da geht. Vielleicht können wir die trotzdem auf die Webseite stellen. Es ist so, das ist vor einigen Wochen mal rausgekommen, Kollegen vom Salk Institute waren das, in La Jolla in Kalifornien. Die haben gezeigt, dass, wenn man das Spike-Protein des Sars-CoV-2 -Virus, wenn man das in ein anderes Virus packt – wir nennen das dann Pseudovirus, also in so einer Art Hülle, die sich gar nicht groß vermehrt – dass man damit tatsächlich so eine Entzündungsreaktion zumindest im Labor erstmal hervorrufen kann. Und dann haben sie im nächsten Schritt das reine Spike-Protein, also wirklich nur das Eiweißmolekül genommen und haben das dann verwendet, um zu gucken: Was passiert da? Und da auch festgestellt, dass es zu einer Entzündungsreaktion kommt, wahrscheinlich auch an den Innenseiten der Gefäßwände – den Endothelien heißen die. Und die Idee, warum es dazu kommt oder der Mechanismus, der ist jetzt noch nicht so ganz klar. Aber es sieht so aus, als wäre der Mechanismus der, dass das künstlich hergestellte Spike-Protein in diesem Experiment an den klassischen Rezeptor des Sars-CoV-2  Virus gebunden hat, dass ist dieser ACE-2 -Rezeptor. Und wenn das da dran bindet, dann kommt es eben – über diese Rezeptorbindung wird der Rezeptor abgebaut – und es kommt zu einer Degradation der Zellen an der Innenwand der Gefäße. Und das ist so ein Mechanismus, von dem man schon länger vermutet, dass der was zu tun hat mit der Infektion. Wir wissen ja, dass so Mikrothromben


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eine ganz wichtige Rolle spielen, auch in der Lunge, für die Erkrankung und Entwicklung, für die pathologischen Erscheinungen bei der Covid-19-Infektion. Das ist natürlich trotzdem noch eine Lungenkrankheit. Ich habe da zum Teil Überschriften gesehen: Ist doch keine Lungenkrankheit, sondern eine Gefäßkrankheit. Es sind ja die Gefäße der Lunge hier insbesondere betroffen. Und insofern ist es eine Lungenkrankheit. Und also grundsätzlich, wenn jemandem die Puste ausgeht und er beatmet werden muss und kein Sauerstoff mehr im Blut hat, dann ist es definitiv eine Lungenkrankheit. Aber dieser Faktor von Mikrothrombosen, Gefäßentzündung, spielt eine große Rolle – auch bei den peripheren Organen, die betroffen sind. Wahrscheinlich auch beim zentralen Nervensystem. Ja, und jetzt ist natürlich die kluge Überlegung: Moment mal, wenn das Protein ganz alleine, also ohne das Virus – da war dann am Schluss in dem letzten Experiment kein Sars-CoV-2  Virus mehr dabei, sondern nur noch das reine Protein – wenn das diese Entzündung auslösen kann, durch Bindung an den Rezeptor und den ja das Virus selber dann auch binden würde, kann es sein, dass die gleiche Entzündung der Impfstoff macht? Weil, da wird ja auch dieses Protein hergestellt. Da gibt es 2 Antworten darauf. Erstens: Theoretisch auszuschließen ist das nicht. Also, kann es sein. Muss der Wissenschaftler fairerweise immer sagen, kann ich nicht 100 Prozent ausschließen. Es gibt aber so einen kleinen Plausibilitätscheck. Und das ist die Dosis. Wenn man so eine Virusinfektion hat, dann sind ja, muss man sich vorstellen, Unmengen von diesen Viren im Blutkreislauf. Und diese Massen von Viren, jedes von denen hat überall an der Oberfläche dieses S-Protein. Und die hängen dann überall in riesengroßer Zahl an den Gefäßen dran. Und da kommt es eben dann zur Entzündung. Und auch bei diesen Experimenten, die da gemacht wurden in La Jolla, war es eben so, dass eine sehr hohe Dosis verwendet wurde von diesem Protein, um die Entzündung auszulösen. Die Dosis, die der Impfstoff quasi verabreicht, da würde ich jetzt mal sagen: An der Stelle, wo man die RNA injiziert – also da im Schultermuskel, in diesem Deltoideus-Muskel an der Schulter – da ist natürlich dann momentan eine hohe Dosis. Und da würde ich jetzt mal nicht ausschließen, dass dadurch, dass die Zellen


jetzt dort ja anfangen, diese Spike-Protein zu produzieren nach der Gebrauchsanweisung, die in diesem RNA-Impfstoff drinnen ist, dass es dadurch zu einer lokalen Entzündungsreaktion kommt. Und wir wissen ja auch, dass diese Lokalreaktion bei den RNA-Impfstoff manchmal ganz schön heftig ist. Das könnte damit zusammenhängen, zum Beispiel. Aber, dass es jetzt ein systemisches Problem gibt in dem Sinn, dass die S-Proteine, die da hergestellt wurden über die Mikrokapillaren dann irgendwie in den Blutkreislauf kommen und im Kreislauf dann zum Beispiel in der Lunge landen und dort dann eine massive Gefäßentzündung machen, das halte ich aufgrund der Dosis für so gut wie ausgeschlossen. Aber man muss natürlich vorsichtig sein. Als Wissenschaftler sagt man immer nur „so gut wie“ ausgeschlossen, weil man hat in der Forschung so oft Pferde kotzen sehen, dass man immer vorsichtig ist, Sachen theoretisch auszuschließen. Ich würde mal sagen: Das wäre sicher etwas, wo man ein Auge drauf haben muss bei den Langzeitbeobachtungen. Aber wenn es jetzt wirklich auch ganz praktisch gesagt bei diesen inzwischen, ich glaube, über 100 Millionen Menschen, die damit geimpft wurden inzwischen, wenn es da irgendwie so einen Effekt gäbe, dass da häufiger mal eine Gefäßentzündung auftritt, das hätten wir längst bemerkt.


2 6:2 7



Camillo Schumann



Und diese Studie gibt es zum nachklicken in der Schriftversion dieser Ausgabe 182  unter der Folge 182  unter Audio & Radio auf MDR.de.


Herr M. hat uns gemailt. Er hat gelesen, dass sich Bundesinnenminister Seehofer trotz seiner BioNTech Impfung im April mit Corona infiziert hat und in Quarantäne musste. Er schreibt:


„Müssen diejenigen, die eine Erstimpfung mit BioNTech erhalten haben, nun befürchten, dass sie bei einem Test positiv getestet werden und in Quarantäne müssen? Vielen Dank, Herr M.“



Alexander Kekulé


Ja, da weiß ich jetzt nicht genau, wie die Frage gemeint ist. Also, ich würde sagen, wenn die Frage ist: Kann man positiv getestet werden aufgrund der Impfung? Sozusagen falsch-positiv, weil geimpft. Das natürlich nicht. Aber man kann sich natürlich infizieren, obwohl man nur


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einmal geimpft ist. Weil, wenn wir mal so schätzen: 80 Prozent Schutz macht die einmalige Impfung. Das ist so eine Daumenpeilung, die aus den Daten so hervorgeht. Dann heißt das natürlich, dass 2 0 Prozent – das ist immerhin ein Fünftel – sich noch infizieren kann. Und zwar symptomatisch. Und die Wahrscheinlichkeit ist natürlich hoch, dass jetzt in dem Fall der Bundesinnenminister – gute Besserung an der Stelle – dass der hier zu den 2 0 Prozent einfach gehört. Da kann ich nur sagen: Wahrscheinlich hört er unseren Podcast nicht, sonst wüsste er, nach der ersten Impfung sollst du nicht unvorsichtig werden. Und so ein Minister, der ist natürlich immer unter Druck und geneigt zu sagen: Na gut, jetzt nehme ich den Termin noch und den und den. Gerade Herr Seehofer – das ist ja bekannt, darum darf man das sagen – der hat er vor vielen Jahren mal auch eine Herzmuskelentzündung gehabt, weil er einen ganz harmlosen Virusinfekt mit so einer Art Sommergrippe nicht auskuriert hat, sondern munter weiter regiert damals. Und dann musste er wirklich auf die Intensivstation.


2 8:18



Camillo Schumann



Dieser Hörer aus Baden-Württemberg hat uns angerufen. Er berichtet, dass in seinem Impfzentrum Geimpfte ihre Impfbescheinigung mit einem QR-Code fürs Handy erhalten. Aber nicht alle:


„Menschen, die eine heterologe Impfung mit AstraZeneca und BioNTech erhalten haben, bekommen diesen Ausweis nicht. Mit der Begründung, sie hätten keinen vollständigen Impfschutz. Eins plus eins sei hier nicht gleich zwei. Es müsse der gleiche Impfstoff sein. Werden hier alle heterolog Geimpften verschaukelt? Vielen Dank für Ihre Antwort.“


Tja, schwer zu beantworten diese Frage.



Alexander Kekulé


Ja, das ist wirklich schwierig, weil so ähnlich wie das, was wir vorhin hatten, mit den Antikörpern. Es gibt eigentlich aus meiner Sicht keinen Grund, jemanden, der einen klaren, positiven Antikörpernachweis mit einem der modernen Tests hat – es gab früher welche, die falsch-positiv waren. Aber heute ist es ganz klar: Wenn Sie Antikörper haben, dann hatten Sie eine Corona-Infektion. Und hier ist es so,


eins plus eins ist nicht zwei, sondern wahrscheinlich eher 2 ,5 oder 2 ,2 . Weil tatsächlich, wenn Sie einen heterologen Impfstoff nehmen, der ja nicht vom Antigen her – also von dem, was das Immunsystem stimuliert – nicht ganz genauso aussieht wie der Ursprüngliche, sondern eine kleine Variante ist. Und da wissen wir, dass typischerweise die Immunantwort eher breiter wird. Das ist so ähnlich, als wenn Sie jedes Jahr mit einem anderen Erkältungsvirus eine Erkältung haben – das ist ja im Kindesalter so der Standard – dann verbreitert sich sozusagen die Immunantwort nach und nach, weil die nicht mehr so speziell nur gegen ein Virus gerichtet sind, sondern das Immunsystem lernt a regelrecht. Das versteht dann, was der gemeinsame Nenner dieser Viren ist. Und die Antikörper, die besonders gut sozusagen als eine Größe gegen alles passen – one-sizefits-all – die werden dann speziell produziert und die Gedächtniszellen werden speziell gefördert und eingelagert. Das heißt also, da gibt es einen Lerneffekt, der eigentlich besser ist, wenn man so eine ähnliche Aufgabe kriegt. Naja, wenn Sie in Mathematik ihr Kind immer nur fragen: Was ist 2 plus zwei? Und dann wird es irgendwann immer brav sagen: Vier. Wenn sie mal variieren: 2 plus zwei, drei plus drei, eins plus drei oder so, dann lernt das Kind natürlich dazu. Und das Immunsystem ist so ähnlich, sodass man jetzt eigentlich sagen müsste: Richtig wäre es natürlich, die heterologen Impfungen auch ganz genauso gleich zu behandeln. Vielleicht aus Folgender Überlegung – das ist grundsätzlich, finde ich, in dieser Phase der Pandemie, in der wir jetzt sind, ganz wichtig. Wir sind ja auf dem aufsteigenden Ast, was jetzt nicht die Infektionszahlen, sondern was sozusagen den Erfolg der Pandemiebekämpfung betrifft. Und in dieser Phase, wo wir jetzt auch in den Sommer reingehen, müssen wir einfach mit Restrisiken lernen zu leben. Das wird ja auch im Herbst dann so sein. Dann werden neue Varianten kommen und wir werden nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag immer, wenn irgendwo eine neue Variante festgestellt wurde, wieder alles zu machen können. Und wir haben ja jetzt dieses Grundprinzip – ich finde das sehr gut, dass das auf viele Empfehlungen hin ja eingeführt wurde – dieses GGGPrinzip: Geimpft, genesen, getestet. Da gibt es einfach viele Lücken. Ja, das ist so. Bei getestet,


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da können Sie schummeln. Da kann es sein, dass der Test falsch abgenommen wurde. Da kann sein, dass er zu früh abgenommen wurde. Falsche Temperatur, was es alles gibt. Bei genesen ist es auch so, dass natürlich es sein kann, dass jemand, der zum Beispiel in der ersten Welle eine Infektion hatte, dass der jetzt vielleicht gar nicht mehr immun ist. Das ist nicht auszuschließen, zumindest bei einzelnen Personen. Und auch bei geimpft ist es so, dass das Spektrum weit ist. Es gibt natürlich Leute, die zweimal geimpft wurden und trotzdem noch eine Infektion kriegen können. Fünf Prozent ist fünf Prozent, ist einer von 2 0. Und das gilt ja jetzt selbst für die guten Impfstoffe oder für die stark wirksamen Impfstoffe. AstraZeneca ist ja genauso zugelassen, da liegt es vielleicht bei 60, 70 Prozent. Bei dem EinmalImpfstoff von Johnson und Johnson ist es so, dass angeblich die Wirksamkeit nach einmaliger Impfung irgendwo ein bisschen über 80 Prozent liegt. Und das ist ja immer nur der Mittelwert aus allen Probanden. Da waren sicherlich Probanden dabei, bei denen das viel schlechter wirkte – sage ich mal, 2 0, 30, 40 Prozent. Das kommt schon mal vor. Und deshalb meine ich, wir sind insgesamt in einer Situation, wo wir solche Risiken in Kauf nehmen müssen. Das Wichtigste ist, dass wir die Risikogruppen schützen und das weiter konsequent forttreiben. Und da sollten wir jetzt nicht so in so eine deutsche Bürokratie verfallen, weil wir sonst auch ständig Äpfel mit Birnen vergleichen. Und deshalb sage ich: Wer also Antikörper-positiv ist und das nachweisen kann oder wer – wie auch immer – zweimal geimpft wurde oder wer eine Infektion durchgemacht hat plus einmal geimpft, die muss man eigentlich gleichstellen mit den Getesteten und mit den Genesenen.


33:06



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie und 2 weitere Personen in ihrem Haushalt – alle über 60 – wurden mit BioNTech geimpft. Aber die Impfreaktionen, die halten ziemlich lange an.


„Aber was blieb über zweieinhalb Wochen lang – oder über drei Wochen – sind Schwächezustände, Abgeschlagenheit. Lässt sich das erkä-


ren? Gibt es da dazu Untersuchungen oder Studien? Oder gibt es da eine Erkenntnis darüber, was es bedeuten kann?“



Alexander Kekulé


Ja, das würde ich auf jeden Fall mit einem Arzt besprechen, dass man das mal genauer untersucht. Es ist natürlich bekannt, dass Menschen unterschiedlich stark reagieren auf diese Impfstoffe. Das hängt eben mit dem angeborenen Immunsystems zusammen. Wir wissen, inzwischen haben wir auch viele Hinweise darauf, welche Faktoren da eine Rolle spielen können. Vielleicht können wir demnächst mal ein paar von diesen Studien da besprechen, die da in der letzten Zeit rausgekommen sind. Also, es gibt mehrere Studien, die eben zeigen, dass es genetische Unterschiede zwischen den Menschen gibt, die beeinflussen, wie stark sie auf Sars-CoV-2  reagieren. Wie stark die angeborene Immunantwort reagiert. Und das beeinflusst natürlich dann auch die Reaktion auf die Impfung. Die ist ganz unterschiedlich. Und das, was hier geschildert wird, das würde man unter Allgemeinsymptome nach der Impfung einordnen. Das gehört eigentlich noch zu der Reaktogenität, also zu der normalen Impfreaktion. Wenn sich das natürlich sehr lange hinzieht und dann, sage ich mal, so Richtung Krankheitswert irgendwann geht, dann ist es eine echte Nebenwirkung. Und da ist es wichtig, dass der Arzt es dokumentiert, auch genauer untersucht, woran das liegt. Und vor allem ans Paul-Ehrlich-Institut meldet, weil die natürlich diese Nebenwirkungen dokumentieren. Und nur, wenn's sauber dokumentiert wird, kann man irgendwann mal feststellen, ob es da eine Häufung gibt. Wegen dieses Einzelfalls, muss ich jetzt sagen, kann ich natürlich die Häufung noch nicht feststellen. Und ohne Häufung ist einfach die Lage die – das ist immer das epidemiologische Problem – drei Wochen schlapp fühlen kann man sich auch ohne Impfung, Frühjahrsmüdigkeit heißt es dann vielleicht mal oder Ähnliches. Und ob das wirklich durch die Impfung kommt, das ist ja epidemiologisch gar nicht so leicht nachweisbar. Der Patient denkt immer: Ja, gerade habe ich die Impfung gekriegt, jetzt geht es mir schlecht, das muss zusammenhängen. Aber dieser menschliche Wunsch nach Kausalitäten – unser ganzes Leben versuchen wir ja irgendwie kausal zu erklären, auch wenn vieles einfach


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Zufall ist – dem geht also die Epidemiologie nicht nach, sondern die sagt also ganz streng: Wir machen das hier statistisch. Und nur, wenn es statistisch auffällig ist, dann gilt es als echte Nebenwirkung.


35:42 



Camillo Schumann



Ein Hörer unseres Podcasts, der anonym bleiben möchte, der hat uns was weitergeleitet, das ihm sein Hausarzt geschickt hat. Und der Hausarzt schreibt:


„Gesunde Frauen unter 50 und Männer unter 40: Wir raten Ihnen von einer Impfung mit AstraZeneca ab und empfehlen Ihnen zu warten, bis genügend mRNA-Impfstoff im Juni, Juli da ist und die Priorisierung für diesen Impfstoff aufgehoben ist.“


Und jetzt kommt's:


„Wir impfen diese Patienten grundsätzlich nicht mit AstraZeneca und Johnson und Johnson, auch nicht auf eigenen Wunsch. Hier sehen wir das Risiko einer gefährlichen Thrombose höher als eine mögliche schwerwiegende Corona-Infektion. Urlaubswünsche oder mehr Freiheitsrechte sind für uns keine Argumente, dieses Gesundheitsrisiko einzugehen. Warten Sie einfach ein, 2 Monate ab.“


Tja, nun möchte unser Hörer wissen, wie Sie diesen Hinweis seines Hausarztes bewerten. Kann der das einfach ablehnen?



Alexander Kekulé


Ja, der Arzt kann es natürlich ablehnen, weil der Arzt – das finde ich auch grundsätzlich richtig – immer selbst aufgrund seiner medizinischen Erkenntnisse sowas entscheidet. Man kann ja zu einem anderen Arzt gehen, wenn man sich unbedingt impfen lassen will. Es ist ja auch so, dass die Empfehlung des Robert KochInstituts jetzt ja zunächst mal heißt: Über 60. Und für alle anderen ist es zwar freigegeben, aber jetzt nicht im engeren Sinn empfohlen, sodass es quasi in gewisser Weise betreten auf eigenes Risiko in dem Fall heißt. Und da kann der Arzt einfach sagen: Nö. Ich ordne das so ein, ich teile jetzt seine Auffassung nicht grundsätzlich. Also ich finde, man kann nicht grundsätzlich sagen, dass das nicht sinnvoll ist, wenn jemand zum Beispiel gerade nicht an einen


RNA-Impfstoff rankommt und ein hohes berufliches Risiko hat oder Ähnliches oder Kinder hat, wo man weiß, in der Kita ist einfach die Infektionswahrscheinlichkeit hoch. Oder jemand ist Zuhause, der schwanger ist oder Ähnliches. Gibt es viele Gründe, dass ich sagen würde, es gibt individuelle Gründe, die sagen: Nee, ich will jetzt dieses Restrisiko der Impfung in Kauf nehmen. Man kann dann nochmal daran erinnern, das liegt im schlimmsten Fall bei eins zu 2 0.000 – wenn man die norwegischen Daten nimmt – und möglicherweise wahrscheinlich ist das Risiko geringer als eins zu 100.000, hier irgendwie eine schwere Nebenwirkung mit so einem AstraZeneca zu bekommen. Und das muss jeder für sich selber wissen. Ich finde aber, der eine Satz, den kann man schon unterstreichen, wenn die Ärzte dort sagen: Urlaubswünsche oder mehr Freiheitsrechte sind für uns kein Argument. Das finde ich ganz wichtig, das ist eine Grundsatzdiskussion. Ich habe das Gefühl, dass dieser starke Drang der Menschen, sich jetzt ganz schnell unbedingt impfen zu lassen, dass der auch damit zusammenhängt, dass sie ihre Freiheitsrechte zurückhaben wollen. Sozusagen über Bande, gar nicht aus medizinischen Gründen, aus Angst vor einer Covid-Infektion, sondern weil sie ihren Urlaub planen wollen und Ähnliches. Das ist – natürlich schon rein von der Regierung her, die das Angebot so aufgemacht hat, ja, mehr oder minder deutlich – finde ich, schon ambivalent zu bewerten. Also, man darf den Menschen nicht sagen: Ihr kriegt eure Rechte nur zurück – das sind ja Grundrechte, um die es hier geht – wenn ihr euch impft. Aber ich glaube, dass viele auf diese, sage ich mal, dieses Angebot letztlich eingegangen sind und gar nicht so sehr aus medizinischen Gründen sich impfen lassen wollen. Die wollen einfach, dass diese Einschränkungen vorbei sind. Und so gesehen, dieser kleine Aspekt, da sollte man zumindest mal eine Sekunde darüber nachdenken, das Motiv, sich impfen zu lassen, wenn man sich selber entscheidet – insbesondere, wenn man sich entscheidet für eine Impfung, die jetzt nicht akut von der Ständigen Impfkommission empfohlen wird – das Motiv sollten wirklich gesundheitliche Überlegungen sein und das persönliche Risiko und nicht die Frage: Kann ich jetzt meinen Urlaub buchen? Ja oder nein?


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39:2 9



Camillo Schumann



Aber noch nie wurde so eine Entscheidung daran gekoppelt, also auch indirekt gekoppelt, ob man ein normales „Leben“ führen kann oder nicht. Deswegen ist ja die Überlegung mehr als nachvollziehbar.



Alexander Kekulé


Ja, das ist es eben genau. Also, ich finde, das ist eine ganz wichtige Diskussion, die, sage ich mal ganz ehrlich, ein bisschen zu wenig geführt wird. Im privaten Bereich natürlich schon, aber öffentlich ein bisschen wenig. Ich denke da einen Schritt weiter. Die Bundeskanzlerin hat irgendwann mal gesagt sinngemäß, dass sie Angst davor hat, wenn lauter ungeimpfte Kinder im Herbst dann in die Schule kommen. So nach dem Motto – das haben viele so zumindest verstanden – dass es nicht verantwortungsvoll wäre, ungeimpfte Kinder dann in die Schule zu schicken. Und wir haben aber in den anderen Lebenssituationen eigentlich – jetzt mal außer der Schule und den Freiheitsrechten – haben wir eigentlich schon immer eine einfachere Entscheidung. Ja, wenn Sie früher – ich bin selber zum Beispiel gegen Gelbfieber geimpft worden, was auch kein Spaß ist, hat echt viele Nebenwirkungen. Aber da war es eben so, in bestimmte Länder, wenn Sie da eingereist sind, mussten Sie die Gelbfieberimpfung nachweisen. Und wenn Sie jetzt wie ich da in den Tropen zu tun haben, weil sie sich mit den Krankheiten dort auseinandersetzen, dann müssen Sie beruflich dahin, haben sie keine andere Wahl sozusagen aus beruflichen Gründen. Da kann man sich darüber ärgern. Aber da gibt es dann auch diese Möglichkeit, zu sagen: Nee, ich vermeide das, ich schicke jemand anderes oder ich fahre halt dann dort in dieses spezielle Land nicht. Das ist eine andere Situation. Jetzt, wo einfach die Basisrechte zu Hause – ja, das geht ja bis zur Ausgangssperre und solchen Dingen, die jetzt möglicherweise an Impfungen gekoppelt sind. Und ich glaube, das sollten wir schon diskutieren. Und da sollten wir uns offen wirklich der Frage stellen: Lasse ich mich impfen, weil ich wieder frei sein will für den Biergarten? Oder lasse ich mich impfen, weil ich den Schutz vor der Erkrankung haben will? Und nur letzteres Motiv, finde ich, darf eigentlich gelten. Weil, wenn die Behörden immer so


schön sagen, der Nutzen muss die Risiken auswiegen, dann sind auf der Seite Nutzen natürlich nicht die Brezel und die Maß im Biergarten mit drin. Sonst wäre es einfach, nicht?


41:41



Camillo Schumann



Aber ist ja glücklicherweise eine sehr persönliche Entscheidung. Aber in der Tat, wenn man darüber nachdenkt, was man tut, kommt das zwangsläufig mit ins Kalkül. Das ist ja völlig klar. Auch, wenn man vorher vielleicht gedacht hat: Ja, na klar, ich lasse mich impfen, um möglicherweise dann meine Eltern, meine Großeltern zu schützen. Ich bin vielleicht überhaupt nicht Risikogruppe. Aber natürlich, das Wetter wird schöner. Man möchte rausgehen.



Alexander Kekulé


Ja, darum bin ich absolut für GGG, ja. Also, dass man sagt: Es gibt immer die Alternative, sich durch einen Schnelltest sozusagen – also man ist nicht genesen – sondern durch einen Schnelltest sozusagen freizukaufen. Und darum plädiere ich dringend dafür, dass wir eine einheitliche Karte kriegen, einen einheitlichen Nachweis – kann im Handy drinnen sein oder auf einer Chipkarte – wo dieser GGG-Status – ohne, dass jetzt jeder Kneipenbesitzer sieht, warum man quasi rein darf – dokumentiert ist. Und ich finde, das ist eine ganz private Entscheidung, ob ich sage: Nein, ich lasse mich nicht impfen und will stattdessen einen Schnelltest machen. Oder ich sage: Ich lasse mich impfen. Das, finde ich, ist eine persönliche Entscheidung.



Camillo Schumann



Absolut. Wenn wir schon darüber sprechen, ist aber doch das schwächste Glied in der Kette, das dritte G. Also, der Test. Getestet. Also muss man ja dann klar sagen. Also, rein biologisch ist der Test das schwächste Glied.



Alexander Kekulé


Der Test hat, genau, es ist genau so, der hat die größte offene Flanke und deshalb bin ich auch ein bisschen dagegen. Wir hatten ja vorher die Diskussion mit den Impfstoffen. Wie sicher ist das? Wie viele Wochen kombinierte heterologe Impfung und so was. Wir haben sowieso die Tür offen bei den Schnelltests, das ist ganz klar.


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43:17



Camillo Schumann



Der M. hat angerufen, er will sich impfen lassen. Nun hat er folgende Frage:


„Ich spende regelmäßig Plasma und Blut und meine Frage: Kann es eventuell sinnvoll sein, kurz vor einem Impftermin nochmal zu spenden, weil dann ja vielleicht die Impfstoffmenge auf weniger Blut trifft und sich deshalb möglicherweise dann irgendwie eine bessere Impfwirkung entfalten kann? Und: Wie lange sollte man nach einer Impfung nicht spenden, um den Impfstoff oder die sich bildenden Antikörper nicht aus dem Körper herauszuspülen quasi?“


Die erste Schlussfolgerung fand ich spannend.



Alexander Kekulé


Also das erste, das trifft nicht zu. Also, da gibt es keinen Konzentrationseffekt oder Ähnliches, sondern, es ist ja eher so eine Art Schule für weiße Blutkörperchen, also das Impfen. Da gehen die weißen Blutkörperchen in die Schule, die lernen was und die lernen dazu, wie man sich quasi gegen dieses spezielle Virus wehren würde, wenn es denn käme, anhand eines Dummys – eine Attrappe quasi, die da der Impfstoff vorstellt. Und dann gehen die ja auch schön wieder nach Hause. Also nach kurzer Zeit verziehen die sich wieder und werden dann sogenannte Gedächtniszellen. Die sitzen dann irgendwo in den Lymphknoten oder sonst wo im Knochenmark. Und das ist an der Stelle völlig unwichtig, wie viel Blut man im Körper hat, weil die Überlegung wäre dann relevant, wenn der Ernstfall kommt. Wenn die sozusagen dann echt in den Krieg müssen, weil das Virus kommt. Da ist natürlich: So viele Antikörper auf einmal ist gut, hauptsächlich dann an den Schleimhäuten, wo das Virus zuerst auftritt. Aber so weit ist es ja bei der Impfung noch gar nicht. Das heißt also, mit weniger Blutvolumen zur Impfung – ich weiß jetzt nicht genau, wie man sich fühlt, ich habe noch nicht Plasma gespendet. Aber wie man sich dann fühlt, weiß ich nicht. Aber ich würde alles unterlassen, wo man sich sowieso dann schlapp fühlt und dann auch noch die Impfung kriegt und vielleicht einen Tag lang diese Reaktion hat, das würde ich, glaube ich, unterlassen. Und die andere Frage, muss ich einfach zu geben: Weiß ich nicht. Also ich schätze, dass das


Robert Koch-Institut, was ja viele, viele Seiten Empfehlungen produziert hat zu dem Thema, irgendwo auch draufgeschrieben hat, wie viele Tage nach der Impfung man wieder Plasma spenden kann. Das hat den gleichen Zusammenhang – hauptsächlich im Zusammenhang mit der Reaktogenität – soll man halt nicht gleich am nächsten Tag wahnsinnig starke körperliche Anstrengung machen. Ist ja auch bekannt aus den Anfragen aus Russland, dass man nicht gleich eine ganze Flasche Wodka lernen soll oder Ähnliches oder Alkohol übermäßig genießen soll. Man soll auch nicht am nächsten Tag in die Sonne gehen. Und da gibt es eine lange Liste. Aber ich muss zugeben, ich weiß jetzt nicht, ob da irgendwo draufsteht, ab wann man wieder Plasma spenden darf.


45:55



Camillo Schumann



Und der T. aus Leipzig hat gemailt. Er freut sich darüber, dass in seiner Stadt seit Freitag die Biergärten bzw. die Freisitze wieder öffnen dürfen. Und er fragt sich jetzt auch, ob vollständig geimpfte Menschen – wie ab sofort in den USA – in Innenräumen auf Masken verzichten sollten. Viele Grüße, Thomas.



Alexander Kekulé


Ja, das ist in den USA ein heißes Thema. Ich weiß gar nicht, ob es in allen Bundesstaaten schon so ist. Einige haben gleich damit angefangen und gesagt: Okay, Masken weg, wer geimpft ist. Und da hat jetzt kürzlich die amerikanische zentrale Gesundheitsbehörde CDC nachgezogen und gesagt: Na ja, das kann man so machen. Das Problem ist halt immer: Dann haben sie halt wirklich so eine deutliche Zweiklassengesellschaft. So, ätsch, ich bin geimpft, ich habe die Maske ab. Ich glaube, dass das selbst in den USA keine gute Idee ist, weil dort die Maske viel umstrittener ist als bei uns. Die ist ja geradezu mit dem Parteibuch gekoppelt in den USA. Also, die Republikaner, die roten heißen ja dort, die haben keine Maske auf und die blauen haben die Maske im Gesicht. Also, das ist bei uns zum Glück nicht so. Ich bin auch sehr, sehr glücklich, dass wir überall in Europa eigentlich eine ganz vernünftige Debatte haben. Und in dem Sinne würde ich empfehlen, die Maske erstmal in den geschlossenen Räumen aufzulassen für alle – so lange, bis wir in einer Situation sind, dass wir sagen können:


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Wir sind als Gesellschaft insgesamt aus dem Schneider. Ich glaube, diese Solidarität auf der Schlussgeraden, die sollten wir hier tatsächlich noch haben. Vielleicht ein bisschen als Erinnerung an diejenigen, die geimpft sind, das sind ja meistens die Älteren: Am Anfang war es so, dass die Jüngeren ja aufgefordert wurden und das auch gemacht haben, sich zurückzuhalten, die ganzen Schutzmaßnahmen einzuhalten, um die Älteren zu schützen. Ich glaube, es wurde so richtig plakatiert. Ich mache es für Omi und Opi oder so ähnlich waren ja dann da damals die Slogans. Und jetzt, glaube ich, sollten diejenigen, die jetzt aus dem gleichen Grund zuerst geimpft wurden und die meistens ja dann älter sind, sollten auch die Solidarität mit den Jüngeren haben, dass sie zumindest in geschlossenen Räumen, wenn viele Leute zusammen sind und die Lüftung nicht extrem gut ist, die Maske erstmal aufbehalten.


48:01



Camillo Schumann



Ja, und damit sind wir am Ende von Ausgabe 182  Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann zur regulären Ausgabe am Dienstag, den 18. Mai wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne. Bis nächste Woche, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Sie können uns auch anrufen, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdr.de unter Audio & Radio, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 11. Mai 2 02 1 #181



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Revers transkribierte SARS-CoV-2 -RNA kann sich in das Genom menschlicher Zellen integrieren (Mai 2 02 1)


https://www.pnas.org/content/118/2 1/e2 105 968118


Dienstag, 11. Mai 2 02 1


Ist die dritte Welle endgültig gebrochen oder besteht noch ein Risiko?


Dann: Warum gelten Genesene nur ein halbes Jahr als immun?


Außerdem: Wie sich das Virus ins menschliche Erbgut einnisten kann.


Und: Bedeutet keine Impfreaktion, dass man die Krankheit auch unbemerkt durchgemacht hätte?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße, Herr Kekulé



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann, willkommen zurück.


00:52 



Camillo Schumann



Ich war ja 2 Wochen im Urlaub und habe irgendwie jetzt das Gefühl, in diesen 2 Wochen hat jemand auf die Vorspultaste in dieser Pandemie gedrückt. Die Infektionszahlen sinken, die Belegung der Intensivstationen nimmt in großen Schritten ab. Die erste Impfquote liegt bei fast 35 Prozent, die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz heute bei rund 115. Sie fällt mit großen Schritten Richtung hundert. Das ist doch ein toller Trend. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, ich bin auch ganz guter Dinge, und man merkt es an jeder Ecke. Dass es ganz positiv ist. Sogar diejenigen, die die letzten Monate doch dramatische Warnungen ausgesprochen haben, haben das inzwischen, glaube ich, entweder zurückgenommen oder zumindest so modifiziert, dass man nicht mehr ängstlich sein muss.



Camillo Schumann



Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der fasst die Situation so zusammen. Wir hören mal kurz rein:


Ja, wir erleben, dass im Augenblick die Infektion jeden Tag um 2 5 Prozent im Vergleich zur Vorwoche zurückgehen. Das ist fast schon ein exponentieller Rückgang der Infektionen. Wenn das so weitergeht, werden wir noch in dieser Woche sehr, sehr viele Landkreise haben, die unter 100 – und einige auch, die unter 50 – kommen. Und das ist eine wirklich sehr, sehr wichtige Perspektive für alle Beteiligten. Wir haben jetzt viele Wochen hinter uns, wo wir Verschärfungen beschließen mussten, was niemanden von uns leicht gefallen ist. Und jetzt kommt hoffentlich die Zeit, wo es auch Erleichterungen geben kann. Das erwarten viele Menschen, und das sollten wir nicht enttäuschend



Camillo Schumann



Tja, Herr Kekulé, ist die dritte Welle nun endgültig gebrochen oder besteht da noch ein Restrisiko?


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Alexander Kekulé


Gebrochen? Ja, ich würde sagen, das Brechen hat nicht so richtig funktioniert. Wir haben jetzt Mitte Mai demnächst, und das ist ja der Zeitpunkt, wo eigentlich erwartungsgemäß die Welle dann auch wieder zu Ende sein sollte. Was wir, glaube ich, tatsächlich geschafft haben, dadurch, dass diese Maßnahmen zwar nicht massiv verschärft wurden, aber doch zumindest konsequent weiter eingehalten wurden, ist, dass die dritte Welle jetzt keine große Welle wurde. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass es so ein „Wellenbrecher-Effekt“ war. Weil dann hätte man sie ja ganz verhindert. Von Anfang an. Und das ist jetzt eigentlich ein ganz positiver Effekt, v.a., was mich wirklich zunehmend optimistisch macht es jetzt, dass wir ja tatsächlich die Sterblichkeit reduzieren. Und das ist ganz offensichtlich auf die Impfungen zurückzuführen, die Impfungen der Älteren insbesondere. Und dadurch, dass sich jetzt die Sterblichkeitskurve, wenn man so sagen darf, von der Inzidenz langsam entkoppelt, sind wir in einer guten Position. Ich würde davor warnen, jetzt zu sagen: Es geht exponentiell nach unten. Ja, es ist eine Exponentialfunktion. Egal, ob die raufoder runtergeht. Es ist bei einer Exponentialfunktion immer exponentiell, auch wenn dieser Begriff so ein bisschen, sage ich mal, ungenau verwendet wird. Aber ich glaube nicht, dass wir in Windeseile sozusagen wie ein fallender Stein jetzt auf die Null runtergehen werden oder deutlich unter 50, 30 jetzt sehr schnell landen werden. Ich befürchte schon, dass es eine Weile noch so eine Seitwärtsbewegung gibt. Und die Frage, die man dann eher stellen muss korrekterweise ist nicht: Ankündigen, dass jetzt alles unter 50 sinkt und wir dann wieder aufmachen. Sondern die Frage ist: Wenn wir irgendwo uns wieder im Bereich von 50 festbeißen sollten auf der absteigenden Seite dieser Kurve, ob wir dann es wagen, uns mehr Freiheiten zu gönnen, weil wir eben weniger Menschen haben, die daran sterben.



Camillo Schumann



Wieso vermuten Sie diese Seitwärtsbewegung?



Alexander Kekulé


Naja, es ist so, dass das Virus ja nicht weg ist, sondern wir haben nach wie vor, wenn ich mal so sagen darf, Subpopulationen in der Gesamtgesellschaft. Das gleiche Phänomen eigentlich, was man hat, wenn so eine Welle beginnt. Das sind ja immer einzelne Gruppen, die dann zunächst mal so ein sehr schnelles Wachstum der Infektionen haben. Die tragen das dann in die anderen und diesen inhomogenen Effekt, den haben wir natürlich auch bei der Abnahme. Und da gibt es Teile der Bevölkerung, insbesondere natürlich solche, die jetzt von den Impfaktionen nicht erreicht werden und zugleich aber auch sich vielleicht nicht so streng wie andere an die Schutzmaßnahmen halten. Da zirkuliert das Virus natürlich schon noch massiv, und da dauert es eine Weile, bis, wenn ich mal so sagen darf, die Infektion sich dann auf natürlichem Weg da ausbrennt. D.h. also, wenn dann in so Familien am Schluss halt alle infiziert waren und im besten Fall die Oma und Opa geimpft wurden, dann ist halt irgendwann der Spuk vorbei. Aber das dauert eine Weile, weil das Virus ja nicht so ultraansteckend ist, dass dann alle auf einen Schlag quasi die Infektion bekommen, sondern eher einer nach dem anderen.


05:30



Camillo Schumann



Aber dass so diese Grundentwicklung positiver ist als gedacht, das kann man schon mal so festhalten. Die Intensivmediziner, die hatten ja noch vor ein paar Wochen – Sie haben es ja auch so ein bisschen anklingen lassen – mit rund 6.000 Intensivpatienten im Juni gerechnet. Jetzt haben wir Anfang Mai. Wir liegen bei rund 4.500 mit deutlicher Tendenz nach unten. Die dritte Welle ist gebrochen. Das sagt der wissenschaftliche Leiter des DIVIIntensivregisters, Christian Karagiannidis. Hat er der Düsseldorfer Rheinischen Post gesagt. Die Situation auf der Intensivstation wird sich, bezogen auf die Covid-Patienten, mit voraussichtlich 1.000 Patienten Ende Juni entspannt haben. Also noch positiver, als man es tatsächlich gedacht hat. Aber ist denn eigentlich klar,


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welche Faktoren jetzt am Ende dafür sorgen, dass wir diesen positiven Trend sehen?



Alexander Kekulé


Naja, das müssten hauptsächlich diejenigen beantworten, die vorher den Teufel an die Wand gemalt haben. Genau der, den Sie gerade genannt haben, z.B. Da ist die Frage, auf welcher Basis hat man vorher diese Horrorszenarien aufgestellt? Wir waren ja hier im Podcast eigentlich da eher etwas zurückhaltender. Ich glaube, man hat eigentlich mehrere Fehler gemacht. Der Wichtigste war, dass man den Einfluss dieser Mutanten überschätzt hat. Meines Erachtens ist es eben so, dass diese Mutanten durch die gleichen Maßnahmen bekämpft werden können wie die vorherigen Varianten und man eben nicht, weil die Mutanten aufgetaucht sind – konkret haben wir ja jetzt in Deutschland die B.1.1.7, die Variante aus England, quasi dominant, dass ist die wichtigste im Moment. Dadurch haben wir kein explosionsartiges Wachstum bekommen. Ich glaube, das war die wichtigste Fehleinschätzung. Und vielleicht gab es auch noch ein paar andere, aber ich glaube, unterm Strich müsste man das sicher mal analysieren, weil das natürlich insgesamt die Entscheidungen der Politik sehr stark in die falsche Richtung gelenkt hätte. Es war ja letztlich so, dass die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten – rückwirkend muss man sagen: glücklicherweise – eben nicht die hier dringend vorgeschlagenen, sehr, sehr drastischen weiteren Maßnahmen beschlossen haben. Sozusagen dieser komplette Lockdown, der empfohlen wurde von mehreren, ist ja dann zum Glück nicht beschlossen worden. Sondern man hat gesagt, wir machen mit den Maßnahmen, die wir bis jetzt haben, sozusagen linear weiter in der Hoffnung, dass das reicht. Ob da die Politiker schlauer als die sie beratenden Wissenschaftler waren oder ob sie einfach nur zögerlich waren und sich nicht getraut haben, das zu machen, angesichts der Gesamtstimmung, das kann man jetzt nicht so analysieren. Aber ich würde mir schon sehr wünschen, dass, wenn man in so einer Situation ist wie der jetzigen, dass man als Wissenschaftler eben dann auch mal analysiert, wa-


rum die Prognose falsch war. Also Politiker machen das ja bekanntlich nicht so gerne und müssen es meines Erachtens auch nicht machen. Aber Wissenschaftler, glaube ich, sollten schon gucken, wenn sie da danebengelegen haben, woran das genau lag.



Camillo Schumann



Aber es dann vielleicht auch dann dieser psychologische Effekt: Erst den Teufel an die Wand malen, dann reißen die Menschen sich zusammen. Und dann kann man sich gemeinsam darüber freuen, dass es doch nicht so schlimm geworden ist.



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. Klar, das wird man immer machen. Das ist ja auch klug, immer zu warnen. Aber es ist ein Unterschied, ob man jetzt warnt und zugleich drastische weitere Maßnahmen fordert. Da kann ich nur noch mal daran erinnern, dass das ja im Raum stand. Oder ob man ermahnt, vernünftig zu bleiben und sich nicht locker zu machen. Also Letzteres ist extrem richtig und wichtig gewesen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass der Haupteffekt tatsächlich im Moment der ist, dass die Bevölkerung in Deutschland – große Teile eben – einfach wissen, was zu tun ist und wie man sich vor der Erkrankung, vor der Infektion schützt. Andere haben einfach die Infektion schon gehabt. Das darf man nicht unterschätzen, dass wir die sogenannte kontrollierte Durchseuchung durchgeführt haben. Große Teile der Bevölkerung sind einfach dadurch, dass wir keinen hundertprozentigen Lockdown hatten durchimmunisiert inzwischen auf natürlichem Weg. Und was auch gut ist, ist: Natürlich die Risikogruppen, speziell die Alten. Da ist es ja so, dass wir inzwischen im in einem ganz guten Bereich sind, um Ausbrüche zu verhindern. Wir kennen auch typische Ausbruchsszenarien. Ich sag mal so: Stichwort Kühlhäuser. Das sind auch Dinge, wo wir jetzt nicht mehr blind reinfallen, wie am Anfang. Da wusste ja niemand auf der Welt, warum das so ist, dass in Kühlhäusern plötzlich diese massiven Ausbrüche geschehen. Sodass ich glaube, insgesamt kennen wir das Virus jetzt ein bisschen. Und dann hilft uns natürlich


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die warme Jahreszeit. Aber wie gesagt, es gibt Teile der Bevölkerung, die – genauso wie schon vor vielen Monaten – auch heute sich nicht an die Maßnahmen halten. Und dort gibt es weiterhin natürlich ein Infektionsgeschehen. Deshalb würde ich ein bisschen davor warnen, jetzt sich so völlig zu entspannen und zu sagen: Hurra, der Spuk ist vorbei. Das sieht deshalb so gut aus, weil wir alle nach wie vor vernünftig sind. Und weil natürlich die Impfungen jetzt massiv an Fahrt gewinnen.


10:2 5



Camillo Schumann



Genau, Impfungen. Da reden wir gleich noch mal drüber. Aber um da nochmal so ein Gefühl dafür zu bekommen: Was meinen Sie? So zwei, drei Wochen, dann können wir uns zurücklehnen. So ähnlich hat es Herr Lauterbach in so einer Talkshow gesagt, dann können wir wieder ein normales – einigermaßen normales – Leben führen. Also müssen wir uns jetzt noch mal so richtig zusammenreißen?



Alexander Kekulé


Also, das ist echt schwierig zu sagen, ich würde es nie wagen, so eine Prognose zu machen, ganz ehrlich gesagt. In den USA ist es ja tatsächlich so, dass Joe Biden, der neue amerikanische Präsident, angedeutet hat, kürzlich, dass man darüber nachdenken muss, wie lange man die Masken noch braucht und ob man nicht auch in geschlossenen Räumen jetzt die Maskenpflicht nach und nach fallen lassen kann. Aber die haben natürlich eine ganz andere Impfquote als wir. Und in Amerika ist es auch so, dass das Thema Masken einfach wahnsinnig aggressiv und kontrovers diskutiert wird. Da kann man so kurz zusammengefasst, vielleicht ein bisschen zu schwarz-weiß malend, aber so aus meinem Verständnis: Die alte Trump-Garde, die harten Republikaner, die sind nach wie vor gegen die Maske. Und man hat jetzt ein bisschen Angst in den USA, dass diese Polarisierung der Gesellschaft – pro Maske, gegen Maske – das hat sich dort ja sehr stark an diesem Masken-Thema aufgehängt. Dass das dort jetzt dazu führt, dass die Maskengegner dann auch diejenigen werden, die


sich nicht impfen lassen. Und das wäre natürlich eine Riesenkatastrophe, wenn man, sag ich mal, 40 Prozent der Bevölkerung mit der Impfung nicht erreicht. Aus dem Grund machen die sich jetzt locker und haben auch solche Sprüche drauf. So wie: Ja, bald ist der Spuk vorbei. Da hat es einen politischen Grund, dass die das machen müssen. Ich glaube, wir in Deutschland können einfach konstatieren, dass wir mit den Masken meines Erachtens schon noch eine Weile leben müssen. Auch mit den Schnelltests noch eine Weile leben müssen, weil wir immer noch sozusagen Blasen in der Gesellschaft haben, Subpopulationen, wo es zu Ausbrüchen kommen kann. So etwas Ähnliches sieht man ja überall dort, wo die Durchseuchung sehr weit fortgeschritten ist. Also in Indien haben wir diesen Effekt, dass es ja Regionen gibt, wo man sagen muss: Wieso kann es da überhaupt noch zu einem massiven Ausbruch kommen? Es sind doch so viele Menschen schon infiziert worden? Und der Grund ist eben das sind bestimmte Subpopulationen, wo das dann ausbricht, ähnlich wie wir das in England hatten, als dieses B.1.1.7 kam. Und dann eben neue Teile der Bevölkerung – es war dieses Stichwort founder effect – erfasst hat. Und so einen founder effect kann man durchaus in Deutschland dann auch haben, wenn man sich jetzt in bestimmten Bereichen schlagartig lockermacht. Darum glaube ich, wir sollten eher ein bisschen geduldig sein und an den Sommerurlaub denken. Wenn wir jetzt diese Phase, wo das auf dem absteigenden Ast ist, sag ich mal, konsequent auch runterfahren und es dann schaffen, die Infektionszahlen insbesondere in den Teilen der Bevölkerung, die jetzt schwer erreichbar sind, zu drücken. Und dort auch mehr zu impfen ist ein ganz eigenes, wichtiges Thema. Ich glaube, dann haben wir eine faire Chance, dass wir im Sommer fast normal Urlaub machen könnten, mit der Einschränkung eben: die drei Gs. GGG: Geimpft, genesen oder getestet. Und das, finde ich, ist doch eine ganz gute Perspektive. Da muss man jetzt die nächsten Wochen nicht, sage ich mal, panisch die Maske vom Gesicht reißen.


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13:46



Camillo Schumann



Und wie sieht es mit Pfingsten aus? Das ist ja schon mal so ein neuralgischer Punkt. Bayern und Niedersachsen, die haben ja schon angekündigt, ab dem 2 1. Mai Ferienwohnungen, Campingplätze, Hotels wieder zu öffnen. Pardon: Bayern – nicht Niedersachsen. Also dass man vielleicht Pfingsten schon wieder einigermaßen normal verbringen kann.



Alexander Kekulé


Ich glaube schon. Ich würde mir fast wünschen, dass wir dann so ein bisschen selektiver werden. Weil wir haben ja nun erkannt: In dieser Pandemie haben wir auch das eine oder andere gelernt, z.B. dass die Schmierinfektionen wirklich nur eine ganz marginale Rolle spielen bei den ganzen Infektionen. Also ich war kürzlich mal in so einer Zoom-Konferenz. Da habe ich es dann gewagt, in die Runde zu fragen, ob irgendjemand überhaupt irgendeinen Beleg kennt, das jemals im Zusammenhang mit Sars-CoV-2  außerhalb des Krankenhauses eine Schmierinfektion aufgetreten ist. Und da kam dann zumindest unter der Expertenrunde – und die ging also wirklich von Ostasien bis in die USA – kam also die Antwort: Keiner. Keiner kannte irgendwie einen Beleg. Vielleicht gibt es welche, weiß ich jetzt nicht, die ich auch nicht kenne. Aber da glaube ich, wenn ich jetzt so an Pfingsten denke und wenn dann in Hotels wieder die Desinfektionsmittelspender überall stehen. Und man da diese Regeln, die also auf die Schmierinfektionen abzielen, wenn man die da weiterhin so akribisch macht, das fände ich dann ein bisschen schade. Also, wir sind inzwischen schlauer geworden und verstehen, dass es wirklich um die Übertragung von Viren in geschlossenen Räumen geht. Wenn mehrere Personen zusammen sind und die Lüftung schlecht ist. Da kann man dann – abgesehen von dieser besonderen Situation außenherum – alles, wie sie sagen, so ein bisschen lockerer machen. Also Stichwort Biergarten, vielleicht auch mit guter Belüftung in einem Restaurant, wenn man nicht zu viele Leute zusammen sind. Ich wäre aber z.B. dagegen, jetzt eine Sauna wieder aufzumachen an


Pfingsten. Ist vielleicht auch sowieso nicht die richtige Jahreszeit. Aber ich weiß, dass das für viele Hotels ein Thema ist. Da haben ja viele dann so Spa als Angebot für die Kunden. Und die Leute kommen hin, weil sie diese SpaLandschaften lieben. Also da, wo sowieso schon immer so ein bisschen der Dampf drinnen steht und die Luft steht. Das würde ich an Pfingsten noch nicht machen vielleicht.


16:03



Camillo Schumann



Sprechen wir über Genesene, also die Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben. Geimpfte und auch Genesene genießen ja seit diesem Sonntag wieder mehr so ein Stück Normalität, kann man sagen. Für sie gelten keine Ausgangsund auch keine Kontaktbeschränkungen mehr. Sie brauchen z.B. auch keinen Test mehr, wenn sie zum Friseur gehen. Aber: Als Genesener gilt, wer vor mindestens 2 8 Tagen von Covid-19 genesen ist. Und wenn die Erkrankung länger als sechs Monate zurückliegt, gilt man nicht mehr als genesen, weil möglicherweise Antikörper verschwinden können. Dann wird Genesenen auch eine Schutzimpfung empfohlen. Herr Kekulé, ist diese Festlegung auf diesen relativ kurzen Zeitraum von sechs Monaten so eine deutsche Besonderheit? Oder geht man da weltweit auf Nummer sicher?



Alexander Kekulé


Weltweit weiß ich es nicht genau. Aber ich würde mal sagen, die Erkenntnisse hier, die überholen sich natürlich gelegentlich. Und ja, es gab am Anfang ja diese merkwürdige Beobachtung, dass ein Teil der Genesenen – die ersten Studien kamen aus China, die wir damals auch besprochen haben, im letzten Sommer. Ein Teil der Genesenen hatte dann erstaunlicherweise nach zwei, drei Monaten plötzlich keine messbaren Antikörper mehr. Oder sie gingen deutlich zurück. Ich meine, das war so die 2 0 Prozent. Ungefähr in der Größenordnung: 2 0, 2 5 Prozent, das war schon beunruhigend, was da los ist. Und es hat sich aber dann herausgestellt, dass die trotzdem in der Regel noch Immunität haben, zumindest


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wenn sie mit genau dem gleichen Virustyp noch einmal infiziert werden. Und man hat dann festgestellt, dass diese T-Zellen, also die Zellen, die quasi die Träger sind – das sind Lymphozyten, gehören zu den weißen Blutkörperchen und sind letztlich so die intelligenten Schaltstationen der Immunantwort, und auch letztlich die Träger dieses immunologischen Gedächtnisses. Dass die sehr wohl noch reaktivierbar bleiben. Und dass auch bei denen, wo die Antikörper ganz verschwunden sind, wenn man neue stimuliert, ratzfatz wieder neue Antikörper hergestellt werden. Weil eben sogenannte Gedächtnis-B-Zellen und Gedächtnist-Zellen noch vorhanden waren. Sodass eigentlich diese Sorge damals, die einige meiner Kollegen hatten: Dass die Immunität quasi dann auch weg ist, wenn man diesen EGGAntikörper nicht mehr messen kann. Die ist, fast hätte ich gesagt: Asbach Uralt. Also das ist vom Tisch. Wenn man jetzt in der Geschwindigkeit der Pandemie denkt, wie schnell da alles passiert, dann ist also diese Anordnung, von der sie gerade gesprochen haben, wahrscheinlich irgendwie dem Mittelalter zuzuordnen. Das ist nicht mehr aktuell. Aber ich glaube, das hat irgendjemand mal reingeschrieben. Und ich hoffe doch sehr, dass nicht die Absicht ist, dabei zu bleiben. Sondern das mit den sechs Monaten, das steht jetzt mal drinnen. Aber da gibt jetzt eigentlich keine Evidenz, die darauf hinweisen würde, dass man das wirklich konsequent durchziehen muss. Oder dass das z.B. weniger effektiv wäre, wenn man sich vor sieben Monaten infiziert hat, als sich zu impfen. Also, da gibt es überhaupt keine Vergleiche und überhaupt keinen Hinweis. Ganz früher gab es ja auch mal Leute, die immer gesagt haben, ja, also nach der Impfung sind die Antikörper, die man messen kann, mehr. Also ist Impfung besser als Durchseuchung oder normale Infektion. Das ist auch vom Tisch inzwischen. Inzwischen ist ganz klar, dass die Immunantwort nach einer echten Infektion viel breiter ist. Es liegt technisch ganz einfach daran: Wenn man mit genau den gleichen Tests sozusagen speziell den Antikörper sucht, mit dem man vorher geimpft hat – also die gleiche


Methode nimmt, um den Antikörper herzustellen und dann hinterher wieder herauszufischen aus dem Blut – dann kriegt man so eine Art Scheinerfolg, verglichen zu den anderen. Weil man halt den einen dann findet. Und bei der echten Infektion ist die Immunität breiter aufgestellt. Vielleicht genau der eine Antikörper, mit dem man – oder das eine Antigen, mit dem man geimpft hat – ist vielleicht nicht ganz so perfekt. Aber wenn sich das so vorstellen, die anderen Waffengattungen sozusagen. Sie gucken nur nach der Hellebarde, aber alle anderen Waffengattungen schauen Sie nicht an. Und dann haben sie etwas weniger Hellebarden, aber dafür ganz viele andere Dinge, die das Immunsystem parat hat. Und all diese Dinge, die sind inzwischen klar. Das war früher ein bisschen spekulativ, aber heute ist es völlig klar, und deshalb ist es nicht haltbar, dass man sagt, nach sechs Monaten verfallen sozusagen die Privilegien der Genesenen.



Camillo Schumann



Ja, das ist wichtig für sie zu hören, also für die Genesenen. Denn nach wie vor wird ja genau darüber gesprochen. Und da gelten diese sechs Monate. D.h., da müsste man noch mal ran. Da müssten Verordnungen noch mal verändert aktualisiert werden und den Menschen ja, wie lange sollte man denen geben, ein ganzes Jahr? Oder sollte man es komplett offenlassen?



Alexander Kekulé


Das ist ja ein Prozess. Ich bin eigentlich dagegen, in so einer Situation jetzt perfekte Lösungen anzustreben. Da müssten wir dann noch einmal fünf Jahre lang Studien machen und dann könnten wir uns entscheiden. Sondern wir müssen doch jetzt einfach pragmatisch – mit einem gewissen Mut zum Restrisiko müssen wir jetzt in den Sommer hinein überlegen: Wo sind wir streng? Und wo machen wir Vereinfachungen? Und eine Vereinfachung heißt für mich ganz simpel: Genesen ist gleich geimpft ist gleich getestet. Natürlich haben sie in allen drei Kategorien Probleme, die sie diskutieren können. Wenn Sie das jetzt haarspalterisch nehmen. Bei den Tests ist ganz offen-


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sichtlich: Die haben natürlich auch mal falsch negative. Manche schummeln vielleicht oder sonstwas oder nehmen die Abstriche nicht richtig. Da gibt es viele Varianten, warum so etwas falsch sein kann. Bei den Geimpften muss sich aber auch sagen, da würde ja dann die Diskussion kommen. Ja, aber Moment – wie war denn das nochmal. AstraZeneca hatte ja nur 70 Prozent Effizienz und das andere 95. Darf ich also mit dem 70 Prozent Impfstoff dann vielleicht da und da nicht hingehen? Ja, da fangen sie dann an. Und wir haben z.B. das ganz große Problem: Wir sehen jetzt – um ein Beispiel zu sehen, wo wir unter Kollegen gerade international wirklich besorgt sind und quasi wie auf ein Labor gucken. Das sind die Seychellen. Auf den Seychellen – schöne Inselgruppe da irgendwo im Indischen Ozean, tolles Urlaubsparadies. Da haben die schon ganz früh gesagt, weil die quasi nur vom Urlaub leben und natürlich auch Angst haben, dass sie irgendwann verschwinden, wenn die Meeresspiegel steigen... Da haben die es eilig. Entschuldigung für den kleinen Spaß, ist so. Die hatten es eilig beim Impfen. Und die haben dann ganz schnell den Impfstoff von Sinopharm aus China besorgt. Und 2 Drittel Sinopharm, ein Drittel AstraZeneca haben die dann durchgeimpft. AstraZeneca muss man sagen – in Klammern: made in India – das war die AstraZeneca-Produktion aus dem Serum Institute of India. Und dann haben Sie also geimpft mit einem Tempo. Ich glaube, die sind Weltmeister, wenn man es auf die Bevölkerung bezieht. Und die schauen jetzt mit Schrecken zu, dass es immer noch ganz wüste Ausbrüche gibt. Was eigentlich nicht passieren darf, weil die so eine Art Herdenimmunität haben müssten. Und da sagen jetzt die Fachleute, dass eine Erklärung – die wahrscheinlichste Erklärung für diese Ausbrüche auf den Seychellen die ist, dass einfach eben diese Impfstoffe halt auch nicht hundert Prozent wirken. Und auch die Geimpften, das haben die Studien auch gezeigt: Bei AstraZeneca war es klar, da lag die Wirksamkeit zwischen 60 und 70 Prozent vielleicht. Und bei dem chinesischen Impfstoff sind die Daten halt nicht so klar bekannt. Aber klar


ist, dass man halt immer so oder so, wie man es rechnet, um die 30 Prozent hat, die noch infizierbar sind. Selbst wenn sie voll geimpft wurden. Und da sehen Sie schon: Wenn wir jetzt diese Diskussion hier anfangen, dann haben Sie also Geimpfte erster, zweiter und dritter Klasse. Dann haben Sie Getestete, die im Labor getestet wurden mit der PCR und andere, die aber nur ein Antigen-Test bringen. Und dann haben Sie bei den Genesenen eben die Klasse der First-Class-Genesenen, das sind die unter sechs Monate, aber über vier Wochen. Und die Second-Class-Genesenen, das sind die, die in der ersten Welle schon die Infektion haben. Weil dann können Sie ja genauso sagen: Naja, in der ersten Welle, das war ja noch der norditalienische Typ. Also, das war quasi der B1-Typ. Jetzt haben wir aber B.1.1.7. Wer weiß denn, wie gut das wirklich schützt, wenn man damals eine Infektion hatte. Warten wir noch mal drei Jahre, bis wir die Studien dazu haben. Also, Sie sehen schon, ich bin für eine pragmatische Lösung, weil es ja jetzt nicht mehr so krass um Leben und Tod geht wie am Anfang. Sondern wir haben jetzt die Risikogruppen halbwegs geschützt. Zumindest wird es die nächsten Wochen dazu kommen. Diejenigen, die noch nicht geimpft sind, wissen, wie man sich mit FFP2  usw. schützen kann. Und dann finde ich, muss man bei dem Rest der Bevölkerung jetzt nicht päpstlicher als der Papst sein.



Camillo Schumann



Also jetzt noch einmal gefragt: Genesen gleich genesen, ohne Zeitraum?



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. Also genesen ist genesen. Ich korrigiere mich sehr gerne mit dieser Empfehlung, sobald wir irgendeine harte Evidenz haben, dass es eine Schwelle gibt, wo man sagt: Okay, das war noch der alte Typ. Oder: Das ist jetzt der neue Typ, da gibt es keinen Schutz. Also, welcher Virustyp das war, mit dem man sich infiziert hat. Aber im Moment ist es so, dass wir dafür keine Daten haben. Und da finde ich, sollten wir uns die Lage nicht komplizierter machen. Und man darf nicht vergessen:


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Es gibt ja sehr viele Menschen in Deutschland, die in der ersten Welle infiziert wurden, als wir noch alle keine Ahnung hatten, was da überhaupt passiert. Die munteren Skifahrer und die, die davon angesteckt wurden. Die sind ja alle über sechs Monate. Und jetzt mal so ein bisschen – sag ich mal – sportlich gesprochen, also so eine Sars-CoV-2 -Infektion wirklich durchzumachen und dann hinterher sich vom Krankenbett langsam – viele Verläufe waren ja auch nicht so easy – dann vom Krankenbett langsam hochzuschleppen und in den nächsten Wochen wieder fit zu werden. Dass ist auch etwas, wo man selber irgendwie dran gearbeitet hat. Also das ist sicher unangenehmer als in den vieldiskutierten Nebenwirkungen der Impfungen. Und das fände ich dann auch irgendwie ungerecht. Wenn die Leute dafür, dass sie es dann quasi überstanden haben, dann trotzdem behandelt werden, als wären sie genauso gefährlich wie jemand, der komplett ungeimpft, ungetestet und eben noch nie infiziert ist.


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Camillo Schumann



Okay also das halbe Jahr für die Genesenen, also diesen Zeitraum einfach mal aufheben und freigeben. Wie wäre Ihre Einschätzung für die Geimpften? Da gilt ja auch ungefähr so ein Zeitraum: Na ja, erst Zweitimpfung und dann müssen wir wieder im Herbst auffrischen. Das ist ja auch dann ungefähr, wenn man dann irgendwann im Frühjahr macht dann wieder ein halbes Jahr lang. Ist ja auch ein halbes Jahr lang.



Alexander Kekulé


Also, das mit dem Müssen steht – zum Glück – glaube ich noch nicht so auf dem Papier. Die eine Frage, die so ein bisschen im Raum steht, ist ja: Reicht vielleicht die erste Impfung schon? Da hätte man ja dann so 80 Prozent Schutz oder so was in der Größenordnung könnte man auch diskutieren. 80 Prozent ist eigentlich genauso gut wie ein Schnelltest. Da kommt man ja auch nicht auf 100 Prozent Sicherheit. Da meine ich, ist es ja so: Der Staat muss irgendwie eine Methode haben, nachzu-


weisen, was los ist. Der muss es ja auch überprüfen können. Es hat ja keinen Sinn irgendwelche Regeln zu haben, die Akademiker machen, sondern es muss ja praktikabel und kontrollierbar sein. Und darum finde ich eigentlich die wichtigste Forderung zu sagen: Wir brauchen einen Ausweis, wo man halt dann meinetwegen sagt. Okay, nur zweimal geimpft gilt, einfach weil es sonst zu kompliziert wird, wenn sie die paar Wochen zwischen erster und zweiter Impfung schon mal so eine Art Teilausweis haben wollen. Das, finde ich, ginge zu weit, v.a., weil ich ja feststelle, dass wir im Gegensatz zu den Ungarn in Deutschland – jetzt haben wir den 11. Mai – immer noch nicht in der Lage sind, irgendwie eine halbwegs brauchbare Plastikkarte, App oder irgendetwas anderes auf den Tisch zu legen, mit dem man diesen GGGStatus eben nachweisen kann. Warum ist das so wahnsinnig wichtig? Wissen Sie, das ist nicht zumutbar, dass die Leute zum Friseur gehen und sagen: Hier habe ich ein Attest dabei, dass ich vor sechs Wochen Covid hatte. Ja, wir geben unsere Krankheiten ja sonst auch nicht preis. Und dass man hier genötigt wird, quasi seinem Friseur – die sollen ja angeblich doch immer gute Kommunikationszentralen zumindest in kleineren Städten sein – dem dann im Detail erklärt, was man hatte, wo man das hatte, wann man das hatte. Das, finde ich, das ist nicht zumutbar. Und deshalb meine ich, dass, wenn man einen Ausweis hätte, der einfach den Status bestätigt, dass man jetzt eben nicht die besonders harten Corona Auflagen erfüllen muss. Das wäre sinnvoll, weil das ein bisschen anonymisieren würde, welches von den drei Gs man jetzt sozusagen gerade gezogen hat. Ich bin sicher, dass, wenn man das jetzt wirklich von den Persönlichkeitsrechten bis zum Verfassungsgericht durchdeklinieren würde, dass diese Frage dort dann auch auf den Tisch käme. Dass man jetzt nicht zur Rückerlangung seiner Grundrechte genötigt werden kann, einer unbekannten dritten Person oder fast noch schlimmer, wenn es eben der bekannte Friseur ist, offenzulegen, welche Erkrankungen man hatte. Und da müssen wir dringend nachbessern. Die anderen Fragen


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sind nicht so wichtig. Und mit dem Herbst: Ja, also ich bin ganz optimistisch, dass die einmalige Impfung, komplette Impfung oder auch wirklich durchgemachte Infektion auch vor den Varianten, die da im Herbst kommen, in der Weise schützt, dass wir keine schwersten Erkrankungen mehr kriegen. Keine schweren Verläufe mehr kriegen. Dass wir in der Situation sind, wo wir zwar möglicherweise eine recht hohe Inzidenz haben, aber keine so hohe Sterblichkeit. Das ist dann auch nicht so toll. Natürlich, so etwas Ähnliches haben wir ja bei Influenza. Da sterben ja dann bekanntlich auch manchmal Zehntausende im Jahr. Es ist nicht so, dass wir das dann schönreden darf. Aber das ist für mich kein Grund, jetzt auf der Ebene der Freigabe von Grundrechten sozusagen zu fordern, dass jemand die dritte Impfung im Herbst hat. Das wäre für mich dann eher so eine Empfehlung, die die Ständige Impfkommission vielleicht ausspricht, wenn man feststellt, dass neue Varianten vielleicht nicht so gut abgedeckt werden. Man muss aber auch sagen, dass jetzt die Daten aus Israel bezüglich BioNTech und der südafrikanischen Variante ja wirklich ganz optimistisch aussehen. Und darum würde ich eigentlich dafür plädieren, jetzt erstmal kein Limit zu setzen, auch bei der Impfung nicht. Nicht nach dem Motto: Ihr müsst euch auf jeden Fall im Herbst noch einmal impfen. Das entscheiden wir im Herbst, wenn wir die Daten sehen.



Camillo Schumann



Genau. Dann erfahren sie das auch hier im Podcast, wenn es den Podcast noch gibt bis dahin. Oder vielleicht gibt es ja gar keine Neuinfektionen mehr. Wir werden sehen, was passiert in den kommenden Wochen, Monaten.



Alexander Kekulé


Es kann auch sein, dass dieses Virus fast verschwindet. Es ist durchaus möglich, ja. Also ich glaube nicht, dass es uns ganz verlässt, weil wir immer Populationen haben, die – auch die Kinder natürlich, die nachkommen – neu infiziert werden können, weil wir Importe haben. Aber es kann sein, dass das sozusagen wirklich


aus den Schlagzeilen verschwindet bis zum Herbst.


31:14



Camillo Schumann



Tja, wir sind gespannt und hoffen es. Es kann aber auch sein, dass es dann wieder positive PCR-Tests geben wird. Und damit bleiben wir beim Thema Genesene. Denn es gibt ja immer wieder Berichte, wonach Menschen, die die Infektion durchgemacht haben, auch noch Wochen und Monate im PCR-Test positiv sind, also eigentlich wieder in Quarantäne müssten. Wie kann das eigentlich sein? Was macht das Virus da im Körper? Der Mensch hat offenbar alles hinter sich, aber Teile des Virus sind scheinbar nach wie vor vorhanden, haben sich quasi eingenistet. Ende des vergangenen Jahres haben wir genau über diese Mutmaßung hier im Podcast schon mal gesprochen. Die Wissenschaftswelt war damals aufgerüttelt. Nun gibt es die belastbaren Daten eines sehr renommierten Wissenschaftlers. Die Studie, die wurde auf Herz und Nieren gegengecheckt und nun auch veröffentlicht. Und die These: Das Virus kann sich in die menschliche DNA einnisten. Wow.



Alexander Kekulé


Ja, das ist für einen Virologen ein superheißes Paper. Das ist ja eine steile These, die im Dezember schon einmal geäußert wurde, wo keiner so richtig zugehört hätte, wenn das nicht von einem ganz berühmten Mann aus den USA vom MIT, also dem Massachusetts Institute of Technology, gekommen wäre. Das ist der Rudolf Jaenisch. Rudolf Jaenisch, muss man sagen, ist eine absolute Ikone in der Zellbiologie. Der hat die Stammzellforschung in tausend Bereichen vorangebracht. Er hat die sogenannten transgenen Tiere mal erfunden, in den 70er-Jahren. Also Tiere, wo man genetische Eigenschaften für Mäuse, für Labore, wo man genetische Eigenschaften verändert hat, um damit dann Forschung zu machen. Und von dem ich natürlich auch deshalb begeistert bin, weil er in genau dem gleichen Labor, bei dem gleichen Doktorvater war wie ich. Bei Peter Hans Hofschneider am Max-Planck-Institut


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muss ich sagen, ein bisschen pro domo. Aber der Rudi Jaenisch, von dem halte ich sehr viel. Und er hat gerade im Bereich von Stammzellen und der Frage „Was darf der Mensch da machen für Untersuchungen und was nicht?“ viele kluge Äußerungen gemacht. Und der hat im Dezember gesagt: Er hat rausgefunden mit Kollegen zusammen, dass dieses Sars-Cov-2 Corona-Virus in der Lage ist, obwohl es ein RNA-Virus ist, sich quasi rückwärts zu kopieren in DNA. Und die kann dann integrieren in die in die zelluläre DNA. Das ist deshalb spektakulär, weil so etwas eigentlich nur die sogenannten Retroviren können. HIV gehört dazu. Also das AIDS-Virus gehört dazu. Und da ist er da, glaube ich, wie nie zuvor gebasht worden für diese Ansage. Das war damals ein Preprint, was er rausgehauen hat und dann haben ihn seine internationalen Kollegen wie nie zuvor angegangen. V.a. deshalb, weil natürlich das sofort aufgegriffen wurde. Wir haben es auch im Podcast besprochen an einer Stelle damals, weil man gesagt hat: Ja, Moment, d.h. ja, dass die RNA-Impfstoffe möglicherweise dann integrieren in den Zellkern und irgendwelche Mutationen machen können. Und deshalb war das ein super aufgeheiztes Thema. Und diese Arbeit, die damals kritisiert wurde, die ist jetzt ganz offiziell am 06.05. publiziert worden



Camillo Schumann



Genau. Und auseinandergenommen worden. Sie haben sie sich angeschaut. Was muss man darüber wissen?



Alexander Kekulé


Es gibt ja ein Enzym, das ist die Reverse Transkriptase. Die haben nur ganz wenige Viren, eben AIDS-Virus, z.B. Mit dem kann man das Kunststück machen, dass die RNA umgeschrieben wieder in DNA. Das ist ja sonst so, dass quasi die Genetik oder die Expression von Genen eine Einbahnstraße ist. Wir haben in unserem Zellkern die DNA, da ist die gesamte Informationen von unserem Leben drauf, wie wir zu funktionieren haben. Und wenn man davon irgendwelche Proteine herstellen will oder irgendwelche Eigenschaften abrufen will, dann wird von der DNA eine sogenannte RNA ko-


piert. Die geht aus dem Zellkern raus, und daraus werden dann z.B. Proteine hergestellt. Aber es geht nicht rückwärts. Und dieser Rückwärtsgang – die Reverse Transkriptase, die das macht – das ist ein ganz bestimmtes Enzym. Das haben eben die Menschen manchmal auch. Und zwar gibt es da so mysteriöse Elemente, die bei uns in im Genom drinnen sitzen, die heißen LINE-Elemente. LINE heißt Long Interspersed Nuclear Elements. Also, das sind quasi lange dazwischenliegende interspersed elements. Die liegen zwischen den eigentlichen Genen. 17 Prozent des gesamten Genoms sind es bei Menschen, also echt viel. Und die haben keine Funktion, man hat lange überlegt warum ist da so viel Schrott in unseren genetischen Informationen drinnen? Bis man festgestellt hat, dass einige dieser LINEs – nicht so viele, aber vielleicht ein paar Hundert – beim Menschen in der Lage sind, rauszuspringen aus dem Genom und woanders wieder sich einzusetzen. Die hüpfen also rum, von einer Stelle zur anderen im Genom. Machen dabei manchmal auch Gene kaputt, können zu Erbkrankheiten führen usw. Solche Elemente heißen Retrotransposons, die kennt man sonst eigentlich nur von Viren. Man nimmt an, dass das irgendwelche Überbleibsel von Virusinfektionen sind, die unsere Vor-vor-vorfahren irgendwie – wahrscheinlich noch der Neandertaler – bekommen haben. Und wir haben das immer noch im Genom. Und deshalb mischt sich unsere Erbinformationen immer mal so ein bisschen durch; diese Elemente, die da drinnen sind. Und was eben der Rudi Jaenisch zusammen mit dem Richard Jung – das ist auch ein Star dort in Cambridge. Cambridge nicht in England, sondern Massachusetts, den USA. Die haben eben zusammen herausgefunden, dass diese LINE-Elements, dass die in der Lage sind, tatsächlich Teile von dem Corona-Virus in die DNA der Zellen einzubauen, in der Zellkultur. Dass die wirklich dieses schaffen, dass also ein Stück von dieser Corona-Virus-RNA umgeschrieben wird in DNA und dann eingebaut wird. Und das ist natürlich spektakulär. Das geht weit über die Virusforschung hinaus, wenn das sich als wahr bewahrheiten sollte.


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Und die Geschichte ist dann ganz witzig so weitergegangen, dass Kollegen gesagt haben: Jaja, aber die Methode, mit der ihr das nachgewiesen habt, da gibt's einen bestimmten Schritt. Da kann es dazu kommen, dass, wenn ich mal so sagen darf, beim Abschreiben von so einer RNA – man muss die an einer Stelle abschreiben im Labor, in DNA umschreiben. Das braucht man, um so etwas nachzuweisen. Und da gibt es etwas, d.h. Template Hopping oder Template Switch. D.h. also, die Vorlage, die da verwendet wird quasi beim Abschreiben, die wechselt dann plötzlich. Und durch dieses Wechseln, das ist so ähnlich, als wenn man jetzt ein Buch abschreibt, und plötzlich die Seite umschlagen würde und dann zwischendurch von der anderen Seite was abschreibt und wieder zurückspringt. Bei diesem Wechseln können Fehler passieren, Artefakte passieren, die genauso aussehen wie das, was ihr glaubt, nachgewiesen zu haben. Und vielleicht ist das Ganze, was ihr glaubt, da zu zeigen, dass diese RNA überhaupt integrieren kann, vielleicht ist das ein riesengroßes LaborArtefakt gewesen. Und das war die heiße Diskussion an Weihnachten. Am Anfang auch sehr stark, sage ich mal, emotional geladen. Und dann haben die was ganz Schlaues gemacht. Sie haben nämlich einen ihrer härtesten Kritiker und Kollegen, der dort am NIH ist, diesen Nationalen Gesundheitsinstitut in der Nähe von Washington. Dem haben die gesagt: Pass mal auf, du kannst jetzt einfach deine Theorie, warum du glaubst, wir haben uns total geirrt, ausleben. Wir machen das jetzt mit dir zusammen, das Experiment. Wir machen genau den Vorschlag, den du gemacht hast, um zu überprüfen, ob wir uns vielleicht total krass geirrt haben. Den Vorschlag nehmen wir jetzt. Ich kann es ja vielleicht erklären, wie das wiederum funktioniert, und zwar: Wenn es so ist, dass man durch einen methodischen Fehler aus Versehen sozusagen ein Artefakt erzeugt hätte, künstlich etwas erzeugt hatte, wo es so aussieht, als würde die Corona-Virus-RNA integrieren, dann müssten die aus bestimmten methodischen Gründen alle in die gleiche Richtung gucken. Also so eine RNA hat ja immer ein


vorderes Ende und ein hinteres Ende. Und die müssten quasi wie Elefanten, die alle in die gleiche Richtung schauen, alle hintereinander aufgereiht sein in die gleiche Richtung. Wenn es aber so ist, wie wir glauben, hat der Jaenisch so sinngemäß gesagt, nämlich, dass es durch ein Zufallsereignis ist, dann müsste 50 Prozent vorwärts und 50 Prozent rückwärts integriert worden sein. Und dann haben sie das mit dem Kollegen zusammen gemacht, festgestellt: Es ist 50 Prozent vorwärts und 50 Prozent richtig rückwärts. D.h. also die Annahme, dass das eine echte Integration ist von umgeschriebener Virus-RNA in das Chromosom ist richtig. Und der Kollege, der der Kritiker war und damals schon bei Twitter geschimpft hat, ist jetzt Co-Autor auf dem Paper. Also deshalb glaube ich inzwischen dran. Also, jetzt müsste es echt krass sein, wenn sie den Kritiker mit reingenommen haben. Es sieht so aus, als könnte tatsächlich die RNA in bestimmten Fällen von diesem Corona-Virus integrieren, in den Zellkern von den Zellen, die da infiziert wurden.


40:2 1



Camillo Schumann



Irre. Paukenschlag. Und, ich glaube für eine wissenschaftliche Diskussion ist das doch eigentlich eine perfekte Zusammenarbeit, oder? Vom größten Kritiker oder von einem der größten Kritiker dann zum Co-Autor zu werden. Es sollte in manchen Bereichen dann auch mal funktionieren.


2 wichtige Punkte: Der erste Punkt ist: Selbst beim Einnisten ist es nicht infektiös und in PCR nachweisbar?



Alexander Kekulé


Ja, genau. Die haben gezeigt, dass das nicht infektiös ist. Das ist klar, dass sind nur Teile von diesem Virus. Das ist ja deswegen kein Retrovirus. Also die echten Retroviren, wie dieses AIDS-Virus, die machen das ja so, dass sie wirklich vorsätzlich und mit einem sehr genau abgestimmten, konzertierten Verfahren ihre RNA umschreiben und dann einbauen ins Chromosom. Und von dort aus dann wieder neue Viren produzieren können. Das geht hier nicht. Aber man kann neue RNA Stückchen produzieren.


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Und das hat natürlich erstens die Konsequenz, dass eine PCR – der Teil ist noch nicht bewiesen, aber das sieht so aus, als könnte dann mal eine PCR falsch-positiv werden. Das wäre natürlich, genau wie Sie eingangs sagten, meine ganz spektakuläre Erklärung dafür, dass Leute manchmal nach drei Monaten immer noch positiv sind. Das Interessante ist ja: Von denen, die solange positiv waren in der PCR nach durchgemachter Covid-Infektion, da gab es eben ganz viele, wo man zwar die RNA nachweisen konnte, aber kein Virus. Und man kann ja auch aus so einem Nasenabstrich oder so was das dann in die Zellkultur nehmen und gucken, ob sich der Virus vermehrt. Und das war ganz oft so, dass man kein replikationsfähiges, wie wir sagen, kein vermehrungsfähiges Virus gefunden hat. Und dann gesagt hat: Naja, es war eben deshalb noch die RNA, weil das Immunsystem vielleicht das Virus platt gemacht hat. Und deshalb hat sich es nicht mehr vermehrt. Oder es war mutiert inzwischen, konnte nicht mehr richtig. Aber es waren alles so Halb-Erklärungen. Und das wäre jetzt eine ganz nette Erklärung. Die würde dann sagen: Naja, da wird eben nur die RNA fabriziert von irgendwelchen Zellen. Das ist das eine praktische. Und das andere ist eben ganz was anderes, nämlich: Wir haben ja dieses komische Phänomen von Long-Covid, das wir Wochen nach den Infektionen noch so feststellen, dass die Leute ein überaktiviertes Immunsystem haben, was offensichtlich immer noch die Zellen kaputt macht. Obwohl ja keine Virusvermehrung mehr da ist. Und da könnte man natürlich sagen – das ist natürlich jetzt an der Stelle wirklich nur Spekulation. Aber auch Rudi Jaenisch geht so weit, das zu spekulieren: Es könnte sein, dass wir da nichts anderes beobachten als das Ergebnis von solchen integrierten Virusteilen, die dann da ständig in bestimmten Zellen kleine Mengen viraler Proteine fabrizieren. So eine Art versehentliche Impfung, sage ich mal, an der falschen Stelle. Und dass dadurch das Immunsystem so ständig eine Entzündungsreaktion macht, obwohl das Virus längst weg ist. Aufgrund dieser ins Chromosom integrierten viralen Sequenzen, die


immer noch irgendwelche Proteine fabrizieren. Und es gibt ja dieses Phänomen, was nicht wirklich, sage ich mal, statistisch bewiesen ist, aber was einige Ärzte beobachtet haben, dass, wenn man impft, bei solchen Long-CovidPatienten – speziell mit den Messenger-RNAImpfstoffen ist das gezeigt worden – dass es bei einem Teil der Patienten, die Long-Covid hatten, dann zu einer relativ schnellen Besserung der Symptome gekommen ist. Und das würde das alles erklären. Wäre spektakulär für die Virologie. Aber das würde genau das erklären. Und kann sein, dass wir an der Stelle sozusagen gerade Geschichte schreiben, weil dann müssten viele Bücher neu geschrieben werden.


43:57



Camillo Schumann



Genau. Also die Impfung mit mRNAImpfstoffen wäre sozusagen bei Long-Covid dann auch jetzt möglicherweise auch eine Sache, die man immer machen müsste. Oder?



Alexander Kekulé


Das ist einfach schwierig in solchen Fällen. Technisch gesehen, ist es der sogenannte Heilungsversuch. Und ich muss jetzt sagen: Es spricht ja nichts dagegen, wenn jemand SarsCoV-2 -Infektion hatte, Covid durchgemacht hat und dann sich nicht so recht berappeln will von seinen Symptomen – und da gibt es ja viele, gerade im neurologischen Bereich – da spricht eigentlich nichts dagegen zu sagen: Mensch, dann lass dich doch mal impfen, mal schauen, ob es was bringt. Also, es wird ja sowieso empfohlen, nach einer gewissen Zeit zu impfen. Ich glaube, sechs Monate ist im Moment jetzt noch so die Brücke. Und ich würde eigentlich schon vorschlagen – und das ist ja durch die Arztpraxen jetzt durchaus möglich, weil die Ärzte das jetzt selber machen – wenn jetzt jemand weniger als sechs Monate nach der Infektion ist, und er hat aber Long-CovidSymptomatik und will gerne geimpft werden, dann würde ich als Arzt das machen. Auch wenn es keinen Beleg dafür gibt, dass es was bringt. Aber zumindest ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass es nicht schadet. Und vielleicht zu diesem Long-Covid: Wir haben


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darüber gesprochen, dass da ganz besonders häufig neurologische Symptome eine Rolle spielen. Und es gibt ja auch den sogenannten Corona-Fog, dass die Leute quasi wirkliche neurologische Probleme haben nach der Infektion. Und damit der Kreis sich ganz schließt und warum es natürlich einem Virologen dann kalt den Rücken runterläuft: Wir wissen schon lange, dass diese LINE-Elemente, zumindest das typische LINE, d.h. LINE1, dass das eben in Nervenzellen vorkommt, hauptsächlich. Und in Nervenzellen hochreguliert ist. Und wir wissen, dass das im Gefolge von Virusinfektionen sowieso hochreguliert wird, also z.B. durch auch eine Sars-CoV-2 -Infektion. Und wir wissen, dass dieses LINE1 hochreguliert ist bei einer ganzen Reihe neurologische Erkrankungen. Also es würde sozusagen alles passen wie die Faust aufs Auge.



Camillo Schumann



Manchmal ist es auch ganz gut, wenn man nicht alles weiß. Was ich noch abschließend gern dazu sagen würde: Wenn sich jetzt tatsächlich – und die Hinweise haben sich ja nun verdichtet – wenn sich dieses Virus, oder Teile des Virus, in die DNA einnisten, aber nicht ansteckend sind, dann verlieren doch die PCR-Tests um ihre Aussagekraft oder nicht.



Alexander Kekulé


Das wäre dann zumindest bei dieser hochsensitiven Testung der Fall. Und wir haben ja epidemiologisch schon länger irgendwie festgestellt, dass man, je nachdem, wo da der Cut-off ist – also dieser CT-Wert, der berüchtigte – dass wir ja tatsächlich, ich sag mal so, wenn der CT größer als 2 8 oder 30 ist, dass wir dann keine Infektiosität mehr feststellen. Und das wird hier möglicherweise – also, man muss ja sagen, das ist jetzt zwar offiziell publiziert, das ist kein Preprint, aber es ist natürlich nur erst mal ein Ergebnis, was viele, viele Fragezeichen hinterlässt. Aber wenn das in diese Richtung weitergehen sollte, dann ist es so, dass man in der Tat eine Erklärung hätte, warum das richtig ist, was sowieso schon gemacht wird in Deutschland. Die Gesundheitsämter sind ja


schon lange dazu übergegangen, jemanden, der z.B. einen CT über 30 hat, nicht mehr als infektiös einzustufen. Das würde sich hier tatsächlich zeigen.


47:11



Camillo Schumann



PCR-Testung hatten wir gemacht, ist relativ unklar. Muss man sich ein bisschen anschauen. Aber was natürlich viel, viel entscheidender ist: Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden mit mRNA-Impfstoffen geimpft. Hat das denn sozusagen dann zur Folge, dass sich das auch einnisten kann, könnte?



Alexander Kekulé


Also ja, das Preprint im Dezember ist ja schon in dieser Richtung von den Impfkritikern quasi auf die Fahne geschrieben worden. Ich nehme an, das wird jetzt noch mal passieren, und zwar in verstärktem Maße. Also eins ist klar: Es ist wohl häufiger als gedacht so, dass auch Menschen, die jetzt nicht gerade eine aktuelle Infektion mit einem Retrovirus haben, dass die tatsächlich in der Lage sind, auch gelegentlich mal RNA umzuschreiben in DNA. Ich glaube nach wie vor – und das ist hier wirklich meine Arbeitshypothese, wir wissen es alle nicht, wie es wirklich ist – dass das ein extrem seltenes Ereignis ist, was dadurch zustande kommt, dass, wie wir eben wissen, dass diese Sars-CoV2 -Infektion, die Virusinfektion, diese bestimmten Elemente, die das können mit dieser RückÜberschreibung, also diese LINE-Elemente, diese Retrotransposons ja aktiviert. Da sind sonst nicht viele aktiv. Ich sag mal so 2 00, vielleicht, oder 100 im gesamten Genom, so viele sind es nicht. Obwohl ja sehr, sehr viele da sind, 17 Prozent der gesamten DNA sind solche Elemente. Aber nur ganz wenige sind aktiviert. Die Zahl, der Anteil der aktiven, steigt bei einer Virusinfektion. Und es ist auch schon nachgewiesen worden, dass es bei SARS-CoV-2  steigt. Sodass meine Arbeitshypothese jetzt wäre, dass man sagt: Bei der Virusinfektion kommt es zu einer Aktivierung dieser Elemente, die diese Reverse Transkription können. Dieses Integrieren. Und dadurch hat man dieses Phänomen, was jetzt hier beobachtet wurde. D.h. dann


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aber umgekehrt: Diese Aktivierung gibt es natürlich bei der Impfung nicht. Also wenn man jetzt eine normale Impfung hat, wo gar kein komplettes Virus da ist, sondern speziell bei den RNA-Impfstoffen, ja nur so ein so ein Stück Protein, das Spike-Protein, quasi ein künstliches hergestellt wird, da kann man nicht davon ausgehen, dass diese Impfung auch diese Aktivierung der LINE-Elemente macht. Zumindest haben wir bisher keine Hinweise darauf. Müsste man vielleicht noch untersuchen. Aber bisher gibt es keine Hinweise darauf. Sodass ich davon ausgehen würde: Dass bei einem Normalsterblichen in der normalen Situation diese Aktivität der Reverse Transkriptase so gering ist, dass das eigentlich keine Rolle spielen dürfte, dass der Impfstoff des RNA-Impfstoffe sich da massenweise integriert. Außerdem sieht man interessanterweise bei dem SARS-CoV-2  speziell: Das ist eine andere Region, die da besonders häufig integriert. Das ist eine Region von einem anderen, das Core-Protein ist da betroffen, ein anderes Protein des Virus. Dieses Spike-Protein, das wir für die Impfung verwenden, das wird nicht bevorzugt gesehen bei dieser Integration. Sodass offensichtlich auch der Mechanismus eben nicht speziell darauf abgestellt ist, dieses Spike, was für die Impfung verwendet wird, zu integrieren. Das Interessante für einen Wissenschaftler an der Stelle ist natürlich, dass das jetzt so völlig wie Kai aus der Kiste kommt. Ja, dass also das wirklich das, was in unseren Lehrbüchern steht, quasi widerlegt, falls es richtig ist. Das muss man dazusagen. Viele solche spektakulären Entdeckungen, einige von denen zumindest, werden später widerlegt. Und wir haben ja diese unknown Unknowns. Das ist ja etwas, was dem Donald Rumsfeld immer mal zugeschrieben wird, der hat – 2 002  war das, glaube ich – da war ja die Frage: Hat der Irak irgendwie anderen Terroristen geholfen, um biologische Waffen oder Atomwaffen oder andere Massendestruktionswaffen herzustellen? Und da hat er sich dann so ein bisschen rausgeredet bei einer Pressekonferenz und gesagt: Na ja, wir haben keine Belege. Aber es gibt eben diese unknown Unknowns. Und das ist ein altes Schema. Das


ist eigentlich in den 50er-Jahren von Psychologen mal entwickelt worden. Das ist das sogenannte Johari-Schema. Da sagt man eben: Es gibt Dinge, da weiß ich, dass es die gibt. Es gibt Dinge, da weiß ich nicht, dass es die gibt. Aber andere wissen das. Es gibt Dinge, da weiß ich, dass es die gibt, aber sag’s den anderen nicht. Und dann gibt es auch noch Dinge – ja das war damals ganz lustig – also psychologisch. Und dann gibt es die Dinge, wo ich nicht einmal ahne, dass es die gibt, sozusagen nur mein Unterbewusstsein. Die habe ich vielleicht verdrängt. Und das sind diese unknown Unknowns. Und hier in der Wissenschaft haben wir eben immer – und das kann ich nur noch einmal erinnern – wenn wir die Sicherheit von Medikamenten, auch von Impfstoffen, beurteilen wollen, müssen wir immer dran denken: Es könnte auch sein, dass unser jetziger Blick auf die Biologie sich durch ein, 2 Experimente schlagartig ändert, wir da so eine Art Paradigmenwechsel kriegen. Und dann ist die Sicherheit, in der wir uns gerade noch gewogen haben, weil wir glauben, wir haben alles 100 Prozent unter Kontrolle, plötzlich dahin. Und das finde ich gerade bei so neuen Impfstoffen im wichtig, dass man das immer mit dem Auge hat.


52 :09



Camillo Schumann



Das große Ganze hier, Kekulés CoronaKompass, ist ja auch ein spannendes Thema, eine spannende Studie. Und diese Studie gibt es wie immer verlinkt in der verschriftlichten Form dieses Podcasts. Herr Kekulé, wir kommen noch zu den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer. Diese Dame hat folgende Frage und zwar zur Kühlung des Impfstoffs von BioNTech. Wir hören mal rein.


Meine Mutter ist 87 Jahre alt und es kam der Hausarzt und hat BioNTech geimpft. Kam aber mit einem Styroporkasten an. Ich dachte, es müsste -70 Grad gekühlt sein. Ich verstehe es einfach nicht.



Alexander Kekulé


Ja, also ich habe jetzt die Gebrauchsanweisung ehrlich gesagt, nicht mehr im Kopf. Am Anfang


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habe ich die mal genau studiert. Es ist folgendermaßen: Das muss, wenn es über längere Zeit gelagert wird, bei -70 gekühlt werden. Und dann, wenn man das dann auftaut, gibt es ein bestimmtes Zeitfenster, wo ich nicht mehr genau weiß, wie groß das ist. Die Impfärzte in Deutschland können es jetzt auswendig alle. Und in diesem Zeitfenster muss man es dann verimpft haben. Aber da ist man dann nicht mehr gezwungen, diese extrem tiefen Temperaturen einzuhalten. Und ich gehe fest davon aus, dass der Arzt, der da nach Hause kam, quasi auf die Uhr geschaut hat und wusste, bis wann er das verimpft haben muss, damit es noch gilt.


53:2 3



Camillo Schumann



Genau, BioNTech hat selber gesagt, dass der Impfstoff herstellerseitig in so Trockeneisboxen ausgeliefert wird, in denen er 30 Tage lang gekühlt werden kann. Er lasse sich aber auch bedenkenlos für bis zu fünf Tage in handelsüblichen Kühlschränken bei so 2 bis acht Grad aufbewahren. Also wenn der Arzt den Impfstoff in der Styroporbox transportiert, ist alles safe. Herr Z. hat uns geschrieben:


Ich selber habe z.B. nach der Erstimpfung und auch nach der Zweitimpfung mit BioNTech so gut wie keine Impfreaktionen gehabt. Meine Schwester dagegen lag jeweils 2 Tage flach mit allen möglichen Impfreaktionen. Ich stelle mir die Frage, inwieweit das theoretisch auch auf unterschiedliche Verläufe bei einer CoronaInfektion hindeuten könnte. Also hätte ich selbst vielleicht einen asymptomatischen Verlauf gehabt und meine Schwester einen schwereren, wenn wir uns mit Corona angesteckt hätten? Oder gibt es da keine Zusammenhänge? Wir sind beide Mitte 30. Danke und viele Grüße, Herr Z.



Alexander Kekulé


Ja, es könnte sein, dass da ein Zusammenhang besteht. Ich würde sagen, es wäre sogar wahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Impfreaktion und der Frage, wie man auf das echte Virus dann reagiert. Ich würde aber jetzt spontan jetzt nicht darauf


tippen – wir haben da natürlich keine Daten zu – aber ich würde eher spontan nicht darauf tippen, dass es so wäre, dass jemand, der nicht reagiert bei der Impfreaktion, dass der auch einen harmlosen Verlauf bei der Infektion bekommt. Weil eigentlich das Problem bei der SARS-CoV-2 -Infektion ist, dass ein Teil der Menschen aus Gründen, die wir noch nicht genau verstehen, am Anfang mit der sogenannten angeborenen Immunantwort nicht so richtig gut reagiert. Das liegt wohl daran, dass das Virus das abschalten kann, aktiv, aber viel wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit Veranlagung. Und wenn diese angeborene Immunantwort –also so diese erste Reaktion, die ja sehr schnell ist, aber dafür unspezifisch auf den neuen Erreger – wenn die besonders schwach ausfällt, dann gibt es eher mal das Problem, dass man dann später einen schwereren Verlauf bekommt. Es dauerte dann noch ein paar Tage, bis die Erkrankung dann richtig schwer wird. Typischerweise in der zweiten Woche. Und umgekehrt, wenn jemand so eine hyperaktive, angeborene Immunantwort hat, dann hat er eher eine starke Immunreaktion. Also das würde eher so diese klassische Theorie „Man hat eine starke Reaktion und das Immunsystem macht dabei aber eben dann netterweise auch das Virus platt“. Sodass ich sagen würde: Jemand, der am Anfang nun gar nicht reagiert, der gar nicht fiebert bei einer SARS-CoV-2 -Infektion und der gar nichts merkt davon, das könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass eben diese angeborene Immunantwort nicht richtig anspringt, sodass es vielleicht sogar umgekehrt ist. Also diejenigen, die eine besonders starke Immunreaktion zeigen, sind vielleicht, die den harmlosen Verlauf bei SarsCoV-2 -Infektion hätten. Aber das ist leider Spekulation. Wir haben da noch überhaupt keine, sage ich mal, belastbaren Daten zu.


56:2 4



Camillo Schumann



Okay, [...] noch eine Frage anschließend: Wenn man jetzt nach der ersten Impfung keine Reaktion hat, ist damit zu rechnen, dass bei der zweiten Impfung, der Booster-Impfung, dann


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tatsächlich was passiert oder dann möglicherweise da auch nicht.



Alexander Kekulé


Also das ist individuell sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, das sehen wir in diesen Studien. Es gibt Leute, die haben absolut keine Impfreaktionen gehabt. Die sagen: Wir haben nichts gemerkt, hat nicht richtig wehgetan. Es gab keine Schwellung. Sie haben überhaupt kein Fieber, nichts. Z.B. nach der ersten Impfung. Und dann misst man ja in diesen Studien, Phase 2  zumindest, misst man ja die Reaktion von den Antikörpern und von diesen T-Zellen. Und sieht aber, dass einige von denen ganz massiv reagiert haben, dass das Immunsystem richtig draufgehauen hat, als der Impfstoff kam, aber die Probanden davon nichts bemerkt haben. Und andere schreiben irgendwie zehn verschiedene Nebenwirkungen auf, von Kopfschmerzen über Fieber bis zu sonst was, drei Tage platt hinterher. Und dann misst man bei denen unter Umständen nur eine schwache Reaktion, sodass tatsächlich das, was die Menschen subjektiv erleben, nicht so sauber korreliert mit der Antikörper-Antwort.


57:31



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 181, Herr Kekulé. Und zum Schluss habe ich etwas Unterhaltsames gefunden. Wollen Sie es wissen?



Alexander Kekulé


Oh gerne, wollen Sie ein Ständchen singen?



Camillo Schumann



Nein, so weit bin ich noch nicht. In Rumänien, da können sich die Menschen an einem sehr ungewöhnlichen Ort impfen lassen, nämlich auf dem Dracula-Schloss in den Karpaten. Am Wochenende war dann auch eine richtig lange Schlange. Hunderte Menschen standen vor der Burg. Zusammen mit der Spritze gab es da noch eine Bescheinigung über „Kühnheit und Verantwortungsbewusstsein“. Und es gab auch noch eine kostenlose Führung durch die Folterkammer des Schlosses. Das ist doch was, oder?



Alexander Kekulé


Oh weh. Und die haben dann alle so 2 Impfnarben am Hals wahrscheinlich, oder?



Camillo Schumann



Vermutlich. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann wegen des Feiertages am Donnerstag erst am Samstag wieder. Dann wieder zu einem Hörerfragen-Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an: mdraktuell-podcast@mdr.de.


Oder rufen Sie uns an, kostenlos:


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass gibt es als ausführlichen Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge unter Audio & Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 08. Mai 2 02 1 #180: Hörerfragen SPEZIAL


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Wieso habe ich nach der 1. Impfung nicht dieselben Rechte wie jemand mit negativem Schnelltest?


Viele mit AstraZeneca geimpfte Menschen bekommen ihre 2 . Impfung mit einem mRNA-Impfstoff. Geht das auch umgekehrt?


Warum sind in der 3. Welle fast genauso viele Intensivbetten belegt wie in der 2 . Welle, obwohl das RKI weniger hospitalisierte Fälle meldete?


Woher kommen die Benennungen der Virusvarianten?


Jan Christian Kröger


Damit herzlich Willkommen zu einem „Kekulés Corona-Kompass-Hörerfragen-Spezial“ nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


0:49 Jan Kröger Das Thema Impfung und die darauf folgende baldige Rückkehr zu mehr Grundrechten für Geimpfte beschäftigt auch viele unserer Hörer. Eine Hörerin aus einer anderen Perspektive. Sie wird gepflegt und schreibt Folgendes:


„Der Pflegedienst, der mich unterstützt, testet aktuell täglich vor Dienstbeginn alle Mitarbeiter mit Schnelltests. Sie tragen im Patientenkontakt auch FFP2 -Masken. In Kürze werden die Mitarbeiter ihre 2 . Impfung erhalten haben. Ca. 3 Wochen danach ist geplant, das Testen


einzustellen und auf einfache medizinische Masken umzusteigen. Nun sind aber längst nicht alle Patienten bereits vollständig oder erstmals geimpft. Dass Geimpfte mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich weniger infektiös sind als Ungeimpfte, ist mir bekannt. Letztlich ist es für Betroffene aber egal, ob er sich bei einem Geimpften oder einem Ungeimpften ansteckt. Ich habe Bauchschmerzen bei den Plänen des Pflegedienstes, sehe ich zu schwarz?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist so, dass man sich theoretisch bei einem Geimpften anstecken könnte. Es ist eine Grundsatzdiskussion. Die müssen wir gesellschaftlich führen. Ob wir das das Restrisiko, was da ist, in Kauf nehmen wollen. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir das müssen, weil wir eine bessere Lösung nicht finden werden. Man hat auf jeden Fall bei Geimpften, sofern sie 2 -mal vollständig geimpft sind, ein drastisch reduziertes Risiko, dass sie andere anstecken. Kann schon sein, dass die ein paar Tage lang noch das Virus ausscheiden. Aber wenn, dann typischerweise nach einer Infektion mit einer Variante, gegen die der Impfstoff noch nicht gemacht war. Und auch nur kurzzeitig. Und es wird, wenn es dann zu einer Ausscheidung kommt, auch eine kleinere Dosis von Viren sein. Die im Speichel ist. Sodass ich sagen würde, echte Superspreading-Ereignisse, wo jemand in einem Raum ganz viele andere zugleich anstecken kann, auch über Plastikwände hinweg, die die sind dann extrem unwahrscheinlich. Bei Pflegepatienten kommt es immer darauf an, wie groß ist der Anteil der Geimpften. Die Erfahrung, die hat zumindest die Caritas in Berlin gemacht, dass ca. 90% der Bewohner von Altenund Pflegeheim sich impfen lassen. Und 10% wollen es einfach nicht. Und wenn das so ist, zu 90% geimpft wird, dann würde ich sagen, selbst bei diesen Risikopersonen ist es dann etwas, was man tolerieren kann. Da würde ich dann nicht weitergehen, als zu sagen: doppelte Impfung reicht und Schluss. Sonst kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Wir würden unser Leben in diesem besonderen Punkt in einer Weise absichern, wie wir es sonst auch nie machen.


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03:2 7 Jan Kröger Herr L. hat uns angerufen zu dieser Debatte um Freiheiten für 2 -fach Geimpfte. Er frag, warum man nicht noch einen Schritt weitergehen könnte.


„Wie verhält es sich mit der Infektiosität von Erst-Geimpften? Inzwischen müssten ja genügend Daten vorliegen, um darüber eine Aussage treffen zu können. Warum werde ich rechtlich als Erst-Geimpfter und 12  Wochen auf die 2 . Impfung mit AstraZeneca Wartender nicht einmal einen unzuverlässig mit SchnellTest-Getesteten gleichgestellt?“



Alexander Kekulé


Die 1. Frage: Ist es möglich, dass man nach der 1. Impfung noch ansteckend ist? Da gibt es Daten. Aber die sind sehr schwer zu belasten. Das sind schwammige Daten. Warum ist das so? Man muss sich das praktisch so vorstellen. Da wird jemand in einer Studie geimpft. Und dann kriegt er in der Studie üblicherweise nach 3-4 Wochen die 2 . Impfung. Würde man dazwischen vielleicht eine Infektion feststellen und dann sagen: „der war geimpft, aber ist trotzdem noch positiv geworden“, dann weiß man in der Regel nicht, hat er sich schon vor der Impfung angesteckt. Oder hat er sich vielleicht am Tag der Impfung angesteckt oder einen Tag danach? Das ist ein Zeitraum, wo man sagen muss, naja, da wirkt es ja auch noch nicht richtig. Sodass das Fenster der Infektionen, die spät genug nach der 1. Impfung aufgetreten sind, dass man die auswerten kann, klein ist. Typischerweise sagt man, 14 Tage nach der Impfung, kann man es dann verwenden. Weil es nicht eine vorbestehende Infektion mehr gewesen sein sollte. Dann kommt aber nach 34 Wochen schon die 2 . Impfung. Da gibt es ganz wenige Fälle, wo man das beobachtet hat. Meines Wissens ist bei den Zulassungsstudien der RNA-Impfstoffe so etwas nie beobachtet worden. Da waren alle Impf-Durchbrüche, wie man so etwas nennt, nach der 1. Impfung in diesem Zeitfenster von 14 Tagen nach der 1. Impfung. Das heißt, deshalb sind wir in der Lage, dass wir da nur spekulieren können, keine sauberen Daten haben. Aber ich würde sagen, zumindest unmittelbar nach der Impfung sind Sie genauso gefährdet wie jeder andere. Vielleicht 14 Tage nach der 1. Impfung kommen Sie dann langsam in einen etwas sicheren Bereich. Und jetzt beantwortet sich fast schon die 2 . Frage automatisch. Der Gesetzgeber braucht irgendetwas Einfaches, was objektiv festzustellen ist. Wenn es jetzt losgeht, dass jeder Friseur bei der Kontrolle am Eingang feststellen muss: Wie viele Tage ist es her, dass der seine 1. Impfung hatte? Dann ist das schwierig. Deshalb gibt es bei solchen Maßnahmen immer eine gewisse Unschärfe. Die damit zu tun hat, ob es praktikabel ist. Diese Unschärfe müsste man meines Erachtens in Kauf nehmen. Ich verstehe den Unmut des Hörers. Es ist aber so, dass das eine vorübergehende Sache ist. Es kommt jetzt nur noch auf die paar Wochen an. Die verständlichen Bedürfnisse der 1-mal Geimpften jetzt auch noch durch eine Extra-Verordnung abzudecken, halte ich für eine gewisse Überforderung der Politik.


06:38 Jan Kröger Dann haben wir noch zum selben Thema die Mail von Merima B., offenbar aus Österreich. Da verhält es sich ein bisschen anders. Sie schreibt, in Österreich soll schon bald eine Corona-Erst-Impfung als Eintrittskarte für Restaurants, Veranstaltungen und Hotels gelten. Testpflichten sollen 21 Tage nach Erhalt der 1. Dosis wegfallen. Ihre Frage schließt sich etwas an und wir können sie vielleicht kurz abschließend beantworten. Ist das dann nicht riskant in Bezug auf die noch ungeimpfte Bevölkerung?



Alexander Kekulé


Wirklich riskant ist es nicht. Das ist die Frage wo will man sein Sicherheitsniveau einklinken? Es betrifft Menschen 14 Tage nach der 1. Impfung, es sind dort wohl 3 Wochen. Die sind natürlich von der von der Schutzwirkung in dem Bereich, wo man ihnen die Freiheiten geben kann. Ich kann mir vorstellen, dass das Verfassungsgericht in Deutschland das letzte Wort sprechen wird. Weil die Daten, ich habe es ja gesagt, sind so: Später als 14 Tage gab es keine Impf-Durchbrüche. Ich nehme an, dass die Österreicher sich diese Daten angeschaut haben. Gefährlich ist es nicht. Die Frage ist, es werden ja alle früher oder später 2 -mal geimpft. Und man hat sich in Deutschland leider nicht dazu entschieden, erst einmal alle 1-mal zu impfen. Sonst wären wir jetzt schon durch. Sonst hätten wir ganz andere epidemiologische Effekte.


Da man sich entschlossen hat, dass jeder nach 6 Wochen noch einmal drankommt, meine ich, sollte man da keine Lex specialis machen für diese Sondersituation. Anders wäre es gewesen, wenn man, wenn ich das mal so sagen darf, den Kekulé-Vorschlag gefolgt wäre und alle 1-mal geimpft hätte. Dann hätten wir sehr viele, die jetzt 1-mal geimpft sind und die erst in 6 Monaten ihre 2 . Impfung kriegen. Oder mit 4-6 Monaten Abstand. Da wäre es wichtig gewesen, diese Frage zu klären. Das hätte man sicher so entschieden, wie es in Österreich entschieden ist.


08:2 5 

Jan Kröger Über Impfungen für Kinder und Jugendliche haben wir in den letzten 2  Wochen viel gesprochen. Eine Nachfrage dazu hat uns aus Chemnitz erreicht. Von Ronny E.. Wo werden die Impfungen für Kinder eigentlich getestet? In Ländern, wo Eltern dringend Geld für die Ernährung ihrer Kinder brauchen? Oder in Deutschland bzw. Zentraleuropa?


Alexander Kekulé


Beides. In Deutschland, meines Wissens nicht im großen Stil. Obwohl es sein kann, dass das eine oder andere Zentrum hier auch beteiligt ist. Im Moment werden die Studien an Kindern in den USA gemacht. In den USA hat man natürlich beides. Da hat man Leute, die dringend Geld brauchen und Leute, die es nicht so dringend brauchen. Das ist bekannt, bei diesen ganzen Studien. Es ist immer das Problem bei den Medikamenten. Wem gibt man es zuerst? Das ist eine Schieflage, die man auch offen ansprechen kann, dass das weltweit eigentlich schon so ist, dass es eher Menschen sind, die das Geld brauchen, weil es wird ja bezahlt. Die Teilnahme wird bezahlt. Natürlich nicht wegen des Schadens, den man hat. Da soll es ja keinen geben. Sondern als Kompensation dafür, dass man am gleichen Ort bleiben muss, Blutabnahmen hat und solche Dinge. Deshalb ist es einfach so. Man kann das schon so sagen. Die Armen dieser Welt sind die Vortester bei den Medikamenten für die Reichen dieser Welt. Das ist so.


09:40 Jan Kröger Tina M. aus Köln hat uns angerufen. Bei ihr ist


in den letzten Wochen so einiges zusammengekommen. Nicht nur ein Impftermin, sondern auch ein positiver Schwangerschaftstest. Und ihre Frage bezieht sich darauf, dass sich diese Ereignisse zeitlich überlappen.


„Die 1. BioNTech-Impfung bekam ich bereits vor der Schwangerschaft. Jetzt steht bei mir in der 5. [Schwangerschafts-]Woche die 2 . Impfung an. Sollte ich das tun oder nicht? Ich wäre dankbar für eine Beratung.“


Erst einmal herzlichen Glückwunsch und alles Gute. In der Situation will man nichts verkehrt machen. Wie könnte sie richtig handeln?



Alexander Kekulé


Jetzt wissen wir natürlich zu wenig. Und es ist ja auch so, eine Telefonberatung bei Ärzten ist ja ganz verpönt. Das will ich jetzt auch nicht so machen. Ich kann ein paar allgemeine Sachen sagen. Wenn Frau M. ein individuelles Risiko hat, wenn sie als Krankenschwester arbeitet, z.B. auf einer Covid-Station. Oder aus anderen Gründen, vielleicht arbeitet sie im Kindergarten. Vielleicht hat sie ein hohes Expositionsrisiko, was schwer zu kontrollieren ist. Ich meine jetzt nicht zum Einkaufen gehen. Da kann man eine FFP2 -Maske sauber aufsetzen. Wenn sie aus irgendeinem Grund nicht drumherum kommt, mit möglicherweise Infizierten zusammen zu sein, könnte man sich die Frage stellen, ob die 2 . Impfung während der Schwangerschaft sinnvoll ist. Es ist aber auf der anderen Seite so, dass wir bei den Schwangeren keine Daten haben. Wir haben kürzlich die Daten besprochen bezüglich der Schwangeren selber, also da sieht es ganz gut aus. Aber wir haben v.a. keine Daten bezüglich dessen, was mit den Kindern später passiert. Wie ist es, wenn die Kinder 2 0 Jahre alt sind und die Mutter während der Schwangerschaft einen RNA-Impfstoff bekommen hat? Auch die Daten während der Schwangerschaft, um das noch mal einzugrenzen, stammen aus einer Studie, die nicht so perfekt war. Vorletzte Folge war das, glaube ich. Deshalb würde ich sagen, wenn es nicht einen ganz dringenden Grund gibt, aufgrund eines erhöhten Expositionsrisikos die 2 . Impfung noch zu machen, würde ich es wahrscheinlich weglassen. Weil Sie ein Risiko haben, was nicht genau bestimmbar ist bezüglich des Kindes. Und Sie haben aber die Gewissheit, dass die 1.


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Impfung schon sehr wahrscheinlich vor schweren Verläufen schützt. Also Glück gehabt, dass überhaupt vor der Schwangerschaft die 1. Impfung stattgefunden hat. Da würde ich mal sagen, die 2 . Impfung braucht man nur, wenn wirklich eine berufliche Exposition unvermeidlich ist.


12 :13 Jan Kröger Apropos 2 . Impfung: Ich schaue bei den Mails darauf, welche Themen gerade ein besonderer Trend sind Und offenbar ist es so, es passt auch zeitlich zusammen, dass jetzt all diejenigen, die ihre 1. Impfung mit AstraZeneca bekamen, nicht mehr AstraZeneca bekommen, aufgrund ihres Alters. Die fragen natürlich, welchen Impfstoff soll ich als 2 . nehmen? Um das ganz kurz abzuhandeln, legen Sie sich da auf eine Empfehlung fest?



Alexander Kekulé


Auf das, was man kriegt. Wir sind ja immer noch in einer Mangelsituation in Deutschland. Ich kann nur nochmal sagen, ich glaube, dass die bald behoben sein wird. Die Produktionen bei den RNA-Impfstoffen werden so dermaßen hochgefahren. Und vielleicht kriegen wir das auch hin mit den fehlenden Rohstoffen, sodass sich optimistisch bin. Aber im Moment würde ich nehmen, was angeboten wird. Jetzt, für die 2 . Impfung noch große Empfehlung auszusprechen, das ist relativ egal. Auch biologisch macht es keinen großen Unterschied. Man könnte sogar ein bisschen spekulieren, den Impfstoff zu wechseln. Es hat den Vorteil, dass das Immunsystem beim 2 . Mal ein bisschen auf eine andere Weise stimuliert wird. Und dadurch gibt es dann typischerweise seine Verbreiterung der Immunabwehr. Wenn man ganz viel Glück hat, ist dadurch der Schutz gegen neue Varianten ein bisschen besser, als wenn man zweimal genau das Gleiche bekommen würde.


13:2 9 Jan Kröger Christine M. aus Leipzig überlegt das auch. Nur bei ihr ist es anders herum, wenn es um den Impfstoff geht. Sie schreibt: „Nachdem meine Hausärztin nur BioNTech Impfstoff geliefert bekam, erhielt ich, 63 Jahre alt, am 2 8.04. die 1. Impfdosis. Kurz nach der Injektion entwickelte sich eine allergische Hautreaktionen an Armen, Beinen und im Gesicht.“ Sie beschreibt das noch etwas ausführlicher und kommt dann zu Ihrer Frage:


„Wäre es prinzipiell möglich, mit dem AstraZeneca oder einem anderen Vektor-Impfstoff die Immunisierung weiterzuführen? Oder neu zu beginnen. Und wenn ja, wann könnte dies frühestmöglich sein?“



Alexander Kekulé


Das wäre eine nichtzugelassene Verwendung des Impfstoffs. Das nennt man dann auch „OffLabel-Use“. Sozusagen anders benutzt, als es auf dem Zettel steht. Das ist aber zulässig. Das kann der Arzt in einer Einzelfallentscheidung machen. Da muss er das gut dokumentieren, seinen Patienten aufklären. Ich würde nicht sagen, dass große Risiken damit verbunden sind. Man könnte mit AstraZeneca, insbesondere bei einer 63-jährigen Patientin, impfen. Es ist auch nicht gesagt, dass diese besonders starke, wohl eher allergische Reaktion, beim 2 . Mal nochmal auftritt. Das wissen Impfärzte, dass das ganz schwer vorherzusagen ist. Es gibt Patienten, die bei der 1. Impfung stark reagieren und beim 2 . Mal kaum noch. Und auch umgekehrt. Bei dem BioNTech-Impfstoff ist es allerdings so, dass wir tendenziell bei RNA-Impfstoffen, das ist auch nicht so sauber rausgearbeitet, nach der 2 . Impfung eine etwas stärkere Reaktogenität sehen. Ich würde jetzt also, wenn ich das wäre, wahrscheinlich versuchen, möglichst angstfrei zu sein. Und mir das Gleiche noch einmal geben zu lassen bei der 2 . Impfung. Es geht ja hier nicht um Leben und Tod, sondern um Nebenwirkungen, die sich offensichtlich zurückgebildet haben.


15:2 2  Jan Kröger 

Johannes Hartmann hat uns geschrieben über den Impfstoff von Johnson & Johnson. Er fragt sich, wie schafft es dieser Impfstoff einen ausreichenden Impfschutz ohne eine 2 . BoosterImpfung zu erreichen? Und warum nutzen die anderen Impfstoffe diesen Trick nicht?


Alexander Keulé


Das ist eine gute Frage. Es ist so, dass Johnson & Johnson von vornherein darauf gesetzt hat, mit einer Impfung zu arbeiten. Das ist ein Vektor-Impfstoff und man ist da davon ausgegangen, dass die 2 . Impfung sowieso nicht sehr viel bringen wird. Die Booster-Impfung. Weil man ja 2 -mal den gleichen Adeno-Vektor gibt. Damit haben mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bis zur 2 . Impfung die Patienten schon Antikörper gegen den Vektor gebildet. Sodass der Booster nicht mehr so einen tollen Effekt hat. Von diesen allgemein bekannten Problemen der Vektor-Impfstoffe gibt es ja verschiedene Konsequenzen. Johnson & Johnson hat gesagt, dann entwickeln wir einen Impfstoff, den wir nur 1-mal impfen, mit entsprechend hoher Dosis. Dann hoffen wir, dass 1-mal reicht. Die Daten, die in großen klinischen Studie gemacht wurden, sind nicht vergleichbar mit den RNAImpfstoffen von der Impfstoff-Wirksamkeit. Aber sie sind sehr gut ausreichend. Bei AstraZeneca hat man sich von vornherein entschlossen, das mit der 2 . Impfung zu machen. In der Hoffnung, dass insbesondere dieser Schimpansen-Vektor möglichst selten auf Immunität trifft. Zumindest nicht beim Menschen. Die dürften sich mit dem Schimpansen-Adeno-Virus noch nie infiziert haben. Vielleicht mal Tierpfleger, weiß ich gar nicht, ob das bei Tierpflegern vorkommt, aber eigentlich nicht. Deshalb sagen sie, da kann man vielleicht 2 -mal impfen. Es war so, muss man noch mal erinnern, dass AstraZeneca auch nur einmal impfen wollte. Und dann blöderweise in den Phase-II-Studien festgestellt hat, dass die Antwort so schwach war, dass sie dann doch 2 -mal impfen müssen. Sie wussten natürlich auch, dass es grundsätzlich keine so gute Idee ist, mit dem VektorImpfstoff 2 -mal zu impfen. Da ist es so, da gibt es minimale Unterschiede, wie genau der Vektor gebaut ist, was genau das Antigen ist, was da drin ist. Das ist ja immer das: das Gen als DNA-Sequenz, was dann im Körper dazu führt, dass daraus ein Eiweißmolekül, ein Protein produziert wird. Was sehr ähnlich aussieht, wie das Spike-Protein vom Corona-Virus. Da macht jeder Hersteller kleine, minimale, unterschiedliche Variationen. Bis hin zu der Frage, auf welche Weise wird dieses Gen eigentlich eingeschaltet? Also, wer da in der Biologie sich noch düster erinnert, wenn eine DNA in eine RNA umgeschrieben wird, dann braucht man immer so eine Art Steuerungseinheit, die heißt Promotor. Das ist bei jedem Hersteller anders, was er da drauf hat und wie viel RNA da gemacht wird. Wie sich genau dieses Protein hinterher faltet, was da rauskommt. Das sind Dinge, die können Sie am Reißbrett nicht zu 100% vorhersagen. Da hat aus meiner Sicht Johnson & Johnson Mazeltov gehabt und AstraZeneca Pech gehabt. Deshalb ist es so gelaufen. Vielleicht zur Vollständigkeit etwas zu Sputnik V. Der Impfstoff aus Russland, der ist ja so, dass die von vornherein das Problem dadurch umschifft haben, dass sie 2  verschiedene Adenoviren genommen haben. Das finde ich ganz pfiffig, dass man bei der 1. Impfung einen anderen als bei der 2 . nimmt. Um zu sagen, dann gibt es keine Immunisierung gegen den Vektor, die uns stört. Trotzdem ist der Impfstoff insgesamt dann nur 1-mal verwendbar. Weil man gegen gegen Adeno-V und den anderen auch noch 2 mal eine Immunisierung erzeugt hat. Dann ist das das Ende der Fahnenstange.


19:11 Jan Kröger 

Petra S. hat uns angerufen, und sie hat sehr aufmerksam die Situationsberichte des RobertKoch-Instituts gelesen. Dort werden nämlich jeden Dienstag die hospitalisierten Covid-19Fälle veröffentlicht. Und dazu hat sie folgende Frage.


„Man kann sehen, dass sich die ungefähr halbiert haben im Gegensatz zur 2 . Welle. Auch haben die in den Altersgruppen nicht erheblich zugenommen, z.B. die bis 30-50-Jährigen sind auch nicht häufiger hospitalisiert als in der 2 . Welle. Nun frage ich mich, warum sollen die Intensivbetten so stark belegt sein, wenn doch der Anzahl der hospitalisierten Fälle so stark abgenommen hat?“


Um das mit den Zahlen zunächst noch einmal zu verdeutlichen: Der Höchststand in der 2 . Welle, kurz vor Jahresende, waren beim RKI ca. 12 .000 hospitalisierte Fälle. Und jetzt, in der 3. Welle, waren wir am Höhepunkt in einer Woche ca. bei 6.000 Patienten. Bei Patienten in Intensivbetten wissen wir wiederum, sind wir relativ nah rangekommen an den Höchststand, jetzt in der 3. Welle, wie es ihn auch im Winter gegeben hat. Also wie passt das zusammen?


Alexander Kekulé

Wenn man das jetzt Melde-Daten außen vorlässt ... Ich weiß nicht genau, ob es möglicherweise auch eine Verzerrung durch das Meldeverhalten gab, das müsste man statistisch analysieren. Es gibt 2  Faktoren, die meines Erachtens eine Rolle gespielt haben. Zum einen haben wir tendenziell jüngere Patienten, weil wir die besonders Alten geimpft haben. Oder weil sie sich anderweitig schützen. Wer nicht geimpft wird, der weiß inzwischen, wie man sich gegen Covid schützt. Dadurch sind es jüngere Patienten. Und die liegen einfach länger im Krankenhaus. Schon, wenn sie eine geringfügige Verlängerung der Liegezeiten haben, haben Sie automatisch auch mehr Betten, die belegt sind, statistisch. Weil das ja immer eine Moment-Aufnahme ist. Der 2 . Effekt, der eine Rolle spielt, ist der: Wann verlege ich eigentlich im Krankenhaus jemanden auf eine Intensivstation? Da ist es so, dass, wenn man viele Allgemeinstationen hat, die vorbereitet sind für Covid-Patienten und wenn es dort sehr viele Patienten gibt, die da ständig eingeliefert werden: das war ja zunächst so bei einer großen Welle. Dann nimmt man nur die auf die Intensivstation, die das unbedingt brauchen. Von dieser Maximal-Antwort auf die Pandemie sind wir in Deutschland schon längst wieder zurückgefahren. Da werden in den Krankenhäusern wieder Wahl-Operationen durchgeführt. Es ist eher die Ausnahme, dass Krankenhaus-Teile geschlossen werden müssen und keine normalen Patienten mehr angenommen werden. Was es ja zum Teil schon gab in Deutschland wegen Covid. Sondern wir haben eigentlich in vielen Bereichen unseren Regelbetrieb wieder aufgenommen. Natürlich werden auch die Covid-Patienten behandelt. Aber die kommen dann tendenziell eher auf die Intensivstation, weil man nicht mehr so viel Kapazitäten im allgemeinen Bereich hat. Und weil man großzügiger sein kann, wenn man Betten frei hat. Da ist es jetzt so, da diese Intensivkapazitäten vorgehalten sind. Man hat z.B. so einen Grenzfall, dem es eigentlich ganz gut geht. Aber wenn man sagt 2 -3 Tage High-Flow-Sauerstofftherapie könnte er schon brauchen, würde ihm mal guttun. Dann, zack, liegt er auf der Intensivstation. Ich kennen viele Fälle, die in Deutschland auf der Intensivstation waren. Jetzt gerade in den letzten Wochen, die man am Anfang der Pandemie natürlich niemals dorthin gelegt hätte, um die Betten für die wirklich Schwerstkranken freizuhalten. Ich glaube, dass diese 2  Faktoren eine Rolle gespielt haben.


2 2 :40 Jan Kröger Ulrich B. aus Dessau hat uns geschrieben:


„Kann Herr Professor Kekulé bitte erläutern, woher diese verschiedenen Nummerierungen der einzelnen Corona-Varianten herkommen? Die scheint mir sehr willkürlich zu sein. Variante B117, B135, Variante P1B1617. Ich bin Chemiker, die Nomenklatur chemischer Verbindungen folgt exakt festgelegten Regeln. Eine Nomenklatur in der Virologie gibt es garantiert auch.“


Alexander Kekulé

Ja, aber keine festgelegten Regeln. Das ist so, dass die Virologen sich da lange rumgestritten haben. Es gab am Anfang noch ganz viele andere Varianten. Am Anfang hieß die B117 auch V1. Dann gab es die südafrikanische Variante, die V2  und die brasilianische, die V3. Das hat man dann wieder verlassen. Da gibt es ein Schema, das ist das sogenannte PangolinSchema. Das haben die, glaube ich, nach dem Schuppentier benannt, was als Zwischenwirt mal diskutiert wurde. Oder vielleicht auch noch immer diskutiert wird in dieser Pandemie. Möglicherweise ist das ein missing link gewesen zwischen der Fledermaus und dem Menschen. Ganz am Anfang mal. Und da hat man einfach mal gesagt, es gibt A und B. Das waren die 2 ursprünglichen Typen in China, und der B-Typ ist der, der sich dann aus China im größerem Stil in die Welt aufgemacht hat. Aus diesem reiselustigen B-Typ ist dann in Norditalien B1 geworden. Einfach eine Variation. Das war diese 1. genetische Variation, die dazu geführt hat, dass er ansteckender geworden ist. Weil das keiner wahrhaben wollte, dass es in Europa diesen Ausbruch gab, hat sich das weltweit verbreitet, sodass jetzt B1 weltweit die Grundlage ist für alles Weitere, was entsteht. Wie bei einem Aristokraten-Stammbaum kann man gucken, in welchen Gegenden der Welt sich das weiterentwickelt. B11 ist dann eben eine Abwandlung davon, und B117 ist eine Abwandlung, wiederum von dem B11. In Südafrika sieht man schon, dass es die Abwandlung Nummer 351 von der B1 gibt. Und in Brasilien: naja, die Brasilianer, die sind so ein bisschen individuell. Da haben die dann wiederum in Manaus im Amazonas, die Sub-Varianten P1 und P2  festgestellt. Die P1 hat auch so eine Pangolin-Nomenklatur, also so eine klassische.


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Wo es dann heißt P1 und dann 32 . Und dann irgendeine andere Nummer. Die weiß ich auch nicht auswendig. Aber die Brasilianer sind die einzigen, die sich so ein bisschen mit P1 nicht richtig daran gehalten haben. Zumindest nicht in der Presse, in der Öffentlichkeit. Aber intern gibt es diese Stammbäume. Man muss sich das so vorstellen: Wir haben wirklich so eine Art Ahnen-Galerie, wie einen klassischen AdeligenStammbaum. Die gehen meistens nicht von oben nach unten, sondern von links nach rechts. Weil es sonst nicht aufs Papier passen würde. Und da sieht man, wie sich aus der ursprünglichen Variante das weltweit aufgezweigt hat. Man kann das relativ gut durch genetische Analysen zurückverfolgen, zu welchem Zeitpunkt das war. Deshalb wird es dann noch viel mehr Nummern geben.


2 5:44 Jan Kröger Zum Abschluss möchte ich Ihnen den Anruf von Frau G. aus Berlin nicht vorenthalten. Ich als Medienschaffender musste mich danach unweigerlich fragen, ob wir nicht manchmal etwas zu sehr die negativen Seiten betonen. Aber das soll jetzt die Wichtigkeit der Frage nicht schmälern. Hören wir am besten einfach mal zu.


„Ich bin 64 Jahre alt und bin das 1. Mal mit AstraZeneca geimpft wurden. Und was mir jetzt ein bisschen Sorge macht, mein Körper hat überhaupt keine Reaktion gezeigt. Es heißt immer bei Impfreaktionen, dass das Immunsystem ganz gut angesprungen ist. Habe ich denn jetzt so ein schlappes Immunsystem? Nun hat ein Freund gesagt, ich habe vielleicht Placebo gekriegt. Aber kann ich davon ausgehen, dass die Impfung gewirkt hat?“



Alexander Kekulé


Das ist eine der häufigsten Fragen, die ich tatsächlich im privaten Bereich höre. Da sind wir schuld. Da sind wir Ärzte schuld, weil wir machen ja die Leute wuschig mit den Nebenwirkungen. Weil wir nicht wollen, dass die hinterher kommen und sagen, „du hast mir gar nicht gesagt, dass ich dann hinterher einen schwachen Arm habe und sonstwas“. Ohne immer dazuzusagen, dass Nebenwirkungen, die Impfreaktionen, im Grunde genommen eher die Ausnahme sind. Das ist ja nicht so, dass das 100% sind. Viele, aber nicht 100%. Man kann


überhaupt nicht aufgrund der Reaktogenität, also der Stärke der Impfreaktion, darauf, schließen, wie gut hat der Impfstoff gewirkt. Zumindest nicht individuell. Wenn man ganz viele Personen statistisch zusammenfassen würde, gibt es vielleicht schon einen gewissen Zusammenhang. Aber im Einzelfall würde ich sagen, nein. Das hat deshalb genauso gut gewirkt. Man kann so diese Schlussfolgerung nicht ziehen. Vielleicht zum Schluss, ein bisschen spaßig gemeint: Es gibt diesen Fall, wo jetzt gerade jemand zugegeben hat, dass Fehler gemacht wurden bei der Verabreichung des Impfstoffs. Man hat ein paar Patienten destilliertes Wasser oder Kochsalzlösung gespritzt hat. Aus Verlegenheit. Daher würde ich mal sagen, die Sorge ist wirklich unbegründet. Und solche Ausnahmen gibt es in Deutschland auch extrem selten. Und es kommt meistens sofort ans Licht, wenn jemand so einen Unsinn macht.


2 7:48 Jan Kröger Das war Ausgabe 180 von Kekulés CoronaKompass Spezial, nur mit Hörer-Fragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. Ab Dienstag ist dann wieder mein Kollege 

Camillo Schumann

 Ihr Gesprächspartner. Mich hat es sehr gefreut, in dieser und auch in der letzten Woche mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Danke dafür und bis bald.



Alexander Kekulé


Ich danke Ihnen auch, Herr Kröger. Vielen Dank machen Sie es gut.


2 7:49 Jan Kröger Und wenn Sie eine Frage haben, schreiben Sie uns an mdr-aktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an kostenlos unter 0800 32 2 00 oder twittern Sie unter dem Hashtag „frag Kekulé“. Alle Spezial-Folgen, wie alle Ausgaben von „Kekulés Corona-Kompass“ gibt es zum Nachhören unter „Audio und Radio“ auf mdr.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen finden Sie unter „Audio und Radio“ auf mdr.de.


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 06. Mai 2 02 1 #179


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Thema 1: Corona in ärmeren Stadtteilen und bei Migranten


RKI-Studie: „Sozioökonomische Unterschiede im Infektionsrisiko während der zweiten SARSCoV-2 -Welle in Deutschland“ (Deutsches Ärzteblatt, 16.03.2 02 1): https://www.aerzteblatt.de/archiv/2 18459/Soziooekonomische-Unterschiede-im-Infektionsrisiko-waehrend-der-zweiten-SARS-CoV-2 Welle-in-Deutschland


US-Seuchenschutzbehörde CDC: Übersicht über das Erkrankungsrisiko nach ethnischer Herkunft (engl.): https://www.cdc.gov/coronavirus/2 019ncov/covid-data/investigations-discovery/hospitalization-death-by-race-ethnicity.html


Britische Studie: Ethnische Unterschiedene bei SARS-CoV-2 -Infektionen (engl., 30.04.2 02 1): https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(2 1)006346/fulltext


Thema 2 : Impfschutz gegen Virusvarianten


Studie mit Daten aus Katar zur Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffs gegen B.1.1.7und B.1.351-Varianten (engl., 05.05.2 02 1): https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMc2 10 4974


Studie mit Daten aus Israel zur Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffs (engl., 05.05.2 02 1): https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S01406736%2 82 1%2 900947-8


Science-Studie: Einmalimpfung erzeugt bei Genesenen Immunität auch gegen Varianten (engl., 30.04.2 02 1): https://science.sciencemag.org/content/early/2 02 1/04/2 9/science.abh12 82 


Donnerstag, 06. Mai 2 02 1


Das Impfen in Deutschland und den meisten Industrienationen kommt mittlerweile ganz gut voran. Aber was ist mit dem großen Rest der Welt? Epidemiologen und Hilfsorganisationen werfen die Frage schon seit Monaten auf. In dieser Woche scheint sie nun auch so richtig in der internationalen Politik angekommen zu sein. Lange vernachlässigt die jetzt in der Öffentlichkeit. Das gilt auch bei Corona in ärmeren Wohngegenden und unter Migranten. Hier fällt allerdings eines auf: Andere Länder haben das Thema längst im Blick. Daher die Frage: Was können wir in Deutschland daraus lernen?


Und: Es ist durchaus möglich, dass Geimpfte im Herbst eine Auffrischung gegen neue Varianten des Virus brauchen. Aus Großbritannien sind nun erste Pläne dafür bekannt geworden. Daher schauen wir auf die aktuelle Studienlage und was daraus folgt für eine mögliche dritte Impfung.


Jan Kröger


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Hallo, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Einen guten Tag, Herr Kröger.


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01:2 0


Jan Kröger


Herr Kekulé, wir haben ja im Laufe unseres Podcasts hier immer mal wieder Bundesminister und Ministerinnen zu hören. Einer, der eher selten auftaucht, eine Randfigur, ist der Bundesaußenminister Heiko Maas. Vielleicht mal im Zusammenhang mit Reisewarnungen oder so zu hören. Nun aber ist er in dieser Woche zum G7-Treffen, also der größten Industrienationen der Welt gewesen und hat sich zur Verteilung der Impfstoffe geäußert gestern:


„Wollen bis zum Jahresende 2  Milliarden Impfdosen zur Verfügung stellen, für Länder auf der Welt, die das bitter brauchen. Und wir wollen diese Initiative fortsetzen. Wir wollen sogar noch schneller werden. Wir wollen noch mehr Impfstoffe in die Welt liefern.“


Die Initiative, die Heiko Maas anspricht, das ist die COVAX-Initiative der Weltgesundheitsorganisation. Die gibt es schon, die ist auch schon angelaufen, allerdings bisher nur leidlich, vielleicht mal eine Zahl: Bis Ende Mai sollen rund 2 50 Millionen Impfdosen weltweit über COVAX verteilt werden. Bis Ende April wurden erst 16 Prozent ausgeliefert. Jetzt sagt Herr Maas, wir wollen da schneller werden. Irgendwie stellt sich hier die Frage: Fangen wir doch besser überhaupt erst mal so richtig an.



Alexander Kekulé


Ja, das COVAX-Projekt ist uralt. Das ist in der Tat so, dass man von Anfang an gesagt hat, ich meine: Fünf Prozent aller Impfdosen, die die reichen Länder einkaufen, sollten gespendet werden an die ärmeren Länder. Und man hat sich natürlich immer gefragt bei den ganzen hektischen Einkaufsbemühungen der EU und diesen ganzen Diskussionen, die es ja da gegeben hat im letzten Herbst: Denkt irgendjemand eigentlich noch an das, was wir weitergeben wollten? Meines Wissens sind jetzt weltweit unter ein Prozent der Menschen in schlecht entwickelten Ländern geimpft. Im Vergleich zu uns ist das natürlich eine, fast hätte ich gesagt, noch viel schlechtere Zahl. In Deutschland jammert man ja immer sehr gerne auf hohem Niveau. Aus meiner Sicht ergibt sich dadurch das Problem, dass wir natürlich immer sagen müssen: Geimpft oder Genesen. Das heißt, in vielen Ländern der Erde wird es einfach so sein, wenn man jetzt die Zahlen sich ansieht, die


Heiko Maas genannt hat. Wenn wir am Ende des Jahres, das heißt eigentlich Beginn nächsten Jahres, die Dosen zur Verfügung stellen, da müssen Sie erst mal verimpft werden, das ist für viele Länder logistisch gar nicht einfach zu handhaben. Sind die dann nicht vorher alle schon einmal infiziert worden und die Wahrscheinlichkeit ist natürlich hoch, dass das Virus hier sozusagen „auf natürliche Weise“ erst mal eine Immunität herstellt und die dann von uns Hilfe bekommen zu einem Zeitpunkt, wo es eigentlich schon zu spät ist.


03:52 


Jan Kröger


Ich hatte gelesen, im Moment gibt es vor allem große Probleme deshalb, weil ein ganz wichtiges Land bei dieser COVAX-Initiative Indien ist und durch die dortigen Infektionszahlen zurzeit Indien vor allem die Produktion für das eigene Land wieder braucht.



Alexander Kekulé


Ja, es ist so, das Serum Institute of India ist ja der weltweit größte Impfstoffhersteller. Nicht nur für die weniger entwickelten Länder, sondern auch die Industrieländer lassen dort produzieren, weil es eben günstiger ist, weil man weniger Umweltauflagen hat und solche Dinge. Und die produzieren im Moment meines Wissens ausschließlich in sehr großem Stil AstraZeneca plus noch einen eigenen Impfstoff aus Indien selber. Aber der AstraZeneca-Impfstoff ist der größte Anteil und da hat man ja am Anfang diese sogenannte Impfpolitik gemacht. Modi, der Ministerpräsident dort, hat quasi gesagt, wir sind hier alle aus dem Gröbsten raus in Indien und hat angefangen, international Impfstoffe weiterzugeben, die in Indien produziert wurden. Aber das aus bekanntem Anlass, aus bekanntem Grund ja dann ziemlich schnell wieder stoppen müssen. Ich sehe das mit dem Exportstopp jetzt gar nicht so ernst, weil man muss es ja ganz pragmatisch sehen: Hauptsache, irgendwo sind Menschen in den schlecht entwickelten Ländern geimpft. Und wenn in Indien jetzt gerade diese scharfe Welle durchgeht, wo wir ja wirklich nach wie vor zu wenig tun, dann ist es schon richtig, dass man dort die Menschen impft. Wo soll man es sonst hingeben? Es ist nicht sinnvoll, was weiß ich, nach Bangladesch oder auf die Philippinen Impfstoff zu verschicken, der in Indien produziert wurde


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und dafür in Indien weniger Menschen zu impfen. Darum ist dieser Exportstopp das kleinere Problem. Ich glaube, dass größere Problem ist tatsächlich, dass die Rohstoffe knapp sind, sowohl für die Produktion in Indien. Das wird ja dort immer angemahnt, auch kritisiert. Die amerikanische Exportpolitik ist ja vom indischen Ministerpräsident ganz massiv kritisiert worden. Als auch eben weltweit haben wir das Problem auch bei anderen Impfstoffen – nicht nur AstraZeneca – dass die Zulieferer, wenn ich mal so sagen darf, an ihren Grenzen sind.


05:58


Jan Kröger


Indien und auch Südafrika, wenn man Staaten nennen will und eben auch viele Hilfsorganisationen, die konzentrieren sich bei dieser ganzen Frage der Impfstoffverteilung auf der Welt auf das Thema Patentrechte. Man kann diesen Streit auch zusammenfassen sozusagen Pharmaindustrie gegen zum Beispiel Hilfsorganisationen. Eine dieser Hilfsorganisationen, Medico International, die hat sich zu einer Kampagne entschlossen mit dem Titel Patente töten. Ja, in welchem Spannungsfeld sich das bewegt, welche Argumente da ausgetauscht werden, das fast Anne Jung von eben dieser Organisation Medico International zusammen:


„Also das beliebteste Argument ist: Ohne Pharma keine Forschung. Und, dass sozusagen die Patente die Lebensversicherung sind der Pharmaindustrie. Wenn man einen Blick wirft auf die Milliardenbeträge, die aus öffentlichen Kassen, also auch von uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, in die Entwicklung der Impfstoffe geflossen sind, kann man dieses Argument sehr leicht widerlegen. Auch die ganze Grundlagenforschung im Übrigen wird seit Jahrzehnten aus öffentlicher Hand finanziert.“


Die Frage, die sich für mich danach stellt: Wie bedeutsam ist dieses Thema der Patentrechte jetzt insgesamt für die Impfstoffverteilung?



Alexander Kekulé


Es wird seit einiger Zeit intensiv diskutiert, unter anderem mit diesem Argument, das wir gerade gehört haben. Ich würde mal sagen: Unter meinen internationalen Kollegen ist so grob gesagt die Hälfte für die Patentfreigabe und die andere Hälfte dagegen. Ich selber sage mal vorneweg: Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Ich


glaube nicht, dass die Patentfreigabe in dem Fall was bringt. Es ist richtig, dass wir hier eine Sondersituation haben. Dieses Argument „Ohne Pharma keine Forschung“, ja, das ist so ein uralter Spruch, der kommt noch aus der Zeit, als man in Indien und auch den Philippinen übrigens immer mal wieder das internationale Patentabkommen – TRIPS heißt das – quasi torpediert hat, nicht eingehalten hat. Und da gab es eben dann internationalen Druck, dass Raubkopien von Medikamenten vermieden werden sollen. Eine Riesendiskussion, will ich jetzt nicht nochmal aufmachen. Und Frau Jung hat recht, wenn sie sagt, dass das generell etwas ist, was in diesem Fall bei der Covid-19 Pandemie nicht gilt, weil eben die Firmen schon ganz, ganz massive Mittel bekommen haben. Und viele Erfindungen sind ja auch im privaten Bereich gelaufen, die da verwendet werden. Nein, aber es gibt ein ganz anderes Argument. Und das ist das, was mich wirklich überzeugt hat in dieser Debatte. Wir haben es hier bei den Impfstoffen, um die es ja da geht – das sind also im Wesentlichen die RNA-Impfstoffe, vielleicht noch AstraZeneca. Aber bei AstraZeneca muss man dazusagen: Oxford AstraZeneca hat ja von vornherein gesagt, dass sie damit am Ende kein Geld verdienen wollen und das mehr oder minder freigeben. Dort gibt es andere Probleme, über die wir heute vielleicht nicht nochmal sprechen müssen. Aber bei den RNA-Impfstoffen, die sozusagen die Speerspitze der Impfkampagnen sind, da ist es einfach so, das ist eine ganz neue Technologie, die zum ersten Mal eingesetzt wird. Ich nenne sie auch deshalb nach wie vor experimentelle Impfstoffe. Wir haben nur bedingte vorläufige Notfallzulassungen dafür. Und das bedeutet, dass man im Zulassungsverfahren auch den Produktionsprozess immer mit überwachen muss. Also, die haben Auflagen für ihre Produktion. Das ist also quasi nicht irgendwas, was quasi fertig einfach nur über den Tresen geht in der Apotheke, sondern die Zulassungsbehörden gucken denen tief in die Bücher rein. Und es ist von der Methode her extrem kompliziert, vor allem das sogenannte Scaling-Up, dass man von kleinen Mengen auf große Produktionsmengen umgestellt hat. Ich sage mal nur so ein Beispiel, ohne jetzt einen langen Technik Vortrag halten zu wollen: Der


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schwierigste Moment der Produktion bei diesen RNA-Impfstoffen ist die Verpackung der RNA in diesen kleinen Mikrovesikeln, also in diesen kleinen Fettbläschen. Diese MessengerRNA, die der eigentliche Impfstoff ist, die kann man heutzutage durch Maschinen relativ einfach auch in größerem Stil herstellen. Aber dann müssen sie diese Dinger so verpacken, dass die quasi wie ganz kleine Viruspartikel aussehen. Also, die sind in so kleinen Fettbläschen, die künstlich erzeugt werden dann drinnen, weil sie nur auf diese Weise nach der Injektion im Körper da in den Muskelzellen und andere Zellen einwandern, um dort diese RNA dann zu einem Protein zu machen, gegen das ja das Immunsystem dann anspringt. Und diese Verpackung, da hat man Methoden quasi unter relativ hohem Druck, diese RNA zusammenzupressen mit diesen Fettpartikeln, damit die eben genau diese Größe geben und sich quasi wie von Geisterhand schließen, quasi die einzelnen Bestandteile der Fette – das sind sogenannte Fettsäuren – die schließen quasi wie von Geisterhand schlagartig diese RNA-Moleküle ein. Das sind Methoden, die natürlich eigentlich proprietär, also mehr oder minder geheim von den Herstellern sind oder waren. Aber beim Scaling-Up hat man sich nicht gewagt, diesen Schritt irgendwie zu verändern, weil der so kompliziert ist, sondern man hat einfach gesagt: Okay, von diesen Druckpumpen, mit denen man das macht, bauen wir einfach dann 2 0 nebeneinander auf und machen genau den gleichen Prozess, den wir im Labor so im etwas kleineren Maßstab haben, dadurch im Größeren. Daran sehen Sie schon, weil man sich nicht getraut hat, quasi eine neue Prozedur zu erfinden, sondern sagt, wir bleiben lieber sicherheitshalber bei dem, was schon funktioniert, wie tricky das ist. Selbst für die besten Hersteller der Welt. Ja, und wenn ich mir jetzt vorstelle Patentfreigabe, ja, dann fangen irgendwelche Leute irgendwo auf der Welt an, das zu kopieren, ohne Unterstützung des Herstellers. Und man hat den Hersteller natürlich damit nicht amüsiert. Deshalb halte ich das nicht für zielführend, weil am Schluss wird – ein anderes Argument noch – wird ja der Kampf um die einzelnen Bestandteile das Problem sein. Also wir haben zum einen Hersteller, die haben große Probleme mit irgendwelchen Plastikartikeln, die man da braucht, so


speziell zertifizierte Beutel, in denen das angezüchtet wird und so weiter. Das ist zum Beispiel bei Serum Institute of India das Problem und auch in den USA bei manchen Fabriken, die verschiedene Dinge herstellen. Novavax hat dieses Problem gehabt. Aber bei den RNAImpfstoffen sind es diese ganz bestimmten Fettsäuren. Da gibt's nach dem, was ich gelesen habe, auf der Welt vier Fabriken, die diese hochgereinigten speziellen Fettsäuren machen können, die man für Moderna und für BioNTech braucht. Und zukünftig wohl auch für Curevac, wenn die Tübinger da demnächst eine Genehmigung bekommen, das soll jetzt bald laufen. Und diese Fettsäuren, da gibt es einfach nur so wenige Firmen und dann würden sich, wenn man das Patent freigibt, einfach noch mehr Hersteller quasi prügeln, um das, was dort produziert wird.


12 :34


Jan Kröger


Wenn wir bei der Patentfreigabe bleiben und bei dem, was Sie jetzt gesagt haben, heißt das also für mich zusammengefasst: Wir haben politisch die Entwicklung, dass die EU und die USA sich nun gesprächsbereit zeigen bei der Patentfreigabe – und das mag politisch durchaus eine Art Durchbruch sein – aber für die Impfstoffverteilung weltweit ist was anderes nötig Ihrer Meinung nach?



Alexander Kekulé


Ja, also, das kann man nur so zusammenfassen, genau wie Sie sagen. Also, die Politik ist einmal mehr jetzt so in ihrer eigenen Welt irgendwie. Man merkt mal wieder, dass die Politik so ihre eigenen Definitionen hat. Ja, was können wir machen? Patent freigeben, weil irgendwelche NGOs das fordern, also Nichtregierungsorganisationen. Und hier muss man sagen: Das ist ja auch einfach. Wenn jetzt die EU-Kommission oder in den USA jemand da so ein Dekret unterschreibt, dann ist das schnell erledigt. Mein Vorschlag ist ein ganz anderer, weil das wissenschaftliche Problem eben ganz woanders liegt. Und das ist eben diese Koordinierung der Ressourcen. Wir haben jetzt schon die Lage, dass die Hersteller teilweise wirklich konkurrieren um die Rohstoffe. In den USA wurden bindende Verträge mit den Herstellern gemacht, dass, wenn du an mich lieferst, darfst du, sofern du mich nicht vollständig beliefert


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hast, nichts ins Ausland geben oder an andere Abnehmer und solche Dinge. Ich glaube, wir brauchen eine internationale Koordination dieser Impfstoffproduktion, statt die Hersteller sozusagen zu verprellen, indem man ihnen die Patente abnimmt – und damit auch einen Präzedenzfall schaffen würde – meine ich, es ist besser zu sagen: Passt mal auf, wir wollen eine internationale Organisation. Die kann nur unter den Vereinten Nationen sein, die sich darum kümmert, das zu koordinieren. Wer stellt was her? Wo sind die Engpässe? Wie kann man das verteilen zwischen den Herstellern? Es ist ja so, dass natürlich Moderna, BioNTech und vielleicht demnächst Curevac praktisch identische Produkte auf den Markt bringen. Zumindest in dieser Pandemie spielt es dann keine Rolle, was man da konkret hat. Und anstatt, dass die in Konkurrenz jetzt arbeiten auf allen Ebenen bis hin zu den Preisverhandlungen, sollte man es zusammenfassen. Ich kann mal erinnern: Ich hatte die gleiche Diskussion 2 014 bei Ebola in Westafrika. So ähnlich wie hier, wie heute, hat man damals erkannt, dass die Weltgesundheitsorganisation – wo man denken könnte, dass die das vielleicht macht – dass die da einfach überfordert ist mit diesen Fragen. Und da haben die Vereinten Nationen das sogenannte UNMEER aufgesetzt – das war die UN-Mission for Ebola Emergency Response – und das war ein extremes Erfolgsrezept. Das war so, dass das wesentlich besser funktioniert hat als das, was die WHO damals gemacht hat. Heute ist es so, dass diese Koordination sich die WHO ja sowieso nicht auf die Fahne schreibt. Aber ich glaube, dass man so etwas Ähnliches wie UNMEER damals für Ebola auch dringend für die Impfstoff-Produktion jetzt bei Covid bräuchte. Eigentlich könnte man fast sagen: Wenn es damals wichtig genug war bei 10.000 Toten in Westafrika, wieso ist es jetzt heute nicht in der Covid-Pandemie wichtig genug für so eine Mission? Die UN haben so etwas, das nennen sie UN Comprehensive Response. Aber das ist eher so ein Sammelsurium für alles. Ja, da wollen sie also von den Rechten der ethnischen Minderheiten bei den Impfungen irgendwelcher weniger entwickelten Länder bis hin zu Fragen des internationalen Transports von Impfstoffen oder von anderen Problemen im Zusammenhang mit Covid


also sozusagen die Gesamtliste irgendwie koordinieren. Von denen hat man auch sonst, außer, dass das auf einem Zettel steht, bisher nichts gehört. Deshalb wirklich meine Empfehlung, hier eine konkrete koordinierende Kommission bei den Vereinten Nationen einzurichten. Ich bin ganz sicher, dass die Impfstoffhersteller da mitmachen würden, weil das ist ja so, die haben sich natürlich längst dumm und dämlich verdient, wenn man das mal so locker sagen darf. Also um einen Dollar mehr geht es denen im Moment überhaupt nicht. Die freuen sich wahrscheinlich, wenn sie staatliche Hilfe international bekommen, zum Beispiel bei der Koordination von Fabriken, die Dinge zuarbeiten und zuliefern können.


16:40


Jan Kröger


Vom Thema der Ungleichheit weltweit schauen wir jetzt auf das Thema Ungleichheit in Deutschland. Das ist in dieser Woche in die Öffentlichkeit wieder verstärkt gekommen durch die Impfaktion, die die Stadt Köln im Stadtteil Chorweiler durchführt ärmerer Stadtteil mit hoher Inzidenz gerade und hohem Migrantenanteil. Aber das Thema ist auch gar nicht so neu. Ich möchte nur mal ein Zitat bringen, das kommt von Cihan Celik. Der ist Funktionsoberarzt auf der Intensivstation in Darmstadt und zwar schon vom August letzten Jahres. Das kann man aus der Frankfurter Allgemeinen vorlesen: „Seitdem es hier wieder losgeht“, also mit der damaligen Welle, „haben alle neuen Patienten einen Migrationshintergrund“, sagte er damals.


„Ich spreche das an, weil es mir Sorgen bereitet. Es könnte zu Mythen, Missverständnissen und Vorurteilen führen, wenn man dem nicht frühzeitig entgegentritt. Es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Ethnien biologisch anfälliger für die Krankheit wären. Außer dem Migrationshintergrund haben viele nämlich eins gemeinsam: Dass sie aus sozioökonomisch schwachen Verhältnissen kommen. Da ist der Migrationshintergrund eben nur das offensichtliche Merkmal. Außerdem ist die Sprache ein großes Problem. Viele sind nicht auf dem Laufenden, was den Rat der Behörden angeht. Es gibt ein Informationsdefizit und oft kommen die Patienten aus kleinen


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Wohnungen. Selbst bei leichten Verläufen können wir die nicht nach Hause schicken, weil dort eben viele Menschen zusammenwohnen.“


Und wenn ich mir die Debatte jetzt betrachte: An Argumenten ist eigentlich kaum was dazugekommen. Haben wir da also ein großes Thema über Monate hinweg nicht beachtet?



Alexander Kekulé


Also, wir nicht. Aber ich glaube, die Politik in Deutschland schon. Ja, es ist so, dass wir ja da auch wirklich seit dem Sommer intensiv immer wieder darüber diskutiert haben. Ja, das ist irgendwie so eine deutsche Eigenschaft. Ich hatte das glaube ich schon mal verglichen in diesem Podcast mit der Situation bei den Masern. Bei den Masern ist allen klar gewesen, dass wir bestimmte Ausbrüche haben in Regionen, wo Menschen mit – im weitesten Sinne – Migrationshintergrund leben. Ja, aber das war immer ein ganz bestimmter Teil, das waren Roma zum Beispiel, die in Duisburg in bestimmten Gegenden dort gewohnt haben, wo es immer wieder Masernausbrüche gab. Das sind die gleichen Regionen, wo die Polizei sich nur mit vier Personen im Auto reintraut. Das ist gar nichts gegen die dortigen Einwohner. Das hat ja auch nichts mit der Ethnie zu tun, sondern das Problem ist letztlich, dass wir da prekäre Verhältnisse haben und Menschen haben, die sich sozial, wie auch immer, ein bisschen abgekoppelt haben. Der andere Schwerpunkt – damit es nicht so ethnisch überlagert klingt – sind die reichen Bewohner bestimmter kleinere Ortschaften in Baden-Württemberg, da so rum um die Schwäbische Alb, wo es halt viele gibt, die einfach Impfkritiker sind – einige Anthroposophen dort – und da haben wir dann auch immer schön die Masernausbrüche gehabt. Aber statt jetzt sozusagen diese Probleme beim Namen zu nennen und zu sagen: Wir wollen jetzt, dass das so gemeldet wird, dass draufsteht, aus welchem Verhältnis die Leute kommen, zumindest mal aus welchem sozialen Milieu die genau kommen. Oder wo sie sich wahrscheinlich angesteckt haben. Das Problem ist, das Robert Koch-Institut kriegt ja nur die Postleitzahl des Wohnorts. Das heißt, wenn jemand irgendwo anders arbeitet und sich dort angesteckt hat, dann können die auch nur raten, ob das passiert ist oder nicht. Und all diese, sage ich mal, sozialen Informationen


– sozioökonomischen Faktoren, wie das immer so schön heißt – die werden in Deutschland einfach aus, ich nenne es mal politischer Korrektheit, nicht gemeldet. Und das macht es wahnsinnig schwierig, solche Dinge nachzuverfolgen. Und ja, das hat uns von Anfang an in dieser Pandemie natürlich davon abgehalten, Brennpunkte sozusagen proaktiv zu erkennen. Wir sehen es immer erst hinterher, wenn wirklich dann man vor Ort auf der Intensivstation sieht, Mensch aus der und der Trabantenstadt. Da kommen einfach so viele Patienten, übrigens nicht nur jetzt ethnisch mit Migrationshintergrund. Es leben in diesen Gegenden ja viele Leute, die mehr oder minder arm sind. Und da erwischt es natürlich dann alle gleichermaßen. Und diese Faktoren – das hat der Kollege da im Sommer schon richtig zusammengefasst – diese Faktoren, die haben wir nicht in Deutschland auf der Liste. Und die müssen wir dringend erheben, sofern es nicht jetzt schon zu spät ist.


2 1:00


Jan Kröger


Ja, schauen wir mal auf die spärliche Datenlage tatsächlich in Deutschland. Es gibt ja sogar einzelne Landräte, die führen Strichlisten mit Quarantäneanordnungen oder auch mit Listen von einer Intensivstation und gehen dort einfach nach dem Vornamen und analysieren da sozusagen für sich selber nach einem Migrationshintergrund. Es gibt vom Robert Koch-Institut eine Analyse mit dem Titel „Sozioökonomische Unterschiede im Infektionsrisiko während der zweiten Sars-CoV-2  Welle in Deutschland“. Und das ist auch so ziemlich auch schon alles, was ich bei meiner Suche gefunden habe.



Alexander Kekulé


Ja, die ist auch ganz aktuell. Das ist alles und das erste, was wir in Deutschland haben, ja, was würden Sie vermuten? Erste, zweite Welle, was wäre sozusagen der gesunde Menschenverstand? Was würde man sagen? Wo haben sich die Leute das geholt? Naja, wir wissen ja, in der ersten Welle, das war die sogenannte Skifahrer-Welle, wo in Bayern und Hamburg, versetzt dann auch in NordrheinWestfalen, Urlauber aus Tirol und Italien das Virus gebracht hatten. Die zweite Welle, da wissen wir auch alle, das ist losgegangen mit den Urlaubsrückkehrern, weil man sich im


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Sommer in Deutschland lockergemacht hat. Und da wurden dann viele Infektionen reimportiert, aber nicht nur reimportiert. Und im Laufe der zweiten Welle hat sich das Virus dann bei uns, wenn man so sagen darf, festgefressen, weil wir es auch zu spät erkannt haben oder zu spät bekämpft haben. Die naheliegende Vermutung wäre also, dass bei der ersten Stufe – beim Import, internationale Reisen – natürlich eher Menschen mit Geld beteiligt sind oder auch Business-Leute und Ähnliches, Urlaubsreisende. Und in einer zweiten Stufe, wo es darum geht, dass man sich gegen das Virus im Land schlecht schützt – die Maßnahmen sind ja bekannt, aber können und wollen vielleicht nicht alle machen – dass da eben eher die sozial schlechter gestellten Gruppen betroffen sind. Also das, was ich jetzt so als Milchmädchenrechnung aufgemacht habe, das hat das Robert Koch-Institut jetzt nachgewiesen. Und zwar haben sie 1,8 Millionen gemeldete Fälle genommen. Das waren die Meldungen bis 13. Januar, also nur bis 13. Januar ausgewertet. Und weil eben die Meldedaten keine sozioökonomischen Merkmale enthalten, das stellt das RKI selber fest – und man liest es natürlich nicht so raus, aber ich würde mal sagen, mit einer gewissen Bitternis in der Stimme stellen die das fest – deshalb mussten sie sich das irgendwie anders besorgen, diese sozioökonomischen Merkmale. Und da gibt es etwas, das haben alle Länder, das ist der sozioökonomische Deprivationsindex. Also, Deprivation heißt, es ist ein Index, der meistens nach Postleitzahlen oder Landkreisen dann aufweist: Wie viele Arbeitslose gibt es dort? Wie ist das Durchschnittseinkommen? Wie häufig sind die Leute krank? Wie häufig ist Übergewicht in der Gegend? Natürlich wie häufig ist auch der Anteil von Migranten und solche Dinge. Da gibt es eine lange Liste. Ich weiß jetzt nicht genau, was in einem deutschen Index drinnen ist. Das ist nämlich auch noch der German Index of Sozioeconomic Deprivation. Interessanterweise hat der German Index – fällt mir gerade auf – einen englischen Namen. Und da haben die das so gemacht, 401 Landkreise – das sind unsere Landkreise in Deutschland – für jeden den Index genommen und den dann gematched zu ihren Meldedaten. Da tut mir das RKI schon richtig leid, dass die keine besseren Daten haben, weil wir wissen alle: Man arbeitet in dem


einen Landkreis und lebt in einem anderen. Gemeldet wird es aber dann als Erkrankung in dem, wo man lebt – also am Wohnort, nicht am Arbeitsort. Tönnies zum Beispiel wäre überhaupt nicht erkannt worden auf diese Weise, weil das ja Leute waren, die fast ausschließlich in einem Landkreis oder in einer Region bei einer Fleischfabrik sich angesteckt haben. Und dann haben sie das irgendwie versucht zu assoziieren. Sie haben natürlich festgestellt – völlig erwartungsgemäß – dass in der ersten Welle es so war, dass also tendenziell Menschen mit einem besseren sozioökonomischen Status anfangs infiziert waren. Und in der zweiten Welle war es am Anfang auch so (Urlaubsrückkehrer nach einem Sommer). Und dann ist es umgeschwenkt in die Weise, dass es in die sozial schwächeren Landkreise übergeschwappt ist. Aber es ist kein Risikofaktor ausgerechnet worden. Also die sogenannte Hazard Ratio: Wie viel größer ist denn eigentlich das Risiko? Das ist nicht festgestellt worden, dafür reichten die Daten nicht aus. Es sind keine sogenannten Konfidenzintervalle angegeben in der Studie. Also, man weiß überhaupt nicht: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Aussage richtig ist oder falsch? Es wurde überhaupt nicht nach sogenannten Kovariaten, also Störfaktoren gesucht. Ich sag mal zum Beispiel, wenn in einer Region jetzt mehr Ältere leben oder mehr besonders Übergewichtige oder eben besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund, dann kann das natürlich die ganze Studie beeinflussen. Und das konnten sie auch nicht machen – mangels Daten. Und die Gesundheitsdaten hatten sie nicht und so weiter. Das heißt, es ist eigentlich – kurz gesagt – eine Studie, die eine Trivialnachricht nochmal wiederholt, aber das auch nicht wissenschaftlich sauber belegen kann.


2 6:11


Jan Kröger


Das heißt, wenn wir da zurückkommen auf den Appell von Herrn Celik, wenn die Patienten einen Migrationshintergrund haben und sein Appell eben, es könnte zu Mythen, Missverständnissen und Vorurteilen führen, wenn man dem nicht frühzeitig entgegentritt. Wenn man sich nun irgendwie daranmachen möchte, die Datenlage zu verändern, dann schaue ich zum Beispiel in die USA auf die Seite der Seuchenschutzbehörde und kann dort mit wenigen


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Klicks lesen, dass zum Beispiel Latinos ein dreifach erhöhtes Risiko haben, hospitalisiert zu werden, also ins Krankenhaus kommen zu müssen mit einer Covid-19 Erkrankung. Ich kann nach Großbritannien schauen, wo es ähnliche Forschungen gibt. Sind das Beispiele, von denen wir lernen können?



Alexander Kekulé


Ja, es gibt weltweit gute Studien. Die meisten sind, wie Sie richtig sagen, in den USA und in Großbritannien gemacht worden. Natürlich gibt es auch in anderen Ländern Studien oder in Singapur zum Beispiel – da braucht man keine großen Studien – da ist total bekannt, dass die schweren Ausbrüche einfach durch die dort lebenden Arbeiter, die leben in so Hochhäusern quasi am Rande der Stadt. Da sind die, fast hätte ich gesagt, zusammengepfercht. Das sind meistens Inder und Philippinos, die dort leben. Und dort sind einfach die Ausbrüche. Das gleiche haben wir jetzt gerade aktuell in Hongkong, da ist es eine riesen Diskussion gewesen, weil die haben sehr viel philippinisches Hauspersonal und auch Indonesier, die dort als Gastarbeiter arbeiten. Und da war jetzt die Idee, für diese Gastarbeiter – die meistens aus Indonesien oder den Philippinen dorthin kommen – quasi eine Impfverpflichtung einzuführen. Dass die sich impfen müssen, wenn sie da weiterarbeiten wollen. Ist natürlich eine riesen Diskussion. Die Carrie Lam, die Ministerpräsidentin – also diese Statthalterin dort von Pekings Gnaden – die ist dann zurückgerudert und hat gesagt: Nee, nee, das wird sie jetzt nochmal kassieren und nochmal darüber nachdenken. Aber daran sehen Sie schon: In kleineren Staaten weiß man ziemlich genau, wo das Problem ist, und in großen hat man gute Studien. Und im Vereinigten Königreich ist jetzt gerade wirklich, kann man sagen, mit eine der besten, die ich bis jetzt gelesen habe, tatsächlich rausgekommen. Werden wir sicher auch auf unsere Webseite stellen. Die ist gemacht worden von dieser London School of Hygiene and Tropical Medicine. Das sind weltweit eigentlich die besten Tropenmediziner und Seuchenexperten. Und die haben ausgewertet, die eine Plattform, die die da haben, in Großbritannien – mal wieder eine, wo bei uns die Daten-Leute nur von Träumen würden – die heißt Open Safely. Die hat man aufgemacht schon seit März, meine ich, letzten Jahres.


Wird gemacht vom Nationalen Gesundheitsservice dort, NHS. Und die haben jetzt für diese Studie aus dieser großen Plattform – wo, ich glaube, etwa die Hälfte aller Briten überhaupt registriert sind – haben die 17,3 Millionen Erwachsene ausgewertet. Und zwar haben die 2 Zeiträume ausgewertet. Die erste Welle und die zweite Welle – bei denen ein bisschen versetzt zu uns in Deutschland – aber im Prinzip die 2 Wellen. Und dann haben die eben, bei uns würde man sagen, knallhart ausgewertet nach ethnischen Gruppen. Und zwar haben die insgesamt, ich glaube 16 verschiedene Gruppen unterteilt und so als Hauptgruppen gesagt: Die Weißen, die Südasiaten – damit sind hauptsächlich Indien, Bangladesch und Pakistan gemeint – die Schwarzen. Und dann hatten sie eine weitere Gruppe, die hieß „Andere“ und eine, die hieß „Gemischt“, also wenn es gemischte Ethnien waren. Und die haben halt geguckt: Wie sieht es aus mit dem Risiko dieser Ethnien bei uns in Großbritannien in der ersten und in der zweiten Welle, verglichen mit den Weißen, bezüglich den üblichen Parametern – also Infektionswahrscheinlichkeit, Sterbenswahrscheinlichkeit und so weiter? Da kam Folgendes raus: In der ersten Welle hatten die aus Südasien, also hauptsächlich Indien und umliegende Länder, die hatten eine etwas erhöhte Wahrscheinlichkeit, getestet zu werden, überhaupt getestet zu werden. Ist ganz interessant, dass die häufiger getestet wurden als die Weißen. Das Gleiche galt für die Schwarzen, also, sage ich mal, die ethnischen Minderheiten in Großbritannien wurden am Anfang häufiger getestet – finde ich ganz interessant. Und dann ist es aber so, dass die Wahrscheinlichkeit, sich positiv zu testen – da sind eben jetzt diese Hazard Ratios, diese Wahrscheinlichkeiten, diese Risiken angegeben, die zum Beispiel für die Südasiaten bei Faktor 2 lagen. Also die waren doppelt so oft positiv im Covid-Test als die Weißen. Und für die Schwarzen bei 1,7. Nur mal so ein Beispiel, da ist genau ausgerechnet, dass die quasi ein 1,7-fach erhöhtes Risiko hatten, überhaupt positiv zu sein. Und für die Intensivstation – ich überspringe jetzt mal die Krankenhauseinweisungen – für die Intensivstation war es so, dass das Risiko für die Südasiaten mehr als dreifach erhöht war, also 3,12 . Und für die Schwarzen etwa knapp unter dreifach. Und auch beim Sterbensrisiko schlägt es


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durch, dass man sieht, dass das wieder etwa so hoch ist, wie die Wahrscheinlichkeit, positiv getestet zu werden. Da ist die Wahrscheinlichkeit ungefähr 1,5-fach erhöht für die Südasiaten und 1,3-fach erhöht für die Schwarzen. Und das haben die richtig durchgerechnet. Das war jetzt die erste Welle. In der zweiten Welle war es dann so, dass man was ganz Interessantes gesehen hat. Da hat man gesehen, dass diese Minderheiten weniger häufig getestet wurden. Während sie in der ersten Welle besonders oft sich haben testen lassen, war das in der zweiten Welle deutlich erkennbar, dass sie seltener getestet wurden, aber dafür ein zum Teil noch höheres Risiko hatten, ins Krankenhaus zu kommen oder an der Erkrankung zu sterben. Und man hat etwas beobachtet, weil die das eben so fein aufgelöst haben mit dieser sehr großen Zahl von Teilnehmern letztlich. Man hat beobachtet, dass es innerhalb der einzelnen ethnischen Gruppen dann auseinanderfällt plötzlich. Also, in der zweiten Welle war es dann so, dass eine Teilgruppe der Südasiatennämlich speziell die, die aus Bangladesch kamen – ein drastisch erhöhtes Risiko hatte. Also zum Beispiel das Risiko, überhaupt sich zu infizieren, ist bei denen dreimal so hoch gewesen wie bei anderen aus solchen ethnischen Minderheiten. Was sehen wir daran? Wir sehen daran, dass das ein komplexes Geschehen ist. Man kann nicht einfach so sagen: Die Ausländer, die Leute mit Migrationshintergrund. Sondern, wenn man genauer hinschaut, sieht man, das ist eine bestimmte Teilgruppe. Und dort sind es zum Beispiel die aus Bangladesch. Ich habe jetzt von dieser Studie nur ein Beispiel rausgegriffen. Aber nur, wenn man das so systematisch und sehr genau untersucht, kann man sagen: Aha, die haben also ein besonderes Problem, denen müssen wir ganz speziell helfen. Und ich glaube, das ist etwas, da sind wir in Deutschland noch Lichtjahre davon entfernt.


32 :43


Jan Kröger


Wenn wir das jetzt mal zusammenfassen wollen: Was kann man daraus lernen? Was kann man vielleicht auch besser machen? Dann wird ja häufig auch einfach der Informationsbedarf angesprochen, in verschiedenen Sprachen. Klar, es gibt Aufklärungsarbeit, auch rührige Initiativen, zum Beispiel in Berlin-Neukölln,


über die viel berichtet wird. Aber natürlich müssen wir uns auch eingestehen, dass die Zielgruppe dort jetzt nicht zum Beispiel Kekulés Corona-Kompass hören wird. Ist das etwas, was man in künftige Pläne für Pandemien oder ähnliche Szenarien einarbeiten muss?



Alexander Kekulé


Ich bin da gar nicht bei den künftigen Pandemien, also da werde ich ja hoffentlich im Ruhestand sein, wenn die kommen. Also, ich glaube, für diese Pandemie müssen wir noch einiges tun. Und das heißt insbesondere eben, ich glaube, in Deutschland schon diese Scheu verlieren, die Dinge beim Namen zu nennen. Weil, wenn man das tabuisiert, dass da zum Teil eben Menschen mit Migrationshintergrund stärker betroffen sind, dann wird man auch nie rauskriegen, woran es liegt. Und da machen sich eben dann die Rechten in Deutschland bestimmte Gedanken und sagen: Ja, das liegt daran, dass die irgendwie halt so veranlagt sind oder Ähnliches. Es geht ja bis hin zu diesen Überlegungen. Und die anderen haben keine guten Gegenargumente. Also meine Erfahrung ist: Je besser man etwas transparent macht und beleuchtet, desto nachvollziehbarer wird es dann auch. Ja, also diese Bangladeschi in England zum Beispiel, die leben häufig in Mehrgenerationenhaushalten. Auch wesentlich häufiger, als das in England bei anderen ethnischen Minderheiten der Fall ist. Etwa 2 1 Prozent leben dort wirklich in Mehrgenerationenhaushalten. Im Gegensatz zu Weißen, die bei sieben Prozent sind. Und die Schwarzen liegen irgendwo dazwischen. Und das ist dann schon mal ein ganz wichtiger Hinweis, dass man sagt: Aha, vielleicht ist es gar nicht so die Sprache, weil Englisch können die ja in England zum großen Teil sehr gut. Vielleicht ist es so wirklich das Problem, dass, wenn die in einem Haushalt zusammenwohnen, dass das eine Rolle spielt plus natürlich die nicht so guten Verhältnisse. Und dafür braucht man solche Studien wie diese aus England. Die hat eben – nur nochmal zum Kontrast zu dem, was bei uns in Deutschland das RKI da abgeliefert hat – die hat eine ganze Reihe von Kovariaten, also von möglichen Störfaktoren kontrolliert. Indem sie geguckt haben: Hat das auch einen Einfluss und stört das vielleicht unser Ergebnis? Ich sag mal nur so ein Beispiel: Natürlich das Alter der


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Einzelnen, das Geschlecht, auch den Deprivationsindex. Wie groß waren die Haushalte? Wie oft sind die im letzten Jahr pro Region zum Arzt gegangen? Solche Daten hatten die, weil die Daten stammen eben dort von den Hausärzten. Die haben also high-quality Data, erstklassige Daten gehabt, die sie ja verwendet haben. Und die konnten bis zum Body Mass Index und anderen Erkrankungen, ob geraucht wird oder nicht. Wie hoch ist der Blutdruck? Haben sie einen hohen Blutzucker? Ja oder nein? Und natürlich die Frage: Sind sie angestellt? Sind sie arbeitslos? Welche Ausbildung haben sie? All das – hoher Blutdruck und so – all das ist quasi eingeflossen in diese Studie. Und da destilliert sich natürlich dann viel präziser raus, was das Problem ist. Und ich würde mal sagen: Klar, kann man sagen, man macht tausend Studien jetzt noch in Deutschland. Aber wir haben es einfach verpasst an der Stelle, die Studien zu machen. Das wird auch nicht mehr funktionieren. Meine Erfahrungen eben mit den Masern, sagen: Das wird man so schnell nicht hinkriegen. Da haben wir ewig rumdiskutiert. Wie viele Daten darf das RKI haben? Ich glaube, wir sollten ganz simpel rangehen in Deutschland. Und zwar sagen: Erstens, der soziale Deprivationsindex ist klar assoziiert. Ja, was das RKI da versucht zu zeigen, ohne dass die Daten belastbar wären, wird wahrscheinlich stimmen. Ja, woran soll es sonst liegen? Menschen, die in schlechten finanziellen Verhältnissen sind, die müssen Angst um ihren Job haben, wenn sie in Quarantäne gehen. Die lassen sich nicht testen, weil sie Angst haben, dann stigmatisiert zu werden und diese Dinge. Und das Zweite ist, dass wir die Haushaltsgröße – also wie viele Menschen leben pro Quadratmeter – das können wir im Grunde genommen als Surrogat Marker – als Proxy sagt man da auf Englisch dazu – also als Ersatzmarker nehmen für die Infektionsgefahr. Dann haben wir im Grunde genommen 2 ganz einfache Parameter. Leben unter prekären Bedingungen? Ja oder nein? Sind die Haushaltsgrößen groß? Und wenn man das nimmt – und da könnte man in Deutschland ja schon sofort ein Raster über die Republik legen – dann hätten wir die Regionen im Grunde genommen schon eingegrenzt. So nach dem Motto: Wir machen erstmal eine Strategie, wir arbeiten die ab. Und wenn wir dann auf dem Weg irgendwann merken, dass


die Arbeitshypothese nicht ganz richtig war, können wir es ja noch nachkorrigieren. Aber jetzt zu sagen: Wir müssen erstmal Studien machen, bis wir anfangen, hier was zu tun, halte ich – wäre sehr deutsch – aber ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg hier.


37:13


Jan Kröger


Nun haben wir bei diesem Thema schon viel nach Großbritannien geschaut. Das tun wir auch beim nächsten Thema. Es geht ums Impfen und da lohnt sich natürlich der Blick nach Großbritannien einfach aus dem Grund, weil die uns weiterhin noch ein paar Millionen verabreichte Impfdosen voraus sind und somit auch ein paar Wochen. Großbritannien blickt so langsam schon auf den Herbst und auf die Frage, ob dann vielleicht für die Geimpften eine dritte Impfung notwendig sein wird. 2 Pläne werden dort offenbar diskutiert: Entweder ein dritter Piecks, eine dritte Spritze – noch einmal von den Vakzinen, die schon in Gebrauch sind. Oder eben noch einmal eine andere Impfung eines bis dahin dann modifizierten Impfstoffes. Das sind dort die Pläne. Und für uns ist natürlich auch die Frage für diejenigen, die auch hierzulande schon geimpft sind: Ja, wie wahrscheinlich wird das mit der dritten Impfung?



Alexander Kekulé


Also, ich glaube schon, dass die dritte Impfung kommt. Allerdings muss ich nochmal in Klammern sagen: Mensch, haben wir es hier gut. Also die anderen wären froh, wenn sie die erste kriegen und wir diskutieren jetzt schon über die dritte. Aber es ist folgendermaßen: Also, das ist eine schwierige Diskussion, die ist auch unter Fachleuten echt nicht ganz einfach. Es ist ja so, dass wir bei den RNA-Impfstoffen die Situation haben, dass sie modifiziert werden könnten. Das ist relativ einfach möglich, weil man da nur diese RNA-Sequenz ändert und dann könnte der Hersteller relativ schnell quasi einen modifizierten 2 .0 Impfstoff auf den Markt bringen. Übrigens: Bei dem AstraZeneca-Impfstoff und anderen Vektor-Impfstoffen ist das nicht so einfach – aus verschiedenen Gründen. Aber der wichtigste ist, dass die stärkste Immunisierung da ja gegen den Vektor geht. Also, diese stärkere Reaktogenität, die die haben, liegt daran, dass man gegen


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den Vektor, also dieses Adenovirus, immunisiert wird. Und aus dem Grund kann man mit genau dem gleichen Vektor im Herbst dann nicht mit einer anderen Ladung sozusagen an Bord, nochmal so einen guten Impferfolg erzielen. Das heißt also, das sind so eine Art OneHit-Wonder. Sie kann man einmal verwenden, danach ist die Bevölkerung gegen dieses Adenovirus als Vektor immun und es wäre extrem aufwendig, jetzt das alles umzustellen auf ein anderes Adenovirus. Da müsste man vor allem die komplette Zulassung neu durchlaufen und könnte diese sogenannte Mock-Up-Notzulassung, die wir schon mal besprochen haben, gar nicht machen. Bei den RNA-Impfstoffen wäre das wohl möglich, per Mock-Up-Notzulassung das zu machen. Das heißt also, man hat schon eine Zulassung als Hülle. Man ändert nur ein paar Kleinigkeiten. Und die Zulassungsbehörde sagt dann: Okay, da wurde so wenig geändert, dass wir euch mit der gleichen Zulassung dann weitermachen lassen. Ja, und diese Möglichkeit besteht. Moderna hat ja ganz früh – das ist der eine Hersteller von diesen RNAImpfstoffen – auf diese Variante gesetzt und hat, ich glaube schon Anfang Februar gesagt: Wir stellen jetzt den Impfstoff 2 .0 her. Insbesondere hatte man da und hat man nach wie vor diese Variante aus Südafrika im Auge. Also, es ist tatsächlich so, dass die südafrikanische Variante – von denen, die gut untersucht sind – eigentlich das größte Problem bei den Impfungen ist, diese B.1.3.5.1. Und zwar deshalb, weil: Da hat man gesehen, dass AstraZeneca praktisch überhaupt nicht mehr richtig funktioniert. Und auch diese RNA-Impfstoffe hatten bei ersten Studien nicht so brilliert wie sonst. Und da versucht Moderna eben – gegen diese südafrikanische Variante haben sie angeblich schon einen Prototyp jetzt gebastelt und den wollen sie jetzt richtig in die Phase drei geben demnächst und damit ausprobieren quasi, ob man den zulassen kann, also Richtung Zulassung damit gehen. Bei BioNTech ist es so, wenn man sich die Pressemitteilungen der letzten Wochen anschaut, dass die offensichtlich ambivalent sind bei dem Thema. Die haben jetzt angekündigt, dass sie auch eine erweiterte Phase drei machen. Da soll aber quasi parallel und vor allem unabhängig voneinander getestet werden. Erstens: Dritte Impfung mit dem gleichen Impfstoff, also genau das Gleiche, was


wir schon mal hatten. Das ist ja letztlich ein Impfstoff gegen den B1-Typ, also diesen norditalienischen Typ, der sich aus der Wuhan-Variante entwickelt hat und der quasi da war, bevor B.1.1.7 und diese ganzen anderen kamen, also bevor die britische Variante zum Beispiel bei uns in Deutschland und auch in Israel sich so durchgesetzt hat. Mit diesem Impfstoff ein drittes Mal zu impfen ist so eine Option, die Pfizer/BioNTech prüfen und als Alternative – da lassen sie aber nicht so richtig die Katze aus dem Sack – haben sie wohl auch in petto einen neuen Impfstoff. Also eine neue Formel sozusagen da reinzubauen und einen Impfstoff 2 .0 – so wie Moderna das ankündigt – dann rauszubringen. Ist aber unternehmerisch eine sehr schwierige Entscheidung auch.


Jan Kröger


Warum genau?



Alexander Kekulé


Ja, das hat mehrere Aspekte. Jetzt stellen Sie sich vor, also ich fange mal mit dem virologischen an. Virologisch ist es so: Wir wissen ja und sehen das jetzt auch aus aktuellen Daten – können wir, wenn Sie wollen, gleich nochmal drüber reden – wir sehen gerade, dass dieser Pfizer/BioNTech Impfstoff gegen die südafrikanische Variante im Feld, im praktischen Einsatz, ziemlich gut funktioniert. Besser als erwartet. Oder ich sage mal: Weniger schlecht als befürchtet. Da gibt es jetzt 2 Studien aus Israel. Die israelische haben wir schon mal besprochen und jetzt ganz neu eine aus Katar. Das heißt also, das wirkt ganz gut, komischerweise auch gegen die südafrikanische. Jedenfalls könnte man sagen: Reicht doch, warum braucht man dann eine neue Formulierung, die quasi speziell noch mal geändert ist? Und der zweite Grund ist ein – fast hätte ich gesagt Marketingargument. Hat aber hier nichts mit Geld, sondern mehr mit Effizienz der Impfkampagne zu tun. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen ganz schicken BMW bestellt – könnte auch jedes andere Auto eines Premiumherstellers sein. Und dann kündigt BMW an: Ja, von Ihrem schönen 3er, den Sie da bestellt haben, gibt es jetzt aber eine neue Version. Kommt jetzt der neue 3er raus. Ja, da müssen Sie mal fragen bei der Autoindustrie, was dann passiert, da sagen alle: Nee, ich will die Bestellung zurücknehmen, ich will jetzt natürlich den Neuen haben.


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Und das Gleiche gilt sogar für diese Zwischenstufen, bevor ein neues Modell rauskommt, heißt es ja dann Facelift in der Autoindustrie. Und da ist genau das Gleiche. Das heißt, sie müssen sich zehnmal überlegen: Wann lassen wir jetzt sozusagen das nächste Facelift oder das nächste Modell raus? Weil in dem Moment ist das alte tot. Und ich glaube, dass es bei der Impfung psychologisch so ähnlich funktionieren wird. Jetzt stellen Sie sich vor, es gibt einen BioNTech 2 .0, wo man weiß, der geht gegen die südafrikanische, gegen die brasilianische, gegen die indische und ist rückwärtskompatibel zu den alten Varianten. Da sagt doch jeder: Ich will doch nur noch das Zeug und ich warte jetzt, bis das da ist. Und das ist extrem schwierig die Entscheidung, wann man sagt: Okay, wir sind jetzt dabei, diese 2 .0-Variante vorzubereiten, weil man möglicherweise dann auf den 1.0Varianten – den Impfstoffen, die auch hervorragend sind – sitzen bleibt. Und weil natürlich dann auch insgesamt das Ziel, möglichst viele Menschen zu impfen, möglicherweise verfehlt wird – zumindest auf der Zeitachse zu langsam wird. Und weil ja die Daten mehr und mehr darauf hindeuten, dass zumindest die jetzige südafrikanische Variante irgendwie noch mit abgegriffen wird mit dem Impfstoff, den wir schon haben von BioNTech.


44:38


Jan Kröger


Das ist die Studie aus Katar, die Sie schon angesprochen haben und die wir – wie alle Studien auch – üblicherweise auch auf unsere Internetseite stellen, auch nach Ausstrahlung dieses Podcasts. Also, wenn ich das zusammenfasse, was Sie sagen: Das ist jetzt nicht nur ein britisches Problem, weil als Sie angefangen haben und da vor allem die AstraZeneca-Impfungen angesprochen haben, könnte man ja meinen: Großbritannien, klar, hat vor allem AstraZeneca verimpft. Deswegen ist das dort mit der dritten Impfung ein besonderes Problem.



Alexander Kekulé


Nein, das glaube ich nicht. Also, wir haben da jetzt keine so sauberen Daten, ja. Aus Südafrika wissen wir, dass AstraZeneca dort in einer relativ kleinen Studie nicht so gut funktioniert hat. Aber das sind ja Feldstudien. Und das ist einfach ein Unterschied, ob Sie in der Republik


Südafrika eine Feldstudie machen oder im Vereinigten Königreich, das ist ein Riesenunterschied. Ja, und da ist die Infrastruktur anders. Da ist die Dokumentation anders, bis hin zu Fragen, wie die Daten übermittelt werden und so. Das heißt also, ich würde jetzt dieser Südafrika-Studie – bei der AstraZeneca mehr oder minder durchgefallen ist – würde ich jetzt nicht deswegen sagen, dass die Briten deswegen kalte Füße haben. Das glaube ich nicht. Nö, die haben ja tatsächlich – das ist, glaube ich, auch bekannt – die haben ja 100 Millionen BioNTech bestellt. Also, auch Großbritannien ist umgeschwenkt von sozusagen seinem Eigenprodukt, wo Boris Johnson ja so stolz darauf war, auf das importierte Zeug aus Germany und den USA. Und natürlich, das muss man einfach sagen, wenn man jetzt nochmal bestellt, gibt es eigentlich keinen Grund, nicht die RNA-Impfstoffe zu bestellen, sofern die liefern können. Und deshalb ist es so, dass man dort beide Optionen hat. Also, da ist der Chris Whitty, der Chefberater der britischen Regierung. Der ist im Time Magazine vor ein paar Tagen mal interviewt worden und er hat eben gesagt, sie wollen beide Optionen anbieten, dass man einen Varianten-Impfstoff – also einen modifizierten Impfstoff 2 .0 hat – oder aber auch mit dem bekannten Impfstoff von Pfizer, der jetzt bei uns ja auch verwendet wird, einfach ein drittes Mal impft. Die ganzen Daten, die wir haben von der Immunologie sehen ja so aus, dass wir – man muss sich das nochmal klarmachen: Das Immunsystem wird ja durch so eine Impfung erst mal auf ein ganz bestimmtes Ziel abgerichtet. Ja, das ist quasi wie ein Hund, der nur eine Wurstsorte erstmal riechen kann. Und diese Wurst, die kann er überall wittern, wo auch immer er ist. Und wenn genau das Gleiche Virus nochmal kommt, dann ist man sozusagen davor geschützt. Deshalb sind Impfstoffe immer so ein bisschen in Gefahr, wenn das Virus sich ein bisschen verändert hat, dass sie dann nicht so gut greifen. Jetzt ist aber so, dass diese RNA-Impfstoffe einen sehr starken Wirkverstärker-Effekt haben, also Adjuvans-Effekt nennen wir das. Da gibt man sonst zu den Impfstoffen irgendwelche Aluminiumsalze und Ähnliches dazu, damit quasi diese Immunantwort breiter wird, damit die also nicht nur gegen eine ganz bestimmte Virusart sozusagen schützen, sondern damit das Immunsystem


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mehrere T-Zellen und Antikörper produziert, die sozusagen nach links und rechts auch breitere Ränder haben. So eine Art RegenschirmEffekt. Und diesen Regenschirm-Effekt, den gibt es offensichtlich bei den RNA-Impfstoffen von selber. Also dadurch, dass die sich-selbstverstärkend sind. Also selbst-adjuvanzierende Impfstoffe, würde man wahrscheinlich sagen können dazu, wo man sonst immer extra so ein Pulver mit reinmischt, das braucht man hier gar nicht. Darum haben die ja nach der zweiten Impfung spätestens dann relativ starke Reaktogenität. Und es sieht eben so aus, da gibt es jaauch inzwischen – können wir vielleicht auch auf die Webseite stellen – eine ganz interessante Studie von Ende April aus Science. Es ist so, dass wir wirklich sehen, dass diese Kombination aus entweder Infektion plus einmal geimpft, das ist komplett gleichwertig zu zweimal geimpft. Und bei den RNA-Impfstoffen ist es eben so, dass wir zumindest nach der zweiten Impfung – nach der ersten ist es noch nicht so – doch eine relativ breite Wirksamkeit haben, die offensichtlich – bei dem BioNTech ist es konkret gezeigt worden, bei dem Moderna wird es wahrscheinlich genauso sein – auch eine Schutzwirkung gegen die südafrikanische Variante haben, die relativ gut ist. Ja, also ich kann mal gerade nachschauen, ich habe mir das aufgeschrieben. Bei der Studie, die in Katar gerade gemacht wurde – es ist jetzt der 05.05., also gestern im New England Journal of Medicine erschienen – da ist es so, dass die Schutzwirkung nach der zweiten Impfung von BioNTech gegen die B.1.1.7 bei 90 Prozent lag. Das ist schon bekannt gewesen, dass das so ist. Aber eben bei der B.1.3.5.1, also der südafrikanischen, immer noch bei 75 Prozent bezüglich der Infektion. Und bezüglich Intensivstation oder Sterblichkeit ist die Impfung gegen beide Varianten in Katar gewesen bei 97,4 Prozent Schutzwirkung. Das heißt sozusagen, es ist keiner daran gestorben und kam keiner auf die Intensivstation, der zweimal mit dem BioNTech Impfstoff geimpft worden war. Und da würde ich mal sagen: Wenn die Daten stimmen – das waren in dem Fall so in der Größenordnung von 600 Tausend, 700 Tausend Teilnehmern ungefähr, die man da hatte. Also das sind nationale Daten in Katar, die Gesundheitsbehörden erheben da quasi alle Daten. Das ist wieder der Nachteil. Wir sind halt in Deutschland


sehr vorsichtig mit dem Datenschutz – finde ich auch richtig. Der Nachteil ist, dass man dann in solchen Fällen halt nicht an die Daten herankommt. In Katar ist man da relativ wenig zimperlich. Da haben sie von Doha quasi alle Daten und können eben deshalb diese Angaben machen. Aber falls das stimmt, würde ich jetzt mal sagen, ist es durchaus auch vernünftig, von BioNTech zu sagen: Eigentlich braucht man nur die 2 Impfungen, vielleicht noch eine dritte. Aber im Grunde genommen reichen die 2 Impfungen. Warum man dann die dritte Impfung mit dem gleichen Impfstoff noch mal machen sollte, ist natürlich schwer nachvollziehbar. Wenn man den anderen schon hat – wenn ich mal so wild spekulieren darf, das wird natürlich nie jemand bestätigen – ist es so, dass die jetzt sagen: Wir machen die dritte Impfung noch mal mit dem gleichen, aber wollen nur vermeiden, anzukündigen, dass man dann möglicherweise auch die 2 .0 Version einsetzen wird, damit die 1.0 Version nicht liegen bleibt. Also, damit dieser FaceliftEffekt nicht eintritt.


51:06


Jan Kröger


Das Thema dritte Impfung: Heute werden wir es noch nicht beantworten können. In ein paar Monaten sind wir da dann sicherlich schlauer, was das angeht. Kommen wir abschließend noch zu einer Hörerfrage. Frau S. hat uns angerufen und da geht es auch um ihre Impfung mit BioNTech. Sie hat folgende Frage:


„Die Zulassungsstudien für den BioNTech/Pfizer Impfstoff wurden ja bei ca. 93 Prozent der Teilnehmer mit einem Abstand von drei Wochen zur zweiten Impfung durchgeführt. Darauf bezieht sich ja dann auch die hohe Wirksamkeit von ungefähr 94 Prozent. Wie ist die Einschätzung von Herrn Professor Kekulé bezüglich der Gesamtwirksamkeit, also auch für leichte und asymptomatische Verläufe bei dem derzeitigen Abstand von sechs Wochen zur zweiten Impfung? Ich nehme ein Immunsuppressivum und könnte die zweite Impfung nach vier Wochen erhalten. Wäre das in meinem Fall günstiger, da die Wirksamkeit unter Immunsuppression ohnehin schlechter ist?“


Macht ja jedes Bundesland ein bisschen anders mit dem BioNTech Impfstoff, wann die


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Zweitimpfung ist. Letzten Endes bleibt ja die Frage: Spielt der Zeitabstand dort eine Rolle?



Alexander Kekulé


Ja, die Zeit spielt eine Rolle. Aber genau umgekehrt. Es ist so: Je länger man wartet mit der zweiten Impfung – natürlich nicht viele Jahre, aber so, ich sage mal, bis zum Zeitraum von zwölf Monaten, desto wirksamer ist dieser Booster-Effekt eigentlich in der Regel. Und man hat deshalb bei BioNTech und auch bei den anderen Zulassungsstudien so einen kurzen Zeitraum von drei bis vier Wochen gewählt, weil man einfach wusste, man ist in einer Pandemie-Situation. Man wusste, die zweite Impfung gibt auf jeden Fall noch mal einen deutlichen Zusatzeffekt. Man hat ja auch keine Zeit, jetzt drei Studien abzuwarten, wo das optimiert wird, sondern das musste quasi auf den ersten Schuss irgendwie alles passen, weil man ja die Zulassung brauchte und möglichst schnell natürlich den Impfstoff dann herstellen wollte. Und deshalb hat man diese, wie ich finde, ganz vernünftige Lösung von drei bis vier Wochen genommen. Aus heutiger Sicht ist es wahrscheinlich epidemiologisch vernünftiger, länger zu warten. Ich habe ja dringend dafür plädiert, überhaupt erst mal alle einmal zu impfen mit den Dosen, die da sind. Und zwar so lange, bis dann hoffentlich im Juni irgendwann quasi der Impfstoff – um ein Bild zu gebrauchen, das Sie schon kennen – mit der Bazooka verschossen wird. Und wenn wir dann endlich genug Impfstoff im Juni haben, dann alle ein zweites Mal. Da hat man sich ja dagegen entschieden. Ich glaube nach wie vor, dass es der bessere Weg gewesen wäre. Und ein Nebeneffekt wäre tatsächlich gewesen, dass der Booster-Effekt sogar stärker ist, wenn man länger wartet mit der zweiten Impfung. Konkret hat die Hörerin aber noch ihr individuelles Problem, dass sie natürlich zu einer Risikogruppe gehört. Da ist die Frage, die man sich stellen muss, eine ganz andere. Nicht die Optimierung der Impfwirkung, ob das am Schluss jetzt bei 90 Prozent oder 95 Prozent landet. Das ist übrigens sowieso individuell extrem unterschiedlich, also diese Studien mitteln ja quasi die Daten von sehr vielen Menschen. Viel wichtiger ist die Frage: Kann sie ihr Expositionsrisiko kontrollieren? Also, wenn jetzt jemand, der sowieso eine Risikoperson ist, nicht


Menschenansammlungen vermeiden kann oder im Krankenhaus arbeitet oder im Altenheim oder Kinder hat, die in die Kita gehen und jederzeit was einschleppen könnten, dann würde ich sagen: So schnell wie möglich impfen, weil natürlich die zweite Impfung auf jeden Fall einen deutlich besseren Impfschutz macht als die erste alleine. Da gibt es auch neue Daten, die das immer mehr zeigen. Man braucht definitiv auch bei den RNA-Impfstoffen irgendwann die zweite Impfung. Und die erste alleine zu geben ist eine reine Notfallmaßnahme, wenn man zu wenig Impfstoff hat. Und wenn sie hier die Möglichkeit hat und ihr Expositionsrisiko nicht wirklich gut kontrollieren kann zwischen der ersten und der zweiten Impfung, dann würde ich dann ruhig sagen: Je schneller, desto besser, weil sie 14 Tage nach der zweiten Impfung dann weitgehend geschützt ist.


54:56


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 179. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen Spezial. Tschüss und bis dann.



Alexander Kekulé


Gerne. Bis dann, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse: mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass gibt es als ausführlichen Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge unter Audio & Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 04. Mai 2 02 1 #178:


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung


Studie zur Sicherheit der Impfung von Schwangeren mit mRNA-Impfstoffen (engl., 2 1.04.2 02 1): https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2 104983


Dienstag, 04. Mai 2 02 1


Wohl noch in dieser Woche tritt eine bundesweite Verordnung in Kraft, die Geimpfte und Genesene von wesentlichen Kontaktund Ausgangsbeschränkungen befreit. Das ist verfassungsrechtlich strengstens geboten. Aber wie blickt der Virologe darauf?


Die Pläne für die Impfungen von Jugendlichen werden konkreter. Die Zulassung in den USA für Kinder ab zwölf Jahren steht kurz bevor und auch für die EU hat BioNTech den Antrag mittlerweile eingereicht. Die Debatte über die Impfung von Kindern und Jugendlichen, die haben wir hier ja bereits am letzten Donnerstag angestoßen. Heute blicken wir auf diese neuen Entwicklungen.


Und wir schauen auf die Frage: Wie verhält es sich genau mit allergischen Spätreaktionen nach einer Impfung?


Jan Kröger


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. Auch in dieser Woche vertrete ich 

Camillo Schumann

, den Sie sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick


auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen gemeinsam mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, wir beginnen unseren Podcast in dieser Woche mit einem Blick auf die Fallzahlen. Da hat sich Einiges getan, auch in den letzten Tagen wieder. Heute etwas mehr als 7.500 Neuinfektionen. Das bedeutet einen Rückgang der Inzidenz auf 141. Das Intensivregister meldet, heute Morgen jedenfalls der Stand, erstmals wieder weniger als 5.000 belegte Intensivbetten mit Covid-19 Patienten – erstmals seit gut 2 Wochen. Das ist also wieder ein deutlicher Fortschritt, letzten Endes. Wie beobachten Sie die aktuelle Entwicklung?



Alexander Kekulé


Ja, also ich würde mich jetzt heute zum ersten Mal tatsächlich vorsichtig optimistisch äußern. Ich habe mich ja da die letzten Wochen etwas zurückgehalten. V.a. soll man da mal vorsichtig sein, wenn die eigenen Prognosen eintreten, zu früh zu jubeln. Es ist tatsächlich so, dass dieser Rückgang in den Intensivstationen eigentlich ein relativ starker Parameter ist, weil das ist ja quasi ein Tanker, der schwer zu bremsen ist. Das hinkt den Fallzahlen hinterher, den Erkrankungsraten hinterher, weil v.a. zurzeit ja Menschen, die nicht so besonders alt sind, dort liegen. Das heißt also auch solche, die länger liegen. Und deshalb ist jetzt ein Rückgang der Belegungen auf den Intensivstationen wirklich von allem, was man so hat, das beste Zeichen, weil das, wenn ich mal so sagen darf, kein nervöser Indikator ist, sondern etwas, was relativ wenig störanfällig ist an der Stelle. Warum bin ich jetzt zum ersten Mal optimistisch? Auch aus folgendem Grund: wir können jetzt wirklich ausschließen, dass der Oster-Effekt passé ist. Das war ja immer so die Frage: Gab es da irgendwie so einen außergewöhnlichen Effekt, ähnlich wie an Weihnachten? (...) Und zwar sowohl von den Meldungen als auch natürlich vom Verhalten der Bevölkerung. Ich glaube, das ist jetzt sozusagen statistisch herausgemendelt an der Stelle. Wir ha-


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ben heute, Dienstag, sozusagen noch einen kleinen Nachzieher vom Wochenende. Aber auch diese Größe des Wochenend-Effekts, den es jede Woche gibt, dass das so eine Delle am Wochenende gibt, das ist jetzt über die vielen Monate der Pandemie inzwischen eigentlich bekannt, wie stark der Effekt ist. Und da kann man eigentlich sagen, das darf man interpolieren. Also da darf man sozusagen darauf schließen, dass das jetzt auch belastbar ist. Ich habe mir auch die Altersverteilung noch einmal genauer angeschaut. Also wir haben jetzt wirklich eine klare Tendenz, dass bei über 75-Jährigen die Inzidenz zurückgeht. Also die werden seltener infiziert, und da würde ich jetzt sagen das kann man eigentlich nicht auf einen besseren Schutz der Heime zurückführen, weil das ja die ganze Zeit nicht richtig geklappt hat (auch, wenn es weiterhin versucht wird). Deshalb würde ich sagen das ist jetzt sehr deutlich der Effekt der Impfungen einfach. Das ist auch ungefähr das Alter, wo wir relativ gut durchgeimpft sind. Bei denen, die nicht geimpft sind in der Altersklasse hat es halt mit geänderten und klügerem Verhalten zu tun. Wir haben bei den 60bis 74-Jährigen so plus minus Null also da verändert sich eigentlich wenig, was auch wiederum darauf hindeutet, dass es bei den Älteren wirklich mit dem Impfen zu tun hat. Und wir haben seit einigen Wochen v.a. einen Anstieg bei den Jüngeren, also die, die unter 60 sind und v.a. die, die unter 2 0 sind, unter 19 sind. Da ist jetzt so, dass die in den letzten Wochen eigentlich zum ersten Mal relativ hohe Zahlen produzieren. Das heißt also insgesamt ist der Infektionsdruck, wenn ich mal so sagen darf, noch da. Also man darf jetzt nicht irgendwie sagen“ entspannt euch, das Virus ist weg“, sondern die Gefahr, sich anzustecken in Deutschland ist im Prinzip hoch, wäre hoch ohne Sicherheitsmaßnahmen, ohne Schutzmaßnahmen. Aber es verlagert sich eben zu jüngeren Menschen, sodass sich die Sterblichkeit höchstwahrscheinlich jetzt tatsächlich entkoppelt hat von der Inzidenz. Und das ist das, worauf ich immer gehofft hatte.


05:15


Jan Kröger


315 Tote sind es heute. Das ist, verglichen mit den letzten Tagen, ein relativ hoher Wert. Allerdings spricht es ihrer Meinung nach weiter-


hin dafür, dass es sich abgekoppelt hat von der Inzidenz, wenn man es mal vergleicht mit den Todeszahlen z.B. in der zweiten Welle, die wir im Herbst und im Winter hatten.



Alexander Kekulé


Ja, die Zahl der Toten ist auch schwieriger genau zeitlich festzumachen. Das ist anders als bei den Intensivstationen, da wird das anders gemeldet. Diese Meldezahlen, da wird sehr viel nachgemeldet. Wann da das Kreuz gemacht wird, dass jemand daran gestorben ist, das würde ich jetzt nicht so zeitgenau sehen. Für mich ist ein besserer Indikator das, was wir noch Surveillance nennen. Also das RobertKoch-Institut benutzt schon seit vielen Jahren verschiedene Verfahren, um überhaupt Atemwegsinfektionen zu beobachten. Diese sogenannten influenza-like illness heißt es, also Influenza-ähnliche Erkrankung, akute Atemwegsinfektionen. Und da gibt es mehrere Methoden, wie die das machen. Eine davon ist die sogenannte Krankenhaus-Surveillance. Das heißt auch SARI. Das ist die KrankenhausSurveillance, also Überwachung von schweren akuten respiratorischen Infektionen – alles hat bei uns natürlich ab Kürzungen, so ähnlich wie in den USA, da ist noch schlimmer –. Und dieses SARI-Register, das sagt also, dass wir jetzt nach wie vor eine relativ hohe Zahl von Meldungen haben bei 35 bis 59-Jährigen, aber eben nicht so hoch bei den Älteren und Jüngeren im Moment. Die Zahl ist aber inzwischen in dem Bereich, wie wir es sonst auch bei der Grippewelle sehen. Also das ist jetzt nicht so, dass wir da so ein exorbitantes Sonderproblem haben. Ungefähr 2 Drittel von diesen Meldungen akuter Atemwegsinfektionen waren in der letzten Zeit Coronavirus-bedingt. Das Zweite was gemacht wird, sind Untersuchungen der AG Influenza, also diese Arbeitsgemeinschaft Influenza beim Robert-Koch-Institut. Die kriegt Meldungen von Arztpraxen. Und dann gibt es auch noch das sogenannte GrippeWeb, das ist so was, wo Leute, die da teilnehmen, quasi über eine App melden, dass sie Atemwegsinfektionen haben und die Rate ist dort auch sinkend. Einzige Ausnahme, bei den Kindern im GrippeWeb steigt es gerade bisschen. Aber da würde ich mal sagen: Insgesamt sind auch diese Daten, die sich jetzt also nicht speziell das Coronavirus oder Covid-19 ansehen, sondern die insgesamt auf die Population schauen,


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und sagen: Wie häufig sind denn Atemwegsinfektionen (und das ist ja ein Fall einer Atemwegsinfektion), auch diese ganzen Parameter gehen, übrigens wie immer in dieser Jahreszeit – wir haben jetzt Anfang Mai – zurück. Sodass ich jetzt aufgrund dieser ganzen Zahlen tatsächlich sagen muss, ich bin sehr optimistisch, dass wir so eine Art Resilienz entwickelt haben in Deutschland gegen das Virus und Covid ist wohl dabei, sich so nach und nach zu einer Krankheit unter vielen zu entwickeln.


08:02 


Jan Kröger


Sie äußern schon ihren Optimismus, mit dem sind sie auch nicht alleine. Expertinnen und Experten wie Viola Priesemann oder auch Karl Lauterbach haben sich auch schon mit konkreten Werten geäußert in den letzten Tagen. Sie kamen beide so auf eine Inzidenz von 50 bundesweit schon Ende Mai. Teilen Sie auch diesen konkreten Optimismus, sage ich mal, „konkret“ wegen der Zahl?



Alexander Kekulé


Ich sehe das anders als die als die Kollegen, dass es muss man an der Stelle sagen. Aber das ist, glaube ich, in der letzten Zeit auch deutlich geworden. Und zwar insofern, dass ich glaube, wenn wir die Entkopplung der Inzidenz von der Sterblichkeit haben, dass dann die Inzidenz nicht mehr der Parameter ist, auf den wir starren sollten wie die Maus auf die Schlange. Es ist dann so, dass wir durchaus mit einer Inzidenz zwischen 50 und hundert leben können, wenn kaum jemand an Covid stirbt. Das ist eben das Besondere, dass man, wenn man quasi diese Krankheit, sag ich mal, von einem sehr gefährlichen Raubtier zu einem manchmal gefährlich ein Haustier machen kann, dann muss man nicht jedes Mal Angst haben, wenn man dieser Krankheit irgendwo begegnet. Das ist ja der Ansatz, den ich verfolge, der unterscheidet sich insofern von Frau Priesemann, vielen anderen und wohl auch Herrn Lauterbach. Weil ich glaube eben, dass die Inzidenz quasi ausgedient hat, wenn sie nicht mehr eine Vorhersage für die Sterblichkeit ist. Weil wir wollen ja, mit diesen ganzen antiepidemischen Maßnahmen nicht eine schwere Erkältungskrankheit, die sozusagen eine Sterblichkeit im Bereich einer schweren Grippe hat, bekämpfen. Das wäre ja alles kein Grund für diese


massiven Maßnahmen, sondern wir bekämpfen es deshalb, weil es eine ganz außergewöhnlich gefährliche Krankheit ist, bzw. ich würde am liebsten sagen demnächst war. Und darum halte ich nichts davon, jetzt zu sagen, die Inzidenz Soundso kann erreicht werden und deshalb wäre ich optimistisch. Den Optimismus habe ich ja jetzt ganz bewusst auch auf andere Parameter gestützt. Vielleicht noch was zu dieser Zahl. Ich glaube schon, dass wir eine ganze Weile noch eine Seitwärtsbewegung haben werden. Wir liegen jetzt irgendwo im Bereich von 150 bundesweit. Es gibt aber einzelne Regionen, die noch deutlich drüber sind. Es gibt auch Altersgruppen, die drüber sind. Und deshalb glaube ich gerade weil wir z.B. das Thema: Wie öffnen wir die Schulen richtig? Welche Sicherheitsmaßnahmen müssen wir da einziehen? Und v.a., wie können wir Regionen mit prekärer Wohnbevölkerung, die also unter schwierigen Bedingungen dort leben, (...) besser schützen? Aus all diesen Gründen glaube ich, dass wir noch eine ganze Weile eine deutlich über 50 liegende Inzidenz haben werden. Aber wir sollten aufhören, das zum Maßstab unserer Gegenmaßnahmen zu machen.


Jan Kröger


Es ist zumindest (...) bis zum 30. Juni, wenn wir auf dieses Infektionsschutzgesetz zu sprechen kommen, noch unser Maßstab. Welche Rolle, da wir ja bisher noch nicht über das Thema der Impfungen gesprochen haben, welche Rolle könnten die Impfungen in den nächsten Wochen dabei spielen, diese Zahlen zu senken?


11:03



Alexander Kekulé


Ja, die Impfungen, das kommt jetzt wirklich drauf an, wie man sie einsetzt. Also bei den Impfungen ist das Eine und das Wichtigste – kann man nicht oft genug sagen – die Alten zu impfen, weil man dadurch die Sterblichkeit senkt. Also genau diese Entkopplung hinbekommt. Die Fantasie, durch Impfungen jetzt bis Juni o.Ä. eine Herdenimmunität zu erzeugen, da muss man sagen, das ist völlig illusorisch. Und es kommt eben darauf an, dass man v.a. die Gruppen impft – und dass ist mal wieder so eine Aufgabe, die schwierig ist und deshalb als Letztes angegangen wird – die eben schwer zu erreichen sind. Wir haben jetzt die hohe Sterblichkeit in genau den Bereichen und auch die


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schlechte Impfquote in den Bereichen, wo vorher tatsächlich auch die Inzidenz sehr hoch war. Das war völlig vorherzusehen, dass in sozialen Brennpunkten, in Regionen, wo Menschen in prekären Verhältnissen leben, z.T. natürlich auch Regionen, wo entweder Impfgegner leben oder wo Migranten leben, die vielleicht schlecht informiert sind. Dort haben wir die Brennpunkte der Infektion gehabt, vorher. Das wurde ja z.T. nicht so offen kommuniziert aus, sag ich mal, politischer Korrektheit. Und wir haben jetzt natürlich dort auch das Problem mit den immer noch hohen Fallzahlen und der relativ hohen Sterblichkeit und der relativ geringen Impfquote. Und da müssen wir rein. Da müssen wir die Hausaufgaben machen. Da muss man durch Streetworker, durch Angebote vor Ort, durch mehrsprachige Angebote wirklich dafür sorgen, dass in diesen Bereichen dann wiederum v.a. die Alten geimpft werden. Und ich meine, tendenziell gibt es ja schon Pilotprojekte dafür, das ist ja im Norden von Köln z.B. gerade im Gange. Aber ich glaube, das kommt sehr, sehr spät. Und wenn wir das nicht stark beschleunigen, wird uns das auf die Füße fallen, weil wir dann ganz lange so einen Seitwärtstrend bei einer weiterhin hohen Inzidenz haben, wenn wir den Durchschnitt nehmen.


Jan Kröger


Ja, sie sprechen da schon diese wichtige Rolle an, die das Impfen gerade an diesen Orten spielt. Köln-Chorweiler ist gerade so ein Stadtteil, der viel durch die Medien geht. Das werden wir am Donnerstag übrigens noch etwas ausführlicher besprechen. Nun schauen wir mal noch abschließend, wenn wir dieses Thema mit den Fallzahlen heute betrachten, noch ein paar Wochen zurück. Ich erinnere mich an Zahlen, die es dort gegeben hat. Warnungen vor einer Inzidenz rund um 300 oder sogar drüber, rund um Ostern. Ja, was hat letzten Endes den Ausschlag gegeben, dass es sich dabei wohl doch um eine zu pessimistische Schätzung gehandelt hat?



Alexander Kekulé


Ja, (...) da war schon vorher so (...) Im März ist das losgegangen. Da gab es ja diese Schätzungen, dass man gesagt hat – 2 2 . März kann ich mich erinnern, da sollte in dieser berühmten Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin


zusammen diese Marathonrunde, die da irgendwie bis früh in die Morgenstunden ging – da sind ja Zahlen präsentiert worden, dass man, wenn man alles so lässt wie es ist, also keine zusätzlichen massiven Maßnahmen ergreift, dass die Inzidenz dann auf 2 .2 00 bis Anfang Mai steigt. Also zum Vergleich, jetzt haben wir eben ungefähr tatsächlich um die 150. Und selbst im Best-Case-Szenario war bei diesen Präsentationen – wenn die Zeit online des damals richtig berichtet hat – (...) noch mit einer Inzidenz von 1.2 00 zu rechnen Anfang Mai. Also (...) wir haben das auch damals hier im Podcast gleich besprochen, da fragt man sich dann schon, welche Leute das da waren, also das waren Daten des Robert-KochInstituts, aber man fragt sich dann schon, auf welcher Datenbasis die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin da bis morgens diskutiert haben. Fast hätte ich gesagt, zum Glück haben sie sich von diesen Horrorszenarien da letztlich nicht anstecken lassen und vernünftige Maßnahmen beschlossen. Es war klar, dass man natürlich nicht aufhören kann mit den Maßnahmen. Aber da haben ja totale Lockdowns quasi auf dem Tisch gelegen, mit ganz, ganz massiven Forderungen. Und da wurde ja wirklich mit überlaufenden Intensivstationen und Triage und allem gedroht an der Stelle. Ich glaube, jetzt ist es ganz wichtig zu analysieren und nicht einfach weiterzumachen – das würde ein Politiker übrigens machen. Politiker geben ja Fehler nie zu oder selten zu. Was ich bei Politikern ein bisschen versteh, weil es ganz schwierig ist, so etwas zu kommunizieren –. Aber ich glaube, wir Wissenschaftler, wir dürfen uns davon nicht anstecken lassen. Wir müssen wirklich, wenn wir was analysiert haben und dann hinterher feststellen da lag ich komplett daneben – sozusagen 180 Grad – dann müssen wir der Öffentlichkeit auch erklären, warum das so war, weil wir sonst das Vertrauen verspielen. Und wir brauchen die Wissenschaft tatsächlich ja so als Kompass in dieser ganzen Pandemie, (...) auch die Politik braucht die natürlich. Nur dann werden wir auch besser, wenn wir diese Sachen diskutieren. Sonst ist es in der Fachwelt total üblich, wenn wir ein Experiment machen und das hat nicht funktioniert, dann reden wir sehr, sehr offen da drüber. Da lacht auch keiner hämisch. Aber ich glaube, ich erkenne jetzt das so der


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eine oder andere – nicht nur die Leute, die jetzt im Doppelberuf Wissenschaftler und Politiker sind –einfach zur Tagesordnung übergeht, ohne sich mal die Frage zu stellen, woran lag's? Also, Ich gehörte ja nicht zu denen, die da diese dramatischen Einschätzungen gemacht haben. Ich will trotzdem mal ganz kurz versuchen [einzuordnen; Anm. d. Redaktion]: Also ich glaube, wir haben damals oder die Leute, die da so pessimistisch waren, haben damals zum einen die Disziplin der Mehrheit der Bevölkerung unterschätzt und die Gefahr durch neue Mutanten insbesondere überschätzt. Das war er schon damals so ein bisschen die Diskussion. Es ist ja so, dass wir bei der englischen Variante z.B. feststellen müssen, die hat jetzt eben nicht zu der angesagten explosionsartigen Fallvermehrung geführt. Ich erinnere mich noch an Zahlen und an so Grafiken, die da präsentiert wurden, wo einem angst und bange wurde. Diese Explosion hat nicht stattgefunden, weil eben die englische Variante, die ja jetzt tatsächlich mehrheitlich in Deutschland ist – das ist hier die dominierende Variante – weil die sich im Prinzip genauso verhält wie das Virus vorher und im Prinzip durch kluge Gegenmaßnahmen eben genauso unter Kontrolle zu bekommen ist. Und immer, wenn wir ihr irgendwie die Türen aufmachen, z.B. jetzt gerade höhere Inzidenz bei jüngeren Menschen, natürlich durch die Schulen und dadurch, dass die v.a. nicht geimpft sind und dadurch, dass sie sich natürlich auch z.T. jetzt locker machen im Frühjahr, dann geht diese Variante hoch, aber sie führt nicht zu dieser Explosion, weil der Unterschied in der Infektiosität, also sozusagen im Reproduktionsfaktor R, (...) ist für die Epidemie insgesamt und für die Frage der Gegenmaßnahmen eben nicht relevant. Und dann gab es ja damals noch diese Daten aus dem Vereinigten Königreich, wo manche dann sofort geschlossen haben: Das ist ein gemeingefährliches tödliches Virus. Da war ich schon immer so ein bisschen irritiert, weil in den USA hieß es in den Medien immer „könnte sein.“, „es gibt Hinweise darauf“ und bei uns haben Politiker und Journalisten gesagt das Virus (...), also die Variante, sei gefährlicher und tödlicher. Das hat sich zu hundert Prozent nicht bewahrheitet und es war auch so, dass in Großbritannien die Zahlen eigentlich nicht schlüssig waren, von Anfang an und v.a. in den


Regionen, wo B.1.1.7 sich dort ausgebreitet hat, die Sterblichkeit überhaupt nicht hochgegangen ist, z.T. auch niedriger war als im Durchschnitt. Und aufgrund dieser ganzen Fragezeichen die damals da waren wäre es glaube ich, in der öffentlichen Kommunikation und auch von den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen her gut gewesen zu sagen „wir haben da Hinweise“, „es könnte sein, dass“, „wir sind deshalb einen Ticken vorsichtiger, als wir sonst wären“. Aber es ist immer wahnsinnig gefährlich, etwas als die Begründung für drastische Maßnahmen anzuführen. Wenn die dann hinterher wegbricht, dann fragen sich manche Leute ja, warum haben wir dann überhaupt das alles gemacht? Und deshalb plädiere ich eben v.a. an diejenigen, die zu diesen Ergebnissen gekommen sind, die sollten vielleicht noch einmal genauer erklären, wie diese Änderung in der Beurteilung dann jetzt angesichts der neuen Daten wissenschaftlich begründet wird.


19:12 


Jan Kröger


Nun schauen wir auf das Thema, was viele zurzeit umtreibt, nämlich die Rechtsverordnung für Geimpfte und Genesene, die wohl noch in dieser Woche kommen soll. Für die – im Moment sind es – acht Prozent der Bevölkerung, die zweifach geimpft sind und 2 Wochen danach, so ist die Voraussetzung, sollen dann wesentliche Kontaktund Ausgangsbeschränkungen z.B. fallen und eben auch so etwas wie Testund Quarantänepflicht nach der Wiedereinreise nach Deutschland. Über das Verfassungsrechtliche ist viel diskutiert worden in der Politik, auch bei uns in unserem Sender, in vielen anderen Medien auch. Wir schauen das uns aus der virologischen Warte an und da gibt es doch einige Fachleute, die Einwände dagegen haben. Einen habe ich gehört am Sonntagabend bei Anne Will. Das ist der Virologe Martin Stürmer aus Frankfurt. Der hat das folgendermaßen kritisiert:


„Es haben sich ja immer noch trotz Impfung Menschen angesteckt. Und wir haben ja auch immer wieder jetzt die Fälle in den Altersheimen gesehen, wo sich doppelt Geimpfte eben angesteckt haben. Da sind die Virusmengen vielleicht nicht mehr so hoch und der Zeitraum, wo das Virus abgegeben wird, nicht mehr so


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lang. Das heißt aber nicht, dass diese Personen nicht ansteckend sind. Das heißt, wir haben ein Restrisiko und da kommen wir natürlich in eine Problematik, wenn wir über die möglichen, zwar juristisch sinnvollen oder nachvollziehbaren Argumente reingehen, weil wir dann wieder mehr Kontakte zulassen und in ein Risiko laufen.“


Ja, wie groß ist das Risiko ist die Frage, die sich für mich daran anschließt.



Alexander Kekulé


Ja, also das ist genau die richtige, die Gretchenfrage, wenn ich mal so sagen darf. Die Frage ist eigentlich: Mit welchem Risiko gehen wir um? Herr Stürmer hat es ja völlig richtig benannt. Das entscheidende Wort hier heißt Restrisiko. Ein Restrisiko ist ja schon so definiert, dass es ein Risiko ist, dass man in Kauf nimmt, weil man zur Beseitigung dieses Restrisikos meistens überproportional drastische Maßnahmen ergreifen müsste. Also nur noch mal zur Definition. Und ich sehe es auch so: es ist ein Restrisiko. Ich glaube, er hat diesen Begriff verwendet, ohne es so zu meinen. Weil sonst hätte er dafür plädiert, dass man das in Kauf nimmt, dass ist sozusagen das Wesen des Restrisikos. Also das ist die Debatte, die jetzt gar nicht so sehr virologisch ist, sondern die eigentlich gesellschaftlich zu führen ist. Herr Stürmer hat das völlig richtig erklärt. Wir haben eine Situation, das Geimpfte, auch Genesene – gilt für Genesene genauso – sich insbesondere mit den neuen Varianten infizieren können. Also mit genau dem gleichen Typ nochmal eine Infektion, das würde ich mal sagen, ist ziemlich exotisch. Aber wenn das Virus sich ein bisschen verändert hat, dann – das wissen wir definitiv – kommt es zu Zweitinfektionen. Das haben wir gesehen mit der südafrikanischen Variante. Das haben wir ganz massiv in Brasilien gesehen, hier auch schon oft darüber gesprochen, im Amazonas mit diesem P1, was also ganz eindeutig Menschen mehrfach infiziert hat. Und es gibt jetzt aktuelle Daten, die habe ich aber nur in einer (...) der üblichen Zoom-Konferenzen bisher gehört, dass auch in Israel beobachtet wurde, dass sogar die indische Variante in Israel Infektionen bei doppelt Geimpften gemacht hat, bei mit BioNTech Geimpften. Das heißt also ja, es kommt zu solchen Fällen. So wie es aussieht,


ist es erwartungsgemäß so, dass das keine schweren Verläufe mehr sind. Also nichts, was jetzt volksgesundheitlich eine Rolle spielen würde. Also wenn da mal einer stirbt, ist es eher exotisch. Und ja, der Zeitraum der Infektiosität und wahrscheinlich auch die Dosis, also die Viruslast mit der man da rum läuft, sind beide reduziert. Das heißt, die Ansteckungswahrscheinlichkeit ist geringer. Insbesondere würde ich sagen Superspreading – also, dass einer ganz viele auf einmal ansteckt in so einem geschlossenen Raum – ist wohl extrem unwahrscheinlich. Und jetzt müssen wir als Gesellschaft aufgrund dieser ziemlich einfachen Datenlage... Ich finde, das ist schon lange klar und auch nicht schwierig, das war eigentlich schon klar, bevor man angefangen hat zu impfen, dass es in diese Richtung gehen wird. Jetzt müssen wir überlegen, können wir damit leben? Oder wofür haben wir dann überhaupt diese ganze Impferei gemacht, wenn wir am Schluss sagen mehr: Mehr Freiheiten gibt es aber nicht, weil einer von 10.000 könnte doch noch jemanden anstecken. Also ich, Sie hören schon durch, bin absolut der Meinung, das Wort von Herrn Stürmer übernehme ich jetzt, ohne dass ich glaube, dass er es so gemeint hat, das ist ein Restrisiko. Das nehmen wir bitteschön in Kauf, so wie wir mit ganz vielen Risiken leben. Ja, wir haben ganz viele Risiken in unserem Leben, die wir z.T. deshalb in Kauf nehmen, damit wir komfortabel und bequem leben können. Und dieses Restrisiko, dass jetzt jemand, der geimpft oder genesen ist, eine Variante weitergeben könnte, das müssen wir in Kauf nehmen, und die gesamte Gesellschaft eben halbwegs, sag ich mal, resilient dagegen machen. Das heißt, wenn viele Andere geimpft sind, dann werden auch die, wenn sie dann im Übertragungsfall sich das neue Virus holen – so eine Variante – werden, die ja auch nicht schwer erkranken. Wir hatten diese Diskussion. Ich durfte dieses Hygienekonzept in Berlin für einige Altenheime machen, dort mit der Caritas zusammen. Ich glaube, das war das erste in Deutschland, was jetzt so richtig runter dekliniert hat. Da hatten wir auch die Situation, dass bei den alten Leuten ein Teil, so etwa zehn Prozent sind das manchmal, sich einfach nicht impfen lassen wollen oder von den Angehörigen da überredet werden, es nicht zu tun. Da haben sie einfach dann die Situation:


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90% Geimpfte schützen 10% Ungeimpfte mit. Und ja, es gibt das Restrisiko von Varianten, die dann doch überspringen können. Aber ich bin der Meinung, wenn wir diesen „Minimal-Mut“ als Gesellschaft nicht haben, dann können wir uns gleich quasi den berühmten Taucheranzug anziehen und alle in Handschellen legen, um zu verhindern, dass wir irgendwie ein Virus abkriegen können.


2 4:45


Jan Kröger


Nicht mit dem Taucheranzug, aber mit den Virusmutationen, mit den Virusvarianten, sprechen sie den zweiten Kritikpunkt an, auf den ich zu sprechen kommen möchte. Den hat Ute Teichert geäußert. Das ist die Vorsitzende des Bundesverbands der Amtsärzte in Deutschland, und sie kritisiert die Befreiung von Testund Quarantänepflichten für Geimpfte nach einer Reise in ein Risikogebiet. Sie sagt ohne umfassende Tests verlieren wir den Überblick über das Infektionsgeschehen gerade auch mit Blick auf die Virusvarianten.



Alexander Kekulé


Das ist ein anderes Thema, da hat sie vollkommen Recht aus meiner Sicht. Das würde ich nur unterstreichen, und zwar gibt es sogar 2 Argumente eigentlich. Das eine ist tatsächlich der epidemiologische Blick auf die Lage. Da haben wir in Deutschland ja sehr, sehr spät angefangen zu erkennen, dass das wirklich dringend notwendig ist, hier auch ganz massiv nach den Varianten zu gucken bei uns – anders als die Briten, die schon seit März letzten Jahres damit anfingen. Das gilt insbesondere für die Einschleppung von neuen Varianten. Da sollten wir natürlich schon wissen, was los ist, das ist völlig klar. Und ich bin deshalb schon dafür, dass man bei der Einreise nach wie vor strenge, also nicht nur die geimpft oder genesen als Voraussetzung hat, sondern nach wie vor testet und zwar mit PCR, bin ich sogar der Meinung, und zwar insbesondere aus diesen Hochrisikogebieten, vielleicht auch aus den Variantengebieten. Da denke ich jetzt wirklich jetzt nicht an Leute, die aus Tirol kommen, oder den kleinen Grenzverkehr zu Frankreich oder sowas (der soll jetzt bitte nicht verkompliziert werden), sondern Einreise aus außerhalb der EU. Das heißt z.B., wenn jemand aus Indien mit dem Flugzeug kommt o.Ä. Es ist auch so,


dass man sagen muss diese Zeugnisse(...), die werden sowieso, kann man hier, glaube ich, ungeschützt sagen, in bestimmten Ländern gegen kleines Geld jedem ausgestellt. Da kriegen Sie quasi einen Zettel, zahlen Sie 2 0 oder 30 Dollar und dann haben sie die Bescheinigung, die sie da brauchen. Und weil man weiß, dass es in vielen Ländern, gerade solchen mit nicht so guten staatlichen Strukturen wie bei uns häufiger mal vorkommt, glaube ich, sollten wir da schon eigene Mechanismen entwickeln. Das heißt also, wenn jetzt Leute z.B. aus Indien kommen, würde ich sagen, egal was die dabeihaben, die gehen ein paar Tage in Quarantäne und werden bei uns getestet, weil wir eben wissen, dass dort diese Variante unterwegs ist. Und bisher ist es ja auch noch Gang und Gäbe. Das würde ich nicht erleichtern. Aber ich glaube, ich habe das mal GGG-Strategie schon vor einiger Zeit genannt, also genesen, geimpft, getestet, bei diesem GGG muss man schon das dritte G besprechen, also das getestet. Es ist natürlich so, beim Testen gibt es, selbst wenn man es richtig machen will (gerade mit einem Antigen-Schnelltest) gibt es halt Leute, die sind falsch-negativ. Die glauben wirklich, dass sie echt getestet wurden, negativ sind. Und aus tausend Gründen kann man sich da irren. Und die Diskussion müssen wir, glaube ich schon, wenn ich mal so sagen darf, als Gesellschaft führen. Wollen wir zumindest im Inland die Getesteten mit den anderen beiden gleichstellen? Aus praktischen Gründen. Ich finde, ja. Weil alles andere ist nicht praktikabel und würde wahrscheinlich beim Bundesverfassungsgericht durchfallen. Und ich glaube, das ist auch der Ansatz vieler Bundesländer und vieler Leute, die jetzt das im Moment diskutieren. Es gibt aber noch so ein paar, die sagen: Nein, die getesteten kann man nicht gleichstellen, weil es da auch Fehler geben kann. Ich bin wirklich dafür, dass wir jetzt an dieser Stelle der Pandemie, wo wir auch so ein bisschen das Licht am Ende des Tunnels sehen, wirklich sagen: GGG (...) ist bei uns quasi ein Freibrief, wo wir trotzdem weiterhin überwachen, natürlich insbesondere bei Ausbrüchen oder auch bei der Einreise. Aber wer eine dieser drei Möglichkeiten sozusagen nachweist, der hat halt dann weniger Restriktionen.


Jan Kröger


Sie haben die Nachweise schon angesprochen. 7


Der Test ist ja jetzt im Moment noch der leichteste. Was als Nachweis für Geimpfte dienen wird, ist noch immer nicht ganz klar. Oder wie er genau aussehen wird, z.B. dieser digitale Impfpass, der europaweit oder EU-weit kommen soll. Und dann erreichen uns auch viele Nachfragen, auch von unseren Hörern, was die Kategorie der Genesenen angeht. Dort ist ja im Gespräch oder angedacht, einen maximal sechs Monate alten PCR-Test vorzulegen. Und die Frage, die sich deswegen viele stellen, warum kann man das nur via PCR-Test nachweisen und nicht etwa per Antikörpernachweis?



Alexander Kekulé


Ja, da gibt es viele Fragen. Also das eine ist, warum PCR. Ja, weil die PCR halt üblicherweise von Laboren gemacht werden. Und wenn man da so ein Stempel vom Labor hat, ist es natürlich mehr wert. Der Antikörpernachweis ist meines Erachtens genauso wertvoll, also wenn man eine Blutabnahme macht und vielleicht sogar noch wertvoller, wenn man damit Nachweis hat, dass man genesen ist. Ich wäre dringend dafür, dass das selbstverständlich mit in die Liste der Nachweise für Genesene hineinkommt. Ein bisschen schwieriger ist es bei den Antigen-Nachweisen, also diesen Schnelltests. Dass man die nicht mit reinnimmt, finde ich eigentlich richtig, weil die üblicherweise selbst gemacht werden oder unter improvisierten Bedingungen gemacht werden. Jetzt nicht so richtig von einem Facharzt, der dafür ausgebildet ist. Und die sollen ja eigentlich auch bestätigt werden, hinterher durch einen Labortest. Wir haben in diesem Podcast ja unseren Hörern immer wieder den Rat gegeben, falls Sie mal positiv im Antigen-Schnelltests sind, sich schnellstens ein Beleg aus dem Labor zu holen per PCR, dass sie tatsächlich positiv waren, falls dieser Impfpass irgendwann kommt. Also ich glaube, die Antikörper, die positiven, die sollte man auf jeden Fall, da gibt es gar keinen anderen Grund, mit in die Liste aufnehmen. Ich halte nichts von dieser Sechs-MonateBegrenzung, weil wir da auch wieder in so einem Bereich kommen... Ja, es gibt die Theorie, dass möglicherweise nach einiger Zeit – kann sein vielleicht schon nach sechs Monaten – bei einigen irgendwie der Immunschutz schwächer wird. Aber der Hintergrund ist doch der: Wir wissen sowieso, dass Geimpfte, Genesene und leider auch Getestete niemals zu hundert Pro-


zent sicher sind, was die Weitergabe v.a. des Virus betrifft. Da haben wir gerade darüber gesprochen, diese Möglichkeit gibt es. Wenn ich vor diesem Hintergrund stehe, dann ist es doch völlig absurd zu sagen, jemand bei dem die Infektion mehr als sechs Monate zurücklag, der gilt jetzt nicht mehr als geschützt. Da gibt es überhaupt keine Daten dafür, das ist nur eine Vermutung und da würde ich auch wieder sagen, das gehört in dieses Paket von Restrisiken, die wir halt einfach jetzt in dieser Phase in Kauf nehmen müssen. Sie können hier nicht mit deutscher Gründlichkeit vorgehen, wenn wir gegen eine Pandemie kämpfen. Das erinnert mich so ein bisschen an das Vorgehen der Bundesregierung damals bei Ebola 2 014, wo alle anderen Nationen in Windeseile Zeltlager aufgebaut haben und nach dem Vorbild von Ärzte ohne Grenzen o.Ä. halt schnell irgendwie versucht haben zu helfen, da in Westafrika. Nur die Deutschen da musste, alles ISOkonform seien, da mussten die Leitungen, also Rohre, richtig in die Erde verlegt werden. Da kamen Elektriker, die gesagt haben, die elektrischen Leitungen müssen stimmen. Da kamen Statiker, die gesagt haben wie stark ist der Winter überhaupt in Westafrika? Wie stabil muss das Dach sein? Und am Schluss hatte das ganze Haus auch noch ein richtiges Beton Fundament. Und als es fertig war, war die Epidemie dort längst vorbei. Und darum kann ich nur drauf plädieren, auch aufgrund dieser geradezu peinlichen Erfahrungen von Ebola 2 014-2 015, dass wir ich hier also sagen: Okay, man muss da ein bisschen improvisationsbereit sein. Und das heißt für mich, jetzt diese SechsMonats-Klausel aufzunehmen, ist auf jeden Fall falsch. Wo man viel mehr Energie darauf verwenden sollte, statt sich solche, sag ich mal, Spitzfindigkeiten zu überlegen, ist der sichere Impfpass. Das kann doch nicht sein, dass die in Ungarn schon längst so eine Karte haben, wo jeder nachweisen kann, dass er geimpft ist. Ob die fälschungssicher ist, weiß ich jetzt nicht, und wir in Deutschland das nicht einmal mit einer App oder irgendwie hinkriegen. Ich kann nur davor warnen, jetzt zu warten, die Hände in den Schoß zu legen, bis die EU irgendetwas tut. Das hat sich in der Vergangenheit bei sehr vielen Projekten nicht bewährt. Ich würde wirklich sagen wir brauchen einen Impfpass, der sicher ist. Der gelbe Pass ist natürlich


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überhaupt nicht fälschungssicher, zumal man in den gelben Pass ja auch weder getestet noch genesen eintragen kann, also diesen gelben, klassischen Impfpass. Das muss also ein spezieller Corona-Impfpass sein. Und ich plädiere dafür, dass jeder Arzt, jeder approbierte Arzt, wenn er vielleicht registriert oder niedergelassen ist, den ausstellen darf. Und am besten wäre es, wir hätten dafür eine App. Und ich meine, wir machen alle Online-Banking irgendwie mit dem Handy. Warum kann man nicht eine App aufs Handy spielen, wo der Arzt einfach freigibt, wenn man eins der drei Gs erfüllt? Ich bin sicher, wenn Sie das so ein paar Tüftlern in die Hand drücken und die Tag und Nacht dran arbeiten, dann haben die ihnen die App nach 2 Wochen auf die Schiene gebracht. Das ist ja kein Hexenwerk, wo auch datenschutzmäßig wenig Komplikationen sind, weil das ja etwas ist, was nur der Betroffene selbst in der Hand hat. Und wenn Deutschland wirklich nicht in der Lage ist, im 2 1 Jahrhundert so eine App auf die Beine zu stellen, dann würde ich sagen gut, dann soll es halt die Plastikkarte sein, so wie in Ungarn. Aber da meine ich doch, das ist doch wirklich möglich. Und dann, wie gesagt, Freigabe durch jeden Arzt. Das wäre auch keine hundertprozentige Sicherheit, da wird der ein oder andere sagen: ja, aber, so ein Arzt könnte das Fälschen. Klar, es werden auch Krankschreibungen aus Goodwill ausgestellt von Ärzten, aber da sind wir wieder an so einem Punkt, wo wir sagen müssen, nächste Stufe wäre dann polizeiliche oder amtsärztliche Überprüfung. Wo kommen wir da hin? Und deshalb vertrauen wir einfach mal der Ärzteschaft, wissend, dass die eine oder andere Impfbescheinigung vielleicht dann nicht ganz so wasserdicht ist. Aber damit muss man in einer freien Gesellschaft leben.


35:00


Jan Kröger


Und wir werden über das Thema der Nachweise heute sicherlich nicht zum letzten Mal gesprochen haben.


Am letzten Donnerstag, da haben wir hier bereits die Debatte eröffnet sozusagen, was die Impfungen für Kinder und Jugendliche angeht. Auf diese Debatte möchten wir auch heute wieder zu sprechen kommen. Es sind allerdings 2 neue Fakten hinzugekommen, nämlich


die Zulassungsanträge vom Hersteller von BioNTech und Pfizer für den Impfstoff, zunächst einmal für 12 bis 15-Jährige. Dieser Zulassungsantrag ist in den USA offenbar schon ziemlich weit. CNN berichtet, dass bis Anfang kommender Woche schon grünes Licht für eine Notfallzulassung in dieser Altersgruppe gegeben werden könnte durch die Arzneimittelbehörde FDA. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA, die hat den Antrag bereits auch seit Freitag vorliegen. Dort ist nach deren eigenen Angaben voraussichtlich im Juni mit einer Entscheidung zu rechnen. Nun haben Sie am Donnerstag gesagt: „Ich hoffe sehr, dass die EMA genau prüft. Ich habe die Sorge, man winkt das durch.“ Können Sie noch ein bisschen näher erläutern, was sie damit meinen? Jetzt bis Juni ist ja noch ein bisschen Zeit, auch für die EMA, das zu prüfen.



Alexander Kekulé


Ja, es geht ja (...) also (...) Manchmal hört man Dinge von den Dächern pfeifen und es scheint so zu sein, als werde es quasi schon besiegelt, dass die FDA das genehmigen wird, für die 12 bis 15-Jährigen, den RNA-Impfstoff. Es geht hier nicht so sehr um die akuten Nebenwirkungen. Das ist halt einfach die Frage: Was erwartet man von so einem Impfstoff? Und da ist es so, dass wir hier eine Notfallzulassung haben, in USA wie bei uns. Und die ist eigentlich klar daran gekoppelt, dass für diejenigen, die geimpft werden, die Vorteile die Risiken überwiegen müssen. Ich glaube, dass das Risiko akuter Komplikationen in dieser Altersgruppe – wir reden ja jetzt noch nicht über die jüngeren Kinder – (...) jetzt in dem Alter nicht sich wesentlich unterscheiden wird, von den 16bis 2 5-Jährigen o.Ä. Da würde ich sagen das Immunsystem ist ausgereift, es sind schon etwas größere Kinder und definitionsgemäß bei uns in Deutschland ab 14 Jahren sowieso keine Kinder mehr. Darum glaube ich, diese Altersgruppe ist da relativ unkompliziert. Wir müssen nur wirklich festhalten: Ein normaler Impfstoff, wenn der untersucht wird, wenn der geprüft wird, da guckt man auf die Erfahrungen von mehreren Jahren, um zu sehen, ob irgendwelche Langzeitprobleme auftreten. Selbst bei Impfstoffen, wo das Wirkprinzip uralt ist, wo wir wissen es hat schon hundert Mal funktioniert. Und beim Hunderteinsten guckt man trotzdem zumindest halbwegs brauchbare


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Langzeitstudien an. Von der Zahl der Probanden ist es so, dass wir auf jeden Fall genug Daten haben. Das ist ja so schnell und so gründlich passiert bei Covid, wie nie zuvor. Aber wir haben eben – das liegt in der Natur der Sache – nur einen kurzen Zeitraum. Und auch diese Notfallzulassung in Europa, die ist ja deshalb eine Notfallzulassung, weil definitionsgemäß ein paar Daten fehlen und zwar v.a. die Daten, die Geimpften über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Da geht es dann weniger um die Wirksamkeit als um die möglichen unerwünschten Effekte. Typischerweise, ich glaube, das ist bei den aktuellen Studien auch so, werden diese Studien auf 2 Jahre angelegt. Da guckt man also 2 Jahre lang sich an, ob noch irgendwelche Nebenwirkungen auftreten, die man eben nach 2 Monaten noch nicht gesehen hat. Und deshalb sind das vorläufige Daten die ganzen Studien laufen ja auch weiter. Im Moment ist es nicht so, dass die abgeschlossen wären, sondern da ist eine Zwischenauswertung quasi der Zulassungsbehörde vorgelegt worden. Und das alles ist richtig und begründet, weil wir Menschenleben retten müssen. So steht es auch in den rechtlichen Bestimmungen in Europa zumindest, bei der FDA habe ich es jetzt nicht noch einmal ganz genau nachgelesen. Aber ich nehme an, dass das genauso ist. Wir müssen hier Menschenleben retten und darum ist es berechtigt, ohne dass man vollständige Daten hat, quasi eine Zwischenauswertung zu machen. Und ich will das Ergebnis überhaupt nicht vorwegnehmen. Aber ich will nur noch einmal quasi den Blick schärfen dafür, dass der Nutzen für die Kinder selber statistisch gesehen gering ist, weil die Komplikationen bei Kindern, LongCovid oder dieses Multi-inflammationssyndrom, ja sehr, sehr, sehr seltene Probleme sind. Und bei dem Multi-inflammationssyndrom, also MIS C heißt es auch, da ist es so, dass das manchmal tödlich endet, aber insgesamt ist jetzt, sage ich mal, die Sterblichkeit bei Kindern nicht einmal ansatzweise ein Grund zu sagen, da müssen wir unbedingt eine Notfallzulassung haben. Und dann, ohne jetzt da so ins Detail zu gehen, aber es ist ja so, wir haben hier einen Impfstoff, der ein völlig neues Wirkprinzip hat. Also so ein RNA-Impfstoff. Ich bin immer noch begeistert, dass das auf Anhieb so perfekt funktioniert hat. Aber es ist eben der


erste Versuch. D.h. man kann in die Medizinbücher, in der Medizingeschichte jetzt reinschreiben: wir haben Erfahrung mit RNAImpfstoffen, wenn man mal die Zwischenergebnisse der ersten großen Studien sich anschaut, seit letztem November. Das ist unser Rückblick, unser Blick zurück. Und der Blick nach vorne bei Kindern sind eben dann


80 Jahre Lebenserwartung. Und dieser Blick nach vorne ist für uns Terra Incognita, das ist ein unbekanntes Land. Wir haben keine Ahnung, was da passieren könnte, weil wir auch nicht extrapolieren können von den Impfstoffen, die wir schon kennen. Das ist ein neues Wirkprinzip. Und da gibt es eben dann immer das, was man in der Risikobetrachtung die unknown unknowns nennt. Also, es gibt die bekannten Risiken. Und dann gibt es Risiken von denen man weiß, dass sie existieren müssen oder existieren sollten. Aber sie sind noch nicht konkret bekannt. Das wären dann die known unknowns und dann gibt es eben solche, wo man hinterher sagen muss: Mensch, da sind wir nicht im Traum darauf gekommen, dass es das geben könnte. Und das ist eben das, was eben die unknown unknowns, die unbekannten Unbekannten sind. Es ist schon, sage ich mal, theoretisch – da gibt es Leute, die Bücher darüber geschrieben haben – gar nicht möglich, solche unknown unknowns für die Zukunft auszuschließen, sondern man kann nur, je länger man Dinge beobachtet, eine höhere Sicherheit bekommen aufgrund der Erfahrungen, die man gemacht hat. Deshalb plädiere ich dafür, wirklich diese Risikoabwägung auch für die Kinder noch einmal von vorne zu machen. Und nicht sozusagen dem Reflex zu folgen, dass man sagt: Mensch, ich will jetzt endlich wieder Urlaub machen, lasst uns alle Kinder impfen, dann ist der Spuk vorbei.


Jan Kröger


So haben sie es ja auch am Donnerstag schon begründet. A) Kinder werden seltener, schwerkrank oder deutlich seltener, wie sie es jetzt auch gesagt haben. Und B) Kinder verbreiten auch das Virus weniger intensiv. Da habe ich auch über unsere Hörer-Mails, auch auf Twitter, einiges an Widerspruch erfahren, häufig auch in Bezug auf die derzeit hohen Inzidenzen in der Altersgruppe zwischen fünf und 19 Jahren, auf die sie heute allerdings auch selber schon eingegangen sind. Also, Widerspruch?


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Oder wie passt das zusammen? Das möchte ich jetzt, glaube ich, gerne noch mal auflösen.



Alexander Kekulé


Ja, das ist überhaupt kein Widerspruch. Also das Eine sind die Daten, dass wir bei Kindern offensichtlich weniger Übertragung haben. Das ist zumindest jetzt die Auswertung der CDC, also dieser amerikanischen Gesundheitsbehörde, die alle Studien, die es dazu gibt, sich angesehen hat. Und die sagen also, unterm Strich sieht so aus, dass zumindest jüngere Kinder, ich sage jetzt mal so bis zehn Jahre, dass die aus Gründen, die wir nicht genau kennen, wo wir aber viele Theorien drüber haben, wohl das Virus weniger häufig weitergeben und wohl auch sogar weniger häufig bekommen. Das hat also offensichtlich was mit dem angeborenen Immunsystem bei den Kindern zu tun, möglicherweise hat es damit zu tun, dass das daueraktiviert ist. Es werden viele Faktoren diskutiert, bis hin zu der Frage, wie viele Rezeptoren die auf der Schleimhaut haben, von diesen sogenannten ACE2 -Rezeptoren, die das Virus für den Eintritt braucht und und und. Aber warum auch immer das so ist, für das Virus ist sozusagen ein Kind unter zehn nach den jetzigen Daten ein schlechteres Vehikel sich auszubreiten als jemand, der älter ist. Das ist das eine. Das andere ist jetzt natürlich die Frage wo beobachten wir im Moment gerade eine hohe Inzidenz? Und da ist es so, wie ich eingangs sagte, in den letzten Wochen ist es speziell, seit wir eben mit den Kitas und Schulen wieder großzügiger sind, haben wir einen deutlichen Anstieg in dieser Altersgruppe. Also bei den ganz jungen bis 14, sage ich mal, oder bis zehn sogar tatsächlich, wenn man sich die Daten vom RKI anschaut. Dienstags werden die immer aktualisiert, diese altersspezifischen Daten. Aber die Daten für heute sind noch nicht raus gewesen, als wir das jetzt aufzeichnen. Aber trotzdem ist der Trend bisher ziemlich eindeutig. Aber das ist eben das, was man einen Founder-Effekt nennt, weil hier das Virus quasi sich ausbreitet in einer Population, in einer Teilpopulation, wo es sich eben vorher aus verschiedenen Gründen noch nicht besonders stark ausgebreitet hat. Einer der Gründe ist, dass wir die Kinder vielleicht besser beschützt haben, Schulschließungen usw. Ein anderer Grund kann einfach sein, dass es eben schwieriger ist für das Virus, sich dort auszu-


breiten. Und darum kommen sozusagen die Welle in diesem Bereich erst zu einem Zeitpunkt, wo woanders die Wellen schon durchgelaufen sind, es gibt tausend Theorien. Aber ich kann es nur noch mal sagen: Diese anfänglichen Vermutungen – und es war offensichtlich das, was einige Hörer da im Kopf hatten – da, wo man gesagt hat B.1.1.7 infiziert auf Grund biologischer Eigenschaften eher junge Menschen und Kindern, das hatte man in England mal so vermutet, das ist längst vom Tisch, und es ist völlig klar, dass das nicht der Fall ist. Und dann bleibt eben nur noch der FounderEffekt.


45:02 


Jan Kröger


Dann kommen wir zur Frage: was würde uns letztlich dieser Impfstoff bringen für Kinder und Jugendliche, vielleicht auch irgendwann unter 12 -Jährige? Die Debatte ist in den letzten Tagen ein wenig weitergegangen. Jörg Dötsch hat sich geäußert. Er ist Professor für Kinderund Jugendmedizin am Uniklinikum Köln. Gestern im Deutschlandfunk hat er sich folgendermaßen dazu geäußert:


„Es ist immer ganz wichtig, dass eine Impfung oder auch eine medikamentöse Therapie bei Kindern nur dann zur Anwendung kommt, wenn sie einen direkten Nutzen für das Kind oder den Jugendlichen selbst hat. Gleichzeitig kann es natürlich ein positiver Nebeneffekt sein, dass dadurch, dass wir mehr Kinder und Jugendliche impfen, dann auch insgesamt mehr Menschen geimpft sind, sodass die Erkrankungsausbreitung gestoppt wird. Das ist ja das, was wir mit dem – ja etwas sperrigen Begriff – Herdenimmunität bezeichnen. Im Endeffekt, wenn die Pandemie dadurch gestoppt werden kann, profitieren natürlich alle: Kinder, Jugendliche und Erwachsene.“



Alexander Kekulé


Also was Herr Dötsch gesagt hat, ist in jeder Hinsicht richtig. Zum Ersten erinnert er daran – und das ist eben in der Diskussion gar nicht selbstverständlich. Und nochmal, ich hoffe, dass die EMA, dass die Europäische Arzneimittelbehörde das berücksichtigt: Es muss den Kindern selbst nutzen. Das ist meines Erachtens, wie ich das lese, auch im europäischen Gesetz so verankert. Zweitens, sagt Herr


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Dötsch, ist es ein Nebeneffekt, dass wir möglicherweise die sogenannte Herdenimmunität dann dadurch erreichen können, und zwar nur dann, wenn dieser Nebeneffekt da eintritt, hat er gesagt, dann wäre das zu akzeptieren, dass man das macht unter Umständen, seiner Meinung nach. Das ist ja dann kein medizinisches, sondern eher ein ethisches Urteil. Und ich glaube, genau in diesem Spannungsfeld müssen wir wirklich die Diskussion führen. Und zwar nicht die Exekutive, sondern das muss die Bevölkerung, letztlich dann der Bundestag oder die Parlamente müssen das führen. Wollen wir hier ausnahmsweise, in Abweichung von der Regel, den Kindern eine Impfung zumuten, obwohl wir nicht nachweisen können, dass es ihnen individuell was nützt und obwohl die Langzeitrisiken einfach ein Fragezeichen haben? Ohne jetzt jemandem Angst machen zu wollen. Aber es ist einfach ein Fragezeichen. Und da muss man eben verschiedene Sachen diskutieren. Das Eine ist mal als Erstes: es gibt ja auch Alternativen. Es ist ja so, dass man nicht unbedingt diese ganz neuen Impfstoffe nehmen muss. Es gibt bekanntlich von Novavax einen Impfstoff, der ist ein Protein-basierter Impfstoff, der also im Prinzip auf einem alten Verfahren beruht und der auch noch den Vorteil hat, dass diese 2 Prolin-Mutationen hat, also eine sehr gute Wirksamkeit hat. So ähnlich wie die RNA-Impfstoffe – die Wirksamkeit ist nicht ganz so gut, liegt glaube ich so bei 90 Prozent – aber das ist trotzdem völlig in Ordnung. Die hatten ein bisschen Produktionsprobleme, weil irgendwelche 2 .000-LiterBeutel nicht mehr lieferbar waren o.Ä. Die sind jetzt wieder da und die haben gerade angekündigt, dass sie im dritten Quartal 150 Mio. Dosen jeden Monat produzieren werden. Seit Februar läuft bei denen das Zulassungsverfahren, also auch wieder diese Notfallzulassung. Rolling Review heißt das, wo also quasi während die Phase-III-Studien laufen, die Zulassung schon auf den Weg gebracht wird. Und die EU hat 2 00 Millionen Dosen dort bestellt, für den Fall, dass die Zulassung kommt. Davon soll ein Teil – ist jetzt in der aktuellen Ankündigung – schon im Dezember ausgeliefert werden, der größere Teil, muss man allerdings fairerweise dazusagen, dann 2 02 2 . Und jetzt kann man einfach mal diskutieren, ohne dass ich jetzt da schon einen konkreten Vorschlag hätte. Aber


man muss diskutieren: ist es für die Kinder jetzt so eilig, dass sie jetzt geimpft werden? Brauchen wir das, wie manche Ministerpräsidenten sagen, im September zum Schulbeginn? Und ist es nicht vielleicht aus verschiedenen Gründen klug oder der sicherere Weg, zu warten, bis ein Protein-basierter Impfstoff, quasi auf einem klassischen Prinzip, zur Verfügung steht? Das wäre dann eben mal so grob gesagt, ein Jahr später oder auch ein Dreivierteljahr später. (...) Also Erstens mal, es gibt Alternativen und nicht nur Novavax. Aber das ist jetzt die, die am nächsten im Raum steht. Zweitens muss man infrage stellen das Ziel der Herdenimmunität: Herr Dötsch hat es ja gerade gesagt, falls die Herdenimmunität dadurch erzielt werden kann. Als Kinderarzt ist das sehr klug, das einzuschränken. Als Epidemiologe kann ich gleich sagen, das ganze Konzept der Herdenimmunität können sie knicken. Das ist eine Wurst, die der Bevölkerung vor die Nase gehängt wird, seit Anbeginn dieser Pandemie. Ich habe mich schon damals in den ersten Talkshows geärgert, die ich im Fernsehen gesehen habe, wo dann dieses Konzept ausgerollt wurde. Das ist bei diesen Coronaviren kaum möglich. Und bei diesem konkreten Virus haben wir spätestens seit dem frühen Auftreten der Varianten den Beleg dafür, dass es nicht möglich ist, die klassische Herdenimmunität zu erzielen. Das haben wir ja vorhin besprochen. Selbst die Genesenen und die Geimpften können noch mal angesteckt werden. Es kommen ständig neue Mutanten. Auf der ganzen Welt werden wie es lange nicht schaffen, die Leute durchzuimmunisieren, zumindest nicht mit dem Impfstoff. Und dann ist es völlig fast schon unlauter, der Bevölkerung zu sagen: Ihr müsst jetzt eure Kinder impfen, damit wir Herdenimmunität erzielen. Das ist nicht so. Wir erwarten keine Herdenimmunität. Dieses Virus kam, um zu bleiben.


Jan Kröger


Das wirft dann erst einmal hier für Deutschland natürlich die Frage auf, die sich viele Eltern stellen: Wie soll denn dann der Schulbetrieb aussehen im Herbst?



Alexander Kekulé


Im Herbst ist meine Vorstellung, dass wir die Risikogruppen hoffentlich dann mit intensivem Einsatz auch in den Brennpunkten durchim-


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munisiert haben, soweit das möglich ist natürlich. Dann ist das eine Erkrankung, die eine Sterblichkeit hat, die im Bereich von Influenza liegt, einer schweren Influenza vielleicht Und die Kinder werden wir eben dann schützen mit den Methoden, die wir jetzt auch haben: Mit den Schnelltests. Wir werden dafür sorgen, dass es keine Ausbrüche gibt. Und ich kann nur noch einmal daran erinnern: Wir reden ja jetzt hier nicht von Maßnahmen zur Verbesserung der Einzelgesundheit. So als wenn Sie und ich sagen würden wir nehmen jetzt mehr Vitamine oder so was. Sondern es geht um sehr drastische Maßnahmen, die der Staat ergreift, um eine gemeingefährliche Seuche von dem Volk insgesamt abzuhalten. Und mit diesem groben Filter gesehen ist es eben so, dass wir dann schon im grünen Bereich sind, wenn wir Superspreading-Ereignisse verhindern. Weil dann wird dieses R unter eins sein und dann sind wir insgesamt auf dem richtigen Weg, diese Epidemie sozusagen langsam abzudrehen. Oder sie wird zumindest nicht stärker. Wenn wir zusätzlich die Sterblichkeit reduzieren durch die Impfungen, indem wir die klug einsetzen, dann können wir es uns im Herbst leisten, dass natürlich durch diese Schnelltests, die man dann weiterhin machen wird an den Schulen – zumindest an den Schulen, wo Kinder unter zwölf Jahre dann sind – (...) man natürlich mal gelegentlich Infektionen übersieht. Und das gehört für mich dann eben zu dem Restrisiko, was man hier in Kauf nimmt, um auf der sicheren Seite zu sein. Es gibt noch eine andere Überlegung, die man mit in die Waagschale werfen muss. Und das ist ja die: Wie schnell haben wir in Deutschland Impfstoff? Oder wem nehmen wir eigentlich den Impfstoff weg, wenn wir jetzt wie vorgeschlagen bis September die Kinder alle geimpft haben. Und da muss ich sagen es wird ein zäher Weg in diesen Brennpunkten überall die Risikopersonen zu impfen. Die müssen wir erst finden, dann überzeugen, dann impfen. Und da hat man sich ja schon bei der Verhinderung der Infektionen keinen Namen gemacht. Man hätte ja auch in diesen Bereichen Ausbrüche frühzeitiger eingrenzen und verhindern können. Ich glaube deshalb, dass es bei den Impfkampagnen – so toll die jetzt sein mögen – eine Weile dauert, und ich sehe einfach nicht, dass wir quasi dermaßen im Impfstoff-Nachschub


schwimmen, dass wir uns leisten können, dann die Kinder zu impfen, ohne irgendjemand anders im Deutschland, der es dringender braucht, den Impfstoff wegzunehmen. Oder knallhart zu sagen, wenn durch mehr Impfungen auch mehr Menschen sterben in Deutschland, dann ist es der falsche Weg. Vielleicht noch ein Aspekt, den man vor Augen haben muss. Die RNA-Impfstoffe sind extrem erfolgreich. Und es ist so, dass wir natürlich aus diesem Grund – zumindest in den reichen Ländern – die Situation haben, dass diese RNAImpfstoffe und vielleicht später auch noch gute Protein-Impfstoffe, über die wir gerade gesprochen haben, die werden sozusagen die Impfstoffe erster Wahl sein. Das wird ganz automatisch zur Folge haben, dass man von denen mehr bekommt und die VektorImpfstoffe wahrscheinlich dann eher so eine Brückenlösung waren, bis die RNA-Impfstoffe dann voll verfügbar sind. Und das heißt aber dann, dass man in der Situation wirklich die Kapazität mit RNA-Impfstoffen zum jeweiligen Zeitpunkt sich anschauen muss. Das heißt bei uns dann im Wesentlichen Pfizer/BioNTech und ein bisschen Moderna dazu. Vielleicht kommt ja Curevac aus Tübingen dann demnächst auch noch mit in die Runde. Aber das sind dann sozusagen die Impfstoffe, mit denen wir rechnen müssen. Und dann bin ich wirklich der Meinung, wir müssen ganz genau ausrechnen: Haben wir dann wirklich so viel übrig, die – ich habe die Zahl nicht im Kopf, aber es ist eine hohe zweistellige Millionenzahl – so viele Kinder jetzt in Deutschland zu impfen zu dem Zeitpunkt? Und dann natürlich der nächste Schritt, es gibt (...) dadurch trotzdem keine Herdenimmunität bei uns. Und wie ist das eigentlich international? Ja, wir impfen hier auf einem Luxusniveau jetzt auch noch unsere Kinder, obwohl die nicht schwer krank werden in der Regel und nicht sterben. Obwohl eigentlich die Alten ja geschützt sein sollten zu dem Zeitpunkt, also auch Ausbrüche bei den Kindern für die Gesamtpopulation eigentlich keine schweren Folgen haben können. Und währenddessen schauen wir zu, wie die internationalen Hilfsprogramme alle keinen Impfstoff haben. Wenn Sie jetzt mal nach Indien schauen, da ist es so, dass das Covax-Programm, dieses internationale Programm, frühestens im nächsten Jahr anfängt in größerem Stil auszu-


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liefern. Und vor diesem Hintergrund, dass wir jetzt solche Luxusprobleme da lösen, bin ich auch (...) skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Also sie hören es durch, es gibt mehrere Waagschalen. Es gibt eine schwierige Balance zwischen Verwendbarkeit des Impfstoffs, Nutzen für die Kinder selbst, indirekter angeblicher Nutzen für die Herdenimmunität. Und dieses ganze Paket muss man einfach mal offen diskutieren. Da sind die wissenschaftlichen Fakten eigentlich auf dem Tisch. Das ist nur der kleinere Teil. Der schwierigere Teil ist, dass die Gesellschaft sich überlegen muss: Was will ich machen? Nicht, wie sage ich es meinem Kinde, sondern wie mache ich es mit meinem Kinde?


55:2 9


Jan Kröger


Ebenfalls eine Debatte ist so ein bisschen aufgekommen in den letzten Tagen. Da geht es um Impfungen für Schwangere. Die ist ja in Deutschland bislang nicht generell empfohlen, laut den Empfehlungen der ständigen Impfkommission, nur etwa z.B. bei Vorerkrankungen. Anders sieht es z.B. in den USA aus. Da werden auch Schwangere geimpft. Und Intensivmediziner z.B. – hatte ich gestern glaube ich, in der Tagesschau oder auf den Seiten der Tagesschau gelesen – aus dem Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg berichten davon, dass sich eben jetzt auch die Fälle von Schwangeren häufen auf den Intensivstationen, und fordern daher eine Freigabe der Impfungen für sie. Wie stehen Sie dazu?



Alexander Kekulé


Also erstens, dass die Schwangeren eine Risikogruppe sind, ich glaube das ist hier allen klar, die diesen Podcast hören. Es ist so, dass man spät genug das jetzt so in den Fokus genommen hat. Ich habe ja schon kritisiert, dass die auf der Liste des Robert-Koch-Instituts – zumindest zu dem Zeitpunkt, als wir das aufgenommen haben, vor einigen Wochen – ja noch gar nicht als Risikogruppe aufgeführt waren. Die Diskussion ist hier schwierig, zu sagen: Was biete ich den Schwangeren zum Schutz an? Weil, ob jetzt die Impfung sozusagen empfohlen werden kann in Deutschland, da finde ich es richtig, dass unsere Impfkommission da zurückhaltend ist. Man darf ja die Schwangeren impfen. Also was da gesagt wurde ist nicht ganz richtig, „Freigabe“. Natürlich kann nach


dem Aufklärungsgespräch ein Arzt, wenn er das informierte Einverständnis der Patientin hat, eine Schwangere mit einem Impfstoff impfen. Ich würde dann auf jeden Fall einen RNA-Impfstoff empfehlen. Aber das ist möglich. Und jetzt in dieser Situation ist die Frage: Soll man es denn machen? Ist das denn der richtige Weg? Es gibt eine Studie, die gerade im New England Journal of Medicine, das ist so ein ganz wichtiges Journal, was wir so haben. Erschienen ist es am 2 1. April. Da hat die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC Daten ausgewertet von einem Verfahren, das heißt bei denen v-safe health checker (...), also V am Anfang also „virus safe“ soll das wohl heißen. Das ist was ganz Lustiges, irgendwie finde ich typisch amerikanisch, wer da dabei ist, kriegt eine SMS geschickt von der Behörde und soll dann hinterher auf so einer App irgendwie ankreuzen, wenn er mitmachen will, welche Nebenwirkungen er hatte, ob es ihm schlecht geht nach der Impfung usw. Und diese Daten, die natürlich nur eine Stichprobe sind, werden ausgewertet. Da ist auch eine Frage dabei, die immer dann gestellt wird, wenn der Befragte weiblich ist bzw. in Amerika heißt es „nicht männlich“, also wenn einer nicht angegeben hat, dass er männlich ist, dann kriegt er die Frage gestellt ob er schwanger ist, oder sie schwanger ist in dem Fall da, wenn man das so sagen darf. Und wenn das mit Ja beantwortet wird, dann kriegen die einen Anruf und werden gefragt, ob sie bei einem speziellen Verfahren noch einmal für Schwangere mitmachen wollen. Da kriegen sie dann noch mal so ein paar telefonische Fragen gestellt, und das ist dann schon eigentlich alles. Also eigentlich eine sehr, sag ich mal, indirekte onlinebasierte Telefonumfrage-mäßige Kontrolle und das hat man jetzt mal ausgewertet mit einer kleinen Zahl von Patientinnen. 3.958 insgesamt, von denen etwas über 2 .000 BioNTech und etwas weniger als 2 .000 Moderna bekommen haben. Von denen wurden nur 82 7 bis zum Ende der Schwangerschaft verfolgt. Das heißt also einige, aus welchen Gründen auch immer, hat man da nicht richtig bis zum Ende verfolgt. Und da war es dann so, dass man ausgewertet hat: Wie ist es? Gibt es einen Unterschied zwischen denen und den nicht geimpften? Also gibt es irgendein, wie wir sagen, Sicherheitssignal, dass da irgendeine Gefahr ausgeht? Da hat


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man natürlich das übliche ausgewertet, also Frühgeburt, Abort, Fehlgeburt oder schwere Erkrankung der Schwangeren. Was es so alles gibt, was in der Schwangerschaft passieren kann, das ganze Programm. Und es wurde auch weiter gefragt, bis das Kind, sofern es auf die Welt gekommen ist, drei Monate alt war. Aber eben nur drei Monate. Und da ist kein Unterschied rausgekommen. Kein Unterschied beim Sicherheitssignal. Das heißt also bei dieser Umfrage mit den ganzen Schwächen, die sich, glaube ich, jeder denken kann, wenn er gehört hat, wie die entstanden ist, gab es keinen Unterschied zwischen denen, die da geimpft waren, und denen, die nicht geimpft waren.


Jan Kröger


Die entscheidende Frage natürlich jetzt auch aus den Daten, die Sie dort zitiert haben: Was bedeutet das nun für das Risiko bei einer Impfung für Schwangere?



Alexander Kekulé


Ja, also ich weiß, dass manche Fachleute dann daraufhin gesagt haben, es gibt grundsätzlich kein Risiko für Schwangere durch die Impfung mit RNA-Impfstoffen. Ich glaube, diese Aussage „es gibt grundsätzlich kein Risiko“, auf Basis dieser Studie, kann man so nicht stehen lassen. Es ist so, dass diese Studie zwar kein Signal gefunden hat, aber das war eben auch eine kleine Studie. So eine Umfrage hat viele, viele Nachteile. Da macht nicht jeder bei mit. Es ist so, dass die meisten Teilnehmerinnen hier – übrigens gemacht wurde das so von Mitte Dezember bis Ende Februar – und die meisten Teilnehmerinnen waren, weil es immer am Anfang der ganzen Impfkampagnen war, aus dem medizinischen Bereich, also Schwestern und Ärztinnen. Und das ist natürlich schon mal eine besondere Auswahl von Leuten, die man da nimmt, weil die (...) waren früh dran in der Impfpriorisierung. Die wurden natürlich dann verglichen mit dem Durchschnitt der sonstigen Bevölkerung. Ob man das einfach so machen kann, ob jetzt medizinisches Personal im weitesten Sinn in der Schwangerschaft sich genauso verhält wie nicht-medizinisches Personal, das würde ich jetzt mal nicht unterschreiben. Und es ist auch so, dass man eben so soziale Faktoren mit reinbringen muss, weil z.B. Fehlgeburten in bestimmten sozialen Milieus häu-


figer sind. Und wenn man jetzt natürlich da eine Gruppe rausgesucht hat, wo Komplikationen in der Schwangerschaft aufgrund besserer Ernährung, aufgrund vernünftigerer Schwangerschaftsvorsorge usw. selten sind, dann darf man sich nicht wundern, dass auch die Komplikationen bei den Geimpften selten sind. Und deshalb ist es ohne Kontrollgruppe quasi aus meiner Sicht nicht möglich, das sauber auszuwerten. Kleine Zahl hatte ich schon gesagt und dann ist es auch so, dass aufgrund des Zeitablaufs eben die Komplikationen, die überhaupt gemeldet wurden, eigentlich alle im dritten Trimenon der Schwangerschaft waren, also im letzten Drittel der Schwangerschaft. Die Impfungen waren zum größten Teil in der Mitte der Schwangerschaft, im zweiten Trimenon. Aber das ist eben so, dass (...) nur ein ganz kleiner Teil der Patientinnen so verfolgt worden ist, dass man sich von Anfang bis Ende sozusagen die Schwangerschaft anschauen konnte. Es wurde quasi gewertet (...): Wenn die sozusagen innerhalb von 30 Tagen vorher zum ersten Mal geimpft wurden, dann hat man sie in diese Studie reingenommen. Aber das waren nur ganz wenige. Die meisten eben (...) haben berichtet über das letzte Drittel, sodass ich jetzt mal sagen würde, unterm Strich ist es ein interessanter Hinweis in die Richtung. Es ist schon mal beruhigend, dass die dort kein krasses Signal gefunden haben. Hätte ich auch erwartet, ehrlich gesagt. Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, da gibt es grundsätzlich kein Risiko durch diese Impfung von Schwangeren, sondern ich bin da absolut bei der ständigen Impfkommission in Deutschland, die eben sagt sinngemäß, die Daten reichen noch nicht aus, um eine allgemeine Empfehlung zu machen. Es ist ja in Deutschland sowieso schon so, dass Schwangeren, die jetzt zusätzliche Risikofaktor haben, einen der klassischen Faktoren, wie schweren Diabetes oder so was, dass man denen sowieso die Impfung empfiehlt. Das ist ja schon klar, die Frage ist nur, soll man es generell empfehlen? Da bin ich eigentlich zurückhaltend. Ich habe einen ganz anderen Vorschlag und zwar finde ich, das liegt eigentlich so dermaßen auf der Hand. Wir wissen jetzt nun erstens schon lange, dass Schwangere besonders gefährdet sind. Wir wissen zweitens, dass es eine Sache ist, die man sich dreimal überlegen muss, vielleicht


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noch öfter als bei Kindern, ob man Schwangere impft, weil hier sind ja die Neugeborenen höchstens drei Monate lang und auch nur über so eine App verfolgt worden. Keiner weiß, was mit den Kindern in zehn Jahren oder in 2 0 Jahren ist, wenn die Schwangeren den Impfstoff bekommen haben. Und das ist doch die kritische Frage, die Schwangeren haben doch keine Angst um sich selber bei dem Impfstoff, sondern die wollen alle wissen, was ist mit meinem Kind hinterher. Und diese Frage adressiert diese Studie ja überhaupt nicht. Und deshalb sage ich, wir müssen einfach Frauen, die einen Kinderwunsch äußern – und in Deutschland passiert es ja nicht so ganz völlig unerwartet, dass man schwanger wird. So nach dem Motto: ups, Da war der Storch wohl da – sondern Frauen, die in den Kinderwunsch äußern, dass die automatisch und sofort die erste Impfpriorität kriegen, dass man sagt eine Frau, die sagt, sie will schwanger werden, geht zum Arzt und kriegt sofort eine Impfung. Mit einem RNAImpfstoff würde ich da wieder empfehlen. Und damit würde man ein Großteil dieses Problems abfedern. Diejenigen, die jetzt sozusagen mit dem Test daherkommen und gerade das kleine blaue Kreuz da drauf haben und sagen: Ups, jetzt weiß ich es seit gerade eben, da ist die Entscheidung besonders schwierig, weil wir wissen, dass am Anfang der Schwangerschaft solche Nebenwirkungen besonders schwierig oder Langzeitfolgen besonders schwierig zu erfassen sind. Ja, das sind dann mehr so genetische Folgen und da ist es viel schwieriger, die zu erfassen, als wenn man im letzten Schwangerschaftsdrittel so ganz offensichtlich Effekte auf den Fötus hat.


Jan Kröger


Kommen wir abschließend zu den Hörerfragen. Über den Hashtag #fragkekulé auf Twitter hat uns Frau S. aus München angeschrieben, derzeit allerdings in Indien.


„Ich werde von Delhi nach Frankfurt reisen. Obwohl ich keine Symptome habe und ich ein Test als Voraussetzung für die Einreise nach Deutschland machen lassen muss, wollte ich dennoch wissen, welche besonderen Vorsichtsmaßnahmen abgesehen von den üblichen ich während meiner Reise ergreifen sollte. Um Deutschland sicher zu halten.“



Alexander Kekulé


Also während der Reise kann man da nicht so viel machen. Also außer den üblichen Maßnahmen. Also ich würde immer im geschlossenen Raum natürlich eine FFP-Maske aufsetzen und die auch nach Möglichkeit auf dem Flug höchstens ganz kurz mal absetzen, zum Wasser trinken. Ich selber lasse auch in Flugzeugen das Essen immer aus in dieser Pandemie, sondern trinke wirklich nur Wasser und setze die Maske wieder auf. Nach der Ankunft ist ja dann trotzdem erst mal eine Quarantäne vorgeschrieben und da kann ich nur empfehlen, das am Anfang wirklich ernst zu nehmen. Also nicht immer schnell in den Supermarkt, um den leeren Kühlschrank wieder aufzufüllen, sondern da wirklich andere zu schicken. Wirklich zu Hause absondern und dann ist man, würde ich sagen, mit diesem Verfahren – was meines Wissens auch Standard ist – eigentlich auf der sicheren Seite. Da gibt es gar nicht so viel Zusätzliches, was man machen soll.


Jan Kröger


Frau S. aus Hannover hat uns angerufen. Sie wurde mit BioNTech geimpft und hat neun Tage später das bekommen, was sie und andere als Covid-Arm bezeichnen. Sie beschreibt es mal selber.


„Das war schon ziemlich heftig. Also der ganze Arm war hart geschwollen, hat wahnsinnig gejuckt, waren Pickelchen, war gerötet, war heiß. Ich musste 2 Tage lang kühlen. Meine Frage ist: Habe ich jetzt zu erwarten, dass nach der zweiten Dosis die Reaktion umso stärker ausfällt? Da ja auch die offiziellen Medien, Deutsches Ärzteblatt, Paul-Ehrlich-Institut, von einer allergischen Spätreaktion sprechen. Da ist meine Frage, wie erklärt sich das denn? Wie kann eine allergische Reaktion so spät erst erfolgen?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein bisschen komplex. Wir haben tatsächlich bei diesen RNA-Impfstoffen das Phänomen, dass es so ein bisschen verzögerte Reaktionen gibt, die so ähnlich aussehen wie die Impfreaktionen. Also Impfreaktionen sind das, was ganz am Anfang gleich nach der Impfung passiert. Dass eben der Arm wehtut und das geschwollen und gerötet ist. Da kann man so ein bisschen sagen, beschönigend, naja, das will man ja, weil da arbeitet das Immunsystem


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sich gerade an dem Virus ab oder an dem Antigen ab, was man gegeben hat. Und bei diesen RNA-Impfstoffen sehen wir da so einen komischen verzögerten Effekt manchmal, der ist nicht verstanden, das wissen wir nicht, woran das liegt. Ob das jetzt nach der zweiten Impfung noch mal stärker wird, ist meines Erachtens für diese Situation noch nicht untersucht worden. Wir wissen, dass die klassische Reaktogenität, also das, was sehr schnell kommt innerhalb von, sage ich mal drei, vier Tagen spätestens, das ist typischerweise bei den RNA-Impfstoffen nach dem zweiten Mal stärker, schlechte Nachricht. Aber die gute Nachricht ist, für dieses etwas verzögerte Phänomen – und wenn ich es richtig verstanden habe, ist es bei der Hörerin erst nach etwa neun Tagen aufgetreten – dieses verzögerte Phänomen bei den RNA-Impfstoffen, ob das sozusagen dann auch noch mal gehäuft nach der zweiten Impfung auftritt, da gibt es noch keine sauberen Daten darüber. Aber meines Erachtens kann man das nicht eins zu eins schließen, dass weil die Reaktogenität nach der zweiten Impfung typischerweise höher ist, dann muss auch dieses verzögerte Phänomen, was offensichtlich jetzt hier als allergische Spätreaktion bezeichnet wird, dann auch häufiger sein wird. Das ist völlig unabhängig und noch nicht genau untersucht.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 178. Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne, bis dann Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Kekulés CoronaKompass gibt es als ausführlichen Podcast unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge unter Audio & Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 01. Mai 2 02 1 #177: Hörerfragen SPEZIAL


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Samstag, 01. Mai 2 02 1


Der ersehnte Pieks steht unmittelbar bevor, da fällt der Schwester die Spritze aus der Hand. Was jetzt?


Bin ich nach der Impfung ansteckend? Und zwar so sehr, dass ich mich sicherheitshalber isolieren sollte?


Ist mein Fitnessstudio beim Lüften konsequent genug?


Und: Sind Kreuzfahrten bald wieder ein sicheres Erlebnis?


Jan Kröger


Damit herzlich Willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Hallo, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, die erste Frage kommt von einer Hörerin aus Berlin. Und da geht es um ihre 16jährige Tochter. Da kann offenbar ein Plan bald in die Tat umgesetzt werden. Da hat man lange gezittert. Es geht um einen Austausch in die USA. Nun steht aber zur Debatte, dass diese Tochter vielleicht vor Abreise eine CoronaSchutzimpfung verpflichtend machen muss, um an diesem Programm teilnehmen zu können. Sie würde nun gerne wissen, ob es irgendeinen Grund gibt, der gegen eine Impfung der gesunden 16-jährigen Tochter mit BioNTech spricht.


01:13



Alexander Kekulé


Nein, würde ich unbedingt machen, auf jeden Fall. Man muss ja immer im Auge haben, dass in den USA das Thema ja schon viel weiter fortgeschritten ist. Die fangen ja jetzt auch schon an, Jugendliche unter 16 Jahren zu impfen. Und da würde sie dort quasi immer wie ein Alien stehen, wenn alle anderen geimpft sind und wenn das an allen möglichen Situationen verlangt wird und sie die Einzige ist, die aus dem Ausland kommt. Ich kann vielleicht sagen – das ist vielleicht nur so eine kleine Stichprobe, Wissenschaftler wollen ja immer gerne belastbare Daten – aber meine persönliche Stichprobe ist: In den USA herrscht interessanterweise eine gewisse Vorsicht gegenüber Europäern und gegenüber Europa. Also, viele wollen nicht nach Europa fahren, weil sie sagen: Ja, die haben doch dort diese Pandemie nicht im Griff. Und vielleicht gibt es da Infektionen. Und aus diesen Gründen ist es ganz wichtig – um da jetzt an der Uni nicht stigmatisiert zu werden – dass man auch bei so einem Austausch dann tatsächlich vorher geimpft ist.


02 :08


Jan Kröger


Wir haben ja in der letzten Ausgabe schon ausführlich über die Vorund Nachteile einer Impfung bei Kindern gesprochen. Dazu der Hinweis: Es gab einige Nachfragen dazu, die wir gerne in der nächsten Folge aufgreifen werden. Heute geht es nun um die Hörerfragen, die bereits in den Tagen zuvor bei uns angekommen sind. Und da hat sich Frau S. zumindest von dem Thema Impfung bei Kindern leiten lassen bei ihrer Frage:


„Sie sprachen davon, dass es bei einer eventuellen Impfung bei Kindern auf die Dosis ankommt. Ich gehe davon aus, dass das auch an dem geringeren Gewicht liegt. Müssten dann Erwachsene nicht auch unterschiedliche Dosen bekommen, weil auch sie ein unterschiedliches Gewicht haben? Eine 50 Kilo schwere Frau bekommt aber doch die gleiche Dosis wie ein 150 Kilo schwerer Mann. Wie kann das sein?“



Alexander Kekulé


Also, ich glaube, es ist klar – das hat auch die Hörerin so verstanden – Kinder sind nicht nur anders, weil sie geringeres Gewicht haben, sondern auch im Stoffwechsel ist da einiges


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anders, auch bei der Immunantwort. Aber unter den Erwachsenen ist natürlich tatsächlich die Frage: Soll man jemandem, der also 150 Kilo wiegt, nicht vielleicht ein bisschen mehr geben? In der Praxis hat sich das nicht als sinnvoll erwiesen. Das hat viele Gründe. Wir haben sowieso ein breites Spektrum von verschieden starken Immunantworten von Person zu Person. Also, das Immunsystem ist ja von Mensch zu Mensch extrem unterschiedlich. Davon kriegen wir so auf den ersten Blick nichts mit. Ja, wenn jemand eine andere Augenfarbe oder Hautfarbe hat, sehen wir das sofort. Aber wir sehen ja nicht, dass das Immunsystem anders ist. Der eine reagiert besser, der andere schlechter. Und der eine vielleicht sogar mit Allergien, und der andere ist völlig entspannt nach so einer Impfung. Dieses Spektrum ist viel wichtiger und macht viel breitere Unterschiede auf als das Körpergewicht, sodass man jetzt sagen muss: Die Veränderung nach Körpergewicht würde dann sozusagen diesen einen Parameter fälschlich so in den Mittelpunkt stellen, wo man eigentlich sowieso ganz unterschiedliche Reaktogenität hat bei verschiedenen Personen. Und darum hat man davon abgesehen.


04:02 


Jan Kröger


Dann kommen wir zum Anruf von Frau B. aus Deutschbaselitz, und die berichtet von einem eher unschönen Erlebnis im Impfzentrum:


„Mein Schwager ist einbestellt worden zur Impfung mit BioNTech und wo er geimpft werden sollte, fällt der Impfkraft die fertige Spritze aus der Höhe unten auf den Fußboden. Und da hat dann die Impfkraft gesagt: Hier, sehen Sie, alles noch in Ordnung. Und hat geimpft. Es ist ja unhygienisch, wenn das unten auf den Fußboden fällt und die das einfach so nimmt und dann spritzt. Und dann eben die Frage, die Hauptfrage: Wie weit wirkt der Impfstoff BioNTech, weil der ja eigentlich nicht erschüttert werden darf?“



Alexander Kekulé


Ja, die zweite Frage kann man ganz einfach beantworten. Durch die Erschütterung ist der Impfstoff nicht kaputtgegangen, sofern die Spritze noch heil ist. Aber Glasspritzen haben wir ja heutzutage keine mehr. Ja, mit der hygienischen Frage: Das hat 2 Teile, sozusagen


einen praktischen und einen formalen. Praktisch gesehen ist es so, dass ja vorne auf der Impfnadel eine Kappe drauf steckt und solange diese Kappe drauf geblieben ist – und die ist normalerweise sehr fest und geht nicht von selber ab, wenn etwas runterfällt – ist es gar kein Thema, das ist hygienisch geblieben. Also das bleibt steril, wenn es mal kurz runterfällt auf einen halbwegs sauberen Boden. Das andere ist eher so die formale Frage. Ja, sicher gibt es irgendwo in Krankenhäusern oder in Impfzentren natürlich grundsätzlich die Anweisung: Wenn einem eine Spritze auf den Boden gefallen ist, hast du sie nicht mehr zu verwenden. Sodass es wahrscheinlich jetzt ein Formfehler war. Aber so der Pragmatiker sagt: Also, es gibt überhaupt keinen Grund, anzunehmen, dass es da eine Verunreinigung gab oder dass die Spritze jetzt nicht mehr wirkt.


05:46


Jan Kröger


Frau M. hat uns geschrieben:


„Zehn Tage vor meinem Impftermin wurde ich als Kontaktperson eines Infizierten getestet. Der PCR-Test war positiv, allerdings mit einem CT-Wert von 35. Die Schnelltests am Tag davor als auch bis sieben Tage danach waren alle negativ. Ich hatte keinerlei Symptome. Nun meine Frage: Bevor ich auf die Impfung verzichte, wäre es nicht sinnvoll, einen Antikörpertest zu machen und nur, wenn Antikörper vorliegen, nicht zu impfen? Es gibt ja Definitionen, die einen CT-Wert von 35 als negativ werten.“



Alexander Kekulé


Ja, also mit diesem CT wird da viel, sage ich mal, falsch kommuniziert. Es ist so: Der CTWert gibt ja an, nach wie vielen Zyklen, Verstärkungszyklen, das positive Signal gekommen ist. Und je höher der CT-Wert, desto weniger Virus war am Anfang drinnen in der Probe. Deshalb ist ein hoher CT-Wert quasi eine Aussage dafür, dass ganz wenig Virus drin war. Trotzdem ist es so, dass jedes Labor für seine Maschinen, für seine spezielle Situation, ausprobiert: Ab welchem CT sind wir denn hier eigentlich positiv? Und wenn der Befund als positiv rausgegeben wurde, auch mit diesem hohen CT-Wert, dann ist er nicht negativ gewesen, sondern tatsächlich positiv. Da würde ich jetzt sagen, dass mit den Schnelltests passt natürlich dazu. Da wissen wir, dass die Schnell-


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tests so sind, dass sie ja erst bei einem niedrigeren CT ansprechen – also erst dann ansprechen, wenn die Viruskonzentration höher ist. Vor dem ganzen Hintergrund, sage ich mal: Ich würde da jetzt nicht anfangen, Blut abzunehmen und mich darauf zu verlassen und dann die Frage zu stellen: Habe ich jetzt genug Antikörper? Ja oder nein? Da gibt es auch keine gut standardisierten Verfahren, die jetzt belegen, ab welchem Antikörperwert man wirklich geschützt wäre. Bei anderen Erkrankungen: Ja. Aber bei Covid haben wir das noch nicht. Deshalb würde ich einfach empfehlen, zu impfen. Und wenn sicher ist, dass diese Diagnose gestimmt hat damals – also, wenn die PCR technisch richtig gemacht wurde – dann genügt eine Impfung. Es wird aber nicht so sein, dass man irgendwelche größeren Probleme hat, wenn man sich dann regulär nach sechs Wochen nochmal impfen lässt.


07:53


Jan Kröger


Also: Klare Empfehlung an Frau M. J. hat uns angerufen. Auch bei ihm sind die Antikörper der entscheidende Punkt. Allerdings liegt seine Impfung schon hinter ihm.


„Ich bin vor 16 Tagen mit BioNTech geimpft worden und habe heute aus Interesse und auch, um ‚sicherzugehen‛, einen Antikörpertest bei meinem Arzt machen lassen. Leider war dieser in beiden Bereichen – also IGG, IGM – negativ. Und meine Frage ist jetzt: Muss ich mir Sorgen um meinen sich bildenden Immunschutz machen?



Alexander Kekulé


Das kommt jetzt darauf an, ob es die erste oder die zweite Impfung war. Wir wissen, dass ein Teil der Personen nach der ersten Impfung tatsächlich noch keine messbare Antikörperkonzentration auch nach 16 Tagen hat. Normal wäre eher, dass es nach 14 Tagen schon ein Signal gibt. Da wäre aber zu erwarten, dass die zweite Impfung dann auf jeden Fall einen ganz massiven Anstieg der Antikörper noch bringt. Wenn 16 Tage nach der zweiten Impfung keine Antikörper da sind, dann würde ich mal sagen: Es ist kein Grund zu großer Sorge, aber das ist dann schon der Verdacht, dass irgendwie vielleicht die Impfung nicht funktioniert hat. Dann würde ich, wenn das nach der zweiten Impfung tatsächlich der Fall ist, würde ich sagen: Viel-


leicht vier Wochen warten und nochmal testen. Wenn dann auch nichts kommt, dann ist aus irgendeinem Grund die Impfung fehlgeschlagen.


09:12 


Jan Kröger


Ähnliche Sorgen macht sich Frau G. aus München. Sie schreibt:


„Vor 2 Tagen bin ich, 68 Jahre, mit BioNTech geimpft worden und habe zwölf Stunden vor und zwölf Stunden nach der Impfung ein Antihistaminikum als Einschlaf-Unterstützung in niedriger Dosierung eingenommen. Jetzt stellen sich Bedenken bei mir ein, ob ich damit die erwünschte Immunantwort unterdrückt haben könnte, da Antihistaminika ja als Botenstoffe eine Rolle bei der Abwehrreaktion spielen.“



Alexander Kekulé


Das sind ja Medikamente, die viel genommen werden. Diese Antihistaminika werden in erster Linie genommen, um allergische Reaktionen zu dämpfen. Und in zweiter Linie – das ist eigentlich eine Nebenwirkung von diesen Antihistaminika – werden Sie genommen zum Beispiel als Einschlafmedikamente. Da kann man ja sagen: Hier, Hoggar Night, einer der bekannten Bestseller, die wir in Deutschland haben. Das sind die sogenannten – medizinisch gesehen nennen wir die H1-Antihistaminika, da gibt es verschiedene Gruppen. Und bei dieser H1Gruppe ist es so: Die haben eigentlich nur eine ganz schwache Wirkung auf die Immunantwort. Also da würde ich davon ausgehen, dass hier absolut nichts passiert ist. Es liegt an folgendem Grund: Die Antihistaminika greifen bei der allergischen Reaktion relativ spät ein. Wenn man also allergisch reagiert auf irgendetwas, dann gibt es mehrere Stufen von Allergie, die da ablaufen. Das Ganze ist Teil der sogenannten adaptiven Immunantwort. Also nicht diese angeborene, sondern die, die auf Antikörpern und aktivierten Lymphozyten basiert. Und da greifen die relativ spät ein, bei dem Schritt, wo dann sogenannte Mastzellen heißen die, anfangen, die Immunreaktion so richtig anzufachen. Also das ist das, was dann bei Allergikern so eine Rötung macht oder Ähnliches oder Schwellungen. Das ist, wenn man sich das so vorstellen kann, in der langen Kette der Immunantworten ganz hinten, kurz vor dem Schluss, kurz bevor sozusagen das


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Ergebnis dann – die Rötung – kommt und die anderen Probleme, die die Allergiker haben. Und die Hemmung ganz am Anfang, wo es um die Antikörperbildung geht und um das, was wichtig ist bei der Impfung, das ist ganz minimal. Da gibt es nur ein, 2 Arbeiten, die zeigen, dass da so eine Überträgersubstanz vielleicht auch von den H1-Antihistaminika beeinflusst wird. Aber es gibt überhaupt keine Daten, die in die Richtung gehen würden, dass man mit Antihistaminika tatsächlich den Erfolg von einer Impfung beeinflussen würde.


11:32 


Jan Kröger


Auch Herr S. hat sich impfen lassen. Und, sagen wir es mal so: Das, was er danach gemacht hat, machen nicht so viele:


„Ich wohne mit der Familie meiner Tochter in einem Haus. Nun habe ich am 12 . April die erste BioNTech/Pfizer Impfung erhalten. Ich solle mich bitte für 10 Tage von ihrer Familie fernhalten wegen der Ansteckungsgefahr danach, sagte sie zu mir. Ich habe das eingehalten, habe mich auch mehrfach testen lassen. Das Ergebnis war immer negativ. Wie ist das mit der Ansteckungsgefahr? Würde mich sehr interessieren.“



Alexander Kekulé


Die Frage kommt witziger Weise häufig, obwohl das für einen Virologen bisschen ein kleiner Schmunzler ist. Ja, das ist so: Das ist ja ein Impfstoff, wo kein Virus drinnen ist. Diese Impfstoffe, die wir hier haben, die funktionieren ja so, dass ein Teil dieses neuen Coronavirus – nämlich das Spike auf der Oberfläche – dass dieses Protein künstlich hergestellt wird in der geimpften Person. Also nur ein kleiner Teil von diesem Protein. Und jetzt die Vermutung, dass man dadurch quasi ansteckend werden könnte, das ist ungefähr so, als wenn man – was weiß ich – einen Rückspiegel vom Auto hat und Angst hat, dass der davonfahren könnte, weil es ja ein Rückspiegel von einem Auto ist. Also, das ist definitiv nicht möglich. Das ist nur ein kleiner Teil des Virus und dadurch kann das Virus selbstverständlich sich nicht vermehren. Das ist völlig ausgeschlossen und muss man vielleicht noch öfter erklären, weil die Frage kommt öfters. Also, das ist nicht das einzige Mal. Vielleicht noch zum Hintergrund: Ältere Menschen erinnern sich daran, dass es sowas


zum Beispiel bei der Polio-Schutzimpfung gab, also bei der Schutzimpfung gegen Kinderlähmung. Sogar bei Masern gab es solche Fälle manchmal. Aber das sind eben diese sogenannten Lebendimpfungen, wo man lebendes Virus, also vermehrungsfähiges Virus – komischerweise sagt man da immer Lebendimpfung – vermehrungsfähiges Virus hat und das nur soweit gedämpft hat, dass es keine schwere Erkrankung mehr macht. Es kann sich aber in dem Körper des Geimpften dann tatsächlich wie ein Virus vermehren. Da gab es solche Fälle, das also quasi jemand, der geimpft war – der Impfling sagen wir zu solchen Leuten – das der quasi dann seine Geschwister angesteckt hat und die so eine Art Schein-Poliomyelitis bekommen haben, also so eine kinderlähmungsähnliche Erkrankung bekommen haben. Und das war natürlich eine ganz furchtbare Sache damals. Und das ist aber, kann ich nur sagen, diesmal ein ganz anderes Wirkprinzip und hat damit gar nichts zu tun. Und man muss keine Angst haben, dass man infektiös wäre als Folge der Impfung.


14:05


Jan Kröger


AstraZeneca als Impfstoff spielt auch eine Rolle in der Frage von Herrn W. aus England. Er schaut regelmäßig die Videos von einem englischen Arzt Dr. John Campbell. Und der hat die These aufgestellt, dass die Nebenwirkungen bei dem Impfstoff von AstraZeneca womöglich daher kommen, dass bei der Impfung entweder gar nicht oder nicht korrekt aspiriert wird. Könnte an dieser These was sein? Und vielleicht für die Laien von uns nochmal gefragt: Was genau ist die Aspiration bei der Impfung?



Alexander Kekulé


Also, das höre ich jetzt zum ersten Mal, dass es so eine Theorie gibt. Ich halte das für Quatsch, um das vorweg zu sagen: Ja, Aspiration. Man sticht ja in den Muskel. Das ist dieser Deltoideus-Muskel. Das ist quasi da dieser OberarmMuskel, der einem dann auch gerne mal ein, 2 Tage wehtut nach der Impfung, je nachdem, wie stark die Reaktogenität in dem Fall war. Und es ist so: Man will nicht, dass aus Versehen ein größeres Blutgefäß getroffen wird und man dann quasi den Impfstoff in die Blutbahn injizieren würde. Das wäre erstens nicht so gut, weil das sind ja so kleine Fettpar-


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tikel – Lipid-Nanopartikel heißen die. Die Dosis ist winzig, das wird natürlich auch jeder überleben. Aber das ist einfach, sag ich mal, keine gute Sache, so etwas ins Blut zu geben. Und zweitens wäre es dann von der Wirkung, von der Immunisierungswirkung nicht nach Protokoll. Und dadurch wüsste man nicht genau, ob es da eine reguläre Immunisierung danach gibt. Und um ganz sicher zu sein, dass man bei diesem Stich in den Oberarm-Muskel nicht gerade ausgerechnet ein kleines Gefäß erwischt hat – also ein Blutgefäß – zieht man den Kolben der Spritze, nachdem man reingestochen hat, ganz kurz ein Stückchen zurück und schaut dann, ob vorne in der Spritze Blut reinschießt, ob man Blut aspiriert, also ansaugt. Aspirieren heißt ansaugen. Und das ist so ein klassischer Handgriff. Also, ich würde mal sagen, bei Impfärzten ist das ein absoluter Reflex, das zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand vergisst, wenn er da richtig im Geschäft ist. Und umgekehrt könnte ich mir aber auch nicht vorstellen, dass es irgendeinen Zusammenhang mit den Nebenwirkungen [gibt, Anm. d. Red.]. Also, das müsste ja dann bedeuten, die Theorie wäre dann, dass quasi da massenweise Blut intravenös injiziert wurde und dadurch, dass das in die Vene statt in den Muskel gelangt ist, diese Nebenwirkungen da auftauchen. Also, das halte ich für extrem unwahrscheinlich.


16:2 4


Jan Kröger


Frau R. aus Thüringen hat uns geschrieben, da geht es um die Maskenpflicht an Thüringer Grundschulen. Und seitdem, so schreibt sie, herrscht große Aufregung unter Eltern und Pädagogen. Die Meinungen gehen jedenfalls stark auseinander in ihrer Schule. In manchen Klassen lässt ein nicht unerheblicher Anteil der Eltern ihre Kinder seither zu Hause, weil sie die Maskenpflicht als Gefahr für die physische und psychische Gesundheit der Kinder ansehen. Insgesamt also große Verunsicherung. Nun schreibt sie:


„Ich habe schon selbst nach Studien hierzu gesucht, kann aber nichts Aussagekräftiges – besonders für die Altersgruppe – finden. Es gibt Empfehlungen, zum Beispiel vom Bundesverband der Kinderund Jugendärzte. Aber: Worauf stützen sich diese? Könnten Sie die aktuel-


le Studienlage hierzu bewerten und eine Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes für Grundschulkinder geben?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist tatsächlich eine Diskussion, die ja schon sehr, sehr lange im Schwange ist. Anfangs gehörte ich ja zu denjenigen, die gesagt haben: Wir brauchen dringend die Maske in geschlossenen Räumen, und zwar am besten immer und überall mit wenigen Ausnahmen. Da hat sich dann später auch das Robert-KochInstitut dieser Meinung angeschlossen. Auch in den USA gab es einen Prozess, wo die anfängliche Ablehnung der Masken dann quasi in eine dringende Empfehlung umgekehrt wurde. Bei mir war es dann so, dass ich eigentlich von Anfang an gesagt habe: Ich würde Grundschüler – ohne eine Studie zu haben – ich würde Grundschüler davon ausnehmen, aus psychologischen, pädagogischen Gründen. Und stattdessen – das muss so letztes Jahr im April, Mai gewesen sein – stattdessen Schnelltests für diese Grundschüler anbieten. Die Leopoldina, also die Akademie der Wissenschaften, hat damals eine Empfehlung dann rausgegeben und gesagt: Auch Grundschüler sollen die Maske tragen. Und da sehen Sie schon: Ging so von Anfang an eigentlich genau an der Stelle so ein bisschen hin und her. Und seitdem muss ich einfach sagen, hat sich an der Studienlage von der psychologischen Seite nichts geändert. Also, wir haben viele Studien, die jetzt inzwischen ganz klar sagen, dass die Masken was bringen. Wir haben auch inzwischen Studien, die ganz klar sagen, dass die regelmäßigen Schnelltests was bringen und sinnvoll sind. Also bei den 2 Dingen können wir einen Haken hinter machen, hat lange gedauert. Aber bei der Frage, die ich damals – Sie wissen ja, ich bin jetzt nun Virologe und Epidemiologe. Also, das ist überhaupt nicht mein Home Turf, jetzt zu entscheiden: Welche psychologischen Nachteile haben die Kinder? Als Vater von fünf Kindern habe ich halt einfach so gesagt: Ich würde es in der Grundschule eher nicht machen – ohne, dass das eine professionelle Einschätzung war. Und ich muss ehrlich sagen, da ich keine Studien dazu habe, weil es keine gibt, welche psychischen Auswirkungen das Maskentragen auf Kinder hat, habe ich auch nicht mehr als die Wassersuppe, mit der ich damals


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gekocht habe. Das muss ich an der Stelle ehrlich sagen. Das wäre wahrscheinlich sinnvoll. Und natürlich hat der Bundesverband der Kinder und Jugendärzte auch keine anderen Daten. Man kann nur so sagen: Wenn man wirklich die Kinder in der Grundschule zweioder vielleicht sogar dreimal die Woche testet, dann ist es epidemiologisch vertretbar, auf die Maske zu verzichten. Und es ist wohl auch ohne Studie offensichtlich, dass Kinder im Grundschulalter das Gesicht des anderen brauchen, um zu verstehen, was er will, um selber auch ihre Sprache weiterzuentwickeln. Kinder lernen ja auch Sprache durch Ablesen vom Gesicht. Deshalb würde ich sagen: Der gesunde Menschenverstand spricht dafür, in der Grundschule zu testen, statt Masken zu tragen. Aber Studien gibt es dafür nicht.


19:48


Jan Kröger


Dann hat uns der J. angerufen. Wir bleiben beim Thema Masken. Allerdings geht es um einen ganz anderen Aspekt:


„Wenn jetzt die Grippewelle ausgeblieben ist, die Viren jetzt abgehalten worden sind: Könnte es sein, dass der Virus von der Grippe größer ist als die Coronaviren? Dass der durch die Maske durchkommt? Und dass der Grippevirus einfach größer ist und dass der von der Maske abgehalten wird?“



Alexander Kekulé


Ja, also das ist eine sportliche Frage. Also, erstens: Ich musste das auch für die Frage erstmal nachgucken. Die sind tatsächlich nach den derzeitigen Erkenntnissen ungefähr gleich groß, die Viren. Also, so in der Größenordnung von 100 Nanometer. Also, ein Nanometer ist 10-9, also ein Milliardstel Meter. Also, winzig klein, aber ungefähr gleich groß. Da kann man eine echte Größenfiltration in dem Sinne nicht machen. Das Andere ist: Man muss sich mal klarmachen, also diese Größenordnung, da gibt es möglicherweise technische Grenzbereiche, wo man sowas vielleicht irgendwie filtern kann, diese Größen und solche Größenunterschiede rausfiltern. Aber die sind dann nie vollständig. Und das ist noch nicht einmal ansatzweise etwas, was man in so einer Maske erwarten kann. Die Masken filtern ja nicht die Viren aufgrund ihrer Größe raus, sondern die Viren sind immer gebunden an irgendwelche


Partikel, weil die alleine nicht weit fliegen würden. Das ist so, als wenn Sie versuchen, Sand weit zu werfen. Also, Sie können ja einen Ball ganz schön weit werfen. Also, ich jetzt nicht so. Aber es gibt Leute, die können das gut. Aber versuchen Sie das mal mit einem Sandkorn. Das kriegen Sie irgendwie nicht richtig auf Strecke. Und so ähnlich ist es, dass das Virus allein nicht richtig fliegen mag. Und deshalb hängt es immer beim Ausatmen an irgendwelchen Feuchtigkeitspartikeln dran. Coronaviren, die haben eben die Besonderheit, dass sie beim Ausatmen, beim Husten, beim Niesen und so weiter mit winzig kleinen Tröpfchen wegfliegen. Diese Tröpfchen – die sind natürlich zwar klein, aber viel, viel größer als das Virus selber – und diese Vehikel, die werden festgehalten in der Maske. Und das auch nicht allein aufgrund ihrer Größe. Da würden sie sogar zum Teil durchfliegen. Wir haben ja sehr, sehr kleine Tröpfchen, die so im Bereich, sage ich mal, von fünf Mikrometer oder so sind. Also, fünf Millionstel Meter dann. Was aber in diesen Masken passiert, ist Folgendes: Es kommt an dem Gewebe der Maske zu Turbulenzen. Also, die Strömung ist dann nicht mehr laminar, wie wir sagen, also nicht mehr so geordnet, gleichförmig, sondern es kommt zu Verwirbelungen. Und diese Verwirbelungen führen dazu, dass diese Partikel nach links und rechts geschleudert werden und dabei in unmittelbaren Kontakt mit diesem Material der Maske treten und dann dort absorbiert werden. Also, die werden einfach durch Oberflächenkräfte festgehalten, genauso wie ein Wassertropfen auf einem Pulli hängen bleibt. Ja, wenn man einen kleinen Wassertropfen auf einen Pullover außen draufmacht, dann fällt der ja nicht runter, sondern hält sich auf mystische Weise dort fest. Und so ist es so, dass diese Tröpfchen quasi in dem Gewebe hängenbleiben durch Oberflächenkräfte und weil sie dorthin verwirbelt wurden. Das ist der Mechanismus, wie diese Masken funktionieren. Die haben jetzt nicht, sozusagen technisch gesehen, den Charakter eines Siebes.


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2 2 :54


Jan Kröger


Greifen wir mal das Bild vom Ballwurf auf und kommen sozusagen zum Sport. Aus Hamburg hat uns folgende Zuschrift erreicht:


„Obwohl hier strenge Corona-Regeln herrschen, dürfen wir bei einem bekannten Fitnessstudio gegen Vorlage eines ärztlichen Attestes wieder trainieren. Das tut mir und meinem Rücken auch sehr gut. Ständiges Maske tragen ist Pflicht und es können bis zu 2 0 Personen zeitgleich trainieren. Beim letzten Termin fühlte ich mich allerdings sehr unwohl, weil kaum gelüftet wurde. Erklärt wurde es damit, dass zweimal pro Stunde Stoßoder quergelüftet wird. Das reiche aus. Nun hat das Studio optimale Möglichkeiten, es hat Fenster an allen vier Wänden und im Treppenaufgang, sodass eine ständige Durchlüftung gewählt werden könnte. Das wird aber wohl deshalb nicht gemacht, weil einige Trainierende Zugluft fürchten. Reicht die Stoßlüftung bei einer derartigen körperlichen Anstrengung wie im Fitnessstudio aus?“



Alexander Kekulé


Ja, entscheidend ist hier das Volumen, das Luftvolumen im Raum. Also, wenn das ein sehr großer Raum ist und die Menschen großen Abstand voneinander haben – ich sage mal, beim Trainieren würde ich auf jeden Fall auf mindestens drei Meter gehen, weil man beim schweren Atmen auch mehr Feuchtigkeit ausatmet, damit theoretisch mehr Viruspartikel – und wenn der Raum groß ist, also ein hoher Raum ist mit – was weiß ich – 2 0 Personen, die aber dann weit verteilt sind, dann würde ich sagen, kann man unter Umständen zweimal die Stunde lüften. Das mag dann ausreichen. Sonst bin ich immer dafür, lieber konsequent und öfter zu lüften. Man muss sich das ja so praktisch vorstellen: Da trainiert jemand und während der da an irgendeiner Maschine schnauft, entsteht einfach langsam um ihn herum eine Wolke, wo ein Teil dieses Aerosols natürlich auch an einer Maske vorbeigeht. Das meiste übrigens nicht, weil es irgendwie sich dann doch durchwurschteln würde durch das Stoffgewebe, sondern weil diese Masken immer Beiluft erzeugen. Also, nicht ganz dicht sind. Sich eine Maske wirklich dicht aufzusetzen ist eine Kunst für sich. Das machen die


meisten nicht und schon gleich gar nicht im Fitnessstudio, sodass trotz Maske jeder dann so nach und nach quasi eine Feuchtigkeitsnebelwolke, wenn man so will, um sich herum aufbaut. Und nach einer Weile fängt die natürlich an, sich zu bewegen – durch Wärmebewegung in der Luft, durch Leute, die vorbei gehen. Solche Untersuchungen hat man im Flugzeug sehr detailliert gemacht. Sodass man schon davon ausgehen kann, wenn das eine Weile läuft und, ich weiß jetzt nicht, ich schätze schon, dass jemand, der da trainiert, dann schon eine halbe Stunde lang da schuftet, dass eben dann diese Wolke dann sich auf den Weg macht durch den Raum. Und da ist es gut, sie zu unterbrechen, zu stoppen, bevor sie beim Nächsten angekommen ist. Und das heißt also im Klartext, am besten ständig eine leichte Dauerbelüftung zu haben oder vielleicht alle 10, 15 Minuten schon Stoßlüftung zu machen. Das wäre sozusagen meine Empfehlung, falls der Raum nicht sowieso extrem groß ist.


2 5:36


Jan Kröger


Dann kommen wir zu eigentlich meiner Lieblingsfrage. Und zwar, weil Frau R. nun wirklich einen großartigen Forschergeist beweist:


„Mein Mann und ich hatten Ende März eine Corona-Infektion mit leichtem bis mittlerem Verlauf und fühlen uns inzwischen wieder komplett genesen. Nun hat die Spargelsaison begonnen und uns ist aufgefallen, dass unser Urin nach dem Genuss von Spargel nicht mehr ‚duftet‛. Ich weiß, dass nicht bei allen Menschen dieser Geruch durch Umwandlung von Asparaginsäure in eine Schwefelverbindung entsteht. Aber vor der Infektion war der Geruch bei uns beiden definitiv vorhanden. Wir haben jetzt bereits dreimal Spargel genossen. Während unser Sohn weiterhin Urin mit Duft produziert, tun mein Mann und ich es nicht mehr. An unserem zwischenzeitlich fehlenden Geruchssinn liegt es nicht. Den Duft des Urins unseres Sohnes nehmen wir ja beide wahr. Es wäre prima, wenn Sie eine Erklärung für uns hätten.“



Alexander Kekulé


Das wäre toll. Also, das ist wirklich eine klasse Frage. Also, könnte sein, dass das der Anfang eines Forschungsprojektes ist, das am Schluss zum Nobelpreis führt. Aber die kann ich tatsächlich nicht beantworten. Außer, dass ich


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jetzt das Wort Duft – an der Stelle: Ich gehöre zu denen, wo man das riecht, nach dem Spargelessen – ich kann das jetzt nicht so ganz als Duft bezeichnen. Aber vielleicht kann man ja auch glücklich sein, dass es nicht mehr stinkt nach dem Spargelessen. Tatsächlich ist es so, dass diese Umwandlung ja in den Nieren wohl stattfindet, bei den Menschen, wo es so ist. Die allermeisten haben ja diese Enzyme, die den Spargel – der ja zu den Liliengewächsen gehört, so ein knoblauchartiges Gemüse daher ist – und deshalb ahnt man auch, warum es dann stinkt hinterher. Bei Einigen wandelt sich das um, bei Anderen nicht. Bei den meisten ist das der Fall. Dass diese Fähigkeit jetzt plötzlich – gerade bei 2 Personen – verloren sein soll: Das ist echt komisch. Also, ich würde es nochmal mit Morgenurin versuchen. Es ist so, dass, wenn man abends den Spargel ist und dann morgens den allerersten Urin testet, der ist so hoch konzentriert, da muss es eigentlich stinken. Und wenn das nicht der Fall ist, dann würde ich tatsächlich empfehlen, mich mal an ein lokales Forschungsinstitut zu wenden und mein Urin als Versuchsobjekt zur Verfügung zu stellen, weil das wirklich interessant wäre, festzustellen, ob sich da was verändert hat.


2 7:34


Jan Kröger


Letzte Frage: Wir wollen in den Urlaub sozusagen. Das schreibt jedenfalls Herr P. aus Wiesbaden:


„Wir wollen im Sommer alle raus und Urlaub machen. Mich interessiert Ihre Meinung zu Kreuzfahrten, wenn spekulativ alle Gäste zweimal geimpft sind und zwar a) auf dem Schiff und b) bei Landgängen eben auch in weiter entfernten Erdteilen, wie zum Beispiel der Karibik.“



Alexander Kekulé


Naja, also mit diesem: Wenn alle sind zweimal geimpft, nicht nur die Gäste, sondern natürlich auch das Personal: Mit dieser Voraussetzung, finde ich, kann man das machen. Das ist eigentlich keine virologische Frage, sondern die Frage ist: Welches Restrisiko nehme ich in meinem Leben überhaupt noch in Kauf? Und wenn jetzt wirklich alle zweimal geimpft sind – und ich glaube dem Veranstalter, dass er das gemacht hat – dann bin ich einfach in einer Situation, wo ich, würde ich jetzt mal sagen, in


dieser Pandemie kein Sterbensrisiko mehr habe. Zumindest keins, was in einer Größenordnung liegt, dass man diesem Sars-CoV-2  – dem Erreger – jetzt ein besonderes Augenmerk schenken müsste. Eine Kreuzfahrt irgendwo weit im Süden kann ja auch dazu führen, dass man sich da Malaria oder sonst was holt oder eine ganz normale Krankheit hat, die dann dort schlechter behandelt werden kann, weil die Krankenhäuser nicht zur Verfügung stehen. Kann ja jedem mal passieren, dass er – was weiß ich – einen Schlaganfall kriegt oder ein unerkanntes Geschwür im Darm hat oder Ähnliches. Solche Dinge gibt es ja. Und man begibt sich damit immer in das Risiko, dass das dann weniger gut behandelt wird. Also, Reisen ist immer nicht ganz ungefährlich und weit reisen ist dann nochmal ein bisschen gefährlicher. Und auf dem Schiff ist es nochmal schwieriger, weil die natürlich jetzt nicht gerade ein Universitätsklinikum dabei haben. Und neben diesen ganzen Risiken, die das Leben und das Reisen so mit sich bringt, würde ich sagen: Wenn man zweimal geimpft ist, braucht man vor SarsCoV-2  in der jetzigen Situation keine Angst mehr haben.


2 9:2 8


Jan Kröger


Und wenn wir nochmal auf den zweiten Teil der Frage zu sprechen kommen: Wenn man jetzt in Regionen der Welt an Land geht, wo zum Beispiel eine Virus-Mutation vorherrscht, könnte die dann wieder ein Problem darstellen, wenn die Leute nach Hause kommen?



Alexander Kekulé


Ah ja, gut, wenn man jetzt epidemiologisch denkt, im Sinne von Re-Import: Das ist einfach so extrem spekulativ und theoretisch. Wir haben ja diese Virus-Mutationen. Die werden natürlich im Moment auf der ganzen Welt verteilt, ohne Wenn und Aber, trotz aller Einschränkungen, die wir haben. Es werden ja jetzt auch gerade die Reisen aus Indien sowohl in Europa als auch in den USA zurückgefahren. Aber trotzdem werden sich die Mutanten, die dort unterwegs sind, verbreiten. Die südamerikanischen werden irgendwann zu uns kommen. Das ist eigentlich völlig klar. Das ist eine Durchmischung, die so nach und nach stattfindet. Da kommt es dann auf die eine Kreuzfahrt


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und den einen Landgang meines Erachtens auch nicht mehr an.


30:19


Jan Kröger


Das war Ausgabe 177 Kekulés Corona-Kompass Spezial, nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Dienstag wieder. Bis dahin, tschüss.



Alexander Kekulé


Tschüss, Herr Kröger, bis Dienstag.


Jan Kröger


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Oder twittern Sie unter dem Hashtag #FragKekulé. Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und die kompletten Sendungen zum Nachlesen finden Sie unter Audio & Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass Donnerstag, 2 9. April 2 02 1


#176:


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung


Preprint-Studie zur Wirksamkeit der MalariaImpfung:


https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3830681


https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2 02 1.04.2 3.441101v1


Donnerstag, 2 9. April 2 02 1


Jan Kröger


Deutschland und viele andere EU-Länder auch sind bei den Impfungen vergleichsweise langsam gestartet. Inzwischen klingen die Verantwortlichen deutlich optimistischer. Kommissionspräsidentin von der Leyen sprach diese Woche davon, dass bis Ende Juli Herden-Immunität in der EU möglich sei. Eine Aussage, die geradezu nach kritischer Betrachtung verlangt. Kinder und Jugendliche unter 16 konnten sich bislang wenig konkrete Hoffnung machen, durch eine Impfung an dieser HerdenImmunität teilzuhaben. Nun sagt der BioNTech Chef: es könnte doch schon bald soweit sein. Wir wollen heute daher detailliert darauf schauen, wie weit die Forschung bei Impfstoffen für Kinder ist und ob Impfstoffe überhaupt der Königsweg sind, damit Kinder ihren fast schon nicht mehr gewohnten Alltag zurückbekommen. Und wir weiten heute etwas unseren Blick über Corona hinaus und wollen schauen, was sich aus einer Erfolgversprechenden Nachricht bei der Bekämpfung von Malaria lernen lässt. Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Krüger, Reporter und Moderator beim


Nachrichtenradio MDR Aktuell. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


Jan Kröger


Heute werfen wir mal wieder einen Blick auf die aktuellen Zahlen an Neuinfektionen. Die haben wir sehr vorsichtig behandelt, hier in den letzten Tagen und Wochen. Aber was heute auffällt, ist, dass die sieben Tage Inzidenz diese Zahl, nach der sich ja im Moment fast alles richtet, deutlich gefallen ist. Von 167 vor 2 Tagen noch jetzt auf 155. Wie lässt sich das beurteilen?


01:45



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube, Donnerstag ist schon der Tag, wo man die Zahlen dann immer belasten kann. Wir haben ja immer diesen Sonntag, Samstag, Sonntag, Effekt, Wochenend-Effekt. Man kann hier schon nach und nach zuversichtlich sein, dass die Maßnahmen, die wir bisher haben, insgesamt im Paket zumindest nicht dazu führen, dass die Zahlen weiter ansteigen. Ich bin da immer vorsichtig mit Prognosen, vor allem, wenn man Optimismus verbreitet. Dann will man auch nicht so Jo-Jo-Prognosen machen. Aber ich würde mal vorsichtig sagen: es deutet darauf hin, dass diejenigen, die jetzt so ganz massive Maßnahmen gefordert haben, mit ganz drastischen Warnungen... es ist ja auch bekannt damals hat die Zeit das veröffentlicht, dass das Robert Koch-Institut gerechnet hat mit einer Inzidenz von mehreren Tausend. Ja, das war ja die Basis. Als damals diskutiert wurde, ist durchgesickert, dass so eine Prognose da im Raum stand als Grundlage für die Kanzlerin und den Ministerpräsidenten. Also ich habe so das Gefühl, das war möglicherweise etwas zu pessimistisch. Und so wie wir jetzt im Fahrwasser sind, sieht es ja eigentlich nicht schlecht aus. Die Sterberate bleibt niedrig, die Inzidenz hat sich irgendwie auf so eine Seitwärtsbewegung festgefahren. Das heißt,


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(...) es gibt im Moment jedenfalls keine Gründe, die Maßnahmen zu verschärfen.


03:07


Jan Kröger


Vorsichtigen Optimismus höre ich da bei Ihnen raus. Kommen wir nun zu einer sehr optimistischen Prognose. Es geht um die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die war am Montag zur Werksbesichtigung bei Pfizer in Belgien, hat sich dort die Impfstoffherstellung angeschaut und hat im Anschluss an diesen Besuch auf Englisch folgende Aussage getroffen:


“I’m now confident that we will have sufficient dosis zo vacinate 70% of the adult population of the European Union already in July.”


Also wir hätten nun genügend Impfdosen in der EU, um bis Ende Juli 70 Prozent aller Erwachsenen zu impfen. Sie selber hat das Wort Herden-Immunität da nicht verwendet. In anderen offiziellen EU Presse Statements ist es allerdings enthalten. Fangen wir mal an mit diesem Wort Herden-Immunität, sind Sie einverstanden mit dieser Definition, dass es 70 Prozent aller Erwachsenen sind. Und das reicht dann für die Herdenimmunität?



Alexander Kekulé


Ich bin da nicht so begeistert davon. Es ist so, dass die Herdenimmunität ja ursprünglich mal aus der Veterinärmedizin kam. Da hat man im neunzehnten Jahrhundert versucht, Schafe immun zu bekommen und hatte irgendwie die Idee, dass, wenn da ein bestimmter Anteil immun ist, dass sich die Krankheit nicht mehr ausbreiten kann. Das ging natürlich nicht um Covid, sondern um andere Infektionskrankheiten. Das hat damals nicht funktioniert. Also das Konzept hat bei Schafen nicht funktioniert. Beim Menschen wird es natürlich noch viel weniger funktionieren. Das wichtigste Problem ist, dass das Konzept der Herdenimmunität ja immer voraussetzt, dass man eine homogene Durchmischung der Bevölkerung hat, also die Population, um die es geht, muss sich homogen durchmischen. Das heißt, jeder muss mit jedem eine gleich hohe Kontakt-Wahrscheinlichkeit haben. Das ist beim Menschen einfach nicht gegeben. Und in unseren komplexen Gesellschaften sowieso nicht. Da haben schon die Alten nicht so viel Kontakt mit den Jungen wie


die Jungen untereinander, von verschiedenen ethnischen Gruppen ganz zu schweigen. Und dann gibt es natürlich Menschen, die haben eine hohe soziale Aktivität, viele Kontakte. Die haben natürlich auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken. Es gibt dann auch unter denen mit vielen sozialen Kontakt wiederum solche, die sich an die Regeln halten, und solche, die sage ich mal, keine Lust haben, Corona-Maßnahmen zu befolgen oder das aus irgendwelchen Gründen nicht richtig können, sodass man jetzt lauter Subpopulationen hat. Und die Frage ist immer oder das Wichtige ist, was man erreichen muss, dass man in den Populationen, die die höchste Kontakt-Rate haben, also die die höchste Ansteckungsrate haben, dass man dort möglichst schnell eine Immunität herbekommt. Das ist üblicherweise weit unter dieser Herdenimmunität-Schwelle, die wahrscheinlich bei Covid im Bereich von 70 Prozent eben liegt und das Zweite, was eben extrem wichtig ist es, dass man die Risikogruppen geschützt hat. Da reichen 70 Prozent nicht, weil dann 30 Prozent noch sterben würden, sondern da muss man Richtung 100 Prozent gehen. Sie merken schon bei dieser etwas differenzierteren Betrachtung, das ist im Grunde genommen sag ich mal, so eine politische Marke nett zu haben. Aber sagt epidemiologisch wenig aus.


06:15


Jan Kröger


Ursula von der Leyen hat diese Ankündigungen selbstverständlich für die gesamte Europäische Union gemacht. Auch für Deutschland gibt es ähnliche Berechnungen, über die auch gestern in den Zeitungen an mancher Stelle berichtet worden ist. Da gibt es zum Beispiel das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, das modelliert hat und auf einen ähnlichen Zeitpunkt kommt, nämlich einen vollständigen Schutz bis zum 15. August. Wenn jetzt alles so kommt mit den Impflieferungen, die sagen wiederum Herdenimmunität, konnte bei 58 Millionen deutschen Einwohnern herrschen. Wie wollen wir mit diesem Zeitpunkt jetzt umgehen? Ist das so ein bisschen diese Perspektive, die der öffentlichen Debatte gefehlt hat als es jetzt um die Notbremse ging mit der Frage wie lange eigentlich noch?


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Alexander Kekulé


Ja, also ich glaube, das hat keinen Sinn, da auf diese Herden-Immunität zu starren. 58 Millionen? Ärzte sind ja schlecht im Kopfrechnen. Das wird wahrscheinlich auch so bei 70 Prozent von 83 Millionen Bevölkerung irgendwo liegen. Wichtig ist Folgendes: warum hat die Frau von der Leyen das gesagt? Die hat das gesagt, nachdem sie die Produktionsstätte in Belgien vom Pfizer besichtigt hat und gibt es natürlich einen wirklich technischen Hintergrund. Es ist nämlich so, dass die Produktionsgeschwindigkeit bei diesen RNA-Impfstoffen erheblich gesteigert wurde. Das sind ja ganz neue Impfstoffe, das kannte man ja vorher gar nicht. Diese Produkte hat man ja nur im winzigen Maßstab bisher hergestellt. Und mit dieser Covid Krise sind wir jetzt in dieser Lage, dass wir das plötzlich das gemacht haben, was man in der Biotechnologie scaling up nennt. Also dass wir quasi das jetzt für riesige Produktionsmengen entwickelt haben, weiterentwickelt haben. Und da gibt es einfach Fortschritte, also die Geschwindigkeit, mit der das hergestellt wird hat sich fast verdoppelt. Oder andersherum gesagt um einen Batch herzustellen, braucht man fast nur noch die halbe Zeit wie am Anfang. Und deshalb sind die Versprechungen, die Zusagen von Pfizer aber auch natürlich von Moderna in den USA entsprechend erhöht worden. Die sagen ja fast jede Woche: Wir können mehr liefern als erwartet. Leider in Klammern muss man konstatieren, dass bei denen Vektor-Impfstoffen die Zusagen immer runtergeschraubt werden. Es gibt ja jetzt auch ein Gerichtsverfahren wohl der EU gegen AstraZeneca wegen ausgebliebener Lieferungen. Das heißt also, wir sehen mehr und mehr, dass diese RNA-Impfstoffe einfach das Rennen gemacht haben. Und die werden eben jetzt noch schneller produziert als wir uns am Anfang vermutet hat. Und in diesem Optimismus sagt die Kommissionspräsidentin letztlich wegen der höheren Produktionsgeschwindigkeit und erhöhter Zusagen des Lieferanten, kann man hier davon ausgehen, dass mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Ob der dann europaweit, ich sag mal EU-weit, meint sie praktisch bis an die äußerste Ostgrenze der EU wirklich bei 70 Prozent der Erwachsenen angekommen sein wird bis zu diesem Zeitpunkt -das ist schon ein opti-


mistisches Statement. Daher sage ich mal Chapeau: Frau von der Leyen hat sich hier ein sportliches Ziel gesetzt.


09:13


Jan Kröger


Und Sie sagen schon, die Schwierigkeit an diesem Ziel ist: sie spricht natürlich von 70 Prozent in der gesamten Europäischen Union. Aber es gibt da mehrere Geschwindigkeiten natürlich in der Europäischen Union. Also, wenn man auf die Karte schaut und auf die Impf-Quoten im Moment, da sind so Länder wie Kroatien oder Bulgarien eben ziemlich weit hinten dran ist das dann natürlich auch ein Problem irgendwann, wenn die Impfungen fortgeschritten sind, dass diese Länder dann natürlich weiterhin unter stärkere Beobachtung stehen müssen?



Alexander Kekulé


Ja, ist das eine ist, dass einige Länder natürlich logistische Probleme haben. Nicht jeder ist so komfortabel aufgestellt wie wir in Deutschland. Ich finde ja auch nur, um das noch mal zu sagen: wir machen das nicht so schlecht. Ja, und es wird ja manchmal geschimpft auf die Impfzentren und wie langsam das alles geht und warum die Arztpraxen nicht vorher geimpft haben. Das Problem war einfach, dass nicht genug Stoff da war. Und da kann man viel über Verteilung und über Logistik reden. Wenn man nicht genug von einem Impfstoff hat, dann ist halt schwierig. Aber wenn er dann da ist, dann werden sich eben andere Engpässe zeigen. Und wie Sie richtig sagen, das wird wohl nicht in Deutschland das Problem sein. Ich glaube eher eben in osteuropäischen Ländern. In Südeuropa wird es zum Teil schwierig sein, weil die auch Regionen mit schlechter Infrastruktur haben. Aber das Interessante ist, dass man dann, wenn man so wirklich eine große Zahl am Schluss Impfen will, kommt man dahin, wo in USA jetzt eigentlich schon so die die ersten Mauern sind bei diesen Impfaktionen und


auch in Israel im Grunde genommen... . (...) Und das ist letztlich die Bereitschaft der Bevölkerung. Also da ist wohl wirklich die Grenze, dass in einigen Ländern nicht besonders viele Menschen bereit sind, sich zu impfen. Und in Frankreich zum Beispiel viel weniger als in Deutschland. Und auch in Israel ist es so, dass


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die Teile der Bevölkerung haben, die sich weigern, sich impfen zu lassen. Und an der Stelle hapert es dann natürlich und die andere Grenze, die man hat: Der Impfstoff ist zugelassen für Erwachsene oder ab 16 Jahren. Und da ist dann einfach die Frage, was macht man mit den Kindern? Das ist ja nicht ganz unerheblich. Und auch da ist natürlich, wenn man so will, dann Schicht im Schacht, wenn man sonst halbwegs alle durchgeimpft hat. Aber die Verweigerer, die Kinder und die Teile der Bevölkerung, die in einigen Regionen Europas schwer zu erreichen sind.


11:2 7


Jan Kröger


Die letzte Zahl zu diesem Themenkomplex: Sie sagten das schon. Ich glaube, die letzte Erhebung war 57 Prozent der Erwachsenen Franzosen nur wollen sich impfen lassen. Oder sagen es zum jetzigen Zeitpunkt und 67 Prozent der Deutschen. Das würde auch für diese 70 Prozent natürlich auch nicht ausreichen. Wir kommen nun zu dem, was Sie schon angesprochen haben, nämlich speziell die Situation für Kinder und Jugendliche. Es gibt Forschungen an Impfstoffen, auch von den bekannten Herstellern. Und wir wollen jetzt mal ein bisschen darauf schauen. Wie weit sind die? Und kann man eine Prognose wagen, wann diese zur Verfügung stehen werden? Nun haben Kinder und Jugendliche ja in dieser Pandemie lange Zeit keine so große Rolle gespielt in Hinblick auf ihre Infektiosität und auch auf ihr eigenes Erkrankungsrisiko in den meisten Fällen höchstens asymptomatisch. Seit dem Aufkommen der B1.1.7. Variante, der britischen Variante, hieß es allerdings auch: da hat sich was geändert. Wenn wir zum Beginn dieses Team Blogs noch einmal zusammenfassen, wie dort der aktuellen Forschungsstand ist. Wie sieht es derzeit aus um das Erkrankungsrisiko und eben auch die Infektiosität bei Kindern und Jugendlichen?



Alexander Kekulé


Ja, genau da muss man genau diese und Unterscheidung letztlich machen. Wie ansteckend sind Kinder? Fangen wir vielleicht damit mal gerade mal an. Das war ja immer so die große Frage, auch in Deutschland. Durchaus, sage ich mal öffentlich diskutiert. Sind Kinder so ansteckend wie Erwachsene? So international ist die


vorherrschende Meinung: Kinder sind weniger ansteckend als Erwachsene, also nicht im gleichen Umfang. Man weiß nicht genau, woran es liegt. Es gibt auch eine Studie der europäischen Seuchenbehörde ECDC in Stockholm, quasi die europäische Seuchen Behörde das kennen vielleicht gar nicht so viele ECDC. In den USA kennt die jeder. Aber die europäische CDC hatte auch eine Studie vor einiger Zeit veröffentlicht und gesagt, dass Kinder wohl – zumindest gibt es Hinweise darauf – auch wohl weniger empfänglich sind für die Infektion. Also Stufe eins: Kinder kriegen es vielleicht, dass es nicht ganz klar, aber vielleicht nicht so häufig. Ganz klar ist:


Wir sehen die Erkrankung bei Kindern deutlich seltener als beim Rest der Welt. Das kann natürlich den Grund haben, dass es da meistens asymptomatisch verläuft. Also nach den aktuellen Statistiken sind ungefähr acht Prozent der Covid-Patienten Kinder gewesen, also unter 18 Jahren. Aber diese unter 18-Jährigen machen fast 30 Prozent der Erdbevölkerung aus. Das heißt also, da stimmt irgendetwas nicht vom Verhältnis. Aber das ist höchstwahrscheinlich eben dem geschuldet, dass man die Erkrankung dort ganz häufig nicht erkennt und einfach nicht berichtet oder dadurch, dass es nicht gemeldet wird. Und also erste Stufe. Wahrscheinlich stecken sie sich trotz dieser schwierigeren Erkennbarkeit auch tatsächlich etwas seltener an. Zweite Stufe ist dann die Frage, geben sie das Virus häufiger genauso häufig weiter wie Erwachsene? Nach allen derzeitigen Studien offensichtlich nicht ganz so häufig, sondern es gibt da irgendein Effekt, dass die Kinder, weil sie eben auch weniger Symptome haben, weil sie häufig nicht schwer erkranken, auch das Virus seltener weitergeben. Zumindest ist jetzt relativ klar, dass diese Superspreading-Ereignisse, dass also einer ganz viele andere ansteckt – was ja der entscheidende Motor dieser Pandemie ist also diese Pandemie gäbe es nicht, wenn wir kein Superspreading hätten. Das ist bei Kindern offensichtlich seltener. Dann stellen wir uns natürlich die Frage, woran liegt es? Da kommen dann die Virologen mit allen möglichen Theorien. Die eine ist, dass vielleicht Kinder kürzer infektiös sind also nicht, solange das Virus ausscheiden, weil man bei einzelnen Kindern doch


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wieder auch manchmal hohe Virus-Dosen findet. Aber bei vielen eben dann nicht oder vielleicht nur ganz kurz. Und wir spekulieren natürlich, dass hier die angeborene Immunantwort eine Rolle spielen könnte Es ist auch gerade eine andere Studie rausgekommen, die in diese Richtung geht. Dass, wenn man kurz vorher Infektionen mit anderen Coronaviren hatte, also mit diesen harmlosen Viren, die zirkulieren, dass man dann eine Zeitlang offensichtlich weniger Risiko hat, sich mit Sars-CoV2  diesem Pandemie Virus anzustecken, also eine kurz vorher stattgehabte Coronavirus-Infektion könnte sozusagen schützen, davor, Covid zu bekommen. Und möglicherweise gilt es auch für andere Viruserkrankungen im Kindesalter. Die haben ja ständig irgendetwas. Das ist diese Idee, dass das Immunsystem, sozusagen dieses angeborene Immunsystem auf der Schleimhaut der Kinder so eine Art Grundaktivierung hat, die verhindert, dass die zumindest in einigen Fällen verhindert, dass die krank werden. Wir wissen auch, da gibt es Antikörper auf der Schleimhaut. IGA heißen die anders als das IGG, was man im Blut nachweist. Möglicherweise spielen die eine Rolle an der Stelle. Und man kann sogar so weit gehen, das ist natürlich nur Spekulation, aber in diese Richtung wird auch nachgedacht, dass Kinder da haben wir ja dieses merkwürdige Phänomen – dass die ganz oft eben dann keine Antikörper haben im Blut. Und man hat immer daraus geschlossen. Ja, das liegt daran, dass die sich nicht angesteckt haben. Aber es gibt natürlich schon eine Möglichkeit, wenn auf der Schleimhaut diese angeborene Immunantwort sehr aktiv ist. dass die dann unter Umständen eine sehr schwache Antikörperbildung haben, die man im Blut eben nicht mehr feststellen kann. Wenn man ein paar Monate später nachguckt. Also letztlich ist so ein Kind dann noch ein Buch mit sieben Siegeln. Aber unterm Strich kann man sagen, sie werden definitiv ganz selten nur schwer krank, und sie verbreiten das Virus zumindest weniger intensiv als Erwachsene.


17:05


Jan Kröger


Nun habe ich mich gefragt, ob die Kinder in dieser Pandemie durch diesen Fakt gewissermaßen bei der Impfstoffentwicklung in eine gewisse Falle geraten sind. Dadurch, dass es


eben nicht so dringend war, Kinder und Jugendliche zu schützen, sind sie jetzt eben auch bei der Impfstoffentwicklung die Letzten oder spielen auch noch andere Sachen eine Rolle?



Alexander Kekulé


Nein, das macht man immer so. Also das ist immer so, dass wir quasi Impfstoffe genauso wie alle anderen Medikamente auch erst mal in den Erwachsenen ausprobieren. Das hat viele Gründe. Bei Kindern ist die Dosisfindung schwieriger. Es geht ja auch um die ethischen Aspekte, das Einverständnis von Kindern in solche Studien ist immer schwieriger einzuholen. Da muss man dann die Eltern fragen, beziehungsweise den USA ist sogar Vorschrift, dass wenn die Kinder halbwegs verständig sind, dass man sogar die Kinder selber aufklären muss und von denen sozusagen ein (...) Einverständnis haben muss. Und irgendwie haben Erwachsene eine Verantwortung für die Kinder. Und darum nimmt man halt dann lieber die Großen erstmal, um irgendetwas auszuprobieren. Das ist der eine Grund. Der andere ist, dass es schon schwierig ist, weil wir einen Teil der Population eigentlich selbst gar nichts davon hat, geimpft zu werden. Wir können ja auch kurz über die tatsächlichen Risiken bei Kindern sprechen. Es gibt natürlich schon ein paar, aber mal ganz pauschal gesagt sind die im Vergleich zu dem, was Hochaltrigen zum Beispiel droht, wenn sie Covid haben, ist natürlich das Risiko für die Kinder selbst vernachlässigbar, sodass die Impfstoffe bei Kindern immer nur unter der Überschrift entwickelt und dann irgendwann verabreicht werden, die sollen geimpft werden, um die Übertragung zu verhindern, also um sozusagen die Epidemie zu drosseln und nicht aus Eigennutz für die Kinder. Und diese Argumentation über Bande, ist natürlich bei einem ganz modernen, experimentellen Impfstoff, den wir noch nicht lange hat, wo man die Langzeitfolgen nicht kennt, das ist natürlich etwas, das muss man schon ethisch diskutieren.


19:03


Jan Kröger


Das ist die ethische Frage einerseits. Und auf der anderen Seite kann ich mir auch vorstellen, es gibt auch eben medizinische Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen. Ich weiß, wir sprechen hier häufiger schon darüber, dass


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Kinder einfach keine kleinen Erwachsenen sind. Was heißt das denn in diesem Fall bei der Impfstoffentwicklung?



Alexander Kekulé


Bei der Impfstoffentwicklung ist es so, dass wir auf jeden Fall wissen, dass wir mit der Dosis runtergehen müssen. Das haben schon die ersten Studien gezeigt. Da sind ja so kleinere Phase-zwei-Studien gelaufen mit dem BioNTech-Impfstoff. Da hat man mal ausprobiert, wie das bei Kindern (...) war. (...) Und da hat man schon gemerkt, da genügt eine kleinere Dosis von diesen RNA-Impfstoffen. Zugleich ist die Immunreaktion stärker in diesem Alter. Und es könnte sein, wenn man jetzt noch weiter runter geht – diese Studien wurden ja gerade begonnenen Ende März – bis


zum Alter von sechs Monaten geht es jetzt langsam runter in Stufen. Also, dass das typische, dass man dann im Alter langsam runter geht, erst mal ältere Kinder, dann jüngere und dann ganz, ganz am Schluss die Babys. Es kann schon sein, dass man da feststellt, dass man immer weniger von diesem RNA-Impfstoff braucht und wäre plausibel, man würde dann eine stärkere Immunreaktion hervorrufen. Und parallel ist natürlich damit zu rechnen, dass diese Reaktogenität also quasi die Reaktionen auf den Impfstoff im Sinne von Schwellung, Rötung, Schmerzen, Allgemeinsymptomen. Dass die vielleicht auch zunimmt, das ist noch nicht klar. Aber das wird man sehen. Und deshalb ist die Dosis-Findung wahrscheinlich dann so, dass man für mehrere Altersstufen unterschiedliche Dosen braucht. Das ist nicht trivial, sie können natürlich nicht jedes Mal 5000 Kinder nehmen, um das auszuprobieren. Es muss man an kleinen Gruppen machen und dann hoffen, dass es sich verallgemeinern lässt.


2 0:53


Jan Kröger


Das hatte ich mich auch schon gefragt. Ich hatte zum Beispiel gelesen über die Studie die AstraZeneca begonnen hat. Im Februar, da geht es gerade mal um 300 Kinder zwischen sechs und 17 Jahren. Also wie lässt sich da die Wirksamkeit wirklich auch gut nachweisen?



Alexander Kekulé


Ja, da gibt es natürlich statistische Methoden des zu machen. Übrigens die AstraZeneca Studie ist meines Wissens angehalten worden wegen der Komplikationen, die man bei dem Impfstoff hat. Aber es ist eben so, dass die BioNTech und Moderna haben diese Studien gerade gestartet. Und da fängt man eben an, dass man in der Phase II im Grunde genommen alles wiederholen, wie bei den Erwachsenen. Das ist eben das ja, man muss erst mal eine Dosis-Findung machen, das heißt also mit kleineren Impfstoffmengen anfangen und mal gucken, wie die immunologische Reaktion ist. Und dann, in der nächsten Stufe, braucht man eigentlich eine klassische Phase-3-Studie, rein theoretisch. Um zu gucken: wirkt es denn wirklich, also sozusagen doppelblind und dann im Feld ausprobieren, wieviel Prozent kriegen die Erkrankungen, wenn sie geimpft waren und wieviel Prozent, wenn sie nicht geimpft worden? Das war ja das, was in den großen Zulassungsstudien bei diesen Impfstoffen gemacht wurde, mit so ungefähr 40.000 Teilnehmern jeweils. Das ist bei Kindern aus verschiedenen Gründen gar nicht möglich. Stellen Sie sich vor, Kinder haben ja keine Symptome, haben wir ja schon gesagt. Also ganz selten. Wie wollen Sie also dann so, wie man in Brasilien das gemacht hat, bei den großen AstraZeneca Zulassungsstudien zum Beispiel, wie wollen Sie dann den outcome definieren, also outcome heiß, quasi das Ergebnis wann ist es positiv, also man hat eben gesagt, wenn einer Covid-Symptome hat, soll er sich melden. Und dann wurde dann zum Teil getestet mit RNTests, ob die wirklich Covid haben. Und dann hat man gesagt okay, so und so viel hatten Symptome. Und in der Regel konnte man das dann auch positiv bestätigen im Labor. Aber wenn sich die Kinder jetzt nicht melden, weil sie asymptomatische Infektionen haben, dann wird es schon schwierig, sozusagen diesen Outcome zu definieren. Also was wollen Sie dann messen? Sie können ja nicht allen Kindern dann ständig Blut abnehmen oder Nasenabstriche machen. Um zu gucken, haben die jetzt Corona gekriegt oder nicht? Letztlich wird man so was machen, aber in einer kleineren Zahl von Kindern. Und das ist natürlich dann auch ein massiver Eingriff, wenn man ständig der Abstriche nehmen muss und so weiter. Und wir wissen bei Kindern auch


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nicht, ob die sich dann, wenn sie an so einer Studie teilnehmen, da in der letztlich die Eltern mitverantwortlich, ob die dann überhaupt ein echtes Expositionsrisiko haben. Also haben die ein Risiko, sich anzustecken oder werden die vielleicht von den Eltern beschützt? Weil das ist ja ein Unterschied, ob sie so einen Test irgendwo in Rio de Janeiro in den Armenvierteln machen. Da können Sie mal getrost davon ausgehen, dass eine hohe Infektionswahrscheinlichkeit vorhanden ist oder ob sie jetzt Kinder in wohlbehüteten amerikanischen Familien nehmen, wo alle aufpassen, dass sie sich nichts holen. Also das ist eine echte Herausforderung, solche Studien für Kinder zu machen. Und da zerbrechen sich im Moment die Leute, die das machen, so ein bisschen den Kopf, wie man das ganz exakt dann auswerten soll.


2 3:59


Jan Kröger


Und da sind sie, zumindest wenn man dem BioNTech-Chef Ugur Sahin glauben mag, ein gehöriges Stück weitergekommen. Der ist heute nämlich mit der Äußerung an die Öffentlichkeit gegangen: wir glauben, dass es jetzt schnell gehen kann bei den Impfstoffen für Kinder. Es gebe eine 100-prozentige Wirksamkeit bei Kindern ab zwölf Jahren. Bei fünf bis zwölf Jährigen sollen im Juli erste Ergebnisse vorliegen und im September dann auch bei jüngeren Kindern. Wie beurteilen Sie diese Aussage?



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube, das heißt, dass die Studie auf einem guten Weg ist. Offiziell ist es ja immer so, dass derjenige, der die Studie in Auftrag gibt, man nennt es den Sponsor der Studie, der darf offiziell die Daten gar nicht kennen. Sodass der quasi nur indirekt Hinweise hat. Sieht es gut aus, sieht schlecht aus, dass es bei solchen Doppelblind-Studien ganz wichtig, damit es keine Beeinflussung gibt. Versehentliche Beeinflussung natürlich. Und ja, das war eigentlich zu erwarten, dass das jetzt relativ bald für die erste Altersgruppe kommt. Die ältesten sind ja hier zuerst untersucht worden, von zwölf bis 15 Jahren. Ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr wirksam ist, weil man ja mit der Dosis runtergeht in diesem Alter. Was man sich natürlich fragen muss und die Daten wer-


den ja dann der Europäischen Arzneimittelbehörde vorgelegt das ist ja wieder eine Notfallzulassung, muss man sagen. Also diese bedingte Zulassung ist ja die europäische Notfallzulassung. Das eine ist eben: wie ist es mit den Nebenwirkungen bei den Kindern also diese Reaktogenität, wo man eigentlich erwarten würde aufgrund der Daten, die wir haben, dass die höher ist, dass die häufiger Schwellungen, Schmerzen, Rötung haben. Ist es wirklich so? Ist man wirklich in den guten Dosis Bereich gekommen, hätte man die Dosis vielleicht noch weiter reduzieren können? Und das andere, was natürlich immer Erstaunliches Wissenschaftler mögen 2 Zahlen überhaupt nicht, und das ist die null und die hundert, also 100 Prozent das. Dann schaue ich mir dann immer die Daten ganz genau an. Es war ja bei Erwachsenen eine 95-prozentige Wirksamkeit. Und wir haben ja darüber gesprochen, dass es schwierig ist bei Kindern, weil die ja keine Symptome zeigen auch schon in dem Alter, hier bis 15 Jahren. Und wenn man die Symptome nicht als Parameter, also als Outcome der Studie nehmen konnte, was hat man da eigentlich genommen? Und wie konnte man da auf 100 Prozent Wirksamkeit kommen? Also, da muss man das sehr, sehr genau nachprüfen, ob das dann wirklich verlässlich ist, ob man diese Zahl wirklich so im Raum stehen lassen kann oder ob das vielleicht nur bezüglich der Produktion von Antikörpern war und gar nicht bezüglich der klinischen Wirksamkeit. Aber das ist ja dann die Aufgabe der Europäischen Arzneimittelbehörde. Was man aus diesen Zahlen von Herrn Sahin auch sieht, ist Folgendes: die Europäische Arzneimittelbehörde, wenn die mal will, ist die gar nicht so langsam. Ja, also er ist ja sehr optimistisch, dass die innerhalb weniger Wochen dann die Notfallzulassung aussprechen, in diesem Fall wieder. Das heißt also wir sind jetzt nicht in der Lage, dass wir unbedingt nationale Zulassungen brauchen, wie es ja zum Teil gefordert wurde, weil die EMA so langsam wäre.


2 6:52 


Jan Kröger


Danach machen wir es mal konkret mit dem Zeitpunkt. Und es ist ja auch irgendwie auch die Frage, die sich sicherlich viele stellen. Wann ist es denn realistisch für die Kinder,


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dass die Impfungen auch dort beginnen können?



Alexander Kekulé


Ich glaube ich schon, dass es realistisch ist, so dass man im Juni, wenn die EMA wirklich so schnell ist, mit den Zwölfjährigen anfangen könnte. Ich muss aber auch Folgendes sagen: also wir haben ja hier eine Notfallzulassung, das heißt conditional marketing authorisation bei der europäischen Arzneimittelbehörde. Und da gibt es aber eben die ganz klaren Anforderungen, dass, wenn man so etwas macht, ausnahmsweise... man lässt ja zu mit unvollständigen Daten dann steht eben kleinen Richtlinien drinnen der Vorteil für die Patienten muss die Risiken klar überwiegen. Also man kann jetzt bei dem, wenn man das quasi nach den Statuten nimmt, das hat Gesetzescharakter hier in der EU, kann man nicht das so auslegen, dass man sagt, es hat einen Vorteil für andere, wenn man die Kinder impft. Sondern es muss für die Patienten selber einen Vorteil haben. Und das ist in dieser Altersgruppe natürlich schwierig, weil wir unter Umständen mit einer höheren Reaktogenität eben rechnen müssen und zugleich ja die Frage stellen müssen, hat es denn wirklich im in dieser Altersgruppe ein Riesenvorteil zu impfen, weil die ja sowieso nicht krank werden, geschweige denn daran sterben? Also diese Überlegung, die bei der Zulassung für Erwachsene eigentlich klar zugunsten des Impfstoffs ging die muss man hier insbesondere bei der Notfallzulassung noch mal wirklich auf die Goldwaage legen. Und ich hoffe sehr, dass die Europäische Arzneimittelbehörde das macht. Ich habe so ein bisschen die Sorge, dass man quasi so im Überschwang das jetzt durchwinkt, nach dem Motto Impfstoff her. Alle wollen ja wieder in die Datsche fahren. Alle wollen sich impfen lassen, weil sie hoffen, dass im Sommer dann Urlaub machen können. Ich glaube, die Motivation für die Impfung muss einfach sein, Vermeidung von Krankheit und zwar bei denjenigen, die geimpft werden. Das heißt, selbst wenn man jetzt quasi die Bestimmung aufweichen würde und sagen würde, der Nutzen für die Patienten ist vielleicht nicht so überwiegend, aber für die Gesellschaft insgesamt ist er da. Da müsste man dafür erst mal die Frage beantworten: wie viel bringt es eigentlich, die


Kinder in diesem Alter zu immunisieren, um die Epidemie zu bremsen und deshalb sage ich mal so auch juristisch auch formal oder ethisch ist es in dem Alter nicht so einfach wie bei Erwachsenen. Und ich hoffe sehr, dass die immer das genau prüft.


2 9:2 0


Jan Kröger


Sie sagen schon das sind Fragen offen. Bringen wir es mal auf den Punkt: sind Impfstoffe überhaupt der Königsweg, damit auch Kinder wieder zurückkommen können in ihren gewohnten Alltag?



Alexander Kekulé


Ich finde, wir müssen eigentlich gerade hier jetzt die Diskussion führen. Brauchen wir das, die Kinder zu schützen? Ist es das, was wir wollen, als Gesellschaft, dass wir, um sozusagen diese Pandemie unter Kontrolle zu halten, auch wenn die Sterblichkeit dann ja wegen des ausreichenden Schutzes der Risikogruppen ganz gering ist, dass wir dann trotzdem die Kinder alle impfen? Also ich finde, das ist eine sehr komplexe Diskussion. Und ich kann nur auch hier dafür plädieren, erste die Diskussionen zu führen, und zwar bevor das Machbare ist. Wir haben ja immer das Problem in vielen Bereichen an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Wissenschaft, dass die Gesellschaft eigentlich wissenschaftlichen Fortschritt antizipieren könnte. Man sieht vorher, das wird jetzt kommen. Was weiß ich? Gentherapie war so ein berühmtes Beispiel. Aber wirklich ernsthaft diskutiert wird es erst dann, wenn die Wissenschaft die Ethik überholt hat. Also die Wissenschaftler machen dann einfach und die Ethik diskutiert erst hinterher. Und hier ist das Ganze natürlich beschleunigt durch den Druck der Pandemie. Und darum finde ich die Frage müssen wir ernsthaft diskutieren. Ich sag mal, was man schon in die Waagschale werfen kann: Kinder haben ja nicht Nullrisiko. Also es gibt ganz selten wahrscheinlich deutlich und weit unter eins zu tausend bei den Kindern. Ja, dieses Multi-Inflammation Syndrom MIS-C, das ist so eine Erkrankung. Die haben wir hier im Podcast schon einige Male besprochen, die so ähnlich wie das Kawasaki-Syndrom bei Kindern ist, extrem selten. Da kommt es zur Entzündung von Gefäßen und das ist eben assoziiert


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mit Covid Erkrankungen, tritt ein bisschen zeitversetzt auch bei etwas älteren Kindern auf, und einige von denen sterben tatsächlich dran. Das i ist eine schwere Erkrankung, aber extrem selten.


Man kann spekulieren, dass es vielleicht eine genetische Komponente bei diesen Kindern hat, die wir aber noch nicht kennen, weil es nämlich komischerweise gar nicht mit der Schwere der Krankheit vorher assoziiert ist. Also das kriegen sowohl asymptomatische Kinder als auch also die, die asymptomatisch Covid hatten, als auch welche, die vergleichsweise deutliche Symptome hatten. Wir wissen nicht genau, ob dieses MIS-C, was natürlich so immer so genannt wird, als Grund, warum man die Kinder vielleicht Impfen sollte, auch wenn es extrem selten ist. Wir wissen gar nicht genau, ob die Impfung jetzt richtig gut davor schützt, weil das ja eine Autoimmunerkrankung ist. Und es ist nicht klar, ob man vielleicht sogar im Extremfall, also ich will da überhaupt nicht den Teufel an die Wand malen. Aber man muss so etwas auch im Kopf haben, wenn es Autoimmun ist, muss man natürlich die Frage beantworten, kann so etwas auch durch die Impfung ausgelöst werden? Weil das Immunsystem wird er durch die Impfung auch stimuliert, nicht nur noch durch das Virus und bei einer extrem seltenen Nebenwirkungen das wäre ja dann auf jeden Fall im Bereich von weniger als eins zu 2 000 oder so was – ist das echt super schwierig, das wenn man nicht so viele Probanden hat, im Vorfeld zu beweisen, dass das nicht stattfindet. Wir wissen auch inzwischen, dass Babys unter einem Jahr, dass die doch wohl ein erhöhtes Risiko für schwerere Verläufe haben, jetzt nicht unbedingt tödlich. Aber ich sag mal ernster Verläufe bei Covid. Das hat sich so in der letzten Zeit ein bisschen herauskristallisiert. Und es ist natürlich klar, dass Kinder, die Grunderkrankungen haben, also angeborene Herzfehler oder starkes Übergewicht, dass die auch genauso wie Erwachsene ein erhöhtes Risiko haben, etwas schwerer zu erkranken, obwohl man das nicht wirklich in Toten zählen kann. Aber die schwereren Erkrankungen und vielleicht das letzte dazu ganz aktuell, ist jetzt gerade rausgekommen die letzten Tage: Es ist ziemlich klar, dass bei Kindern auch Long Covid auftritt also was man immer bei Erwachsenen erzählt. Also da


gibt es jetzt gerade eine Studie aus Moskau mit etwas mehr als 500 Kindern, haben aber nicht die Russen alleine gemacht, sondern gemeinsam mit britischen Forschern. Und da ist ziemlich klar, dass sechs Monate nach der Erkrankung, sofern sie symptomatisch war, bei den Kindern das gilt natürlich jetzt für Kinder bis zu 18 Jahren, das ist nicht die ganz jung gewesen das aber da auch relativ häufig noch Symptome nachweisbar waren nach einem halben Jahr also hauptsächlich Müdigkeit aber auch Schlafstörungen und so was. Das heißt es sieht so aus, als würde das bei den Kindern, die symptomatisch sind, manchmal auch ein paar Monate dauern, gab im Januar aus Rom so eine ähnliche Studie mal mit einer kleineren Teilnehmerzahl. Aber insgesamt kann man sagen, Kinder leiden darunter, ja, aber sehr selten sehr wenig und ist das eine Rechtfertigung sie zu impfen? Ich stelle das einfach nur so als Frage in den Raum.


34:09


Jan Kröger


Also hier fangen die Diskussionen schon an, ganz praktisch habe ich mich jetzt mal in den Zeitpunkt versetzt: beginnendes Schuljahr 2 02 1 2 2  wir haben einen Großteil geimpfte Eltern, Großteil geimpfte Lehrer; aber eben nicht geimpfte Kinder. Sind auf der Suche danach, wie man das jetzt zuspitzen kann. Da hat mir unsere Hörer Michael Späth geholfen, der hat uns eine sehr lange Mail geschrieben. Genau dazu, diese Frage treibt ihn auch offenbar um. Er hat das so zusammengefasst:


Vor diesem Hintergrund stelle ich mir die Frage, welche Strategie man nun in Bezug auf die Kinder verfolgen wird? Wird man versuchen, sie weiterhin vor einer Infektion zu schützen? Das wäre ja wahrscheinlich nur möglich, wenn man die Schutzmaßnahmen für die Kinder aufrechterhält, was wahrscheinlich insbesondere eine Fortführung der Schulschließungen beziehungsweise Distanzunterricht und Verbote beim Nachwuchssport und so weiter bedeuten würde. Oder ist das Konzept für die Kinder und Jugendlichen die Herdenimmunisierung durch Infektionen, weil die Verläufe in der überwiegenden Mehrzahl ohnehin sehr mild sind? Auf


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der anderen Seite scheint es auf Grund der ungewissen Langzeitauswirkungen ethisch auch fragwürdig.


Nur ein Auszug aus der langen Mal. Aber ich finde, er hat das sehr schön zusammengefasst.



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau das Problem, auf das wir zusteuern. Das kann man nicht anders sagen. Ich würde sogar noch ein bisschen weitergehen. Es ist eigentlich nicht Kinder, sondern es ist jung gegen alt. Es ist eigentlich ein ganz interessanter Konflikt, der sich aufmacht. Wir haben ja berechtigterweise, und das habe ich auch immer selber gefordert, richtigerweise die Alten zuerst geimpft. Es gibt ja jetzt Diskussionen, das ganz aufzulösen die Impfpriorisierung. Da bin ich gar nicht dafür, sondern ich bin der Meinung sofern nicht. Solange nicht alle über 65 ein Impfangebot hatten, zumindest einmal geimpft wurden, ist es nicht sinnvoll. Aber was hat es im Ergebnis dann genau, wenn man in die Zukunft blickt zur Folge: die Jüngeren, also die, die sozusagen nicht so schwer krank werden, die wurden ja dann mit gutem Grund nicht geimpft, erstmal, sondern stehen hinten an. Viele von denen haben auch jetzt, wenn man das individuell bei der Risikoabwägung sich anschaut, einfach nicht so einen harten Grund, sich impfen zu lassen. Also, wenn mich jetzt ein 2 0-Jähriger fragt, soll ich mich jetzt impfen lassen? Dann ist es schwieriger zu beantworten, als wenn mich ein 80-jähriger fragt. Und deshalb muss man sagen, im Ergebnis wird es dann so sein, wie sie es gerade beschrieben haben, wie der Hörer das auch richtig antizipiert. Wir werden im Herbst dann ganz viele jüngere Menschen haben, die ungeimpft sind, und Ältere, die fröhlich mit ihrem Impfpass wedeln und sagen Kino, Theater, Sportveranstaltungen und so weiter. Ich darf hier rein, ihr müsst euch erst mal testen lassen, das heißt, wir werden im Grunde genommen die Frage stellen: müssen wir, wenn die Bevölkerung geschützt ist. Wenn wir also diese berühmte Entkopplung zwischen der Sterblichkeit unter Inzidenz hinbekommen haben, müssen wir dann den Kindern oder den jüngeren Menschen noch Auflagen machen? Dürfen wir das ethisch überhaupt? Darf man sozusagen denen noch Auflagen machen, obwohl die anderen im Grunde genommen so geschützt sind, das nur


noch wenig gestorben wird? Das wird die ganze Diskussion in eine ganz andere Richtung leiten. Und ich glaube, dass ist etwas, wo sich der Ethikrat durchaus jetzt schon mal Gedanken machen sollte. Und ich bin auch hier wieder der Meinung, dass so was die Parlamente entscheiden müssen und nicht die Exekutive, weil das wirklich eine ganz schwierige Grundsatzfrage ist. Bis eben dann hin zu der Frage: soll man empfehlen, diese Jugendlichen und Kinder dann am Ende des Tages zu impfen? Aber das sozusagen, wenn ich mir so mir seine Großstadt vorstelle, gerade die jungen Leute, die irgendwie jetzt noch nicht fest gebunden sind, die vielleicht neu an der Universität sind, die ja sozial oft aktiver sind als die Älteren, nicht immer, aber oft aktiver sind als die Älteren, dass man gerade denen sozusagen jetzt den Hahn zudreht, während die alten Party machen, das ist so eine Schieflage, das glaube ich, das wird nicht gut gehen.


38:05


Jan Kröger


Zumal man ja auch argumentieren kann, dann gibt es ja das, was immer das unschöne Wort Kollateralschäden beschreibt, sprich all die Verluste dadurch, dass keine Schule stattfindet, der Bewegungsmangel auch bei Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und dann, was wir eben vorhin auch schon besprochen haben, die immer noch offenbar konstatierte geringere Rolle in der Pandemie. Sprich: wäre dann ja denkbar, ein Schuljahr normal zu eröffnen, wenn eben die Älteren geschützt sind außen rum?



Alexander Kekulé


Ja, da wird folgendes passieren, das muss man ganz klar sagen. Da gibt es dann diesen sogenannten Founder Effekt oder Gründereffekt heißt es dann auch wahrscheinlich auf Deutsch, wenn sie einen Teil der Bevölkerung nicht schützen und da die Maßnahmen abblasen, dann passiert das, was hier mit B1.1.7. in England gesehen haben. Dann kriegen sie plötzlich massive Erhöhung der Fallzahlen bei neuen Bevölkerungsgruppen in dem Fall bei den Jüngeren. Das ging ja so weit, da hat man ja die Schulen aufgemacht und die jungen Leute haben sich auch nicht mehr so an die Regeln gehalten. Und es ging so weit, dass man vermutet hat, dass diese britische Variante


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B1.1.7. vielleicht für Kinder, sogar für Jugendliche sogar ansteckender sein könnte. Das hat sich nicht bewahrheitet, aber das war so ein klassischer Founder-Effekt. Wenn sie sozusagen in einem kleineren Teil der Bevölkerung alle Tore öffnen, dann kriegen Sie da dann in kürzester Zeit eine massive Durchseuchung. Übrigens ist es auch etwas, was wir in Indien gerade sehen. Wenn man fragt sich ja, warum in Indien? Da haben wir gerade darüber gesprochen. Diese massiven Ausbrüche sind es. Das liegt eben daran, dass es da riesige Superspreading-Ereignisse gibt, weil bestimmte Bevölkerungsgruppen einfach richtig Party machen und eng zusammen sind und glauben, sie müssten sich nicht mehr schützen, während andere natürlich geimpft sind oder auch vernünftig sind. Und so was würden wir dann hier auch sehen, dass wir also ganz massive Erhöhung der Fallzahlen haben. Und dann ist halt die Frage was ist dann ja? Ihr Beispiel ist ganz gut. Wir machen alle Schulen munter auf im Herbst. Und dann haben wir plötzlich eine Inzidenz in einigen Landkreisen von 600 oder 800, je nachdem, wieviel Jugendliche es da gibt. Aber es wird nicht gestorben. Es gibt ganz wenig Tote, weil wir hoffentlich dann das mit den Impfungen bei den Alten hingekriegt haben. Ja, was macht man denn dann? Machen wir dann zu wegen Inzidenz? Das ist ja dann so, als wenn man jemanden ein stark wirksames Medikament verschreibt, bloß weil irgendein Laborwert komisch ist. Ja, wir sagen, als Ärzte immer: wir therapieren, keine Laborwerte, sondern nur, wenn einer echt sich krank fühlt. Und hier ist ja die Frage ist die Gesellschaft krank, wenn es nur ganz wenige schwere Kranke und wenige Tote gibt, aber eine hohe Inzidenz? Das erinnert ja dann so ein bisschen an die Grippe. Und ich glaube, das müssen wir eben jetzt diskutieren. Das wird spannend im Herbst.


40:41


Jan Kröger


Wir werden darauf zurückkommen, ist so eine Moderatoren Floskel, die man dann einen solchen Momenten immer macht, um das Thema für heute abzuschließen. Sie haben noch eine interessante Studie rausgesucht. Ich hatte es eingangs schon angekündigt wir wenden uns nicht ab von Corona, von SARS CoV-zwei. Aber wir schauen auf eine Impfung, die eben auch


an Kindern gemacht worden ist, ausprobiert worden ist in Burkina Faso, und es geht um Malaria. Erst einmal: Was war Ihr Antrieb, dass wir heute darüber reden?



Alexander Kekulé


Ja, das ist, glaube ich, ganz wichtig (...), wenn man über so was redet. Impfung von Kindern, dass man sich einfach mal ein Beispiel ansieht, wo es wirklich notwendig ist. Also die Malaria ist eine Erkrankung, wo einfach 400.000 Menschen pro Jahr sterben. Jedes Jahr nicht nur in einem Pandemie-Jahr, sondern jedes Jahr 400.000. Das heißt also, die sozusagen insgesamt natürlich relevanter ist als Covid. Und die allermeisten davon sind Kinder unter fünf Jahren. Also, das ist wirklich eine Erkrankung, wo im Malaria-Gürtel der Erde, also in den tropischen Regionen und subtropischen Regionen, die Kinder daran sterben und wo man mal sehen kann und darum fand ich das ganz spannend wie schwierig das bei anderen Impfstoffen ist, die die Impfstoffentwicklung, also welches Glück, wir eigentlich bei Covid hatten, dass das einfach so wie am Schnürchen geklappt hat im Vergleich zum Beispiel zur Malaria.


42 :11


Jan Kröger


Dann schauen wir uns mal an die Studie, um die es dabei geht. In Burkina Faso hatte ich schon gesagt 450 Kinder haben an dieser Studie teilgenommen. Ein Großteil von ihnen hat das Vakzin bekommen, das beabsichtigt war. Dann gab es natürlich auch eine Kontrollgruppe. So weit, so bekannt. Und am besten überlasse ich Ihnen, jetzt mal darzustellen, wo jetzt der Erfolg darin bestanden hat.



Alexander Kekulé


Also diese Malaria ist ja ein kleines Tierchen. Ja, das ist ein Einzeller, das ist kein Virus, sondern der Erreger von dieser Malaria tropica heißt Plasmodium falciparum. Und das ist ein kleines Tierchen. Was von bekanntlich durch den Stich der Anopheles-Mücke übertragen wird und dann sich in den roten Blutkörperchen irgendwann einnistet. Und deshalb ist dieser Einzeller der ist wahnsinnig schwierig, durch eine Impfung zu bekämpfen, aus mehreren Gründen. Erstens hat er ein riesiges Repertoire von Tricks, um sich dem Immunsystem


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der Immunantwort zu entziehen. Der ist wirklich darauf spezialisiert, quasi wie ein StealthBomber irgendwie unsichtbar durch unseren Körper zu sausen und am Immunsystem vorbei zu sausen, weil der ja in unseren roten Blutkörperchen lebt, der futtert quasi die Inhalte dieser roten Blutkörperchen leer. Das andere ist, dass der nur ganz kurz im Blut ist, die Mücke sticht quasi. Dann geht der über das Blut in die Leber, macht das einen ersten Zyklus durch und dann verschwindet er in den roten Blutkörperchen. Deshalb muss man den kurzen Moment erwischen, um mit einem Impfstoff, wo dieser Erreger noch im Blut ist. Und da kämpfen wirklich seit Jahrzehnten die Fachleute dran. Es gibt so einen Impfstoff, der im Moment der Beste ist. Ich glaube, der ist von GlaxoSmithKline (aber) noch nicht zugelassen. In der Phase drei, das ist so der beste Kandidat im Moment, der hat seine Wirksamkeit, kann man sagen typischer Weise ja, so 56 Prozent war so die offizielle Wirksamkeit nach einem Jahr. Dann nach vier Jahren nur noch 36. Und wenn man jüngere Kinder anschaut, geht die Wirksamkeit runter auf bis zu 18 Prozent.


Also nur mal so zum Vergleich ja, bei Covid haben wir von 95 Prozent Wirksamkeit gesprochen und müssen leider AstraZeneca als schlechteren Impfstoff klassifizieren, weil es bei 62  Prozent liegt. Jetzt liegen wir hierbei das Malaria-Impfstoff bei 18 Prozent. Ja, und das ist schon der beste Kandidat in bestimmten Altersgruppen. Und es gibt auch noch diese Befürchtungen, dass es jetzt in Afrika die Geimpften, dass die ein bisschen häufiger besonders schwere Malaria mit Gehirnbefall haben. Das ist nicht ganz sicher, ob es daran liegt. Und die WHO will gerne, dass man 75 Prozent Wirksamkeit erreicht. Das ist das Ziel der WHO bei der Malaria-Impfung bis 2 030, also ein bisschen Zeit ist noch jetzt so neun Jahre oder so da sollen wir auf 75 Prozent Wirksamkeit kommen. Irgendein besserer Impfstoff muss her, und die Studie, die Sie genannt haben, das ist natürlich eine ganz witzige Koinzidenz – die ist genau von dem gleichen Team gemacht worden, was den Astrazeneca-Impfstoff gemacht hat: der Adrian Hill, ein sehr bekannter, eigentlich Malaria Immunologe, der ist ja mit Sara Gilbert zusammen da am Jenner Institute in


Oxford. Und die stehen eigentlich hinter diesem Astrazeneca-Impfstoff, kann man sagen. Und Adrian Hill ist jetzt hier auch der der wichtigste Autor dieser Studie aus Burkina Faso und ich gehe jetzt nicht so auf die Details ein, was die technisch gemacht haben, die haben so ein paar Tricks gemacht, um den Impfstoff zu verbessern. Und da sieht es jetzt eben so aus, als würden sie 74 bis 77 Prozent Wirksamkeit bekommen. Allerdings nur nach einem Jahr. Da jubeln die Fachkollegen schon und sagen Mensch, toll, das sieht ja super aus, ist nur eine kleine Zahl von Probanden gewesen, aber schon so ein kleiner Erfolg nach so einer langen Durststrecke. Es ist hier ganz toll und es sollen jetzt nächste Woche die Phase-drei-Studien bekommen. Sie beginnen mit knapp 5000 Kindern, und man wird sehen, was dabei rauskommt. Wahrscheinlich wird die Wirksamkeit noch ein bisschen Absinken von diesen etwa 75 Prozent, die sie jetzt haben, weil dort in Burkina Faso ist ja das halbe Jahr lang nur Malaria-Saison vielleicht noch einmal, wo das überhaupt ist für die, die nicht so oft in Afrika unterwegs sind. Das ist in Westafrika Südwestafrika da, irgendwo zwischen Mali, Elfenbeinküste und Ghana in der Ecke an ein Land was keine Küste hat. Das ist ringsrum umgeben von anderen Ländern, hat eben extrem viel überflutetes Gelände, ein perfektes Brutgebiet für Malaria und ist eines der ärmsten Länder und schlimmsten Malaria-Gebiete der Welt. Also früher hieß das Obervolta. Vielleicht wird die die das noch kennen, und die Hauptstadt des Ouagadougou. Was also bei Kindern manchmal so ist: Jetzt geht doch nach Ouagadougou. Dass es tatsächlich Burkina Faso. Also wir befinden uns hier wirklich in einer der schwierigsten Gegenden der Erde. Entwicklungsland, wo die Kinder wirklich massenweise daran sterben. Und das hat aber nur ein halbes Jahr lang eben die Malaria Saison, sodass dieser Erfolg, den die jetzt haben, nach einem Jahr auch darauf zurück zu führen sein könnte, dass sie eigentlich nur eine Studie über sechs Monate gemacht haben. Und wir wissen, dass diese Wirkung der anderen Malaria-ImpfstoffKandidaten leider im Lauf der Zeit immer schlechter wird. Also wenn man dann 2 Jahre, drei Jahre, vier Jahre wartet, wird es schlechter und deshalb nur mal so zum Ver-


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gleich, wir sind wirklich auf der Insel der Glückseligen, was diese Coronavirus-Vakzine betrifft, sowohl bei der Wirksamkeit als auch bei der Tatsache, dass wir jetzt die Luxusfrage beantworten: Sollen wir die Kinder impfen oder nicht? Und bei Malaria stehen wir seit vielen Jahrzehnten mit dem Rücken zur Wand.


48:02 


Jan Kröger


Das setzt das Ganze etwas ins Verhältnis. Mir kam die Frage ein bisschen anders, wenn jetzt so in 50, 60 oder meinetwegen auch hundert Jahren Lehrbücher geschrieben werden zur Geschichte der Medizin. Was wird da die größere Rolle einnehmen? Eine Impfung gegen Malaria oder eine Impfung gegen Sars-CoV-2 ? 2 gegen Covid 19?



Alexander Kekulé


Oh je. Also Malaria ist viel wichtiger, obwohl das Problem jetzt hier mit dieser Sache übrigens noch nicht gelöst ist. Vielleicht sage ich noch so, der Adrian Hill dass ein netter Kerl, und er ist einer der intelligentesten Forscher, die ich kenne in dem Gebiet. Er ist aber auch ein Super-Verkäufer. Also, der hat das natürlich jetzt wieder super vor ein paar Tagen rausgehauen, und zwar gerade mal sechs Tage, bevor seine Firma, die er mit der Sara Gilbert zusammen hat, die heißt Vaccitech. Und das ist auch die technische Plattform für den AstraZenecaImpfstoff entwickelt hat, die sind gerade vor ein paar Tagen am 2 6. April haben sie angekündigt, dass sie in New York an die Börse gehen, ja, und wollen also ihre Firma da auf 613 Millionen US-Dollar bewerten lassen. Das heißt, dass die wissen schon, wann sie ihre positiven Meldungen raushauen, nachdem der AstraZeneca-Impfstoff ja so ein bisschen in Misskredit geraten ist. Ja, und was wird dann am Schluss des größere sein? Ich glaube, es wird eine ganze Generation sein, die sagt Mensch, weißt du noch damals Covid, was hast denn du damals gemacht? Wie war es bei dir? Bist du krank geworden? Bist du geimpft worden? Es ist ja jetzt schon so, dass die Leute ständig SMS verschicken, wenn sie gerade eben endlich mal ihren Impfstoff bekommen haben. Oder einen Impftermin. Da werden sich alle Leute Geschichten erzählen, wie man das


wahrscheinlich sonst aus dem Krieg macht oder so ähnlich. Aber rein von der medizinischen Geschichte ist es genau richtig, was Sie sagen, dieses Covid ist jetzt rein virologisch gesehen, eher eine Randnotiz. Coronavirus, das ist eben leicht zu bekämpfen gewesen. Und wenn man jetzt die die Schwierigkeit der Impfstoffentwicklung mal vergleicht, mit Hepatitis C zum Beispiel oder AIDS oder Malaria, was wahrscheinlich das Allerschwierigste ist, dann ist das einfach unser Glück gewesen. Vielleicht kann man das vielleicht so auch abrunden. Wir hatten echt Glück, dass diese Pandemie von einem Virus verursacht wurde, das zu einer Virusfamilie gehört, die man im Vergleich zu den anderen sehr leicht bekämpfen kann.


50:2 6


Jan Kröger


So weit die Einordnung und der Gegensatz zwischen Wall Street und Burkina Faso. Der ist natürlich auch in der Geschichte auch wieder einer, der das Ganze sehr stark verdeutlicht. Wir kommen zu den Hörerfragen und damit auch wieder zurück zu COVID 19. Nach Folge 173 also am Donnerstag letzter Woche haben uns mehrere Nachfragen erreicht, unter anderem von dieser Hörerin aus Thüringen. Sie schreibt:


„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, seit Corona-Kompass 173 kann ich mich nicht ehr so richtig auf meinen Impftermin freuen. Da ging es um Ihre Ausführungen zur Erbsünde. Und wenn ich die richtig verstanden habe, bestünde nach dieser Theorie die Möglichkeit, dass man sich mit einer jetzigen Impfung gegen den Wildtyp des Virus den Weg für eine spätere Immunisierung gegen alle möglichen Variance of Concern verbauen könnte.“


Sie verweist auch auf die gegenwärtige Infektionslage in Israel, das vor allem diejenigen, die die zweite BioNTech-Impfung erhalten hatten, schwer an der südafrikanischen Variante erkrankt seien.


„Würde hier ein Nachimpfen der Bevölkerung etwa noch helfen? Ich fürchte eher nicht.“



Alexander Kekulé


Das war ja eine Hörerfrage. Aber das ist eine interessante Frage gewesen mit dieser Erbsünde. Ich glaube, ich habe aber sehr deutlich auch gesagt: eine hypothetische Möglichkeit,


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das irgendwann mal eine Variante auftaucht, die sozusagen das ausnutzt, dass wir früher gegen was anderes geimpft wurden und die gegen dies dadurch keine richtig gute Impfung mehr gibt, sodass diese Erbsünde wirklich funktionieren würde oder eintreten würde. Das ist eine rein hypothetische Möglichkeit, das kann man nicht ausschließen. Aber das wäre halt einfach super Pech. Ja, das wäre das extreme Superpech. Und von diesem Fall gehen wir einfach nicht aus. Sonst würden wir ja alle nicht diese Impfungen machen. Das sind ja viele kluge Leute, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Diese Problematik des Immune Enhancement, die wir in diesem Podcast im letzten Sommer ja schon besprochen haben zum ersten Mal. Die stand natürlich vom ersten Tag an als Möglichkeit im Raum, hat sich nicht gezeigt bei den Impfstoffen und zwar bei gar keinem Impfstoff. Weder die RNA-Impfstoffe noch die Vector Impfstoffe. Und das müsste jetzt sozusagen mit dem Teufel zugehen, wenn das Virus es schafft, sich so zu verändern, dass so ein Effekt tatsächlich eintritt. Deshalb noch einmal betont, also die Angst muss man wirklich nicht haben. Und die Hörerin hat da Daten aus Israel zitiert. Also ich muss jetzt sagen, ich wüsste nicht, dass diejenigen, die jetzt im mit dem BioNTech Pfizer Impfstoff dort geimpft wurden, das sind ja alle, die haben nur diesen Impfstoff verwendet. Es war ja so eine Art Feldstudie, dass die schwerere Verläufe gehabt hätten hinterher mit der südafrikanischen Variante also, das habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nie gehört. Die Daten sind ja so, dass wir wissen, dass es Durchbrüche gibt. Also es ist so, dass tatsächlich Menschen, die mit BioNTech geimpft wurden, noch Infektionen bekamen mit der südafrikanischen Variante und zwar auch, nachdem sie zweimal geimpft wurden. Und da hat man dann gesagt schützt also nicht ganz hundert Prozent vor der vor der südafrikanischen Variante nicht ganz so gut wie mit den sonstigen etwa 95 Prozent Schutzwirkung scheint etwas schlechter zu sein. Das korreliert auch ein bisschen mit den Daten, die wir schon vorher aus dem Labor hatten, dass also eine gute Schutzwirkung da ist, aber nicht mehr ganz so perfekt wie vorher. Jetzt muss man aber sagen: diese südafrikanische Variante ist in Israel nicht so sehr verbreitet. Also gibt es schon, aber es ist jetzt nicht so,


dass die dort dominant wäre. Und wir haben insgesamt acht Fälle gehabt. Also das waren acht Personen, die bei dieser Studie, um die es da ging, die ja von diesen großen Versicherungen in Israel gemacht wurde. Da gab es acht Fälle, wo nach der zweiten Impfung tatsächlich jemand noch positiv geworden ist in der PCR für Covid. Und die sind alle aufgetreten, innerhalb der ersten 13 Tage nach der zweiten Impfung. Und wir wissen, dass es eigentlich mindestens 2 Wochen dauert nach so einer Impfung, bis der Schutz vollständig ist. Es gab niemanden, der später als 2 Wochen noch sich angesteckt hat mit Covid. Oder andersherum gesagt: es kann gut sein, dass das jetzt so eine Momentaufnahme war, kurz nach der zweiten Impfung, als dieser Impfstoff noch nicht seine volle Wirkung entfaltet hat. Und man kann daraus vielleicht das Grundsätzliche Plädoyer noch mal erinnern, wenn jemand geimpft wurde, sei es beim ersten Mal oder beim zweiten Mal, die ersten 2 Wochen nach der Impfung ist der Schutz noch nicht zuverlässig. Da sollte man definitiv nichts riskieren, nach der ersten Impfung sowieso ein bisschen vorsichtiger sein. Und in diese Richtung interpretiere ich diese Daten aus Israel also aus meiner Sicht ist es wirklich so: man hat hier eben diese wenigen Fälle gehabt kurz nach der zweiten Impfung. Und wahrscheinlich ist der Impfschutz da noch nicht voll vorhanden gewesen. Und dass die besonders schwer erkrankt wären mit der südafrikanischen Variante das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Also zumindest diese acht Fälle. Da gibt es keinen Bericht, dass die jetzt besonders schwere Verläufe gehabt hätten.


55:35


Jan Kröger


Eine weitere Hörerfrage, die hat uns erreicht aus München. Herr M. hat uns angerufen.


„Ich werde mich in der kommenden Woche mit Astrazeneca impfen lassen. Ich bin 63 Jahre alt. Ich schätze zwar das Risiko einer Sinusvenenthrombose für mich als äußerst gering ein oder verschwindend gering. Aber es ist ja bisher nicht bekannt, ob AstraZeneca auch sonst einen Einfluss auf den Thrombozyten Pegel hat. Deswegen denke ich daran, anschließend beim Hausarzt, mal ein kleines Blutbild


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machen zu lassen, um die Thrombozyten zu bestimmen. Die Frage dazu: halten Sie das für sinnvoll? Und wenn ja, in welchem Abstand von der Impfung wäre das zweckmäßig, das zu tun.“



Alexander Kekulé


Also, das ist nicht sinnvoll. Erstens ist ein 63jähriger Mann überhaupt nicht diese Risikogruppe, wenn wir überhaupt eine haben. Aber es sieht so aus, als wenn es doch eher jüngere Frauen. Zweitens sprechen wir hier von dem Risiko, was irgendwo zwischen eins zu 2 0.000 und ein zu einer Million liegt. Je nachdem, ob sie jetzt die norwegischen Daten nehmen oder die gesamteuropäischen. Und wenn sich da einer sozusagen ein Test macht auf Thrombozyten, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er jetzt gerade einer von denen ist, wo man was sieht halt ich weiß nicht genau, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, im Lotto zu gewinnen. Also ein Sechser ist weniger. Aber wahrscheinlich ist das so was wie ein fünfer im Lotto oder so was natürlich mit umgekehrten Vorzeichen. Und das dritte ist die Thrombozyten sind kein so guter Parameter dafür. Ja, es kommt, wenn jetzt richtig, dieses Vollbild dieser Sinusvenenthrombose, dieser klassischen oder besonderen, bei dem als Nebenwirkung der Vektor Impfstoffe auftritt... da kommt es zum Abfall der Thrombozyten. Aber es ist so, dass viel bessere, Frühwarn-Indikatoren vorhanden sind. Also man kann das Komplementsystem genauer bestimmen, das sind Faktoren im Blut, die eine Rolle spielen bei der Immunantwort aber auch eine Verbindung haben zum Gerinnungssystem. Man kann spezielle Antikörper feststellen, die gegen den Plättchen-Faktor vier gehen, also etwas, was mit der Gerinnung zu tun hat. Und auch wenn die da sind, dann ist das ein Hinweis darauf, dass sich etwas Ähnliches abspielt wie bei den AstraZeneca-Nebenwirkungen. Gibt auch andere Parameter, die sogenannten D-Dimere haben wir ja schon mal angesprochen. Da kann man ganz feine Thrombosen mit feststellen, bevor sie überhaupt jetzt klinisch Symptome machen. Also es gibt solche Parameter, aber das wären jetzt nicht die Thrombozyten. Also wenn die Thrombozyten richtig abfallen, dann ist es schon sozusagen krass voll im Gange das Krankheitsgeschehen. Und das würde ich jetzt bei einem


Mann in dem Alter fast ausschließen, dass man da was sieht. Und insgesamt meine ich, das ist nichts, was jeder für sich selber machen sollte. Ich plädiere dringend dafür, dass man so eine Untersuchung wirklich systematisch macht. Bei Victor-Impfstoff-geimpft mit den genannten und vielleicht noch ein paar weiteren empfindlichen Parametern, mit denen man so etwas nachweisen kann. Und wenn das im Rahmen einer professionell gemachten Studie ausgewertet wird, dann können wir auch sagen, ob es vielleicht Hinweise gibt, welche Bevölkerungsgruppen besonders ein höheres Risiko haben, möglicherweise ein höheres Risiko haben für diese Nebenwirkungen. Und es würde natürlich schon enorm viel bringen, weil, wenn sie durch Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von der Impfung also dass man bestimmte Leute eben nicht immunisiert mit diesen Impfstoffe wenn man dadurch das Risiko verringern kann. Von was weiß ich eins zu 2 00.000, zu eins zu 2  Millionen um einen Faktor zehn, dann ist es wirklich dann in einem Bereich, wo es, wo es viel gefährlicher ist, mit dem Flugzeug zu fliegen oder Ähnliches. Vielleicht noch ein letztes. Es ist einfach so, wir haben es ja eingangs besprochen. Die RNA-Impfstoffe haben jetzt auch noch den Vorteil, dass sie schneller produziert werden. Die Tage der Vektor Impfstoffe sind einfach gezählt in den Industrieländern. Bei uns wird es am Schluss so sein wie immer. Das beste System setzt sich durch. Das sind bis jetzt die RNA-Impfstoffe aus sehr vielen Gründen. Deshalb sind diese Vektor Impfstoffe extrem wichtig für Länder, die weniger Geld haben, die weniger entwickelt sind, die weniger Kühlschränke haben als wir und bei denen ist das das Thema. Und deshalb meine ich, wir haben auch die Verantwortung, diese Untersuchungen zu machen, weil in Indien natürlich keiner diese exotischen Blutwerte testet, nachdem mit AstraZeneca oder einem anderen Vektor Impfstoff geimpft wurde.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 176. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag dann wieder zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dahin, Herr Kröger.


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Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass gibt es unter Audio & Radio auf mdr.de zu finden, oder auch in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge unter Audio&Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass Dienstag, 2 7. April 2 02 1


#175: Impfreihenfolge bitte beibehalten!


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung


Studie: Neutralisierung der B.1.617-Variante durch Covaxin-Impfung (englisch):


https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2 0 2 1.04.2 3.441101v1


INTERCOVID-Studie zum Erkrankungsund Sterberisiko von Schwangeren mit Covid-19 (englisch):


https://jamanetwork.com/journals/jamapedia trics/fullarticle/2 779182 ?guestAccessKey=fed 2 ea98-6893-42 aa-87e496642 2 2 f3842 &utm_source=For_The_Media &utm_medium=referral&utm_campaign=ftm_ links&utm_content=tfl&utm_term=042 2 2 1


RKI: Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf:


https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu artiges_Coronavirus/Risikogruppen.html


Dienstag, 2 7. April 2 02 1


Jan Kröger


Sie nannten es die Konferenz der Hoffnung. Sie, das sind Bundeskanzlerin Merkel und die Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz. Hoffnung, sollte es vor allem für diejenigen geben, die bereits ihre zweite Impfung erhalten haben. Wann können für sie die ers-


ten Beschränkungen wegfallen? Ein paar Antworten gab es, aber wir sprechen heute über das, was nicht gesagt wurde.


Es gibt eine neue Studie zur Frage, welches Risiko eine Covid 19 Erkrankung für Schwangere darstellt. Wir blicken auf die Ergebnisse und darauf, ob unsere Richtlinien in Deutschland dieses Risiko angemessen würdigen.


Und Israel überprüft Dutzende Fälle von Herzmuskelentzündungen nach Impfungen. Hier geht es um den Impfstoff von Biontech. Vor allem junge Männer sollen betroffen sein. Was lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt darüber sagen?


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. In dieser und in der nächsten Woche vertrete ich 

Camillo Schumann

, den Sie sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen gemeinsam mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, schauen wir auf die politischen Entscheidungen. Gestern ging es um die Frage, die in den letzten Wochen etwas stärker in die Öffentlichkeit gekommen ist. Wenn mehr Menschen in Deutschland ihre zweite Impfung erhalten haben, dann kann man ihnen, nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, nicht mehr so viele Grundrechte vorenthalten wie bisher. Das war der Anlass für das Treffen. Nun hat man sich noch ein bisschen Zeit ausbedungen. Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, zum 2 8. Mai soll eine Verordnung vorliegen, über die dann der Bundesrat entscheiden soll. Ist das Vorgehen noch angemessen? Denn der Druck wächst aus der Öffentlichkeit.


02 :11



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein Problem, auf das wir lange zusegeln. Wie das meistens ist, wenn man irgendwelche Hausaufgaben hat, die nicht bis morgen sind, sondern für später. Man macht es


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dann erst im letzten Moment, wie jeder von uns wahrscheinlich ein bisschen gepolt ist. Das scheint bei der Politik auch zu sein. Wir werden eine Lage haben – und die beginnt hier schon jetzt – dass wir einen Teil der Bevölkerung haben, der sich sicher fühlt, weil sie geimpft sind. Das ist die Belohnung fürs Impfen in gewisser Weise. Und man fühlt sich sicher. Man sieht dann nicht ein, dass man viele Entbehrungen haben soll. Es ist international deutlich die Entwicklung. Das Ausland hat zum Teil schneller impft als wir. Dass man beispielsweise für Flugreisen einen Impfpass haben will, wo die internationale Vereinigung zuständig ist, die IATA (International Air Transport Association) hat da so ein Konzept, das mit einer App zu machen. Einige Länder wie Israel sind so weit, dass sie solche Pässe haben. Bekannt ist die Bubble, die jetzt gerade aufgemacht hat zwischen Neuseeland und Australien. Wo die Leute jetzt frei hin und her fahren können. Ähnliches wird in den USA ganz massiv diskutiert, obwohl ich glaube, dass es dort politisch verfrüht ist. Die sind noch nicht weit, die sprechen aber intensiv darüber. Da werden wir die verschiedenen Klassen in der Gesellschaft haben eine mehr Mehrklassengesellschaft. Die einen sind die Geimpften, die zweiten sind die Genesenen. Wir haben durch die Schnelltests eine Art Impfung für die Armen oder Privilegien für die Armen installiert, nämlich für die, die noch nicht geimpft und nicht genesen sind nach der Infektion. Die werden sich durch die Schnelltests in diese Gruppe der Privilegierten bringen können. Und wir haben die große Zahl derer, die im Moment nicht geimpft sind. Ohne eigene Schuld. Die sich gerne impfen lassen würden, aber nicht herankamen. Das wird noch interessant. Und da muss man meines Erachtens möglichst schnell eine Sicherheit schaffen, weil gerade die ganzen Unternehmen planen müssen. Die Reiseindustrie muss planen. Deshalb ist es sinnvoll, das so schnell wie möglich zu machen. Dass man es diskutiert und dann am Schluss eine Verordnung macht. Die Reihenfolge kann nicht sein, dass der Bundesgesundheitsminister eine Verordnung macht und man das dann diskutiert. Sondern ich finde es gut, dass der Ethikrat vorher beteiligt wird. Und ich glaube, wir brauchen da eine parlamentarische Diskussion. Ich wär dagegen, dass das von der Exekutive alleine gemacht wird.


05:00


Jan Kröger


Sie haben den Ethikrat angesprochen. Die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx hat sich gestern geäußert zu dieser Diskussion. Hören wir mal kurz rein, was sie gesagt hat dazu.


Was wirklich offengeblieben ist, ist die aus meiner Sicht wirklich schwierige Frage der Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum. Wie viele Leute kann ich sozusagen öffentlich treffen? Denn da gibt es – wie ich finde – eine ganz berechtigte Sorge, dass da so eine Schieflage entsteht zwischen denen, die sich eben noch nicht impfen konnte,n und denen, die das schon konnten. Und das ist ja ganz schwierig umzusetzen und zu kontrollieren.


Da nimmt sie den möglichen Inhalt einer solchen Verordnung vorweg, dass bei den Kontaktbeschränkungen ab einem gewissen Zeitpunkt geimpfte Personen nicht mehr mitgezählt werden. Bei den derzeit strengen Kontaktbeschränkungen, die wir in den Landkreisen haben mit einer Inzidenz von über hundert. Ist das so? Diese Diskussion, die Sie angesprochen haben, die jetzt genau geführt werden muss, um dann in die Verordnung einzufließen?



Alexander Kekulé


Ja, das ist diese Diskussion. Man hätte sie natürlich schon früher führen können. Diejenigen, die den Podcast länger hören, die wissen, dass wir hier vor vielen Monaten drüber gesprochen haben. Ich glaube, es gibt noch mehr Ebenen. Das eine ist, was macht man mit den häuslichen Kontakten? Klar ist, Maßnahmen, die keiner versteht, oder wo man sogar der Meinung ist, dass sie Unsinn seien, die werden nicht eingehalten, vor allem im privaten Bereich. Ich sehe noch ein ähnlich großes Problem bei der Frage, wie weist man eigentlich nach, dass man genesen ist? Wir haben immer dringend empfohlen, falls jemand einen positiven Schnelltest hat, das mit der PCR bestätigen zu lassen. Nicht nur damit das Robert-KochInstitut einen kleinen Strich auf seiner Liste machen kann, weil die Schnelltests ja nicht registriert werden. Sondern vor allem auch aus egoistischen Motiven, dass man dann Schwarz auf Weiß hat, dass man Corona hatte. Die Antikörpertests mit Blutabnahme können da ein


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Ersatz sein. Dass man später über Antikörper nachweist, man hatte Covid. Aber das Problem ist, dass bei vielen Menschen die Antikörper nach einigen Monaten verschwinden. Deshalb hier nur noch mal die Empfehlung: Wer einen Antigen-Schnelltest macht, oder wer glaubt, dass er Symptome hat, der sollte wirklich nicht sagen, mir egal, ob es Covid ist oder nicht. Ich isoliere mich und wird schon wieder gut. Sondern der sollte wirklich das testen wegen des grünen Passes, der dann irgendwann kommen wird. Wegen dieses Impfpasses. Da ist das Problem des Nachweises für viele. Das andere ist: Ich habe es mal ein bisschen die Impfung für die Armen genannt. Der Schnelltest ist unser Glück, dass wir die jetzt doch noch bekommen haben gegen viele Widerstände. Das bedeutet, dass diejenigen, die dort noch nicht dran waren mit dem Impfen, und das wird in den nächsten Monaten noch die Mehrheit sein, dass die zumindest einen Nachweis haben, dass sie jetzt aktuell negativ sind. Da ist es der Schummelei Tür und Tor geöffnet. Was gilt da? Welcher Schnelltest? Reicht es, wenn man den selber macht? Schüler machen das ja jetzt in der Klasse zum Teil selber unter Anleitung des Lehrers. An Universitäten wird den Studenten empfohlen, einen Schnelltest zu machen. Zum Teil heißt es, wenn man dann kommt, soll man eine Erklärung unterschreiben, man habe sich getestet u.Ä.. Da brauchen wir, glaube ich relativ klare Regelungen, weil ja das dann eine Schwachstelle ist. Weil ein Test letztlich viel unsicherer ist als Impfung oder Genesung. Wir können aber nicht darauf verzichten, den Getesteten diese Privilegien auch zu geben. Sodass wir da in eine Stufe kommen, wo wir noch weniger Sicherheit haben als heute, weil wir diese Gleichstellung dann haben zwischen Genesen, Geimpft und Getestet. In dieser Stufe würde ich mir wünschen, dass die Hintergrundinzidenz niedrig ist. Dass wir nicht bei 2 00 liegen, wenn wir so etwas machen. Ich würde mir wünschen, dass wir einen hohen Teil von Impfungen, eine höhere Impfquote als heute, haben. Die 2 0 % Erst-Impfungen, die wir im Moment haben ungefähr bundesweit, das ist zu wenig, um eine Lockerung zu machen. Und ich glaube, dieser letzte Gedanke, der war ein bisschen mit am Tisch, als die gesagt haben, wir vertagen das Thema erst mal. Weil jetzt sofort würde man diese Lockerung, die es


dann letztlich ist, auch wenn sie nicht so genannt wir, die würde man zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht verantworten können.


Jan Kröger


Aufgrund der derzeitigen Infektionslage.



Alexander Kekulé


Die jetzige Infektionslage ist ja so, dass man – zumindest noch nicht spontan – an Lockerungen denken möchte.


09:45


Jan Kröger


Wir schauen auf die Zahlen heute. Knapp 11.000 Neuinfektionen. Die Inzidenz ist leicht gesunken auf 167. Ich glaube, seit einigen Tagen sind wir in diesem 160er Raum. Auch bei der Belegung der Intensivbetten: rund 5.100 Betten waren heute belegt. Auch da gibt es eine gewisse Stagnation seit mehreren Tagen, über die wir sprechen. Wo sich keiner richtig traut, einen Trend herauszulesen. Trauen Sie sich da mehr zu?



Alexander Kekulé


Stagnation ist ein bisschen trendlos. Meine Prognose wäre eher, dass wir auf einem Plateau sind. Wenn wir jetzt keine Dummheiten machen, sage ich mal, als Bevölkerung, dann sind wir jetzt auf einem Plateau, auf dem es eine Weile bleiben wird und sich dann sogar nach unten bewegt. Ich bin nach wie vor optimistisch, dass wir dabei sind, diese Verbindung zwischen Inzidenz und Sterblichkeit voneinander zu trennen. Die Zahlen sehen so aus. Das wäre dann im Grunde genommen die Prognose, das Szenario, was ich vor einiger Zeit gegeben habe, was dann eintreten würde. Für die nächste Pandemie müsste man die Diskussion oder die Frage dann stellen, ob es klug war, vor einigen Wochen noch so ganz massiv mit dem Leichentuch zu wedeln und zu sagen: Jetzt werden die Intensivstationen voll sein, die Fallzahlen werden durch die Decke gehe, wir müssen hier Null-Covid-Strategie machen usw. Das war eine erhitzte Diskussion. Ich merke ein bisschen, dass diejenigen, die da die Gegenposition vertreten haben, von der öffentlichen Bildfläche verschwunden sind und das nicht mehr so laut bekunden. Aber ich glaube, wissenschaftlich ist es natürlich schon besser, dann zu diskutieren: Okay, war das jetzt richtig? Gab es da knallharte Parameter, die darauf


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hingedeutet haben? Damit man die Zeichen beim nächsten Mal besser liest. Wir wissen es noch nicht wirklich. Es ist jetzt verfrüht zu sagen, hier kann man Entwarnung geben. Es ist zumindest nicht durch die Decke gegangen, wie Einige gesagt haben. Das lag sicherlich nicht nur am Osterwochenende oder an der Osterruhe oder wie auch immer die dann gestaltet wurde. In Zukunft wird häufiger die Frage gestellt werden, was machen wir, wenn die Inzidenz relativ hoch ist? Wir sind ja jetzt noch deutlich über 100 im Bundesdurchschnitt. Wir haben Regionen, wo scheinbar erschreckende Zahlen sind. Die Frage ist natürlich, ob wir bei diesem ganzen Umfeld damit irgendwie leben können. Oder ob wir uns weiter komplett zurückhalten müssen. Die ist noch nicht endgültig beantwortet. Ich glaube, dass wir in den nächsten Wochen zu einem Korridor kommen werden, wo wir uns mehr erlauben können. Durch die Impfungen, die stattfinden. Aber auch dadurch, dass die Menschen bisher sich vernünftig verhalten. Ich habe persönlich ein bisschen das Gefühl, es gibt Alte und Risikopersonen, die nicht geimpft wurden. Inzwischen ist es so, dass viele von denen auch nicht geimpft werden wollten. Da werden wir durch die Hausärzte, die sich demnächst noch intensiver beteiligen – das ist ja gerade in der Diskussion – werden wir da einen höheren Anteil bekommen. Dass von diesen Alten, die nicht zu den Impfzentren gegangen sind, viele sich impfen lassen. Ich glaube, dass die, die da übrig sind, die Menschen, die ungeimpft und Risikopersonen sind, dass die inzwischen festgestellt haben, wie man mit dieser Infektionsgefahr zurechtkommt. Ich glaube, die fahren einfach nicht mehr ungeschützt U-Bahn und die wissen, wie man ihre FFP-Maske richtig aufsetzt. Die haben bestimmt Freunde, die sie treffen und andere, die sie meiden. Und ich glaube, auf die eine oder andere Art haben wir uns jetzt weitgehend mit dieser Seuche irgendwie arrangiert.


Jan Kröger


Ich kriege das auch ein bisschen im Bekanntenkreis mit. Seitdem das über die Hausärzte geht mit den Impfungen, hat das jetzt auch bei mir in der Familie zugenommen mit der Möglichkeit, sich impfen zu lassen oder auch mit dem Zugang dazu. Teilweise steigt tatsächlich die Bereitschaft, man geht dann doch lieber


zum Hausarzt, als einen komplizierten Termin im Impfzentrum auszumachen. Kompliziert jetzt subjektiv gesprochen. Genau das ist jetzt in die Diskussion gekommen. Nämlich die Impfpriorisierung , die Impfreihenfolge, die nach wie vor gilt. Da gibt es 2 Positionen dazu, die wir hier gerne mal darstellen können. Auf der einen Seite möchte ich mal sagen, der Bund und das Bundesgesundheitsministerium mit seinem Plan, Priorisierungsgruppe drei – also alle ab 60, Verkäuferinnen z.B. im Supermarkt als Gruppe mit vielen Kontakten, die nicht von zuhause aus arbeiten können – die sind dann im Mai dran. Und im Juni soll aufgehoben werden. Es gibt allerdings auch die Meinung, dass es jetzt an der Zeit wäre, die Impfreihenfolge aufzuheben. Wir schauen uns beide Positionen mal an. Fangen wir an mit dem Bundesgesundheitsminister:


Hätten wir nicht zuerst die über 80-Jährigen, die Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Bewohner geimpft, wir hätten in dieser dritten Welle deutlich mehr Todesfälle, deutlich mehr schwerste Verläufe. Und das gilt jetzt auch bei den über 70-Jährigen, die aktuell geimpft werden und den über 60-Jährigen. Das Risiko für einen schweren Verlauf ist bei jemandem, der über 60 Jahre alt ist, 60-mal so hoch wie bei jemandem, der unter 60 ist. Und das rechtfertigt aus meiner Sicht unbedingt, hier zuerst zu impfen. Zum Schutz des Einzelnen, aber auch des Gesundheitswesens.


Jens Spahn argumentiert mit dem Schutz des Gesundheitswesens. Die andere Seite interessanterweise allerdings auch. Das Beispiel Klaus Reinhardt, den Vorsitzenden der Bundesärztekammer:


Ich glaube, wenn wir jetzt mehr Impfdosen bekommen – das soll ja ab der nächsten und übernächsten Woche dann deutlich anziehen – dann wird das aufhalten. Und dann würde die Zeit unter Umständen zu Lasten der Versorgung der anderen Erkrankten gehen, die ja unverändert weiterlaufen muss. Insofern glaube ich, täte man allen Beteiligten einen Gefallen und der Sache selbst auch, wenn man von dem Moment an, wo wir feststellen, dass die Impfdosen-Zahl in den Arztpraxen deutlich mehr wird, die Impfpriorisierung aufgibt.


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Das sagt wiederum Klaus Reinhardt von der Bundesärztekammer. Also wir stellen fest nach beiden Aussagen: Alle wollen natürlich nur das Beste. Aber was ist denn Ihrer Meinung nach das Beste?


16:05



Alexander Kekulé


Naja, das können Sie raten. Herr Spahn vertritt inzwischen, muss man in dem Fall sagen, die Position, dass die Alten konsequent zuerst geimpft werden sollen. Er sagt auch mit ein paar Zahlen, warum das so ist. Und das ist absolut richtig. Übrigens mit der gleichen Argumentation, die der Bundesgesundheitsminister gerade gebraucht hat, wäre es auch richtig, die Alten nur einmal zu impfen, weil Sie das Sterben damit beenden. Dieser Faktor 60, den er genannt hat – ich weiß nicht, ob der genau stimmt, aber in der Größenordnung wird das liegen. Das höhere Sterbensrisiko, das geht ja wirklich auf den Faktor eins zurück, also keine Erhöhung, wenn man die einmal geimpft hat. Nach einmaliger Impfung gibt es quasi kein messbar erhöhtes Sterbensrisiko mehr. Deshalb verstehe ich nach wie vor nicht, warum man das nicht durchgezogen hat oder durchzieht. Vor allem angesichts der weiteren bestehenden Probleme. Es ist ja bekannt, dass die EU gerade AstraZeneca verklagt, weil die nur ein Viertel der zugesagten Lieferungen bringen können. Und wir haben ja Probleme. Das ist einfach so. Da darf man auf niemanden mit dem Finger zeigen, das ist ein schwieriger Prozess. Das war von Anfang an klar, dass die Dosen knapp sind. Deshalb ist das noch mal mein Appell: einmal impfen konsequent. Dann passiert genau das, was der Bundesgesundheitsminister gerade richtigerweise gesagt hat, und zwar von Alt nach Jung. Da gibt es für mich kein Wenn und Aber. Ähnlich hat sich am Anfang der Ethikrat und die Ständige Impfkommission geäußert. Abgesehen davon, dass die darauf bestanden haben, dass zweimal geimpft werden muss, haben die auch gesagt von Alt nach Jung, also nach Risiko-Gruppen. Ich bin absolut dagegen, das aufzuweichen. Und da höre ich raus, dass der Vertreter der Bundesärztekammer in seinem Satz zweioder dreimal „ich glaube“ gesagt hat und einmal „wenn“. Das heißt, er glaubt etwas und bindet seinen Vorschlag an eine Bedingung. Und die


Bedingung war ja, es muss genug Impfstoff zur Verfügung stehen. Dass, wenn ich das jetzt rauslese zu seinen Gunsten, wenn wir so viel von dem Stoff haben, dass wir es nicht mehr einteilen müssen, dann kann natürlich jeder impfen. Dann sollen die Hausärzte frei impfen. Dann können sie alles freigeben. Und eine solche Situation hatten wir zeitweise mit AstraZeneca. Das ist ja liegen geblieben, weil das keiner wollte. Weil die Leute in Deutschland – die Wohnzimmer sind so... Die wollen immer das Beste vom Tollsten, vom Neuesten bekommen. Und wenn Sie die Wahl haben, haben sie denen gesagt, nehmen sie lieber den RNA-Impfstoff. Ich würde sagen, dass wir in so einer Situation, wo wir einen Überfluss haben, dass wir sagen, wir müssen jetzt nicht mehr priorisieren, weil wir haben die Schäflein im Trockenen – d.h. in dem Fall Ü65 – da würde ich sagen, wenn wir in dieser Situation sind, dann können Sie sagen, Jagd frei. Jeder, der an die Nadel kommt, soll sich die holen. Vorher glaube ich, dass die Hausärzte – da ist das Wort glauben richtig, weil ich nicht genau weiß, wie das funktioniert. Wissen Sie, die Hausärzte sind nicht alle gleich. Es gibt einige, die seit vielen Jahren geimpft haben. Die sind so ähnlich diszipliniert, wie man das im öffentlichen Gesundheitsdienst ist. Oder vielleicht auch so Betriebsärzte, die sind ein bisschen, sage ich mal, kleine Beamte unter den Ärzten. Und das soll keine Beleidigung sein. Ich bin selber Beamte und darf das deshalb sagen. Die sind ein bisschen... Wenn da eine Regel ist, die halten die dann normalerweise ein. Aber so ein Hausarzt hat dann auch so Patienten, um die er sich besonders viel Sorgen macht, auch wenn die vielleicht nicht so superscharf in die Kriterien reinpassen. Und irgendeine alte Lady bringt dann ihre Enkelin mit und sagt, ja, die ist im Kaufhaus und die hat so viele Kunden im Kaufhaus. Die ist in einem Geschäft, was geöffnet hat und die sieht so viele Kunden. Können Sie die nicht mit impfen? Da hat man diese persönliche Beziehung und will Menschen nicht enttäuschen. Sodass ich A glaube, dass durch die Freigabe für Hausärzte komplett Schluss mit der Priorisierung ist. Das wird dann nicht mehr laufen, bis auf wenige Ausnahmen vielleicht, bei denen, die sich dann aber bei ihren Patienten unbeliebt machen. Und B ist es so, wir haben noch immer das AstraZeneca-


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Problem, wenn ich es mal so nennen darf. Die Vektor-Impfstoffe haben sich jetzt insgesamt in so eine Kategorie bewegt, wo man sagen muss, na ja, wenn man RNA-Impfstoff kriegt, ist das schon besser. Wenn man ihn nicht kriegt, nimmt man eben einen Vektorimpfstoff. Das ist einfacher, wenn Sie eine Situation im Impfzentrum haben. Da kommt man hin. Da herrschen manchmal ein bisschen rigide Methoden. Man hat eine Nummer dabei. Und erst wenn man am Schluss in der Schlange steht, so habe ich das von mehreren gehört, erst dann geht es plötzlich links oder rechts rum, und das eine ist Biontech und das andere ist AstraZeneca. Das war zumindest eine Zeitlang so. Das ist zwar nicht freundlich, den Überraschungseffekt einzubauen. Das hat aber den Vorteil, wenn die Leute in der Schlange stehen, dann gehen sie in der Regel auch zum Impfen. Vielleicht gibt es ein großes Geschimpfe, aber es ist nicht so, dass jetzt alle freidrehen und sagen, dann will ich gar nicht. Beim Arzt ist es aber so: Wenn Sie Ihrem Hausarzt sagen, ich hätte gern dies oder jenes, und der Arzt ist ja informiert. Der kann Ihnen die lange Liste der Vorteile der RNA Impfstoffe dann im Einzelnen im Aufklärungsgespräch aufzählen. Bei einem ausführlichen Aufklärungsgespräch, und das ist bei einer Impfung notwendig, da meine ich, dass am Ende viele dann sagen, wenn der Arzt das neutral macht, gut dann warte ich noch ab. Sodass Sie das Problem haben, dass Sie einen Teil der Impfstoffe nicht aus dem Regal kriegen. Das wird sich meines Erachtens, wenn das in den Arztpraxen ist, mit individuellen Entscheidungen, das wird sich eher noch verschärfen.


2 2 :00


Jan Kröger


Wir haben noch einige offene Fragen rund um das Thema Impfungen. U.a. haben wir jetzt viel über die Situation der älteren Menschen gesprochen. Offene Fragen gestern z.B., welche Perspektiven gibt es für Kinder und Jugendliche, für die es nach wie vor keinen Impfstoff gibt, wenn wir von der Altersgruppe unter 16 sprechen. Kleiner Hinweis darauf: Darüber wollen wir uns in der nächsten Sendung ausführlich unterhalten. Jetzt nicht nur, was den Impfstoff angeht, sondern allgemein mit der Lage von Kindern und Jugendlichen, und da


wollen wir ein bisschen die Perspektive aufzeigen.


Jetzt schauen wir – nicht zum ersten Mal in diesen Wochen – nach Indien. Denn während Deutschland zumindest in den letzten Wochen Fortschritte beim Impfen verzeichnet, geht dorthin ein sorgenvoller Blick aufgrund der Rekordzahlen an täglichen Neuinfektionen, die es dort gegeben hat. In den letzten Tagen gab es einen neuen Schritt der Bundesregierung. Indien wurde als Virusvarianten-Gebiet erklärt, begründet von Bundesgesundheitsminister. „Um unsere Impfkampagne nicht zu gefährden, muss der Reiseverkehr mit Indien deutlich eingeschränkt werden.“ Daher diese Erklärung. Auf der anderen Seite lese ich heute, die Lufthansa fliegt wöchentlich zehnmal zwischen Deutschland und Indien weiter hin und her. Ist das ein Einreisestopp zweiter Klasse?



Alexander Kekulé


Ich glaube, den Reiseverkehr wird man dadurch nicht groß einschränken. Wir haben sowieso die Regel – Ich würde die mal Lex Mallorca nennen, die Mallorca-Regel – dass Flugreisende sowieso grundsätzlich hinterher getestet werden müssen oder sogar schon vorher getestet werden müssen. Und bei einem Hochinzidenzgebiet gilt das Gleiche wie bei einem Virusvarianten-Gebiet. Bei einem Gebiet, wo viele Fälle auftreten hat man das gleiche Problem, als wenn die als Varianten auftreten. Nämlich, dass man bei der Einreise einen Test vorweisen muss und dass man hinterher in Quarantäne muss. Ich glaube, wir könnten grundsätzlich, wenn wir jetzt viel impfen in der nächsten Zeit, in den nächsten Wochen mal drüber nachdenken, ob wir diese Einreisebestimmungen für Fernreisen zumindest verschärfen. Ich möchte jetzt nicht dafür plädieren, es gleich so zu machen wie China oder England, dass man dann 14 Tage ins staatliche Hotel muss, wenn man reinkommt. Aber ich glaube, was im Moment passiert, so der freundliche Hinweis in drei bis fünf Sprachen, man möge bitte, wenn man den Flughafen verlassen hat, sich sofort in Quarantäne begeben für 14 Tage, das könnte zu schwach sein. Das ist absichtlich, dass man das jetzt nicht so knallhart gemacht hat. Man wollte jetzt die deutschen Reisenden nicht drangsalieren. Wenn wir jetzt durch die Impfung nach und


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nach in die Phase kommen, wo wir hier die Lage im Griff haben und wo es andere Länder gibt, die das im Griff haben. Im Sommer dann nach und nach. Wo wir die Situation haben, dass Urlaubsreisende die Wahl haben, in ein wirkliches Hochinzidenz-Regionen zu reisen, in Virusvarianten-Gebiete zu reisen oder eben dahin zu reisen, wo es nicht so gefährlich ist. Ich glaube, da muss man dann überlegen, ob man so etwas strenger kontrolliert. Weil das geht los, wenn Sie zurückkommen aus dem Ausland. Dann kriegen Sie den Zettel in die Hand gedrückt: „Begib dich in das Gefängnis. Gehe direkt dorthin, gehe nicht über Los, ziehe nicht tausend Mark ein.“ Und wenn Sie den Zettel haben. Was machen Sie dann? Dann rufen Sie erstmal das nächste Taxi herbei oder fahren mit der S-Bahn nach Hause. Die Variante gibt es auch. Daher: das ist ein bisschen impraktikabel. Mit dem Blick auf Indien ist das eine gute Gelegenheit, mal darüber nachzudenken, ob man das nicht besser kontrollierbar macht. Ich warne aber auch hier nochmal davor: Ich sehe das überhaupt nicht mit den Varianten. Wir haben diese Varianten weltweit. Die sind stärker ansteckend, ein bisschen, wir wissen es bei Indien jetzt noch gar. Das ist übrigens noch gar nicht gemessen, ob das stärker ansteckend ist, in Indien. Das haben nur die Briten gemessen, weil die diese tolle Infrastruktur dafür haben. Weder in Brasilien, noch in Südafrika, noch in Indien wissen wir, ob die dortigen Varianten höher ansteckend sind. Es gibt gute Gründe das anzunehmen. Aber praktisch gesehen ist der Grund, warum wir da aufpassen müssen, nicht die Variante sondern die Hochinzidenz. Einfach, dass die Wahrscheinlichkeit, sich dort anzustecken, so hoch ist. Und deshalb ist es vielleicht akademisch, zu diskutieren, warum. Im Ergebnis, ja, wir brauchen diese Einreisekontrollen. Wir haben das rechtzeitig gemacht, rechtzeitig darüber geredet. Es ist so, dass wir dadurch allerdings nicht das Reisegeschehen groß verändern werden. Das sind jetzt nicht massenweise Touristen, die da in Indien munter Urlaub machen und die sich dann überlegen, na gut, wenn Indien jetzt Hoch-Variantengebiet ist, dann mache ich lieber in Pakistan Urlaub oder irgendwo in Afrika südlich der Sahara. Also die ganze Welt ist von diesem Virus betroffen. Und ich glaube, die Mallorca-Regel ist vernünftig. Jeder, der aus


dem Ausland per Flugzeug hierherkommt, muss erst mal 14 Tage Quarantäne machen mit der Möglichkeit, sich dann ggf. freizutesten. Und das muss man, glaube ich, besser überwachen demnächst.


2 7:14


Jan Kröger


Ich will trotzdem noch mal einhaken bei der Variante. Denn spätestens seit die britische Variante B.1.1.7 aufgekommen ist, ist das ein Thema, das viele umtreibt. In Indien hat die Variante B.1.617 eine zumindest leicht positive Note bekommen, nämlich durch eine Studie aus dem Land, dass der Covaxin-Impfstoff, das ist ein Impfstoff aus Indien, dass der wirksam sei gegen diese Variante. Da gibt es eine neue Studie. Aber wie aussagekräftig sind diese Ergebnisse?



Alexander Kekulé


Ja, das hat die Firma, die das herstellt, Bharat Biotech – die kannte ich vorher ehrlich gesagt nicht, diese Firma, vielleicht ist sie in Indien bekannt gewesen – die hat das jetzt gerade groß publiziert. Und das ist ein Preprint ,muss man sagen, also wieder eine nicht von Fachkollegen kontrollierte Studie. Da waren im Wesentlichen die Mitarbeiter dieser Firma und externe Kollegen aus Indien beteiligt also keine der internationalen üblichen Verdächtigen.


Das ist ein Impfstoff, der einzige, der in Indien homegrown ist, der funktioniert so ähnlich wie Sinovac, diese Vakzine aus China, die inaktiviertes Virus ist, wo ein Adjuvans dazu kommt, ein Wirkverstärker dazu kommt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, welches Adjuvans dort drinnen ist. Bei der Sinovacs sind es Aluminiumsalze. Das ist so ein Klassiker, was in den bei Kindern verwendeten Impfstoffen zum Teil drinnen ist. Wäre jetzt zunächst nichts Beunruhigendes von den Nebenwirkungen her. Ein bisschen überraschend ist, dass das so gut wirken soll. Die haben das angeblich verglichen. Die hatten 2 8 geimpfte Personen, die mit dieser Vakzine geimpft wurden im Rahmen der Phase-II-Studie. Da haben sie das verglichen miteinander, wie gut wirkt dieses Serum von diesen Geimpften in der Zellkultur bei der Hemmung von dem „klassischen“ Virus – ich sag mal, der Norditalien-Variante. Da wir das jetzt inzwischen geografisch zuordnen: Das ist diese B1-


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Variante, die sich inzwischen weltweit verbreitet hat – im Vergleich zu der südafrikanischen, zu der brasilianischen – da haben sie in dem Fall P2  genommen – und eben der indischen Variante. Und da haben sie bei den Geimpften angeblich keine Unterschiede gefunden. Sie sagen, das sei ungefähr gleich gut, die Inhibition sei ungefähr gleich gut. Die Hemmung in der Zellkultur sei ungefähr gleich gut. Ich habe die Zahlen gesehen. Ja, das sieht in der Grafik dort so aus. Aber ich muss sagen, das kommt mir ein bisschen merkwürdig vor. Dass das genau gleich ist, dass kein statistisch messbarer Unterschied da ist? Alle anderen Impfstoffe, die ja ähnlich getestet wurden – das ist bei AstraZeneca gemacht worden und bei den RNA-Impfstoffen – die haben schon Unterschiede gesehen. Und da hat man dann gesagt, na gut, das ist zwar unterschiedlich. Eine schwächere Wirksamkeit z.B. des Impfstoffs gegen die südafrikanische Variante. Aber bei den RNA-Impfstoffen war man dann der Meinung... Bei Moderna und BioNTech war man der Meinung, das ist trotzdem noch vertretbar. Da ist höchstwahrscheinlich irgendein Schutz noch vorhanden. Bei AstraZeneca war es ja so, dass nach der Studie in Südafrika, die jetzt auch nicht so viele Probanden hatte, ich meine, das waren ein paar Tausend oder so, da hat die südafrikanische Regierung dann gesagt, wir stoppen die Impfung, weil es nicht genug Wirksamkeit zeigt. Und jetzt ist das ein Impfstoff, der auf dem Prinzip beruht, was noch weniger Hightech als AstraZeneca ist. Die gute alte Methode, dem Virus solange eins auf die Mütze zu geben, bis es nicht mehr richtig infektiös ist und das dann als Impfstoff zu verwenden. Und trotzdem soll das so gut wirken? Ich bin bei solchen Erfolgsmeldungen ein bisschen zurückhaltend. In Indien, die stehen mit dem Rücken zur Wand. Das ist ja bekannt, dass dort der Regierungschef Modi am Anfang den Erfolg schon gefeiert hat und so getan hat, als wäre er der Vaccine Guru. So wurde er dort genannt. Jetzt hat sich rausgestellt... Am Wochenende hat er gesagt, Indien wurde von einem Sturm überrascht, von einem viralen Sturm. Deshalb glaube ich, hypen die ihren nationalen Impfstoff. Die haben – muss man mal sagen – noch 2 andere Impfstoffe zugelassen in Indien. Erstens ihren nationalen natürlich gleich. Und zweitens haben sie hauptsächlich auf Astra-


Zeneca gesetzt, das heißt dort CoviShield. Das wird von diesem Serum Institute of India fabriziert. Die machen pro Tag 2 ,4 Millionen Dosen zurzeit von dem AstraZeneca in sehr großen Stil. Die haben neuerdings den Export gestoppt. Und der dritte ist der russische Impfstoff Sputnik V, der aber noch nicht geliefert wird. Der soll frühestens Ende Mai in Indien ausgeliefert werden. D.h., die haben wirlich ein Problem. Die haben 2  % der Bevölkerung geimpft bis jetzt. Eine Riesenwelle. Es gibt Proteste. Und der Poonawalla. Das ist dieser berühmtesten, einer der reichsten Inder überhaupt, Adar Poonawalla. Der hat wohl gerade getwittert „Lift the Embargo“. D.h. also, man soll das Embargo von Rohstoffen nach Indien stoppen, damit Indien mehr Impfstoffe produzieren kann. So ein Embargo gibt es nicht. Und daran sieht man schon. Die machen jetzt ein bisschen Politik. Es geht nicht mehr darum, nur das Virus zu bekämpfen, sondern auch die Geschichte zurecht zu schreiben, wer daran schuld ist, dass die Welle schlimm war. Und in diesem Zusammenhang sage ich mal: Diese Studie. Ja, die käme jetzt zur rechten Zeit. Aber schauen wir mal, was die weiteren Daten bringen.


Jan Kröger


Also bei der Studie hapert es einfach noch an Zahlen, um da ein belastbares Ergebnis herauszuziehen, sagen Sie. Aber die Situation in Indien ist ja noch an anderen Punkten dramatisch. Das haben wir in den Meldungen der letzten Tage gelesen. Die Bundesregierung will z.B. mit Beatmungsgeräten helfen. Das hat, glaube ich, sogar der deutsche Botschafter in Indien schon bestätigt. Was sagt das aus über die Situation dort?


33:34



Alexander Kekulé


Ja, die haben dort im Grunde genommen kein Varianten-Problem. Sondern die haben 2 andere große Probleme. Das eine ist, dass die die Maßnahmen nicht greifen, aus verschiedenen Gründen. Auch, weil es in armen Ländern nicht möglich ist, einfach mal schnell einen Lockdown zu machen und alle wirtschaftlich aus Steuergeldern zu unterstützen. Das zweite, das noch viel größere Problem ist die miserable medizinische Infrastruktur. Das muss man klar sagen. Es ist so, dass dort im Moment ganz akut der Sauerstoff fehlt, um die Menschen


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über die Runden zu bringen. Das ist ja nicht nur die Beatmung. Sondern wir wissen, dass, bevor man jemanden maschinell beatmen muss, diese sogenannte High-Flow-Therapie sehr viel bringt. Da kriegt man eine große Menge von Sauerstoff, entweder über eine kleine Nasenklemme oder über eine kleine Maske. Da brauchen Sie aber Unmengen von Sauerstoff. Und das lange bevor Intensivstationen und Intubation, Beatmung mit der Maschine notwendig ist. Die meisten kann man mit der High-FlowTherapie davor bewahren, dann hinterher beatmen zu werden. Das ist übrigens etwas, was erst im Lauf der Pandemie jetzt gelernt wurde, dass das gar nicht so gut ist, früh zu intubieren, sondern man erst mal dieses High Flow versucht. Und da ist der Unterschied


100 % oder null. Entweder kommen Sie da genesen wieder raus oder Sie sterben in den wenigen Tagen. Und manchmal sind es nur drei bis fünf Tage, in denen man den Sauerstoff wirklich braucht. Das geht bei diesen Patienten so weit, wenn Sie den abdrehen den Sauerstoff – da haben wir leider tragische Beispiele – dann sterben die sofort. Wir hatten ein Beispiel mal in Ägypten vor einiger Zeit, wo jemand vergessen hat, die Flaschen nachzufüllen. Und dann war plötzlich der Sauerstoff alle aus der Steckdose in der Intensivstation. Und dann sind die da einer nach dem anderen gestorben. Und wir hatten jetzt aktuell so ein ähnliches Beispiel bei einem Krankenhaus, was umziehen musste. Ich glaube, aufgrund eines Erdbebens. Dann musste man die Maschine kurz abklemmen. Da sind die Leute gestorben. Daran sieht man, wie absolut lebensnotwendig dieser Sauerstoff in großer Menge ist. Und es ist mein Plädoyer, dass wir in Deutschland ... Das ist vielleicht hier ein guter Platz, das mal zu sagen: Wir müssen denen nicht nur Beatmungsgeräte schicken, wir müssen v.a. Sauerstoffgeneratoren rüberschicken. Weil der Sauerstoff, das wissen viele aus der Schule noch: Da gibt es ja dieses Linde-Verfahren. Carl von Linde hatte um die Jahrhundertwende dieses Verfahren erfunden, was man in der Chemie in der Schule lernen muss. Wo mit Kompressoren die Luft stark runtergekühlt wird und dann die super eiskalte Luft destilliert wird, weil Sauerstoff und Stickstoff... Die Luft besteht ja aus knapp 2 0 % Sauerstoff und 80 % Stickstoff. Und der Stickstoff hat einen tieferen Siede-


punkt; der siedet bei einer niedrigeren Temperatur, -196°C. Das ist super kalt. Darum nimmt man flüssigen Stickstoff auch zum Kühlen. Und bei Sauerstoff ist es ein bisschen höher. Ich weiß nicht, irgendwo bei den -180ern. Und da ist es so, das kann man destillieren. Das sind riesige Maschinen. Das ist wahnsinnig aufwendig. Und ich schätze mal, dass Linda – die Firma gibt es ja noch – bis heute viel Geld damit verdient. Aber es gibt auch diese kleinen Maschinen, die kann man im besten Fall auf den Tisch stellen. Und bisschen größere sind halt ein Zimmer voll. Die benutzen ein anderes Verfahren, das heißt Pressure swing absorbtion. Also „Druck hinund her-schwingende Absorption“. Da wird was anderes gemacht. Da wird normale, da wird die Luft durch ein AbsorbtionsMedium durchgelassen. Da nimmt man Zeolith. Das ist ein Aluminiumsilikat, ein Aluminiumsalz. Das ist eine Substanz, die eine irrsinnig große Oberfläche hat. Eine kleine Menge, ein Gramm, hat 1000 qm Oberfläche oder so was. Und wenn man da die Luft langsam durchlässt, unter richtigem Druck durchlaufen lässt, dann absorbiert das witzigerweise ... Das hält den Stickstoff fest und noch ein paar andere Sachen. Und hinten kommt dann mehr oder minder reiner Sauerstoff raus. Der ist nicht


100 % nicht wie bei uns das Hightech-Zeug, aber 95 % oder was. Und das reicht für so eine Notfallsituation wie in Indien völlig aus. Und diese Maschinen, die das können, diese Sauerstoffgeneratoren, die dieses Presure-SwingVerfahren benutzen, diese Maschinen – da finde ich – die muss man schleunigst nach Indien exportieren. Und ich bin ganz sicher, dass wir in Deutschland da welche haben, sowohl kleinere als größere. Die Großen können einige Tausend Kubikmeter pro Stunde produzieren und locker ein Krankenhaus versorgen. Und ich würde sogar – sag ich mal – so weit gehen: Wir haben hier einen Überfluss in Deutschland an Sauerstoff, weil jedes kleine Kreiskrankenhaus seinen Riesentank hinterm Haus hat. Und weil wir hier die Fabriken haben, die das mit dem Linde-Verfahren noch machen. Ich würde wirklich so weit gehen und sagen, man müsste vom ein paar Krankenhäusern, die sich anderweitig versorgen können, hinterm Haus den Generator abmontieren und nach Indien schicken. Das können wir uns locker leisten in Deutschland. Und dort ist Sauerstoff wirklich Überleben.


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Und da würde ich jetzt lieber heute als gestern handeln. Und so eine Ankündigung, man will irgendwann Beatmungsgeräte schicken, das ist mir noch ein bisschen zu unentschlossen.


Jan Kröger


Ich habe mir das Statement des Botschafters in Neu-Delhi nochmal rausgesucht. Bislang geht es um eine Sauerstoff-Aufbereitungsanlage, die die Bundeswehr anbieten würde und die Hunderte Menschen versorgen soll.



Alexander Kekulé


Ja, also eine ist nichts. Man muss da richtig viele haben. In jedem Krankenhaus müssen da mehrere stehen. Und das ist zeitkritisch. Weil es drauf ankommt. Wir haben jetzt die Welle dort. Jetzt im Moment sterben die Leute. Die sterben nicht übernächste Woche, sondern heute. Und das kennen wir aus den anderen Wellen, aus Brasilien, dass das dann in relativ kurzer Zeit runtergeht. Und ich warne davor. Ich habe noch gut in Erinnerung, wie das bei Ebola in Westafrika war. Da war ich auch unmittelbar involviert und hatte mit Ärzte ohne Grenzen damals zusammen ein Konzept gemacht. Das Rote Kreuz hat Vorschläge gehabt. Die waren alle der Bundesregierung nicht ausgegoren genug. Da muss man das noch prüfen und das. Und wie ist das mit dem TÜV? Ist das überhaupt zertifiziert usw. usw. Da wurde dann am Schluss ein Ebola-Krankenhaus zum Stolz der Bundesregierung in Westafrika errichtet, zu einem Zeitpunkt, als die Epidemie dort längst vorbei war. Das hat nie einen einzigen Ebola-Patienten behandelt. Darum sage ich mal, da dürfen wir, müssen wir jetzt mal ein bisschen undeutsch sein an der Stelle. Und mein Plädoyer: Jeden Sauerstoffgenerator größeren Umfangs – es gibt noch kleine, die für einzelne Patienten sind, die brauchen die in Indien nicht, sondern die größeren Kisten, die z.T. an Krankenhäusern installiert sind – die würde ich jetzt knallhart alle einsammeln und nach Indien schicken mit dem Frachtflugzeug.


40:30


Jan Kröger


Wir kommen an dieser Stelle zu einer Studie. Inter Covid nennt sie sich. Eine internationale Studie. Ich glaube, die Federführung liegt bei der Universität in Oxford. Und da geht es um das Risiko für Schwangere, an Covid-19 zu er-


kranken, und v.a., welche Folgen diese Erkrankung dann hat. Es ist nicht die erste dazu, aber eine große internationale Kohortenstudie, und von der gibt es nun neue Ergebnisse. Was genau besagen die?



Alexander Kekulé


Naja, jetzt, das ist eine interessante Studie. Sie ist interessant, weil sie eine Mahnung ist zum Handeln. Die Kollegen aus Oxford haben 43 Kliniken in 18 Ländern eingespannt im Zeitraum März bis Oktober 2 02 0. Das ist jetzt erst die Auswertung davon, die offizielle. Da haben die Folgendes gemacht. Die haben immer, wenn sie eine schwangere Frau erwischt haben, egal in welcher Schwangerschaftswoche und wenn die mitmachen wollte bei der Studie, dann haben die die registriert und geguckt, wer von denen kriegt Covid. Und sobald eine Covid hatte, wenn die positiv wurde, haben sie 2 Kontrollen dazu gesucht, die schwanger waren aber kein Covid hatten. Sodass sie dann einen guten Vergleich hatten: eine Schwangere mit Covid und 2 Schwangere, die sich nicht während der Schwangerschaft infiziert haben. Und am Schluss der ganzen Untersuchung hatten sie dann weltweit 706 Schwangere mit Covid und etwa doppelt so viele und bisschen mehr, also etwa 1400 Schwangere ohne Covid als Kontrollen, sodass man das dann statistisch gut vergleichen konnte, was ist der Unterschied? Und was dabei rausgekommen ist, ist Folgendes. Kurz gesagt, Schwangere haben ein ganz massiv erhöhtes Risiko für Komplikationen, wenn sie sich eine Covid-Infektion einfangen. Das ist eine echte Risikogruppe. Ich glaube, die Hörer dieses Podcasts sagen, oh, das ist kalter Kaffee, das wissen wir schon lange. Ich bin auch nicht so über diese Studie gestolpert im Sinne von, was wahnsinnig Neues. Sondern ich fand einfach, dass es zum ersten Mal sauber runtergerechnet wurde.


Die Eklampsie. Schwangere wissen, was das ist. Das ist eine klassische Krise in der Schwangerschaft, Präeklampsie und Eklampsie. Das hat was mit dem Zuckerspiegel und dem Blutdruck zu tun. Das Risiko dafür ist 1,76-fach, also knapp 1,8-fach erhöht. Für schwere Infektionen bei Covid ist das Risiko knapp 3,4-fach erhöht, wenn man Covid hat. Die Wahrscheinlichkeit auf der Intensivstation zu landen, im Vergleich zu Schwangeren ohne Covid, ist um das 5,4-fache erhöht, also über fünfmal höhere


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Wahrscheinlichkeit. Und die Wahrscheinlichkeit zu sterben für die Schwangere während der Schwangerschaft ist 2 2 -mal erhöht. D.h. es ist völlig klar, dass Schwangerschaft ein massives Risiko ist, wenn man Covid bekommt. Ist ja auch irgendwie klar. Wir wissen ja, dass die Gerinnungsneigung bei Schwangeren höher ist, und das mit diesen Mikrogerinnseln und Gerinnungen in den feinen Kapillargefäßen. Das ist ein Riesenproblem bei der CovidErkrankung. Wir wissen, dass Schwangere gelegentlich mit dem Stoffwechsel entgleisen und in Richtung Zuckerkrankheit gehen, also eine Schwangerschaftsdiabetes entwickeln. Da ist schon lange bekannt, dass das ein klassischer Risikofaktor für Corona ist. Übrigens auch für die Neugeborenen-Periode kurz nachdem das Kind auf die Welt gekommen ist, die ersten ein bis 2 Wochen. Da gibt es auch ein erhöhtes Risiko für schwere Erkrankungen und Sterblichkeit bei den Neugeborenen. Das ist ungefähr zweimal so hoch wie bei denen, die kein Covid haben.


44:08


Jan Kröger


Sie sagten es schon, das ist nicht die erste Studie, die Hinweise in die Richtung gibt. Aber eben sauber und ausführlich ausgearbeitet. Ich hatte eingangs gesagt, wir wollen explizit darauf schauen, ob unsere Richtlinien in Deutschland dieses Risiko angemessen würdigen. Was meine ich damit? Ich meine damit die Informationen, die man beim Robert-KochInstitut erhalten kann, für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren Covid-19Krankheitsverlauf. Den Link dazu werden wir wie üblich in die Folge zum Nachlesen hineinstellen und das Zitat dort vom Oktober 2 02 0, das bis heute nicht aktualisiert wurde, lautet immer noch: „Auch für Schwangere mit Vorerkrankungen ... ist die Wahrscheinlichkeit für die Aufnahme auf eine Intensivstation und für eine invasive Beatmung erhöht. Die Mortalität scheint in der Schwangerschaft jedoch insgesamt nicht erhöht zu sein.“



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein Riesenproblem. Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass das da drinnen steht. Da hat mich vor einiger Zeit mal eine Betriebsärztin darauf hingewiesen, weil das ein Riesenthema ist. Jetzt praktisch in Deutschland.


Klar, wir bewegen uns, jammern hier alle auf hohem Niveau, wenn wir gerade über Indien gesprochen haben. Aber bei uns ist das ein Riesenthema. Wie ist es denn, wenn ich im Betrieb bin und ich möchte gerne als Risikopatient eingestuft werden. Das hat Konsequenzen dann. Dann muss man z.B. nicht mehr Tätigkeiten verrichten, wo viele Leute in einem Raum zusammen sind, dann hat man wirklich einen klaren Anspruch auf Homeoffice. Es ist in einigen Bundesländern sogar klar geregelt bei diesen Personen, wenn Homeoffice nicht möglich ist, dann müssen die freigestellt werden. Wenn man die weder in ein Büro alleine setzen kann auf der Arbeit, noch zuhause die Arbeit möglich ist, dann hat man ein Anrecht auf Freistellung. Sodass es praktisch gesehen enorme Konsequenzen hat, ob die Erkrankung, die man hat, auf dieser Liste des Robert-Koch-Instituts ist. Da stehen dann z.B. Krebserkrankungen oder Vorstufen von Krebs mit drauf und verschiedene Sachen. Und die Betriebsärzte, das weiß ich eben, die schauen beim Robert-KochInstitut nach. Da hatte ich durch Zufall erfahren, Schwangerschaft ist gar nicht auf der Liste. Und das ist tatsächlich, wie Sie sagen. Das Robert-Koch-Institut hat eingeräumt, dass die gleichen Risikofaktoren, die für NichtSchwangere oder auch für Männer gelten, dass die auch in der Schwangerschaft gelten. Den Satz haben Sie gerade vorgelesen. Da würde ich mal sagen, vielen Dank. Also das ist sowieso klar, dass wenn ich Krebs in einer Schwangerschaft habe, dass das dann mindestens so riskant ist wie Krebs außerhalb der Schwangerschaft. Das war übrigens noch eine Nachbesserung diese Empfehlung. Das stand am Anfang nicht drin. Das hat man reingeschrieben. Aber sie sind der Meinung... Und das überrascht mich wirklich, weil es dem wissenschaftlichen Datenstand schon lange widerspricht und jetzt endgültig: Sie sind der Meinung, dass die Schwangerschaft als solches kein erhöhtes Risiko wäre. Und da plädiere ich dringend, das zu ändern, weil das im Alltag Konsequenzen hat. Wenn eine schwangere Mitarbeiterin. Die kann sich jetzt nicht aufs Robert-Koch-Institut berufen, wenn sie sagt, ich will ins Homeoffice. Ich finde, man sollte sogar noch einen Schritt weiter gehen bei diesen Überlegungen. Wie ist denn das, wenn die Schwangere zu Hause ist und der Ehemann beim Arbeiten ist? Und der


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hat einen echt möglicherweise exponierten Beruf und ist nicht geimpft? Wenn der in der Situation ist, dass er wirklich das Virus nach Hause bringen könnte. Da finde ich, muss man diese häusliche Situation mit einer RisikoPerson zu Hause mitberücksichtigen. Auch das ist bisher, soweit ich erfahren habe, nicht der Fall. Das heißt also, man berücksichtigt, weder, ob Risikopersonen zu Hause sind, noch ob die Schwangerschaft als Risiko anerkannt ist. Da würde ich jetzt mal den Appell loswerden, das ist der zweite nach dem Sauerstoff-Appell für Indien, dass die Schwangeren zu Risikopersonen erklärt werden müssten.


Jan Kröger


Kleine Einschränkung bei diesem Appell: Natürlich sind Kontaktpersonen von Schwangeren in der Impfreihenfolge erfasst in der zweithöchsten Priorisierungsgruppe. Das, was Sie meinen, eben in diesem Dokument, da sind sie nicht enthalten.



Alexander Kekulé


Ja, und es geht ja hier um den Arbeitsplatz. Es geht hier um das Risiko. Was Sie sagen ist eher ein kleiner Widerspruch. Wenn man sagt, die Kontakt-Personen erfassen wir mit einer hohen Priorität. Aber wenn es darum geht, Infektionen zu vermeiden am Arbeitsplatz, dann gilt das plötzlich nicht mehr.


48:36


Jan Kröger


Wir schauen auf eine Meldung, die gestern in vielen Medien die Runde gemacht hat und die viele unserer Hörer besorgt hat. Nämlich Israel hat nach der zweiten BioNTech-Impfung bei insgesamt 62  Menschen, v.a. bei jungen Männern festgestellt, dass dort eine Herzmuskelentzündung, eine Myokarditis gehäuft aufgetreten ist. Bislang dementiert Pfizer als Hersteller des Impfstoffs, dass es diesen Zusammenhang geben soll. Aber das Dokument oder die Informationen, die untersucht werden, die mittlerweile in israelischen Medien kursieren, haben eben genau diesen Verdacht. Was wissen wir bislang darüber? Wie stichhaltig ist das, was bislang darüber zu erfahren ist?



Alexander Kekulé


Also eine Myokarditis ist eine Herzmuskelentzündung. Das ist tatsächlich aufgetreten im Zusammenhang mit der zweiten Impfung, kurz


nach der zweiten Impfung und bei wenigen nach der ersten Impfung mit dem BiontechImpfstoff. In Israel hat man das beobachtet. Jetzt muss man statistisch erst mal sagen: Etwas, was zugleich passiert, muss nicht kausal sein. Da ist das, was man als Erstes macht: Man guckt, wie häufig ist es in der Altersgruppe, sagen wir mal 30 Jahre junge Männer, wie häufig ist eine Herzmuskelentzündung in der Altersgruppe bei denen, die nicht geimpft sind. Und dann ist der nächste Schritt, dass man ausrechnet, ist es denn häufiger als der Durchschnitt, bei denen, die geimpft wurden. Das ist nicht ganz trivial, weil man braucht hier gut gematchte, wie wir sagen, passende Kontrollen. Sie können nicht einen 30-Jährigen Supersportler mit jemandem, der zuhause sitzt vorm Fernseher und Kartoffelchips futtert, vergleichen. Sondern die müssen vom sonstigen Gesundheitsstatus ähnlich sein. Die müssen ähnlich alt sein, und das Gemeine ist, die müssen eigentlich auch in der gleichen Gegend wohnen. Weil wir wissen, dass regionale Unterschiede z.B. im Gesundheits-Versorgungssystem, in den Ernährungsgewohnheiten, im Wetter usw. alle eine Rolle spielen. Jetzt sind Sie in Israel in einer Gegend, wo inzwischen fast alle geimpft sind. Wo kriegen Sie denn jetzt die Kontrollen her? Und das macht es schwierig. Deshalb ist da ein fettes Fragezeichen dran. Unter dem Vorbehalt, dass das schwierig wird, die Kausalität nachzuweisen, würde ich Folgendes noch einmal zur Einordnung sagen. Also, eine Herzmuskelentzündung ist eine andere Situation, als wir das bei AstraZeneca mit diesen Hirnvenenthrombosen hatten. Das ist etwas, was ziemlich häufig vorkommt, und ich würde einmal über den Daumen peilen, wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle nicht diagnostiziert wird. Wir haben das z.B. nach Virusinfektionen. Man weiß z.B., dass Leute, die eine Sommergrippe haben oder mal eine normale Influenza durch irgendwelche Viren. Dass die manchmal als Begleiterscheinung eine messbare Herzmuskelentzündung haben. Wenn jetzt jemand mit einem schweren Infekt sowieso platt im Bett liegt und sagt, Schatz, bring mir mal eine Hühnersuppe o.Ä.. Dann merkt er gar nicht, dass der eine Herzmuskelentzündung hat und meistens heilt es von selber aus. Jetzt wird es in Israel den einen oder anderen jungen 30-Jährigen geben.


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Die hatten keinen Virusinfekt, hatten aber eine Herzmuskelentzündung. Und dann sind die zum Joggen an den Strand in Tel Aviv gegangen und haben dann gemerkt, „Hoppla, da ist irgendetwas, ich bin nicht mehr so fit wie sonst.“ Ohne die Impfung, wären die nicht geimpft worden, wären die gar nicht zum Arzt gegangen. Dann wäre es nicht schlimm gewesen und meistens heilt das aus. Und bei den Virusinfekten, bei den normalen Virusinfekten ist es so, dass wir wissen, das ist wohl auch so einer Autoimmunreaktion geschuldet. Das Immunsystem macht dann so eine Entzündung des Herzmuskels, die zum Glück meistens von selbst weggeht, aber manchmal auch schwer verlaufen kann. Ich glaube, bekannt ist, dass Horst Seehofer, der amtierende Bundesinnenminister, vor langer Zeit mal eine schwere Herzmuskel-Entzündung hatte. Der wurde in Ingolstadt intensivmedizinisch behandelt, weil er weitergearbeitet hat und sich nicht geschont hat. Ich würde aber sagen, es ist ein Autoimmunprozess. Das kann man mal nach einer Impfung erwarten. Und wahrscheinlich würde das auch nach anderen Impfungen geschehen, wenn man das genau untersucht. Sodass ich sagen würde, selbst, wenn das im Zusammenhang mit der Biontech-Impfung auftritt, ist es nichts, was uns beunruhigen sollte.


53:00


Jan Kröger


Ganz anders, zumindest bei einigen unserer Hörerinnen und Hörern war da die Reaktion. Die waren beunruhigt, u.a. wegen der 2 Todesfälle, die es in dem Zusammenhang geben haben soll. Ich zitiere stellvertretend Frau S. Wenn ich ihre Mail richtig lese, schreibt sie uns aus Israel, weil sie vom „hiesigen Gesundheitsministerium“ schreibt. Sie fragt sich, was die Ursache dafür sein könnte. Ihre Frage ist: „Könnte es sein, dass die Impfung für junge Erwachsene mit noch aktivem Immunsystem einfach überdosiert ist?“



Alexander Kekulé


Das wäre eine mögliche Konsequenz. Also, das ist klug gedacht. Man versucht ja, eine Dosis zu finden bei den Impfstoffen. Da segelt man zwischen den 2 Felsen durch. Auf der einen Seite, wenn man zu wenig gibt, dann gibt es Tote durch Covid. Und auf der anderen Seite,


wenn man zu viel gibt, dann ist diese Reaktogenität des Impfstoffs stärker. Gerade bei den RNA-Impfstoffen. Die sind überraschend Reaktorgen, weil kein Immun-..., kein Verstärker mit drinnen ist. Die haben kein solches Adjuvans mit drinnen, über das wir vorhin gesprochen haben. Und daher kann schon sein, dass man bei jüngeren Menschen bisschen weniger geben könnte. Man hatte jetzt nicht die Zeit, das dermaßen zu optimieren sozusagen, dass man auch da noch drauf geachtet hat bei diesen Verfahren, wo man schnell alles zur Zulassung geben wollte. Es ist durchaus möglich, dass man in Zukunft bei solchen Impfstoffen bei jüngeren Menschen mit der Dosis bisschen runtergeht. Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Und die Theorie steht im Raum, falls das zusammenhängt, dass das was mit der Reaktogenität zu tun hat. Also mit dieser Immunreaktion, mit der überschießenden Immunreaktion gegen den Impfstoff, den man da gibt. Ich wüsste jetzt im Moment nur nicht, wie man da heraus soll aus der Kiste. Ich glaube jeder, der in seinem Bekanntenkreis herumfragt. Als Arzt zumindest kriegt man das mit. Es gibt ganz oft bei jungen Menschen Myokarditis. Das ist eine häufige Erkrankung, meistens nicht erkannt. Manchmal erkannt. Und bei einigen, die es zu spät merken, kommt es zu Todesfällen. Zum Glück kann man das häufig vermeiden, wenn man rechtzeitig therapiert. Und bei dieser winzigen Zahl von Toten. Ob das jetzt wirklich erhöht ist nach der Impfung in Israel? Ich stelle mir vor, wie die Statistik aussehen müsste, um das jetzt zu beweisen. Wenn Sie 1, 2 , 3, 4, 5 Todesfälle haben und Sie wollen da einen Unterschied nachweisen. Das ist aus den besagten Gründen, weil da fast jeder geimpft ist. Da ist das meines Erachtens nicht möglich. D.h. ein Fragezeichen wird da dranbleiben. Und die Zahlen werden eher aus anderen Ländern kommen, wo man eine gute Kontrollgruppe hat zu denen, die geimpft wurden und denen, die nicht geimpft sind. Was man sicher machen wird, ist, genauer schauen: Wenn jemand sich nach der Impfung schlapp fühlt, dann nicht nur als Arzt sagen... Vielleicht ein Hinweis für die Hausärzte, die jetzt oft impfen: Dass man nicht sagt, „Na ja, komm. Nach der Impfung ist man oft schlapp, reg dich mal nicht so auf.“ Sondern dass man gelegentlich doch mal ein EKG macht, um zu gucken, ob da eine Myokarditis


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dahintersteckt. Ich glaube, auf die Weise wird man rauskriegen, ob das ein häufigeres Phänomen ist oder nicht. Aber ich bin jetzt an der Stelle nicht beunruhigt.


56:17


Jan Kröger


Einen Anruf möchte ich noch mit Ihnen besprechen, abschließend heute. Denn die Zeit drängt, wie wir gleich hören werden. Eine Hörerin hat uns da angerufen und folgende Frage zu ihrer bevorstehenden Impfung gestellt.


„Ich bin 66 Jahre und habe am 2 8. April einen Impftermin mit Biontech. Ich habe seit 2 Tagen einen Lippenherpes. Frage: Impfung absagen oder Corona-Impfung trotz LippenHerpes?“


Die letzte Folge, in der wir das heute beantworten können. Morgen ist der Termin.



Alexander Kekulé


Sehr aufmerksam, dass Sie das rausgesucht haben. Ja, machen! Auf jeden Fall. Sie wissen ja nicht, wann das Zeug nicht mehr verfügbar ist. Es ist ja so, dass jeder, der einen Impftermin hat, sollte das im Moment unbedingt machen. Es gibt jetzt bei Herpes keinen Grund, das nicht zu machen. Gut den Impfarzt zum Dank hinterher küssen, würde ich in der Lage nicht. Sonst kann man das selbstverständlich machen. Muss man halt zusehen, wie man seine Maske richtig anzieht, ohne dass der Herpes wehtut. Vielleicht ist er ja auch schon ausgeheilt. Aber das ist keine Kontraindikation oder kein Grund, das nicht zu machen.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 175. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag zur nächsten Folge. Vielen Dank und bis dahin bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dann, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass gibt es unter Audio & Radio auf mdr.de zu finden, oder auch in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge unter Audio&Radio auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 4. April 2 02 1 #174: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Samstag, 2 4. April 2 02 1


Sollten sich 2 0-Jährige impfen lassen?  Gibt es Long-Covid auch bei Geimpften?  Wie laufen Schnelltests an Schulen sicher


ab?  Warum wurde die Influenza zurückge-


drängt, nicht aber das Coronavirus? Oder hat das Coronavirus das Grippevirus quasi abgelöst?


Warum gibt es in Brasilien schwere Verläufe, obwohl dort viele Menschen eine Infektion durchgemacht haben?


Und: Können mRNA-Impfstoffe Krebs auslösen?



Camillo Schumann



Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


0:49



Camillo Schumann



Frau K. ist 72  Jahre alt, sie hat uns aus Halle aus angerufen und möchte Folgendes zur Impfung mit AstraZeneca wissen:


„Wenn ich als 72 -Jährige mit AstraZeneca geimpft werde, wie viel Schutz darf ich nach der ersten Dosis erwarten? Die Wirksamkeit insgesamt nur etwa 65 Prozent, dazu mein alters-


müdes, schwächer reagierendes Immunsystem und der Abstand zur zweiten Impfung ein Viertel Jahr. Lohnt da eine Impfung überhaupt? Danke.“



Alexander Kekulé


Ja, also es ist so, dass in den Studien AstraZeneca unterschiedliche, sage ich mal, Erfolge gebracht hat. Man kann sagen: Es gab einige Studien, wo die Impfwirkung schon besser als diese 60 Prozent war. Da lag sie so bei etwas über 70. Und das ist ja nur der Schutz bezüglich der erkennbaren Erkrankung. Wenn man jetzt den Schutz hinsichtlich der möglichen Krankenhaus-Einweisung anschaut, dann ist er höher. Und wenn man den Schutz bezüglich eines Sterberisikos ansieht, dann ist er auch höher. Wir wissen leider nicht, wie hoch, aber wir wissen, dass es auf jeden Fall was bringt. Und darum würde ich sagen: Ja, die Impfung lohnt sich auf jeden Fall, gerade in diesem Alter. Und auch, wenn die Wirkung nicht so gut ist wie bei anderen Impfstoffen, ist es auf jeden Fall viel besser, als nicht geimpft zu sein. Ich würde nur davor warnen, nach der ersten Impfung – das gilt ja ganz allgemein – jetzt zu denken, die Gefahr ist völlig gebannt und man kann sich quasi jedem Risiko aussetzen. Man sollte nach der ersten Impfung natürlich trotzdem noch Vorsicht walten lassen. Auch, wenn man weiß, dass man nur noch ein geringes Risiko hat, daran zu sterben dann.



Camillo Schumann



Bleiben wir beim Thema: Lohnt sich eine Impfung überhaupt? Egal, mit welchem Impfstoff? A. möchte Folgendes wissen. Sie hat angerufen:


„Ich hätte mal eine Frage, weil Professor Kekulé ja gesagt hat, man muss eine altersbezogene Nutzen-Risiko-Abwägung machen, was die Impfung und die Krankheit betrifft. Was würde er da empfehlen bei Personen, die zwischen 2 0 und 30 sind – also noch relativ junge Leute – und keine Vorerkrankungen haben? Ist es da sinnvoller, sich zu impfen oder zu sagen: Ich habe ein relativ geringes Risiko, das nehme ich in Kauf. Das Risiko bei einer Impfung ist ja auch nicht gleich Null.“


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Alexander Kekulé


Also, einfach ist die Frage zu beantworten bei Jugendlichen, da kann man sagen: Ist bisher noch nicht so, dass der überwiegende Nutzen der Impfungen gezeigt wurde. Das wird gerade gemacht, da gibt es Studien darüber. Aber da ist es relativ einfach. Da kann man sagen: Wenn jetzt keine sonstigen Risiken bestehen, gibt es bei Jugendlichen noch keine Indikation zur Impfung. Zwischen 2 0 und 30 ist gerade so der Grenzbereich. Also, über 30, würde ich sagen, ist es relativ klar, dass die Impfung was bringt. Und zwischen 2 0 und 30 – wenn man jetzt kein erhöhtes berufliches Risiko hat – dann hängt es so ein bisschen von der persönlichen Präferenz ab. Also, ich bin ein vorsichtiger Mensch und wenn ich die Möglichkeit habe, mich mit dem RNA-Impfstoff impfen zu lassen – oder auch meine Kinder im Alter zwischen 2 0 und 30 – da würde ich eher dazu tendieren. Weil man ja auch nicht weiß, wie es weitergeht. Man weiß nicht, ob die Impfstoffe noch lange verfügbar sein werden. Es kann immer sein, dass die Jugendlichen dann auf die Idee kommen, irgendwie Urlaub zu machen, wo vielleicht auch die Impfung dann verlangt wird als Voraussetzung. Darum würde ich jetzt in dem Alter eigentlich dazu tendieren, die Impfung zu machen. Aber es ist gerade so der Altersbereich, wo die Entscheidung besonders schwierig ist.


04:2 5



Camillo Schumann



Weil sie gerade die Jugendlichen angesprochen haben, die jungen Menschen unter 2 0. Herr F. hat auch angerufen. Seine Tochter, die wird bald 13 Jahre alt. Sie ist allerdings erkrankt. Nun würde er gern Folgendes wissen:


„Sie hat Niereninsuffizienz dritten Grades und gehört deshalb zur Hochrisikogruppe. Und ich wollte fragen: Wie weit sind denn jetzt die Studien? 16-Jährige dürfen ja schon geimpft werden mit BioNTech und Pfizer. Und Sie sagten ja in der einen Sendung, dass jetzt ausgeweitet wird, bis auf zwölf. Wie weit ist es denn? Kann ich die schon impfen lassen? Wie sind denn die Studien da fortgeschritten? Und würden Sie das empfehlen? Vielen Dank.“



Alexander Kekulé


Die Studien für die ab Zwölfjährigen laufen gerade, hauptsächlich in den USA mit den RNAImpfstoffen. Jetzt ist es nur so: Man weiß tatsächlich bei diesen Studien vorher nicht, was dabei rauskommt. Es gibt sicher bei den beteiligten Ärzten immer so ein Bauchgefühl. Aber das sind ja blind durchgeführte Studie, wo man also ganz absichtlich weder den Probanden noch den Ärzten wirklich sagt, ob da jetzt Impfstoff drinnen war oder nicht. Und es gibt bestimmte Zeitpunkte – die sind vorher ganz streng und genau definiert – wo, wie man sagt, die Studie geöffnet wird. Also, da wird dann quasi eine Zwischenauswertung gemacht, um sich die Daten mal anzusehen. Aber vorher sind die Studien ganz streng verblindet, wie wir sagen. Also, man weiß nicht, was los ist. Darum haben wir tatsächlich bisher da noch keine Ergebnisse, obwohl die Ergebnisse im Computer im Prinzip vorhanden sind. Das ist relativ gemein. Übrigens: In den USA gibt es ein Aufsichtskomitee, was sich diese Sachen parallel ansieht. Aber die sind natürlich strengst zum Schweigen verpflichtet. Ich würde mal sagen, mein Gefühl ist – nachdem wir bei den RNAImpfstoffen in den Altersgruppen, die jetzt schon geimpft werden, keine Tendenz haben, dass bei Jüngeren irgendwelche unangenehmen Nebenwirkungen auftreten – wäre es nun wirklich extrem unwahrscheinlich, wenn jetzt die Nebenwirkungen in der Altersgruppe ab zwölf Jahre irgendwie relevant wären. Die Frage ist hier eher: Welche Dosis braucht man? Was ist die optimale Dosis, um zu impfen? Und wie gut springen sozusagen die Immunsysteme in diesem Alter auf die RNA-Impfstoffe an? Sodass ich – wenn das jetzt so ist, dass man sagt: Das ist jetzt eine Person mit Risiko, man kann auch nicht ausschließen, dass sie sich infiziert, man möchte das Kind schützen an der Stelle – würde ich dazu tendieren, da eine Impfung zu machen. Es ist ja nicht verboten, das zu machen. Man muss eben dann hier einen OffLabel-Use machen bzw. das im Rahmen von Studien machen. Aber die laufen ja an verschiedenen Kliniken. Also, ich würde daher dazu tendieren – wenn man jetzt wirklich im Einzelfall sagt: Das ist hier sinnvoll – braucht man jetzt keine großen Sorgen vor den Nebenwirkungen haben.


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07:15



Camillo Schumann



Also nicht ob, sondern wie. Habe ich Sie richtig verstanden? Jetzt erstmal die Studien abwarten oder schon mal mit dem Hausarzt des Vertrauens mal ein tiefgründiges Gespräch führen.



Alexander Kekulé


Also, das kommt jetzt einfach darauf an, ob der Arzt überhaupt so eine Off-Label-Benutzung – also ohne Zulassung quasi – so eine Impfung überhaupt machen will und kann. Ich meine, also, das kommt einfach darauf an, wie hoch auch das Risiko ist. Ja, wenn jemand natürlich Nierenprobleme hat und man jetzt nicht ausschließen kann oder nicht mit anderen Methoden verhindern kann, dass derjenige sich infiziert oder einem Risiko ausgesetzt wird, dann wäre das ein Fall, wo man Richtung Impfung denken kann. Grundsätzlich – so als allgemeinen Rat – muss ich sagen, meine ich, dass man mit der Impfung der Kinder wirklich abwarten sollte, bis die Studienergebnisse vorliegen.


08:05



Camillo Schumann



Frau R. ist Lehrerin. In ihrer Mail schildert sie den Ablauf der Testungen und möchte wissen, ob der Ablauf so in Ordnung geht:


„Die Testungen, die finden im Klassenraum statt. Maximal 15 Schülerinnen und Schüler pro Raum. Während der Testung sind die Fenster geöffnet. Die Probenentnahme erfolgt bei den Schülerinnen und Schülern versetzt, sodass möglichst drei Meter Abstand besteht zwischen den Kindern, die ihre Maske für die Probenentnahme dann kurzzeitig abnehmen. Den kompletten Test führen die Kinder auch eigenständig durch. Besteht in diesen Momenten eine mögliche Ansteckungsgefahr für die Kinder bzw. für die Lehrerinnen und Lehrer, die auch eine FFP2 -Maske tragen währenddessen? Teilweise wird während der Probenentnahme ja ein Niesreiz ausgelöst. Welche Gefahren können hiervon ausgehen? Wie schätzen Sie das Infektionsrisiko während der Tests ein? Viele Grüße, Frau R.“



Alexander Kekulé


Also, erstens: Gratulation! Das klingt nach einem vernünftigen Konzept, v.a. mit den drei Metern Abstand. Man muss natürlich dann zusehen, dass, wenn das Kind niest, dass es


also in eine Richtung niest, wo niemand steht. Aber die Frage war so ein bisschen gemein formuliert: Könnte hier in Risiko sein? Ja, also das ist bei Wissenschaftlern immer ganz gemein. Also ausschließen kann man natürlich nichts, aber ich würde sagen, bei diesem Ansatz ist das Risiko so stark minimiert, dass man es verantworten kann. Ein letztes Restrisiko, natürlich, wenn jetzt ein Kind nach dem anderen niest und eine große Aerosolmenge produziert und in dem Moment zwar das Fenster offen ist, aber vielleicht die Luftbewegung, weil kein Wind weht, nicht ausreicht. Da kann man natürlich sich irgendwelche Extremszenarien überlegen. Aber für den Alltag in der Schule würde ich sagen, ist das genau so ein Szenario, was ich empfehlen würde. Man muss vielleicht zusätzlich darauf achten – das hatten wir glaube ich schon besprochen: Es ist wichtig, dass die Tests bei der richtigen Temperatur ausgeführt werden. Das steht immer in der Packung drinnen. Dürfte in Innenräumen in der Schule kein Problem sein. Und natürlich ganz, ganz wichtig, immer daran zu denken, dass Kinder, die Symptome haben, eigentlich nicht auf diese Weise freigetestet werden können. Sondern wer Symptome hat – v.a., wenn sie erst kurz bestehen – der muss wirklich noch einen Tag warten oder eine PCR machen. Man kann ja so grob sagen, bei Kindern ist es vielleicht häufiger, dass die asymptomatisch sind. Aber je älter die Menschen dann werden, desto häufiger ist es dann schon, dass man irgendwas spürt, wenn man Covid hat. Und wenn wir diejenigen, die krank sind oder die sich ein bisschen krank fühlen, wenn wir die isolieren, dann haben wir schon ganz viel gewonnen gegen diese Pandemie.


10:36



Camillo Schumann



Weil wir gerade bei Tests sind: Frau S. hat angerufen. Sie will Folgendes wissen:


„Ist es möglich nach überstandener Coronainfektion – PCR war positiv, wurde dann negativ dass der PCR nochmal positiv wird?“



Alexander Kekulé


Also, wir haben solche Fälle tatsächlich. Da wurde ja immer diskutiert, ob das dann eine Re-Infektion ist, also ob man sich zum zweiten Mal infiziert hat. Es gibt Studien, wo die dann sagen: Wenn der Abstand zwischen der Gene-


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sung und der nächsten Positivität im PCR-Test sechs Wochen oder länger ist, dann zählen wir das als Re-Infektion, also als Zweitinfektion mit dem Virus. Aber so richtig belegt ist das nicht. Es kann auch sein, dass das Virus da war die ganze Zeit und entweder quasi reaktiviert wurde – in dem Sinn, dass es wiederaufgetaucht ist – oder, dass der PCR-Test einmal schlecht gemacht wurde und bei der Abnahme vielleicht zufällig nicht so viel drauf war. Diese Fälle gibt es immer wieder. Also, wir haben tatsächlich immer wieder Fälle, wo wir auch über längere Zeit negative PCR-Tests haben. Und dann ist die gleiche Person dann wieder positiv. Das kann man nicht letztlich beantworten, ob das eine Re-Infektion ist zu dem Zeitpunkt oder ob das alte Virus wiederaufgetaucht ist. Ein Hinweis ist vielleicht so ein bisschen, wie der CT-Wert ist. Also dieser Messwert quasi bei der PCR, wenn die quantitativ gemacht wird. Wenn der CT-Wert relativ niedrig ist – also eine hohe Konzentration von Virus dann vorhanden ist – dann deutet es schon eher auf eine Zweitinfektion oder eine massive Reaktivierung hin, was eigentlich bei sonst immunologisch Gesunden eher selten wäre. Und wenn man nach ein paar Wochen plötzlich wieder eine positive PCR mit so einem ganz grenzwertigen CT findet, wo also die RNAKonzentration extrem gering ist – also nur ganz wenig Virus eigentlich nachgewiesen wird in der Probe – dann würde ich eher tendieren, dass das Virus die ganze Zeit irgendwie noch da war und halt zwischendurch nicht gemessen werden konnte.


12 :34



Camillo Schumann



Herr M. hat gemailt:


„Herr Kekulé sagt, die Influenza-Saison ist im Grunde genommen ausgefallen und führt das offenbar auf die Corona-Maßnahmen zurück.“


Jetzt seine Frage:


„Warum helfen die Maßnahmen gegen Influenzaviren, aber nicht gegen Coronaviren? Oder könnte es sein, dass es nicht an den Maßnahmen liegt, sondern ein Virus ein anderes verdrängt?“


Herr R. hat eine ähnliche Frage dazu:


„Bisher wurde ja immer gesagt, wir hätten uns durch das Tragen der Schutzmasken besser vor der Influenza geschützt und sie sei deswegen in diesem Jahr kaum aufgetreten. Ist das wirklich so? Oder ist vielleicht Corona eine neue Form oder eine Art Nachfolgerin bzw. Ablösung der Influenza? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Naja, die Influenza hat es ein bisschen schwieriger, sich auszubreiten als Corona. Das muss man ganz klar sagen. Wir sind bei der Infektiosität, also bei diesem Ansteckungswert – da wissen wir nicht ganz genau, was sozusagen die Maximalgeschwindigkeit bei Influenza wäre – aber bei Corona gehen wir davon aus, dass jetzt die neuen Varianten so bei, sag ich mal, 3,7, also R gleich 3,7 oder R bei 4 ungefähr liegen. Das ist schon ein relativ infektiöses Virus, also relativ ansteckend. Man liest in den Büchern dann immer, dass die Influenza niedriger wäre. Zum Teil wurde das auch öffentlich dann so erklärt, dass die Influenza eher so bei 2 ,5 oder sowas liegt vom R-Faktor her, also von dem Ausbreitungsfaktor. Nochmal zur Erinnerung: 2 ,5 heißt, dass im Durchschnitt jemand, der krank ist, 2 ,5 andere Personen ansteckt. Diese Zahl ist aber eben deshalb nicht ganz vergleichbar, weil bei der Influenza ja die Bevölkerung zum großen Teil immun ist. Also ganz viele haben einfach schon mal mit irgendeinem Influenzavirus Kontakt gehabt und wären dann sozusagen für ein Virus, das sich ausbreitet, kein geeignetes Opfer. Und deshalb ist der wirkliche R0-Wert – also sozusagen die natürliche Maximalgeschwindigkeit, mit der sich ein Influenzavirus ausbreiten könnte in einer Population, die immunologisch komplett naiv ist, wie wir sagen, die also solche Viren noch nie gesehen hat – der ist gar nicht bekannt, weil die Influenza einfach schon sehr, sehr lange vorhanden ist. Und von Anfang an, als die Virologen angefangen haben zu messen, gab es natürlich schon Immunität dagegen. Und bei dem Coronavirus ist es eben so, dass wir hier die Situation haben, dass wir eine immunologisch mehr oder minder naive Population haben. Es breitet sich also dann teilweise mit Maximalgeschwindigkeit aus, und diese 2 Geschwindigkeiten sind der Hauptgrund, warum eben wir jetzt Corona sehen und In-


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fluenza nicht mehr. Ja, das ist so eine Art Überholmanöver. Und dann gibt es noch die andere Frage: Wie ist das? Kann das eine Virus das andere verdrängen? Bis zu einem gewissen Grad: Ja. Also, wir wissen, dass, wenn jemand eine Virusinfektion hat, dass dann zu dem Zeitpunkt – und auch eine ganze Weile danach noch – quasi auf den Schleimhäuten, wenn es jetzt Atemwegsinfektionen sind, so eine Immunität besteht. Das ist ein Teil dieser sogenannten angeborenen Immunität, die quasi verhindert, dass andere Viren über Kreuz sozusagen da rein können. Man kann sagen: Das angeborene Immunsystem hat so eine Art Grundaktivierung zu dem Zeitpunkt, die dann gegen jede Art von Viren einen gewissen Schutz bietet. Übrigens: Viele kennen vielleicht den Ausdruck Interferon. Die Interferone sind Substanzen, die man auch benutzt u.a. zur Therapie von Virusinfektionen. Und die wurden auf diese Weise entdeckt. Das ist quasi das Phänomen der Interferenz früher gewesen, wo man also vor vielen Jahren schon festgestellt hat: Wenn eine Zelle von einem Virus infiziert ist, dann kann ein Virus einer anderen Art nicht mehr rein. Und das hat man Interferenz genannt und später rausgekriegt, dass – biologisch gesehen – die Interferone da eine Rolle spielen. Und so ist es natürlich jetzt auch. Jemand, der von einem Virus – also in dem Fall von einem Coronavirus, Sars-CoV-2  – infiziert ist, der wird in der Zeit jetzt nicht gerade noch eine Influenzainfektion obendrauf kriegen. Das ist eher unwahrscheinlich. Aber man muss sich immer klarmachen: Eine Influenza-Saison hat ja früher viele Monate gedauert und eine SarsCoV-2 -Infektion dauert also normalerweise nicht länger als zehn Tage. Und wenn man dann nochmal 2 Wochen hinten dranhängt für so eine Art Nachzügler-Effekt bei diesem Schutz, bei dieser Interferenz, dann würde das trotzdem nicht wirklich erklären, warum die Influenzaviren sich nicht ausbreiten konnten.


17:00



Camillo Schumann



Frau S. hat gemailt:


„Die letzten Male vernahm ich Ihre eindringlichen Appelle, schnell zu impfen, besonders auch wegen der brasilianischen Variante P1. Man hört aber aus meiner aus, dass dort fast schon Herdenimmunität herrschte und viele,


die den Wildtyp schon hatten, nun mit P1 schwere Verläufe bekamen. Muss man sich das so vorstellen, dass sie das erste Mal die Infektion abwerten, ohne sie richtig durchzumachen? Also, ohne massenhaft Antikörper zu bilden und daher der P1 so ausgeliefert sind? Man hat ja manchmal eine anziehende Infektion, bekommt sie aber noch nicht so richtig. Würden daher die Impfungen besser schützen als eine leichte Infektion, weil das Immunsystem bei der Impfung massenhaft Antikörper baut? Viele Grüße, Frau S.“



Alexander Kekulé


Wow! Also wir sind jetzt schon richtig im Hörsaal gelandet hier. Das ist eine sehr kluge Frage und genau die Frage stellen sich die Wissenschaftler auch. Also, man kann vielleicht nochmal rekapitulieren: Es gab ja die Meldung aus Brasilien. Bekannt ist, dass der brasilianische Präsident jetzt kein besonders großes Interesse daran hat, viele Maßnahmen zu ergreifen gegen die Pandemie. Da gab es die Meldung aus Brasilien: Hurra, wir haben es durch, wir haben 70 Prozent Immunität. Da hat man einfach Antikörper gemessen im Blut von Menschen eben gerade im Amazonas, in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas, und auch anderen Regionen Brasiliens, hat man hohe Durchseuchung gefunden. Die Frage ist jetzt: Warum konnte es zu diesem zweiten, relativ massiven Ausbruch dort kommen? Wir wissen, es ist die Variante dort. Da gibt es im Grunde genommen fünf verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, die sich nicht alle gegenseitig ausschließen. Es könnte auch eine Kombination sein. Also, ich fange erstmal ganz simpel an, das ist die erste Diskussion: Vielleicht waren es gar nicht 70 Prozent. Also, man hat da ja nicht die gesamte Bevölkerung gemessen, sondern hat bei einem Teil der Menschen Blut abgenommen und festgestellt: Haben die Antikörper? Ja oder nein? Und hat es dann hochgerechnet auf diese etwa 70 Prozent Durchseuchung. Das könnte sein, dass einfach da bei den statistischen Verfahren Fehler gemacht wurden, sodass man gar nicht so weit durchseucht war. Die zweite Variante, die im Raum steht, oder die zweite Möglichkeit, die im Raum steht, ist, dass P1 möglicherweise – so heißt ja die Variante dort, die wichtigste – dass die sich schneller ausbreitet als die ursprünglichen Typen. Also eine höhere Ausbrei-


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tungsgeschwindigkeit hat, so ähnlich wie bei B.1.1.7 in Großbritannien. Ich würde sagen: Das ist ziemlich wahrscheinlich, sonst hätte sich P1 nicht so schnell durchgesetzt. Und dann könnte es natürlich sein, wenn es sich schneller ausbreitet, dass sozusagen die restliche Population – also sagen wir mal, das dann noch 30 Prozent übrig waren – dass es sich dort eben in einer hohen Geschwindigkeit ausbreitet. Und das würde noch völlig ausreichen – da gibt es auch Modelle, die das gezeigt haben – um die jetzigen Fallzahlen und die jetzigen Belegungen der Intensivstationen dort zu erklären. Also, selbst bei 70 Prozent Immunität würde ein sich schnell bei den letzten 30 Prozent ausbreitendes Virus eigentlich ausreichen. In dem Zusammenhang ist eben wichtig zu sagen, dass in Brasilien – ich habe das wirklich unmittelbar verfolgt, weil wir natürlich mit den Kollegen da ständig Konferenzen haben. Es ist in Brasilien so unter der Bevölkerung – gerade da in dieser Region im Amazonas – das Gefühl entstanden zwischendurch, wir haben es hier überstanden. Und die haben sich dann einfach wirklich locker gemacht und haben quasi diese ganzen Restriktionen nicht mehr beachtet, sodass ich mir gut vorstellen kann, dass diese Welle jetzt eigentlich diejenigen erwischt, die es vorher nicht erwischt hat. Und wenn man dann neue Teile der Bevölkerung quasi hat, die durchseucht werden – also andere Teile der Population – dann passiert sowas Ähnliches, wie man es in England auch gesehen hat mit der B.1.1.7. Da sind dann plötzlich andere Altersgruppen oder andere soziale Strukturen betroffen, in denen das Virus sich dann ausbreitet. So eine Gesellschaft ist eben nicht eine große homogene Masse, sondern besteht letztlich aus verschiedenen sozialen Blasen. Und dann ist einfach eine andere soziale Subpopulation dran. Dort haben wir dann das, was wir einen Founder-Effekt nennen, also so eine Art Gründereffekt. Das Virus trifft dann auf eine Population, die sich wenig schützt und die auch zum großen Teil die Infektion noch nicht durchgemacht hat. Und deshalb kann es in der Geschwindigkeit da durchbrennen. Wir sehen sowas Ähnliches übrigens auch in Deutschland. Da hatten wir ja in der ersten Welle in den neuen Bundesländern eigentlich ganz wenig Betroffene. Und genau da hat das Virus dann im zweiten Zug richtig zugeschlagen. Aus dem


gleichen Grund, den ich gerade erläutert hatte. Dann natürlich Variante Nummer drei, was man sich vorstellen kann – das ist so die Befürchtung, die schlimmste Befürchtung. Das wäre ein echtes Immun-Escape. Also, dass man wirklich sagt: Dieses P1 kann also Menschen, die schon infiziert waren, einfach ziemlich drastisch nochmal neu infizieren. Ich muss sagen: Das halte ich jetzt nicht für sehr wahrscheinlich, dass das sozusagen zu schweren Verläufen führt. Ja, es ist wohl so, dass die neue Variante Menschen nochmal infizieren kann, aber das erklärt nicht die hohen Krankenhauseinweisungen. Man würde da eher erwarten, dass man eine hohe Inzidenz bekommt, aber nicht hohe Sterblichkeit und viele Menschen im Krankenhaus. Und das ist ja dort in Manaus so. Die Krankenhäuser sind voll und die Menschen sterben wieder. Leider in großer Menge. Die vierte Diskussion, die man hat, ist, dass man sagt – oder die vierte Möglichkeit – dass man sagt: Es könnte sein, dass die Immunität abgenommen hat. Die Wellen waren ja ein paar Monate auseinander und keiner weiß ja ganz genau, wie lange die Immunität anhält. Das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich, steht aber sozusagen auch als Möglichkeit auf dem Zettel. Ich glaube nicht, dass nach wenigen Monaten schon die Immunität – auch in Südamerika – irgendwie abgenommen hat bei der Bevölkerung in diesem Maße. Ja, mag sicher sein, dass einzelne Menschen dann ein schlechtes Immunsystem haben und schnell wieder infizierbar sind. Aber nicht in dem Stil, dass es den Ausbruch im Amazonas und auch in anderen – gibt ja andere Bundesstaaten, Paraiba, Pernambuco, die alle da im Norden von Brasilien – die sind ja ähnlich betroffen. Und dann der fünfte und letzte Punkt. Und das ist der, den ich für am wahrscheinlichsten halte. Wir haben halt hier eine Situation, dass die Versorgung wirklich miserabel ist. Im Amazonas ist es so, dass der Sauerstoff ausgegangen ist, schon lange die Intensivstationen völlig überfüllt sind. Wer die Bilder aus dem Fernsehen oder aus den Medien kennt, weiß das. Der Sauerstoff kann nicht mehr über die Straßen durch den Urwald dorthin transportiert werden, weil die – seit vielen Jahrzehnten muss man eigentlich sagen – nicht mehr instandgesetzt wurden. Es gibt deshalb nur noch – schon lange nur noch – den Luftweg und den Was-


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serweg über den Amazonas. Und die einzigen Straßen, die man aber braucht für diese schweren Flaschen, kommen aus Venezuela. Das heißt also, jetzt müssen aus Venezuela die Flaschen dorthin transportiert werden. Es gibt einen riesigen Schwarzmarkt, die Krankenhäuser brechen zusammen. Und wenn man in diesem Szenario auch nur mittelschwere Verläufe hat – also vielleicht Verläufe bei Menschen, die schon mal die Infektion durchgemacht haben und eigentlich jetzt gar nicht sterben müssten – dann hat man aber trotzdem dann insgesamt eine höhere Sterblichkeit, weil einfach die Versorgung an der Grenze ist. Also, tut mir leid, dass ich nicht eine Antwort habe, aber diese fünf Kategorien spielen wahrscheinlich irgendwie alle zusammen. Und der wichtigste Faktor, warum so viele Menschen sterben, ist eben die hohe Ausbreitungsgeschwindigkeit. Man hat sich locker gemacht. Und das schlechte gesundheitliche Versorgungssystem.



Camillo Schumann



Ja, aber es ist ja gut, dass wir es mal durchdekliniert haben. Da können wir dann immer auf diese Sendung dann verweisen.



Alexander Kekulé


Ja.


2 4:39



Camillo Schumann



Frau H. hat angerufen. Sie treibt folgende Frage um:


„Gibt es irgendwelche Studien von Leuten, die die Impfung erhalten haben, sich trotz Impfung infiziert haben, wie das bezüglich Long-Covid aussieht? Ob der Long-Covid-Anteil genauso groß ist oder größer oder kleiner? Wäre dankbar für eine Beantwortung. Schönen Tag noch, tschüss.“



Alexander Kekulé


Ja, also gute Frage. Weiß keiner. Also, das wird natürlich jetzt untersucht. Es gibt ja mehrere jetzt wirklich große Studien, die das Long-Covid versuchen, irgendwie in den Griff zu bekommen. Da ist jetzt eine gestartet worden im Vereinigten Königreich und auch in Großbritannien und auch in den USA wird jetzt richtig viel Geld für die Long-Covid, sag ich mal, Forschung ausgegeben. Das Problem ist erstens: Wir haben dieses Krankheitsbild noch nicht so


definiert. Also es ist noch nicht ganz klar: Was zählen wir eigentlich als Long-Covid? Klar ist, dass gewisse neurologische Veränderungen eine Rolle spielen. Aber wir wissen z.B. nicht, welche Lungenveränderungen wir jetzt unter Long-Covid einordnen sollen oder nicht. Das Interessante ist auch: Es gibt ja so ähnliche Dinge auch bei anderen Virusinfektionen. Also, wir kennen andere Infektionen, z.B. die sogenannten Cytomegaloviren oder Epstein-BarrVirus. Da haben wir dann manchmal auch so Verläufe, die atypisch sind, wo die Menschen dann sagen, sie werden nicht richtig wieder gesund. Das schleppt sich so hin. Selbst dieses sogenannte chronische Müdigkeitssyndrom, was vielleicht einige kennen, da wird immer wieder gesagt, dass da auch Viren manchmal eine Rolle spielen. Und es kann sein, dass wir hier jetzt bei dieser Pandemie, wo wir ja erstens besonders genau hinschauen und wo wir zweitens einfach so eine Riesenzahl von – wenn ich mal so sagen darf – Probanden haben, also unheimlich viele Menschen in kurzer Zeit infiziert werden. Da beobachten wir möglicherweise Dinge, die auch bei anderen Virusinfektionen auftreten, die aber hier jetzt nur plötzlich erkannt werden. Darum ist es so wahnsinnig spannend mit dem Long-Covid. Und ich würde mal sagen: Da wir den Mechanismus der Krankheitsentstehung nicht kennen und nicht einmal genau die Definition haben, was das überhaupt ist, ist natürlich die Frage, ist das durch einen Impfstoff jetzt abzuschwächen oder zu verhindern, nicht wirklich seriös zu beantworten. Wir haben auf der anderen Seite natürlich schon die Vermutung, dass auch Long-Covid etwas mit der Immunantwort zu tun hat. Dass es jetzt nicht so ist, dass bei diesen Long-Covid-Menschen – haben wir keinen Hinweis darauf – das Virus irgendwie die ganze Zeit noch irgendwo stecken und Symptome machen würde. Sondern höchstwahrscheinlich hat das auch was mit einer autoimmunologischen Situation zu tun. Und wenn man diese Arbeitshypothese nimmt, dann muss es eigentlich so sein, dass die Impfung vor einem Teil der Long-Covid-Fälle schützt. Also, dass letztlich weniger Geimpfte Long-Covid bekommen. Das wäre in der jetzigen Situation – sage ich mal so 60:40 – eine Spekulation oder eher wahrscheinlich. Aber wir haben da noch viel zu wenig Informationen. Wir kennen den Mecha-


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nismus noch nicht, und deshalb muss ich leider auf unseren Podcast im September dann verweisen. Da werden wir möglicherweise in der Hinsicht schlauer sein.


2 7:48



Camillo Schumann



Und Herr N. hat uns gemailt und fragt u.a. – er hat mehrere Fragen, ich habe jetzt die mal ausgesucht:


„Ist es möglich, dass mRNA-Impfstoffe langfristige Nebenwirkungen haben könnten? Z.B., dass Krebs entstehen könnte? Viele Grüße, Herr N.“



Alexander Kekulé


Wir haben darauf gar keine Hinweise. Also, es ist natürlich klar: RNA-Impfstoffe sind experimentelle Impfstoffe. Das kann man nicht anders sagen. Bevor wir angefangen haben, die einzusetzen, hatte ich auch persönlich wirklich eine ganz lange Liste von Fragezeichen, wo ich gesagt habe: Das könnte passieren, das könnte passieren, das könnte passieren. Und ja, so ganz theoretisch kann man sich auch Extremsituationen vorstellen, wo da Krebs entstehen könnte. Das wäre dann, um das auszuformulieren, die Situation, dass jemand bestimmte Gene hat zufälligerweise, die eigentlich nur bei seltenen Viren vorkommen – also bei sogenannten Retroviren vorkommen. Die Produkte, die dann hergestellt werden in den Zellen heißen Reverse Transkriptase. Das ist ein Enzym, was tatsächlich in der Lage ist, aus RNA DNA zu machen. Und diese DNA, die ja eigentlich die Erbinformation im Zellkern ist, die könnte – das ist dann der nächste unwahrscheinliche Schritt – sich in den Zellkern irgendwie einklinken und bei diesem Einklinken dort Mutationen herbeiführen. Also, die Gene verändern von der Zelle. Und wir wissen, dass Mutationen manchmal eben dann zu Krebs führen. Also, mit dieser ziemlich schwierigen, unwahrscheinlichen Kausalkette hätte man sich dieses Szenario rein theoretisch ableiten können. Aber man muss jetzt einfach sehen, dass inzwischen ja wirklich extrem viele Menschen mit den RNA-Impfstoffen geimpft wurden, Hunderte von Millionen. Und dass man das auch in Ländern macht, wo das dann sehr genau beobachtet wird. In Europa, in den Vereinigten Staaten, auch in vielen asiatischen Ländern wird ja sehr genau hingesehen. Wie sieht es denn aus mit


den Nebenwirkungen? Und wir alle auf der ganzen Welt – nicht nur Podcast-Hörer – sind ja extrem, sage ich mal, sensibilisiert auf die Frage: Macht es irgendwelche Nebenwirkungen? Ja oder nein? Und wir haben bis jetzt keine Hinweise irgendwie gefunden, die in diese Richtung gehen, sodass man einfach sagen muss: Mit jeder Woche, die jetzt weiter geimpft wird, werden solche exotischen Nebenwirkungen, wie z.B. Krebsentstehung, unwahrscheinlicher. Man müsste jetzt wirklich in die Kiste greifen und sagen, so wirklich den Teufel an die Wand malen und sagen: Ja, und was wäre dann vielleicht in 30 Jahren? Wir wissen ja nicht, was der wirklich extreme Langzeiteffekt ist. Da muss man dazu sagen: Unsere Zellen, die Zellen des Organismus, da haben wir ganz wenige Zellen, die überhaupt so lange leben. Die meisten erneuern sich ja alle paar Jahre. Und das wäre dann wirklich ein echt exotischer Mechanismus, der über so lange Zeit vorher mit dieser Verzögerung dann ungewöhnliche Nebenwirkungen wie Krebs macht. Also ich würde sagen: Die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering inzwischen. Auf null gesunken ist sie natürlich fairerweise nicht.



Camillo Schumann



Gut, wenn wir dann 2 050 in Ausgabe 1374 sind, vielleicht gibt es ja dann Auswertungen von Studien, da kann man vielleicht nochmal drüber reden.



Alexander Kekulé


Vorher erfinden wir noch was, dass wir beide irgendwie mindestens 12 0 Jahre alt werden, damit wir die Studie auch zu Ende führen können.


31:05



Camillo Schumann



Genau. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 174. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir 2 beiden hören uns dann in 2 Wochen wieder. Ich bin jetzt im Urlaub. Nächste und übernächste Woche dürfen Sie sich über meinen Kollegen Jan Kröger freuen. Bis dahin, bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Ja, bleiben Sie auch gesund und seien Sie vorsichtig, wenn Sie in Mallorca oder sonst wo unterwegs sind.


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Camillo Schumann



Ich bleibe in der Sächsischen Schweiz.



Alexander Kekulé


Habe ich mir gedacht. Bis dann, tschüss, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Bis dahin. Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Oder twittern Sie Ihre Frage unter dem Hashtag #FragKekulé. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 2 . April 2 02 1 #173: Der Bundestag hat die BundesNotbremse beschlossen, aber kann mit der Inzidenz auch getrickst werden?



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Corona-Infektionen schützen junge Menschen nicht vollständig vor einer erneuten Infektion (15.04.2 02 1) covidreinfectionmarine.pdf (thelancetpress.com)


Chile rätselt über neue Corona-Welle Welche Rolle spielt der Impfstoff dabei dann?


Dann: Russland hat nach eigenen Angaben einen Corona-Impfstoff für Tiere zugelassen. Was könnte das für die Entwicklung der Pandemie bedeuten?


Und schützt ein allergischer Schnupfen vor Covid-19?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé,



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Und ich beginne mal mit einer ja vorsichtig positiven Nachricht. Die kommt von Professor


Christian Karagiannidis. Er ist Leiter des Intensivregisters, und der hat getwittert: Die natürlichen Kontaktbeschränkungen an Ostern, viele regionale Maßnahmen und die Impfung haben das Wachstum der Intensivbelegung abgebremst. Danke für das disziplinierte Verhalten. Noch vor 2 Wochen hatte er eine sehr düstere Prognose für die Belegung der Intensivbetten abgegeben und die Politik zum sofortigen Handeln aufgefordert. Nun scheint sich die Lage doch nicht so extrem zuzuspitzen. Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé


Ja, es ist so, dass die Lage sich nicht so dramatisch entwickelt hat, wie es einige Kollegen unter anderem Herr Karagiannidis vorhergesagt haben. Da ist natürlich die Frage, ob man quasi per Twitter jetzt Erklärungen dafür abgeben soll. Wir wissen ja alle nicht, woran es liegt. Also die Hörer dieses Podcasts sind wahrscheinlich nicht besonders überrascht. Dass es sich jetzt nicht ganz so dramatisch entwickelt hat. Aber ich glaube, man kann auch nicht den nächsten Schritt machen und jetzt sagen, es liegt daran, dass die Menschen sich vernünftig verhalten haben. Oder es liegt an der Osterpause. Kann sein, dass das epidemiologisch irgendwann mal rausgefunden wird. Aber das ist ja ein komplexes Geschehen. Wir haben hier eben tatsächlich das Verhalten der Menschen. Da gibt's Effekte im Positiven wie im Negativen. Wir haben sicherlich auch gerade bezüglich der Intensivstationenbelegung die Situation, dass natürlich alte tendenziell geimpft sind, oder viele alte geimpft sind in Deutschland, das nimmt langsam zu. Die, die nicht geimpft sind, also viele Risikogruppen, haben sich jetzt schon an ein Verhalten gewöhnt, wie man sich vor dem Virus schützen kann. Die wissen, wo man sich infizieren kann und sind vorsichtig. Und die unvorsichtigen sind eben tendenziell eher jünger, weil sie eben auch umgekehrt verstanden haben, dass ihr Risiko jetzt nicht so groß ist, wenn sie sich infizieren sollten. In dieser Gemengelage entwickeln wir uns insgesamt. Wir haben ja nach wie vor eine hohe Inzidenz und ich habe auch das Gefühl, dass es nicht wirklich hundert Pro-


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zent durchschlägt auf den Intensivstationen, so dass wir in so einer Phase sind, wo wir, wenn man optimistisch sehen will, sich die Inzidenz ein bisschen entkoppelt von der Sterblichkeit. Falls das stimmen sollte, das ist natürlich auch nur eine Vermutung. Die Zahlen sehen halt so ein bisschen so aus, dann hätte das viele Fragezeichen zum Beispiel, ob man die Inzidenz dann langfristig noch als Maßstab für Einschränkungen nehmen kann. Also ich würde jetzt nicht so weit gehen, dass man sich jetzt da bei der Bevölkerung schon bedanken kann und sagen kann: „Daran hat es gelegen.“. Das ist immer gefährlich, so Prognosen abzugeben. Dann hinterher bei Twitter wieder zurück zu rudern, ist natürlich dann auch so etwas, wo ich sage da macht man jetzt nicht gerade Wissenschaft auf diese Weise, sondern es ist eher ein politisches Statement.



Camillo Schumann



Man sieht ja an den Daten des Robert KochInstituts, dass die Hospitalisierungsquote wirklich stetig sinkt. Vergangene Woche lag sie sogar bei vier Prozent, davor stetig bei sieben. Der Anteil der Verstorbenen, der sinkt ebenfalls. Da stellt man sich schon die Frage, warum gibt es auf den Intensivstationen überhaupt noch ein Wachstum?



Alexander Kekulé


Die wahrscheinlichste Erklärung ist einfach, dass wir in der Tat Jahr von Alt nach Jung impfen und da aus bekannten Gründen nicht so schnell sind, wie wir sein müssten. Wir haben aber in den Altersheimen natürlich einen Teil der Bevölkerung geschützt, also den aller vulnerabelsten Teil haben wir eigentlich wohl geschützt in Deutschland. Dadurch, dass die Patienten jünger sind, liegen sie einfach länger auf der Intensivstation. Und ich glaube, es ist auch so, dass wir inzwischen ja relativ großzügig sind bei den Einweisungen auf Intensivstationen. Das hängt natürlich mit der Situation im Krankenhaus zusammen. Wenn man jetzt nicht so viele Covid-Fälle hat und wenn man nicht mehr in der Lage ist wie bei der ersten Welle, wo wir ja ganze Stationen leer geräumt hatten für die erwarteten Covid-Fälle. Da wur-


den ja die Krankenhäuser zum Teil wirklich runtergefahren, damit man die Covid-Fälle behandeln kann, was auch richtig war in der damaligen Lage. Da gab es ja nicht nur Intensivbetten, die frei waren, sondern auch allgemein Betten, ganze Stationen, die als CovidStationen umstrukturiert sind. Das ist ganz klar, dass man das zum Teil wieder zurückgefahren hat. Das kann man ja auch nicht ewig aufrechterhalten, sodass jetzt aus Gründen des Infektionsschutzes ein Covid-Patient würde ich schätzen, schneller auf ein Intensivbett kommt, wenn man eins frei hat, statt jetzt sozusagen irgendwo anders die ganzen Infektionsschutzmaßnahmen aufzubauen. Sodass ich mir schon vorstellen könnte, das ist natürlich jetzt nicht quantifiziert, ein verändertes Überweisungsverhalten, auf die ITS eine Rolle spielt und die längere Liegedauer von jüngeren Patienten. Und dadurch kann es durchaus sein, dass wir da jetzt einen Anstieg haben. Perspektivisch bin ich wirklich optimistisch, genauso wie Herr Karagiannidis, dass wir in eine Phase reinkommen werden, wo wir die Chance haben, dass diese Erkrankung einfach insgesamt statistisch weniger Sterblichkeit und weniger ISTBelegung macht.


06:15



Camillo Schumann



Möglicherweise wird die Bundes-Notbremse noch ihren Teil dazu beitragen. Gestern hat ja die GroKo mit ihrer Mehrheit im Bundestag das verschärfte Infektionsschutzgesetz beschlossen. Allerdings stimmen auch nicht alle Abgeordneten der Regierungsparteien zu. Ziel ist es ja, dass ab einer Inzidenz über 100 der Bund dann künftig die Maßnahmen anordnen kann und unser Hörer Herr H. aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt, der hat uns dazu geschrieben mit folgender Anmerkung: Ein Ermessen gibt es in den einzelnen Gebietskörperschaften dann kaum. Die Städte und Landkreise haben doch aber die Möglichkeit, die Anzahl der auszuführenden Tests zu beeinflussen. Sehen Sie auch darin eine Gefahr, dass die Zahlen künstlich niedrig gehalten werden? Und welche anderen Kennzahlen könnte man in der Praxis heranziehen, um aussagefähige Werte zu er-


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halten? Freundliche Grüße aus Wittenberg“. Also, er macht sich da über die Inzidenzwerte Gedanken, die ja womöglich wenn die Ansage aus Berlin kommt, regional beeinflusst werden könnten. Wie sehen Sie das?



Alexander Kekulé


Das ist eine politische Frage. Also, ich glaube nicht, dass jetzt Landräte und Bürgermeister wirklich die Inzidenzen fälschen oder aktiv beeinflussen, indem sie jetzt die Testzahlen rauf und runterfahren. Aber ich glaube schon, dass es möglich ist, dass es zu sage ich mal gewissen Kontroversen kommen kann zwischen Landkreisen und der Bundesregierung oder auch zwischen Landesregierungen und der Bundesregierung. Das ist ja auch ein Teil des gewünschten Effektes bei diesen (...) Veränderungen des Infektionsschutzgesetzes, weil dadurch natürlich die Ministerpräsidenten und auch die Landräte sagen können: „Schaut mal her, ja wir verstehen es auch nicht. Wir sind ja auf eurer Seite liebe Bürger, aber aus Berlin kommt die Anweisung“. Ich glaube, dass das politisch gewollt ist. Auf jeden Fall von den Bundesländern, bei denen jetzt Wahlen anstehen, weil das natürlich eine leichteres Narrativ ist als wenn man jede Woche aufs Neue erklären muss, warum man dieser Maßnahme zugestimmt oder nicht zugestimmt hat. Oder warum jetzt dieses oder jenes passiert. (...) Das ist eine wichtige Frage, welche alternativen Parameter gibt es? Ich glaube, dass eine, was wichtig ist, dass wir die Inzidenz als Generalmaßstab nicht mehr lange benutzen können. Sie war ja schon immer so ein Vehikel, ein schwaches Vehikel. Aber wenn man auf Landkreisebene runtergeht, gibt es eben unterschiedliche Gründe, warum die Inzidenz unterschiedlich hoch sein kann. Und es ist zusätzlich der Effekt, der wird jetzt natürlich stärker mit den zunehmenden Impfungen, das hohe Inzidenz nicht immer hohe Sterblichkeit bedeutet. Sodass ich glaube, wir da selektiver vorgehen müssen. Ich will, wenn man sieht, dass in einer Region Personen besonders gefährdet sind. Wenn man einfach weiß okay, in diesem Landkreis ist im Moment zum Beispiel ein hoher Anteil bei älteren Patienten. Oder wir haben


hier mehrere Altersheime, die wir noch nicht durchgeimpft haben. Und da sind Personen in Gefahr. Dann kann man aufgrund dieser Gesamtbetrachtung vielleicht auch wenn man weiß, welche Gruppen sind es eigentlich, die hier bei mir regional die Krankheit hauptsächlich übertragen. Dann kann man da eher selektive Maßnahmen ergreifen. Und natürlich ist da die Inzidenz ein guter Hinweis, ja, das ist ohne Frage so. Besser als der R-Wert, der früher dafür verwendet wurde. (...) Weil man ja sieht, wie lange es gedauert hat, bis diese Notbremse eingerichtet ist. Ja, das ist eine Bremse, die spät kommt und die auch so ein paar Lücken hat und ich glaube nicht so richtig funktionieren wird. Und wenn man jetzt die Zeitachse ansieht, dann kann es sein, dass, wenn die Bremse dann irgendwann mal funktioniert, dass wir eigentlich schon in einer Phase sind, wo wir differenziertere Instrumente bräuchten. Und meine Befürchtung ist ein bisschen, wenn es dann so ein Bundesgesetz gibt, dann ist das irgendwie so ein: „Jetzt ist aber Schluss mit der Diskussion-Gesetz. Dass man sagt okay, jetzt haben wir das und fertig und in der Phase, wo man das dann differenzierter anpassen müsste, wird es wahrscheinlich länger dauern, bis man diese nächsten Anpassungsschritte macht. Und die Frage ist dann, was macht die Bevölkerung? Weil die diese Dinge natürlich sieht und versteht. Und da sehe ich Konfliktpotenzial. Aber kann auch sein, dass ich da zu pessimistisch bin.



Camillo Schumann



Herr Karagiannidis, weil wir ja schon von ihm gesprochen haben, der schlägt zum Beispiel so eine Art Corona-Score vor, bei dem mehrere Indikatoren zusammengerechnet werden. Das ist positiv, weil es mehrere Indikatoren sind aber möglicherweise auch negativ, weil man es nicht so richtig greifen kann. Die Positivrate könnte man ja vielleicht mit hinzuziehen. Oder wie sieht es eigentlich aus vielleicht eine Grenzwert-App für Neuaufnahmen pro 100.000 Einwohner auf Intensivstationen? Oder was wären so Ihre Ideen, wenn man weg


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von der Inzidenz kommt? Auf welche Parameter sollte man dann den Schwerpunkt legen?



Alexander Kekulé


Sicherlich die Intensivbelegung ist ein wichtiger Faktor. Aber ich bin grundsätzlich dagegen, so was mit einem Algorithmus zu machen. Da haben wir einfach keine Datenbasen, die sauber genug sind. Vielleicht wird es so sein, dass wir in der nächsten Pandemie so weit sind, dass wir dann ex post irgendwelche Algorithmen erkennen, die sinnvoll gewesen wären. Aber es ist doch so, dass jede Welle ihre eigenen Charakteristika hat. Und es könnte sogar sein, dass mit den neuen Varianten, die auftreten, neue Charakteristika eintreten. Insofern, dass dann ein Teil der Geimpften und ein Teil der Genesenen vielleicht noch einmal infiziert wird. Da gibt es verschiedene Dinge, die sich ständig ändern. Das ist ein dynamisches Geschehen, und deshalb muss ich ganz ehrlich sagen, so ein Score... der Kollege sieht es halt sehr stark aus der intensivmedizinischen Sicht. Das kann ich schon verstehen, wenn man 12  Stunden am Tag auf der ITS steht, dass man dann sagt ja, das ist ein wichtiger Faktor. Aber ich glaube, da sind wir, wenn wir die Gesamtlage ansehen und das epidemiologisch uns ansehen und die politischen Komponenten uns ansehen, die eine Rolle spielen. Plus die ja nicht wirklich vorhersagbare Einwirkung der wärmeren Jahreszeit. Das alles, da gibt es keinen Algorithmus. Ich glaube, der beste Computer und der beste Fachmann der Welt könnte jetzt nicht einen Algorithmus aufschreiben, der da zuverlässig ist und länger als 2 Wochen lang brauchbar ist.



Camillo Schumann



Weil sie ja selber sagen, der Inzidenzwert, an den können wir uns jetzt nicht mehr ewig klammern, dem muss ja was entgegengestellt werden...



Alexander Kekulé


Naja, die Inzidenz ist halt schon ein Hinweis, wie das Infektionsgeschehen im Land ist. Es ist letztlich die Frage, man muss die Inzidenz anschauen und die Sterblichkeit. Und dann natür-


lich die IST-Belegung. Wobei wir da sagen müssen, da hatten wir in Deutschland zu keinem Zeitpunkt ein Problem. Das ist ein Problem, was weltweit in vielen Ländern Auftritt. Aber wir hatten da zu jedem Zeitpunkt Überkapazitäten. Und jetzt wird man sich das alles ansehen und wird eben sagen, gut, in welchen Altersgruppen haben wir ein Problem? Und können wir mit dieser Inzidenz XY noch leben? Was letzte Woche die 50 war, kann dann vielleicht die 80 sein oder die 100 sein als ein Bereich, mit dem man noch ganz gut leben kann. Weil es eine Erkrankung ist, die einfach dann weniger Sterblichkeit macht. Nur mal so zum Vergleich, bei der Influenza haben wir ja jedes Jahr wirklich enorme Inzidenzen. Also die Zahl der Infizierten bei Influenza ist, in manchen Wellen über 10 Millionen Mal schnell innerhalb weniger Wochen. Das heißt also da haben wir irrsinnig viele Fälle. Da würden wir nicht im Traum auf die Idee kommen, aufgrund der Inzidenz, die dann dramatisch hoch ist, Lockdowns zu verhängen oder Ähnliches. Ausgangssperren und was es alles gibt. Sondern wir sagen, das ist sozusagen eines der üblichen Lebensrisiken, die wir in Kauf nehmen. Und es kann schon sein, dass das SARS-CoV-2  oder Covid-19 in diese Richtung sich langsam entwickelt im Laufe der nächsten Monate. Ich geh ja immer vom optimistischen Fall aus. Trotzdem hoffe ich mal, dass es so sein wird. Und dann ist die Inzidenz nur noch so ein Hinweis. Dann kann man sagen, gut wir leisten uns vielleicht 80, weil wir der Meinung sind, das funktioniert auf diesem Niveau. Deshalb wird es nicht so sein, dass wir irgendeinen Parameter haben, der uns mathematisch quasi zum Handeln zwingt.


14:16



Camillo Schumann



Kommen wir zum Impfen? Der Vektorimpfstoff von Johnson und Johnson hat ja von der EMA jetzt grünes Licht erhalten. In den USA gab es ja wegen Hirnvenenthrombosen einen Impfstopp. Daraufhin hatte die Firma den Marktstart in Europa verschoben. Die EMA hat nun geprüft und den Nutzen höher als die Risiken bewertet. Die Lieferungen, auch für Deutsch-


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land, die stehen jetzt in den Startlöchern. Die Ständige Impfkommission, die soll wohl heute möglicherweise über eine Altersbegrenzung beraten. So richtig klar ist das nicht, ob da heute überhaupt was veröffentlicht wird. Für den Vektorimpfstoff von AstraZeneca gibt es ja eine klare Altersempfehlung über 60. Sollte es für den Impfstoff von Johnson und Johnson auch eine geben?



Alexander Kekulé


Die Ständige Impfkommission ist da der richtige Platz, um eine Empfehlung wirklich auszugeben. Die machen sich auch gute Gedanken. Ich kann nur appellieren also, ich habe in dieser Pandemie zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, dass die STIKO irgendwie nicht konsequent empfohlen hat und geprüft hat. Das kann man ja zum Beispiel von der EMA nicht immer sagen. Und auch das Robert KochInstitut hat ja durchaus auch eingestandene Fehler gemacht. Deshalb würde ich sagen, man muss abwarten, was die STIKO sagt. Aber es ist ja so, dass wir jetzt eigentlich ziemlich klare Parallelen sehen zwischen den Nebenwirkungen bei AstraZeneca und Johnson und Johnson. Die Mechanismen sind wohl ähnlich, und deshalb glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, hier noch mal zu differenzieren. Wir haben ja auch ein Kommunikationsthema. Das ist ja etwas, was man jetzt nicht irgendwelchen Fachwissenschaftlern erklären möchte, sondern die Bevölkerung muss es verstehen. Das ist das Wichtigste von allem. Das kann man nicht oft genug sagen, dass das Vertrauen in die Impfstoffe grundsätzlich da ist. Weil sonst gibt es dann auch so ein Kollateralschaden für die RNA-Impfstoffe. Und deshalb meine ich, mit der Trennschärfe, die man jetzt hat, dass man also letztlich mit wenigen Daten eigentlich arbeiten muss und daraus eine Empfehlung machen muss, weil man nicht weiß, ist es die Spitze eines Eisbergs. Weil man noch nicht die Untersuchungen hat, wie häufig diese seltenen Antikörper, die ja diese Gerinnungsstörungen machen, tatsächlich auftreten. Deshalb, glaube ich, wäre es sinnvoll, einfach das alles zunächst mal mit einem Maßstab zu messen und zu sagen. Für Johnson und Johnson gilt das Glei-


che wie für AstraZeneca, das heißt Beschränkungen für jüngere Patienten.


16:30



Camillo Schumann



Und dieses Hin und Her, weil sie Astra angesprochen haben. Beim Impfstoff von AstraZeneca geht jetzt in eine neue Runde. Erst wurde er für Jüngere empfohlen, dann vorübergehend gar nicht mehr gespritzt, dann in der Regel nur noch für Menschen ab 60. Jetzt kann sich ab sofort jeder mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen. Voraussetzung man wohnt in Bayern, MecklenburgVorpommern oder Sachsen. Vielleicht ziehen auch andere Bundesländer nach. Die STIKO empfiehlt aber über 60 Jahre. Den Ländern ist das egal, jetzt ist die Verwirrung perfekt.



Alexander Kekulé


Ja, das eine ist die Zulassung und das andere sind die Empfehlungen der STIKO. Und die Zulassung ist ja eine Notfallzulassung. Da gibt's drei Kriterien, die eine Rolle spielen. Die natürlich auch jetzt für die EMA eine Rolle spielen und für die FDA eine Rolle spielen. Das Erste ist für die Notfallzulassung, es muss eine gefährliche Krankheit bekämpft werden. Also eine wichtige, gefährliche Krankheit. Zweitens es darf keine Alternative geben, die man einfach machen müsste. Es ist also sozusagen die einzige oder eine der wenigen Therapien. Und dann eben der dritte und wichtigste Punkt. Der Nutzen überwiegt die Risiken. Das ist eine Besonderheit eben bei den Notfallzulassungen, dass das als Punkt drei schon ausreicht. Und da ist es so, dass für die Zulassung gesagt wird, wir lassen es dann zu, wenn es quasi in der Gesamtbilanz Nutzen hat. Und das ist ja ganz klar, wenn sie Nebenwirkungen haben, die nur eins zu 2 0.000 bis 1 Million ist. Man weiß nicht genau, wo dazwischen. Dann ist natürlich der Nutzen, zunächst mal zumindest bei älteren Menschen überwiegend. Und deshalb hat die EMA eben die Notfallzulassung nicht zurückgenommen. Und bei einem zugelassenen Medikament empfiehlt die STIKO, also bei einem Impfstoff empfiehlt die STIKO irgendetwas. Da müssen sie sich aber nicht dranhalten. Ja, es


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gibt ja Eltern, die geben ihren Kindern Impfungen, die gar nicht empfohlen werden. Oder sie lassen Impfungen weg, die empfohlen werden. Und hier ist es so, dass jetzt einfach die Länder darauf hinweisen, das kann man so machen. Es ist eine zugelassene Substanz. Wer will, kann sich die trotzdem holen. Das ist eigentlich gar nicht so ein formaler Akt, sondern mehr so ein politisches Bekenntnis aus meiner Sicht. Und ich finde, das kann man schon sagen, weil die Menschen sind ja auch ganz unterschiedlich. Es gibt jüngere Leute, die sagen eins zu 100.000 oder was, ist mir doch wurscht mache ich jetzt. Oder es gibt Leute, die einfach jetzt verreisen wollen und unbedingt so ein Impfpass haben wollen. Vielleicht weil sie nach Israel wollen oder demnächst ja auch in die USA und sonstwo auf der Welt. China. Daher gibt es individuelle Gründe, warum man sich mit dem AstraZeneca-Impfstoff, wenn er gerade zur Verfügung steht, impfen lassen will. Und ich finde, wenn ein Mensch nach Aufklärung verstanden hat, worum es geht, der sich informiert hat, wenn der sagt, dieses Restrisiko, das nehme ich hier, dann ist es völlig in Ordnung. Aus meiner Sicht, also warum soll man das verbieten?



Camillo Schumann



Aber widerspricht das dann nicht ihrer vorhergehenden Aussage, wo Sie sagen, es macht schon Sinn, eine einheitliche Linie zu fahren und die Empfehlung dann auch erst mal über 60 zu machen. Auch bei Johnson und Johnson, genau wie bei einem AstraZeneca. Und jetzt kommen Politiker um die Ecke und sagen, ach komm, ist uns egal. Die Empfehlung der STIKO, jetzt kann kommen, wer möchte.



Alexander Kekulé


Das kommt drauf an, wie man das interpretiert, was die Politiker sagen. Also, ich glaube nicht, dass die Ministerpräsidenten so weit gehen. Ich muss zugeben, ich habe die Presseerklärung nicht so genau gelesen. Aber dass sie so weit gehen und sagen, die Empfehlungen der STIKO gelten in Bayern nicht oder in Sachsen nicht. Es gilt, was ich jetzt sage, sondern die Empfehlungen bleiben, ja, und es ist nur sozusagen der Hinweis, dass man sich an die


Empfehlung nicht unbedingt sklavisch halten muss. Wir sind ja grundsätzlich bei Impfstoffen immer glücklich, wenn Menschen sich an die Impfempfehlung halten, in dem Sinn, dass sie es machen, wenn's empfohlen ist. Aber dass man sich auch mal gegen etwas impfen lassen darf, was nicht empfohlen wird, das ist ja jetzt mal rein juristisch gesehen, völlig in Ordnung. Grundsätzlich muss man das im Einzelfall entscheiden, nicht? Wenn sie jetzt einen 50jährigen haben, der männlich ist und der ein hohes Expositionsrisiko hat, zum Beispiel, weil er am Arbeitsplatz exponiert ist, im Krankenhaus aber noch nicht geimpft ist. Und jetzt ist der einzige Impfstoff, der gerade da ist AstraZeneca. Vor allem das liegt ja auch im Regal. Wissen Sie, das Zeug jetzt wegzuschmeißen wäre ja nun wirklich traurig. Und die Frage aus politischer Sicht ist ja irgendwo, sollen wir es jetzt verschenken an die Entwicklungsländer, so wie Kanada das macht und andere. Sollen wir warten, bis es verfallen ist. Oder geben wir es halt irgendwie frei. Und ich glaube, das war so der Vater oder die Mutter dieses Gedankens.



Camillo Schumann



Ich habe gelesen, in NRW soll jetzt mit dem Impfstoff von Johnson und Johnson den Obdachlosen ein Impfangebot gemacht werden.



Alexander Kekulé


Das habe ich auch gelesen. Das hat so ein Geschmäckle. Das ist ja so, die Impfstoffe werden verschenkt an die Entwicklungsländer. Jetzt kriegen die Obdachlosen die Impfstoffe. In den USA ist es eine Riesendiskussion, also da ist es ja genauso im Prinzip angedacht. Das liegt einfach daran, dass man den nur einmal gibt. Und bei den Menschen, wo es schwierig ist, die nochmal einzubestellen, ist es eben so, dass es besser ist, den Johnson und Johnson-Impfstoff zu haben. Der ist eben sozusagen getestet für einmalige Gabe. Und das ist der einzige Grund. Es ist nicht so, dass man sagt die Obdachlosen kriegen jetzt den Impfstoff zweiter Klasse.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz, gerade wenn jetzt die


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Bundesländer eine eigene Interpretation oder eine eigene Empfehlungen geben, dass man eben nicht so richtig auf die Empfehlung achten soll, könnte ich mir vorstellen. Ist es dann in der Arztpraxis beim Hausarzt schon so ein bisschen schwierig. In der einen Woche soll man sich an die Empfehlung halten, da argumentiert man so und die andere Woche drauf argumentiert man dann wieder gegenteilig. Also ich finde, in der Kommunikation ist dann der, der sich impfen lassen möchte, doch ein wenig verwirrt in dieser Gesamtsituation.



Alexander Kekulé


Ja, das kann man unterscheiden. Also es ist vor allem das Problem wie so oft bei uns eben runterdekliniert, runter gegeben in die unterste Instanz. Da sitzt dann wirklich irgendwo in einem Land der arme Allgemeinarzt, der am Tag 80 oder 100 Patienten hat. Der sitzt dann in seiner Praxis und muss dann irgendeinem Mütterchen, erklären, warum sie jetzt dieses oder jenes nehmen soll und hat sich selber auch nur irgendwie versucht fortzubilden in dem Zusammenhang. Während sich die Experten bei EMA und STIKO eigentlich noch nicht so richtig einig sind. Das ist eben ein Problem, das man im Grunde genommen dann juristisch sich saubergemacht hat. Nach dem Motto: „Ja, es ist ja zugelassen, wir haben es ja ordentlich in dieser und jener Weise empfohlen“. Aber der Schwarze Peter ist in gewisser Weise dann irgendwo in den Arztpraxen. Und die haben ja bekanntlich dann wenig Zeit und kriegen auch wenig Geld pro Impfung. Aber so was hatten wir schon öfter. Also da hätte ich auch andere Beispiele, wo das so ähnlich gewesen ist, dass man letztlich sich aus dem Schneider begeben hat, indem man das Problem anderen aufgestülpt hat.


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Camillo Schumann



Gut. Bleiben wir beim Thema Impfen. Die Impfquote in Deutschland. Fast 2 2  Prozent haben eine erste Impfung erhalten. Fast 7 Prozent sind vollständig geimpft. Neben testen ist ja die Impfung unser Weg aus der Pandemie. Alle träumen vom entspannten Sommer. Je


höher die Impfquote, desto normaler das Leben. So zumindest die Hoffnung. Und in Chile hatte man dieselbe Hoffnung. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind zumindest einmal geimpft. Mehr als 2 8 Prozent haben den vollen Impfschutz mit 2 Impfungen. Das war's dann an positiven Nachrichten. Seit Anfang März ist die Zahl neuer Covid-Patienten deutlich angestiegen, und nun wird die Wirksamkeit der verwendeten Impfstoffe hinterfragt. Bei neun von zehn Impfungen kam CoronaVac, ein chinesischer Impfstoff, zum Einsatz. Ein Totimpfstoff, der nicht so wirkungsvoll sein soll, könnte das neben anderen Parametern ein Indiz für die steigenden Zahlen in Chile sein?



Alexander Kekulé


Ja, das ist gut möglich. Wir haben widersprüchliche Daten bezüglich der Wirksamkeit dieses Sinovac-Impfstoffs, dass ist die Firma, Sinovac und CoronaVac der Impfstoff. Da sind die Daten einfach sehr widersprüchlich. Von Anfang an gewesen. Da gab's Studien aus Südamerika, andere aus den Vereinigten Emiraten, die sich widersprochen haben. Die Chinesen haben selber gar keine klaren Daten rausgerückt. Dann hat der Chef der chinesischen CDC, George Gao gesagt, er gibt zu, die Impfstoffe sind nicht so gut. Vielleicht sollte man eine dritte Impfung machen. Dann hat die chinesische Staatsregierung erklärt, er hab das wieder zurückgenommen. (...) Also, das ist so ein bisschen nebulös. Und das ist gut möglich, dass das mit diesem Impfstoff zusammenhängt. Zumal ja in Südamerika ganz klar diese P1Mutante und noch ein paar andere Varianten zirkulieren. Das ist eine Erklärungsmöglichkeit, warum es dort nicht so gut funktioniert ich meine die knapp 2 0 Millionen Einwohner da. Und das, wie sie sagen, 40 Prozent einmal geimpft, dass ist ja doppelt so viel wie bei uns, mal so grob gesagt. Doppelt zweimal geimpft ist es noch ein Vielfaches von der Situation in Deutschland. Und trotzdem bricht das im Gesundheitssystem auf brutalste Weise zusammen. Es gibt auf der anderen Seite jetzt gerade eine Studie, die ist eben, wie das Schicksal manchmal so spielt, rausgekommen, wo in


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Chile untersucht wurde, wie gut wirkt denn dieser Impfstoff von Sinovac? Und da ist es so, da hat man etwas über 10 Millionen Probanden gehabt, also schon ziemlich viele bei 19 Millionen Einwohnern. Und es ist so, dass 2 ,5 Millionen, von denen einmal geimpft, 1,5, Millionen zweimal. Und da hat man eben gesehen, dass bezüglich der symptomatischen Infektion, dass man Symptome kriegt, die Schutzwirkung bei 67 Prozent liegt. Also ganz gut. Also das ist schon so der Bereich wie AstraZeneca, vielleicht sogar einen Tick besser. Und bezüglich der Vermeidung von Todesfällen bei 80 Prozent. Und das heißt also, dass ist wieder mal widersprüchlich. Wir wissen wirklich nicht genau, woran das da in Chile liegt. Die haben die massive Lockdown-Fatigue, ist inzwischen der Fachausdruck dafür. Also eine Müdigkeit beziffert. Bezüglich Gegenmaßnahmen. Also ich gebe zu, ich habe die auch. Wir sind irgendwie alle schon so ein bisschen Corona-Gegenmaßnahmen, also LockdownFatigue. Und dann haben die Gyms wieder aufgemacht, die Fitnesscenter aufgemacht. Die haben diese riesen Shoppingmalls in Santiago wieder aufgemacht. Die haben die Theater aufgemacht in der Hauptstadt. Das sind ja, ich glaube, 6 Millionen Einwohner oder so was. Und dann haben sie auch noch Werbung für Billigreisen nach Brasilien und auf irgendwelche Inseln gemacht. Da war ja gerade der Sommer, und in den Sommermonaten haben sie eben gesagt jetzt dürfen die Chilenen wieder raus. Also irgendwie wiederholt sich die Geschichte, die wir schon in Brasilien gesehen haben, die wir in Portugal gesehen haben, die wir jetzt gerade aktuell parallel Indien beobachten. Wenn die Menschen sich in falscher Sicherheit wiegen, weil sie denken, jetzt sind wir alle geimpft, jetzt alles ist gut, dann passiert so was. Und in Chile ist so eine der Hypothesen, die im Raum stehen, dass das hauptsächlich damit zusammenhängt, dass Menschen, die einmal geimpft wurden, dachten sie sind geschützt. Die aktuellen Zahlen 40 Prozent einmal geimpft, 2 7 Prozent zweimal oder etwas mehr inzwischen. Das sind die jetzigen Zahlen. Aber die Zeit, wo sich die alle infiziert


haben, die jetzt die Krankenhäuser füllen, das ist eben ein paar Wochen her. Und zu dem Zeitpunkt hatten viele nur eine Impfung und dachten, jetzt ist der Spuk vorbei. Und in einem Land, (...) das ganze Land hat weniger als 2 00 Intensivbetten, obwohl das Gesundheitssystem in Chile ganz gut ist, (...) die sind dann schnell voll. Und diese Situation haben wir jetzt.


2 8:19



Camillo Schumann



Eine Frau S. hatte in diesem Zusammenhang eine Frage. Könnten Sie mal erklären, was es mit der sogenannten Antigen Erbsünde auf sich hat? Kann es tatsächlich sein, dass bereits geimpfte nicht mehr auf weiterentwickelte Impfstoffe ansprechen werden? Viele Grüße, Frau Schüßler. Passt da eigentlich ganz gut.



Alexander Kekulé


Ja, passt gut, wenn man pessimistisch ist. Also die Antigen Erbsünde original antigenic sin, heißt es von dem der, das ursprünglich mal erfunden hat. Das ist etwas, was ein bisschen umstritten ist, ob es das wirklich genauso gibt. Aber es ist ein Phänomen, was relevant ist. Das war Thomas Francis, jemand in den 60erJahren, ein amerikanischer Mikrobiologe. Und zwar ist die Idee folgende: Wenn man mit einem Virus Kontakt hatte, dann wird sich das Immunsystem auf dieses Virus stürzen. Und ich glaube, wir haben schon mal so ein bisschen drüber gesprochen, dass für die Antikörper, die sich da bilden, das Gleiche gilt auch für diese zytotoxischen T-Zellen. Die optimieren sich also. Da werden die besten Antikörper, die Besten der Besten, aufgehoben für den Fall, dass das Virus noch einmal wiederkommt. Diese Optimierung ist ein brutaler Darwinismus in den Lymphknoten. Da streiten sich die Antikörper auf Leben und Tod oder die Zellen, die die Antikörper produzieren. Und die Zellen, die die schlappe Antikörper machen, nicht so gute Antikörper machen, die sterben. Und nur die besten überleben, dann als Gedächtniszellen. Und wenn jetzt der gleiche Erreger wiederkommt, aber sich so verändert hat, dass dieser


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ursprünglich optimierte Antikörper nicht mehr funktioniert, dann gibt es eben ein Phänomen, dass dieser ursprüngliche Antikörper in großer Menge produziert wird und stattdessen nichts Neues. Weil sich in diesem Kampf der Lymphozyten, diese Antikörper herstellen. Jeder Lymphozyt kann nur eine Sorte fabrizieren. Da setzen sich eben die, die damals schon die besten hatten, wieder durch und sagen bleibt mal sitzen. Ich habe hier schon was. Und das hat dann zur Folge, dass der Organismus gegen das veränderte Virus keine Antikörper produziert. Das nennen wir ursprünglich original antigenic sin. Also die Antigen Erbsünde war es quasi, wie bei der Erbsünde so etwas ist, was einfach schon drinsteckt in denjenigen Menschen und das kann es bei Infektionen geben. Klassiker war die Influenza. Also der Francis hat es damals, das ist ein Influenza-Experte gewesen, der hat das bei Influenza beobachtet. Wenn jetzt ein neues Influenzavirus kommt, was sich deutlich verändert hat von den vorherigen Typen, das dann interessanterweise die Menschen, die die alte Infektion schon durchgemacht haben, also dann Ältere, dass die schlechter Antikörper bilden gegen das neue Virus, als solche, die noch gar nichts zu tun hatten mit den Influenzaviren. Und das gleiche kennen wir ganz dramatisch, das haben wir glaube ich, schon mal im Podcast besprochener, bei den Dengue-Viren. Aber da gibt es vier verschiedene Typen, und man weiß wirklich also in Südamerika zum Beispiel, da gab es früher immer nur einen Typ, und plötzlich wurden dann neue Typen aus Asien importiert. Und Kinder, die dann eine zweite Infektion mit dem asiatischen Typ bekommen hatten, nachdem sie ursprünglich den brasilianischen Typ, oder südamerikanischen Typ hatten, die lagen dann plötzlich auf der Intensivstation im Krankenhaus. Waren schwerstkrank, obwohl es sonst keine so schlimme Krankheit bei Kindern war. Und zwar deshalb, weil eben das Immunsystem völlig verrückt gespielt hat, nicht nur nicht in der Lage war, auf die neuen Viren optimal zu reagieren, sondern sogar noch eine Verstärkung. Also immune enhancement nennen wir das sonst. So eine Immunverstärkung


(...). Und dieses Phänomen kennen wir eben auch von Impfungen. Es gibt viele Beispiele. Das zurzeit am meisten diskutierte Beispiel ist Gardasil. Ein Impfstoff, den vielleicht der eine oder andere kennt. Macht man bei jungen Mädchen hauptsächlich, um später Gebärmutterhalskrebs zu verhindern. Und da gab es immer so einen Vierfachimpfstoff und dann hat der Hersteller ganz stolz gesagt, jetzt haben wir was noch Besseres, einen neunfachImpfstoff. Der also gegen neun verschiedene Subtypen dieses Papillom-Virus, was den Krebs auslöst, schützt. Und da hat man gemerkt, diejenigen, die vorher schon das Gardasil vierfach bekommen haben, die reagieren ganz schlecht auf des Gardasil neunfach. Und das ist eben auch so ein Effekt von original antigenic sin. Also von Antigen-Erbsünde. Und klar, da ist die Frage, ob so was eine Rolle spielen könnte. Jetzt bei dem P1. Ja, es ist schon möglich, dass Menschen, die mit P1 infiziert wurden, die vorher schon mal einen anderen Typ von dem Coronavirus hatten, also von einem SARS-CoV2  einen anderen Typ hatten. Dass die dann nicht mehr so gut reagieren, vom Immunsystem oder vielleicht sogar paradox reagieren in dem Sinn, dass es eine verstärkte oder stärkere Erkrankung gibt. Analog zum Dengue-Fieber. Aber das ist wirklich Spekulation. Also, da haben wir keine Hinweise darauf.



Camillo Schumann



Keine Hinweise, das wäre jetzt die Frage gewesen. (...) Zum einen die Frage, haben wir möglicherweise zu früh und zu viel geimpft? Und könnte uns das dann nicht möglicherweise auf die Füße fallen?



Alexander Kekulé


Ja, also ganz ehrlich gesagt, ich habe diese Frage tatsächlich in den vielen Konferenzen im Sommer mit meinen Kollegen, die sich mit der Impfstoffentwicklung befasst haben, wirklich oft diskutiert. Und ich habe dieses Problem als meine Sorge oft formuliert und war sehr, sehr glücklich, dass die Daten aus den klinischen Studien es dann wirklich gezeigt haben. Also meine Sorge war ehrlich gesagt, hauptsächlich bei den RNA-Impfstoffen, weil man da noch


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gar nicht wusste, wie es sich dann eigentlich entwickelt, der ganz neue Impfstoff eben. Und da hat sich einfach an den klinischen Studien gezeigt, es kommt einfach nicht zu diesem immune enhancement und da müssen ja dann zumindest im späteren Verlauf der Impfstudien müssen ja auch Menschen dabei gewesen sein, die schon mal Covid hatten. Weil man hat ja nicht nur Leute geimpft, von denen man vorher Blut abgenommen und festgestellt hat, die hatten noch nie Covid, sondern man hat einfach geimpft in einer Region und da hätte man meines Erachtens diesen Effekt dann irgendwann mal bemerken müssen, spätestens jetzt, wo ja auch in den USA ganz massiv geimpft wird. Und da gibt es natürlich Leute, die geimpft werden, die schon Covid hatten, vorher und dass man da zu keinem Zeitpunkt immune enhancement-Effekt sieht. Oder auch gar keinen Unterschied sieht, dass solche Menschen, die schon mal Covid hatten, plötzlich Impfversager sind. Also dass das nennen wir dann immune escape. Also der Übergang zwischen immune escape und immune enhancement ist fließend. Und da wir das nicht sehen, würde ich mal sagen, (...) wir sind wohl von diesem Phänomen verschont worden. Aber klar, ich weiß, das wird auch bei den Gegnern immer so ein bisschen mit reingeworfen, zumindest denen, die sehr belesen sind. Dieses Argument es kann natürlich keiner rein theoretisch ausschließen, dass irgendwann mal ein neuer Subtyp kommt. Also eine neue Variante von dem SARS-CoV-2 . Wir haben ja jetzt schon ein paar Varianten auf dem Radar, der so einen großen Abstand hat oder der so unähnlich ist im Grunde genommen den vorherigen gegenüber, dass es diesen original antigenic-Effekt gibt. Weil wichtig für diesen Effekt ist, dass es einen relativ großen Unterschied geben muss zwischen dem ursprünglichen Virus und dem neuen, weil das Immunsystem ist halt einfach ein Gewohnheitstier. Kann man sagen, dass hat halt dann schon mal diese Antikörper da oder diese TZellen da. Und wenn es dann denkt, das ist das gleiche Virus, nämlich das, was ich schon habe, dann kann es eben da einen gravierenden Fehler machen. Und dadurch quasi kann es ver-


säumen die, die die neuen Antikörper zu produzieren. Und wir wissen nicht, ob so was vielleicht eines Tages auftritt. Aber die bisherigen Subtypen, die aufgetreten sind, haben in dieser Richtung keine Hinweise gezeigt. Und da sag ich jetzt, mein Gott. Also wenn mir als Virologen dann in fünf Jahren einer sagt, ihr habt alles falsch gemacht, weil ihr die Menschen geimpft habt. Und jetzt ist ein ganz neuer Subtyp von SARS-CoV-2  da, gegen den wir überhaupt keine Möglichkeit mehr haben zu impfen, weil wir damals mit suboptimalen Impfstoffen angefangen haben. Das wäre natürlich eine Menschheitskatastrophe, aber sie ahnen es schon. So was halte ich für so unwahrscheinlich, dass ich meine, es ist trotzdem das Richtige, aus der jetzigen Perspektive zu impfen, was das Zeug hält. Weil es einfach keine Alternative gibt.



Camillo Schumann



Welcher Impfstoff wäre denn aus unserem derzeit vorhandenen Impfstoff-Portfolio am ehesten anfällig dafür?



Alexander Kekulé


Das kann man überhaupt nicht sagen, weil es nicht auf den Impfstoff ankommt, sondern es kommt darauf an, wie das Virus sich weiterentwickelt. Also die jetzigen Mutanten. Ja, da haben wir ja schon Untersuchungen. Da sehen wir ja gut, dass der AstraZeneca überwindet und bei vielen Mutanten nicht mehr so gut natürlich. Der chinesische wird genauso sein. Also, das könnte, wenn man jetzt nach Chile schaut, schon daran liegen, dass der chinesische hier immer so einen Effekt haben könnte. Das ist ein Totimpfstoff. Und da ist das Problem, dass der eben besonders schwach immunogen ist. Also der schützt besonders schwach. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass dieses Spike-Protein 2 verschiedene Konfirmationen hat, wie wir sagen. Also 2 verschiedenen Erscheinungsformen und in dem Impfstoff ist hauptsächlich diejenige mit drinnen, die weniger stark immunisiert. Und da könnte man dann sagen ja, solche Impfstoffe sind natürlich dann unter Umständen prädestiniert dafür, so ein Effekt später zu machen.


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Aber wir können ja gerade durch die modernen RNA-Impfstoffe das ja relativ fein einstellen. Wir müssen bei den RNA-Impfstoffen dann nur ein paar kleine Veränderungen machen, was da relativ schnell geht. Das kann man letztlich am Computer machen. Und dann haben die auch die Wirksamkeit gegen diese neuen Varianten. Und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn es dann so eine Art Ausschluss Effekt gibt. Das also quasi, dass das Immunsystem plötzlich nicht mehr anspringt. Nach dem Motto kenne ich schon. Also, das ist so ähnlich der Effekt der mit dieser antigenic sin, in einer Vorlesung erkläre ich, dass da manchmal so also, wenn Sie, wenn Sie ein Kind haben, was schon Würgeschlangen, so kleine Boas kennt, aus dem Garten, weil es in so einer Gegend lebt. Dann weiß das, dass so eine Boa, wenn man, so eine kleinere zumindest, wenn sie die einfangen wollen. Die nehmen sie genau in der Mitte ganz vorsichtig und nehmen die langsam hoch. Dann schlängelt sie sich um den Arm. Und dann können sie an das Ende des Gartens gehen und können die wieder wegschmeißen. Die tut ihnen dann Nichts. Wenn dieses Kind jetzt plötzlich woanders ist und eine Giftschlange im Garten findet und die in der Mitte hochhebt, ja danke. Das ist dann schlecht. Und das würde dann wahrscheinlich in der Statistik zur Folge haben, dass Kinder, die noch nie Schlangen gesehen haben, vorsichtiger sind als solche, die die Boas kennen. Und das ist so ein ähnlicher Effekt. Also das Immunsystem macht Fehler, weil es meint, dieses Virus schon zu kennen. Und weil es irgendwie intrinsisch faul ist. Und ich glaube aber wie gesagt, dass dieser Effekt (...) nicht eintritt. Und bei den bisherigen Mutanten haben wir keinen Hinweis darauf. Und wenn, dann irgendeiner in fünf Jahren, sagt, diese Virologen damals, die haben alles falsch gemacht. Da würde ich sagen, was sollen wir in der jetzigen Lage sonst machen? Wir müssen die Risikogruppen schützen, sonst sind wir bis zum Sankt Nimmerleinstag im Lockdown. Und es ist einfach so, dass der Schutz selbst in Ländern wie Deutschland der Schutz der alten, insbesondere in den Altenheimen und so weiter. Da haben wir ja völlig versagt.


Das haben wir nicht hingekriegt. Und deshalb ist unsere letzte Option der Impfstoff. Da sind wir, um ein bekanntes Wort zu nutzen, alternativlos.


39:49



Camillo Schumann



Kommen wir zu einer Studie in diesem thematischen Zusammenhang. Eine durchgemachte Infektion ist kein Schutz vor erneuten Infektion. Da gibt es ja sehr, sehr viele Studien dazu. Eine ganz neue wollen wir jetzt mal besprechen. Obwohl, wenn wir ehrlich sind, ganz so neu ist diese Studie dann doch nicht. Eifrige Podcast Hörerinnen und Hörer werden diese Studie kennen. In Ausgabe 12 5 haben wir das erste Mal darüber berichtet, über diese sehr gute, kontrollierte Studie mit Tausenden jungen Rekruten beim amerikanischen Militär. Und das Fazit damals war ja schon sehr überraschend. Wollen sie es noch mal kurz zusammenfassen?



Alexander Kekulé


Ja, also das war eine Zwischenauswertung. Oder ich sage noch mal, wie die Studie funktioniert. Das ist ganz interessant. Die haben ihre Rekruten, also die Navy. Die Marine sind ja bekanntlich harte Typen. Das wissen nicht nur wir nicht nur von Hollywood-Filmen. Und die haben so eine Truppe von Rekruten, also einige Tausend waren das, die haben die bevor die angetreten sind, zu ihrem Dienst. Haben Sie die erstmals 2 Wochen zuhause in Quarantäne geschickt, also Heimquarantäne, dann mussten die 2 Wochen lang in eine kontrollierte Quarantäne, einige in die Kaserne und einige im Hotel, und danach kamen die dann erst in das Rekrutenlager. Und dann wurden sie noch dreimal mit der PCR getestet, ob sie negativ sind. Und während dieser kontrollierten Quarantäne also diesen 14 Tagen, wo sie wirklich eingesperrt wurden, hat man untersucht, wie die sich untereinander anstecken. Und damals war das wichtige Ergebnis, dass es eben auch Infektionen untereinander gab, die man noch bis zu 14 Tage gesehen hat. Also die letzten haben sich nach 14 Tagen untereinander angesteckt. Das hatte wichtige Auswirkun-


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gen für die Frage, wie lange man zum Beispiel in der Schule warten muss, bevor man Kinder wieder zurück in den Unterricht schickt. Sie wissen, es gibt diesen Vorschlag, ich weiß gar nicht, ob der noch aktuell ist, aber zumindest ist er nicht zurückgenommen worden. Dass man so eine so eine Art Cluster-Quarantäne macht. Also in der Schule, wenn eine Infektion auftritt in der Klasse gar nicht mehr anfängt zu testen, sondern die ganze Klasse nach Hause schickt, egal, ob sie positiv sind oder ob sie nur Kontakt Personen waren und nach fünf Tagen eben schon nach fünf Tagen wieder zurück in die Schule lässt, sofern sie einen negativen Antigen-Schnelltests haben. Da war ich ja auch unter anderem wegen dieser Studie sehr pessimistisch, dass das eine gute Idee ist. Und wir wissen ja auch, dass mit der Wiedereröffnung der Schulen bei uns in Deutschland diese berüchtigte Welle wieder losgegangen ist. Und diese gleiche Studie, die ist eben weitergegangen. Also, (...) was haben sie gemacht, nachdem sie die in der zweiten Quarantäne hatten? Die Rekruten haben sie in die Grundausbildung geschickt, und zwar auf so eine Insel. Eine sogenannte Insel, die Parris Island heißt. Die ist da südlich von Charleston in South Carolina. Es ist, keine eine richtige Insel. Parris Island ist so eine Halbinsel schreibt man übrigens mit 2 R und für die daran Spaß haben direkt nebenan gibt es Hilton Island. Und es ist so, dass dort ein Lager ist, wo die Navy Rekruten ausgebildet werden. Und da passierte dann was ganz Interessantes. Die hatten einige, die schon vorher Zero positiv waren. Also einige, wo sie wussten die haben einfach Covid schon durchgemacht. Das waren insgesamt 189. Die hatten Covid durchgemacht, und die waren im Lager, waren aber wieder gesund. Ja, die haben ja mehrere PCR ́s auch schon gehabt, dass die wieder negativ sind. Und dann hatten sie ziemlich viele, 2 2 47. Die waren negativ. Die hatten also keine Antikörper gegen SARS-CoV-2 . Und die haben sie eben alle zusammen, da in das Lager gesteckt und dann ihre Grundausbildung machen lassen und dann haben sich doch sage und schreibe, muss ich jetzt gerade mal nachlesen. Von den negativen haben sich über tausend,


also 1940, infiziert. 48 Prozent derer, die nicht vorher schon mal Covid hatten. Also ungefähr die Hälfte haben in dieser Ausbildung innerhalb von sechs Wochen, die sie da beobachtet haben, haben Corona gekriegt und von denen, die schon mal Corona durchgemacht hatten, wo man ja eigentlich sagen müsste, wir sind jetzt immun, die können es ja gar nicht mehr kriegen, haben aber trotzdem noch zehn Prozent Corona bekommen. Und das ist eigentlich die schlechte Nachricht. Zehn Prozent derer, die schon mal Corona hatten, haben es nochmal gekriegt. Und jetzt fragt natürlich der geneigte Höher, wann war das? Das wurde so im Juli August letzten Jahres gemacht. Jetzt wissen wir noch nicht, gab es da vielleicht schon neue Typen, neue Varianten, die man in den USA natürlich nicht erkannt hat, zu dem Zeitpunkt? Oder war das wirklich exakt der gleiche Typ von SARS-CoV-2 ? Ich glaube, es war eine neue Variante, die diese zehn Prozent ausgelöst haben. Das würde in unser Weltbild einfach weiterhin zusammenpassen. Dass aber leider der Schutz nicht hundert Prozent ist. Man hat dort ausgerechnet, dass der Schutz vor Neuinfektionen ungefähr 82  Prozent betrifft. Das hieße also letztlich bei diesen Rekruten war eine durchgemachte Infektion 82  Prozent ungefähr so gut wirksam, wie eine Impfung, ein RNA-Impfstoff und in der Größenordnun.


44:56



Camillo Schumann



Sie sagen ja auch immer, wer sich einmal infiziert hat, ist immunologisch breiter aufgestellt als jemand, der nur geimpft wurde und hier in dem Fall wäre das ja ungefähr Gleichstand. Das wäre Gleichstand mit den RNA-Impfstoffen, das muss man ganz klar sagen. Diese Studie ist ein Dämpfer für alle, die sagen, wer die Krankheit durchgemacht hat, kann es nicht noch mal kriegen. Man muss vielleicht noch etwas Positives rausholen. Wichtig ist also, dass wir natürlich junge Leute, die waren so 18, bis 2 0 Jahre alt. Aber wichtig ist, von denen hat irgendwie keiner schwere Erkrankungen bekommen. Das waren ganz leichte Symptome. Und 84 Prozent derer, die schon mal Zero posi-


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tiv waren, die also schon mal SARS-CoV-2  hatten. 84 Prozent von denen waren asymptomatisch und 68 Prozent von denen, also ein bisschen weniger, die überhaupt noch nie Covid durchgemacht haben. Und auch asymptomatisch. Das heißt also fast alle waren asymptomatisch. Und man hat aber keinen Unterschied in der Schwere der Krankheitsverläufe festgestellt. Das ist klar wenn die nur ein bisschen Kopfschmerzen und Halsweh haben, dann ist natürlich da kein großer Unterschied festzustellen. Aber zumindest bei dieser Gruppe war es jetzt so, da konnte man nicht feststellen, ob diese wichtige Hypothese, die auch der Grund ist, warum ich immer sage wer schon mal Covid hatte, ist jetzt grundsätzlich mal mindestens so einzustufen wie jemand, der geimpft wurde. Die Hypothese ist ja nicht, dass diese Menschen überhaupt nicht mehr Corona bekommen können, sondern die Hypothese ist, wenn man es kriegt, ist es leichter. Und man stirbt nicht mehr dran. Das hat sich hier zumindest nicht widerlegt. Bei den jungen Leuten kann man natürlich nicht so viel über schwere Verläufe sagen. Aber leider ist ziemlich klar, die EMA hat nämlich auch festgestellt, ob die noch Virus ausscheiden. Und da ist es so, dass die Viruslast, also die die Stärke der Virusausscheidung auf der Nasenschleimhaut und sonst auf den Atemwegen, dass die zwar deutlich reduziert war. Ich glaube um den Faktor zehn bei denen, die vorher schon mal Covid durchgemacht haben, aber nicht null. Und es gab auch einige, die, obwohl sie schon mal Covid durchgemacht haben, eine volle Viruslast hatten, genauso wie andere dies zum ersten Mal machen. Und das ist eigentlich die wichtigste Aussage dieser Studie wir wissen damit, dass Menschen, die schon mal Corona durchgemacht haben, leider auch wenn sie wahrscheinlich nicht mehr daran sterben und nicht mehr schwer krank werden, zu einem Teil zumindest das Virus weitergeben können. In dieser Studie zumindest bei jüngeren Menschen, ist es so. Und das kann natürlich eine Rolle spielen, wenn man jetzt wieder nach Chile guckt. Da gibt es ja viele, die geimpft sind oder die es durchgemacht haben. Und es ist eben durch-


aus möglich, dass die denken, ich bin hier ungefährlich, gerade nach nur einfacher Impfung, ich darf mich wieder verhalten wie vorher. Ich mache mich jetzt mal locker. Und das kann erklären, warum in solchen Ländern dann eben doch das Virus wieder aufflammt.


47:46



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen, die drei Themen, die wir jetzt besprochen haben. Chile, die AntigenErbsünde und jetzt diese Studie. Wenn man das Ganze jetzt wieder auf Deutschland prognostiziert. Hier wird auch mit anderen Impfstoffen geimpft. Wir haben darüber gesprochen, dass der Inzidenzwert ja möglicherweise jetzt gar nicht mehr so in den nächsten Monaten die zentrale Rolle spielen sollte. Was nehmen wir so als Grunderkenntnis aus den besprochenen Sachen jetzt für Deutschland mit?



Alexander Kekulé


Ich nehme damit, dass wir, diese Epidemie, diese Pandemie gerade mit dem Varianten, die noch kommen, nicht besiegen werden. Die werden wir nicht beenden. Zumindest nicht bis ich in den Ruhestand gehen. Und es ist so, wird so sein, dass immer neue Varianten kommen. Und es wird so sein, dass wir durch Impfstoffe und durch natürliche Immunität in der Lage sein werden, aus dieser schweren Erkrankung tödlichen Erkrankung eine mehr oder minder harmlose. Also ich sag mal erträglicher Erkrankungen zu machen, wo nur selten dann Menschen auf der Intensivstation landen. Meine Prognose ist nach wie vor die, dass es irgendwo bei der Gefährlichkeit von Influenza landen wird. Das wird aber wahrscheinlich ein Dauerphänomen sein, weil wir diese Übertragungen nach Impfung und die Übertragung nach Infektion nicht verhindern können. Dann wird es eben nicht mehr volle Intensivstationen geben. Aber die Krankheit wird dann häufig sein, im Sinne von häufig und nicht mehr so schlimm. Da müssen wir natürlich dann unsere Politik der Krankheit gegenüber ändern, weil wir natürlich auch bei Influenza nicht bei einer hohen Inzidenz sagen jetzt machen wir Lockdown. Sondern diesen Übergang, den müssen


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wir irgendwann managen. Und es kann sein, dass der schon im Laufe dieses Jahr kommt.



Camillo Schumann



Also ein Grundrauschen an Infektionen wird es immer geben. Und ein daran müssen wir uns einfach gewöhnt.



Alexander Kekulé


Ich glaube ja, das wird auf der Liste der vielen virologischen Infektionen, die es gibt, eine weitere sein. Und die wird über die Jahre hinweg immer harmloser werden. Und es ist ja hier, das kann man nur noch mal betonen. Der große Vorteil gegenüber Influenza. Bei Influenza haben wir ständig neue Viren, die aus dem Tierreich überspringen, die Quelle der Influenzaviren ist sind ja Wasservögel in Asien. Und da ist es so. Da kommen eben alle paar Jahre ganz neue Varianten raus, die sozusagen ganz neu in die Menschheit überspringen. Und diesen spill-over-Effekt vom Tier zu Mensch, den haben wir jetzt einmal gesehen in China mit der bekannten globalen katastrophalen Konsequenz. Eine Schlussfolgerung aus dem, was wir heute besprochen haben, ist leider auch, dass wir unbedingt dafür sorgen müssen, dass das nicht noch einmal passiert. Und da ist ja bekannt, dass die WHO und China und die USA im Grunde genommen festgefahren sind. Und die Chinesen machen nicht den Eindruck, da wirklich konsequent dafür zu sorgen, dass ähnliche Übersprünge nicht mehr stattfinden. Schon deshalb, weil sie ja abstreiten, dass es überhaupt in ihrem Land passiert ist. Und das wäre aber extrem wichtig, weil wir natürlich uns nicht leisten können, bei Corona eine Situation zu haben wie bei Influenza. Dass alle paar Jahre oder alle 10; 2 0; 30 Jahre dann ein neuer Subtyp kommt, gegen den wir wieder immunologisch machtlos sind. Und wenn der neue Subtyp eben ganz anders wäre, also wie bei Influenza sozusagen ganz neue Eigenschaften hätte. Wir haben so etwas Ähnliches bei Influenza mal 2 014/15 mit einem Typ gehabt, der sich dann verändert hat. Dann gab es eben tatsächlich solche Effekte wie bei dieser Antigen Erbsünde. Dass man gesehen hat, dass Menschen, die vorher schon Antikörper hat-


ten, plötzlich schlechter reagiert haben auf die Impfung und auch schwerer krank wurden, als sie die Infektion bekommen haben. Also daher die Warnung. Wir müssen verhindern, dass andere Coronaviren, ähnliche Coronaviren nochmal in die Menschheit überspringen, gerade weil wir jetzt im Moment noch mit diesem einen zu tun haben.


51:40



Camillo Schumann



Vielleicht werden ja Impfstoffe für Tiere eine Möglichkeit, dass sich das Virus nicht unter den Tieren mutiert, wieder zurückkommt. Möglicherweise auch noch viel, viel schrecklicher. Russland hat jetzt nach eigenen Angaben einen Impfstoff für Tiere zugelassen. Carnivar-Cov heißt der Impfstoff, der im großen Stil jetzt auch eingesetzt werden kann. Seit vergangenem Oktober sei der Impfstoff unter anderem an Hunden, Katzen und Nerzen getestet worden. Der Leiter des Instituts, das den russischen Impfstoff Sputnik V für die Menschen entwickelt hat, der befürchtet, dass Covid-19 als nächstes Tiere treffen könnte. Ist das jetzt Marketing oder ein realistisches Szenario?



Alexander Kekulé


Wahrscheinlich beides. Es ist mal wieder so, dass wir über diesen Impfstoff gar nichts wissen. Aber man muss erinnern bei Sputnik V gab es dann doch eine ganz gute Publikation. (...) Die machen ja keine schlechte Forschung. In dem Fall ist es übrigens nicht vom GamalejaInstitut, sondern ein staatliches Veterinärinstitut gewesen. Und es ist kein Vektorimpfstoff, sondern das ist so ein Totimpfstoff. Also so oder so ähnlich wie Sinovac, wie der chinesische. Ja, ich finde es ganz wichtig, auch die Impfung von Tieren voranzutreiben. Ich bin auch sicher, dass nicht nur die Russen das machen. Die sind dann vorgeprescht mit dieser Meldung, weil es eben gerade bei diesen Coronaviren immer diesen Ping-Pong-Effekt gibt zwischen Mensch und Tier. Weil wir eben hier das haben wir ja bei den Nerzen gesehen in Dänemark. Da ist dann plötzlich eine ganze Nerzfarm infiziert worden und hat ein neues Virus ausgebrütet. Mit einer Mutation, die


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auch für Menschen relevant sein kann. Und es ist ja auch zurückgesprungen auf die Menschen dort. Deshalb hat man die Nerze ja gekeult dort, also getötet. Das Problem bei den Coronaviren ist, die kennt man sozusagen als Virologe hauptsächlich von der Veterinärseite bisher. Da gibt es ganz viele, die eine große Rolle spielen, übrigens auch viele, wo es gute Impfstoffe gibt. Es ist ja der Grund, warum wir hier wahrscheinlich auch so erfolgreich sind. Es geht bei diesen Viren einfach. Aber es ist so, dass wir, wenn jetzt das SARS-CoV-2  sich so verändert, dass es massiv bei Nutztieren ausbricht, dann ist das nicht mehr lustig. Die Nerze, das ist das natürlich ein trauriges Schicksal, was die hatten. Aber da geht es ja letztlich in Anführungszeichen nur ums Fell. Aber wenn es bei dem deutschen dann mal um das Nackensteak in der Sommersaison geht, dann glaube ich, verstehe die keinen Spaß mehr. Und deshalb ist es so, dass unsere Nutztierbestände, die muss man natürlich schützen. Die werden ja auch geimpft gegen alles Mögliche übrigens gegen eine ganze Reihe von Coronaviren auch. Und deshalb, wäre das ganz fürchterlich, wenn jetzt SARS-CoV-2  plötzlich irgendwo in Nutztierbestände überspringt. Und diese Warnung, ist berechtigt aus Russland. Und auch die Tatsache, dass man hier Impfstoffe parallel entwickelt, ist berechtigt. Nicht zuletzt auch aus reinem Egoismus. Der Homo Sapiens kann es ja auch wieder zurückkriegen von den Tieren und dann ist es ein bisschen mutiert und infiziert vielleicht Menschen, die eigentlich schon ein ganz gutes Immunsystem haben, auf Grund zurück gelegener Infektionen oder Impfungen.


54:40



Camillo Schumann



Sollte Deutschland da jetzt genau wie es bei Sputnik V gemacht wird, auch nach Moskau fahren und Millionen Dosen davon ordern.



Alexander Kekulé


Nein, ich sehe die Studie nicht. Ich habe auch das Gefühl, dass die immer so ein bisschen früh klappern. Und ich muss jetzt zu geben. Auf dieser Veterinärseite habe ich es nicht wirklich


im Griff. Wir haben in Deutschland auch übrigens ein paar ganz gute, weltweit relevante Impfstoffhersteller für Veterinärimpfstoffe. Und ganz ehrlich gesagt, müsste man die mal fragen das habe ich jetzt so nicht gemacht auf die Schnelle, was die in der Pipeline haben. Aber die sind ja auch nicht müde. Und die werden mit Sicherheit auch dabei sein, Impfstoffe, die für Sars-Cov-2  oder SARS-CoV-2  ähnliche Viren sind für viele Tiere zu entwickeln. (...) Letztlich kann man ja das gleiche Zeug nehmen. Die Frage ist nur wer kriegt es zuerst? Also sie könnten? Natürlich könnten sie den Sputnik V, den könnten sie direkt verwenden, um Tiere damit zu impfen. (...) Natürlich muss man die Dosis anpassen. Aber bei Säugetieren wird der natürlich funktionieren. Die Frage ist nur, ab wann macht man das und dazu ist es eben ganz wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn es Ausbrüche in Tieren gibt, weil es gibt ja für so ein Virus keine bessere Rahmenbedingungen als Tierhaltung, wo alle zusammengepfercht sind und das Virus schön hin und her springen können, die Tiere ein schlechtes Immunsystem haben, weil sie unter Stress sind und kein Tageslicht kriegen. Und so weiter. Solche Fälle. Pelzfarmen gibt es in Südchina auch gerade rund um Wuhan und unter den vielen rein hypothetischen Szenarien, ist das eine Szenario mit der Pelzfarm, immer noch das, was mir am plausibelsten erscheint. Oder mit einer anderen Tierhaltung in Asien. Wobei eben die Tierhaltung für Tiere, wo das Fleisch zum menschlichen Verzehr gedacht ist, eigentlich auch veterinärmedizinisch sehr gut überprüft werden. Auch in China, die Pelzfarmen nicht so gut. Aber das ist so nur so am Rande eine kleine Spekulation. Aber wir (...) müssen verhindern, dass es weitere Reservoire gibt, wenn sie natürlich ein riesiges tierisches Reservoir haben. Am schlimmsten wäre natürlich Wildtiere, die es dann permanent behalten. Dann kriegen sie es überhaupt nicht mehr ausgemerzt. Da können sie Menschen impfen, so viel sie wollen. Alles, was vom Tierreich immer mal wieder überspringen kann, ist quasi uns für alle Ewigkeit beschert.


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57:03



Camillo Schumann



Da wir gerade bei Hypothesen sind, ich stelle jetzt auch mal eine in den Raum zum Abschluss dieses Themas. Wenn wir uns, die gesamte Weltbevölkerung, vegetarisch ernähren würde, dann gibt es auch keine Viruserkrankung mehr oder fast keine mehr.



Alexander Kekulé


Ja, das ist tatsächlich so. Also es gibt ja viele Argumente für die vegetarische Ernährung, also in Klammern, ich bin selber kein Vegetarier, aber ein wichtiges Argument neben den ganzen Klimakiller-Effekten und natürlich den Tierschutz Argumenten ist tatsächlich, dass wir durch das Leben mit Tieren und durch die Haltung von Tieren uns eine ganze Reihe von wirklich schlimmen Erregern herangezüchtet haben. Also Tuberkulose ist so ein Beispiel, die die Pest war, so ein Beispiel. Und es gibt viele, viele Erkrankungen, auch ganz normale Bakterien, die heute Standard im Krankenhaus sind. Die wird deshalb haben, weil wir eben unsere Vorfahren vor 2 0.000 Jahren ungefähr sesshaft geworden sind und damals angefangen haben, Nutztiere zu halten. Und mit dieser Haltung der Nutztiere haben sich eben dann Erreger bei diesen Nutztieren angesiedelt, die darauf optimiert waren, eben auch auf den Menschen überzuspringen, weil der ja mehr oder minder unter dem gleichen Dach lebte. Und das ist auch so eine Art Erbsünde, die wir Menschen haben, die eben mit der Sesshaftigkeit und mit der Zivilisation zusammenhängt.


58:2 7



Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Hörerfragen unserer Hörerinnen Antje hat angerufen und folgende Frage


Und zwar soll es aktuell so sein, wer einen Schnupfen hat die Wahrscheinlichkeit, mit Covid sich zu infizieren, in dem Moment geringer. Weil sozusagen auf der Schleimhaut bereits so eine Abwehrhaltung herrscht. Gilt das auch für einen allergischen Schnupfen, also bei wenn man ein Allergien hat und dadurch ja


immer Sekret abgesondert wird. Oder ist es da irgendwie anders?



Alexander Kekulé


Super Frage weiß ich nicht. Also die Frage ist wirklich gut, das müssen wir gleich mal untersuchen. Es ist so, also die angeborene Immunität, die aktiviert wird durch einen Virusinfekt, das ist schon was anderes als die Situation bei einem Allergiker. Also, das ist bei dem Allergiker sind das andere Zellen, die da eine Rolle spielen, auch Lymphozyten aber andere. Und die Mechanismen sind anders. Warum die Schleimhaut da entzündet ist, sodass man es nicht so eins und eins sagen kann. Ja, das ist wahrscheinlich so, es ist ein anderer Mechanismus, der zu den Allergien führt und diese allergischen Schnupfen, Heuschnupfen dann als Ergebnis hat. Aber klar, eine laufende Nase, spült natürlich tendenziell Erreger ständig raus. Und auch diese Aktivierung bei Allergikern, die mehr über T-Zellen getragen wird, also das ist was, das es dann schon das adaptive Immunsystem, was an der Stelle nicht ganz perfekt funktioniert. Die kann natürlich auch irgendeinen Effekt haben auf Viren, die sich da gerade mal ansiedeln wollen. Aber ich wüsste jetzt keine Studie, die das schon untersucht hat das wäre ein interessantes Arbeitsgebiet. Und jetzt die beste Gelegenheit, so was mal zu erforschen. Weil jetzt haben wir gerade Pandemie und so viele Leute infizieren sich. Eine bessere Studiengruppe kriegt man nicht zusammen.


1:00:12 



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 173. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Ja, das wird spannend, freue ich mich schon drauf.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an. Kostenlos geht das: 0800 32 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführli-


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cher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das eine oder andere Thema noch mal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdr.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 0. April 2 02 1 #171: Warnung vor indischer CoronavirusMutation B.1.617



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Hirnvenenthrombosen: Eine retrospektive Kohortenstudie Universität Oxford (April 2 02 1) https://mfr.osf.io/render?url=https://osf.io/a9j dq/?direct%2 6mode=render%2 6action=downl oad%2 6mode=render


Studie: Thrombotische Thrombozytopenie nach Impfung mit AstraZeneca – Universität Greifswald (09.04.2 02 1) https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2 104840?query=TOC


FDA widerruft Notfallzulassung für monoklonalen Antikörper Bamlanivimab (16.04.2 02 1) Coronavirus (COVID-19) Update: FDA Revokes Emergency Use Authorization for Monoclonal Antibody Bamlanivimab | FDA


Weltweite Ausbreitung (Sequenzierung) der indischen Variante B.1.617 https://outbreak.info/situationreports?pango=B.1.617


Dienstag, 2 0. April 2 02 1


Warnung vor indischer Coronavirus-Mutation B.1.617. Wie ernst muss man diese Warnungen nehmen?


Dann: Gibt es Hirnvenenthrombosen auch bei mRNA-Impfstoffen? Eine Studie soll Hinweise geben. Wie sind diese Daten zu bewerten?


Ein Antikörper-Medikament, das auch in Deutschland eingesetzt wird, verliert in den USA seine Notfallzulassung. Was bedeutet das für uns?


Und: Was weiß man über den „Corona-Zeh“?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.


01:01 

Camillo Schumann

 Ja, ab heute gilt die Test-Angebotspflicht, das heißt: Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten, die nicht im Homeoffice sind, Corona-Tests anbieten. Dafür wurde ja die Sars-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung verändert. Die Arbeitnehmer können, müssen das Angebot aber nicht annehmen. Das Bundesarbeitsministerium argumentiert, dass die rechtlichen Hürden für eine Testpflicht zu hoch seien. Ein Test pro Woche, für Gruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko – also körpernahe Dienstleistungen – sogar 2 Test pro Woche. Ist das eine gute Sache?



Alexander Kekulé


Ja, also besser als nur Erfolge im Dunkeln, würde meine Mutter sagen. Also, das ist besser als nichts. Und es bindet halt jetzt die Arbeitgeber ein bisschen stärker ein. Wir werden natürlich mit so einer – sag ich mal – kleinen Maßnahme – ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist ja auch was Gutes – damit werden wir natürlich jetzt das Pandemiegeschehen nicht groß beeinflussen. Insgesamt ist es ja so, dass es noch nicht die verpflichtenden Masken am Arbeitsplatz gibt, zumindest nicht aus-


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nahmslos. Und es ist nicht so geregelt, dass immer dann, wenn man die Maske nicht aufsetzen kann, dass man dann ersatzweise systematisch testen muss. Also, das müsste man wirklich dann mindestens zweimal die Woche machen, vielleicht sogar noch öfters. Also dieses Schema, was eigentlich relativ simpel ist: Immer dann, wenn man keine Maske hat, wird getestet, und zwar in engen Abständen. Dieses Schema des müsste man einfach an den Arbeitsplätzen durchdeklinieren. Ich weiß, dass viele Arbeitgeber das schon machen. So ist es ja nicht. Also es gibt viele Arbeitgeber, die haben das mindestens so streng, wie ich es gerade erklärt hab, längst umgesetzt in ihren Unternehmen. Aber das ist eben nicht die große Masse. Da ist nicht die große Masse der Menschen angestellt.



Camillo Schumann



Okay also, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Diese Test-Angebotspflicht für Unternehmen ist eine feine Sache, wird aber das Problem der Infektion am Arbeitsplatz so erstmal überhaupt nicht lösen.



Alexander Kekulé


Es wird das Problem quantitativ nicht lösen. Es wird einzelne Arbeitnehmer geben, die sich darüber freuen, weil der Arbeitgeber das jetzt endlich machen muss, was die Belegschaft vielleicht schon länger sich gewünscht hat. Aber rein vom Endergebnis her ist es so, dass das ein Tropfen auf den heißen Stein ist.


03:07 

Camillo Schumann

 In dieser Woche soll ja auch das Infektionsschutzgesetz verschärft werden. Die „Bundesnotbremse“, so wird sie auch gern genannt. Das Ganze soll beschlossen werden im Bundestag und dann wenig später im Bundesrat. Und weil es ja auch viel Kritik an den ersten Entwürfen gab, wurde nun ein Kompromiss ausgehandelt. Die Ausgangssperre könnte nun erst ab 2 2  Uhr greifen, nicht ab 2 1 Uhr, also ab 2 2  Uhr. Aber: Joggen und Spaziergänge, die sollen noch bis Mitternacht erlaubt sein, wenn die Person allein unterwegs ist. Dagegen sollen die Schulen nicht, wie im ersten Entwurf vorgese-


hen, ab einer 2 00er-Inzidenz geschlossen werden, sondern schon ab 165. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht davon aus, dass diese Maßnahmen gerichtsfest sind. Aber sind sie auch „virusfest“?



Alexander Kekulé


Das ist ja das Problem. Die Politiker müssen immer zwischen den rechtlichen Bedenken, zwischen dem, was politisch machbar ist, und dem, was epidemiologisch sinnvoll wäre. Naja, „virusfest“, „virusfester“ sind die Maßnahmen dadurch auf keinen Fall geworden. Ich hatte ja auch Bedenken, ob man jetzt wirklich bundesweit flächendeckend eine Ausgangssperre verhängen muss, oder ein Schema zur Ausgangssperrenverhängung haben muss. Weil die Inzidenz, ja auch die lokale Inzidenz, nicht immer der beste Parameter ist. Oder der einzige, den man befolgen sollte. Da haben wir ja ausführlich darüber gesprochen. Ich glaube, es ist so, dass, wenn man jetzt sagt: Naja, die Kennzahlen werden so ein bisschen verändert, also da gibt es eine andere Ziffer, ab der dann dieses gilt. Oder man sagt: Um zehn Uhr statt um neun Uhr ist die Ausgangssperre. Ich glaube, das bringt eigentlich für die EpidemieBekämpfung nichts. Was kommt dann am Schluss bei raus? Man hat so eine Art Netz. Während man einen Trapezakt im Zirkus macht ist unten ein Netz, was eben große Löcher dazwischen hat. Und da ist dann immer das Problem: Fangen die Menschen dann an und auch die Politiker, sich auf dieses Netz zu verlassen? Oder andersherum gesagt: Wenn man sagt, ich habe da eine Notbremse, die würde ja dann notfalls greifen, diese „Bundesnotbremse“, dann verlassen sich vielleicht auch manche darauf, dass die dann auch einsetzt, und das dann auch wirkt, wenn sie einsetzt. Und das kann gefährlicher sein, als wenn man gar keine Notbremse hätte, je nach Situation also. Darum bin ich jetzt so über diese weiche Bremse nicht glücklich. Obwohl ich sagen muss – nach wie vor: Ein Mechanismus, ein Automatismus bei der Ausgangssperre ist sowohl epidemiologisch als natürlich auch juristisch selbstverständlich eine schwierige Sache.


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05:50 

Camillo Schumann

 Was sagen Sie denn eigentlich zu dieser 2 00erInzidenz, die im ersten Entwurf stand für die Schulen? Und jetzt ist man bei 165 gelandet. Also wir haben ja schon über Inzidenzwerte gesprochen, noch und nöcher, also 35, 50, 100, dann 2 00. Jetzt 165. Kommen Sie da noch mit?



Alexander Kekulé


Ich erinnere mich vor allem, das mal „null“ und „zehn“ ganz intensiv im Gespräch war von einem Teil der Fachleute. Ich glaube, es ist falsch, eben so sklavisch nur auf die Inzidenz zu schauen. Das ist letztlich eine Krücke, der sich jetzt die Politik bedient, weil sie hofft, dass es damit gerichtsfest ist. Weil die Gerichte bisher – zumindest in Deutschland – zum großen Teil sagen: Bei der und der Inzidenz ist dann quasi der Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt. Ich meine aber, das kann man nicht so einfach sehen, weil die Inzidenz kann eben dann regional verursacht sein durch einen Ausbruch in einem abgegrenzten Geschehen. Zum Beispiel in einer Fabrik, wo man weiß, welche Personen da im Prinzip betroffen waren, und wo die Behörden eigentlich erkennen, dass die Sache unter Kontrolle ist. So eine Inzidenz kann auch zum Beispiel durch Einschleppung verursacht werden. Wenn man jetzt irgendwo zum Beispiel gerade ein Experiment macht. Gibt ja solche Versuche in Deutschland, wo dann regional geöffnet wird, unter strenger Kontrolle. Da werden dann sicherlich die Behörden auch der Meinung sein: „Ja, das ist jetzt mal hochgegangen. Aber wir haben es ja in einem kontrollierten Experiment. Wir haben es im Griff, wir machen halt dann die sozusagen Türen wieder zu, die wir da vorher geöffnet haben.“ Also ich kann mir sehr viele Einzelsituationen vorstellen, wo die Inzidenz einfach keine klare Korrelation zum Risiko für die Bevölkerung hat. In der Region. Global gesehen stimmt das natürlich. Auf ganz Deutschland gesehen stimmt es auch. Aber regional stimmt es eben dann nicht mehr bei der feinen Auflösung. Aber trotzdem wird die Maßnahme dann sozusagen unmittelbar daran gekoppelt. Und ich muss


jetzt sagen wenn ich jetzt als Sachverständiger gefragt würde, würde ich das verneinen. Ja, ist halt die Frage, wann die Gerichtsverfahren kommen, wo die Sachverständigen sagen: „Man kann nicht so eins zu eins die Gefährdung der Bevölkerung an der Inzidenz festmachen“. In dem Moment, wo diese Koppelung sozusagen per Gerichtsurteil – Oberverwaltungsgericht müsste das sein – quasi durchtrennt ist, dann ist die gesamte Argumentation der Politik im Eimer, nicht? Dann müssen sie sich etwas anderes suchen, was vielleicht ein bisschen differenzierter das Risiko bewertet. Und was ja noch gar nicht mit drin ist es, ist die Frage der Impfungen, nicht? Jetzt rein theoretisch: Sie haben vielleicht einen Landkreis, wo aus irgendwelchen Gründen sehr viele Menschen geimpft sind. Dann würden sie natürlich das Risiko für die Bevölkerung anders bewerten, als wenn Sie einen Landkreis haben, wo die meisten ungeimpft sind.


08:37 

Camillo Schumann

 Weil sie gerade die Impfung angesprochen haben, nur sozusagen ein Fakt mit reingeschoben: Mindestens Erstgeimpfte in Deutschland sind wir jetzt bei 2 0 Prozent. Und wir haben heute den 2 0. April.



Alexander Kekulé


Ja, also ich bemühe mich immer, nicht so den allgemeinen Frust zu spiegeln, der natürlich in der Gesellschaft ist, zurzeit. Es fällt mir aber – ich bin natürlich auch schon lange jetzt mit diesem Thema befasst. Es fällt mir zunehmend schwerer, jetzt die perfekte Lösung auf den Tisch zu legen. Ja, das ist so ähnlich, als wenn jemand beim Einparken irgendwie ... Sie sitzen auf dem Beifahrersitz und sagen: „So jetzt den Lenker nach links einschlagen“ – der lenkt nach rechts ein. „So, jetzt vorwärts“ – dann fährt er rückwärts. Und am Schluss ist der Fahranfänger – oder wer auch immer da neben Ihnen sitzt, der Betrunkene vielleicht am Steuer – und der hat sich so verkeilt, dass er nun gar nicht mehr in irgendeine Richtung kommt. Und fragt Sie dann: „Was soll ich jetzt tun?“ Also das ist einfach schwierig. Wir haben uns in


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Deutschland da echt verfahren. Das eine sind die Gerichte, die irgendeine Position inzwischen entwickelt haben. Die Verwaltungsgerichte, die sitzen wirklich – das muss man sagen – der Politik im Nacken. Das andere sind natürlich die steigenden Fallzahlen und die zunehmende Belegung der Intensivstationen, die massiven Handlungsdruck aufbauen. Da muss irgendetwas getan werden. Und dann ist natürlich auch diese Maßnahmenmüdigkeit inzwischen vorhanden, die ja noch einen ganz anderen Aspekt hat. Ich glaube, das ist in vielen Bereichen so, das ist jetzt keine Statistik, die ich da habe, sondern eher so eine private Beobachtung, darf ich vielleicht an der Stelle sagen. Es gibt ja mehr und mehr Familien und Menschen, bei denen sind die Alten ja inzwischen geimpft. Was eine gute Sache ist. Also die Oma hat jetzt die zweite Impfung oder die erste Impfung bekommen. Sie haben ja gerade die Zahlen gesagt. Dadurch tritt natürlich so ein bisschen das Gefühl ein: Naja, dieses frühere Gebot: „Wir müssen uns jetzt wahnsinnig vorsichtig verhalten, damit die Oma nicht stirbt oder der Oper nicht stirbt.“ Da gab es ja, glaube ich, sogar eine Kampagnen dazu. Dieser Mechanismus, der greift jetzt als Argument nicht mehr so richtig. Zumindest bei denen, wo jetzt die Schäfchen im Trockenen sind, im Sinne von alten Schäfchen. Und da muss man sich jetzt was Neues ausdenken, wie man das begründet. Und ich glaube, in dieser gesamten Gemengelage ist der Wagen ziemlich verkeilt, um nicht zu sagen: In den Sand gefahren.


11:00 

Camillo Schumann

 Möglicherweise denkt man sich ja auch was Neues aus. Das war – zugegeben – von mir jetzt ein wenig reißerisch formuliert. Denn seit ein paar Tagen geistert eine Virus-Mutation durch die Medien und sorgt für Schlagzeilen. Es geht um die indische Variante B.1.617. Kollegen von Ihnen sehen in dieser Mutation noch eine sehr, sehr große Gefahr. Unter anderem, weil diese Mutation den Impfschutz durchbrechen könnte. Außerdem explodieren in Indien gerade die Infektionszahlen. Das soll auch an dieser Mutation liegen. B.1.617: Wer diese


Mutation jetzt noch nicht kennt: Welche gesicherten Erkenntnisse gibt es denn dazu?



Alexander Kekulé


Also relativ wenige. Es ist so, dass die natürlich hauptsächlich im Vereinigten Königreich untersucht wird, weil dort einfach – das haben wir schon oft besprochen – mit Abstand am meisten sequenziert wird. Die haben ja von Anfang an, vom Beginn der Pandemie an eigentlich erkannt – und das ist extrem wichtig: Zu beobachten, wie dieses Virus sich verändert. Und deshalb sind die Beobachtungen auch von dort. Und es ist natürlich so, dass Inder häufig aus natürlich historischen Gründen nach England fahren. Viele haben ja auch ihre Familien dort. Und darum hat man das dort beobachtet. Das ist eine Variante, die eigentlich so ähnlich ist, kann man sagen, wie das, was man in Südafrika beobachtet hat. Und was man auch in Südamerika beobachtet hat. Die hat diese eine genetische Besonderheit, dass wir eine Mutation haben, die heißt E484Q, das ist die wichtigste. Es gibt noch ein paar weitere, aber dieses E484Q. Vielleicht erinnert man sich an das E484K, was wir hier schon ein paarmal besprochen haben, was in Südamerika eine Rolle spielt. Das ist eben eine weitere Mutation in dieser Domäne, wo das Spike-Protein vom Sars-CoV-2  an den Zielrezeptor, an dieses ACE2  bindet. Und dadurch, dass dort eine kleine Veränderung eingetreten ist, ist relativ wahrscheinlich, dass diese Variante auch eine höhere Übertragbarkeit hat. So wie wir das bei der britischen, bei der südafrikanischen und bei der südamerikanischen Variante vermuten. Also bei der britischen ist es festgestellt, bei den anderen wird es vermutet. Das heißt also: Ja, die Vermutung steht im Raum, dass das stärker infektiös ist als seine Vorgänger und sich deshalb in Indien durchsetzt. Es gibt noch ein, 2 weitere Mutationen. Insgesamt scheint das so eine relativ – sage ich mal „optimierte“ Variante zu sein. Und wenn Epidemiologen so etwas sehen, dass es da eine Variante gibt, die optimiert ist, dann sind sie natürlich immer – was denken wir uns dann? Wir stellen dann fest, dass wir hier wieder ein weiteres Beispiel der sogenannten konvergen-


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ten Evolution haben. Es ist ja nicht ganz unerwartet, dass so etwas in Indien aufgetreten ist. Ich meine, ich habe es im Podcast tatsächlich auch schon einmal laut und deutlich vermutet, dass es so ist. Und jetzt ist es eben seit kurzem belegt.



Camillo Schumann



Am 15. Januar war das übrigens.



Alexander Kekulé


Genau, also 15. Januar. Und dann Ende Februar hat man die dann tatsächlich auch gefunden. Was jetzt nicht überraschend ist, weil: Wir wissen inzwischen – das ist für uns natürlich super spannend. Entschuldigung dafür, aber Virologen finden es auch interessant natürlich, was da passiert. Das ist eine konvergente Evolution. Nennen wir das. Das heißt also, ein bestimmter Typ ist einfach besser. Eine bestimmte Eigenschaft des Virus ist besser für die Ausbreitung. In der Regel heißt das, stärker infektiös, aber weniger gefährlich. Das ist von der Evolution für die Viren eine Optimierung. Und wir beobachten die gleiche Optimierung unabhängig voneinander. Das ist das Interessante überall auf der Welt. So was passiert in Südafrika. So etwas passiert eben in Südamerika und selbstverständlich auch in Indien, wie man jetzt erst festgestellt hat. Diese B.1.617 ist tatsächlich wahrscheinlich schon unabhängig von den anderen auf jeden Fall entstanden. Hat aber im Ergebnis eine ganz ähnliche Mutation bewirkt. Mit einem anderen Mittel, sozusagen, das gleiche bewirkt. Also mit anderen Methoden. Da ist quasi das Rad ein zweites Mal erfunden worden. Der Eine hat quasi ein Rad aus Metall und der Andere hat ein Rad aus Holz. Aber es ist letztlich das gleiche Prinzip, was dem Virus hilft, sich schneller zu verbreiten. Und ja, das setzt sich deshalb dort durch. Aber: Warum setzt es sich so durch in Indien? Und das ist eben die gleiche Situation, wie wir es in England hatten. Gleiche Situation wie in Irland. Gleiche Situation wie in Portugal damals. Die Politiker sagen dann gerne „Ja, das ist die Mutante. Wir konnten nichts dafür.“ Aber tatsächlich ist es so: Der Ministerpräsident in Indien, Narendra Modi, der hat sich ja feiern lassen als


Besieger des Virus. Die letzten Monate in Indien ist alles wieder auf „locker“ gegangen. Die haben ihre Cricket-Spiele wieder gemacht. Da gab's nationale Spiele, sogar [gegen] England, gegen Vereinigtes Königreich, in Gujarat, also nördlich von Mumbai. Und da mit zigtausend Zuschauern und die meisten ohne Maske, dann war ja gerade das große Fest, was sie dort gefeiert haben, Kumbh Mela, wo sie da – das kennt jeder – im Ganges und den anderen heiligen Flüssen, ich glaube, es gibt vier Flüsse, wo man da baden muss – sich der Sünden freiwaschen. Und beim Wegwaschen der Sünden ist halt stattdessen das Virus gekommen. Die haben also Tausende positiv getestet. Ich glaube, es sind die Maßnahmen. Es ist dieses „Sich locker machen“. Auch letztlich diese Überheblichkeit zu sagen: „Wir haben das Virus bekämpft“. In Indien dachte man, das ist das niedrige Alter der Bevölkerung plus irgendeine natürliche Immunität, die die Leute haben. Und natürlich, dass die Regierung so toll ist. Das sind da jetzt auch demnächst Wahlen. Und wegen der Wahlen in mehreren Bundesstaaten waren die auch interessiert daran, dass die Kampagnen laufen können, und deshalb das Virus für besiegt erklärt wird. Und da hat sich dann jetzt in dieser Situation einfach die neue Variante durchgesetzt. Und wenn die nicht da wäre, hätte sich natürlich die alte Variante durchgesetzt. Das hat damit nur – sag ich mal – sekundär was zu tun. Primär ist es immer das Verhalten der Bevölkerung und das „Lockermachen“ von den Schutzmaßnahmen.



Camillo Schumann



Also sozusagen sehr individuelle Verhaltensweisen. In Großbritannien, weil sie ja Großbritannien angesprochen haben, da zeigt man sich aber besorgt. Es wird sehr schwierig für die vorliegenden Impfstoffe. Das meint zumindest Paul Hunter, von der Universität in Norwich. Er hat mit dem Guardian gesprochen. Und das liegt auch daran, sagt er, dass in B.1.617 offensichtlich 2 gefährliche Mutationen vereint sind. Was ist davon zu halten? Ist diese Variante möglicherweise dann auch gefährlicher, im Sinne von „auch tödlicher“?


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18:02  

Alexander Kekulé Also, dass es tödlicher ist, dafür gibt es überhaupt keine Hinweise. Es gibt nicht einmal epidemiologische Hinweise, dass es sich schneller ausbreitet. Und man muss vielleicht noch einmal kurz rekapitulieren oder einordnen, wie viele Fälle das überhaupt sind. In Indien wird ja nicht so viel sequenziert. Also die sind sozusagen noch schlechter als wir hier in Deutschland. Und da ist es so in Indien jetzt: Insgesamt hat man 2 98 Fälle gefunden von dieser neuen Mutante. Und seit Beginn der gesamten Pandemie sequenziert wurden in Indien, immerhin einem Land mit – weiß gar nicht genau – 1,5 Milliarden Bevölkerung: 2 .700 Fälle. Also 2 .700 Sequenzierungen hat man insgesamt seit Beginn der Pandemie. Und 2 98, also 11 Prozent davon, sind also jetzt die neue Variante gewesen. Und das nimmt aber zu; das ist in den letzten Wochen gestiegen, von denen, die man getestet hat, auf ungefähr 70 Prozent. Das ist aber nur eine ganz kleine Stichprobe. Ja, da wurde getestet in den Regionen, wo halt Zentren sind. Forschungszentren, die so etwas machen. Fast alle Tests, die zu dieser zentralen Datenbank eingereicht wurden, kommen aus Maharaja. Das ist quasi die Region, wenn man sich vorstellt, wo Mumbai – also früher Bombay – ist, rechts davon, also östlich davon, das Innenland. Das ist so der Financial District, kann man sagen, von Indien. Da sind die ganzen Banken und die ganzen EDV-Konzerne und so weiter. Und in West Bengal, das ist ganz im Osten bei Kalkutta. Also die Hightech-Unternehmen, die dort sitzen, die sorgen dafür, dass da viel sequenziert wird. Das sind kleine Stichproben. Wir wissen nicht, was insgesamt im gesamten Land los ist. Und West Bengal ist zum Beispiel gar nicht ein Hauptgebiet dieser aktuellen Zunahme der Infektionen. Sondern die eben hauptsächlich mehr im Norden, also Delhi ist betroffen, Mumbai ist betroffen und Maharaja ganz massiv betroffen. Und deshalb sage ich jetzt mal: Das ist eine kleine Stichprobe. Wir wissen gar nicht genau, ob sich das wirklich so viel schneller ausbreitet. Und dann diese Sache, die


jetzt, worauf Sie angesprochen haben. Das geistert so durch die britischen Medien. Da heißt es dann immer „Doppelmutante“. Ja, das ist die „Doppelmutante“, Doppel-Whopper, klingt irgendwie gefährlich. Und das ist aber so: Ja, die hat mehrere Mutationen, wie alle anderen auch. Insgesamt glaube ich 13, und von denen sind mehrere, ich glaube vier oder fünf, im S-Gen. Und eine davon ist eben, wie gerade besprochen, direkt in der Rezeptorbindungsdomäne. Eine weitere Mutation, das ist die, worauf das sich bezieht, diese Doppelmutation... Wir machen jetzt hier keine VirologieVorlesung, aber ich kann es ja mal erwähnen, die heißt L452 R. Was auch immer das ist – das ist eine weitere Mutation, die man dort gefunden hat. Das ist deshalb interessant, weil das die ist, die wir tatsächlich schon einmal besprochen haben, als es um die Nerze in Dänemark ging. Da gab es so eine lustige Mutation, die bei den Nerzen aufgetreten, hat von da einige Menschen infiziert, aber sich nicht groß unter Menschen ausgebreitet. Die Nerze wurden ja dann bekanntlich getötet. Diese Mutation ist jetzt dort in Indien auch wieder mit dabei. Und das ist die gleiche, die man auch schon gefunden hat bei der sogenannten südkalifornischen Variante, über die wir auch schon mal gesprochen haben. In Amerika gibt es natürlich eine New-York-Variante, eine Southern-California-Variante und noch ein paar mehr. Ich will das nicht verharmlosen, aber es ist so: Überall auf der Welt sehen wir die gleiche, eben zusammenlaufende, auf ein gemeinsames Ergebnis sich hinarbeitende Evolution. Dieses Virus optimiert sich und dazu gehören offensichtlich diese kleinen Veränderungen dazu. Das ist nicht Doppel-, sondern eine Mehrfach-Mutation. Und klar, dieses Virus ist wahrscheinlich infektiöser. Viel gefährlicher ist es deswegen jetzt bei den Daten, die wir jetzt haben, nicht. Die Briten haben es auch ganz bewusst bisher noch nicht als Variant of Concern eingestuft. Also die haben ja dort diese drei Varianten. Also die britische B.1.1.7, die südafrikanische und die brasilianische P1. Die haben sie als Variants of Concern eingestuft. Dazu wäre Voraussetzung, dass es entweder


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gefährlichere Infektionen macht oder Impfstoffe nicht so richtig wirken, oder dass die Gegenmaßnahmen nicht mehr greifen. Also, dass aus irgendeinem Grund sich das Virus trotz Gegenmaßnahmen ausbreiten würde. dann ist es eine Variant of Concern. Dafür haben wir noch nicht genug Daten. Also, das ist noch nicht einmal klar, aufgrund dieser wenigen Daten, die es aus Indien gibt, ob das hier der Fall ist. Ich würde mal sagen, das wird dazu kommen. Ja, das wird dann die vierte, offiziell anerkannte Horror-Virusvariante sein. Ich warne davor, sich da verrückt machen zu lassen. Dieses Virus passt sich einfach an. Das ist neu in der Menschheit, weltweit tritt das auf, und das optimiert sich. Und ganz am Schluss wird es so sein, dass die Optimierung dazu führt, dass es ein infektiöserer Erreger ist. Aber einer, der weniger häufig Menschen krank macht. Auch deshalb, weil unser Immunsystem natürlich dann nicht mehr komplett naiv dem Virus gegenüber ist.


2 3:15 

Camillo Schumann

 Entscheidend ist ja auch die Frage – es klang ja auch schon so ein bisschen an: Was können die Impfstoffe ausrichten, die überall verabreicht werde. Und auf diese Karte wir ja setzen und da besonders sensibel sind, was neue Mutationen angeht. Und auch Kollegen von Ihnen sagen, dass ja möglicherweise dieser Impfschutz durchbrochen werden kann. Wie bewerten Sie das? Ist das dasselbe Risiko wie bei den anderen Mutationen? Oder ist das Risiko bei dieser Variante besonders hoch?



Alexander Kekulé


Es ist auf keinen Fall höher. Ich würde sogar sagen, in meiner internen Skala ist die P1 aus Brasilien nach wie vor die gefährlichste, die wir haben. Die hat ja auch so eine ähnliche Mutation. Also an der Position 484 des S-Gens, also dieses S-Proteins. 484 ist die AminosäurenNummer, also die Stelle in diesem Protein. Da ist eben im einen Fall HSE484K und im anderen Fall E48Q. Also für die, die das noch aus der Schule kennen: K ist Lysin, eine Aminosäure, und das andere Q ist Glutamin. Das heißt also


da ist was ausgetauscht worden gegen Aminosäuren, die etwas weniger sauer sind. Und das führt offensichtlich dazu, dass das Ding irgendwie besser an sein Ziel passt. So oder so. Und ja, wir wissen von den anderen Varianten, die an dieser Position eine Mutation haben, wissen wir, dass zum Beispiel Seren von Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben, die im Laborversuch weniger gut neutralisieren können. Wir wissen auch, dass Seren von Menschen, die geimpft wurden, die weniger gut neutralisieren können. Dass AstraZeneca zum Beispiel bei der südafrikanischen Variante sehr schlecht hilft, sehr schlecht wirkt, ist ja bekannt. Und ich würde jetzt schon sagen, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass wir jetzt einen weiteren Kandidaten gefunden haben, wo das auch wieder so ist, dass die Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs hoch ist. Es gibt sogar Laborexperimente, ganz wenige, die bisher natürlich mit genau dieser Variante gemacht wurden, mit Seren von Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben. Also wir nennen die dann eben rekonvaleszente Seren. Und da ist es so, dass bei einigen von diesen Personen – das ist ganz interessant, nicht bei allen – dieses neue Virus jetzt aus Indien nicht so gut neutralisiert wird im Labor. Das heißt aber nicht bei allen, sondern einige haben scheinbar im Laborexperiment weniger gute Immunität. Da wird aber immer nur gemessen: Die antikörperbasierte Immunität. Und auch da eben nicht alles, sondern messen kann man immer nur das, wo man ein Experiment für aufgebaut hat. Und unser Immunsystem ist ja viel breiter aufgestellt als das, was wir im Labor da messen können. Also, ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der überhaupt schon einmal geimpft wurde mit einem der RNA-Impfstoffe, dass der, wenn er hier dieses Virus abkriegt, eine deutlich mildere Infektion macht, ist sehr hoch. Aber ja, dieses Virus ist ein weiterer Grund dafür – haben wir ja schon mehrere – dass wir wahrscheinlich im Herbst dann unsere Impfstoffe anpassen müssen und dafür sorgen müssen, dass die zum Beispiel eben diese Mutationen an der Position 484 mit umfassen. Das war aber schon klar


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wegen der südafrikanischen und wegen der brasilianischen Variante. Und dass jetzt in Indien sich auch was ausbreitet, wie gesagt, für mich ist das komplett erwartet und überhaupt kein Aufreger bezüglich der Mutation. Es ist ein Aufreger bezüglich der vielen Menschen, die in Indien jetzt daran sterben.


2 6:30 

Camillo Schumann

 Die Variante B.1.617 steht natürlich auch in Deutschland unter Beobachtung, aber für eine Einstufung als „besorgniserregend“ fehlte bislang die entsprechende Evidenz. Das hat das Robert Koch-Institut auf dpa-Anfrage mitgeteilt. In Deutschland sind insgesamt acht aus dem März stammende Sequenzen der Linie B.1.617 identifiziert worden. Herr Kekulé, abschließend noch gefragt dazu: Hätte B.1.617 das Potenzial, B.1.1.7 in Deutschland zu vertreiben, sich sozusagen durchzusetzen?



Alexander Kekulé


Das wissen wir gar nicht. Also diese epidemiologischen Daten, also wie groß das R ist, dass also wirklich die Ausbreitungsgeschwindigkeit höher ist, das ist ja nur in England mit B.1.1.7 sauber gemessen worden. Das wissen wir nicht einmal bei der südafrikanischen, nicht bei der brasilianischen Variante, weil einfach dort die Epidemiologen nicht hinterherkommen. Und schon überhaupt nicht aus den paar hundert Sequenzen, die jetzt aus Indien bekannt sind. Selbst im Vereinigten Königreich war es ja die zweithöchste Zahl von B.1.617. Also wir sagen da immer – ich weiß, B.1.617 klingt irgendwie ganz gut als Telefonnummer. Das ist der Typ B1, das ist der, der in Norditalien entstanden ist, im Februar, oder sich ausgebreitet hat in Norditalien. Weil B ist die ursprüngliche Wuhan-Linie. B1 ist das, was weltweit jetzt dominiert aus Norditalien. Und da ist es die Untervariante 617 sozusagen. Also, im Vereinigten Königreich sind 161 Fälle bis jetzt eben getestet worden. Das reicht nicht aus, um irgendetwas auszusagen. Und wir wissen überhaupt nicht, ob das sozusagen noch einen Tick schneller ist in der Ausbreitung als B.1.1.7. Ich würde mal drauf wetten, dass das in den


nächsten Wochen und Monaten, bis wir dann so halbwegs durchgeimpft sind in Deutschland, es nicht dazu kommen wird, dass sich das Virus hier großartig ausbreitet, weil wir nicht so viele Reisende aus Indien haben. Wir haben ja auch Einreisekontrollen. Wir haben eine andere Situation als England in der Hinsicht. Und darum glaube ich, dass das für Deutschland jetzt etwas ist, was man unter Beobachtung halten muss, was aber überhaupt nichts ist, was uns jetzt zusätzlich beunruhigen sollte. Wir sollten einfach ganz entspannt wieder zurück an unseren Arbeitstisch gehen und unsere Hausaufgaben machen, die ja leider noch unerledigt dort liegen.



Camillo Schumann



Noch abschließenden Fun-Fact am Rande, weil wir jetzt über Sequenzierung auch gesprochen haben: Dass in Deutschland 55.500 Sequenzierungen in Deutschland schon durchgeführt wurden. Acht, wie gesagt, die B.1.617. Und wir sind damit, was die Sequenzierung angeht, mittlerweile Top3 weltweit. Also wir haben da richtig nachgelegt, das muss man ja jetzt wirklich sagen.


2 9:2 2  

Alexander Kekulé Yes, we can! Das kann man jetzt in 2 Richtungen in 2 Richtungen quasi rauslesen. Da kann man erstens sagen: Mensch, sind wir toll in Deutschland. Aber man muss natürlich die Zeitachse beachten. Wir sind ja kurz vor der Situation, wo eigentlich die Impfstoffe uns jetzt helfen sollen. Man darf natürlich schon auch fragen: Warum haben wir das vorher nicht gemacht? Und das waren ja ganz klare wissenschaftliche Empfehlungen, das nicht zu machen. Und da meine ich schon, dass die Leute, die das empfohlen haben, mal erklären müssen, wie sie sich das gedacht haben, weil ja da unterschiedliche Positionen im Raum standen. Es gab sozusagen die britische Linie „Man muss das genau im Auge haben“. Es gab eben dann die deutsche Linie, die gesagt hat: „So viele Sequenzierungen brauchen wir nicht, um diese Pandemie zu überblicken“. In den USA übrigens hat man auch so ähnlich gedacht wie in


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Deutschland. Aber da war halt immer dieser Trump-Faktor. Das war einfach politisch so, dass Donald Trump gesagt hat, er will das überhaupt nicht und er will gar nicht so genau wissen, was los ist. Joe Biden, der neue USPräsident, hat ja jetzt gleich mehrere Milliarden locker gemacht, um diese Sequenzierungsprojekte – das ist ganz aktuell, ich glaube, gestern rausgekommen – um dieses Sequenzierungsthema in den USA auch voranzubringen. Also die hatten sozusagen die TrumpBremse. Aber bei uns ist es so gewesen, dass es aufgrund wissenschaftlicher Empfehlungen gewesen ist. Und die Empfehlung wurde dann spät geändert. Und dann sieht man ja, wir können ja, wenn wir wollen.


31:00 

Camillo Schumann

 Wir können, wenn wir wollen. Und nur noch der Vollständigkeit halber: Vor uns die USA mit 2 89.000 Sequenzierungen und der unangefochtene Spitzenreiter klar Großbritannien mit 371.000. Das nur noch nachgereicht.


Herr Kekulé, nächstes Thema. Hier im Podcast haben wir ja intensivst über die Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca gesprochen, zuletzt auch über Hirnvenenthrombosen nach der Impfung mit Johnson& Johnson – ebenfalls ein Vektor-Impfstoff. Nun geistert seit ein paar Tagen eine Studie durch die Medien, wonach auch die mRNA-Impfstoffe Hirnvenenthrombosen auslösen können. Dazu haben sich auch einige unserer Hörerinnen und Hörer an uns gewandt. Sie sind absolut verunsichert, nachvollziehbar, wenn man so etwas liest. Und als Grundlage für diese Schlagzeile dient eine Studie, ein Preprint der Universität Oxford, die ja am AstraZeneca-Impfstoff geforscht hat. BioNTech hat den Ergebnissen dieser Studie ja sofort widersprochen und der Uni vorgeworfen, nicht zwischen normalen Thrombosen und äußerst seltenen Sinusvenenthrombosen unterschieden zu haben. Was sagen Sie zu diesem Streit? Wer hat denn da eigentlich recht?



Alexander Kekulé


Eigentlich beide, weil die Studie, die habe ich mir natürlich jetzt genau angesehen. Daraufhin – ich sag mal ganz offen: Ich war gar nicht der Meinung, dass man die diskutieren soll. Weil ich finde, an der Stelle Öl ins Feuer zu schütten, ist auf jeden Fall falsch. Aber wenn man den Ball ganz niedrig hält, ist es folgendermaßen. Die haben verglichen: Etwas über 500.000 Coronavirus-Infizierte aus den Datenbanken, die ja in England ganz gut sind, mit etwa 490.000 Personen, die mit einer mRNAVakzine immunisiert wurden, also dann konkret hauptsächlich BioNTech. Und das haben sie verglichen mit der allgemeinen Bevölkerung. Und da haben sie jetzt mal so grob gesagt festgestellt: Wenn ich – jetzt nur die Daten – einfach mal gucke, wie sind die Zahlen gewesen? Dann stellt man fest: Wenn man die 14 Tage nach der Infektion sich anschaut oder einen Zeitraum von 14 Tagen sich anschaut – so muss man es formulieren – dann haben wir einfach in der Allgemeinbevölkerung diese Sinusvenenthrombosen extrem selten. Das sind in dieser Untersuchung 0,4 pro Million gewesen. Also sehr, sehr selten. Und dann finden sie so grob gesagt, dass ungefähr zehnmal so viel, also im Bereich von 4 pro Million treten auf bei Personen, die geimpft wurden, egal mit was. AstraZeneca oder mRNA oder was auch immer. Und nochmal zehnmal so viel, das ist die Hauptaussage eigentlich der Studie, die immer so ein bisschen übersehen wird, findet man dann tatsächlich bei Personen, die Covid durchgemacht haben. Also da ist es ungefähr 40 pro Million. Und diese Abstufung, dass also Geimpfte mehr haben, als „Baseline“ und Covid-Infizierte insgesamt ungefähr hundert Mal häufiger solche Thrombosen haben als die Durchschnittsbevölkerung, ja, das kann man mal so als Fakt hinnehmen. Und die Autoren selber haben klipp und klar daruntergeschrieben, was auch jeder, der sich mit so etwas auskennt, sofort in der Studie sieht, dass man daraus nicht schließen kann – das steht da schwarz auf weiß drin – man kann daraus nicht schließen, dass es ein erhöhtes Thromboserisiko bei den RNA-Impfstoffen gibt.


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Das schreiben die selber rein, und zwar kennen die sich ja mit so etwas aus. Die haben ihre Daten natürlich analysiert. Das hat mehrere Gründe, warum man das nicht machen kann. Der wichtigste ist, wenn man so eine Gesamtbevölkerung, also so eine Stichprobe hat, dann ist ja überhaupt nicht klar, ob die, die hier die Thrombosen hatten, ob die vergleichbar sind mit denen, die keine Thrombosen hatten. Also es gibt quasi keine gematchte, also altersmäßig und von den sonstigen Faktoren, die noch eine Rolle spielen können, gematchten Paare, sondern es gibt nur die Gesamtzahl. Und die sagt letztlich überhaupt nichts aus über die Frage, ob jetzt diese RNA-Impfstoffe ein erhöhtes Risiko machen.


34:50 

Camillo Schumann

 Also das Risiko, an einer Hirnvenenthrombose zu sterben oder darunter zu leiden bei einer Covid-Erkrankung ist wesentlich höher, als wenn man sich jetzt impfen lässt. Aber trotzdem: Woher kommt denn dann diese Fehlinterpretation?



Alexander Kekulé


Das weiß ich nicht, weil, wenn die Autoren schon selber wissen, das könnte man falsch interpretieren ... Und die haben dann relativ ausführlich auch noch geschrieben, wo eben die Schwachstellen sind, warum man das nicht machen kann, sozusagen für die Leute, die vorher bei der Epidemiologie das bei den Daten nicht richtig interpretiert haben, steht am Schluss noch mal genau das eben genauso drinnen. Und warum dann Leute sagen: Es gibt dieses Risiko. Die Vermutung steht natürlich so ein bisschen im Raum, dass das, sage ich mal, politisch ist. Der Wunsch ist ja irgendwie da, zu erklären. Natürlich gibt es Menschen, die wollen AstraZeneca und diese Vektor-Vakzine möglichst von dem Vorwurf frei sprechen. Und diese Diskussion ist wahnsinnig heiß. Die wird für AstraZeneca letztlich über Leben und Tod möglicherweise von der ganzen Firma entscheiden. Die ist auch wichtig, weil wir ja – und das darf man nie vergessen – wirklich auf diese Vektor-Impfstoffe, die es auch von anderen


Herstellern gibt, gesetzt haben wegen des Covax-Programms. Also dieses internationale Programm, wo geimpft werden soll. Übrigens auch in Indien, wo wir gerade darüber gesprochen haben, wird massenweise AstraZenecaImpfstoff verimpft, weil er auch in Indien hergestellt wird, vom Serum Institute of India. Und wenn jetzt wirklich irgendwie dieser Makel dran hängen bleibt und die Bevölkerung dann sagt „Ja, wir wollen aber nur die anderen Impfstoffe“, das wäre wirklich ein riesen Rückschlag für das ganze Impf-Programm. Vor allem eben in den Ländern, die sich die teuren RNAImpfstoffe nicht leisten können oder die auch keine Verträge geschlossen haben. Darum verstehe ich das schon, dass es die Motivation gibt, dieses Problem, was jetzt den VektorImpfstoffen gerade anhängt, zu relativieren. Aber es ist ja gerade jetzt aktuell rausgekommen. Wir haben ja über die Studie von Herrn Greinacher aus Greifswald schon gesprochen. Die ist jetzt gerade in einem sehr renommierten Journal publiziert worden: New England Journal of Medicine. Und es ist dann doch noch mal ein Unterschied, ob man so etwas dann schwarz auf weiß auch peer-reviewed, also kontrolliert durch andere Kollegen, nochmal gefiltert, verbessert, liest. Oder ob es nur die ersten Presseäußerungen sind. Und Herr Greinacher hat sich ja im Gegensatz zu den ersten Äußerungen, wo er sich ja komplett bedeckt gehalten hat, wie überhaupt dieser Mechanismus zustande kommt, dass bei AstraZeneca diese besonderen Thrombosen selten auftreten. Damals hat er nicht gesagt, wie es ist. Und wir haben ja so ein bisschen geraten im Podcast. Später stellte sich dann fest: Genau das ist der Mechanismus, Antikörper gegen diesen Plättchenfaktor 4 und vielleicht noch irgendetwas anderes. Die Frage ist nur: Was ist das andere? Was ist sozusagen der Auslöser für das Ganze? Und da hat er sich jetzt zum ersten Mal schon so ein bisschen deutlicher da in die Richtung geäußert, in der aktuellen Publikation. Dass es eben möglich wäre, dass diese große Menge von DNA, die man da spritzt, wenn man so eine VektorVakzine spritzt, dass die auch der Auslöser sein


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könnte für diese atypischen Antikörper. Also es geht schon so in der Diskussion – auch ohne, dass das jetzt wirklich belegt ist – aber es geht ein bisschen in die Richtung, dass das etwas Spezifisches ist, was diesen Vektor-Impfstoffen anhängt. Und da kann man nur noch einmal daran erinnern: Es gibt ja auch von der Europäischen Arzneimittel-Agentur und von den CDC in den USA riesige Erhebungen, um zu prüfen – das haben die natürlich als Erstes gemacht – ob das Problem auch bei den RNA-Impfstoffen irgendwie vermutet wird. Und alle Untersuchungen bei den RNA-Geimpften haben gezeigt, dass die Frequenz von solchen Hirnvenenthrombosen oder auch anderen atypischen Thrombosen überhaupt nicht erhöht ist. Also die ist komplett genauso wie bei der Durchschnittsbevölkerung. Und deshalb ist meine Vermutung schon deutlich, dass das ein Spezifikum der Vektor-Impfstoffe ist, was wir hier beobachten. Ja, es gibt Kollegen, die sagen „Nee, das ist ihrer Meinung nach das S-Protein, was da drin ist“. Also dieses Spike-Protein vom Coronavirus, was ja immer verwendet wird in den Impfstoffen. Aber auch wenn das öffentlich sehr exponiert diskutiert wird, würde ich schon dem entgegnen, dass man halt bei anderen Impfstoffen das absolut nicht sieht, obwohl die auch dieses Spike-Protein exprimieren. Und Herr Greinacher hat sich eben jetzt aktuell in der Publikation dann doch ein bisschen deutlicher festgelegt als in den ersten Äußerungen.


39:2 7 

Camillo Schumann

 Und alle Links zu Studien und interessanten Informationen, die wir hier besprechen, fassen wir dann immer noch einmal zusammen in der Schrift-Version dieses Podcasts unter jeder Ausgabe. Das nur noch schnell nachgereicht, weil wir ja jetzt ganz viele Links und Studien besprochen haben. Wer da noch mal reinschauen möchte.


Herr Kekulé, jetzt soll es um monoklonale Antikörper gehen im Kampf gegen Covid-19. Deutschland hatte ja für – über den Daumen – 400 Millionen Euro ungefähr 2 00.000 Dosen dieser Medikamente in den USA gekauft. Unter


anderem wurde das Medikament der Firma Eli Lilly gekauft. Bei uns hat das Medikament keine Zulassung, in den USA bis gestern eine Notfallzulassung. Aber die FDA, die Behörden, haben diese Notfallzulassung zurückgezogen. Für den Sprecher des Gesundheitsministeriums, Hanno Kautz, tangiert das jetzt den Umgang mit diesem Medikament in Deutschland nicht. Das hat er gestern gesagt auf der Bundespressekonferenz.


Hanno Kautz


Diese Antikörper sind nicht zugelassen in der EU. Deswegen muss uns diese Notfallzulassung der FDA insofern auch nicht – oder entzogene Notfallzulassung der FDA – auch insofern nicht zwingend kümmern. Es liegt in der Verantwortung der Ärzte, diese Antikörper einzusetzen. Es gibt aufgrund von Daten durchaus Grund zu der Annahme, dass sie helfen, wenn sie in einem sehr frühen Stadium verabreicht werden. Und bei Menschen, bei denen man einen schweren Verlauf vermutet.



Camillo Schumann



Warum wurde denn diese Notfallzulassung entzogen? Und muss uns das wirklich nicht tangieren?



Alexander Kekulé


Naja, also die Behörden tangiert es nicht, weil das ist völlig richtig, wenn man sich sozusagen nur um die Frage der Zulassung zu kümmern hat – und das ist ja der Auftrag der Behörde – dann hat der Sprecher hier natürlich völlig richtig gesagt: Wir haben eh keine Zulassung erteilt. Also müssen wir uns darüber keine Gedanken machen. Vielleicht muss man das noch einmal erklären mit den Zulassungen. Also dass ein Medikament zugelassen ist, auch per Notfallzulassung, hat ja bestimmte Voraussetzungen, hat dann bestimmte formale rechtliche Konsequenzen. Aber da, hinter der Zulassung, als nächste Stufe gibt es ja dann die Empfehlungen der Impfkommission. Die sind sozusagen immer für zugelassene Medikamente, da wird dann in der nächsten Stufe empfohlen: Wann empfehlen wir das denn einzusetzen? Und davor gibt es aber auch noch die Möglichkeit, Dinge einzusetzen, die nicht zugelassen,


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noch nicht oder gar nicht zugelassen sind. Man sagt dann auch Compassionate Use, also quasi in einer Verzweiflungsaktion verwendet werden oder auch im Rahmen von Studien. Und das wird natürlich gemacht. Und dieser Stoff, diese Antikörper, um den es hier geht, der heißt, ich habe es ja sogar vor mir: Bamlanivimab. Und zwar ist es so: -mab hinten heißt immer monoclonale antibody, also monoklonale Antikörper. So weit leicht. Und vorne überlegen sich die Hersteller immer irgendwelche exotischen Namen. Ehrlich gesagt fällt es mir häufig schwer, diese monoklonalen Antikörper auszusprechen. Also weil davor immer Namen stehen, wo man fast nie versteht, was das für eine Assoziation haben soll. Wie auch immer. Dieser schöne Antikörper mit dem lustigen Namen von Eli Lilly, der wirkt eben – da ist gerade was vielleicht nicht ganz richtig gesagt worden in der Pressekonferenz. Also, der ist zugelassen gewesen in den USA für ganz frühe Covid-Fälle. Weil es Daten gibt, dass, wenn man das ganz früh gibt, dass es dann manchmal dazu führt, dass die Krankheit nicht richtig beginnt oder nicht so schwer verläuft. Das ist irgendwie auch logisch, weil, wenn so ein Virus am Anfang sich beginnt auszubreiten, dann hat man natürlich mit einem Antikörper, der das Virus einfach quasi in seiner freien Form wegfängt eine faire Chance, die Schwere der Erkrankung zu reduzieren. Man reduziert letztlich so ein bisschen die Dosis, die da einwirkt auf den Körper. Wir wissen aber auch, dass diese Antikörper – nicht der konkrete, aber ähnliche Antikörper – im Spätstadium der Krankheit bei schweren Verläufen tatsächlich den Verlauf schlimmer machen können. Das ist auch logisch, weil nämlich der Krankheitsverlauf bei Covid – das ist ja das Interessante, ich kann es noch mal erwähnen, in meinem Buch habe ich da ja 2 Kapitel drüber geschrieben. Das ist ja das Interessante dazu: Bei dieser Infektion ist es ja so: Die krankmachende Wirkung macht eigentlich unser Immunsystem, also unser Immunsystem, das verrückt spielt und die eigenen Körperzellen zerstört. Das ist sozusagen der Grund, warum es im späteren Stadium zu diesen schweren Verläufen kommt. Und wenn


man jetzt so einen Antikörper dazu bringt, der möglicherweise die Zellen noch mal markiert, die vom Immunsystem kaputtgemacht werden. Weil, eine Zelle, wo ein Virus drinnen ist, da sind auch Teile des Virus auf der Oberfläche sichtbar fürs Immunsystem. Und so ein monoklonaler Antikörper, der kann sich da dransetzen und damit quasi die Immunantwort noch stimulieren. Und das will man verhindern. Das hat man beobachtet bei anderen monoklonalen Antikörpern und deshalb hat man von vornherein gesagt: Das Zeug ist nicht zugelassen für schwere Verläufe in den USA – ganz klar. Es ist nicht einmal zugelassen, das im Krankenhaus anzuwenden. Also es verboten ist, im Krankenhaus einzusetzen, sondern die Zulassung geht quasi nur für ambulante Patienten im Frühstadium. Und dann ahnt man schon: Was soll das eigentlich bringen? Ja, da weiß man ja noch gar nicht, wie schlimm es wird. Jetzt soll man in der Ambulanz ganz früh den Patienten was geben. Und da hat sich herausgestellt, dass die Mutanten, die in Amerika natürlich auch unterwegs sind, also da gibt es jetzt B.1.1.7, die kalifornische, die New Yorker Variante, und übrigens natürlich auch die indische ist schon da. P1 ist auch schon angekommen aus Brasilien. Also, was hab ich vergessen? Südafrika gibt es auch. Also es gibt ganz viele Varianten und noch ein paar, über die wir hier gar nicht gesprochen haben. Bei vielen von denen ist es eben so, dass dieser monoklonale Antikörper gar nicht mehr bindet. Das ist klar, der heißt ja monoklonal, weil es ein Antikörper ist, der von einer Sorte von Zellen produziert wird. Das sind so weiße Blutzellen, Lymphozyten, und dort die Untergruppe der Plasmazellen. So heißen die, die so etwas machen. Und das ist nur eine Sorte von Zellen, die exakt gleiche Antikörper produzieren. Die sind also so perfekt gleich wie man sich das nur vorstellen kann. Und das ist eigentlich eine ganz wichtige Eigenschaft dieser Antikörper, dass sie eben nur da binden, wo sie genau hin sollen, also Schlüssel-und-Schloss-Prinzip sagt man. Wenn da eine kleine Abweichung am Ziel ist, was gebunden werden soll, dann bindet der Antikörper schon nicht mehr. Das ist ganz


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toll für uns. In der Diagnostik benutzen wir diese Eigenschaft ständig, um eben ganz bestimmte Dinge zum Beispiel aus dem Blut rauszufischen. Und deshalb sind es ganz wichtige Sachen. Aber in der Therapie heißt es, sobald sich das Virus nur ein bisschen verändert – und das tut es ja – wirkt der Antikörper nicht mehr. Und das ist der Grund, warum die FDA, also die amerikanische Zulassungsbehörde, gesagt hat: „Der Nutzen überwiegt nicht mehr die möglichen Risiken – weg damit.“ Das war von Anfang an aus meiner Sicht ein bisschen ein Rohrkrepierer.


46:33 

Camillo Schumann

 Die Frage war ja, was es jetzt auch für uns hier in Deutschland für die Therapie bedeutet. Sie haben wunderbar rausdefiniert, dass das Bundesgesundheitsministerium da jetzt gerne die Hände heben kann. Das heißt ja: Dort, wo es eingesetzt wird, hier bei uns, an den Krankenhäusern, in der Therapie, unter Beaufsichtigung, möglicherweise an der ein oder anderen Studie, sollte man sich das schon noch mal genauer anschauen.



Alexander Kekulé


Es kommt halt darauf an, wie häufig wir Varianten haben. Aber es ist wohl selbst bei B.1.1.7 nicht mehr richtig wirksam. Und wenn man das eben jetzt weiß, dann muss man die Studien überprüfen. Ich muss zugeben, ich weiß gar nicht, wie viel das bei uns jetzt in Studien eingesetzt wird. Es ist bekannt, dass da sehr viel von gekauft wurde und Geld für ausgegeben wurde. Finde ich auch nach wie vor richtig. Besser erst einmal kaufen, als dann hinterher nichts haben, wie bei den Impfstoffen. Aber ich würde wahrscheinlich als Studienleiter jetzt schon mal genau überlegen, ob ich aufgrund dieser neuen Daten das noch verantworten kann. Vor allem, weil wir wirklich wissen von anderen Antikörpern und von anderen Therapien, die so ähnlich funktionieren, dass schwere Verläufe eigentlich nicht mehr beeinflussbar sind. Da haben wir auch schon oft darüber gesprochen. Dieses Thema Serumtherapie, also die Idee, quasi von einem, der


die Krankheit durchgemacht hat, der hat ja nicht nur eine Sorte Antikörper, sondern eine Riesenarmada von Antikörpern da drinnen gegen Covid-19 oder Sars-Cov-2 , den Krankheitserreger. Und da gibt es ja die Idee, dieses Serum rauszunehmen und das Serum quasi therapeutisch zu verwenden. Uralte Sache, ist im späten Mittelalter schon versucht worden. Gegen alle möglichen Krankheiten. Haben wir auch bei Ebola in Westafrika 2 014 versucht. Und ich muss sagen, ich war immer ein großer Verfechter von dieser Idee, weil das auch irgendwie so plausibel ist. Der Eine hat es durchgemacht, der hat die Antikörper, der gibt die an den Anderen ab und verhindert, dass der schwer krank wird. Aber auch bei Ebola, da hat man dann solche Studien gemacht, hat es überhaupt nicht die Erfolge gezeigt, die man sich gewünscht hat. Und ganz aktuell, das ist jetzt auch in den USA gerade analysiert worden, ist man eigentlich der Meinung, dass die Plasmatherapie, die auch in Deutschland zum Teil versucht wurde, auch bei Covid-19 nichts bringt. Zumindest bei den weiter fortgeschrittenen Verläufen nichts bringt. Die Daten sind inzwischen leider völlig frustrierend, das ist irgendwie in den Ofen gegangen. Donald Trump hat das ja wahnsinnig forciert. Dieses Plasmatherapie-Thema, das war ja neben dem Malariamittel seine Lieblingsidee, dass man damit die Menschen heilen könnte. Aber da muss man einfach sagen: Trotz sehr, sehr vieler Studien, die zum Teil auch noch laufen – das bringt nichts. Man kommt mit diesen Antikörpern nicht weit. Bleibt noch einer im Rennen. Das ist Regeneron. Das sind 2 monoklonale Antikörper, die kombiniert werden, die auf so Hamsterzellen gemacht werden. Das ist der Antikörper, den Donald Trump ganz am Anfang seiner Erkrankung bekommen hat, der US-Präsident. Und wo er dann immer geschwärmt hat, das hätte ihm geholfen. Es weiß keiner, ob es das war. Aber wir wissen tatsächlich, dass der Regeneron-Antikörper – und ich glaube, den haben die Deutschen auch eingekauft – dass der tatsächlich im Frühstadium zumindest bei den bisherigen Varianten was gebracht hat. Also dass der wirklich den Krank-


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heitsverlauf signifikant verbessert hat, abgemildert hat. Aber hier haben wir eben auch diese 2 Probleme: Auch der RegeneronAntikörper bringt keinen Nutzen bei schweren Verläufen, wenn Covid erst mal schwer ist, weil man dann das Immunsystem unter Kontrolle halten muss, mit Kortison und Ähnlichem. Und er ist eben mit hoher Wahrscheinlichkeit demnächst gegen die neuen Varianten nicht mehr wirksam wegen dieses Schlüssel-SchlossPrinzips. Und deshalb sind wir irgendwie mit diesen tollen Antikörpertherapien, die ja eigentlich ganz, ganz tolle Aussichten hatten und wo wahrscheinlich viele Kollegen – zu denen gehörte ich auch – so Hoffnung reingesetzt haben, da sind wir irgendwie so kurz vor dem Ende der Fahnenstange.



Camillo Schumann



Und dann wird es möglicherweise auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis man dann feststellt: Okay, diese 400 Millionen Euro haben wir möglicherweise in den Sand gesetzt. Das ist aber Lehrgeld in dieser Pandemie, oder? Sei jetzt nicht umsonst ausgegeben.



Alexander Kekulé


Also das ist Lehrgeld, und ich muss jetzt sagen, wenn ich jetzt da zu dem erlauchten Kreis derer gehört hätte, die die Empfehlungen aussprechen dürfen. Das Interessante ist, man weiß ja nie genau, auf wessen Empfehlung das gelaufen ist. Aber die, die da im Dunkeln in den Hinterzimmern die Empfehlungen ausgesprochen haben: Das hätte ich auch empfohlen. Ich hätte auch gesagt, man soll diese monoklonalen Antikörper einkaufen, weil sie ein Lückenfüller sein können, weil sie auch im Sinne von Prophylaxe etwas bringen können. In der Situation, wo zum Beispiel in einem Haushalt, da hatten wir ja kürzlich sogar ein Hörer, der so eine Idee hatte, glaube ich, so eine ähnliche Idee. Also man könnte ja im gleichen Haushalt tatsächlich die, die noch nicht infiziert sind, wenn ein Infizierter da ist, damit schützen durch so eine passive Immunisierung. Und es gibt viele andere Bereiche, wo das eine Anwendung hat. Ich hätte es deshalb empfohlen, weil mir auch nicht klar war – das war für mich


so eine der Fehleinschätzungen dieser Pandemie – wie schnell diese Mutanten und diese Varianten sich durchsetzen. Dass die kommen, war völlig klar. Aber ich dachte eher, dass ist so: Nach sechs Monaten geht es mal los. Nach einem Jahr haben wir ernsthaft damit zu tun. Aber dass wir jetzt nach einem Jahr Pandemie wahrscheinlich weltweit zehn, zwanzig, dreißig Varianten zirkulieren haben, von denen wir nur einen Teil wirklich auf dem Schirm haben, das hätte ich nicht gedacht, dass es so schnell geht. Und das macht uns im Grunde genommen die Optionen für diese Antikörpertherapien kaputt, weil eben insbesondere die monoklonalen Antikörper eben genau dieses Ziel brauchen. Und wenn sie das nicht mehr haben, wenn es sich ein bisschen verändert hat, dann versagen die vollkommen.


52 :03 

Camillo Schumann

 Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Frau S. hat angerufen und eine Theorie zu den Sinusvenenthrombosen bei AstraZeneca.


Frau S.


Ist es nicht so, wer die erste Impfung mit AstraZeneca vertragen hat und keine Thrombose bekommen hat, ob dann nicht eine zweite Impfung auch gefahrlos zu geben wäre.



Alexander Kekulé


Das wüssten wir alle gerne. Also ich plädiere ja dringend dafür und ich habe so das Gefühl, dass das nicht gemacht wird, zumindest zu wenig Daten bis jetzt da. Dass man wirklich nachschaut: Wie ist es bei den Leuten, die den AstraZeneca-Impfstoff bekommen haben? Gibt es da generell allgemein unter denen, die geimpft wurden, Veränderungen bei den Blutwerten im weitesten Sinne. Bei den Gerinnungswerten? Wir hatten über die D-Dimere gesprochen. Es gibt diese speziellen Antikörper, die der Herr Greinacher da entdeckt hat, aus Greifswald. Die kann man mit einem relativ einfachen Test, der auch in vielen größeren Laboren vorhanden ist, tatsächlich glücklicherweise zufälligerweise nachweisen. Das heißt also, man müsste im Grunde genommen schauen: Ist es ein Phänomen, was es häufig


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gibt, was dann nur selten diese Sinusvenenthrombosen und andere Thrombosen macht? Oder ist dieses Phänomen der Blutwerteveränderung als solches extrem selten? Das wäre natürlich dann die beruhigende Variante. Und wenn es häufiger ist oder zumindest so häufig ist, dass man es irgendwie messen kann, dann ist eben die Frage: Kann man das zuordnen irgendwelchen Risikogruppen? Und ist es vielleicht wirklich so, dass da Frauen mehr gefährdet sind? Ist es vielleicht wirklich so, dass jüngere mehr gefährdet sind? Und ich kann mir gut vorstellen, dass auch weitere Parameter, die man im Labor feststellen kann, vielleicht da zur Eingrenzung der Risikogruppe reichen würden. Und in dem Zusammenhang würde man natürlich dann auch sehr schnell feststellen: Wie ist es eigentlich bei Leuten, die das schon einmal gekriegt haben? Haben Sie bei der zweiten Impfung denn dann überhaupt noch ein Risiko, so eine Thrombose zu entwickeln? Weil man kann sich da 2 Theorien zurechtlegen. Die eine wäre, wenn es etwas wäre, was sozusagen mit dem „BoosterEffekt“, also mit diesem Auffrischungseffekt der zweiten Impfung auch zu tun haben könnte. Dann müsste es nach der Zweitimpfung häufiger sein, weil einfach das Immunsystem beim zweiten Mal schon quasi wie ein scharfgemachter Hund auf dieses Virus wartet. Und wenn man also beim zweiten Mal mit dem gleichen Impfstoff kommt, dann explodiert quasi die Immunantwort. Und das ist ja auch deshalb das, was man will. Darum heißt es ja im Amerikanischen „Booster“. Also wie diese zweiten Raketen. An großen Raketen gibt es doch so eine Booster-Rakete, die dann noch mal an einer dran ist. Oder die andere Variante. Das ist jetzt die, die ich eigentlich für viel wahrscheinlicher halte: Bei den wenigen Menschen, wo das auftritt, gibt es eine seltene Konstellation, die vielleicht was sogar mit der Genetik zu tun hat, die dazu führt, dass die eben diese Überreaktion zeigen, dass sie diese Sinusvenenthrombosen haben. Und wenn das zutrifft, dann wäre es tatsächlich so, dass jemand, der es beim ersten Mal überstanden hat, das auch beim zweiten Mal übersteht. Das


wäre meine Arbeitshypothese. Ohne, dass es dafür jetzt – weil die Zahlen ja so winzig sind – ausreichende Belege gibt. Ich habe genauso die Arbeitshypothese – das kann ich ja hier so ein bisschen ungeschützt sagen: Jemand, der einmal Covid-19 hatte. Und da gibt es ja viele, viele, die das völlig harmlos durchgemacht haben. Wenn der das nochmal kriegt, und sei es mit einer Variante, dann gehe ich davon aus, dass der eigentlich eine extrem geringe Wahrscheinlichkeit hat, beim zweiten Mal daran zu sterben. Weil ich davon ausgehe, dass es individuelle Faktoren gibt, sei es genetisch, sei es irgendetwas hormonelles, das Alter, wie das Immunsystem drauf ist, die eben bei den Menschen, wo es so wahnsinnig schlimm verläuft, dafür sorgen, dass es diese tödlichen Verläufe gibt. Und wenn man zu dieser Gruppe, die wir jetzt medizinisch leider noch nicht abgrenzen können, eben nicht gehört, dann ist eben die zweite Infektion nicht so schlimm. Also hoffentlich nicht so schlimm. Und dann ist eben auch die zweite Impfung mit einem Vektor-Impfstoff nicht so schlimm. Aber das könnten wir eben gerade jetzt bei den VektorImpfstoffen rauskriegen. Das Fenster geht langsam zu, weil sich ja kaum noch jemand damit impfen lässt oder die Risikogruppen zumindest in Deutschland jetzt nicht mehr geimpft werden. Die möglichen Risikogruppen. Deshalb muss man anhand derer, die gerade geimpft wurden, sofort danach diese Studien machen. Und ich muss jetzt zugeben bis jetzt habe ich noch nicht erkannt, dass diese Studien gestartet worden wären. Aber vielleicht gibt es irgendwo, ohne dass das auf dem Radar ist.


56:2 0 

Camillo Schumann

 Julia hat gemailt: Mich würde interessieren, ob Professor Kekulé mehr über den so genannten „Corona-Zeh“ weiß. Laut der Beschreibung, wie man sie im Internet findet, hatte ich genau diesen Ausschlag an den Füßen, der anscheinend vor allem bei asymptomatischen Verläufen manchmal auftritt. Viele Grüße, Julia.


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Der „Corona-Zeh“ sieht schon wirklich ein bisschen wild aus, muss man sagen.



Alexander Kekulé


Also ich weiß darüber nicht so viel. Es ist bekannt, da geistern schon länger so Einzelberichte durch die Fachpresse, dass einige Patienten, die Covid-19 durchgemacht haben, später dann so etwas kriegen, was aussieht wie kleine Durchblutungsstörungen an den Zehen und an den Fingern. Es sieht wirklich genau aus wie so eine Mikrothrombose, wie man die auch manchmal bei bakteriellen Infektionen sieht. Also bei Staphylokokken-Infektionen sieht man auch so etwas Ähnliches. Die tun aber angeblich weniger weh. Also diese bakteriellen Thrombosen sind eher schmerzhaft. Und man kennt so ähnliche Phänomene. Die Hautärzte wissen das von anderen Virusinfektionen. Es gibt es ein paar exotische Viren, die so etwas Ähnliches machen. Das Interessante ist hier: Wenn das jetzt Mikrothrombosen wären, bei Covid-19, da würde man die ja eigentlich im akuten Krankheitsgeschehen erwarten. So wie wir wissen, dass Mikrothrombosen ein Riesenfaktor sind beim Organversagen bei Covid-19; ein Riesenfaktor sind auch beim Versagen der Lunge dort. Aber dieser „CoronaZeh“ – oder das gleiche auch an den Fingern – das tritt typischerweise erst nach ungefähr 2 Wochen auf. Und die Patienten sind sonst eigentlich wieder gesund. Und deshalb ist es irgendwie nicht ganz plausibel, dass das jetzt so Thrombosen sein sollen, die unmittelbar mit dem Virus zu tun haben. Aber da wir ja immer sprechen über diese Nebenwirkungen oder mögliche Nebenwirkungen von den VektorImpfstoffen, die ja auch erst nach – sag ich mal – vier bis 14 Tagen nach der Impfung auftreten und wir also daher wissen: Es gibt irgendwelche Mechanismen, die scheinbar so indirekt quasi die Blutgerinnung beeinflussen. Kann man natürlich spekulieren, dass auch die Coronavirus-Infektion auch so eine Art Sekundäreffekt hat, der erst nach ein, 2 Wochen Auftritt. Das ist für Virologen deshalb spannend, weil wir noch nie so eine große Kohorte hatten von Personen, die wir so genau analysiert haben. Ja, also der letzte Riesenausbruch


war ja, wo es so ähnliche Situationen gab mit Impfungen war ja eigentlich Polio in den in den Sechziger/ Siebziger-Jahren. Da hat man die Kinderlähmungs-Impfungen gehabt. Mensch, da hat man einfach geimpft, und einige haben Lähmungen gekriegt und einige nicht. Und das hat man auch spät festgestellt, dass überhaupt das Poliovirus so häufig gefährlich ist. Das ist ja unter ein Prozent der Kinder, die da überhaupt Symptome haben. Und da hat man das alles irgendwie weniger genau angeschaut. Und heute ist es das weltweite Internet, ist es die Presse. Jeder Arzt, der irgendetwas sieht, meldet das. Und dadurch gucken wir durch eine supergenaue Lupe diese Pandemie an und finden deshalb total seltene Nebenwirkungen oder seltene Phänomene auch. Und kann schon sein, dass dieser „Covid-Zeh“ so ein seltenes Phänomen ist, was wir vielleicht bei anderen Virusinfektionen bisher übersehen haben.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 172 . Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Gerne, bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Und wer das ein oder andere Thema noch mal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 17. April 2 02 1 #171: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Wer sich jetzt gegen Sars-CoV-2  impfen lässt, wird im Herbst an der Grippe sterben. Stimmt das?


Dann: Ist eine Impfung nicht gefährlicher als die Krankheit selbst?


Welcher Impfstoff ist für Menschen mit Allergien zu empfehlen?


Schützt eine mRNA-Impfung vor allen Virusvarianten auf einmal oder muss man sich jedes Jahr neu impfen lassen?



Camillo Schumann



Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.


0:42 



Camillo Schumann



Die S. hat uns eine Mail geschrieben:


„Mich beschäftigen 2 Fragen. Meine Mutter hat sich leider den Querdenkern angeschlossen. Und auch, wenn ich mich sonst ganz gut von deren Gedankengut abgrenzen und vieles widerlegen kann, kann ich manche Dinge selbst nicht nachprüfen. Und es bleibt Unsicherheit zurück. Erstens: Meine Mutter behauptet: Dadurch, dass wir alle so lange eine Maske tragen müssen, fährt das Immunsystem herunter und wir werden anfällig für alle möglichen Erreger. Was dazu führen soll, dass viele Menschen später – bei Kontakt mit Erregern egal


welcher Art – sterben werden, weil das Immunsystem seine Arbeit nicht mehr tun kann. Ist das überhaupt möglich?“



Alexander Kekulé


Also, ich würde sagen: Das ist natürlich eine reine Theorie. Man kann es nicht ganz ausschließen für Kinder. Bei Kindern ist es so, dass die, so wie man beim normalen Lernen bestimmte Fenster hat als Mensch, wo man aufnahmefähig ist – ganz offensichtlich ist es ja beim Erlernen einer Sprache – so gibt es beim Lernen des Immunsystems, was auf jeden Fall die ersten vier Jahre dauert, vielleicht sogar ein bisschen länger noch bis in die Grundschule hinein, dass in der Phase natürlich bestimmte Prägungen, wenn ich es mal so sagen darf, eigentlich gut wären oder gut sind. Das Problem ist: Das haben wir da noch nicht so genau untersucht. Es gibt ein paar Studien dazu, aber keine wirklich handfeste Theorie. Und deshalb ist es möglich, dass in einem bestimmten Alter das Weglassen von Stimulationen durch irgendwelche Viren, Bakterien – was man halt alles so inhaliert, wenn man da nur so einen Meter weit weg vom Boden ist – dass das unter Umständen, klar, das kann langfristig Nachteile haben. Ob man jetzt gleich daran stirbt, würde ich mal bezweifeln, ja. Aber es könnte zum Beispiel sein, ich sag mal so, dass die Quote dann an Allergiepatienten vielleicht ein bisschen steigt in einer bestimmten Altersgruppe, wenn man das Ganze in 2 0 Jahren nachuntersucht. Da wird man sagen: Aha, die CoronaKinder, da ist das und das ein bisschen häufiger. Aber ich würde sagen, es gibt überhaupt keinen theoretischen Grund, anzunehmen, dass es da wirklich um Leben und Tod geht. Und bei Erwachsenen würde ich das fast ausschließen. Weil bei Erwachsenen ist das Immunsystem längst ausgereift und da ist es eher gut, wenn sie dann mal eine Zeit lang weniger Krankheitserreger haben. Im Gegenteil, ich glaube, wenn man dann nach Corona so eine Bilanz aufmacht, da werden nicht nur die Leute dann aufschreiben, was der Spaß gekostet hat, sondern da werden die auch aufschreiben, wie viele Leute sind zum Beispiel dadurch nicht krank geworden oder nicht gestorben, da sie sich ja auch vor Influenza geschützt haben. Wir haben ja die Influenza-Saison im Grunde genommen beseitigt dieses Jahr. Und das sind natürlich auch Tote, die vermieden wurden.


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Die müssen sie im Grunde genommen dann auch wieder auf der Plusseite registrieren, auch wenn das Kollateral-Schutzeffekte sind. Und ich glaube, insgesamt ist diese ganze Argumentation von den Querdenkern an der Stelle am leichtesten auszuhebeln. Also wenn ich jetzt meine Mutter überzeugen müsste – die ist kein Querdenker – aber dann würde ich wahrscheinlich sagen: Schau mal, ganz sicher ist doch, dass weniger Leute Influenza kriegen, dass weniger Leute Tuberkulose kriegen und andere Erkrankungen, das ist ja offensichtlich. Und die, die da verhindert werden, das sind handfeste Todesfälle, die verhindert werden. Und das sind auf jeden Fall mehr als die, die vielleicht durch irgendwelche Irritationen des Immunsystems auf lange Zeit gesehen entstehen können.


3:58



Camillo Schumann



Auch über die Influenza macht sich S. Mutter Gedanken.


„Sie behauptet auch, dass alle, die sich jetzt impfen lassen, im Herbst bei einer Infektion mit dem Grippevirus sterben werden, weil die Impfung in Kombination mit dem Grippevirus einen tödlichen Zytokinsturm auslösen würde. Nun ist mir dieser Zytokinsturm zwar ein Begriff, aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Leider finde ich zu beidem keine fundierte Antwort im Internet. Ich würde mich sehr freuen.


Und viele Grüße, S.“



Alexander Kekulé


Also da darf ich es, glaube ich, kurz machen: Das ist Quatsch. Also Zytokinsturm zusammen mit dem – also Impfung plus Grippevirus ist gleich Zytokinsturm: Da gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf. Das wüsste ich also definitiv, wenn es da auch nur den Ansatz eines Hinweises gäbe. Aus Sicht der Querdenker würde ich mir den Spaß erlauben, dass es ja eigentlich aus deren Sicht nur gut sein könnte, wenn jetzt die ganzen Orthodoxen, die sich brav haben impfen lassen, dann plötzlich weg sind. Dann sind die Querdenker ja unter sich. Das ist doch eigentlich dann die heile Welt, oder nicht?


4:59



Camillo Schumann



Frau B. aus Schwarzenberg hat angerufen und folgende provokante Frage:


„Vor einiger Zeit sprach Professor Kekulé vom Impfstoff zweiter Klasse. Damals wurde er für unter 65-Jährige verimpft, da es für Ältere keine Studien gab. Jetzt dreht man es um. Wo nimmt man jetzt plötzlich die Studien her? Mir kommt es so vor, als ob Menschen mit 60 jetzt Personen der zweiten Klasse sind. Vielleicht kann Herr Professor Kekulé eine Antwort darauf geben.“


Das macht er.



Alexander Kekulé


Ja. Also die zweite Klasse bezog sich nicht darauf, dass es nicht genug Daten für die Älteren gab, sondern auf die vielen, sage ich mal, Nachteile, die diese Impfstoffe – die Vektorimpfstoffe – gegenüber den RNA-Impfstoffen haben. Bezüglich des Alters, ja, das war so eine Spezialität eigentlich in Deutschland und einigen anderen Ländern auch. Die Ständige Impfkommission hat einfach ganz am Anfang gesagt: Wenn wir uns die Zulassungsdaten anschauen von AstraZeneca, dann stellen wir einfach fest, dass es da keine harten Hinweise darauf gibt, das überhaupt bei alten Leuten jetzt hier eine Wirksamkeit festgestellt wurde. Das lag daran, dass da eben insgesamt vier bis fünf Studien gemacht wurden – eigentlich sollten es mal fünf sein, dann waren es nur noch vier. Dann wurden am Schluss nur 2 von denen ausgewertet. Aus Gründen, die nicht genau transparent gemacht wurden. Die eine in Brasilien, die andere im Vereinigten Königreich. Und dann hat sich eben herausgestellt, dass man in Brasilien aus Versehen die falsche Dosis genommen hat, weil ein Hersteller das falsch zusammengemixt hat. Und hat gesagt: Okay, dann machen wir beim zweiten Mal die reguläre Dosis und beim ersten Mal die halbe Dosis. Und dann gab es diese merkwürdigen Daten und so weiter und so weiter. Dann hat AstraZeneca auch schlecht kommuniziert. Die Europäische Arzneimittelbehörde sagt deshalb zu Recht, die Zulassungsdaten seien suboptimal. So und mit dieser Vorgeschichte war es eigentlich korrekt, dass die Ständige Impfkommission in Deutschland gesagt hat: Das schauen wir uns erstmal an. Aber diese Studien


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sind ja weitergelaufen. Also das sind ja immer nur Zwischenauswertungen. Muss man vielleicht erklären: Wenn so eine Zulassungsstudie eingereicht wird bei der Behörde, das ist immer eine Zwischenauswertung, die ist noch nicht zu Ende. Sondern solche Studien werden typischerweise, sage ich mal, auf 2 Jahre angesetzt. Das wäre so ein typischer Zeitraum, weil man ja auch Langzeit-Nebenwirkungen sehen will. Und dann werden zum Teil auch weitere Probanden rekrutiert zwischendurch. Bei AstraZeneca hat man ja quasi alles nochmal aufgemacht, weil die amerikanische Zulassungsbehörde das haben wollte. Da hat man es quasi nochmal wiederholt in den USA das Ganze mit neuen Probanden, sodass es eine Studie ist, die läuft und läuft und läuft. Und da haben sich im Lauf der Zeit natürlich dann jetzt auch große Zahlen von Personen über 60, 65 Jahren angesammelt, die man auch ausgewertet hat. Und aufgrund dieser weiteren Auswertungen plus aufgrund der Beobachtungen im wirklichen Leben – da hat man ja zum Beispiel in Schottland sich das angeschaut: Wie ist das bei den Älteren? Die Engländer haben ja erstmal alle munter geimpft. Und da kann man einfach sagen: Unterm Strich ist es so, dass wir sehen, dass es zumindest keinen deutlichen Unterschied in der Wirksamkeit bei der AstraZeneca Vakzine gibt zwischen älteren Menschen – ich sag jetzt mal so im Alter 60 bis 80 – und Leuten, die jünger sind, vielleicht mal so 40 bis 60. Und wenn es da keinen großen Unterschied gibt, aber bei den Jüngeren relativ gute Daten inzwischen bestehen, dass der Impfstoff wirksam ist, dann kann man zu Recht sagen: Okay, jetzt haben wir genug Informationen und jetzt empfehlen wir es auch für die Älteren. Und genau das hat die Impfkommission gemacht. Da wurde nicht ein Impfstoff zweiter Klasse sozusagen für die Oldies verteilt.


8:43



Camillo Schumann



Frau K. vom schönen Chiemsee hat angerufen und folgende Schlussfolgerung. Und will wissen, ob sie stimmt:


„Wenn sich durch die Impfung eine Sinusvenenthrombose bildet, müsste man dann nicht davon ausgehen, dass auch die Erkrankung eine solche hervorgerufen hätte? Oder ganz allgemein gefragt: Liege ich falsch, wenn


ich vermute, dass eine Impfreaktion immer nur so schlimm sein kann, wie die Erkrankung selbst? Also maximal so schlimm sein kann wie die Erkrankung selbst? Oder sind tatsächlich durch eine Impfung auch Erkrankungen möglich, die durch den Krankheitserreger selbst gar nicht auszulösen wären? Das würde mich mal sehr interessieren, denn das würde natürlich auch in der Debatte mit Impfgegnern nochmal ein bisschen einen anderen Ton reinbringen sozusagen. Dann müsste man ja vor den Impfungen nicht mehr Angst haben als vor der Krankheit selbst.“



Alexander Kekulé


Ja, also das ist eine ganz interessante und kluge Frage, finde ich. Also grundsätzlich stimmt es, dass der Impfstoff – traditionell sind Impfstoffe eigentlich abgeschwächte, kaputte Erreger. Also das berühmte Beispiel mit den Pocken, wo man die Pockenviren dann einfach getrocknet hat oder wärmebehandelt hat. Und dann waren sie eben nicht mehr stark genug, um eine Krankheit auszulösen, aber noch gut genug, um eine Impfreaktion auszulösen, also eine Immunität. Da gilt es, dass der Impfstoff – mal so grundsätzlich – höchstens das machen könnte, was die Krankheit macht. Und das aber dann auch nur im schlimmsten Fall, wenn man nicht richtig getrocknet hat, zum Beispiel. Gab es übrigens im alten China auch, da ging es dann den Leibärzten schlecht, wenn sie die Sachen nicht richtig präpariert hatten. Aber es ist so, dass wir jetzt natürlich eine besondere Generation von neuen Impfstoffen haben. Und hier sprechen wir ja von Vektorimpfstoffen. Da ist es so, dass die Nebenwirkung natürlich auch durch den Vektor kommen kann und speziell die Impfreaktion – also wir unterscheiden da ja, wenn man genauer hinschaut, zwischen Impfreaktion, das ist quasi Schwellung, Rötung, Schmerzen an der Einstichstelle plus so allgemeine Erscheinungen, die ein paar Tage dauern können. Das fühlt sich alles ein bisschen so ähnlich an wie eine Virusinfektion und ist letztlich der gewünschte Effekt. Nämlich, dass das Immunsystem auf diesen Impfstoff reagiert, als wäre es ein Krankheitserreger. Und dabei natürlich auch die Antikörper und die Lymphozyten fabriziert, die man braucht, um so ein Virus dann später abzuwehren. Also, das ist die Impfreaktion. Und dann gibt es noch die echten Nebenwirkungen, also die unerwünschten


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Nebenwirkungen. Zu denen gehört natürlich dann, wenn später Hirnvenenthrombosen auftreten. Und da muss man schon sagen: Gerade diese Nebenwirkungen können natürlich auch speziell mit dem Impfstoff zusammenhängen. Das wissen wir in dem Fall nicht, aber es sieht verdammt danach aus, weil wir hier eine Nebenwirkung haben, die typischerweise bisher nur bei den Vektorimpfstoffen beobachtet wurde. Und Vektor heißt ja, dass ein Adenovirus, also ein harmloses Erkältungsvirus eigentlich, verwendet wird, um darin zu verpacken die Gebrauchsanweisung, wie man dieses Spike-Protein vom Coronavirus – vom Sars-CoV-2  – produziert. Und dieses Vektorvirus selber ist zwar nicht vermehrungsfähig – da hat man genetisch was verändert, damit sich das nicht vermehren kann – aber es sieht halt trotzdem noch aus wie ein Virus und hat eben viele Eigenschaften noch von so einem Virus. Und da ist es eben durchaus möglich, dass zum einen die Impfreaktion von diesem Vektorvirus kommt. Wir gehen tatsächlich davon aus – das ist noch nicht so genau untersucht – aber die allgemeine Annahme ist, dass diese relativ stärkeren Impfreaktionen bei den Vektorimpfstoffen, also bei AstraZeneca konkret, dass das – im Vergleich zu den RNA-Impfstoffen – eben mit dem Adenovirus zusammenhängt. Also das sozusagen der größte Teil dieser Impfreaktion gar nicht gegen das Spike ist von dem SarsCoV-2 , sondern tatsächlich gegen den Vektor, also sozusagen gegen die Verpackung. Also nicht der Inhalt des Päckchens, sondern das Päckchen außen stimuliert das Immunsystem und macht dann eben auch die starke Impfreaktion. Und ja, das kann eben dann auch eigene Nebenwirkungen machen, die völlig unabhängig sind und anders geartet sind als bei einer Corona-Infektion. Das Gleiche gilt rein theoretisch auch für diese Lipid-Nanopartikel bei den RNA-Viren. Das ist ja auch so etwas künstlich Fabriziertes, wo man eben nicht genau wusste: Hat das Nebenwirkungen oder nicht? Aber, da würde ich jetzt mal sagen, nachdem eben, meines Wissens, dreistellige Millionenzahlen schon verimpft wurden und man nichts gesehen hat, würde ich jetzt sagen, da sind anfängliche Bedenken, die viele Fachleute hatten – dass diese Lipid-Nanopartikel irgendwelche Gefahren bergen – eigentlich zerstreut. Und deshalb kann man den Impfge-


gnern leider nicht sagen: Dieser Vektorimpfstoff macht überhaupt nichts, was das SarsCoV-2  nicht auch machen würde. Man kann aber vielleicht Folgendes sagen: Ja, Thrombosen treten bei ganz vielen Viren auf. Auch die anderen unerwünschten Reaktionen gibt es bei vielen Viren. Es gibt auch diese Blutungsneigung der Kapillare, die manchmal Auftritt nach Impfungen. Auch das gibt es bei der Coronavirus-Infektion. Und da ist es natürlich so, dass es das dort viel, viel häufiger gibt. Also wenn man sich das Virus holt, ist es in jeder Hinsicht mit allem, was man kriegen kann, viel, viel gefährlicher als der Impfstoff. Das ist völlig klar. Also die Debatte ist klar. Die Frage, die sich jeder individuell einfach nur stellen muss, ist: Kann ich in meinem Leben verhindern, dass ich mir Sars-CoV-2  hole? Also wenn man sagt: Das kann ich verhindern, hier auf meiner einsamen Insel in der Südsee kriege ich das definitiv nicht – oder anderweitig durch Masken und alle möglichen Schutzmaßnahmen, ich verhindere das anderweitig – das wäre ein Grund, sich nicht zu impfen. Oder wenn man sagt: Ich bin noch so jung, dass in meinem Alter die Wahrscheinlichkeit, dass es eine schwere Infektion gibt, einfach so gering ist – das Risiko nehme ich in Kauf. Also das sind so die klassischen Überlegungen. Aber wie gesagt, es gibt leider Nebenwirkungen von Impfstoffen – gerade bei diesen neuen jetzt – die nichts zu tun haben mit dem, was die Erkrankung selbst machen würde.


14:55



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen und folgende Frage auch zum Impfstoff:


„Welcher Impfstoff ist für Menschen mit Allergien – bei mir speziell Histamin und LaktoseUnverträglichkeit, Gefährdung bei Amoxicillin, Sulfiten, Pflanzenzusätzen, Wespengift – am ehesten zu empfehlen.“



Alexander Kekulé


Also eigentlich ist die Ständige Impfkommission dafür zuständig. Ich weiß gar nicht, ob die sich da jetzt schon geäußert haben. Aber es ist ja so wie bei der letzten Frage auch. Die Vektorimpfstoffe sind einfach stärker reaktogen. Das ist so. Und ein Teil der Reaktogenität – wenn nicht der größte Teil – kommt wohl vom Vektor selber. Und deshalb würde ich bei jeman-


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dem, der Allergiker ist – wo also das Immunsystem sowieso dazu tendiert, bei bestimmten Kontakten mit Umweltsubstanzen überzureagieren – würde ich dann einen weniger reaktogenen Impfstoff nehmen. Und das sind in dem Fall die RNA-Impfstoffe, also Pfizer oder Moderna.


15:57



Camillo Schumann



Herr B. fragt:


„Können die mRNA-Impfstoffe derartig angepasst werden, dass es einen einheitlichen Impfstoff gegen alle relevanten Varianten gibt? Oder muss man für jede relevante Virusmutation, wenn man den optimalen Schutz möchte, eine separate Impfung sich einholen? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Das wissen wir noch nicht genau. Also die Hoffnung ist, dass es nicht so gruselig wird wie bei Influenza, wo man jedes Jahr etwas Neues basteln muss und seit vielen Jahren das nicht hinbekommt, einen Impfstoff für alle Influenzaviren zu generieren. Manche Fachleute haben so den Verdacht, dass die Industrie bei Influenza jetzt auch nicht so die große Motivation hat, so etwas zu entwickeln. Weil dann würden alle Leute ja nur noch einmal geimpft und dieses Geschäft, was alle Jahre wieder – oder zweimal im Jahr sogar, einmal Nordhalbkugel, einmal Südhalbkugel – da sozusagen einen Geldsegen bringt, dieses Geschäft würde wegbrechen. Aber das sind natürlich ganz böse Menschen, die so denken. Bei Coronaviren ist es so: Wir wissen nicht genau, ob dieses SpikeProtein – dagegen gehen ja im Moment die RNA-Impfstoffe – ob dieses Spike-Protein irgendeine Ecke hat, die quasi das Virus nicht verändern kann, ohne sich selbst kaputt zu machen, ohne nicht mehr vermehrungsfähig zu sein. Und die aber geeignet ist für eine Impfung. Das ist gar nicht so einfach, weil das muss ja eine Ecke dieses Proteins sein, die – wie wir sagen – dann immunogen ist, wo also dann Antikörper dagegen gebildet werden und TZellen aktiviert werden dagegen. Und diese Regionen dort – diese Domänen des Proteins, die dann immunogen sind – die sind meistens ähnlich. Meistens die Bereiche, die das Virus auch verändern kann, ohne seiner eigenen Vermehrungsfähigkeit zu schaden. Weil die


Viren gibt es ja schon eine Weile. Die haben ja früher am Tier schon eine Evolution durchgemacht. Und deshalb haben die das schon so optimiert, dass die Immunsystemen bei Säugern ganz gut entkommen können. In Großbritannien bei B.1.1.7 hat man jetzt gerade wieder festgestellt, dass es da einzelne gibt, die zusätzlich noch das E484 akquiriert haben. Genauso wie man das in Südamerika beobachtet hat und genauso, wie man das in Südafrika beobachtet hat. Und das findet wahrscheinlich woanders auf der Welt auch statt. Also das heißt also, das ist jetzt nicht so, dass die Viren sich alle voneinander ableiten, sondern die werden ja alle in die gleiche Situation geworfen, dass sie es mit Menschen zu tun haben. Das menschliche Immunsystem ist weltweit irgendwie ähnlich und deshalb finden die Viren ähnliche Auswege daraus. Und deshalb ist es schon möglich, dass wir einen Impfstoff entwickeln, der alle zirkulierenden Varianten von diesem konkreten, jetzt vorhandenen SarsCoV-2  zugleich erwischt. Da wäre so der Prototyp, von dem ich anfangen würde und mit dem jetzt auch geforscht wird, wäre das P1 aus Südamerika, aus Brasilien, diese P1-Variante. Die hat sozusagen alle Schlechtigkeiten dieser Welt, die man so bei Coronaviren kennt, auf sich vereint. Und wir wissen, dass Menschen, die dagegen immun sind, deren Serum ist im Labor auch immun quasi gegen die anderen Varianten, die wir auf der Welt haben – also gegen die britische, die südafrikanische oder die ursprüngliche Wuhan-Variante oder eben diese G-Variante, die mal in Norditalien sich durchgesetzt hat. Das heißt, es bestehen ganz gute Chancen, dass wir – ausgehend zum Beispiel von P1 – dann im Herbst diesen Jahres Impfstoffe zur Verfügung haben, die quasi zweite Generation sind und die dann alle im Moment zirkulierenden Typen erfassen. Aber ob damit sozusagen die Geschichte von SarsCoV-2  beendet ist oder das Virus einen anderen Ausweg findet, das wissen wir noch nicht.


19:44



Camillo Schumann



R. hat uns eine Mail geschrieben. Der Großteil der Infektionen tritt ja im privaten Haushalt auf, schreibt er.


„Ihr Lösungsvorschlag sind die Fieberkliniken oder Fieberhotels. Was halten Sie alternativ


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davon, die Haushaltsangehörigen eines Infizierten sofort nach Diagnose – zum Beispiel in der zu schaffenden Notfallambulanz eines Impfzentrums – zu impfen, da es keine andere Personengruppe mit höherem Risiko zur Infektion und Weitergabe nach der Quarantäne gibt. Viele Grüße, R.“



Alexander Kekulé


Ja und nein. Also erstens, falls damit so der klassische Impfstoff gemeint sei – AstraZeneca, BioNTech/Pfizer, Moderna oder sowas – das würde nicht funktionieren. Warum funktioniert das nicht? Weil man, naja, 2 Wochen ungefähr dauert es, bis nach der Impfung der Immunschutz dann wirklich da ist. Und dann müssten Sie die Leute ja doch wieder 2 Wochen nicht nach Hause lassen oder im Krankenhaus lassen oder Ähnliches. Dann sind Sie quasi bei der gleichen Lösung wie vorher, weil der andere Zuhause inzwischen nach 2 Wochen ja gar nicht mehr ansteckend ist. Also daher ist es nicht schnell genug. Aber: Wir nennen diese Impfung, bei der man dem Patienten quasi so ein Antigen gibt, das ist eine klassische aktive Impfung. Das heißt also, er muss was tun, darum ist es aktiv. Es gibt aber auch passive Impfung. Jeder, der mal Tetanus geimpft wurde, nachdem er in den rostigen Nagel getreten ist, kennt es. Da kriegt man plötzlich 2 Spritzen, eine aktive und eine passive. Und die passive Impfung funktioniert so, dass man Antikörper nimmt von jemandem, der die Krankheit schon durchgemacht hat. Also einfach dessen Blut, da werden die Antikörper raus extrahiert und die spritzt man dann. Und die fangen dann den Erreger ganz frühzeitig weg, so als hätte man selber schon ein scharfgestelltes Immunsystem. Und so etwas gibt es im Prinzip auch für Sars-CoV-2 . Das kommt von Regeneron, einer amerikanischen Firma, und das sind künstlich hergestellte Antikörper. Das wäre eine Option, dass man genau das macht. Also passive Impfung von Familienangehörigen, die kriegen sofort dann eben den künstlichen Antikörper gespritzt. Dadurch können sie nicht mehr infiziert werden und die Infektionskette ist durchbrochen. Nur das Zeug ist wahnsinnig teuer. Wenn Sie zufällig im Haushalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten wohnen und da die Angehörigen passiv immunisieren wollen damit, dann


würde ich sagen, haben sie vielleicht eine Chance, da ranzukommen an das Zeug.


2 2 :05



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 171. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 0. April wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, freue ich mich. Tschüss, bis dann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass unter Audio & Radio auf mdr.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 15. April 2 02 1 #170



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Genomische Merkmale und klinische Wirkung der neu auftretenden SARS-CoV-2  B.1.1.7-Linie in London (12 .04.2 02 1) Genomic characteristics and clinical effect of the emergent SARS-CoV-2  B.1.1.7 lineage in London, UK: a whole-genome sequencing and hospital-based cohort study The Lancet Infectious Diseases


Studie: Änderungen in Symptomatik, Reinfektion und Übertragbarkeit im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2 -Variante B.1.1.7 (12 .04.2 02 1)


Changes in symptomatology, reinfection, and transmissibility associated with the SARS-CoV-2  variant B.1.1.7: an ecological study The Lancet Public Health


Studie: Asthma-Medikament mindert die Gefahr schwerer CoVoD19-Verläufe um 90% Inhaled budesonide in the treatment of early COVID-19 (STOIC): a phase 2 , open-label, randomised controlled trial The Lancet Respiratory Medicine


Donnerstag, 15 April 2 02 1


00:10



Camillo Schumann



Neue Studien zur Mutation B.1.1.7 ansteckender, aber doch nicht tödlicher wie sind diese Daten zu interpretieren?


Dann: Asthma-Mittel verringert schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19. Ist


das der Wendepunkt in der Corona-


Bekämpfung?  Dann: USA stoppen Vektorimpfstoff


von Johnson und Johnson und Impfstoff-Lieferungen nach Europa werden verschoben. Werden Vektor Impfstoffe zum Problem?


Und: Sollte nach einer Impfung auf Alkohol verzichtet werden?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Carmelo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Und wir starten mal mit Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. Heute auf der Pressekonferenz hat er Folgendes zur aktuellen Lage gesagt und wie wir damit umgehen.


01:13


Lothar Wieler


„Stellen Sie sich vor, Sie fahren über enge Straßen. In den Dolomiten ist es Kurvenreiche, und an einer Seite ist ein steiler Abhang. Jeder weiß in diese Kurve kann ich nur mit 30 fahren. Wenn ich hier mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 reinfahre, dann ist das lebensgefährlich. Man kommt nämlich von der Straße ab. Und ehrlich gesagt hilft dann auch gar keine Notbremse mehr.“



Camillo Schumann



Tja ein ziemlich drastisches Bild was Herr Professor Wieler da bemüht. Schauen wir uns die Fakten an. Fast 30.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Die 7 Tage-Inzidenz bei 160. Fast 4700 Menschen mit Covid-19 auf


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Intensiv. Erst nächste Woche Mittwoch will der Bundestag das verschärfte Infektionsschutzgesetz beschließen. Dann noch der Bundesrat. Das dauert alles. Also wieder geht mehr als eine Woche ins Land. Kostbare Zeit. Kommen wir gerade von der Straße ab?



Alexander Kekulé


Das wissen wir dann, wenn die Sterblichkeit steigt. Aber ich gehe davon aus, dass das einfach zu spät ist, was wir hier machen, zumindest für einige Bundesländer. Es gab ja den Beschluss zwischen Bundeskanzlerin und Länder-Fürsten, der da hieß, dass man über 100 eine wie auch immer geartete Notbremse wieder einführt. Einige Länder machen das schon seit einiger Zeit, und einige machen es eben mehr oder minder. Und das ist letztlich das Problem. Ja, das werden wir dann sehen. Also die Länder, die das aufgrund momentan noch scheinbar niedriger Inzidenz riskieren, die machen halt ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Das muss man klar sagen.



Camillo Schumann



Jetzt hat Bundesgesundheitsminister Spahn heute auf der Pressekonferenz auch gesagt, die Länder, die brauchen jetzt nicht unbedingt auf die Bundesnotbremse nächste Woche warten und die können die gerne schon jetzt einlegen. Würden sie auch dafür plädieren, dass man diese Woche schon auf die Notbremse tritt und diesmal richtig?



Alexander Kekulé


Ich glaube, bremsen ist richtig und notwendig. Je schneller, desto gut. Ich bin jetzt nicht der Meinung, dass das so aussehen muss, dass man bundesweit jetzt nächtliche Ausgangssperren einführt oder Ähnliches. Ich glaube immer, dass ein selektives Bremsen von Vorteil ist. Also um im Bild mit der kurvenreichen Straße zu bleiben. Es ist natürlich so, dass ein Lastwagen, der mit 100 in einer engen Kurve ist, ein höheres Schleuder-Risiko hat als ein Sportwagen. Und es kommt auch immer ein bisschen darauf an, ob die Fahrbahn gerade nass ist oder ob vielleicht noch Wildwechsel


oder sonst was ist. In den Dolomiten kann man ja sogar durchaus auch mit Schnee rechnen. Und das machen wir ja eigentlich (...) ganz instinktiv. Wenn die Straße bestimmte Verhältnisse hat, dann verhalten wir uns vorsichtiger. Und in anderen Situationen glauben wir, dass wir das Risiko auch im Griff haben, wenn wir etwas schneller fahren. Diese Flexibilität, die fehlt natürlich jetzt in der allgemeinen Ansage Notbremse, Lock-Down, Ausgangssperren und was da so alles steht. Das finde ich ein bisschen schade. Aber das haben wir ja schon ein paar Mal besprochen. Das Problem ist einfach, wenn die differenzierten Maßnahmen, die dann auch wissenschaftlich begründet werden, wenn die eben nicht funktionieren, weil die Politikk einfach es letztlich nicht macht aus welchem Grund auch immer, dann bleibt eben nur der Hammer am Schluss. Und da muss man dann auch sagen, je schneller, desto besser. Klar.


04:2 9:



Camillo Schumann



Wir sind gespannt, wie sich die nächsten Tage entwickeln und ob dann das Infektionsschutzgesetz nächste Woche auch zügig umgesetzt wird und wie der Appell des Bundesgesundheitsministers heute bei den Länderfürsten und Fürstinnen so ankommt. Möglicherweise wird schon der ein oder andere Notbremse schon wissen eher getreten. Wir kommen jetzt zu einer scheinbar überraschenden Nachricht. Es geht nämlich um die Virus-Mutation B.1.1.7. Diese Mutationen hat sich in Deutschland in den letzten Wochen durchgesetzt. Herr Wieler hat heute die Zahl von 90 Prozent in den Mund genommen. Also 90 Prozent der Neuinfektionen, also der Menschen, die sich infiziert haben, haben sich mit der Mutation infiziert. Und diese Mutation, die stand ja auch immer im Verdacht, nicht nur wesentlich ansteckender, sondern auch tödlicher zu sein. Diese gefährliche Kombination haben Politiker und Experten immer wieder in den Mund genommen und damit er auch Maßnahmen begründet. Nun gibt es neue Daten aus Großbritannien. Dort, wo die Mutation er als Erstes entdeckt wurde.


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Und diese Daten, die können so interpretiert werden, als wäre die Mutation doch nicht tödlicher. Ihr Kollege Karl Lauterbach schrieb bei Twitter, es handele sich um ein gutes wie überraschendes Ergebnis. Konkret sind das ja 2 Studien aus der realen Welt, wenn man so will, eine aus dem Krankenhaus, eine App-Studie also mit freiwilligen Daten von Infizierten. Fangen wir mal mit der ersten an. Suchen sie sich eine aus. Wie würden Sie die bewerten?



Alexander Kekulé


Ich habe hier auf dem Zettel erst mal die aus London. Es sind ja beide Studien, sozusagen made in UK. Die eine, ist gerade in Lancet Infectious Diseases erschienenen am 12 . April und ist gemacht worden vom University College in London. Da gibt es ja ganz viele, die sich natürlich jetzt mit Covid beschäftigen zurzeit. Da hat man etwas ganz interessantes gemacht. Man hat da in 2 verschiedenen Londoner Krankenhäusern beziehungsweise Universitätskliniken, die beide so im Norden, bisschen im Norden von London sind, da hat man (...) relativ früh, sage ich mal, als dieses neue B.1.1.7 aufgetreten ist, Kohorten gebildet. Also in dem Fall keine Beobachtungsstudie, die so hinterher läuft, sondern eine Kohortenstudie, wo man von Anfang an definiert, mit wem man sozusagen arbeiten will. Und diese Kohorte des waren einfach Patienten, die ganz früh schon Covid hatten, wo man wusste, die sind also positiv, und da hat man parallel zu dem ganzen weiteren Verlauf Sequenzierungen gemacht. Man hatte insgesamt 341 Patienten sequenziert. Also jeweils die Gensequenz des Virus bestimmt bei diesen Patienten. Und da sind jetzt von denen, die in die Studie eingeschlossen worden waren, 198 mit B.1.1.7 und 143 hatten noch den vorherigen Typ. Also man sieht schon, das war relativ am Anfang des Ausbreitungsgeschehens von B.1.1.7. Ich schätze jetzt hier mal so 60 Prozent B.1.1.7. So gut können Ärzte leider nicht rechnen, dass sie das im Kopf hinkriegen. Aber ungefähr 60 Prozent B.1.1.7 und heute haben wir ja in England fast 100 Prozent. (...), Das war eine Studie, die während des Anstiegs dieser neuen Variante


gemacht wurde. Und parallel hat man sequenziert. Ich sagte es so deutlich auch ein bisschen neidisch, weil wir in Deutschland ja damals noch die Ansage hatten, so viel sequenzieren bringt gar nichts. Das haben einige Fachleute gemeint, jedenfalls deshalb wurde kaum sequenziert in Deutschland. Sodass wir solche Studien, wo wir quasi im Prozess geguckt haben, wie verändern sich die Mutation, gar nicht gemacht haben. Die Tür ist auch bei uns da schon zu, da wir inzwischen ja auch B.1.1.7 sehr viel haben in Deutschland. Und da hat man eben geguckt, wie entwickeln die sich und hat da zum einen als ein Kriterium diese WHOSkala genommen. Die WHO hat so eine Skala von null bis zehn, wo verschiedene Schweregrade von Covid aufgezeigt werden. Also null heißt überhaupt nicht infiziert. Das ist ja dann eigentlich gar kein Covid. Und zehn heißt: verstorben. Und dazwischen gibt es verschiedene Schweregrade. Man hat geguckt, ob die Patienten gestorben sind, auch noch einmal unabhängig aus dem Register. Das war sozusagen diese Kohortenstudie, wo man diese beiden Kohorten miteinander verglichen hat. Na und was ist dabei herausgekommen? Das Interessante ist und das ist wirklich hier sehr, sehr gründlich untersucht worden. Es gibt in dieser Studie jedenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Schwere des Verlaufs nach dieser zehnteiligen WHO-Skala. Oder auch der Frage stirbt der Patient ja oder nein. Und dem vorliegen dieser neuen Variante in England B.1.1.7. Das heißt also die B.1.1.7 hat überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Schwere der Erkrankung oder Sterblichkeit bei diesen Personen gezeigt. Man hat aber festgestellt, das war dennoch so (...), 2 kleine Nebeneffekte. Das eine ist, dass tatsächlich dieses B.1.1.7 mit einer erhöhten Viruslast assoziiert ist. Das heißt also tendenziell sind die Konzentrationen von Viren, die man gemessen hat, bei diesen Patienten höher als bei der Kontrollgruppe. Und man hat festgestellt, dass es keine Bevorzugung sage ich mal gibt von Patienten, die irgendwie immun geschwächt sind oder unter Therapie mit Remdesivir stehen. Warum ist es wichtig? Es gibt ja nach wie vor diese Hypothe-


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se und das ist auch durchaus plausibel, dass Varianten wie B.1.1.7 sich bei immungeschwächten Patienten besonders bilden können. Das ist so die Idee. Wenn das Immunsystem nicht richtig funktioniert bei so einer Teilimmunität oder einer Impfung, die nicht funktioniert hat, oder Ähnliches, dass dann diese Varianten besonders leicht entstehen können. Das ist eine Theorie. Das ist rein theoretisch denkbar. Und hier hat man also an dieser konkreten Untersuchung von etwas über 340 Patienten dafür überhaupt keinen Hinweis gefunden. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, schließt aber natürlich nichts aus.


10:2 1



Camillo Schumann



Also es gab da keine Veränderungen zwischen Patienten mit B.1.1.7 und Patienten mit dem Urtyp. Das hört sich jetzt auf den ersten Blick mal gut an. Aber wäre es nicht viel entscheidender festzustellen, ob Patienten mit B.1.1.7 sieben grundsätzlich häufiger ins Krankenhaus müssen als Patienten mit dem Urtyp? Um dann auch eine Aussage darüber treffen zu können, ob B.1.1.7 häufiger zu schweren Verläufen führt? Das sagt diese Studie nicht aus.



Alexander Kekulé


Genau. (...) Das ist ja ganz klar, das wissen die Autoren auch, dass das jetzt in krassem Widerspruch zu dem steht, was vorher dieses Nervtech-Komitee in England gesagt hat. Die haben mir immer gesagt, wir haben Hinweise, dass das B.1.1.7 möglicherweise zu schwereren Verläufen führt. Die waren immer sehr vorsichtig in England. In den USA wird es auch immer genau so zitiert. Also wenn man New York Times, Washington Post oder CNN oder so anhört. Die sagen immer, es ist ein möglicher schwerer Verlauf. Und leider ist es in deutschen Medien seit einigen Wochen üblich zu sagen, B.1.1.7 ist gefährlicher. Ich glaube. wir haben hier im Podcast immer diese Variante „möglicherweise gefährlicher“ gewählt, weil ich nach wie vor nicht so ganz überzeugt davon bin. Und natürlich mit dieser Studie jetzt noch ein bisschen weniger überzeugt davon bin,


dass das so ein deutlicher Effekt ist, dass hier die Mutante auch wirklich gefährlicher ist. Das sie stärker infektiös ist, dass ist ganz klar. Dass sie sich schneller ausbreitet, ist völlig eindeutig. Wurde hier natürlich auch noch einmal gezeigt. Und das Nervtech hat eben die Krankenhauseinweisungen angeschaut. Die haben geguckt: Wie häufig werden Menschen ins Krankenhaus eingewiesen. Und da waren sie der Meinung, dass jetzt auf Bevölkerungsstatistischer Ebene tatsächlich die Krankenhauseinweisungen etwas häufiger sind, wenn man B.1.1.7 infiziert ist. Das konnte diese Studie nicht zeigen, weder plus noch minus, weil sie das eben natürlich nicht untersucht hat. Das ist ganz klar. Es gibt noch ein anderes Fragezeichen, das man einfach diskutieren muss. Das eine ist die Studie war nicht kontrolliert nach der Frage, ob jemand therapiert wird und wie therapiert wird. Das ist in beiden Richtungen möglich, dass es das Ergebnis verändert hätte. Also, es könnte sein, dass man dann einen Effekt von B.1.1.7 doch sehen würde in Richtung schwerere Verläufe. Oder es könnte aber auch umgekehrt sein, dass noch deutlicher würde das, dass das B.1.1.7 keine schweren Verläufe macht. Und ich persönlich habe auch immer so ein bisschen Probleme mit dieser, das ist jetzt vielleicht ein bisschen akademisch, aber es gibt ja vielleicht, die Ärzte zu hören. Es gibt diese WHO-Skala von null bis zehn eben für die Covid-Schweregrade. Die richtet sich praktisch ausschließlich an der Frage aus, braucht man Sauerstoff oder nicht. Also ab Stufe vier, das sind Patienten, die im Krankenhaus sind. Ja, und dann geht es weiter. Stufe fünf ist jemand, der Sauerstoff braucht. Stufe sechs ist jemand der Highflow Therapie braucht, also eine spezielle Methode, um sehr viel Sauerstoff zu verabreichen. Ab sieben wird intubiert. Und was man da so macht, gibt man Sauerstoff, gibt man Highflow, das hängt schon sehr stark, sage ich mal so, von der individuellen Politik der Ärzte in einem Krankenhaus ab. Bis hin zu der Frage ist überhaupt so viel Sauerstoff da, dass man Highflow machen kann. Und so was von der Weltgesundheitsorganisation, die auch die Situation in Entwicklungslän-


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dern dann vergleichen muss und Ähnliches. Da bin ich jetzt nicht so glücklich über diese enge Anlehnung des Schweregrades der Erkrankung an die Anwendung von Sauerstoff in verschiedenen Formen. Und das gilt natürlich im Kleinen. Ich schätze nicht, dass in England gerade da mal das Sauerstoff alle war, irgendwo in Nordlondon. Aber im Kleinen ist es natürlich auch so. Die eine Station sagt bei jedem, auch wenn er eigentlich noch ganz fit ist, Mensch, wir machen lieber Highflow. Sicher ist sicher. Und die anderen haben vielleicht nicht so viele Plätze oder Geräte gerade und machen es nicht. Also das ist meines Erachtens immer eine Schwäche, wenn man diese WHO-Skala nimmt als Proxy, um Schweregrade zu identifizieren. Aber trotzdem. Es ist eine Studie, die in der Anstiegsphase der neuen Variante passiert ist. Das ist extrem gut. Dadurch ist sie extrem aussagekräftig. Sie hat ein sehr großes Kollektiv, also diese 341 Personen. Das ist eine wirklich große Zahl. Das ist der Großteil derer, die in (...) Nordlondon, die in der Zeit überhaupt in die Krankenhäuser kamen. Und sie ist eben eine kontrollierte Studie. Das heißt also nicht erst ex post, dass man erst eine Beobachtungsstudie macht. Und darum muss man wirklich, das hat eine starke Aussagekraft. Und das Pendel ist jetzt mehr so Richtung: „Wir wissen nicht genau, ob B.1.1.7 überhaupt schwerere Verläufe macht.“, zurückgeschwenkt.



Camillo Schumann



Und auch dann tödlicher ist als das Ursprungsvirus. Denn um diese Frage geht es ja. Es wurde ja immer wie ein Mantra vor sich hergetragen von Politikern und Experten in Deutschland. Aber auch um die Maßnahmen zu rechtfertigen, die B.1.1.7 sei wesentlich tödlicher. Was ja bis dato auch nie 100 Prozent geklärt war. Gibt es denn nach dieser Studie zumindestens eine Einordnung dieser Aussage?



Alexander Kekulé


Ja, also ich hab da natürlich die komfortable Situation, dass ich das schon immer so gesehen habe. Darum brauche ich jetzt nichts zu


ändern. Sie haben ja jetzt gerade Herrn Lauterbach genannt, dass er sagt das ist eine gute und überraschende Studie. Ich bin immer so ein bisschen dagegen bei Twitter. Wissen Sie, was kann man da machen? 2 80 Anschläge oder so was. Also so komplexe Zusammenhänge, die müssen wir schon auf anderen Plattformen diskutieren. Das ist jetzt einfach die Frage. Ja, ich habe auch ein bisschen beobachtet, dass man halt immer damit gewarnt hat. Und ich finde es auch ehrlich gesagt bis zum gewissen Grad legitim. Ja, wir sagen ja hier auch es besteht die Gefahr, dass die Intensivstation volllaufen. Klar malen wir ein bisschen den Teufel damit an die Wand. Aber die Zahlen sehen im Moment einfach verdammt noch mal danach aus. Und wenn man jetzt umgekehrt aufgrund eines „könnte“, was in den Publikationen steht ein „ist“ sozusagen daraus macht und sagt dieses Virus ist gefährlicher. Dann müssen wir halt all die Leute, das waren ja nicht nur Herr Lauterbach (...) halt jetzt der Bevölkerung erklären müssen, stimmt es jetzt noch, oder stimmt es nicht mehr. Stimmen jetzt die Maßnahmen noch? Ist das noch alles adäquat? Brauchen wir jetzt noch den totalen Lockdown und so weiter. Und das ist eben das Problem, wenn man so eine Politik macht, dass man das nicht differenziert oder vielleicht sogar ein bisschen aus pädagogischen Gründen übertreibt. Und diese Studie ist letztlich, ich würde mal so sagen wir haben da letztlich eine Art Puzzle, was wir zusammensetzen. Und hier ist ein weiteres wichtiges Puzzleteil eingesetzt worden. Aber das Puzzle ist noch lange nicht fertig.


17:11



Camillo Schumann



Kommen wir zum nächsten Puzzlestück. Zur zweiten Studie aus Großbritannien. (...)Ich habe ja schon gesagt, einer App Studie, aber auch einer Öko-Studie. Was ist darunter zu verstehen?



Alexander Kekulé


Also eine Ökostudie, super Ausdruck. Ja, das hat nichts mit Öko in unserem Sinne zu tun.


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Oder Bio. In England würde man, glaube ich, Bio sagen. Eher als Öko. Wenn man jetzt die die Sachen meint, die ökologisch korrekt hergestellt worden, das ist eine ökologische Studie. (...) Ecological Study heißt das auf Englisch. Das ist eine Form, eine Variante letztlich, nichts anderes als eine Variante von Beobachtungsstudien. Das heißt also solche Studien, wo man die Dinge, die schon da sind, ohne Einfluss zu nehmen, wer in welche Gruppe kommt und so weiter, einfach beobachtet. Also nachträglich auswertet. Im Gegensatz zur der Fall-KontrollStudie, die wir gerade eben besprochen haben. Wenn die Beobachtungsstudie, die kann sich ja theoretisch beziehen auf einzelne Personen, dass man sagt, wir beobachten Ehepaare, die länger als fünf Jahre verheiratet sind, wie oft die miteinander zum Abendessen gehen.(...) Mal gucken, wie ändert sich das Verhalten. Oder man kann auch eine Beobachtungsstudie natürlich bezogen auf die Gesamtbevölkerung oder auf große Bevölkerungsteile machen. Also auf Bevölkerungsebene. Und diese spezielle Variante der Beobachtungsstudie, die auf Bevölkerungsebene und nicht auf Individualebene gemacht wird, die heißt ökologische Studie. Auf Englisch Ecological Study also. Das hier ist also eine Beobachtungsstudie auf Bevölkerungsebene. Dass das hier nicht um einzelne Individuen geht, sieht man schon daran, dass die fast 37.000 Personen ausgewertet haben, die eben diese Covid-Symptom-App benutzen. Die haben in England so eine schöne App, wo man, wenn man positiv ist, seine Symptome eintragen kann. Das haben die schon, weiß gar nicht, wie lange es die gibt, aber auf jeden Fall so seit August, September letzten Jahres. Und hier wurde also ausgewertet, der Zeitraum von Ende September bis Ende Dezember 2 02 0. Und parallel hat man, und das ist eben das Schöne bei dieser App, da ist eben dann eingetragen quasi, der ist also gekoppelt an den Laborbefund. Und kann dadurch, also deutsche Datenschützer würden sich die Haare raufen, (...) nachgucken bei den Laborbefunden, wie sieht‘s denn aus. Ist das vielleicht B.1.1.7? Ja oder Nein? Da hat man diesen sogenannten Proxy verwendet, also einen Ersatzparameter.


Nicht wirklich sequenziert,(...) wie in der letzten Studie, über die wir gesprochen haben, sondern man hat geguckt, ob in einem bestimmten PCR-Test dieser Nachweis für das Spikegen vorhanden ist. Also wir nennen das Spike-target-failure. Also Ausfall des Spiketargets in der PCR. Das ist typischerweise zumindest in England, jetzt immer gekoppelt an B.1.1.7. Bei B.1.1.7 ist eben typischerweise dann, von vier targets, die man benutzt in der PCR, also vier Gene des Virus, die man versucht nachzuweisen, fehlt plötzlich eins. Also drei sind da wie immer und eins ist plötzlich weg. Und das ist ziemlich klar korreliert mit dem Vorhandensein dieser Variante. Also deshalb hat man also diese selbst berichteten Symptome, die die Leute da schön in ihre App eingetragen haben, korreliert mit der Frage: Handelt sich hier jetzt um die neue Variante B.1.1.7. Ja oder Nein?



Camillo Schumann



Und mit welchem Ergebnis und vor allem mit welcher Aussagekraft?



Alexander Kekulé


Ja, also hier ist das Ergebnis, sonst wäre die Studie nicht in dieser Kiste gelandet. Es gibt keinen Unterschied zwischen den selbst berichteten Symptomen und der Frage: neue Variante, ja oder nein? Also sowohl die alte als auch die neue macht gleich schwere selbst berichtete Symptome. Auch die Krankheitsdauer ist gleich. Es gibt keinen Unterschied in der Häufigkeit der Einweisung ins Krankenhaus. Und es gibt kein Unterschied bei der Reinfektionsrate. Das war ja immer so ein bisschen ein Fragezeichen. Fast hätte ich gesagt, so ein kleiner Elefant im Raum. Dass man gesagt hat also, es könnte ja sein, dass B.1.1.7 häufiger Leute infiziert, die schon vorher den anderen Typ hatten. Als man sonst Reinfektionen sieht. Und da ist jetzt hier zumindest mal kein Unterschied gefunden worden. Nur mal so, um die Zahlen zu sagen. Von diesen fast 37.000 Leuten, die da mitgemacht haben, waren 2 49 Reinfektionen. Also, das ist wirklich ein ganz, ganz kleiner Anteil. Das wären 0,7 Pro-


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zent. Die haben allerdings als Reinfektion bezeichnet, alles, was nach 90 Tagen wieder PCRpositiv war. Also 90 Tage oder länger. Da könnte man natürlich argumentieren, 90 Tage könnte auch sein, dass es noch die gleiche Infektion ist, die aus irgendeinem Grund sich verschleppt hat. Wir sehen das ja manchmal. Also ich gehe davon aus, dass ein Teil dieser sogenannten Reinfektionen gar keine echten Refektionen waren. Aber wie auch immer, man hat da keinen Unterschied gesehen. Das heißt, (...) dass jetzt dieses neue Virus B.1.1.7 oder diese neue Variante jetzt krass viele Leute noch einmal infiziert, die vorher sowieso schon Covid hatten. Sowas in der Art sehen wir ja in Südamerika, in Brasilien im Moment also, das ist in England offensichtlich nicht der Fall.



Camillo Schumann



Erlauben diese Daten denn die Einordnung des Sterberisikos in Verbindung mit 1.1.7, ja oder nein?





Alexander Kekulé


Also, die die Antwort ist nein. Also klipp und klar nein. Wenn ich jetzt im Hörsaal wäre, wir haben ja leider zurzeit keine Live-Vorlesungen, da hab ich schon fast Entzugserscheinungen, würde ich jetzt fragen und warum nicht? Aber ich sage es einfach gleich selber. Warum nicht? Das ist ja ganz relativ einfach. Ein toter twittert nicht. Also das ist ja eine App und dann müssen sie sehr schwere Symptome eingeben. Und das wäre ja so. Deshalb können sie ja schlecht erwarten, dass der eingibt, bin soeben gestorben. Das wäre zumindest ein bisschen spooky, wenn sowas vorkäme. Und es gibt sogar noch einen weiteren Aspekt davon. Auch schwere Fälle hören irgendwann auf, in der App was einzutippen. Also, die haben sich ja alle angemeldet, ganz am Anfang. Also, die hatten gerade das Ergebnis. Ich glaube, so plus minus eine Woche war da definiert. Und dann haben die sich da angemeldet in der App. Die wussten ja zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht, ob sie fünf Tage später auf den Stationen liegen und beatmet werden. Was natürlich bei einigen von denen passiert ist. Oder ob sie irgendwie noch


munter zu Hause sitzen und Tee trinken. Entschuldigung für das Klischee bei den Engländern. Und es ist so, dass jetzt natürlich die, die auf der Intensivstation gelandet sind, wahrscheinlich tendenziell aufgehört haben, diese App auszufüllen, sodass man da auch etwas hat, das ein klassischer Bias, wie wir das nennen, also eine Störung des Studienergebnisses.



Camillo Schumann



Aber das ist genau der Punkt, weil diese beiden Studien jetzt durch die Medien gehen, als Beweis dafür, dass B.1.1.7 nun doch nicht tödlicher sei. Aber nichtsdestotrotz ist dann gerade bei dieser Studie die Aussagekraft, was die Interpretation dieser Aussage angeht sehr, sehr gering.



Alexander Kekulé:


Ja, also das würde ich sagen. Also ich glaube, dass das mit der Krankenhauseinweisungen kann man schon glauben. Weil es ist ja in der Tat so, dass die Leute, die ins Krankenhaus gehen, meistens noch fit sind. Also man wird ja bei Covid nicht mit Blaulicht und bewusstlos ins Krankenhaus gefahren. Die sind meistens noch fit und hoffen, dass sie am nächsten oder übernächsten Tag wieder nach Hause kommen. Das ist der Klassiker, und dann verschlechtert sich die Lage innerhalb von ganz wenigen Tagen oder Stunden. Wenn sie sich verschlechtert und, deshalb gehe ich schon davon aus, dass die Hospitalisierungsrate noch korrekt erfasst ist. Und das ist wichtig, weil ja die anderen Studien, die auch auf Bevölkerungsebene jetzt im Februar rauskamen, die gesagt haben, wir sehen das Signal, dass die häufiger ins Krankenhaus kommen mit B.1.1.7., die haben ja genau diesen Faktor erfasst. Also da gibt es schon einen klaren Widerspruch, wo sich das diametral gegenüber steht. 




Aber bezüglich der Sterblichkeit sagt es nichts aus. Man kann höchstens um Plausibilitäts-Check machen, dass man sagt, na ja, also Leute, die jetzt sozusagen, wenn jetzt die Symptome bis einschließlich zur Krankenhauseinweisungen. Wenn die jetzt gar nicht schlimmer sind bei diesen Leuten, wieso sollen die dann plötzlich hinterher häufiger sterben? Und wir haben ja gerade an einer anderen Studie gesehen, wenn sie dann im Krankenhaus sind. Da gibt es jetzt zumindest mal diese eine, die da gemacht wurde. Wenn die dann im Krankenhaus wirklich sind, da ist die Sterblichkeit nicht höher. Also die beiden sozusagen zusammengebaut. 


geben natürlich schon, sag ich mal, ein Bild, was in die Richtung zeigt. Stärker würde ich das nicht interpretieren, dass hier bei B.1.1.7. kein Unterschied in der schwere Krankheitsverläufe ist. Aber es zeigt eben nur in diese Richtung. Ich bin immer dagegen, jede Studie rauszuziehen und zu sagen, jetzt ist es auf jeden Fall so und so. 




Es gibt noch einen anderen Bias. Den muss man erwähnen, weil kluge Leute an den wahrscheinlich als erstes denken. Es ist ja bekannt, dass alles was mit Self-Reporting, wie sagt man mit selbst eingetragenen Daten, zu tun hat und mit irgendwelchen Apps. Das ist ja immer überlagert. Also Apps werden von jüngeren Leuten verwendet, Apps werden von gesundheitsbewussteren Leuten verwendet. Die verhalten sich anders. Da gibt's Bücher darüber, warum diese Studien von vornherein eine limitierte Aussagekraft haben. Und das muss man natürlich auch noch hier in die Waagschale reinwerfen. 




Übrigens vielleicht noch das eine. Es ist tatsächlich auch, der R-Wert bestimmt worden, in der Studie. Noch mal da gibt es ja tausend. Aber hier ist auch noch mal gezeigt worden, dass bei B.1.1.7 das „R“ ungefähr um 0,35 höher liegt, als bei dem Wildtyp, der vorher zirkuliert ist. Oder bei den Wildtypen. Das heißt also wenn jetzt „R“ vorher auf 1 war, hätten wir eine 35 prozentige Erhöhung der der Ausbreitungsgeschwindigkeit. Aber „R“ war auch in den Regionen Englands, da gibt es drei Regionen, (...) wo man sehr, sehr viel B.1.1.7 hatte. Also es gibt drei Regionen, die hatten über 80 Prozent B.1.1.7. schon beim ersten Lockdown hatten. Damals ist in diesen Regionen trotzdem „R“ während des Lockdowns bei 0,8 geblieben. Was heißt es? 





Camillo Schumann



Tja, einen zusammenfassenden Satz: Was bringen uns diese Studien jetzt in der Bewertung?





Alexander Kekulé


Ich glaube, nach den 2 Studien kann man zumindest nicht mehr dieses Mantra vor sich hertragen, von dem sie gesprochen haben. 


2 8:31



Camillo Schumann



Kommen wir zu den Impfstoffen. Als wir den Podcast am Dienstag im Kasten hatten. Kurz danach kam die Meldung, dass die USA einen Impfstopp für den Vektorimpfstoff von Johnson und Johnson verhängt haben und kurz darauf stoppte. Dann stoppte das Unternehmen selbst seine Lieferung an die Europäische Union. Der Grund, wie schon bei AstraZeneca, Fälle von sehr seltenen Sinusvenenthrombosen. Nun ist Johnson und Johnson in den USA auch in der EU zugelassen. Die EMA will nächste Woche ein Gutachten vorstellen und sagt, bis dahin könne der Impfstoff weiter verimpft werden. In Deutschland sollte mit Johnson und Johnson in dieser Woche begonnen werden. Wegen des Lieferstopps ist aber kein Impfstoff geliefert worden. Ja, da ist das Unternehmen vorsichtiger als sie Behörden in diesem Fall ,nicht?



Alexander Kekulé


Ja, das ist sogar zweistufig passiert. Also es ist tatsächlich so, dass am Dienstag zunächst mal die US-Behörden gesagt haben, Stopp bezüglich Johnson und Johnson. Dann hat sich parallel hat sich das Komitee für die Impfstoffe da,


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das heißt [Advisory Committee on Immunisation, Anm. d. Redaktion]. Das ist quasi die STIKO, also STIKO auf amerikanisch. ACIP. Die sitzen beim CDC, also, dem amerikanischen Robert Koch-Institut, wenn man das vergleichen will. Und die haben jetzt gestern dann in den Abendstunden noch gesagt, es bleibt bei der Pause. Und die haben genau diese Frage diskutiert, von der sie, von der sie gerade gesprochen haben. Die ist ja ganz wichtig und da haben die Leute unterschiedliche Auffassungen. Die EMA hat die Auffassung vertreten und bleibt auch dabei, dass man weiterimpfen soll und parallel untersuchen soll, wie schlimm ist es eigentlich mit diesen Nebenwirkungen? Begründung erstens: die Nebenwirkungen sind extrem selten. Und zweitens: wenn wir aufhören zu impfen oder so eine Art Impfstoff haben, dann führt es dazu, dass Menschen sterben, weil sie ungeimpft sind. Und drittens: von einer Kommunikation her sagen wir lieber der Impfstoff ist okay, statt dem irgendein Makel anzuhängen, indem wir den Impfstoffstopp machen. Und genau das wurde in den USA auch diskutiert. In dem Fall bin ich da eher auf der Seite der CDC als der EMA. Da wurde das gleiche diskutiert. Und dann hat man eben gesagt, also erstens: diese Nebenwirkung ist nicht von Pappe. Wir nehmen das sehr ernst. Das könnte die Spitze eines Eisbergs sein. Also sinngemäß gesagt, es könnten auch Langzeitfolgen damit zusammenhängen. Es könnte weitere Thrombosen geben, die man übersehen hat. Das wollen wir erst einmal genauer gucken. Wir wollen die Blutwerte anschauen. All das ist dort diskutiert worden, und man muss sagen, die Situation sieht noch harmloser aus als bei AstraZeneca. Da gab es, gab es sieben Hirnvenenthrombosen auch wieder Frauen im Alter von 18 bis 48 Jahren, in dem Fall ist eine von denen ist gestorben. Aber das Interessante ist, man hat die gleich genauer untersucht, weil man natürlich schon in Alarmstellung war. Wegen der Daten aus Europa bei AstraZeneca und da hat man festgestellt, dass drei von den sieben, also man könnte sagen, fast die Hälfte, zusätzlich schwere periphere Venenthrombosen hatten. Also dass, wo im-


mer gesagt wurde das gibt's aber nicht. Also zumindest bei AstraZeneca wurde ja immer gesagt, es gibt nur diese Hirnvenenthrombosen, und normale Thrombosen gibt es nicht. Das ist jetzt aber bei dem Johnson und Johnson-Impfstoff in drei Fällen festgestellt worden. Und ich glaube, das war ein wichtiger Faktor, der zusätzlich mit den Daten, die man aus Europa von Astrazeneca hatte und sieben in der Situation, dass insgesamt über 7 Millionen Menschen mit Johnson Johnson schon mal geimpft sind. Also das wäre eins zu einer Million. Allerdings bisschen kleine Modifikation dran. 3,8 Millionen, also so rund die Hälfte davon, wurde in den letzten 2 Wochen erst geimpft den USA. Und die könnten ja theoretisch diese Probleme noch bekommen, weil es so bis zu 2 Wochen dauert ungefähr, bis die Probleme auftreten könnten. Und dann müssen sie natürlich auch noch registriert werden. Das heißt aber, dann ist man immer noch so in der Größenordnung bei sieben Fällen pro 500.000. Das heißt also noch weniger als bei AstraZeneca in Europa. Und trotzdem haben die CDC gesagt: nee, wir gehen hier auf Nummer sicher. Und die haben eben gesagt, Transparenz ist alles. Wir wollen den Bürgern erklären, wie das Problem ist. Wir wollen das untersuchen. Wir wollen verstehen, woran es liegt und wenn wir sehen, es ist wirklich etwas, was auch von der zugrunde liegenden Biochemie extrem selten auftritt. Konkret wahrscheinlich werden es wahrscheinlich dann doch wieder diese Antikörper sein, die man schon bei AstraZeneca gesehen hat im Zusammenhang mit dem Blutplättchen. Wenn das wirklich ein extren seltenes Phänomen ist. Und dann können wir eben sagen, eins zu 500.000 nehmen wir in Kauf. Das steht aber dann in den USA auch klipp und klar im Beipackzettel und von dem Tag geht es wieder los.



Camillo Schumann



Wie gesagt, die EMA werde nächste Woche das Gutachten veröffentlichen und spricht sich dafür aus, weiter zu impfen mit Johnson und Johnson. In Deutschland ja erstmal nicht, weil kein Impfstoff geliefert wurde, wegen des


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Impfstopps. Wenn jetzt der Impfstoff geliefert worden wäre, hätten sie sich dann vorerst für einen Impfstopp in Deutschland ausgesprochen.



Alexander Kekulé


Ich glaube, wir haben hier das gleiche Problem, was wir bei AstraZeneca gesehen haben. Das ist natürlich Spekulation. (...) Das ist so eine exotische Erkrankung. Auch bei diesen Sinusvenenthrombosen hat man das gesehen, dass die Thrombozyten abgestürzt sind. Das ist zwar noch nicht endgültig untersucht, aber es handelt sich in beiden Fällen ja um Vektorimpfstoffe, die auf adenoviraler Basis gebaut wurden. Also wo Adenoviren quasi als Vehikel verwendet wurden, um dieses S-Protein, dieses SpikeProtein vom Sars-CoV-2  zu exprimieren, also herzustellen im menschlichen Körper und dadurch das Immunsystem zu stimulieren. Dieses Prinzip, da haben wir ja schon oft darüber gesprochen, hat seine möglichen theoretischen Risiken so wie viele andere Wirkprinzipien auch theoretische Risiken haben. Und hier muss man einfach sagen, ein theoretisches Risiko, was man ja auch vom Mechanismus ganz gut erklären kann, das hat sich jetzt manifestiert mit einer Frequenz von, je nachdem, welche Daten man nimmt, zwischen eins zu 2 0.000 und eins zu 1 Million irgendwo dazwischen liegts. Und das ist also dann offensichtlich so. Aus meiner Sicht ist es das die plausibelste Erklärung, ohne dass ich da natürlich ein Beleg für habe. Das ist ein Problem der Vektorimpfstoffe. Ich hatte ja in Europa empfohlen, noch bevor die STIKO in diese Richtung gegangen ist, hier zu stoppen und erst mal zu prüfen. Aber das ist keine wirklich wissenschaftliche Einschätzung, sondern die wissenschaftlichen Daten sind genau die gleichen. Also die EMA sieht die gleichen Daten wie das Paul-Ehrlich-Institut, wie die Behörden in Norwegen, die es gestoppt haben oder in Dänemark, die es gestoppt haben und die gleichen Daten wie die CDC. International sind das kurze Drähte nur die entscheidende Frage ist letztlich: wie erkläre ich es meinem Kind, weil wir alle haben vor Augen, dass das Schlimmste,


was passieren kann, ein Vertrauensverlust in die Impfstoffe ist. Das tötet viel mehr Menschen als ein Impfstopp oder als dann wirklich sterben würden durch solche Sinusvenenthrombosen. Wobei man sagen muss, dass das nicht die gleichen sind, die dann sterben. Aber trotzdem würde das mehr Menschen töten, wenn die Impfungen insgesamt in Misskredit fallen. Und da haben sich einfach die Europäer anders verhalten als die Amerikaner. Zumindest jetzt, was die europäische Behörde betrifft.



Camillo Schumann



Dänemark hat er die Faxen dicke, hat den Vektor Impfstoff von AstraZeneca komplett aus Impfstrategie geschmissen. Möglicherweise passiert das auch für Johnson und Johnson. Da haben wir noch jemanden, der mit im Raum steht, aber gar nicht so richtig genannt wird. Sputnik V ist auch ein Vektorimpfstoff, der ja gerade bestellt wird, wie verrückt und möglicherweise auch Teil der Impfstrategie hier in Deutschland werden soll. Fangen wir da wieder von vorne an, dann bei dem?



Alexander Kekulé


Ja, das müssen wir schon. Es ist ja so, dass die Sicherheitsdaten von AstraZeneca und von Johnson und Johnson, die sind ja wirklich sehr gut. Also das Ganze kann man ja auch mal umgekehrt als Erfolgsgeschichte erzählen. Das also in so kurzer Zeit solche Nebenwirkungen auf den Tisch kommen, obwohl die so extrem selten sind, ist ein Zeichen, dass die Pharmakovigilanzhöhe, also diese Überwachung quasi nach der Freigabe der Medikamente. Hier sei noch einmal betont, dass es keine reguläre Zulassung gewesen ist, sondern eine Notfallzulassung. Und da hat man eben diese Kontrolle nach der Freigabe. Das funktioniert ja sehr, sehr gut. In USA ist ja zum Beispiel mit Johnson und Johnson ab 2 . März geimpft worden. Das ist ja (...) so, dass man in der Zeit diese Fälle daraus gezogen hat. Und ähnlich schnell war es ja auch bei AstraZeneca. Gut, ein bisschen verzögert, aber letztlich so ähnlich. Und wir haben diese Sicherheitsdaten bei dem Sputnik


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V eben absolut nicht. Also, da gibt es eine einzige Publikationen, wo Kollegen von mir sagen, man muss erst mal die Daten ganz genau im Original anschauen, weil publizieren kann man vieles. Und das ist ja auch so, dass die FDA tatsächlich solche Analysen dann immer selber macht. Bei der Zulassung lässt sie sich die Originaldaten liefern und rechnet sozusagen parallel mit. Während die EMA traditionell sich eigentlich die fertigen Daten vom Hersteller liefern lässt. Ich würde in dem Fall wirklich darauf plädieren, nochmal, dass wir uns, wenn es um Sputnik V geht, dass die EMA sozusagen stärker dem amerikanischen Modell folgt. Und das Gleiche gilt natürlich noch stärker bei chinesischen Produzenten, dass man hier einfach gründlicher die Originaldaten überprüft. Weil die Russen haben ja bis jetzt überhaupt nichts von solchen Sinusvenenthrombosen berichtet, obwohl sie Sputnik V intensiv einsetzen. Es wird ja auch in viele Länder exportiert. Und das ist schon erstaunlich, dass jetzt 2 von insgesamt vier verfügbaren Vektorimpfstoffen, der vierte ist von CanSino aus China. Dass man jetzt bei 2 von denen genau den gleichen exotischen Effekt findet. Und ausgerechnet bei Sputnik V soll es nicht auftreten. Das hat ein Geschmäckle, wie der Schwabe sagen würde.



Camillo Schumann



Ich habe ja schon gesagt, Dänemark hat die Faxen dicke und Vektorimpfstoff von AstraZeneca aus der Impfstrategie rausgenommen. Das ist ja ein Fingerzeig für die Gesamtstrategie in der EU.



Alexander Kekulé


Ja, das ist in der EU so, dass wir gehört haben, dass Frau von der Leyen die Kommissionspräsidentin sich ja jetzt auch klar geäußert hat. Sie hat gesagt, wir müssen uns konzentrieren auf die Technologien, die schon gezeigt haben, dass sie funktionieren. Und da hat sie gesagt, dass RNA-Vakzine eben diejenigen sind, wo das der Fall ist. Das ist sozusagen diplomatisch ausgedrückt, ein Strategiewechsel. Also die New York Times titelt, dass die EU jetzt ihre Strategie wechselt. Parallel dazu wurden ja


jetzt Verhandlungen mit Pfizer aufgenommen für weitere Dosen. Da soll es jetzt allerdings für die Jahre 2 2  und 2 3 1,8 Milliarden weitere Impfdosen von Pfizer geben. Von dem RNAImpfstoff, dass ist jetzt so zumindest in der Verhandlung. Und die EU hat auch schon erklärt, die Kommissionspräsidentin, dass das ausgegebene Ziel, man will ja 70 Prozent der Erwachsenen bis Ende des Sommers 2 2  also dann immunisiert haben in der EU, dass man das auch ohne die Vektorimpfstoffe könnte. Ich sehe das so, dass man eigentlich spät jetzt letztlich zu der Erkenntnis gekommen ist, dass man die RNA-Impfstoffe wissenschaftlich unterschätzt hat, dass man die Vektorimpfstoffe überschätzt hat und dass man hier die Strategie wechselt. Ich glaube, das geht in diese Richtung. Da können sie am Schluss hundert Mal sagen, es ist nur eins zu 100.000, aber bei den anderen ist es einfach Fakt, dass man diese Nebenwirkungen nicht hat. Es ist klar, dass die Anpassung an die neuen Varianten notwendig ist und dass das mit den RNA-Impfstoffen funktionieren wird. Und deshalb haben diese Vektorimpfstoffe jetzt in den Ländern, die sich das leisten können, umzusteigen, also Dänemark ist ein gutes Beispiel. Die haben ja genug von dem anderen Stoff. In denen haben diese Vektorimpfstoffe jetzt kein leichtes Spiel mehr. Das muss man ganz klar sagen.



Camillo Schumann



50. Millionen Impfdosen sollen ja im zweiten Quartal und zusätzlich noch kommen. Aber übertreibt man es da nicht, wirkungsvollen Impfstoff so abzuschaffen.



Alexander Kekulé


Ja, das ist halt so unsere Art, nicht. Stellen Sie sich vor, Sie haben 2 Medikamente und wir hatten die Diskussion vor langer Zeit, mal bei der Zulassung von Diabetestherapien. Sie haben 2 Therapien. Die eine ist wahnsinnig teuer und hat ein bisschen weniger Nebenwirkungen, ist sozusagen komfortabler. Wenn sie dann sagen gut, die Kassenpatienten kriegen das eine, die Privatpatienten des andere, dann haben sie nach kürzester Zeit ein Problem. Und


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deshalb ist immer die Tendenz, das gilt übrigens nicht nur in der Medizin, dass die bessere Technologie sich letztlich durchsetzen. Auch wenn es am Anfang teurer oder aufwendiger war. Da gibt es viele, ich will jetzt keinen langen Vortrag halten, aber in der Informationstechnologie gibt es auch viele Beispiele, wo man gesagt hat, das und das wird sich nie durchsetzen, weil es ja viel zu aufwendig ist, auch wenn es besser ist. Aber dann hat man eben technologische Fortschritte gemacht. Das Ganze wurde in größerem Stil produziert, sodass man dann so eine Economy of Scale hat. Die Sachen werden billiger, und deshalb setzt sich letztlich immer die bessere Technologie durch. Und eine zweitklassige Technologie hat dann immer das Nachsehen. Auch wenn sie am Anfang Vorteile hat, und das sehen wir hier eben ganz deutlich im Unterschied zwischen Vektorimpfstoffen und den RNA-Impfstoffen. Die RNA-Impfstoffe hatten ja am Anfang auch theoretische Probleme. Da konnte man ja auch formulieren, was da alles hätte schiefgehen können. Aber da haben sich diese Risiken, die man vorher abstrakt formuliert hat, die haben sich eben jetzt nicht manifestiert. Zumindest bisher nicht. Und es sind ja dreistellige Millionenzahlen inzwischen, die da verimpft wurden. Und man guckt da natürlich genauso genau hin wie bei den anderen. Das heißt, ich glaube schon, dass das hier jetzt für die Industrieländer es Richtung RNA-Impfstoff geht. Man kann die Diskussion sogar noch ein Stück weiter drehen. Es ist ja so, dass Herr Lauterbach jetzt fordert, der kommt jetzt schon zum zweiten Mal vor in dieser Sendung. Ich muss mich dafür entschuldigen. Aber es ist Zufall. Aber wer soviel twittert, der wird natürlich auch gelesen. Der sagt jetzt, man soll von dieser Tübinger Firma CureVac jetzt schnell die nationale Notzulassung für den RNA-Impfstoff machen. Also ich bin absolut dagegen, bei irgendwelchen Impfstoffen sozusagen Abkürzungen beim Zulassungsprozess zu machen. Man braucht immer für einen neuen Impfstoff ein vollständiges Zulassungsverfahren. Und ich bin dagegen, irgendetwas ab zu kürzen. Wenn die Daten eines vollständigen Verfahrens auf dem


Tisch sind und das dauert eben eine Weile, bis man die hat. CureVac macht es ja gerade zusammen mit Bayer, und das dauert einfach. Die sind noch nicht so weit. Wenn die dann fertig sind, dann weiß ich nicht genau, ob die nationale Zulassung am Ende so viel schneller ist, als die Notfallzulassung der EMA, die er bei den anderen jetzt gemacht wurde und warum keine Abkürzung. Das ist zwar sehr ähnlich, das ist ein RNA-Impfstoff, aber der hat natürlich wieder in dieser Lipid-Formulierung, die da außen rum ist. Bei dieser Lipidhülle hat der natürlich wieder eine andere Zusammensetzung. Das ist ja Staatsgeheimnis oder Firmengeheimnis der Firmen. Und deshalb muss man die Sicherheitsdaten neu erheben und die Zusammensetzung dieser LipidNanopartikel, die der außen drum sind, die hat auch Einfluss auf die Wirksamkeit. Und es kommt wirklich bei so RNA-Vakzinen auf jeden einzelnen Baustein an. Also wenn sie denn auch nur einen Baustein der RNA verändern. Wir haben das Beispiel mit diesen Polinen ja mal besprochen, wo man da 2 Poline eingebaut hat und dass es dadurch viel wirksamer wurde. Also, da müsste man wirklich sagen okay, um jetzt so eine Zulassung zu kriegen – im Eilverfahren müsste CureVac dann eins zu eins kopieren, was BioNTech und Moderna schon gemacht haben. Und da gilt eben, darum bin ich jetzt darauf gekommen, wieder das Prinzip. Wir haben ja die Technologie, die anderen haben die Fabriken. Eine Fabrik zu klonen ist immer leichter, als eine Neuzulassung zu machen und einen neuen Wirkstoff irgendwo anders herzustellen. Deshalb sage ich jetzt mal langsam, ich würde jetzt in dieser Krisensituation ohne jetzt sonst was gegen Marktwirtschaft zu haben, würde ich sagen, wir haben etwas, das funktioniert. Also lass uns das so breit wie möglich rausbringen. Lass uns zusehen, dass wir das auch bei niedrigeren Temperaturen einsetzen können. Das Problem durch die Vektorimpfstoffe haben nicht wir Industrieländer letztlich, sondern das haben die Länder, die weniger entwickelt sind und die Schwellenländer. Übrigens auch die weniger entwickelten Regionen der USA. Weil die drängen darauf, die brauchen einen Impfstoff, den


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man im Kühlschrank lagern kann, die haben sich in den USA darauf eingestellt, dass sie Teile der Bevölkerung, die zum Beispiel kein Zuhause haben und Ähnliches oder die Native Community, also die Indianer, die dort leben. Das sind Leute, die sind schwer für 2 Impfungen nacheinander einzubestellen. Da ist man froh, wenn man denen einmal Johnson und Johnson geben kann. Und Tschüss. Also diese Situation, wo es schwierig ist, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu erreichen oder wo man einfach nicht das Geld hat für die LuxusImpfstoffe. Die haben jetzt ein Problem, weil die haben alle auf diese Vektorimpfstoffe gesetzt. Und natürlich wird sich in Zeiten des Internets dann auch rumsprechen, die Industrieländer nehmen jetzt RNA-Impfstoffe, und uns schenken sie dann am Ende noch die Vektorimpfstoffe. Also, da sehe ich eher das Problem. Und das ist der Grund, warum es wirklich ärgerlich ist, dass es jetzt diese Schwierigkeiten gibt bei den Vektorimpfstoffen. Ich würde mir wünschen, dass man das Risiko genauer eingrenzen kann. Wenn man weiß, dass man bestimmte Leute damit nicht impft und die anderen dann ein ganz stark vermindertes Risiko für Nebenwirkungen hatten. Dann könnte noch alles wieder gut werden.


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Camillo Schumann



Also es bleibt spannend bei den Impfstoffen. Wird immer wieder Thema sein hier im Podcast. Herr Kekulé wir sollten auch unbedingt über einen Game Changer oder einen vermeintlichen Game Changer sprechen. Was ihr Kollege, da ist er wieder, Professor Lauterbach nennt dieses Medikament so. Es geht um das Asthma-Medikament Budesonit. Eine Studie aus Oxford kommt zu dem Ergebnis, dieses Asthma-Medikament mindert die Gefahr schwerer Covid-19 Verläufe um 90 Prozent. Das hört sich jetzt erstmal klasse an, wird auch über die Portale so getragen. So sind auch die Überschriften. Die Frage ist aber, reichen diese klinischen Daten aus, um eine klare Empfehlungen zu geben? Und wenn ja, wer sollte die-


ses Medikament überhaupt einnehmen? Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé


Budesonid ist ja nichts anderes als Cortison. Das ist ein Cortisonspray. Asthmatiker kennen das. Das gibt es in diesen Turbohalern und schwerer Asthmatiker, die brauchen das. Jetzt ist die Frage, soll man, und das ist ja hier in der Studie gemacht worden,, die ist gerade am 9. April erschienen in Lancet Respiratory Medicine. Das ist so ein Ausleger von dem berühmten Lancetmagazin. [Sie ist, Anm. d. Redaktion] von vielen Kollegen gemacht worden. Die Universität von Oxford war federführend. Die haben dort eben geguckt, wie ist das, wenn man ganz am Anfang, wenn man so ein mildes einfaches Covid hat, also keine schweren Verläufe erstmal. Und wenn man dann so innerhalb der ersten sieben Tage, je früher, desto besser, einfach anfängt, zweimal am Tag, sich da mit so einem Turbohaler ein oder 2 Inhalationen zu geben. So wie das die Asthmatiker auch machen oder einige Asthmatiker machen, bringt es irgendwas? Und da ist tatsächlich bei dieser konkreten Studie, das haben die nur in Oxfordshire gemacht, in dieser Region, wo die Universität Oxford ist. Und da ist es dann tatsächlich relativ eindeutig, dass die Notwendigkeit, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, also irgendwie zum Arzt zu gehen oder ins Krankenhaus, deutlich abgesunken ist. Bei den Kontrollen waren es zehn von 70 Patienten, die man hatte. Und bei denjenigen, die behandelt wurden, musste nur einer von 69, also ein Prozent bei den behandelten und 15 Prozent bei denen, die nicht behandelt wurden, mit Cortison, mussten irgendwie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Daraus sieht man schon insgesamt bei ungefähr 140 Patienten. Das ist eine Zahl, die reicht hier aus. Das ist eine echte, kontrollierte Studie. Des reicht hier aus, und damit ist relativ eindeutig, wenn man dieses Kortison nimmt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, ins Krankenhaus zu müssen, deutlich geringer. Auch die Zeit, bis man wieder gesund ist, hat sich um einen Tag verkürzt. Also bei denen, es waren ja nur milde Verläufe


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die da angeschaut wurden. Bei diesen milden Verläufen war es so, dass das sich von acht Tagen, sonst die durchschnittliche Krankheitsdauer auf sieben Tage verkürzt. Und so ein bisschen schwächere Signale waren das. Man hat bei Fieber und bei andauernden Symptomen, die also länger als 2 Wochen angedauert haben, auch ein Effekt gesehen. Dass es offensichtlich so ist, das ein bisschen weniger diese Probleme auftreten bei Leuten, die das Kortison genommen haben. Aber man muss eben bis einen Tag nach Abklingen der Symptome, jeden Tag zweimal sich da 400 Mikrogramm, also 0,4 Milligramm Kortison reinziehen. Und da würde ich jetzt auf keinen Fall so weit gehen, dass man sagen kann also okay, wir kürzen jetzt die leichten Verläufe von Covid ab, indem wir alle Cortison inhalieren.



Camillo Schumann



Warum nicht?



Alexander Kekulé


Cortison ist einfach ein zweischneidiges Schwert. Cortison ist ein Medikament, das kann, das wissen wir relativ klar, das Immunsystem stark unterdrücken. Und das unter anderem diese angeborene Immunantwort unterdrückt. Bei der angeborenen Immunantwort, das ist das, was ganz am Anfang passiert, in den ersten Stunden nach einer Infektion praktisch bei jeder Virusinfektion, auch bei der bei Sars-CoV-2 . Mechanismen, die eben dann verhindern, dass dieses Virus sich schnell ausbreiten kann. Und wir wissen, dass bei den Leuten, die also einen schweren Verlauf haben, zumindest diese angeborene erste Stufe der Immunantwort aus irgendeinem Grund nicht richtig zündet. Bei den Älteren nimmt man an, das hängt mit dem Alter zusammen. Dass die in im höheren Alter nicht mehr so aktiv ist, die angeborene Immunantwort. Umgekehrt ist es ja so, dass die so eine Art Daueraktivierungszustand bei kleinen Kindern hat. Und es könnte damit im Zusammenhang stehen, dass die weniger starke Symptome haben, also in diesem Bild, was wir von der Krankheit haben. Hängt auch mit dem Interferon zu-


sammen es ist so, dass das Interferon quasi freigesetzt wird von den Zellen, wenn sie merken, da ist ein Virus im Anmarsch. Die warnen sich dann gegenseitig und stoppen auch die Virusvermehrung in der Zelle selber. Und wir sehen eben, dass das SARS-Cov-2  diese Interferonfreisetzung blockieren kann. Und wir sehen, dass wenn wenig Interferon da ist und insgesamt die anderen Zeichen für eine aktivierte, angeborene Immunantwort fehlen, dass dann die schweren Verläufe kommen. Soll ich also in dieser Lage ein Medikament geben, von dem ich weiß, dass es die angeborene Immunantwort und auch das Interferon blockiert? Ich würde ich sagen, rein theoretisch ist es so ein bisschen, die Idee den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Und es gibt ja auch diverse Studien, die auch schon gemacht wurden mit Covid, wo man gesehen hat, dass eben gerade diese niedrig dosierte Therapie manchmal die Krankheitsverläufe verschlechtert. Also zum Beispiel zu länger andauernder Virusausscheidung führt oder dass die Patienten länger im Krankenhaus bleiben, erst später entlassen werden. Da gibt es auch Studien aus China. Gerade eine ganz aktuelle in den letzten Tagen erschienen. Und aus all diesen Gründen wissen wir bei einer Virusinfektion ganz am Anfang, Kortison zu geben in einer Situation, wo es so ist, dass wir nicht eine überschießende Immunreaktion haben. Das ist auf jeden Fall eine riskante Sache, rein von der Virusinfektion. Ich rede jetzt gar nicht von den sonstigen Nebenwirkungen. Und wir wissen aber andererseits, dass spät in der Covidinfektion, also später. In dem Fall ein paar Tage später, wenn man einen Zytokinsturm hat, wenn man auf der Intensivstation liegt, mit der Atmung und so weiter. Da ist es dann bekannt, dass hochdosiertes Cortison, also Dexamethason. Bei Beatmeten ist zum Beispiel gezeigt worden, das verringert eindeutig die Sterblichkeit. Das ist ja ein spektakuläres, tolles Ergebnis gewesen. Auch ein anderes Cortison Methylprednisolon. Da ist es so, dass man den Zytokinsturm, der manchmal später in der Covidinfektion auftritt, dass man den bremsen kann. Also daher am Anfang der Infektion lieber hoffen, dass die angeborene


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Immunantwort das selbst erledigt. Wenn sie das nicht tut, etwas später, muss der Arzt dann unter Umständen immunsuppressiv arbeiten, um die eigene Immunreaktion zu drosseln. Weil die sozusagen verrückt spielt. Aber bei diesem schwierigen Segeln zwischen Skylla und Charybdis jetzt sozusagen zu sagen, wir fahren jetzt alle Skylla zu, weil wir so viel Angst vor Charybdis haben. Das hat schon Odysseus zum Glück nicht gemacht, und da würde ich dringend vor warnen.



Camillo Schumann



Okay, also kein Game Changer.



Alexander Kekulé


Das kann schon sein, dass es für bestimmte Situationen wichtig ist. Wir wissen ja noch nicht, was die Indikation ist. Es kann ja auch sein, dass wir nach diesen Anfangsdaten, die nun wirklich eindeutig sind, dass wir jetzt sagen okay, schauen wir mal. Vielleicht gibt es einen Punkt im Krankheitsverlauf, wo zum Beispiel im Krankenhaus die Ärzte sagen, die Sauerstoffsättigung geht jetzt langsam runter. Und da gibt es den Punkt, wo die dann anfangen, Sauerstoff zu geben oder High-FlowSauerstofftherapie besonders viel zu geben. Vielleicht wäre es an irgendeinem Punkt dann sinnvoll, mit einem inhalierten Cortisonpräparat einzusetzen. Das kann ich mir sehr gut vorstellen, dass man da einen optimalen Punkt findet um unsere Krankenhäuser und Intensivstationen [zu entlasten, Anm. d. Redaktion]. Die sind ja inzwischen super was diese Covidtherapie betrifft. Auch vor allem die späteren Stadien. Da hat sich ja sehr, sehr viel getan und verbessert. Und da kann ich mir vorstellen, dass es dann eine Indikation gibt und vielleicht in diesem Bereich, der Patient biegt ja sozusagen nach links oder rechts ab. Bleibt auf er der Allgemeinstation oder kommt er auf die IST, wird beatmet und so weiter. Da verändert sich ja auch seine Prognose, dass man da dann mit so etwas einsetzt. Da würde ich sagen, das kann sehr gut sein. Aber ich würde davor warnen. Wie hier in dieser Studie. Die ist ja sehr mutig gewesen, quasi völlig normalen Men-


schen ganz am Anfang der Infektion zu sagen, so du nimmst jetzt mal schön Cortison. Das hätte auch in die Hose gehen können. Weil es gibt ja viele virale Lungenentzündungen, und wenn Sie da Cortison geben, dann wird es also echt schlimmer. Also, man hat da schon auch ein bisschen Risiko in Kauf genommen. Ist jetzt hier gut gegangen. Aber ich würde nicht empfehlen, dass jetzt jeder von den Millionen SarsCoV-2  Infizierten sagt, ich nehme jetzt Cortison, damit ich so und so viel Prozent weniger Chance habe ins Krankenhaus zu kommen. Und nur sieben Tage statt acht Tage krank bin.


56:13



Camillo Schumann



Kommen wir zu den Hörerfragen. Frau H. aus Berlin hat uns angerufen. Es geht um ihren Mann. Sie macht sich Sorgen um ihn. Er hat jetzt einen Impftermin bekommen. In den nächsten 14 Tagen kann er geimpft werden. Aber Frau H. kennt auch ihren Mann, und deswegen hat sie angerufen. Denn:


Er ist starker Raucher oder Raucher seit über dreißig Jahren. Und kann auch nicht aufhören und trinkt auch mal ab und an ganz gern und da wäre meine Frage: jetzt zügig beeilen, weil in 14 Tagen das Angebot steht oder lieber sein lassen und warten. Vielen Dank für Ihre Antwort.



Camillo Schumann



Eine sehr besorgte Ehefrau.



Alexander Kekulé


Ja, auf jeden Fall impfen. Also das ist natürlich immer schwierig für einzelne Patienten. Ich weiß gar nicht, ob man das überhaupt darf aber so grundsätzlich würde ich mal sagen, in so einer Situation impfen. Und zwar, jemand, der viel raucht, der hat im Zweifelsfall auch die Tendenz Richtung chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Jemand, der raucht und gern mal einen trinkt. Er hat auch die Tendenz, sich mit den Kumpels in der Kneipe zu treffen. Oder Ähnliches. Und das heißt, da haben wir jetzt in zweierlei Hinsicht ein gewisses Risiko. Einer-


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seits auf Infektion, andererseits auf schweren Verlauf, falls die Infektion durch Sars-CoV-2  passiert. Und deshalb würde ich sagen, impfen lassen. Da gibt es jetzt keinen Grund, das nicht zu machen.



Camillo Schumann



Die Frage, die uns auch immer wieder erreicht, sollte man, wenn man die Impfung erhalten hat, danach auf Alkohol verzichten? Mal ein paar Tage. Russlands oberste Amtsärztin, die hat gesagt 56 Tage lang keinen Alkohol trinken. Der Leiter des Bonner-Instituts hat gesagt, drei Tage reichen. Was wäre so ihre Prognose?



Alexander Kekulé


Also als russische Alkoholverhältnisse meinten sie jetzt? So grundsätzlich ist der Arzt immer dafür, möglichst wenig Alkohol zu trinken. Das ist völlig klar. Und das muss jeder selber wissen, wo seine Grenze ist. Und ich glaube, die meisten merken auch, dass, wenn man etwas zu viel Alkohol trinkt, dass es dann ungesund wird. Auch mental. Und deshalb find ich es immer eine gute Idee, wenig Alkohol zu trinken. Aber es gibt natürlich überhaupt keine Daten, die jetzt sagen würden, wenn einer ein Glas Wein trinkt, am Tag nach der Impfung, dass es ihm dann besonders schlecht gehen würde. Was die Nebenwirkungen betrifft oder dass die Impfung nicht richtig wirken würde oder Ähnliches also, da gibt es keine Daten darüber. Und das wäre auch unwahrscheinlich. Ich würde auch jetzt nicht unbedingt das Experiment machen wollen, dann der Hälfte aller Probanden, irgendwie den Wodka einzuschenken, um zu sehen, ob es einen Unterschied macht. Ich glaube, das ist eher so ein bisschen speziell russisch zu beurteilen dort. Es spielt einfach eine sehr, sehr große Rolle, darf ich trinken? Wann darf ich trinken? Wie viel darf ich trinken. Das ist ganz klar, dass die Leiterin der Gesundheitsbehörde diese Gelegenheit wahrgenommen hat, so eine Empfehlung auszusprechen, wahrscheinlich mit Blick auf die Schädlichkeit des Alkohols allgemein. Vielleicht sage ich noch eins dazu. Es ist leider so, vielleicht bei uns gar nicht so bekannt. Also, bei


den Russen gibt es auch eine echt massive Scheu vor den Impfungen. Das ist ganz interessant. Und dieser Sputnik V Impfstoff, jetzt gar nicht aus den Gründen, die bei uns so diskutiert werden mit der Parallele zur AstraZeneca oder Johnson und Johnson, der kommt in Russland bei Teilen der Bevölkerung nicht so recht an. Und deshalb weiß ich nicht genau, ob das eine gute Idee ist, dann auch noch zu sagen: wenn ihr den Impfstoff nehmt, dann dürft ihr 56 Tage nichts trinken. Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere dann, wenn er die Wahl zwischen Alkohol und Impfstoff hat, relativ schnell entschieden ist.



Camillo Schumann



Die Impfbereitschaft habe ich gelesen, so um die 30 Prozent. Und das korreliert sicherlich auch mit dieser Aussage. Frau W. hat uns gemailt. Sie möchte wissen: In Anbetracht der Tatsache, dass jetzt zweimal die Woche Selbsttests in der Schule durchgeführt werden, möchte ich wissen, ob von den Selbsttests und deren regelmäßigen Anwendung ein Krebsrisiko ausgeht. Wenn im Internet Videos und Berichte kursieren, die explizit von einem hohen Risiko durch die Tests sprechen. Ich danke im Voraus, viele Grüße.



Alexander Kekulé


Krebsrisiko durch Selbsttest? Ich habe schon gelesen, dass die Leute einem den Tupfer immer ins Gehirn reinrammen würden. Wenn man das öfters macht. Also im Internet gibt es offensichtlich tolle Gruselgeschichten. Die müssten wir irgendwann mal sammeln für eine Spezialausgabe. Aber ein Krebsrisiko durch Selbsttest gibt es definitiv nicht. Die einzige Möglichkeit, die ich irgendwie sehen würde, wäre Entschuldigung, wenn ich das Versuche spaßig zusehen, wenn man das Papierchen, was da drin ist in der Kassette, rauspopelt und zusammen mit den Reagenzien verspeist. Da weiß ich nicht, ob da irgendwelche Chemikalien dabei sind, die dann in höherer Dosis krebsfördernd werden. Aber die Abnahme des Selbsttests ist definitiv nicht krebsfördernd.


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Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 170. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne bis dahin Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Und wer das ein oder andere Thema noch mal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 13. April 2 02 1 #169



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Was bringen nächtliche Ausgangssperren? (2 6.03.2 02 1) Understanding the effectiveness of government interventions in Europe’s second wave of COVID-19 | medRxiv


Studie: Südafrika-Mutation kann offenbar Biontech-Impfstoff durchbrechen (09.04.2 02 1) Evidence for increased breakthrough rates of SARS-CoV-2  variants of concern in BNT162 b2  mRNA vaccinated individuals | medRxiv


Studie: Wie Covid-19 Psyche und Nerven schädigt (06.04.) neuropsychCOVID.pdf (thelancet-press.com)


Dienstag, 13. April 2 02 1


Kann die Bundesnotbremse in dieser Phase der Pandemie noch etwas ausrichten?


Dann: Diskussion über nächtliche Ausgangssperren. Wie wirkungsvoll sind sie wirklich?


Außerdem 2 wichtige Meldungen zu den Impfstoffen von BioNTech und AstraZeneca. Was muss man darüber wissen?


Dann: wichtige Studie zu Long Covid: wie Covid-19 Psyche und Nerven schädigt.


Und: Wie ist eigentlich die steigende Zahl an infizierten Kindern zu erklären?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Ja, und wir starten mal mit dem CDUParteichef und NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet:


Ich würde mir wünschen, wir 16 kommen zusammen heute, morgen, übermorgen und entscheiden uns. Aber es scheint dafür keinen Konsens zu geben. [Ich, Anm. d. Redaktion] bedauere dies sehr, dass diese ganze Pandemie inzwischen parteipolitisch überlagert ist, von Taktik überlagert ist, und nicht die wirkliche reale Situation auf den Intensivstationen in den Blick genommen wird.


Tja, Laschet hat das ganze Hin und Her der Bundesländer in Sachen Corona-Maßnahmen hier ziemlich gut zusammengefasst. Und weil sich keiner daran hält, was gemeinsam verabredet wurde, will nun der Bund das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Heute hat das Kabinett ein verschärftes Infektionsschutzgesetz beschlossen. Das heißt, ab einer 7-TageInzidenz über 100 beschließt der Bund Maßnahmen, an die sich alle Bundesländer halten müssen. Die sogenannte Bundesnotbremse soll nun im Eilverfahren noch in dieser Woche durch Bundestag und Bundesrat.


Herr Kekulé, kann diese Bundesnotbremse (in Anführungszeichen) in dieser Phase der Pandemie noch irgendetwas ausrichten?



Alexander Kekulé


Na ja, irgendwie müssen sich die Länder zusammenraufen. Und wenn's nur auf diese Weise geht, dann ist es besser spät als gar nicht. Das ist klar. Ob sie was ausrichtet und wieviel sie ausrichtet, ist natürlich davon abhängig,


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was dann konkret drinnen steht. Also das eine ist ja, dass der Bund entscheidet. Das ist, meine ich, tatsächlich richtig, weil alle anderen Versuche gescheitert sind. Ganz klar, dass Pandemien natürlich nicht vor Landesgrenzen, vor Staatsgrenzen Halt machen. Man braucht eine zentrale Steuerung. Das andere ist aber, wenn man denn zentral steuert, was steuert man denn da? Also sind dann die Maßnahmen besser als bisher? Und warum bisher vieles nicht so gut gelaufen ist in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas, liegt ja nicht nur an der Koordination zwischen Bund und Ländern, sondern tatsächlich auch an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Beratung und Politik. Und dann auch eben [an, Anm. d. Redaktion] den Entscheidungen der Politik selber. Das können ja, sage ich mal, in Berlin theoretisch auch Fehler gemacht werden.



Camillo Schumann



Unter anderem soll es ja auch eine nächtliche Ausgangssperre geben, über die wollen wir gleich noch mal reden. Die Notbremse wurde schon mal am 3. März beschlossen. Das ist jetzt sage und schreibe sechs Wochen her. Oder anders ausgedrückt: anderthalb Monate. Das ist ja kostbare Zeit, die da vergangen ist.


03:2 0



Alexander Kekulé


Ja, wir haben ja letztlich mehrere Parameter, auf die man schauen muss. Und das eine ist die Inzidenz. Ich warne immer davor, nur auf die Inzidenz zu starren, aber in der Tat, die geht natürlich jetzt hoch. Das ist die erwartete Welle, die jetzt hier kommt. Und das zweite ist ja immer die Auslastung der Intensivstationen, die nicht notwendigerweise mit Todesfällen eins zu eins zusammenhängt. Das kann man nur noch einmal betonen. Da wir ja mehr jüngere Patienten haben, die länger auf den Stationen liegen, aber dafür häufig lebend natürlich das Krankenhaus verlassen, ist es so, dass die Auslastung der Intensivstationen jetzt nicht unbedingt mit der Sterblichkeit korreliert. Aber insgesamt steht völlig außer Frage, dass wir das nicht so laufen lassen können. Und drum


fand ich das eigentlich eine richtige, sage ich mal, Maßnahme, dass die Kanzlerin damals auf diese Notbremse beharrt hat. Zumindest hört man das so. Und dass die Länderchefs wohl zugestimmt haben. Und zwischendurch ist der ganze Prozess so politisiert worden, dass man selbst diesen Minimalkonsens (ich meine, eine 100er-Inzidenz ist ja schon relativ hoch, wenn wir uns mal an die Anfangszeiten erinnern) dass man bei diesem Minimalkonsens jetzt scheinbar nicht mehr zusammenkommt. Tja, das ist Politik, da bin ich als Epidemiologe ein bisschen überfragt.



Camillo Schumann



Nichts desto trotz, sechs Wochen die da ins Land gegangen sind. Und konkret sollen ja die Maßnahmen in den Kreisen und kreisfreien Städten gelten, wenn die Inzidenz über 100 ist. Und davon gibt es auch einige. Nun gibt es aber auch nicht wenige, die kurz vor der 100 sind oder sich in großen Schritten dieser 100 annähern. Aber verwaltet man mit dieser Maßnahme nicht dann so ein Infektionsgeschehen bei 100, denn unter 100 dürfen die Maßnahmen ja wieder gelockert werden. Also wäre es vielleicht nicht sinnvoll gewesen, wenn schon Bundesnotbremse, dann alles auf Anfang und wir bauen die 50 wieder ein?


05:10



Alexander Kekulé


Oh, das wäre in der jetzigen Lage, glaube ich, deshalb nicht möglich gewesen, weil wir dann noch viele, viele Wochen Lockdown hätten, bis wir auf diese 50 runterkommen. Ich glaube, so habe ich es zumindest verstanden und so wäre es ja auch rechtlich sinnvoll. Wir haben ja ein föderales System. Die Länder sind näher am Infektionsgeschehen dran, die sollen ja auch eine gewisse Rest-Flexibilität behalten. Und man nimmt ihnen in gewisser Weise diese Flexibilität über 100. Alles, was unter 100 ist, sollen eben die Länder weiterhin selber entscheiden. Das finde ich schon ganz sinnvoll, weil man muss ja auch sagen so ein starres, bundeseinheitliches System hat ja im Prinzip auch Nachteile: Wenn wir mal an die ganzen


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Modellversuche denken, die da gestartet wurden, die dann quasi zentral abgeschaltet werden, unbesehen der Situation im Einzelfall. Wenn wir daran denken, dass zum Beispiel bei den Schulen natürlich die Möglichkeiten zum Distanzunterricht lokal extrem unterschiedlich sind. Ja, es mag Gemeinden geben, die hervorragend ausgestattete Schulen haben und die ganz toll mit dem Internet funktionieren, oder andere Gemeinden, wo diese Testung ganz toll funktioniert. Es gibt ja sogar Lehrer, die gesammelt haben für solche Tests, wo die Eltern auch wirklich dahinter stehen. Und dann gibt es eben andere Regionen in Deutschland, wo die Eltern sich weigern, die Tests zu machen, wo das Internet in der Schule nicht funktioniert und Ähnliches. Und ich glaube, es ist da schon sinnvoll, genauer hinzuschauen, wann macht man was? Und wenn der Bund zentral von Berlin aus das festlegt, ist es immer nur die zweitbeste Lösung. Es erinnert mich so ein bisschen an die Situation vor Familiengerichten, wo sich Eheleute ja manchmal darüber streiten, was mit den Kindern zu tun ist. Und da ist es natürlich immer das Beste, die Eltern würden sich einigen, was mit den Kindern passiert und wie sie zu erziehen sind. Und wenn dann das Gericht sozusagen das für die Eltern machen muss, das ist immer nur eine Krücke. Und so ist es auch eine Krücke, wenn der Bund das für die Länder und die Gemeinden machen muss. Aber da sich hier die Streithähne offensichtlich nicht anders einigen konnten, ist es jetzt der Weg, den man geht.



Camillo Schumann



Das Robert-Koch-Institut meldet eine deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz von 140. Präsident Lothar Wieler rechnet auch erst ab Mitte dieser Woche wieder mit verlässlichen Zahlen zur Pandemie, wegen der Osterfeiertage und den ganzen Nachmeldung. Also [ist, Anm. d. Redaktion] die Inzidenz von 140 ein bisschen mit Vorsicht zu genießen. Auf der anderen Seite erwarten Intensivmediziner, dass der bisherige Höchststand an Intensiv-Patienten schneller erreicht wird als erwartet. Noch im April rechnen sie damit, dass 6000 Menschen mit Co-


vid-19 auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Stand heute liegen wir bei 4660 und jeden Tag kommen im Schnitt rund 100 Patienten dazu. Jetzt wissen wir, dass die Zahl der Intensivpatienten immer ein paar Wochen hinterherhängt. Das heißt doch, dass wir mit einem neuen Höchststand an Intensivpatienten rechnen müssen, trotz Bundesnotbremse, wenn sie denn jetzt in dieser Woche, spätestens ab nächster Woche Montag, kommt, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist möglich. Das liegt eben an dem speziellen Patientenkollektiv, das jünger ist und länger auf der Intensivstation liegt. Diese Zahlen sind sicher seriös erhoben und ich gehe davon aus, dass das so ist. Ja.


08:19



Camillo Schumann



Also kann man sich ja schon dann die Frage stellen, man hat sechs Wochen, ich sag mal so, Zeit verstreichen lassen, jetzt hat man noch eine Woche, wo Beschlüsse gefasst werden. Also wir werden ja wieder, ich sage mal, dramatische Zahlen haben mit einer unklaren Perspektive. Oder?



Alexander Kekulé


Ich bemühe mich ja immer, nicht zu viel an der Politik zu kritisieren, weil das einfach ein schweres Geschäft ist, Einigkeit zwischen so unterschiedlichen Interessensgruppen herzustellen. Man muss ja auch auf der Gegenseite sagen wenn man jetzt wirklich nur auf die medizinische Seite guckt und nur die Epidemiologen reden lässt, dann hätte das unter Umständen zur Folge, dass eben die Wirtschaft extrem stranguliert wird. Dass unsere Kinder in der Schule nichts mehr lernen. Dass die Eltern zuhause am Rande des Nervenzusammenbruchs sind, wenn sie ihre Kinder ständig um die Ohren haben und und und. Ja, so eine Gesellschaft besteht ja nicht nur aus den Intensivzahlen. Und wir haben ja die Möglichkeit, uns auch selbst vor Covid zu schützen. Man muss natürlich an der Stelle sagen, heute, im April


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2 02 1, ist es ja so, dass das jemand, der sich wirklich bemüht diese Krankheit zu vermeiden, da viele Möglichkeiten zu hat. Wir sind ja nicht mehr in der Situation, dass wir keine Masken haben, sodass ich schon meine, der Staat gibt denen, die ein hohes Risiko haben, Möglichkeiten an die Hand. Wir sind dabei zu impfen und ich würde jetzt schon davon ausgehen, dass viele Menschen, die sich jetzt heutzutage Covid-19 dann doch noch einfangen, auch, sage ich mal, das Risiko nicht gescheut haben. Nicht alle, es gibt sicher echte Opfer. Aber das ist schon ein Land von mehreren Kulturen geworden, wo einige halt die Kultur haben, ich lasse das hier auf mich zukommen, und die anderen sagen, ich passe wirklich auf wie der Haftelmacher, um das nicht zu bekommen und lass mich impfen, so schnell es geht. Und ich glaube dann sozusagen alle in Gemeinschaftshaft zu nehmen, um jetzt die Zahlen auf den Intensivstationen unter Kontrolle zu halten, das wäre auch der falsche Weg. Dazwischen muss die Politik irgendwie einen Weg finden. Und ich glaube, ich habe das schon oft gesagt, ich bin froh, dass ich das nicht machen muss, sondern nur die eigene Position vertrete.


10:35



Camillo Schumann



Und diesen Weg will sie unter anderem mit nächtlichen Ausgangssperren finden. In betroffenen Kreisen und kreisfreien Städten sollen nächtliche Ausgangssperren von 2 1 bis fünf Uhr gelten. Sinn und Unsinn wird gerade heftig diskutiert. Ihr Kollege Karl Lauterbach sagt, nächtliche Ausgangsbeschränkungen wirken stark, stärker als Schulschließungen. Sie senken den R-Wert um circa 15 Prozent. Das würde im Moment für uns als zusätzliche Maßnahme genau reichen, das Wachstum zu brechen. Er zitierte auch eine Studie. AerosolWissenschaftler kritisieren dagegen die Ausgangssperren. Sie sagen, Ausgangssperren versprechen mehr, als sie halten. Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen


noch mehr zu entziehen. Wie stehen Sie denn dazu?



Alexander Kekulé


Also ich schätze den Karl Lauterbach sehr und stehe auch im ständigen Austausch mit ihm. Das mag sein, dass eine Studie irgendetwas herausgefunden hat. Aber wir wissen ja auch aus diesem Podcast, da gibt es 2 Wochen später die nächste Studie, die was anderes oder vielleicht sogar das Gegenteil belegen will. Und so bahnt sich sozusagen das Wissen seinen Weg. Also man versucht halt, sich der Wahrheit durch wissenschaftliche Studien nach und nach anzunähern. Was bedeutet das? Man kann jetzt nicht sagen, weil ich da eine Studie habe, die da 15 Prozent ausspuckt als Ergebnis von nächtlichen Lockdowns, dann hätte das zur Konsequenz, dass wir hier in Deutschland mit unserer Situation und dem, was uns jetzt bevorsteht, 15 Prozent die Fallzahlen drücken, wenn wir diese Maßnahmen ergreifen. Also diese Schlussfolgerung, dass das quasi in einer Studie gezeigt wurde und man das deshalb jetzt so anwenden kann (und ich höre das so ein bisschen raus) die darf man eben nicht ziehen. Dass ist meines Erachtens ganz wichtig. Sondern wir müssen da überlegen, einfach im Sinne eines Szenarios, was würde da bei uns passieren? Bei den Ausgangssperren ganz konkret jetzt aus epidemiologischer Sicht ist es quasi so eine Art Ultima Ratio, sonst eigentlich eine Maßnahme, die eher in autoritären Staaten verwendet wird, um die Bürger unter Kontrolle zu halten. Hier ist ja die Vorstufe die, dass man eigentlich Kontakte zwischen 2 Haushalten reduzieren will. Und das ist sinnvoll im privaten Bereich. Irgendwie finden ja viele Infektionen nach wie vor statt und die Empfehlung ist deshalb, zumindest bei Inzidenz über 100, dass ein Haushalt sich nur mit einer weiteren Person aus einem anderen Haushalt trifft. So weit, so gut. Die Frage ist nur wie kontrolliert man das im privaten Bereich? Und da ist die Politik offensichtlich zumindest in einigen Regionen Deutschlands zu der Erkenntnis gekommen: Wenn wir das nicht irgendwie polizeilich über-


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prüfen können, dann ist das alles für die Katz‘, wenn wir diese Ansage machen. Und deshalb ist quasi die zweite Stufe dann zu sagen: So und jetzt machen wir das mit doppelten Boden und Netz und wir wollen jetzt also auf der Straße kontrollieren, ob ihr abends brav nach Hause gegangen seid. In diesem Sinne bin ich nicht überzeugt, dass jetzt in der deutschen Situation diese Ausgangssperre, diese nächtliche, wirklich eine große Wirkung zeigt. Zumindest nicht generell. Also erstens ist es so, es handelt sich ja um viele junge Leute. Wir sehen, dass das Infektionsgeschehen ganz massiv bei Jugendlichen und Schülern auch um sich greift in Deutschland, und da ist es einfach so (zumindest das, was ich in meinem Umfeld sehe) statt abends dann nach Hause zu gehen, übernachten die halt dann bei ihren Kumpels. Ganz einfach. Das wird von vornherein so geplant, dass man eben in der Zeit, was weiß ich, von neun bis fünf, wenn Ausgangssperre ist, dann dort bleibt. Im Sinne des Epidemiologen lässt mir das natürlich die Haare zu Berge stehen, weil sie dann wirklich den Effekt haben, den sie eigentlich gerade vermeiden wollten. Psychologisch ist es ja auch so, dass bei allen Maßnahmen man immer überlegen muss, das sind ja hier Menschen. Wir haben es nicht mit Versuchstieren oder Mäusen oder so was zu tun. Und da ist es wichtig, die müssen verstehen, warum das so ist, sie müssen es einsehen und im privaten Bereich dann aktiv sozusagen umsetzen. Die müssen da überzeugt sein. Und da weiß ich jetzt nicht genau, wenn jetzt im Sommer schönes Wetter ist, um neun Uhr ist es noch hell und jetzt darf ich also nicht mehr rausgehen. (Ich weiß gar nicht, wie das ist. Mit dem Hund darf ich dann wahrscheinlich schon raus gehen, sonst macht der mir ja in die Wohnung).



Camillo Schumann



Ja, natürlich (lacht).



Alexander Kekulé


Aber mit dem Kind darf ich nicht raus. Also das ist so die Situation. Ich glaube, das Beispiel habe ich vor einem Jahr mal gebracht. Und


damals war eigentlich relativ offensichtlich, dass man diese Bevorzugung der Hunde gegenüber den Kindern nicht wirklich so erklären kann. Und heute ist es plötzlich Konsens scheinbar auf Bundesebene. Also daher glaube ich, dann müsste man schon noch mal genauer überlegen, ob jetzt so eine Ausgangssperre was bringt. Vielleicht noch einmal ein weiterer Aspekt, aus meiner Sicht ist so eine Ausgangssperre lokal – weil sie eben so eine Ultima Ratio ist – lokal sinnvoll, wenn man eine Region hat, wo die Leute einfach nicht wollen. Wir haben ja, kann man offen sagen, einzelne Ortschaften in Deutschland (interessanterweise auch zum Teil kleinere Ortschaften) da ist einfach die Dichte der Corona-Leugner so hoch, dass man die dort überhaupt nicht unter Kontrolle bekommt und da greift das Virus einfach völlig unkontrolliert um sich. Da wäre vielleicht eine Ausgangssperre sinnvoll. Oder auch bestimmte Regionen von Großstädten, wo einfach nach wie vor illegale Treffen stattfinden, die also dann über soziale Medien vorher angesagt werden. Um so etwas unter Kontrolle zu bekommen, wäre eine Ausgangssperre vielleicht lokal dann sinnvoll. Und jetzt sind wir wieder zurück bei der Frage, was kann so ein Bundesgesetz machen, wenn man halt so einen Mechanismus hat, der dann auch in Regionen, wo brave Bürger wohnen, also Coronabrav meine ich jetzt natürlich, die sich an alle Maßnahmen halten, die ja der Teil der Gesellschaft sind, die sozusagen die Opfer bringen, und jetzt nimmt man ihnen dann auch noch diese Freiheit. Also, und dann hat die Ausgangssperre natürlich einen ganz anderen Aspekt, der ist epidemiologisch wichtig, weil es mit der Akzeptanz zusammenhängt. Es ist ja so, es gibt wenig Maßnahmen, die so stark soziale Unterschiede verstärken, wenn sie ein schönes Haus mit Garten haben, vielleicht noch eine fette Hecke außen rum, wo keiner sieht, wen sie gerade zu Besuch haben, dann stört Sie das überhaupt nicht mit der Ausgangssperre. Und wenn sie aber in einer kleinen Wohnung sitzen, mit vielen Menschen pro Quadratmeter und keinen richtigen Blick nach draußen, keinen Balkon vielleicht, dann ist das ganz fürchterlich.


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Und deshalb meine ich, dass diejenigen, die sagen, man muss hier die verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeit prüfen, Recht haben. Und zur Verhältnismäßigkeit gehört eben immer dazu, dass man erst mal begründet, warum diese Maßnahme unbedingt notwendig ist, warum sie wirksam ist und warum keine weniger stark eingreifende Maßnahme möglicherweise das Schutzziel auch erreichen könnte.



Camillo Schumann



Und Sie sehen die Verhältnismäßigkeit hier nicht gesehen.



Alexander Kekulé


Für eine bundesweite Ausgangssperre sehe ich die Verhältnismäßigkeit deshalb nicht gesehen, weil man lokal prüfen muss, ob Alternativen möglich sind.



Camillo Schumann



Gut. Wir reden ja über Orte, an denen die Inzidenz über 100 ist. Damit klärt sich das ja dann auch. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, aber das ist sicher so. Natürlich, die Inzidenz ist ein wichtiger Wert. Aber jetzt nehmen wir mal an, wir hätten eine extrem hohe Inzidenz, weil es gerade einen Ausbruch in einem Heim gegeben hat, der aber bekannt ist seitens des Gesundheitsamts und vielleicht schon unter Kontrolle ist. Das kann ja durchaus sein, dass man den Ausbruch noch hat. Man weiß okay, das ist in diesem Heim. Das kann jetzt ein Bewerber-Heim sein. Das kann ein Flüchtlingsbewerber-Heim sein. Es kann aber auch ein Heim sein, von älteren Menschen oder sonstwas. Irgendeine Einrichtung. Eine Firma könnte, das sein. Nicht wahr? Eine Firma, fleischverarbeitende Industrie – hatten wir ja – da haben sie wieder so ein Ausbruch. Vielleicht sind es lauter relativ junge Menschen, wo wir wissen, die haben jetzt nicht so ein hohes Risiko, schwerst krank zu werden. Aber der Ausbruch ist schwer kontrollierbar, weil vielleicht Arbeiter in irgendwelchen Unterkünften untergebracht sind, wo man sie zwar isolieren kann, aber


nicht so leicht voneinander trennen. Das dauert dann halt eine Weile, bis die Behörde das dann alles wieder im Griff hat. Aber trotzdem wird natürlich gerade in so einer Situation massiv getestet. Das ist ja klar, weil man dann auf der Suche danach ist, diesen Ausbruch zu kontrollieren. Und dann finden sie also ständig neue Fallzahlen, produzieren eine hohe Inzidenz, wenn es ein kleiner Landkreis ist, mit nicht so vielen Einwohnern. Dann ist die Inzidenz pro 100.000 plötzlich in dem Bereich, wo man die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. De facto ist es aber unter Umständen, das ist natürlich ein theoretisches Szenario, so, dass die Behörde eigentlich sagt, wir haben das hier im Griff, weil es gehen davon keine weiteren Infektionen aus. Soll man dann deshalb diesen Landkreis da quasi unter Lockdown legen oder Ausgangssperren? Ich meine nein. Ich meine, da muss man dann im Einzelfall entscheiden. Und diese Möglichkeit, die ja eigentlich sinnvoll ist, ja letztlich dahinter steht, dass wir im Grundgesetz die Gesundheit zur Ländersache gemacht haben und nicht zur Bundessache. Diese Möglichkeit die wird dadurch genommen. Und deshalb muss man gerade bei so einer doch sehr massiven Maßnahme wie einer Ausgangssperre muss man, glaube ich, sehr genau prüfen, ob das eben regional überall, wo ich es dann anordne, auch sinnvoll ist. Übrigens, weil auch die Verwaltungsrichter so denken. Das wird sofort kassiert von einem Verwaltungsgericht, wenn der Richter zu der Überzeugung kommt, das war jetzt hier keine angemessene Maßnahme.


2 0:09



Camillo Schumann



Also, ich höre da so ein bisschen raus, Sie stehen der nächtlichen Ausgangssperre eher kritisch gegenüber.



Alexander Kekulé


Ja, ich stehe der bundesweiten [Ausgangssperre kritisch gegenüber, Anm. d. Redaktion]. Also ich bin sofort dafür: Ich meine als jemand, der lange in Berlin studiert hat und noch viele, viele Freunde dort hat, da könnte ich Ihnen


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wahrscheinlich gleich mal so ein paar Straßenzüge sagen, wo es sinnvoll wäre. Aber dafür gibt es andere Gegenden in Deutschland, wo es nicht sinnvoll ist, und diese Differenziertheit, die man braucht bei einer schweren Maßnahme, das hat so ein bisschen was mit Sippenhaft zu tun oder Gruppenstrafe oder so ähnlich. Also, die Ausgangssperre ist ja letztlich keine ganz neutrale Maßnahme, sondern es ist eine Maßnahme, die ein bisschen eine Strafe dafür ist, dass man sich an diese Appelle nicht gehalten hat. Und da ist eben die Frage, ob man so eine, ich möchte es nicht Bestrafung direkt nennen, aber ob man so eine ReserveMaßnahme, die man da ergreift, ob man die sozusagen dann an all die auch verhängen kann, die sich brav an die Regeln halten, die nicht auf die Idee kommen würden, Partys mit vielen Personen pro Haushalt zu feiern.



Camillo Schumann



Könnte man nicht – weil es ja auch um Compliance, also die Bereitschaft geht, überhaupt die Maßnahmen noch selber mitzutragen im Privaten – nicht vielleicht auch so ein Zuckerbrotund Peitsche-Modell machen, so nach dem Motto, okay, wir geben viele Sachen, die man an der freien Luft tun kann, frei, auch über 100er-Inzidenz? Also beispielsweise auch der Besuch des Biergartens mit einem Testkonzept. Machen aber dann trotzdem bundesweit einheitlich ab 2 1 Uhr erst mal die Bordsteine hoch.



Alexander Kekulé


Naja, das ist dann so eine politische Lösung, kann schon sein. Ich sehe es wirklich durch die epidemiologische Brille. Und da ist eben die Compliance der Bevölkerung das zentrale Ziel, ja, also das Ziel der Maßnahmen ist eigentlich die Compliance, dann kommt erst alles andere. Und da sehe ich vielleicht auch noch viele andere Baustellen. Also, es ist ja so, die sind ja auch bekannt, inzwischen wird es ja auch überall so diskutiert, also wir haben die Situation, im privaten Umfeld gibt es Infektionen, da ist das Stichwort Ausgangssperren. Wir haben aber zweitens nach wie vor nicht sauber ge-


klärt, was in den Schulen zu passieren hat. Und Kindertagesstätten, wie man das da mit den Tests genau macht. Das soll jetzt auch kommen, ist aber sozusagen noch im Prozess. Dann ganz wichtig nach wie vor aus meiner Sicht die Arbeitswelt. Da sprechen wir ja schon sehr lange drüber. Da will Hubertus Heil jetzt übers Arbeitsschutzgesetz eingreifen. Das heißt also wir haben schon große Baustellen, die man erst einmal bearbeiten muss, die schon lange auf der To-do-Liste stehen aus meiner Sicht und die noch nicht erledigt sind. Und ich finde jetzt nur mal so als Beispiel, wenn man anordnen würde – und das könnte der Bund sofort ja per Verordnung machen, weil er da zuständig ist, unmittelbar im Arbeitsschutz – immer wenn mehrere Arbeiter in einem geschlossenen Raum, also Personen bei der Arbeit im geschlossenen Raum zusammen sind und eine bestimmte Quadratkubikmeter Zahl unterschritten wird pro Person, dann müssen die eine Maske tragen, ohne Wenn und Aber. Und wenn sich einer da nicht dran hält, gibt es saftige Bußgelder und zwar für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber. Ich glaube, da hätte man immer noch wahnsinnig viele Möglichkeiten das nachzustellen. Oder auch im Bereich von Homeoffice ist es ja so, dass die Länder, die gesagt haben Homeoffice ist wirklich verpflichtend und man muss begründen, warum man es nicht machen kann, wenn man wirklich die Leute ins Büro schickt. Die hatten damit ja Erfolg und darum glaube ich, dass ist so ein Bereich, wo man echt noch viel machen kann, den man aber mehr oder minder bisher unangetastet gelassen hat. Und das ist ja komplett unabhängig vom Infektionsschutzgesetz. Es wird zwar derzeit in den Nachrichten immer so zusammen diskutiert, aber der Arbeitsschutz ist schon immer Bundessache gewesen und da kann das Bundesministerium per Verordnung quasi über Nacht Bestimmungen erlassen. Und die Bestimmungen, die wir jetzt haben im Arbeitsbereich sind ja nach wie vor, das wird ja dann über die einzelnen Bereiche, über die einzelnen Firmenarten und so weiter runter dekliniert über die Berufsgenossenschaften, die haben dann am Schluss so ihre Empfehlun-


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gen. Und da steht immer noch drin: 1,5 Meter Abstand im geschlossenen Raum. Wenn man den nicht einhalten kann, dann eine Plexiglasscheibe. Und nur wenn die Plexiglasscheibe nicht geht, dann die Schutzmaske. Das ist dieses sogenannte TOP-Modell des Arbeitsschutzes, was die Deutschen irgendwann vor, weiß ich nicht, 30 Jahren mal erfunden haben und was eben hier komplett unpraktisch ist. Also TOP noch einmal zur Erinnerung heißt technisch-organisatorisch-personell also man muss zuerst technische Maßnahmen treffen, dann organisatorische, dann persönliche. D.h. also zuerst die Plexiglasscheibe, die natürlich bei Superspreading im geschlossenen Raum völlig sinnlos ist. Dann organisatorisch, das heißt zum Beispiel Kuratierung, Einteilung in Gruppen oder Ähnliches. Und nur wenn das alles nicht klappt, dann kommt die Schutzmaske. Das ist aber, weil wir hier wissen: die Schutzmaske ist die wirksamste Maßnahme, völlig unsinnig. Man müsste einfach die Schutzmaske verordnen und fertig. Widerspricht aber dem traditionellen deutschen Arbeitsschutz und drum stets eben in den ganzen Berufsgenossenschaftlichen Empfehlungen bisher noch anders, weil die Verordnungen des Bundesministeriums für Arbeit eben noch quasi auf dem alten Stand sind.


2 5:36



Camillo Schumann



Aber bald nicht mehr. Nicht über Nacht, so wie Sie es gesagt haben, sondern zumindest in den kommenden Tagen wird es da eine Veränderung geben. Es soll eine Test-Angebotspflicht geben. Heißt, der Arbeitgeber muss seinen Mitarbeitern, die jetzt nicht im Homeoffice arbeiten, Corona-Tests anbieten. Verpflichtend. Aber nicht nur das, Arbeitsminister Hubertus Heil, heute Morgen im ARD Morgenmagazin:


Das Ganze ist eingebettet in eine Gesamtstrategie des Arbeitsschutzes. Wir werden die Verordnung heute verlängern, das ein Angebot erst mal zum Homeoffice da ist, wo das betrieblich möglich ist. Es ist auch keine Pflicht für


den Arbeitnehmer, weil er einige zuhause nicht die Möglichkeit haben. Aber ich kann nur sagen, das muss jetzt auch genutzt werden, um die Bekämpfung der Pandemie zu ermöglichen. Es wird geregelt, dass medizinische Masken zu tragen sind, wo Abstände nicht einzuhalten sind und dass auch die Belegung von Räumen nicht übermäßig ist an dieser Stelle, wo in Präsenz gearbeitet werden muss. Und es kommt hinzu, diese Test-Angebotspflicht. Aber wenn die Verordnung in Kraft ist, das wird wahrscheinlich Montag nächster Woche der Fall sein. Wir werden es heute beschließen. Ab Montag ist es dann in Kraft. Dann müssen alle Arbeitgeber, Bund, Länder oder Kommunen oder Privatwirtschaft ihren Beschäftigten Tests anbieten.


Tja, wird damit jetzt die Lücke geschlossen?



Alexander Kekulé


Naja, also wenn wir genau hingehört haben sagt er, Masken, wo Abstände nicht einzuhalten sind, und das ist ja genau das Problem. Da steht dann immer drin: 1,5 Meter im geschlossenen Raum reicht, weil das irgendwann mal, ich weiß nicht wer, diese (fast hätte ich gesagt bescheuerten) 1,5 Meter mal erfunden hat. Das ist so ähnlich wie das Niesen in die Ellenbeuge und das nicht mehr Hände geben und so, das sind so die Dinge, die man ganz schnell aufs Papier geschrieben hat. Und da ist es einfach so, diese 1,5 Meter, die schützen eben [nicht, Anm. d. Red.]. Wir wissen ja schon sehr, sehr lange, dass es Aerosole gibt, echte aerogene Infektionen. Und diese 1,5 Meter stammen aus der ursprünglichen Idee, dass es hauptsächlich Tröpfcheninfektion ist bei SARSCoV-2 , also eine Infektion, wenn man hustet oder niest oder laut spricht, wo ein Tröpfchen quasi auf einer mehr oder minder direkten Bahn von einem zum anderen und dem dann auch noch ins Gesicht oder auf die Schleimhäute fliegt. Diese echte Tröpfchen-Infektion, quasi der Beschuss mit Schleim-Partikeln beim Husten und Reden, das ist ein kleinerer Teil der Infektionen. Ich sage nicht absolut selten, wollte ich gerade sagen. Das ist es nicht. Aber es ist


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ein kleinerer Teil der Infektionen. Ich sag jetzt mal vielleicht 2 0 Prozent oder so. Aber man kann in der Regel ja auch immer nur einen anstecken, weil man nur einen treffen kann, der einem gegenübersteht. Und dieses andere Problem des Superspreadings, das macht die eigentliche Pandemie. Keine Pandemie ohne Superspreading. Das heißt also, wenn wir das Superspreading abstellen, die Infektion durch Aerosole, die über mehrere Meter weit gehen kann, auch um die Ecke und indirekt in geschlossenen Räumen. Wenn wir das abstellen, dann ist die Pandemie zu Ende. Und deshalb kann ich nur sagen und zwar deshalb, weil R dann unter eins sinkt. Und deshalb kann ich nur sagen, darauf muss man sich fokussieren. Und wenn man jetzt den Arbeitgebern sagt: Ja, macht mal irgendein Hygienekonzept, wo draufsteht, die Leute sollen anderthalb Meter Abstand halten, das kenne ich schon. Dann schreibt der Arbeitgeber seiner nächsten Instanz vor: Okay, du kannst da – ich sag mal so als Beispiel – du kannst deinen Studenten-Kurs machen, großes Praktikum, und bitte achtet darauf, dass die Studenten zu keinem Zeitpunkt unter 1,5 Meter Abstand haben. Bitte hier rechts unten unterschreiben, dass das so ist. Ja klar haben die niemals 1,5 Meter Abstand. Und wenn es dann noch ein Waschbecken im Kurssaal gibt, dann ist es ja fast ausgeschlossen, dass die den Abstand einhalten. Und noch außerdem ist diese Abstand, wie gerade gesagt, kein Schutz vor Superspreading. Das heißt also, wenn man nur dann, wenn sozusagen dieser Abstand unterschritten wird als Reserve, wie Hubertus Heil das gerade sagte, dann die Maske anordnet, dann ist das genau der falsche Weg.


2 9:2 9



Camillo Schumann



Gut. Wenn die Verordnung dann draußen ist, schauen wir mal rein und nehmen sie dann auseinander und schauen, vielleicht hat Herr Heil sich ja auch heute morgen im Morgenmagazin ein bisschen umständlich ausgedrückt. Vielleicht steht es in der Verordnung dann wesentlich konkreter und so, wie sie sich das


möglicherweise vorstellen. Ich bin gespannt. Wir werden es mal hier besprechen im Podcast. Wie positiv gestimmt sind Sie, dass es in den Verordnungen anders steht?



Alexander Kekulé


Ich weiß, dass meine Kollegen dort das, was ich gerade erklärt habe, wissen. Ich habe auch selbst größere Meetings mit den einschlägigen Leuten von der Berufsgenossenschaft gehabt. Die haben schon sehr lange dieses Bedürfnis, das zu konkretisieren. Und das ist nicht so, dass das, was ich gerade gesagt habe, jetzt einen völligen Aha-Effekt auslöst, nicht im Sinne von Abstand-Hygiene-Alltagsmaske, sondern im Sinne von Überraschung, sondern das ist dort bekannt. Deshalb war ich ein bisschen überrascht von Herrn Heil jetzt etwas anderes zu hören. Und sehe es genauso wie Sie: Man darf hoffen, dass es in den endgültigen Bestimmungen dann drinnen ist. Und natürlich ist es notwendig, immer dann, wenn man dann die Maske nicht einhalten kann und ein Innenraum Risiko besteht (und das ist ziemlich oft noch der Fall), dass man dann eben sagt gut, dann müssen wir eben so ähnlich wie in der Grundschule, wo wir sagen, die Kinder können keine Maske tragen oder sollen es nicht, dann müssen wir eben durch massives Testen die Sicherheit herstellen.



Camillo Schumann



Ziehen wir einen Strich drunter unter das Infektionsschutzgesetz, was in dieser Woche verschärft werden soll. Und der Bund soll dann stärker entscheiden, was gemacht wird und was nicht. Um ehrlich zu sein, bin ich auch jetzt ja nicht unglücklich darüber, jetzt nicht jede Woche über eine Ministerpräsidentenkonferenz berichten zu müssen, an deren Anschluss es dann sowieso alles anders gemacht wird. Es wäre schon schön, wenn jetzt mal so drei, vier Wochen mal so ein einheitlicher Fluss in Sachen und Pandemie-Maßnahmen in Deutschland vonstatten gehen wurde. Auch hier im Podcast.


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Alexander Kekulé


Ja, das würde ich auch sagen. Aber wissen Sie, Herr Schumann, unsere Wünsche haben sich doch alle erfüllt. Die Antigen-Schnelltests, die sind inzwischen absoluter Standard. Die Politiker überschlagen sich gegenseitig mit Forderungen, wo man die sonst noch alles einsetzen muss. Und an der Stelle muss ich doch noch einmal loswerden, den echten Game-Changer gibt's, wenn wir die Sterblichkeit entkoppeln können von der Inzidenz. Übrigens auch dafür hätte das Infektionsschutzgesetz so wie es jetzt geplant ist, noch keine Handhabe. Aber wenn wir es wirklich schaffen, weniger Leute sterben zu lassen, trotz weiter bestehendem Infektionsgeschehen... Und da ist der Weg – Sie wissen, was jetzt kommt – wirklich die Menschen impfen, und zwar alle einmal Impfen von alt nach jung. Also, da kann ich nur sagen, diese Forderung (alle oder viele andere sind ja inzwischen Common Sense) aber diese eine muss ich sagen, da würde ich mir sehr wünschen, dass man da noch mal drüber nachdenkt. Gerade bei der Entwicklung, die wir bei den Impfstoffen jetzt die letzten Wochen gesehen haben, bei den Problemen, die da auftauchen, ist es einfach sinnvoll, erst mal das Sterben zu beenden, das heißt also, die Sterblichkeit drastisch zu reduzieren. Indem wir die Risikopersonen, heißt hauptsächlich die Alten, zumindest einmal impfen unbeschadet der Frage, ob wir für die dann innerhalb der sechs Wochen oder wann das dann vorgeschrieben ist, die zweite Dosis haben.


32 :46



Camillo Schumann



Kommen wir zu den Impfstoff-Meldungen, die sich jetzt aufgestaut haben. Es gibt 2 wichtige: eine Meldung zum BioNTech Impfstoff und eine zu dem von AstraZeneca. Und fangen wir mal mit dem von BioNTech an. Es gibt neue Daten aus Israel zu der Frage: Wie gut schützt dieser Impfstoff eigentlich vor Varianten? Konkret in dieser Studie: 400 geimpfte Personen wurden mit 400 nicht geimpften Personen verglichen. Und bei den 150 Probanden, die sich trotz beider Impfungen infizierten, war der


Anteil der südafrikanischen Variante acht Mal größer als bei den ungeimpften Probanden. Wie bewerten Sie diese Studie?



Alexander Kekulé


Das ist ein Preprint, um das es da geht, und die haben halt ihre Daten ausgewertet. Man muss sagen, der Hintergrund ist, dass Israel Mitte März schon über 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft hatte. Bevölkerung über 16 Jahren muss man sagen, weil darunter der Impfstoff nicht zugelassen ist. Und die haben sich den Zeitraum jetzt angeschaut von 2 4. Januar bis 7. März, also so relativ kurz, vor kurzer Zeit, und haben eben rausgepickt Patienten, die quasi mit der neuen Variante aus England B.1.1.7 infiziert waren. Das war nicht so schwierig, weil die inzwischen angestiegen ist in Israel auf fast 100 Prozent. Die haben da über 95 Prozent die B.1.1.7-Variante derzeit, und Patienten, die Infizierten, oder Personen, die infiziert waren – viele sind ja gar nicht krank und sind in dem Sinn dann gar keine Patienten, sondern Personen – die diese südafrikanische Variante haben , das ist B.1.351, das ist diese südafrikanische Variante. Und da haben die eben genau diesen Vergleich gemacht und zu jedem dieser Covid-Patienten, die mit der Variante infiziert waren, einen, wie wir sagen, ge-matcht. Also ein Pärchen gebildet mit jemandem, der von der Epidemiologie genau die gleichen Daten hat, also, der ungefähr gleich alt ist, gleiches Geschlecht, in der gleichen Region wohnt, ungefähr zum gleichen Zeitpunkt infiziert wurde. Und so was nennt man dann eine Fall-Kontroll-Studie, das eine ist der Fall das andere ist die Kontrolle. Und bei diesen Paaren kam eben genau das raus, das, wenn man vergleicht, wie oft sind die Leute, die geimpft wurden jetzt mit der südafrikanischen Variante infiziert worden im Vergleich zu der britischen Variante? Dann ist der Faktor acht gegen eins, also achtmal so viel die südafrikanische. Und das andere Interessante ist: Bei denen, die noch nicht vollständig geimpft waren, also die nur eine Impfdosis bekommen haben, auf die zweite noch gewartet haben, da ist es so, dass auch diese britische Variante im


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Vergleich zu Wildtyp, also zu den vorher vorhandenen Varianten im Verhältnis 2 6:10, also 2 ,6:1 ungefähr aufgetreten ist. Was heißt das praktisch? Das heißt, dass dieser BioNTechImpfstoff, das ist ja der, der dort praktisch ausschließlich eingesetzt wird, dass der BioNTech-Impfstoff leider auch nicht ganz perfekt gegen die britische Variante und noch mal deutlich schlechter gegen die südafrikanische Variante schützt.


36:07



Camillo Schumann



War das denn jetzt so überraschend?



Alexander Kekulé


Nein, das war überhaupt nicht überraschend, weil wir hatten vorher schon, ich glaube, die haben wir auch schon besprochen, sogenannte in-vitro-Daten, also Daten aus dem Labor, gehabt. Da macht man das ja so, dass man so Pseudoviren generiert, also quasi so künstliche Viren zusammenbastelt, im Labor, die verschiedene Sorten von diesen Oberflächenprotein, diesem Spike des Coronavirus haben. Und das kann man dann reagieren lassen, mit Serum von Patienten, die geimpft wurden. Und da hat man schon vorher festgestellt, dass diese Reaktion oder auch diese Neutralisation (gibt auch Neutralisationstest, mit dem man das machen kann, also wo das Virus wirklich ausgeschaltet wird in der Zellkultur), dass die besser funktioniert mit den ursprünglichen Wildtyp-Varianten. Das was man heute Wildtyp nennt, ist ja die G-Variante, die mal in Norditalien ursprünglich sich massiv verbreitet hat und seitdem weltweit dominant ist. Und diese G-Variante im Vergleich zur britischen, da war schon klar aus der Zellkultur, es wird ein bisschen schwächer, aber nicht so schlimm, das heißt, der Impfstoff schützt noch ausreichend. Bei der südafrikanischen ist es so, dass BioNTech noch ganz gut aussieht und AstraZeneca ja komplett das Ziel verfehlt hat, also unter 50 Prozent Schutzwirkung hat. Aber man muss immer dazu sagen, wenn man dieses aktuelle Papier sich anschaut... Es ist ja so, das sieht jetzt so aus: Ja, wirkt ein bisschen


schlechter. Aber es ist ja so, hier geht es um die Infektion. Also hier wurden Patienten, Personen, die infiziert waren, registriert. Das heißt sogar asymptomatische Infektionen. Da ist die Schutzwirkung immer schlechter, als wenn man sich das ansieht hinsichtlich der Vermeidung von schweren Verläufen, also Krankenhaus. Und wenn man dann noch eine Stufe weiter geht und sagt: Wie gut ist der Impfstoff denn bei der Vermeidung von Todesfällen, dann sind die Impfstoffe meistens noch besser. Das liegt daran, dass eine Teilimmunität, wenn das Immunsystem jetzt nicht so ganz perfekt reagiert. Dann wird man halt ein bisschen krank, weil das Immunsystem das nicht sofort in den Griff bekommt. Aber man stirbt eben nicht dran. Diesen Effekt haben wir ja auch bei AstraZeneca, der wirkt deutlich schlechter als die RNA-Impfstoffe. Aber trotzdem reicht es noch aus, um Tote zu verhindern. Und wir haben ja diese Studien besprochen, die eine aus Schottland zum Beispiel, wo klar ist, dass auch Krankenhausaufenthalte ganz massiv reduziert werden, selbst durch einen Impfstoff, der eigentlich von der Vermeidung von Infektionen gar nicht so gut aussieht. Und deshalb sage ich dieser kleine Unterschied hier, der ist nicht relevant. Was man aber rausziehen kann aus dieser Studie aus Israel ist Folgendes: Wir können davon ausgehen, dass nach und nach neue Varianten kommen werden. Solche gibt es noch gar nicht für die südamerikanische P1/P2 Varianten. Da ist es so, da gibt es eben dort Varianten, die zumindest in der Zellkultur im Experiment noch viel deutlicher dem Impfstoff entgehen, der Impfschutz Wirkung entgehen, und von denen wir auch wirklich sehen, dass Leute, die Covid schon hatten noch einmal erkranken und zwar ziemlich deutlich erkranken, die dann richtig zum Teil sogar ins Krankenhaus müssen. Und für diese Varianten, da ist es eigentlich klar, dass wir dafür die Impfstoffe anpassen müssen. Wir haben ja kürzlich gesprochen über diese Modifikationen dieses S-Proteins in den RNA-Impfstoffen. Da hat man ja 2 Aminosäuren ausgetauscht. Das waren diese 2 P, zweimal Prolin, da ausgetauscht, was zur Folge hat, dass dieses Oberflächenprotein


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in einem Zustand gehalten wird, wo es besonders stark immunogen ist, also besonders guten Impfschutz bietet. Das machen ja nur die RNA-Impfstoffe. Das machen die ganzen Vektor-Impfstoffe nicht. Und der chinesische Impfstoff, der im Moment ja insgesamt gar nicht mehr so gut aussieht von den Daten her, der macht es eben auch nicht. Und wir müssen den nächsten Schritt gehen die nächsten Wochen und Monate – und das machen die Hersteller von RNA-Impfstoffen – da weitere Modifikationen einzubauen, dass wir eben dafür sorgen, dass diese Varianten mit abgedeckt werden. Und daran kann man nur erinnern, dass das extrem wichtig ist, dann sozusagen eine Zweitoder Dritt-Impfungen mit diesem modifizierten RNA-Impfstoff zu bekommen, bevor die Varianten aus Südamerika kommen. Und das ist wiederum ein Grund, warum ich sage jetzt erstmal kriegt von dem Zeug, was da ist, jeder einen Schuss und dann den zweiten mit den modifizierten RNA-Impfstoffen, deren weltweite Produktion ja massiv hochgefahren wird, im Moment.



Camillo Schumann



Aber es müssen, um da jetzt auch noch mal eine kurze Zusammenfassung zu geben zu der israelischen Studie, nur weil da der Faktor 1:8 ist, heißt es jetzt nicht, dass da jetzt die Alarmglocken schrillen müssen, was jetzt die südafrikanische Variante und den BioNTech-Impfstoff angeht.


41:00



Alexander Kekulé


Nein, bei mir überhaupt nicht. Es ist ja so, dass diese Studie eben auch gezeigt hat, dass sogar die britische Variante in diesem Zusammenhang etwas schlechter wirkt. Aber etwas schlechter heißt eben, Menschen in Israel haben die Lage völlig unter Kontrolle. Der Impfstoff ist auch bei der britischen Variante nicht ganz so gut wirksam – 2 ,6:1 – und trotzdem ist es so, dass in Israel, wie man weiß, jetzt alle Geschäfte wieder aufhaben und die Population eigentlich so mehr oder minder geschützt ist. Und deshalb zeigt einfach dieses Praxis-


Experiment, dass man so Zellkultur-Daten oder auch so feine statistische Unterschiede nicht gleich auf die Goldwaage legen muss. Am Ende des Tages schützen alle Impfstoffe mehr oder minder gut, und dieser Impfstoff von BioNTech der schützt definitiv auch bis zu einem gewissen Grad gegen die südafrikanische Variante.



Camillo Schumann



Weil sie gerade über die brasilianische Variante gesprochen haben. Varianten P1 haben sich dort der rasend schnell ausgebreitet, auch durchgesetzt. Dort sind täglich mehr als 3000 Todesfälle zu beklagen. 90 Prozent der Neuinfektionen werden der Variante P1 auch zugerechnet. Jetzt sorgt diese Variante ja auch dafür, dass sich Menschen, die das Virus, so wie sie es eben beschrieben haben, durchgemacht haben, wieder anstecken. Die brasilianische Variante ist ja Ende Januar auch in Deutschland nachgewiesen worden. Nur punktuell. Aber wenn sie sich dann einmal, ich sag mal, ausbreitet in Deutschland flächenmäßig, könnte diese Variante die B.1.1.7, die jetzt vorrangig ist, bei uns auch ablösen?



Alexander Kekulé


Ja, das ist durchaus möglich. Wir wissen nicht genau, wie das Geschwindigkeitsverhalten der beiden ist. B.1.1.7, wenn man das biologisch ansieht, hat so ein paar Eigenschaften, die diese Variante schneller machen von der Ausbreitung her – so 30-50 Prozent schneller. Und es ist ganz sicher so, dass P1, auch solche, sage ich mal, Brandbeschleuniger mit drinnen hat. Wir können die genetisch auch identifizieren. Genetisch ist es genau untersucht. Wir haben nur aus Brasilien einfach keine so guten epidemiologischen Daten. Das kann man sich gut vorstellen, ich meine, das National Health in England, die die B.1.1.7 überwachen, und die Universität Oxford, die das ganz massiv mitmacht zusammen mit dem Tropeninstitut in London, das sind, kann man sagen, in der Epidemiologie die Weltstars. Ja, also das sind die, die bei allen anderen Krankheiten auch, ob das jetzt Ebola war oder Influenza oder irgendetwas anders ... Das waren die Leute, die das


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wirklich können, auch von der ganzen Statistik her und so weiter. Und es ist so, dass in Brasilien man da schon allein die Daten gar nicht hat. Also ich glaube, die würden sich an den Kopf fassen, wenn man bei der Situation – man muss sich ja nur die Bilder aus dem Amazonas mal anschauen – wenn man in der Situation jetzt sagen würde, hier schreibt mal das au, schreibt mal dies auf. Ich hätte da gerne Proben von da und da, weil ich irgendwelche Studien machen will. Bei denen geht es ums nackte Überleben. Und deshalb wissen wir gar nicht, wie schnell sich die P1 jetzt konkret in Südamerika ausbreitet, im Vergleich zu B.1.1.7. Und wir wissen auch nicht genau, wie sie im Feldversuch sozusagen abgehalten werden kann durch Impfstoffe. Ein Grund ist der, dass Brasilien ja ganz massiv den chinesischen Impfstoff von Sinopharm verwendet. Das ist ein Totimpfstoff, der wird ja auch eingesetzt in den Vereinigten Emiraten, in Indonesien, ganz massiv, auch in der Türkei leider. Und da ist relativ klar, dass der nicht so gut wirkt, wie man am Anfang vermutet hat. Da gab es ja von vornherein unterschiedliche Daten zwischen den Vereinigten Emiraten und Brasilien. Die haben aufhorchen lassen. China hat sich geweigert, die Studien zu veröffentlichen, trotz massiver Aufforderungen von allen Seiten. Stattdessen den Impfstoff weiter beworben und verkauft. Und jetzt, ganz aktuell ist es so gewesen, dass der Chef der chinesischen Gesundheitsbehörde, also China CDC, das ist ein Chinese, der aber in Oxford studiert hat und international renommiert ist und bekannt ist. Gao Fu heißt der, also Gao mit Nachnamen und Fu mit Vornamen. Und weil der solange in Oxford war, nennen den alle George, George Gao, weil das Andere konnte man nicht aussprechen. Und George Gao ist also wirklich ein ganz brillanter Mann, der auch in Europa häufig gewesen ist. Und der hat eben dann kürzlich wohl geäußert, dass der chinesische Impfstoff nicht so gut wirkt, wie er sollte. Man hat ja schon vor längerer Zeit bei dem chinesischen Impfstoff sogar die dritte Impfung empfohlen. Was so ein bisschen komisch ist, weil wenn 2 nichts bringen, bringt die dritte erfahrungsgemäß


auch nicht mehr so viel. Jetzt haben die chinesischen Behörden wieder gesagt, er hätte das zurückgenommen. Aber man zweifelt daran, dass das wirklich authentisch von ihm ist. Oder andersherum gesagt: In China, Entschuldigung, in Brasilien hat man einfach geimpft mit einem Impfstoff, der wohl nicht ausreichend wirksam ist und schon gleich gar nicht gegen P1. Und das ist letztlich das Drama, was wir in Europa vermeiden müssen, dass wir einen großen Teil der Bevölkerung noch nicht geschützt haben oder geimpft haben mit Impfstoffen, die nicht wirksam sind gegen P1, wenn dann das P1 irgendwann herkommt. Dass es früher oder später auch ein Thema bei uns wird das, das ist eigentlich sicher. Ja, das ist bei allen globalen solchen Erregern, ob das Bakterien oder Viren sind, die kommen auch früher oder später nach Europa.


46:2 7



Camillo Schumann



Kommen wir zur zweiten Impfstoff-Meldung. Die betrifft AstraZeneca. Ich habe es ja am Anfang schon gesagt und ja, das ist deswegen so interessant, weil dieser Impfstoff eigentlich die bisher meiste Prügel einstecken musste. Erst die Sinusvenenthrombosen und jetzt auch noch eine seltene Gefäßerkrankung. Die EUArzneimittelbehörde, die untersucht nämlich einen möglichen Zusammenhang zwischen AstraZeneca und dem Kapillarleck-Syndrom. Erst einmal: Was ist das eigentlich?



Alexander Kekulé


Da muss man unterscheiden. Das KapillarleckSyndrom, so grob gesagt, wie der Name schon andeutet, da passiert es, dass die feinen Blutgefäße, die Kapillare, undicht werden und deshalb Flüssigkeit ins Gewebe rausläuft. Das führt erstens zur Ansammlung von Wasser im Gewebe, sogenannten Ödemen, aber eben zweitens dann auch zum Verlust von Flüssigkeit im Kreislauf. Das ist ja logisch, und das macht dann früher oder später einen kaputten Kreislauf, Organversagen, Schock, und einige Menschen sterben daran. Eine relativ schlimme, aber extrem seltene Erkrankung.


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Camillo Schumann



Fünf Fälle insgesamt untersucht die EMA. Wenn man jetzt einen Zusammenhang herstellen wollen würde. Man bekommt da jetzt auch ein bisschen Angst nach den Sinusvenenthrombosen. Wie verbreitet ist das eigentlich?



Alexander Kekulé


Also ich habe nicht verstanden, ehrlich gesagt, warum die EMA das so an die große Glocke hängt. Das ist ja hier durch alle Medien gegangen, einschließlich Hauptnachrichten. Also die EMA sagt, dass ist das sogenannte ClarksonSyndrom. Wir haben ja hier schon Beispiele gehabt, wo ich so gewitzelt habe, wenn man einen Laborarzt durch die Prüfung fallen lassen will, muss man darauf zu sprechen kommen. Also das Clarkson-Syndrom gehört auch so zum Kleingedruckten im Lehrbuch irgendwo. Ich glaube, es gab weltweit unter 300 Fälle bisher. In der Größenordnung, weltweit, seit es das überhaupt gibt. Und zwar ist das eine Erkrankung, die typischerweise Auftritt beim Menschen, die noch etwas anderes haben, nämlich eine sogenannte Gammopathie, also das heißt, eine Vermehrung von bestimmten Sorten von Immunglobulinen, also von Antikörpern. Und die vermehren sich bei diesen Menschen deshalb, weil eine Sorte von B-Lymphozyten einfach massiv sich vermehrt. Das ist quasi ein Tumor im Körper, den man nur nicht als Tumor wahrnimmt, weil das im Blut verteilt ist. Aber diese Zellen vermehren sich so wie beim Tumor und das kann dann leider auch in manchen Fällen zu Krebs werden. Das nennt man eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz. Auweia. MGUS ist da der Fachausdruck für, eher bei älteren Menschen, also hauptsächlich über 50-Jährige. Und bei denen tritt manchmal aus Gründen, die wir nicht genau kennen, schlagartig dieses ClarksonSyndrom auf, dass die dann plötzlich da ein Kapillarleck haben. Und für die ist das auch relativ gefährlich. Cortison wirkt nicht, und man behandelt das so ähnlich mit Immunglobulinen tatsächlich wie diese ThrombozytenErkrankungen, über die wir kürzlich gesprochen haben, die auch ausgelöst wird oder die


tatsächlich ausgelöst wird wohl durch den AstraZeneca-Impfstoff. Es ist aber eine extrem seltene Erkrankung. Wenn wirklich dieses Clarkson-Syndrom das ist, was die EMA hier untersucht, und das steht ja nun wohl überall, dann verstehe ich das nicht, weil das so selten ist, dass man sagen muss: Selbst wenn es da einen Zusammenhang gebe, wäre das unter eins zu einer Million, muss man darüber noch groß reden? Was man vielleicht diskutieren könnte, ist, ob man Patienten, die diese monoklonale Gammopathie haben, da gibt es nämlich relativ viele, ob man die als Risikogruppe eingrenzen kann und empfehlen kann, dass diese Leute grundsätzlich nicht mit AstraZeneca geimpft werden sollten. Das wäre so das Einzige, was ich mir vorstellen kann. Und das andere, was man eben dazu sagen muss, es gibt aber dieses Kapillarleck-Syndrom oder systemisches Kapillarleck-Syndrom sagen wir eigentlich, das gibt es auch als Reaktion auf Virusinfektionen. Und da ist es echt häufig. Also zum Beispiel bei Gelbfieber, bei Ebola und auch natürlich bei Covid-19. Also bei Covid-19 haben wir häufiger mal Patienten mit Kapillarleck, die haben das zum Beispiel in der Lunge, das ist ein Teil des Lungenversagens. Liegt daran, dass diese Kapillare da kaputt gehen, hängt möglicherweise damit zusammen, dass ein Interleukin, so ein Immunmodulator namens Interleukin-2 , in hoher Konzentration da vorhanden ist. Und da wissen wir, dass das die Tapete innen an den Kapillaren, dieses Endothel nennen wir das, dass das manchmal abstirbt durch zu hohe Interleukin-Konzentrationen. Und man nimmt an, dass das mit dem Kapillarleck-Syndrom bei Virusinfektionen zu tun hat. Da hilft Cortison. Da können wir Cortison geben, also das Immunsystem unterdrücken, und dann wird es nicht so schlimm. Das haben wir bei Virusinfektionen immer wieder in der Therapie. Wenn es das andere, das Sekundäre Kapillarleck-Syndrom wäre, dann würde ich sagen: Das ist grundsätzlich bei allen Virusinfektionen zu erwarten, mit einem gewissen Prozentsatz. Und natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein nicht vermehrungsfähiges Virus, was sie als Vektor verwen-


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det wurde, so einen ähnlichen Effekt macht. Das ist also eine Art überschießende Immunreaktion, wäre das. Und beides ist aber so, dass ich jetzt mal sagen würde, extrem selten. Und ich war ja, glaube ich, einer derer, die wirklich sehr früh gewarnt haben, vor den Folgen vor diesem Zusammenhang mit den Hirnvenenthrombosen. Und genauso, wie ich damals deutlich gewarnt habe, würde ich jetzt wirklich empfehlen, das erst mal entspannt zu sehen, den Ball niedrig zu halten. Also bei diesem exotischen Syndrom sehe ich jetzt im Moment überhaupt keinen Grund, davor zu warnen, diesen Impfstoff weiter anzuwenden.


52 :12 



Camillo Schumann



Okay, kommen wir jetzt von exotischen Problemen im Zusammenhang mit einem Impfstoff zu recht verbreiteten Problemen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2  und der anschließenden Krankheit Covid-19. Es geht jetzt um Long Covid. Wir sollten noch über diese wichtige, und wie ich finde, sehr detaillierte Studie aus den USA sprechen. Ergebnis: Jeder dritte Covid-19-Patient entwickelt innerhalb von sechs Monaten nach einer Infektion neurologische und psychiatrische Erkrankung. Am häufigsten waren Angststörungen, Depressionen keine Seltenheit, auch neurologische Erkrankungen, Schlaganfall, Demenz. Insgesamt wurden die Daten von rund 2 36.000 Patienten ausgewertet. Das ist ziemlich viel. Ist mit dieser Studie, ich sag mal so, der aktuelle Status quo der Long-Covid-Problematik gut beschrieben.



Alexander Kekulé


Ja, also es zeigt sich wirklich, und das ist hier zum ersten Mal an Daten aus der USA aus den USA genauer gezeigt worden, dass wir bei Long Covid ganz häufig neurologische oder neurologische und psychiatrische Probleme haben. Das ist ja immer so ein bisschen so schwierig. Ja. Viele Patienten, die untersucht werden, die waren ja auf der Intensivstation, wurden beatmet. Da wissen wir einfach, die haben neurologische und psychiatrische Folgeschäden von der Intensivbehandlung. Dann sind wir alle im


Lockdown. Viele Leute haben Angst. Wahrscheinlich gibt es unter Psychologen schon Covid-Paranoia oder ähnliches, kann ich mir vorstellen, dass es so, wie es einen Waschzwang gibt, Leute gibt, die einfach wahnsinnige Angst davor haben, sich mit Covid zu infizieren und ähnliches. Das ist eine psychische Belastung für Normalsterbliche, übrigens auch für Virologen manchmal. Und deshalb ist die Möglichkeit, dass sowas irgendwie psychisch überlagert ist und jetzt nicht wirklich ein organisches Korrelat hat, einfach bei so einer Sache immer hoch. Und diese Studie hat das mal relativ genau auseinandergenommen und wirklich gezeigt an einem riesigen Datensatz, insgesamt waren das 2 36.038 Covid-Patienten. Die hat man aus dieser TriNetX-Datenbank genommen. Das ist eben eine Datenbank, wo hauptsächlich amerikanische Patienten, über 81 Millionen sind da drin, von etwas über 60 Gesundheitsorganisationen gespeichert sind. Da werden halt einfach diese Datensätze für die Abrechnung hauptsächlich gespeichert. Aber da sind eben auch die ganzen Krankheiten codiert. Und gemacht wurde die Studie dann nicht in den USA, sondern von der Universität Oxford. Die hatten da Zugriff auf diese Daten und haben das eben genauer untersucht und wirklich sehr genau immer geguckt. Wiederum zu jedem Covid-Patienten haben sie dann passende Patienten rausgesucht, die Influenza hatten oder auch andere Atemwegsinfektionen. Aber ich finde Influenza interessanter, weil es doch im Prinzip so ähnlich ist, und hat halt geguckt: Wie häufig ist eine bestimmte Erkrankungen bei Influenza? Und wie häufig ist es bei nach Covid? Und da haben Sie ja gerade ein paar Beispiele genannt. Und was ich jetzt wirklich interessant finde zum Beispiel, ist im Vergleich mit Influenza die Wahrscheinlichkeit, Demenz zu bekommen, innerhalb von sechs Monaten nach einer Covid-Infektion 2 ,3fach erhöht, die zweite Stelle nach dem Komma lasse ich jetzt mal weg. Oder auch Angststörungen ist im Vergleich zu Influenza 1,4 Prozent erhöht. Na da könnte ich mir vorstellen, das ist vielleicht überlagert, wenn ich weiß, ich habe nur die Grippe, ist es vielleicht


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bezüglich einer Angststörung nicht so beunruhigend, als wenn ich weiß, ich habe Covid-19. Und dann die Hirnblutungen, über die wir ja immer wieder sprechen, zum Stichwort Sinusvenenthrombosen – Sinusvenenthrombose ist natürlich nur ein winziger Teil der Hirnblutungen – aber da ist es so: Die Wahrscheinlichkeit für Hirnblutungen ist 2 ,5fach erhöht, wenn man Covid-19 vergleicht mit Influenza. Das heißt also, hier ist es so ganz klar, das Covid-19 macht eine Blutungsneigung, das macht eine Thrombose-Neigung, das macht alle möglichen Erkrankungen, und die schleppen sich dann in dieser Studie bis zu sechs Monate lang hin. Und ich bin sicher, wenn die zwölf Monatsauswertung irgendwann kommt, wird man sehen, dass einige Patienten dann auch noch nicht gesund sind. Dieses Long Covid ist eine echte Krankheit und die, sag ich mal, langfristigen Gesundheitsfolgen davon, die sind noch lange nicht ausgerechnet


56:42 



Camillo Schumann



Ja, das Problem ist aber auch, dass man dem nicht so richtig einen Stempel aufsetzen kann, dass es so unterschiedliche Erkrankungen sind. Mal psychologisch, mal dann auch organisch. Also, dass man dem Ganzen nicht so ein typisches Krankheitsbild geben kann, womit man dann zum Hausarzt geht und sagt hier ich glaube, ich habe Long Covid.



Alexander Kekulé


Und weil es eben neurologisch ist, gibt es natürlich viele, die dann Hemmungen haben. Man schämt sich vielleicht auch dafür, dass man irgendwie merkt, mir fallen Namen nicht mehr so wie vorher oder Ähnliches. Es wird ja auch jeder ständig älter, und viele CovidPatienten, die natürlich schwerere Erkrankungen haben, sind älter. Und es sieht immer so ein bisschen so aus, als wäre das normale Altern plötzlich in einem Schub nach vorne gegangen. Ja, gerade so Stichwort Demenz, was ja ein wichtiges Thema ist. Das ist ja nicht so, dass die deswegen jetzt quasi von null auf 100 Prozent Demenz gerauscht sind, sondern


das waren halt ältere Menschen, die schon vor Covid irgendwie so begrenzte Fähigkeiten nur noch hatten. Und dann haben sie sich Covid geholt. Und dann wurde es halt deutlich schlimmer. Das wäre sogar bei einem Gutachter, bei einem gerichtlichen Begutachtungsverfahren gar nicht so leicht, jetzt zu beweisen, welcher Teil liegt denn nun wirklich am Virus? Und welcher Teil war vielleicht darauf zurückzuführen, dass das Altersheim zugemacht wurde und die dann monatelang weniger kommuniziert haben und Ähnliches? Aber unterm Strich kann man sagen diese Studie, die da sehr sorgfältig und vor allem mit einer sehr, sehr großen Zahl von Patienten das ausgewertet hat, die belegt einfach, dass das nicht so eine seltene Sache ist. Also man unterscheidet dort so ein bisschen zwischen (das ist vielleicht auch noch wichtig) zwischen erstmaligem Auftreten von diesen Erkrankungen und einem wiederholten Auftreten von Erkrankungen. Das finde ich eigentlich ganz gut, dass sie das gemacht haben. Weil wenn nur so in der Statistik drin steht, was weiß ich, jemand hat eine Psychose. Ja, dann ist natürlich die Frage: War der vielleicht vorher auch schon Psychotiker und hat durch Covid halt einen neuen Schub bekommen? Das wäre dann jetzt biologisch gesehen vielleicht nicht so eine unerwartete Sache als wenn jemand als Erstdiagnose zum ersten Mal eine Psychose entwickelt hat. Und für Psychosen zum Beispiel ist das Risiko 2 ,1fach erhöht im Vergleich zu Influenza. Das heißt also doppelt so viele Covid-Patienten entwickeln nach dieser Infektion zum ersten Mal in ihrem Leben eine Psychose im Vergleich zu Influenza. Aber auch da wieder muss man sagen, ich will jetzt meinen Kollegen in der Psychiatrie nicht zu nahe treten. Aber psychiatrische Diagnosen sind natürlich schwierig und hängen vom Untersucher ab. Und das dann abzugrenzen von Problemen, die mit der Erfahrung des Patienten auf der Intensivstation zu tun hatten, das ist immer schwierig. Übrigens auch ein Ergebnis: Je schwerer die Erkrankung war, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass solche neurologischen oder psychiatrischen Probleme auftreten.


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59:43



Camillo Schumann



Und auch diese Studie wie immer in der schriftlichen Versionen dieses Podcasts unter jedem Podcast auf MDR.de, und dort Audio und Radio anklicken.


Wir kommen zu den Hörer-Fragen, Herr Kekulé. Herr M. hat angerufen und wir bleiben beim Thema. Er nimmt die Sinusvenenthrombosen nach der AstraZeneca-Impfung mal zum Anlass, folgende grundlegende Frage zu stellen:


Ist nicht damit zu rechnen, dass sämtliche Vektor-Impfstoffe – egal ob sie nun von Sputnik oder von einem anderen Hersteller, Johnson & Johnson, kommen – diese seltenen Nebenwirkungen haben, weil es wohl nicht speziell an diesem Schimpansen-Adeno-Virus liegt, der diese Nebenwirkung macht? Kann man nicht damit rechnen, dass man im Grunde genommen für alle diese Impfstoffe eine Einschränkung, nur für die älteren Jahrgänge, nutzen muss? Und die werden in Kürze durchgeimpft sein. Und kann man nicht dann vermutlich diese Impfstoffe vergessen?


Kann man das so verallgemeinern?



Alexander Kekulé


Ähm, ja, das wissen wir nicht genau. Also der Hörer hat da wirklich extrem gutes Fachwissen gezeigt.



Camillo Schumann



Er hört den Podcast (lacht).



Alexander Kekulé


(Lacht) Ja, oder es gibt ja auch sehr gute andere Informationsquellen. Aber es ist so, man kann es mal folgendermaßen sagen. Wir haben ja irgendwann auch schon mal genauer erklärt, wie das funktioniert. Darum will ich das nicht so im Detail noch einmal sagen. Da entstehen im Prinzip bei AstraZeneca wahrscheinlich Antikörper gegen Plättchenfaktor 4. Diese Antikörper, das sind so quasi nicht gewünschte aberrierende Antikörper, vagabundierende


Antikörper. Die wiederum aktivieren die Blutgerinnung dadurch, diese Blutplättchen oder auch Thrombozyten verklumpen, dann verstopfen die Gefäße und so kommt es zu den Thrombosen. So weit, so gut. Aber das Problem ist, wodurch entstehenden eigentlich diese Antikörper, also diese atypischen aberrierenden Antikörper. Und da gibt es verschiedene Theorien. Ich fange mal mit der unangenehmsten an. Der Herr Greinacher aus Greifswald, der ja das ganze aufgeklärt hat, parallel zu Kollegen aus Oslo, der hat in seiner Erklärung (war ich ja bei einer Pressekonferenz dabei) gesagt, er weiß überhaupt nicht, wodurch diese Antikörper erzeugt werden. Und das ist weltweit einer der absolut führenden Experten auf diesem Gebiet. Und er hält es auch für möglich, dass die allgemeine Entzündungsreaktion nach der Impfung, also diese Impfreaktion, dass das der Grund dafür ist. Das wäre natürlich die schlechteste Nachricht von allen, weil das würde bedeuten, dass jeder Impfstoff, der eine hohe Reaktogenität hat, wenn man genauer hinschaut, im Zweifelsfall Hirnvenenthrombosen auslöst. Ähm, ich sag mal, ich bin da nicht so pessimistisch, weil ich glaube, dass das irgendwann im Lauf der Geschichte der Impfungen schon einmal aufgefallen wäre. Und es gibt ja durchaus andere Impfstoffe, die auch sehr stark reaktogen sind. Eine Stufe weniger dramatisch ist die Erklärung, die Karl Lauterbach hat, die er ja seit einiger Zeit schon allgemein verbreitet. Er ist der Meinung, dass SProtein in den Impfstoffen ist daran schuld, also dieses Spike, das von den Impfstoffen generiert wird, was identisch ist mit dem Spike aus SARS-CoV-2 . Das wären sozusagen Bad News für die gesamte Corona Impfung, weil wenn es an diesem S-Protein liegt, dann müssten auch die RNA-Impfstoffe das machen. Dann müssten die Totimpfstoffe das machen. Dann müssten die Untereinheiten-Impfstoffe das machen, also diese Impfstoffe, die quasi nur dieses Spike-Protein ganz alleine verwenden und so weiter. Also letztlich alle Impfstoffe, die das S-Protein verwenden, um gegen SARS-CoV-2  zu immunisieren. Sie hören schon durch, ich glaub da nicht dran. Bei allem Res-


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pekt vor dem Kollegen, wenn es das S wäre, hätten wir irgendein Signal gefunden bei diesen vielen Millionen Menschen, die zum Beispiel mit BioNTech oder mit Moderna geimpft wurden oder auch die mit den Totimpfstoffen geimpft wurden. Da haben wir aber absolut nichts gefunden in dieser Richtung. Null. Das ist ja genau untersucht worden. Es gibt kein erhöhtes Risiko für solche Thrombosen, zum Beispiel bei BioNTech Pfizer oder bei Moderna. Deshalb schließe ich eigentlich die Möglichkeit, dass das S hier der Auslöser ist, der das Immunsystem da verrückt spielen lässt, aus. Bleibt noch die Variante, dass es irgendwie der Vektor selber ist. Und da gibt es auch wieder mehrere Möglichkeiten. Entweder es kann das Adenovirus sein, als Adenovirus. Wir wissen, dass adenovirale Infektionen tatsächlich manchmal so ein Syndrom machen, was auch solche Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 generiert, aber extrem selten. Aber es wäre zumindest nicht völlig unplausibel. Oder es kann sogar nur die große Menge doppelsträngiger DNA seien, die da mit drinnen ist. Weil das Adenovirus ist ein DNA-Virus und man spritzt natürlich dann einfach de facto ziemlich viel DNA. Und auch da wissen wir, dass die diese atypischen Antikörper generieren können. Die 2 letzten Möglichkeiten würden natürlich darauf hindeuten, was der Hörer hier vermutet, dass es auch bei anderen VektorImpfstoffen zu solchen Komplikationen kommen könnte. Aber es kommt ja aufs Verhältnis an. Wie häufig ist es? Ja, ist das etwas, was man extrem selten bei den anderen nur sieht? Weil es natürlich im Prinzip auch möglich ist. Alle Vektor-Impfstoffe, kann ich noch einmal so ergänzen, müssen leider in hoher Dosis gegeben werden, weil sie sonst nicht richtig wirksam sind. Man gibt da [eine, Anm. d. Redaktion] ganz schön hohe Zahl von diesen VektorViren rein. Oder ist es ein Phänomen, was bei AstraZeneca besonders häufig auftritt? Und dann hinge es wahrscheinlich mit der Schimpansenherkunft des Adeno-Virus zusammen. Das könnte man sich so zusammendichten, dass ein Virus, was von einem anderen Organismus, nämlich einem Schimpansen, kommt,


dass das möglicherweise das Immunsystem stärker oder atypisch stimuliert. Also da ist das ganze Spektrum offen. Keine dieser Varianten ist belegt, aber sie hören schon durch, ich tendiere absolut zur letzten, dass es so ist, dass das was Typisches ist, was mit den adenoviralen Vektoren zu tun hat. Und meine Hoffnung ist, dass wir das bei AstraZeneca häufiger als bei den anderen sehen, und jetzt nicht diese wenigen Meldungen, die wir von Johnson & Johnson jetzt zum Beispiel aktuell haben... Da ist noch wenig geimpft worden. Aber ich hoffe, dass das dann nicht genauso häufig wird am Ende des Tages wie bei AstraZeneca. Und ja, die Frage: Sind das Impfstoffe, die man dann irgendwann wird weglegen müssen. Man muss sie aus einem ganz anderen Grund irgendwann weglegen und zwar aus folgendem Grund: Diese Anpassung an diese stabilisierte Variante von dem S-Protein, die durch künstliche ProlinMutation, also durch Veränderungen 2 er Aminosäuren, mindestens 2 er Aminosäuren, so stabilisiert worden, dass die Immunreaktion besonders gut ist. Das hat man eben nur bei den RNA-Impfstoffen bisher. Und die Anpassung dann auch an neue Varianten, die unbedingt notwendig ist, das geht bei RNAImpfstoffen, fast hätte ich gesagt, ruckzuck, weil die ja künstlich hergestellt werden. Da muss man quasi nur im Computer die Sequenz ändern. Natürlich richtig ändern, also die richtige Änderungen vornehmen. Aber es ist eigentlich im Produktionsprozess total easy, das zu ändern. Und auch von der Zulassung her ist es so, dass man bei der Abänderung eines solchen RNA-Impfstoffes mit Sicherheit die sogenannte Mock-up-Zulassung in Europa machen könnte. Das heißt also, die alte Zulassung gilt dann weiter für den etwas veränderten Impfstoff. Das alles gilt für die Vektor-Impfstoffe nicht. Da muss man sehr viel Arbeit machen und wieder, nicht ganz von vorne, aber ziemlich weit vorne wieder anfangen, wenn man die anpassen will. Und darum glaube ich persönlich, dass die Zukunft definitiv bei den RNAImpfstoffen hier liegt. Und ja, im Herbst werden wir riesige Kapazitäten davon haben und wahrscheinlich dann nicht mehr auf die Idee


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kommen, die Vektor-Impfstoffe wieder aus der Schublade zu holen.


1:07:53



Camillo Schumann



Herr F. hat eine Frage zu der steigenden Zahl an infizierten Kindern. Welche Evidenz lässt die Schlussfolgerung zu, dass Kinder von der dritten Corona-Welle nun stärker betroffen sind als zuvor, was von vielen Medien aktuell propagiert wird, schreibt er. „Es ist doch logisch, dass nun die Inzidenz bei Kindern steigt, wenn ein Vielfaches mehr bei Kindern getestet wird als je zuvor in dieser Pandemie oder liege ich da falsch? Gibt es irgendeine belastbare Evidenz, welche zeigt, dass Kinder, aus welchen Gründen auch immer, nach einem Jahr Pandemie stärker betroffen sein sollten als in den letzten zwölf Monaten? Es schreibt ein zunehmend besorgter Familienvater, Herr F.“.



Alexander Kekulé


Es gibt keine Evidenz dafür, dass das Virus Kinder stärker infizieren würde, leichter infizieren würde, speziell für Kinder jetzt eher quasi gefährlich wäre. Man hat so was Ähnliches mal vermutet, bei B.1.1.7 in Großbritannien. Da sah es am Anfang so aus, als würden da mehr junge Leute betroffen werden. In dem Zusammenhang hat man ja bei den gleichen Studien am Anfang gemeint, Daten zu haben, dass die Infektionen schwerer verlaufen. Beides ist aus meiner Sicht ein bisschen mit dem Fragezeichen zu sehen. Es ist aus meiner Sicht sowohl noch nicht bewiesen, dass dieses B.1.1.7 wirklich schwerere Verläufe macht. Ich ärgere mich da immer so ein bisschen, wenn ich in deutschen Nachrichten auch in deutschen hervorragenden, sonst hervorragenden Zeitungen dann lese, die weitaus gefährlichere Variante B.1.1.7. In den USA sagen sie immer „die möglicherweise gefährliche Variante“, so rum ist es richtig. Und ich bin jetzt noch nicht ganz überzeugt, dass das epidemiologisch einen Riesenunterschied macht, dass es wirklich gefährlicher wäre. Aber das kann dabei rauskommen. Aber klar ist, dass die Anfangsdaten, dass jüngere Leute befallen werden, dass das inzwi-


schen sich erledigt hat. Das war ein Irrtum. Oder was heißt ein Irrtum, es war halt einfach... sah am Anfang so aus. Und es ist tatsächlich so, wenn man einen Ausbruch in Schulen hat, wenn man in der Schule die Situation hat, das geöffnet wird und zu der Zeit einfach Kinder da sind, die bisher relativ gut geschützt wurden in der ganzen Pandemie. Und dann das B.1.1.7 eben in Europa gerade grassiert, in Deutschland ja jetzt ganz massiv. Natürlich kriegen die dann alle B.1.1.7, wenn sie überhaupt was kriegen. Und das ist das, was wir gerade beobachten. Das Virus ist jetzt nicht irgendwie plötzlich speziell auf Kinder scharf, sondern das, was man ihm zum Fraß vorwirft, das nimmt es einfach. Und in dem Fall hat man halt die Schulen und Kitas aufgemacht. Wenn man jetzt unbedingt, sage ich mal, akademisch spekulieren will – aber jetzt wirklich nur aus Spaß am Spekulieren – dann könnte man sagen, Kinder haben natürlich in dieser Pandemie sich geschützt vor anderen Erkrankungen, vor den typischerweise massenweise auftretenden Infektionskrankheiten. Die ganzen Rotznasen sind ja plötzlich weg aus der Kita, dürfen auch gar nicht mehr hin. Und dadurch ist das Immunsystem nicht mehr so basisaktiviert bei den Kindern. Sonst haben die ja von dieser angeborenen Immunantwort, wie man das nennt, ständig so eine Grundaktivierung. Und da könnte man spekulieren – aber mehr als das ist es nicht – dass dadurch, dass diese Grund Aktivierung jetzt wegfällt, weil man die Kinder eben so geschützt hat, dass die jetzt empfänglicher sind für so ein Virus, wenn es dann daherkommt. Aber Belege gibt es auch dafür nicht.


1:11:16



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 169. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Gerne, bis dann Herr Schumann.


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Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter Audio und Radio auf mdr.de in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Und wer das ein oder andere Thema noch mal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 10. April 2 02 1 #168: Hörerfragen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Große Verunsicherung nach Impfung mit AstraZeneca die STIKO empfiehlt eine zweite Impfung mit BioNTech oder Moderna, was es dabei zu beachten?


Dann sorgt eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung dafür, dass ein Supervirus entsteht?


Und werden Kinder durch geschlossene Schulen und Kitas anfälliger für Krankheiten?



Camillo Schumann



Samstag, 10. April 2 02 1. Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés-Corona-Kompass Hörer-FragenSpezial nur mit Ihren Fragen und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüß Sie Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Einen guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr R. aus München möchte folgendes wissen:


Ich hätte gerne gewusst, was von diesem neuen PCR-Schnelltest zu halten ist, der offenbar hier in Bayern entwickelt worden ist. Wodurch eine verbesserte Zyklen Technik das Ergebnis nach 2 0 Minuten erhalten wird. Vielen Dank.



Alexander Kekulé


Ja, der PCR-Schnelltest ist auf jeden Fall genauso gut wie die anderen PCR Reaktionen. Der Unterschied wird, dann irgendwo hinter dem Koma liegen. Also das ist ein Test, ja, auf jeden Fall vernünftig ist. Der ist vernünftigerweise


jetzt auch in Bayern schon im Einsatz. Man muss nur dazu sagen, wenn man so in der Presse liest: 2 0 Minuten kommt das Ergebnis schon es gibt ja viele PCR Geräteanbieter, die schon deutlich unter einer Stunde liegen, also gibt PCR-Schnelltest-Maschinen, die so bei 3040 Minuten vom Ergebnis her sind. Und es gibt auch Alternativmethoden zur PCR. Das ist die sogenannte Lamp Methode, ein anderes Verfahren, bei dem die Genome der Viren nachgewiesen werden. Und die ist von der Qualität auch mit der PCR vergleichbar und auch ähnlich schnell, sodass man jetzt sagen muss es ist ein bisschen auch Marketingthema, wenn jetzt ein Hersteller sagt, ich habe jetzt wieder was Schnelles entwickelt. Und wenn die Regierung sagt, das wurde in dem konkreten Fall in Martinsried bei München entwickelt. Das finde ich natürlich persönlich toll. Da habe ich auch geforscht am Max-Planck-Institut um die Ecke. Aber es ist trotzdem so: bloß weil es ja sozusagen in Bayern erfunden wurde, muss es nicht besser sein als die ganzen Konkurrenzprodukte, die es schon gibt. Aber insgesamt ja, wir haben PCR Techniken oder auch Amplifikationtechniken, die sehr schnell sein können. Meistens haben die Geräte den Nachteil, dass sie nur eine Probe nach der anderen da reinstecken können oder nur wenige Proben, sodass sie letztlich zwar schnell sind, mit der Einzelprobe, aber mit dem Gesamtdurchsatz nicht viel gewinnen. Und das muss man dann im Einzelfall angucken, wenn jemand nur ganz selten mal einen Corona Test macht oder so gelegentlich mal einen Test macht und sagt: ich will jetzt aber eine PCR haben statt Antigen-Test, dann ist so was eine Option. Aber wie gesagt, es gibt auch schon Gerät auf dem Markt, die man da auch nehmen könnte.



Camillo Schumann



L. aus Bottrop hat angerufen. Sie hat sich mit AstraZeneca impfen lassen. Nun steht die zweite Impfung an. Sie würde das auch machen. Allerdings haben auch sie die Berichte der vergangenen Wochen stark verunsichert. Und nicht nur sie. Auch ihre Kollegen schrecken vor einer zweiten Impfung mit AstraZeneca zurück.


Nun ihre Frage:


Angenommen, ich würde nun einen mRNA Impfstoff bekommen, wäre diese als Booster zu


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sehen, oder bräuchte ich sogar noch eine dritte Dosis? Oder wäre es sinnvoll, nun erst einmal abzuwarten und es vor einer Dosis AstraZeneca zu belassen?


03:2 0



Alexander Kekulé


Also da ist wieder so eine Situation, das hatten im letzten Podcast schon: Wieviel wissenschaftliche Daten brauchen wir, um was zu empfehlen, und ich sehe es da an der Stelle immer so nach dem 80/2 0 Prinzip nach dem berühmten Pareto-Prinzip. Wenn es nicht schadet, aber wahrscheinlich nützt und ich 80/2 0 Wahrscheinlichkeit habe, dass es was bringt, dann empfehle ich das. Und mit dieser Einschränkung deshalb folgendes: ist es ganz klar, wenn man mit BioNTech zum Beispiel Pfizer oder Moderna eine Booster-Impfung machen kann, dann soll man das machen. Ich bin absolut überzeugt, dass das mindestens so effektiv ist, als wenn man zweimal AstraZeneca nimmt. Meine Fachkollegen von denen weiß ich, dass da viele jetzt im Moment sagen: Nein, da muss man erst mal die Studie machen, da muss man die Studienergebnisse abwarten. Da wissen wir nicht, ob die Effizienz wirklich genauso gut ist. Das stimmt alles, aber wir sind ja hier in einer Ausnahmesituation. Ich sag mal das Bild zu gebrauchen ist bisschen schräg: Aber irgendwie sind wir im Krieg gegen dieses Virus, ja und da jetzt immer zu sagen: es muss aber alles mit 100 Studien perfekt abgeklärt sein. Also Schaden wird es auf gar keinen Fall, besser als nochmal AstraZeneca ist es auf jeden Fall, und zwar deshalb, weil gar nicht wegen der Nebenwirkungen, sondern einfach die Wirksamkeit von AstraZeneca-Impfstoff schwächer ist als von den RNA-Impfstoffen. Ich sag mal so 60-70 Prozent gegen 95 und weil, wir bei dem bei den Vektor Impfstoffen speziell bei dem AstraZeneca-Impfstoff wissen, dass es auch bei der ersten Impfung immer eine TeilImmunisierung gegen den Vektor gibt, also dieses Adenovirus, was da als Vektor verwendet wird. Dagegen bilden sich ja auch Antikörper wahrscheinlich sogar mehr als gegen dieses S-Protein, was damit drinnen ist. Und des-


halb ist mal so ganz theoretisch zu sagen eine zweite Impfung mit dem gleichen Impfstoff, die wird wahrscheinlich weniger bringen, als den Impfstoff zu wechseln. Und deshalb würde ich das auf jeden Fall machen, natürlich mit einem entsprechenden Abstand mindestens vier Wochen, wenn man das kriegt. Stattdessen dann Booster-Impfung mit BioNTech und eine dritte Impfung wird man nicht brauchen. Also das ist dann echt als Booster zu verstehen, kann höchstens sein, dass man im Herbst oder Anfang nächsten Jahres dann noch mal einen Impfstoff von einer Generation 2 .0 braucht, also die auch die neuen Varianten abdecken



Camillo Schumann



Herr J. aus Bad Neustadt hat das ebenfalls verunsichert. Er hat am 15. März seine erste AstraZeneca Impfung erhalten. Herr J., ist aber 81 Jahre alt. Und dem treibt es natürlich auch um und hat deshalb folgende Frage:


Ich habe AstraZeneca am 15.3. bekommen. Kann ich, da ich sehr misstrauisch geworden bin, kann ich die zweite Impfung ablehnen und dafür BioNTech bekommen? Gibt es solche wissenschaftlichen Voraussetzungen oder Forschungen, die das belegen?


Die Frage ist ja, ob das beim Herrn J. aus Bad Neustadt überhaupt Sinn macht?


06:2 3



Alexander Kekulé


Also ich würde sagen jeder, der über 60 ist und schon einmal mit AstraZeneca geimpft wurde, soll auf jeden Fall die zweite Impfung noch mal mit AstraZeneca nehmen. Ich würde auch sagen das erste Impfungen sinnvoll sind im Alter über 60, so wie es ja auch die Ständige Impfkommission jetzt seit neuerdings empfiehlt. Was ist der Hintergrund? Wir wissen, dass es in seltenen Fällen diese wahrscheinlich, sage ich mal, apparierenden, vandalierenden Antikörper gibt, die dazu führen, dass Blutplättchen verklumpen und dann in ganz seltenen Fällen diese Hirnvenenthrombosen machen eher bei jüngeren Menschen, möglicherweise auch eher bei Frauen als bei Männern. Das hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit irgendetwas mit der Genetik dieser Personen zu tun, weil, wenn etwas so selten ist wir sprechen hier von ei-


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ner Frequenz von 1:2 0.000 bis 1:100.000. Je nachdem, welche Studie man nimmt. Wenn etwas so selten ist, dann gibt es dann genetische Gründe dafür also, dass irgendetwas in der Erbanlage so ist, dass es bei dem einen diese Verklumpung macht und bei dem anderen nicht. Und wenn jemand die erste Impfung gut vertragen hat, dann hat er eben diese Anlage ganz offensichtlich nicht, sodass ich sagen würde: wer die erste Impfung vertragen, dann müsste es wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn er dann bei der zweiten Impfung plötzlich was eine ganz ungewöhnliche Nebenreaktionen hat. Deshalb ist wirklich meine Empfehlung: wer schon einmal geimpft wurde, mit AstraZeneca und dann auch noch über 60 ist, der kann wirklich bedenkenlos die zweite Impfung wieder mit dem gleichen Impfstoff machen.



Camillo Schumann



Aber daran merkt man auch, weil auch in der Berichterstattung immer wieder mehr auch die die Fälle bei diesen jungen Menschen aufgetaucht sind und vor allem auch bei Frauen, das dass selbst hochaltrige Männer dann irritiert. Also das sozusagen dann grundsätzlich die Verunsicherung da ist.


08:13



Alexander Kekulé


Ja, wir können ja nicht alle Deutschen jetzt zu Virologen machen in dieser Situation, um da selbst die Entscheidung zu treffen. Und deshalb plädiere ich ja auch dafür, dass die Empfehlungen eindeutig sind, vom Bund her. Ich bin auch jetzt nicht so der Meinung, dass es eine gute Idee ist, da jeden Hausarzt selber mit dem Problem zu konfrontieren, weil auch die nicht alle Spezialisten für dieses Thema sind. Und aber die Idee jetzt aus virologischer Sicht ist ja die jetzt noch einmal zur Beruhigung: dieses Problem, was da aufgetreten ist, dass es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit assoziiert mit der sogenannten angeborenen Immunantwort, also wir haben ja jetzt 2 Stufen der Immunantwort, die angeborene auf Englisch heißt Innate Imunity, also angeborene Immunantwort und die zweite Stufe ist die sogenannte adaptive Immunantwort. Und was da passiert ist, so eine Verbindung die es gibt zwi-


schen der angeborenen Immunantwort und der Blutgerinnung. Da gibt es das Komplementsystem dazwischen, und das ist so ein Vermittler zwischen den beiden. Und auf dieser Schiene geht was schief, um es mal so pauschal zu sagen. Und es ist einfach so, dass diese angeborene Immunantwort im Alter – drum heißt es ja auch so schwächer wird. Die wird schwächer, und dafür wird diese adaptive Immunantwort eher dominant, bei der es um Antikörper und T-Zellen geht und so was am zytotoxischen T-Zellen. Und deshalb kann man rein biologisch auch vermuten, dass es so sein muss, dass im höheren Alter diese Nebenwirkung seltener wird. Und dieses Theoretische, was sich rein theoretisch und ableitet, das zeigt sich ja auch in den ganzen Belegen. Wir haben inzwischen viele Fälle, wo AstraZeneca assoziiert war mit Hirnvenenthrombosen. Aber es waren immer jüngere Menschen.



Camillo Schumann



Also: Herr J, wenn Sie schon mit Astra geimpft und auch die zweite, dann mit Astra. Und da sitzt er dann auf der sicheren Seite. Sie müssen jetzt nicht umsteigen auf BioNTech, Herr L. aus Edertal in Nordhessen, der hat angerufen. Er hat viele Fragen zu den Sinusvenenthrombosen, die hier im nach der Gabe des AstraZeneca-Impfstoffs sehr aufgetreten sind. Er will zum einen wissen, wie die Altersund Geschlechts Verteilung der betroffenen Patienten ausfällt. Und dann hat er noch eine ganz interessante Frage, ist ein bisschen schlecht zu verstehen. Aber wir hören jetzt alle mal ganz genau hin,


Wie kann das sein, dass die in Großbritannien jetzt erst zugegeben Komplikationen einer Sinusvenenthrombose in keiner Relation zu den deutschen Zahlen stehen? Hier besteht nach wie vor große Skepsis.


Tja, haben Sie es verstanden?



Alexander Kekulé


Ich habe es verstanden. Warum findet man die Sinusvenenthrombosen erst jetzt? Warum werden die auch in Großbritannien erst jetzt veröffentlicht? Und bisher gab es angeblich gar keine. Und warum sind sie in Großbritannien


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so wenige und in Deutschland so viele? Das ist einfach die Frage. Wenn man nach etwas sucht, muss man wissen, nach was man sucht. Und wenn man weiß, wie es aussieht, dann findet man das ja, das ist bei jedem Versteckspiel so. Wenn Sie irgendetwas erkennen müssen in einem Muster. Und sie wissen, wie es aussieht, dann finden sie das einfach schneller und wir haben jetzt die Situation, dass diese Hirnvenenthrombosen in der Tat eben auch wenn da zum Teil etwas anderes behauptet wurde einfach nicht so einfach zu diagnostizieren sind. Selbst Neurologen müssen genauer hinschauen, um jetzt die Hirnvenenthrombose als Auslöser eines Hirnschlags, wie man so allgemein sagt, dann herauszufiltern. Und es ist ja auch erstaunlich, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur zuerst gesagt hat: wir sehen da keinen Zusammenhang, der Impfstoff ist sicher. Dann haben Sie gesagt, wir können einen Zusammenhang nicht ausschließen. Und jetzt? Die aktuelle Variante, die jetzt ganz neu ist, heißt ja, wir glauben, da gibt es einen Zusammenhang, aber wir sind trotzdem der Meinung, dass der Vorteil überwiegt und das Ganze vor dem Hintergrund, dass es am Anfang angeblich keine registrierten Hirnvenenthrombosen gab. Dann war der letzte Stand vor ein paar Tagen, dass die EMA 30 oder 35 in der Größenordnung hatte. Und jetzt stand vom 7.4., 2 1 Uhr, waren schon 169 Hirnvenenthrombosen, die also registriert wurden, in Europa. Allerdings bei 34 Millionen Geimpften. Das hat wenig Sinn, diese Zahlen sozusagen auf die Gesamtpopulation zu beziehen, sondern man sucht jetzt systematisch danach. Und deshalb wird auch rückwirkend jetzt plötzlich was gefunden. Insgesamt ist es aber so: es bleibt diese Hirnvenenthrombose. Die schweren Verläufe bleiben einfach extrem selten. das wird dabeibleiben, das ist jetzt nicht so, dass man plötzlich ganz viele finden wird, die dann doch an Hirnvenenthrombose gestorben sind. Die Frage, die de nicht beantwortet ist, ist, wie viele Menschen haben möglicherweise dezentere Gerinnungsstörungen die keine Hirnvenenthrombosen machen und die deshalb auf diese Weise nicht erkannt werden und die aber


möglicherweise irgendwelche Gesundheitsfolgen haben oder dann Langzeitfolgen haben. Und das wird ja gerade untersucht, sodass ich sagen würde: im Moment ist eigentlich die Wissenschaft auf dem richtigen Weg, das wird auch sehr transparent gemacht. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut ist da sehr, sehr offen. Da kann man auf der Webseite die ganzen Komplikationen sogar Nachlesen, wenn man sich gruseln will, da steht ja wirklich alles drin, was gefunden wurde. Und die EMA hat einfach so einen politischen Touch, dass sie sagt ja, da gibt es einen Zusammenhang. Aber wir wollen trotzdem das weiter geimpft wird. Das ist jetzt so, das wird auch so bleiben. Und dann wird es die nächsten Wochen auch keine großen neuen Erkenntnisse geben. Jemand, der halt über 60 ist er hat einfach die Situation, die Chance auf eine Hirnvenenthrombose ist, auf jeden Fall geringer als eins zu 100.000 in diesem Alter, wahrscheinlich viel geringer. Und wenn sie Covid infiziert werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit daran zu sterben, zwischen ein Prozent und zehn Prozent je nachdem, wie alt man ist und wie groß die Nebenerkrankungen sind. Und deshalb meine ich 60 ist die Risikoabwägung eindeutig.


14:18



Camillo Schumann



Jetzt will Herr L. noch wissen, wie die Altersund Geschlechtsverteilung der betroffenen Patienten ausfällt, die an einer Hirnvenenthrombose dann gelitten haben. Man kann fast sagen überwiegend Frauen. Aber es gab ja auch den einen oder anderen Mann darunter.



Alexander Kekulé


Also es sind bei den Ländern, die es bekanntgegeben haben, da ist der ist der Männeranteil unter fünf Prozent. Natürlich wird es auch ein Restrisiko für Männer geben. Und ob sich das jetzt stabilisiert, das jetzt bei diesen wenigen Fällen, die man bisher hat, mehr Frauen sind. Das kann viele Gründe haben. In Europa haben wir ja viele Krankenschwestern und auch Mitarbeiter so in Schulen, Lehrer in Grundschulen


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und Ähnliches oder Kitas geimpft. Und da sind naturgemäß mehr Frauen dabei. Das ist einfach so. Und deshalb wissen wir nicht genau, ob das eine Verzerrung quasi war, durch die Personen, die da geimpft wurden. Da wäre ich jetzt erst mal vorsichtig zu sagen, weiblich zu sein ist ein Risikofaktor. Das Alter haben wir schon drüber gesprochen ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Risikofaktor. Also je jünger, desto eher wird es solche Erkrankungen geben. Die EMA hat sich überhaupt nicht festgelegt. Die steht immer noch auf dem Standpunkt, dass sie sagt wir können weder männlich weiblich noch jung alt als Risikofaktor eingrenzen. Das ist aber, glaube ich, eher so die Vorsicht dieser Wissenschaftler, ja, die sind einfach vorsichtig bei dem, was sie da Aussagen, übrigens die Vorsitzende dort ist ja eine Deutsche, die interessanter pikanterweise auch Abteilungsleiterin, glaube ich im PaulEhrlich-Institut ist oder nein, die ist im Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte. Da ist die Abteilungsleiterin, und es sind aber auch Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts da beteiligt. Das heißt also, das ist schon für Fachleute ganz interessant oder geradezu pikant, dass die EMA hier ja anders als das Paul-EhrlichInstitut entscheidet und auch anders als die nationalen Behörden in Europa. Und sicherlich wird dahinter den Kulissen heißt diskutiert. Aber für den Normalverbraucher ist es so: ich würde davon ausgehen, dass das Alter definitiv eine Rolle spielt. Und es sieht so aus, als würde das Geschlecht auch eine Rolle spielen. Aber Letzteres ist noch mit großer Unsicherheit behaftet.


16:34



Camillo Schumann



Frau K.-L. hat angerufen. Sie ist 67, relativ gesund, sagt sie von sich selbst. Sie hat sich gerade gegen FSME impfen lassen, weil sie dachte, dass sie so schnell kein Corona Impfungstermin bekommt. Falsch gedacht.


Jetzt gibt es plötzlich Impftermine da und dort und meine Frage: Wie viel Zeit sollte zwischen dieser Meningitis Impfung – der dritten, die ich


jetzt hatte und einer Corona Impfung liegen, damit das alles gut verlaufen kann.



Alexander Kekulé


Da gibt es eine einfache Formel was man so in der Virologie Vorlesung lernt, das ist so: wir haben ja Lebendimpfstoffe, wo ein Virus verabreicht wird, was ich noch vermehren kann. Zum Beispiel Mumps, Masern, Röteln gehört in diese Kategorie. Und wir haben ganz viele verschiedene Totimpfstoffe im weitesten Sinne, dass also die Viren entweder abgetötet sind und sich nicht mehr vermehren können oder nur Bestandteile von Viren gegeben werden. Oder eben wie bei dem Sars-CoV-2  Impfstoff. Da ist es ja so, dass das Bestandteile von Viren sind, die produziert werden, zum Beispiel von einer RNA oder von einem Vektor. Und da ist die Regel die, bei Lebendimpfstoffen, sagt man, da soll zwischen 2 Impfungen nach Möglichkeit vier Wochen liegen bei Lebendimpfstoffen. Das ist deshalb, weil das einfach ein Virus ist. Es vermehrt sich, und wir wissen, dass durch die Virusvermehrung der Körper quasi in so einer Art Abwehr Zustand geht, in einen Alarmzustand und dann auch andere Viren es schwerer haben, sich zu vermehren. Und dadurch würde quasi die Impfung gegen das eine Virus, wenn man es jetzt zeitversetzt gegen ein anderes Virus dann impfen würde. Die würden sich gegenseitig stören, man nennt es auch Interferenz. Daher kommt übrigens der Ausdruck Interferon, den vielleicht der eine oder andere schon mal gehört hat. Und deshalb muss man Lebendimpfstoffe entweder genau zugleich geben, dann gibt es keine Interferenz, oder man muss sie zeitversetzt mit vier Wochen geben. Aber: hier haben wir es zu tun mit FSME, wenn ich das richtig verstanden habe und mit einem Impfstoff gegen Sars-CoV2 . Und da ist es so, dass beides nicht lebende Impfstoffe, und deshalb braucht man da gar keinen Sicherheitsabstand einhalten. Man könnte es theoretisch am nächsten Tag machen.


18:47



Camillo Schumann



Okay, Herr S. aus Berlin hat am 2 9. März einen 5


Artikel in der Süddeutschen Zeitung gelesen. Die Überschrift: „Angst vor dem Supervirus“. Und dazu hat er jetzt folgende Frage:


Der Artikel kommt zu der Schlussfolgerung: wer das Risiko für impfresistente Mutanten reduzieren möchte, bringt deshalb erst die Zahl der täglichen Neuinfektionen runter und impft dann die Bevölkerung in hohem Tempo. Beides ist in Deutschland bislang nicht passiert. Nun will er wissen: Sehen Sie das auch so?



Alexander Kekulé


Rein theoretisch ist es so: will man quasi in einer Pandemie reinimpft, dann hat man immer die Situation, dass sich Viren quasi auseinandersetzen müssen mit der Tatsache, dass ein Teil der Bevölkerung immun ist durch die Impfung oder auch durch die durchgemachten Infektionen und dann die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich das Virus eben anpasst in dem Sinn, dass Mutationen entstehen. Das Problem ist nur das ist kein Argument gegen die Impfung, und zwar aus dem Grund, weil das Gleiche passiert ja auch bei der natürlichen Infektion. So also sehen wir ja gerade ganz, ganz massiv in Südamerika, wo also Varianten entstehen, oder Südafrika. Die sind ja keineswegs entstanden, weil dort so massiv geimpft wurde vorher. Oder auch die britische Mutante mit der wir es jetzt in Deutschland ja mehrheitlich zu tun haben, die ist ja nicht entstanden, weil irgendwo besonders viel geimpft worden wäre, sondern im Gegenteil. Die trat auf, bevor man überhaupt angefangen hat zu impfen. Und da ist sehr, sehr wahrscheinlich, dass diese Varianten dadurch auftreten, dass man halt mehr vermehrt Personen hat, die immun sind aber aufgrund von durchgemachten Infektionen. Darum habe ich ganz früher sogar mal gesagt, wenn das Virus anfängt, sich zu verändern, ist es ein gutes Zeichen, weil das heißt, dass es schon zum ersten Mal Runden macht, wo es nicht weiterkommt, weil es auf immune Populationsteile stößt. Und dieses Phänomen haben Sie immer. Das können sie nicht verhindern. Da ist völlig egal, ob sie schnell impfen oder langsam impfen oder ob sie das bei Hochinzidenz oder Niedrighinzidenz machen, weil sie ja immer Menschen haben, die sich natürlich infizieren. Und ja, das wird immer so sein, dass das Virus sich anpasst. Also das ist ein -


meines Erachtens nicht zu verhindernder Vorgang, der am Ende ja dazu führt, dass man eine Population hat, die so eine Teilimmunität gegen alle möglichen Varianten hat, sodass das Virus insgesamt bei den Infektionen nicht mehr so schlimm ist und auf diesen Zustand steuern wir zu so oder so. Und deshalb halte ich nichts davon, jetzt irgendwie zu sagen wir dürfen nur dann und dann impfen. Und die Inzidenz muss so und so sein oder, wie manche Kritiker eben in den sozialen Medien sagen, das Impfen ist insgesamt gefährlich. Das ist für mich alles nicht wissenschaftlich basiert.


2 1:31



Camillo Schumann



Die N. hat gemailt, sie ist im siebten Monat schwanger. Nun hat sie folgende Frage:


Ich frage mich, wann ich mich danach impfen lassen kann, da es für stillende Mütter bisher nicht empfohlen ist. Mich stört, diese Pauschalisierung immer, denn ich habe mein erstes Kind 2 Jahre lang gestillt. Und es ist doch ein Riesenunterschied, ob man ein Neugeborenes, einen Säugling oder ein Kleinkind stillt. Meine Frage deshalb an Sie: nach jetzigem Stand der Daten, ab welchem Alter des Babys halten Sie eine Impfung in der Stillzeit für angeraten (Risiko-Nutzen-Abwägung).



Alexander Kekulé


Also wenn die Mutter die Krankheit nicht durchgemacht hat und nicht immunisiert ist, dann würde ich sagen relativ bald nach der Geburt. Also wir haben ja schon erste Studien zu laufen, wo sogar Schwangere geimpft werden und man ausprobiert, ob das Nachteile mit sich bringt. Ich würde einer Schwangeren, die aus beruflichen Gründen zum Beispiel eine Exposition nicht vermeiden kann. Oder eine Mutter, die einfach noch drei kleine Kinder hat, die alle in der Kita sind, wo man einfach weiß, da ist vom Umfeld her ein hohes Infektionsrisiko, und der Kontakt zu den eigenen Kindern ist ja deswegen nicht abzubrechen. Da würde ich sogar unter Umständen überlegen, ob man in der Schwangerschaft noch impft. Natürlich mit dem RNA-Impfstoff in dem Fall. Also es spricht nichts dagegen, stillende Mütter zu impfen mit den modernen Impfstoffen, auch wenn die Studienlage so ist, dass die da noch keine offizielle Zulassung haben. Anders ist die Situation,


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wenn die Mutter glaubt, dass sie Antikörper oder weiß, dass sie Antikörper hat oder dass sie schon immun ist gegen das Virus, weil sie die Infektion durchgemacht hat oder selbst schon geimpft worden wäre. In diesem Fall wäre es dann so, dass man immer davon ausgeht, dass die Neugeborenen einige Monate lang so eine Nestschutz haben, wie wir das nennen. Also die kriegen quasi Antikörper von der Mutter mit und die schützen eine Zeitlang also sechs Monate auf jeden Fall, sodass man in dem Fall quasi sagen könnte, das Kind ist automatisch am Anfang mit geschützt, sodass es ja auch einen Vorteil hat. Grundsätzlich Mal gesehen, wenn die, wenn die Mutter wie auch immer durch Impfung oder durch durchgemachter Krankheit Antikörper hat.


2 3:38



Camillo Schumann



Herr H. hat eine Frage zu Kindern:


Es wurde immer gesagt, dass die Kinder im Kindergarten oder in der Schule ihr Immunsystem stärken und trainieren, da sie dort oft leichten Krankheiten ausgesetzt sind. Dieser Effekt fehlt ja nun. Wie wirkt sich dies langfristig auf das Immunsystem aus, auch im Erwachsenenalter? Viele Grüße.



Alexander Kekulé


Na, wenn ich das wüsste. Also, die Frage habe ich auch schon gestellt. Aber ich habe keine Antwort. Muss ich ganz ehrlich sagen. Rein theoretisch gibt es 2 Dinge, die man berücksichtigen muss oder die man sich fragen muss. Das eine ist tatsächlich: wie ist es langfristig, weil ja nicht sozusagen in der normalen kindlichen Entwicklung auch vom Immunsystem her es gewisse Fenster gibt, also bestimmte Zeiten gibt, wo bestimmte Konfrontation mit Viren, Bakterien, Pilzen und so weiter wichtig ist, um das Immunsystem zu trainieren. Wenn man das so pauschal sagen kann. Aber wann das genau ist, wie das genau ist, ob man das nachholen kann und solche Dinge, das sind Sachen, die wird man vielleicht in 10 Jahren, in 2 0 Jahren wissen. Aber dass es noch alles Gegenstand der Forschung, so wie man vor 40 Jahren auch nicht genau gewusst hätte, in welchem Alter Kinder ganz bestimmte psychologi-


sche Reize brauchen, um sich optimal zu entwickeln, das ist ja heute viel weiter. Und der andere Effekt, der eine Rolle spielt. Das ist jetzt nicht die Frage, die hier gestellt wurde. Den finde ich aber noch naheliegender eigentlich, dass ist der, dass wir wissen, dass in einem bestimmten Alter speziell so Kita und Anfang der Grundschule, die Kinder eigentlich so ein ständig aktiviertes Immunsystem haben. Und zwar speziell des angeborene dieses Innate Immunity, die angeborene Immunität, die ist so ein bisschen daueraktiviert, dadurch, dass ständig neue Infektionen kommen, nicht nur Viren, auch andere in Kontakte mit Krankheitserregern. Und da wissen wir schon, dass das so eine Art Kollateralschutz auch macht. Also wenn Kinder mit einem Virus gerade kämpfen, dann sind Sie gegen weitere Virusinfektionen in dem Moment bis zum gewissen Grad geschützt. Und dieser Effekt, der fällt auf jeden Fall natürlich jetzt in der Pandemie zum Teil weg dadurch, dass die Kinder ja, dass man ja verhindert, dass die Kinder so andere Erkältungserkrankungen bekommen. Und da wissen wir gar nicht, welche Auswirkungen das hat. Es ist ja bekannt, dass das SARS-CoV-2  sich derzeit auch bei jungen Menschen und auch im Kindesalter, Grundschulen deutlich ausbreitet. Und das wäre sogar eine mögliche, natürlich sehr spekulative Erklärung dafür. Also diese 2 Effekte gibt sowohl, dass diese allgemeine Alarmsituation des Immunsystems nicht mehr gegeben ist, als auch das möglicherweise von einer Entwicklung her bestimmte Phasen jetzt ausfallen. Aber beides ist spekulativ. Also wir haben da wirklich beim besten Willen – ich wüsste es auch gern aber wir haben da keine Daten darüber.


2 9:40



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 168 vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 13. April wieder bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie


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uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 08. April 2 02 1 #167



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Klinische Aspekte – Altersverteilung, Hospitalisierung


https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Daten/Klinische_Aspekte.xlsx ?__blob=publicationFile


Einfacher und günstiger: Impfstoff NDV-HXP-S


Researchers Are Hatching a Low-Cost Covid-19 Vaccine The New York Times (nytimes.com)


Donnerstag, 08. April 2 02 1


Geimpfte sollen ihre Grundrechte zurückerhalten, wenn sie wissenschaftlich bewiesen keine Gefahr mehr für andere darstellen. Kann es diesen Beweis überhaupt geben?


Außerdem wegen der Osterfeiertage ist die aktuelle Datenlage zu Neuinfektion recht dünn und wenig aussagekräftig. Wir schauen uns andere Parameter an, um ein Bild der Pandemie zu bekommen.


Dann: ein neuer Impfstoff macht von sich reden. Was muss man darüber wissen?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Modera-


tor bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekule ich grüße Sie, Herr Kekule.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Eine ziemlich vollgepackte Sendung mit spannenden Themen liegt vor uns. Fangen wir mal mit der sich zuspitzenden Diskussion über einen neuen und harten Lockdown an. Nach Laschet und Söder hat nun auch die Kanzlerin einen weiteren harten Lockdown gefordert, nachdem auch Wissenschaftler und Ärzte noch mal ziemlich Alarm geschlagen haben. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer hat das auf der Bundespressekonferenz gestern so begründet:


Wir verfügen ja im Augenblick keine besonders gute Datenbasis, was die Zahlen der Neuinfektionen anbelangt. Eine sehr deutliche Sprache spricht aber die Zahl der belegten Intensivbetten. Die steigt nämlich sehr viel, sehr stark und sehr viel zu schnell. Deswegen ist auch jede Forderung nach einem kurzen einheitlichen Lockdown richtig. Auch ein gemeinsames bundeseinheitliches Vorgehen wäre hier wichtig.



Camillo Schumann



Über die Zahlen, wollen wir dann im weiteren Verlauf sprechen. In Deutschland herrscht in vielen Städten und Landkreisen eher so Lockerungsstimmung, auch durch tagesaktuelle Schnelltests. Sollte jetzt noch mal eine gemeinsame Kraftanstrengung unternommen werden, um die Zahlen zu drücken?



Alexander Kekulé


Ja, also ich sehe auch die Entwicklung auf den Intensivstationen mit Sorge. Egal in welches Bundesland man sieht, gibt es da steigende Zahlen, zum Teil innerhalb von 14 Tagen um 30 Prozent Anstieg der Belegungen. Deshalb, glaube ich, ist es auf jeden Fall der falsche Zeitpunkt für Lockerungen. Das kann man auf jeden Fall festhalten. Die Frage ist natürlich in


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die andere Richtung: was wäre wirksam, um die Neuinfektionen zu begrenzen. Und die Frage ist natürlich auch: hängt diese Belegungskapazität, also der Rückgang der Kapazitäten auf den Intensivstationen, möglicherweise mit dem Alter der Patienten zusammen? Aber da wir keine genaueren Angaben haben, wir wissen einfach jetzt aufgrund der Osterfeiertage und des nach wie vor lückenhaften Meldesystems eben nicht, wie sich die Inzidenz tatsächlich entwickelt, ist es aus meiner Sicht sinnvoll! Natürlich wäre es gut, wir hätten einen bundesweiten einheitlichen Lockdown. Es ist, glaube ich, für die Bürger schwierig zu verstehen, warum in dem einen Bundesland, das so gehandhabt wird oder manchmal sogar von Kreis zu Kreis unterschiedlich. Das Problem ist nur: ich sehe eine Schwierigkeit auf der Umsetzungsebene. Also ich sehe politisch irgendwie keinen Horizont in dem Sinn, dass man sagen könnte, das hätte eine Chance, jetzt mit allen Ministerpräsidenten bundeseinheitlich eine harte Linie zu vereinbaren, so wie es beispielsweise Bayern jetzt gerade beschlossen hat.


03:2 3



Camillo Schumann



Aber es gibt möglicherweise einen Kniff, denn nicht alle Ministerpräsidenten sind ja von einem harten und vor allem bundesweiten Lockdown überzeugt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zum Beispiel nicht. Die Kanzlerin will Zweifler und Einzelgänger und Alleingänge offenbar mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes umgehen. Ziel sei es, die Corona-Maßnahmen bundesweit zu vereinheitlichen, das Schreiben, Bild und Spiegel unabhängig voneinander unter Berufung auf Regierungskreise. Demnach sollen Landkreise bei erhöhter Inzidenz und R-Werten und unter Berücksichtigung anderer Faktoren dazu verpflichtet werden können, ihre Maßnahmen zu verschärfen. Also dann soll Berlin entscheiden. Gute Idee?



Alexander Kekulé


Diese Idee ist ja schon lange im Gespräch. Und ehrlich gesagt, als wir vor vielen, vielen Jahren mal das Infektionsschutzgesetz auf den Weg gebracht haben, da war ja auch die Wissenschaft beteiligt. Ich selber habe auch Entwurfsfassungen gesehen. Da war so ein bisschen die


Idee, bei einem überregionalen Notfall wie einer Pandemie natürlich, stärker den Bund einzubinden. Also dass der Bund letztlich vorgeben kann, was gemacht wird. Da sind immer noch Lücken drinnen, und die sollen jetzt geschlossen werden in dem Sinn, dass der Bund mehr Autorität bekommt, mehr Macht bekommt. Eine erste Stufe ist ja schon vor Weihnachten passiert in dieser Richtung. Ich sag mal so, das eine ist, dass wir ihr grundsätzlich, wenn wir Pandemien haben, natürlich immer eine Situation haben, wo selbstverständlich die ganze Bundesrepublik betroffen ist. Und darum habe ich schon vor langer Zeit in anderem Zusammenhang mal gesagt, dass in Zeiten globaler Seuchen eigentlich das föderale System lebensgefährlich ist. In dieser Pandemie habe ich so ein bisschen das Gefühl, es gab schon wichtige Momente, ohne dass man die jetzt vielleicht alle im Einzelnen noch einmal rekapitulieren muss. Vor allem am Anfang dieser Pandemie, wo es ganz gut war, dass jetzt nicht das Robert Koch-Institut und das Bundesgesundheitsministerium durchregiert haben, sondern wo wichtige Korrektive von den Ländern kamen. Am Anfang haben wir einige Bundesländer die Gefahr besser und richtiger eingeschätzt als der Bund. Und deshalb bin ich jetzt nicht mehr so wie früher der Auffassung, dass es wirklich das Beste ist, wenn das zentral durchregiert werden kann, weil da eben auch Fehler dann quasi nicht mehr korrigierbar sind. Unser föderales System hat da eigentlich gerade in dieser Pandemie auch Vorteile gezeigt am Anfang. Ja, und jetzt ganz praktisch gesprochen ist im Moment einfach die Lage, dass mein Eindruck schon der ist das, dass die Länderchefs aus politischen Gründen meistens regionalen Gründen Man muss dann gucken, wo die Wahlen vor der Tür stehen und Ähnliches dann eigentlich Dinge favorisieren, die medizinisch doch ziemlich einstimmig abgelehnt werden, also die von den Fachleuten abgelehnt werden. Oder hier ganz konkret: der Bund sagt wir müssen den Lockdown verlängern oder sogar verschärfen. Und einige Länder wollen das nicht. In dieser konkreten Frage wäre es von Vorteil, wenn die Länder auf dem Bund hören würden. Jetzt ist es natürlich politisch praktisch gesehen, so wir wissen alle, dass die Gesundheit gehört ja im föderalen System noch den Ländern nach wie vor, auch


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wenn das Infektionsschutzgesetz hier eine gewisse Ausnahme bildet, übrigens ganz interessant, die humane Gesundheit ist Ländersache. Und die Tiergesundheit da kann der Bund durchregieren, aber bei der Human Gesundheit eben nicht. Und deshalb wäre das ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Und ob jetzt diejenigen Landeschefs, die jetzt da sozusagen überrannt werden sollen, mit dieser neuen Regelung im Bundesrat zustimmen würden, das würde ich doch mit einem großen Fragezeichen versehen.


06:53



Camillo Schumann



Weil sie gerade die Problematik aufgezeigt haben. Zum einen waren am Anfang der Pandemie die es Länder, die den besseren Durchblick hatten. Und da wäre es von Nachteil gewesen, wenn Berlin durchregiert hätte. Jetzt hat sich das sicherlich alles so ein bisschen professionalisiert. Wie könnte man das denn machen? Oder wie könnte man es denn so umsetzen, das dem Wohl des Volkes gedient wäre?



Alexander Kekulé


Sie fragen jetzt natürlich einen Wissenschaftler ja, die haben immer so Ideen, wo die Politik dann die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Aber wie man es aus meiner Sicht wissenschaftlich professionell machen würde, dann wäre das so, dass die Länder in einem Gremium mit vertreten wären. Was das Bundesgesundheitsministerium in diesem Fall quasi berät. Also das ist ja eine Forderung, die ich schon ganz lange habe. Nicht nur ich, sondern viele Kollegen auch, dass man eigentlich so etwas wie einen Pandemiestab und eine große Pandemiekommission braucht, die offen von mir aus auch öffentlich tatsächlich die Diskussionen, die Argumente abwägt, wo Fachleute verschiedener Disziplinen drin sind. Auch finde ich die Fachleute, die jetzt sag ich mal abweichende Meinungen haben. Es gibt ja Kollegen von mir, die sagen Lockdown ist grundsätzlich nicht sinnvoll und Ähnliches. Aber statt dass das in den Talkshows stattfindet, bin ich wirklich der Meinung, da wäre so eine Kommission richtig. Und die könnte man ja natürlich da werden ja nicht nur Naturwissenschaftler oder nicht nur Wissenschaftler drinnen sondern selbstverständlich aus allen Bereichen Vertre-


ter. Und da könnte man natürlich dafür sorgen, dass die Länder dann ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben, quasi auf Argumentationsebene. Und dann wäre meine Hoffnung Entschuldigung, wenn ich da vielleicht ein bisschen naiv bin aber meine Hoffnung wäre wirklich, dass das beste Argument sich dann da durchsetzt in solchen Diskussionen. Und dann der Bund das quasi zu Entscheidungsgrundlage macht. Also dadurch hätten die Länder noch ein Mitspracherecht. Und es wäre trotzdem so, dass am Ende der Bund entscheidet. Aber eben nicht, wie es am Anfang der Pandemie war, dass man ein 2 Berater hatte und gesagt hat, so wollen wir es machen, sondern dass die Begründungskultur, wie ich das auch mal genannt habe, dass die eben wirklich dann verankert ist. Zum Beispiel in so einer Pandemiekommission.


08:58



Camillo Schumann



Na gut, die Hoffnung stirbt zuletzt. Also Sie dürfen die Hoffnung ja äußern. Das ist überhaupt kein Problem.



Alexander Kekulé


Das stand schon übrigens in den Pandemieplänen. Also diese Kommission war mal vorgesehen und das ist etwas, was die WHO ursprünglich mal empfohlen hat. Und wo man sich aber in Deutschland am Anfang eben entschieden hat, das nicht zu machen. Auch weil natürlich jetzt beispielsweise die Bundeskanzlerin oder der Bundesgesundheitsminister, wenn so eine Kommission eine klare Empfehlung abgeben, wenig Chancen hat, davon abzuweichen, das ist aus politischer Sicht natürlich dann schwierig. Wir sehen es ja gerade ganz aktuell. Wenn die Ständige Impfkommission was sagt, kann der Gesundheitsminister schlecht sagen: „Mach ich nicht“ oder das Paul-Ehrlich-Institut und Ähnliches. Und deshalb hat es eben aus meiner Sicht politische Gründe gegeben, warum man sich dagegen entschieden hat.



Camillo Schumann



Einmal ganz kurz nachgefragt mit der Bitte um eine kurze Antwort: wie ist das jetzt eigentlich? Sollte das tatsächlich das Infektionsschutzgesetz so verändert werden, dass der Bund ein stärkeres Mitspracherecht hat und das sich dann Kommunen und Landkreise dem dann


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unterordnen müssen? Und die Länder werden so ein bisschen außen vor. Würde das in der aktuellen Pandemie eigentlich noch was bringen? Oder ist das eher schon auf die nächste geschielt.



Alexander Kekulé


Das ist zu kurzfristig. Das würde aktuell nichts mehr bringen, weil die Länder einfach schon ihre Interessen geäußert haben. Und deshalb, glaube ich, wäre es in der jetzigen Situation nicht sinnvoll. Und für die nächste Pandemie würde ich eher eine Zentralisierung (bevorzugen) [Anm. d. Red.], aber mit einer klaren Festlegung, wie die Entscheidungsprozesse dann transparent gemacht werden können.



Camillo Schumann



Schauen wir jetzt auf die Zahlen. Die aktuellen Infektionszahlen, die wie gesagt, sagen ja auch wegen der Osterfeiertage wenig aus. Wir wollen jetzt mal ein paar andere Parameter nehmen, um ein Bild der Lage zu bekommen. Es klang ja schon an: der Blick auf die Auslastung der Intensivbetten. Stand heute werden rund 4400 Menschen mit Covid 19 auf Intensivstationen behandelt, davon fast 60 Prozent auch beatmet – ein sehr hoher Wert. Zum Vergleich am 8. März waren es 2 859, also rund 1500 weniger. Christian Karagiannidis, Sprecher des Intensivregisters, der hat getwittert: „Liebe Entscheidungsträger, wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen, bevor ihr reagieren wollt. Wir verpassen jede Ausfahrt zur Senkung der Zahlen. Städte wie Bonn oder Bremen oder Köln haben kaum noch freie Betten für den nächsten Herzinfarkt, Verkehrsunfall oder Covid-19 Patienten“ Wir haben immer gesagt abgerechnet wird auf der Intensivstation. Und da sieht es in der Tat nicht gut aus.


11:2 5



Alexander Kekulé


Na ja, man muss (...) den Dampf da ein bisschen rauszunehmen auf der einen Seite. Es war ja am Anfang in der ersten Welle so, dass wir enorm Kapazitäten aufgebaut haben, bundesweit, weil wir nicht wussten, was auf uns zukommt. Und das war ja wirklich eine deutsche Glanzleistung, dass wir da die Intensivkapazitäten so hoch gefahren haben in kürzester


Zeit. Vieles von dem es ja wieder zurückgestellt worden. Also, wir sind jetzt nicht mehr von der Kapazität in dem Zustand, wie wir es mal in einer Maximal-Situation hatten, sodass man sagen muss, man könnte natürlich die Intensivstation, die jetzt nicht mehr für Covid zur Verfügung stehen, weil man einfach zwischendurch ja das Ende der ersten großen Welle hatte. Da hätten wir noch Kapazität. Das muss man so ein bisschen dazu sagen. Aber ja, die Lage ist einfach die: wir haben die Ältesten so halbwegs immunisiert, zumindest in den Heimen, wo die schlimmsten Verläufe waren und die größten Ausbrüche. Und demzufolge haben wir jetzt die Situation, dass die Patienten im Schnitt 10-2 0 Jahre jünger geworden sind. Genau weiß ich den Altersschnitt nicht, aber man spricht davon, dass es jetzt doch eher so um die 60-jährige sind als vorher, die also vermehrt im Krankenhaus mit schweren Symptomen eintreffen. Und da ist es so: die kommen natürlich schnell auf die Intensivstation, und die bleiben länger. Das ist ganz klar jemand, der eigentlich dann hoffentlich am Schluss auch überlebt. Der bleibt länger auf der Intensivstation. Als jemand der schwerstkrank war, wo quasi die Covid-Infektion noch der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Und das können wir im Moment anhand der Zahl noch nicht auseinanderdividieren. Wir wissen nicht, ob die Menschen, die jetzt die Intensivstation in der Tat füllen, ob die sterben werden, um es mal so plastisch zu sagen oder ob die überleben werden und in Anführungszeichen nur einige Wochen auf der Intensivstation verbracht haben. Aber da kann ich nur sagen, das können wir nicht ausprobieren als Staat. Wir können nicht sagen, wir lassen das jetzt mal drauf ankommen. Die Entkopplung, die ja sich andeutet, übrigens auch in den USA zwischen Inzidenz und Sterblichkeit, die es ist gelungen. Und jetzt agieren wir einfach mal so, als hätten wir das geschafft. Ja, das wäre ein wahnsinnig großes Risiko, was man eingeht. Deshalb können wir auf diese Karte nicht setzen und müssen einfach vom unangenehmen Fall ausgehen. Dass also die Sterblichkeit bis jetzt durch die Impfungen nur minimal gesenkt wurde. Und das wissen wir nicht genau. Und deshalb ist die Forderung richtig zu sagen, wir können da nicht bis zur Grenze gehen, sondern wir brauchen Reser-


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ven. Und wir müssen jetzt dafür sorgen, dass, egal ob das Menschen sind, die sterben werden oder ob die überleben werden, die Intensivstation nicht überlastet sind. Und ganz klar, dass es der wichtigste Grund der Hauptgrund, warum wir im Moment keine andere Option haben, als den Lockdown fortzuführen.



Camillo Schumann



Das Intensivregister hat mir vor anderthalb, 2 Wochen auch noch einmal gesagt, dass die Menschen in der Tat jünger werden und dass die so dreiviertel dann auch wieder genesen. Das dauert also ein bisschen länger, aber sie verlassen das Krankenhaus auf jeden Fall lebend. In welchem Zustand, das ist dann auch noch einmal eine andere Frage, aber auf jeden Fall nicht mit den Beinen nach vorne. Also, das ist doch schon mal das Allerwichtigste.



Alexander Kekulé


Das ist genau die Frage. Wir haben so viele Fragezeichen im Moment ja, wir wissen nicht wirklich, was der Lockdown gebracht hat bisher, weil die Osterzahlen nicht vorliegen, und für mich ist die allerwichtigste Frage, ob wir jetzt durch die Impfungen diese Entkopplung zwischen Sterblichkeit und Inzidenz schon teilweise hinbekommen haben. In den USA, die CDC die US-Gesundheitsbehörde geht definitiv davon aus, dass das so ist. Da sieht man nach wie vor dramatisch hohe Inzidenzen. Die sprechen dort von einer vierten Welle, die möglicherweise kommt. Aber zugleich ist die Sterblichkeit dramatisch eingebrochen. Und die führen das auf die Impfungen zurück. Nun ist in den USA bekanntlich effektiver geimpft worden als bei uns. Und ich wäre jetzt vorsichtig bei uns einen ähnlichen Effekt schon zu konstatieren, dass können wir vielleicht in drei, vier Wochen machen.


15:2 0



Camillo Schumann



Schauen wir uns jetzt noch weitere Zahlen an, die das möglicherweise auch für Deutschland unterfüttern. Wir beziehen uns jetzt auf Werte aus der dreizehnten Kalenderwoche. Das ist die vergangene Woche. Es geht jetzt nicht um die Stelle nach dem Komma, sondern eher so um eine grundsätzliche Tendenz, damit die Menschen sich auch so eine Meinung darüber


bilden können, wo wir gerade stehen. Schauen wir uns die Zahlen zu Hospitalisierung und Todesfällen an, weil wir gerade darüber sprachen. Also 13. Kalenderwoche, die Hospitalisierungsquote lag bei 5 Prozent und der Anteil der Verstorbenen bei 0,12  Prozent. Zum Vergleich in der Kalenderwoche zehn lag die Hospitalisierung Quote bei 8 Prozent und der Anteil der Verstorbenen bei rund 1 Prozent. Wie würden Sie das jetzt bewerten?



Alexander Kekulé


Naja, 0,12  um jetzt die Prozente klar, das darf man nicht so genau hinterm Komma rechnen aber wenn man mal die Prozente oder den Anteil der Verstorbenen rechnet, da sind wir in dem Bereich, was auch eine Influenza macht. Also eins zu 1000, ein zu 2 000, ist die Sterblichkeit bei der Influenza ungefähr. Das heißt, es wäre dann ein Bereich, wo Kritiker sagen können: das rechtfertigt doch gar kein Lockdown. Bei der Influenza machen wir auch kein Lockdown, um die Frage geht es ja letztlich am Ende des Tages. Und dann muss man auch ein bisschen vorsichtig sein, weil gerade in einer Situation, wo die Patienten jünger sind und auch jünger werden, ist der Zeitabstand zwischen Inzidenz oder zwischen Ankündigung der neuen Fälle, Meldung der neuen Fälle und Sterblichkeit oder unter Ankündigung von Todesfällen, einfach länger. Weil die länger auf der Intensivstation liegen, sodass wir jetzt also nicht wie sonst haben wir ja immer so gesagt, wir warten drei bis vier Wochen, und mit diesem Abstand schleppt sich so ein bisschen die Sterblichkeit der Inzidenz nach. Und diesen Zeitraum müssen wir verlängern, um quasi zu sehen, was macht diese Inzidenz bezüglich der Sterblichkeit? Oder andersherum gesagt, in der dritten Welle, in der wir ja eindeutig sind, die gerade auch auf einem ansteigenden Ast ist in Deutschland und in Europa, da wissen wir noch nicht, wie hoch die Sterblichkeit sein wird. Das können wir aus diesen Zahlen noch nicht rechnen. Und das andere ist, dass wir natürlich auch jetzt vermehrt getestet haben. Dadurch, dass diese Eigentests ganz massiv zum Einsatz kommen, das ist auch gut so. Und in der Folge gibt es natürlich dann hoffentlich gehen viele dann schön hinterher und lassen ihre positiven Ergebnisse auch mit der PCR bestätigen – machen natürlich nicht alle, aber ich gehe mal


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davon aus, dass es viele tun. Und dadurch haben sie natürlich ganz klar Menschen, die eigentlich völlig symptomlos waren, die Zufallstreffer sind, die jetzt plötzlich als Positive gewertet werden. Das wollen wir ja auch. Aber wenn man die hier sozusagen die Zahl der Positiven, also die reine Inzidenz, in diesem Fall erweitert, um sehr viele Menschen die symptomlos sind oder ganz schwache Symptome haben, dann sinkt natürlich ganz automatisch der Anteil derer, die schwer erkrankt sind oder sterben. Und diese 2 Effekte müssen wir einfach mal abwarten. Ich sag mal, ich bin schon verhalten optimistisch. Also ich würde jetzt als politischer Berater durchaus sagen: Also man kann sich auf den optimistischen Standpunkt stellen, dass hier die Impfungen schon was bewirkt haben und dass man quasi mit einer höheren Inzidenz leben kann. Ich bin nur dagegen, dass auf Bevölkerungsebene mit 83 Millionen Menschen einfach mal auszuprobieren. Und deshalb müssen wir auf Nummer sicher gehen.


18:40



Camillo Schumann



Weil Sie gerade die Positivquote angesprochen haben. Machen wir es mal konkret: die liegt wir reden über die Kalenderwoche 13 bei 11 Prozent bei rund 1,15 Millionen durchgeführten Tests. Zum Vergleich: die Positivquote lag in der Woche davor, in der Kalenderwoche 12 , bei 9,3 bei 1,4 Millionen Tests. Also deutlich weniger Tests in der vergangenen Woche aber eine deutlich erhöhte Positivquote. Was sagt uns das?



Alexander Kekulé


Da geht es jetzt um den Anteil der Positiven an den PCR-Tests. Also die PCR-Tests werden ja gemeldet. Und die Institute, die diese Tests machen, die geben auch bekannt, wie viele Negative sie gemacht haben. Und da ist jetzt der Anteil der Positiven gestiegen. Das haben wir in Deutschland immer nur so als Hilfsparameter eigentlich verwendet. In den USA ist es ja so, dass diese Positiven-Quote bei den PCRTests quasi eine ähnliche Funktion hat, zumindest in einigen Bundesstaaten, wie bei uns die Inzidenz. Also in New York zum Beispiel ist es so, dass ab fünf Prozent Positiven-Quote die Schulen geschlossen werden und Ähnliches. Da muss man sehr aufpassen, weil dieser Wert ist


aus verschiedenen Gründen inzwischen verwässert. Der wichtigste ist, dass wir eben diese große Zahl von Selbsttests inzwischen machen. Das hat erstens zur Folge, dass natürlich, wenn jetzt jemand dann eine PCR macht, dann heißt das, der Anteil derjenigen, die sich zum PCRTest überhaupt melden, die schon wissen, dass sie positiv sind, ist natürlich gestiegen. Weil viele Menschen machen eine PCR weil der Antigen-Schnelltest positiv war. Und dadurch ist es klar, dass, weil ja diese Positiven-Quote sich nur auf die PCRs bezieht und nicht auf die vorher durchgeführten Antigen-Tests da haben wir gar keine Zahlen darüber dadurch ist es so, dass sie quasi mehr Positive kriegen müssen, weil quasi die Gesamtheit, die sie testen, eben schon vor selektioniert ist durch die Antigene Schnellteste. Und das andere ist, wie Sie genau richtig sagen, die Zahl der PCRs ist runtergegangen, übrigens liegt es immer noch so bei 1,5 Millionen. Das ist ganz interessant, weil wir eigentlich in der ganzen Pandemie unsere Kapazität da nicht wesentlich gesteigert haben bei den PCRs und trotzdem ganz gut rumgekommen sind. Es gab ja immer Leute, die gesagt haben, diese PCR Kapazität wird ein Riesenproblem werden und es gab andere, die gesagt haben, es wäre noch Luft nach oben bei den PCRs. Und ich glaube, Letzteres beweist sich jetzt. Aber es ist natürlich so, wenn sie, wenn sie statt PCRs Antigen Schnelltest machen können und dürfen das ist ja zum Teil auch gesetzlich vorgesehen, wenn sie zum Beispiel von einer Reise zurückkommen nach fünf Tagen kann man sich dann frei Testen von einer Quarantäne und da wird ja auch ein Antigen-Schnelltest zugelassen. Dadurch nimmt einfach die Zahl der PCRs ab, und zwar insbesondere auch PCRs, die bei asymptomatischen gemacht werden. Also es wird quasi Antigen-Schnelltest statt PCR gemacht. Und für die PCR wiederum werden insbesondere solche Proben dann verwendet, wo man schon einen Verdacht hat, dass der positiv ist, weil der Antigen-Test schon eine Voruntersuchung gemacht hat. Und aus diesen 2 Gründen steigt jetzt einfach ganz massiv die Positiven-Quote an. Und das sagt eben dann nichts darüber aus, wie der Krankheitsverlauf in der Republik ist. Das ist jetzt entkoppelt.


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Camillo Schumann



Also man testet spezifisch. Man hellt das Dunkelfeld auf.



Alexander Kekulé


Ja man hellt ein bisschen das Dunkelfeld auf, aber durch die spezifischen Tests wird es positiver. Und es werden weniger PCR-Tests gemacht. Und dadurch ist, wenn die Gesamtheit der PCRs geringer wird, weil der PCR einfach ersetzt wird durch Antigen-Tests, dann ist die der Anteil der Positiven natürlich höher. Das sind die 2 Gründe, warum einfach simpel, sozusagen aus arithmetischen Gründen dieser Quotient steigt, und der sagt eben nichts über das Pandemiegeschehen aus.



Camillo Schumann



Jetzt haben wir mehrere Parameter zusammengefasst. Sie haben sich ja schon so vorsichtig positiv geäußert. Was müsste so in den nächsten zwei, drei Wochen passieren, damit aus ihrer vorsichtigen positiven Prognose eine positive Prognose wird?



Alexander Kekulé


Das Wichtigste ist die Frage eben – das haben wir schon die letzten Wochen immer wieder gestellt – gelingt es uns, durch die Impfungen eine Entkopplung zwischen Sterblichkeit und Insolvenzen hinzubekommen, dass diese 2 Kurven nicht mehr miteinander verbunden sind. Und dazu ist es einfach notwendig, möglichst viele Personen aus dem Risikobereich, also hauptsächlich die Alten, natürlich jetzt von oben nach unten zu impfen. Am besten mit einer Dosis. Das wissen Sie, dass ich das schon sehr lange vertrete. Damit würden wir diese Entkopplung hinbekommen und könnten dann mit einer etwas höheren Inzidenz Leben. Ich bin selber nicht so optimistisch, dass jetzt so ein verschärfter Lockdown wie ja auch politisch diskutiert wird ob der wirklich bei uns groß die Inzidenz senken würde. Also da glaube ich nicht, dass das in diesem Fall das Zaubermittel wäre, um jetzt die dritte Welle quasi zu kupieren, sondern man könnte sicherlich verhindern, dass es noch steiler wird. Aber ich glaube, wir sind in einer Situation, wo wir schon sehr viel machen und wo noch eine weitere Verschärfung der Maßnahmen nicht viel bringt. Oder andersherum gesagt so oder so egal, was die Politik jetzt die nächsten Tage


entscheidet, werden die Fallzahlen noch um ein paar Tage oder vielleicht ein, 2 Wochen weiter ansteigen. Und die Frage ist eben dann, ob dann zeitversetzt die Sterblichkeit auch steigt.


2 4:16



Camillo Schumann



Wir haben einen Blick drauf hier im Podcast. Weil sie gerade Impfung angesprochen haben: auch mit zunehmenden Impfungen nimmt wieder eine andere Diskussion Fahrt auf, die wir auch schonmal hatten. Nämlich: sollten Geimpft wieder ein normales Leben führen dürfen? Also ihre bisher eingeschränkten Grundrechte wieder ausüben dürfen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn CDU ist schwer dafür. Und dem hat sich nun auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht SPD angeschlossen und dazu gesagt: wenn jetzt wissenschaftlich belegt wird, das von Geimpften keine höhere Gefahr für Andere ausgeht als von negativ getesteten Personen, entfällt eine wichtige Begründung für die Einschränkung ihrer Grundrechte. Erst einmal was halten Sie denn von dieser Grundvoraussetzung, die die Justizministerin dann nennt?



Alexander Kekulé


Ja, das ist einfach schwierig. Also die Grundvoraussetzung – die Hörer dieses Podcasts wissen das seit vielen Monaten – ist, bei jeder Impfung wird die Infektiosität herabgesetzt. Wir kennen keine Ausnahme, und bei keiner Impfung ist die Infektiosität hinterher null. Da kennen wir ein paar Ausnahmen, aber das können Sie an einer Hand ab zählen. Bei ganz wenigen Impfungen ist es quasi absolut sicher, dass sie sich nicht mehr anstecken können. Und wir haben ja hier eine besondere Situation. Es ist ein neues Virus, was ständig Varianten bildet und sich verändert. Und es ist völlig klar, dass die Impfung nicht gegen alle Varianten schützt, auch wenn jetzt vielleicht die moderneren Impfungen noch dazukommen demnächst. Das heißt, wir werden auf jeden Fall eine Situation haben, wo der Schutz sehr deutlich ist, aber es ein Restrisiko gibt. Deshalb finde ich, wenn jetzt die Politik sagt ja, wir wollen da von der Wissenschaft eine klare Aussage haben, ist es,


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wenn das Robert Koch-Institut halbwegs vernünftig hier nachdenkt (...) dann werden die sagen ein sehr, sehr wahrscheinlich sehr hoher Schutz, aber hundert Prozent nicht. Und so war es von Anfang an, und so ist es jetzt auch. Und so äußern sich meines Wissens auch die meisten Experten. Es gab auch Toni Fauci in den USA, der am Anfang so sehr stark betont hat: ja, es könnte ja auch sein, dass nach einer Impfung zwar die Krankheit nicht mehr Auftritt, aber die Personen weiterhin infektiös sind. Das war für mich, auch wenn ich Fauci natürlich sehr respektiere, von Anfang an einen ihr theoretisches Argument. Akademisch gesehen ist es richtig, aber praktisch gesehen ist es doch so, wir müssen in dieser Welt mit Restrisiken leben und wir haben ja auch ein Restrisiko in dieser Situation bei den Antigenen Schnelltesten. Das heißt also, wenn jemand da getestet wurde, vor 2 4 oder 48 Stunden, kann es trotzdem sein, dass der plötzlich wieder infektiös ist oder der Test falsch gemacht wurde oder der Test versagt hat. Und deshalb ist es von der Sache her völlig richtig. Man kann aus einer Risikoabwägung heraus sagen, ob jetzt negativ getestet im Antigen-Test oder Zustand nach Infektion oder Zustand nach Impfung ist gleichwertig. Das ist jetzt schon völlig klar, da brauche ich keine wissenschaftliche weitere Stellungnahme.


2 7:10



Camillo Schumann



Und als ich das als Normalbürger gehört habe, habe ich mir gedacht aber das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Wenn ich jetzt geimpft bin, dass ich dann wieder meine Grundrechte ausüben muss, wieso muss dann noch jetzt eine wissenschaftliche Analyse das der Politik auch noch darstellen? Das war für mich ein kleiner Widerspruch ehrlich gesagt.



Alexander Kekulé


Ja, ich verstehe Ihren Impuls. Aber sie sind ja auch schon eine Weile in der Pandemie und haben gelernt, wie Deutschland eben immer reagiert. Das ist unser deutscher Reflex. Die Politiker sagen eben, oh da brauche ich ein Gutachten. Es gibt auch viele Politiker, die dann heutzutage alles, was sie erklären, immer sagen: Ja, und die Studie hat das ergeben, und die Studie hat das ergeben. Und es gibt auch Wissenschaftler, die sagen, es gebe eindeutige


wissenschaftliche Erkenntnisse und andere, die zweifelhaft werden. Und im Zweifelsfall steht dann im in Klammern dahinter. Und nur ich kann unterscheiden, was was ist. Leider ist es so, das müssen wir lernen, die Forschung liefert, keine hundertprozentigen Aussagen und die Politik muss sich daran gewöhnen, mit 80/ 2 0 Schätzungen letztlich klarzukommen und auf der Basis zu entscheiden. Und das muss man hier auch machen und weil das letztlich eine politische Entscheidung ist. Was mache ich eigentlich mit den Rechten der Bürger? Wenn jemand geimpft wurde? Ich als Wahlbürger sage ist doch völlig klar: ich will meine Rechte wiederhaben, wenn ich geimpft bin. Das ist ja auch das wichtigste Incentive für die Leute, sich impfen zu lassen. Weil das eine politische Entscheidung ist, finde ich es eigentlich eine völlige Fehlentwicklung, das jetzt schon wieder der Eine dies sagt, der Andere, das sagt der dritte sagt, eine Kommission soll dazu. Das ist doch ein klassisches Thema, wo die Exekutive eigentlich gar nicht zuständig ist. Das muss im Grunde genommen das Souverän entscheiden. Das heißt, das ist eine Sache, die in die Parlamente gehört. Die Parlamente müssen die Informationen kriegen, die Datenbasis, wie wir es hier auch öfter schon besprochen haben, die es eigentlich eindeutig und müssen dann sagen auf dieser Basis nehmen wir als Bundesrepublik Deutschland als Bevölkerung nehmen wir dieses Risiko, dieses Restrisiko hin. Ja oder nein, das ist eine politische Entscheidung und nicht in eine, die irgendwie einzelne Exekutiv-Personen treffen sollten.


2 9:17



Camillo Schumann



Absolut. Was ich auch nicht so richtig verstehe, was für mich auch ein gefühlter Widerspruch ist auf der einen Seite, wenn ich jetzt geimpft bin und ich darf meine Grundrechte noch gar nicht ausüben. Aber ich durfte das Risiko tragen einer Hirnvenenthrombose, wenn ich mit AstraZeneca geimpft wurde. Also das Risiko darf ich tragen. Aber ich darf dann sozusagen den Vorteil nicht genießen bisher, wenn ich mich geimpft habe. Also, das finde ich auch einen Wiederspruch.



Alexander Kekulé


Das können Sie niemandem verkaufen. Also wir müssen es, und das ist die interessante


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Diskussion ich glaube, wir haben schon vor einigen Monaten darauf hingewiesen, dass das noch schwierig wird und dass man das nicht früh genug anfangen kann, mal zu diskutieren. Damals wurde immer gesagt ja, ja, das machen wir irgendwann mal. Aber die interessante Diskussion ist doch die: Wir müssen letztlich den Geimpft und auch den Genesenen, das ist ja ganz wichtig, beiden gleichermaßen letztlich sagen: okay, ihr kriegt jetzt mehr oder minder eure Rechte zurück. Ja, ich werde noch ein bisschen zurückhaltend bei so Dingen wie Maskenpflicht. Da sag ich mal das ist letztlich Kokolores. Das kann man zumuten, dass man in einer Straßenbahn eine Maske trägt, auch wenn man, wenn man geimpft wurde oder Ähnliches, weil es da letztlich um die Frage geht: was kann die Polizei kontrollieren und was nicht. Es kann ja nicht jeder den ImpfStempel sozusagen auf der Stirn tragen. Und aber abgesehen von der Maskenpflicht würde ich sagen Ihnen alle einen allen anderen Situationen müssen sie letztlich den Bürgern die Rechte zurückgeben. Und da kommt aber jetzt folgende Situation auf uns zu: mit gutem Grund wurden die Alten zuerst geimpft, und das ist natürlich ein eine undenkbare Vorstellung, dass die Alten alle wieder Partys machen dürfen. Ich stelle mir so die Berliner Clubs vor, die dann mit Ü-60 gefüllt sind und die Kids, die ja alle nicht geimpft wurden, die natürlich auch ein besonders hohes Übertragungsrisiko haben aufgrund ihres Verhaltens. Also jüngere Leute sind ja vom Sozialverhalten natürlich gefährdet. Die müssen dann zuhause bleiben oder dürfen da nicht rein oder Ähnliches. Also, da steuern wir meines Erachtens auf einen interessanten Generationenkonflikt zu, weil wir mit sehr guten Gründen die Alten geimpft haben, müssen wir denen dann die Rechte auch wieder zurückgeben. Ich bin auch ganz sicher, dass das beim Verfassungsgericht dann nicht standhält, wenn man da ernste Verbote ausspricht und das heißt, die machen dann ihre Butterfahrten und machen schön Kreuzfahrten oder was auch immer man so im höheren Lebensalter gerne unternimmt und die Clubs bleiben aber alle geschlossen, also das könnte noch schwierig werden.


31:44



Camillo Schumann



Weil Geimpfte und Genesene auf eine Stufe gestellt haben: bei den Geimpften reden wir über eine sterile Immunität, die sozusagen die große Hoffnung ist. Auf der anderen Seite die Genesenen: Da gibt es Studien, die sagen nach einem halben Jahr oder vielleicht sogar noch weniger nach vier Monaten oder so sind kaum noch nachweisbare Antikörper da. Also, wie will man das denn unter einen Hut kriegen?



Alexander Kekulé


Also da wird die Rolle der Antikörper völlig überschätzt, wenn sie jetzt einen ganz konkreten Impfstoff nehmen. Also, da haben wir dieses Spike-Protein, was da ganz konkret als immunisieren des Agens verwendet wird. Und dann hinterher fischen sie aus dem Patienten oder aus verschiedenen Patienten, die geimpft wurden Antikörper raus, die gegen genau dieses Antigen, also genau gegen dieses Protein gerichtet sind. Das ist ja mehr oder minder dasselbe Zeug, was a zweimal hergestellt wurde, einmal als Impfstoff und einmal zur Detektion der Antikörper. Und dann ist es ganz klar, dass sie natürlich bei Geimpften einen hohen Anteil von Antikörpern finden. Bei einer natürlichen Infektion ist es so, dass das Spektrum der Antikörper viel breiter ist, und diejenigen, die sozusagen wie die Faust aufs Auge passen, zu dem Impfstoff, die sind nur ein Teil davon. Und deshalb ist es ganz natürlich, dass man bei den normalen Infizierten anteilig jetzt nicht so viele von diesen hochspezifisch gegen die das Impf-Antigen gerichteten Antikörpern findet. Wir wissen aber letztlich, dass die Impfung oder auch die natürliche Infektion mindestens gleichwertig sind. Ich persönlich bin nach wie vor überzeugt, dass eine natürliche Infektion, weil sie das Immunsystem auf ganz vielen Ebenen und auch viel tiefer greifende stimuliert als eine Impfung, dass die sogar besser schützt als eine Impfung und was aber auch die Wahrheit ist: sie haben das Stichwort sterilisierende Immunisierung und Immunität genannt. Das gibt es eben nicht. Also es ist so bei Corona halte ich das für ausgeschlossen. Wir haben so eine sterilisierende Immunität haben wir zum Beispiel bei Masern, hatten wir auch bei Pocken, und das ist der Grund, warum Pocken ausgerottet werden konnten und warum Masern im Prinzip ausgerottet werden könnten oder Polio, Kinderlähmung ist so ein Beispiel.


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Aber das sind immer Viren, die sich freundlicherweise überhaupt nicht verändert haben, das sind Viren, die quasi wo eins zu eins jeder Mensch auf der Erde praktisch exakt das gleiche Virus im Körper hatte. Und bei Coronaviren ist ja das Gegenteil der Fall. Das wissen wir auch von anderen Coronaviren, und bei diesem ganz besonders, kennen wir jetzt diese Varianten, die sich da hervortun. Und deshalb halte ich das für völlig ausgeschlossen, dass wir im Hinblick auf die ständig jetzt neu entstehenden Varianten eine allgemeine sterilisierende Immunisierung kriegen, weder durch die Impfung noch durch die durchgemachte Infektion, sondern in beiden Fällen bleibt ein Restrisiko.


34:2 4



Camillo Schumann



Aber noch einmal kurz nachgefragt der Impfling, der hat es einfach, der kann das nachweisen, dass er geimpft wurde. Aber der Genesene, der es vielleicht auch gar nicht mitbekommen hat, dass er die Krankheit hatte, wie will der das denn nachweisen, um dann seine Grundrechte nach Ihrer Rechnung dann wieder ausüben zu können?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein Riesenproblem. Also die Hörer dieses Podcasts haben ja schon die Warnung gekriegt, heben sie ihren Zettel auf. Lassen Sie es sich das mit der PCR bestätigen. Ich kann es dann noch mal wiederholen, wer auch immer glaubt, dass er Covid durchgemacht hat, der sollte sich das bestätigen lassen. Und am besten ist es natürlich, wenn man der Empfehlung des Robert Koch-Instituts folgt und jeden positiven Antigen-Test wirklich mit der PCR bestätigen lässt. Weil dann hat man schwarz auf weiße ein Dokument und in Israel oder auch in Österreich ist es ja jetzt geplant, wird eben dieses Dokument des Zustands nach Infektion anerkannt wie eine Impfung. Das kann nicht anders sein. Das wird weltweit so sein. Also es wäre völlig abwegig, jetzt von Genesenen zu fordern, dass sie sich impfen müssen, damit sie die Freiheiten zurückbekommen. Also, das wäre völlig abwegig und es wurden schon die eine oder andere abwegige Entscheidung getroffen in dieser Pandemie. Aber das daran glaube ich jetzt wirklich nicht, sondern ich empfehle dringend, sich das dokumentieren zu


lassen, eben von einem normalen Labor. Was solche PCRs macht, wenn man ein AntigenSchnelltest hat und diejenigen, die irgendwie sagen also höchstwahrscheinlich hatte ich Covid, weil ich habe mich von dem und dem angesteckt. Ich habe es nur damals eben nicht diagnostizieren lassen. Die haben auch noch folgende Optionen man kann sich ja Blut abnehmen lassen und die Antikörper bestimmen lassen. Und das ist leider so, dass die nach etwa drei, vier Monaten beim Teil der Infizierten verschwinden. Das haben Sie vorhin ja auch schon genannt. Ich würde mal so grob sagen vielleicht zu einem Viertel hat dann keine Antikörper mehr in dieser Größenordnung, es gibt aber neue Tests,die ein bisschen besser sind, die auch einen höheren Anteil erfassen. Deshalb würde ich sagen, wenn man glaubt, man hatte Covid möglichst schnell zum Arzt gehen, Blut abnehmen lassen und ein Antikörpertest machen. Und dieses Dokument, wo dann vielleicht drinnen steht, jawoll, Antikörper gegen Sars-CoV-2  nachgewiesen, das muss man sich einrahmen und in einen Safe legen, weil an dem Tag, wo der im wo dieser Berechtigungsschein-Pass kommt und der wird natürlich kommen. Ja, die Fluggesellschaften arbeiten schon dran. Die IATA, die internationale Flugsicherungsbehörde hat jetzt auch schon ihre eigene App dafür entwickelt und solche Dinge, das heißt an dem Tag wird man das dann rausziehen können und sagen: schaut mal hier ist ein Beweis, dass ich genesener Covid-Patient bin.


36:56



Camillo Schumann



Praktische Lebenshilfe hier im Podcast. Bleiben wir beim Thema Impfstoffe. Und lassen Sie uns über NDV-HXP-S sprechen. Das ist ein neuer Impfstoff, der gerade in klinischen Studien in Brasilien, Mexiko, Thailand und Vietnam getestet wird. Dieser Impfstoff soll wesentlich billiger herzustellen sein, und 2 Punkte sind daran interessant. Das Design des Impfstoffs und seine Herstellung. Fangen wir mit dem Design an. Wir kennen MRNA-Impfstoffe. Wir kennen Vektor-Impfstoffe, wir kennen Totimpfstoffe. Was ist NDV-HXP-S?



Alexander Kekulé


NDV heißt Newcastle Disease Virus. Also das ist ja das Virus, was die Newcastle-Krankheit aus-


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macht, das ist eine Form von Hühnerpest. Also gibt die Geflügelpest, und es gibt verschiedene Erreger von Geflügelpest. Und neben Influenzaviren macht es auch dieses Newcastle Disease Virus also etwas, was VeterinärMikrobiologen kennen und HXP, ist quasi die Kurzform von HexaPro. Was heißt HexaPro? Hexa heißt auf Griechisch sechs und Pro ist die Abkürzung hier für Prolin, eine Aminosäure und das S hinten HXP-S, das S hinten das steht einfach für das S-Protein, also das SpikeProteins vom Sars-Cov-2 . Was verbirgt sich dahinter? Also, wir haben schon ein paar Mal darüber gesprochen, dass diese mRNAImpfstoffe, die ja von Moderna und BioNTech auf den Markt gebracht wurden, dass die eigentlich einen kleinen Trick verwenden, um das dann von RNA dann hergestellte S-Protein zu stabilisieren. Wir haben da über die Inoder Out-Konformation gesprochen, oder anders gesagt noch mal dieses Surface Protein, dieses S-Protein, dieses Spike von dem Corona Virus, sieht ja so ähnlich aus wie eine Blüte mit drei Blättern, also ein bisschen so wie eine Tulpe mit ganz langen Blättern, wenn es nur drei Blätter oben wären und wenn das Kontakt aufnimmt mit der Zielzelle, das wird ja, ist ja quasi der Anker, der mit diesem ACE2 Rezeptor dann zusammenkommt und in die Zielzelle das Virus bringt. Wenn es Kontakt aufnimmt, dann schnappt es quasi ein. Also das ist quasi wie eine gespannte Feder und die macht dann Klack und formt sich um. Das kann man sich so vorstellen: diese Blütenblätter werden quasi nach hinten geklappt und aus dem ganzen entsteht so etwas, was er wie ein Speer aussieht, also eher wie eine Spitze aussieht. Und damit nimmt es dann Kontakt auf. Wie das bei einer gespannten Mausefalle so ist, wenn die zuschnappt, haben Sie einen stabilen Zustand, und vorher haben sie den instabilen Zustand. Oder andersherum gesagt: der Rückwärtsgang von dieser Pfeilform in diese Blütenform, der es eigentlich nicht möglich biologisch und weil das eben wie so ein wie so ein Schnapper ist der, wenn er Kontakt hat, zuschnappt, ist folgendes Problem: wenn man dieses Protein einfach nur so als Impfstoff hernimmt oder herstellt, dann schnappt das eben häufig von selber um und diese umgeschnappte Form: wenn sich dagegen Antikörper bilden, dann schützen die nicht, weil die


Antikörper schützen, ja nur gegen die ursprüngliche Form, die außen auf dem Virus drauf ist. Und das ist natürlich die vor dem Andockmechanismus. Und jetzt haben die RNA Impfstoffe von Pfizer und Moderna, die haben eben den Trick angewendet von vornherein, dass die an 2 Stellen Modifikationen gemacht haben, dass das Protein, was da entsteht, künstlich stabilisiert ist in diesem offenen Zustand also, dass man das quasi in dem Vor-Kontakt Zustand stabilisiert hat. Und dadurch sind die so toll wirksam mit 95 Prozent. Das ist ein Mechanismus, der ist schon länger bekannt, also da gibt es Kollegen aus Texas. Da gibt es den Jason McLellan heißt er. Der hat mit Barnik Raham vom NRH zusammen das schon 2 013 entwickelt und zwar für ein ganz anderes Virus. Das war das respiratorisches Syncytium Virus ein Erkältungsvirus, wo man so ein ähnliches Protein hat, was einen ähnlichen Effekt hatte. Und da hat man schon rausgekriegt, wenn man das chemisch so ein bisschen modifiziert, dann kann man dafür sorgen, dass das eben nicht umklappt und dadurch quasi ausschließlich die Form, sozusagen, als Protein, als Antigen präsentiert wird, die dann auch, wo Antikörper, die dagegen gebildet werden, dann auch schützen vor der Infektion. Der Mechanismus ist später noch mal bestätigt worden bei Moers bei diesem Middle Eastern Respiratory Syndrome. Das ist eine Erkrankung, die ganz ähnlich wie Sars oder Sars-CoV-2  ist und die im Mittleren Osten in Saudi-Arabien hauptsächlich aufgetreten ist. Und deshalb kannte man dieses Prinzip und hat bei den RNA-Impfstoffen schon 2 dieser Veränderungen vorgenommen. Und die Veränderungen sind jetzt chemisch noch komplizierter wird es aber nicht verspreche ich das sind zweimal Aminosäuren, die Aminosäure heißt Prolin, vielleicht der eine oder andere kennt das noch aus der Schule. Prolin ist eine Aminosäure, diese 2 Veränderungen haben dazu geführt, dass dieser ursprüngliche Zustand, bevor es umklappt, stabilisiert wird, von einem S-Protein. Und das haben die jetzt im letzten Jahr im Sommer 2 02 0 weiterentwickelt und haben festgestellt wenn man statt 2 Prolinen gleich sechs verändert, also dann heißt HexaPro im Griechisch sechs. Dieses HexaPro wird dann noch stabiler. Dann ist es sozusagen eine bombenfeste, stabilisierte


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Struktur des ursprünglichen Oberflächenproteins vom Sars-Cov-2 . Und das hat eben die allerbeste Immunantwort von allen hervorgerufen. Und das ist jetzt die Basis von neuen Impfstoffen. Die man jetzt auf den Markt bringen will. Und die jetzt meines Wissens in Thailand ist die Studie schon angelaufen. In den anderen Ländern ist es geplant.


42 :34



Camillo Schumann



Das war das Design dieses Impfstoffs. Und das interessante ist auch die Herstellung. Da benutzt man ein Verfahren, was eigentlich schon bei gängigen Grippe-Impfstoffen verwendet wird. Hühnereier.



Alexander Kekulé


Ja, genau. Das Hühnerei ist ja, so der sage ich mal, der Prototyp der Impfstoffhersteller also früher hat man ja Viren also die Geschichte der Virologie werden wir jetzt nicht besprechen müssen in diesem Podcast aber früher hat man Viren ja in Tieren gezüchtet. Da musste man quasi Tiere infizieren, um Viren anzuzüchten und dann die nächste Stufe war, dass man festgestellt hat, viele, nicht alle, kann man auch im Hühnerei anzüchten. Das sind dann embryonierte Eier, also keine Toten, wie wir das so zum Frühstück essen, sondern solche, wo ein Embryo heranwächst, also befruchtete Hühnereier. Und dann kann man sozusagen den Hühnerembryo, wenn man so will, quasi als Tier verwenden. Und das ist natürlich wahnsinnig praktisch, weil man da sehr, sehr, sehr viele Eier nehmen kann. Und somit dieser Uralt-Technik wird bis heute der Influenza Impfstoff hergestellt. Das hat Vor und Nachteile. Jetzt, in der jetzigen Pandemie, ist ein Vorteil: wir haben für Influenza natürlich die Situation, dass wir Milliarden von Dosen herstellen. Weil das eben Influenza, alle Jahre wieder geimpft wird sogar zweimal einmal: die Nordhalbkugel und einmal die Südhalbkugel. Je nachdem, wann der Winter ist, und diese riesigen Kapazitäten für die Influenzavirus Produktion Zugegeben old-fashioned ja nicht so etwas Schickes wie die RNA-Impfstoffe aber dafür vorhandene Kapazitäten, die einfach weltweit in Riesenmenge vorhanden sind und die man sag ich mal in so einem Klammern im Moment gar nicht so sehr braucht, weil die Influenza-Epidemie, fällt aus, mehr oder min-


der dadurch, dass wir uns alle vor Covid schützen. Und deshalb ist die Idee, eben diesen neuen Impfstoff auch in diesen Eiern herzustellen, und dafür nimmt man eben ich hatte schon gesagt Newcastle Disease Virus, das ist auch in einem Wort mit drinnen. Da nimmt man eben dieses Hühner-Virus, weil das ist ein Virus, das kann man hervorragend in Hühnereiern vermehren. Das ist klar wenn es eine Krankheit bei Hühnern macht, dann infiziert es auch die Hühnereier und dieses Newcastle Disease Virus, da kann man einbauen, das SProtein genauso wie man das bei dem Adenovirus zum Beispiel von AstraZeneca gemacht hat, kann man in das S-Protein und dann eben diese Hexa, diese sechsfach mit Prolinen verstärkte Form, dick oder stabilisierte Form, die kann man in dieses Newcastle Virus reingeben, das Virus dann in den Hühnereiern verwenden und dann zur Impfung verwenden. Und da hat der Peter Palese ganz super bekannter Virologe Influenza-Spezialist aus New York, vom Mount Sinai zusammen mit dem Florian Krammer übrigens beides Österreicher. Der Krammer ist viel später rübergegangen, nach New York, und Palese ist schon ewig dort. Und die 2 haben das eben schon letztes Jahr veröffentlicht. Dass das eben ganz toll funktioniert, zumindest in den Versuchstieren. Hat natürlich einen kleinen Nachteil, will ich auch gerade erwähnen: es ist so, dass dass ein Lebendvirus ist, also das Virus, was man da verwendet, es ist ein echtes vermehrungsfähiges Newcastle Disease Virus. Es wäre eine sogenannte Lebendvakzine, sodass man da, wenn man das wirklich zum Einsatz bringt, ganz besonders gut auf das Sicherheitspektrum schauen muss, weil wir eben kein Totimpfstoff haben und auch kein rein synthetischer Impfstoff haben, sondern echtes Virus. Was eine Infektion machen kann und deshalb ist das auch nicht unbedingt perfekt. Aber die Idee ist natürlich genial gut mit den Hühnereiern quasi jetzt Unmengen von Covid-Impfstoff herzustellen.


46:16



Camillo Schumann



Was ist ja auch schon gesagt haben: im Sommer wurde es spezifiziert. Aber dieses Patent für dieses Design dieses Impfstoffs gibt es seit einem Jahr, aber kein Pharmariese hatte irgendein Interesse daran. Deshalb haben sich die Wissenschaftler jetzt auch selbst mal ans


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Werk gemacht. Was meinen Sie, warum die Wirtschaft kein Interesse daran hatte? Finanziell nicht lukrativ, zu viele Unsicherheiten oder kurzgefasst? Woran kann das gelegen haben?



Alexander Kekulé


Das ist, glaube ich, das Tempo gewesen. Also das Patent gibt schon viel länger 2 013 ist das Patent schon gemacht worden, eben für die damals noch für das Respiratorische Syncytium-Virus. Und ich glaube, 2 017 ist es dann auch noch einmal patentiert worden. Da sind die Amerikaner ja immer flugs mit sowas, es ist patentiert worden, da auch für Moers, also für das Middle Eastern Respiratory Syndrome und dann eben ganz aktuell auch für Sars-CoV-2 . Übrigens fällt mir da der Spruch eines amerikanischen Virologen ein, der mal gesagt hat: „Es steht nirgendwo geschrieben, dass man als Biochemiker arm sterben muss.“ Und die Amerikaner nehmen das sehr ernst und patentieren einfach alles, was irgendwie brauchbar ist sehr schnell. Der McLellan, der sitzt an der Universität Texas, über die wir auch schon öfter gesprochen haben, sowohl Moderna als auch BioNTech Pfizer haben mit denen Kooperationen für ihre RNA-Impfstoffe, das ist diese Arbeitsgruppe oder ein Teil dieser Arbeitsgruppe dort. Ja, warum haben wir das nicht gemacht? Weil die haben das Prinzip mit den 2 Prolinen, das sind eigentlich 2 PMutation, die haben die ja eingebaut in die RNA-Impfstoffe, und deshalb sind die – höchstwahrscheinlich wir wissen es nicht deshalb sind die wahrscheinlich so gut wirksam, dass die 95 Prozent Effizienz haben. Und wahrscheinlich ist auch das der Grund, dass die so diesen Effekt haben, dass auch die Mutanten davon abgedeckt werden. Noch mal zur Erinnerung die britische Mutante und bis zum gewissen Grad auch die südafrikanische werden ja von den RNA-Impfstoffen von Moderna und BioNTech tatsächlich mit abgedeckt, obwohl das ja gar nicht ursprünglich sozusagen die Bausteine wahrnehmen als Vorlage verwendet hat. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass das eben diese stabilisierte Konfiguration, diese Ausgangs Konfiguration, dass das besser funktioniert kam, weil sich das wahrscheinlich jetzt jeder fragt. Bei Astrazeneca ist es so: da hat man eben den Wildtyp genommen, so wie er ist also ohne die 2 Prolinen-


Veränderungen ohne die Stabilisierung des ursprünglichen Typs. Und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das eben umschnappt in diesen anderen Zustand, der eigentlich erst beim Kontakt mit der Zielzelle entstehen sollte. Und es könnte weiß natürlich keiner genau es könnte ein Grund sein, warum die AstraZeneca Vakzine deutlich weniger wirksam ist in den klinischen Studien.


49:00



Camillo Schumann



Also wie gesagt seit einem Jahr wird daran geforscht. Jetzt ist es in der ersten klinischen Phase. Was meinen Sie so über den Daumen, bis das dann wirklich mal im Arm des Patienten landen könnte?



Alexander Kekulé


Jetzt ist gerade aktuell wirklich nur die Studie in Thailand gestartet. Das ist eine Phase-einsPhase-zwei-Studie. Ich glaube, mit 2 50 oder 300 Teilnehmern macht die Marke Idol Universität in Bangkok ist da Federführend. Von den anderen habe ich nur in der New York Times gelesen. Aber das sind keine bisher offiziell angemeldeten Studien. Das heißt, es ist letztlich so, dass diese Entwicklung, wenn sie überhaupt dann am Schluss zu einem brauchbaren Impfstoff führt, letztlich die ImpfstoffGeneration 2 .0 betreffen wird. Das werden dann die Impfstoffe sein, die so gemacht sind, dass sie die Mutanten miterfassen, dass sie vor allem diese brasilianische P1 Mutante auf jeden Fall miterfassen müssen. Und für diese Impfstoffe, die dann möglicherweise sage ich mal Mitte nächsten Jahres zum Einsatz kommen. Also andere vielleicht schon vorher. Aber jetzt ganz konkret würde ich sagen dieser Newcastle-Impfstoff wird wahrscheinlich bis Mitte nächsten Jahres brauchen, auch weil die Produktion im Hühnerei einfach technisch gesehen längst nicht so stark zu beschleunigen ist wie diese RNA-Impfstoffe oder auch Direktor Impfstoffe von AstraZeneca und dem russischen Impfstoff. Übrigens der Sputnik V hat auch diese 2 Proline leider nicht. Also Sputnik V und AstraZeneca, haben diese 2 P Stabilisierung eben nicht drinnen. Deshalb glaube ich einfach, das wird eine Sache sein, weil diese Hühnereier-Produktion, sag ich mal vier bis sechs Monate dauert, einfach die rein


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technische Produktion im Hühnerei. Sie müssen ja die Eier irgendwie herbringen. Das heißt, wir brauchen sehr viele Hühner, die die Eier legen. Und dann müssen sie die synchronisiert bebrüten. Und das ist ein Prozess, der ist eingespielt, aber eben so im Rhythmus von sechs Monaten zwischen erste Ansaat des Impfstoffs und Auslieferung. Und schneller wird es ja auch nicht gehen, weil die Eier kann man nicht beschleunigen.


51:04



Camillo Schumann



Und wir kommen zum Schluss wieder zu Ihren Fragen. Herr H. aus Fildertal fragt:


„Ist es eigentlich möglich, dass sich das Corona Virus quasi durch ständige Mutation irgendwann selber zu Tode mutiert? Und somit verschwindet? Vielen Dank und Grüße aus Nordhessen.“



Alexander Kekulé


Ja ständig! Die Corona Viren mutieren sich dauernd zu Tode. Bei uns ist es ja so wenn ein Mensch einen genetischen Fehler hat, dann ist das ein ganz großes Problem: wir kennen ja ein paar Erbkrankheiten und viele, viele genetische Fehler führen auch dazu, dass der Embryo ganz früh abstirbt in den ersten Tagen der Schwangerschaft schon. Bei den Viren ist es nur so: denen ist es völlig egal, weil die legen jetzt nicht auf das einzelne Kind, wenn ich das mal so sagen darf, besonderen Wert, sondern die Stellen einfach Milliarden von Nachkommen her. Und die allermeisten mutieren sich zu Tode, und ganz wenige sind eben so, dass sie sich optimieren, dass sie besser sind als ihre Eltern. Soll beim Menschen ja auch vorkommen. Aber bei Viren ebenso ganz wenige und die, die eben dann optimiert sind, die setzen sich durch. Die verdrängen alle anderen. Und deshalb ist es im Ergebnis in der Evolution von Viren immer so, dass sie sich verbessern und nicht irgendwie von selber absterben. Also absterben tun sie nur, wenn sie keinen geeigneten Wirt mehr finden.



Camillo Schumann



Doch damit sind wir am Ende von Ausgabe 167 vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial bis dahin



Alexander Kekulé


Gerne. Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast unter „Audio und Radio“ auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


Und übrigens: Aktuell läuft die Abstimmung zum Deutschen Podcast Preis. MDR Aktuell ist mit drei Podcasts dabei: „Kekules CoronaKompass“, den sie gerade hören. Dann: „Tabubruch“, der Podcast über Schicksale hinter den Nachrichten. Und der TruecrimePodcast „Spur der Täter". Wir freuen uns über Ihre Stimme: deutscher-podcastpreis.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 06. April 2 02 1 #166



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zur Sendung:


Studie: Die Varianten B1.351 und P.1 erweitern den SARS-CoV-2 -Wirtsbereich auf Mäuse (18.03.) The B1.351 and P.1 variants extend SARS-CoV2  host range to mice | bioRxiv


Dienstag, 06. April 2 02 1


 AbdieserWochewollenbundesweit Hausärzte Corona-Impfungen anbieten. Bringt das die Wende? Und wie dabei mit dem AstraZeneca Impfstoff umgehen?


Dann: Als erstes Bundesland startet das Saarland trotz steigender Infektionszahlen mit dem Ausstieg aus dem Lockdown. Modellprojekt für ganz Deutschland?


Außerdem: Mäuse können sich mit Virusvarianten infizieren. Was bedeuten diese neuen Erkenntnisse für das Pandemiegeschehen?


Und: Wie kann eine Fahrstunde sicher gestaltet werden?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.


01:04



Camillo Schumann



Normalerweise sprechen wir ja zu Beginn einer jeden Podcast-Ausgabe kurz über das aktuelle Infektionsgeschehen. Das macht allerdings heute und auch, ja, möglicherweise in den kommenden Ausgaben wenig Sinn, denn: Es war Ostern und das heißt, nicht alle Gesundheitsämter haben Daten an das Robert KochInstitut geliefert. Nach Recherchen von ZEIT ONLINE haben am Ostermontag, also gestern, nur 2 34 von 401 Kreisämtern, also den Gesundheitsämtern, neue Zahlen mitgeteilt. Am Sonntag waren es sogar nur 196. In den kommenden Tagen könnte es daher zu vielen Nachmeldungen kommen, das schreibt das RKI [Robert Koch-Institut] auch auf seiner Seite. Und repräsentative Aussagen über Inzidenzwerte werden erst ab Mitte April wieder möglich sein. Herr Kekulé, können wir uns so ein paar Tage Unsicherheit bei den Zahlen leisten oder ist dieser Meldeverzug gerade jetzt sehr gefährlich?



Alexander Kekulé


Ja, also dass Sie und ich an Ostern mal ein bisschen in Deckung gegangen sind, das ist glaube ich kein großer Beinbruch gewesen. Bei den Gesundheitsämtern sehe ich das anders. Wir sind ja in einer ganz kritischen Phase, wo die Politik nachsteuern muss. Und wo einige ja jetzt auch vorpreschen mit neuen Vorschlägen und beginnen mit neuen Konzepten. Und ich glaube in so einer Phase ist es besonders wichtig, wirklich – wie man so auf Neudeutsch sagt – in Real-Time zu verstehen, was los ist. Wir müssen bezüglich des pandemischen Geschehens da wirklich am Puls der Pandemie bleiben und dass das jetzt im Jahr 1 nach Beginn der Pandemie immer noch nicht funktioniert, ja, da kann man wirklich nur seufzen. Es ist so, dass ich mich immer noch erinnere, dass der Präsident des Robert Koch-Instituts vor etwa einem Jahr sich quasi entschuldigt hat in der Pressekonferenz dafür, dass die Zahlen so hinterherhinken und gesagt hat, in 2 Wochen wird es besser. Das ist inzwischen schon fast ein Lacher. Aber ich kann nur sagen, wir müssen da nach wie vor nachbessern und dürfen nicht denken, dass jetzt die Pandemie dann auch mit


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den Impfungen im Sommer zu Ende wäre. Wir haben neue Varianten, die im Raum stehen. Wir können überrascht werden von irgendwelchen Entwicklungen des Virus. Also was auf dem To-Do Zettel steht, dass wir die Technik der Meldevorgänge von den Gesundheitsämtern nachrüsten müssen – steht ja übrigens seit 2 009 schon auf dem Zettel, wo da die Schweinegrippe damals war – das ist nach wie vor ganz, ganz dringend notwendig.


03:2 7



Camillo Schumann



Weil Sie gerade das Ende der Pandemie angesprochen haben und was wir tun können. Einer träumt auch von dem Ende der Pandemie: Das ist NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Er hat nun etwas vorgeschlagen, über das heftig diskutiert wird in Deutschland, nämlich einen Brücken-Lockdown. Und was er damit meint, hat er im ZDF-Morgenmagazin heute morgen noch mal etwas konkretisiert. Wir hören mal kurz rein:


„Wir sind in einer Phase, wo das Impfen Tempo aufnimmt. Jetzt kommen die Hausärzte in diesen Tagen zum Einsatz, sodass wir wirklich Tempo haben. Und wir erkennen, dass schon in ganz kurzer Zeit 2 0 Prozent, danach 30, 40 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft ist. Und jetzt sagen uns die Wissenschaftler: Für diese Brücke bis zu diesem Zeitpunkt – und da geht es um zwei, drei Wochen – sollten wir noch einmal eine Anstrengung unternehmen, noch einmal das öffentliche Leben reduzieren.“


Tja, können Sie sich dieser Rechnung anschließen?



Alexander Kekulé


Oh, vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden, aber was ich da gehört habe, ist: In zwei, drei Wochen sind wir soweit geimpft, dass wir bis dahin nur noch ein bisschen so eine Art Brücken-Lockdown machen müssen. Und dann ist alles wieder gut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das so gemeint hat. Das klang jetzt gerade so. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es seriöse Wissenschaftler gibt, die sowas empfohlen haben.


04:48



Camillo Schumann



Doch, er hat das genau so gemeint und er hat dann auch erklärt, dass man dann in eine Pha-


se kommt, wie er gesagt hat, 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung geimpft plus dann eben noch die jetzt gelernten Möglichkeiten, die man hat. Technische Nachverfolgung, also die Luca-App zum Beispiel hat er angesprochen und testen, testen, testen. Geht dann diese Rechnung auf?



Alexander Kekulé


Nicht auf dieser Zeitschiene. Natürlich ist es richtig, dass diese Elemente, die da angesprochen wurden – die reaktionsschnelle Nachverfolgung durch eine private App zum Beispiel, das intensive Testen und weitere Elemente – richtig sind, das ist ja klar. Und die werden uns natürlich auch früher oder später in dieser Pandemie helfen. Ich fürchte aber, das wird eher so Richtung Juni gehen, bis der Effekt da deutlich ist. Man muss ja immer unterscheiden, bei den Impfungen auch, zwischen dem Effekt, den man hat bezüglich der Sterblichkeit. Das passiert dadurch, dass man hauptsächlich die Alten impft und andere Risikogruppen natürlich. Da sind wir aber nicht besonders fokussiert. Da gibt es ja andere Vorschläge. Ich habe unter anderem ja gesagt, man sollte das sehr stark fokussieren auf die Risikogruppen, dem ist ja nicht gefolgt worden. Und es geht eher in die Gegenrichtung zurzeit. Und das andere ist, dass man Effekte hat, die wirklich epidemisch wirken, also Richtung sogenannte Herdenimmunität, dass man so einen Herdenschutzeffekt bekommt. Und Letzteres wäre ja das, wo Herr Laschet quasi hinsteuert. Er hat jetzt nicht auf die Risikogruppen das bezogen. Und da sind wir weit von entfernt, also da darf man sich überhaupt keine Illusionen machen. Selbst, wenn man die, die natürlicherweise infiziert wurden und sich weiterhin infizieren mit in die Rechnung reinnimmt – dass man jetzt sozusagen ein Ende der Pandemie bekommt, dadurch, dass sie sich ausbrennt, dass sie sich totläuft, sozusagen von selber, also eine Herdenimmunität entsteht – das werden wir also vor Juni auf keinen Fall haben. Und auf keinen Fall in 2 bis drei Wochen nicht. Ich sehe auch die Impfbemühungen. Ja, ich bin jetzt kein Politiker. Aber da wäre ich jetzt nicht so optimistisch. Die Amerikaner haben gerade bekannt gegeben, dass sie im Moment 3 Millionen am Tag impfen und das ist mal eine Ansage. Und in diese Größenordnung kommen wir ja nicht. Was ich so lese, ist, dass die Höchstleistungen, die wir mal hatten in der


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Impffrequenz sogar bisschen runtergegangen sind. Man hat so ein bisschen die Versuchung, auch wenn ich jetzt nicht so politisch sein will, darüber nachzudenken, dass Herr Laschet natürlich auch politische Motive hat. Es ist bekannt, dass der bayerische Ministerpräsident seine Nähe zur Bundeskanzlerin auch in der Pandemie-Strategie immer wieder betont hat, was sicherlich Herrn Laschet als potenziellem Kanzlerkandidat geschadet hat. Und das klingt für mich alles so wie der Versuch einer österlichen Wiederauferstehung.


07:37



Camillo Schumann



Herr Laschet hat es heute Morgen im ZDFMorgenmagazin auch damit erklärt, dass man so in zwei, drei Wochen Brücken-Lockdown dann wieder bei Inzidenzwerten wäre, wo man dann auf der einen Seite dann eine höhere Durchimpfungsrate hat, auf der anderen Seite dann aber wieder in so einen Bereich kommt, wo man auch tatsächlich dann Infektionsketten nachverfolgen kann. Gehen Sie da auch mit?



Alexander Kekulé


Ja, der Teil ist glaube ich richtig. Also, durch einen Lockdown kann man letztlich die Inzidenzen natürlich dramatisch drücken, mit allen Nebenwirkungen, die man hat. Und die Frage ist ja immer, wann man auf ein alternatives Konzept – Sie wissen: Das, was ich vorgeschlagen habe, heißt Smart-Konzept und irgendwie sehe ich dessen Elemente auch an verschiedenen Stellen jetzt aufleuchten zurzeit. Die Frage ist: Wann kann man diesen Umstieg halbwegs sicher machen? Und da glaube ich, gut wäre es in so einem Bereich von etwa 50 Inzidenz zu liegen. Das ist keine wissenschaftliche Angabe. Kann auch sein, dass es bei 80 klappt oder vielleicht sogar bei 100, das weiß ich wirklich nicht. Weil es kann wohl niemand wirklich mathematisch vorherberechnen. Und falls er das gemeint hat, dass er sagt: Na ja, wir müssen jetzt die Inzidenz in einen Bereich drücken, wo wir dann zum Beispiel mit diesen fünf SmartElementen eben als Alternative arbeiten können, also dann die Risikogruppen schützen durch die Impfungen konsequent. Dass wir in bestimmten Bereichen noch konsequenter Masken anordnen, insbesondere in der Arbeitswelt. Dass wir bessere Konzepte haben. Auch in der Arbeitswelt ist da wichtig und in


den Schulen, die aerogene Übertragung zu vermeiden. Dann die Luca-App als Möglichkeit der reaktionsschnelleren Nachverfolgung und wie er jetzt auch sagt: Testen, testen, testen. Ja, da kann man, wenn man in diesen Bereich kommt, irgendwann ist dieser Umstieg möglich. Ich weiß noch nicht, ob das so geschickt ist, das zu machen, wenn die Infektionszahlen gerade ansteigen. Und da wird es sicherlich nicht sinnvoll sein, in so einem aufsteigenden Ast einer epidemischen Welle dann plötzlich die Strategie zu wechseln hin zu, ja, letztlich mehr Lockerungen. Und ich glaube diese Kehrtwende von Herrn Laschet, dass er jetzt auch sagt: Nein, wir müssen jetzt noch eine Weile Lockdown machen, bis wir dann als nächstes über solche Alternativkonzepte nachdenken können. Wenn ich das so raus höre, muss ich sagen, das klingt eigentlich schon vernünftig.


10:01



Camillo Schumann



Aber noch so ein bisschen weiter Lockdown machen macht ja, glaube ich, auch wenig Sinn. Wenn, dann muss doch, sage ich mal, knackig und hart dieser Lockdown sein. So zumindest möchte es der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dirk Spelmeyer, hat er dem WDR so gesagt. Also knackig und hart. Aber nicht, sage ich mal, so laufen lassen. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, also es ist ja letztlich so, dass wir selektiver vorgehen müssen. Also knackig und hart, ja, man hört ja immer neue Begriffe. Heutzutage ist es ja so, wenn man was ins Mikrofon sagt, was irgendwie gut als Überschrift geeignet ist, dann weiß man schon hinterher, dass dieser eine Satz dann zitiert wird und die ganzen anderen Dinge, die man außen rum erklärt hat, eigentlich zu kurz gekommen sind. Ich glaube, wir müssen insgesamt in der ganzen Diskussion von den Floskeln so ein bisschen wegkommen. Sondern man muss wirklich hinschauen: Wo gibt es ernsthafterweise Übertragungen? Wo gibt es Übertragungen, die wir jetzt noch nicht so sauber erfasst haben? Und da liegt ja sozusagen der Osterhase im Pfeffer an der Stelle. Weil das Problem ist ja, dass wir nicht nur diese zeitversetzte Meldung der Gesundheitsämter haben, sondern wir wissen ja nach wie


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vor nicht, aus welchem Grund in vielen Bereichen die Infektionen immer noch zunehmen oder weiterhin nicht unter Kontrolle zu bringen sind. Was jetzt die nächste Frage ist, die sich ganz konkret stellt: Osterferien sind demnächst zu Ende. Was machen wir dann mit den Schulen? Und wenn wir feststellen, die Schließung der Schulen zu Beginn der Osterferien hat einen deutlichen Effekt gehabt – als Teil dieser doch ganz positiven Entwicklung bisher im Lockdown – dann würde ich sagen, muss man eben sagen: Okay, dann brauchen wir für die Schulen weiterhin ein sicheres Konzept. Knackig und hart in dem Sinn, dass man überall den Deckel drauf schmeißt, da bin ich eher dagegen. Aber die Dinge, wo man sieht, hoppla, da sind noch Lücken im System, da müssen wir nachbessern – und einige Lücken sind ja schon lange bekannt – ich glaube, da ist es wichtig, sozusagen knackig und hart zu sein. Selektiv, aber nicht allgemein.


12 :08



Camillo Schumann



Wir werden mal schauen, was aus diesem Vorschlag wird – zwei, drei Wochen BrückenLockdown. Herr Laschet hat auch vorgeschlagen, die nächste Ministerpräsidentenkonferenz vom 12 . April vorzuziehen. Da gab es auch schon wieder Befürworter, aber auch Gegner innerhalb der Ministerpräsidenten. Also wir sind da sehr gespannt. Übrigens: Heute vor 101 Tagen begann die Impfkampagne in Deutschland. Heute vor 101 Tagen, am 2 7. Dezember, wurde die erste Impfung verimpft. Ja, kleines Jubiläum jetzt hier.



Alexander Kekulé


Naja, wir haben uns das schneller vorgestellt. Aber ich kann da auch nur nochmal sagen, wenn nicht genug von dem Zeug da ist und einer der Impfstoffe ja auch ein bisschen angezählt ist bezüglich möglicher Nebenwirkungen – zumindest in bestimmten Altersgruppen – dann ist einfach das das Hauptproblem. Also, wir haben ja hauptsächlich ein Beschaffungsproblem. Die Logistikprobleme, die da immer erwähnt werden, da glaube ich nach wie vor an Deutschland, dass wir eigentlich in der Lage sind, sowas zu managen. Und ja, jetzt diese Besprechung vorzuziehen – wenn eigentlich schon bekannt ist, dass bis dahin die Daten noch nicht auf dem Tisch liegen werden – da


ist die Frage, was man dann sozusagen für Grundlagen für die Entscheidung hat.


13:2 5



Camillo Schumann



Übrigens: Knapp 13 Prozent Erstimpfquote in Deutschland. Und ab dieser Woche wollen bundesweit 35.000 Hausärztinnen und -ärzte in ihren Praxen auch Corona-Impfungen anbieten. Einige starten schon heute, andere warten noch ein paar Tage auf den Impfstoff und wollen dann in den kommenden Tagen starten. Die Praxen bekommen in dieser Woche knapp 1 Million Impfdosen. Das sind ungefähr 2 6 Dosen pro Praxis. Hört sich jetzt erstmal sehr wenig an, ist es auch. In der letzten Aprilwoche sollen es dann aber mehr als 3 Millionen Dosen sein. Das wären erstmals mehr Dosen für die Hausärzte als für die Impfzentren. In der Hausarztpraxis gilt natürlich auch die Impfreihenfolge. Frage an Sie: Könnte das dann tatsächlich die Wende bringen?



Alexander Kekulé


Quantitativ natürlich nicht, weil es immer noch zu wenig Dosen pro Woche sind. Das wird sich dann erst in den nächsten Wochen dann, vielleicht im Mai oder Juni, entspannen. Aber es ist so, dass ich schon glaube, dass es sinnvoll ist, beim Hausarzt zu impfen. Erstens, weil wir wirklich in den Ländern, die das schnell geschafft haben – Großbritannien gehört ja dazu – da sind immer die Hausärzte frühzeitig einbezogen worden. Und es ist so, dass die Gruppen, wo ich ja wirklich meine, dass die vorrangig geimpft werden sollen – speziell die Älteren und Risikopatienten – da ist schon manchmal eine Hemmung da, in so ein Impfzentrum zu gehen, sich da in die Schlange zu stellen, irgendwie elektronisch vorher anzumelden. Ich habe auch gehört, dass das gar nicht so einfach sein soll, da im Internet irgendwie sich einen Termin zu ergattern. Und da ist der quasi gewohnte Weg zum eigenen Hausarzt sicherlich die bessere Möglichkeit. Auch deshalb, weil natürlich jetzt durch dieses „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ im Zusammenhang mit AstraZeneca jetzt eine Unsicherheit bei einigen Menschen entstanden ist. Und da glaube ich schon, dass der Hausarzt, wenn er gut aufgeklärt ist, im Einzelgespräch da genauer erläutern kann, wo die Risiken und wo der Nutzen ist. Also ich finde das richtig und gut,


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dass die Hausärzte einbezogen werden. Aber Sie haben ja gerade schon gesagt, wie viele Dosen die pro Woche zur Verfügung haben pro Praxis. Das ist wenig und die Frage ist halt: Wie wird der Hausarzt das einsetzen? Dann kommt eine sehr aufgeregte jüngere Lehrerin und sagt: Ich will nicht mehr in die Schule gehen, wenn ich nicht geimpft bin. Das liest man häufig auch in der Zeitung, dass da die Ständevertreter, die Lehrervertreter solche Forderungen haben. Und dann weiß ich auch nicht, wie der Arzt sich dann wehrt. Ja, die Impfreihenfolge gilt weiter. Aber mir wäre es lieber gewesen, man hätte rein von der Reihenfolge her wirklich eine klare Fokussierung auf die Risikogruppen gemacht. Weil das Hauptproblem ist das Sterben. Und alles andere – natürlich gibt es Long-Covid, natürlich gibt es ganz selten schwere Verläufe bei auch sehr jungen Menschen. Aber aus politischer Sicht muss man ja einfach die häufigen und statistisch tragenden Probleme erstmal angehen, die sozusagen vor dem Komma einen Einfluss haben. Und da glaube ich, könnte durch diese Verteilung der Verantwortung – dieses Abschieben, hätte ich fast gesagt – der Verantwortung auf die einzelnen Ärzte, dadurch könnte eine Verwässerung letztlich der Strategie eintreten.


16:39



Camillo Schumann



Und über diese Verunsicherung, die Sie angesprochen haben, in Bezug auf den AstraZeneca-Impfstoff beim Hausarzt, wollen wir gleich nochmal sprechen. Und AstraZeneca ist jetzt genau das Thema. Vor der Osterpause des Podcasts haben wir ja häufig über diesen Impfstoff gesprochen. Erst wurde der Impfstoff von AstraZeneca nicht für über 65-Jährige empfohlen, dann doch. Dann wurde die Gabe komplett gestoppt, nachdem es in anderen Ländern Fälle von Hirnvenenthrombosen bei jungen Frauen gab. In Deutschland wurde dann erstmal weiter geimpft. Dann wurden solche Fälle auch hier entdeckt und auch hierzulande der Impfstoff vorerst gestoppt. Dann teilte erst die EMA und dann die STIKO mit: Nö, alles gut. Es kann weiter geimpft werden. Die Fälle seien äußerst selten. Und dann entschieden vor genau einer Woche die Gesundheitsminister der Länder, dass AstraZeneca nur noch für Menschen ab 60 Jahren empfohlen wird. Herr Kekulé, Sie hatten in Ausgabe 164 darauf hinge-


wiesen, dass es möglicherweise einen Hinweis für bestimmte Bevölkerungsgruppen geben sollte – Bezug auf diesen Impfstoff. Nun ist er da. Fühlen Sie sich da bestätigt?



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau die Empfehlung, die ich damals gegeben habe und auch gegeben hätte, wenn ich in der STIKO gewesen wäre. Ich glaube, insgesamt kann man da aus deutscher Sicht was Beunruhigendes und was Beruhigendes rauslesen. Das beruhigende, also die gute Nachricht aus meiner Sicht, ist Folgende: Ich erkenne da doch sehr deutlich das Muster, dass die deutschen Behörden sorgfältiger oder vorsichtiger sind als die europäische Arzneimittelbehörde. Also wir waren vorsichtiger bei der Alters..., zunächst einmal bei der Zulassung für die älteren Altersgruppen, für die höheren Altersgruppen, weil einfach die Daten noch nicht da waren. Und die EMA hat ja ihrerseits gesagt, die Zulassungsunterlagen von AstraZeneca sind suboptimal – das war sozusagen die Formulierung dort – und hat es trotzdem zugelassen und auch für die Älteren. Und dann haben die deutschen STIKO-Leute sich eben drüber gebeugt und gesagt: Nein, also da fehlen uns noch ein paar Daten. Übrigens genauso, wie die USA des gesehen haben und auch andere Länder. Und ähnlich war es dann letztlich bei diesen Hirnvenenthrombosen. Da hat dann die deutsche Gründlichkeit diese Fälle ausgegraben, die natürlich nicht alle an einem Wochenende passiert sind, sondern, wenn man weiß, wonach man sucht, dann findet man das auch. Und die haben dann halt recherchiert und gesagt: Mensch, da gibt es doch mehr. Und daraufhin dann Konsequenzen – bisschen verspätet – aber dann doch Konsequenzen gezogen. Ja, und im Gegensatz dazu ist es so, dass die EMA praktisch bis gestern Stein und Bein geschworen hat, es gibt keinen wissenschaftlichen Zusammenhang. Sie hat sich immer berufen auf die Daten 2 2 .03. – bis dahin hatte sie die Daten ja gesammelt – und hat gesagt: Nein, wir haben das ausgewertet. Es gibt keinen wissenschaftlichen Hinweis auf irgendeinen Zusammenhang zwischen den Hirnvenenthrombosen und der vorherigen Impfung. Da muss man sagen, haben sich Fachleute wahrscheinlich, ohne das laut zu sagen, auch in Deutschland schon die Haare gerauft und wir hier im Podcast ja auch ganz massiv


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die Haare gerauft. Wir haben es da leichter, wir haben kein Sprechverbot in dem Sinn. Und jetzt gerade heute Mittag, wie wir gerade erfahren haben, hat dann zumindest ein Mitglied der EMA – nicht die Chefin, aber ein wichtiger Mann der EMA – versucht, so eine kleine Wende reinzumachen. Und jetzt gesagt: Naja, es sieht doch so aus, als wäre hier ein Zusammenhang zwischen der Impfung und den Hirnvenenthrombosen. Die Daten sind ja immer die gleichen gewesen, da ist ja zwischen gestern und heute nichts Neues auf dem Tisch gewesen. Sondern die Frage ist immer: Wie politisch sind diese Statements? Und da ist eben die gute Nachricht aus meiner Sicht, dass die Deutschen halt bei all ihrer Gründlichkeit und Behäbigkeit aber auch immer vorsichtig sind. Und wenn die deutsche STIKO sagt: Nein, machen wir nicht. Dann ist sie vielleicht ein bisschen übervorsichtig, aber so sind die halt. Und in dem Fall haben sie ja Recht behalten am Schluss. Vielleicht ein bisschen verzögert, sag ich mal, den richtigen Pfad gefunden, aber am Schluss haben sie ihn gefunden.


Die schlechte Nachricht ist natürlich, das aus meiner Sicht die Kommunikation schon geeignet ist, die Menschen zu verunsichern. Sie haben es ja anfangs gesagt, wie das so ein bisschen Hin und Her ging. Ich hatte ja empfohlen, gleich zu sagen: Stopp, wir schauen uns das an, wir identifizieren die möglichen Risikogruppen. Der Verdacht war ja von vornherein, dass das altersabhängig sein könnte und mit der angeborenen Immunantwort zusammenhängen könnte. Und in der Situation, sag ich jetzt mal – aber da bin ich jetzt auch kein Kommunikationsexperte – aber ich sage jetzt mal, wenn man so ganz klar gesagt hätte: Wir halten jetzt erstmal an und dann hinterher machen wir wieder auf und sagen dann: Okay, über 55 oder 60 ist das Risiko absolut vernachlässigbar – vor allem im Vergleich zum Nutzen, den diese Altersgruppe hat – und da empfehlen wir die Impfung weiter. Ich, also mein Gefühl ist: Das wäre der Weg gewesen, wo das Vertrauen in die Behörden weniger beschädigt gewesen wäre. Und die Behörden haben ja zum Teil auch auf Kritiker dann ziemlich empfindlich reagiert am Anfang – da meine ich natürlich unter anderem mich selber – und dadurch ist das Ganze so ein persönlicher Streit geworden. Und das ist, glaube ich, nicht so gut, wenn


dann die Behörden am Schluss sagen müssen: Ey, wir hatten doch Unrecht in so einer Situation. Also deshalb, wie sie es gemacht haben, also der Grundgedanke ist richtig. Und ich glaube, wir können uns in Deutschland gut beschützt fühlen von den Behörden. Die Kommunikation war jetzt nicht optimal.


2 2 :05



Camillo Schumann



In Bezug auf AstraZeneca: Wie gesagt ist ja die Verunsicherung groß und jetzt auch in den Hausarztpraxen. Die STIKO schreibt in ihrer Empfehlung vom 1. April: Auf Basis der derzeit verfügbaren, allerdings noch begrenzten Evidenz und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen pandemischen Lage empfiehlt die STIKO, die Covid-19-Impfstoffe AstraZeneca für Personen im Alter über 60 Jahren zu verwenden. Der Einsatz für eine erste oder zweite Impfdosis unterhalb dieser Altersgrenze bleibt indes – und jetzt kommt es – nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoakzeptanz nach sorgfältiger Aufklärung möglich. Hm. Also, wenn ich jetzt zu meinem Hausarzt gehe, ich bin jetzt 41 Jahre alt, männlich. Also ich kann jetzt für mich keine individuelle Risiko-Analyse durchführen. Mein Hausarzt möglicherweise auch nicht. Was passiert denn dann in der Hausarztpraxis? Da ist ja die Verunsicherung groß.



Alexander Kekulé


Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, da eine gewisse individuelle Risikoabwägung zu machen. Was die Hausärzte natürlich nicht leisten können, ist, diese Wissenslücke zu füllen, wo quasi eine Diskrepanz – bis gestern – zwischen der EMA und den nationalen Behörden mehrerer europäischer Staaten – darunter Deutschland – bestand. Und jetzt ist die EMA wohl so halb umgeschwenkt. Aber trotzdem ist natürlich die Kernfrage – wo sind die Risikogruppen – nach wie vor nicht beantwortet.


2 3:30



Camillo Schumann



Das ist ja genau der Punkt. Also wenn ich jetzt, stellen Sie sich vor, ich bin jetzt eine junge Frau und ich komme zu Ihnen in die Praxis. Was würden Sie mir dann raten? Ich bin jetzt 35, ich habe ein Kind, ich arbeite, ja, vielleicht auch im Krankenhaus.


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Alexander Kekulé


Sie wissen ja, dass bei Ärzten Telefonberatung schwierig ist. Aber ja, es ist so: Grundsätzlich würde ich das jemandem, der jung ist und kein besonderes Risiko hat, nicht empfehlen. Würde ich sagen, also, ich würde jetzt abwarten, wie die Daten sind. Ich bin eher als Wissenschaftler beunruhigt darüber, dass ich nicht lese, wie jetzt ganz konkret dieses Risiko weiter ermittelt wird, weil es ist ja so: Von den Fakten her haben wir ja letztes Mal so ein bisschen im Trüben gefischt. Und da habe ich ja so ein bisschen geraten, das könnte Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 sein und überlegt, wie häufig die sein könnten. Das ist jetzt so, dass die Publikation da aus Greifswald von dem Herrn Greinacher als Preprint raus ist inzwischen – auch das ist passiert, während wir kurz Pause gemacht haben. Und da steht jetzt genau das drinnen. Es ist so, dass vermutet wird, dass hier der Faktor, um den es geht, ein quasi randalierender Antikörper ist, der Blutplättchen aktiviert. Und diese atypischen Antikörper, die Blutplättchen aktivieren – also dann zur Verklumpung vom Blut führen können – der scheint zumindest irgendwas mit der Krankheitsentstehung bei diesen Thrombosen zu tun zu haben. Und den kann man relativ einfach nachweisen. Da gibt es standardisierte Tests, die jedes große Krankenhaus eigentlich zur Verfügung hat. Und deshalb wäre das allererste, was man jetzt aus meiner Sicht machen muss, sofort nachschauen bei denen, die mit AstraZeneca geimpft wurden, und zwar bei denen, die keine Symptomatik gezeigt hatten: Wie häufig kommen diese atypischen Antikörper denn vor nach der Impfung? Ist es die totale Ausnahme? Gibt es das bei Männern auch oder nur bei Frauen? Gibt es das nur in einem bestimmten Alter? Ist das vielleicht mit anderen Risikofaktoren gekoppelt? Weil dann, da hat man viel mehr Daten als diese Handvoll Hirnvenenthrombosen, die total exotisch sind. Und ich habe, glaube ich, schon darauf hingewiesen, dass die selbst für Neurologen nicht so auf Anhieb diagnostizierbar sind. Und diese Studie, die fehlt mir noch. Also das ist das, was man jetzt braucht. Wir haben ja genug geimpft, ja, und dann müsste man halt möglichst vielen Freiwilligen Blut abnehmen und gucken: Gibt es irgendeine Veränderung von diesen? Ist es häufig, dass man diese Antikörper sieht


nach der Impfung? Dann wären die Hirnvenenthrombosen nur die Spitze eines Eisbergs. Oder ist es so, dass wir das ganz selten sehen und es vielleicht eingrenzen können? Dass das nur ganz bestimmte Gruppen sind, die das kriegen. Und das, dass würde ich mir eigentlich wünschen. Weil, dann kann man ja fast Entwarnung geben, wenn man es eingrenzen kann.


2 6:2 1



Camillo Schumann



Und wenn man es eingrenzen kann, könnte es ja möglicherweise auch Risikogruppen geben, die jetzt nicht unbedingt junge Frauen sind, zwischen 2 0 und Mitte 50, sondern vielleicht auch ein junger Mann. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, ja, kann ich mir durchaus vorstellen. Es gibt ja ganz viele, da geht es letztlich um das Komplementsystem. Und das Komplementsystem ist so eine Verbindung zwischen Blutgerinnung und Immunabwehr. Da sind die Faktoren der Immunabwehr, die haben was zu tun mit der Blutgerinnung und auf dieser Zwischenstufe ist das Komplementsystem. Und da gibt es Erbkrankheiten, die zum Beispiel da Störungen machen. Und da könnte man vermuten, dass vielleicht erbliche Faktoren eine Rolle spielen. Oder wir hatten ja sogar bei Covid-19 selber – das ist jetzt nicht die Impfung, sondern die Erkrankung – da wissen wir, dass relativ häufig diese Thrombose, irgendwelche thrombotischen Ereignisse eine Rolle spielen. Und da wissen wir auch, dass zum Beispiel die Blutgruppe eine Rolle spielen kann und solche Dinge – rein statistisch gesehen. Und deshalb würde ich mir wünschen, dass man diese Daten – genau wie Sie sagen – hier erhebt. Unterm Strich bin ich sicher, dass es nach wie vor extrem seltene Ereignisse bleiben werden. Es wird, selbst wenn Sie die norwegischen Zahlen heranziehen, da ist ja das Verhältnis von 1 zu 2 0.000 gewesen, weil die wenig geimpft hatten, aber relativ viele Komplikationen. Selbst wenn Sie 1 zu 2 0.000 nehmen, ist es noch in dem Bereich, wo man das bei einer Hochrisikogruppe verantworten kann. Also jemand, der sagt: Ich habe einfach ein hohes Risiko zu sterben – ich sag jetzt mal zum Beispiel stark übergewichtig, kettenrauchende Krankenschwester, ja, auf der Intensivstation. Ich persönlich


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als Chefarzt würde solche Leute da rausnehmen. Aber nehmen wir mal an, jemand hat so ein Profil, dann würde ich auch bei einer Impfung bei einer Komplikationsquote von 1 zu 2 0.000 sagen: Die Impfung ist sinnvoll. Vielleicht kann man das vergleichen mit dem Straßenverkehr. Ja, im Straßenverkehr gibt es ja auch Tote bekanntlich. Ja, und das Interessante ist, der Unterschied zur Impfung ist doch: Wenn man den Führerschein hat, dann glaubt man ja, man hat sein Risiko so ein bisschen in der Hand. Das sagt man: Ja, ich fahre Auto, aber ich passe ja auf. Ich minimiere das Risiko. Und ich fahre so und so, ich schnalle mich an. Ich mache das und das. Und deshalb fahre ich – obwohl ich ein Sterbensrisiko habe – fahre ich weiterhin Auto, weil man sich zumindest suggeriert, man hätte das Risiko weitgehend unter Kontrolle oder einen Teil davon unter Kontrolle. Und was macht der Staat? Der Staat verbietet nicht das Autofahren allgemein, sondern wir machen selektive Risikobegrenzung. Zum Beispiel, indem wir sagen: Geschwindigkeitsbegrenzung bei Regen, Geschwindigkeitsbegrenzung in engen Kurven oder Ähnlichem. Weil wir wissen, da ist die Unfallgefahr hoch. Und so müssten wir im Grunde genommen bei dem Impfstoff einfach wissen: Wo ist das Risiko hoch? Wo sind die engen Kurven? Wo ist die regennasse Fahrbahn? Und da dann selektiv sagen: Die Leute sollen sich nicht impfen.


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Camillo Schumann



Noch einmal kurz nachgefragt. Wir haben ja darüber gesprochen, dass ja Menschen, die schon geimpft wurden, diesen speziellen Test machen sollten. Oder dass man darauf untersuchen sollte, um eine Aussagekraft zu haben, um möglicherweise Risikogruppen da zu analysieren. Aber wie ist denn das einfach, wenn wir bei der Verunsicherung jetzt in der Hausarztpraxis sind? Das eine ist die eigene Risikoabwägung – die haben wir ja jetzt durchdekliniert. Aber kann man denn im Vorfeld im Blut schon Hinweise finden, um möglicherweise dann auch das eine oder andere auszuschließen?



Alexander Kekulé


Nein, eben nicht, da haben wir überhaupt keinen Hinweis darauf. Selbst, wenn es genau dieser Mechanismus sein sollte, den der Herr


Greinacher und Kollege aus Oslo – der hat quasi genau die gleichen Daten zur gleichen Zeit gefunden – und was diese beiden Arbeitsgruppen gezeigt haben, dass da eben diese atypischen Antikörper gegen den Plättchenfaktor 4 sind, was wiederum dazu führt, dass die Blutplättchen gerinnen, zusammenklumpen und dann die ganze Kette dahinten in Gang gesetzt wird. Das kann man vorher nicht testen. Man kann, wenn man wirklich ein Ereignis hat, also wenn man nach der Impfung Symptome hat, dann kann man schnell Blut abnehmen und diese hier auch schon besprochenen D-Dimere mal testen, ob da irgendetwas verändert ist. Das ist ein frühzeitiger Warnhinweis, dass es ein Problem geben könnte. Und dann in der nächsten Stufe, würde man es auch am langsamen Verschwinden der Thrombozyten, also dieser Blutplättchen, bemerken. Aber das ist erst, wenn das Problem sozusagen schon im Gange ist. Also vorher Risiko eingrenzend haben wir eben keine Parameter. Und deshalb ist diese Empfehlung, die ich da gegeben habe, dass man das mal untersucht – natürlich nicht im Sinne, dass jeder das untersuchen lässt, um sein eigenes Risiko zu schätzen – sondern wir brauchen so eine Studie meines Erachtens.


31:11



Camillo Schumann



Gut. Wir sind gespannt, wie sich das Ganze dann in den Hausarztpraxen entwickelt, welche Fragen entstehen. Und vielleicht gibt es ja den ein oder anderen Hörer oder die ein oder andere Hörerin, die mal so die Konsultation mit ihrem Hausarzt mal schildert, wie da über dieses Problem gesprochen wird. Das würde mich mal interessieren.



Alexander Kekulé


Vielleicht darf ich eins noch ergänzen. Also wir haben jetzt über die unter 60-Jährigen gesprochen und die STIKO empfiehlt ja ab 60 diesen AstraZeneca Impfstoff. Da ist es meines Erachtens völlig eindeutig. Also bei den über 60Jährigen ist es eben so, haben wir bisher keine Hinweise auf schwere Nebenwirkungen. Und rein vom Mechanismus, wenn dieser Mechanismus, der jetzt im Raum steht, hier stimmen sollte – und das halte ich für sehr plausibel – ist es auch extrem unwahrscheinlich, dass es da ernstere Probleme gibt. Das heißt also, ich


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kann nur an der Stelle sagen: Wenn man über 60 ist und nicht die Option hat, sich komplett zu isolieren und zu sagen, ich lebe so, dass sich quasi Covid-19-sicher lebe, dann kann ich nur sagen: Dringend impfen lassen. Also dann ist es auf jeden Fall sinnvoll. Und ich habe es ja hier schon mal gesagt. Ich habe es auch meiner eigenen Mutter empfohlen – die inzwischen übrigens mitgekriegt hat, dass ich öffentlich den Impfstoff als Impfstoff zweiter Klasse bezeichnet habe. Aber die sieht das eher mit schmunzeln, weil sie sowieso keine MercedesFahrerin ist und daher findet die das völlig in Ordnung mit dem Polo oder mit dem Golf zu fahren oder was auch immer. Und so ist es hier letztlich auch. Also man muss einfach sagen, in der Altersgruppe spricht absolut nichts dagegen. Und das wäre jetzt ganz fürchterlich, wenn dieses Hin und Her der Ständigen Impfkommission jetzt so interpretiert wird, dass das für über 60-Jährige auch ein gefährlicher Impfstoff wäre. Für über 60-Jährige gilt, dass die Wirksamkeit nicht so sicher ist wie bei den anderen. Ja, deshalb ist er eben nicht erste Wahl. Aber wenn man den anderen nicht hat, muss man eben das nehmen. Und für über 60Jährige gilt auch, natürlich, das ist klar, die müssen sich darauf einstellen, dass man einen Tag lang Fieber hat und Ähnliches. Aber es ist tausendmal besser, als keinen Impfstoff zu bekommen. Und wir haben in Deutschland einfach nicht die Auswahl im Moment. Kann wieder kommen. Aber wir haben nicht die Wahl. Und wer sich also jetzt impfen lassen will, der sollte nicht sagen: Wer weiß, was da im höheren Alter noch alles kommt.


Vielleicht das eine noch: Die Ständige Impfkommission hatte am Anfang gesagt, sie empfiehlt in Deutschland den Impfstoff nicht für Ältere. Das hat sie keineswegs getan, weil sie dort den Verdacht auf Nebenwirkungen hatte, sondern ausschließlich deshalb, weil die Wirksamkeitsdaten noch nicht vollständig waren. Weil es eben so war, dass man noch nicht sagen konnte, ob das ausreichend schützt im höheren Alter. Und die Ständige Impfkommission hat sich ja auch zusammengesetzt zu einem Zeitpunkt, wo noch nicht klar war, dass BioNTech und Moderna ausfallen würden oder zum Teil ausfallen würden. Und dadurch hat die einfach ganz neutral überlegt: Welche Impfstoffe wollen wir zulassen? Wo ist der


Wirksamkeitsnachweis? Wirksamkeitsnachweis für Ältere ist nicht vollständig, also bitte nachliefern. Und das ist inzwischen nachgeliefert worden. Darum ist es aus meiner Sicht total straight, dass sie dann sagen: Okay, jetzt haben wir die Daten. Jetzt empfehlen wir es für die über 65-Jährigen. Das hatte nichts mit Nebenwirkungen zu tun.



Camillo Schumann



Und hat ihre Mutter die Impfung gut verkraftet, überstanden?



Alexander Kekulé


Die hat einen Tag richtig Fieber gehabt und hat gesagt: Na, Bübchen, das hast du mir ja gesagt, dass ich einen Tag lang Fieber haben würde. So heiße ich bei uns zu Hause, also bei meiner Mutter noch, sonst nicht mehr. Und die war da tiefenentspannt. Die wusste das vorher. Das passierte so, wie angesagt. Und am nächsten Tag war sie wieder fit. Und das ist, natürlich, kann ich jetzt auch nur sagen, ein Riesenunterschied im Lebensgefühl. Ich glaube, das gilt aber auch ganz allgemein, wenn man weiß durch diese einmalige Impfung – und das ist ja das Wichtige, da haben wir ja viele Daten, die das zeigen inzwischen – durch diese einmalige Impfung ist einfach die Wahrscheinlichkeit, an dieser Erkrankung zu sterben, extrem gering geworden oder deutlich verringert worden. Und ich glaube, dass das ein anderes Lebensgefühl gibt. Ja, wenn man einfach weiß: Ich passe zwar auf, ich bin weiterhin vorsichtig und ich vermeide Kontakt zu Leuten, wo ich irgendwie das Gefühl habe, die halten sich überhaupt nicht an die Corona-Regeln. Aber ich bin irgendwie, wenn es wirklich mal zu einer Infektion kommen sollte, ein bisschen geschützt. Und wir müssen ja immer noch einen Schritt weiter denken. Im Herbst werden irgendwann die neuen Varianten aus Südamerika und Südafrika zu uns kommen. Und wenn man irgendwie schon mal den ersten Schritt des Immunschutzes gegen dieses Coronavirus jetzt aufgebaut hat, dann ist es im Herbst mit Sicherheit ein Riesenvorteil im Gegensatz zu denen, die dann vielleicht von der brasilianischen P1-Variante erwischt werden und überhaupt noch keine immunologische Bekanntschaft mit diesem Virus gemacht haben.


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36:03



Camillo Schumann



Das Thema Impfen. Ein weiteres Thema hier im Podcast dann auch in den kommenden Folgen. Und wir müssen über ein weiteres aktuelles Thema sprechen. Ab heute werden im Saarland nämlich verschiedene Öffnungsschritte des Corona-Lockdowns umgesetzt. Also während über einen Brücken-Lockdown diskutiert wird, geht das Saarland einen völlig anderen Weg. Und das Saarland geht diesen Weg, obwohl die Infektionszahlen dort wieder steigen. Private Zusammenkünfte und Veranstaltungen im Außenbereich werden unter Auflagen erlaubt. Kontaktsport im Außenbereich, Theater, Konzerthäuser, Opernhäuser, Kinos – all das darf wieder öffnen. Und überall gilt: Kontaktnachverfolgung und negativer Corona-Test. Das Saarland hat, so über den Daumen, eine Million Einwohner, eine Inzidenz aktuell von 85. Hat aber auch Grenzen zu Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Region verzeichnet die höchste grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern in der gesamten Europäischen Union. Herr Kekulé, erst einmal: Eignet sich das Saarland für so einen Versuch?



Alexander Kekulé


Also ich wünsche mir natürlich solche Versuche, das können Sie sich vorstellen, weil das so ähnlich wie dieses Smart-Konzept ist, was dort oder auch in Tübingen oder in anderen Regionen jetzt versucht wird, gibt ja mehrere Modellregionen. Also eine Million, gerade an der Grenze – Sie haben es gerade schon gesagt – das wäre etwas, was man besonders gut absichern müsste. Und zu dieser guten Absicherung gehört natürlich als Erstes dazu: Ich starte nicht bei einem zu hohen Inzidenzwert. Warum nicht? Die Umstellung quasi auf ein anderes Konzept, ein alternatives Konzept zum Lockdown, die bedeutet natürlich immer auch, dass das Ziel nicht mehr eine Elimination der Erkrankung ist – also ein wegdrücken der Welle, sozusagen ganz auf Richtung Null zu fahren, nicht mehr nur Covid – sondern das Ziel ist dann, auch wenn es noch nicht alle Ministerpräsidenten so offen aussprechen, ist ja letztlich ein Steady-State, also ein kontinuierlicher Zustand, wo man sagt: Man lässt quasi eine gewisse Basis-Inzidenz zu. Und da, wo man da einsteigt, auf der Höhe wird es ungefähr bleiben, weil diese alternativen Maßnahmen im-


mer eine höhere Durchlässigkeit für Infektionen haben. Wenn man halt Schnelltests hat, statt zu Hause zu bleiben, ist ja klar, die Schnelltests übersehen mal was. Manchmal halten sich die Leute nicht dran oder schummeln oder sonst was. Das ist immer weniger effektiv als zuhause zu bleiben. Und deshalb lässt alles, was nicht der totale Lockdown ist, eine gewisse Basis-Inzidenz zu. Und dadurch wird man, wenn man mit 100 anfängt, ganz langsam – wenn überhaupt – von dieser 100 runter kommen, in dieser alternativen Strategie. Sondern man wird irgendwie das verfestigen, mit dem man gestartet hat. Deshalb ist für mich das Wichtigste eigentlich, nicht mit einem zu hohen Wert zu starten. Das sage ich auch ganz egoistisch, weil ich natürlich Interesse daran habe, dass solche Feldversuche gemacht werden und funktionieren. Und deshalb habe ich ein Interesse daran, dass sie gut gemacht werden, sodass sie richtig funktionieren. Nicht, dass hinterher alle sagen, das war ja ein Schuss in den Ofen, diese Idee.


39:11



Camillo Schumann



Okay. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist sozusagen die Startvoraussetzung im Saarland schon mal nicht gegeben, weil man da bei 85 ist – da melden jetzt auch nicht alle Gesundheitsämter. Wie wir am Anfang der Sendung ja gesagt haben. Also die liegen möglicherweise schon bei 100 oder darüber. Also sind die Startvoraussetzungen schon mal nicht gegeben.



Alexander Kekulé


Also eine stabile 85. Da würde ich jetzt sagen, wenn ich da jetzt der Berater von Herrn Hans wäre, würde ich sagen: Kannst du knapp noch machen. Aber ich gehe genau wie Sie davon aus, dass die schon überschritten ist. Also die sind ja auf dem aufsteigenden Ast der Infektionen. Die haben das Problem mit den Pendlern noch nicht gelöst nach wie vor. Also die Pendler wären aus meiner Sicht die ersten, die quasi so eine Art Pass bräuchten, dass die wirklich erfasst sind, dass die registriert sind, regelmäßig als Pendler definiert und getestet werden. Das Zweite, was eine offene Flanke ist, ist, was man in den Schulen macht. Es ist auch im Saarland – wie überall in Deutschland – so, dass die Arbeitsplatzvorschriften nach wie vor auf Ab-


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stand auch in geschlossenen Räumen setzen und dann es möglich machen, dass man ohne Maske weiter arbeitet. Zumindest wird es de facto so gemacht. Und ich glaube, diese Dinge, diese Randbedingungen hätte man sicherstellen müssen. Ich weiß nicht, wie die Impfsituation in den Heimen im Saarland ist, also der Schutz der Risikogruppen. Und das ist ein weiteres wichtiges Element. Da muss man natürlich in der Region dann gucken: Wie weit sind wir hier? Das kann ich nicht beurteilen. Wenn es so ist, dass das Saarland da besonders gut geschützt wäre, wäre das ein Pluspunkt, der dafür spricht. Für mich ist die Knackfrage jetzt wirklich: Wir sind in den Osterferien. Jetzt im Moment sind wir auch in so einer Art Lockdown, da wird sich nicht viel tun. Und wenn da im Saarland irgendwie ein paar Geschäfte aufmachen, mit vorheriger Antigen-Testung, dann wird da nicht die Welle irgendwie deswegen explodieren. Es wird aber auch ein hoher Inzidenzwert durch diese Umstellung nicht gedrückt werden. Und die Frage ist: Was passiert am Ende der Ferien? Und da ist es ja so, wenn ich das richtig gelesen habe: Es soll erst ab der Sekundarstufe verpflichtend zweimal die Woche getestet werden. Da ist die Flanke offen. Ja, also die Grundschule und die Kita. Und da wissen wir, dass das gerade jetzt mit dem B117, was ja in Deutschland sich gerade durchsetzt, dass das häufig bei Kindern auftritt. Und warum man da einfach das offen gelassen hat, das halte ich für ein großes Risiko, wenn die Ferien zu Ende sind.


41:38



Camillo Schumann



Also bei allem, was Sie sich jetzt durchgelesen haben zu dem Öffnungskonzept. Es ist ja im Testballon. Positiv, negativ: Wo würden Sie da jetzt so einen Strich drunter ziehen?



Alexander Kekulé


Es scheint mir – ohne da jetzt zu weit vorpreschen zu wollen – aber nach dem, was ich so höre, scheint mir das ein bisschen zu wenig vorbereitet zu sein. Eben mit der Frage: Was machen wir mit der Primarstufe? Was machen wir mit den Kitas? Ist auch nicht ganz klar, ob es genug Zentren gibt, die dann wirklich testen und ob man die Infektionswege, wenn es dann zu weiteren Infektionswegen, Infektionen kommt, wirklich erfasst. Ich kann vielleicht


noch kurz erwähnen: Es gibt ja mehrere Vorbilder dafür. Das Saarland ist ja nicht das Erste. Tübingen ist jetzt nicht ganz bei einer Million Einwohnern, aber auch so, dass es dort ein Feldexperiment gibt. Und da gehen ja die Fallzahlen auch gerade hoch. In Tübingen hat man eigentlich was Ähnliches versucht. Und das Problem in Tübingen ist, dass man, obwohl das ja ein erklärtes Experiment war – was ich eigentlich eine gute Idee finde – dass man dort keine Möglichkeiten hat, genau festzustellen, wo jetzt, warum jetzt die Fälle zunehmen. Der Bürgermeister Palmer von Tübingen, der gibt ja verschiedene Varianten von möglichen Erklärungen, warum die Fallzahlen nicht unten bleiben. Er sagt zum Ersten: Da sind so viele Jugendliche, die halten sich nicht an die Regeln, die sitzen da auf den Wiesen rum und die Polizei muss immer wieder einschreiten. Und die treffen sich auch abends wahrscheinlich. Er sagt zweitens: Es gab einen größeren Ausbruch in einem Asylbewerberheim, was eben auch die Zahlen da versauert hat. Er sagt drittens: Es sind so viele Leute von auswärts gekommen, weil bei uns die Geschäfte geöffnet haben. Und da gab es dann quasi so eine Art CoronaTourismus, Corona-Shopping-Tourismus. Und das hat uns die Bilanz verhagelt. Und diese ganzen Einzelfaktoren, da weiß man aber nicht, welcher dieser Faktoren wirklich eine Rolle gespielt hat. Und das, was natürlich jetzt die wissenschaftlich wichtige Frage wäre, ist doch Folgende: Wir haben in Tübingen konkret durch einen Tagespass erlaubt – nach vorheriger Testung – zum Beispiel in den Laden zu, in ein Geschäft zu gehen oder in einem Restaurant outdoor zu sitzen. Hat es bei denen, die negativ getestet wurden und die diesen Tagespass hatten, hat es bei denen Infektionen gegeben, die wesentlich dazu beitragen, das Tübingen jetzt von der Inzidenz wieder ansteigt? Das ist die Frage. Hat es überhaupt auf gut Deutsch was mit den Öffnungen zu tun? Oder haben sich die Leute nicht daran gehalten? Haben die geschummelt? Haben sie vielleicht die Belege gefälscht oder sonst was? Keine Ahnung. Oder ist es wirklich ein Phänomen, was eigentlich nur die Gegend außen rum betroffen hat? Außen rum gibt es ja in BadenWürttemberg ein paar Kilometer weiter dann Gemeinden, die wirklich dramatisch explodierende Fallzahlen haben – wo übrigens auch


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keiner genau weiß, woran das dort dann liegt. Und ist es vielleicht so, dass das Umfeld einfach dafür gesorgt hat, dass die Fallzahlen gestiegen sind und das exakt genauso gewesen wäre, wenn man nicht geöffnet hätte? Diese Fragen, die sind nicht zu beantworten. Und das heißt eigentlich, dass man die, wenn ich mal so sagen darf, die Sensoren nicht richtig eingebaut hat in dieses Experiment. Und das müsste man dann im Saarland jetzt machen. Natürlich schwieriger, weil es ein ganzes Bundesland ist. Es darf nicht sein, dass dann die Fallzahlen hochgehen und man wieder nicht weiß, woran es lag. Wäre natürlich schon möglich. Aber wenn man jetzt positiv Getestete hat – in Tübingen wird ja sehr, sehr intensiv getestet – dann wäre das natürlich schon möglich, die, die positiv sind, mit Fragebögen oder mit Interviews durch das Gesundheitsamt oder Ähnliches da bisschen einzugrenzen, was die gemacht haben. Sind das denn die Leute, die da gerade noch einen negativen AntigenSchnelltest vorgewiesen, vorgelegt haben, die am nächsten Tag plötzlich positiv sind? So in dem Sinn, dass die Tests vielleicht nicht so richtig das geleistet haben, was sie hätten leisten sollen. Oder ist es eine ganz andere Gruppe, die da quasi diese Fälle ausmachen? Also sind es die, denen wir die Freiheiten gegeben haben oder denen man dort die Freiheiten gegeben hat? Oder sind es andere Personen? Und die Frage könnte man durchaus beantworten epidemiologisch, gerade in so einer etwas kleineren Stadt. Entschuldigung, aber es ist natürlich jetzt nicht die Großstadt, wo das völlig unmöglich wäre. Und das tut mir ein bisschen leid, dass das scheinbar nicht möglich ist. Zumindest höre ich in dieser Richtung nichts Konkretes. Wie gesagt, wenn jetzt das Saarland als Nächstes vorprescht, da habe ich meine Zweifel. Da es jetzt schon in Tübingen nicht möglich war, diese wichtigen Informationen rauszuziehen, habe ich meine Zweifel, ob das dann im Saarland, wo die Struktur viel komplexer ist, die ganzen Pendler, die rein und raus fahren jeden Tag und so weiter. Ob man da das dann hinkriegt, rauszukriegen – in einer Phase, wo ja diese Varianten, diese Mutante B117 gerade unterwegs ist – was haben eigentlich unsere Öffnungskonzepte oder Alternativkonzepte mit testen und Nachverfolgung,


was haben die eigentlich gebracht und was nicht?


46:32 



Camillo Schumann



Wir müssen noch über eine Studie sprechen in dieser Ausgabe, die deshalb ganz interessant ist, weil sie zeigt, wie sich das Virus seinen Weg sucht, am Leben zu bleiben und sich auch neben Menschen einen weiteren Wirt suchen könnte. Konkret geht es um die Virusvarianten B1351 und P1, also die südafrikanische und die brasilianische Variante. Und die scheinen sich auch bei Mäusen wohl zu fühlen. Zumindest wurde das in Laborexperimenten nachgewiesen. Warum ist diese Information so wichtig?



Alexander Kekulé


Ja, das ist für mich eine total spannende, aber auch beunruhigende Studie. Und zwar ist es vor kurzem rausgekommen, dass man festgestellt hat, dass eben die südafrikanische und die brasilianische Variante – von denen wir hier bisher immer nur sprechen, die sind ja in Deutschland noch nicht so verbreitet – dass die tatsächlich in Mäusen sich vermehren können und dort auch ganz massiv in der Lunge sich formieren bei den Mäusen. Könnte man sagen: Naja, so Labormäuse, die werden ja sowieso immer für sowas verwendet. Aber das Besondere ist, dass tatsächlich diese bei Atemwegsinfekten – Mäuse und auch Ratten – typischerweise ziemlich resistent sind. Also dieses neue Coronavirus, Sars-CoV-2 , vermehrt sich weder in Mäusen noch in Ratten richtig, normalerweise. Und sowas Ähnliches haben wir interessanterweise auch bei den Influenzaviren. Da ist es auch bekannt, dass normale saisonale Influenzaviren eigentlich in Mäusen sich schlecht vermehren und zumindest keine schweren Erkrankungen machen. Und da haben Wissenschaftler vom Institut Pasteur in Paris zusammen mit ihrer Filiale in FranzösischGuyana Untersuchungen eben an diesen Mutanten gemacht. Französisch-Guyana gehört ja formal zu Frankreich, ist aber bekanntlich eins der vielen Nachbarländer von Brasilien. Ja, das ist ja da nördlich von Brasilien, quasi neben Surinam und Guyana. Und die haben quasi die gleiche Mutante wie in Brasilien. Und was haben die gemacht? Die haben eben Mäuse untersucht. Erstmal Zellen untersucht, die von einer Maus stammen, also Mäusezellen in der


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Kultur. Und haben geguckt: Wie ist es denn mit diesen neuen Varianten? Wie gut kann man diese Zellen mit den Varianten infizieren? Und da haben sie festgestellt, dass interessanterweise alle drei Varianten – einschließlich der britischen – in der Lage sind, diese Mauszellen, kultivierten Mauszellen zu infizieren. Das macht der ursprüngliche Typ nicht, also der sogenannte B1, ich sage mal in Anführungszeichen „Wildtyp“, der macht das nicht. Wir haben ja – nur noch einmal zur Erinnerung – wir haben ja bei dem Sars-CoV-2  Virus haben wir ja einen Typ, der hat sich aus Wuhan weltweit verbreitet, das ist der sogenannte B-Typ. Und daraus hat sich in Italien dann durch eine Mutation, die leider – der Ausbruch ist dort übersehen worden – und da hat sich dann eine Mutation durchgesetzt in Norditalien. Die gab es schon vorher, aber die hat sich dort durchgesetzt. Die hat eine Mutation gehabt, D614G heißt es, und ist dadurch wesentlich ansteckender geworden. Das ist dann B1. Und dann hat sich ja kürzlich in Großbritannien ein Untertyp davon durchgesetzt, der jetzt auch in Deutschland unterwegs ist, der heißt B117. Und dann gibt es eben die B1351, das ist die südamerikanische und so weiter, also die entwickeln sich so munter alle weiter. Und die B112 8 P1 ist dann die brasilianische. Das heißt also, das ist, wenn man das grafisch vor sich sieht, letztlich so ein Stammbaum. Und was ist daran das Spannende? Das Spannende ist: Wir haben diese Mutation, die in Großbritannien ist, bei den B117. Die bewirkt, dass in der Zellkultur plötzlich das Virus auch Mäusezellen anstecken kann. Aber keine lebendigen Mäuse, nicht in vivo. Und wenn man lebendige Mäuse infiziert, also absichtlich das denen in die Nase spritzt, das Virus und guckt, ob dann hinterher das Virus sich vermehrt. Da stellt man fest, dass nur die südafrikanische und die brasilianische Variante, nur die beiden können bei den Mäusen eine richtig fette Infektion machen und hinterher kann man in der Lunge auch sehen, dass das Virus sich verbreitet hat. Übrigens: Die Mäuse haben trotzdem noch kaum Symptome, die sind nicht erkennbar krank, nehmen auch vom Gewicht her nicht ab. Aber sie sind deutlich infiziert.


50:47



Camillo Schumann



Und ich sag mal so, dass jetzt dieses Virus auch


auf Haustiere überspringen kann, das haben wir ja schon mehrfach besprochen hier im Podcast. Wieso sind jetzt infizierte Mäuse mit diesen Virusvarianten anders zu bewerten als infizierte Haustiere?



Alexander Kekulé


Ja, das ist deshalb so spannend, weil wir schon lange wissen, dass alle Typen – auch der alte B1-Typ aus Norditalien oder der B-Typ aus China – die alle sind ja, wie wir sagen, für diese Viren sind die Primaten zum Beispiel permissiv. Also wir und andere Primaten-Affen, oder Affen-Primaten, sind permissiv. Man kann die übrigens auch in Hamstern – das wäre ja auch ein Nagetier – vermehren. Oder auch, was ganz beliebt ist, sind Frettchen. Frettchen sind so die klassischen Versuchstiere für Atemwegserreger, übrigens auch für Influenza. Und eben Katzen und Hunde, die Haustiere, das wissen wir schon lange. Aber wenn jetzt das Virus sich verändert und dadurch jetzt plötzlich bei einer neuen Tierart ansteckend wird, dann heißt es – und hier wissen wir auch relativ genau, welche Veränderung das ist. Das ist diese Mutation, die eben die südamerikanische und die brasilianische haben, das ist diese E484K Mutation, über die wir schon mal gesprochen haben. Die ist in der Rezeptor-Bindungsstelle. Also, die ist genau da, wo das Virus andockt an den Rezeptor – sowohl beim Menschen als auch bei der Maus eben. Und da passt es jetzt plötzlich besser, kann man sogar genauer zeigen, warum. Und da kann man eigentlich nur 2 Sachen sich überlegen. Das eine ist: Entweder ist es so, dass dieses Virus hier sich am Menschen anpasst, besser anpasst und sozusagen als Beiprodukt, als reines Zufallsnebenprodukt dadurch auch für die Maus gefährlicher wird. Oder es ist so, dass möglicherweise auch Zwischenzyklen in anderen Tieren eine Rolle gespielt haben. Also wir wissen ja nicht, wie weit sich das Virus vielleicht auch bei anderen Säugetieren ausbreitet. Wir hatten dieses Problem bei den Minks, bei den Nerzen da in Dänemark, wo es Varianten gab, die dann von Nerzen wieder auf den Menschen übergesprungen sind. Das heißt, es gibt offensichtlich eine Evolution von diesem Virus, die so aussieht, dass es sich optimiert. Entweder mit Hilfe von anderen Tierarten oder auch unabhängig von den Tierarten und dann nur im Menschen. Die so aussieht, dass am Ende im-


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mer die gleiche, optimierte Variante dabei rauskommt. Wir nennen das auch konvergente Evolution. Also zufällig auf der Welt entstehen irgendwelche Mutationen und das Ergebnis ist, obwohl die gar nicht miteinander verwandt waren, immer das Gleiche, weil das eine Verbesserung ist. Und diese Verbesserung, die da stattfindet, die ist eben so typisch oder so gravierend, dass jetzt die Mäuse auch betroffen sind. Dass man leider die Befürchtung haben muss, dass diese Viren – insbesondere aus Südamerika – auch höher, stärker pathogen sind. Also nicht nur stärker ansteckend, dafür spricht alles. Es deutet auch darauf hin, dass man sich damit natürlich mehrfach infizieren kann, dass die Impfstoffe nicht so gut wirken. Und es ist auch gut möglich, dass es stärker krankmachend ist. Wir haben so einen ähnlichen Effekt gehabt, so was Ähnliches beobachtet, bei der Spanischen Grippe von 1918. Da ist ja, ich meine, im Jahr 2 005 ist das Virus von 1918 ja wiedererschaffen worden quasi. Aus genetischem Material, was man von so einer Inuit-Frau aus dem ewigen Eis gefunden hatte. Und da hat man auch festgestellt, dass dieses 1918er Pandemievirus von der Spanischen Grippe, dass das in Mäusen viel gefährlicher ist als die normalen Grippeviren. Faktor 100 ungefähr gefährlicher für Mäuse. Und jetzt beobachtet man sowas Ähnliches bei einer Variante von diesem Coronavirus. Das bedeutet für mich nichts Gutes, ehrlich gesagt. Das heißt für mich, dass diese Varianten, die sich in Südamerika sich jetzt ausbreiten, dass die das Potenzial haben, mehr Menschen krank zu machen und eben auch mit hoher Wahrscheinlichkeit, unser Immunsystem zu überlisten, wenn wir schon mal eine Krankheit hatten. Also ein weiterer Aufruf, so schnell wie möglich, sich impfen zu lassen, wenn man Corona nicht schon mal hatte. Weil diese P1-Variante in Südamerika, das ist ja so, die hat angefangen in Brasilien. Und Brasilien ist, wenn man so will, ein landesweites Super-Spreading-Event zurzeit für dieses P1. Also da macht ja inzwischen kein Bundesstaat mehr eine Ausnahme. Und wir sehen inzwischen in allen Staaten Südamerikas die neue Variante. Riesenprobleme in Lima. Da ist angeblich die Durchseuchung mit dieser P1Variante schon im Bereich von 40 Prozent. Und selbst die beiden Staaten, die keinen Kontakt, keine Grenze haben zu Brasilien – also Chile


und Ecuador – auch dort sind schon die ersten Fälle aufgetreten. Und deshalb kann ich nur sagen: Dieses Virus wird sich, diese Variante wird sich weltweit ausbreiten. Und die ist unangenehm. Und das sieht man an diesem Mäuse-Experiment, weil sie sich hier sozusagen ihren Horizont erweitert hat, ihr Wirtsspektrum erweitert hat und gefährlicher geworden ist für die Mäuse.


55:57



Camillo Schumann



Kommen wir zu den Hörerfragen. Herr K. aus Halle hat eine spannende Frage zum Impfstoff von AstraZeneca und warum vor allem Frauen zwischen 2 0 und Mitte 50 von Sinus-Venenthrombosen betroffen sind. Hier seine Frage:


„Kann es möglich sein, dass wegen veränderter Hormonstruktur während des Monatszyklus bei Frauen häufiger ein Gesundheitsproblem nach der Impfung mit AstraZeneca auftreten kann?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist möglich, dass es mit den Hormonen zu tun hat. Also bei Frauen ist bekannt, dass die ja auch bei Covid selber diese Thromboseneigung haben, also die Thrombosegefahr. Thrombose treten da relativ häufig auf. Wir haben auch ein paar andere Phänomene, zum Beispiel dieses sogenannte Long-Covid, was wir auch nicht genau verstehen. Auch da deutet sich an, dass das bei Frauen häufiger ist. Und das alles könnte mit den Hormonen zusammenhängen, ja. Aber das bringt natürlich im Ergebnis nicht so viel Erkenntnisgewinn oder nicht so viele Konsequenzen, weil Sie wollen und können ja nicht die Hormone abschalten bei Frauen. Und biologisch gesehen ist es ja so, wenn jetzt der Embryo nicht irgendwann anfangen würde, weibliche Hormone zu produzieren, dann würde sich der weibliche Phänotyp ja gar nicht ausprägen. Das heißt also, das würden dann gar nicht erkennbarerweise Frauen werden. Deshalb ist Frau und weibliche Hormone ist biologisch fast das Gleiche. Und wenn es mit dem Geschlecht zusammenhängt, dann hängt es fast definitionsgemäß auch mit den Hormonen zusammen.


57:36



Camillo Schumann



Herr. S. hatte uns gemailt. Er möchte unbe-


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dingt seinen Führerschein machen und schreibt:


„Nach langer Pause gibt es jetzt wieder Praxisstunden in Sachsen. Dafür brauchen aber sowohl ich als auch mein Fahrlehrer ein negatives Testergebnis. Meine Frage: Reicht dieses Testen aus? Welche zusätzlichen Maßnahmen kann und sollte mein Fahrlehrer ergreifen? Viele Grüße!“



Alexander Kekulé


Also wenn das Wetter schön ist, würde ich versuchen, mit dem offenen Fenster zu fahren. Lieber mal ein Rollkragenpulli oder so etwas anziehen, dass man da keine Halsschmerzen von kriegt. Und wenn das nicht möglich ist, mit offenem Fenster zu fahren, dann würde ich ehrlich gesagt eine FFP-Maske tragen. In so einem geschlossenen Raum, eine Stunde lang ist einfach eine extrem hohe Infektionsgefahr. Und wenn man jetzt sagt, man will da wirklich auf der sicheren Seite sein, dann spricht ja nichts dagegen mit der Maske zu fahren. Ist vielleicht gar nicht so schlecht für einen Fahrschüler. Wir wissen ja nicht, wie lange diese Pandemie noch geht und die Maskenpflicht und Ähnliches. Und da kann man schon mal üben, Auto fahren mit der Maske im Gesicht.


58:38



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 166. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder, bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


Und übrigens: Aktuell läuft die Abstimmung zum Deutschen Podcast Preis. MDR Aktuell ist mit drei Podcasts dabei: „Kekules CoronaKompass“, den sie gerade hören. Dann:


„Tabubruch“, der Podcast über Schicksale hinter den Nachrichten. Und mit „Eliten in der DDR“. Wir freuen uns über Ihre Stimme: deutscher-podcastpreis.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 7. März 2 02 1 #165



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Samstag, 2 7. März 2 02 1


Sollte man bei kleinen Kindern überhaupt einen Schnelltest durchführen?  Mehr Tests dann auch mehr positive?


Macht die Isolation von positiven mit nicht positiven Familienmitgliedern überhaupt Sinn?  Besteht die Gefahr einer Thrombose?


Dann: Nach der zweiten Impfung kann die zweite Impfung in den anderen Oberarm gehen?  Und: Können Großeltern nach der zweiten Impfung ohne Sorge ihre Enkel in den Arm nehmen?


Hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés, Corona-Kompass Hörerfragenspezial nur mit ihren Fragen und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Ja, die Schulen und Kitas sind in manchen Bundesländern auf. Dieser besorgte Vater fragt deshalb, welche Rolle spielen denn nun diese Einrichtungen in der Pandemie?


Hörer


Da wollte ich einfach nochmal fragen, wie da jetzt der Stand ist? Kann man die Kinder jetzt beruhigt in den Kindergarten schicken? Ich muss dazu sagen, an der Schule meines Sohnes und im Kindergarten sind die Lehrer ja auch geimpft. Da wollte ich einfach nochmal nachfragen, wie da so der aktuelle Stand ist?



Alexander Kekulé


Also die Impfung ist ja zum Schutz der Lehrer und Erzieher. Also Fälle, wo jetzt Lehrer und Erzieher, die die Kleinkinder angesteckt haben, dass ist eher exotisch. Das gibt es natürlich auch, aber er ist jetzt nicht so häufig. Die große Frage ist letztlich, kriegt man das in den Griff in den Kitas Ausbrüche zu verhindern? Sind wir da jetzt sicher sozusagen. Als Arbeitshypothese würde ich mal davon ausgehen, wenn man zweimal die Woche testet, Schnelltests würden da reichen bei den Kleinkindern und Grundschülern, dann ist es möglich, eine ausreichende Sicherheit zu bekommen natürlich nicht, wenn man im eigenen Haushalt eine extrem gefährdete Person zu sitzen hat. Wenn da jetzt wirklich noch der 90-jährige Opa sitzt, der COPD hat und im gleichen Haus wohnt wie die Kleinkinder, dann sollte man ihn schleunigst impfen oder Ähnliches. Ich sage mal, für den Normalsterblichen das normale Risiko, mit dem wir so jetzt leben müssen in der Pandemie, das ist einfach so, dass man nicht mehr auf Nummer sicher gehen kann. Da würde ich sagen, zweimal die Woche getestet vernünftiges Konzept, Gruppen auseinander gehalten in der Kita. Das ist ja auch etwas, was nicht alle hinkriegen, je nachdem wie viele Betreuer sie haben. Aber wenn man das alles vernünftig macht, dann würde ich sagen, ist es sicher.



Camillo Schumann



Apropos aktueller Stand. Diese Dame möchte mehr zu Blutgruppen wissen.


(02 :35)


Hörerin


Am Anfang der Pandemie hieß es, dass die Blutgruppe einen Einfluss auf die Infektiosität


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oder die Schwere der Erkrankung hat. Wurde in diese Richtung noch weiter geforscht oder Studien zu diesem Thema gemacht? Schönen Gruß ans ganze Team. Danke,



Camillo Schumann



Viele Grüße zurück.



Alexander Kekulé


Ich muss jetzt zugeben, ich habe jetzt ganz aktuell die Studie nicht mehr angeguckt, aber zuletzt vor Weihnachten war der Stand der, dass das immer wieder bestätigt wurde. Also es ist so, dass bestimmte Blutgruppen ein etwas erhöhtes Risiko haben, nicht für Infektion, sondern für schwere Verläufe. Das ist ein Risikofaktor wie Übergewicht und Ähnliches. Natürlich fällt der nicht so schwer ins Gewicht. Also im Vergleich zu dem erhöhten Risiko, was man zum Beispiel mit dem hohen Alter hat, ist das Risiko durch bestimmte Blutgruppen höchstens im Bereich von zweifach für die die Sterbenswahrscheinlichkeit. Eher geringer. Das ist etwas, was also Statistiker dann finden, wenn sie ganz genau nachschauen. Aber ja, das Risiko besteht nach wie vor. Und wenn man jetzt wirklich an Risikogruppen denkt, wenn man zum Beispiel überlegt, in welcher Reihenfolge in welcher Priorität sollte geimpft werden. Oder wofür ich plädiere, wenn sich jeder selber ein bisschen überlegt, wie wichtig ist mir die Impfung? Was will ich da an Nebenwirkungen und so in Kauf nehmen dafür, dann kann man durchaus auch in die Waagschale werfen welche Blutgruppe habe ich? Das ist ein Faktor wie männlich weiblich Das ist so. Diese verschiedenen Dinge spielen, alle eine Rolle, auch die Blutgruppe.



Camillo Schumann



Und wir reden über Blutgruppe A.



Alexander Kekulé


Das ist Blutgruppe A und A, B. Das sind die beiden, wo man diesen Zusammenhang festgestellt hat. Woran es übrigens genau liegt, ist bis heute noch nicht klar. Aber dieser statistische Zusammenhang ist einfach vorhanden.


(04:2 0)



Camillo Schumann



Apropos statistischer Zusammenhang. Herr H. aus München möchte wissen, ob seine Erklärung zu den gestiegenen Infektionszahlen stimmt.


Hörer


Kann es sein, dass wir dadurch einfach nur das Dunkelfeld weiter ausleuchten? Es gibt ja Vermutungen, dass die Dunkelziffer der CoronaInfizierten so etwa um den Faktor drei bis möglicherweise acht der offiziell gemeldeten Infizierten sein könnte. Das heißt wir leuchten einfach das Dunkelfeld weiter aus. Was ja positiv ist. Obwohl wir eine sprunghaft steigende Inzidenz haben, von 2 0 bis 30 Prozent pro Woche. Möglicherweise trotzdem haben wir nicht wirklich mehr Infizierte, sondern wir sehen nur mehr davon. Weil wir eben weiter leuchten mit unserem Schnelltest.



Alexander Kekulé


Ja, die Frage wird ja oft gestellt, Die Politik muss es auch beantworten. Da ist die einfache Antwort, die, dass man das kontrollieren kann, wenn man guckt, wie viele negative Testergebnisse gibt es. Das machen wir bei der PCR, die im Laboratorium durchgeführt wird. Da weiß man, wie viel Prozent der durchgeführten Tests sind positiv gewesen. Diese Kontrolle gibt es natürlich bei den Antigen-Schnelltests nicht in dieser Weise. Und ich gehe schon davon aus, dass die Dunkelziffer hier auch ausgeeuchtet wird. Ohne Frage, wenn man mehr Tests macht, gibt es natürlich auch dann mehr positive. Die positiven, die dann, wie sich's gehört, per PCR bestätigt werden, da hat man so einen ungefähren, Hintergrund. Wir haben natürlich ganz wenig Zahlen darüber, wie viel die Menschen im privaten Bereich, oder auch durch Ärzte durchgeführt, den Antigen-Schnelltests machen. Wie viele negative sind da wirklich dabei? Und wir sind in einem ohne Frage ansteigenden Ast der dritten Welle. Und in dieser Phase ist es immer so, dass die Dunkelziffer noch mal größer ist. Das heißt, mit anderen Worten: ja, diesen Effekt gibt es aus meiner


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Sicht. Wir haben dazu auch schon mal Stellung genommen, als damals gesagt wurde, vom RKI, dass so ein Effekt nicht dabei wäre. Da habe ich ein bisschen widersprochen. Also, es gibt diesen Effekt aber, das ist, wenn man so will, nur die erste Stelle hinterm Komma. Was gerade passiert ist, ein objektiver Anstieg der Fallzahlen.


(06:40)



Camillo Schumann



Herr Doktor S. ist Intensivmediziner und hat uns gemailt. Er schreibt: seit Monaten versuche ich zu verstehen, warum man eindeutig an Covid-19 Erkrankte, mit ihren Angehörigen in gemeinsame Quarantäne beziehungsweise Isolation in denselben, möglicherweise sehr beengten Haushalt sperrt. Die Krönung des Ganzen ist dann noch an Tag 14. Sowohl die Verdachtsfälle als auch den Erkrankten ohne negativen Test wieder rauszulassen. Ist es wirklich so schwachsinnig, wie es scheint, und der offensichtliche Pandemietreiber Nummer eins? Oder können sie einen epidemiologischen Sinn darin erkennen, der mir einfach entgeht? Würde ich gesunde, positive und Verdachtsfälle in dasselbe Zimmer legen, würde ich zu Recht fristlos gekündigt werden. Mit freundlichen Grüßen, Dr. S.



Alexander Kekulé


Ich habe das jetzt nicht als Schwachsinn bezeichnet, Aber diese Schwachstelle schon sehr oft aufgezeigt. Wir hatten ja die Diskussion im Herbst, als die Herbstwelle angerollt ist und sich alle gefragt haben, wieso steigen hier die Fallzahlen. Das kann doch gar nicht sein. Wir sind doch so gut in der Pandemiebekämpfung. Wir haben doch schon so einen Lockdown. Da haben wir das ja rauf und runter diskutiert. dass ich gesagt habe, dass ist eines der vier Hauptprobleme gewesen, die wir hatten, und das ist nach wie vor vorhanden. Das wir in Deutschland dafür kein Konzept haben, was wir machen, wenn jemand positiv ist. Bei den Regularien der Bundesländer stehen dann so schöne Dinge drin oder auch den Empfehlungen besser gesagt. Da stehen also so schöne Dinge drin, wenn eine positive Person im


Haushalt ist, sollte diese isoliert werden, sollte nicht an den gemeinsamen Essen teilnehmen, sondern separat in einem einzelnen Raum leben, den auch in der Regel nicht verlassen, sollte nach Möglichkeit in einem eigenen Badezimmer duschen. Und wenn das nicht möglich ist, sollte das Badezimmer danach desinfiziert und gewaschen werden. Ich denke mir dann immer beim Erwachsenen, der vielleicht vom Beruf Krankenschwester oder Krankenpfleger ist, kann man so etwas vielleicht irgendwie versuchen durchzuziehen. Aber ich habe immer gedacht wie macht man das dann jetzt mit dem sechsjährigen Kind? Zum Beispiel? Papa steht vor der Tür. Keine Angst, wir sind doch alle da. Also, diese ganzen Empfehlungen sind völlig weltfremd. Ja, so ist das. Und in China hat man es anders gemacht. Da gab es diese Fangcang shelter hospitals. Und da hat man genau diese Überlegung gehabt. In Deutschland wurde das empfohlen von der Schutzkommission, schon vor vielen, vielen Jahren die sogenannten Fieber-Kliniken einzurichten. Die funktionieren letztlich so, wenn Isolation im Haushalt notwendig ist, kommt derjenige raus aus dem Haushalt, der positiv ist, in der Hoffnung, dass die anderen sich eben dann nicht anstecken. Und da hat man Hotels angemietet, das sind keine richtigen Krankenhäuser, sondern im Grunde genommen ganz nierigschwellige Versorgungsangebote, wo es halt Essen gibt und einmal am Tag jemand kommt und Fieber misst und guckt, wie es jemandem geht. Solange die Patienten nicht schwer krank werden, bleiben sie dort. Und wenn jemand dann wirklich einen schweren Verlauf hat, dann kommt er richtig ins Krankenhaus. Hat den Vorteil, dass man eben mit dieser Methode ganz radikal diese Übertragungen im Haushalt dämpfen kann. Kommt nicht auf Null, aber man kann sie runterbringen. Da hat man sich in Europa dagegen entschieden. Und damit ist natürlich gerade vor Weihnachten ein Großteil der Infektionen auf genau diese Weise passiert. Und das war ja eine der Erklärungen von meiner Seite, warum diese Welle so lange gedauert hat. Warum wir auf diesen Plateau gelandet sind. Weil wir einfach so eine Art aus-


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brennende Infektionen in den privaten Haushalten hatten. Solange er nicht alle durch infiziert waren, war die Welle einfach nicht zu Ende.


(10:17)



Camillo Schumann



So jetzt beginnen die Fragen zur Impfung. Frau O. aus Leipzig möchte folgendes wissen:


Hörerin


Mein Mann hatte einen Schlaganfall, und meine Frage geht dahin, ob er sich jetzt mit AstraZeneca impfen lassen soll oder darf. Das macht mir Sorgen, und ich hätte gerne eine fundierte Antwort darauf. Dankeschön. Tschüss.



Alexander Kekulé


Also wir haben darauf noch keine wissenschaftlich belegte Antwort. Das ist ja gerade das, was jetzt aussteht. Die amerikanische Zulassungsbehörde wird wahrscheinlich im Mai die Daten noch einmal ganz genau prüfen. Die Daten, die man bis jetzt hat, das eine, ist ja das, was man sich aus malen kann, wenn man sich jetzt Angst machen will. Und das andere ist einfach das, was auf dem Tisch liegt. Und ich glaube, da muss man ein bisschen pragmatisch sein und sagen, schauen wir mal die Daten an, die auf dem Tisch liegen. Und da ist es so. Alle Gesundheitsbehörden, einschließlich des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts, sagen, wir haben keinen Hinweis, dass irgendwelche Thromboserisiken bei den Personen, die mit AstraZeneca geimpft werden, die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen erhöhen. Das sagen die einfach bisher. Die Daten sind nicht viele, aber das, was man hat, sieht einfach so aus. Deshalb würde ich jetzt einfach mal positiv davon ausgehen, dass bleibt dabei. Und das heißt, wir können sagen, dass jemand, der zum Beispiel ein Schlaganfall hatte, kein höheres Risiko hat, wenn er mit AstraZeneca geimpft wird. Das Gleiche gilt für Frauen, die die Antibabypille nehmen und so weiter. Das natürlich, das Ganze jetzt wissenschaftlich im Detail noch untersucht werden muss und nicht klar ist, was ganz am Schluss wirklich dabei rauskommt. Ja, das ist eine weitere Schwachstelle. Was soll


man sagen, dass das ist halt jetzt so. Dass man das beschlossen, hat man impft weiter und untersucht parallel diese Fragestellungen. Die Europäische Arzneimittelbehörde hat ja wörtlich gesagt die Zulassungsdaten von AstraZeneca sind suboptimal. Das ist suboptimal, und das finde ich ein ganz gutes Wort. Was erwartet man? Was erwarten wir von unseren Wissenschaftlern und von unseren Regierungen? In so einer Pandemie können wir einfach keine optimale Reaktion erwarten. Und deshalb müssen wir suboptimal sagen. Im Moment sieht es so aus, als gäbe es da kein Risiko. Und deshalb würde ich sagen, wenn ich die Wahl habe, AstraZeneca oder gar nix, würde ich das definitiv nehmen, auch wenn ich vorher einen Schlaganfall hatte.



Camillo Schumann



Frau B. hat gemailt. Sie ist 39 Jahre alt, hat am 9. März eine AstraZeneca-Impfung bekommen. Eine Sinusvenenthrombose, schreibt sie, habe ich seither nicht entwickelt, mache mir aber Gedanken, ob das auch bei einer zweiten Impfung so sein wird. Lässt sich sagen, dass, wer beim ersten Mal keine Komplikationen erlebt hat, sich für die zweite Impfung keine Sorgen machen muss. Oder könnte es sein, dass der PProzess der Thrombosebildung bei der ersten Impfung gewissermaßen schon aktiviert worden sein kann, sich zwar noch nicht klinisch manifestiert, also bemerkbar gemacht hat, dann aber bei einer zweiten Exposition möglicherweise eskaliert? Würden Sie mir zu einer zweiten Impfung raten? Viele Grüße, Frau B.



Alexander Kekulé


Es gibt beide Hypothesen. Es gibt die Hypothese, dass man sagt, dass bei der zweiten Impfung die Impfreaktion stärker ist. Das haben wir relativ häufig bei Impfungen, dass beim zweiten Mal die Reaktogenität, wie wir das nennen, stärker ist. Und wir wissen aber nicht, ob im Zusammenhang mit dieser Reaktogenität überhaupt diese Thrombosen entstanden sind, oder ob das ein ganz besonderer Mechanismus ist. Bei AstraZeneca muss man vielleicht speziell daran erinnern, das war ja ein


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Impfstoff, der ist eigentlich mal entwickelt worden für nur einmalige Impfung. Da hat man gesagt, wir impfen nur einmal mit dem Zeug, so wie das bei Johnson und Johnson jetzt gemacht wird. Johnson und Johnson übrigens hat eine Wirksamkeit von 66 Prozent nach dieser einmaligen Impfung. Das gilt eigentlich auch als okay. Und dann hat man aber bei der Phase II bei AstraZeneca festgestellt, es reicht eben nicht aus. Nach der ersten Impfung war die Wirksamkeit nicht gut genug. 50 Prozent war das Minimum, was die Weltgesundheitsorganisation als Marke gesetzt hat. Die hat man nicht ganz erreicht. Und darum hat man sich dann entschieden, diese zweite Impfung zu machen. Es ist aber so, es handelt sich hier um einen Vektor-Impfstoff. Und da ist immer die Frage, ob es bei der zweiten Impfung nicht vielleicht schon Antikörper gibt, die den Vektor wegfangen. Und vor diesem ganzen Hintergrund würde ich jetzt bei AstraZeneca speziell sagen, es wäre eigentlich untypisch, wenn man beim zweiten Mal diese wahnsinnig schweren Nebenwirkungen dann plötzlich hätte. Weil man doch eher davon ausgehen muss, dass das Gegenteil passiert. Nämlich, dass das Immunsystem, den ganzen Impfstoff erst mal wegfängt, weil es gegen den Vektor sozusagen auch schon immun ist. Das ist ja der Grund, warum zum Beispiel, der russische Impfstoff vom Gamaleja-Institut in Moskau, warum der 2 verschiedene Faktoren verwendet beim ersten und zweiten Mal Und warum Johnson und Johnson, die haben ja auch einen VektorImpfstoff auch sagte, wir impfen überhaupt nur einmal. Und deshalb sage ich und das ist, sie merken schon, mehr so Kaffeesatz lesen aber die Wahrscheinlichkeit, dass es jetzt bei dieser speziellen Nebenwirkungen ausgerechnet nach dem zweiten Mal zu einem besonders unangenehmen Ereignisse oder so einer Hirnvenenthrombose kommt, die halte ich für gering. Zumal wahrscheinlich die Genetik eine Rolle spielt. Also wenn das stimmt, was wir da in dem Podcast besprochen, vermutetet haben, nämlich, dass Antikörper gegen diesen Plättchenfaktor vier eine Rolle spielen, dann wäre es so, dass das das wohl auch was mit der


Genetik zu tun hat. Und da würde ich dann sagen jemand, der eine genetische Veranlagung dazu hat, der reagiert da schon beim ersten Mal drauf.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie will endlich auch die Enkel mal wiedersehen.


(16:06)


Hörerin


Mein Mann ist 93. Er hat in den letzten fünf Jahren drei Lungenentzündungen durchgemacht. Wir sind beide zweimal mit BioNTech geimpft worden. Ich bin etwas jünger. Und jetzt möchte unsere Tochter uns aus Heidelberg mit 2 kleinen Jungs, zehn und sechs Jahre alt, besuchen. Ist das sicher? Wir wohnen nicht beengt, wir können schon etwas auf Abstand bleiben. Kann man das mit der Impfung befürworten? Oder ist da noch ein Restrisiko?



Alexander Kekulé


Also Restrisiko ist das richtige Wort. Unter Restrisiko verstehen wir Risiken, die so klein sind, dass man sagt wir vernachlässigen das. Dann ist es ein Restrisiko. Wenn man sagt das nehmen wir in Kauf, weil da kümmern wir uns jetzt nicht darum. Da würden wir uns ja völlig verrückt machen. Das ist so ähnlich, ich sag mal, als wenn man jetzt in den bayerischen Alpen, was eines der erdbebensichersten Gegenden der Welt ist anfangen würde, alle Häuser erdbebensicher zu bauen, wie man das in Tokio er machen würde. Das wäre völliger Wahnsinn. Und deshalb sagt man das Restrisiko eines schweren Erdbebens wird dort einfach in Kauf genommen. Damit müssen wir, glaube ich, leben jetzt im Zuge dieser Pandemie. Und deshalb kann ich nur sagen in dem Fall zweimal geimpft. Die zweite Impfung sollte länger als zehn Tage zurückliegen. Da würde ich sagen, wofür lasse ich mich impfen? Ja, genau deshalb, um meine Enkel wiedersehen zu können. Und das würde ich auf jeden Fall machen. Also dieses Restrisiko, was natürlich immer da ist, das würde ich in dem Fall wirklich empfehlen in Kauf zu nehmen. Die Enkel wollen ja auch ihre Großeltern mal wiedersehen.


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Wenn wir jetzt mit der Impfung es uns nicht erlauben, so ein bisschen Normalität wieder einkehren zu lassen, wann dann?



Camillo Schumann



Nicht nur zu sehen oder auch dann richtig zu knuddeln? Oder sollte man da noch ein bisschen warten?



Alexander Kekulé


Ich bin bei so was eher sportlich. Also ich finde, wenn die geimpft sind, sind die geimpft und fertig. Ja, dann kann da eigentlich nichts mehr passieren. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es ja immer das, was wir diskutieren. Denn wer Sicherheitskonzepte für Altenheime machen, dass jemand, der geimpft ist, also auch jemand, der über 90 ist, der könnte theoretisch kurzzeitig zum Virusträger werden, in dem Sinn, dass er mit einer ganz leichten Erkrankung oder ohne Erkrankung ein paar Tage lang des Virus ausscheidet. So dass so jemand dann andere im gleichen Alter, zum Beispiel im Altenheim, anstecken könnte. Das ist aber wirklich sehr hypothetisch. Da haben wir keine Belege für, aber wir sagen, wir können es nicht ganz ausschließen. Und bei Altenheim sagen wird deshalb, man muss auch diese extrem unwahrscheinliche Möglichkeit im Moment zumindest noch in Betracht ziehen. Aber so im privaten Bereich, gerade wenn ich höre, dass da sogar Abstand gehalten werden kann. Also wenn jetzt nicht die Gefahr besteht, ungeimpfte alte oder ungeimpfte Personen, die ein hohes Risiko haben, aus anderen Gründen anzustecken, dann würde ich sagen kann man sich da völlig ungeschützt verhalten.



Camillo Schumann



Wir haben noch eine praktische Frage von Frau O. zur Impfung


Hörerin


Ich möchte fragen, ob eine lokale Impfreaktion nach der zweiten Impfung, die ja wohl gerade auch bei BioNTech häufiger auftritt, vermieden werden kann, indem man den anderen Oberarm impft beim zweiten Mal?



Camillo Schumann



Man hat ja zwei. Wie praktisch.



Alexander Kekulé


Man kann ja sogar noch den Po impfen. Das wird deshalb nicht empfohlen, weil die Ärzte das eine oder andere Mal da irgendwelche Nerven getroffen haben. Aber nein, das kann man dadurch nicht verhindern. Das ist eine immunologische Reaktion. Wenn die auftritt, tritt sie auf und das hat nichts mit der Seite zu tun, leider. Die geht immer weg. Das ist wirklich ein erstaunliches Phänomen. Das wird in letzter Zeit immer wieder berichtet, dass es Leute gibt, die jetzt in dem Fall mal eine Nebenwirkung von BioNTech und Moderna, also die diese RNA-Impfstoffe machen das. Da gibt es Leute, die haben dann wirklich einen krassen Ausschlag an der Stelle, wo die Impfung passiert ist. Das sind so handtellergroße, riesige Rötungen, wo man wirklich erschrickt, wenn man die Bilder sieht, ist aber immer von selber wieder weggegangen, also nie geblieben. Und was natürlich für einen Virologen ist Interessant ist, dass wir nicht genau wissen, woran es liegt. Man diskutiert, ob das an diesen LipidNanopartikeln liegt an diesen kleinen Fettbläschen, in denen diese RNA verpackt wird. Aber unterm Strich kann man sagen, es ist auf jeden Fall ein immunologisches Phänomen, und deshalb hängt es nicht vom Arm ab. Man soll aber keine Angst davor haben. Es sieht zwar nicht so toll aus, aber wenn man jetzt nicht gerade bei Germany's Next Topmodel einen Termin hat, dann kann man sich darauf verlassen, dass es ganz schnell wieder weggeht.


(2 0:49)



Camillo Schumann



Und Frau L. hat gemailt. Schon stellvertretend für viele junge Eltern fragt sie, ob es Sinn macht, den Selbsttest als Abstrich aus dem vorderen Nasenbereich bei einem anderthalbjährigen zu machen? In der Testanleitung steht ja, dass man vorher ordentlich die Naseschnäuzen muss. Das ist nun nicht möglich, schreibt sie. Würde der Test funktionieren, wenn ich dem Baby vorher die Nase absauge,


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so wie ich es bei Schnupfen mache. Beste Grüße, Frau L.



Alexander Kekulé


Also das Absaugen betrifft ja normalerweise das frische Sekret. Also man saugt ja bei einem Kind jetzt nicht irgendetwas ab, was schon eingetrocknet ist, so dass ich glaube, was da frisch rausläuft, das kann man auf jeden Fall verwenden, wenn man den Eindruck hat, das ist halt eine laufende Nase. Und ich kriege was von dem, was gerade aktuell produziert wurde. Da ist dann das Virus drin. Macht es überhaupt Sinn beim Kleinkind? Ja, da muss man sich bei der Indikation halt überlegen, warum mache ich das jetzt? Ich kann nur noch mal sagen, das steht jetzt nicht in den Beipackzetteln, wir haben ja beim letzten Mal über die Temperatur gesprochen, das steht in dem Beipackzettel, aber was glaub ich, nicht drin steht, ist diese Empfehlung wirklich nicht am ersten Tag sich auf den Test zu verlassen? Also am ersten Tag der Symptome müssen wir einfach davon ausgehen, dass so ein Antigen-Schnelltest mal negativ sein kann. Also wenn ich so ein Kind dann in die Krippe bringen will, zum Beispiel. Dann darf ich nicht sagen, es hat seit heute Morgen Schnupfen, ich mache einen Schnelltest, war negativ, kommt in die Krippe. Da muss ich auf jeden Fall einen Tag warten und am zweiten Tag die Tests machen. Deshalb muss man sich schon überlegen, wann macht es einen Sinn? Und wenn ich sowieso zuhause bin und eigentlich auch nicht die Möglichkeit habe und dass er auch gar nicht will, den Kontakt mit dem Kleinkind zu vermeiden dann muss ich auch nicht unbedingt einen Schnelltest machen. Wenn es keine Konsequenzen hat, kann man sich das Geld sparen.


(2 2 :31)



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 165 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial, vielen Dank. Der Podcast geht jetzt in eine kleine Osterpause. Wir hören uns dann am Dienstag, den 6. April wieder, bis dahin. Bleiben Sie gesund, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Sie auch lieber Herr Schumann! Frohe Ostern. Wir hoffen, dass wir alle von dem Ostersegen des Papstes irgendwie ein bisschen Optimismus dann mitnehmen. Das wäre ja das, was wir weltweit im Moment brauchen.



Camillo Schumann



Und hoffentlich hält sich dann auch das Virus dran. Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf MDR Aktuell.de in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 5. März 2 02 1 #164



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie: Die richtige Lagerung von Schnelltests – Vorsichtig bei niedrigen Temperaturen (14.03.) Impaired performance of SARS-CoV-2  antigendetecting rapid tests at elevated and low temperatures ScienceDirect


Keynote G. Vanden Bossche, Ohio 2 02 1


Why should current Covid-19 vaccines not be used for mass vaccination during a pandemic? (mcusercontent.com)


Donnerstag, 2 5. März 2 02 1


 Wiederüber2 0.000Neuinfektionen,der deutschlandweite Inzidenzwert bei 113. Wie ist die aktuelle Lage zu bewerten?


 Dann:DieweltweiteImpfkampagnesofort stoppen. Der Virologe Geert Vanden Bossche sorgt mit seinen Äußerungen für Aufsehen. Was ist davon zu halten?


Dann: Warum die Umgebungstemperatur bei der Durchführung von Schnelltests enorm wichtig ist.


Und: Welches Medikament sollte man vor einer Impfung einnehmen? Paracetamol, Ibuprofen oder am besten gar nichts?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Ja, also die erweiterte Osterruhe gibt es nun also nicht. Die Kanzlerin hat gestern den Plan gestoppt und sich auch dafür entschuldigt. Und sie hat die Verwirrung, die dadurch entstanden ist, auch auf ihre Kappe genommen. Nicht, weil sie die Idee dieses zusätzlichen Ruhetags am Gründonnerstag schlecht fand – ganz im Gegenteil. Es waren eher organisatorische Gründe. Das Ganze, ja, konnte man so schnell nicht umsetzen. Am Ende stünden Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis. Herr Kekulé, ob jetzt einen Tag mehr oder weniger frei an Ostern: Hätte das wirklich einen epidemiologischen Unterschied gemacht in dieser Situation?


01:37



Alexander Kekulé


Ich glaube nicht. Ich bin jetzt nicht so unglücklich, dass das nicht dazu gekommen ist. Es ist, glaube ich, bei der Bekämpfung der Pandemie kein großer Verlust. Es ging meines Erachtens um das Symbol, um das deutliche Ansagen der Politik: Schaut mal her. Wir machen hier an Ostern sogar zu, damit die Bevölkerung versteht, dass sie sich vernünftig verhalten muss. Ich hatte sowieso die Befürchtung, dass jetzt die Schließung der Geschäfte an Gründonnerstag dann dazu führt, dass man sich also noch mehr drängelt am Ostersamstag. Das wäre ja eigentlich der einzige Effekt gewesen von der antiepidemischen Maßnahme. Und wir haben ja in anderen Situationen – wenn ich jetzt mal an den öffentlichen Verkehr denke – da wird ja richtigerweise, klugerweise das so gemacht, dass man doppelt so viele Verkehrsmittel einsetzt, damit die wirklich leer sind. Da fahren die Straßenbahnen eben häufiger. Und die gleiche Überlegung könnte man ja auch bei Geschäften haben. Also, dass man die einfach länger aufmacht, gestreckt möglichst lange offen hält und dass möglichst wenig Leute reinkommen auf einmal. Und man sozusagen das Gedränge verhindert auf die Weise. Also deshalb, epidemiologisch bin ich nicht unglücklich darüber. Ja, also politisch ist glaube ich klar, dass ich also schon – ohne dass es irgendwas mit Parteipolitik zu tun hat – schon ein Anhänger der Kanzlerin bin bei der ganzen


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Krise. Ich finde, sie war und ist eine Stimme der Vernunft in diesem ganzen Durcheinander – ist ja schon geradezu ein babylonisches Sprachengewirr, was wir haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir nicht in so eine Situation kommen, wo wir dann sagen müssten: Erst hatten wir kein Konzept und jetzt geht uns auch noch das Führungspersonal verloren.


3:2 0



Camillo Schumann



Über Wünsche reden wir gleich nochmal. Kurz nochmal auf Ostern geschaut. Das Kalkül der Politik war, fünf zusammenhängende Tage zu haben – oder einigermaßen fünf zusammenhängende Tage zu haben – wo mal alles runtergefahren wird. Analog der Situation an Weihnachten, als man positive Erfahrungen gemacht hat – so wurde es zumindest kolportiert. Ist das oder wäre es überhaupt vergleichbar gewesen?



Alexander Kekulé


Am Ende des Tages kommt es wirklich darauf an, wie sich die Menschen in ihrem Mikrokosmos verhalten. Und Weihnachten war nicht deshalb erfolgreich bezüglich der Pandemiebekämpfung, weil irgendwelche Maßnahmen da verkündet wurden, sondern weil die Menschen verstanden haben, dass sie vernünftig sein müssen. Familienfest, mehrere Generationen. Da haben die Deutschen sich viel besser verhalten als zum Beispiel die Portugiesen, bei denen nach Weihnachten ja die Fallzahlen durch die Decke gegangen sind. Und auch die Iren. Und deshalb glaube ich, es kommt jetzt wieder auf das Gleiche an. Und wie man das erzeugen kann, dass die Menschen sozusagen immer dann, wenn die Staatsgewalt nicht kontrolliert, sich vernünftig (...) verhalten, das ist eben ein schwieriges Thema. Ich glaube aber, die Message ist angekommen. So oder so. Und auch jetzt mit der Entschuldigung der Kanzlerin, dass man das technisch eben nicht umsetzen konnte, ist glaube ich jedem klar. Es liegt nicht daran, dass man glaubt, dass die dritte Welle nicht so schlimm wird, sondern es hat halt formale Gründe gehabt und wahrscheinlich auch der Widerspruch der Wirtschaft, die natürlich so einen zusätzlichen Feiertag nicht gerne einstecken.


4:49



Camillo Schumann



Sozusagen „Appell an die Vernunft“. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat jetzt – nach dieser Entschuldigung und der Rücknahme dieses Ruhetages an Gründonnerstag – an die Menschen appelliert und auch gesagt, Pandemie könne man nicht bei Politikern abladen. Es handele sich um eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Also hat er damit Recht?



Alexander Kekulé


Ich definiere das ja, ich bezeichne das ja immer als Resilienz oder in dem Fall sozusagen Schwarmresilienz. Also, dass jeder Einzelne quasi in seinem individuellen Verhalten ja mit dem Virus konfrontiert ist. Das ist ja nichts, was draußen vor der Staatsgrenze ist – wie der Feind im Krieg oder das Hochwasser an der Nordsee – sondern das ist etwas, was bei jedem Einzelnen nicht nur an der Tür klopft, sondern in der Wohnung, sozusagen im Privatbereich, auftritt. Und deshalb müssen wir die Resilienz hier auf der individuellen Ebene haben. Und ich glaube, dass das auch so gemeint war. Das Zitat, das Sie gerade gesagt haben.


5:46



Camillo Schumann



Kommen wir nochmal ganz kurz auf die Wünsche zurück. Nach der Entschuldigung der Kanzlerin kommen jetzt immer mehr Ministerpräsidenten und -präsidentinnen aus der Deckung und wollen, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz grundsätzlich ändert, damit sowas eben nicht nochmal passiert. Die Ministerpräsidentenkonferenz soll transparenter werden, kürzer, besser vorbereitet. Ich weiß, Sie sind Virologe, Epidemiologe. Trotzdem mal die Frage an Sie: Was würden Sie sich denn von so einer Ministerpräsidentenkonferenz 2 .0 jetzt im Pandemiegeschehen wünschen?



Alexander Kekulé


Ja, also ich hab ja auch über zehn Jahre die Bundesregierung genau zu solchen Themen beraten. Und da kann ich nur einfach das sagen, was die Schutzkommission, der ich ja angehört habe, damals zu solchen Themen gesagt hat. Das ganz Entscheidende ist, dass man unterhalb der politischen Ebene eine administrative Ebene hat. Also man braucht einen administrativen Apparat. Stellen Sie sich vor, der Minister müsste ohne sein Ministerium regie-


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ren. Die haben ja da zum Teil einige tausend Mitarbeiter. Und ganz ehrlich gesagt, kluge Minister sagen immer: Ich habe eigentlich von dem, was ich da mache, viel weniger Ahnung als die Leitungsebene in meinem Haus, weil Minister sind ja politisch berufen. Und hier hat man so eine klassische Situation, ja. Da sitzen – wenn das stimmt, was kolportiert wurde – einige Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zusammen, so eine kleine Runde aus vier, fünf Leuten. Und die beschließen dann, sie machen an Ostern einen Tag frei. Das war ja wohl so eine Idee dann, keine Ahnung, mitten in der Nacht oder irgendwann ist die geboren worden. Natürlich haben die nicht den Apparat von Rechtsberatern dabei, von Politik, von Wirtschaftsberatern und so weiter. Und deshalb glaube ich – das ist von Anfang an die Forderung, die ich nach wie vor habe – wir brauchen eine Exekutivebene unterhalb der politischen Ebene. Da gab es ja mal diesen Krisenstab im Innenministerium, der wurde ja, glaube ich, zweimal einberufen. Beim ersten Mal habe ich mich ziemlich über ihn geärgert, weil ich ja damals die sogenannten CoronaFerien gefordert habe. Das war quasi der Prototyp eines Lockdowns mit Schließung von Großveranstaltungen und so weiter. Das hat man in dieser Runde abgelehnt. Aber das heißt ja nicht, dass so ein Konzept langfristig schlecht sein muss, dass man einfach Leute aus verschiedenen Bereichen – einschließlich natürlich Wissenschaftlern, aber nicht nur Wissenschaftlern – eine Ebene darunter hat, die sozusagen den Transmissionsriemen dann zur Praxis darstellen. Das würde ich mir jetzt noch mehr wünschen als vorher. Also nicht nur bessere Vorbereitung, dass die – ich meine, jetzt schon das Wort bessere Vorbereitung ist ja so ein bisschen komisch. Das klingt ja so, als wären bisher die Chefs der Staatskanzleien nicht in der Lage gewesen, die Runden vorzubereiten. Ich glaube, die haben sich da schon viel Mühe gegeben. Sondern es geht darum, dass wirklich unmittelbar bei den Entscheidungen – wo ja ad hoc vieles gemacht werden muss, es geht ja nicht anders – wirklich die Profis für die jeweiligen Fachdisziplinen dabeisitzen. Und zwar auch dort ein breiteres Spektrum, nicht nur so ein Virologe, den man dann dazu nimmt und einer vom Robert Koch-Institut oder so. Sondern da braucht man eine breitere Runde,


damit auch am Schluss das dann auch einen breiteren gesellschaftlichen Rückhalt hat. Also diesen Zwischenapparat, den würde ich mir dringend wünschen, dass man den jetzt – in Klammern – endlich einzieht.


8:57



Camillo Schumann



Dieser Zwischenapparat bestand ja bisher aus den Chefs der Staatskanzlei und dem Chef des Bundeskanzleramtes. Die haben das ja vorher ausbaldowert – sag ich jetzt mal in Anführungszeichen – und haben das dann als Beschlussvorlage dann nach Berlin gegeben und das wurde dann dort diskutiert. Am Ende sind es ja dann auch politische Entscheidungen. Sozusagen die Staatskanzleien entmachten und dort ein Gremium bilden?



Alexander Kekulé


Nein, nein. Das ist kein Zwischenapparat, also die Staatskanzleien, das sind ja, die arbeiten ja den MPs [Ministerpräsidenten] (Anm. der Red.) zu, das ist ganz klar. Und die machen das auch sehr gut, also ich weiß, dass die wirklich intensiv Recherche vorher machen. Natürlich auch aus eigener Anschauung. Die versuchen sich da schon ein Bild zu machen. Das Problem ist nur, man hat dann jetzt quasi für jedes Bundesland eine Staatskanzlei plus noch das Kanzleramt und damit liegen sozusagen, wenn Sie so wollen, 16 plus 1 Entwürfe auf dem Tisch hinterher. Und die versuchen sich natürlich – die haben immer vorher Schalten, um sich abzusprechen, das ist ganz klar. Aber da kommt dann der Faktor dazu, dass eben die Chefs der Staatskanzleien 1.) die Sachkunde nicht direkt haben, das ist ja klar und 2 .) natürlich auch die politische Macht nicht haben. Weil am Ende entscheidet immer der Chef, der mit der grünen Farbe, der grünen Tinte im Füller. Das ist immer der, der entscheidet am Schluss. Und wenn dann am Schluss die Entscheidungsträger zusammensitzen, dann ist es natürlich so, dann müssen die ja vieles ad hoc machen. Dann sagt dann ein Ministerpräsident: Ja, bei dem und dem gehe ich nicht mit. Dann braucht man eine Ersatzlösung, vielleicht etwas, was man sich vorher so ausgemalt hat, wo vielleicht die Kanzleichefs dachten, dass wäre eine gute Idee – auch mit ihrem wissenschaftlichen Beraterstab in dem jeweiligen Bundesland, das kommt ja dann noch dazu.


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Jedes Land hat dann seine eigenen Berater. Da muss dann ad hoc in der Situation – meinetwegen nachts um 2 – muss dann irgendwie eine Ersatzlösung her, weil man sich auf irgendetwas nicht einigen konnte. Und in der Lage bräuchten sie die Fachleute nochmal, also da müssen die Fachleute mit dabei sitzen. Und weil eben diese Idee – dass man quasi Vorlagen hat, die dann nur abgesegnet werden – das funktioniert in diesem sehr, sehr dynamischen Geschehen der Pandemie nicht. Das ist dynamisch bezüglich der Fallzahlen, aber es ist eben auch dynamisch bezüglich der Bedürfnisse der Ministerpräsidenten.


11:17



Camillo Schumann



Wir sind gespannt, wie dann die Ministerpräsidentenkonferenz 2 .0 aussehen wird und weil Sie gerade Fallzahlen angesprochen haben, wie dynamisch das Ganze ist. Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Situation. Und da spielt dann auch der Begriff Fachkompetenz wieder eine Rolle. In den vergangenen 2 4 Stunden wurden dem Robert Koch-Institut 5000 Neuinfektionen mehr als im Vergleich zur Vorwoche gemeldet. Insgesamt waren es 2 2 .657 – wieder über 2 0.000. Das letzte Mal hatten wir das im Januar. Die deutschlandweite Sieben-TageInzidenz liegt bei 113. Die Zahl der Menschen, die mit einer Covid-19-Erkrankung auf der Intensivstation behandelt werden müssen, nimmt weiter stetig zu. Stand heute (zum Zeitpunkt der Aufzeichnung): 32 39. NRWMinisterpräsident Armin Laschet fand zu dieser Entwicklung folgende Worte:


„Und wir alle hatten die Hoffnung aus der Erfahrung des letzten Jahres, dass – wenn der Frühling kommt, es wärmer wird – die VirusAnsteckungen zurückgehen und die Zahlen sinken. Und wir erleben im Moment genau das Gegenteil. Das ist nervig.“


Das ist nervig. Der Frühling hat noch gar nicht begonnen. Herr Laschet scheint von der aktuellen Entwicklung ja ziemlich überrascht zu sein. Aber ich persönlich kann die Stimmen gar nicht zählen, die vor dieser Situation, wie wir sie gerade erleben, gewarnt haben.



Alexander Kekulé


Das ist ein gutes Beispiel für das, was ich vorher gesagt habe. Wissen Sie, wenn jetzt Herr


Laschet das in seiner Runde gesagt hätte, wo Fachleute dabei sind – und ich gehe davon aus, das glaube ich schon. Also ich war noch nie dabei natürlich, bei so einer MP-Runde [Ministerpräsidentenrunde] (Anm. der Red.). Aber hinterher kriegt man auch Erzählungen von Leuten, die drinnen waren und die reden da schon offen miteinander, so ist das nicht. Und wenn Laschet so was in einer Runde sagen würde, wo die Fachleute da drin sitzen, die würden ihn dermaßen rupfen, dass das Argument tot ist. Und es kann dann schon sein, dass die anderen Politiker fachlich bei sowas nicht durchblicken. Ja, das ist ja auch völlig in Ordnung. Also ich möchte ja auch kein Politiker werden. Aber es ist so, dass, wenn so ein Politiker sieht, okay, da sitzen drei Epidemiologen, drei Virologen und noch ein paar andere, die sich mit so etwas auskennen, zusammen. Und die sagen alle: Lieber Herr Laschet, an der Stelle irrst du dich, das ist viel zu früh für diese Sommer-Entlastung. Und wir sehen ja weltweit um diese Jahreszeit jetzt das wieder Ansteigen der dritten Wellen. Und dann hätte er so einen Unsinn nicht gesagt, wie das, was Sie gerade vorgespielt haben. Und das heißt, es würde auch die Politiker dann glaubwürdiger machen, weil sie einfach nachprüfbare, belegbare Daten sozusagen liefern, der Faktencheck würde dann häufiger zu ihren Gunsten laufen. Und es wäre, glaube ich, für die Qualität der Ergebnisse besser. Also ja, das ist völlig klar, das muss man, glaube ich, in diesem Podcast nicht noch einmal erklären. Das wird so sein – ich will mal was Positives sagen: Es wird so weitergehen, dass wir nicht diese Inzidenz bekommen, die in der ZEIT kolportiert wurde, angeblich Basis der Entscheidung in der Ministerpräsidentenrunde war. Die ZEIT hat ja geschrieben, ZEIT ONLINE hat ja geschrieben, dass dort Zahlen auf den Tisch gelegt wurden, dass es bis Mai zu einer Inzidenz von bis zu 2 2 00 pro Woche, also [es bis zu einer] (Anm. d. Red.) 2 2 00er Wocheninzidenz gehen kann. Also jetzt reden wir ja noch von hundert oder 2 00er-Notbremsen, also 2 2 00. Und ich habe dann darum gebeten, dass ich die Folien bekomme. Da ist mir gesagt worden, das ist vertraulich gewesen. Also hat das Robert Koch-Institut der ZEIT-Redaktion offensichtlich vertraulich mitgeteilt. Aber ich gehe einfach davon aus, dass das stimmt. Und es ist so, dass ich nicht, das kann ich überhaupt


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nicht teilen. Ich verstehe nicht, warum das Robert Koch-Institut mit solchen Zahlen arbeitet. Ich will da viel optimistischer sein. Ich glaube, wir können die dritte Welle nicht vermeiden. Es wird so sein, dass wir jetzt in die dritte Welle reinlaufen. Es wird auch so sein, dass – egal, was wir jetzt machen – das nicht verhindert, dass die Fallzahlen weiter ansteigen. Und ich habe, wenn Sie so wollen, drei Hoffnungen. Also Nummer 1, dass die Inzidenz nicht einmal annäherungsweise in diesen Bereich über 2 000 gehen wird, womit das RKI [Robert Koch-Institut] (Anm. d. Red.) quasi kalkuliert offensichtlich. Zweitens ist meine große Hoffnung, dass es diesmal weniger Tote geben wird. Die Intensivstationen werden wieder belastet werden, auch deshalb, weil man natürlich, wenn man viele Kapazitäten hat – auch wenn wir früher nie von Triage in Deutschland gesprochen haben – wenn man viele Kapazitäten hat – wie wir im Moment – dann nimmt man jemanden eher mal auf die Intensivstation, als wenn man eher knapp ist. Also ich glaube, dass man da durchaus großzügiger sein darf, wenn man nicht komplett voll gelaufen ist. Und das machen die meisten Krankenhäuser natürlich so. Das heißt also, wir werden einen deutlichen Anstieg bei den Intensivfällen haben. Und meine Hoffnung ist dadurch, dass eben großzügiger da verlegt wird und auch natürlich die Menschen jünger sind. Das heißt, früher oder später dann wieder wegkommen von der ITS [Intensivstation] (Anm. d. Red.) und zwar nicht mit den Füßen nach vorne, sondern quasi lebendig. Das hätte zur Folge, dass wir eine kleine Entkopplung eben haben, von der Sterblichkeit, von der Fallzahl. Alles andere kann ich mir nicht vorstellen, nachdem ja jetzt auch angeblich in den Heimen quasi nahezu vollständig geimpft wurde. Und meine dritte optimistische Osterbotschaft, hätte ich schon fast gesagt, ist die: (...) Ich glaube wirklich fest daran. Das Wort „glauben“ ist hier aber auch das Richtige. Ich glaube fest daran, dass es für Deutschland die letzte Welle war. Danach werden wir das mit diesen Schnelltests auf die Reihe kriegen. Danach werden wir diese traurige Zahl von immer noch unter 300.000 Impfungen pro Tag hinbekommen. Vielleicht wird auch AstraZeneca halbwegs exkulpiert. Ja, das steht jetzt noch mit einem Fragezeichen im Raum. Und dann


kommt dann wirklich der Sommer und bis es dann im Herbst wieder die theoretische vierte Welle geben würde – bin ich jetzt aber wirklich mal optimistisch – haben wir das Ganze im Griff.



Camillo Schumann



Da kann dann auch Armin Laschet ganz beruhigt sein. Es gibt ja so ein paar Parameter, die zumindest, die man mit in diese Interpretation reinnehmen könnte. Wir schauen uns mal so ein paar Zahlen an. Hospitalisierungsquote, Anteil der Verstorbenen – da gibt es ja so ein dynamisches Dokument des Robert KochInstituts. Und da sind folgende Zahlen für die Kalenderwoche 11: Die Hospitalisierungsquote bei fünf Prozent und der Anteil der Verstorbenen bei 0,15 – so niedrig wie noch nie. Jetzt sind das natürlich – gerade Hospitalisierungsquote und Anteil der Verstorbenen – ein Blick, ja, ich sage mal drei bis fünf Wochen zurück. Da hatten wir Infektionszahlen von zwischen 50.000 und 60.000 pro Woche. Wie würden Sie dieses Verhältnis bewerten?


18:03



Alexander Kekulé


Ich glaube, das kann man bis jetzt noch nicht wirklich auswerten, weil es tatsächlich immer noch zu kurz ist. Und zwar, also, ich möchte es mal so rum sagen. Also die Zahlen schließen nicht aus, dass es genau so kommt, wie ich es gerade gehofft habe. Nämlich, dass die Sterblichkeit nicht so hoch wird wie in der ersten und zweiten Welle. Dass es sozusagen – bezüglich der Sterblichkeit – eine schwache Welle wird. Bezüglich der Inzidenz wird es nochmal eine starke Welle geben. Das ist eine begründete Hoffnung, auch auf Basis dieser Zahlen. Allerdings muss man warnen: Wenn Menschen auf die Intensivstation kommen – im Durchschnitt – die etwas jünger sind, dann bleiben die eben einfach länger da liegen. Sodass bis zu dem Moment, wo man sieht, jawohl, wir haben den jetzt gerettet, es einfach länger dauert. Und daher gibt es eine Verzögerung bei den Sterblichkeiten. Also, wenn die Leute da fünf Wochen auf der Intensivstation liegen, dann dauert es natürlich länger, bis man wirklich weiß, ob man da einen Effekt hatte.


19:01



Camillo Schumann



Weil Sie gesagt haben, wir müssen, wir brau-


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chen den Lockdown definitiv – nicht wie Herr Wieler sagt – um die Pandemie komplett zu stoppen, sondern um zu brechen. Jetzt natürlich die große Frage: Wie geht es nach Ostern weiter? Die Bundesländer planen Öffnungsschritte nach Ostern trotz steigender Inzidenzen. Und zwar planen sie Öffnungen verbunden mit Schnelltests, Sachsen zum Beispiel. Da sollen Besuche in Tierparks mit negativem Test möglich werden, auch körpernahe Dienstleistungen. In Bayern soll es acht Teststädte geben, die bei höheren Inzidenzen – deutlich über hundert – ab dem 12 . April 2 Wochen lang mit Testpflicht mehr öffnen können. Also nach Ostern geht es so langsam los.



Alexander Kekulé


Also das finde ich eigentlich eine sehr vernünftige Variante, das so zu machen. Ich hoffe auch immer, dass – bezüglich der Schulen ist da ja gemeint: nach den Osterferien. Also da ist ja nicht direkt das Osterwochenende, sondern dann üblicherweise sind danach nochmal eine Woche lang Ferien. Und ich glaube, es ist sehr vernünftig, das an einzelnen Orten auszuprobieren. So, wie ich mich ja schon oft dafür ausgesprochen habe, nicht überall die Schulen zugleich aufzumachen, sondern erstmal zu gucken, was passiert. Dann hätte man jetzt zum Beispiel diesen aktuellen Anstieg im Frühjahr sicher nicht in dieser Weise gehabt. Ja, das ist ja quasi synchron zur Öffnung der Schulen gewesen. Und da weiß ich nicht, ob ich der Einzige war, aber da haben ja wahrscheinlich einige andere auch gesagt, dass es nicht sinnvoll ist, das alles auf einmal aufzumachen, sondern vielleicht irgendwo probeweise. Und hier sagt man jetzt: Wir machen das probeweise. Mir gefallen diese Konzepte sehr gut. 




Also, da gibt es ja Tübingen zum Beispiel, das ist bekannt. Wo der Oberbürgermeister ja schon lange so eine Linie fährt, die man fast quasi mit Smart-Strategie unterschreiben könnte. Dann gab es früher, wenn wir uns erinnern, die Beispiele, wo die Bürgermeister von Jena zum Beispiel Anordnungen getroffen haben. Ich muss natürlich auch betonen, dass auch Halle unter den allerersten war, die damals die Schule geschlossen haben. Die Stadt Halle hat die Schule, die Schulen geschlossen, bevor Bayern damals das beschlossen hat. Und ich glaube, Rostock hat auch so ein Pilotprojekt im Moment. Also, das sind alles ganz sehr, sehr ver-


nünftige Maßnahmen. Und das ist ganz interessant, finde ich, weil wir haben ja über „Command and Control“ gesprochen, Concept „Command and Control“. Es ist so, dass man eigentlich auf dieser regionalen Ebene, auf dieser kommunalen Ebene, da können die Bürgermeister und Landräte sowas noch. Fast hätte ich gesagt, die sind dann so ähnlich wie der Staatschef in China für sein ganzes Land, obwohl man das natürlich jetzt politisch nicht vergleichen darf. Aber dieser Luxus, dass da jemand sagt: Ich mache eine sogenannte Allgemeinverfügung – das sind ja dann die Instrumente, die da zur Verfügung stehen, im Verwaltungsverfahren, im Verwaltungsrecht – der macht eine Allgemeinverfügung und Peng, dann gilt das Ding. Solange die Gerichte es nicht irgendwo kassieren. Und das ist eigentlich eine gewisse Parallele, dass Staaten, die also für einen ganzen Staat einfach durchregieren können – die waren ja extrem erfolgreich zur Menge, sofern es dann oben an der Spitze natürlich ein wissenschaftlich gut beratener und kluger Staatschef war. Aber solche Beispiele gibt es ja viele. Und das Gleiche sehen wir auf der kommunalen Ebene, wo eben dann der Bürgermeister und der Landrat so was einfach mal ausprobieren kann. Darum bin ich also sehr für diese Projekte und als Wissenschaftler freut man sich natürlich, wenn etwas erstmal im Kleinen ausprobiert wird, bevor man es dann für ganz Deutschland anwendet.


2 2 :2 9



Camillo Schumann



Was ich mich frage: Dann wird es auch, ja, mit den kommenden Wochen dann immer wärmer und man hat das dann ausprobiert. Und hat man das nicht möglicherweise dann auch ein bisschen zu spät ausprobiert? Dass es dann so Richtung Sommer geht und wir dann quasi analog das haben, oder bekommen werden – was wir letztes Jahr hatten. Und dann spricht dann überhaupt keiner mehr über diese Modellprojekte, weil es uns dann sowieso nicht mehr interessiert?



Alexander Kekulé


Das kann sein, dass es so läuft, wie Sie jetzt sich ausmalen. Dass man vielleicht gar nicht mehr in diese Auswertungsphase kommt, weil wir insgesamt einen Rückgang haben der Fälle und das ist ja immer das Problem. Wenn die


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Fallzahlen ansteigen, dann wird diskutiert: Woran lag es jetzt? Ja, lag es daran, dass ich die Schulen geöffnet habe und die Pubs geöffnet habe? Oder lag es an der Mutante? Wenn jetzt die Fallzahlen runter gehen, dann sagen ganz viele Politiker: Schaut mal, wie toll mein Konzept war. Und so ein Faktor wie die wärmere Jahreszeit ist dann schwierig mit rein zu rechnen. Und ehrlich gesagt – weil man ja hier letztlich immer auf Beobachtungsstudien angewiesen ist – man kann da kein kontrolliertes Experiment machen. Bei solchen Dingen wird es wahrscheinlich genau, wie Sie sagen, dann in der nächsten Pandemie wieder diskutiert werden. Ich liebe ja immer den Vergleich zu der Situation in New York 1918 bei der Spanischen Grippe. Da gab es eine Riesendiskussion des damaligen New Yorker Bürgermeisters, der gesagt hatte: Ich will die Schulen und Theater offen lassen. Und er hat es zum Teil auch gemacht. Und dann sind die Fallzahlen hochgegangen. Und dann haben alle anderen gesagt: Mensch, du bist ja wahnsinnig, du bringst deine Leute um. Und paar Wochen später sind sie wieder runter gegangen – wie das halt so ist bei einer Welle. Und daraufhin hat er gesagt: Ja, schaut mal her. Es war nicht so schlimm, dass ich alles offen gelassen habe. Und diese Diskussion ist so eins zu eins das Gleiche, was wir heute machen. Also ich schätze, das wird bei der nächsten Pandemie wieder so ähnlich sein.


2 4:19



Camillo Schumann



Es gibt wieder Neuigkeiten zum Impfstoff von AstraZeneca. Erst gab es ja Berichte über Blutgerinnsel nach Impfung, dann wurden Daten einer Studie zwischenveröffentlicht. Darin gab es auch starke Zweifel der US-Behörden. Wir haben im Podcast am Dienstag ja schon darüber berichtet. Und jetzt gibt es wieder Neuigkeiten, denn AstraZeneca hat nachgelegt und muss nun auch noch seine Wirksamkeit nach unten korrigieren. Aber der Reihe nach. Es gab ja sozusagen einen schon handfesten Zwist.



Alexander Kekulé


Ja, also der Streit, den wir am Dienstag kurz angerissen haben, kleines Update dazu. Kurz danach war es dann so, dass AstraZeneca – also Vorgeschichte war ja: Am Montag hat AstraZeneca gesagt: Wir haben 79 Prozent


Wirksamkeit bei unserem Impfstoff bezüglich der Erkrankung, fast 80 Prozent. Und das klang ja super. Und das war der lang ersehnte Befreiungsschlag sozusagen, um aus der zweiten Klasse der Impfstoffe in die erste Klasse zu kommen. Und dann kam sofort danach leider dieses Data Safety Monitoring Board und hat gesagt: Das stimmt alles gar nicht und legt erstmal die richtigen Zahlen auf den Tisch. Was ein extrem ungewöhnlicher Schritt war, muss man einfach sagen. Höchst ungewöhnlich, kann ich gleich noch etwas dazu sagen. Und dann (...) kam die Washington Post und hat am Dienstag dann eben gesagt: Wir kennen den Brief, den das Data Safety Monitoring Board an AstraZeneca geschrieben hat. Und das war dann eigentlich noch schlimmer für AstraZeneca. Und zwar, ich geh einfach davon aus, dass die Washington Post da das richtig recherchiert hat. Zur Erinnerung, das waren auch die, die den Watergate-Skandal damals aufgedeckt hat mit Präsident Nixon, also diese Zeitung, die wirklich in der Recherche extrem gut ist, die hat dann gesagt, es ist folgendermaßen gelaufen: Das Data Safety Monitoring Board hat AstraZeneca vorher im Vertrauen in mehreren Sitzungen und auch schriftlich eben gesagt: Diese Daten könnt ihr so nicht veröffentlichen. Die sind zu hoch. Nach dem, was wir hier sehen, habt ihr höchstens eine Wirksamkeit von 69 bis 74 Prozent. Also ich sage mal so grob in der gleichen Größenordnung, wie es schon immer war bei AstraZeneca – auch in der ersten Studie. Und wir wollen nicht, dass ihr da sozusagen anders rechnet, weil die Diskussion war vorher schon entbrannt quasi zwischen diesem Board und AstraZeneca. Man muss vielleicht erklären: Dieses Data Safety Monitoring Board in Amerika, das ist eine Besonderheit. Und zwar, die gucken in die Zahlen rein, während eine Studie läuft. Solche Studien sind ja Doppelblindstudien, diese Zulassungsstudien. Das heißt, weder der Arzt oder auch der Hersteller noch die Patienten wissen, ob sie das richtige Medikament bekommen haben. Und zu vorher definierten Zeitpunkten werden diese Studien, wie man sagt, geöffnet oder entblindet – und zwar meistens teilweise in einzelnen Schritten. Das will man vorher auf keinen Fall machen. Hauptsächlich, um zu verhindern, dass jetzt die Leute, die in der Kontrollgruppe sind, plötzlich wissen, dass sie da


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drin sind oder das – aus verschiedenen Gründen funktioniert die Studie dann nicht mehr. Und jetzt könnte ja sein, dass in diesem Zeitraum plötzlich schwere Nebenwirkungen auftreten oder irgendein Problem auftritt, wo man sagt: Das ist ganz fürchterlich, dass wir das nicht gewusst haben, hinterher. Und deshalb gibt es in den USA – das ist eine Einrichtung, die es bei uns in Europa nicht so in der Art gibt, dieses Data Safety Monitoring Board. Das sind die Leute, die wirklich quasi unter den Teppich gucken können. Die ganze Zeit. Die sehen die Daten in Real Time, was der Hersteller nicht weiß und natürlich die Leute, die die Studien machen, auch nicht, um zu überwachen, dass nicht irgendwas passiert. Es könnte zum Beispiel im positiven Sinn auch sein, dass man während der Studie feststellt: Die Wirksamkeit ist 100 Prozent. Und es ist deshalb total unethisch, die Kontrollgruppe weiterhin mit Kochsalzlösung zu impfen. Und solche Dinge, die überprüfen die. Also das sind wirklich die Leute, die wissen, was los ist. Und die haben AstraZeneca gesagt: Wir rechnen aber anders als ihr, ihr könnt es so nicht publizieren. Das heißt, die Leute, die es wirklich besser wissen als der Hersteller. Und daraufhin ist quasi als Reaktion daraufhin – anders kann man das nicht erklären – AstraZeneca an die Presse gegangen und hat seine Daten, die also im Widerspruch zu dem stehen, was das Safety Monitoring Board erklärt hat, öffentlich gemacht (...). Lange Rede, kurzer Sinn. Unterm Strich ist es so: Jetzt beruhen die neuen Daten auf angeblich 190 Fällen, die AstraZeneca ausgewertet hat. Beim letzten Mal waren es nur 141 und die Studie – nochmal zur Erinnerung – hat 32 .449 Teilnehmer, also gut 32 .000 Teilnehmer, davon 2 Drittel geimpft mit dem Impfstoff. Und auf dieser Basis sieht es jetzt so aus, sagt zumindest AstraZeneca jetzt wiederum – ohne die Daten im Detail vorzulegen – dass sie eben nur noch 76 statt 79 Prozent hätten. Aber trotzdem wäre das natürlich super.


2 9:17



Camillo Schumann



Für den Normalanwender, wenn der hört: Wirksamkeit von 79 auf 76 Prozent. Das sind drei Prozentpunkte. Ja, mein Gott, ist doch gar nicht so viel. Wo ist jetzt das Problem?



Alexander Kekulé


Es ist genau, was Sie sagen. Also erstens, das Problem ist Folgendes: Bei den, auch bei den neuen Zahlen ist es wieder so, dass jetzt kursiert, dass da es zwölf Fälle gegeben hätte. Ich glaube, zwölf waren es in der Größenordnung, jedenfalls unter 2 0 Fälle. Das heißt Personen, die sich infiziert haben, die jetzt auch in diesen neuen Zahlen noch nicht eingerechnet wurden. Und man hat jetzt immerhin 190, das finde ich, ist schon eine ganz stramme Zahl – bei 32 .000 Probanden insgesamt 190 Fälle. Keiner weiß aber, wie viele davon jetzt geimpft waren und wie viele davon ungeimpft waren, sodass man nicht – so wie bei den Studien von Moderna, wo wir das ja besprochen haben – sozusagen den Quotienten bilden kann und dann selber nachrechnen kann, ob das stimmt, weil AstraZeneca diese Zahlen nicht rausrückt. Und das Wichtigste dabei ist eigentlich Folgendes: Also ich kann ja einfach mal sagen, was ich jetzt persönlich [denke] (Anm. d. Red.) – das ist natürlich ein bisschen mit Vorsicht zu genießen. Aber meine Bewertung ist letztlich die: Es wird da bleiben wie bisher. AstraZeneca ist irgendwo im Bereich von 70 Prozent wirksam, schlechter als die RNA Impfstoffe. Vielleicht sind es auch 75 Prozent. Aber es wird deutlich unter den 95 Prozent von Moderna oder BioNTech/Pfizer bleiben. Es ist trotzdem natürlich ein hervorragender Impfstoff, weil: Es kommt ja nicht nur auf die Wirksamkeit bezüglich der Erkrankungen an, sondern es kommt auf die Frage an: Kann ich Todesfälle verhindern? Das ist ja das Entscheidende. Und da sind alle diese Impfstoffe extrem gut. Das heißt also, das ist eigentlich – und das zweite Wichtige ist: Mit den neuen Daten ist eigentlich völlig klar, dass auch die Alten gut geschützt sind. Also das es wirklich keinen großen Unterschied oder keinen messbaren Unterschied zwischen Jungen und Alten gibt bei diesen Impfstoffen – bei AstraZeneca genauso wie bei den anderen Impfstoffen. Das heißt, man kann diesen Impfstoff auf jeden Fall bezüglich der Alten einsetzen. Das ist die gute Nachricht und die schlechte Nachricht oder das Fragezeichen ist letztlich: Wir müssen ja bezüglich der beobachteten Nebenwirkungen, da gab es ja diese seltenen Nebenwirkungen. Wenn man die Daten aus Norwegen sich anschaut, da sind inzwischen fünf Fälle aufgetreten bei 12 0.000 Geimpften.


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Von den fünf sind drei gestorben. Alles, glaube ich, junge Frauen. Und das gibt aber dann ein Risiko von eins zu 2 5.000 ungefähr. Das heißt also, Kollege von mir hat ja immer gesagt, das Risiko ist höchstens eins zu 100.000. Jetzt haben wir in Norwegen, wenn wir das runterrechnen, schon eins zu 2 5.000. Das heißt, wir kommen langsam in so einen Bereich, wo man schon darüber nachdenken muss: Wie wichtig ist diese Nebenwirkung? Schließt man vielleicht bestimmte Gruppen aus, wenn man es irgendwie kann? Da sind wir extrem darauf angewiesen, dass AstraZeneca – wenn ich es mal so sagen darf – die Hosen runterlässt und dass man wirklich die Zahlen sieht und dass man denen wirklich auch glaubt. Und die amerikanische Zulassungsbehörde, die FDA, die macht es so, dass sie sich die Zahlen selber anschaut. Also die gucken selber in die Originaldaten rein und machen sich selber ein Bild davon. Anders als die EMA, die europäische Behörde. Die trifft ihre Entscheidung auf Basis der Daten, die der Hersteller vorgelegt hat. Und aus diesem Grund – weil einfach aus Dingen, die ich jetzt nicht nochmal rekapitulieren will, weil es inzwischen so eine lange Liste ist – weil AstraZeneca einfach sehr, sehr viele Fehler gemacht hat, zumindest in der Kommunikation. Vielleicht kann man auch sagen, sie haben die Zahlen bisschen hingebogen. Es ist einfach extrem wichtig für alle Fachleute, die sich da auskennen – auch international – dass die amerikanische Zulassungsbehörde, die jetzt unabhängig in die Zahlenreihen schaut, dass die Grünlicht gibt, und zwar möglichst bald. Aber das wird aufgrund dieser Versäumnisse jetzt länger dauern. Und in über 100 Ländern ist der Impfstoff zugelassen. AstraZeneca hat sich ja immer positioniert – und das auch zu Recht – als Impfstoff für die Welt, weil er eben bei niedrigen Temperaturen gelagert werden kann, billig ist. Die wollten ja auch einige hundert Millionen Dosen an COVAX verschenken. Also an diese Organisation, die den Entwicklungsländern hilft. Das wäre also weltweit extrem wichtig, dass dieser Impfstoff quasi seine Reputation wieder gewinnt. Und das kann er nur, wenn die amerikanische Gesundheitsbehörde noch einmal unabhängig bei ihrer Prüfung – also die FDA – zu dem Ergebnis kommt: Jawohl, der Impfstoff ist sicher wirksam und vertretbar. Und da habe ich jetzt die Befürch-


tung, dass das einfach viel länger dauern wird. Die ganze Studie ist ja gemacht worden, weil die FDA gesagt hat: Wir glauben euch das nicht, wir wollen weitere Daten. Und jetzt hat man die Daten und hat es an der Stelle so wieder in die falsche Richtung gesteuert. „Oops, I did it again“, sagt man auf Englisch dazu. Das heißt, die Frage ist jetzt wirklich, wie die FDA reagiert. Und ich würde sehr, sehr hoffen, dass wir zumindest im Laufe des Monats Mai – das ist optimistisch gesagt – von der FDA die Zulassung bekommen in den USA. Das wäre dann das Zeichen, dass AstraZeneca – wenn ich es mal so sagen darf – von der zweiten Klasse in die erste Klasse aufgestiegen ist.


34:17



Camillo Schumann



Tja, und damit dann auch in Deutschland das Vertrauen wieder steigt – weil es gibt ja Meldungen, dass zig Tausende Dosen AstraZeneca, zum Beispiel auch in Berlin, auf Halde liegen. Da sind Hunderttausende Einladungen verschickt worden, aber die Menschen lassen sich nicht impfen. In dem Fall waren das eben jüngere Menschen, Krankenhauspersonal, Polizisten etc. Also die lassen sich mit AstraZeneca nicht impfen, weil sie eben kein Vertrauen in diesen Impfstoff mehr haben. Und deswegen wäre sozusagen das Signal aus Amerika dann wichtig. Und dann müssten wir dann auch hier im Podcast dann auch nochmal ausführlich darüber sprechen und das dann auch nochmal einordnen.



Alexander Kekulé


Ich habe ja hier auch nicht die Zahlen alle auf dem Tisch liegen, weil die sind vertraulich. Auch das Paul-Ehrlich-Institut hat da nicht alle Details, die EMA eben auch nicht. Und wenn Leute aus den USA, die echte Profis sind – man kann sagen, in der Welt die besten, die sowas machen – wenn die da drüber gehen und sagen: Okay, wir haben es uns nochmal angeschaut. Die Kommunikation war Mist, das wird ganz klar so bleiben, ja, aber die Zahlen sind vertrauenswürdig. Wir lassen das Ding jetzt zu für die USA. Das wäre dann für mich wirklich etwas, wo ich sagen muss – da bin ich dann auch bei meiner Beurteilung – auf jeden Fall kann ich jetzt schon sagen, würde ich da umstimmen.


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35:2 9



Camillo Schumann



Oder am besten gar nicht impfen und die angeborene Immunität, der das Ganze überlassen. Damit sind wir bei einem Mann, über den gerade gesprochen wird: Geert Vanden Bossche. Er hat, ja, sehr zugespitzte Aussagen getätigt, die im Netz sehr geteilt werden. Man kann sagen, er geht viral. Seine Aussagen werden hunderttausendfach geteilt und auch sehr viele Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts schreiben uns und wollen wissen, wie seine Aussagen einzuordnen sind. Denn er sagt nämlich, man müsse die weltweite Impfkampagne sofort stoppen. Erst einmal grundsätzlich: Wer ist Geert Vanden Bossche? Er ist Virologe, hat sich jahrzehntelang mit der Produktion von Impfstoffen beschäftigt, tut es immer noch, hat auch für die Bill und Melinda Gates Gesundheitsstiftung gearbeitet. Also ein Mann, der jetzt nicht unbedingt im Verdacht steht, Impfstoffen kritisch gegenüberzustehen. Kennen Sie ihn? Was wissen Sie über ihn? Wie wird er in der Wissenschaft diskutiert und wahrgenommen?



Alexander Kekulé


Also, ich kannte ihn überhaupt nicht vorher und es gibt jetzt natürlich Leute, die – weil er so Richtung Impfgegner oder Impfkritiker argumentiert – die sagen, dass er eigentlich bisher nicht viel Wichtiges gemacht hat in der Szene. Aber ich würde jetzt, bin immer dagegen, das so an Vorurteilen an der Person festzumachen, sondern man muss wirklich sich die Argumente anhören. Es kann auch sein, dass so eine Idee gut ist. Man muss sich wirklich die Argumente anschauen und nicht die Person.


36:49



Camillo Schumann



Das wollen wir mal gerade so ein bisschen machen, um es zumindest einzuordnen, wo seine Argumentation hingeht. Geert Vanden Bossche hat auf einer Keynote in Ohio einen Vortrag gehalten und auch einen offenen Brief an die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, geschrieben. Und er kritisiert die Massenimpfung mit den neu entwickelten Impfstoffen bei den jungen Menschen. Grundsätzlich sind die Impfungen völlig okay, sagt er. Das waren hervorragende Wissenschaftler, die diese Impfstoffe entwickelt haben. Und es soll auch ge-


impft werden. Aber es sollen die Menschen geimpft werden, die ein besonders hohes Risiko haben, an der Krankheit Covid-19 zu sterben. Alle anderen bitte nicht impfen. Er fordert nicht weniger, als die Impfkampagnen zu stoppen. Wenn dies nicht geschehe, sagt er, würden sich viel infektiösere Virusvarianten nur noch verstärken und schließlich ein Massensterben der Menschen verursachen. Sehr pointiert zugespitzt. Herr Kekulé, Sie waren ja auch überrascht, dass sich so schnell Mutationen gebildet haben. Sie dachten ja auch, dass so in ein, 2 Jahren das Ganze passieren könnte. Wir erleben auch Immunescape-Varianten, so unrecht scheint ja Vanden Bossche ja nicht zu haben. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, also alle Verschwörungstheorien haben ja ein Fünkchen Wahrheit in sich und knüpfen zumindest an wirkliche Begebenheiten an. Und das macht es ja auch immer so schwierig, auseinander zu dividieren. Also was stimmt, ist, dass – und das ist ja so seine Kerntheorie – dass er sagt: Wenn ein Virus auf Menschen trifft, die immun sind oder teilimmun sind, dann verändert es sich und wird anders, wird infektiöser. So weit, so gut. Das ist richtig. Da haben Sie völlig Recht, dass das so schnell passiert ist, würde ich jetzt, ist für mich eine der größten Überraschungen in dieser Pandemie gewesen. Das andere ist aber jetzt die Frage: Haben wir irgendwelche Hinweise darauf, dass dieser Impfstoff – und das ist ja seine Theorie – dass dadurch 1.) das Virus auch gefährlicher wird? Also, weil es auf Geimpfte trifft, wird es gefährlicher, als wenn es auf natürlich Immunisierte treffen würde. Da kann man nur sagen: Nein, das ist überhaupt nicht ansatzweise irgendwo belegt. Aber das ist der Kern seiner ganzen Idee. Er sagt: Indem wir impfen, geben wir dem Virus die Chance, irgendwie sich so zu verändern, dass es gefährlicher wird. Also nicht ansteckender, sondern gefährlicher. Und das ist einfach Unsinn. Ja, also das wird auch überhaupt nirgendwo belegt, sondern im Gegenteil. Es ist ja so, dass die Viren im Laufe der Zeit – sozusagen im Wechselspiel mit dem Immunsystem der Bevölkerung – eher langsam abnehmen an Gefährlichkeit. Vanden Bossche meint ja, es wird gefährlicher im Sinne, dass die Menschen mehr daran sterben. Das war ja so seine Idee. Und er hat auch einen Mecha-


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nismus dafür, er hat quasi eine Theorie dafür, weil er sagt: Was wir kaputt machen mit der Impfung – das ist die zweite Säule seiner Argumentation – was wir kaputt machen mit der Impfung ist ja die natürliche, also die angeborene Immunität. Also er unterscheidet da so ein bisschen schematisch nach der angeborenen Immunität und der adaptiven Immunität. Also der Antikörper und T-Zellen auf der einen Seite – das ist dann die adaptive – und der natürlichen Immunität, die auch Kinder haben, ohne Antikörper auf der anderen Seite. Und er sagt: Wenn wir quasi durch die Impfung dafür sorgen, dass es Antikörper gibt – um es mal so schematisch zu sagen – dann nehmen wir dem Körper die Möglichkeit, diese angeborenen Immunabwehrmechanismen auszuleben oder zu verbessern. Und er sagt sozusagen, dieses angeborene Immunsystem, das muss gut trainieren. Und dahinter steht – wenn man die Diskussion kennt – eigentlich so ein uraltes Argument der Impfgegner. Die sagen letztlich immer: Unsere natürliche Immunität ist viel besser als alles, was die Pharmaindustrie liefern kann. Und man macht durch diese Medikamente und durch diese Impfungen – das gibt es ja auch bei Schutzimpfungen im Kindesalter das Argument immer, das gesagt wird, indem wir da impfen, dann machen wir bei den Kindern die natürliche Immunität kaputt und dann wird alles viel schlimmer. Aber das ist ja eine Diskussion, die ist uralt und da gibt es überhaupt keine Belege in der Richtung, obwohl schon sehr, sehr lange danach geforscht wird. Und auch in diesem Fall kann ich nur sagen: Es ist völlig im luftleeren Raum, was er da argumentiert.


40:59



Camillo Schumann



Also, die vulnerablen Gruppen zu impfen und die Jungen nicht zu impfen und ihnen, ja, die Möglichkeit geben, sich selber anzupassen, ist sozusagen völlig abwegig?



Alexander Kekulé


Naja, es ist deshalb nicht ganz abwegig, weil wir zu wenig Impfstoff haben. Zum einen und zum anderen, weil das ja, das ist ja klar. Also ich bin ja absolut dafür, das wissen Sie, nur einmal die Alten zu impfen und fertig und dann zu warten, bis die Generation 2 .0 bei den Impfstoffen da ist. Weil wir damit das, was wir zur


Verfügung haben de facto, einschließlich AstraZeneca, am besten nutzen würden. Das Zweite ist, dass natürlich je nach Alter – und das finde ich, ist etwas, was wir ganz dringend in Deutschland auch machen müssen – je nach Alter braucht man eine differenzierte NutzenRisiko-Abwägung. Und wenn man jetzt gerade bei dem AstraZeneca-Impfstoff die Situation hat, dass ein Fragezeichen dran ist bei den Nebenwirkungen – vielleicht ist es eins zu 2 0.000, eins zu 50.000 – die sind aber de facto bisher nur bei jüngeren Leuten beobachtet worden. Dann muss man natürlich schon sagen: Wo ist mein Risiko bezüglich schwerer Nebenwirkungen? Wie sieht es mit der Reaktogenität aus? Und wie wäre das, wenn ich wirklich krank werde? Wie schlimm ist es für mich, wenn ich dann lebenslang keinen Geruchssinn mehr habe? Ich sage mal so als Beispiel. Übrigens hätte ich gar keinen Bock drauf. Ja, fände ich ganz schlimm. Aber nicht nur keinen Geruchssinns, es gibt auch Leute, bei denen es so ist, dass dann alles wirklich genau nach Klo riecht. Also ganz fürchterlich. Aber jedenfalls: Diese individuelle Risikound altersbedingte Risikoabwägung, das finde ich, das müssen wir schon dringend machen. Und dieser Ansatz ist richtig. Aber was er macht, ist ja, dass er sagt: Die Impfung schadet. Das ist ja sein Credo, dass er sagt: Die Impfung schadet der natürlichen Immunabwehr, die bei jüngeren Leuten – ohne Frage, das ist richtig – stärker vorhanden ist. Und dafür gibt es eben absolut keinen Beleg. Und glauben Sie mir, da bin ich wirklich tief in der Materie drin. Wenn es da irgendeinen Hinweis darauf gäbe, dann würde ich den kennen. Und er hat auch in seinem riesigen Papier – ich habe das natürlich jetzt, weil es in der Diskussion ist, habe ich mich da durchgequält durch diesen offenen Brief an die WHO – da ist ja nicht eine Anlage dabei, da ist nicht eine wissenschaftliche Referenz. Er plaudert da im Grunde genommen alles so quer durch das Gemüsebeet, wie man das am Stammtisch vielleicht machen würde.


43:19



Camillo Schumann



Er sagte ja auch, man impfe nicht, oder man impft nicht in eine Pandemie hinein. Das lernen Studenten schon in der ersten Impfstoffklasse. Was sagen Sie denn dazu?


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Alexander Kekulé


Bei mir nicht. Also ja, man impft nicht in die Pandemie, in gewisser Weise, das kann man ja unterschiedlich interpretieren. Also wenn er das quasi als Regel formuliert, dann ist die Regel falsch, weil bisher gab es noch nie einen Impfstoff in der Pandemie. Das gab es einfach noch nie. Und wenn er sagt, man hat noch nie in die Pandemie rein geimpft, da muss man sagen: Ja. Also vielleicht, wenn ich jetzt irgendetwas, eine minimale Ehrenrettung, also es ist so: Wo er natürlich recht hat, ist, dass das Ganze, was wir hier als Menschheit machen, ist ein globales Menschheitsexperiment. Wir haben noch nie in eine Pandemie rein geimpft, weil wir noch nie so schnell einen Impfstoff hatten, dass er die Pandemie möglicherweise beenden kann. Und die Behauptung, dass wir die Pandemie mit der Impfung beenden könnten, die ist zu prüfen. Das ist etwas, was wir gerade ausprobieren. Sie wissen, dass ich der Meinung bin, dass es nicht geht, dass aber die Politik sagt: Wir werden Herdenimmunität erzeugen durch diese Impfung und dann ist der Spuk vorbei. Ich glaube, dass wir neue Varianten haben werden. Nicht wegen der Impfung, sondern wegen der vielen Menschen, die sowieso immun werden. Auch wegen der Impfung, aber das würde so oder so passieren, die immer schwächer gefährlich werden, weil unser Immunsystem auch besser reagiert und dass das auf diese Weise halt dann so langsam unser Alltag wird. Das ist nicht ganz abwegig, weil wir haben genau diese Beobachtung zum Beispiel nach allen Grippewellen, nach allen Grippepandemie gehabt. Wir hatten ja Grippepandemie 1918, 1957, 1968 – das waren die drei großen Pandemien des zwanzigsten Jahrhunderts. Und da haben wir das genauso beobachtet. Und deshalb ist es für mich relativ klar, dass das Wechselspiel zwischen Virus und Immunsystem so laufen wird, dass das Virus so langsam weniger gefährlich wird. Aber wir werden nicht die Pandemie beenden, sondern das Virus wird bleiben. Insofern hat er irgendwo Recht, dass er sagt, diese Ansage – wir können da rein impfen und das ist dann weg – diese Ansage ist natürlich etwas, wo ich auch nicht ganz dran glaube. Aber das dann umzudrehen und zu sagen: Die Impfung macht's gefährlicher, als es durch die natürliche Infektion laufen würde. Das halte ich für absolut


falsch. Weil unterm Strich einfach – gerade bei den Risikogruppen – natürlich die Impfung wesentlich weniger Todesopfer fordert als die natürlichen Infektionen. Und weil wir auch unsere Risikogruppen – das ist einfach Fakt – in Europa, auch in den USA, nur dann effektiv schützen können, wenn beim Rest der Bevölkerung die Inzidenz nicht zu hoch ist. Und das sehen wir ja immer wieder. Also wenn die Inzidenzen im Bereich bleiben, wo wir so halbwegs das unter Kontrolle haben, dann sind auch die Risikogruppen gut zu schützen.


46:10



Camillo Schumann



An Sie jetzt der Aufruf an die Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts. Wenn Sie, ja, wenn Ihnen Dinge auffallen, wenn Sie durchs Internet geistern oder von Kollegen oder von Bekannten Links bekommen haben und sagen: Mensch, das ist ja interessant, hört sich für mich plausibel an, hätte ich auch gern mal eingeordnet. Schicken Sie es uns und wir werden dem dann nachgehen. Wir gehen jetzt auch einer Sache nach, es geht um Schnelltests und um, ja, falsch-negative beziehungsweise falsch-positive Schnelltests. In Ausgabe 162  hatte ja eine Mutter berichtet, dass von den 158 Schnelltests, die an der Schule ihres Sohnes gemacht wurden, 2 8 positiv waren. Und im PCR-Nachtest waren dann alle negativ. Viele Hörerinnen und Hörer haben das gehört und dann auch ihre Erlebnisse geschildert, denn ganz vielen ging es genauso – wie zum Beispiel diesem Hörer:


„Ich als Kirchenmusiker wende die AntigenSchnelltests unterschiedlicher Hersteller auf Ihre Empfehlung hin seit vergangenen Dezember an und oft in kalten Kirchen oder im Freien – wegen der Ansteckungsgefahr. Und wir haben dabei bei einigen dieser Tests festgestellt, dass sie falsch-positive Ergebnisse anzeigen, wenn die Umgebungsund Lagerungstemperatur unter acht Grad Celsius ist. Nicht alle Tests sind temperaturempfindlich, aber eben dann doch einige. Also, da man ja oft die Tests im Freien oder in kalten Umgebungen durchführt, muss man tatsächlich wahrscheinlich sehr auf die Umgebungstemperatur achten, da die Tests anscheinend da sehr sensibel darauf reagieren.“


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Ja, auch eine Ärztin hat uns geschrieben, die 300 Tests gemacht hat – auch im privaten Bereich. Und da ist ihr aufgefallen, sie hat das immer draußen auf der Terrasse gemacht und hat dann Ähnliches berichtet. Also sozusagen: Die Temperatur bei Schnelltests. Enorm wichtig, gibt auch eine Studie dazu. Wie bewerten Sie das Ganze?



Alexander Kekulé


Also in jedem von diesen Schnelltests steht – das gilt ganz allgemein für solche Labortests – steht quasi ganz oben in der ersten Zeile drinnen: Bitte nehmen Sie die Reagenzien aus der Packung und bringen Sie sie auf eine Temperatur von – und dann ist meistens so Raumtemperatur [angegeben] (Anm. d. Red.), also meistens steht da 2 2  bis 2 8 Grad oder so. Irgend so ein Bereich wird immer angegeben. Und das ist das A und das O, dass die Tests vorher auf diese Solltemperatur gebracht werden, weil natürlich – und das ist ein uraltes Thema: Wir wissen, dass, wenn man bei der falschen Temperatur arbeitet, sei es zu hoch oder sei es zu niedrig, diese Antigen-, Antikörpertests – und das ist ja bei dem Schnelltest so, dass Antikörper, die da auf so einer Membran sind, mit dem Virus-Antigen reagieren – dass diese Tests bei falschen Temperaturen zum Teil an Sensitivität verlieren und zum Teil an Spezifität verlieren – je nachdem, in welche Richtung sie gehen.


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Camillo Schumann



Und jetzt ist das etwas, was man ja eigentlich wissen sollte, weil es steht ja auch da niedergeschrieben. Und ist das denn so sklavisch zu sehen, sodass man da extrem aufs Thermometer achtet? Also, dass es wirklich die 15 bis 2 5, 30 Grad [hat] (Anm. d. Red.)? Oder ist es dann auch okay, wenn man eben so ein bisschen Angst hat, naja, ich möchte das eigentlich in einem durchlüfteten Raum tun, um sich dann auch nicht anzustecken, dass man sagt: Naja gut, zehn bis 15 tun es auch?



Alexander Kekulé


Also der Temperaturbereich ist ja relativ großzügig. Da steht ja jetzt nicht nur so eine MiniAngabe drinnen, also so ein Minibereich, den sollte man schon einhalten. Also, ich kann ja nochmal so, wer da biologisch ein bisschen Interesse daran hat: Woran liegt das über-


haupt? Das ist ja so: Es reagiert ja ein Antikörper mit einem Antigen. Und wenn das gut zusammenpasst – wie Schlüsselloch und Schloss, lernt man in der Schule immer – dann gibt es eine Reaktion und dann zeigt das an: Das Virus ist da. Jetzt kann man sich vorstellen, dieses gut passen und schlecht passen, das hängt extrem von der Temperatur ab. Wir erinnern uns ja in der Schule an die Brownsche Molekularbewegung. Das war das, was man unter dem Mikroskop, dieses zappeln von irgendwelchen Pollenkörnern, die man sieht. Das kommt durch Wärme. Also bei Wärme zappeln die Moleküle einfach stärker. Die (...) haben ein Wärmezittern. Physikalisch gesehen ist Wärme eigentlich nichts anderes als dieses Zittern der Moleküle. Und wenn Sie sich das vorstellen, 2 so, Antigen und Antikörper sollen zusammenpassen, aber beide zappeln die ganze Zeit, dann ist es eben so, dass sie weniger, dass das weniger gut funktioniert. Und wenn es kalt ist und die bewegen sich ganz wenig dabei, dann funktioniert es besser. Dann würden also vielleicht auch mal ein Antigen und ein Antikörper zusammenpassen – also scheinbar zusammenpassen – die eigentlich gar nicht miteinander reagieren sollen. Und deshalb ist es so, dass wir schon immer wissen: Wenn es kalt ist und die Moleküle sich langsam bewegen, dann haben wir viele falsch-positive, weil eben es zu Bindungen kommt, die eigentlich gar nicht vorgesehen sind in dem Test. Und wenn es sehr warm ist und die Moleküle bewegen sich zu schnell, dann finden auch solche nicht zusammen, die eigentlich zusammenfinden sollten. Und deshalb ist die Sensitivität der Tests geringer. Letzteres ist ein Riesenproblem, Dauerbrenner seit Jahrzehnten bei der WHO, die ja Tests haben will, die schnell und billig und überall verfügbar sind für die Tropen, für die Entwicklungsländer. Und da haben wir bei den ganzen Tropenkrankheiten, also sei es DengueFieber oder Malaria, oder was es alles so gibt dort, Trypanosomen – da haben wir überall das gleiche Problem. Es ist bannig heiß und die Tests wurden aber entwickelt irgendwo in den kühlen Ländern des Nordens, wo das Geld und die großen Forschungsinstitute sind. Und dann karrt man die in die Tropen und wundert sich, dass die Sensitivität so in den Keller geht, weil das eben mit der Temperatur zusammenhängt. Und das ist ein uraltes Thema. Und die andere


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Richtung haben wir natürlich auch, dass wir eben wissen: Wenn man das Zeug aus dem Kühlschrank nimmt – das weiß jede MTA [medizinisch-technische Assistenz] (Anm. d. Red.) im Labor – und dann sofort verwendet, dass das natürlich nicht geht, sondern man muss das vorher auf Raumtemperatur bringen. Ganz wichtiges Thema bei den Selbsttests, natürlich, weil da Menschen plötzlich zu Laborpersonal werden, die diese Schulung nicht mitgemacht haben.


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Camillo Schumann



Das ist ja eben genau der Punkt und deswegen schreiben uns so viele Hörerinnen und Hörer, dass sie ja das erste Mal in ihrem Leben möglicherweise mit so einem Test konfrontiert sind. Und dann geht man natürlich dann erstmal raus, weil da das Infektionsund Ansteckungsrisiko eben sehr gering ist. Aber man muss dann eben darauf achten, welche Umgebungstemperatur herrscht. Aber ich habe schon gesehen, nächste Woche um die fast 2 0 Grad in einigen Teilen Deutschlands, da kann man die Tests dann wieder draußen machen. Das ist ja kein Problem.



Alexander Kekulé


Es gibt jetzt auch eine aktuelle Studie dazu. Das wird ja parallel weltweit untersucht, wie diese Schnelltests funktionieren. Und eine Studie kommt sogar gerade aus Berlin, aus dem Labor des Kollegen Drosten, der ja da wirklich bei den Tests für Coronaviren weltweit also eine Koryphäe ist. Und da haben die insgesamt elf Tests, die so für Schnellverfahren eben zugelassen sind – solche Antigen-Schnelltests – miteinander verglichen und haben tatsächlich bei 2 Tests auch festgestellt, dass die – insbesondere bei kalten Temperaturen – nicht mehr funktionieren, dass da falsch-positive Ergebnisse kommen. Zu der Studie will ich noch eins dazu sagen: Die ist natürlich jetzt, es dauert einfach Ewigkeiten, bis man das gemacht hat. Da muss man das Virus anzüchten. Da muss man das Ausprobieren und vergleichen. Die haben da sicher schon lange dran gesessen und konnten nicht wissen, welche Tests in Deutschland dann überhaupt für die Eigenanwendung zugelassen werden. Und bei den Tests, die dort untersucht wurden, ist es leider so, dass keiner der dort untersuchten Tests in Deutschland für


die Eigenanwendung zugelassen ist. Also, das heißt also, die zwei, die dort durchgefallen sind – das kann man ja relativ offen sagen: Der eine ist der Panbio-Test von Abbott, steht auch in der Studie so. Es ist natürlich ein Preprint, aber wohl schon akzeptiert von einem renommierten Journal. Das eine ist der Panbio-Test von Abbott, der ist in den USA auch schon angezählt. Schon lange, da mussten schon Chargen zurückgenommen werden, weil der falschpositive Tests gemacht hat. In Deutschland nicht so verbreitet, aber auch Anwendung nur durch Fachpersonal. Und der andere heißt ActivXpress – den kennt man hier in Deutschland kaum – von der Firma Edinburgh Genetics in Schottland. Der wird international zum Teil von der WHO empfohlen, ist aber in Deutschland meines Wissens gar nicht auf dem Markt. Also falls jemand von dieser Studie dann hören sollte – es kann schon sein, dass die die nächsten Tage publik wird – da ging es eben um Tests, die bei uns gar nicht auf dem Markt sind. Aber man kann aus den Gründen, die ich vorhin gesagt habe, das natürlich verallgemeinern und deshalb ganz allgemein sagen für uns in Deutschland: Mit 30 Grad ist im Moment nicht zu rechnen. Aber Kälte sollte man definitiv vermeiden, wenn man den Test macht und falsch-positive nicht haben will.


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Camillo Schumann



Und diese Studie, die Professor Kekulé gerade angesprochen hat – sowie alle anderen Studien, die wir hier besprechen – sind natürlich dann auch in der Schriftversion dieses Podcasts dann auch verlinkt. Wir kommen zu den Hörerfragen. Diese Apothekerin, das ist die Frau W. aus Hannover, hat eine Beobachtung gemacht bei sich in der Apotheke und dementsprechend folgende Frage:


„In meinem Apotheken-Alltag, vor allen Dingen vorgestern, kamen 2 junge Frauen kurz hintereinander, die im Wartezimmer sich mit anderen Impflingen unterhalten haben und da grassierte der Tipp, man solle Ibuprofen gleich schon prophylaktisch nehmen zur Impfung. Ich habe der jungen Patientin – es war die Impfung AstraZeneca – abgeraten von Ibuprofen und Paracetamol ihr mitgegeben, weil der Entzündungshemmer meines Erachtens kontraproduktiv bei einer Impfung wäre. Bitte korrigieren Sie


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mich, falls das nicht richtig war. Um eine Antwort wäre ich sehr dankbar, damit ich in Zukunft meinen Kunden das Richtige sagen kann.“


Übrigens, das sagen ganz, ganz viele, also auch im Freundesund Bekanntenkreis, Kollegen berichten genau das.



Alexander Kekulé


Oh weh, also ich würde das nicht machen, ganz ehrlich gesagt. Es ist ja so: Wir haben ja vorhin ausführlich über die Schwierigkeiten bei so Wirksamkeitsstudien von Impfstoffen gesprochen. Egal, welcher das ist. Das sind alles Studien, die gemacht wurden, ohne dass die Leute irgendwelche Entzündungshemmer genommen haben. Egal, ob das Ibuprofen oder Paracetamol ist. Und deshalb weiß wirklich niemand auf der Welt, wie wirksam dann die Impfung ist, wenn man – wenn ich mal so sagen darf – die Reaktogenität – so nennen wir das ja, was da passiert, diese Impfreaktion, die man so spürt und sieht – wenn die ein bisschen genommen wird. Also in Richtung Nebenwirkungen vermeiden: Mag schon sein, dass man sich jetzt am nächsten Tag dann besser fühlt und kein Fieber oder weniger Fieber hat. Aber ich würde dringend davon abraten, vor einer Impfung sowas zu nehmen. Wenn es jetzt so sein sollte, dass man wirklich am nächsten Tag – und das berichten ja viele. Übrigens: Bei allen Impfstoffen kommt es vor, bei AstraZeneca möglicherweise etwas häufiger. Wenn man da wirklich Fieber hat und total platt ist und sagt: Jetzt tut mir aber alles weh, jetzt brauche ich ein Medikament, das will ich nicht durchstehen. Wenn man dann am nächsten Tag was nimmt, dann würde ich mal sagen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwie den Impferfolg konterkariert, wesentlich geringer. Aber ich würde dringend davon abraten, vor der Impfung irgendetwas zu nehmen, weil man einfach nicht weiß. Stellen Sie sich vor, sie senken dann den Impferfolg von 70 Prozent auf 40 Prozent. Das ist ja auch nicht das, was Sie wollen. Und ich kann nur sagen, ich kenne auch viele, die dann hinterher ein bis 2 Tage platt waren, wie man so sagt. Aber wenn man es vorher weiß, lassen Sie sich halt dann am Samstag impfen oder am Freitag. Oder nehmen sie sich im Notfall danach 2 Tage frei oder sprechen Sie das mit dem Arbeitgeber ab. Da müssen wir jetzt einfach durch, ja. Das ist –


kann ich nur noch mal sagen – bei vielen Impfungen so, die jetzt nicht so verbreitet sind, dass man danach Nebenwirkungen hat und es vorher weiß. Früher waren das Leute, die Tropenreisen machen wollten. Die haben dann solche exotischen Impfungen auf sich genommen. Und in diesem Fall müssen wir das halt machen, um diese Pandemie zu bekämpfen. Aber ich kann versprechen: Nach 2 Tagen ist es wirklich vorbei und deshalb lieber nichts nehmen und durchhalten.


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Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 164, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wieder zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 3. März 2 02 1 #163: Hörerfragen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Beschluss des Bund-Länder-Treffens als pdf (2 3.03.)


https://www.bundesregierung.de/resource/bl ob/997532 /1879672 /2 854753dbc7549432 db7 f0bba94e8c0f/2 02 1-03-2 2 -mpkdata.pdf?download=1


Pressemitteilung Astrazeneca (2 2 .03.)


AZD12 2 2  US Phase III trial met primary efficacy endpoint in preventing COVID-19 at interim analysis (astrazeneca.com)


Setllungnahme des National Institute of Allergy and Infectious Diseases zu Astrazeneca (2 3.03.)


NIAID Statement on AstraZeneca Vaccine | National Institutes of Health (NIH)



Camillo Schumann



Dienstag, 2 3. März 2 02 1.


Erweiterte Ruhephase zu Ostern, Lockdown bis 18. April – die Beschlüsse der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen und der Kanzlerin in der Bewertung.


Dann: Bayerns Ministerpräsident Söder sagt: „Wir leben in der wahrscheinlich gefährlichsten Phase der Pandemie überhaupt.“ Ist das Angstmache oder Realität?


Dann die neue Studie zur AstraZeneca – sind damit alle Bedenken vom Tisch?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick-


lungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekule.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Dann fangen wir mal mit dem wichtigsten überhaupt an: den Beschlüssen der Länder und der Kanzlerin und wie es in Deutschland in der Pandemie weitergehen soll. Und es war eine Marathonsitzung. Insgesamt 15 Stunden wurde gesprochen, gestritten, wieder vertagt. Ergebnis: Deutschland fährt Ostern komplett runter. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fasst das so zusammen


„Ja, das war eine schwere Geburt. Wir haben nichts übers Knie gebrochen, aber wir haben am Ende, und deswegen bin ich auch erleichtert, dieser schweren Zeit eine klare Linie gefunden. Wir gehen heute nicht mit einem schlechten Gewissen oder einem unguten Gefühl aus der Runde, sondern das, was wir beschlossen haben, ist aus meiner Sicht eine klare Linie. Der klare Kurs. Das Team Vorsicht hat sich insgesamt durchgesetzt, und zwar bei allen.“


Tja, Team Vorsicht hat sich durchgesetzt. Von Lockerungen, gar Urlaub – keine Rede mehr. Keine Gastro, keine Hotels, keine Ferienwohnung, keine Mobilität, keine Gottesdienste zu Ostern. Wie bewerten Sie diese Notbremse zu Ostern?



Alexander Kekulé


Ja, und da hatte man in der Situation, glaube ich, keine andere Wahl. Ich hätte wahrscheinlich sogar mehr Maßnahmen erwartet. Und ich bin sehr gespannt, wie das die einzelnen Bundesländer dann in der Umsetzung sehen. Wir haben ja bei den letzten Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten immer erlebt, dass spätestens 2 4 Stunden später – wenn man sich dann ausgeschlafen hat nach der anstrengenden Diskussion – die Ministerpräsidenten vor die Presse getreten sind und ihre individuelle oder landesspezifische Lesart verkündet haben.


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Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen: Heute sitzen die Staatskanzleien dann zusammen und dann noch mal die einzelnen Regierungen. Was meinen Sie, weil Sie gesagt haben, Sie hätten sich sogar noch mehr Maßnahmen oder hätten noch mehr Maßnahmen erwartet. Was denn z.B.? Welche Maßnahmen gibt es denn noch?



Alexander Kekulé


Naja, das Problem ist hier ja, dass wir aus meiner Sicht insgesamt – und ich glaube, das hat die Runde ganz genauso gesehen, das kann man schon so raushören. Wir haben inzwischen unstreitig das Problem an den Arbeitsplätzen. Da ist die Frage, soll man da weiter regulieren oder nicht? Offensichtlich hat man sich entschieden, das nicht anzufassen, und es bei den Appellen an die Arbeitgeber zu belassen. Aber dass das eine offene Flanke ist, ist, glaube ich, bekannt. Die Sache mit dem Homeoffice z.B. hat sich nicht durchgesetzt. Die Masken werden nicht überall getragen. Wir haben zweitens die offene Flanke Schulen. Da ist es so, dass ja auch nicht so glasklar entschieden worden ist, unter welchen Bedingungen Schulen geöffnet werden können, wann getestet werden muss, sondern da ist viel Flexibilität für die Länder letztlich noch drinnen. Und das Hauptproblem aus meiner Sicht, die dritte Baustelle – wenn man so sagen darf, die Hauptbaustelle – ist eigentlich: es ist offensichtlich, dass die Maßnahmen deshalb nicht mehr funktionieren, weil die Bevölkerung nicht mehr mitmacht, also weil die Compliance, wie man das in der Medizin nennen würde, nicht mehr vorhanden ist. Und jetzt ist die grundsätzliche Frage, wenn jemand nicht gehorcht, wenn ich das mal so pädagogisch formulieren darf, was hilft dann? Hilft es, wenn man die Daumenschrauben anzieht? Ja oder nein. Und man hätte natürlich sagen können: Gut, nächtliche Ausgangssperren, das war ja vorher in der Diskussion, könnten hier helfen. Hintergrund [ist] eben die Idee, dass viele Leute sich einfach überhaupt nicht mehr an die Regeln halten oder zumindest ein Teil der Bevölkerung, und der dann auch verantwortlich ist für einen Großteil der neuen Infektionen. Und die Frage ist halt, wie kommt man denen bei? Macht man da eine Ausgangssperre z.B.? Oder ist es sinnvoll, Urlaub zu verbieten? Stichwort Mallorca ist ja eine Riesendiskussion. Was machen


die Deutschen, wenn sie dann in Mallorca im Urlaub sind? Haben sie dann das Gefühl, hier können wir jetzt die Sau rauslassen? Oder verhalten sie sich genau so vernünftig wie zu Hause? Das ist so das Grundproblem. Und ich glaube, da hat man sich letztlich nicht dazu entschlossen, die Daumenschrauben enger anzuziehen. Meine Vermutung ist, weil man irgendwie auch erkannt hat, dass das keinen Sinn hat, weil jemand, der sowieso bockt, wenn man den noch strenger an die Kandare legt, dann führt das nur zu noch mehr Freiheitsbewegungen.


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Camillo Schumann



Weil sie gerade die Compliance angesprochen haben: Ich glaube, das ist so ein sehr diffuses Bild in Deutschland, egal welche Umfrage man liest. Es gibt es eine, die sagt die Mehrheit gegen Lockerungen der Corona-Regeln. Dann gibt es wieder Umfragen, die sagen, deutliche Mehrheit gegen Verschärfung der Regeln. Also es ist sozusagen auch für die politischen Entscheider schwierig „zu lesen“, wie die Compliance tatsächlich ist. Also ob die Menschen sich noch mitgenommen fühlen, oder nicht.



Alexander Kekulé


Also mein Eindruck ist, dass Politiker – ich darf ja häufig mal mit solchen Vertretern dieser Berufsgruppe sprechen – zumindest wenn es jetzt dann von der Landesebene noch weiter runter geht, schon relativ genau wissen, was so in ihrem Bereich los ist. Viel besser als Epidemiologen – wenn ich das mal so sagen darf. Also ich, bin da sicher viel weiter weg. Aber für mich ist folgende Überlegung von Bedeutung: Wenn wir so eine Großstadt haben und sie machen eine Umfrage in Berlin o.Ä., dann verwischt sich natürlich genau der Teil der Bevölkerung, die sich an die Regeln halten, mit dem Teil der Bevölkerung, die sich nicht daran halten. Sie kriegen das nicht auseinanderdividiert, und dadurch kriegen Sie solche Mittelwerte oder, wie sie auch gerade schildern, widersprüchliche Umfrageergebnisse. Ganz gut kann man aber hinschauen, dann, wenn sich das regional differenziert. Und da gibt es ja durchaus interessante, finde ich, epidemiologische interessante Experimente, die wir in Deutschland machen. Ich nenne es mal „Experimente“. Und zwar, wenn sie mal hinschauen. Bestimm-


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te Landkreise – z.B. in Brandenburg oder Sachsen haben wir da so Kandidaten, ich nenne die jetzt mal nicht, aber die sind ja in der Presse bekannt – die haben dann plötzlich wahnsinnig hohe Inzidenzen. Die schießen also völlig übers Ziel hinaus mit weit über 2 00. Und wenn man da dann genauer hinsieht, ist es so, dass dann natürlich der Landrat oder der lokale Bürgermeister schon relativ genau weiß, welche Teile seiner Bevölkerung dort das sind, die die hohen Zahlen verursachen. Also ich sage mal z.B. so richtige Corona-Leugner, die sich in manchen Regionen festgesetzt haben und die einfach überhaupt nichts mehr mitmachen. Die nicht zum Arzt gehen, wenn sie Symptome haben. Die weit davon entfernt sind, irgendwelche Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter zu unterstützen. Und wenn man das also in solchen bestimmten Regionen, in kleineren Regionen ganz gut auseinanderdividieren kann, dann kommt immer das gleiche Bild raus, was man dort hört, dass bestimmte Teile der Bevölkerung sind, die einfach inzwischen da eine Hornhaut haben. Die machen dann nicht mehr mit, die hören ja gar nicht mehr zu. Die hören auch unseren Podcast nicht. Die sind einfach extrem schwer erreichbar, und die Frage ist, wie man ausgerechnet diese Teile der Bevölkerung, die schwer erreichbar sind und die zugleich aber wesentliche Treiber der Pandemie sind, wie man damit umgeht. Und letztlich ist das, was man machen muss, eben nachdenken über Maßnahmen, die eben sozusagen mit Autorität arbeiten, weil das am Ende des Tages das letzte Mittel des Staates ist, hier dann die Infektionen in den Griff zu bekommen.


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Camillo Schumann



Noch einmal gefragt, weil Sie gesagt haben, sie hätten sich sogar ja noch drastischere Maßnahmen gedacht, dass die beschlossen werden, welche z.B.?



Alexander Kekulé


Naja, ich jetzt z.B. überrascht, dass man jetzt das Stichwort Mallorca komplett offengelassen hat, dass man da jetzt von Deutschland aus munter hinfliegen kann und Urlaub machen kann. Man kann den mallorquinischen Behörden in keiner Weise vorwerfen, dass sie das nicht in den Griff bekommen werden, wenn da


zig Tausende Deutsche einfallen über Ostern. Was die da machen oder nicht machen. Da sind die Behörden völlig überfordert, das ist jetzt schon klar. Und wir werden da natürlich zumindest in Teilen der Urlauber dort wieder ein Infektionsgeschehen haben. Das ist völlig unvermeidbar. Und wenn man dann sagt: Okay, wir testen die, wenn sie am Flughafen zurückkommen – da ist ja das alte Problem mit der Inkubationszeit. Das sagt eigentlich nicht so viel aus, und die werden ja danach nicht in Quarantäne gebracht. Und das hätte ich wahrscheinlich erwartet. Jetzt mal so als ein Beispiel, dass man sagt, okay, wer von dort zurückkommt, der muss hinterher in Quarantäne. Genauso wie es bei Risikogebieten ist, weil das hat sich ja inzwischen, glaube ich, auch allgemein durchgesetzt, dass man jetzt schon hinschauen muss, was die Menschen im Urlaub machen. Und wenn sie irgendwo in ein Ferienhaus fahren und kaum Kontakt haben, also den sogenannten kontaktarmen Urlaub haben, wie die Politiker das zurzeit nennen, wenn sie dann zurückkommen, ist die Infektionsgefahr relativ gering. Aber wenn sie natürlich nach Mallorca fahren, was also traditionell jetzt nicht so, sage ich mal, die Hochburg des kontaktarmen Urlaubs ist, dann ist einfach das Infektionsrisiko der Deutschen untereinander dort relativ hoch. Ich glaube, die im mallorquinischen Behörden behaupten ja, dass bei ihren Einwohnern die Inzidenz irgendwie im Bereich von 30 liegt, das wäre natürlich sehr gering. Ich weiß nicht, wie viel die da testen. Aber es ist so, dass wir fest davon ausgehen können, dass es unter den deutschen Touristen, die ja auch gerade in Mallorca häufig unter sich sind, dass es da drunter natürlich zu Infektionen kommen wird. Und das ist so ein Beispiel, wo ich mich ein bisschen gewundert habe, dass man auf der einen Seite jetzt quasi solche Reisen nicht weiter reglementiert, es dann wohl auch den Fluggesellschaften überlässt, diese Tests zu machen, und andererseits im Inland Ferienwohnungen z.B. nicht ermöglicht.


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Camillo Schumann



Die Inzidenz auf Mallorca ist jetzt wieder gestiegen, während wir uns hier unterhalten haben. Und die mallorquinischen Behörden überlegen auch in dieser Woche wieder, was erst wieder erlaubt wurde, also die Innenräu-


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me von Cafés, auch wieder zu schließen. Also da gibt es auch was. Und die Kanzlerin hat ja auch gesagt, dass es rechtlich nicht ganz so einfach ist, mit Mallorca umzugehen. Also, sie hätte sich ja auch für eine Quarantänepflicht quasi für alle Auslandsdestinationen ausgesprochen.



Alexander Kekulé


Ja, nicht für alle. Aber jetzt also, das müsste man im Einzelfall prüfen. Aber eben aufgrund der jetzt gemeldeten niedrigen Inzidenz von Mallorca zu schließen, das ist kein Risikogebiet mehr und deshalb braucht ihr keine Quarantäne, wenn ihr zurückkommt, das geht für mich an der Sache vorbei. Weil man eben berücksichtigen muss, wie verhalten sich die Menschen dort? Und wenn Sie jetzt, ich sag mal, die Schweiz ... Das ist ja ein Hochrisikogebiet. Oder auch Tirol, das ist sogar ein Mutationsgebiet. Daran gibt es ja sehr strenge Auflagen nach der Rückreise, was auch ein bisschen, sage ich mal, so eine kleine pädagogische Maßnahme ist, um den Leuten klarzumachen, dass sie sich noch mal überlegen sollen, ob sie da wirklich Urlaub machen wollen, weil sie die Quarantäne danach einplanen müssen. Und da ist es unter Umständen, wenn man jetzt dort kontaktarmen Urlaub macht, ich sag mal, man sitzt auf einer Alm irgendwo in den Alpen... Das ist eigentlich völlig ungefährlich. Und wenn sie jetzt nicht gerade in Ischgl im Discokeller sind. Und mein Eindruck ist, dass es eben das Gleiche ist, was wir vor genau einem Jahr in den Osterferien besprochen haben. Es kommt eben darauf an, was sie in den Ferien machen und was sie für Kontakte haben. Und da halte ich Mallorca doch für ein gefährlicheres Pflaster als irgendeine Hütte im Gebirge.



Camillo Schumann



Da hätte man ja doch bei uns auch die Ferienwohnungen öffnen können. Jetzt über Ostern beispielsweise – da geht da gar nichts mehr.



Alexander Kekulé


Das hängt eben mit der grundsätzlichen Einstellung zusammen: Welchen Eindruck hat die Politik von der Bevölkerung bzw. von dem Teil der Bevölkerung, wo die Infektionen stattfinden. Da würde der gesunde Menschenverstand sagen: eine Ferienwohnung könnte man aufmachen. Das war ja wohl auch eine Diskussion, angeblich unter den Ministerpräsidenten


also in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen usw., also die Nordländer, die da natürlich sagen: Bei uns gibt es ja gar keinen Grund, nicht in die Ferienwohnung zu fahren. Die haben ja dieses Argument geführt. Und die Frage ist halt letztlich, wenn man das erlaubt, welche Kollateraleffekte treten da ein? Treffen sich die Menschen, wenn sie in den Urlaub fahren? Treffen die sich dann abgesehen von dem Bezug der Ferienwohnung auch außerhalb? Oder treffen die sich heimlich in der Ferienwohnung illegal? Ist ja die gleiche Diskussion, die wir haben bei den Geschäften. Ich glaube, es ist inzwischen relativ klar, dass, wenn man das vernünftig organisiert, z.B. dieses Online-Shopping, also ich sehe da wirklich kein Risiko. Was soll da gefährlich sein, wenn das Online-Shopping vernünftig gemacht wird. Also mit vorheriger Anmeldung geht man irgendwo in den Laden und holt sich was ab, was vielleicht sogar vorbestellt wurde. Das machen die Schweizer schon ziemlich lange auch erfolgreich.


Ich glaube auch, dass jetzt unsere Politiker da nicht eine andere Meinung haben. Aber es ist so, dass die Frage halt immer gestellt wird, wenn wir eben den Leuten erlauben, dann in diesem Zusammenhang in die Innenstädte zu gehen, was machen die dann drumherum? Wenn wir den Leuten erlauben, in FreiluftGastronomie zu gehen, und das unter guten strengen Auflagen öffnen, was ja durchaus möglich wäre, infektiologisch gesehen, wie wirkt sich das dann außenrum aus? Oder schafft man das dann zu verhindern, dass es dann zu Besäufnissen und Gedrängel kommt? Und da, glaube ich, ist doch ziemlich erkennbar aus der ganzen Handschrift dieser Maßnahmen schon seit einigen Wochen, schon beim letzten Mal eigentlich auch, dass die Politik nicht mehr glaubt, dass die Bevölkerung oder zumindest der Teil der Bevölkerung der diese Infektionen vorantreibt, dass die mitmachen. Sondern da meint man einfach, man braucht flankierende Maßnahmen, um überhaupt zu verhindern, dass die Bevölkerung die Chance hat, das auszunutzen. Und so ist es, glaube ich zu verstehen, mit diesen Ferienwohnungen, dass man da einfach zugemacht hat wegen der Kollateraleffekte, die erwartet werden.


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Camillo Schumann



Ostern soll heruntergefahren werden. Der Gründonnerstag und Karsamstag werden einmalig als Ruhetage definiert und mit weitgehend Kontaktbeschränkungen verbunden. Am Samstag soll dann auch nur das Allernötigste im Lebensmittelladen gekauft werden dürfen – aber ansonsten fünf Tage sozusagen die absolute Notbremse. Meinen Sie, ob es da einen Effekt geben wird, der uns dann auch, sage ich mal, spürbar noch über zwei, drei Wochen retten kann, bis dann die Impfungen wieder nach oben gehen.



Alexander Kekulé


Also, das kann ich schwer beurteilen. Nach meiner Erfahrung ... Aber ich habe jetzt natürlich nur Halle und München quasi vor Augen. Das sind so meine Ostererfahrung. Also da ist ja eh nicht so viel los. Also jetzt Gründonnerstag zuzumachen, ob das jetzt so wahnsinnig viel bringt? Dann hat man den Ostersamstag, da ist dann offen – da gibt es dann umso mehr Gedränge in den Geschäften. Wenn sie vorne und hinten zu machen, ist ja bekannt, dass dann an den wenigen Tagen, wo auf ist, eben einfach die Schlangen länger sind. Ich kann jetzt nicht wirklich erkennen, dass das, sage ich mal, einen systematischen Effekt macht. Vielleicht in einzelnen Regionen. Das mag sein, dass sich da was ändert. Hier ist, glaube ich, auch wieder der Grundgedanke, irgendwie zu signalisieren – das ist mehr so eine Symbolpolitik – eben zu zeigen: Schaut her, wir erlauben euch da nichts. Und man hofft natürlich, dass das dann dazu führt, dass die Bevölkerung sich vernünftig verhält, so insgesamt. Ich frage mich aber ganz ehrlich: Wird jetzt wegen dieser Maßnahmen, die jetzt beschlossen sind, heute Morgen, irgendwann um vier oder was oder drei, wo es dann herauskam, sitzt da jetzt die Bevölkerung heute früh am Fernseher und am Radio und sagt: Okay, dann sage ich mein Ostern ab? Dann sage ich meinen Verwandtenbesuch ab, den ich vorhatte. Und diese Dinge. Oder viele haben ja auch, sage ich mal, über private Beziehungen, irgendwelche Wohnungen, wo sie hinfahren können, oder haben sich schon ein Wohnmobil gemietet. Blase ich das jetzt ab? Blase ich meinen Mallorca-Urlaub ab, weil es empfohlen wird? Von nicht not-


wendigen Reisen wird ganz dringend abgeraten. Ich glaube, das änderte überhaupt nichts. Ganz ehrlich gesagt.


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Camillo Schumann



Nach Ostern soll es dann ein umfangreiches Testregime an den Schulen geben. Es soll dann auch ausgewählte Regionen geben, in denen dann einzelne Lockerungen unter ganz strenger Kontrolle getestet werden sollen. Also das Testregime, das kommt uns irgendwie bekannt vor, aus den letzten Beschlüssen. Ich glaube, auch aus den Beschlüssen davor auch schon. Dann sollen sie aber wirklich kommen. Hat man sich da jetzt auch so ein bisschen Zeit erkauft?



Alexander Kekulé


Ja, ganz klar. Also, das ist ja so, dass man – Entschuldigung, dass ich es nochmal sage – wahrscheinlich ist der eine oder andere davon schon genervt. Aber es ist ja so: Die Tests gibt es einfach seit März letzten Jahres. Das ist also jetzt ein gutes Jahr, seitdem die Tests im Prinzip verfügbar wären, natürlich nicht in der großen Zahl, sondern man muss eben die Logistik dafür schaffen, diese Tests dann auch beizubringen, zu produzieren, zu verteilen, sage ich mal. Auch eine Strategie zu haben, wie oft man die anwendet, einmal oder zweimal pro Woche u.Ä.. Da gibt es ja verschiedene Modellrechnungen, wo man sagen kann: Wenn ich zweimal die Woche die Schüler teste, dann hab ich natürlich einen besseren Effekt, als wenn ich nur einmal die Woche teste. Wenn ich jeden Tag testen würde, hätte man in der Schule noch weniger Infektionen oder schulbedingt noch weniger Infektionen. Und das sind einfach Dinge, die kann man mal durchrechnen. Da kann man ausrechnen, wie viele Tests brauchen wir, und die Frage ist halt, wie geht man mit so etwas grundsätzlich um? Also wir sind jetzt wieder in der Lage, wo die Politik sagt naja, warten wir mal ab, bis es die Tests im Laden gibt, so sage ich mal, ein bisschen polemisch. Und die Staaten, die erfolgreich waren, die haben eben das, was wir vor einem Jahr mal besprochen haben, die haben Command and Control, also CCC heißt das, Concept Command and Control. Das sind letztlich ja Begriffe, die aus dem militärischen stammen, die aber eben auch in der Krisenbewältigung


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verwendet werden, nicht nur für Pandemien. Und hier fehlt Concept und hier fehlt natürlich auch Command. D.h. also, man wartet, bis die Industrie z.B. diese Schnelltests anbietet. Das [ist, Anm.d.R.] also passiv in gewisser Weise. Dann gibt es dann Leute, die jetzt sagen, wenn man ihnen vorhält, die Schnelltests gab es schon vor einem Jahr, die sagen dann: Ja, aber nicht in der großen Zahl. Und wo sollte ich das denn kaufen? Und andere Staaten haben halt andersherum gedacht, übrigens einschließlich der USA in dem Fall. Die haben gesagt ja, okay, wir wollen das haben. Wir sorgen als Staat jetzt dafür, dass das beigebracht wird. Control heißt, dass man natürlich am Ende auch eine Übersicht hat, was passiert und ob die Maßnahmen Erfolg haben. Also überprüfen: Ich habe eine Maßnahme ergriffen, hat das funktioniert? Also, ich hab die Gaststätten geschlossen, ist dadurch die Infektionszahl runtergegangen? Und da gibt es ja inzwischen viele Analysen, die zeigen, dass das gerade in Europa gefehlt hat. Beispielsweise auch bei der Beschaffung der Impfstoffe ist es ja so, dass Europa eigentlich letztlich so marktwirtschaftlich gedacht hat. Ja, also wer bietet was an? Wer hat den besten Preis? Wo können wir bestellen? Wann kommen die Angebote? Und das war, sagen die Leute, die da involviert waren, der Hauptfehler eigentlich in Brüssel. Während die Amerikaner zu den Firmen hingegangen sind und gesagt haben, hier kriegt ihr 2  Milliarden Dollar und was auch immer bei euch rauskommt, wollen wir haben. Das ist natürlich eher so ein Modell, wo der Staat selber geschäftstätig wird und ins Geschäft einsteigt. Eher mehr so eine zentralistische – wie man das aus den östlichen Ländern kennt – Strategie. Und sich darauf zu verlassen, dass dann irgendwann geliefert wird, weil der freie Markt wird das schon beibringen, das ist eben eher so unser Ansatz. Und naja, bei den Schnelltests, die Sie angesprochen haben, da wird halt immer noch nicht geliefert. Und jetzt muss man halt warten, bis die Produzenten genug auf die Schiene bringen. Bis das dann wirklich an jedem Kindergarten und jeder Schule angekommen ist.


2 0:49



Camillo Schumann



Weil Sie auch schon häufig gesagt haben, dass es diese Schnelltests ja schon seit einem Jahr


gibt, und man hätte sie nur besorgen müssen: Da sagen ja auch einige Kollegen, haben Sie auch mitbekommen: Na ja, gut, aber die gab es erst so richtig in ausreichender Zahl Ende letzten Jahres im Herbst. Da konnten die Hersteller dann auch liefern. Und auch die Menge der Tests, die Firmen im Herbst liefern konnten, sei für ein Land von einer Größenordnung wie Deutschland auch nicht ausreichend gewesen. Bei einem kleineren Land wäre das kein Problem gewesen. Also das musste sich ja nach und nach aufbauen. Sind das sozusagen dann noch die Nachwehen dieses Aufbauens?



Alexander Kekulé


Ja, klar, wenn man jetzt sozusagen wartet, bis es die Tests bei Aldi gibt, dann könnte man jetzt das [sagen], was Sie gerade gesagt haben und ich weiß, es gibt auch Kollegen, die das so ähnlich formulieren. Da könnte man sagen: „Ja, was sollte ich denn machen letzten März? Bei Aldi gab es doch die Tests noch nicht. Und bei Lidl auch nicht. War ich ja völlig hilflos.“ Ja, und Sie merken schon, wenn ich das so ironisch sage. Fakt ist, dass die Tests rein technisch gesehen zur Verfügung standen, dass sie eine CE-Zulassung hatten, und dass die Tests, die jetzt verkauft werden, z.T. identisch sind. Also der Roche-Test, der identisch ist, und zwar eins zu eins identisch, mit dem, was Ende Februar auf den Markt kam letztes Jahr und Anfang März CE-zertifiziert wurde. Da ist also nichts verändert worden, seitdem an dem Test. Und natürlich hätte man dann sagen müssen – das war ja auch das Bestreben einiger Kollegen und mir, dass man jetzt von staatlicher Seite sagt: „Okay, jetzt nehmen wir Geld in die Hand. Jetzt gucken wir, wer kann das produzieren?“ So ähnlich wie man es bei den Masken versucht hat. Dass man sagt, kann man hier im Inland irgendwo produzieren? Gibt es vielleicht eine Firma, die da umstellen kann? Und gerade bei diesen Lateral-Diffusions-Tests, also diesen sogenannten Antigen-Schnelltests, haben wir ja viele Produzenten in Deutschland, die so etwas machen könnten. Aber der Blick in die Vergangenheit ist da, glaube ich, jetzt nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man konstatieren kann, dass Warten, bis der Markt das von selber regelt, ist in so einer Krise nicht das richtige Mittel. Sei es, dass man von Masken spricht. Sei es, dass man von Impfstoffen spricht, sei


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es, dass man von Antigen-Schnelltests spricht. Und deshalb würde ich mir sehr wünschen, dass man sozusagen vom Staat her, wenn man jetzt sich Zeit erkauft hat, wirklich mit den – und ich glaube, so weit ist man ja inzwischen auch, dass man bei den Herstellern wirklich jetzt bestellt und auch Geld auf den Tisch legt und dafür sorgt, dass geliefert wird. Das, was da jetzt gemacht wird – und ich glaube, der Bundesgesundheitsminister hat ja schon vor einiger Zeit mal von einer sehr großen Zahl von Tests gesprochen, die er bestellt haben wollte. Das glaube ich auch, dass das quasi so gelaufen ist und d.h. ja letztlich: Jetzt hat man den Herstellern quasi gesagt: „Okay, produziert, wir kaufen euch das ab.“ Das ist jetzt die Anlaufzeit. Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen dann wirklich auch in die Phase kommen, wo man das anwenden kann. Die andere Frage ist, ob die Bürger da mitmachen. Das ist noch mal ganz was anderes: Welche Tests das sind. Wir brauchen natürlich Test, die dann auch eine hohe Akzeptanz haben.


2 3:59



Camillo Schumann



Auf Jeden Fall. Da kommen wir ganz am Ende der Sendung auf eine Frage einer Lehrerin zurück, die aus ihrem Schulalltag berichtet, wie dort Eltern mit den Schnelltests umgehen. Und ob die dann auch die Einverständniserklärung für ihre Kinder dann unterschreiben, ob sie denn getestet werden sollen oder nicht. Sehr, sehr spannend, am Ende der Sendung. Kleiner Teaser an dieser Stelle. Der Grund für diese ganzen Maßnahmen, die jetzt heute Morgen beschlossen wurden, den Lockdown zu verlängern – diese Notbremse, diese Not-Notbremse da um Ostern – beschreibt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder so. Wir hören noch mal rein.


„Wir leben jetzt in der wahrscheinlich gefährlichsten Phase der Pandemie überhaupt. Viele unterschätzen die derzeitige Situation. Viele glauben, es ist jetzt der dritte Aufguss von Corona alt. Dabei ist es eine völlig neue Pandemie. Diese dritte Welle ist ganz anders. Corona neu, also die Mutation, ist viel gefährlicher, ansteckender, mit höherer Sterblichkeit. Und vor allen Dingen: Es betrifft ganz andere Zielgruppen. Nicht mehr die über 80-Jährigen,


die am Anfang bei uns in der Problemzone waren, sondern jetzt ganz besonders viele Junge.“


Also mir macht Markus Söder mit solchen Worten Angst. Es heißt immer, übertreiben macht anschaulich, aber hat er denn Recht?



Alexander Kekulé


Ich glaube, Sie haben Recht, dass er Angst machen will. Das ist ja klar. Und zwar, weil er die Bevölkerung quasi zur Besonnenheit ermahnt. In dem Fall ist es auch wieder so ein bisschen pädagogisch und vielleicht auch nicht ganz falsch, das so zu machen. Zumindest für die Gruppen, die glauben, sie könnten sich jetzt locker machen an der Stelle. Inhaltlich ist es so [...]: Ja, die Varianten haben eine höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit, das ist ohne Frage so. Wo immer die auftreten, ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit höher. Es ist aber so, dass, wenn wir die bisherigen Maßnahmen durchhalten, so wie sie eben bisher auch waren, dann wird es nicht zu einer vermehrten Virusausbreitung kommen. Das hatte ich ja schon ein paar Mal gesagt. Diese Varianten machen die Sache etwas schwieriger, aber sie erfordern keine neuen Maßnahmen deswegen. Was angesprochen wurde, ob die jetzt wirklich gefährlicher sind: Also bei B.1.1.7 gibt es ja Daten aus England, die wir schon vor längerer Zeit besprochen haben, die jetzt auch letzte Woche in Nature publiziert wurden, die darauf hindeuten, dass epidemiologisch gesehen tatsächlich die Sterblichkeit mit diesen Varianten unter Umständen etwas höher ist. Aber es gibt ganz viele Faktoren. Die haben wir in dem entsprechenden Podcast schon besprochen, die da als Bias oder als Störung mit eingeflossen sein können, sodass ich persönlich jetzt noch nicht überzeugt bin, dass das ein Thema ist, was wirklich für uns relevant ist. Dass also jetzt sozusagen mit der Variante mehr gestorben wird. Vielleicht der wichtigste Hinweis noch einmal zur Erinnerung: In den Regionen, wo diese Varianten besonders massiv aufgetreten sind – man hat ja gesehen in England, das sind nur Studien aus England, woanders auf der Welt gibt es das eigentlich nicht, das Ergebnis – aber in England war es so, in den Regionen, wo diese Varianten massiv aufgetreten sind: Wenn man da guckt, wie ist denn parallel die Sterblichkeit gewesen? Wie viele Menschen sind überhaupt gestorben an Corona in der


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Zeit? Dann ist ja überall die Sterblichkeit runtergegangen und nicht rauf in dieser Zeit, sodass man jetzt sagen muss: In der Bilanz ist nicht zu erkennen, dass diese Varianten insgesamt die Sterblichkeit erhöhen, auch wenn man ganz raffinierte statistische Methoden anwendet, so ein Signal findet, was in die Richtung geht, wenn man eben Varianten mit Nicht-Varianten vergleicht. Also ich würde sagen, dass die Politik jetzt sozusagen hier mit dem Leichentuch winkt, das ist verständlich. So eine gewisse Verzweiflung, wenn man so Teile der Bevölkerung anschaut, die da nicht mehr mitmachen. Ich weiß noch nicht, ob das bei denen so wirkt. Das Problem ist auch, dass... Bei manchen Menschen hat ja Corona so ein bisschen seinen Schrecken verloren. Wir kennen ja sicherlich den Einen oder Anderen, der daran gestorben ist. Ärzt*innen natürlich viele. Wir kennen die schrecklichen Bilder von den Intensivstationen. Aber jeder kennt natürlich inzwischen auch ganz viele Menschen, die sagen: „Ja, ich hatte Corona. Ja, es war so etwas Ähnliches wie eine Grippe, so schlimm ist das nicht.“ Und diese Schilderungen, die natürlich die große Mehrheit sind, die, glaube ich, die führen dazu, dass man psychologisch irgendwie so das Gefühl hat, dass ist gar nicht so schlimm. Oder manche Leute denken: Das ist gar nicht so schlimm. Da muss man sehr aufpassen, weil das kann ich nur noch einmal erinnern: Ein Besuch auf der Intensivstation genügt, um zu sehen, dass da eben doch viele 50jährige liegen und um ihr Leben ringen. Und es kann durchaus jemanden, der zwischen 50 und 60 ist, auch so schwer erwischen, dass man denkt: „Mensch, ich kenne zehn andere, die hatten fast gar nichts in dem Alter, und einen erwischt es dann doch, obwohl er kaum Risikofaktoren hatte, die man zumindest kannte. Also das ist sicher eine Krankheit, wo man sehr aufpassen muss, dass man sie nicht unterschätzt. Und deshalb ist diese Warnung richtig. Und wir haben ja diese Impflücke jetzt einfach bei den Menschen, die unter 80 sind. Kann man fast schon sagen, weil wir nur über 80 halbwegs konsequent geimpft haben. Und die müssen wir schnellstens schließen. Ja, das ist eigentlich das Hauptproblem. Also mir tun auch die Politiker ein bisschen leid. Eigentlich liegt doch die Lösung auf der Hand: Jeder weiß, wir müssten mehr impfen. Wir sind in Europa


weit hinterher, auch hinter den USA z.B., hinter dem Vereinigten Königreich sowieso. Und jetzt impfen wir nicht und wir müssen stattdessen eben diese Not-Alternativmaßnahmen ergreifen. Und das ist natürlich für die Politik besonders sauer, so etwas verkaufen zu müssen.


2 9:40



Camillo Schumann



Weil sie gerade die USA angesprochen haben. Die hundertmillionste Impfdosis wurde jetzt in den Arm gejagt. Der neue US-Präsident wollte das nach hundert Tagen erledigt haben. Das hat er jetzt aber schon nach 58 Tagen. Um aber ganz kurz zu Herrn Söder zurückzukommen, weil er da ja so Angst macht. Also mir zumindest – sicherlich noch dem einen oder anderen Hörer oder der einen oder anderen Hörerin – weil er auch gesagt hat, diese neue Mutation hat völlig andere Zielgruppen. Stimmt das denn faktisch, weil er auch die Jungen angesprochen hat. Er sagt aber kein Alter dazu. Die Jungen, da könnte ich mir vorstellen oder das ist in meiner Definition: Die Jungen sind so zwischen 2 0 und 30, das ist damit aber gar nicht gemeint. Wir reden hier über eine ganz andere Alterszielgruppe, Sie haben die ja schon genannt.



Alexander Kekulé


Ja, so ist es. Also, es sind eben auch keine anderen Zielgruppen. Es ist so, dass es aus Großbritannien am Anfang, als B.1.1.7 sich ausgebreitet hat, Hinweise darauf gab, dass das bei jüngeren Menschen etwas häufiger gefunden wurde. Da sind sich aber die Statistiker inzwischen relativ einig, dass das keine biologische Eigenschaft des Virus ist, dass es sozusagen selektiv Kinder befällt oder Jugendliche befällt, sondern das war ein statistisches Phänomen, was damit zusammenhing, dass eben in dieser Zeit, insbesondere in Schulen, insbesondere eben bei jüngeren Bevölkerungsgruppen das Virus grassierte. Drum hat man das in der Zeit, wo sowieso die Mutante sich vermehrt hat man das einfach bei den Jüngeren vermehrt gefunden.


Man hat überhaupt keinen Hinweis darauf, dass diese Mutanten eine Alters-Präferenz hätten, und es gilt natürlich nach wie vor, dass Alte wesentlich gefährdeter sind. Deshalb haben wir bei den Alten eine im Vergleich zu vorher abgenommener Sterblichkeit, weil eben


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die Infektionen dort zurückgegangen sind und die Impfung ja funktioniert. Und deshalb gibt es eben diese Impflücke. Damit ist letztlich gemeint, das Risiko steigt ja, ich vergleiche das immer mit so einem Eishockeyschläger. Wenn man das Alter sich anschaut, dann ist es so, dann irgendwo so ab 65: Plötzlich steigt das Sterbensrisiko steil an bei Covid 19. Und da wir eben nur die Hochaltrigen jetzt halbwegs geimpft haben und die, die in den Heimen sind, ist dazwischen sozusagen eine Impflücke. Diese Gruppe, glaube ich, hat Herr Söder auch gemeint. Und man kann jetzt natürlich, wenn man jetzt den Teufel an die Wand malt, folgendermaßen rechnen. Man kann sagen: Es gibt einfach viele Menschen in dieser Altersgruppe, ich sag mal so zwischen 60 und 80. Die sind aber kaum geimpft. Die haben ein – im Vergleich zu den noch Jüngeren – deutlich erhöhtes Risiko. Ganz klar. Und da kommen jetzt verschiedene Sachen zusammen. Die sind sozial aktiver als die Älteren, haben also eine höhere Infektionswahrscheinlichkeit. Viele sind ja auch noch im Berufsleben. Und es ist so, dass, wenn die krank werden, weiß man natürlich, die liegen dann länger auf der Intensivstation. Also so ein Intensivbett wird dann einfach länger belegt, auch wenn sie nicht unbedingt so oft sterben am Schluss. Aber einfach die Belegzeit ist länger. Und in der Summe kann man dann natürlich so ein Szenario an die Wand malen, dass man sagt, wir haben dann in ein paar Wochen die Intensivstationen voll. Ja, also ich habe jetzt gerade in der Zeit online von heute gelesen – ich weiß nicht, wo die das herhaben – aber die sagen, sie hätten eine Studie vom Robert-Koch-Institut und der Technischen Universität Berlin, wo also gezeigt wird, dass, wenn man nichts tut, dass die Inzidenzen bis Mai auf über 2 .500 hochgehen oder so was in der Größenordnung. Also, da hört man heraus, dass da monströse Horrorszenarien scheinbar im Umlauf sind.


Und da muss ich sagen: Das ganze Thema ist etwas, was man ernst nehmen muss. Es ist wahnsinnig wichtig, aufzupassen, dass man nicht lax wird an der Stelle, weil man sich irgendwie an die Gefahr gewöhnt hat. Aber ich glaube, ich bin auch nicht so sicher, ob es jetzt gut ist, quasi ständig den Teufel an die Wand zu malen. Weil Sie gesagt haben, man hat Ihnen jetzt Angst gemacht. Zumindest für die


Jungen gilt nach wie vor: Jüngere Leute, also unter 50, sterben extrem selten daran. Es gibt ja auch diese Berechnung, die der Kollege Lauterbach manchmal bringt, dass er sagt: Naja, die mittlere Sterblichkeit zwischen, ich glaube, er sagt zwischen 50 und 80, liegt bei 2 Prozent, oder zwischen 50 und 70 liegt bei 2 Prozent. Auch da muss man aber immer berücksichtigen, diese 2 Prozent werden hauptsächlich von den Ältesten in diesem Fenster aufgemacht, sodass ich nur nochmal sagen kann: Es ist allerhöchste Zeit umzusteuern bei der Impfstrategie. Und da bin ich ein bisschen enttäuscht, dass da gar nichts in der Richtung rauskam, dass man wirklich konsequent die Alten schützt, weil wir mit den anderen Maßnahmen im Grunde genommen z.T. am Ende der Fahnenstange sind. Wir werden die Bevölkerung nicht weiter zu noch besserer Compliance pressen können. Und wir werden auch nicht wahnsinnig hoch an Geschwindigkeit aufnehmen können bei den Schnelltests jetzt. Offensichtlich will man in der Arbeitswelt nicht härter ran gehen an das ganze Thema, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Wir wollen, weil natürlich auch die Kultusminister dagegen sind, in der Schule nicht drastisch werden. Im Sinne, dass man jetzt z.B. Schulbesuch nur noch erlaubt, wenn getestet wurde o.Ä.. Und wenn man hier sieht, dass man in diesen ganzen möglichen anderen Maßnahmen eigentlich an der Wand ist und der Impfstoff nicht geliefert wird. AstraZeneca hat ja gerade wieder erklärt, dass sie auch im zweiten Quartal 2 02 1 jetzt wieder die Ziele nicht erfüllen, also die zugesagten Lieferungen an die EU nicht liefern können. Und wenn man das alles vor Augen hat, dann sage ich: Der einzige Weg ist eigentlich, möglichst schnell die Alten einmal impfen und quasi auf diese Not-Strategie umzuschalten.


35:34



Camillo Schumann



Weil wir über die Lage in der Intensivstation gesprochen haben. Da können wir ja mal ein paar Zahlen nachreichen. Stand heute: 3.136 Covid-19-Fälle aktuell in Behandlung. Nur mal zum Vergleich: vor 17 Tagen, am


6. März hatten wir den aktuellen Tiefststand sozusagen in der zweiten Welle mit 2 .748. D.h. 385 plus in 17 Tagen. Wie bewerten Sie das?


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Alexander Kekulé


Das wird weiter ansteigen. Das ist ja typischerweise immer so: Wir haben die Infektionswelle und dann zeitversetzt die Intensivstationen, und es wird so sein, dass das noch weiter ansteigt. Also wir haben im Grunde genommen bei der Kurve der Intensivbelegungen das Minimum überschritten, und die Kurve steigt jetzt zeitversetzt zur Infektionszahl wieder an. Das ist völlig klar.


Ich hoffe sehr, dass die Sterblichkeit nicht ganz so stark ansteigt, wie es in der Vergangenheit war. Das ist ja dann die dritte Kurve, die dem wiederum nachhinkt. Das ist deshalb schwierig auswertbar in der jetzigen Situation, weil eben die Liegezeiten bei jüngeren Menschen länger sind. Und deshalb wird es länger dauern, bis wir sehen, wie stark dieser Alterseffekt ist. Wir sehen eigentlich in den Ländern, die eine Altersstruktur haben, die jetzt nicht so wie bei uns ist, dass wir so eine stark überalterte Bevölkerung haben, sondern die einfach jüngere Bevölkerungen haben. Da gibt es also diverse Untersuchungen, die zeigen, dass, wenn die Bevölkerung ein jüngeres Durchschnittsalter hat, dann auch die Sterblichkeit im Verhältnis zu den Infektionszahlen geringer ist. Aber da, bei solchen Ländervergleichen, das ist immer wahnsinnig gefährlich, weil das hängt von so vielen Faktoren ab: Ob da richtig getestet wurde, welches Gesundheitssysteme da mit im Einsatz sind, sodass ich mich jetzt auf so was nicht verlassen würde, indem Sinne. Und klar, wir haben jetzt die Gefahr, dass tatsächlich sich das nicht sauber entkoppelt, oder andersherum gesagt, dass wir trotzdem noch eine relativ hohe Sterblichkeit bekommen, obwohl wir die Alten weitgehend geschützt haben. Und zum Glück können wir jetzt mit AstraZeneca weiter impfen. Ja, das ist ja noch mal ein Damoklesschwert gewesen, dass durch den Stopp von AstraZeneca und ohne Ersatz dafür man die Befürchtung hatte, dass man die Alten nicht mehr weiter geimpft bekommt. Ich hoffe sehr, dass wir in diesem Korridor, wenn wir so hart am Wind segeln, anders kann man das nicht sagen, irgendwie das Ganze schaffen ohne naja, ohne zu kentern oder eine PatentWende zu fahren, wie der Segler vielleicht sagen würde, also aus Versehen durch den Wind zu fahren. Deshalb muss man halt sehen,


dass man den Schutz der jeweils besonders gefährdeten Altersgruppen – und das sind jetzt eben die, die sag ich mal unter 80 sind, aber über 60, dass man da schneller ist, als die Krankheit fortschreitet.


38:2 4



Camillo Schumann



Bei allen Meldungen, auch darüber, dass sich die Lage auf den Intensivstationen – wir haben die Zahlen gerade gehört – wieder spürbar verschlechtert, gibt es auch andere Entwicklung in Bezug auf die neue Virus-Mutation B.1.1.7. Z.B. berichtet Frau Dr. G., sie ist Kinderärztin aus dem Weimarer Land auf unserem Anrufbeantworter aus ihrem Praxisalltag Folgendes:


„Dass sich die steigende Inzidenz auch in meinem Patientengut deutlich widerspiegelt. Allerdings sehe ich zu 100 Prozent noch mildere Verläufe als noch vor 2 Monaten. Wir haben in unserem Bereich fast 100 Prozent die britische Mutation und meine hoffnungsvolle Hypothese ist, dass das Virus tatsächlich in die richtige Richtung mutiert. Und jetzt zwar virulenter aber weniger krankmachend ist. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch vielleicht gar nicht sinnvoll, jetzt alles wieder zu schließen, sondern man sollte doch auch den jungen Leuten, die doch nicht geimpft werden können, die Möglichkeit geben, diese Erkrankung relativ gelinde durchzumachen.“


Tja, das berichtet eine Kinderärztin aus ihrem Alltag. Aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?



Alexander Kekulé


Das ist eben auch das Thema, die jungen Leute, die machen diese Erkrankung durch, und die meisten haben keine Probleme. Das, was ich am häufigsten höre, sind tatsächlich die Geruchsstörungen, die nicht weggehen wollen. Es gibt also viele junge Menschen, die tatsächlich bleibende Geruchsstörungen, also bis jetzt bleibende Geruchsstörungen haben. Wir wissen nicht, wie lange das dauert. Aber es gibt schon Fälle, wo das mehrere Monate jetzt berichtet ist. Im besten Fall riecht man nichts mehr. Im schlimmsten Fall riecht alles ganz fürchterlich, wie so nach Toilette, egal, wo man die Nase hinhält. Das ist natürlich auch nicht so toll, wenn man jetzt nicht sicher ist, ob das lebenslänglich bleibt. Was wir auch nicht wis-


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sen, ist, ... Das Virus ist ja neurotrop, d.h. es macht offensichtlich tatsächlich auch neurologische Veränderungen. Und wie weit die dann tatsächlich reversibel sind bei jungen Leuten ist auch nicht ganz klar. Aber natürlich, man muss eben, und das ist eben ganz wichtig: Man muss bei all diesen Dingen auch ein bisschen die individuelle Risikoabwägung vor Augen haben. Wem nützt es, eine Impfung zu haben? Wer hat bei der Impfung möglicherweise eher eine Bereitschaft, ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen von Nebenwirkungen, weil er sowieso im Falle einer Covid-Infektion auch besonders gefährdet wäre? Wer nimmt sich privat komplett zurück, um die Infektion wirklich halbwegs sicher zu vermeiden, weil er persönliches Risiko hat oder insgesamt einfach sagt, so ein Risiko nehme ich nicht auf mich aus grundsätzlichen Erwägungen? Und bei wem kann man eher sagen, so schlimm wird es nicht. Also diese Diskussion, die die Hörerin da eingebracht hat, die wird noch richtig spannend, wenn es um die Frage der Impfung der Kinder geht. Also die Impfstoffe werden ja jetzt – zumindest die RNA-Impfstoffe – werden ja jetzt an Kindern auch erprobt, und es ist ja völlig klar, dass man sich aus meiner Sicht, von dieser Wurst vor der Nase, die da Herdenimmunität heißt, verabschieden muss. Also das wird ja nach wie vor gesagt, wir brauchen 60 Prozent oder 70 Prozent, dann haben wir HerdenImmunität, dann ist alles vorbei. Aus verschiedenen Gründen ist das nicht erreichbar, dieses Ziel. Der wichtigste Grund ist, dass sich ständig Varianten bilden, wo man sich weiteres Mal infizieren kann. Und der zweite wichtige Grund ist, dass ständig Menschen nach geboren werden, die eben noch nicht immun sind. Und um da wirklich die Schleuse zuzumachen, müsste man ja die Kinder durchimpfen, wie wir das bei Kinderkrankheiten auch machen. Und da bin ich im Moment noch sehr skeptisch, ob da wirklich sozusagen die Risikoabwägung dafürspricht. Und das ist das, was die Hörerin da beobachtet. Naja, Jugendliche und Kinder, die stecken das in der Regel weg. Und da ist wirklich die Frage: Soll man die impfen? Oder auch die Frage: Wie radikal muss man die eigentlich in ihrem Leben beschneiden, gerade in so einer Phase, wo man sich entwickelt, um sie auch selber zu schützen? Bisher war ja unser Argument immer: Wir müssen letztlich, sage


ich mal ein bisschen bildlich, die Kinder einsperren, damit sie die Alten nicht anstecken. Aber wenn jetzt die Alten zunehmend durch den Impfstoff geschützt sind, dann wird dieses Argument natürlich auch langsam schwächer.


42 :47



Camillo Schumann



Jetzt schildert sie ja aus ihrem Praxisalltag, dass die milden Verläufe zunehmen. Ich gehe ganz stark davon aus, gerade bei den Kindern, Jugendlichen und möglicherweise jungen Heranwachsenden. Ist das etwas, was man auf diese Altersgruppe beschränken kann/sollte oder anwendbar auch auf andere Altersgruppen? Oder ist es auch wieder sehr individuell?



Alexander Kekulé


Also insgesamt ist es so, dass wir weltweit eigentlich diese Situation haben, dass die schweren Verläufe abnehmen. Da gibt es verschiedene Theorien, warum das so ist. Ja, eine ist, dass man – also reine Theorie natürlich – dass die Möglichkeit besteht, dass zunehmend Menschen einfach zum zweiten Mal infiziert werden und dann natürlich einen milden Verlauf bekommen. Natürlich gibt es auch immer die Idee, dass das Virus sich schon verändert haben könnte, in der Richtung. Soweit würde ich nicht gehen. Das wäre ja dann sozusagen das Gegenteil von dem, was Herr Söder vorhin gesagt hat. Die britischen Daten deuten jetzt auf keinen Fall daraufhin, dass B.1.1.7 als Virus biologisch gesehen ungefährlicher geworden ist, sondern man kann natürlich immer spekulieren, dass man mit zunehmender Immunität der Bevölkerung mildere Verläufe bekommt. Meine persönliche Vermutung ist, dass auch B.1.1.7, obwohl es da nicht eindeutig gezeigt ist, immer wieder Zweitinfektionen machen kann. Also dass Menschen, die am Anfang der ganzen Pandemie sich mal unter Umständen auch völlig unbemerkt infiziert haben, dass die, wenn sie B.1.1.7 bekommen, dann eben einen milden Verlauf haben, weil sie da schon Antikörper und eine Immunreaktion haben. Solche Entwicklungen sehen wir ja in den Ländern, wo tatsächlich eine zweite Variante durchs Land läuft. Da ist es ganz eindeutig, dass die ZweitInfektionen tendenziell zumindest nicht schwerer verlaufen als die ersten.


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44:35



Camillo Schumann



Weil Sie auch drüber gesprochen haben, dass man sich überlegen sollte, eigene Risikoabschätzung und gerade junge Leute, ob das mit der Impfung, ob das jetzt so richtig ist oder nicht. Und da schildert ja die Kinderärztin


Dr. G. auch Folgendes vom Impfstoff von AstraZeneca.


„Z.B. Meine Tochter auch schon mit AstraZeneca geimpft worden ist und die Impfreaktionen wesentlich schwerer war, als eine CoronaInfektion erwartbar gewesen wäre. Also mit mehreren Tagen hohem Fieber. Und die ist noch sehr jung – 18 Jahre – aber in ihrem Freundeskreis, die auch geimpft worden war, die Impfreaktion bei 100 Prozent ähnlich stark. Sodass ich denke, man sollte junge Leute möglichst nicht mit diesem Impfstoff impfen. Sondern den für die älteren Leute vorhalten, die nicht so schwer darauf reagieren.“


Wenn sich jetzt Hörerinnen und Hörer fragen wieso ist die 18-jährige Tochter dieser Ärztin schon geimpft? Die Tochter ist Studentin und arbeitet in einem Krankenhaus und ist dort als medizinisches Personal auch geimpft worden. Jetzt die Frage an Sie: Diese Schilderung? Ich habe da noch mal angerufen. Frau Gerber hat geschildert, mehrere Tage über 40° Fieber und mehr Nebenwirkungen als die Krankheit selber. Impfen – Ja oder nein?



Alexander Kekulé


Also, das ist bekannt bei allen Impfstoffen, bei allen Covid-Impfstoffen. Und bei dem AstraZeneca-Impfstoff ist ja bekannt, dass diese Reaktogenität, wie wir das nennen, besonders stark ist. Ich kann ja auch berichten an der Stelle, dass meine eigene Mutter, die also nicht mehr in dem Alter ist, sondern das darf man in dem Fall schon sagen, schon deutlich über 80 ist: Die hat auch einen ganzen Tag Fieber gehabt. Also die war den ganzen Tag platt und hat Fieber gehabt. Und am nächsten Tag war es aber wieder gut und vorbei. Und wir wissen, dass je jünger man ist, desto schlimmer ist es. Das ist völlig klar. Und ja, beim AstraZenecaImpfstoff ist die Reaktogenität wohl etwas höher. Dafür gibt es nicht so saubere statistische Daten, aber es sieht es doch ziemlich stark danach aus. Das ist einer der Gründe,


wenn man diese Abwägung sich anschaut, obwohl ich jetzt persönlich so der Meinung bin: Naja, mal 1-2  Tage Fieber, wenn man weiß, da sind keine weiteren Folgeschäden zu erwarten oder man geht damit kein Risiko ein, Sie wissen die Diskussion um die Thrombosen usw... Wenn also diese Risiken quasi vernachlässigbar sind, dann glaube ich, kann man den Leuten schon zumuten, dass sie mal auch eine Impfung über sich ergehen lassen, wo sie Nebenwirkungen haben. Also wenn ich mich erinnere, ich musste früher mal wegen meiner Aufenthalte in den Tropen gegen Gelbfieber geimpft werden. Das ist also noch viel, viel schlimmer, sage ich mal, zumindest nicht bei allen, aber bei einigen. Aber für mich ist das viel wichtigere Argument, dass ja, so eine 18Jährige – vielleicht wäre es sogar so, wenn sie Covid hätte, wäre das vielleicht subjektiv gesehen, weniger schlimm als jetzt diese Impfung – aber viel schlimmer ist, dass diese 2 Impfdosen, die da verbraten wurden, eben letztlich nicht angewendet wurde, um 2 Alte zu schützen. Und das ist doch das Problem. Die Alten haben nicht nur weniger Reaktogenität, also weniger Nebenwirkungen von der Impfung. Auch diese möglicherweise im Raum stehenden, sehr, sehr seltenen Thrombosen, die ja in der Diskussion sind, diese Sinusvenenthrombosen, die sind ja auch nur bei Jüngeren aufgetreten. Und das ganze Paket, also Reaktogenität plus mögliche Nebenwirkungen plus Strategie: Wie machen wir es insgesamt, damit wir irgendwie durch diese Pandemie segeln können? Das alles schreit einfach danach, die Alten zu impfen. Insbesondere natürlich auch mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Und ich kann nur daran erinnern: Die skandinavischen Länder, bei denen ist es noch fraglich, ob sie den überhaupt wieder einsetzen wollen. Die haben das, glaube ich, auf nächste Woche verschoben, die Entscheidung, ob AstraZeneca wieder zum Einsatz kommt. Und in Frankreich ist es ja so, dass der jetzt, glaube ich, ab 55 Jahre zugelassen ist. Also die machen genau diese Konsequenz, die sagen: wir wenden diesen Impfstoff bei Älteren an, weil wir aus den genannten Gründen auf der sicheren Seite sind. Und mir tut es regelrecht weh, wenn ich höre, wie massenweise – das ist ja überall so – dass die ganzen Krankenschwestern und Pfleger, die Ärzte, die Medizinstuden-


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ten, wie wir jetzt hören, plus Lehrer usw. Das sind natürlich Leute, die drängen ja zur Impfung ja, die wollen geimpft werden, um sich zu schützen. Und es viel schwieriger, die Alten zuhause zu erwischen, die irgendwo – fast hätte ich gesagt „vor sich hinvegetieren“ – die sich nicht mehr raustrauen wegen dieser Pandemie und die auch zu Recht Angst vor dem Virus haben. Und da muss der Staat, meine ich schon, seine Bürger dann auch je nach Risiko selektiv schützen.


49:16



Camillo Schumann



Weil wir über AstraZeneca gesprochen haben und es auch immer wieder tun werden: Nach weniger erfreulichen Meldungen über den Impfstoff in der vergangenen Woche, gab es gestern nun wieder neue Informationen. Das Unternehmen selbst hat ja positive Nachrichten verbreitet. Es wurde aus einer neuen Studie berichtet, die ist jetzt noch nicht veröffentlicht worden. Es gibt „nur“ erst mal eine Pressemitteilung. Die Studie soll dann eingereicht werden. Und es sollten von dieser Pressekonferenz gestern 2 klare Botschaften ausgehen. Die erste Botschaft: Der Impfstoff ist auch bei älteren Menschen sehr, sehr wirksam. Und die zweite Botschaft: Ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel stellten die Forscher nicht fest. Diese 2 Botschaften wurden transportiert. Kamen diese Botschaften auch bei Ihnen an? Sie haben sich das, was da war, schon mal durchgelesen.



Alexander Kekulé


Es gibt noch eine dritte Botschaft: Die sagen, in der amerikanischen Studie ist jetzt die Effizienz der Impfung besser – also die Impfung ist besser als in der ersten Studie. Also sie sagen: Wir können symptomatische Infektionen bei fast 80 Prozent verhindern. Letztes Mal hieß es ja 70 Prozent. Sie sagen: Wir haben diesmal – das ist eben neu bei dieser US-Studie jetzt – wir haben diesmal etwa 2 0 Prozent Teilnehmer gehabt, die über 60 sind, 60 oder älter. Und wir haben eine Teilauswertung gemacht bei den über 80-Jährigen. Und da haben wir auch diese 79 oder sogar 80 Prozent Wirksamkeit. Also, die sagen also hauptsächlich: Die Älteren können wir sehr gut schützen und wir sind zehn Prozent besser als beim letzten Mal. Also sozusagen, wer bietet mehr? Ganz ehrlich ge-


sagt ist es ja so: Das ist jetzt die lang erwartete amerikanische Studie. Vielleicht zur Vorgeschichte. Es ist es so: Die amerikanische Zulassungsbehörde – hier ist die FDA bei denen zuständig – die haben also nicht diese Aufteilung wie bei uns das, dass Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe zuständig ist und das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte für die anderen Dinge. Und die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde, hat ja von vornherein gesagt im Gegensatz zu den Europäern: Nein, eure Studie, liebe AstraZeneca, die glauben wir nicht, eure Daten sind uns zu schwach.


Da ist ja bekannt, dass es sehr, sehr viele Probleme gab. Die berühmte Sache, dass man aus Versehen die erste Impfung mit der halben Dosis gemacht hat in der Studie, und dahinter behauptet hat, dass sei halb die Absicht gewesen oder zumindest eine glückliche Fügung, weil mit der halben Dosis dann die Wirksamkeit scheinbar besser war. Später kam dann raus, das war ein Fehler eines italienischen subcontractors, eines Subunternehmers, der irgendwie da falsch gemessen hat bei der Herstellung. Dann kam raus, dass insgesamt die Produktion so weltweit distributiert ist. Also dass die quasi ganz viele einzelne Unternehmen haben, die in so eine Art weltweite Produktionskette zusammenschalten. Dadurch war der Vorwurf, zumindest nicht so sauber kontrollieren zu können. Und dann kam auch noch heraus, dass diejenigen, die also diese halbe Dosis am Anfang bekommen haben, dass die möglicherweise deshalb besseren Schutz hatten als die anderen, die zweimal die volle Dosis bekommen haben, weil man bei denen länger gewartet hat zwischen der ersten und zweiten Impfung. Da hat man ja bis zu drei Monate gewartet, statt regulär vier Wochen. Und all das hat natürlich und noch ein paar andere Sachen, die glaube ich schon genug diskutiert wurden, hat natürlich so ein Geschmäckle gegeben, irgendwie insgesamt. Und da hat die FDA gesagt die Daten sind uns nicht sauber genug. Und natürlich der Faktor, dass bei den ersten Studien die Alten viel zu wenig einbezogen waren. Und deshalb musste die Studie, die läuft ja inzwischen, ich glaube, seit August schon, die musste also in den USA fortgesetzt werden. Ein paar Teilnehmer waren auch in Peru und Chile. Und die Ergebnisse


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davon mit insgesamt 32 .449 Probanden wurden jetzt als Zwischenergebnis veröffentlicht.


Eigentlich hätte schon längst das Endergebnis dieser Studie vorliegen sollen. Das war eigentlich geplant bis zum 16.03.. Also diese Studien, die haben ja immer so einen Plan. Bis 16. März hätte das Endergebnis schon da sein müssen. Man hat offensichtlich Probleme gehabt bei der Rekrutierung. Oder aus irgendwelchen Gründen ist die Studie langsamer gelaufen als geplant. Und die jetzigen Daten beruhen auch auf 141 Fällen. Also man hat in diesem Kollektiv von, sage ich mal, gut 32 .000 Probanden, von denen 2 Drittel vakziniert wurden und ein Drittel nicht, also ein Drittel Kontrolle. Da hat man 141 Fälle insgesamt gehabt. Nur mal so zum Vergleich: Die Studie von Biontech (bei Moderna hab ich's nicht im Kopf), da war es so, dass man 170 Fälle hatte für die Auswertung. Und diese Fälle, die Zahl der Fälle, das ist extrem wichtig, um zu sehen, wie gut die statistische Power ist. Also wie sicher ist das Resultat überhaupt, was sich da angebe, wie zuverlässig ist das Resultat. Und deshalb sagt die Zulassungsbehörde eben vorher: „Bevor ihr die Studie zumachen dürft, müsst ihr so und so viel Fälle haben.“ Das wird ausverhandelt zwischen den Herstellern und den Zulassungsbehörden. Und hier hat man offensichtlich – ich weiß nicht, welche Zahl da im Raum steht, das wird vorher nicht veröffentlicht – aber hier hat man diese Zahl offensichtlich nicht erreicht bisher entgegen der ursprünglichen Planung, und stattdessen jetzt hier wieder eine Pressekonferenz rausgehauen. Da muss man schon die Frage stellen: Warum machen die das? Und die Antwort liegt auf der Hand. Nächste Woche wollen die skandinavischen Länder entscheiden. Wir haben in Europa viele Menschen, die kritisch sind. Frankreich hat eben sich auch noch nicht entschieden, wie es mit den Jüngeren umgehen soll. Deshalb hat es eben AstraZeneca offensichtlich für sinnvoll gehalten, hier mal die Zwischenergebnisse bekannt zu geben.


55:14



Camillo Schumann



Genau das sind die Zwischenergebnisse zu einem strategisch wichtigen Zeitpunkt.


Trotzdem noch mal die Frage: Wenn man sich die Zahlen anguckt oder dem, was da ist, sozu-


sagen die Wirksamkeit bei älteren Menschen, kann man diese Frage dann damit beantworten?



Alexander Kekulé


Also, ich würde mal so sagen, wenn man den Hersteller hier diesmal 100 Prozent glaubt... Beim letzten Mal hatten die ja so ein bisschen Hokuspokus mit den Zahlen gemacht, wie sich hinterher herausstellt. Aber wenn man davon ausgeht, dass die aus diesem Fehler gelernt haben – man muss vielleicht auch dazu sagen, AstraZeneca hat ja historisch nicht so viel Erfahrung mit der Impfstoffprüfung und -herstellung. Das ist für die Neuland. Darum kann man es denen vielleicht zurechnen, dass sie da beim letzten Mal quasi aus Versehen bisschen falsch gerechnet haben. Und wenn man sagt: Okay, ihr habt jetzt verstanden, ihr habt es richtig gemacht. Das ist ja nur eine mündliche Mitteilung, nur eine Pressekonferenz gewesen. Dann würde ich sagen: Ja, das ist ein sehr gutes Ergebnis, weil hier ziemlich klar gesagt wird: Bei den über 80-Jährigen ist die Impfwirksamkeit genauso gut wie beim Rest der Gruppe, die getestet wurde. Das ist für mich eigentlich das wichtigste Resultat, dass da kein Unterschied ist. Und man muss vielleicht auch flankierend sagen: Diese Beobachtungsstudien, die wir schon besprochen haben, die ja in Schottland z.B. stattgefunden haben. Da sah es ja auch im Feld ganz genauso aus, dass da kein Unterschied ist, bei der Wirksamkeit zwischen den Alten und den Jungen. Und deshalb würde ich sagen jetzt für mich persönlich, das glaube ich. Ja, ich glaube, dass das so ist. Tatsächlich. Und das ist ein ganz wichtiger Hinweis: Das AstraZeneca wirkt auch bei Alten. Das Robert-KochInstitut hat ja am Anfang auch gesagt wir wollen erst mal mehr Daten sehen. Aber ich glaube, das ist jetzt bestätigt, dass man zu Recht gesagt hat, die Alten sind auch geschützt durch diesen Impfstoff.


Vielleicht noch 2 Sachen dazu. Das eine ist biologisch: Es ist es ja auch plausibel, dass es so ist. Wir haben jetzt keinen Grund, dass wir sagen würden, der Moderna-Impfstoff, der wirkt bei Alten gut, und der AstraZeneca nicht. Also warum sollte das so sein? Es ist ja letztlich ein ganz ähnliches Antigen, was da sozusagen im Einsatz ist. Es gibt ein Fragezeichen, rein technisch gesehen, wenn man eine Auswer-


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tung mit einer Teilgruppe macht, also hier die Teilgruppe der Über-80-Jährigen. Da muss man sich natürlich bei den insgesamt 32 .000 und noch was Fällen anschauen, wie viele davon waren wirklich über 80? Wie viele Infektionen sind da aufgetreten, in der Kontrollgruppe und in der Impfgruppe bei den über 80-Jährigen? Und ist dieses Resultat für diese Teilauswertung der Über-80-Jährigen wirklich statistisch signifikant und sauber? Aber da sage ich mal, dass ist unter Epidemiologen so dermaßen trivial, was ich gerade gesagt habe, dass ich davon ausgehe, dass AstraZeneca und die Leute, die das gemacht haben, natürlich das sauber gemacht haben mit dieser Teilauswertung, bevor sie sich an die Presse begeben und sagen, das ist genauso gut wirksam.


58:03



Camillo Schumann



Also bei den Älteren können wir einen Haken dran setzen. Wie sieht es denn eigentlich mit dem erhöhten Risiko für Blutgerinnsel aus? War ja das Thema letzte Woche – ist das damit jetzt auch vom Tisch?



Alexander Kekulé


Nein, also da muss ich sagen, das ist einfach schwierig. Das geht hier um ganz bestimmte Blutgerinnsel, die festgestellt worden, diese sogenannten Sinusvenenthrombosen, extrem seltene Erkrankung. Und die Frage, die dahinter steht, auch durch die Ergebnisse aus Greifswald, die ja letzte Woche bekannt geworden sind, ist ja so ein bisschen: Gibt es da irgendeinen biologischen Effekt, den die Impfung macht, der irgendwie vielleicht dazu beiträgt, dass die Blutplättchen eher zusammenklumpen o.Ä.? Und da ist es so: Die Studie läuft ja schon ewig, diese US-Studie. Das könnte auch noch ein Problem bei der jetzigen Auswertung sein. Diese US-Studie läuft im Prinzip auch schon seit letztem August. Die hat man jetzt vorangetrieben, weil die FDA diese Daten haben wollte. Und man hat jetzt eine Zwischenauswertung gemacht aus bekannten Gründen. AstraZeneca sagt, wir haben einen Neurologen hingesetzt, der hat noch einmal genau hingeschaut und Fragen gestellt bezüglich der Häufigkeit von Sinusvenenthrombosen. Aber wenn sie das vorher in der Studie, in den Studienzentren, wo die Patienten sind, wenn sie das dort nicht irgendwie schon anfangen


dort gezielter nachzugucken, dann ist es wahnsinnig schwer, sozusagen ex post – im Nachhinein – festzustellen, gab es da Sinusvenenthrombosen ja oder nein, bzw. noch schlimmer: Wenn sie feststellen wollen, gab's tendenziell irgendeine Thrombose-Neigung? Das ist ja hier so ein bisschen die Frage, die im Raum steht, diese berühmte Spitze des Eisbergs. Und da kann ich nur daran erinnern, dass die Deutschen, das Paul-Ehrlich-Institut mit seiner deutschen Gründlichkeit, auch erst, nachdem sie relativ gezielt nachgeguckt haben, dann, ich glaube, diese 13 Fälle waren es, glaube ich, in Deutschland gefunden haben. Und auch die Europäische Arzneimittelbehörde hat noch einmal ganz gezielt geguckt und dann eben diese 18 Fälle im Nachhinein gefunden, die bei der EMA aufgeschlagen sind. Und es ist in den letzten Tagen auch rausgekommen, dass es auch im Vereinigten Königreich, wo es ja immer hieß, da wird so viel geimpft, da gab es überhaupt keine Sinusvenenthrombosen. Da sind, glaube ich, auch 2 oder drei Sinusvenenthrombosen im Nachhinein entdeckt worden, nachdem man gezielt gesucht hat. Das ist bei so einer Studie im Nachhinein eben wahnsinnig schwierig, so etwas auszuwerten. Darum würde ich sagen, man kann nicht sagen, wir haben es ausgeschlossen. Erstens, weil man im Nachhinein diese Daten nicht richtig, sage ich mal, nachlesen kann. Und zweitens, weil natürlich wir hier sowieso – vielleicht das noch wichtigere Argument – von einer extrem seltenen Nebenwirkung ausgehen. Das ist ja wirklich sehr, sehr wenig. Ein paar Fälle auf mehrere Millionen Geimpfte. Und wenn sie da nur ein paar 30.000 Probanden haben, von denen 2 1.583 den Impfstoff bekommen haben. Wenn Sie da nichts beobachten. Ja, das ist eine extrem seltene Nebenwirkung. Das können sie in so einer Studie eigentlich gar nicht erfassen.


01:01:12 



Camillo Schumann



Jetzt haben wir das ja, oder Sie haben es detailliert nochmal dargestellt. Sie waren aber nicht der Einzige, der das getan hat, sondern die US-Behörden haben das auch gemacht und haben eine sehr eindeutige Stellungnahme dazu veröffentlicht. Wie bewerten Sie das?


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Alexander Kekulé


Ja, also AstraZeneca hat eben hier eine Pressekonferenz gemacht. Und ich sag jetzt doch mal dazu: Unter den Fachkollegen international – in Deutschland wird es ja immer verteidigt – aber international ist es so, dass man einfach schon so ein bisschen Vorbehalte gegen AstraZeneca hat, weil sie am Anfang halt einfach extrem offensiv vorgegangen sind. Auch die beteiligten Kollegen, Wissenschaftler dort, die sind sehr, sehr selbstbewusst am Anfang aufgetreten. Das ist, glaube ich, auch bekannt. Und das sage ich deshalb vorneweg, weil dieses Statement aus meiner Sicht richtig krass ist: Es gibt in den USA eben diese Behörde, das [...]National Institute of Allergy and Infectious Diseases, NIAID heißen die. Dort ist der Toni Fauci, der berühmte amerikanische Infektiologe. Und die haben so ein... Bei denen dran hängt sozusagen das sogenannte Data Safety Monitoring Board. Das ist so etwas Ähnliches wie das Chimp bei uns in Europa. Das sind quasi die, die sich kümmern um Nebenwirkungen. Dieses Board, was also wirklich hochrangig besetzt ist und eigentlich immer so ein bisschen den Ruf hat, industriefreundlich zu sein, die sagen jetzt klipp und klar (Pressemeldung von heute Morgen), die sagen: Sie haben Bedenken, dass AstraZeneca möglicherweise outdated information – also nicht mehr aktuelle Informationen – in ihre aktuelle Publikation, in ihrer aktuellen Studie mit eingebracht hat, wodurch die genannten Effizienz-Zahlen von etwa 80 Prozent beeinflusst sein könnten. Die formulieren das natürlich vorsichtig. Aber wenn es so eine Pressemeldung gibt, auweia, wenn das stimmt. Also ich kann mir kaum vorstellen, dass die sich so weit aus dem Fenster hängen. Aber wie gesagt, die sind alle immer so ein bisschen besonders kritisch bei AstraZeneca – da muss man AstraZeneca in den Schutz nehmen. Aber trotzdem, dass die sich so weit aus dem Fenster hängen, hier quasi eine öffentliche Warnung auszusprechen – das steht da bei denen auf der Webseite jetzt – das ist natürlich schon ein Hammer. Also, da wird es wahrscheinlich in den nächsten Stunden – die Vereinigten Staaten stehen ja immer ein bisschen später auf als wir – und es ist so, dass man jetzt dann, sobald die dann alle wach sind, da drüben, erwarten kann, dass es da weitere Stellungnahmen gibt. Aber das ist schon ein


ziemlicher Hammer, dass dieses Safety Monitoring Board quasi eine Warnung ausspricht gegenüber diesen Daten, die in der Pressekonferenz bekanntgegeben wurden.



Camillo Schumann



Die Frage ist ja, welche Daten da möglicherweise fehlen oder veraltet sind, und was das denn jetzt auch für den für den Impfstoff bedeutet. Also möglicherweise die Zulassung in den USA – da sollte sie beantragt werden – ist dann auch in weite Ferne erst mal gerückt, um da jetzt noch mal ein Strich drunter zu ziehen.



Alexander Kekulé


Naja, das ist schon erstaunlich. Ja, die haben in kurzer Zeit sehr, sehr viele Probanden. Sie haben 141 Fälle. Das ist auch nicht schlecht. Zwar offensichtlich nicht das, was sie erreichen wollten. Aber klar steht da die Frage im Raum: Sind das jetzt nur neue Daten? Oder haben Sie dann noch irgendetwas mit reingerechnet, was irgendwie eben sozusagen aus anderen Studien ist oder eben outdated ist, wie die dort sagenEtwas was, sozusagen nicht mehr mit eingerechnet werden durfte, um irgendwie zu diesem Zeitpunkt was präsentieren zu können. So quasi, wenn man so sagen will: Sie haben irgendwie Gäste eingeladen und haben gesagt es gibt Spaghetti mit Tomatensoße. Jetzt haben sie aber nicht genug Dosen. Nehmen sie noch eine alte, die in der Speisekammer stand, wo eigentlich schon das Verfallsdatum überschritten wurde, und rechnen das noch mit rein in die Soße. Ein bisschen danach klingt es. Das könnte so sein kann. Das ist natürlich nur eine Vermutung.


Vielleicht ist mir noch Folgendes wichtig. Also man muss ja auch die Frage stellen: Die sagen jetzt – und ich weiß, dass das in Deutschland einige Kollegen jetzt sofort sagen werden nach der AstraZeneca-Präsentation – schaut mal her, das ist genauso gut wie Biontech. Man muss jetzt Folgendes nur noch einmal klar sagen: Diese Studien sind nicht vergleichbar. Es ist erstens so, dass die neue Studie von AstraZeneca, die jetzt plötzlich zehn Prozent mehr Wirksamkeit aus dem Hut zaubert, dass die schon mit der alten nicht vergleichbar ist. Man muss die Frage stellen: Warum ist es jetzt plötzlich zehn Prozent mehr wirksam, als es bei der letzten Studie war? Das ist ja ein signifikan-


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ter Unterschied, [und] erinnert ein bisschen daran, was die chinesischen Hersteller gemacht haben. Da gab es dann auch aus den Vereinigten Emiraten und aus Brasilien plötzlich widersprüchliche Daten, die auch so um zehn Prozent rauf und runter gingen. Also, da müsste AstraZeneca schon erklären, warum die Daten jetzt anders sind, weil man eigentlich aufgrund der Zunahme der Varianten, die auch in USA jetzt zirkulieren, eher erwarten würde, dass jetzt eine neue Zulassungsstudie es ein bisschen schwerer hat. Also, ich hätte eigentlich eher erwartet, dass es schwieriger wird, eine hohe Wirksamkeit zu erzielen. Sie ist aber jetzt, so wie es aussieht, besser geworden plötzlich. Also damals waren es ja im Vereinigten Königreich nur 62  Prozent Wirksamkeit und etwa 70 Prozent, wenn man die Daten aus Brasilien dazugerechnet hat. Das ist ja nicht wie bei Wein, dass er, je älter er wird, umso besser wird, bei den Impfstoffen. Sondern eigentlich überraschend, dass das jetzt zehn Prozent deutlich besser ist als damals. Das Zweite, was wichtig ist: Man muss wissen, dass man das nicht vergleichen kann, eben z.B. mit Biontech. Und da will ich kurz sagen, warum. Die AstraZeneca-Studie hat schon von vornherein – das war schon immer bei AstraZeneca so: Die haben vier Wochen Abstand gelassen zwischen der ersten und zweiten Impfung. Wir wissen ganz generell – da gibt es auch Studien, die das aktuell zeigen – je länger man den Abstand hat zwischen den beiden Impfungen, desto höher ist die Wirksamkeit, die man misst hinterher. Biontech hat drei Wochen Abstand gehabt. D.h. also rein von dem her, wieviel Abstand zwischen den Impfungen ist, ist völlig klar, dass eigentlich AstraZeneca eine höhere Wirksamkeit haben müsste als Biontech. Aber Sie wissen, wir reden jetzt aktuell von


80 Prozent versus 95 Prozent. Das zweite wichtige Thema ist das Alter. Es ist so, dass die AstraZeneca-Studie Teilnehmer ab 18 hatte und Biontech – ich glaube Moderna auch – ab 16. 2 Jahre Unterschied. Und das ist deshalb wichtig, weil jüngere Teilnehmer tendenziell weniger schwere Symptome haben und ältere Teilnehmer tendenziell eher schwerere Symptome haben. Und schwerere Symptome sind tendenziell leichter erkennbar. Also je jünger die Teilnehmer drinnen sind, desto eher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Symptome über-


sieht. Die Frage ist, ab wann lässt man einen Fall überhaupt als Fall definiert sein. Also wenn jemand so unmittelbar nach der Impfung quasi krank würde, würde man sagen: Naja gut, der hat sich schon vorher infiziert. Wenn jemand nach der ersten Dosis krank wird, dann sagt man: Naja, die erste Dosis hat vielleicht noch nicht gereicht. Nehmen wir als Auswertung mal nach der zweiten Dosis. Und je später man quasi auswertet, also je später man Erkrankungen als Fall definiert, desto besser natürlich für die scheinbare Wirksamkeit des Impfstoffs. Und da ist es so bei Biontech, dass man sieben Tage nach der zweiten Impfung gesagt hat: alles, was dann krank wird, gilt als Fall. Also wenn quasi dann jemand krank wird, sieben Tage nach der zweiten Impfung, dann gilt er als infiziert trotz Impfung. Bei AstraZeneca ist es so, dass man da 15 Tage genommen hat, also mehr als das Doppelte. D.h. also, man hat sich bei diesen ganzen Punkten, die ich jetzt genannt habe, immer auf die sichere Seite begeben. Das ist alles in Ordnung, ja, das kann man schon machen. Aber das ist deshalb wichtig, weil ich weiß, dass eben Kollegen von mir jetzt sagen werden, das kann man vergleichen und das ist ja fast genauso gut. Das stimmt eben nicht, sondern es ist so, dass man diese Studien letztlich nicht vergleichen kann. Das ist der Punkt, der wichtig ist.


Man kann nur sagen, dass AstraZeneca ein wirklich gut wirksamer Impfstoff ist. Für die Situation, die wir hier haben, in Deutschland – da wir ja keine Alternative haben – ist es auf jeden Fall zu empfehlen, das zu nehmen. Man kann aber weder aus dieser Studie hier, noch aus irgendwelchen anderen Sachen, die vorher gelaufen sind, in Irland oder so, jetzt schließen, dass es genauso gut wäre. Oder sogar vielleicht schließen – das habe ich auch schon gehört – dass man sagt: Naja, das war ein Impfstoff, der hat in der Zulassungsstudie nicht so performt, aber dann hinterher im wirklichen Leben gezeigt, dass er besser als bei der Zulassung war. Also so etwas kann man aus den Daten überhaupt nicht ablesen.


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1:12 :06



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Hörerfragen. Dieser Hörer hat folgende Frage:


„Besteht die Möglichkeit, dass ich mich – bevor ich geimpft werde mit Astrazeneca – testen lassen kann, ob eine Thrombosegefahr besteht? Und die zweite Frage: Wenn ich denn ein Thrombosemittel bekommen würde, wie lang sollte man das dann einnehmen?“



Alexander Kekulé


Die Möglichkeit, ob man eine Thrombosegefahr hat, es gibt dafür Tests. Ich bin aber absolut dagegen, das vor einer Impfung zu machen. Man muss sich das so vorstellen: Wenn man optimistisch ist, sagt man: Das Risiko von Thrombosen – so sagt es zumindest der Hersteller und die Leute, die den Hersteller verteidigen – liegt höchstens in der Größenordnung von 1:100.000. Das ist die Zahl, die so im Raum steht. Die EMA hat Daten veröffentlicht, die so in diese Richtung gehen. Wenn man jetzt echt den Teufel an die Wand malen wollte, würde man sagen: Naja, es ist nicht ausgeschlossen, dass das Risiko vielleicht bei 1:10.000 liegt. Dann sind sie immer noch ein einem Bereich, wo es weit davon entfernt ist, dass es sich lohnen würde, dann jeden vorher auf ThromboseRisiken zu testen o.Ä.. V.a. muss man ja noch mal betonen: Dieses Zustandekommen dieser Thrombosen ist ganz offensichtlich ein besonderer Mechanismus, der nicht 1:1 der gleiche ist von den normalen Thrombosen, die man so hat, was weiß ich, als Raucher oder Frauen, die die Pille nehmen, usw. Sondern es ist ein besondere Mechanismus. Und deshalb ist gar nicht gesagt, dass jemand, der jetzt so ein allgemeines Thromboserisiko hat aus anderen Gründen, dass bei dem dann dieser besondere Mechanismus eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, sozusagen anzuschlagen. Oder andersherum gesagt: Die Tests, die wir haben, um so Thrombosegefahr im Allgemeinen ungefähr zu analysieren, die haben wahrscheinlich gar keine Vorhersagekraft bezüglich der Frage, ob man ein erhöhtes Risiko nach AstraZenecaImpfung hat



Camillo Schumann



Und die Frage der prophylaktischen Einnahme vor einer Impfung? Sie hatten es schon ein bisschen gesagt.



Alexander Kekulé


Umso mehr, umso mehr. Das gilt eben hier auch. Es sieht eben so aus, das hatten wir ja, im Podcast, ich glaube letzten Donnerstag, besprochen. Wenn die Greifswalder Daten stimmen, dann ist es so, dass es ein ganz bestimmter Mechanismus ist, der dazu führt, dass diese Blutplättchen verklumpen können. Möglicherweise auch durch irreguläre Antikörper, die da eine Rolle spielen. Auf jeden Fall durch eine Aktivierung des angeborenen Immunsystems und des Komplementsystems. Und das kann man nicht, indem man einfach irgendwelche Thrombosehemmer oder Blutverdünner oder irgendetwas einnimmt – ich sag mal so Stichwort Aspirin in niedriger Dosis. Das kann man da nicht so pauschal sagen, dass dieses Risiko damit reduziert würde. Also daher haben wir zu wenig Erkenntnisse, um letztlich zu sagen, was man machen könnte, um rein theoretisch dieses minimale Risiko auch noch weiter zu reduzieren. Ich glaube, dass da sehr bald Daten zur Verfügung stehen werden. Die Mechanismen werden ja gerade untersucht. Und es kann durchaus sein, dass wir in wenigen Wochen dann wissen, wie das funktioniert mit diesen Nebenwirkungen. Ob es überhaupt wirklich am Impfstoff liegt. Und falls es daran liegt, dann auch Hinweise haben, wie man im Falle eines Falles Gruppen definieren kann, die ein erhöhtes Risiko haben. Aber diese Daten haben wir eben bis jetzt noch nicht. Und deshalb ist es auch nicht sinnvoll, da irgendetwas ins Blaue hinein zu machen.


1:13:31



Camillo Schumann



Frau J. hat uns gemailt. Sie schreibt:


„Ich bin Lehrerin an einer Schule in NordrheinWestfalen und unterrichte einen zehnten Jahrgang. Wir hatten in dieser Woche den ersten Durchgang mit Schnelltests, in dem die halbe Klasse sich testen lassen sollte. Von 13 Schülerinnen und Schülern haben nur 2 Eltern das Einverständnis zum Schnelltest gegeben. Die anderen elf Schüler haben von den Eltern eine unterschriebene Erklärung mitgebracht, dass


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sie einer Testung nicht zustimmen. Diese Schüler kommen aber trotzdem in die Schule. Das Kollegium ist jetzt massiv verunsichert. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen über 60, sogar über 65. Bei einer Nachbesprechung mit den Eltern kam als Antwort, dass die Familien einer Quarantäne im Falle eines positiven Tests entgehen wollen. Es würde mich sehr interessieren, was Herr Professor Kekulé dazu vorschlägt. Wir sind verzweifelt. Herzlichen Dank, Frau J.“


Mein lieber Mann.



Alexander Kekulé


Oh weh! Ich glaube, dass es eine Ausnahme ist, dass Menschen so offen darüber sprechen. Ich sage ganz offen, ich habe mit der Schule, wo also mein Neunjähriger hingeht, da habe ich ehrlich gesagt sogar ähnliche Erfahrungen gemacht. Das ist tatsächlich so: Ich glaube, wenn man in Deutschland unter den Teppich schauen würde überall, dass diese Überlegungen häufig eine Rolle spielen. Dass man eben sagt: „Mensch, wenn das dann offen wird, dass wir da positiv sind, dann müssen wir in Quarantäne. Dann kann der Papa nicht mehr zum Arbeiten gehen. Wie zahlen wir dann unsere Miete? Was ist dann mit unserem Urlaub nächste Woche in Mallorca, den wir geplant haben ...“ Ja, also das ist so, glaube ich, ein Geschehen, was neben dem offiziellen Pandemie-AbwehrGeschehen in Deutschland abläuft, was man vielleicht unter „diskrete Vermeidungsstrategie“ oder „diskrete Verweigerung“ überschreiben könnte. Da muss ich zugeben, bin ich jetzt auch überfordert, denn das ist eher etwas, was man Psychologen, Soziologen fragen müsste. Ich kann als Wissenschaftler immer noch hoffen, dass die Fakten, die man versucht, irgendwie zu erklären, Leute überzeugen. Aber wenn man sozusagen nicht mehr faktenbasiert argumentiert, sondern eher opportunistisch – das ist es ja am Ende des Tages – dann wird es schwierig. Ja, also dann kämpft letztlich der Einzelne gegen die Gesellschaft. Da sind wir an dem Punkt. Haben wir darüber gesprochen, warum aus meiner Sicht in Japan das so gut funktioniert hat? Eine Zeitlang. Da gab es ja Kollegen, die gesagt haben, das ist die japanische Cluster-Strategie gewesen. Aber aus meiner Sicht war das viel stärker, dieses sehr starke Commitment auch asiatischer Kultur, Japan


ganz besonders, dass der Einzelne nichts tut, was die Gesellschaft, was die Gemeinschaft sozusagen schädigt. Und das haben wir eben in Deutschland nicht so stark – im Westen insgesamt nicht so stark – und möglicherweise an dieser Schule besonders wenig. Aber das ist, glaube ich, kein Ausnahmefall. Ich glaube, das wird noch interessant. Wenn dann diese Teststrategie am Start ist, wir hoffen ja, dass das demnächst dann der Fall ist, dass dann die Frage ist, machen die Eltern mit? Oder braucht man vielleicht sogar Zwangsmaßnahmen, dass Kinder, die nicht getestet werden, nicht in die Schule dürfen? Dann gibt es wieder die Schulpflicht. Wahnsinnig schwierig.


Und vielleicht zuletzt: Es ist ja in Frankreich gerade die große Diskussion, ob das medizinische Personal, ob sich das pflichtimpfen muss, weil so viele Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, Ärzte, die Impfung verweigern, dass die Franzosen da auch verzweifelt sind. Also diese letzte Station Vernunft, das ist so etwas, das ist so die letzte Bastion, die irgendwie schwer zu erklimmen ist. Also, dass man die Vernunft der Menschen irgendwie in die richtige Richtung dreht. Das kann man nur durch Überzeugungsarbeit meines Erachtens machen.



Camillo Schumann



In Sachsen beispielsweise gibt es eine CoronaTestpflicht an den Schulen. Einmal in der Woche sollen die Schülerinnen und Schüler da getestet werden und das sorgt auch dort für Unmut bei einigen Eltern. Also da kommt noch Einiges auf die Lehrerinnen und Lehrer zu. Da kann man ja jetzt auch nicht so aus der Hüfte so einen schlanken Tipp geben. Da ist dann wirklich der Staat gefragt, die Testpflicht ja dann auch durchzusetzen.



Alexander Kekulé


Ich sage es Ihnen ganz ehrlich da bin ich überfordert an der Stelle, weil der Naturwissenschaftler ist dermaßen auf den gesunden Menschenverstand getrimmt, dass der immer nur mit Erstaunen festgestellt, wenn es manchmal anders läuft. Ich weiß aber, dass tatsächlich bei den Schulen das Problem eben die Schulpflicht ist. Und wenn jemand schulpflichtig ist, können Sie eigentlich schwer sagen, weil er sich nicht testen lässt, darf der nicht in die Schule. Wir


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hatten diese Diskussion – da war ich ja auch beteiligt – bei der Pflichtimpfung für Masern. Und da ist letztlich so, dass man nicht geimpfte Kinder, die kann man ausschließen von der Kita. Das ist möglich und wird auch zum Großteil, glaube ich, jetzt gemacht. Man kann sie aber nicht ausschließen von der Grundschule, sodass wir das Paradoxon haben, dass Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, die können sie zwar nicht eine Kita geben, aber sobald Einschulung ist, kommen dann die ungeimpften Kinder in die Schule. Weil es einfach nicht anders geht, weil man quasi da keine Benachteiligung machen kann. Das sind alles sehr schwierige Fragen muss man ganz ehrlich sagen. Und letztlich ist hier an der Schule, was die Hörerin da beschreibt, ist ja das Problem, das Verhältnis. Also dass so wenige sich bei den Tests beteiligen. Wenn man jetzt


80 Prozent Vernünftige hat und 2 0 Prozent, die es nicht einsehen wollen, da sage ich immer, das kann unsere Gesellschaft ab. Dafür sind wir ja eine freie Gesellschaft. Wenn es natürlich mal das Verhältnis sich umkehrt: Demokratische Gesellschaften haben eben immer auch den Impetus, dass Mehrheiten, die Unsinn, wollen, trotzdem Mehrheiten sind.



Camillo Schumann



Ein schönes Schlusswort. Und ich finde, dieser Podcast bildet ja auch die Lebenswirklichkeit in Deutschland ab schon seit einem Jahr, aufgrund vieler Hörer*innen-Fragen. Und das war jetzt wieder so ein Beispiel mitten aus dem Leben. Hier besprochen. Und es gibt manchmal eine Antwort und [manchmal gibt] es eben keine Antwort. Dass es dann eben keine Lösung gibt. Dann muss man sich dann vor Ort damit auseinandersetzen.


Herr Kekulé, damit sind wir am Ende von Ausgabe 163 vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder bis dahin.



Alexander Kekulé


Danke Ihnen. Bis Donnerstag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-


Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere nochmal vertie␣fen möchte: Alle Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 0. März 2 02 1 #162 : Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Sollten sich Schwangere und stillende Mütter impfen lassen?


Sollten sich Suchtkranke impfen lassen?  Haben Neugeborene ein erhöhtes Risiko


bei einer Infektion?  Kann man sich durch Brötchenkrümel mit


Sars-CoV-2  anstecken?  Was muss man zum chinesischen Impfstoff


wissen?  Und Schnelltest positiv, PCR Nachtest ne-


gativ. Wie kann das sein?



Camillo Schumann



Damit Hallo und herzlich Willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Ein ärztlicher Leiter einer psychotherapeutischen Reha-Klinik hat uns geschrieben. Er will nicht genannt werden, überhaupt kein Problem. Er schreibt:


„Sämtliche Patienten tragen in den geschlossenen Räumen des öffentlichen Bereichs medizinischen Mund-Nasen-Schutz, die Mitarbeiter FFP2 -Masken. Unser Hygienekonzept sieht vor, bei der jetzigen Ausbreitung der Variante B.1.1.7 den Mindestabstand zwischen den Patienten bei ständigem Tragen der Maske in den psychotherapeutischen Gruppentherapien im


Sitzen von ein Meter 50 auf 2 Meter, bei den Bewegungstherapien von 2 auf drei Meter zu vergrößern. Wie sinnvoll ist diese Maßnahme aus Ihrer Sicht? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Grundsätzlich ist es sinnvoll, den Abstand zu vergrößern. Insbesondere, wenn man sich bewegt. Weil Menschen, die schnaufen, angestrengt sind, tendenziell auch mehr Viren ausscheiden. So ganz belegt ist das natürlich im Einzelnen nicht, aber alle Theorien sprechen dafür. Man muss natürlich aufpassen. Abstand alleine kann in geschlossenen Räumen keinen sicheren Schutz bieten. Das ist immer das Problem. Wenn da wirklich einer dazwischen wäre, der sehr viel Virus ausscheidet und das Potenzial zum Superspreader hat, dann nutzen auch 2 Meter Abstand nichts oder sind zumindest nicht sicher. Deshalb, wenn man länger im Raum zusammen ist, wäre das Mindeste, dass man zwischendurch lüftet oder für ständige Belüftung sorgt. Es wäre auch, wenn es irgendwie geht, sinnvoll, Masken dabei zu tragen, wenn man in einer größeren Gruppe länger im Raum zusammen ist. Und als weitere Option steht ja auch das Testen zur Verfügung, dass man kurz vorher Schnelltests macht. Aber mit diesem Instrumentarium insgesamt würde ich sagen, wenn man dann auch noch sagt, ich gehe bei körperlicher Aktivität auf einen größeren Abstand, dann ist es so eine klassische Situation, wo man sagen muss, das Risiko ist eigentlich soweit begrenzt, dass man es verantworten kann.


02 :34



Camillo Schumann



Weil wir gerade bei Tests sind. Frau F. aus Hamburg hat angerufen:


„Woran erkenne ich eigentlich, dass der Corona-Schnelltest, der mir gezeigt wird, von heute ist? Verblassen die Streifen irgendwann oder muss ich selber das Datum darauf schreiben?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist Vertrauenssache. Das ist ja auch eines der Argumente. Sie wissen ja, dass ich lange für die Tests gekämpft habe. Und das war eines der Argumente, was ja auch durchaus verständlich ist, was die Gegner gesagt haben. Die haben gesagt na, wenn das alle


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selber machen, dann ist ja Betrug Tür und Tor geöffnet. Ja, so ist es. Also, man kann so einen Test, wenn der so zwei, drei Stunden alt ist, dann trocknet der ein. Was sogar ganz selten mal passiert, ist, dass dann noch so eine Geisterbande kommt, die aussieht, als wäre er doch noch positiv geworden. Muss man aufpassen. Das gilt dann aber nicht mehr als positiv. Und ja, ob der jetzt von gestern ist, von heute früh oder noch älter, das sieht man dem Test leider überhaupt nicht an. Da ist Vertrauen gefragt.



Camillo Schumann



Also, das verblasst auch nicht?



Alexander Kekulé


Das verblasst nicht so stark. Ja, das kommt ehrlich gesagt, ein bisschen auf den Hersteller an. Ich habe auch schon Tests gesehen, die sahen am nächsten Tag irgendwie noch aus wie jungfräulich. Und andere sind nach einem Tag halt schon deutlich älter geworden. Aber das wäre vielleicht sogar ein ganz interessanter Hinweis für die Hersteller. Man könnte natürlich biochemisch da was einbauen, so eine Art biologische Mini-Uhr, die anzeigen würde, wie alt der Test ist. Während wir so drüber sprechen kommt mir das als gar nicht so schlechte Idee vor. Aber manchmal ist es ja so, wenn man drüber schläft, merkt man, dass die spontanen Ideen doch nicht gut waren. Aber rein biologisch ist es durchaus möglich, da was einzubauen, weil es ist ja eine Substanz, die feucht wird. Zum ersten Mal, wenn man da das Sekret draufgibt oder dieses Lösungsmittel und das ist also für einen Chemiker kein Problem, da was zu basteln, was dann so durchschnittlich, sage ich mal, nach 2 4 Stunden die Farbe wechselt oder verblasst oder Ähnliches. So eine Art biologische Uhr, biochemische Uhr da einzusetzen. Aber ich glaube, bis jetzt gibt es solche Tests noch nicht. Müssen wir ganz schnell patentieren lassen, Herr Schumann.


04:36



Camillo Schumann



Definitiv, ist schon. Also ich hab hier nebenbei schon den Antrag ausgefüllt. Wir bleiben bei den Tests im weitesten Sinne. Frau M. aus Bochum hat angerufen, sehr aufgeregt angerufen, das werden sie gleich hören. Sie hat eine Frage, nämlich ihr Freund hat die Familie zu Besuch. Und jetzt kommt's:


„Der Schwiegersohn hat einen positiven Schnelltest gehabt, hat aber jetzt noch mal einen PCR-Test machen lassen, gestern und der war negativ. Jetzt sagen alle: Ach, ist alles völlig ungefährlich, ist kein Problem, bin ich aber sehr verunsichert. Er ist also schon vor Wochen geimpft worden. Jetzt bin ich sehr verunsichert, weil ich denke, ein positiver Schnelltest, da muss ja irgendetwas gewesen sein, sonst wäre der nicht positiv. Also ich habe ein bisschen Angst und würde mich freuen, wenn Sie mir diese Frage beantworten können, damit ich dann in Ruhe meinen Besuch auch treffen kann.“



Camillo Schumann



Tja, nachvollziehbar. Also erst geimpft, dann positiv und dann negativ. Wie kann das eigentlich sein?



Alexander Kekulé


Ja, also das verblüfft mich auch. Würde mich auch verunsichern, wenn ich solche Ergebnisse habe. Der Labormediziner sagt dann immer, da ist irgendetwas bei den Testungen schief gegangen. Das ist dann die wahrscheinlichste Erklärung. Also ich nehme mal an, dass die Impfung wirklich stattgefunden hat. Da muss man dazu sagen, wenn jemand geimpft wurde, so die ersten zehn bis 14 Tage nach der Impfung, kann man da noch positiv werden – und zwar typischerweise, weil man sich vorher schon angesteckt hat oder vielleicht in den allerersten Tagen nach der Impfung gleich angesteckt hat. Wenn die Impfung länger als 2 Wochen zurückliegt – das gilt eigentlich auch für eine einmalige Impfung – dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich überhaupt noch infiziert hat, extrem gering. Das muss man sagen. Und dann umso verblüffender, dass der Antigen-Schnelltest positiv geworden ist. Das könnte eine Verwechslung sein. Es könnte sein, dass die eine Charge irgendwie nicht funktioniert hat. Da kommen einfach manchmal Fehler vor. Falsch-positiv ist der Antigen-Schnelltest – jetzt rein so von den Daten, die abgeliefert wurden von den Herstellern – sehr selten. Also, der hat eine Zuverlässigkeit schon von 99 Prozent oder so, wenn er positiv ist. Wenn er negativ ist, wissen wir, ist die Zuverlässigkeit geringer, sodass ich jetzt sagen würde, das klingt so nach Probenverwechslung, Charge alt oder irgendetwas in


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dieser Art. Bei der PCR ist es so, wenn die negativ ist und der Test richtig abgenommen wurde – also man dann wirklich zuverlässig Schleim da drauf hatte – dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die richtig negativ ist, sehr, sehr hoch. Aber auch da gibt es eben die Möglichkeit, dass man zu wenig Schleim abgenommen hat, dass man vielleicht eine Stelle im Rachen erwischt hat, die gerade vorher beim Wassertrinken gespült wurde oder Ähnliches oder dass sogar hier auch mal die Probe im Labor verwechselt wurde. Lange Rede, kurzer Sinn: Bei diesen widersprüchlichen Ergebnissen – wenn man ganz sicher gehen will – muss man eigentlich die PCR noch einmal wiederholen. Ich weiß jetzt nicht, wie dringend das ist und wie wichtig das ist, dass es jetzt sofort gecheckt wird, aber bei uns im Klinikum würden wir immer reinschreiben: Bitte nochmal Material einsenden, wir wiederholen das jetzt.


07:39



Camillo Schumann



Aber grundsätzlich: Er hat ja die Impfung und die Tests danach waren ja dann nur vorsorglich. Also, dass man noch einmal definitiv auf Nummer sicher gehen will. Also grundsätzlich kann sie doch ihren Schwiegersohn treffen, oder nicht?



Alexander Kekulé


Also, wenn das mit der Wiederholung nicht im Raum steht oder nicht schnell genug geht, dann würde ich sagen, das Risiko ist minimal. Nach einer Impfung, wenn die vernünftig zurückliegt – ich sage mal länger als 2 Wochen – und zusätzlich die PCR negativ war, dann hat man im Grunde genommen alles gemacht, was man machen kann. Und ich würde jetzt, wenn die Zeit nicht mehr bleibt oder das aus praktischen Gründen nicht mehr geht, den Test zu wiederholen, würde ich sagen, da ist keine Gefahr.


08:19



Camillo Schumann



Bleiben wir mal bei irreführenden Testergebnissen. Allerdings jetzt wirklich in etwas größerem Stil. Diese verunsicherte Dame hat angerufen. Sie berichtet davon, das an der Schule ihres Sohnes – ein Gymnasium mit über 900 Schülerinnen und Schüler – am vergangenen Wochenende Schnelltest durchgeführt wurden, damit am Montag eben nur negative


Schüler zur Schule gehen können. 157 Tests wurden durchgeführt, davon waren – und jetzt kommt's – 2 8 im Schnelltest positiv. Und diese 2 8 wurden mit PCR nachgetestet. Ergebnis: Alle 2 8 waren plötzlich negativ. Und sie schildert weiter:


„Meine Frage ist: Wie kann so etwas möglich sein? Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist eine Verunreinigung durch eine Person, die die Tests abgenommen hat und selbst positiv war. Das wäre natürlich eine sehr schlechte Möglichkeit, weil sie eventuell Personen, die sie getestet hat, jetzt infiziert hat, die jetzt aber als gesund herumlaufen. Und ich würde auch gerne von Herrn Professor Kekulé wissen, ob es die Möglichkeit gibt, dass eine Charge von dem Test in irgendeiner Weise sozusagen defekt sein könnte und sowas bewirken könnte. Ich bin eigentlich relativ gut informiert, habe so was aber überhaupt noch nicht gehört und die Tests sind ja wirklich schon sehr lange auf dem Weg. Es hat aber die komplette Elternschaft natürlich verunsichert. Und dazu kommt noch, dass das Gesundheitsamt leider auch mitgeteilt hat – was meiner Ansicht nach wirklich falsch ist – dass sie sich als Ursache vorstellen könnten, dass es durch irgendetwas zu essen oder zu trinken, was die Kinder vorher gegessen oder getrunken hatten, zustande kommen sollte, dass die dann positiv waren, die Tests. Das geht nicht, da bin ich mir ganz sicher. Und der zweite Grund, der noch genannt wurde, war, dass es Kreuzreaktionen mit den gängigen, schon lange bei uns üblichen Coronaviren gibt. Und dass ist meiner Ansicht nach auch keinesfalls möglich.“



Camillo Schumann



Tja, unfassbar, oder? Also erst im Schnelltest 2 8 positiv und PCR nachgetestet negativ. Was wäre Ihre Erklärung?


10:2 3



Alexander Kekulé


Tja, also das ist auch wieder sowas. Solche Ereignisse werden wir wahrscheinlich öfters haben, wenn diese Tests jetzt im großen Stil in der Breite eingesetzt werden. Nochmal: Wir sprechen ja von Sensitivität und Spezifität. Die Sensitivität, also die Empfindlichkeit dieser Schnelltests, die ist also manchmal nicht so berauschend. Das heißt also, man übersieht manchmal jemanden, der ganz am Anfang der


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Erkrankung ist oder im weiter fortgeschrittenen Stadium. Da ist ja so die Marke, die so verlangt wird, dass mindestens 80 Prozent der positiven erwischt werden, von den Schnelltests. Also daher, wenn man außerhalb des maximalen Krankheitsgeschehens liegt, können die schon mal falsch-negativ sein. Falschpositiv ist extrem selten, wenn man sich die Daten der Hersteller anschaut. Und das ist ja auch in vielen kleinen Studien überprüft worden. Deshalb würde ich sagen, am ehesten – wenn das jetzt hier in so einem riesigen, im großen Stil wirklich schiefgegangen ist – ist, dass was mit der Charge nicht gestimmt hat. Das ist tatsächlich das Naheliegende. Also, dass jetzt alle irgendetwas getrunken haben, was zu einem falsch-positiven Ergebnis des Tests geführt hat, davon habe ich absolut noch nie gehört. Das wäre mal eine interessante Limo, die man da sich genauer anschauen müsste. Vielleicht kann man das sogar rekapitulieren, was die Kinder da vorher wirklich gemacht haben. Unsere Empfehlung hier ist ja aus verschiedenen Gründen, vor den Schnelltesten sowieso eine halbe Stunde nichts zu essen und nichts zu trinken – auch, wenn das meines Wissens nicht im Beipackzettel steht. Zumindest nicht immer. Und dann die Idee, dass da irgendwelche zirkulierenden Coronaviren das falsch-positive Signal gegeben haben. Also das ist ja die super naheliegende Störung, mit der sich jeder Hersteller als allererstes auseinandersetzen muss, weil wir ja wissen, dass insbesondere in der Winterzeit mindestens 2 Typen von anderen Coronaviren – es gibt insgesamt vier – [kursieren] (Anm. d. Redaktion). Aber 2 sind in Europa relativ häufig vertreten gewesen, in den letzten Jahren jedenfalls. Und diese 2 Typen, die werden natürlich als allererstes – oder alle vier – werden eigentlich als allererstes mal geprüft, ob die hier eine falsche Reaktion machen. Ein Test, der gegen diese Nagelprobe nicht besteht, der diese Probe nicht besteht, der würde ja überhaupt nicht zugelassen werden. Oder der könnte sich auch selbst nicht zertifizieren. Und deshalb gehe ich davon aus, dass das eigentlich nicht sein kann, dass es da eine Kreuzreaktion gegeben hat. Ich finde immer, wenn man so was so im privaten Bereich macht oder im schulischen Bereich, würde ich dafür plädieren, jetzt nicht so eine große Wissenschaft draus zu machen. Also,


wenn man irgendwo einen befreundeten Virologen in der Stadt hat, kann man den ja mal darauf ansetzen. Der kann dann den Doktoranden darauf ansetzen. Es wird vielleicht eine nette kleine Studie, aber so für Do-It-Yourself Betrieb würde ich da einfach pragmatisch sagen, andere Charge nehmen, noch mal machen, dann wird sich das schon klären, was da los ist. Und wenn sich so ein skurriles Ergebnis an der gleichen Schule nochmal wiederholt, dann bin ich ganz sicher, dass die lokalen Virologen an der Uni Interesse an so einem Fall haben. Weil natürlich, wenn das ein systematischer Fehler ist, also wenn das ein Fehler ist, der wirklich woanders auch mal vorkommen könnte, dann muss man das natürlich auch publizieren.



Camillo Schumann



Also jetzt der einfachste Tipp: Das Ganze nochmal durchziehen, obwohl das natürlich jetzt auch wieder ein Riesenaufwand ist.



Alexander Kekulé


Einfach nochmal machen. Es ist wahnsinnig blöd, ja, aber was soll man sagen? Es ist, ich werde das mit einer anderen Charge einfach noch einmal wiederholen und bin ziemlich sicher, das nicht nochmal sowas Skurriles dabei rauskommt. Das ist ja hier offensichtlich erst mal selbst gemacht worden. Auch wenn das Gesundheitsamt jetzt in dem Fall angeblich da so 2 Empfehlungen oder 2 Interpretationen gegeben hat, die jetzt nicht so naheliegend sind, würde ich trotzdem vielleicht bei der Wiederholung mal jemanden vom Gesundheitsamt mit einbeziehen oder einen Arzt, einen Laborarzt mit einbeziehen. Jemanden, der das professionell dann auch ein bisschen überwacht, dass man wirklich hinterher sicher ist, dass man nicht irgendeine Kleinigkeit falsch gemacht hat.


14:2 2 



Camillo Schumann



Jetzt hat diese Dame uns auch noch – das habe ich jetzt gar nicht mit dazu [genommen] (Anm. d. Redaktion), um jetzt nicht zu sehr auf eine Firma einhacken zu wollen – auch noch den Namen dieser Firma genannt. Den will ich jetzt gar nicht nennen. Aber gibt es sozusagen unter Experten so ein Ranking? Irgendwie, das sind die Premium Schnelltests und das sind die, die,


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naja gut, die nehmen wir halt, wenn sie da sind.



Alexander Kekulé


Tja, also so ein richtig offizielles Ranking gibt es nicht. Und Sie deuten es schon an: Das ist wahnsinnig schwierig, wenn man da sich für oder gegen eine Firma ausspricht. Aber ich kann vielleicht Folgendes sagen. Es wurden ja mehrere Studien schon gemacht, wo verschiedene Schnelltests miteinander verglichen wurden. Schon letztes Jahr, also die ersten Studien sind so aus dem April, Mai letzten Jahres. Dann im Sommer wurde ziemlich viel gemacht und im letzten Herbst wurden auch Tests gemacht – mit den Untersuchungen, mit den Schnelltests, die dann in Deutschland auf den Markt kamen. Und es ist in der Tat so, dass sich da Unterschiede zeigen. Also das ist so, dass, wenn man jetzt wirklich im Labor gleiche Probe, verschiedene Tests und das parallel anschaut – mit verschiedenen Proben – dann merkt man, die performen nicht alle gleich gut. Und ja, was soll ich sagen. Also daher hat natürlich jeder Virologe so seinen Lieblingstest, den er normalerweise zum Einsatz bringt. Das Spektrum ist inzwischen noch stärker verbreitet, dadurch, dass ja jetzt diese Gurgel-SpuckTeste auch auf dem Markt sind. Und da muss ich zugeben, mit denen habe ich es noch gar nicht so im Vergleich gesehen. Ich kenne die ersten Studien aus Österreich, da kamen ja die sogenannten Gurgel-Teste, wenn man so will, her. Da wurde dann das verglichen mit dem BD Biosense Test zum Beispiel, der ja von Roche vertrieben wird. Und da haben sich die Gurgeltests ähnlich gut geschlagen wie der Test, der da Nasen-Rachen-Abstrich macht. Aber das war natürlich alles unter so optimierten, wenn man so will, Zulassungsbedingungen. Es ist ja keine echte Zulassung, sondern eine CEZertifizierung. Aber da hat natürlich der Hersteller – oder die Leute, die das entwickelt haben – die haben natürlich akribisch darauf geachtet, dass alles richtig gemacht wird bei diesen Untersuchungen. Und wie sich die dann im Feld schlagen, also unter Praxisbedingungen, das weiß keiner genau. Also darum wären wir durchaus daran interessiert, das ist also nicht nur so daher gesagt. Also wenn es jetzt wirklich so sein sollte, dass da so eine Schule feststellt: Mensch bei uns gibt ́s ständig so merkwürdige Ergebnisse. Dann sollte man da


wirklich mit einem lokalen Institut für Virologie Mal Kontakt aufnehmen – die Universitäten haben ja alle so was – und mal fragen, ob die nicht jemanden vorbeischicken, der sich das anschaut.


16:54



Camillo Schumann



Herr S. hat gemailt. Er ist beruflich viel unterwegs und will wissen, ab welchem Tag nach einer Rückkehr von einer Dienstreise – er meint einen innerdeutschen Flug – ist es sinnvoll, eine Infektion über einen Schnelltest auszuschließen beziehungsweise überhaupt zu testen?



Alexander Kekulé


Ja, also bei Flügen kann ich nur empfehlen, wer also nicht geimpft oder genesen ist, der sollte wirklich im Flugzeug eine FFP-Maske aufsetzen. Auch bei innerdeutschen Flügen – gerade da kann man es ja ganz gut aushalten. Und auch wirklich darauf achten, dass sie die ganze Zeit dicht sitzt, weil ich persönlich halte die Situation im Flugzeug – wenn man da so zusammengepfercht ist und die Flieger sind inzwischen ja weitgehend wieder voll – die halte ich für gefährlich. Vorschrift ist übrigens bei innerdeutschen Flügen nur, einen einfachen OP-Mundschutz aufzusetzen. Und den darf man auch abnehmen, wenn man essen oder trinken will. Wenn man jetzt nach der Geschäftsreise – abgesehen von dem Flug, den man ja auf diese Weise halbwegs sicher gestalten kann – irgendwie den Verdacht hat, dass da unterwegs bei den Besprechungen was nicht so richtig sicher war, da möchte ich erstens erinnern: Wir haben ja mehrere offene Flanken im Moment, die auch der Grund sind, warum die Fallzahlen so ansteigen wieder. Und eine dieser offenen Flanken ist nach wie vor die Situation im Arbeitsleben. Und wenn man es nicht schafft, mit den Kollegen, mit denen man da spricht, wirklich entweder im Freien das Gespräch zu führen oder wirklich – wenn man im geschlossenen Raum ist – die FFPMasken zu tragen, dann ist also da schon mal was schlecht organisiert. Also eigentlich darf bei einer beruflichen, dienstlichen Reise – wenn man zurückkommt – man nicht das Gefühl haben, ich müsste mich jetzt mal testen, weil da könnte was schiefgelaufen sein, weil man sich da eigentlich hätte schützen können.


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Aber wie auch immer, wenn man dann meint, man will sich vielleicht zusätzlich auch noch testen, um doppelt sicher zu sein, dann ist es ja so: Wir haben eine Inkubationszeit bis zu 14 Tage nach der Ansteckung. Also bis zu 14 Tage später können die Symptome kommen. Gibt so Einzelberichte, die noch später sind. Aber ich meine, so als Arbeitsbasis, 14 Tage ist schon großzügig. Und ich würde mal sagen, wenn man sich testet nach fünf Tagen, dann ist man auf der praktisch sicheren Seite. Also Menschen, die dann am fünften Tag negativ waren und zwischen Tag fünf und Tag 14 erst positiv geworden sind: Das ist eine kleine Ausnahme. Vielleicht im gesamten Spektrum, würde ich mal schätzen, wäre das dann in der Größenordnung von 10 Prozent oder so, die man dann noch erwischen würde. Aber im Grunde genommen sind fünf Tage – das ist ja auch der Zeitrahmen, der für die Urlaubsrückkehrer normalerweise gewählt wird – etwas, was man in so einem Zusammenhang nehmen kann, wenn man also relativ sicher ist, dass da keine kürzeren Inkubationszeiten dabei vorkommen. Schwieriger ist es, wenn man eine mögliche Ausbruchssituation hat. Ja, es gab ja die Diskussion, wie ist das in der Schule, wenn da jetzt so ein Ausbruch war, Kinder positiv waren. Reicht es da, wenn man die nach fünf Tagen alle testet. Da ist natürlich das Problem: Die können sich ja gegenseitig anstecken. Und wenn einer dann, quasi kurz vor Schluss, kurz vor Beginn der Quarantänemaßnahme sich noch angesteckt hat, dann ist es sehr riskant, quasi nach fünf Tagen alle wieder zurück in die Klasse zu schicken. Aber bei so einem Einzelfall, bei einer Dienstreise, würde ich mal sagen – Frage war ja, wann ist der früheste sinnvolle Zeitpunkt – würde ich sagen, nach fünf Tagen. Vorher hat es eigentlich keinen Sinn.


2 0:18



Camillo Schumann



Herr F. hat aus dem Vogtland angerufen, dort sind die Inzidenzzahlen ja auch sehr, sehr hoch. Und er hat da so eine Vermutung:


„Es sind letzte Woche 37.000 Tests vorgenommen worden. Und die Falsch-Positiven-Rate bei Schnelltests liegt ja bei circa 2 Prozent. Und 2 Prozent bedeutet ja, dass wir natürlich logischerweise einen riesengroßen Anstieg an positiven Fällen haben. Frage: Wird da noch-


mal bei den Tests mit PCR nachjustiert, um auch wirklich diese falsch-positiven Resultate beeinflussen ja stark die Sieben-Tage-Inzidenz.“



Alexander Kekulé


Ja, also die 2 Prozent falsch-positive für Schnelltests – das ist schon eine hohe Zahl. Ich schätze mal, dass ist vielleicht für irgendeinen spezifischen Test. Normalerweise ist es so, dass die Zahlen, die da angegeben werden, geringer sind, also im Bereich von einem Prozent und noch niedriger. Aber sagen wir mal, es wären 2 Prozent, dann ist ja sowieso die Empfehlung die, dass man sagt: Wer da positiv ist, soll ja – muss ja eigentlich – noch eine PCR anschließen. Und da kommt es ja dann raus. Also jemand, der in der PCR unmittelbar danach negativ ist, der ist normalerweise negativ. Dann war es eben ein falsch-positiver AntigenSchnelltest und die sollten eigentlich in der Größenordnung von einem Prozent und weniger liegen. Ich muss jetzt zugeben, ich habe jetzt nicht alle Tests vor Augen und überall die Beipackzettel gelesen. Aber da steht ja eigentlich immer drin, wie hoch die Spezifität ist. Und das mag schon sein, dass es da den einen oder anderen gibt, wo man da 2 Prozent falschpositiven rechnen muss. Interessanterweise wird dadurch ja letztlich die Zahl der positiven nicht künstlich in der Statistik angehoben, weil die Statistik ja nach wie vor nur die Daten verwendet, die in der PCR ausgespuckt wurden. Das heißt, diejenigen, die im AntigenSchnelltest positiv waren und dann die PCR gemacht haben und dann negativ waren, bei denen ist es natürlich so, dass sie gar nicht in der Statistik erscheinen.


2 2 :2 4



Camillo Schumann



Herr M. ist Arzt und arbeitet mit Suchtkranken. Er schreibt:


„Ich habe eine Frage zur Wirkung der CoronaImpfstoffe bei folgenden 2 Personengruppen: Menschen mit Adipositas (Body-MassIndex über 35), Alkoholiker, starke Raucher und/oder Drogenabhängige. Diese beiden Personengruppen sind ja auch für Covid-19 besonders anfällig. Und deshalb stellt sich mir die Frage, ob die Impfung bei diesen Personen denn auch hilft und ob allenfalls diesbezüglich ein Unterschied besteht bei den verschiedenen Impfstoffen.“


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Dass diese Risikopatienten besser abnehmen oder aufhören sollten, Drogen zu nehmen oder zu trinken, ist völlig klar, aber in vielen Fällen leider nicht realistisch, weil er eben mit Suchtkranken arbeitet. Vielen Dank und viele Grüße.



Alexander Kekulé


Ja, das ist so, dass tatsächlich bei diesen Personengruppen – also Alkoholiker, Menschen mit sehr starkem Übergewicht und natürlich i. v. Drogenabhängige – da ist es so, dass wir beobachten – es gibt ja auch andere Studien, wo man Impfstoffe testet – da beobachten wir öfters, dass die Impfstoffe schlechter wirken. Wahrscheinlich, weil das Immunsystem kompromittiert ist, schon vorher, also nicht so richtig perfekt funktioniert und dann auch diese Impfung eben nicht so gut funktioniert. Das sind aber, sag ich mal, statistisch jetzt nicht solche Ausschläge, wo man sagt, das ist so drastisch anders, dass man da eine andere Strategie bei der Impfung empfehlen würde. Und wir haben bis jetzt ja auch bei den Nebenwirkungen da kein Signal gesehen. Also das heißt, die Impfungen haben jetzt nicht irgendwie besondere Auswirkungen bei Übergewichtigen, um mal dieses Beispiel zu nennen. Deshalb würde ich sagen, solange wir keine anderen Daten haben, hoffen wir einfach, dass die Impfung funktioniert. Wir sollten weiterimpfen, natürlich auch in diesen Gruppen, das ist es besonders wichtig, weil die ja 2 Risiken haben. Das eine Risiko ist, dass sie sich leichter anstecken. Das gilt insbesondere für Menschen, die eben so im Drogenmilieu unterwegs sind. Da ist einfach die Compliance mit den Schutzmaßnahmen nicht so ausgeprägt. Und weil sie – falls sie sich anstecken – eben aus verschiedenen Gründen einen schwereren Verlauf oft haben. Und darum stellt sich die Frage, ob man da möglicherweise eine schwächere Impfung, Impferfolg hat oder ob die Impfung möglicherweise mehr Nebenwirkungen hat. Das ist eine akademische Frage. Ja, beides könnte sein. Aber in beiden Fällen stellt sich das nicht, weil auf jeden Fall der Vorteil der Impfung überwiegt.


2 4:40



Camillo Schumann



Dieser werdende Vater will wissen, ob Neugeborene ein erhöhtes Risiko bei einer Infektion hätten. Er hat angerufen:


„Da ich demnächst, in den nächsten 2 bis drei Wochen, Vater werde, interessiert mich, wie das bei Neugeborenen ist, die ja nun noch gar keine Abwehr und Antikörper bisher haben, diese erst entwickeln müssen. Ist da eine besondere Vorsicht geboten, oder kann man – wie bei Kleinkindern – sagen, okay, alles ganz entspannt, da braucht man nicht eine besondere Vorsicht walten lassen?“



Camillo Schumann



Tja, erst einmal herzlichen Glückwunsch. Beziehungsweise wenn es so weit ist, dann herzlichen Glückwunsch.



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. Man darf Sie schon beglückwünschen, wenn es kurz davor ist. Von meiner Seite auch. Ich finde auch immer jetzt gerade während Covid dürfen wir uns nicht verrückt machen lassen, dass man jetzt so positive Familienereignisse dann quasi nicht mehr genießen kann, bloß weil diese Pandemie uns ja alle nervt. Das muss man dann irgendwie auch ein Stück weit ausblenden. Es ist so, dass da eigentlich bisher überhaupt kein Risikosignal vorhanden ist. Ich sage immer bisher, weil natürlich die Statistiken sich da ändern können. Aber es ist so, dass wir wissen – zum Beispiel von der Influenza – dass das ganz massiv Gefährdungen für kleinste Kinder gibt. Und bei Covid ist es so, wir haben bei den Neugeborenen bisher überhaupt keinen Hinweis darauf, dass es da Gefahren gibt. Gefährdet sind Mütter während der Schwangerschaft, und zwar natürlich insbesondere im letzten Drittel der Schwangerschaft. Da haben wir ja sowieso so eine Art automatische Diabetes, eine Art eingebaute Zuckerkrankheit, weil der Körper halt dafür sorgt, dass auf keinen Fall der Fötus irgendwie Mangelerscheinungen bekommt. Und sie sind bekanntlich auch sozusagen biologisch gesehen übergewichtig in dieser Zeit und deshalb passen sie natürlich hervorragend ins Risiko-Muster für Covid-19. Und so ist es auch tatsächlich. Also Schwangere, die Covid-19 kriegen, die haben statistisch ein deutlich erhöhtes Risiko, auf der Intensivstation zu landen. Darum würde ich immer sagen: Die Mutter muss man schützen. Aber sobald das Kind dann da ist und die Lage sich stabilisiert hat nach der Geburt, ist es jetzt nicht so, dass man für das Kind einen besonderen Schutz bräuchte


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– in der Weise, wie man das für Hochaltrige braucht.


2 6:52 



Camillo Schumann



Dieser Vater fragt für seine Tochter, und zwar eine stillende Mutter. Seiner Tochter wurde vom Arzt abgeraten, sich impfen zu lassen. Hören mal rein:


„Ich bin da ein bisschen irritiert, weil ich die Hintergründe nicht ganz verstehe. Also offensichtlich gibt es da ja keine Daten, so und deshalb rät man ab. Aber gibt es da eine reale Gefahr? Gibt es irgendwelche Impfungen, die für stillende Mütter nicht empfohlen werden, weil das dann für die Babys gefährlich sein könnte? Und vor allen Dingen: Welches theoretische Risiko soll denn da bestehen? Was könnte da über die Muttermilch übertragen werden, dass das Kind in Gefahr gerät?“



Alexander Kekulé


Ja, also der Impfstoff kommt nicht in die Muttermilch, soweit wir das sehen, also die Impfstoffe, die jetzt zugelassen sind. Es laufen auch gerade Studien, wo man stillende Mütter und auch Schwangere übrigens geimpft hat, um mal zu sehen, wie es da aussieht. Die Ergebnisse liegen in der Tat noch nicht vor, sodass wir es noch nicht statistisch beantworten können. Aber eigentlich ist es so, dass die Gesundheitsbehörden – ich weiß nicht genau, was das Robert Koch[-Institut] (Anm. d. Redaktion) – empfiehlt – aber die amerikanische Gesundheitsbehörde, die eigentlich gerade solche Fragen im Extremen gründlich prüft – die CDC – die sagen: Wenn also die stillende Mutter ein Risiko hat, ich sag mal zum Beispiel in der Kita arbeitet oder im Krankenhaus, oder wenn in der Familie noch jemand wohnt, der hochaltrig ist und deshalb besonders gefährdet ist oder Ähnliches – also, wenn man sozusagen gute Gründe hat, zu impfen – dann sagen die, soll man die Impfung machen. Auch, wenn die Risikodaten noch nicht auf dem Tisch liegen. Aus genau den Gründen, die der Hörer da gesagt hat. Wir haben eben eigentlich kein biologisches Modell, was erklären würde, warum sowas gefährlich sein soll. Das ist ja kein Replizieren des Virus. Ja, das ist ein bisschen RNA mit Lipidhülle außen rum oder eben ein kaputtes Adenovirus, wo was drinnen ist, was eigentlich zum Sars-CoV-2  gehört. Sowas ver-


mehrt sich nicht irgendwie und geht auch nicht irgendwie in die Muttermilch über. Und wenn es übergehen würde, dann würde der Säugling ja das in dem Fall erst mal in den Magen bekommen. Das würde selbst beim Säuglingsmagen – der natürlich noch nicht so Verdauungsleistungen hat wie ein Erwachsener – würde das eigentlich überhaupt nirgendwo sinnvoll ankommen. Das wäre dann kaputt, spätestens im Darm. Und deshalb haben wir hier keine, auch kein anderes Beispiel von anderen Impfungen in dieser Art – also von anderen Tod-Impfungen – wo wir wissen, dass das eine Rolle spielt für stillende Mütter. Was es natürlich schon gibt, ist Impfstoffe – mal so ganz theoretisch – die Lebendimpfungen sind. Also wir nennen die abgeschwächte Lebendimpfstoffe oder attenuierte Lebendimpfstoffe. Im Kindesalter ist es ja Masern, Mumps, Röteln. Das sind also durchaus Impfstoffe, wo also Viren drin sind, die zwar in dem Sinne keine Krankheit machen, die sich aber ein bisschen vermehren können nach der Impfung. Da wird abgeraten davon, solche Impfstoffe zum Beispiel bei Schwangeren zu verabreichen. Obwohl auch da die Datenlage, sage ich mal, wacklig ist. Also das ist jetzt nicht so, dass man da knallharte Schädigungen gesehen hat. Aber man ist da einfach vorsichtig, weil man weiß, das ist ein Virus, was sich im Prinzip vermehren kann. Aber hier bei den Sars-CoV-2  Impfstoffen ist es ja so, dass wir so eine Situation nicht haben. Das ist quasi tote Materie, die da verabreicht wird. Und deshalb sag ich immer, wenn man eine Indikation hat, wenn – was weiß ich – wenn ein Älterer mit Zuhause ist, wenn man in der Kita arbeitet oder Ähnliches oder wenn man einfach sagt: Mensch, ich habe 2 Kinder, die gehen in die Kita und in die Grundschule. Das kann ich ja letztlich nicht verhindern, dass die was nach Hause schleppen. Dann meine ich, sollte man auch eine stillende Mutter impfen.


30:34



Camillo Schumann



Okay, das war die Antwort auf die Frage zur stillenden Mutter. Ist es dieselbe für eine werdende Mutter?



Alexander Kekulé


Ich würde bei der werdenden Mutter, also für Schwangere würde ich die Latte etwas höher


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hängen. Da ist es natürlich so, dass, wenn man da jetzt irgendetwas übersieht in den Studien – das sind ja alles nur vorläufig zugelassene, also per Notfallzulassung zugelassene Impfstoffe, wo jetzt die Daten so nach und nach eintrudeln. Wir haben es ja gerade bei AstraZeneca gesehen, dass da Fragezeichen an irgendwelchen möglichen Nebenwirkungen dran sind. Und da würde ich jetzt mal sagen, bei der werdenden Mutter ist es so, da kommt es halt darauf an, wie knallhart die Indikation ist. Ja, also wenn die werdende Mutter wirklich mit einer Krankenschwester zusammen wohnt oder im gleichen Haushalt Kinder sind, die einfach in der Grundschule sind. Oder wenn noch ein Behinderter, ein Mensch mit Behinderungen im Haus lebt oder ein Hochaltriger, dann glaube ich, kann man auch darüber nachdenken, die werdende Mutter zu impfen. Da würde ich jetzt mal schon sagen, in dieser Situation sollte man mit dem Arzt dann auch durchaus absprechen, welchen Impfstoff man dann nimmt, weil da würde ich dann schon, sage ich mal – ohne Werbung für das eine oder andere machen zu wollen – auf die Seite gehen, wo ich wirklich die sichersten Impfstoffe, die zur Verfügung stehen gegen Covid, verwenden würde.


31:53



Camillo Schumann



Eine Dame hat uns gemailt. Sie möchte nicht, dass wir ihren Namen nennen. Sie schreibt nur:


„Mein Bruder lebt zurzeit mit seiner Familie in Shanghai. Er (...) hätte jetzt die Möglichkeit, sich mit dem chinesischen Impfstoff impfen zu lassen. Mein Bruder ist Asthmatiker. Ist der chinesische Impfstoff für ihn geeignet? Und ist der chinesische Impfstoff mit den Impfstoffen, die in Deutschland verimpft werden, kombinierbar – in dem Sinne, falls in einem Jahr eine Auffrischung nötig sein sollte? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Tja und da gibt es jetzt natürlich verschiedene Antworten. Also, es ist so. Erstens: Es gibt verschiedene chinesische Impfstoffe. Ich nehme mal an, dass hier gemeint ist, die inaktivierten Virus-Vakzine. Das ist so die häufigste von Sinovac – gibt ja CanSino Pharma in China und Sinovac. Sinovac ist glaube ich die größere Firma. Und die haben aber alle miteinander inzwischen mehrere Impfstoffe in der Pipeline


– auch schon zugelassen. Da sind VektorImpfstoffe dabei und da sind aber die Impfstoffe der ersten Stunde, die man meistens meint, die auch zum Beispiel in Brasilien getestet wurden, von Sinovac und die auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten schon länger eingesetzt werden. Das ist der Impfstoff, wo quasi ein Virus abgetötet wurde – wenn man das so sagen darf – inaktiviert wurde. Und das inaktivierte Virus dann zusammen mit einem Wirkverstärker – einem Adjuvans – verabreicht wird. Ja, da ist es so, diese Impfstoffe, die Daten sehen nicht schlecht aus. Ja, also da gab es Widersprüche bei den Veröffentlichungen, als die ihre Daten für Südamerika veröffentlicht haben. Für Brasilien, da standen da plötzlich bisschen andere Sachen drinnen als für die Vereinigten Arabischen Emirate. Aber ich würde unterm Strich sagen: Eine irgendwie vernünftige Wirksamkeit – besser als gar nichts sozusagen – haben die höchstwahrscheinlich. Es ist einfach so, praktisch gesehen muss man sich das so vorstellen: Es gibt Viren, die sind schwierige Kandidaten bei der Impfung. Und es gibt welche, die sind nicht so schwierig. Also schwierig ist zum Beispiel natürlich das HIV, das ist bekannt, oder auch das Hepatitis-CVirus – ganz zäher Bursche, da einen vernünftigen Impfstoff herzubekommen. Und ein einfacher Kandidat war zum Beispiel das Pockenvirus, darum haben wir das so toll ausgelöscht. Das gibt es ja seit 1980 nicht mehr auf der Erde. Und dieses Sars-CoV-2  scheint zumindest mal im ersten Ansatz kein schwieriger Kandidat zu sein. Das heißt, deshalb funktionieren die ganzen Impfstoffe alle auf Anhieb. Ja, also ohne viel Hightech – diesen von der Entwicklung her Hightech, aber ohne da lang herumzuprobieren. Der erste Schuss hatte eigentlich immer überall gesessen. Und letztlich ist es deshalb sehr wahrscheinlich, dass auch diese simplen chinesischen Impfstoffe, dass die eine Wirksamkeit haben, ich würde schätzen, auf jeden Fall über 50 Prozent. Vielleicht geht es Richtung 60. Und das bezieht sich ja immer erst mal auf die Krankheit. Also, dass die überhaupt Krankheiten verhindern, manifeste Krankheiten. Wenn man dann bei solchen Studien genauer untersucht, ja, verhindern sie denn auch Krankenhauseinweisungen – so die nächste Stufe, also schwere Verläufe – merkt man meistens, dass die Schutzwirkung noch


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besser ist. Und wenn man dann irgendwann mal ausrechnen kann – das geht natürlich erst nach einer Weile – wie viele Todesfälle sind wirklich verhindert worden? Dann ist meistens die Zahl noch günstiger, sodass man sagen muss: Wenn ich jetzt da irgendwo in Südostasien sitze, da gibt es einen Impfstoff, der gerade zur Verfügung steht. Das ist ja sozusagen kein Wünsch-dir-was Spiel, da muss man halt nehmen, was es gibt. Und da würde ich sagen: 1.) Ja, würde ich sofort nehmen. Nebenwirkungsspektrum ist unauffällig bei diesem Impfstoff. Und das ist ja auch ein uraltes Prinzip, was lange bekannt ist. Auch übrigens: Dieses Adjuvans – dieser Wirkverstärker, der dabei ist – da gab es ja 2 009 bei der Schweinegrippe Probleme mit dem GlaxoSmithKline Adjuvans. Das war so ein Hightech-Zeug, wo dann später der Verdacht aufkam, dass das schwere Langzeit-Nebenwirkungen – in seltenen Fällen – verursachen kann. Das ist hier nicht der Fall. Das ist so ein Aluminiumhydroxid-Präparat oder irgendein Aluminiumsalz, was da verwendet wird. Das ist uralt und das gleiche Zeug, was auch in Impfstoffen für Kinder bei uns drinnen ist. Deshalb würde ich sagen, sowohl von den Nebenwirkungen als auch von der Wirkung her, kann man es nehmen. Und dann, ja, im Beipackzettel wird das verboten. Wenn man die Vorschrift sich genau anschaut, muss die zweite Impfung genau vom gleichen Hersteller sein. Aber jetzt mal so praktisch aus virologischer Sicht: Natürlich können Sie sich auch mit irgendetwas anderem impfen beim zweiten Mal. Ja, das ist so eine Frage, wie regelkonform muss ich sein? Es ist ja bekannt, dass ich dafür plädiere, alle Leute erst mal einmal zu impfen – auch, wenn die Zulassung natürlich für 2 Impfungen gemacht wurde. Und wenn man sagt, wir müssen es aber so machen, wie es jetzt im Buch steht, dann muss man warten, bis vom gleichen Impfstoff noch mal was da ist. Aber von der plausiblen Seite her – bei diesem chinesischen Impfstoff – könnte man sagen: Okay, ich lasse mich impfen. Und vielleicht gibt es im Sommer von irgendeiner anderen Firma dann einen angepassten Impfstoff, der schon besser auf die Varianten abzielt. Und dann mache ich die Auffrischimpfung eben damit. Also ich hätte da als Arzt sozusagen für die Einzeltherapie da überhaupt keine Probleme mit.


36:59



Camillo Schumann



Und da ist ja auch wurscht, ob dann Vektoroder mRNA-Impfstoff.



Alexander Kekulé


Je unterschiedlicher, desto besser könnte man sogar fast sagen, weil das Immunsystem dann noch mal ein bisschen anders gechallenged wird, herausgefordert wird. Das ist so ähnlich wie bei einer natürlichen Infektion. Wir wissen ja auch, dass Menschen, die geimpft wurden – wenn sie dann eine natürliche Infektion obendrauf kriegen – natürlich einen viel breiteren Impfschutz plötzlich haben. Oder andersrum, das ist das häufigere Experiment, was man gemacht hat: Menschen impfen, die vorher schon mal die Krankheit durchgemacht haben. Da verbreitert sich einfach der Impfschutz, das ist ganz klar, weil das Immunsystem jedes Mal, wenn es wieder neu provoziert wird, andere Details des Virus oder auch dieser Impfsubstanz quasi erkennt und dafür dann spezielle Antikörper macht. Und spezielle TZellen, die da drauf passen. Und dadurch sind es dann sozusagen nicht nur eine Waffengattung, sondern ganz verschiedene Soldaten – der eine mit dem Bajonett, der anderen mit dem Schwert, der dritte mit der Hellebarde. Sie merken schon, ich bin eher so im 30-jährigen Krieg. Aber ebenfalls so ganz verschiedene Instrumente sind es dann plötzlich, mit denen man jetzt den Gegner hier bekriegen kann. Und das ist eigentlich nur gut. Und wenn sie zweimal exakt mit der gleichen Substanz impfen, dann ist jetzt rein theoretisch zumindest das Spektrum der Antikörper und der T-Zellen, die sich da bilden, nicht so breit.


38:2 3



Camillo Schumann



Frau E. hat gemailt:


„Meine Nachbarin über mir ist nicht davon abzubringen, ihre Decken auf ihrem Balkon, der sich genau über dem meinigen befindet, auszuschütteln. Sie ist der Meinung, dass es sich ja nur um Krümel handelt. Ich frage mich jetzt, ob es auch aus hygienischen Gründen, also wegen Corona, unterlassen werden sollte, Krümel, die sich ja an der Hand und/oder dem Mund befunden haben, in die Nachbarschaft zu verteilen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann schüttelt die die Decke nach dem Essen aus.


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Also, um Essenskrümel loszuwerden. Viele Grüße, Frau E.“



Alexander Kekulé


Ja, also, das ist jetzt, hat ja viele Aspekte. Also erstens mal: Durch irgendwelche Krümel, die da durch die Luft fliegen, das müsste schon echt blöd laufen, dass man die Krümel dann aufsammelt und verspeist. Ich schätze, so leer wird der Kühlschrank unserer Hörerin nicht sein, dass sie also dazu greift, sodass ich jetzt nicht davon ausgeht, dass diese Krümel als solche ein Infektionsrisiko darstellen, das kann man eigentlich nicht sagen. Was ich jetzt persönlich finde – das ist jetzt nicht so virologisch – aber naja, wenn man sein Leben lang so Mikrobiologie gemacht hat, wird man vielleicht so ein bisschen etepetete. Also ich finde, man schüttelt seine Decke nicht so aus egal, was da drauf ist – dass die Brösel dann auf den Balkon da drunter fliegen. Also, da muss es ja wohl irgendein anderes Fenster geben, wo man das machen kann. Und ganz ehrlich gesagt: ich wohne ja auch in einer Etagenwohnung, ganz normal, ich schüttle öfter auch mal irgendetwas zum Fenster aus. Da schaue ich immer, ob meine Nachbarn unten die Fenster zu haben, weil natürlich das mir irgendwie peinlich wäre, wenn meine Krümel vom Wind da irgendwie reingeblasen werden. Und ich würde mal sagen, das sind ja so die Basics des Zusammenwohnens in so einem Mehrfamilienhaus. Und eher auf der Ebene, würde ich sagen, sollte man dann mal das Gespräch suchen. Aber das Argument mit Corona ist leider hier nicht zusätzlich zu gebrauchen. Also eine Infektionsgefahr sehe ich da nicht.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 162  Kekules Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 3. März wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann. Bis nächste Woche.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Freitag, 19. März 2 02 1 #161 Jubiläumssendung – Aussetzung der AstraZeneca Impfungen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Ab heute wird wieder mit AstraZeneca in Deutschland geimpft, und Forscher der Uni Greifswald haben offenbar die Ursache für die Hirn Thrombose gefunden. Wie sind diese neuesten Entwicklungen zu bewerten? Und was bedeutet das für alle Impfwilligen.


Dann, in diesem Zusammenhang, greifen denn die Impfstoffe von BioNTech und Moderna auch die Blutgerinnung ein?


Außerdem deutschlandweiter Inzidenzwert kurz vor der HunderterMarke. Erste Bundesländer ziehen die Notbremse. Droht uns ein noch härterer Lockdown?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und heute mal Freitag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekule.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir starten mit dem Top-Thema schlechthin die Wiederfreigabe des AstraZeneca-Impfstoffs. Ab heute wird in Deutschland wieder geimpft, was das Zeug hält. Haben Sie dabei ein gutes oder ein mulmiges Gefühl?



Alexander Kekulé


Da kann man schon ein gutes Gefühl dabei haben. Es ist ja nicht so, dass diese Nebenwirkungen jetzt extrem häufig gewesen sind. Ganz ehrlich gesagt ist mir nicht klar, warum wir jetzt raus aus den Kartoffeln und wieder rein in die Kartoffeln gegangen sind. Ich glaube, das hat keiner richtig verstanden. Aber abgesehen davon, dass man es nicht so richtig versteht, ist es doch ziemlich offensichtlich. Diese Nebenwirkungen sind extrem selten, und deshalb ist es völlig in Ordnung, sich so zu entscheiden, dass man jetzt weiter impft.



Camillo Schumann



Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat ja gesagt, die Vorteile einer Impfung mit AstraZeneca seien weitaus größer als die Nachteile. Deshalb ja auch noch mal ihre Empfehlung für den Impfstoff. Trotz mehrerer Fälle von diesem recht seltenen Hirnvenen Thrombosen und Todesfällen. Sie hatten sich ja kurz nach dem Wochenende und auch im Podcast am Donnerstag für einen Impfstopp ausgesprochen und gesagt die EMA soll sich da mal ein bisschen Zeit für die Prüfung dieser Vorfälle nehmen, damit dann auch das Vertrauen in diesen Impfstoff wieder zunehmen kann. Nun ging die Prüfung ja ein bisschen schneller als gedacht und war ja nach Aktenlage wenn man so will. Sind Sie denn mit der Entscheidung, wie sie getroffen wurde, und der Begründung zufrieden?



Alexander Kekulé


Ja, das ist eine politische Entscheidung gewesen und bei politischen Dingen gibt es


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immer Argumente für beide Seiten. Wissenschaftlich ist es so, dass die Datenlage, wie Sie richtig sagen, immer noch die gleiche ist, wie wir es am Dienstag hatten. Es ist letztlich so, dass wir eine bestimmte Zahl von diesen seltenen Hirnvenenthrombosen haben, Sinus Venenthrombosen. Da hat sich die Zahl ja sogar noch erhöht. Also ursprünglich sollten es mal sieben gewesen sein, als die ersten Stopps waren. Dann hat das Paul-Ehrlich-Institut von 13 gesprochen, und die EMA hat dann noch einmal nachgezählt und kam in ihrer offiziellen Begründung auf 18. Das spielt aber keine große Rolle, weil das immer im Verhältnis zu den vielen Millionen geimpft natürlich eine kleine Zahl ist. Was hier zu beobachten war, ist letztlich: Der Unterschied ist der, das PaulEhrlich-Institut, was für Deutschland gesagt hat wir stoppen und auch die anderen entsprechenden Einrichtungen in anderen Ländern, also Dänemark, Holland, Frankreich und so weiter und so weiter. Es waren ja viele andere Länder. Die haben eben die gleichen Daten angeguckt wie die EMA, also exakt die gleichen und kamen zu einem anderen Schluss. Die haben gesagt, man muss erst einmal stoppen, und dann hat man eigentlich keine neuen Daten gehabt. Was ich mir gewünscht hätte, wäre gewesen, dass man die Daten analysiert und ein bisschen rauskriegt, haben wir eine Idee, woran es liegt? Haben wir eine Idee, welche Risikogruppen man eventuell identifizieren kann? Ich hatte ja gesagt, so eine Aktivierung des Komplementsystems, was altersabhängig sein könnte, könnte eine Rolle spielen. Das würde dann darauf hindeuten, dass eher junge [Menschen, Anm. d. Redaktion] gefährdet sind, aber man bei den alten [Menschen, Anm. d. Redaktion] weiterimpfen kann. All diese Eingrenzungen, die sicherlich diskutiert wurden in dem Komitee, es hat ja auch sehr lange gedauert, bis das Ergebnis kam. Alle, diese Eingrenzungen sind dann am Schluss nicht beschlossen worden, sondern man hat einfach gesagt okay, weiter impfen, weil wie auch immer es sind nur wenige Todesfälle. Und ich sag mal, so hat man es nicht formuliert. Aber


letztlich hieß es die nehmen wir dann gegebenenfalls in Kauf, weil wir durch die Impfung ja auch tot verhindern.



Camillo Schumann



Finden Sie das plausibel? Auch wie argumentiert wurde?



Alexander Kekulé


Nein, es ist überhaupt nicht plausibel argumentiert worden, sondern politisch. Das ist ja letztlich die Frage, wie schlimm ist die Pandemie? Also außerhalb der Pandemie hätte man so eine Entscheidung nie und nimmer getroffen. Das ist völlig klar. Und das Problem, was man letztlich jetzt sage ich mal ethisch hat, das ist eigentlich eine ethische Frage, die wir hier diskutieren. Das ethische Probleme oder die ethische Frage, die man hat, ist: Kann man sagen wir impfen ganz viele Menschen und nehmen in Kauf Die EMA sagt ja, wir können nicht ausschließen, dass ein Zusammenhang besteht. Die haben sich da sehr, sehr vorsichtig ausgedrückt, was wir auch gleich nochmal besprechen können, ob das so ganz offen war an der Stelle. Aber die sagen, wir nehmen Todesfälle in Kauf, letztlich, weil wir andere Todesfälle verhindern. Das Problem ist nur ethisch gesehen, bei der Impfung die wenigen Todesfälle, auch wenn es ganz wenige sind – sind es nicht die gleichen Menschen, die gerettet werden durch die Impfung. Also dadurch muss sozusagen, wenn ich es jetzt mal so ganz pointiert sagen würde, ohne dass das provokativ klingen soll. Der eine muss sterben, damit die anderen überleben können. Und da haben wir ja viele... Diese Fragen wurden ja oft diskutiert, auch von Philosophen und Ethikern. Ich erinnere mich an das Beispiel, wo es um die Frage ging, darf man ein Flugzeug, was von Terroristen entführt wurde, abschießen, wenn man weiß, dass gerade beabsichtigt wird, eine Millionenstadt damit anzugreifen? Also darf man wenige


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opfern für viele. Und da haben eigentlich alle Ethiker gesagt: Nein, das darf man nicht. So tragisch das klingt. Und diese Diskussion so ein bisschen natürlich ein anderes Spielfeld. Kann man nicht eins zu eins vergleichen. Aber um diese Diskussion geht es letztlich kann man sagen. Wir wissen oder wir ahnen, dass da Nebenwirkungen sind, die tödlich sein können. Aber wir müssen jetzt sag ich mal die Welt retten, so etwas pointiert. Und deshalb sind das sozusagen Kriegsopfer im Krieg gegen Corona. Die nehmen wir in Kauf.



Camillo Schumann



Sie haben es gerade eben gesagt, dass die EMA sozusagen einen kausalen Zusammenhang nicht sieht. Das sehen wieder andere Forscher anders. Da werden wir auch im Laufe der Sendung auch noch mal drüber reden. Zum Beispiel Uni Forscher von der Uni in Greifswald. Fakt ist sozusagen, was da jetzt rausgekommen ist bei der EMA, dass der Beipackzettel ergänzt wird. Also sozusagen ein Warnhinweis gegeben wird. So ganz allgemeiner Natur also zu 2 5 Nebenwirkungen kommt jetzt quasi noch eine. Und Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-EhrlichInstituts, der hat das dann so formuliert.


Klaus Cichutek


Das ist ein Warnhinweis, der auf die besonderen Symptome aufmerksam macht, die hier auftreten können, in sehr seltenen Fällen. Und damit auch die geimpften, aber auch die Impfwilligen vollständig darüber informiert auf solche Warnsignale, wenn Sie auch sehr selten sind, aufmerksam aufzupassen.


07:39



Camillo Schumann



Tja, unser Hörer, Herr M., hat dazu geschrieben: „Ich bin einigermaßen entsetzt, dass die EMA, das Paul-Ehrlich-Institut und das


Gesundheitsministerium nichts anderes einfällt, als den Beipackzettel anzupassen. Es hat ja eh jeder mit bekommen, dass ein geringes Thromboserisiko besteht. Den Zettel können Sie sich sparen. Der Beipackzettel hat doch nur die Funktion, die Verantwortung auf die Impflinge abzuwälzen und sich selbst abzusichern. Keine Einschränkung von Personengruppen, keine Hinweise, was man bei bestimmten Symptomen tun kann. Keine wie auch immer geartete Untersuchung auf ein Thromboserisiko. Woher soll ich wissen, ob ich ein Risiko habe? Das gibt mir kein Stück mehr Sicherheit. Ich weiß für mich auf jeden Fall nicht, ob ich das Risiko eingehen möchte, mit AstraZeneca geimpft zu werden oder nicht. Viele Grüße, Herr M.“


Er fasst das eigentlich ganz gut zusammen oder übertreibt er da ein bisschen?



Alexander Kekulé


Nee. Also man ist ja als Wissenschaftler und Regierungsberater immer vorsichtig in seiner Wortwahl. Darum würde ich das jetzt nicht genau so formulieren. Aber es ist in der Tat so. Die Arzneimittelbehörde ist halt eine Behörde, und die hat sich hier abgesichert, ohne Frage. Die hat hier letztlich gesagt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Ihr sollt jetzt weiter impfen. Aber wenn was schiefgeht, wir waren nicht schuld. Weil, wir haben ja diesen Warnhinweis angebracht. Es wurde ja auch ganz offen gesagt in der Pressekonferenz, dass die EMA jetzt weiterimpfen will. Sie empfiehlt, weiter zu impfen und will aber im Laufe dieser Impfung sich diese Nebenwirkungen dann genauer anschauen und untersuchen. Also quasi eine Art Feldversuch durchführen. Und ich weiß auch nicht, es ist ja sowieso ein Problem bei diesen ganzen Impfungen, in diesem großen Stil, das gilt ja für alle Impfungen. Da haben wir ja das Problem, dass wir sehr viele Menschen impfen müssen und das aber trotzdem eigentlich jeder einzelnen Impfung ein ärztliches Aufklärungsgespräch vorausgehen soll. Und wenn ich mal so denke,


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was in den Kinderarztpraxen da zum Teil geleistet wird. So manche Eltern sind ja nicht so überzeugt, dass sie ihre Kinder jetzt gegen alles Mögliche impfen lassen sollen. Da geben sich die Kinderärzte echt Mühe und erklären, das und sagen, was die Vor und Nachteile sind. Und meistens entscheidet man sich ja dann günstigerweise, richtigerweise für die Impfung. Und im Vergleich dazu ist es ja hier in diesen Impfzentren sowieso ein Hauruckverfahren. Und wie man jetzt in diesem in diesem Schnellverfahren jetzt auch noch so eine komplizierte Frage ich stelle mir vor, irgendein Arzt, ein Augenarzt aus irgendeinem Dorf, der hat sich freiwillig gemeldet, im Impfzentrum auszuhelfen, weil er auch seinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten will. Und jetzt ist der vor diese hochwissenschaftliche Frage gestellt, wo selbst PI und EMA, also selbst das Paul-Ehrlich-Institut und Herr Cichutek, den wir gerade gehört haben, sind in einer ganz misslichen Lage. Der wurde ja letztlich von der europäischen Behörde überstimmt, an der Stelle und von seinem Minister dann im Endergebnis auch. Und da muss man sagen, selbst die sind sich fachlich nicht so einig. Und jetzt steht der Arzt vor Ort mit seinem Patienten und soll ihm das erklären, weil der Patient muss ja, das ist bei uns einfach immer im deutschen Gesetz so, der muss ja eine aufgeklärte Einwilligung geben. Das heißt, er muss bei der Einwilligung sich aller Risiken bewusst gewesen sein. Naja, viel Spaß dabei.


11:02 :



Camillo Schumann



Nur mal so als Beispiel Dänemark verzichtet weiterhin auch nach der EMA Entscheidung, AstraZeneca weiter zu impfen. Frankreich gibt AstraZeneca nur für über 55-Jährige frei. Zum Alter kommen wir gleich. Noch mal die Frage, weil sie sagen ja auch, das sind sehr, sehr, sehr, sehr, sehr seltene Fälle. Aber ist denn mittlerweile geklärt, warum in Deutschland auf einmal so viele Fälle dieser sehr, sehr


seltenen Erkrankung auftraten? Wir erinnern uns vor dem Wochenende gab es ja noch offiziell keinen einzigen Fall, und nach dem Wochenende waren es dann sieben, dann elf, dann 13. Ist das mittlerweile geklärt?



Alexander Kekulé


Diese Frage wird inzwischen sogar in Talkshows gestellt. Und da muss man wirklich sagen, das finde ich ein bisschen enttäuschend, dass wir da keine Antwort kriegen. Ich bin eigentlich zuversichtlich, dass es da eine Antwort gibt, die irgendwie entwarnenden Charakter hat. Also ich bin da überhaupt kein Verschwörungstheoretiker, sondern für mich ist es naheliegend, dass das Paul-Ehrlich-Institut, nachdem es diese Hinweise aus dem Ausland erhalten hat, halt in seinen Datenbestand gründlicher geguckt hat. Und dass diese Sinusvenenthrombosen schwierig zu diagnostizieren sind, oft übersehen wird und sich auch zum Teil dann die Frühstadien von selber wieder zurückbilden können. Das haben wir ja schon am Dienstag im Podcast besprochen. Vor diesem Hintergrund ist es klar wenn man natürlich da gründlich sucht, quasi überall den Teppich hoch macht, dann findet man auch. Aber es wäre natürlich schon interessant, die Frage, wie hoch dann vor diesem Hintergrund die Dunkelziffer zu schätzen ist. Es ist ja auch merkwürdig, höchst merkwürdig, dass wir in Deutschland jetzt 13 von 18 Fällen, also ich gebe jetzt mal den stand wieder zum Zeitpunkt der Entscheidung. 13 von 18 Fällen kommen ausgerechnet aus Deutschland, wo ja bekanntlich aus bekannten Gründen sehr wenig geimpft wurde. Und wenn man das vergleicht mit Großbritannien oder anderen Ländern, die Astra in großem Stil schon eingesetzt haben und daher sieht es für mich im Grunde genommen, wenn man so etwas dann statistisch sich anschaut, sieht das nach einem Detektionsfehler aus. Also man hat offensichtlich hier nur einen Teil erwischt, weil die anderen vielleicht nicht so gründlich mit


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deutscher Gründlichkeit nachgeguckt haben. Und dann wiederum, gehe ich jetzt eins zurück, ist die Frage wieviel wert ist dann die Aussage der EMA, dass das nur ungefähr eins zu 100.000 vorkommt. Weil die rechnen ja quasi diese 18 Fälle auf 1,8 Millionen Menschen um, die geimpft wurden. Ich weiß auch, dass mein Kollege Lauterbach so rechnet. Der sagt dann okay, Risiko eins zu 100.000 höchstens. Und das ist natürlich immer unter der Annahme, dass man wirklich alle Fälle gezählt hat. Und da würde ich schon sehr, sehr dringend erwarten und nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen, sondern um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu gewinnen, dass man hier erklärt, wie das zustande gekommen ist. Wie man gerechnet hat und wie die Zahlen auf dem Tisch sind, wie belastbar die sind) In welcher Größenordnung sozusagen das Risiko ist. Das würde ich auch meinem Patient sagen müssen, wenn ich selber einen immunisiere, da würde ich dem sagen wollen: „Paß mal auf, wir haben hier ein Risiko von eins zu 500.000. Wenn du mit dem Flugzeug abstürzt, ist das eins zu 3 Millionen. Willst du es machen? Ja, oder nein?“. So das ist, glaube ich, eine Sprache, die Patienten verstehen. Aber diese Zahlen hat die EMA eben letztlich nicht geliefert.



Camillo Schumann



Von den 13 Personen, weil wir bei Zahlen sind, von diesen 13 betroffenen Personen in Deutschland waren zwölf Frauen. Und die betroffenen Personen waren so zwischen 2 0 und 50. In Deutschland wurde ja vor allem medizinisches Personal mit AstraZeneca geimpft und darunter sind nun mal überwiegend Frauen. Dann dürfte doch das Risiko bei Frauen in diesem Alter 2 0 bis 50 höher seien als im Rest der Bevölkerung. Also geht die Rechnung Risiko eins zu hundert oder eins zu 2 00.000 nicht auf. Oder ist das sozusagen jetzt ein Artefakt in Anführungszeichen.



Alexander Kekulé


Also? Ihre Überlegung ist das, was glaube ich, jeder intelligente Menschen in Deutschland, der diese Lage beobachtet, auch haben muss. Also ich glaube auch. Aber das ist mit Betonung auf Glauben an der Stelle, dass der Mechanismus, der zu dieser Erkrankung führt, zu dieser seltenen Sinus Venenthrombose, dass das etwas ist, was mit dem Alter zu tun hat. Ich habe ja am Dienstag schon spekuliert, dass es eine Aktivierung des Komplement-systems sein könnte. Der Blutgerinnung über die sogenannte angeborene Immunantwort. Und die wird mit dem Alter schwächer. Und das würde vielleicht auch erklären, warum in England, wo man ja sehr viel geimpft hat, aber eben die alten geimpft hat, das nicht gesehen wurde, bei uns in Deutschland aber gesehen wurde, weil man erstens mit AstraZeneca bekanntlich speziell jüngere geimpft hat und zweitens eben viele, viele Frauen. Weil die in Pflegeberufen natürlich häufiger anzutreffen sind. Übrigens nicht nur mehr Frauen, sondern auch Frauen, die die Antibabypille genommen haben, waren viele dabei. So, und wenn ich jetzt dieses Gesamtbild habe dann gibt es 2 Möglichkeiten entweder ist es so, dass dieses Glauben, dieses Gefühl eines Virologen hier vielleicht sogar stimmen könnte. Das ist, was mit der angeborenen Immunantwort unter Komplimentaktivierung zu tun hat. Dann würde man sofort sagen, jawoll Leute, Menschen, die ein höheres Risiko haben wie zum Beispiel Antibabypille, weiblich und so weiter, oder jünger, die sollte man vielleicht nicht so priorisiert impfen. Ich glaube, mein Eindruck ist, dass Frankreich, wenn es jetzt diese Empfehlung herausgegeben hat, genau dieser Gedankenfolge nachgegangen ist. Also, es ist ja auch so: Wir sind ja international alle im Kontakt, und daher weiß ich auch, wie meine Kollegen im Ausland denken. Und das scheint so zu sein, als hätten sie diese Vermutung, mehr ist es ja nicht, im Grunde genommen zur Grundlage ihrer Entscheidung genommen. Es gibt aber auch das Gegen-argument das hat die EMA so ein bisschen gefahren. Die sagt


eben naja, wenn man halt mehr Frauen impft,


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dann kriegt man auch die Nebenwirkungen bei Frauen. Und deshalb muss es gar nicht so sein, dass das eine ein höheres Risiko bei Frauen ist. Das kann man genauso sagen. (...) Wir haben ja zu rein zufällig sage ich mal in den letzten Wochen viel über Beobachtungsstudien gesprochen und die Aussagekraft von Zahlen. Und wenn man eben seltene Nebenwirkungen oder selten beobachtete Nebenwirkungen hat, im Verhältnis zu sehr, sehr häufigen Impfungen. Ein, 2 Zählpunkte rauf und runter, ver-ändern schon die ganze Statistik. Und deshalb würde ich jetzt mal sagen beides ist offen nach wie vor. Es war offen vor der Entscheidung und ist jetzt immer noch offen und natürlich dadurch, dass jetzt einige Wissenschaftler wie zum Beispiel vom PI. Quasi dann vom jeweil-igen Ministerium politisch überstimmt worden. Das ist in Deutschland der Fall und dadurch, dass in anderen Ländern wie in Frankreich Mann gesagt hat wir machen so eine plausible einen Mittelweg, dass wir den Impfstoff verwenden, aber für Ältere. Und dann in dritten Ländern wiederum, man ge-sagt hat nee wir riskieren das alles nicht. Übrigens Dänemark hat sehr, sehr viel einge-kauft von den RNAImpfstoffen, und hat es deshalb auch nicht nötig. So was fällt natürlich dann immer auf. Dieses ganze Spektrum von Entscheidungen, wo ja immer Fachleute auch dahinter stehen. Ich habe irgendwie die Sorge, dass das jetzt insgesamt zu einem Vertrauens-verlust in die Impfung führen könnte. Und das habe ich ja eingangs schon vorgestern er-wähnt. Entschuldigung, schon am Dienstag erwähnt. Das ist letztlich der größte Fehler, den wir machen können, weil durch Vertrauensverlust in die Impfung. sterben mehr Menschen als an Neben-wirkungen durch den Impfstoff. Und auch mehr Menschen, als wenn man jetzt eine Woche oder 2 unterbrochen hätte, um die Kausalitäten etwas schärfer, klar zu ziehen.


18:44



Camillo Schumann



Sie hatten sich am Dienstag dafür ausgesprochen, ich habe sie eingangs gesagt, dass man mehr auswertet und auch klinisch auswertet. Damit man dann auch belastbare Daten hat. Die EMA hat das nicht gemacht, sondern hat das nach Aktenlage entschieden. Aber Forscher der Uni Unimedizin Greifswald die haben das gemacht. Die haben Blut Proben tatsächlich der betroffenen Menschen analysiert und offenbar die Ursache für diese Hirnthrombosen nach dieser AstrazenecaImpfung gefunden und möglicherweise auch eine Therapie. Die Uni Greifswald hat bei Facebook dann auch dementsprechend euphorisch geschrieben: „Der Unimedizin Greifswald ist der Durchbruch gelungen. Die schweren Thrombosefälle können behandelt werden. Unser Professor Andreas Greinacher hat geforscht wie ein Weltmeister hat entschlüsselt, wie die Thrombosen entstehen, wie zuverlässig getestet werden kann und was dagegen hilft. Wir sind happy, dass die Impfung nun ohne diese Angst weitergehen und megastolz auf unsere Spitzenforscher.“ Jetzt haben Forscher aus Greifswald mal eben kraft eigener Ad-hoc-Forschung das quasi rausgefunden. Die EMA hat die Daten nach Aktenlage bewertet. Erst einmal wie steht die EMA jetzt da?



Alexander Kekulé


Das kann man so nicht sagen. Die haben ja diese Daten auf dem Tisch gehabt. Ich war ja heute Morgen in der Pressekonferenz tatsächlich dabei und habe mir das „from the horses mouth“, wie man auf Englisch sagt, nicht despektierlich, sondern man sagt auf Englisch ja bekanntlich aus dem Mund des Pferdes, also direkt aus der Quelle erfahren. Es ist so, diese Daten waren natürlich bei der EMA auf dem Tisch. Das ist ja nicht so, dass die Greifswalder das geheim gehalten hatten. Es ist nur so, dass hat ganz offen der Herr Greinacher in dieser Konferenz auch gesagt. Es wurde vereinbart, dass diese Ergebnisse erst nach Mitteilung der Entscheidung durch die


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EMA veröffentlicht werden. Kommentiere ich jetzt nicht weiter. Aber es ist einfach vereinbart worden, dass man das zurückhält für die Öffentlichkeit. Und darum ist er damit heute an die Öffentlichkeit gegangen.



Camillo Schumann



Ganz kurz. Was könnte der Grund sein?



Alexander Kekulé


Naja, es ist so, dass man letztlich der Europäischen Arzneimittelbehörde die Freiheit lassen wollte, diese Daten als valide zu bewerten oder zu ignorieren. Das ist ja so, dass es ja zunächst mal mündlich mitgeteilt, es gibt sicher ein paar Papiere, die hin und her gegangen sind. Aber das ist ja keine, da gibt es noch nicht einmal dieses berühmte Preprint. Wir zitieren, ja hier ständig Preprints, weil man natürlich in dieser Pandemie schnell sein will. Aber da gibt es weder das Preprint noch eine irgendwie begutachtete Publikation. Die wollen es in Lancet einreichen. Haben Sie gesagt, aber das sind sie natürlich noch weit weg, dass das sozusagen den Begutachtungsprozess durchlaufen hat. Und dann müssen natürlich Sachverständige von der EMA sagen okay, das ist Ihnen jetzt mal Daten von so einer Uni aus Greifswald, das sind Hämatologen dort, also keine virologischen Experten. Wollen wir das jetzt hier auf in die Waagschale legen? Ja oder Nein, das muss man denen fairer Weise schon überlassen. Und um jetzt nicht quasi in Deutschland so eine Kommunikationswelle aufzubauen. Stellen Sie sich vor, das hätte in der BildZeitung gestanden, oder irgendeiner anderen Boulevardzeitung, schon bevor die EMA entscheidet, dann wäre natürlich der Druck der Öffentlichkeit noch größer gewesen. Und ich glaube, so ein hin und her oder so eine Verwirrung, das wollten die vermeiden. Drum haben sie ausgemacht. Wir warten mit unserem Ergebnis, bis sie entschieden haben.


2 2 :02 



Camillo Schumann



Okay, jetzt wurden sechs Blutproben analysiert. (...) Das ging ja auch alles sehr schnell. Warum hat man sich da nicht noch eine Woche Zeit genommen, 2 0, 30 Blutproben auszuwerten aus mehreren Ländern und dann auch eine etwas validere Aussagen treffen zu können, wo sie dann möglicherweise dann auch mehrere Länder, dann auch eine einheitliche Impfstrategie fahren im Umgang mit AstraZeneca? So macht ja jeder wieder seins.



Alexander Kekulé


Ja, also das kann ich Ihnen nicht beantworten. Herr Greinacher hat heute gesagt, dass genau, wie sie sagen, der Prozess ist am laufen. Es werden ständig neue Proben untersucht. Während der Pressekonferenz sagte er, sind meine Leute noch im Labor. Die haben dort wohl wirklich Tag und Nacht durchgearbeitet, und er sagt, sie haben vier Proben. Das war stand heute Morgen um zehn Uhr. Sie haben vier Proben im Detail untersucht. Dann kam noch drei weiter, sozusagen als Nachzügler ins Labor. Die haben sie dann auch noch untersucht und das Phänomen, was sie da gefunden haben da können wir gleich darüber sprechen bestätigt. Und dann hatten sie noch zwei, wo sie keine Proben hatten. Aber wo sie sagen, dass die klinischen Daten zu der Idee von Herrn Greinacher passen. Mir ist dabei folgendes wichtig. Also was der da gemacht hat, ist eigentlich genau das, was ich am Dienstag im Podcast gefordert habe. Der hat dass also parallel tatsächlich gemacht und eigentlich kann man schon sagen bei allen Fragezeichen, die da dran sind, wo wir auch kurz drüber sprechen müssen, ist es so, dass diese Ergebnisse eigentlich sehr, sehr plausibel machen, dass es hier einen kausalen Zusammenhang gibt. Nicht dass das irgendwie zufällig assoziiert ist und was ich nicht verstehe, ist, dass die Europäische


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Arzneimittelagentur sagt, wir haben keinen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang gefunden. Wir können es aber nicht ausschließen. Das war ja das Statement der EMA. Und wenn man diese Daten auf den Tisch zu liegen hat, zu sagen wir haben da keinen Hinweis darauf. Also eigentlich müsste man aufgrund dieser Daten sagen, der kausale Zusammenhang wäre sehr plausibel, ist wahrscheinlich aber noch nicht bewiesen. So würde ich es einmal formulieren. Aber sich dann quasi andersrum hinzustellen und zu sagen, wie die drei Affen ich sehe nichts. Ich höre nichts. Ich sag auch nix. Und dann zu sagen ich habe, ich kann es nicht ausschließen. Das finde ich jetzt, wo ich das im Nachhinein auf den Tisch bekommen habe und verstanden habe doch ein bisschen schwach.



Camillo Schumann



Wann wäre es denn bewiesen? Vielleicht wollten sie sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.



Alexander Kekulé


Das ist genau der Punkt. Was Sie sagen, ist genau der Punkt. Das sind eben vier Patienten gewesen und der Mechanismus, der hier erklärt wird, der ist auch nicht bewiesen. Also ich bin nicht so optimistisch wie Herr Greinacher. Also, es ist so, obwohl ich ihn sehr, sehr schätze. Das ist ein hervorragender Hämatologe. Also so jemand, der sich beschäftigt mit Blutgerinnung und solchen Dingen und Blutkrankheiten. Das ist ein hervorragender Mann, der auch international anerkannt ist. Sein Optimismus, was ja die Presseerklärung zumindest sagt, wir haben die Ursache gefunden. Jetzt muss sich keiner mehr Sorgen machen. Und wir haben eine Therapie für diese Hirnvenenthrombosen. Also alle diese drei Sätze würde ich ehrlich gesagt nicht unterschreiben, sondern immer dazu schreiben, vielleicht und hoffentlich. Und wir glauben, wir hätten vielleicht so in der Richtung.



Camillo Schumann



Ich sag mal so, wir dürsten nach positiven Nachrichten



Alexander Kekulé


Jedenfalls unterm Strich, sage ich mal, das ist eine ist eine interessante Erkenntnis. Und die, belegt, aber letztlich fast, also nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich belegt sie letztlich, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt, das schon. Und das ist eigentlich die TakeHome-Message. Es gab Belege auf dem Tisch für einen kausalen Zusammenhang, und die EMA sagt aber, wir haben dafür keine Belege gesehen, und wir halten es aber nicht für ausgeschlossen. Und das ist für mich keine Stärkung der Vertrauenspersonen, des Vertrauens in diese Behörde.



Camillo Schumann



Jetzt lassen wir die Katze aus dem Sack. Herr Greinacher, sein Team natürlich, hat im Blut der Betroffenen spezielle Antikörper gefunden, die sich gegen die körpereigenen Blutplättchen richten und das ist sozusagen jetzt Casus Knacksus. Da beginnt das Problem.



Alexander Kekulé


Ja, genau. Also das sind Antikörper, die sie gefunden haben. Und zwar, wie er sagt, eben bei den vieren ganz detailliert, bei vier Patienten. Bei drei weiteren haben sie die wohl auch gefunden. Also insgesamt ist die Zahl jetzt bei sieben. Und da haben sie Antikörper gefunden, die tatsächlich man kann nicht direkt sagen an Thrombozyten binden, sondern sie aktivieren Thrombozyten. Und Thrombozyten sind die Blutplättchen, die dafür verantwortlich sind, dass die Gerinnung startet oder dass die Gerinnung hochläuft. Und er sagt eben das sei so typisch, dass das diese Thromben in den Hirnvenen erklären


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würde. Antikörper, die letztlich Thrombozyten, also diese Blutplättchen aktivieren. Das ist ein Mechanismus, der sonst zum Beispiel bei Gefäßschädigungen eintritt. Also wenn man sich verletzt, irgendwo dann werden die Thrombozyten auch aktiviert, und es gibt eben eine ganz bestimmte Erkrankung. Muss man auch dazusagen, dass ist eine, die Herr Greinacher seit Jahrzehnten untersucht hat. Da ist er sozusagen der Guru schlechthin. Dafür hat auch ganz tolle Reviews dazu geschrieben. Ich sag jetzt mal wie die heißt, falls jemand Lust hat, es zu googeln. Die heißt Hit. Aber: Autoimmun Heparin-induzierte Thrombozytopenie. Auweia. Also Thrombozytopenie heißt auf medizinisch, die Ärzte haben wir schon immer Latein gesprochen, damit die Patienten nichts verstehen. Thrombozytopenie heißt, dass diese Blutplättchen runter gehen, dass man zu wenig von denen hat. Das ist ein seltenes Krankheitsbild, was auf vorkommt, wenn man Heparin gibt. Also so ein Blutverdünner, den glaube ich, viele kennen. Und dann gibt es für manche, die haben dann eine Woche später, plötzlich sind die schwerstkrank und haben Thrombosen. Und der Hintergrund ist eben der, dass dieses Heparin etwas bewirkt in einem Faktor, der von Blutplättchen freigesetzt wird. Das ist der sogenannte Plättchen-Faktor vier. PF4. Und das Heparin bewirkt, dass dieses PF4, das ist ein Eiweißmolekül, ein kleines. Das faltet sich um und dieses umgefaltete PF4, das plötzlich wird attackiert wie wild von körpereigenen Antikörpern. Und wenn das passiert, kommt es eben dazu, dass die Gerinnung gestartet wird. Und weil die Gerinnung nicht mehr gestoppt wird, verbraucht es diese Blutplättchen. Und deshalb findet man bei diesen Patienten erstens Thrombosen und zweitens reduzierte Blutplättchen. Die sind ja dann irgendwann alle, dann hat man keine mehr. Das sieht man dann im Blut. Und diese 2 plus noch weitere, ganz typische Symptome wurden eben beobachtet bei den Fällen mit diesen Sinusvenenthrombosen



Camillo Schumann



Und weiß man denn, ob es tatsächlich an der Impfung lag?



Alexander Kekulé


Die Frage haben ganz viele Journalisten auch gestellt. Also da waren ja außer mir, glaube ich, im Meeting heute, lauter Journalisten drinnen, auch welche, die man so kennt. Und es ist so, Herr Greinacher ist fest überzeugt, dass es so ist, und es wäre super plausibel. Es wäre natürlich, wenn Sie mich fragen, auch deshalb plausibel, weil das, was er hier beschreibt, ist der Klassiker einer KomplimentAktivierung durch das angeborene Immunsystem. Also, wenn Sie sich an meine Spekulation vom Dienstag erinnern. Genau das, was sie spekuliert hat, zeigt er hier also eins zu eins. Es ist eine klassische KomplimentAktivierung durch dieses angeborene Immunsystem. Und zwar, was da passiert, ist Folgendes das kann man sich vielleicht so vorstellen, es ist glaube ich ganz interessant. Das Immunsystem muss ja reagieren, noch bevor es Antikörper und spezielle T-Zellen produziert. Sozusagen ganz am Anfang. Wenn so ein so ein fremder Körper reinkommt, so ein Bakterium oder ein Virus, da muss er erstmal sofort was passieren. Und diese schnelle, angebotene Antwort, die hat ganz viele einzelne Komponenten. Aber eine Komponente davon ist die, dass negativ geladene Oberflächen dazu führen, das eben das Kompliment aktiviert wird und unter anderem eben dieser Plättchen Faktor vier da angeschmissen wird. Warum ist das so? Negativ geladene Oberflächen haben typischerweise Bakterienzellen und menschliche Zellen. Tierische Zellen haben das nicht. Und deshalb kann quasi das angeborene Immunsystem ohne irgendeine Ahnung zu haben sagen, alles was negativ geladene Oberfläche hat ist erstmal suspekt. Da aktivieren wir doch mal unser sogenanntes Komplementsystem, was dann auch


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Gerinnungsfaktoren und eben auch diese Blutplättchen aktiviert. Und dann, im zweiten Zug werden die Antikörper angeschmissen dagegen. Jetzt ist Herr Greinacher nicht damit rausgerückt, gegen was eigentlich? Das zielt auf die Beantwortung Ihrer Frage hinaus. Gegen was ist denn eigentlich der Antikörper gerichtet hier? Weil Heparin kann es nicht sein wie bei diesem sogenannten Hit, bei diesem autoimmun induzierten Heparin Phänomen. Und da hat er die Journalisten gebeten, ihm zuzugestehen, dass er das nicht sagen will, weil er es noch nicht publiziert hat. Da ich jetzt zufällig auch mal die Facharztausbildung zum Laborarzt gemacht habe, wage ich jetzt eine Spekulation. Wir wissen, dass das Plättchenfaktor vier, dass der auch von DNA aktiviert wird, nicht nur von Bakterien, sondern auch von freier DNA. Die ist auch negativ geladen. Und die schmeißt auch den genannten Mechanismus an, der dann in wenigen Fällen zu diesen Antikörpern führt, die die Blutgerinnung anwerfen und dann am Schluss zu Thromben führen. Und DNA ist genau das, was man spritzt, wenn man diese AstraZeneca Vakzine spritzt. Das ist ja letztlich ein Adenovirus, ein DNA-Virus, was a quasi nicht mehr vermehrungsfähig ist, wo innendrin ein Stück eingebaut ist, was dieses Spike-Protein vom Sars-Cov-2 herstellt. Das ist also eine Möglichkeit, jetzt erstmal Spekulation, weil er ist ja nicht damit rausgerückt, was er dann in seinen Publikationen schreiben wird. Verstehe ich auch. Aber es ist verdammt naheliegend, dass es darauf hinausläuft. Die DNA aus dem Impfstoff aktiviert, letztlich diese Antikörper gegen Plättchenfaktor vier. Und dadurch kommt es genau zu dieser Kaskade, die wir bei diesem Autoimmun Hit kennen.


32 :15:



Camillo Schumann



Jetzt nur mal so eine Überlegung, wäre das ein Phänomen bei allen, die geimpft sind? Und bei den wenigen Fällen kamen eben noch spezielle andere Rahmenbedingungen dazu,


die wir noch nicht kennen, die am Ende dann zu dieser Hirnvenen-Thrombose geführt hat?



Alexander Kekulé


Das ist die entscheidende Frage, die sie da stellen. Das ist wirklich die alles entscheidende Frage. Es ist so, dass er das natürlich nicht beantworten kann. Also er weiß erstens nicht, ob das, was man da beobachtet, möglicherweise ein Epiphänomen ist. Also es könnte ja sein, dass man da etwas beobachtet, was stimmt. Aber was nicht Ursache ist für das Ganze. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten, wie Thrombosen entstehen können. Deshalb ist die Aussage wir haben die Ursache geklärt, ein bisschen überzogen. Es könnte auch sein, dass es nur ein Phänomen ist, und nicht der Kern der ganzen Sache. Und das zweite ist eben, Herr Greinacher hat auch in der Pressekonferenz noch einmal ganz klar gesagt, dass ist extrem selten, und deshalb ist es eine gute Nachricht, weil wir quasi beweisen können, dass diese Nebenwirkungen nur extrem selten auftreten. Ja, bei Heparin ist es so, dass wir wissen, dass diese Autoimmun oder auch Heparin-Ähnliche, das wird hier eben nicht nur durch Heparin ausgelöst. Wir wissen, dass diese Autoimmun Heparininduzierte Thrombozytopenie eine extrem seltene Krankheit ist, das wissen wir. Aber wir wissen bei den Impfungen eben nicht, ob dieses Phänomen dieser Antikörperbildung, genau wie sie es gerade gefragt haben, ob das vielleicht häufig ist und man nur in einzelnen Fällen dann diese Ausprägung der Hirnvenenthrombose hat. Völlig unklar ist auch noch Folgendes. Der Mechanismus, den Herr Greinacher hier vorschlägt, der führt in der Regel zu normalen Thrombosen. Also arterielle Thrombosen, venöse Thrombosen, also die Verschlusskrankheit, was vielleicht viele kennen. Ganz selten sind einzelne Publikationen da, wo es mal zu so einer Hirnvenenthrombose geführt hat. Aber das ist eher exotische Ausnahme bei dieser Erkrankung. Und auch auf die Frage eines


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Journalisten wieso es jetzt in diesem Fall auftritt, musste er auch sagen, hat er überhaupt keine Erklärung dafür. Das ist aber nicht plausibel. Wir brauchen ja im Grunde genommen eine Erklärung. Also beruhigend, wäre eine Erklärung, die sagt, aus folgendem Grund wissen wir es betrifft nur diese Hirnvenenthrombosen und wir wissen, dass alle anderen, die das nicht hatten, die diese Symptome nicht hatten, dass die auch kein Risiko hatten. Die sind sozusagen nicht irgendwie knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, in dem Sinn, dass sich da Thromben gebildet und wieder aufgelöst haben und es ist noch immer “jot jejange“. Sondern das muss so sein, dass ich irgendwie Belege habe, dass ich weiß okay, die haben eine genetischen Besonderheit oder irgendetwas anderes, was halt echt selten ist. Und das beantwortet er zum Beispiel nicht.


35:00



Camillo Schumann



Die Einnahme der Pille zum Beispiel. Ne, das ist ja das, was jetzt auch immer so suggeriert wird. Na ja, die Frauen zwischen 2 0 und 50 und so die nehmen ja die Pille. Also dieser kausale Zusammenhang, den kann man ja jetzt sozusagen im Lichte der Betrachtung nicht machen.



Alexander Kekulé


Nein, es ist sogar so, dass die Journalisten, die Wissenschaftsjournalisten sind ja heute heutzutage oft weiblich, da hat sofort eine gefragt wie ist denn das? Kann man jetzt so was wie Östrogene, also weibliche Sexualhormone, die oder deren Verwandte zum Beispiel auch in der Pille verabreicht werden. Kann man das als Co-Faktor möglicherweise ausschließen, sagt er nein. Also man kann also daher weder das weibliche Geschlecht ausschließen als Risikofaktor noch die Einnahme der Antibabypille von anderen


Risiken ganz zu schweigen. Sodass für mich eigentlich am Schluss, jetzt auch mit Blick auf diese Krankheit, von der er glaubt, dass das ganz typisch eine Parallele zieht. Ja, da sage ich jetzt mal es gibt, falls das alles stimmt, das ist ja nur mündlich jetzt erklärt worden. Falls das alles stimmt, ist es so Good News aus meiner Sicht. Good News Nummer eins ist aus meiner Sicht, könnte man den Abfall der Thrombozyten, also den Abfall der Blutplättchen, möglicherweise als Frühindikator verwenden, um so etwas zu erkennen, bevor es wirklich auftritt. Wenn wirklich so eine Hirnvenenthrombose auftritt, dann gibt es dagegen keine Therapie aus meiner Sicht. Auch das, was er vorgeschlagen hat, können wir vielleicht noch mal drüber sprechen ist es ist nicht sinnvoll. Good News ist, auch wenn dieser Mechanismus wirklich was damit zu tun haben sollte, kausal. Dann ist es einfach de facto etwas, was selten auftritt. Warum auch immer. Aber es sind eben viele Fragen offen zur gleichen Zeit, weil wir eben wissen, dass dieses Heparin induzierte autoimmune Thrombozytopenie dieses A-HIT. Das ist eben so, dass das ganz typischerweise nur selten zu Thrombosen führt, also ungefähr 30 Prozent der Patienten, die dieses Syndrom haben, laborchemisch festgestellt, haben überhaupt nur Thrombosen. Und ganz häufig in den allermeisten Fällen heilt sich das von selber wieder, also über 90 Prozent der Leute, die dieses Problem haben, die haben eben dann solche Mikrothromben irgendwo in so kleinen Gefäßen verstopft, mal kurz, was. Es löst sich aber alles von selber wieder auf. Das heißt also wenn es wirklich dieses Krankheitsbild sozusagen sein sollte, was hier ausgelöst wird durch den Impfstoff, dann wäre zugleich eigentlich die Vermutung im Raum, dass das sich meistens von selbst wieder heilt. Also dass wir eine hohe Dunkelziffer haben von Leuten, die Blutveränderungen haben, ohne dass das erkannt wird.



Camillo Schumann



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Was ich mich gefragt habe. Bevor wir jetzt auf die Therapie eingehen. Warum hat man nicht eine Kontrollgruppe die vier oder sechs oder sieben Personen umfasst, gleich noch mit parallel getestet? Dann hätte man es ja gleich vergleichen können mit beispielsweise Männern zwischen 2 0 und 50.



Alexander Kekulé


Ja, das ist schwierig, weil sie natürlich diese Antikörper, die finden sind nur bei denjenigen, die die Krankheit haben. Und zwar währenddessen. Er hat, ich habe genau diese Frage gestellt interessanterweise, wie die Kontrollen aussahen. Er hat gesagt, er hätte ungefähr 2 50 mit AstraZeneca geimpfte gehabt, die einfach nur geimpft wurden. Bei denen hat er diese Antikörper nicht gefunden, und er hätte etwas über 2 000 aus der Allgemeinbevölkerung. Da hat er sicher seine älteren Studien gemeint, weil er das ja schon länger untersucht, wo er so etwas auch nicht gefunden hat. Also das ist klar, dass diese Antikörper, wenn sie dann mal auftreten, nicht die Regel sind. Das kann man vielleicht auch noch als gute Nachricht oder als beruhigende Nachricht an der Stelle schon sagen. Es ist jetzt nicht so, dass jeder, der geimpft ist, mit AstraZeneca dann hinterher mit diesen speziellen Antikörpern rumläuft, die möglicherweise Thrombosen machen. Also, das kann man auf Grund dieser Studie eigentlich ausschließen, wenn es stimmt, was er da über seine Kontrollen gesagt hat. Und das heißt für mich, es ist nach wie vor eben deutlich, dass es ein seltenes Phänomen ist. Wir wissen aber nicht, ob sozusagen diese Seltenheit, die wir beobachten, Stichwort 18 von paar Millionen oder vielleicht sogar zweistelligen Millionenzahlen. Ob man daraus das individuelle Risiko berechnen kann, also diese berühmten eins zu 100.000, die immer so im Raum stehen als angebliches Risiko, die kann er weder bestätigen noch falsifizieren an der Stelle.


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Camillo Schumann



Aber er hat eine Therapie gleich mitgeliefertSozusagen das Rundum-sorglos-Paket. Das sehen sie jetzt ein wenig kritisch. Erst einmal wie sieht denn die Therapie aus? Das wird jetzt nicht eine ACE Tablette sein, sondern.



Alexander Kekulé


Nee, das hat man übrigens versucht, damit ACE oder irgendetwas Aspirin-Zeugs und so hat man versucht, dieses Syndrom ja auch zu heilen. Und das funktioniert alles nicht so richtig. Es ist eine Therapie, die auch bei diesem AHIT, wenn ich das jetzt mal so abgekürzt sagen darf, jetzt nicht unumstritten ist. In letzter Zeit hat man gesehen, dass man mit Antikörpertherapie, also mit Immunglobulinen, dass man damit die Symptomatik dieser verlorenen Thrombozyten, die so in den Keller gehen oder deutlich runter gehen bei diesem A-HIT, dass man das damit bereinigen kann. Weil diese Thrombozyten aktiviert werden. Das knn man sich so vorstellen, da muss ein Teil von den Antikörpern an die Gefäßwand andocken, also quasi die Rückseite von den Antikörper muss an die Gefäßwand andocken. Und dieses Andocken an die Gefäßwand. Das verhindert man, indem man in großer Menge Immunglobuline gibt. Immunglobuline ist nichts anderes als Antikörper, die man aus dem Blut von Blutspendern extrahiert hat. Also sozusagen gemischte Antikörper. Alles, was da ist, rausgeholt aus so einem roten Sack von Spenderblut. Und das empfiehlt er als Therapie und sagt hier Heureka, wir haben es gefunden. Das Problem ist Folgendes. Sie können damit natürlich den Laborparameter also die Plättchenzahl zu niedrig, also Thrombozyten zu niedrig. Den können sie damit wahrscheinlich therapieren. Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Nur so ein manifester Thrombus, also eine Verstopfung eines Gefäßes und diese Hirnvenen-


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thrombosen, die sind ja daumendick die Gefäße da oben. Wenn das Ding erstmal verstopft ist, das halte ich für ausgeschlossen, dass sie das, indem sie damals einen ZauberAntikörper-Gemisch reingeben, dass das sofort reversibel ist. Außerdem muss man sich vor Augen halten. Die Hirnvenenthrombose wird normalerweise nicht erkannt. Die wird übersehen. Die entwickelt sich ganz langsam. Und wenn sie dann am Schluss wirklich dieses ganze riesige dicke Gefäß zumacht oder einen Seitenstrang zumacht. Oft werden sogar mehrere zugleich dann betroffen. Dann erkennt man es daran, dass man massive neurologische Ausfälle hat, weil es einfach durch den Stau dann zu einer Hirnblutung kommt. Dieser Schlaganfall, der ist natürlich auf gar keinen Fall reversibel, indem man irgendwelche Antikörper gibt, die die Thrombozytenzahl wieder hoch bringen, so dass die Idee des Hämatologen sehr, sehr gut ist. Also das hämatologische Problem, das laborchemische Problem das wird man dadurch beheben. Aber das neurologische Problem wird man dadurch nicht beheben. Und man kann auch leider aus diesem ganzen Forschungszweig keinen Hinweis heraus extrahieren, dass man irgendwie die Gruppe derer, die besonders gefährdet sind, frühzeitig erkennt. Außerdem, was ich gesagt habe, das stammt nicht von ihm, dass man aus meiner Sicht eine Reduktion der Blutplättchen, wenn sie auftritt, als Warnsignal anerkennen könnte. Aber sie können natürlich nicht bei allen, die geimpft sind 2 Wochen lang immer Blut abnehmen, So lange kann das dauern, bis das kommt, um zu schauen, was die Blutplättchen machen.



Camillo Schumann



Das sei eben das ist ja genau der Punkt. Aber er sagt ja irgendwie ab Tag fünf oder so wird sein. Wenn man dann die Kopfschmerzen bekommt und so. Also wenn sozusagen die Hinweise, sich verdichten und da mal zum Arzt zu gehen wär doch ne Möglichkeit?


43:03



Alexander Kekulé


Ja, das schon. Aber wissen Sie, wenn Sie Kopfschmerzen bekommen, dann ist es schon zu spät. Dann ist schon irgendetwas verstopft. Sie kriegen ja keine Kopfschmerzen von einer diskreten Übergerinnungsfähigkeit des Blutes oder von leichten Störungen. Das entwickelt sich ebenso schleichend. Auch bei HIT ist es übrigens, sodass diese Diagnose superkompliziert ist. Da gibt's komplizierte Schemata. Und wenn man jemanden durch die Facharztprüfung für Labormedizin fallen lassen kann oder will, dann muss man nur auf dieses Thema zu sprechen kommen. Und es ist so, das ist überhaupt nix für den Hausgebrauch. Und wenn sie erst mal einen Hirnschlag haben, also plötzliche Kopfschmerzen, Doppelsehen, Wesensveränderungen und so weiter, dann sind sie ja in der Phase, die wir verhindern müssen. Ja, da müssten sie irgendetwas brauchen, was vorher eingreift und deshalb sag ich jetzt mal es ist ein ganz wichtiges, tolles Forschungsergebnis. Ich bin natürlich auch deshalb ein bisschen begeistert davon, weil es exakt belegt, was ich vermutet hatte, mit dem wie überhaupt das Problem zustande gekommen ist. Es ist aber nicht so, dass es quasi das Versprechen hält, dass man hier eine Therapie hätte oder Ähnliches. Da ist es nicht nur weit entfernt, sondern ich halte das für extrem unwahrscheinlich, dass man eine manifeste Hirnvenenthrombose, die ja immer meistens erst dann erkannt wird, wenn es zum Hirnschlag kommt, dass man da noch irgendetwas drehen könnte, indem man Immunglobuline gibt.


44:2 8



Camillo Schumann



Weil es gerade passt. Und weil das ein Thema ist, was unsere Hörerinnen und Hörer natürlich extrem umtreibt. Sie haben wirklich


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auf dem Anrufbeantworter und bei unserem E-Postfach kein anderes Thema mehr. Und die Frage von Frau R. passt in dem Fall ganz gut. „Eigentlich ist mir völlig egal“, schreibt sie, „welchen Impfstoff ich bekomme“. Sie ist 54. „Allerdings mache ich mir jetzt Gedanken. Hintergrund sind drei Aneurysma in meinem Gehirn, eins davon im “,oh Gott, Barsirallis, Kopf mit Stand und Kois versorgt“. Ist es jetzt richtig formuliert?



Alexander Kekulé


Basilaris. In der Arteria basilaris. Also es gibt quasi so einen Arterienring unten im Gehirn, wo manche dann eben an Aneurysmen haben. Okay, angeborenes Problem, was chirurgisch versorgt wurde.



Camillo Schumann



Ganz kurz. Sie hat eine Dauermedikation und nimmt täglich ASS. „Nun habe ich Angst“, schreibt sie, „dass ich den Impfstoff von AstraZeneca bekommen könnte, wegen der möglichen Thrombosen. Tja, ist meine Vorstellung richtig, immer eine Antwort würde ich mich sehr freuen.“



Alexander Kekulé


Also ich, wir wissen das nicht. Ich muss fairerweise sagen wir wissen es nicht. Es ist so, dass die EMA, die hat ja auch noch auf folgendes geschaut, das muss man vielleicht auch noch einmal sagen, es geht ja hier auch ein bisschen um die Bewertung des Impfstoffs insgesamt unabhängig von der von der Studie hier. Es ist so, dass man sich ganz genau angeschaut hat, genauso wie vorher die anderen nationalen Einrichtungen, wie häufig sind denn insgesamt Thrombosen. Also gemeldete Thrombosen in dem Sinn, dass Leute sagen kurz nach dieser Impfung oder im Zeitraum nach dieser Impfung hatte ich plötzlich eine arterielle Verschlusskrankheit im


Bein oder eine Venenthrombose oder Ähnliches. Und da sagen sie ja, das haben wir uns genau angeschaut, und das Risiko ist insgesamt nicht erhöht. Sogar eher erniedrigt, sagen sie. Und das bedeutet letztlich, dass man jetzt aufgrund der Daten, die wir haben, nicht sagen kann, dass das Thromboserisiko allgemein erhöht ist. Die Frage ist, kann man dann umgekehrt sagen jemand, der schon mal eine Thrombose hatte, ist nicht übermäßig gefährdet oder besonders gefährdet? Das wissen wir nicht, weil dieses A-HIT, wenn es wirklich dieser Mechanismus sein sollte, der eine Rolle spielt. Da ist noch ein Fragezeichen dran, dass ist so extrem selten. Das haben ungefähr 0,5 Prozent aller Patienten die Heparin bekommen und von denen aber in den allermeisten Fällen asymptomatisch. Also wenn das der Laborarzt nicht im richtigen Moment quasi rausgekitzelt, dann merkten die gar nichts davon. Und deshalb ist es eine seltene Erkrankung und daraus sozusagen dann auszurechnen aus den Zahlen, die man da hatte runterzurechnen, wie ist das sonstige Risiko? Das kann man nicht machen. Und es ist ja auch völlig unklar, warum bei diesen Patienten, das scheinbar nur im Gehirn die Probleme macht. Das kann ein statistisches Artefakt sein. Möglicherweise ist unter dieser sehr, sehr häufigen arteriellen Verschlusskrankheit und venösen Erkrankungen, das sind ja ganz häufig venöse Thrombosen und arterielle Thrombosen. Vielleicht sind unter diesen vielen, vielen irgendwo ein kleiner Anteil versteckt gewesen, die durch AstraZeneca verursacht waren. Das würde man statistisch ja nicht rauskitzeln können bei so einer großen Zahl. Aber sowas offensichtliches seltenes, wie eine Hirnvenenthrombose, die finden Sie natürlich. Also was weiß ich, wenn sie sagen, wir wollen gerne wissen, ob im Zoo irgendwie plötzlich mehr Nagetiere als sonst rumlaufen. Ja, dann ist es wahnsinnig schwer. Dann müssen sie alle Ratten zählen, alle Mäuse. Und das ist kaum festzustellen, ob sich die erhöht haben oder nicht in so einem Zoo. Aber wenn Sie wissen wollen, ob die Zahl der Elefanten sich erhöht hat, ich würde mal


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sagen, das kriegt jedes Kind hin. Und so ähnlich ist es hier auch. Ja, dass man letztlich offensichtliche, nicht übersehbare Phänomene wie so einen Hirnschlag mit Sinusvenenthrombose, so ein Ding, das wird natürlich dann, wenn man gezielt danach sucht, gefunden. Und deshalb ist die Frage völlig offen. Also aus meiner Sicht ist die Frage offen.


48:30



Camillo Schumann



Offensichtliches. Man muss nur danach suchen, also dass ist auch irgendwie, ja eigentlich ein Widerspruch in sich, wo ich wohne. Ich mich auch so ein bisschen Frage. Wenn Dänemark angefangen hat, hier Obacht, wir hören jetzt auf, damit zu impfen. Dann übers Wochenende entstehen auf einmal 13 Fälle in Deutschland. Ist es jetzt ein bisschen komisch oder ein bisschen zugespitzt formuliert, ärgert man sich jetzt über die Dänen, dass sie damit angefangen haben und so ein Dominoeffekt, dass jetzt alle quasi in ihre Bücher gucken und das jetzt feststellen?



Alexander Kekulé


Ja, ärgern tut man sich nicht. Es ist ein Dominoeffekt. Genau was sie sagen. Es ist letztlich so, das habe ich auch am Dienstag begründet, ich hätte ohne das jetzt im Ausland seriöse Wissenschaftler und auch die Ministerien dazu gesagt hätten Stopp, hätte ich jetzt nicht für Deutschland gesagt, wir müssen auch stoppen. Ich habe das wirklich im Hinblick auf diesen Dominoeffekt, dass man das den Deutschen nicht erklären kann, warum in dem Dänemark nicht mehr geimpft wird, gesagt.. Ärgern? Nein, das ist einfach jetzt eine blöde Lage. Das ist einfach dumm gelaufen, aus verschiedenen Gründen. Wahrscheinlich hätten sich die Gesundheitsministerien in Europa besser absprechen müssen und die Daten gemeinsam mal angucken müssen oder abwarten müssen, was die EMA sagt, aber einige haben offensichtlich


dieser Behörde da nicht so viel zugetraut. Und es ist ja auch so, dass Frankreich jetzt, im Grunde genommen sagt, wir haben den Verdacht, dass es hier etwas ist, was mit der angeborenen Immunantwort und dem Komplementsystem zu tun hat. Möglicherweise kennen die sogar die Daten aus Greifswald. Und oder sie haben die gleichen Überlegungen von sich aus angestellt, wie wir hier im Podcast. Und die sagen ja, dann wir impfen, das ist völlig folgerichtig hauptsächlich die Älteren, und zwar deshalb, weil bei denen, die Risiko-Nutzen-Abwägung auf jeden Fall zugunsten der Impfung spricht. Das ist ja völlig klar, weil wenn ich ein Risiko habe, irgendwie von fünf Prozent an der Erkrankung zu sterben, dann ist eine Nebenwirkung, ob die jetzt eins zu 10.000 oder eins zu 100.000 ist, die ist ja dann nicht mehr relevant. Dass man sozusagen in diese Richtung geht. Oder sie sagen eben, naja, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zu der Nebenwirkung kommt, auch auf Basis der Daten aus Deutschland, dass es eben jüngere und weibliche Personen waren. Das reicht uns eigentlich aus, um zu sagen, wir nehmen die Jungen erst mal raus aus der Impfung. Ich finde, das wäre so, also wenn ich jetzt direkt in dem Gremium gesessen hätte, das hätte ich dringend empfohlen, dass man genau diese Empfehlung abgibt, weil ja auch die Impfung der Alten, wenn man die zuerst macht und vorrangig macht. Das gibt uns ja die ganze Freiheit, die wir brauchen angesichts der steigenden Fallzahlen jetzt.


51:07



Camillo Schumann



Weil sie gerade die EMA angesprochen haben und dass dann manche Länder vielleicht jetzt nicht so das größte Vertrauen hatten oder nicht warten wollten. Oder wie auch immer. Gerade eine Meldung, weil sie gerade so gut passt. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich jetzt offen gezeigt hat für einen nationalen Alleingang bei der Bestellung des


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russischen Impfstoffs Sputnik. Also sozusagen zur Not erst mal hier für Deutschland auch im großen Stil einkaufen. Und er sagt auch das ist eine Frage der Kapazitäten. Also es ist ja auch schon mal, sage ich mal so ein gewisser Paradigmenwechsel, dass man nicht wartet, bis Brüssel etwas sagt, sondern wir machen es jetzt selber,



Alexander Kekulé


Also das ist jetzt ein politisches Thema. Aber es wird ja politisch kolportiert. Anders kann ich das hier nicht wiedergeben, weil ich da auch nicht so ein Insider bin, aber es wird kolportiert, dass der Bundesgesundheitsminister tatsächlich einkaufen wollte, mit mehreren anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Dass er sozusagen ohne auf Brüssel zu warten, erstmal auf Shoppingtour gehen wollte. Natürlich auch dadurch inspiriert, dass wir ja alle wissen, dass ab Juli die USA, Israel, Kanada und verschiedene andere Länder, eben Vereinigtes Königreich, sich selber schon mal mit Verträgen da abgesichert haben. Mit bilateralen Verträgen. Und man sagt, anders kann ich das so nicht wiedergeben, wissen Sie vielleicht besser, da sie ja auch politischer Journalist sind. Man sagt, dass also das nicht Gesundheitsminister kam, dass das dann gestoppt wurde, sondern wahrscheinlich von weiter oben, dass man gesagt hat, es soll hier also im europäischen Konzert eingekauft werden. Zumindest wird es so jetzt öffentlich immer kolportiert. Ist natürlich irgendwie schwierig aus Sicht der handelnden Personen, weil die alle in der gleichen Partei sind, jetzt die Schuld hin und herzuschieben. Aber ich habe eher den Eindruck, dass es kein Paradigmenwechsel ist, sondern dass Herr Spahn das jetzt machen darf, was er schon immer machen wollte. Also, so ist eher mein Eindruck an der Stelle. Aber das sage ich nur als routinierter Zeitungsleser. Mehr InsiderInformationen habe ich da nicht.


53:03



Camillo Schumann



Aber es passt ja gerade ganz gut abschließend unter die EMA Entscheidungen und jetzt das, was wir besprochen haben in der Uni Greifswald. Weil wir gleich noch ein MiniSchritt weitergehen wollen, zu den anderen Impfstoffen. Und wir haben auch eine Frage von einer Hörerin bekommen, die sie natürlich jetzt auch Gedanken machen. Wie ist es eigentlich um die Sicherheit der anderen bestellt? Unterm Strich, weil sie ja eingangs schon gesagt haben ja, weiterimpfen.



Alexander Kekulé


Ich sag jetzt mal knallhart also jeder, der über 65 ist, sollte sich mit diesem Impfstoff definitiv impfen lassen. Mit AstraZeneca auf jeden Fall. Weil in dieser Region die Nutzen-RisikoAbwägung eindeutig für den Impfstoff spricht. Bei jüngeren Menschen ist es so, dass man einfach für sich selber eine Nutzen-RisikoAbwägung machen muss. Man muss einfach sagen, da sind Restrisiken. Die sind sehr, sehr klein. Aber die nehme ich in Kauf, wenn ich mich impfen lasse. Und ich weiß noch nicht, ob mich das betrifft oder nicht, weil man hier bisher keine Risikogruppen in dem Sinn, außer vielleicht im Alter, definieren kann. Und da muss jeder selber sehen. Also wenn es ein Impfstoff gegen Ebola wäre und ich müsste nach Westafrika gehen, um da zu helfen, da würde ich das sofort machen mit diesem Risiko. Und wenn man bei uns vielleicht als jüngerer Mensch im Krankenhaus arbeitet und das Gefühl hat, ich bin da auf der Intensivstation. Ich muss mich jetzt schützen, weil ich anderweitig eine hohe Chance habe, Sars-CoV2  infiziert zu werden. Dann kann es gut sein, dass sozusagen die individuelle Risikoabwägung sagt, okay, ich lasse mich impfen. Aber so pauschal kann man einfach aus meiner Sicht, da bin ich eher bei den französischen Behörden, nicht sagen alle unter 65 sollen sich jetzt impfen lassen. Der


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Impfstoff ist ja zugelassen für Personen ab 16 Jahren. Und jetzt von meiner Seite her ist es so, je jünger man ist, desto kritischer muss man zwischen Nutzen und Risiko abwägen.


55:05



Camillo Schumann



Dann verlassen wir jetzt AstraZeneca und kommen zur Frage dieser Dame. Da ist sozusagen AstraZeneca der Aufhänger


Anruferin


Ich habe ein mildes, von Wille-Brand-JürgensSyndrom, also eine Blutgerinnungsstörung. Und diese Blutgerinnungsstörung. Da schwanken ja eigentlich immer wieder die Werte. Meine Frage ist folgende. Inwieweit, AstraZeneca fällt ja höchstwahrscheinlich raus, aber inwieweit greifen Moderna und BioNTech in die Gerinnungsfaktoren und in die Gerinnung ein? Dankeschön.



Camillo Schumann



Tja, fragen sich viele.



Alexander Kekulé


Ja, also ob AstraZeneca rausfällt, wissen wir nicht. Also, wie gesagt, nur noch einmal zu betonen. Man muss ja hier letztlich Kaffeesatz lesen machen. Das sind alles ein, Jonglieren letztlich mit Risiken, die nicht genau bekannt sind. Ja, was ist bei den anderen? Da haben wir überhaupt keine Hinweise darauf. Und ich bin ganz sicher, dass parallel zu den Untersuchungen, die jetzt gelaufen sind, im Zusammenhang mit den AstraZenecaImpfungen, man sich natürlich auch die anderen Impfungen angeschaut hat. Also angeguckt hat, ob bei den anderen Impfstoffen bei den RNA-Impfstoffen ähnliche


Nebenwirkungen auftreten. Jetzt muss man sagen das ist eben leider in der Statistik so, dass der der scheinbare Widerspruch mit dem Elefanten ist hier tatsächlich vorhanden. Es sind dann Elefanten, wenn man in die richtige Richtung schaut, also eine Hirnvenenthrombose sieht man dann, wenn man nachher guckt, also wenn sie nicht im Elefantengehege nachgehen, zum zählen, sondern woanders. Dann können sie eben nicht feststellen, ob die Elefanten im Zoo sich vermehrt haben. Und dieses Problem haben wir hier auch. Das wird jetzt erst gemacht. Aber ich würde mal sagen, vielleicht zur Beruhigung an der Stelle, wenn es so wäre, dass hier tatsächlich Herr Greinacher Recht hätte. Und sie ahnen schon, dass ich das Gefühl habe, er ist da einer wichtigen Sache hinterher. Wenn er Recht hätte, dann wäre es ja so, dass letztlich die DNA hier den Ausschlag gegeben hat. Dazu, dass es zu dieser Bildung von Antikörpern kam. Wenn das so wäre, ist die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt ein ganz anders aussehendes Molekül nämlich so ein RNA-Molekül, was auch noch in so einem kleinen Fettbläschen da eingeschlossen ist. In so einem Lipid-Nanopartikel sagen wir dazu, das sind ja die Modernaund BioNTechimpfstoffe. Das jetzt, dass ausgerechnet exakt den gleichen Effekt hätte, das wäre einfach ein Riesenzufall. Also eigentlich wäre das beruhigend, weil das würde dafür sprechen, obwohl die anderen Impfstoffe auch gegen Sars-CoV-2  impfen, hätten sie dann nicht automatisch die gleiche Gefahr. Und zwar deshalb, weil es ja dann nicht an der codierten Sequenz liegen würde. Also die andere Alternative, die man immer überlegen müsste ist dieses S-Protein, was das Immunsystem irgendwie verrückt macht, was da ja natürlich ein beiden irgendwo drinnen ist. Also in allen Impfstoffen drin ist. Aber wenn es jetzt wirklich nicht an dieser an diesem S-Protein das Sars-CoV-2  liegt, was ja letztlich die Immunantwort anschmeißen soll, sondern einfach nur so ganz blank an so einer Kompliment-Aktivierung durch die große Menge DNA, die man da rein spritzt mit dem


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Astra-Impfstoff, dann wäre es so, dass man sagen kann das sind 2 Paar Stiefel. Das Risiko ist nicht übertragbar, und es gibt nicht einmal den Verdacht, dass es bei dem zweiten auch so sein könnte.


58:17



Camillo Schumann



Okay, damit haben wir die Impfstoffe im Schwerpunkt AstraZeneca abgeschlossen. Wir sind gespannt, was die jetzt laufenden Studien bringen und werden dann hier im Podcast immer mal wieder darüber berichten. Wir müssen noch über das Infektionsgeschehen sprechen. Aktuell deutschlandweiter siebenTage-Inzidenzwert bei 95,6, also kurz vor dem Wochenende. Fast die hundert. Mehrere Bundesländer sind schon über die HunderterMarke am Montag, da schalten sich ja wieder die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen mit der Kanzlerin zusammen. Große Frage, Notbremse ziehen? Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der hat eine ziemlich eindeutige Meinung.


Karl Lauterbach


Die Notbremse ist notwendig, weil die Pandemie dermaßen in Schwung jetzt geraten. Diese Mutation B1.1.7 hat derzeit einen RWert alleine betrachtet von ungefähr 1,3; 1,4. Das heißt, wenn wir das laufen lassen, dann haben wir innerhalb von zehn Tagen jeweils eine Verdopplung. Das würde ein paar Wochen später zu einer kompletten Überfüllung der Intensivstationen zu vielen Todesfällen führen. Somit ist nur die Frage gehen wer jetzt am Montag in einen Lockdown zurück, der kann dann möglicherweise etwas härter und zeitlich begrenzter sein. Oder verschieben wir diese Entscheidung und haben dann den gleichen Lockdown viel später aber dann auch viel länger und mit mehr Todesopfern. Aber der Lockdown wird auf


jeden Fall kommen. Das geht nicht von alleine weg.



Camillo Schumann



Sind Sie sich da auch so sicher?



Alexander Kekulé


Also es klingt ja immer so ein bisschen kassandramäßig, was man da hört. Aber in dem Fall muss man einfach sagen die Zahlen sind aus dem Ruder gelaufen, und es ist uns nicht gelungen, was wir aber noch weiterhin versuchen können, 2 Dinge zu entkoppeln. Also, wir müssen letztlich von der Inzidenz, die jetzt hochgehen wird, da hat Herr Lauterbach natürlich Recht. Ich gehe davon aus, kann man ganz klar sagen, dass wir längst bundesweit über hundert liegen. Diese ganze Berichterstat-tung ist ja rückwirkend bekanntlich. Aufgrund der Inkubationszeit und aufgrund der Meldeverzögerungen gucken wir immer in die Vergangenheit mit diesen Zahlen. Und jetzt sind wir wahrscheinlich schon bundesweit über hundert. Das heißt, es ist Alarmstufe Rot. Wir müssen da was machen. Das kann man nicht weiterlaufen lassen, weil wir 2 Dinge letztlich nicht gemacht haben. Aber das zugleich die Frage, wie man dann nach vorne denken kann. Erstens wir müssen die Inzidenz entkoppeln von der Sterblichkeitszahl. Das sind ja 2 Kurven. Und Herr Lauterbach sagt, es wird unweigerlich dann auch zu höheren Todeszahlen führen. Das hängt davon ab, wie gut wir unsere Impfstoffe jetzt einsetzen. Und sie wissen, dass ich dafür plädiere, alle Alten, von alt nach jung erst mal einmal zu impfen. Das ist jetzt wichtiger denn je. Da sehe ich auch bei AstraZeneca eben die geringsten Probleme. So wie die französischen Behörden ja, auch. Das wäre jetzt absolut das Gebot der Stunde, war es meines Erachtens schon lange. Es ist aber jetzt die einzige Möglichkeit, die unweigerlich jetzt ansteigenden Inzidenzen zu reduzieren das haben wir verpasst, indem


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wir die Schulen aufgemacht haben ohne Testkonzept und so weiter. Wir haben die Arbeitsplätze noch nicht unter Kontrolle. Die Leute sind zur Arbeit gefahren. Die Zahlen werden erst einmal hoch gehen, und das heißt durch Impfung der Risikogruppen, speziell der Älteren, da haben wir ja diese Impflücke, kann man sagen, zwischen 65 und 80 im Moment in Deutschland. Da müssen wir dringend aufholen. Und wenn wir das hinkriegen, dann haben wir eine kleine Chance, irgendwie, wenn man so will, dieses Wettrennen noch zu gewinnen. Ich bin aber ehrlich gesagt, nicht mehr so optimistisch, weil jetzt entwickeln die Inzidenzen eine Dynamik. Und mit den Impfungen werden wir die Dynamik nicht so schnell hinkriegen jetzt. Und das Zweite, was wir entkoppeln müssen, ist letztlich, wenn wir dann Lockdowns machen. Das heißt Lockdown brauchen wir, das ist jetzt nicht die Frage was stellen wir ab? Was verbieten wir? Und da ist, wenn ich jetzt mal irgendetwas Positives versuche zu sagen zum Beispiel in begrenztem Umfang kontrolliert, die Freiluftgastronomie zuzulassen. Das halte ich für vertretbar. Anders als Herr Lauterbach. Mit dem habe ich mich darüber schon unterhalten. Aber ich halte das für vertretbar. Da müsste die Polizei halt dann einschreiten, wenn sich alle besoffen um die Arme fallen und die Abstandsregeln nicht einhalten.


1:02 :2 7



Camillo Schumann



Was Sie gerade gesagt haben. Wir müssen das entkoppeln. Und das war eigentlich auf einem sehr guten Weg, waren und sind zeigen ja auch folgende Zahlen die Fallsterblichkeit in Kalenderwoche zehn lag bei 0,2  Prozent. So eine niedrige Fallsterblichkeit hatten wir noch nie in dieser Pandemie. Die HospitalisierungQuote geht weiter runter, liegt aktuell bei sechs Prozent. Und der Anteil der positiven, das ist sozusagen jetzt wieder der andere Trend liegt bei sechs Prozent ansteigende Tendenz. Also, wir haben ja sozusagen schon,


wie sie dann auch immer so schön sagen, die Wurst vor Augen. Also, das es ja eigentlich schon sozusagen eine positive Entwicklung gibt. Nur wir haben eben diese Impflücke, wo wir uns dann möglicherweise dann in drei bis fünf Wochen dann wieder sehr, sehr ärgern, wenn wir jetzt alles aufreißen, oder?



Alexander Kekulé


Wir können es nicht und zwar, weil wir mit dem Impfen nicht schnell genug waren. Und natürlich hat uns die Astra-Krise da auch zurückgeworfen. Das muss man ganz klar sagen. Aber es ist so, man muss vielleicht auch noch auf Folgendes hinweisen. Also die Risikogruppe ist ja jetzt jünger geworden. Wir hatten am Anfang die Heimbewohner, das war Nummer eins, dann die über 80 letztlich. Und jetzt sprechen wir von einem Hauptrisiko läuft jetzt runter auf die Altersgruppe zwischen 65 und 80 oder 65 und 75. Irgendwo, wo halt die Impfungen noch nicht so weit sind. Diese Gruppe ist natürlich deutlich weniger gefährdet als die Hochaltrigen. Und es ist so, dass man auch nicht die alle in einen Topf werfen darf wegen des Sterberisikos. Also ich höre da immer aus berufenem Munde die Zahl, das also das mittlere Sterbensrisiko zwischen 50 und 80 bei 2 Prozent liegen würde und deshalb die Intensivstationen volllaufen. Ja, diese Zahl mag ungefähr stimmen. Aber es ist natürlich so, in dieser Gruppe wiederum haben den Löwenanteil an denen, die daran sterben, wieder die ältesten. Das ist eine Kurve, die eben so ungefähr ab 65, 70 plötzlich steil nach oben geht. Das heißt, wenn man von oben nach unten impfen würde und auch jetzt das noch machen würde, könnte man diesen Puffer, bis es dann zum Überlauf der Intensivstation kommen würde, durchaus erweitern. Auch deshalb, weil die eben in diesem Alter nicht mehr so ein hohes Risiko haben. Also, ich bin da jetzt nicht ganz so alarmiert wie Herr Lauterbach. Und auch die sogenannte Null-CovidBewegung, die sagen wir werden da in


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wenigen Wochen quasi die Intensivstation knallvoll haben. Die Überlegung dort ist ja sogar noch einen Schritt weiter gehend, dass man sagt, dass ältere Leute schnell sterben und jüngere Leute länger die Intensivkapazitäten belasten, bis sie dann doch früher oder später eben auch zu knapp 50 Prozent sterben, wenn sie dann beatmet werden müssen. Das ist ein pessimistisches Szenario. Ja, man muss diese Zahlen vor Augen haben. Aber ich glaube, wir können den Puffer durch sofortige Impfung mit allem was wir haben. Und da ist er noch einiges im Regal und wird auch noch einiges geliefert in den nächsten Wochen. Indem wir alles verimpfen an die alten, können wir den Puffer deutlich erhöhen. Es ist aus meiner Sicht ein Unding, dass jetzt massenweise junge Menschen zur Zweitimpfung antreten mit Moderna und BioNTech, während die alten nicht einmal zum ersten Mal geimpft sind.



Camillo Schumann



Genau 15 Millionen Impfdosen im April ich habe es gerade noch mal nachgeschaut.



Alexander Kekulé


Ja, das ist doch eine Ansage. Ja, und ich habe mal ausgerechnet, wie viele Leute das überhaupt sind, die das bei uns sind. Nur ungefähr 10 Millionen von denen haben wir, von denen haben wir ja einen Großteil angeblich schon durchgeimpft. Ich weiß nicht genau, wie hoch die Zahl ist. Ich meine, es waren 2 oder 3 Millionen. Und vor allem die in den Heimen sind geimpft und zwar zweimal geimpft, auch wenn sie die einmal geimpft nehmen, sind wir, glaube ich, sogar bei 6 Millionen oder sowas. Das heißt also, wenn wir jetzt diese Gruppe, die da wirklich besonders gefährdet ist und die wirklich in der Gefahr ist, unsere Intensivstation vollzumachen, natürlich sage ich immer, einschließlich von anderen Personen, die jetzt wirklich ein medizinisches Hochrisiko haben, also


extrem übergewichtig sind oder so. Wenn man die impfen würde, einmal impfen würde, dann hätten wir eben die Chance hier. Wir müssen trotzdem den Lockdown machen, ohne weiteres, ohne Frage. Aber wir hätten die Chance, eben die Inzidenzkurve zu entkoppeln von der Sterblichkeit. Und ich kann nur noch einmal sagen, ich bin natürlich virologischen epidemiologisch unterwegs. Aber wir alle sehen ja, was los ist in diesem Land. Und ich kann wirklich nur sagen, jetzt noch mal so einen harten Lockdown. Das ist wirtschaftlich und psychologisch nicht mehr zu machen. Und als Epidemiologe sage ich, wenn die Menschen eine Maßnahme voraussichtlich nicht mehr mitmachen werden, was er schon jetzt unser Problem ist, dann muss ich eben auch über andere Methoden nachdenken.


1:07:11



Camillo Schumann



Weil sie sagen Lockdown ja, aber nicht so einen harten Lockdown. Sie würden sich sozusagen der Rede vom Herrn Lauterbach jetzt nicht anschließen. Sie haben jetzt die Biergärten, okay, die können wir ja offen lassen. Okay, aber ich meine, was es dann, was ist sozusagen jetzt der mittelfristige Weg.



Alexander Kekulé


Der Unterschied, ja? Wo man großzügig sein kann, ist bei allen Aktivitäten im Freien. Ich glaube, dass es auch psychologisch für die Menschen wichtig, wenn jetzt der Frühling kommt. Natürlich, mit den Auflagen, die bekannt sind, also mit Abstand im Freien, ist natürlich notwendig. Ich habe mit Herrn Lauterbach da auch persönlich schon oft darüber gesprochen, auch öffentlich. Und er sagt wenn wir das machen, dann trinken die Leute Alkohol, und wenn sie Alkohol getrunken haben, wird die Aussprache feucht. Und dann schreien sie sich an. Dann fallen sie sich um die Arme, dann stecken sie sich an. Also, das ist letztlich eine psychologische


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Frage, ob das stimmt oder nicht. Ich habe immer einen anderen Eindruck von den Menschen, aber ich bin ja auch kein Politiker. Und die zweite große Baustelle sind die Schulen natürlich. Da bin ich der Meinung, wir haben ja jetzt die Osterferien und die Osterferien sind ja, ich glaube sogar als einzige Ferien in Deutschland ziemlich synchron. Das hilft uns also. Dadurch können wir jetzt sozusagen Lockdown hin oder her, Ist jetzt erst mal Schluss mit Schule. Und da haben jetzt bitteschön die Länder noch mal eine letzte Galgenfrist, für die Zeit danach, diese vernünftigen Konzepte auf den Weg zu bringen mit der Testung. Im Grunde, liegt es auf dem Tisch, wird nur noch nicht gemacht. Jetzt haben sie dann noch mal eine Nachfrist. Wenn wir die jetzt wirklich nutzen würden und dann sagen okay, die Landkreise, wo das Testkonzept für die Schüler steht, wo die also wirklich mindestens zweimal die Woche zum Schnelltest gehen, wo das organisiert ist, wo da alle zustimmen, wo die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen sind und wo man meines Erachtens auch, glaube ich, durch die Auflagen dafür sorgen muss, dass die Kinder und Jugendlichen sich nicht nach der Schule treffen und dann Party machen. Wenn man das geregelt hat, dann würde ich sagen, macht man eins nach dem anderen wieder auf nach Ostern und schaut sich halt quasi versuchsweise an, wie das läuft. Das halte ich für den richtigen Weg in der Situation.


1:09:2 4



Camillo Schumann



Also Lockdown, wenn ich richtig verstanden habe, bis nach Ostern in dieser Zeit. Die Schnellund Selbsttest für alle und dann einfach mal schauen.



Alexander Kekulé


Ja, insbesondere für die Schulen meine ich das. Also Lockdown bis nach Ostern, ja, und


für die Schulen, damit das Gezerre nicht weitergeht, muss man nach Ostern die Sachen jetzt endlich mal am Start haben. Zumindest in einigen Referenzregionen, die man dann aufmacht und genau hinschaut, gehen die Zahlen hoch oder nicht. Das ist ja immer noch nicht geklärt, und wenn man sagt, okay, mit diesen Tests ist das möglich, dass zu schützen oder auch wie Tübingen das jetzt macht mit Testkonzepten. Die setzen ja letztlich das Smart-Konzept um mit Testkonzepten, die sie da engmaschig beobachten, versuchen wir, das in den Griff zu bekommen. Ich glaube, solche Maßnahmen brauchen wir auf jeden Fall nach Ostern. Und dann ist ja immer noch die Baustelle Arbeitswelt nach wie vor offen. Wenn sie mal gucken, was in der Arbeitswelt passiert, da ist in vielen Bereichen eben nach wie vor so die Heimarbeit, ist kaum angenommen worden. Das sogenannte Homeoffice funktioniert kaum, weil die Menschen ja auch zur Arbeit wollen, damit sie wieder Kontakt haben. Und Maske am Arbeitsplatz ist ja auch oft Fehlanzeige. Also da gibt es noch viele Dinge, die man machen kann. Aber die sind alle nicht passiert. Und deshalb sage ich das Gleiche, was ich beim ersten Mal und beim zweiten Lockdown gesagt habe. Nachdem man sich nicht auf Alternativen vorbereitet hat, muss man jetzt den Lockdown machen. Und ich würde deshalb, wie Herr Lauterbach sagen, am Montag lockern ist überhaupt keine Option und zum Glück sind erst mal Ferien.


1:10:56



Camillo Schumann



Genau war ein schönes Schlusswort. Ich muss aber noch mal reingrätschen, heute ist er Impfgipfel. Und zurzeit zum Zeitpunkt der Aufzeichnung dieses Podcasts haben wir leider die Ergebnisse noch nicht. Aber Herr Lauterbach hat heute Vormittag in der Bundespressekonferenz noch mal mit wehenden Fahnen dafür geworben, alles, was jetzt geht, in die Arme zu jagen, und zwar in


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die Arme der Älteren und das unterstützt er sozusagen.



Alexander Kekulé


Wir haben hier einen Mitstreiter, das schon mal toll, ja, super.



Camillo Schumann



Und dann wird es sozusagen in diesem Konzert auch weil sie sozusagen jetzt gesagt haben für die Perspektive dann nach Ostern. Wäre das ja ein Konzert von Maßnahmen, die man dann ja nehmen könnte, um dann nicht zu hundert Prozent alles schließen zu müssen.



Alexander Kekulé


Ja, genau also den Optimismus müssen wir ja lassen. Das muss doch so sein, dass die Politiker lernfähig sind und sie merken schon, das sind Nuancen zwischen der Beurteilung von Herrn Lauterbach und mir. Ich habe halt immer den Optimismus, dass man, wenn man den Menschen die Dinge erklärt, dass man dann zumindest 80 Prozent 85 Prozent dazu bringt, vernünftig zu sein. Und wenn wir insgesamt gute Abwehrkonzepte haben, wo der allergrößte Teil der Bevölkerung dann auch sagt okay, das mache ich mit, dann ist es auch nicht so schlimm. Wenn man so ein paar Spinner hat, die eben wenn der Biergarten aufmacht, also tatsächlich erst einmal trinken, bis die Polizei kommt. So ist das halt in einer freien Gesellschaft. Da hat man auch die Freiheit, sich solange regelwidrig zu verhalten, bis es Tatütata macht. Es ist halt bei uns so.


1:12 :2 6



Camillo Schumann

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Und unsere Podcast-Hörer sind ja alle vernünftig und auch die Hörerinnen. Gut, wir sind am Ende von Ausgabe 161. Es] war wichtig, dass wir über AstraZeneca vertiefend


noch mal gesprochen haben und dann über die aktuelle Situation vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, also morgen bis dahin



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.


Camillos Schumann


Sie haben auch eine Frage dann schreiben Sie uns an. MDR Aktuell-Podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos 0 800 32 2 00. Kekules Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR Aktuell.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt ja, und wer das ein oder andere Thema noch mal vertiefen möchte. Alle wichtigen links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf MDRaktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 16. März 2 02 1 #160



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Auswertung zu AstraZeneca in Großbritannien: 13 Fälle von Thrombosen https://assets.publishing.service.gov.uk/go vernment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/968414/COVID19_AstraZeneca_Vaccine_Analysis_Print.p df


Auswertung zu BionTech in Großbritannien: 15 Fälle von Thrombosen https://assets.publishing.service.gov.uk/go vernment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/968413/COVID19_mRNA_Pfizer_BioNTech_Vaccine_Analysis_Print__2 _.pd f


Studie zum erhöhten Thromboserisiko bei Corona-Infektion https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32 702 09 0/



Camillo Schumann



Deutschland und andere Länder setzen Impfungen mit AstraZeneca vorerst aus. Wie sind die Daten zu bewerten und was müssen bereits geimpfte jetzt wissen?


Dann: die Infektionen nehmen zu, die 7-TageInzidenz steigt, die Lage in den Krankenhäusern [ist] (Anm. d. Red.) fragil, erste Lockerungen werden wieder zurückgenommen.


Wie ist die aktuelle Lage zu bewerten und verlängert sich die Immunität, wenn man Kontakt mit dem Virus hat?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

 ich bin Redakteur, Modera-


tor bei „MDR Aktuell“ das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekule. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Ja heute vor einem Jahr, am 16. März 2 02 0, haben wir unseren ersten Corona-Kompass aufgezeichnet. Wie schnell so ein Jahr vergeht. Und hätten sie damals gedacht, dass wir jetzt über so rund 10 Millionen verabreichte Impfdosen und über eine dritte Welle sprechen müssen?


01:15



Alexander Kekulé


Ne, das wäre auch schwierig gewesen, das vorherzusehen. Ich hatte damals eigentlich immer gesagt, es dauert mindestens ein Jahr, bis wir mit dem Impfen in dem Stil anfangen können, dass wir epidemiologische Effekte erzielen. Das wäre also dann so ungefähr im Juni diesen Jahres gewesen. So wie es aussieht, wenn man jetzt den aktuellen AstraZeneca Vorfall mal ausblendet, wären wir da eigentlich schneller gewesen als ich das in meinen kühnsten Träumen erwartet hätte.



Camillo Schumann



Das muss man ja wirklich sagen, dass im Laufe des Jahres eine Dynamik entstanden ist, gerade mit Bezug auf Impfstoffen, wo schon Ende letzten Jahres klar war, dass wir vor unseren Prognosen und Prophezeiung jemals sein werden. Das ist ja auch eigentlich einmalig und auch eine positive Entwicklung bei all den negativen Sachen, über die wir auch hier im Podcast immer häufig berichten.



Alexander Kekulé


Also insgesamt ist es ein historisches Ereignis, an dem wir hier alle teilnehmen, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wir wohl eine Pandemie durch eine Impfung in den Griff bekommen werden. Ich sage nicht „beenden werden“, aber in den Griff bekommen werden. Und was da dahinter steckt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ja, allein


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schon, dass diese RNA-Impfstoffe aus dem Stand weg funktionieren, aber auch die VektorImpfstoff e, wo AstraZeneca dazugehört, da wird dann manchmal so gesagt, in Talkshows habe ich das gehört: „Ja, das sei ja ein erprobtes Prinzip gewesen.“ Das ist natürlich Unsinn. Das war auch ein totaler Glücksfall, dass das funktioniert. Die Fälle, wo solche Impfstoffe mal ausprobiert wurden, waren alle vorher unbefriedigend verlaufen. Und deshalb finde ich das ganz toll, dass das jetzt so gut ist, dass wir da in so einer glücklichen Situation sind. Und uns – muss man letztlich sagen – dieses Virus auch den Gefallen tut, dass es kein besonders schwieriger Kandidat ist bei der Impfstoffentwicklung.


03:10



Camillo Schumann



Weil gerade AstraZeneca gefallen ist: Da gibt es ja einen Impf-Stopp in diversen Ländern, da werden wir vertiefend hier in der Sendung sprechen. Am Ende der Sendung will ich dann noch von Ihnen wissen – da können Sie sich schon mal Gedanken machen – bei welchen Annahmen Sie vor einem Jahr so im Nachhinein daneben lagen, bei welchen vielleicht genau richtig und was man vielleicht auch für die Zukunft lernen sollte: Kleine Denkaufgabe dann für das Ende der Sendung.



Alexander Kekulé


Oh, dann für kann ich Ihnen ja gar nicht mehr zuhören, Herr Schumann, da muss ich jetzt nachdenken.



Camillo Schumann



Schauen wir uns die aktuellen Zahlen an: Rund 5.500 gemeldete Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden, 2 38 Todesfälle, die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt auf 83,7. Jetzt der Vergleich: Vor genau einer Woche gab es 2 55 Verstorbene, 4.2 00 Neuinfektionen und die 7-Tage-Inzidenz der Gesamtbevölkerung lag bei 68. Der Epidemiologe am Robert-KochInstitut, Dirk Brockmann hat heute im ARD ZDF Morgenmagazin dazu folgendes gesagt:


Wir sehen jetzt in der Entwicklung der Fallzahlen der Inzidenz 2 0 Prozent Zuwachs im Wesentlichen im Vergleich zur Vorwoche. Das heißt, wir sind genau in der Flanke der dritten Welle, da gibt es gar nichts mehr zu diskutieren, und in diese Flanke herein wurde gelo-


ckert. Das beschleunigt noch mal dieses exponentielle Wachstum, was wir sowieso schon vor den Lockerungen gesehen haben durch die neue Variante B.1.1.7. Das heißt, dem geht jetzt nichts mehr aus dem Weg, dass wir voll in das exponentielle Wachstum reingehen und das auch noch befeuern durch Lockerungen. Das heißt, dass ist total irrational gewesen, hier zu lockern. Das befeuert nur dieses exponentielle Wachstum. Und jetzt müssen wir mal sehen, was die nächsten Tage an Entscheidungen bringt.


04:52 



Camillo Schumann



Wir sind in einer „Flanke der dritten Welle“, „irrationale Entscheidungen“: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation? Würden Sie sich dem anschließen?



Alexander Kekulé


Ja, Herr Brockmann hat recht mit dem, was er da sagt. Eigentlich beschreibt er ja nur die Daten. Bei einer Interpretation bin ich nicht so ganz sicher, ob er da Belege dafür hat, sage ich mal. Und zwar das ist immer die Hypothese, dass wir während des Lockdowns schon durch B.1.1.7 einen Anstieg hatten. Es ist richtig, dass wir am Ende des Lockdowns, also noch bevor die Schulen geöffnet wurden, eine Zunahme der Fälle hatten. Die Frage ist nur, ob das jetzt wirklich an der Variante liegt oder daran, dass die Menschen sich nicht mehr in die Maßnahmen gehalten haben. Ich glaube Letzteres. Für Letzteres gibt es klare Belege, das muss man sagen. Und dass jetzt sozusagen die Variante sich trotz Lockdown durchsetzt, das impliziert ja so ein bisschen, dass sie weiter fliegen kann als sein Vorgänger oder dass irgendwelche Maßnahmen für die alte Variante, also für die vorherigen Typen, wirksam waren, aber die gleiche Maßnahme bei dem neuen Typ sozusagen unwirksam ist. Aus meiner Sicht gibt es dafür keine Belege. Das ist mir deshalb wichtig, weil ja schon die Frage ist: Müssen wir die Maßnahmen ändern wegen B.1.1.7 oder reicht ́s, wenn wir die Maßnahmen, die wir identifiziert haben (und zum Teil eben nicht so konsequent einhalten), wenn wir die konsequent durchziehen? Und an der Feinheit, würde ich sagen, bin ich mit Herrn Brockmann nicht ganz einig. Aber sonst hat er 100 Prozent Recht. Wir sind am aufsteigenden Ast einer


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exponentiellen Entwicklung, wie man das immer so schön nennt. Exponentiell ist ja alles, ob über eins oder unter eins, also ob der RWert über eins oder unter eins liegt, spielt keine Rolle. Aber im Volksmund hat sich das so eingebürgert, dass man dann, wenn es eine steile Flanke ist, dass man dann von exponentiell spricht. Vielleicht noch das Eine dazu, um dann noch eins draufzusetzen: Die Zahlen, die wir beobachten, sind ja immer, noch einmal zur Erinnerung, zeitversetzt: da gibt's einen Meldeverzug, und bis einer zum Arzt geht, dauert es eine Weile. Und wir haben natürlich, je schlechter die Compliance der Bevölkerung ist, also je weniger die Bereitschaft ist, so mitzumachen bei den Maßnahmen, desto höher ist die Dunkelziffer. Und mit diesen Argumenten, dass wir eine besonders hohe Dunkelziffer wahrscheinlich haben und zweitens diesen Verzug haben, der insbesondere in der Anstiegsphase ganz wichtig ist, weil man da natürlich quasi immer zu niedrig schätzt. Das bedeutet für mich, dass wir wahrscheinlich in vielen Regionen jetzt schon bei einer 100Inzidenz sind, wenn man sozusagen wirklich den Schnappschuss heute machen könnte. Aber das Bild, was das Robert-Koch-Institut darstellt, ist ja ein kleiner Blick in die Vergangenheit.


07:36



Camillo Schumann



Und um die Lage noch ein bisschen besser einschätzen zu können, was sie gerade gesagt haben, der Blick in die Vergangenheit. Nehmen wir mal noch ein paar andere Zahlen, und zwar die Lage auf den Intensivstationen. Wochenlang ging die [Zahl der, Anm. d. Red.] Covid-19Patienten stark zurück. Seit, ich sag mal, gut zehn Tagen stagnieren die Zahlen mit der Tendenz nach oben. Laut DIVI-Intensivregister werden aktuell rd. 2 .800 Menschen mit Covid19 behandelt und 1.600 davon müssen auch beatmet werden. Die 7-Tage-Inzidenz der Altersgruppen, die das größte Risiko haben, steigt auch wieder an. Bei den über 80Jährigen nur leicht von 51 auf 54, aber bei den 60bis 79-Jährigen deutlich, und zwar von 44 in der vergangenen Woche, da haben wir uns ja darüber gefreut auch hier im Podcast, auf jetzt 52  in dieser Woche. Wie bewerten Sie das?


08:2 4



Alexander Kekulé


Na, wir haben da, wenn man es mal optimistisch ausdrückt, eine Impflücke, weil es ist ja klar, dass so ab sechzig das Risiko steigt, ab fünfundsechzig, siebzig dann wirklich stark, für den Fall, dass man infiziert ist, dann schwere Erkrankung zu bekommen oder zu sterben. Und optimistisch deshalb, weil ich mal davon ausgehe, dass das stimmt, was die Bundesregierung sagt, dass also die Hochaltrigen schon weitgehend geimpft sind. Hinzu kommt, glaube ich, dass Menschen, die wirklich dann in einem höheren Alter sind und außerhalb von Heimen leben, dass die inzwischen wissen, wie man sich schützt. Die haben sich irgendwie in der Pandemie eingerichtet, ob sie wollen oder nicht. Und deshalb glaube ich, dass wir da einfach einen protektiven Effekt haben. Anders als bei denen, die jetzt zwischen 60 und 80 sind, sage ich mal. Und ich glaube, dass das die nächste Problem-Altersgruppe wird in den Krankenhäusern, weil wir, sofern wir jetzt tatsächlich mit den Impfungen in den Altersheimen bald durch sind und es schaffen die Hochaltrigen durch die Impfung zu schützen, dann werden wir die Lücke haben bei den sage ich mal Ü-60, Ü-65-Jährigen. Und die werden dann auch auf den Intensivstationen landen, ja.



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten: Es muss eigentlich so schnell wie möglich in die Fläche geimpft werden. Also die Hausarztpraxen?



Alexander Kekulé


Ja, also vor allem bei den Altersgruppen. Also ich bin ja wirklich gerade jetzt mit den aktuellen Entwicklungen mit AstraZeneca, wo wir gleich darüber sprechen werden, bin ich ja wirklich der Meinung, dass das jetzt noch dringender als je zuvor ist, wirklich die Priorisierung so zu machen, dass man jeden Impfstoff, den man irgendwie bekommt, den Alten gibt, anfangen natürlich bei den ältesten und dann nach unten sich vorarbeitet. Egal, ob man das über die Hausarztpraxen macht oder über Impfzentren. Da stelle ich mir so ein bisschen die Frage: Wo ist die Kontrolle besser? Weil es ist ganz wichtig, dass das wirklich die priorisierten Gruppen zuerst bekommen. Und das sind hier die Alten, gerade in dieser Krisensituation, auf die wir hier zu fahren. Man muss ja ganz


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deutlich sagen – vielleicht setze ich da auch Herrn Brockmann noch eins drauf sozusagen – wir sind wirklich in der Gefahr, dass wir in Deutschland sehenden Auges das Szenario wiederholen, was wir im Vereinigten Königreich gesehen haben und in Irland. Die haben ja auch gelockert und dann hinterher gesagt: Ups, jetzt steigen die Fallzahlen wieder, nachdem wir die Pubs und die Schulen aufgemacht haben. Und so ein bisschen sehe ich unsere Politiker in drei Wochen auch mit so einer ähnlichen Überraschungsgeste. Und auch dann wird es so sein, dass die dann sagen: Ja, das lag wahrscheinlich nicht an unseren Maßnahmen, sondern an irgendwelchen Mutanten. Da warne ich davor. Also wir sind wirklich noch in der Situation, dass wir Herr der der Lage sein könnten. Und das ist nicht eine Variante, die uns komplett handlungsunfähig macht.



Camillo Schumann



Aber dafür gibt es ja die beschlossene Notbremse. Die Bundesregierung hat gestern noch mal an deren Einhaltung erinnert. Die Notbremse liegt ja bei einer 7-Tage-Inzidenz bei hundert. 2 Landkreise in Brandenburg hatten ja schon angekündigt, trotz einer 7-TageInzidenz über hundert keine schärferen Corona-Regeln einzuführen. Und Regierungssprecher Steffen Seibert gestern auf der Bundespressekonferenz hat dann Folgendes noch mal gesagt:


Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Bundesländer haben ja am 3. März einen vorsorglichen Beschluss gefasst, der sowohl gute wie auch schwierige Entwicklung in den Blick nimmt. Und jetzt haben wir ein starkes Wachstum der Fallzahlen und wir müssen entsprechend handeln. Das heißt, wir müssen den Beschluss vom 3. März umsetzen, nicht nur in seinen erfreulichen Passagen, sondern eben auch in seinen schwierigen.


Der Herr Seibert fleht da ja regelrecht. Wie wichtig ist jetzt diese Hunderter-Notbremse?


12 :09



Alexander Kekulé


Naja, die Marke hundert ist natürlich willkürlich, das ist klar. Ganz ehrlich gesagt, ich glaube, ich war ja nicht der Einzige, der gesagt hat, dass die guten Seiten in diesem Papier nie zum Tragen kommen werden, weil die Fallzahlen


wieder hochgehen. Und jetzt ist es einfach so, es wurden die Schulen geöffnet, insbesondere ohne ein Testkonzept zu haben, ohne Ersatzkonzept, und da passiert einfach eins zu eins das gleiche wie vor einem Jahr, die Geschichte wiederholt sich. Und heute haben wir Jubiläumssendung. Dann darf man das, glaube ich, auch mal noch einmal sagen. Wir waren ja damals wirklich in der Situation: Wir hatten einen Lockdown, und die Frage war, lockern wir jetzt einfach oder machen wir mit dieser Lockerung zusammen irgendwelche Ersatzmaßnahmen, um die Ausbreitung in Griff zu bekommen? Und das Problem bei diesen Ersatzmaßnahmen ist, die muss man eben vorbereiten. Man muss, wenn man sagt, ich will jetzt was mit Schnelltests machen und Hygienekonzept oder auch mit einer App usw., da gibt es ja viele, viele Möglichkeiten, und das muss man einfach vorbereiten. Die Tests sind ja jetzt im Prinzip verfügbar. Aber es gibt keine klare Strategie, wie man die an den Schulen einsetzt. Und bezüglich der Apps, die ja ganz wichtig wären, um diese von mir vorgeschlagene private Nachverfolgung zu installieren, parallel zu dem was die Gesundheitsämter machen, die sind ja auch noch nicht am Laufen. Da sollen ja auch erst mal irgendwelche Kommissionen sich bemühen usw. Das heißt, wir haben letztlich das Instrumentarium nicht parat, um ersatzweise etwas zu machen. Und dann fällt einem das Ganze auf die Füße. Ja, also wenn Sie den Koffer loslassen, aber niemanden anders haben, der ihn festhält, nichts haben, wo Sie ihn draufstellen können, dann fällt er Ihnen auf die Füße.


13:51



Camillo Schumann



Weil sie gerade die Schulen angesprochen haben. Ihr Kollege, der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, hat jetzt einen Schulstopp bis Ostern gefordert. Was halten Sie denn davon?



Alexander Kekulé


Ja, ich verstehe ihn sehr gut. Also, von der Epidemiologie her hat er Recht, ja. Es ist nur so, jetzt mal ganz praktisch, also Lauterbach hat ja den Vorteil, dass er Gesundheitsökonom und Politiker ist. Und jetzt sag ich mal außerhalb meiner Profession: Von der politischen Seite ist halt die Frage, ob so ein Vorschlag umsetzbar


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ist. Also ich glaube jetzt so ganz pragmatisch gesehen, man hat jetzt dieses Konzept, das hat sowieso eine Notbremse, wo eben viele schon anfangen zu fragen, werden wir die einhalten? Und jetzt nochmal darüber hinaus zu gehen und zu sagen, wir weichen vom Konzept ab und stoppen jetzt wieder, weil wir erkennen das war alles Quatsch, was wir da beschlossen haben. Jetzt sag ich mal völlig ungeschützt: Politiker machen so was nicht. Also das glaube ich nicht, dass er damit politisch durchkommen wird. Da müssten die Landeschefs ja dann an der Stelle sich auch halbwegs einig sein. Also, was man unterschreiben kann, ist: Die Schulen zu öffnen ohne zugleich ein Testkonzept zu haben, das war natürlich ein Fehler, ja, das ist völlig klar. Und ich glaube eher, dass das, was halt passieren wird, ist, dass die [Inzidenz, Anm. d. Redaktion] in mehr und mehr Landkreisen, das die dann auf die HunderterGrenze geht. Und dann werden die Schulen sowieso wieder zugemacht. Es wäre natürlich epidemiologisch klug, das früher zumachen. Völlig klar, das wäre aus der Epidemiologie her klug. Nur, wie erklären Sie das dann den Lehrern und den Eltern? Es ist ja so – ich weiß nicht, ob das nur meine Beobachtung ist, aber in den Kindertagesstätten und in den Grundschulen ist es ja tatsächlich so, dass die Eltern jetzt schon wieder die kranken Kinder bringen. Wir hatten ja eine Phase, wo also Erkältungskrankheiten eigentlich eine Seltenheit waren, auch bei den Jungen, auch bei den Kindern, weil wir eben uns alle vor Covid geschützt haben. Da haben wir quasi als Beifang, als Nebeneffekt irgendwie diese normalen Erkältungen einschließlich der Influenza draußen gehalten. Und das [legt, Anm. d. R.] jetzt aber wieder zu es gibt jetzt wieder rotzende und hustende Kinder in der Kita. Und wenn die Betreuer und Betreuerinnen sagen: „Ja bitte das Kind morgen nicht mehr bringen“, dann kommt es am nächsten Tag doch wieder. Und da glaube ich, dass insgesamt, wenn jetzt gesagt wird, Schulen wieder zu und zwar außerhalb dieses Konzepts, das wäre politisch extrem schwer vermittelbar. Aber epidemiologisch hat Lauterbach hundertprozent Recht.


16:2 9



Camillo Schumann



Weil Sie gesagt haben, keine Teststrategie:


Aber die Schüler und Lehrer haben ja zugesichert bekommen, einmal/zweimal pro Woche getestet zu werden. Viele sagen auch, dass die gestiegenen Infektionszahlen auf die breiten Testungen zurückzuführen sind. Was sagen Sie denn dazu?



Alexander Kekulé


Das glaube ich nicht. Also, dass die gestiegenen Infektionszahlen nur darauf zurückzuführen sind. Ich kenne natürlich auch die offiziellen Gegen-Statements des Robert-Koch-Instituts, die sagen, das hat damit nichts zu tun. Es ist ehrlich gesagt schwierig zu beantworten, und zwar aus folgendem Grund, weil wir machen natürlich mehr Antigen-Schnelltests. Die Antigen-Schnelltestergebnisse werden ja zunächst einmal gar nicht an das RKI gemeldet. Wenn dann wirklich die PCRs nachgezogen werden, dann wäre es eigentlich nur logisch, dass die erhöhten Testzahlen irgendwie einen Einfluss haben auf die auf die positiven Ergebnisse. Also einen anderen Zusammenhang kann es ja eigentlich rein theoretisch nicht geben. Wenn man mehr testet, muss man ja mehr Positive finden gerade in so einer Phase, wo natürlich auch viele Positive vorhanden sind, also die Inzidenz hoch ist. Wie kann man das Epidemiologisch auseinanderhalten? Das ist ja inzwischen, glaube ich, bei unseren Hörern bekannt, wie man das macht. Da schaut man eben auf die Zahl der Testungen, da sagt man, das haben wir bei den PCRs ja dann irgendwann eingeführt, spät aber doch hat das Robert-KochInstitut dann Abfragen gemacht: „Wie viele Tests macht ihr insgesamt? Ihr müsst also uns auch bitte die Zahl der negativen Tests mitteilen, damit wir eine Vorstellung haben wieviel Prozent sind denn positiv.“ Dieser PositivAnteil, an dem kann man dann die Aussage machen: liegt es an den Tests? Ja oder nein. Aber, wer bitteschön weiß schon, wie viele negative Schnelltests gemacht wurden? Keine Sau. Das weiß niemand, weil die eben privat gemacht werden. Und weil keiner von uns meldet, wenn er den Aldioder Lidl-Test negativ gemacht hat, das beim Robert-KochInstitut. Deshalb sage ich jetzt mal so als nüchterner Freund von Zahlen: Die Aussage des Robert-Koch-Instituts, wir sind sicher, dass es nicht an der gestiegenen Testzahl liegt, die kann eigentlich gar nicht arithmetisch begründet sein.


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18:48



Camillo Schumann



Weil sie gerade die Selbsttests für Zuhause angesprochen haben. Wenn man so will, gibt man den Menschen dann die Verantwortung, selber mit der Situation umzugehen. Und das ist ja der Preis dafür dann, dass man eben nicht mehr ganz so valide Zahlen hat, um das Infektionsgeschehen einordnen zu können. Das macht die Bewertung der Gesamtlage ja enorm schwer.



Alexander Kekulé


Also es macht nicht die Bewertung der Gesamtlage enorm schwer, das glaube ich nicht. Aber diese eine spezielle Frage, die sie gestellt haben, die natürlich ganz wichtig ist: liegt der Anstieg, den wir beobachten, auch u.a. an einer gestiegenen Test-Frequenz? Da sage ich es muss eigentlich so sein. Wir wissen nur nicht, wie groß der Anteil ist. Und trotzdem hat Herr Brockmann Recht, dass natürlich insgesamt da eine Welle anrollt oder schon angerollt ist. Ohne Wenn und Aber. Dass es kein Artefakt, wie wir sonst sagen würden, also nichts künstlich generiertes durch erhöhte Testzahlen. Also, für diese spezielle Frage: Prozent der Positiven, also der Positiv-Anteil, sind natürlich die Antigen-Schnelltests ein Problem. Weil jemand, der einen negativen AntigenSchnelltests hat, der geht ja nicht hinterher zur PCR, um das noch einmal bestätigen zu lassen. Und Sie wissen ja, dass in den USA z.B. diese Positiven-Quote, die ist bei denen viel wichtiger als die Inzidenz. Also in New York werden die Schulen geschlossen, war zumindest mal die Regel – ich weiß nicht, ob es noch aktuell ist – wenn die Positiven-Quote bei Labortests, PCRs, 5 Prozent übersteigt. Das ist mal so ein Beispiel. Und wir in Deutschland haben auch oft über diese wieviel Prozent Positive bei den Labortests gesprochen. Dieser eine Parameter wird durch die Schnelltests in der Tat entwertet. Ich glaube, da wäre es sinnvoll, Ersatzparameter zu finden. Das kann man durchaus machen. Epidemiologisch ist es möglich, dass man gute Stichproben macht. Und dann von Stichproben, also Berichten aus bestimmten Regionen oder bestimmte Schulen, wo man einfach sagt bei euch werden alle AntigenSchnelltests, verglichen mit den PCRs. Und dann kann man, wenn man das gut macht,


quasi von diesen Stichproben so eine Art Schätzer entwickeln und auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen. Ich wüsste jetzt aber nicht, dass so etwas in der Mache ist. Deshalb entgeht uns quasi diese Frage wieviel Prozent sind positiv im Moment.



Camillo Schumann



Das wäre nämlich genau die Frage, weil wir müssen ja dann mit zunehmenden Selbsttests, die dann hoffentlich noch mehr verfügbar sind, ja irgendwie eine Arithmetik finden, die Gesamtlage einschätzen zu können. Stichprobe ist ja ein Vorschlag. Was wäre so eine Stichprobengröße? 100.000, 2 00.000 pro Tag?



Alexander Kekulé


Nein, nein, so viele brauchen Sie nicht. Wenn die gut ist die Stichprobe, brauchen Sie ein paar Tausend. Ich nehme mal als Beispiel etwas aus Ihrem Bereich. Sie wissen ja, wie viele Hörer im Radio zu hören. Und beim Fernsehen kann man gleich am nächsten Tag gucken bei Quotenmeter.de und bei anderen Websites: Wieviel Quote hatte gestern die Tagesschau? Wieviel Quote hatte gestern diese und jene Sendung? Da gucken die auch nicht auf jeden Fernseher, sondern die haben einfach eine – wie sie meinen – zumindest gut gemeinte, gute Auswahl von Personen, wo sie der Meinung sind, die repräsentieren in besonders guter Weise die Gesamtheit. Und deshalb rechnen die das hoch. So ähnlich wird es ja auch bei den Wahlen gemacht. Wenn sie Wahlumfragen haben, macht man auch so eine kleine Stichprobe. Die sind aber so ausgefuchst, sage ich mal von den Demografen, dass die eben in der Regel ganz gut belastbar sind. Oder in den USA wissen wir sogar, dass bestimmte Bundesstaaten bei den Wahlen verblüffend genau vorhersagen, wie die Gesamtwahl in den USA ausgeht. Zumindest geschichtlich, traditionell bisher. Und so ähnlich kann man das machen. Also da müssen Sie Herrn Brockmann Fragen, der ist da echt einer unserer Gurus in Deutschland für. Ich sag mal, der kann das.



Camillo Schumann



Also sozusagen weg von den aktuellen Zahlen hin zu Stichproben, dann im weiteren Verlauf der Pandemie.


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Alexander Kekulé


Oder anders gesagt. Wir brauchen einen Ersatz-Parameter für die Positiven-Quote. Weil die Positiven-Quote eben durch die AntigenSchnelltests an Aussagekraft verloren hat, brauchen wir ein Ersatz-Parameter. Und da müssen sich einfach mal ein paar Epidemiologen zusammensetzen mit Demografen, das ist ja ein demografisches Thema letztlich, und sagen, wie man die am günstigsten zieht. Sicherlich wäre es gut, ein paar Schulen dabei zu haben, weil das so ein typisches Beispiel ist, wo eben viele Schnelltests gemacht sind, wo die Population überschaubar ist, was auch wichtig ist epidemiologisch. Wir wollen ja wissen, was an den Schulen los ist, wenn wir sie öffnen. Und da sage ich jetzt mal, das wird sich nicht so bannig unterscheiden, ob sie jetzt, wenn sie aus Deutschland 2 0 Schulen nehmen, als Referenz, dann werden die anderen Schulen jetzt nicht so komplett davon abweichen, was sie da entwickeln. Und da kann man dann ungefähr sagen, wie das Verhältnis vielleicht ist. Und vielleicht kommt man dann auf so eine Art Positiven-Quote bei Antigen-Schnelltests.


2 3:41



Camillo Schumann



Kurzer Einschub noch zur Immunität in der Bevölkerung mit der Frage: Wo stehen wir da eigentlich? Wir haben jetzt rund 8 Prozent Erstgeimpfte. 6,5 Millionen Menschen haben mindestens eine Impfdosis erhalten. Und dann haben wir natürlich auch Menschen, die sowieso schon mit dem Virus Kontakt hatten. Da sind wir jetzt bei 2 ,5 Millionen plus natürlich ein undefinierbares Dunkelfeld. Was schätzen Sie, wieviel Prozent der Bevölkerung immun gegen das Virus sind, bzw. eine gewisse Immunität haben?



Alexander Kekulé


Also ich würde mal sagen, dass wir in Deutschland schon so auf die 2 0 Prozent langsam zulaufen, von Menschen, die entweder geimpft sind oder das Virus hatten. Viele haben das ja gar nicht gemerkt, in der ersten Welle war das ja auch gar nicht klar, was man da hatte. Und ich glaube, dass jetzt auch viele Infektionen überhaupt nicht mehr aufschlagen beim Gesundheitsamt, sodass ich da eine hohe Dunkelziffer veranschlagen würde. Dann wären wir so bei 2 0 Prozent vielleicht. Das ist weit weg von


dem, was wir epidemiologisch brauchen würden. Und vor allem ist es so, dass für die epidemiologische sog. Herdenimmunität bräuchten wir einen Schutz in bestimmten Bevölkerungsgruppen, die besonders sozial aktiv sind. Und die sind natürlich vielleicht auf natürlichem Weg infiziert, zum großen, zum größeren Teil, das mag sein. Aber die sind natürlich nicht vorne in der Impfpriorität. Und deshalb meine ich, dass wir, bis wir wirklich einen Herdenschutz erleben ... Also das könnte eben sein, wenn es blöd läuft, könnte es sein, dass der Herdenschutz in Deutschland mit den Impfungen plus natürlichen Infektionen bis zum Herbst dann eigentlich so weit aufgebaut wäre. Und es ist leider nicht auszuschließen, dass wir bis dahin dann auch Varianten hier in Europa haben, die eben mit einer hohen Effizienz bereits solche Menschen noch einmal infizieren können, die schon geimpft sind oder die Krankheit durchgemacht haben. Das wären dann nicht mehr so schwere Verläufe, ganz klar. Also aus meiner Sicht bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass eine Zweitinfektion etwas ist, was dann nicht dazu führt, dass wir Lockdowns brauchen u.Ä.. Aber trotzdem haben wir dann nicht die immer vorhergesagte Herdenimmunität. Diese Idee der Herdenimmunität: 70 Prozent geimpft oder Krankheit durchgemacht istgleich Pandemie vorbei. Diese Grundformel ... Das ist glaube ich bekannt, dass sich der nicht so Anhänge.


2 6:10



Camillo Schumann



Und zu allem Überfluss wurden nun auch noch die Impfungen mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca gestoppt. Und man muss ja sagen, diese Maßnahme, die kommt jetzt zur absoluten Unzeit. Wir haben schon sehr wenige Impfstoffe im Moment, gerade eben wurde der Impfstoffe auch für die über 65-Jährigen freigegeben und die Daten zur Wirksamkeit waren ja auch sehr vielversprechend. Und nun diese Vollbremsung. Unser Postfach [zeigt], also unsere Hörerinnen und Hörer treibt diese Maßnahme extrem um. Die Menschen sind verunsichert, stellen viele, viele Fragen, die wir jetzt auch im Nachfolgenden mal beantworten wollen. Also diese Verunsicherung setzt sich fort, wo wir eigentlich mit diesem Impfstoff auf einem relativ guten Weg wieder waren.


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Alexander Kekulé


Also meine Mutter wurde noch geimpft, letzte Woche. Aber sonst ist das wirklich Mist, das kann man nur so sagen. In Abwandlung eines bekannten Sprichworts würde ich sagen: Erst haben wir einen Fehler nach dem anderen gemacht, und dann kam auch noch Pech dazu. Und das ist jetzt wirklich wahnsinnig blöd gelaufen mit diesem AstraZeneca-Impfstoff. Und man muss wirklich hoffen, dass entweder dieser Impfstoff in kurzer Zeit wieder freigesprochen wird, wenn ich das mal so sagen darf, von den Vorwürfen, oder dass die anderen Impfstoffe von der Produktion so in die Pötte kommen, dass wir hier in Europa genug davon haben.



Camillo Schumann



Und auf diese „Vorwürfe“ wollen wir jetzt mal eingehen. Jedenfalls hat diese Vollbremsung Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestern so erklärt.


Hintergrund sind neu gemeldete Fälle von Thrombosen der Hirnvenen, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer AstraZenecaImpfung stehen. Vor dem Hintergrund dieser neu gemeldeten Fälle hat das Institut heute die Lage neu bewertet und eine Aussetzung der Impfung sowie weitere Untersuchungen empfohlen. Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten, müssen wir unseren Expertinnen und Experten in Deutschland und der Europäischen Union jetzt die Zeit geben, die jüngsten Vorfälle zu überprüfen. Sie müssen auch die Frage klären, ob der Nutzen der Impfung weiterhin größer ist als mögliche Risiken. Denn eines ist klar, auch Nicht-Impfen hat schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Und diesen Prozess der Prüfung warten wir jetzt ab.


Soweit also Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Um es mal konkret zu machen: Bei bisher 1,6 Millionen Impfungen mit AstraZeneca, sind 7 Fälle von Hirnvenenthrombosen bisher gemeldet worden. Ich bin als Journalist auch ein wenig verwundert, Herr Kekulé. Wieso weiß man denn von Hirnvenenthrombosen in Deutschland vor dem Wochenende offenbar noch nichts und nach dem Wochenende gibt es sieben Fälle und man stoppt den Impfstoff vorsorglich. Nun frage ich mich, sind diese sieben Fälle plötzlich alle am Wochenende entstanden? Also gab es wirklich eine relevan-


te Häufung? Oder gab es sie schon immer und man hat nur die Daten danach jetzt mal gefiltert, nachdem andere Länder ja auch schon gestoppt haben.



Alexander Kekulé


Also wenn ich das wüsste! Also ich bin genauso überrascht gewesen wie sie. Ich habe selber die Daten – da können wir gleich noch drüber sprechen ... Ich habe quasi meinen ganzen Sonntag bis spät in den Abend damit verwendet, die bis dahin vorliegenden Daten auszuwerten und das war bis zu dem Zeitpunkt nicht bekannt, dass das Paul-Ehrlich-Institut hier diese Beobachtung gemacht hat. Wenn es wirklich so wäre, dass das in kürzester Zeit jetzt plötzlich aufgetreten wäre, dann wäre es ja nicht nur ein rotes Signal, sondern quasi ein Super-Alarmzeichen. Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich nehme an, die haben im Nachhinein gesammelt und dann aufgrund der Beobachtungen aus anderen Ländern, da gab es ja schon Hinweise aus Italien, aus Österreich, dann eben zuletzt – ich glaube am Freitag war das – aus Norwegen dann schließlich, und in Dänemark gab es auch noch einen Fall. Und deshalb war es so, dass man aufgrund dieser Beobachtungen aus anderen Ländern gesagt hat, so jetzt gucken wir uns mal unsere Daten noch einmal an. Das Problem mit diesen Hirnvenenthrombosen ist Folgendes: das ist die sogenannte Sinusvenenthrombose. Der Sinus ist so eine Art Gefäß, Blutgefäß, so eine Art Vene, keine richtige, typische Vene, wo das ganze Blut quasi vom linken und rechten Hirn so zusammenfließt. Und da gibt es eigentlich ganz selten – also für Neurologen ist das eher etwas Seltenes – eine Thrombose. Diese Thrombose kann man sich jetzt nicht so vorstellen wie sonst bei einer arteriellen Thrombose, wo das so ist, das im Herz irgendwo so ein Blutpfropf entsteht, der löst sich dann ab, schießt durch die Arterie und bleibt irgendwo stecken. Und dann plötzlich kommt zu schlagartigen Schmerzen im Bein oder zu irgendeinem Hirnschlag, weil das Ding in den Kopf gesaust ist o.Ä..


Sondern der Sinus ist venös, d.h. es kommt gar nicht vom Herz, sondern es ist der Abfluss vom Gehirn. Und da kommt es dann zu Thrombosen, das ist eben hier die Besonderheit, wenn die Blutgerinnung gestört ist. Bei Störungen


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des Verhältnisses zwischen Blutgerinnung und Auflösung von Blutgerinnseln, da gibt es quasi ein ständiges Gleichgewicht im Blut. Das wissen viele nicht, dass also das Blut ständig dabei ist, so ein bisschen zu gerinnen. Und dann gibt es andere Faktoren, die das gleich wieder auflösen. Also, das ist ein sehr ausgeklügeltes Spiel von leichter Gerinnung und wieder Auflösung. Und wenn wir dann merken, das Blut tritt irgendwo aus und wird dann fest, dann bleibt sie eben bei Gerinnung, weil dieser Auflösungsfaktor nicht mehr dazugehört. Aber wenn dieses Gleichgewicht, wenn das gestört ist, dann kommt es zu Ablagerungen in diesem Sinus. Das kann man sich so vorstellen, dass der quasi im Scheitel oben von hinten nach vorne läuft, direkt unter der Schädeldecke. Und da kommt es da drinnen eben zunächst mal zu so Wand-Entzündungen, zu Ablagerungen von irgendwelchen Blutpfropfen an der Wand. Der ist aber ziemlich dick, also fingerdick. Und bis es dann so ein Effekt gibt, dass der langsam verstopft, das dauert ewig, also das ist ein langsamer Prozess. Und dann, irgendwann fangen die Leute an, so merkwürdige neurologische Erscheinungen zu bekommen. Das kann sein, dass die nur Verhaltensveränderungen haben oder dass man es gar nicht so richtig merkt, meistens häufiger bei Frauen im mittleren Lebensalter.


Es ist sauschwer zu diagnostizieren. Und manchmal wird es erst dann in der Spätphase diagnostiziert, wenn quasi so ein Sinus wirklich zumacht. Dann kommt es natürlich zur Abflussstauung im Gehirn, weil das so der Hauptabfluss ist. Und dann platzt irgendwo ein Gefäß quasi im davorliegenden Stromgebiet und dann kommt es zu einer akuten Hirnblutung und zu dem sogenannten Hirnschlag. Und dann ist sozusagen diese Sinusvenenthrombose eine sehr seltene Ursache eines Hirnschlags. Warum ist das so wichtig zu erklären? Das findet man normalerweise nicht. Schon gleich gar nicht, wenn sie so eine Phase drei Studie machen oder auch bei so allgemeinen Beobachtungen, also das ist etwas, wo die Symptomatik eben oft nicht erkannt wird. Und was das Paul-Ehrlich-Institut offensichtlich gemacht hat, ist, dass sie gesagt haben: Okay, jetzt wollen wir bei diesen Thromboembolien, also bei diesen klassischen Venenthrombosen, die ja beobachtet wurden, jetzt wollen wir mal gu-


cken, ob sich hinter dieser ThrombosenMeldung irgendwo wirklich Sinusvenenthrombosen verstecken. Meine Vermutung ist, aber das ist jetzt wirklich spekuliert, weil es keiner weiß, weil das Paul-Ehrlich-Institut dazu keine Erklärung abgegeben hat, dass die die Daten einfach noch mal sich vorgenommen haben, hinterhertelefoniert haben und dann aus dieser großen Zahl der normalen Thrombosen, die rausgezogen haben, die Sinusvenenthrombosen waren. Und dann auf diese Häufung gekommen sind.



Camillo Schumann



Auf der Website, vielleicht ist das ja eine Erklärung, des Paul-Ehrlich-Instituts steht: Gegenüber dem Stand vom 11.03.2 02 1, das war letzte Woche Donnerstag, sind inzwischen weitere Fälle, Stand Montag 15.03., in Deutschland gemeldet worden. Bei der Analyse des neuen Datenstand sehen die Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts jetzt eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zur Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca. Ist das die Erklärung?



Alexander Kekulé


Also wenn das die Erklärung ist, was sie gerade vorgelesen haben, dann muss ich sagen, wäre das beunruhigend, weil da steht ja: Im Zusammenhang mit inzwischen aufgetretenen Meldungen. Also was sie vorgelesen haben, heißt schwarz auf weiß: Es ist nicht so, wie ich gerade vermutet habe, dass Daten, die schon länger da waren, ausgewertet wurden, das wäre die beruhigende Variante. Sondern das heißt, diese Meldungen stammen alle vom Wochenende. Und da muss ich jetzt sagen, wow, in so kurzer Zeit sieben Fälle? Das muss man ja so rum sehen: So eine Sinusvenenthrombose, also ich habe tatsächlich mal im praktischen Jahr in der Neurologie gearbeitet und ich wär früher auch mal fast Facharzt für Neurologie geworden, weil ich mich das so interessiert hat, aber ich hab echt noch nie eine live gesehen. Und es ist so, das ist eine seltene Sache. Also man sagt so in der Größenordnung, von welchen, die man diagnostiziert, viele werden ja gar nicht diagnostiziert, weil sie sich von selber wieder auflösen können und solche Sachen. Aber


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wenn man es wirklich merkt, dann ist es so: Dann sagt man so 3 pro Million Bevölkerung, also 1 Million Bevölkerung, 3 Sinusvenenthrombosen pro Jahr, das ist so ungefähr die Inzidenz von dieser Erkrankung. Und wenn Sie jetzt aber haben sieben in drei Tagen, das ist natürlich dann echt krass, das wäre echt krass. Und zwar sieben in drei Tagen von – was haben Sie gesagt? – 1,7 Millionen Geimpften. Das heißt also, in dieser Größenordnung wäre das also mehr als ein kleines Alarmzeichen, dem man mal irgendwie mal nachgehen sollte. Deshalb hoffe ich, dass das nicht wörtlich zu nehmen ist, dass das alles Meldungen vom Wochenende waren.


Eine Sache ist noch wichtig in der Darstellung gerade, das ist nämlich etwas, was eben auch eine Besonderheit ist. Wir haben das witziger Weise in unserem letzten Podcast angesprochen, so Beobachtungsstudien und Probleme wie das bei Impfstoffen ist. Da haben wir ziemlich ausführlich darüber gesprochen, dass das man eben unterscheiden muss zwischen statistischen Warnsignalen, die sozusagen durch die Masse begründet sind – dass man sagt, das ist so häufig da muss ich jetzt mal der Sache nachgehen, also überdurchschnittlich häufig – und solchen Warnsignalen, die eben besondere Signale sind. Also wir sagen dann auch besondere Nebenwirkungen oder Nebenwirkungen von besonderem Interesse. Und hier ist eben das höchst Ungewöhnliche: Die Blutplättchen, die sind ja eigentlich für die Gerinnung verantwortlich. Wenn es einen Mangel von Blutplättchen gibt, also Thrombozyten heißen die auch, wenn man einen Mangel von Blutplättchen hat, dann ist der Klassiker: das es eine Gerinnungsstörung gibt, also dass das Blut nicht mehr richtig fest werden mag. Z.B. bestimmt man deshalb vor jeder größeren Operation die Blutplättchen, weil der Chirurg natürlich sicher sein will, wenn er da was aufschneidet und hinterher wieder zusammennäht, dass die Blutung dann auch wieder aufhört und das nicht einfach weiter blutet. Das heißt, die Blutgerinnung muss intakt sein bei jeder Operation. Und da zählt man u.a., ob diese Blutplättchen in ausreichender Zahl vorhanden sind. Jetzt ist es so, bei diesen Patienten gab es – ich habe mir die Daten auch genauer angesehen schon am Wochenende, jetzt nicht die deutschen, sondern die internationa-


len – da gab es mehrere Merkwürdigkeiten. Die eine ist eben: die hatten die Thrombosen und zugleich zu wenig Blutplättchen, also zu wenig Blutplättchen bei Thrombose. Und zusätzlich hatten sie Hauterscheinungen mit so Mikroblutungen, nicht alle Patienten, aber das wurde eben beschrieben, so kleine Blutungen, wie wir das z.B. bei Ebola auch sehen. Immer dann, wenn also, die Gerinnung komplett im Eimer ist, die Blutgerinnung total gestört ist, dann kommt es zu kleinen Blutungen unter der Haut. Wenn man also insgesamt dieses Krankheitsbild sich anschaut, dann heißt das, letztlich ist es ein deutlicher Hinweis bei diesen Patienten darauf, dass das Gleichgewicht zwischen Bildung von Thromben und Thrombolyse, also Auflösung dieser Thromben, gestört ist.


Und das kennen wir eben von Virusinfektionen, das gibt es bei manchen Virusinfektionen. Ebola ist krass, aber Covid-19 z.B. ist auch ein gutes Beispiel. Da haben wir solche Störungen bei etwa 2 0 Prozent der Patienten, und zwar nicht nur bei den schweren Verläufen. Und da wir das eben wissen, dass Viren so was machen können, da wir wissen, dass Covid-19 das machen kann, also gerade möglicherweise auch das Oberflächen-Antigen, diese Surface Protein, das „S-Protein“ von diesem Covid-19 vielleicht eine Rolle dabei spielt, dass weiß keiner. Und wir jetzt wiederum wissen, dass dieser Impfstoff eben aus einem Virus besteht, aus einem Adenovirus, wo drinnen ein Teil von einem anderen Virus ist, nämlich die von diesem Covid-19. Deshalb muss man einfach – als Fragezeichen bitteschön, das ist überhaupt keine Kausalität zunächst mal – aber man muss die Frage stellen: Könnte es nicht sein, dass diese echt ungewöhnlichen Erscheinungen bei Menschen, die nicht besonders alt sind, dass die mit dieser Impfung im Zusammenhang stehen? Dass möglicherweise diese Impfung irgendwie die Blutgerinnung beeinflusst?


39:18



Camillo Schumann



Jetzt haben wir die Daten aus Deutschland, wo die Frage ist, waren das jetzt die sieben Fälle nur vom Wochenende oder die sieben Fälle seit Anfang Februar, seitdem mit AstraZeneca geimpft wurde. Man hat jetzt nur genauer hingeschaut, was hinter diesen Thrombenbil-


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dungen ist, um dann festzustellen, aha, gut, es sind diese Hirnvenenthrombosen tatsächlich gewesen. Also, das ist sozusagen noch eine große Unsicherheit, wenn ich das so richtig rauskristallisiert habe. Und Sie haben sich am Wochenende ja über die Daten, die bis dahin verfügbar waren, nicht die aus Deutschland, gestützt und haben sich durchgelesen und haben sich dann bemüßigt gefühlt, zur twittern, zu sagen: Ja, lieber einen Stopp des AstraZeneca-Impfstoffs. Der Rest ist Geschichte, das ist ja dann tatsächlich auch passiert. Was hat Sie dazu bewogen, auch vor diesen Daten aus Deutschland?



Alexander Kekulé


Ja, es ist tatsächlich so, man muss eben genau überlegen, gibt's eine plausible Erklärung. Und da sind im Grunde genommen, wenn ich das mal so in Stichworten sagen darf, 2 Dinge wichtig, warum ich auch diese Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts an der Stelle wirklich unterstütze. Ich weiß, dass die von vielen kritisiert wird. Ich bin der Meinung, das PaulEhrlich-Institut macht hier das Richtige. Ich hatte ja, wenn Sie so wollen, vorher schon das Gleiche vorgeschlagen, sogar auf Basis von weniger Daten. Die 2 Überlegungen sind Folgende. Das Erste ist die Gefahr eines Eisbergs, den man hier vor sich hat. Und das Zweite ist die Frage, ob das Gesamtunternehmen Impfung gegen Covid-19 gefährdet ist dadurch, wie man da am besten durchmanövriert. Eisberg, damit meine ich Folgendes: Wenn Sie eine seltene Nebenwirkungen haben, die einfach da ist oder nicht da ist, so OnOff, dann können Sie sagen: Okay, die habe ich schon so oft gezählt. Das sind, ich sage jetzt mal, nur zehn Fälle auf eine Million. Nehmen wir mal an, das wäre so 1:100.000. Das ist ja auch das, was der Bundesgesundheitsminister so ein bisschen angedeutet hat. 1:100.000, würde das trotzdem die Impfung noch rechtfertigen? Und da könnte man natürlich argumentieren, dass das weniger schlimm ist, als an Covid zu erkranken, zumindest für bestimmte Altersgruppen oder so. Aber es ist ja gerade bei diesem Problem, was wir hier vor Augen haben, aus biologischen Gründen, die habe ich gerade geschildert, so, dass die Möglichkeit besteht – ich sage noch einmal betont: nicht, dass das so ist, aber dass die Möglichkeit besteht, dass wir hier einen Einfluss dieser Imp-


fung auf das Gleichgewicht zwischen Gerinnung und Thrombolyse haben, Auflösung von Thromben und Gerinnung. Wenn das so wäre, dann wären natürlich so Sinusvenenthrombosen, also dass da ein fingerdickes Gefäß komplett zu ist, oder auch Beinvenenthrombosen. Das ist ja immer das, was AstraZeneca sagt: Wir haben nur so wenig Thrombosen gesehen, das ist gar nicht so häufig, ist nicht häufiger als in der Normalbevölkerung. Das wäre ja dann nur die Spitze des Eisbergs, weil es würde praktisch bei vielen Menschen eine leichte Gerinnungsstörung geben, die sich dann äußern kann darin, dass einzelne Blutgerinnsel winzig kleine Gefäße verstopfen. Und das wäre dann ein häufiges Ereignis. Was man aber überhaupt nicht auf dem Radar hätte, das hätte man nicht auf dem Schirm. Wenn sich da einer ein paar Tage irgendwie bedröppelt fühlt, weil im Gehirn so ein paar Gefäße nicht so gut funktionieren, und dann hinterher ja wieder freigespült werden, weil die Gerinnung ja wieder anspringt oder die Thrombolyse wieder anspringt. Also es gibt so ein Szenario, wo man sagen muss: Dass so ein fingerdickes Gefäß zu ist, das ist quasi nur ein ganz kleiner Teil der Ereignisse, die ich beobachte, eben die Spitze eines riesigen Eisbergs. Und wenn das so wäre, dann ist natürlich ... Und wir gucken ja hier auf einen Impfstoff, der also bei ganz, ganz vielen Menschen, die auch jünger sind, angewendet wird, und der ja bei Milliarden von Menschen letztlich angewendet werden soll. Dann ist wirklich schon die Frage: Was würden dann solche Mikrothrombosen, die man gar nicht bemerkt, was würden die dann bedeuten mit einer Zukunftsperspektive von 60 Jahren Lebenszeit, die solche Leute ja vor sich haben? Oder demnächst, wenn dann Kinder geimpft werden, die noch mehr Lebenszeit vor sich haben? Und deshalb sage ich, wenn die rein theoretische Möglichkeit besteht, dass das, was man hier sieht, nur der Indikator für ein grundsätzliches Ereignis ist, dann muss man erst die Frage klären, ob dieses grundsätzliche Ereignis vorliegt oder nicht. Störung der Blutgerinnung, ja oder nein.


43:32 



Camillo Schumann



Weil sie gerade jüngere Menschen angesprochen haben und die Grundsätzlichkeit in die-


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sem Zusammenhang, wird ja auch gern der Vergleich zur Antibabypille gezogen. Da gibt es ja auch Zahlen: Ohne hormonelle Verhütungsmittel wie z.B. die Pille erkranken 2 von 10.000 Frauen im Jahr an einer Thrombose. Mit den neueren Pillen sind es inzwischen acht bis elf Betroffene pro 10.000 Frauen. Zum Vergleich sprechen wir aktuell gerade von sieben Fällen von Hirnvenenthrombosen bei 1,7 Millionen Geimpften. Warum wird das deutlich größere Risiko der Antibabypille, ich sage mal, in Kauf genommen, und beim Impfstoff machen wir jetzt so eine Vollbremsung und schauen sozusagen aufs Detail hinterm Detail und auf die hinterste Kommastelle hinter dem Komma?



Alexander Kekulé


Das kann man nicht vergleichen, weil das Risiko bei der Antibabypille ist ja seit Jahrzehnten auf dem Schirm und man wird sehr, sehr genau beobachtet. Und man würde natürlich eine Pille, die jetzt eine ungewöhnlich hohe Thromboseneigung macht, das ist ja auch schon in der Vergangenheit geschehen, würde man vom Markt nehmen oder zumindest empfehlen, sie in der Regel nicht mehr zu verwenden. Und wir haben natürlich diesen Eisberg-Effekt bei der Pille nicht, weil das eine Situation ist, wo wir eine bestimmte Problematik haben, und wir wissen aufgrund von jahrzehntelanger Erfahrung, dass wir abgesehen von dieser Problematik nicht noch eine lange Liste weiterer Langzeitschäden haben. Also bei der Pille können Sie ja quasi ausschließen, dass die Gefahr, die ich gerade geschildert habe, dass Sie vielleicht, wenn Sie nach 2 0 Jahren draufschauen, feststellen, dass die andauernden Mikrothrombosen noch einen anderen Effekt gemacht haben. Das ist ja bei der Pille nach so vielen Jahren – ich glaube die sind 1970erJahren eingeführt worden – da können Sie das ausschließen. Das ist also das Eine, was wichtig ist. Das Andere ist ja: Wenn es so wäre, dass es diesen Eisberg gibt, dann ist es ja ganz einfach in dem Fall. Das ist ja eigentlich ein Luxus, den wir haben, durch Labortests festzustellen, ob eine solche vermehrte Gerinnungsneigung hier tatsächlich vorhanden ist, weil wir da hervorragende Labortests für haben, mit denen z.B. solche tiefen Hirnvenenthrombosen typischerweise ausgeschlossen werden können. Da haben wir witziger Weise in diesem Podcast


schon mal darüber gesprochen. Das sind die sogenannten D-Dimere. Das ist einer der Faktoren, die es gibt, mit denen man feststellen kann, ob irgendwo im Blut möglicherweise gerade so ganz feine Gerinnungsprozesse unterwegs sind, die dazu führen könnten, dass es so Mikrothrombosen gibt. Und wir wissen, dass das bei der Erkrankung Covid-19 eine Riesenrolle spielt. Das ist ja ganz zentral mitverantwortlich für die schweren Verläufe dort. Darum werden die D-Dimere ja regelmäßig getestet. Ich hatte ja sogar angedeutet hier schon mal, dass es aus meiner Sicht gar nicht so unsinnig wäre, dass wirklich bei allen Covid19-Patienten zu machen vorsorglich. Mit Blick auf die hohen Kosten war mir klar, dass das – sage ich mal – ein sehr, sehr weiter Schuss wäre. Es gibt aber auch noch andere Tests, z.B. die sogenannten Fibrin-Monomere, das sind so lösliche Bestandteile von Blutgerinnseln, die immer dann erhöht sind, kurz bevor das Blut, das Gerinnungssystem, anfängt, aktiv zu werden. Und es gibt auch so Verbindungen zwischen dem sogenannten Komplementsystem und der Gerinnung. Das Komplementsystem ist etwas, was eigentlich immer von Viren aktiviert wird, und was zur angeborene Immunantwort gehört und dort die Virusabwehr eigentlich beschleunigt, indem z.B. Viren von geronnenem Blut, von geronnenem Serum, sofort verklumpt und dann gefressen werden. Und auch dieses Komplementsystem kann man messen. Sodass man eigentlich jetzt an denen, die einen Impfstoff bekommen haben, plus einer guten Vergleichsgruppe einfach testen müsste – und zwar geht es sehr, sehr schnell: Gibt es da einen Unterschied bei diesen Faktoren, die man im Blut messen kann, die darauf hinweisen, dass da Störungen der Mikrozirkulation und Störungen der Gerinnung sind? Und ich finde diesen Test, ich sag mal, „mal schnell zu machen“, das ist auf jeden Fall wissenschaftlich redlich im Hinblick darauf, dass wir hier einen absolut sicheren Impfstoff brauchen und nur einen solchen ja den Menschen dann auch empfehlen und verkaufen können.


47:55



Camillo Schumann



Der Impfstoff wird ja jetzt untersucht, auch von den europäischen Behörden. Und Karl Lauterbach hat getwittert: Die Prüfung ohne


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Aussetzung der Impfung wäre wegen der Seltenheit der Komplikation besser gewesen. Auch die europäischen Arzneimittelbehörden, die sich den Impfstoff noch mal anschauen, die sehen bisher die Vorteile der Impfung. Und die EMA will sich auch am Donnerstag mit den neuesten Erkenntnissen nochmal befassen, und auch die WHO spricht sich gegen eine Aussetzung der Impfung aus, also sozusagen für eine Überprüfung bei Fortsetzung der Impfung. Warum wäre das jetzt kein gangbarer Weg gewesen?



Alexander Kekulé


Ja, das wäre ein gangbarer Weg gewesen. Das ist eine sehr, sehr gute Frage und eine wichtige Frage. Zum Ersten nochmal: die Europäische Arzneimittelbehörde, das ist ja ganz interessant eigentlich, für uns Insider zumindest superinteressant, das hier das Paul-EhrlichInstitut ja noch kurz vor dem Wochenende gesagt hat: „Wir stehen hundert Prozent an der Seite der EMA, der Europäischen Arzneimittelbehörde.“ Es ist ja auch so, dass in diesem Komitee, was sich dann am Donnerstag trifft – das ist dieses Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC. Pharmakovigilanz ist, dass man quasi aufpasst, das Arzneimittel keine schädlichen Wirkungen haben. In dem Komitee sitzen ja 2 Deutsche mit drin. Der Vizepräsident kommt vom BfArM, also vom Bundesamt für Arzneimittelund Medizinprodukte, und die Chefin der Pharmakovigilanz des PEI [Paul-Ehrlich-Institut, Anm. d. R.] ist auch Mitglied dort. Daher ist es so, das ist schon sehr, sehr eng vernetzt und dass das PEI noch am Freitag gesagt hat: Wir machen das Schulter an Schulter mit der EMA, mit der europäischen Behörde, die EMA dann am Montag wiederum sich gegen das PEI stellt und sagt: Wir wären aber der Meinung gewesen, wie Sie es gerade richtig gesagt haben, dass man erst mal nicht aussetzt, sondern wir prüfen das am Donnerstag. Und dass ja, das ist glaube ich bekannt, viele Länder, auch EUMitgliedsstaaten schon eigene Entscheidungen getroffen haben, das deutet eben einfach nur an, wie uneins sich die Experten sind an der Stelle hinter den Kulissen, das ist ganz offensichtlich. Ja, und jetzt ist die Frage, die der Herr Lauterbach da sozusagen kritisiert hat. Das ist schwierig zu sagen. Wie soll man das machen? Also, wie geht man mit dem ganzen politisch


um? Und das war für mich der zweite Grund, warum ich – aber das muss ich sagen, das ist meine persönliche Auffassung, da lasse ich gerne gelten, dass Herr Lauterbach das anders sieht – warum ich der Meinung bin und war, dass man hier aussetzen muss. Es ist so: Das höchste Gut, was wir hier schützen müssen, ist ja das Vertrauen der Menschen in die Impfstoffe. Das ist das Wichtigste von allem in dieser jetzigen Phase, weil ein Vertrauensverlust in die Impfstoffe hätte natürlich, sag ich mal, statistisch gesehen, höhere Todeszahlen zur Folge, als wenn man jetzt weiterimpfen würde und einige Thrombosen in Kauf nimmt, sage ich mal so ganz brutal, wenn man das machen würde. Weil, wenn die Menschen sich nicht mehr impfen lassen, dann kriegen wir keine Immunität, keine ausreichende. Dann sterben die Menschen weiter bei dieser Krankheit. Man kann das Vertrauen aber auch auf andere Weise erodieren. Und das wäre eben, wenn man in einer Situation ist, dass wir in Deutschland: sagen wir impfen hier weiter. Und zugleich, und das ist ja die Situation am Sonntagabend gewesen, wo ich das auch getwittert habe. Und das war ja solange, bis das PEI sich entschieden hat, durchaus Gegenstand einiger Kritik gewesen. Es ist so, dass in der Situation ... Das Komitee in Dänemark hat sich für den Stopp entschieden, Holland hat sich dafür entschieden, parallel zu Deutschland hat sich Frankreich entschieden, kurz nach Deutschland, aber auch wiederum vor dem Entwicklungsprozess her parallel, hat sich Spanien entschieden. Norwegen hatte sich dagegen entschieden. Holland hatte ich schon. Aber Österreich hat die Impfung gestoppt, zumindest mit einigen Chargen. Italien hat sie erst gestoppt, dann wieder aufgehoben, aber jetzt [nach] aktuelle[m] Stand wieder gestoppt. Und die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat im CNN am Sonntag gesagt ... Dort wurde gesagt, dass man sich das sehr genau anschauen wird im Hinblick auf die bevorstehende Zulassung. Das heißt, die ganze Welt prüft sozusagen.



Camillo Schumann



Nicht ganz, Großbritannien beispielsweise setzt munter fort. Sind ja auch sehr stolz darauf, wo der Impfstoff herkommt, selbstverständlich.


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Alexander Kekulé


Aber viele! Johnson nicht, weil er das halt für Nationalprestige macht. Aber ich sag mal so, es gibt Länder, die impfen weiter. Es hat auch zum Beispiel Kanada sich entschieden, den AstraZeneca-Impfstoff nicht zu stoppen. Allerdings muss man dazu sagen: Die Kanadier haben es einfach, die schwimmen quasi in RNAImpfstoffen, also Moderna und Biontech. Und ob die den AstraZeneca-Impfstoff noch irgendwo im Regal haben, ja oder nein, ist bei denen völlig egal, da wird sowieso diskutiert, ob der verschenkt werden soll. So, und jetzt ist einfach die Frage, wäre bei so einem Druck aus dem Ausland: Was wäre in Deutschland wenn wir hier weiterimpfen? Wäre es so, wenn dann natürlich, und das ist ja zu erwarten, rauskommt, dass es irgendwie nicht mehr zufällig ist dieser Zusammenhang. Also es gibt ja den rein zufälligen Zusammenhang so nach dem Motto: Es hat irgendwo geknallt, jemand fällt tot um. Und dann denken sie: Oh, ist der erschossen worden? Sie gehen hin und stellen fest, er hat keine Schusswunde. Dann hat es eben zufällig vorher geknallt.


Aber es sieht hier nicht so aus, als wäre das so rein zufällig, sondern das wahrscheinliche Ergebnis der ganzen Prüfung ist, dass man sagen wird: da gibt es irgendein Restrisiko, was nun zumindest nicht auszuschließen ist. Und würden dann die Deutschen, wenn man ihnen sagt, wir haben hier munter weiter geimpft, alle anderen oder viele andere haben sich dagegen entschieden, und wir haben euch das aber sozusagen erst mal nicht so offengelegt. Wäre das die bessere Strategie? Oder ist es besser zu sagen: Passt mal auf, wir gehen mit diesem Problem offen um, es ist so und so und so. Die Daten sehen jetzt so aus, als müssten wir das stoppen. Wir machen jetzt folgende Untersuchungen, die ich gerade genannt habe, mit D-Dimeren usw.. Damit werden wir feststellen, ob es irgendeinen Zusammenhang gibt, ja oder nein. Und wenn wir das Ergebnis haben, machen wir weiter. Also ich bin für letzteres. Ganz klar. Weil ich immer – das wissen Sie – jemand bin, der meint, dass Transparenz und Offenheit das ist, wie man es machen muss. Aber ich weiß, dass sich ein Teil der Regierungen, auch Fachkollegen von mir, da anders geäußert haben und gesagt haben: Man hat auch einen pädagogischen Auftrag und der


Schaden wäre sozusagen durch den vorübergehenden Stopp, um den es sich hier wahrscheinlich handelt, größer, als wenn man weitergemacht hätte und hinterher sagt: Da gab es aber ein kleines Problemchen, was wir erst jetzt so richtig offengelegt haben.


54:50



Camillo Schumann



Weil Sie gerade Transparenz gesagt haben, um auch mal so ein Gefühl dafür zu bekommen. Dieses Gefühl bekommt man, wenn man sich den Sicherheitsbericht des Paul-EhrlichInstituts mal zu den Impfstoffen durchliest. Jede Woche gehen dort die Meldungen ein, da wird geprüft, und im aktuellen Sicherheitsbericht wird von fast 12 .000 gemeldeten Verdachtsfällen von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung mit den Impfstoffen von Biontech, Moderna und AstraZeneca berichtet. Zum Beispiel wird bei unerwünschten Ereignissen auch Thrombopenie aufgeführt. Und dort steht, es wurden sechs Fälle gemeldet. In fünf Fällen waren die Patienten mit Biontech geimpft worden. Eine Person hatte Moderna erhalten. Die Patienten waren zwischen 16 und 89. Also zum Einen: Trombopenie bei Bionetch. Und zweitens: Dort steht nichts von AstraZeneca. Aber man geht da doch relativ, ich sag mal so, transparent mit den Nebenwirkung um. Und Biontech steht ja nun nicht in der Kritik.



Alexander Kekulé


Das kann man überhaupt nicht vergleichen, das ist etwas ganz anderes. Das eine sind schwere Erkrankungen, die schwer zu diagnostizieren sind. Also diese Hirnvenenthrombose, wir müssen davon ausgehen, wenn Sie sieben finden, dann haben sie ganz viele übersehen, weil das eben Erkrankungen sind, wie ich es gerade geschildert habe, die spät symptomatisch werden, die selbst für Neurologen eigentlich von der Diagnose her eine anspruchsvolle Sache sind. Und da brauchen Sie eigentlich ein Computertomogramm oder ein Kernspinvom Kopf mit Kontrastmittel jeweils, um sauber festzustellen, liegt da so eine Thrombose vor oder nicht. Und das machen Sie ja nicht bei allen Geimpften, und das machen Sie auch nicht bei allen in der Phase-III-Studie. Und im Gegensatz dazu ist so eine Blutabnahme, wo


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sie mal gucken, ob die Thrombozyten verringert sind, das ist viel leichter zu machen und viel häufiger. Sodass man sagen muss, dass diese Tatsache, dass da die Thrombozyten mal erniedrigt sind, das wäre alleine überhaupt nicht beunruhigend. Das ist ja auch viel häufiger. Sie haben ganz, ganz viele Erkrankungen, wo die Thrombozyten mal niedrig sind. Aber hier geht es eben um die Frage: Gibt es einen Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang? Gibt es diese Möglichkeit? Und da ist es so, biologisch wäre es eben hier leider möglich. Und wenn es diesen kausalen Zusammenhang gibt, hätte das dann weitere Auswirkungen außer diesen elf Fällen? Und dann muss man leider sagen: Ja, wenn es einen Zusammenhang mit der Blutgerinnung gibt, dann hätte das eben auch Auswirkungen, weil man davon ausgehen muss, dass eine allgemeine Störung der Gerinnung durch die Mikrothrombosen viele weitere unerkannte Nebenwirkungen hat. Und wegen dieser Downside, wenn ich mal so sagen darf, dieser, das muss man betonen, theoretischen Gefahr letztlich, wegen dieser rein theoretischen Gefahr ist es aus meiner Sicht nicht erklärbar, dass man Leute weiterimpft. Nehmen wir mal an, Sie würden rauskriegen, dass da Langzeiteffekte zu befürchten sind. Wie erklären Sie das der Bevölkerung, wir haben euch weitergeimpft? Und dann ist es letztlich unterm Strich eben, ich kann es nur noch einmal sagen, das: Die größte Zahl der Toten würden wir letztlich dadurch haben, wenn wir das Vertrauen in die Impfstoffe erodieren. In den USA ist es jetzt so, dass gerade aktuelle Umfragen gezeigt haben, dass die Hälfte der Republikaner beziehungsweise der Trump-Wähler sagen, sie werden sich definitiv nicht impfen lassen. Denen hat man sogar die Frage gestellt, wie wäre das, wenn in einem Werbespot Donald Trump persönlich auftreten würde und sich da impfen lassen würde, oder was auch immer. Sie sagen, sie würden es trotzdem nicht machen. Und das ist ein Riesenproblem in den USA. Und ich befürchte, dass das ein weiterer unangenehmer Trend aus den USA ist, der nach Europa rüberschwappen könnte. Dass wir hier einfach aufgrund von Leuten, die sich nicht impfen lassen wollen, weil sie kein Vertrauen in den Impfstoff haben, dass wir deshalb in eine Situation kommen, dass wir keine vernünftigen Quoten


hinbekommen, die uns irgendwie mit dieser Pandemie weiterleben lassen. Und deshalb ist meine feste Überzeugung, dass man hier nur durch einen Beweis der Sicherheit, statt immer zu sagen wir haben keinen Beleg dafür, dass es einen Zusammenhang gibt, würde ich dafür plädieren, dass umzudrehen und zu sagen: Wir beweisen anhand einer kleinen Studie, dass kein Zusammenhang mit Gerinnungsstörungen besteht. Und da das möglich ist, praktisch möglich ist, bin ich der Meinung, das muss man machen. Weil man aus meinem Gefühl her nur so das Vertrauen herstellen kann oder wiederherstellen kann. AstraZeneca war ja vorher schon angezählt, das muss ich ja nicht sagen. AstraZeneca und die Aufsichtsbehörden müssen sich jetzt wirklich bemühen, das Vertrauen in dieses Unternehmen und in die Impfstoffe wiederherzustellen. Und da glaube ich, ist es das Richtige zu sagen: Wir stoppen das und untersuchen das. Und deshalb bin ich in dem Fall 100 Prozent auf der Seite des PaulEhrlich-Instituts.


59:35



Camillo Schumann



Und was sollten die Menschen jetzt tun, die schon eine AstraZeneca-Impfung bekommen haben oder auf die zweite warten?



Alexander Kekulé


Naja, das ist in gewisser Weise Mist wegen der zweiten Impfung, die jetzt eventuell nicht pünktlich kommt. Aber man muss beruhigender Weise sagen, das ist ganz wichtig – Sie werden es nicht glauben, das muss ich meiner Mutter jetzt auch sagen. Die sagt jetzt: „Bübchen, du hast mich dahingeschickt, und jetzt? Was ist jetzt? Muss ich jetzt Angst haben?“ Also man muss allen Menschen sagen, wenn man so eine Gerinnungsstörung hätte, und wenn man irgendetwas wie eine Hirnvenenthrombose – das ist ein total exotisches Ereignis – oder eine andere Thrombose hätte, dann wäre das sehr kurz nach der Impfung passiert. D.h. jeder, der die Impfungen schon – sag ich mal – drei Tage hinter sich hat, ist im Grunde genommen aus dem Schneider. Also das ist, glaube ich, das wichtigste Argument, dass jetzt nicht alle Angst haben müssen. Und das Zweite, was man ihnen sagen kann: Bis dann die zweite Impfung kommt – das ist ja bei AstraZeneca in drei Monaten – in Deutschland


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wurde ja dann zum Glück diese Zeit zwischen der ersten und zweiten Impfung quasi bis Maximum gestreckt, da hat man gesagt, wir planen das gleich mal mit drei Monaten, und bis dahin wird die Frage geklärt sein. Bis dahin wird auf jeden Fall geklärt sein, erstens, ob es überhaupt einen statistischen Zusammenhang sauber gibt, und wenn es einen Zusammenhang gibt, ob das kausal ist, und wenn es kausal ist, in welcher Größenordnung man da Befürchtungen haben muss. Also das wird bis dahin geklärt sein. Das dauert jetzt vielleicht 12  Wochen oder so was. Am Donnerstag will sich eben die europäische Arzneimittelkommission dazu äußern. Ich glaube, dass die kein abschließendes Urteil bis dahin bringen werden, weil das wäre schon sehr schnell. Zumindest kann man keine Untersuchungen bis dahin machen. Aber bis die ganzen AstraZeneca Leute ihre zweite Impfung kriegen, kann man denen sagen, wird das geklärt sein.


Vielleicht noch eins dazu. Ich bin ja sowieso der Überzeugung, dass einmal impfen in der jetzigen Lage sowieso das Gebot der Stunde ist, weil man dann mehr Leute impfen kann und bei der zweiten Impfung eventuell schon einen modifizierten Impfstoff geben kann, vielleicht in vier bis sechs Monaten, der dann auch die neuen Varianten besser abdeckt. Das ist ja gerade bei AstraZeneca auch ein Thema.


01:01:47



Camillo Schumann



Unser Hörer Herr K. hat geschrieben und will wissen... [Er] macht sich natürlich jetzt auch Gedanken wegen einer Thrombosebildung und fragt: Würden jetzt Blutverdünner Aspirin, Heparin sich nicht positiv auswirken kurz nach der Impfung?



Alexander Kekulé


Nein, soweit würde ich auf gar keinen Fall gehen. Es ist so, dass die Blutverdünner, wenn Sie die jetzt millionenfach verabreichen würden, natürlich auch Nebenwirkungen haben. Nicht im Einzelfall, das sind relativ harmlose Medikamente. Aber die würde man dann geben, wenn man weiß, dass man ein Thromboserisiko hat. Da ist bei der Frage ja sozusagen das, wo noch ein Fragezeichen ist, schon implizit beantwortet worden. Wir müssen erst einmal klären: Ist diese statistische Assoziation überhaupt sauber belegbar? Nächster Schritt: Ist es


kausal? Also ist es nur assoziiert oder ist AstraZeneca der Grund dafür? Und wenn es kausal ist, dann könnte man die Frage stellen, ob man zum Beispiel bei Menschen, die ein höheres Risiko haben, ob man bei denen bestimmte Vorsichtsmaßnahmen trifft. Wir wissen ja auch noch gar nicht – das kann ja auch mit der Frage zusammenhängen – ob man vorher schon mal eine Covid-Infektion hatte. Dass es vielleicht zirkulierende Komplexe aus Antikörpern und Antigenen sind, die da eine Rolle spielen bei diesen Ereignissen, oder genetische Faktoren eine Rolle spielen oder, wie Sie ja gesagt haben, die Antibabypille macht auch Koagulation. Also ob vielleicht das damit zu tun hat. Das ist ja alles noch nicht ausgewertet. Und dann als allerletzten Schritt würde man Richtung mögliche Prophylaxe-Maßnahmen nachdenken. Ich bin schon der Meinung, dass so gerinnungshemmende Substanzen, also zum Beispiel Aspirin in niedriger Dosierung, etwas ist, was man diskutieren kann, bei Covid-19, also bei der Covid-19-Infektion. Um zu verhindern, dass es im Verlauf zu Mikrothrombosen kommt. Da laufen auch Studien. Bisher haben die nichts Sauberes ergeben, aber da könnte man diskutieren, ob das eine Option ist. Aber jetzt bei der Impfung wäre das das völlig überzogen und würde eben das Ergebnis dieser Prüfung, die ja jetzt erst läuft, vorwegnehmen.


01:03:48



Camillo Schumann



Gut, ziehen wir einen Strich drunter. Wie es mit dem Impfstoff von AstraZeneca weitergeht, das besprechen wir dann hier im Podcast. Am Donnerstag ist ein wichtiger Termin und dann werden wir sehen, wenn es dann die endgültige Prüfung gibt, dann werden wir sehen, wie es mit dem Impfstoff weitergeht.


Wir kommen zu den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen. Ich habe seinen Namen jetzt auf dem Anrufbeantworter leider nicht richtig verstanden. Aber seine Frage ist doch sehr, sehr spannend:


Wird denn eigentlich während dieser Zeit, wenn man dann halt Kontakt mit dem Coronavirus hat, diese Immunität nicht einfach verlängert? Also quasi: Man ist zweimal geimpft und hat nach drei Monaten mal Kontakt zu einem Infizierten, dann nach vier Monaten, dann nach


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einem Jahre wieder, dann ist da ja quasi der Kontakt. Würde das die Immunität, das Immunsystem dann also quasi auch schulen? Ist das so oder liege ich da auf dem Holzweg?


Spannende Schlussfolgerung.



Alexander Kekulé


Also, das wäre immunologisch naheliegend und ist auch meine Prognose, weil ich immer optimistische Prognosen mache. Ich gehe davon aus, dass wir entweder jetzt einmal die Infektion durchmachen – hoffentlich nur solche, die nicht auf der Intensivstation landen; das ist natürlich jetzt schon sehr optimistisch, klar gibt es auch bei Jüngeren schwerste Verläufe – und möglichst viele sollen quasi erst einmal geimpft werden und auf die Weise eine erste Immunität haben. Dann wird der Kontakt mit einem weiteren Infizierten, also eine weitere Infektion, dazu führen, dass man aller Wahrscheinlichkeit, wenn man noch einmal überhaupt Symptome hat, mildere Symptome hat. Gibt Einzelfälle, die dann sagen, beim zweiten Mal war es aber schlimmer. Aber es gibt zumindest keine tödlichen Verläufe bei der zweiten Infektion, die bisher gemeldet wurden. Und ja, die Hoffnung ist dann, dass man so nach und nach sich quasi über das Leben hinweg eine Immunität gegen Coronaviren aller Art aneignet, und in dem Fall eben gegenüber den verschiedenen Varianten von Sars-CoV2 , die demnächst einfach zirkulieren werden. Das ist nicht zu vermeiden. Wir haben ja in Teilen Deutschlands schon 70 Prozent der britischen Variante im Moment, übrigens ohne dass die Sterblichkeit angezogen hat bisher in dem Zusammenhang. Aber das wird die Situation sein, das ist wahrscheinlich die Zukunft dieser Pandemie: Dass wir in jungen, Lebensjahren entweder mit einem sicheren Impfstoff geimpft werden oder unter Umständen die Infektion mehr oder minder symptomlos durchmachen, und dann im Laufe des Lebens neue Varianten dieses Virus kennenlernen. Also unser Immunsystem lernt die kennen und wird dann jedes Mal so eine Teilimmunität erwerben, die wahrscheinlich dann wieder nicht lebenslänglich hält, aber doch zumindest mal eine Zeitlang, vielleicht Monate oder Jahre. Man weiß es nicht.


01:06:34



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 160, der Jubiläumssendung. Am 16. März 2 02 0 haben wir den ersten Corona-Kompass aufgezeichnet. So und jetzt die Frage an Sie, so im Nachhinein: Mit welchen Annahmen, die sie vor einem Jahr hatten, lagen sie dann doch daneben?



Alexander Kekulé


Da gibt es mehrere Sachen. Für mich, also so emotional am meisten betroffen gemacht, hat mich, dass ich wirklich überzeugt war, und wenn man die Interviews vor einem Jahr sich rauszieht, sieht man das da auch: Ich war überzeugt, dass wir in Europa das viel besser hinkriegen. Ich war so fest überzeugt, dass die Pläne, die wir alle in den Schubladen hatten, wo ich ja zum Teil beteiligt war in der Entwicklung, dass die exekutiert werden. Andere Länder hatten ja auch schon damit angefangen, Taiwan oder viele asiatische Länder, die ja früher als wir betroffen waren. Sodass ich eigentlich insgesamt das Ausmaß dieser Pandemie, das muss ich sagen, völlig unterschätzt habe. Ich habe gedacht, das ist jetzt eine Sache, da wären wir jetzt so ein paar Maßnahmen ergreifen. Dann holen wir die Masken raus und dann machen wir irgendwelche Tests, und dann ... Dass der Impfstoff so schnell kommt, hätte ich nicht gedacht. Aber ich dachte eigentlich, dass wir das Problem viel besser unter dem Deckel halten können. Dass das so komplett aus dem Ruder gelaufen ist gerade in den westlichen Demokratien, das ist auch etwas, das wird viele Bücher füllen nach dieser Pandemie. Aber da lag ich hundert Prozent daneben. Das Zweite, wo ich auch völlig daneben lag, sind diese Coronaviren. Ich meine, ich habe das in dem Podcast am Anfang auch mal erklärt, die gelten ja als besonders stabil genetisch gesehen. Das muss ich zugeben, das ist halt ein bisschen so Vorlesungswissen, wahrscheinlich hätte Christian Drosten da schon ein paar Spezial-Informationen gehabt, die wir alle anderen... Er war ja am Anfang der Einzige, der sich damit gut auskannte. Die hatten wir halt alle nicht. Aber für mich war das eine Überraschung. Man hat immer gesagt, das ist das größte RNA-Virus, mit 30.000 Bausteinen in der Erbinformation. Das hat kein Interesse daran, sich genetisch dauernd zu verändern. Das macht nur alle zwei


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Wochen ungefähr beim normalen Infektionsgeschehen, so bei jeder zweiten, dritten Infektion eine Mutation aus 30.000, und das ist super stabil. Das sind auch die Daten, die wir auch aus anderen [Infektionen kennen, Anm. d. R.], also zum Beispiel vom MERS, von diesem Middle Eastern Respiratory Syndrome, also von dem Virus, was diese von Kamelen übertragbare sehr ähnliche Krankheit macht. Also dass sich diese Mutanten so schnell entwickeln, dass in Norditalien diese G-Variante damals quasi durchschlägt und dann in kürzester Zeit weltweit ausbreitet, ganz am Anfang der Pandemie, das hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Da hatten wir echt Glück, dass da nicht schlagartig eine noch viel infektiösere Mutante aufgetreten ist. Und das Dritte, was so in eine ähnliche Richtung geht, aber mich dann trotzdem noch einmal wirklich massiv überrascht hat, wo ich auch völlig falsch lag, wenn ich die alten Statements mir anschaue, ist die Entwicklung von Resistenzen. Also, wie schnell das geht. Wir haben ja jetzt diese Mutanten aus Südamerika insbesondere aber auch die aus Südafrika, wo ziemlich deutlich ist, dass man sich da zum zweiten Mal infizieren kann. Ich würde auch nicht ganz ausschließen bei B.1.1.7, dass das gelegentlich vorkommt bei der britischen. Und da war jetzt so der Horizont... Also ich habe damals immer gesagt: Na ja, so nach einem Jahr oder nach 2 Jahren kommen dann Mutanten, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Dass die dann letztlich schon nach vier, fünf Monaten auf dem Plan standen, das ist völlig überraschend. Und vom Mechanismus her ist es ja so, dass wir inzwischen auch Hinweise darauf haben, dass diese Coronaviren – was ich zumindest vorher nicht wusste – dass die tatsächlich auch Rekombinationen machen können. Also, dass die nicht nur einzelne Mutationen machen, sondern dass die ganze Genabschnitte unter Umständen austauschen können, wenn eine Person oder ein Tier mit mehreren Viren zugleich infiziert ist. Und dadurch machen sie das, was wir gerichtete Mutationen nennen. Also nicht mehr so zufällig mit Versuch und Irrtum sich irgendwie optimieren, sondern sie können sozusagen optimierte Eigenschaften direkt übernehmen von anderen Viren. Und dadurch gehen diese Anpassungsschritte wesentlich schneller. Also das sind so die Dinge,


wo ich sagen muss, zum Glück habe ich das am Anfang nicht gewusst, sonst wäre ich nicht so optimistisch gewesen.



Camillo Schumann



Am Anfang der ersten Sendung hatten wir zum Schluss immer so eine positive Meldung, weil das war ja auch eine sehr angespannte Zeit, ist es immer noch, aber damals noch mehr, weil es eben so unklar war, was da auf uns zukommt. Und wir hatten die ersten 30-


40 Sendungen immer die positiven Meldungen zum Schluss. Das ist uns dann so ein bisschen abhandengekommen. Aber wenn man so die Meldungen hört, sollte man damit mal wieder beginnen. Ich habe jetzt nach einem Jahr, das muss man sich mal vorstellen, ich habe gestern meinen ersten Corona-Selbsttests online bei einer Drogeriemarkt-Kette bestellt für 6,99€. Wucherpreis finde ich.



Alexander Kekulé


Und geliefert?



Camillo Schumann



Kommt diese Woche, gestern bestellt, also heute nicht. Aber übermorgen vielleicht. Und das ist meine positive Meldung zum Schluss. Wobei, wenn ich so darüber nachdenke, ist es auch eine negative Meldungen, denn a.) 6,99€ und b.) eine Stunde später war das Ding schon wieder vergriffen.



Alexander Kekulé


Ich habe ja vor fast einem Jahr, doch, im März, vor einem Jahr, mal gesagt: Schnelltest an jeder Ecke für einen Euro Schutzgebühr. Ich finde, das sollte man staatlich subventionieren. Und zwar deshalb, ich sage jetzt mal so, wenn Sie und ich da sieben Euro zahlen müssen, wir brauchen die Tests ja auch nicht dauernd, dann ist das okay. Aber es gibt ja viele Menschen, wenn sie jetzt daran denken, die haben da irgendwie drei Kinder, die in die Schule sollen o.Ä., und die müssten dann die Tests selber zahlen für sieben Euro das Stück. Ich finde, es muss wirklich so sein, dass das absolut niederschwellig ist, dass diese Tests in breiter Fläche zum Einsatz kommen. Lieber ein paar umsonst gemacht und ein bisschen Geld hier zum Fenster rausgeschmissen. Das ist am Schluss, wenn wir dann mal Bilanz ziehen von dieser ganzen Pandemie, da muss ja irgendwann auch mal die wirtschaftliche Bilanz gezogen werden, was


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durch politische Fehler im Grunde genommen da an Geld letztlich in den Ofen geschickt wurde, dass man an der Stelle wirklich sagt, da kommt es auf das bisschen Geld, was die Schnelltests kosten, auch nicht mehr an.


01:13:08



Camillo Schumann



Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder bis dahin!



Alexander Kekulé


Bis dahin. Tschüss, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos geht das unter: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere nochmal vertiefen möchte: Alle Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 13.03.2 02 1 #159: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Ist der AstraZeneca-Impfstoff krebserregend?


WardasCoronavirusfrühergenauso schlimm?


WiekanneineFlugbegleiterineinenLangstreckenflug für sich sicher gestalten?


Und wie lange ist man nach einer Impfung immun?


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé, Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Der M. hat angerufen und folgende Frage:


„Ein befreundeter Apotheker ist sich sehr, sehr unsicher, ob er sich mit dem AstraZenecaImpfstoff impfen lassen soll. Und zwar weil dieser Impfstoff möglicherweise karzinogen sein könnte. Dazu hätte ich gerne mal ein Statement von Professor Kekulé, vielen Dank.“



Alexander Kekulé


Grundsätzlich ist es so. Es geistert immer wieder diese Idee mit der Krebsentstehung herum, weil es mit Vektor-Impfstoffen, mit DNAImpfstoffen, Experimente bei Nagetieren gibt. Ich glaube, Hamster hat man da genommen, wo man unter ganz bestimmten Umständen tatsächlich bei Hamstern, wenn man die mit


einem Virus infiziert, was kein Hamster-Virus ist, sondern von einer anderen Tierart stammt, kann man unter bestimmten Laborbedingungen Tumore erzeugen. Also, das ist sozusagen das historische Experiment dazu. Und da gibt es jetzt mal Skeptiker, die sagen, ja dieser AstraZeneca-Impfstoff, der kommt ja vom Schimpansen, auch eine andere Tierart als der Mensch. Und das könnte ja sein, dass da so etwas Ähnliches passiert, wie damals bei den Hamstern. Jetzt muss man sagen, weil das eben bekannt ist, natürlich rauf und runter überprüft worden. Schon in den Zulassungsund Toxizitätsstudien ganz am Anfang, also in der Phase I. Und man hat mit dem Schimpanse-Vakzin, also mit diesem Adenovirus, was aus dem Schimpansen stammt, keine solchen Effekte gesehen. Trotzdem hält sich natürlich so ein Gerücht, dann irgendwie. Und es gibt auch immer wieder Leute, die dann plötzlich diese olle Studie wieder rauskramen und sagen, ja, aber bei den Hamstern damals war das doch so und so. Ich nehme an, das hängt damit zusammen, weil das klebt irgendwie so ein bisschen schon lange an der ganzen Vektorimpfstoff-Debatte dran. Das war auch ein Thema: Die Vektoren wurden ja nicht nur als Impfstoff verwendet, sondern auch zur Krebstherapie. Auch da wurde diese Hamster Studie immer wieder aus der Kiste gezogen. Man kann sagen, dass wir bei dem Impfstoff überhaupt keine Hinweise auf so etwas gefunden haben. Die mögliche Karzinogenität, die mögliche Krebserzeugung wird standardmäßig geprüft, schon in der Phase I der klinischen Prüfungen. Und da hat sich natürlich überhaupt kein Hinweis darauf ergeben, sonst wäre das im Frühfeld schon gestoppt worden.


02 :47



Camillo Schumann



Diese Dame hat eine sehr spezielle ImpfstoffFrage:


„Ob es realistisch ist, auf einen Lebendimpfstoff zu warten.“



Alexander Kekulé


Naja, also das ist so. Es gibt Lebendimpfstoffe, das sind also Viren, die im Prinzip – die heißen Lebendimpfstoffe im Deutschen – das sind Viren, die im Prinzip vermehrungsfähig wären


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oder vermehrungsfähig sind. Wir sagen da Lebendimpfstoffe, obwohl Virus definitionsgemäß eigentlich kein Lebewesen ist. Ein klassisches Beispiel war früher der Polio-Impfstoff für die für die Kinderlähmung. Da hatte man einen Lebendimpfstoff, weil der einfach am besten funktioniert hat. Das war ja auch so die Anfangszeit der Impfstoff-Forschung. Und da hat man das eigentlich als positiven Effekt sogar gesehen, dass der Geimpfte, der Impfling manchmal sogar dann seine Geschwister angesteckt hat mit diesem Impfvirus. Da hatte man dann quasi die anderen quasi indirekt mitgeimpft. Das macht man heute nur noch bei wenigen Impfstoffen, atenuierte Lebendimpfstoffe, zum Beispiel der Klassiker ist in der Kindheit: Masern, Mumps, Röteln. Das sind tatsächlich solche abgeschwächten, atenuiert sagt man da, Lebendimpfstoffe, die also keine Krankheit mehr machen können, aber sich noch ein bisschen vermehren können. Das hat dann keinen Vorteil, wenn man mit anderen Methoden einen ausreichenden Impfstoff hinbekommt. Und hier ist es ja so, dass das Coronavirus uns den Gefallen tut, dass es eigentlich mit ganz vielen so super simplen Methoden bekämpfbar ist. Die RNA-Impfstoffe, die ja voll experimentell waren, haben aus dem Stand funktioniert, und zwar hervorragend. Der Vektor-Impfstoffe oder die VektorImpfstoffe, da gibt es ja verschiedene, AstraZeneca; oder Gamaleja aus Russland, die funktionieren auch – vielleicht nicht ganz so gut, aber sie funktionieren auch. Und sogar die sag ich mal total hausbackene Methode, einfach so ein Virus zu nehmen, das Virus zu inaktivieren, also dass es gar nicht mehr lebt, sich gar nicht mehr vermehren kann, weil es mit Chemikalien kaputtgemacht wurde. Und diese kaputten Viren zu spritzen, das funktioniert auch. Das ist der Sinovac-Impfstoff zum Beispiel aus China. Und selbst wenn man nur so ein Stückchen vom Virus nimmt, also von dem Spike-Protein ein kleines Stück künstlich hergestellt – wir sagen dann, das ist ein biologisch hergestelltes, gentechnisch hergestelltes Virus Fragment – und wenn man das mit einem Wirkverstärker zusammen spritzt, auch das funktioniert bei


SARS-CoV-2 . Und weil eben das Virus, sage ich mal von der Impftechnik her so einfach anzugehen ist, gibt es überhaupt keinen Grund, jetzt auf einen Lebendimpfstoff umzusteigen. Das würde nur das Risiko erhöhen, weil so ein lebender Impfstoff, ein vermehrungsfähiger Impfstoff, natürlich tendenziell noch viel besser auf bezüglich der Sicherheit überprüft werden muss, bevor man den anwenden darf.


05:39



Camillo Schumann



Herr W. hat gemailt. Er schreibt:


„Beim Wehrdienst in der NVA wurden wir routinemäßig gegen Grippe geimpft, wobei aber keine Nadeln zum Einsatz kamen, sondern Impfpistolen. Das ging schnell und war, soweit ich mich erinnere, schmerzfrei. Warum werden die Leute bei COVID mit Nadeln gequält? Viele Grüße, Herr W.“



Alexander Kekulé


Naja, das mit der Impfpistole ist auch nicht ganz schmerzfrei. Die presst quasi die Substanz unter die Haut. Eigentlich die zuverlässigere Impfung ist die intramuskuläre Impfung, dass man wirklich in den Muskel hineinspritzen. Da wissen wir, dass die Impfreaktion, der Impferfolg am besten ist, am größten ist. Und deshalb hat man hier, weil man ja auch nicht wusste, wie gut der Impfstoff wirkt, hat man auch, um auf Nummer sicher zu gehen, quasi alle Zulassungsstudien damit gemacht. Wenn jetzt die Pandemie noch 2 0 Jahre weitergehen würde, Gott bewahre, dann wäre es wahrscheinlich so, dass man irgendwann diesen Impfprozess rationalisieren würde. Bei Grippe gibt es ja auch Impfstoffe, die man einfach in die Nase sprüht, das ist noch einfacher als die Impfpistole. Aber ich hoffe, dass wir nie in diese Phase kommen, dass wir sozusagen das Impfverfahren soweit verbessern müssen, dass das an jeder Tankstelle gemacht werden kann. Jetzt ist es ja noch so, dass wir genug Ärzte haben, und das Pieksen ist ja nicht der limitierende Faktor an der Stelle, sondern die Verfügbarkeit des Impfstoffs, sodass sich also in diese Zukunft gar nicht denken möchte, dass wir sozusagen mit Corona so regelmäßig zu tun


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haben wie früher, wie man das sonst mit der Grippe hat.



Camillo Schumann



Diese ältere Dame ist ziemlich besorgt wegen folgender Situation in ihrem Treppenhaus, Sie hat angerufen:


„In unserem Treppenhaus, was sehr eng ist, sind Maler beschäftigt, die arbeiten ohne Maske. Und wenn ich mit Maske durchgehe, ich bin 81 Jahre, wie weit bin ich da gefährdet? Das ist meine Frage.“



Alexander Kekulé


Das hatten wir schon ein paarmal. Ich kann da wirklich nur empfehlen, wenn jemand sich selber schützen will, eine FFP-2 -Maske zu nehmen und die wirklich gut sitzend, das ist ganz wichtig, in dem Fall gut sitzend aufzusetzen. Anders wird es nicht gehen. Das ist ja, wir hatten im letzten Podcast ja auch das Thema, wir haben im Grunde genommen drei offene Baustellen in Deutschland. Die eine Baustelle sind die Schulen, die zweite ist die fehlende Akzeptanz bei Teilen der Bevölkerung, die einfach nicht mehr mitmachen, egal was angeordnet wird. Und die dritte ist eben der Arbeitsplatz. Da ist es für mich ein Unding, dass beim Arbeitsplatz nach wie vor zum Beispiel in einem fremden Treppenhaus bei der Arbeit keine Maskenpflicht besteht. Da rennen Sie bei mir eine offene Tür ein. Ich finde, das ist eine, ist eine Gefährdung, die eigentlich in keinem Verhältnis steht. Weil, das könnte man ja ohne Weiteres anordnen, dass in so einer Situation – das Gleiche gilt auch für Postboten und so weiter – eine Maske getragen werden muss. Aber da ist nun einfach mal eine Lücke im Gesetz, weil die die ganze Gesetzgebung „Arbeitsplatzmaßnahmen“ im weitesten Sinn, das kommt vom Arbeitsschutzgesetz in Deutschland. Das ist ein Bundesgesetz und den ganzen nachgeordneten Verordnungen natürlich. Aber das Arbeitsschutzgesetz hat als Gesetzesziel den Schutz des Arbeitnehmers und nicht von Dritten. Also sozusagen in dem Bild, der Maler wird geschützt durch das Arbeitsschutzgesetz, und nicht die Frage, ob der Maler bei der Ar-


beit Dritte gefährdet. Die ist da gar nicht abgebildet in dem Gesetz. Und darum haben wir da einfach eine Lücke in Deutschland. Und das ist sicherlich einer der Gründe, warum bei uns die Fälle eben wieder ansteigen.


09:2 2 



Camillo Schumann



Herr H. aus Dresden hat uns gemailt:


„Ich habe einen sieben Jahre alten Sohn in der ersten Klasse einer inklusiven Schule. Er hat das Down-Syndrom, darüber hinaus aber keine relevanten Beeinträchtigungen. In seinem ersten Lebensjahr hat er aber mit niedriger Sauerstoffsättigung im Blut zu kämpfen, und wir mussten wochenweise dauerhaft Sauerstoff geben. In einem Schulalltag ist es für ihn leider unrealistisch, den ganzen Tag und FFP-2 -Maske dicht aufgesetzt zu haben. Ich habe Angst um meinen Sohn aufgrund einer möglichen COVID19 Erkrankung. Und ich würde ihn gern so schnell wie möglich impfen lassen. Ich habe gehört, das Hausbzw. Kinderärzte sowas anordnen können, auch wenn ein Impfstoff noch nicht offiziell zugelassen ist. Stimmt das? Was kann ich tun? Welcher Impfstoff würde sich gegebenenfalls anbieten? Mit freundlichen Grüßen, Herr H. aus Dresden.“



Alexander Kekulé


Ja, also das ist so, dass jemand mit DownSyndrom definitiv ein deutlich erhöhtes Risiko hat, bei einer COVID-Infektion, einer COVIDErkrankung, umgekehrt Kinder ein deutlich niedrigeres Risiko haben als Ältere. Sodass man hier jetzt quasi 2 Dinge in der Waagschale hat. Und ich glaube, wenn die Eltern zusammen mit dem Kinderarzt sich dafür entscheiden, das Kind impfen zu lassen, dann ist es zumindest jetzt a priori keine falsche Entscheidung. Ich würde das jetzt nicht grundsätzlich immer empfehlen. Aber man kann das tatsächlich machen. Rein juristisch gesehen ist es so, dass sie natürlich einen sogenannten Heilungsversuch machen dürfen. Das heißt, sie dürfen als Arzt Dinge, die nicht zugelassen sind, aus besonderem Grund einfach anwenden. Das ist dann ihre ärztliche Verantwortung. Das müsste schon, sage ich mal, krass regelwidrig sein,


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damit sie da ein Problem bekommen. Praktisch gesehen ist es aber so sie haben ja nicht als Arzt, und das ist eine Schwäche des Systems, sie haben ja nicht beide Impfstoffe im Kühlschrank. Sondern sie können froh sein, wenn sie überhaupt irgendeinen haben. Sodass jetzt die Frage, welchen man empfehlen würde oder welchen der behandelnde Arzt tatsächlich dann empfehlen würde, sowieso hintenansteht. Also der muss dann nehmen, was er kriegt. Ich würde mir eine Situation wünschen, wofür solche speziellen Anwendungen – da kann man sich ja andere Situation auch noch vorstellen, wo einfach aus ärztlicher Indikation jetzt eine Impfung notwendig ist. Wir haben über „Long COVID“ ja schon mal gesprochen, wo man überlegen kann, ob man aufgrund der wahnsinnig dürren Datenlage, aber trotzdem nach dem Motto „besser machen als nicht machen“ auch Personen, die schwere „Long COVID“-Symptome haben, einfach mal probatorisch impft. Das muss ja nicht schaden, und vielleicht nützt irgendwas. Aber auch da wäre es natürlich gut, wenn man sich aussuchen könnte, welchen Impfstoff man nimmt. Da sind wir aber in Deutschland weit von entfernt. Das ist einfach ein Komfort, den wir im Moment nicht haben.


11:59



Camillo Schumann



Dieser Hörer von der Schwäbischen Alb hat so eine grundsätzliche Frage zu Coronaviren, und zwar Coronaviren der Vergangenheit:


„Meine Frage ist: Wie ist das mit früheren Coronaviren gewesen, wo schon früher in Deutschland waren. Waren die genauso schlimm?“



Alexander Kekulé


Also es gibt ja bei den Coronaviren, die waren eigentlich, 2 003 vor dem sogenannten SARSAusbruch, das war sogar offiziell eine Pandemie mit etwas über 8.000 Fällen, bevor das kaum hat man die Coronaviren gar nicht so auf dem Schirm gehabt. Das waren bekannte Problemviren bei Tieren und da war eigentlich, sage ich mal, schon für die Tiermikrobiologen, für die Veterinär-Mikrobiologen ein relevantes


Thema. Und es gab auch Impfstoffe dagegen für bestimmte Tierkrankheiten. Bei Paarhufern spielt es eine große Rolle. Aber beim Menschen gab es eben offiziell vier verschiedene Typen, vier verschiedene Spezies, kann man letztlich sagen, Arten von Coronaviren. Von denen sind 2 zuletzt in Europa zirkulierend gewesen und haben eben Erkältungskrankheiten gemacht. Wir vermuten, dass die irgendwann mal früher auch so angefangen haben wie das SARS-Virus von 2 003, das sich nicht durchsetzen konnte. Das ist ja wieder verschwunden nach einem halben Jahr. Und jetzt diese SARS-CoV-2 , was sozusagen der gefährliche Bruder von SARS von damals ist. Das ist so, dass wahrscheinlich die so ähnlich angefangen haben, damals irgendwie sich ausgebreitet haben vom Tierreich, gefährlicher waren für den Menschen und dann im Lauf der Jahre hat sich das Virus angepasst an den neuen Wirt. Und es hat sich auch der Wirt angepasst, in dem Sinn, dass sein Immunsystem weiß, wie es darauf reagieren soll, sodass das harmlose Erkältungsviren geworden sind. Meine Hoffnung ist ja tatsächlich, dass das SARS-CoV-2  auch dieses Schicksal nehmen wird. Und das heißt aber, dass die alten Coronaviren aus diesen genannten Gründen längst nicht so gefährlich waren oder gefährlich sind. Die gibt es ja immer noch, wie dieses aktuelle SARS-CoV-2 .


14:01



Camillo Schumann



Wir haben eine Mail von einer Dame erhalten, die nicht möchte, dass wir ihren Namen nennen. Jetzt schildert sie das Problem:


Die Großmutter, die lag im Krankenhaus im Sterben. Nun wollte die Enkelin Abschied nehmen. Die Enkelin arbeitet in einem Altenheim und war schon zweimal geimpft, mehrfach negativ getestet. Sie wollte auch mit entsprechender Schutzkleidung ins Zimmer der Großmutter, um dann Abschied zu nehmen. Ihre Chefin allerdings war besorgt. Sie signalisierte, dass es eine Gefahr für das Altenheim geben könnte, da sie aus dem Krankenhaus Coronaviren in das Altenheim bringen könnte. Nun, die Frage:


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„Ist es möglich, dass ein geimpfter Mensch trotz Schutzkleidung aus dem Krankenzimmer einer Einzelperson Coronaviren verbreiten kann? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Oh weh. Die Frage war ja,“ ist das möglich“ Das darf man einen Wissenschaftler nie fragen, weil auszuschließen sind natürlich die Dinge nicht. Aber die Frage: Ist das ein relevantes Risiko? Und da würde ich sagen, nein. Das ist kein relevantes Risiko in der jetzigen Situation, weil eben gerade jemand, der weiß, wie man das Ganze, wie man solche Schutzkleidung handhabt. Da gehe ich davon aus, dass der auch verhindern kann, dass selbst wenn ein Geimpfter mal infizierbar wäre, dass in diesem Fall das nicht zu einer Übertragung kommen würde. Das ist ja was anderes, wenn Sie jetzt einen dementen 90-Jährigen haben und dem sagen, er soll eine FFP2 -Maske richtig aufsetzen. Da würde ich sagen kann es gut sein, dass der damit überfordert ist. Aber beim medizinischen Personal im weitesten Sinne gehe ich davon aus, dass die wissen, wie man das macht. Und man muss natürlich sagen – jetzt mal grundsätzlich ist es so, ein Geimpfter ist ein Geimpfter ist ein Geimpfter – das heißt also, der wird in der Regel diese Erkrankung nicht mehr bekommen. Das ist sehr theoretisch möglich, dass es zu einer Zweitinfektion kommt, vor allem in Zukunft muss man damit wahrscheinlich rechnen, wenn jetzt zu Varianten mit die aus Südafrika auftreten, oder die P1-Variante aus Brasilien. Da sieht so aus, als wären Zweitinfektionen möglich und deshalb wohl auch bei Geimpften möglich. Aber darüber sprechen wir hier gar nicht. Sondern das ist ja offensichtlich so, dass es hier um die Frage geht, kann ein Geimpfter mit den jetzt zirkulierenden Varianten nochmal angesteckt werden? Höchstwahrscheinlich nicht. Und wenn, dann ist die Virusausscheidung so minimal, dass sie keine Rolle spielt. Wenn der zusätzlich noch eine Schutzkleidung hat, dann ist es gleich doppelt und dreifach im Grunde genommen abgesichert.


Wir haben hier ein Problem, was glaube ich, insgesamt diskutiert werden muss: Nämlich wir


haben ja in den Altenheimen zunehmenden Impfschutz. Immer mehr Menschen, die einfach schon immunisiert sind, zweimal immunisiert sind, es gibt Altersheime, die sind schon bei 95 Prozent Quote. Und da ist wirklich die Frage wie lange soll man da noch so strenge Auflagen den Menschen zumuten? Und ich glaube, da wäre auch mal ein politischer Ruck notwendig, um zu sagen: Okay, wir gehen jetzt in diesen speziellen Situationen das Risiko ein, weil es einfach vernachlässigbar ist.



Camillo Schumann



Tragisch, sie konnte von ihrer Großmutter keinen Abschied nehmen. Naja.



Alexander Kekulé


Der Fall der Fall natürlich dann auch noch tragisch. Und ich nehme an, das ist auch der Grund, warum diese Zuschrift kam. Es gibt da noch keine allgemeinen Empfehlungen. Das ist ja so – da können wir vielleicht in diesem Podcast gelegentlich auch nochmal drüber sprechen – die CDC, die amerikanische Gesundheitsbehörde, die hat jetzt gerade aktualisierte Empfehlungen rausgegeben, wie sollen sich eigentlich Menschen, die zweimal geimpft sind, verhalten, und was soll den erlaubt werden und was nicht? Und wir drücken uns in Europa und in Deutschland um das Thema so ein bisschen rum, was ist mit Impfpass, was ist mit den Altenheimen, wie wird man da eigentlich damit umgehen mit der Situation, dass demnächst mehr Leute geimpft sind? Ich glaube, man sollte hier nicht ein weiteres Thema einfach aufschieben, bis es eine Eigendynamik bekommt. Sondern hier in die Zukunft blicken und das jetzt schon regeln. Zumindest mal die Diskussion wirklich offen führen, weil, ich glaube nicht, dass Menschen, die zweimal geimpft sind, unter den Urlaub fahren wollen – und wenn dann die EU sagt, ja, wir sind aber mit unserem Impfpass noch nicht so weit, den wir da, den wir da vorhaben – und die ganzen Staaten haben sich mal wieder nicht geeinigt, wie was sein soll und wie der aussehen soll und in welchen Ländern der „wie wo was“ anerkannt wird. Ich glaube, das wäre dann die nächste Belastungsprobe in das staatliche Ver-


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trauen. Und deshalb würde ich sagen, lieber jetzt darüber diskutieren, wie man das dann macht.



Camillo Schumann



Frau J. hat angerufen. Sie will stellvertretend für viele Menschen, die dieselbe Frage haben, folgendes wissen:


„Kann man schon ungefähr sagen, wie lange die Immunität nach einer Impfung im Durchschnitt anhält? Danke.“



Alexander Kekulé


Das kann man gar nicht sagen. Einige sagen, naja, ein halbes Jahr ist wahrscheinlich. Und andere sagen ich glaube drei Jahre mindestens. Die Frage ist, was versteht man unter Immunität, letztlich? Die Coronaviren, die so zirkulieren und Erkältungen machen, haben uns gelehrt, dass man sich mehrfach mit dem gleichen Virus infizieren kann. Das ist da so. Also alle 2 Jahre kann man sich mit dem Coronavirus wieder anstecken, obwohl es eigentlich nur 2 Arten gibt, die, die hauptsächlich dominant sind oder waren in Europa, bevor es SARS-Cov-2  gab. Deshalb wissen wir, man kann sich noch einmal anstecken. Aber: Da handelt sich ja um total harmlose Erkältungen. Und die Gretchenfrage ist, wird es bei einer Zweitansteckung mit SARS-CoV-2 , also irgendeine andere Variante, die dann eben noch einmal zuschlagen kann bei jemand, der eigentlich immun ist, wird es da die gleiche Krankheit wieder geben? Wird es dann so sein, dass man wieder so eine Sterblichkeit hat bei den über 80-Jährigen, die in den Bereich von zehn Prozent steigen kann? Oder ist es dann schon relativ harmloses Geschehen? Oder kommen wir in dieses relativ harmlose Geschehen vielleicht erst nach fünf Jahren, wenn die Menschen zum zweiten und zum dritten Mal infiziert wurden. Das ist völlig offen. Aber grundsätzlich würde ich davon ausgehen als Arbeitshypothese, weil ich immer Optimist bin bei diesen Dingen: Wer einmal COVID durchgemacht hat oder vernünftig geimpft wurde, dessen Wahrscheinlichkeit auch mit einer Variante zu sterben oder Ähnliches, mit einer Variation dann an der zu sterben oder schwerst zu erkranken, die ist einfach extrem gering.


2 0:2 1



Camillo Schumann



Frau G. hat gemailt. Sie ist Flugbegleiterin und Ende März steht möglicherweise der erste Langstreckenflug an. „Ausgerechnet nach Sao Paulo, Mutationsgebiet Nummer eins“, schreibt sie. Sie hat sehr gemischte Gefühle. Zum einen freut sie sich natürlich endlich wieder raus, aber sie hat Angst vor einer Ansteckung. Sie wird eine FFP2 -Maske während des Fluges tragen. Sie schreibt:


„Irgendwann werde ich auch meine Maske mal zum Essen und Trinken abnehmen müssen. Und dann könnte ich mich doch theoretisch mit sich in der Luft befindlichen Aerosolen anstecken. Ich halte nichts von unserer angeblich so tollen Luft an Bord, die sauberer als in einem OP-Saal sein soll, dank HEPA-Filtern, das ist meines Erachtens nur der Versuch uns als Crew und die Passagiere zu beruhigen. Macht aus Unternehmenssicht ja auch Sinn. Wie hoch schätzen Sie das Ansteckungsrisiko auf einem Langstreckenflug tatsächlich ein, Herr Kekulé? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Jetzt ist die Frage, kann man sich schützen durch eine FFP2 -Maske? Ja, natürlich, solange man die aufhat und richtig aufhat, kann man sich selbst schützen. Aber man muss die auch mal zwischendurch abnehmen. Ich kann jetzt dem Personal nur empfehlen: Nehmen Sie die eben dann ab, wenn sie in dem Bereich sind, wo jetzt nicht sich gerade die Passagiere vor der Toilette drängeln oder Ähnliches. Sondern man kann ja gerade in einem größeren Flugzeug auf der Langstrecke sich irgendwo zurückziehen. Und es ist jetzt nicht so, dass das Virus quasi sich um 2 0 Reihen irgendwo bis kurz vors Cockpit oder so verbreitet. Sondern es geht letztlich bei diesen Ansteckungen, sofern die Klimatechnik überhaupt funktioniert, darum, dass man sage ich mal, plus minus drei oder plus minus vier Reihen, das ist so der Gefahrenbereich. Es geht eher darum, dass sich Passagiere untereinander anstecken. Und vielleicht das eine noch bei den Passagieren ist es natürlich echt schwierig. Die sind ja nicht bei


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der Arbeit, die sind ja auch nicht dauernd wach. Gerade auf der Langstrecke schlafen dann viele, da verrutscht die Maske aus dem Gesicht. Und was soll man da machen? Und ich glaube auch, dass es so ist, dass die meisten Fluggesellschaften nur fordern, dass die Passagiere OP-Masken tragen. Also die dürfen die Maske abnehmen zum Essen und Trinken. Also ich glaube, die einzige Möglichkeit, eine Langstrecke halbwegs abzusichern, ist tatsächlich ganz kurz vor Abflug einen Test zu machen.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 159 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Dienstag, den 16. März wieder.



Alexander Kekulé


Gerne, bis nächste Woche, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de,rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00. Alle SPEZIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés CoronaKompass auf mdraktuell.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 11.03.2 02 1 #158: Impfreihenfolge unbedingt einhalten



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Donnerstag, 11. März 2 02 1. Links zur Sendung:


Studie: Hat der Lockdown Menschenleben gerettet? (05.03.2 02 1) https://www.nature.com/articles/s41598-02 184092 -1


Studie: Coronavariante B.1.1.7 ist tödlicher als das ursprüngliche Virus (10.03.2 02 1) https://www.bmj.com/content/372 /bmj.n579


DieKanzlerinsprichtvonnochdreibisvier schweren Monaten. Hat sie Recht?


Dann: Werden durch die Lockerungen die Intensivstation mit jüngeren volllaufen?  Außerdem:DerLockdownhabenichtsge-


bracht, und die B1117-Variante sei tödlicher als das ursprüngliche Virus. Stimmen diese Schlussfolgerung aus Beobachtungsstudien?


Und: Wenn es nach einer Impfung keine Impfreaktionen gibt, wirkt der Pieks dann überhaupt?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir müssen mit einer weniger erfreulichen Nachricht beginnen. Dänemark hat die Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca gestoppt. Bei mehreren geimpften Personen seien Komplikationen durch Blutgerinnsel aufgetreten. Das hat die Gesundheitsbehörde mitgeteilt. Der Stopp soll jetzt erst einmal 14 Tage andauern, und danach wird dann entschieden, wie es weitergeht. Die Europäische Arzneimittelbehörde untersucht das, kann aber im Moment noch keinen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Blutgerinnseln feststellen. Wie bewerten Sie diese Meldung?



Alexander Kekulé


Ja, das ist zunächst mal schwer zu sagen. Das sind halt 2 Fälle gewesen, ganz konkret. Und natürlich wird alles beobachtet, was im Zusammenhang mit Impfungen passiert. Und man muss grundsätzlich sagen, bloß weil eine Blutgerinnungsstörung kurz nach einer Impfung auftritt, hat es nicht notwendigerweise einen ursächlichen Zusammenhang. Andererseits waren die beiden Patientinnen um dies dagegen offensichtlich jünger. Und es gab keine anderen Faktoren, die das verursacht haben, zumindest keine offensichtlichen Faktoren. Jetzt muss man mal sehen, was dabei rauskommt. Die Frage ist halt immer was macht man in solchen Fällen? Wenn man eine Phase-III-Studie hat – das war ja bei AstraZeneca auch mal, sodass die unterbrochen wurde – dann wird man die normalerweise bei solchen Ereignissen unterbrechen, bis man geprüft hat, woran es gelegen hat. Bei AstraZeneca gab es mal neurologische Komplikationen bei einem Patienten. Es hat sich aber dann herausgestellt, dass das absolut nichts mit der Impfung zu tun hatte. Dann wurde der wurde die Studie fortgesetzt. Jetzt ist es so ein bisschen ein Politikum, ob man in einer Situation – wir haben ja jetzt eine Post-Marketing-Studie quasi – so eine Situation, wo der Impfstoff draußen ist, wie ernst man das nimmt. Da hat eben AstraZeneca einfach dadurch, dass die ursprünglichen Zulassungsdaten unklar waren, dadurch, dass einige Länder ja nach wie vor wie Kanada zum Beispiel bei älteren Menschen das nicht empfiehlt, in USA haben sie ja noch gar keinen


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Zulassungsantrag gestellt, weil die FDA, die USBehörde, signalisiert hat, dass weitere Studien notwendig sind. Und dass sie das so nicht akzeptieren würden. Wir wissen, dass diese weitere Phase-III-Studie eigentlich die ganz große Studie, die jetzt von den USA hauptsächlich gefordert wurde, die läuft gerade noch, die wird so wahrscheinlich in vier bis acht Wochen dann fertig sein. Und die wird in den USA gemacht. Und dort ist es so, dass man nicht genau wusste, welche Dosis man nehmen soll, weil es heißt, wenn die erste Dosis reduziert wird, dann ist der Impfstoff erstaunlicherweise besser wirksam. All diese Dinge sind so als Fragezeichen rund um diesen AstraZenecaImpfstoff herum vorhanden. Die FDA hat speziell die Frage gestellt, wie ist es mit der Methode, wie AstraZeneca produziert? Die haben ja die sogenannte distribuierte, verteilte Produktion. Das heißt, sie haben ganz viele Hersteller auf der Welt, unter anderem das Serum Institut in Indien, die Substanzen liefern. Sodass dann die FDA sagt, da ist nicht so klar zuzuordnen, welche Charge des jetzt war. Und dieses Thema Charge ist ja auch in Österreich die Frage: War das vielleicht nur einen Fehler in einer Charge oder hat es gar nichts mit dem Impfstoff zu tun? Naja, und in dieser Gesamtgemengelage entscheidet die eine Kommission so und die andere Kommission so. Die Dänen haben ja auch genug BioNTech-Impfstoff, die sagen, wir lassen das mit AstraZeneca erstmal. Und Länder wie Frankreich und Deutschland, die von Brüssel abhängig sind, für die wäre die Entscheidung natürlich viel schwerwiegender hier zu stoppen, auch aus psychologischen Gründen. Darum finde ich es eigentlich richtig, erst mal abzuwarten und wegen 2 solcher Komplikationen nicht sofort die Pferde scheu zu machen.


04:41



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen, Komplikationen gehören ja leider Gottes mit dazu. Das Paul-EhrlichInstitut in Deutschland untersucht genau das, hat einen Blick auf die Komplikationen bei Impfstoffen und untersucht dann die Sicherheit. Da gibt es ja regelmäßig einen Sicherheitsbericht, den kann man sich herunterladen. Der letzte ist vom 04. März, den nächsten wird es am 18. März geben. Da werden auch


Todesfälle dokumentiert, insgesamt bisher 330. Und dann kommt auch keiner auf die Idee, den BioNTech-Impfstoff zu stoppen.



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau der Punkt. Wir unterscheiden aber so ein bisschen. Also ein reiner Todesfall ist ja gerade, wenn man viele alte Menschen impft, im Zusammenhang mit der Impfung, also im zeitlichen Zusammenhang praktisch eine Nullaussage. Menschen sterben nun mal von Zeit zu Zeit. Und wenn die zufällig vorher geimpft wurden, hat es zunächst mal nichts zu bedeuten. Wir haben aber auch Nebenwirkungen, die heißen dann meistens bei den Studien: besondere Nebenwirkungen oder Special Interest, Nebenwirkungen von besonderem Interesse. Zu denen gehören eben typischerweise neurologische Komplikationen und eben auch Gerinnungsstörungen. Dass ist sozusagen schon auf der Liste der Nebenwirkungen, die man sich dann ganz genau ansieht, weil die eben jetzt nicht normalerweise so rein zufällig „aus heiterem Himmel“ kommen, vor allem, wenn es jüngere Patienten sind. Oder andersherum gesagt man muss sich das genau anschauen. Aber man muss ja auch sehen, mit dem AstraZeneca-Impfstoff sind ja weltweit viele, viele Millionen Menschen geimpft worden. Und überall sind das Notfallzulassungen, um es noch einmal zu sagen: Auch bei uns in Europa ist es eine Notfallzulassung und keine reguläre Zulassung. Das hat zur Folge, dass man eben dokumentieren muss, welche Nebenwirkungen auftreten und zwar akribisch. Und ich finde in diesem Gesamtkonzert, wenn man, dass die gesamten Zahlen sich anschaut, sind jetzt diese 2 Fälle – selbst wenn die assoziiert wären – müsste man sagen, na gut, dann hat man Millionen, wo nichts passiert ist. Und zweimal gab es diese Komplikation. Selbst das würde alleine noch nicht dagegensprechen, diesen Impfstoff zu verwenden.


06:42 



Camillo Schumann



Und nochmal sozusagen als Gegenbeispiel aus dem Sicherheitsbericht des Paul-EhrlichInstituts. Bisher wurden eben in Verbindung mit dem BioNTech-Impfstoff 2 6 Fälle von Schlaganfällen bei Schlaganfällen bzw. mit Symptomen, die auf einen Schlaganfall hindeuten gemeldet, am Impftag selber oder bis zu 14


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Tage danach. Also wird sozusagen möglicherweise auch assoziiert. Also, es gibt sozusagen ja sehr, sehr viele auch mögliche Nebenwirkungen, wo man sich 100 Prozent und eindeutig dann den Rückschluss auf die Impfung führen kann.



Alexander Kekulé


Ich würde es sogar umgekehrt sagen. Da gibt es keinen Hinweis, erst mal darauf, dass da ein kausaler Zusammenhang ist. Das ist bei so einem Schlaganfall auch so. Das ist eine typische Erkrankung des höheren Lebensalters. Wir haben ja in Deutschland auch die Devise ausgegeben, dass ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen geimpft werden sollen. Das heißt also auch solche mit hohem Blutdruck unter Umständen. All das führt natürlich dazu, dass dann häufig auch mal Schlaganfall Auftritt.



Camillo Schumann



Genau die Patienten dort waren im Alter zwischen 2 8 und 99 Jahren. Und da weiß man dann auch nicht genau wie viele waren es dann eigentlich.



Alexander Kekulé


Das ist immer so ein bisschen die Politik. Ich bin da nicht so glücklich, dass man diese Dinge nicht transparent macht. Ich finde, man müsste das wirklich dann auch wirklich offenlegen, wie alt die Leute genau waren. Aber ich sag mal so, die Hoffnung besteht natürlich, dass das Paul-Ehrlich-Institut, das die Daten hat, sich dann wirklich da drüber beugt und sagt, okay, wir sehen hier keinen Zusammenhang. Dass das jetzt nicht so veröffentlicht wird und von Dritten dann nicht so nachvollziehbar ist. Ja, das ist eben Politik in dieser Situation.


08:2 3



Camillo Schumann



Aber von ihnen, um dann noch mal ein Strich drunter zu ziehen. Jetzt nicht, Hände weg von dem AstraZeneca-Impfstoff wegen dieser Meldung aus Dänemark?



Alexander Kekulé


Ja, also ich kann Ihnen in dem Fall ausnahmsweise aus der Schule plaudern, ganz konkret. Es ist so, dass meine eigene Mutter mich gefragt hat, ob sie sich damit impfen lassen soll, und ich gesagt habe: Ja, mach es.



Camillo Schumann



Prima. Also eindeutiger geht es kaum. Herr Kekulé, heute vor genau einem Jahr, am 11. März 2 02 0, hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch des Coronavirus zur Pandemie und damit ja zur weltweiten Bedrohung erklärt. Und seitdem bestimmt die Pandemie unser Leben. Wir unterhalten uns seit fast einem Jahr darüber. Und die Kanzlerin hat bei einer Digitalkonferenz nun folgende, ich sage mal so, halb düstere Prognose abgegeben:


„Man sieht doch Licht am Ende des Tunnels. Das sind jetzt noch drei, vier schwere Monate, März, April, Mai, Juni, und dann werden wir mit dem Impfen so weit sein, dass wir dann wirklich richtig Effekte auch sehen des Impfens. Und ich glaube, dann wird es deutlich besser. Aber im Augenblick fällt jeder Tag schwer, das merkt man ja jedem an. Und wenn der Frühling kommt, dann ist es auf der einen Seite leichter, aber auf der anderen Seite auch noch einmal wieder schwerer, weil man die ganzen Einschränkungen so spürt.“


Die Kanzlerin schwört die Menschen auf noch drei bis vier schwere Monate ein. Würden Sie sich dieser Prognose anschließen?



Alexander Kekulé


Ich kann da gar keine Prognosen machen. Die Monate sind ja jetzt so schwer, weil die Politik Fehler gemacht hat. Das muss man ja klipp und klar sagen. Nicht nur die deutsche, auch die EU. Und daher ist es auch ein bisschen die Prognose, die Frage wieviel weitere Fehler werden noch gemacht? Und wenn die Bundeskanzlerin der Meinung ist, dass sie bei den nächsten Sitzungen mit ihren Ministerpräsidenten tolle Ergebnisse liefert, dann läuft es besser, dann ist Licht am Ende des Tunnels. Und sonst, ja, wie düster ist es eigentlich hier, wenn das Licht nur am Ende des Tunnels ist? Ich kann, da ich kann da wenig zu sagen, weil, der Unsicherheitsfaktor ist hier wirklich nicht das Virus, sondern die Politik.


10:18



Camillo Schumann



Drei bis vier Monate hat die Kanzlerin gesagt, das ist ja auch die Zeit, in der die Impfungen dann hochgefahren werden sollen. März noch mal eine Durststrecke, im April, so sagt die


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Politik, soll es dann deutlich mehr Impfstoffe geben, dass dann auch in der in der Fläche geimpft werden kann, dann bei den Hausärzten. Dann heute soll ja Johnson und Johnson die EMA Zulassung bekommen. Und ab April dann auch die Hausarztpraxen. Wenn die Hausärzte dann auch mit einsteigen und bis zu 5 Millionen Impfungen geben könnten, pro Woche, sollte dann auf die Impfreihenfolge verzichtet werden? Was meinen Sie?



Alexander Kekulé


Ja, das ist eine Diskussion, die, die ich gar nicht verstehen kann. Wir haben eigentlich in Deutschland so relativ, sage ich mal, mit deutscher Gründlichkeit systematisch angefangen und gesagt, wir fragen erst einmal den Ethikrat, die Ständige Impfkommission und noch ein paar andere übliche Verdächtige, was sie empfehlen hier für eine Reihenfolge. Das war schon sehr gründlich, weil eigentlich in den Pandemieplänen schon immer drin stand, die Alten zuerst. Oder die Risikogruppen zuerst, und das sind in dem Fall die Alten. Das wurde also dann bestätigt. Dann hat man gesagt nicht ganz überraschenderweise, die Alten sollen zuerst geimpft werden. Ich gehe über diesen ursprünglichen Vorschlag sogar noch deutlich hinaus, indem ich immer noch diese Forderungen habe – und ich halte das aufgrund der neuen Daten immer klarer für das Richtige – dass man sogar so weit geht und sagt, die Alten zuerst mit einmal BioNTech impfen oder Moderna, also mit dem RNA-Impfstoff, meinetwegen auch AstraZeneca, wenn es jetzt für Ältere in Deutschland empfohlen wird. Da ist ja die Ständige Impfkommission so mehr oder minder dazu genötigt worden, das jetzt möglichst schnell durchzuwinken. Aber dass man einfach sagt, wir gucken jetzt nicht darauf, ob wir die zweite Dosis haben, in sechs Wochen oder in der vorgeschriebenen Zeit, in den maximal drei Monaten jetzt dann bei AstraZeneca. Sondern dass man wirklich sagt, wir impfen erst mal alle einmal, weil der Effekt so eindeutig ist aufgrund der Studie. Statt in diese Richtung zu gehen, die zugegeben außer mir kaum jemand vertritt, zu sagen: Wir machen jetzt quasi das Gegenteil, wir nehmen jetzt noch mehr Impfstoff für andere Bevölkerungsgruppen. Es sind ja sowieso schon ganz viele von den BioNTech-Impfstoff verwendet worden,


für Polizisten, für Sanitäter, für Krankenhauspersonal und so weiter. Also lauter jüngere Leute in der Regel, was ja zunächst mal abweicht von der ursprünglichen Empfehlung. Also ich halte gar nichts davon, sondern ich meine, der Effekt, den wir wirklich zeitig erzielen können, zeitnah erzielen können und der uns die Lage komplett entspannen würde, ist, dass weniger gestorben wird. Und das heißt, das die Alten geimpft sein müssen. Das ist das Erste und Wichtigste, was man machen kann. Wenn die Kanzlerin gerade sagte wir werden dann einen Effekt von dem Impfstoff sehen, hat sie sich nicht festgelegt, ob sie damit meint, weniger Sterblichkeit bei den Alten, das sehen wir ja jetzt schon. Oder ob sie damit meint, einen echten, epidemischen Effekt im Sinne von Herdenimmunität. Ich glaube, sie hat diese Frage absichtlich offengelassen, weil Letzteres nicht klar ist in drei Monaten. Das hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel, wie viele Leute sich impfen lassen wollen. Und ich glaube, was aber ganz einfach und ganz sicher zu erreichen ist, ist wirklich die Alten zu schützen. Und darum bin ich absolut dagegen, von dieser Empfehlung, die ja auch die Empfehlung der Ethikkommission war, des Deutschen Ethikrats war, jetzt abzuweichen.


13:47



Camillo Schumann



Also werden Sie dann auch das Vorgehen im sächsischen Vogtland, alle Einwohner ab 18 Jahren ab dieser Woche zu impfen, wegen der hohen 7-Tage-Inzidenz von 2 51 also auch eher kritisch sehen?



Alexander Kekulé


Ja, da haben wir schon darüber gesprochen. Also solche Riegelungsimpfungen nennt man so was ja dann, dass hat dann einen Sinn, wenn Sie eine Krankheit haben, in einem abgegrenzten Gebiet. Das haben wir in Westafrika uns gewünscht, bei dem Ebola-Ausbruch, um den einzudämmen. Das war in einem ganz umgrenzten Gebiet, auch wenn es damals drei Länder betroffen hat. Das haben wir auch aktuell bei dem in der Situation im Ostkongo. Da ist ein schwerer Ebola-Ausbruch gewesen, wo solche Riegelungsimpfungen – es gibt ja ein Ebola-Impfstoff, die inzwischen Erfolg hatten, zumindest einen Teilerfolg hatte – und das hätte einen Sinn gehabt, wenn wir den Impf-


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stoff hatten, als damals in Norditalien der Ausbruch war und die berühmte Zona rossa dort errichtet wurde. Wenn man in dieser roten Zone quasi alle einsperrt und alle impft und dann wieder aufmacht, dann ist es sinnvoll. Aber ich muss Ihnen nicht erklären, warum man das Vogtland nicht einsperren kann und warum das auch keine rote Zone in dem Sinn ist, weil wir ja außen rum auch lauter Infizierte haben. Und wir werden dort auch durch so eine Impfung, so eine Impfkampagne jetzt keine Herden-Immunität erzeugen. Und so eine Herdenimmunität, die quasi sich auf einen, im deutschen Register quasi registrierten Landkreis bezieht, die interessiert das Virus null. Ja, und deshalb halte ich davon nichts. Das ist eine Verschwendung von Impfstoff. Im Gegenteil, das könnte dazu führen, dass die Leute, die aus welchen Gründen auch immer, sich so verhalten haben, dass es viele Infektionen gab, die dann noch weniger einsehen, warum sie sich vernünftig verhalten sollen. Und das weicht natürlich die Lage auf. Ja, wenn jetzt jeder niedergelassene Arzt das selber entscheiden soll, wen er zuerst impft, na ja, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wer am meisten drängelt, dann kommen dann irgendwelche jungen Leute und sagen, ich will aber geimpft werden und denken im Hintergrund an ihrer Sommerreise auf dem Fährschiff oder auf dem Kreuzfahrtschiff oder Ähnliches. Und wir wissen ja, dass Ärzte selbst bei Krankschreibungen relativ leicht weichzukochen sind, weil die natürlich auch ihre Patienten behalten wollen. Und da halte ich gar nichts davon, wenn das dann quasi so komplett unsystematisch verläuft und dann eben die, die bisher ja immer noch knappen Impfstoffe dann nicht optimal eingesetzt werden.


16:16



Camillo Schumann



Und im Fall von Vogtland müsste man ja dann sich möglicherweise auch von der 7-Tage-Inzidenz die für die gesamte Region gilt, dann auch sich mal die Inzidenzzahlen einzelnen Altersgruppen mal anschauen, oder? Um dort dann gezielt dann auch vorzugehen.



Alexander Kekulé


Ja, aber ich würde gar nicht so weit gehen. Es müssen auch politisch einfache, pragmatische Lösungen her. Und in der jetzigen Situation ist


es einfach extrem verfahren. Unsere Großwetterlage ist ja die: Wir haben auf der einen Seite drei Gegner, die wir nicht in Griff bekommen. Die drei Gegner heißen:


(1) Infektionen am Arbeitsplatz, das ist wahrscheinlich das Hauptproblem, was wir im Moment noch haben. (2 ) Der zweite große Gegner, den wir haben, ist, dass wir Menschen haben, die sich nicht an die Regelungen halten. Also, das nimmt, massiv zu, also die abnehmende Zustimmung zu den Maßnahmen.


(3) Und das Dritte ist, dass wir durch die Öffnungen der Schulen jetzt natürlich dort einfach quasi das Tor offen haben, die Schleuse offen haben und nicht genau wissen, was da reinkommt. Die Daten sehen so aus, als würden jetzt zunehmend auch in Grundschulen solche Ausbrüche stattfinden.


Das sind unsere Probleme auf der einen Seite und auf der anderen Seite, also, das würde der Wissenschaftler so benennen. Und auf der anderen Seite haben wir eine politische Stimmung im Land, des kann man ja nicht verneinen, speziell bei den Ministerpräsidenten, die einfach Richtung Öffnung drängt. Und in dieser Lage muss man einfach überlegen was ist pragmatisch? Sie können ja weder dem Virus sagen, was es machen soll, noch offensichtlich den Ministerpräsidenten sagen, was sie machen sollen. Zumindest der Kanzlerin gelingt es nicht. Und für mich ist die pragmatische Lösung einfach zu sagen, gut, wir stellen wenigstens das Sterben ab, indem wir die Alten priorisiert impfen. Das ist das Einzige, was man sozusagen per Dekret machen könnte, ohne die Zustimmung von allen möglichen Leuten zu brauchen. Und deshalb bin ich schon fast ein bisschen verzweifelt, dass dieser Vorschlag keine Mehrheit findet. Alles andere wird weiter, sage ich mal rumstümpernd sein, wie bisher auch. Und deshalb bin ich dagegen jetzt zu überlegen, bei welcher Inzidenz in welcher Altersgruppe könnte man was machen? Das weicht die einfachen Lösungen nur auf.


18:2 7



Camillo Schumann



Wir werfen einen Blick auf das Infektionsgeschehen. 14.356 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet, 2 .500 mehr als vor einer Woche. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz, die


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es die stieg von 65 gestern auf heute 69. Während die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz steigt, nimmt sie in der Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Risiko weiter ab von Woche zu Woche. Bei den 60-79-Jährigen liegt sie bei 42  mittlerweile und bei den über 80-Jährigen bei 48. Diese Inzidenz koppelt sich mittlerweile sehr, sehr deutlich vom restlichen Infektionsgeschehen ab. Das ist doch eigentlich ein wunderbarer, gegenläufiger Trend. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, aber das ist genau der Beleg dafür, dass das, was ich gerade gesagt habe, stimmt. Wir haben eben einerseits diese drei Probleme in der Bevölkerung, die zu einer Zunahme der Fälle führen. Wir haben ja eben, dass die Inzidenz steigt, das ist völlig klar und quasi so sicher wie das Amen im Gebet, weil wir ja geöffnet haben, schon in Schritten geöffnet haben vor einiger Zeit und jetzt die Schulen aufgemacht haben und so weiter. Und da wird die Inzidenz weiter steigen. Und wenn wir verhindern wollen, dass da hinten dran dann auch die Sterblichkeit wieder ansteigt, müssen wir eben die Alten schützen. Und dass das mit der ersten Dosis schon funktioniert, zeigen die Zahlen, die Sie gerade genannt haben. Und deshalb ist es für mich der goldene Weg, die Via Regia, der Königsweg, um jetzt in den Sommer hinein zu kommen.


19:53



Camillo Schumann



Einige Kollegen und Kolleginnen von Ihnen, die warnen jetzt aber, dass durch die jetzt beschlossene Lockerung die Krankenhäuser wieder volllaufen könnten, und zwar mit Menschen zwischen 50 und 80. Dazu bekommen wir auch sehr viele Zuschriften. Frau S. zum Beispiel fragt:


„Ich höre immer wieder von anderen Virologen und Ärzten, dass zunehmend jüngere Menschen auf der Intensivstation landen werden, sobald die Älteren alle geimpft sind. Auch in Großbritannien sollen angeblich zunehmend Kinder und junge Erwachsene erkranken. Gibt es denn dazu belastbare Zahlen, zum Beispiel aus Großbritannien, die diese Entwicklung stützen würden? Für eine Antwort wäre ich sehr dankbar. Viele Grüße, Frau S.“



Alexander Kekulé


Das hat mehrere Aspekte. Also der eine ist ja, wir haben natürlich bei den Ältesten angefangen zu impfen. Und wir sind noch lange nicht durch in Deutschland. Das muss ich hier, glaube ich, nicht noch einmal anprangern. Das ist ja im politischen Raum angekommen, dass wir da organisatorisch und von Bestellungen her zu den Schlusslichtern gehören, übrigens auch innerhalb der EU nicht gut dastehen. Und dadurch haben wir natürlich, wenn Sie so wollen, eine Impflücke bei den Leuten, die unter 80 sind. Über 80 ist es auch noch nicht fertig. Ich weiß nicht genau die Zahlen, aber ich glaube, da sind wir in der Größenordnung von 30 Prozent, die zweimal geimpft sind. Aber bei den unter 80-Jährigen ist völlig klar, da haben wir eine Impflücke. Und diese Sterblichkeit nimmt ja zu, sage ich mal, ungefähr ab 60 nimmt sie langsam zu. Ab 65 bis 70 nimmt es dann richtig Fahrt auf, sodass wir vor allem die Gruppe zwischen 70 und 80, da ist die wichtigste Lücke, weil das Personen sind, die noch keine Impftermine haben, die noch keine Erstimpfung bekommen haben, weil man Wert daraufgelegt hat, erst mal alle anderen zweimal zu impfen. unbedingt, weil das eben irgendwie mal empfohlen wurde und die sind nicht geimpft. Und die haben aber auch ein hohes Risiko. So gesehen stimmt es, wenn die sich jetzt nicht schützen würden, dann hätten wir dort einen Anstieg der Infektionen. Ich bin da aber nicht so pessimistisch, wie meine Kollegen. Ich weiß, dass da zum Teil wirklich kassandrahaft der Teufel an die Wand gemalt wird. Ich bin da nicht so pessimistisch, weil ich einfach glaube, dass bei uns die über 70Jährigen, die über 65-Jährigen vielleicht, wenn Sie die unbedingt mit reinnehmen wollen, die kennen das Problem inzwischen. Die schützen sich. Die haben sich besser geschützt in der Vergangenheit als früher, als am Anfang. Ich rede jetzt nicht von denen, die in Heimen sind, die auf fremde Hilfe angewiesen sind. Aber in den Heimen sind wir ja auch relativ weit mit der Impfquote. Darum wird die ja auch von Bundesgesundheitsminister immer genannt, quasi speziell die Quote in Heimen, weil die besser aussieht als die Quote insgesamt bei den Altersgruppen. Ich glaube aber, dass die, die nicht in Heimen wohnen, sich tendenziell ganz gut schützen. Und meine Hoffnung ist,


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dass da die Vernunft der Menschen dazu führt, dass sie noch eine Weile quasi aushalten in dieser Situation und dass es dort nicht zu diesem Anstieg von Infektionen und dann auch zu der Sterblichkeit kommt.


Bei der Frage war noch ein zweiter Aspekt da drin, ein ganz anderes Thema. Das ist die Frage: Gibt es inzwischen in England, speziell durch B1117, eben die dortige Variante, gibt es vermehrt schwere Infektionen bei jüngeren Menschen? Ja, es gibt immer wieder Gerüchte, die in diese Richtung gehen, Leute, die das behaupten. Immer wenn man sich die Daten, die das angeblich stützen sollen, ganz genau anschaut, muss man sagen, aus den Daten ist das nicht eins zu eins ablesbar, dass speziell jüngere Leute schwerer erkranken. Da können wir ausführlich darüber sprechen. Aber die kurze Antwort auf diese Frage der Hörerin ist, dass es bisher keine sauberen Daten dafür gibt, die dafürsprechen würden, dass diese Variante bei jüngeren Leuten vermehrt auftritt und dann auch schwerere Erkrankungen dort macht.


2 3:34



Camillo Schumann



Genau, da gibt es eine Studie. Die werden wir gleich noch besprechen im Podcast. Ein kleiner Schritt zurück: Die Menschen, die an COVID-19 sterben, waren ja bisher überwiegend Menschen in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Nur ein geringer Anteil in den Krankenhäusern. Dort liegen vor allem die Menschen über 60 und auch mit Vorerkrankungen. Die meisten bis 70 erholen sich auch wieder. Das hat mir das DIVI Intensivregister auch noch einmal bestätigt und auch darauf hingewiesen, dass aktuell kein Trend zu erkennen sei, das Jüngere ins Krankenhaus wegen COVID-19 müssten. Und sollte das der Fall sein, dann würde man ja auch sofort darauf hinweisen, dass auch sozusagen nur noch als Einschub.



Alexander Kekulé


Doch, das ist ein wichtiger Einschub. Da ist nämlich folgende Ergänzung dazu zu bringen. Es ist so, dass nach den aktuellen Daten, die sind in Deutschland leider nach wie vor unvollständig. Aber nach der Schätzung, die wir haben, sind wir jetzt schon in der Lage, dass wir über 50 Prozent der neuen Infektionen mit dieser britischen Variante B1117 haben, in


Deutschland. Das Robert Koch-Institut sagt zumindest – es ist ein bisschen Kaffeesatzlesen, weil wir viel zu wenig Daten haben, über das Thema haben wir auch schon oft gesprochen – aber nach den Daten, die vorhanden sind, sagen die, es sieht so aus, als wäre das inzwischen schon die dominante Variante. Wenn man also jetzt das zusammenführt und sagt okay, nehmen wir mal an das Robert Koch-Institut hat das hier richtig interpretiert. Wir haben in Deutschland jetzt schon Dominanz von B1117, so wie in England, und bei uns steigen aber nicht die Infektionen, steigen weder die Infektionen noch vor allem die schweren Erkrankungen bei jüngeren Menschen, dann muss man sagen, deutet das darauf hin, dass diese Befürchtung, die da aus England quasi per Flüsterpost rüber geschwappt ist, nicht stimmen muss. Zumindest, dass sie bei uns nicht bestätigt wird.


2 5:12 



Camillo Schumann



Wir schauen und noch eine andere Zahl an: Die Zahl der Patienten, die wegen COVID-19 auf der Intensivstation behandelt und etwa die Hälfte davon auch beatmet werden muss. Die ist in den letzten Wochen von dem Peak 6.000 auf jetzt rund 2 .700 Jahr spürbar zurückgegangen. Allerdings, und jetzt wird es interessant, stagniert der Rückgang seit ein paar Tagen auch mit leichter Tendenz nach oben – natürlich immer noch gewisse Schwankungen. Sozusagen der große Rückgang in großen Schritten, der ist, so wie es aussieht, erstmal gestoppt. Was vermuten Sie? Ist es so ein Zwischenmoment, wird es weiter runtergehen? Oder wie kann man, könnte man das erklären?



Alexander Kekulé


Man schaut natürlich genau auf diese Zahlen. Die sind ganz wichtig, weil die ja so ein bisschen, wenn ich mal so sagen darf, das Fieberthermometer unserer Republik sind in diesem Zusammenhang: Wie viele Leute liegen auf der Intensivstation? Wieviel werden beatmet, wie viel sterben? Die wahrscheinlichste Interpretation aus meiner Sicht – aber das ist jetzt wirklich ein bisschen spekulativ, da muss ich mich fast für entschuldigen – aus meiner Sicht ist es so, am wahrscheinlichsten ist es so, dass wir hier den Effekt haben, dass wir am Anfang das Ergebnis der Impfungen gesehen haben, also


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vor allem bei den Alten. Dadurch ist es erst mal runter gegangen und es nehmen aber zugleich natürlich die Infektionen zu. Durch die Lockerungsmaßnahmen haben wir eine höhere steigende Inzidenz, und das wird die nächsten Wochen, bis uns der Sommereffekt dann hilft, auch noch so sein. Und jetzt kann man sich das so vorstellen, dass da quasi 2 Kurven sich kreuzen. Auf der einen Seite haben Sie den Effekt durch die Impfung, beginnend bei den Ältesten. Und Sie haben den Effekt durch die zunehmenden Infektionszahlen. Und es könnte sein, dass das, was wir hier sehen, dieses Plateau bei den Schwersterkrankten auf den Intensivstationen schon ein Hinweis darauf ist, dass diese beiden Kurven sich kreuzen. Oder andersherum gesagt, dass wir zu langsam impfen, um die Lockerungen, die wir haben, abzufangen.



Camillo Schumann



Das wird sich in den nächsten zwei, drei Wochen dann verstetigen.



Alexander Kekulé


Und dann wird es so sein. Wenn jetzt das tatsächlich so ist, dass die Fallzahlen dann, wo auch auf alle Daten hindeuten, dann wieder ansteigen. Dann wird es so sein, hören Sie meine Worte: Die Politik wird nicht sagen, das waren unsere Lockerungen, sondern sie werden sagen, das war die Variante. Weil, dieses Argument hat schon in England gezogen. Boris Johnson hat das gemacht, hat in Irland gezogen, hat in Portugal gezogen, in Südafrika, überall war es immer die Variante und nicht die Lockerungen, die zu den Steigerungen geführt haben.


2 7:41



Camillo Schumann



Die Argumentation ist mir eigentlich egal. Der Biergarten bleibt zu, das ist das Problem.



Alexander Kekulé


Aber für die Politik ist das ein wichtiger Unterschied, weil in demokratischen Systemen, da ist ja insgesamt so, dass wir jetzt eigentlich schon politisch gesehen in einer Phase sind, wo es gar nicht mehr so auf die – ich habe den Eindruck, die wissenschaftlichen Ratschläge, die am Anfang so ganz wichtig waren, wo jeder gesagt hat, der und der Virologe hat das sind das gesagt, darum mache ich das – inzwischen


hat eigentlich die Politik das Heft wieder in der Hand. Was aber auch zur Folge hat, dass ein Teil der Energie dafür verwendet wird, jetzt schon mal dafür zu sorgen, dass die Geschichte so geschrieben wird, dass bestimmte Leute nicht schuld waren an dem ganzen Problem.



Camillo Schumann



Ja, damit sind wir beim nächsten Thema: Beobachtungsstudien. Es gibt aktuell zwei, die in den sozialen Netzwerken viel geteilt werden. Das kann ich auch gut verstehen, denn die Überschriften klingen auch sehr, sehr dramatisch und sehr, sehr drastisch. Zum einen eine Studie aus Großbritannien: „CoronavirusVariante B117 tödlicher als das ursprüngliche Virus“ und „Lockdowns haben die Corona Todesfälle weltweit nicht gesenkt“. Also 2 sehr, sehr starke Überschriften, Herr Kekulé, erst mal so grundsätzlich: Was sind denn die Vorteile und was sind die Nachteile solcher Studien? Habe ich die Nachteile eigentlich schon gerade genannt?



Alexander Kekulé


Die Überschriften sind die Nachteile, das ist gar nicht schlecht der Satz. Es ist halt so ja, wir haben grundsätzlich die Möglichkeit, wissenschaftliche Daten durch Experimente zu erheben. Experiment ist immer so definiert, dass der Experimentator die Lage halbwegs kontrolliert. Er plant das Ganze. Solche Experimente werden vorgeschrieben, weil die die sicherste Aussagekraft eigentlich haben, insbesondere für Zulassungsstudien. Man nennt das dann nicht Experiment, weil das irgendwie sonst so klingt, als würde man Menschenexperimente machen. Aber das ist dann die sogenannte kontrollierte klinische Studie. Da überlege ich mir vorher: Wie mache ich das genau? Wie kontrolliere ich mögliche Störungen? Wie sorge ich dafür, dass das Ergebnis wirklich interpretierbar ist? Ich suche die Personen, die ich dann teilnehmen lasse nach einem bestimmten Schema aus, rechne vorher aus, wie viele Teilnehmer brauche ich in welchem Zeitraum, um ein statistisch brauchbares Ergebnis rauszuholen. So was lieben Wissenschaftler, das Experiment. Aber leider ist es ja oft so, dass man eben Dinge nicht experimentell erforschen kann. Und da braucht man stattdessen die Beobachtungsstudie. Und das ist dann eine Studie, die quasi empirisch ist, wo man dann


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sagt: Okay, ich habe bestimmte Daten, die sind einfach vorhanden, zum Beispiel aus Bevölkerungsregistern, aus Krankheitsregistern, Aufnahmen im Krankenhaus. Und diese Daten führe ich dann zusammen und versuche da, Korrelationen herzustellen. Da ist das Eine ganz wichtige, was man wissen muss: Eine Beobachtungsstudie kann definitionsgemäß – das haben sich quasi Philosophen mal überlegt – niemals eine kausale Aussage machen. Also das eine ist assoziiert mit dem anderen, sagen wir. Das heißt es, es hängt irgendwie statistisch zusammen. Aber es ist nicht klar, ob es kausal ist. Das ist die größte Schwäche. Und die, dass man keine kausalen Zusammenhänge machen kann und dass man bei den Beobachtungsstudien halt immer irgendwelche Faktoren haben kann, die man nicht kontrolliert hat, wir nennen die Confounder, und die können einem die ganze Studie verhauen, vor allem, wenn man kleine Effekte sieht, beobachtet. Der Vorteil der Beobachtungsstudie ist, dass man typischerweise sehr große Zahlen hat. Wenn sie eine Zulassungsstudie machen, haben wir ja schon ein paar Mal darüber gesprochen, dann ist 40.000 Teilnehmer – 2 0.000 kriegen den Impfstoff, 2 0.000 nicht – das ist schon sportlich, auch von dem ganzen Aufwand her und so weiter. Wenn Sie eine Beobachtungsstudie machen, zum Beispiel von Impfstoffen, die schon verimpft werden, können Sie locker auf 2  Millionen gehen oder so. Weil, es werden halt einfach wahnsinnig viele Leute geimpft. Und dann werten Sie das irgendwie statistisch aus, sodass die Stärke von Beobachtungsstudien eigentlich die große Zahl ist. Das ist aber auch dann immer so ein bisschen – vielleicht ein letztes Wort zu den allgemeinen Dingen – die Versuchung für die Leute, die so etwas machen. Weil man so große Zahlen hat, kriegt man rein von der Mathematik her schnell ein sogenanntes Signifikanzniveau. Also statistisch gesehen führen große Zahlen dazu, dass das Ergebnis dann mathematisch statistisch gesehen signifikant ist. Und das verwechseln dann manche Leute mit „bewiesen“. „Signifikant“ heißt aber nicht, dass es bewiesen ist, sondern dass die Mathematik funktioniert hat.


32 :12 



Camillo Schumann



Und wir kommen jetzt mal zu so einer großen


Zahl und einer aktuellen Studie aus Großbritannien. Die Überschrift: Welches Risiko geht eigentlich von den Virus-Mutationen aus? Die Daten von rund 110.000 Patienten wurden ausgewertet. Die Teilnehmenden waren mindestens 30 Jahre alt, der überwiegende Teil war jünger als 60. Es handelt sich also um eine Gruppe mit vergleichsweise niedrigem Risiko im Falle einer Corona-Infektion. Insgesamt wurden dann 55.000 Paare daraus gebildet mit jeweils einer Person, die sich mit dem herkömmlichen Virus infiziert hat, und die andere mit der B1117-Variante. Und jetzt steht es überall geschrieben auf den großen OnlinePortalen: Von jenen, die mit einer herkömmlichen SARS-CoV-2 -Variante starben, in einem Zeitraum von vier Wochen nach der Diagnose, waren das 2 ,4 von 1.000, und bei denen, die mit der B117 infiziert waren, waren es 4,1 von 1.000. Und dann steht dann als Fazit: „Das Risiko, an den Folgen der Infektion zu sterben, ist also um 64 Prozent gestiegen.“ So steht es auf den Online-Portalen. Wie lesen Sie diese Studie?



Alexander Kekulé


Diese Studie ist ganz interessant. Man kann an der Stelle mal ein bisschen auseinander dröseln, was solche Beobachtungsstudien aussagen. Vielleicht vorneweg: Die Leute da aus Exeter und Bristol, wir haben diese Studie schonmal besprochen, übrigens als wir, als wir schon mal über dieses NERVTAG-Paper, ich glaube es war so vor 2 Wochen, gesprochen haben. Da kamen die auch schon drin vor. Und diese Kollegen aus Exeter und Bristol haben letztlich die 55.000 Leute genommen, die also mit der Variante infiziert wurden und zu denen dann passend, das ist ja sehr gründlich, 55.000 andere genommen die, die gematcht sind: also gleiches ungefähr gleiches Alter, ungefähr gleicher Infektionszeitpunkt, vergleichbarer Ort, an dem sie infiziert wurden und noch ein paar andere Faktoren. Was sie nicht hatten sind die Krankheitsdaten. Dann haben sie einfach ins Sterbensregister reingeschaut und geguckt, wie ist die Wahrscheinlichkeit eben dann innerhalb von vier Wochen nach der positiven Diagnose zu sterben? Also, das ist sozusagen einfach erst mal nur so eine reine Korrelation. Und da sagen sie dann: Wir haben die Korrelation von 1,64 gefunden, also 64 Prozent höhe-


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re Wahrscheinlichkeit zu sterben, und schreiben aber dann – und das ist ganz wichtig, das Ergebnis, das sind nämlich sehr intelligente Statistiker gewesen – die Wahrscheinlichkeit eines erhöhten Sterbensrisikos ist hoch. Ein Risiko ist ja auch nur eine Wahrscheinlichkeit. Also die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Sterbenswahrscheinlichkeit ist hoch. Sie schreiben nicht die Sterbenswahrscheinlichkeit ist erhöht. Sondern sie schreiben: Es ist eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Sterbenswahrscheinlichkeit erhöht ist. Was bedeutet das? Das heißt, sie haben einen selber natürlich erkannt, dass diese Studie nur einen Hinweis gibt. Sie belegt das noch nicht, sondern sie gibt einen Hinweis darauf, dass es so sein könnte, dass also diese neue Variante zumindest in dieser Altersgruppe eine höhere Sterblichkeit verursacht.


35:14



Camillo Schumann



Kann man das in irgendeiner Form bisschen konkreter machen, dass man sich das vorstellen kann? Also ist das sozusagen etwas, was richtig relevant ist? Oder ist das etwas, was zu vernachlässigen, also nach dem Komma ist?



Alexander Kekulé


Ja, das muss man jetzt hier einfach sagen. Das ist eben so ein klassischer Fall, wo man einen schwachen Effekt nachweisen will mit einer Beobachtungsstudie. Schwacher Effekt heißt immer man braucht eine große Zahl, um so eine kleine Veränderung zu sehen. Warum ist der Effekt hier nur schwach? Weil eben Menschen, die 46,3 Jahre im Durchschnitt alt sind, ganz relativ selten an COVID überhaupt sterben. Dadurch hat man ja sowieso ein geringes Sterbensrisiko. Und wenn Sie von einem geringen Risiko dann statistische Abweichung auch noch sehen wollen, dann müssen Sie eben wirklich mathematisch sehr, sehr saubere Daten haben. Das beruht dann letztlich auf kleinen Zahlen. Weil die Zahl derer, die dann tatsächlich daran gestorben sind, das ist am Ende gar nicht mehr so viel. Und in solchen Situationen kann man grundsätzlich sagen, haben eben schwache Confounder, also schwache Störungen, die da drin sind, einen großen Effekt. Wenn Sie das gleiche untersuchen würden für die 80-Jährigen und Sie würden dann statt 12  Prozent Sterblichkeit dann 13 Prozent


finden. Das ist viel leichter nachzuweisen, als wenn sie eben sozusagen da die Nadel im Heuhaufen bei den Jüngeren suchen, wo weniger Menschen sterben. Und deshalb ist dieser Störeffekt besonders schwierig. Und man hat deshalb ganz besonders hohe Anforderungen an die Präzision des statistischen Verfahrens. Und hier ganz konkret ist es so, die haben ein Verfahren genommen, für die, die das vielleicht aus der Schule kennen, die sogenannte Cox-Regression. Das ist das statistische Verfahren. Das setzt voraus, wie alle Statistiken, bestimmte Grundannahmen, die notwendig sind, damit man sie überhaupt machen darf. Also wenn man quasi diese Annahme nicht befolgt, dann ist das Ergebnis auch wertlos. Und hier, bei der Cox-Regression ist es so: Das Risiko muss über die Zeit konstant sein. Man hat die Voraussetzung, dass immer das Risiko proportional gleich ist für alle Personen, die da beteiligt sind. Und das ist hier schon mal nicht erfüllt gewesen. Das sagen die Autoren auch selber, das ist jetzt nicht irgendwie von mir erfunden, sondern die Autoren sagen selber, diese wichtige Voraussetzung hat hier nicht geklappt, und zwar aus folgendem Grund: Man sieht tatsächlich, dass die Sterblichkeit zunimmt, bei denen, die mit der neuen Variante infiziert sind. Aber erstaunlicherweise erst nach 14 Tagen, also nur bei denen, also nur, wenn man hinschaut, 14 Tage nach Beginn, nach Diagnosestellung. Die haben ja den Zeitraum bis 2 8 Tage nach Diagnosestellung quasi korreliert mit der Frage, ist es eine Mutante, ja oder nein? 2 8 Tage deshalb, weil es in England und auch in vielen anderen Ländern sozusagen nach der Definition des nationalen Gesundheitssystems so ist, dass man sagt, das ist ein COVID-assoziierter Toter, wenn er innerhalb von vier Wochen stirbt nach Diagnosestellung. Darum haben sie diese vier Wochen genommen. Aber der Effekt ist erst nach 2 Wochen zu sehen, in den ersten 2 Wochen nicht. Das heißt, Sie haben schon mal keine gleichmäßige Risikoverteilung. Und da sagen sie eben dann selber, dass eigentlich die Anforderungen an die Cox-Regression gar nicht gegeben ist. Die haben dann noch mal eine Nachuntersuchung gemacht: Wie ist es bei denen, die nur 14 bis 2 8 Tage nach der Infektion, nach der Diagnosestellung gestorben sind? Und da sehen sie eben dann noch mal eine


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deutliche Korrelation. Es ist aber so, dass das wiederum nur im Anhang dieser ganzen Studie im Kleingedruckten irgendwo steht. Und ich muss zugeben, ich habe jetzt nicht nachgeschaut, auf wieviel Fällen das genau beruht. Es steht auch nicht in der Arbeit selber. Aber das haben die als Schwäche sozusagen des Ganzen identifiziert. Und da muss man eben jetzt die nächste Frage stellen: Welche möglichen Confounder gab es da? Was könnte ein Störeinfluss gewesen sein? Auch das wird in der Arbeit sauber diskutiert. Aber vielleicht ganz interessant, dass man sich das in dem Zusammenhang mal anschaut. Die haben nämlich festgestellt, dass interessanterweise diejenigen, die also diese neue Variante hatten, dass die statistisch gesehen signifikant einen niedrigeren CT-Wert hatten. Niedriger CT-Wert in der PCR bedeutet ja, dass die Viruskonzentration statistisch gesehen höher war. Da könnte man erst einmal sagen, na ja, das liegt wahrscheinlich daran, dass das Virus gefährlicher geworden ist, deshalb hat es sich stärker vermehrt. Aber so einen kausalen Zusammenhang lässt eben die Statistik nicht zu. Es könnte genauso gut sein, dass einfach nur die Menschen, die mit dieser neuen Variante infiziert wurden, aus irgendeinem Grund, zufällig häufiger diagnostiziert wurden zu einem Zeitpunkt, wo bereits die Viruskonzentration höher war, also zu einem anderen Zeitpunkt zum Arzt gegangen sind. Weil, wir wissen ja, dass ganz am Anfang die Konzentration kleiner ist und dann plötzlich irgendwann ansteigt. Und da ist eine naheliegende Vermutung, quasi das Gegenteil von dem, was viele Online-Portale dann aus der Studie geschlossen haben. Wenn es jetzt so wäre, dass diese Variante tatsächlich in der Mehrheit der Fälle am Anfang asymptomatisch verläuft oder schwächer symptomatisch verläuft, dann würde das erklären, warum die Leute später erst zum Arzt gehen. Und zwar dann zum Arzt gehen, wenn die Viruskonzentration schon höher ist. Und dann hätten sie also den niedrigeren CT-Wert, und es würde genau die Beobachtung, die man hier hat, erklären. Also das sieht man in dem Beispiel, dass man so statistische Korrelationen mit verschiedenen Erklärungen verbinden kann. Sie können verschiedene Ursachen haben: Entweder, dass das Virus aggressiver ist, sich stärker vermehrt und deshalb man eine höhere Konzentration


findet. Oder dass die Menschen, einfach weil die Symptome schwächer sind, später zum Arzt gehen und man deshalb zu diesem Zeitpunkt schon die höhere Konzentration findet. Das heißt also, man hat 2 ganz unterschiedliche Erklärungsmodelle. Und wenn es jetzt so stimmen würde, dass man, das haben dieselbe auch diskutiert in ihrer Arbeit, wenn es so wäre, dass man hier einen zeitlichen Unterschied hat, dann haben die das Ganze noch einmal durchgerechnet. Wenn man das als Confounder berücksichtigen würde, kommt man von diesen 64 Prozent erhöhten Risikos, dann fällt es schlagartig ab auf 37 Prozent erhöhtes Risiko. Da sieht man schon, dass dieser eine Confounder das Ergebnis halbieren könnte, dieses Gefährdungsergebnis.



Camillo Schumann



Aber diese Headline würde sich dann nicht so gut, sage ich mal, „verkaufen“, weil es muss auch geklickt werden, das Ganze. Und am Ende sind die Menschen so ein bisschen verwirrt. Deswegen jetzt die abschließende Frage dazu: Müssen sich jetzt unter 60-jährige Gedanken machen wegen B117?



Alexander Kekulé


Jetzt nehmen wir mal an das Ganze stimmt. Ich würde jetzt schon sagen, genau wie die Autoren auch: Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass hier tatsächlich bei dieser Gruppe ein Unterschied vorhanden ist – worauf immer der auch beruht. Der kann eben auch auf einem Zeitpunkt der Diagnose beruhen. Hätte das eine ebenso Auswirkung? Ganz klar, nein. Und zwar ist es ja so, die meisten Menschen, die an COVID sterben, sind einfach alt. Und in dieser Gruppe sterben sowieso nur ganz wenige. Und wenn sie quasi in der Gruppe, wo nur ganz wenige sterben, wo das Risiko zu sterben, gering ist, wenn sich ein solches geringes Risiko noch geringfügiger verändert, dann ist das für die gesamte Politik und für die Frage wie viel Angst muss sich überhaupt davor haben, kein Unterschied. Ich sag mal ein extremes Beispiel. Ich weiß ja, dass Toastbrot, wenn ich das zu lange röste, Magenkrebs machen kann. Das ist ein sehr geringes Risiko. Aber rein statistisch gesehen gibt dieses Risiko. Und wenn jetzt alle Deutschen ihren Toast statistisch um eine Stufe länger rösten würden, dann würden sie natürlich rein mathematisch theoretisch bewei-


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sen können, dass damit die Quote an Magengeschwüren oder Magenkrebs steigen müsste. Aber praktisch gesehen ist es natürlich nicht von Relevanz, ob ich meinen Toaster auf drei oder auch vier stelle, wenn ich mal einen Toast mache. Weil das etwas ist, was ich wahrscheinlich selbst mit den besten Methoden dann am Schluss nicht aus den epidemiologischen Daten herausmelken kann. Und in so einem Bereich befinden wir uns im Moment. Deshalb wäre es total falsch, jetzt Panik zu machen und zu sagen die Variante tötet auch Jüngere.


43:2 2 



Camillo Schumann



Kommen wir zur zweiten Beobachtungsstudie. Eine, die in den sozialen Netzwerken sehr stark geteilt wird, unter anderem von Stefan Homburg, Professor und Direktor am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Uni Hannover. Und er hat vor ein paar Tagen den Link zu einer Beobachtungsstudie getwittert, die bei „Nature“ erschienen ist, und hat diese Studie mit den Worten kommentiert: „Lockdowns haben die Corona-Todesfälle weltweit nicht gesenkt“. Das wurde auch mehrere hundert Mal geteilt. Grund für uns, sich diese Studie mal ein bisschen genauer anzuschauen, jetzt nicht so vertiefend, wie die aus Großbritannien. Aber was auffällt, die Autoren haben Daten aus öffentlichen Quellen ausgewertet und versucht, einen Zusammenhang zu erkennen. Sie haben den Google Mobilitätsbericht zur Grundlage genommen, „Our World in Data“, das ist so ein Online-Portal, das unter anderem demografische entwicklungsökonomische Daten hat, und Daten der brasilianischen Gesundheitsbehörden, also sozusagen Daten abgeschöpft. Und ich sage mal durch den Rechner gejagt, so ein bisschen oberflächlich formuliert.



Alexander Kekulé


Man muss schon genau hinschauen, welche Leute das sind, die das machen. Also der Herr Homburg – gemeinsam mit so einem, sag ich mal, schon fast internationalen Kollektiv, dazu gehört auch der Herr Klein aus Stockholm. Der hat ja schon vor längerer Zeit mal diese Studie rausgebracht, dass in Schweden die hohe Infektionszahlen überhaupt nichts damit zu tun hat, dass man keine Lockdowns oder keine strengen Maßnahmen hatte. Der Herr Klein ist daraufhin von praktisch allen Fachleuten wi-


derlegt worden. Es gab ein Aufschrei der Fachcommunity, die also gesagt haben, deine Ideen, das da in Schweden es tausend andere Gründe gab, aber nicht die mangelnden Gegenmaßnahmen, für die für die hohe Sterblichkeit, das ist alles Unsinn. Das ist ja auch widerlegt worden. Ja, was haben die für Daten da? Also, das ist ja eine Arbeitsgruppe aus Brasilien letztlich, sage ich jetzt mal so dazu, und zwar von einer Klinik für Gynäkologie, die das gemacht hat, und in einer relativ kleineren Universität in Porto Alegre. Das gehört zu Rio Grande do Sul. Das ist, glaube ich, einer der größten Bundesstaaten in Brasilien, der auch schwer von COVID-19 am Anfang betroffen war. Und die haben eigentlich nur verglichen immer die Situation, wie ist es mit den Daten von Google, also den Bewegungsdaten von Google – die sind seit einiger Zeit öffentlich zugänglich – auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite: Wie ist es mit der Sterblichkeit? Die haben nur die Sterblichkeit angeschaut, nicht die Inzidenz. Die haben gesagt, jetzt vergleichen wir mal Bewegungsdaten und Sterblichkeit in solchen Ländern, wo es also Restriktionen gab und solchen Ländern, wo es keine Restriktionen gab. Das hängt natürlich dann ganz entscheidend davon ab, ob man Länder hat, die vergleichbar sind. Und bei diesen angeblich vergleichbaren Ländern haben sie eben rausgefunden: Obwohl das vergleichbare Situationen waren, haben wir keinen Unterschied gesehen, egal, ob die Leute sozusagen Lockdowns gemacht haben oder nicht. Um es mal so pauschal zu sagen. Jetzt sage ich aber nur das eine dazu. Ich zähle mal ein paar angeblich vergleichbare Regionen auf. Also ich sage mal was relativ, ich habe hier die Liste gerade vor mir, die ist ganz amüsant. Wo man vielleicht sogar vielleicht mitgehen könnte: Slowenien und Polen haben sie miteinander verglichen. Das sage ich mal, das ginge vielleicht noch irgendwie. Aber es wird jetzt ganz nett: Österreich und Serbien haben sie verglichen. Da werden natürlich die Österreicher schon sagen, na ja, kann man unsere Population und unsere Maßnahmen und die Compliance unserer Bevölkerung mit Serbien vergleichen? Aber jetzt wird es noch besser. Holland wurde verglichen mit Brasilia, der Hauptstadt von Brasilien. New York City wurde verglichen mit Sao Paulo. Da würden natürlich manche New Yor-


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ker sagen, ich wusste schon immer, dass wir hier südamerikanische Verhältnisse haben. Aber abgesehen davon stimmts natürlich nicht, dass man das vergleichen könnte. Mein zweiter Liebling auf der Hitliste ist: Russland und USA. Ich meine, klar Trump und Putin, da kann man schon was draus machen. Aber sie können doch nicht sagen, die Bevölkerungen sind statistisch so vergleichbar, dass, wenn wir da keinen Unterschied sehen in unserer sehr, sehr groben Daumenpeilung, dann bedeutet das, die Lockdowns haben keinen Effekt gehabt. Jetzt kommt mein Höhepunkt: Deutschland ist genauso wie Katar, wie das Emirat Katar. Wenn diese Annahmen stimmen, dass die genannten Länder – und das sind nur ein paar aus der langen Liste – dass die wirklich statistisch eins zu eins vergleichbar wären, dann wäre das ein interessantes Ergebnis, dass man je nachdem, ob Lockdown oder nicht, keinen Unterschied sieht. Aber da die Grundannahme meines Erachtens schon kompletter Mist ist, können Sie diese Studie in der Pfeife verrauchen. Und das ist eben das Problem, dass dann die Leute, denen so etwas gefällt, die ziehen ist dann raus, die twittern das dann, die zitieren das dann und der Laie denkt sich: Oh eine Studie, das muss wohl stimmen


48:2 7



Camillo Schumann



Was sind denn aus ihrer Sicht die wichtigsten Unterschiede oder wichtigsten Gründe, warum man diese Vergleiche nicht ziehen kann?



Alexander Kekulé


Naja, also es geht jetzt um die Frage – wenn ich in den Lockdown Maßnahme habe, ist die gleichermaßen angeordnet worden? War die von der Intensität gleich? War es so, dass man zum Beispiel, wenn man sagt, Gastronomie wird verboten, hat man sie dann vielleicht trotzdem erlaubt mit Maske? Oder hat man gesagt, sie ist im Freien oder im geschlossenen Raum erlaubt? Oder wenn ich sage, es dürfen die Leute nur zuhause bleiben, aus irgendwelchen Gründen, da gibt es Stay-at-homeOrders, wie das dann heißt, also solche Kontaktsperren – halten sich die Leute daran, ja oder nein? All diese Dinge sind natürlich lokal extrem unterschiedlich, also regional, extrem unterschiedlich. Und nur wenn das vergleichbar wäre, dann würde diese Studie sozusagen


ein erlaubtes Ergebnis haben. Aber diese Grundannahme, dass diese Daten vergleichbar sind, die haben einfach nur geguckt. Im Grunde genommen haben sie gesagt, es gibt vier wichtige Faktoren, die bei uns eine Rolle spielen. Und zwar die Bevölkerungsdichte. Welche Prozentzahl der Bevölkerung ist Stadtbevölkerung? Wie ist der Human Development Index, also der Entwicklungsindex, des Landes? Und wie groß ist die Fläche? Wenn drei von diesen vier Parametern übereingestimmt haben, dann haben die gesagt, okay, die Länder kann man vergleichen. Und so geht's halt einfach nicht. Weil, die Frage, ob irgendwelche Stay-athome-Orders oder irgendwelche LockdownMaßnahmen im weitesten Sinn wirksam sind oder nicht, hat noch viel mehr Komponenten, als das, was man mit diesen vier Faktoren abbilden kann. Wie gesagt, wenn man diese vier Faktoren nimmt, dann ist plötzlich also Deutschland auf der Ebene von Katar. Und die USA sind vergleichbar mit Russland.


50:2 4



Camillo Schumann



Unterm Strich, was würden Sie Menschen empfehlen, die solche Studien, oder die sozusagen die Bewertung nicht selber vornehmen können, dann bei Twitter oder bei Facebook oder wo auch immer so etwas sehen, mit einer knalligen Headline grundsätzlich skeptisch sein?



Alexander Kekulé


Ja, grundsätzlich skeptisch, vor allem bei Beobachtungsstudien. Das haben wir, glaube ich, heute ein bisschen runterexerziert, warum das wichtig ist. Das Problem sind letztlich die Wissenschaftler. Es gibt ja auch sehr seriöse Wissenschaftler, die haben eine Beobachtungsstudie gelesen und sagen dann sofort, was weiß ich, ich habe diese Schottland Studie gelesen, und deshalb ist der AstraZeneca-Impfstoff genauso gut wie die anderen Impfstoffe und auch für Personen über 65 geeignet. Und solche Schnellschüsse, die dann auch in Deutschland durchaus von renommierten Leuten kommen, die führen eben dazu, dass man dann aus einer so einer Studie politische Schlussfolgerungen zieht. Mein Prinzip ist schon lange, dass das man warten muss, bis viele Studien zusammen sind. Die muss man dann sammeln. Da muss man eine Metaanalyse machen. Das ist das,


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was dann üblicherweise gemacht wird, dass man die Studien quasi noch mal miteinander vergleichen und dann versucht, sozusagen zu gucken, auf welche Seite die Waagschale geht. Der normale Beobachter oder normale Leser sollte einfach, wenn er sieht, dass es eine Beobachtungsstudie, also kein echtes Experiment gewesen istr, sondern das sind nur so Daten, die sekundär interpretiert werden, der sollte sagen: Okay, nett, dass ich das jetzt mal gehört habe. Aber ich warte mal ab, was da in den nächsten Wochen sonst noch zu dem Thema kommt.


51:56



Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen. Er wurde mit AstraZeneca geimpft. Allerdings hatte er erwartet, dass sein Körper irgendwie auf diesen Impfstoff reagiert, das tat er aber nicht.


„0,0 Nebenwirkung gehabt. Heißt das im Umkehrschluss, dass das Zeug auch nicht richtig wirkt bei mir? Weil man ja sagt, die Impfreaktion ist ein Zeichen dafür, dass sich der Körper mit dem Impfstoff auseinandersetzt.“


Bei den einen besonders heftige Reaktionen und bei den anderen gar nicht. Wie ist das zu erklären?



Alexander Kekulé


Ja, das ist individuell. Das ist eines der großen Geheimnisse. Wir wissen nicht, warum das so ist. Also da gibt es sicher genetische Faktoren, die ein Grund dafür sind, angeborene Faktoren, die ein Grund dafür sind, dass manche Leute stark reagieren auf Impfstoffe und manche schwach. Übrigens gibt es wahrscheinlich auch genetische Faktoren, die Grund dafür sind, dass jüngere Menschen manchmal an SARS-CoV-2  sterben, an der Infektion sterben. Das sind wahrscheinlich andere Ursachen als bei älteren Menschen. Das spiegelt noch mal zurück auf die Studie, die wir vorhin besprochen haben: Ob man Ergebnisse bei Jungen mit Alten vergleichen kann, also auch da spielt die Genetik eine Rolle. Und ja, Ärzte sagen halt immer so ein bisschen zum Trost, wenn einer nach einer Impfung Fieber kriegt, oder gerade Kinderärzte müssen es ja oft sagen, wenn das Kind dann munter schreit hinterher, nicht schlafen kann eine Nacht lang, dann sagen die:


Naja, der Impfstoff hat halt gewirkt. Der Umkehrschluss ist leider nicht zulässig, dass man sagt oder zum Glück nicht zulässig, dass man sagt, wenn es keine Impfreaktion gab, dann hat es nicht gewirkt. Also so rum stimmt es nicht, weil das eben ganz individuell unterschiedlich ist und von der Genetik abhängt. Man kann jetzt zumindest auf dieser Ebene da keine Korrelation feststellen.



Camillo Schumann



Da kann er sich dann auf den auf den zweiten Schuss schon freuen. Da kann es dann möglicherweise dann nochmal richtig losgehen?



Alexander Kekulé


Oder vielleicht stärker werden. Ja, da könnte es stärker werden. Das weiß man aber nicht. Also es ist so, wenn wir jetzt Zulassungsstudien wirklich ganz genau anschauen – und da gibt es schon so eine Tendenz – dass man sagen kann, wenn der Impfstoff tendenziell eine stärkere Reaktogenität hat, also insgesamt häufiger solche Schwellungen, Rötungen, Schmerzen, Allgemeinsymptome und so hervorruft, dann ist es tendenziell auch so, dass man häufiger Personen hat, die also erfolgreich geimpft wurden. Also, das ist schon so, dass da eine gewisse Korrelation auf der, sag ich mal, statistischen Ebene, wenn man 2 0.000 Leute anschaut, gibt. Beim Einzelnen sagt das nichts aus, weil der der Einzelne eben so oder so sein kann.


54:32 



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 158. Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns wieder am Samstag, dann zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Vielen Dank Ihnen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de,rufen Sie uns an, kostenlos geht das: 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle Links zur Sendung und


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alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 09.03.2 02 1 #157: Der richtige Umgang mit Selbsttests



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Wöchentlich aktualisierte Zahlen zu Fällen, Geschlecht, Hospitalisierungen, Anteil Todesfälle – Robert Koch Institut: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Daten/Klinische_Aspekte.htm l


Studie: Auswirkung von Restaurant-Öffnungen auf das Infektionsgeschehen in den USA (05.03.) Association of State-Issued Mask Mandates and Allowing On-Premises Restaurant Dining with County-Level Covid-19 Case and Death Growth Rates — United States, March 1– December 31, 2 02 0 | MMWR (cdc.gov)


Studie: Der Einzeldosis-Impfstoff BNT162 b2  schützt vor einer asymptomatischen SARSCoV-2 -Infektion (2 4.02 .) https://www.authorea.com/users/332 778/arti cles/509881-single-dose-bnt162 b2 -vaccineprotects-against-asymptomatic-sars-cov-2 infection


Artikel: In der Diskussion – Hilft die Impfung auch gegen Long Covid? (06.03.) Corona-Impfung: Hilft sie auch gegen LongCovid? (nzz.ch)


Dienstag, 09. März 2 02 1


DieerstenCorona-Selbsttestsgibteszu kaufen. Wie führe ich den Test richtig durch? Und wie gehe ich mit dem Ergebnis um?


Welche Auswirkung hat das Öffnen der Restaurants auf das Infektionsgeschehen? Eine amerikanische Studie sorgt für Diskussionen.


Außerdem:DiepositiveWirkungderImpfung bei Long-Covid-Patienten.


Wann kann ich als Lehrer nach einer Impfung wieder vor die Klasse treten?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wie gewohnt am Anfang der Ausgabe der Blick auf die Zahlen: Die deutschlandweite 7-TageInzidenz liegt bei 67,5. Vor einer Woche lag sie bei 65, also relativ stabil. Spannend ist aber die 7-Tage-Inzidenz bei denen, die das höchste Risiko haben. Das sind die Älteren und alten Menschen. Bei den Menschen über 80 geht die Inzidenz weiter spürbar zurück. Lag sie vor einer Woche bei 64, liegt sie aktuell bei 53. Das deckt sich dann ebenfalls mit dem Rückgang der Menschen, die an Covid-19 sterben. Die Todesfälle nehmen weiter ab. Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé


Ja, das ist sehr erfreulich, weil wir letztlich nicht eine Corona-Virusinfektion bekämpfen wollen. Sondern wir wollen Todesfälle verhindern und schwere Erkrankungen. Und das geht genau in die richtige Richtung. Aus meiner Sicht ist es tatsächlich der Impfungseffekt. Ich glaube nicht, dass der Schutz der Altenheime jetzt plötzlich sozusagen funktioniert hat, sondern das ist der Effekt der Erst-Impfungen, insbesondere jetzt von BioNTech und demnächst möglicherweise auch von AstraZeneca, was wir hier beobachten.


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02 :04



Camillo Schumann



Zumal es ja auch immer noch Ausbrüche in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen gibt. Nur die verlaufen eben nicht mehr so schwer. Und steigt man ein bisschen tiefer in die Zahlen ein, da wird es sogar noch spannender. Ein paar Fakten aus Meldewoche 8, das war die vorvergangene Woche. Die Hospitalisierung Quote sinkt und sinkt und sinkt, lag bei 8 Prozent. Den niedrigsten Wert hatten wir mit 5 Prozent im August 2 02 0. Und jetzt wird es noch interessanter: Der Anteil der Verstorbenen lag in der vorvergangenen Woche Meldewoche 8 bei 0,2 8 Prozent. Nur zum Vergleich: Vor rund 2 Monaten lagen wir noch bei 4 Prozent, und den höchsten Wert hatten wir in der ersten Welle mit fast 7 Prozent. Herr Kekulé, jetzt liegen wir bei 0,2 8 Prozent. Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé


Man muss immer aufpassen, der Anteil der Verstorbenen, Sie haben es genau richtig gesagt, ist ja nicht die Sterblichkeit. Das ist selbst von Gesundheitsbehörden zum Teil durcheinander gebracht worden. Das ist quasi einfach die Zahl der gemeldeten Verstorbenen, wenn man das sozusagen als Anteil berechnet auf die gemeldeten Neuinfektionen. Und da gilt noch Folgendes: Wenn die Infektionszahlen abnehmen und das war ja zuletzt eine ganze Weile so, dann ist eigentlich zu erwarten, dass der Anteil der Verstorbenen sozusagen in einer bestimmten Woche sogar steigt. Weil die Verstorbenen hinken den Infektionen hinterher. Das ist ganz klar. Und wenn also die Neuinfektionen abnehmen, dann bleibt die Sterblichkeit eine Weile hoch, sodass also der Anteil dieser Quotient, was auch immer der aussagen mag, sogar höher sein müsste. Deshalb ist wahrscheinlich die tatsächliche Sterblichkeit an der Erkrankung, wir würden da dann sagen die Fallsterblichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, wenn man sich infiziert hat oder krank ist, dann wirklich zu sterben, sogar noch geringer als das, was diese Zahlen wiedergeben.


Ja, wir bewegen uns in den Bereich hin – was ja nicht ganz unerwartet ist mit der Impfung der Alten und dem Schutz der Alten jetzt – wo es so langsam irgendwann vergleichbar werden könnte mit einer schweren Grippe. Da ist ja


sowas wie 0,1 Prozent, einer von tausend, durchaus möglich. Und das ist eine wichtige und gute Entwicklung. Aber natürlich eine, die uns auch wieder vor ethische Fragen stellen wird. Wie viele Schutzmaßnahmen sind dann noch gerechtfertigt und Ähnliches?


Ich finde, eine andere Frage, da ist jetzt dringend Zeit, darüber nachzudenken: Was macht man jetzt eigentlich mit den Alten in den Altersheimen? Also in fast allen Bundesländern ist es so, dass noch strenge Regeln und Auflagen gelten, um die Alten zu schützen. Nun gibt es aber erste Heime, wo man einfach schon „fertig“ ist, sozusagen auf gut Deutsch, mit der Impfung, weil das ja priorisiert begonnen wurde. Da sind dann 95 Prozent der Bewohner geimpft. Oder andersherum gesagt, was weiß ich, drei oder fünf laufen dann noch rum, die die Impfung verweigert haben. Und alle anderen sind geimpft. Die bedeuten ja dann einen sehr starken Herdenschutz innerhalb dieses Heims für die wenigen Ungeimpften. Und beim Personal ist die Entwicklung ähnlich. Übrigens, mehr als 90 Prozent Personal lassen sich normalerweise nicht impfen. Die sind etwas zögerlicher als die Bewohner. Und in dieser Situation muss man eigentlich mal drüber nachdenken, ist das noch gerechtfertigt, so strenge Auflagen zu machen, dass die kaum Besucher empfangen dürfen, FFP-Masken rauf und runter und die ganzen Regeln, die es da gibt. Ich glaube, das ist eine Diskussion, die müssen wir jetzt ganz schnell führen. Oder andersherum gesagt, ich bin wirklich dafür, dass man bei den Altenheimen, wo man schon weitgehend mit dem Impfen durch ist, dann wirklich auch die Menschen dort spüren lässt, dass sie jetzt doch wesentlich mehr Sicherheit haben.



Camillo Schumann



„Mit dem Impfen durch ist“, heißt, nach der zweiten Impfung?



Alexander Kekulé


Das heißt in dem Fall natürlich erst mal nach der zweiten Impfung. Es ist ja bekannt, dass ich vehement dafür plädiere, dass wir erst mal alle Menschen einmal impfen, aus verschiedenen Gründen. Es gab jetzt gerade übrigens eine Studie aus Cambridge, wo man jetzt noch mal geguckt hat, wie ist das eigentlich bei Angestellten im Gesundheitsbereich? Die werden regelmäßig untersucht. Da hat man 3.500


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Nichtgeimpfte und ungefähr genauso viele Geimpfte verglichen und wieder gezeigt, dass – in dem Fall die BioNTech-Impfung – eine Impfung wirklich ausreicht, um über 75 Prozent Schutzwirkung zu erzeugen. Also das sind praktisch täglich neue Daten zu dem Thema, die also bestätigen, dass es die richtige Strategie wäre. Es ist aber so, dass natürlich das ein Argument ist, was, sag ich mal epidemiologisch gilt. Das heißt also, wenn wir jetzt die gesamte Bundesrepublik anschauen, überlegen, wie können wir als Bevölkerung insgesamt durch diese Pandemie gehen, dann ist es die richtige Strategie, wäre es die richtige Strategie, jeden erstmal einmal zu impfen und die zweite Impfung dann zu machen, wenn halt wieder genug Stoff da ist? Wenn man aber individuell das Risiko sich anschaut, dann ist es natürlich schon ein Unterschied, ob ich irgendwo so bei 75 bis 80 Prozent Schutz liege bezüglich der Erkrankung jetzt, in dem Fall. Oder ob ich bei 95 Prozent Schutz liege bezüglich der Erkrankung. Ich sage immer „bezüglich der Erkrankung“, weil bezüglich schwerer Verläufe und Todesfälle ist die Schutzwirkung deutlich höher als die genannten Zahlen. Aber da würde ich dann sagen, wenn es um individuelle Heimbewohner geht und man die Frage stellt einmal oder zweimal geimpft, da würde ich sagen, kann man dann warten, bevor man richtig lockert, bis die zweite Impfung da ist. Zumal die Strategie ja auch so ist, dass bei BioNTech/Pfizer in der Regel nach drei bis vier Wochen die zweite Impfung gegeben werden muss.


07:44



Camillo Schumann



Jetzt sprechen Sie sich für Lockerungen nach der zweiten Impfung bei Altenheimen aus. Und Sie haben es ja auch schon angesprochen, dass das immerhin hinterherhinkt. Und das würde ich gern noch mal rausnehmen: Diese 0,2 8 Prozent Anteil der Verstorbenen, das ist ja das Abbild des Infektionsgeschehens von vor ungefähr drei, vier Wochen. Und vor ungefähr drei, vier Wochen hatten wir 2 0.000 mehr Infektionen als jetzt. Ergo könnten wir uns auch eine höhere Inzidenz leisten, weil wir das Sterben durch die Impfung langsam beenden?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ja die Strategie, die ich, ich sage es ungern, aber wirklich vor einem Jahr mal entwickelt habe: Dass man, sagt man schützt die Risikogruppen und kann sich dafür das leisten, was ich damals ungeschickterweise „kontrollierte Durchseuchung“ genannt habe. Da haben dann einige gemeint: „Der will absichtlich Leute anstecken.“ Aber es geht letztlich darum, dass man toleriert, dass man eine höhere Inzidenz hat, weil man trotz der höheren Inzidenz eine niedrigere Sterblichkeit hat durch die Gesamtstrategie. Diese Gesamtstrategie, die ich ja SMART-Strategie genannt habe, hat eben das Ergebnis, dass insgesamt, wenn Sie sozusagen unter das letzte Jahr ein Strich machen würden, dann würden Sie mit der Strategie mehr Infektionen haben im Land. Das würden sie haben, also höhere Inzidenz. Aber unterm Strich deutlich weniger Todesfälle, es wären viele Tote des letzten Jahres verhindert worden. Aber paradoxerweise, wenn man so will, mehr Menschen mit Covid infiziert worden, weil die Personengruppe, die ein besonders hohes Risiko hat, auch besonders geschützt wird durch besondere Maßnahmen, das ist ja bekannt. Und das Gleiche können wir eben jetzt, nachdem das anders nicht gelungen ist, natürlich mit der Impfung machen. Ja, also wir können uns durchaus eine Inzidenz, sage ich mal, um die 50, jetzt sind es gerade um die 60, können wir uns leisten, wenn wir das hinkriegen, schnell genug jetzt nicht nur einzelne Heime auf 95 Prozent zu bringen, sondern insgesamt die Risikogruppe der über 70Jährigen durchzuimmunisieren, zumindest einmal.


09:44



Camillo Schumann



50 bis 60, die Inzidenz. Da sind sie noch sehr zurückhaltend. Bund und Länder, die hatten ja in ihrem Öffnungskonzept von letzter Woche die Notbremse bei einer 7-Tage-Inzidenz


von 100 gesetzt. Und ab diesem Wert sollen ja dann wieder die Maßnahmen gelten, die vor dem 7. März gegolten haben. An diesen Beschluss hält sich das Land Brandenburg nicht. Es hat in seiner neuesten Eindämmungsverordnung kurzerhand den Wert, der für die Notbremse gilt, mal eben von 100 auf 2 00 verdoppelt. Was sagen Sie dazu? Also bei allen,


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sozusagen, Möglichkeiten, sozusagen mit dem höheren Inzidenzwert zu leben, die 2 00, ist das wirklich ein bisschen zu viel des Guten? Oder ist das in irgendeiner Form begründbar?



Alexander Kekulé


Tja, als ich das gelesen habe, dachte ich zuerst, die haben sich vertippt, weil auch keine Begründung dabeisteht. Vielleicht kennen Sie eine. Es ist so: Ich finde, naja, Notbremse, bei 100 ist halt die Frage: Wie definiert man eine Notbremse? Was man nicht machen kann, ist, dass man dauernd auf diesen 100 rumreitet und sagt naja, 101 haben wir ja noch nicht, wir haben konstant 100, alles ist gut. Das könnte man dann machen, wenn wirklich wir stabil die Bevölkerung zum großen Teil durchgeimpft hätten, und diese Inzidenz letztlich sich nur noch auf bestimmte Regionen bezieht o.Ä.. Aber warum jetzt gerade Brandenburg plötzlich bei 2 00 sein sollte? Also ich fand schon 100, wie gesagt, sportlich, sage ich mal, so als Experiment mit der Bevölkerung und ganz ohne Begründung – ich denke da so drüber nach. Also Brandenburg ist ja rund um Berlin, wo ich also das Vergnügen hatte, lange zu studieren. Da fährt man gerne mal am Wochenende in die Naherholungsgebiete des Umlands. Wie ist es denn dann? Ist das dann ein Hochrisikogebiet? Muss man dann in Quarantäne, wenn man zurückkommt? Was ist mit den Pendlern? Es gibt ja auch viele, die das Glück haben, in Brandenburg irgendwo im Grünen zu wohnen oder irgendwie nett zu wohnen, und dann fahren sie in die Großstadt zur Arbeit. Da kommen die quasi aus dem 2 00er-Gebiet vielleicht in einem Gebiet, wo gerade 50 ist. Und ich habe auch mal nachgeguckt, wie das mit den Impfungen so steht. Ich habe gedacht, vielleicht ist Brandenburg da ganz auf der komfortablen Seite. Wir sind ja bundesweit in einer Situation, wo wir in der Größenordnung von ca. 3,3 Prozent oder so was haben wir jetzt im Moment geimpft. Ja, also so richtig toll ist das nicht. Im internationalen Vergleich eher fast Schlusslicht, ja, von den großen Ländern, von den Industrieländern auf jeden Fall. Aber Brandenburg ist noch unter dem Bundesdurchschnitt. Das ist bei den ZweimalImpfungen bei 3,1 Prozent und Berlin bei 3,6. Also die Berliner müssten eigentlich mehr zulassen als die Brandenburger, ohne dass ich


das hier empfehlen will. Aber noch krasser kommt es, wenn man guckt, wie viele Menschen mindestens einmal geimpft sind. Weil das ist ja – jedenfalls nach meiner Lesart, ich habe es schon oft genug gesagt, die STIKO sieht das anders, aber nach meiner Lesart – ist das das wesentliche Kriterium. Und da ist es so: Brandenburg, Sie werden es nicht glauben, ist auf dem letzten Platz aller Bundesländer mit 5,4 Prozent, die mindestens einmal, also einmal oder zweimal geimpft wurden. Auf dem allerletzten Platz. Auf dem vorletzten liegt Sachsen-Anhalt. Und das dann gerade die sagen, wir machen jetzt eine Extrawurst... Oder können Sie es mir anders erklären?


13:03



Camillo Schumann



Ich doch nicht. Also die um Gottes willen.



Alexander Kekulé


Vielleicht haben Sie ja irgendetwas gelesen, irgendeine Begründung?



Camillo Schumann



Ja, Brandenburgs Regierungssprecher Florian Engels hat die Kritik, die jetzt auch nicht nur von Ihnen kommt, zurückgewiesen und gesagt: Sollte sich der landesweite Wert einer Inzidenz von 100 beharrlichen nähern, werde die Landesregierung entscheiden, welche konkreten Schritte ab überschreitende 100er-Linie über drei Tage ergriffen würden. Und dabei sollten auch, und jetzt wird es spannend, andere Kriterien wie die Auslastung des Gesundheitssystems oder der Impfstatus berücksichtigt werden. Also da schaut man sozusagen noch auf mehrere Parameter, und wir hatten ja eben wunderbar dargestellt, dass wir uns eine höhere Inzidenz möglicherweise leisten können. Was macht denn den Unterschied, ob ich jetzt 70, 80 oder 150 habe?



Alexander Kekulé


Der Unterschied ist, dass Brandenburg hier zu diesem frühen Zeitpunkt eine neue Zahl rauswirft. Wie gesagt, die Vergleichbarkeit der Bundesländer untereinander – und es ist ja so, dass es ja einen Öffnungsplan gibt; der steht ja schwarz auf weiß auf dem Papier und angeblich soll er auf eine Din-A4-Seite passen, mit Fußnoten sind es dann doch 17 Seiten ungefähr. Aber es ist so, dass dieser Plan ja die 100er-Grenze drin hat. Und für diesen Plan ist


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ja offensichtlich jetzt die 2 00er-Grenze als Ersatz genommen worden. Und das, glaube ich, das kann man nicht machen. Weil das ganze Konzept baut darauf auf, dass diese 100 eben der äußerste Notfall ist, wo die Bundesländer gezwungen werden sollen, was zu unternehmen, und nicht sagen können: Bei uns sind gerade Wahlen demnächst, da machen wir mal lieber nichts. Und dass man sich jetzt hier so schnell nach diesem gemeinsamen Beschluss locker macht, das halte ich eben deshalb für gefährlich: Erstens, weil es Signalwirkung auch für alle anderen hat. Das ist wieder die berühmte Ampel, die aufgestellt wurde, damit die Ministerpräsidenten bei Rot gleich rüberfahren können. Und hier ist es diese Signalwirkung zum Einen. Und zum Anderen eben das Problem, dass wir, wenn wir hier sagen, wir machen auf, z.B. die körpernahen Dienstleistungen, und wir machen Sport und in der dritten und vierten Stufe dann am Schluss ohne Tests, in geschlossenen Räumen auch. Und wenn man bei diesen ganzen Maßnahmen jetzt sagt, wir machen weiter, auch wenn die Inzidenz bei 2 00 ist und zwar a priori, das steht ja schon so in dem Plan drinnen, dann fährt man aus meiner Sicht fast vorsätzlich gegen die Wand an der Stelle. Es wäre sicherlich anders gewesen, wenn man gesagt hätte, wir machen jetzt diesen Plan erstmal und in 2 Monaten wäre es so, dass überraschenderweise in Brandenburg man eine Impfquote hat, dass wirklich alle Alten geimpft sind. Im Moment glaube ich, liegen wir so bei 30 Prozent der über 80-Jährigen erst, deutschlandweit. Aber wenn man sagt, wir haben dann plötzlich das Soll erfüllt und alle Ü70 sind geimpft, die Sterblichkeit ist bei Null. Das wäre doch ein Zeitpunkt gewesen, wo man sagen kann: Okay, müssen wir jetzt unbedingt die 100 halten? Aber wissenschaftlich gesehen gibt es überhaupt keinen Grund dafür, jetzt schon vorauseilend quasi, diese Schallmauer nach oben zu setzen.


16:17



Camillo Schumann



Aber, dass es möglicherweise kommt, ist auch fast vorhersehbar. Oder? Nur hat Brandenburg jetzt sozusagen schon mal den ersten Schritt gemacht. Zugegeben, ein wenig sehr schnell, eine Woche nach den Beschlüssen.



Alexander Kekulé


Also, dass die Notbremse hier und da gezogen werden muss, ist klar. Man war ja auch so schlau zu sagen: Das muss dann nicht das ganze Bundesland machen, sondern das kann regional gemacht werden nach Landkreisen. Aber dass es in einzelnen Landkreisen irgendwann fällig wird, das halte ich für sehr wahrscheinlich. Das ist ja der Nachteil, wenn man so eine Stotterbremse schon vorher quasi einbaut in das ganze Konzept. Wir sind ja im Grunde genommen – das ist auch ziemlich evident geworden, das muss ich ja gar nicht wiederholen... Wir sind ja extrem unvorbereitet in diese „Lockerungsstrategie“ reingegangen. Insbesondere, weil völlig unklar ist, wie schnell das mit den Impfungen auf der Zeitachse funktionieren wird. Das kann gut gehen, kann schlecht gehen. Und weil – das ist ja jetzt das neueste, was man hört: Wir wollten ja schon unseren Sekt aufmachen, irgendwie mit den Ankündigungen des Bundesgesundheitsministers, wo ich schon gesagt habe, der ist jetzt mein Freund – irgendwie scheint es so zu sein, als könnte er da seine 500 Millionen Dosen nicht so richtig beibringen, die angeblich schon zugesagt waren und verschiedene andere Dinge. Sodass man im Gesamtpaket sagen muss, das ist so ähnlich wie ein Fallschirmspringer, der abgesprungen ist, aber seinen Schirm vorher nicht überprüft hat. Ich habe gehört, das ist bei Fallschirmspringern nicht so üblich, aber jetzt müssen wir halt hoffen, dass er aufgeht. Aber so wirklich wissen tut man es nicht.


17:50



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz, um sozusagen unter diese Inzidenz-Diskussion einen Strich drunter zu ziehen: Es war allen Beteiligten klar letzte Woche, dass die 100 dann auch relativ schnell wieder gebrochen wird. Und nie so richtig wurde die Frage, unterschwellige vielleicht möglicherweise, aber nie öffentlich diskutiert: Wie machen wir denn eigentlich weiter über 100? Und gibt es dann sozusagen noch eine Schwelle darüber also dann die 2 00? In dem Fall hat Brandenburg jetzt den Aufschlag gemacht.



Alexander Kekulé


Die haben ja nicht eine zweite Schwelle eingezogen, sondern die haben quasi die Maßnah-


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men, die für die 100er-Schwelle vorgesehen waren – da steht klipp und klar drinnen: Alles geht zurück auf den Status vor dem 6. März oder so, also vor der Öffnung – das steht schwarz auf weiß da drinnen, und zwar absichtlich sozusagen unverhandelbar. Ich weiß nicht, ob das allen klar war, muss ich ganz ehrlich sagen. Also wenn da Fachleute mit drin gesessen haben oder hätten, die sich mit so etwas auskennen, würde ich sagen, da hat mit Sicherheit einer gesagt: Ihr werdet definitiv viele Regionen haben, die über die 100 losgehen. Und Ihr müsst euch die Frage stellen, wollte Ihr das, weil das natürlich dann wie vor und zurück, Bremsen und Beschleunigen, zurück zum alten System wirkt. Aber ich weiß nicht, ob nicht vielleicht der Wunsch der Vater des Gedanken war, dass einige dachten, mit den Schnelltests und den Impfungen und unseren ganzen anderen Maßnahmen plus der wärmeren Jahreszeit kriegen wir das schon irgendwie hin. Also ich bin da ehrlich gesagt überfragt, nach welcher Räson sozusagen die Politik hier verfährt. Deshalb fordere ich ja schon lange, dass wir spätestens bei Covid eine Begründungskultur brauchen. Wir müssen Maßnahmen, wie jetzt hier diese 2 00... Da muss sich einer bitte hinstellen und erklären, warum das jetzt das Richtige ist. Und das hat ja bei dem letzten Beschluss gefehlt und fehlt hier auch, sodass man, als jemand, der das interpretieren soll, so ein bisschen im Nebel stochert.


19:49



Camillo Schumann



Gut. Wir sind gespannt, wie sich diese Diskussion entwickeln wird und wie viele Bundesländer möglicherweise dann noch nachziehen werden.


Wir müssen mal kurz über das Thema Urlaub sprechen. Der Reiseveranstalter TUI hat angekündigt, Ostern wieder Reisen nach Mallorca anbieten zu wollen. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sieht auch gute Chancen für Ferien in Schleswig-Holstein. Er hat gesagt: Wenn sich die Situation nicht dramatisch verändert, gehe ich davon aus, dass wir Hotels in Schleswig-Holstein über Ostern öffnen. Warum sollen die Menschen an Ostern nicht in Hotels und Ferienwohnungen sein können? Der Tourismusbeauftragte der


Bundesregierung, Thomas Bareiß, der hofft, dass nach der nächsten Schalte der Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am 2 2 . März auch die Gastronomie und Hotels wieder geöffnet werden könnten. Der Druck wächst. Zu Recht?



Alexander Kekulé


Das ist schwer zu sagen. Es kommt halt jetzt auf die Fallzahlen an. Also es kann ja sein, dass wir tatsächlich auf diesem Plateau jetzt hängen bleiben und irgendwo zwischen 60 und 70 rumdümpeln noch länger. Und wenn es Richtung Ostern geht und man dann eine Situation hat, wo man, sage ich mal, mit guten Hygienekonzepten einzelne Hotels aufmacht und Ähnliches, dann würde da nichts dagegen sprechen. Ich sehe das nur nicht so als Vorhersage. Das Problem ist, man muss ja bei so Ferien, gerade TUI als Veranstalter – gut, man könnte sagen, die haben so viele Milliarden vom Bund gekriegt, die können sich auch noch die Osterferien leisten – aber irgendwie muss man ja vorher überlegen, was bucht man, welche Hotels nimmt man ins Programm rein und so weiter. Und das Eröffnen geht ja nicht über Nacht. Die haben sich ihres Personals zum großen Teil schon entledigt. Und das ist jetzt wirklich eine schwierige Situation, weil man im Moment nicht sagen kann, bleibt es auf diesem Plateau? Das hängt auch von bisschen von unserem Verhalten ab. Davon, was die Schulöffnungen jetzt für Auswirkungen haben, ob das mit den Schnelltests ein bisschen was bringt, wie sie jetzt eingesetzt werden, und ob die Impfungen was bringen. Oder ob wir bis dahin in einer Situation sind, und das sagen ja einige meiner Kollegen voraus, ich sehe keine Darstellung, wo nicht diese exponentiellen Kurven von einer dritten Welle quasi gezeigt werden, wo dieses Worst-Case-Szenario tatsächlich eintritt. Ich wage da ehrlich gesagt keine Prognose. Ich bin wesentlich optimistischer, was die Varianten betrifft. Also ich sehe das nicht so, dass die Varianten, die jetzt kommen – klar, wir werden diese britische Variante demnächst in Deutschland dominant haben, aber das sagt ja nichts, die wird sich nur dann ausbreiten, wenn unsere Gegenmaßnahmen nicht gut genug sind. Aber ob unsere Gegenmaßnahmen das im Griff halten oder ob es tatsächlich zu einer exponentiellen Ausbrei-


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tung wieder kommt, da würde ich mir jetzt echt überhaupt kein Urteil erlauben. Und wenn es ansteigt, dann können wir natürlich keinen Tourismus aufmachen an Ostern. Deshalb ist es wirklich, ganz technisch, praktisch gesehen, ein blöder Moment, um diese Frage zu beantworten, auch für die TUI. Die setzt natürlich jetzt auf Optimismus.


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Camillo Schumann



Genauso auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Aber ist es jetzt nicht gerade der Versuch, sozusagen der frühestmögliche Versuch, mit den eher sich positiv entwickelten Daten, wenn man sie so interpretieren möchte, und, sage ich mal, der Situation der Menschen in Deutschland jetzt irgendwie, auch die Müdigkeit ob des Lockdowns sozusagen, da den frühestmöglichen Kompromiss hinzubekommen? Wo man sieht, das Sterben hört langsam auf, die Impfungen funktionieren dort in den vulnerablen Gruppen, dass wir sozusagen jetzt langsam wieder zum Leben zurück kommen, also sozusagen der frühestmögliche Moment?


2 3:33



Alexander Kekulé


Im optimalen Fall könnte es so sein. Irgendwie wiederholt sich hier die Geschichte ein bisschen. Wir hatten das Ganze schon mal zu Beginn des Sommers letzten Jahres. Da war auch die Frage: Können wir uns eine etwas höhere Inzidenz leisten? Da gab es dann Leute – ich erinnere mich sehr gut an die Worte von Herrn Lauterbach z.B. damals, aber viele andere auch, Christian Drosten und die ganzen tonangebenden Fachleute – die gesagt haben, wir haben so einen hohen Anteil von Risikogruppen auch bei Menschen unter 70, oder unter 60, das war damals noch die Diskussion, dass wir das uns auf gar keinen Fall leisten können, selbst wenn wir die Risikogruppen geschützt haben – das war ja damals mein Vorschlag – selbst wenn wir die geschützt haben und dann uns locker machen, geht das große Sterben los. Da müsste man eigentlich hier jemanden von denen fragen, wie sie jetzt die Lage beurteilen, weil es ja tatsächlich so aussieht im Moment, als könnte man durch Schutz der Risikogruppen, speziell der Hochaltrigen, insgesamt die Sterblichkeit senken. Und jetzt im Moment ist


es anders, als noch zu Beginn des letzten Sommers, so die Tendenz, dass man sagt, ja, dann leisten wir uns das dann auch. Ich finde, es ist einfach ein Experiment. Die Frage ist wirklich, ob wir das schon im Griff haben bei den Risikogruppen. In den Altenheimen ist die Impfquote halbwegs in Ordnung, sage ich mal, zumindest, was die Erstimpfungen betrifft, speziell in den Pflegeheimen, da wird noch mal unterschieden, darum wird auch diese Zahl von der Politik ja immer genannt. Aber bundesweit ist es natürlich so: Von denen, die alleine wohnen oder zu Hause wohnen, privat wohnen, die älteren Leute, das sind die Wartelisten ewig lang. Und es gibt ganz viele, die immer noch keinen ersten Impftermin haben, geschweige denn den zweiten. Und in dieser Lage jetzt schon zu sagen, Ostern machen wir auf – also ich hätte es als Politiker nicht riskiert, sage ich mal. Aber sie sprechen ja auch mit einem Infektiologen, wir sind natürlich berufsbedingt etwas vorsichtiger.


2 5:49



Camillo Schumann



Die Restaurants, die müssen ja immer noch warten, bis sie wieder Gäste empfangen dürfen. Mit so ein bisschen Glück dürfen sie ja vielleicht ab dem 2 2 . März zumindest ihre Terrassen und Freisitze öffnen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält vom Öffnen der Gastronomie ziemlich wenig. Am Sonntagabend hat er bei Anne Will eine amerikanische Studie zusammengefasst, die offenbar eindeutig die Gefährlichkeit der Restaurantöffnungen belegt. Wir hören mal kurz rein.


„Heute ist z.B. wieder eine Studie vom CDC in den Vereinigten Staaten also veröffentlicht worden, die klar nachweist, dass die Öffnung der Gastronomie mit einer zeitlichen Verzögerung in den untersuchten Bundesstaaten dazu geführt hat, dass zuerst die Fallzahlen und danach die Todeszahlen gestiegen sind.“


Sie haben sich diese Studie mal angesehen, kurz vorab am Sonntag. Zumindest wurde sie schon mal nicht veröffentlicht, sondern am 5. März, das war der Freitag. Aber das ist jetzt erst einmal egal. Und ja, wenn man sich das anschaut, die Infektionen und auch die Todeszahlen gingen nach dem Öffnen der Restaurants in den USA laut dieser Studie nach 41 bis


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100 Tagen wieder nach oben. Als auf den ersten Blick hat doch Herr Lauterbach Recht, oder nicht?


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Alexander Kekulé


Das Einzige, was an diesem Statement richtig ist, ist, dass die CDC in den USA sind (beide schmunzeln). Das ist der einzige richtige Teil des Statements, was wir gerade gehört haben. Es ist so: Es ist nicht nach Bundesstaaten unterschieden worden, sondern das ist eine CDCStudie, die letzten Freitag veröffentlicht wurde in deren normaler hausinterner Gazette, sage ich mal. Das ist so ähnlich wie das Epidemiologische Bulletin bei uns vom Robert-KochInstitut. Und die haben quasi rückblickend sich von März bis Dezember 2 02 0, dann wiederum unterteilt richtig nach Counties – also nicht nach Bundesstaaten, sondern nach den einzelnen Regionen, den Counties – haben die immer verglichen: Wie ist die tägliche Wachstumsrate an Infektionen oder auch an Todesfällen im Zusammenhang zu sehen mit Öffnungen von Restaurants und übrigens auch mit Masken tragen? Diese 2 Sachen wurden verglichen. Und da ist es eben völlig eindeutig. Wenn man Masken angeordnet hat, in dem Moment, wo Maskentragen angeordnet wurde – das war ja in Amerika keineswegs selbstverständlich – da war es dann so, dass es nach kurzer Zeit ist einen ganz krassen Effekt gab. Um den zum Vergleich zu nennen: Schon nach ein bis 2 0 Tagen, in den ersten drei Wochen quasi, gingen die Infektionszahlen um


0,7 Prozent runter. Und wenn man dann den längeren Verlauf anschaut, nach bis zu 100 Tagen, waren das fast 2 Prozent, die das runterging, die täglichen Neuerkrankungen. Das ist ein hoher Wert, wenn man die täglichen sich anschaut. Und jetzt aber das mit den Restaurants: Da muss ich jetzt sagen – bei allem Respekt vor meinem Kollegen, der ja Epidemiologe ist, glaube ich, von der Ausbildung her – es ist so, wenn man sich die Daten anschaut, dann sieht man erst mal ein totales Paradoxon in dieser Studie. Nämlich, wenn man die Restaurants geöffnet hat. Also bei den Restaurants haben sie die Öffnung angeschaut. Bei den Masken haben sie die Anordnung der Masken angeschaut. Wenn man die Restaurants geöffnet hat, haben die Fallzahlen erst-


mal nicht zugenommen. Sondern, oh Wunder, in den ersten drei Wochen um 0,4 Prozent abgenommen. Das heißt Öffnung der Restaurants hat zunächst mal dazu geführt, dass es weniger Fälle wurden und nicht mehr. Und das Gleiche gilt für die Sterblichkeit. In dem nächsten Beobachtungszeitraum von 2 1 bis 41 Tagen war es wieder so. Und erst nach 41 Tagen, also quasi dann fast sechs Wochen, hat man zum ersten Mal einen Effekt gesehen von diesen Restaurantöffnungen, angeblichen Effekt, also zumindest assoziierten Effekt, dass dann um 0,9 Prozent die Fallzahlen wieder gestiegen sind. Und wenn man dann bis zu 100 Tage oder mehr angeschaut hat, sogar um 1,1 Prozent. Das ist halt eine Beobachtungsstudie. Man hat diese Daten. Man sieht, das Eine passiert und das Andere passiert. Die Frage ist doch: Ist das kausal, ja oder nein? Und aus meiner Sicht ist es so: Gerade in den USA – wir haben das ja auch in diesem Podcast wirklich intensiv verfolgt was da drüben los ist – haben die ja nicht gesagt, wie das ein Experimentator machen würde, okay, jetzt machen wir mal nur in einem Bundesstaat oder in einem County die Restaurants auf, und in einem nebenan, der vergleichbar ist, lassen wir sie zu. Das wäre so etwas, wo man es vergleichen könnte. Nö, die haben ja Restaurants geöffnet, zugleich andere Maßnahmen, so, wie in Deutschland auch, da wurde halt dann gelockert im weitesten Sinne. Das heißt, das Verhalten der Menschen hat sich natürlich mit diesen Lockerungen ganz massiv geändert. Dann dachten die, okay, jetzt ist wieder alles vorbei. In Amerika gibt es eine große Fraktion von Menschen, gerade damals, da war Trump noch Präsident, die gesagt haben, das ganze Gedöns mit den CovidMaßnahmen machen wir sowieso nicht mit. Und was jetzt da wirklich dazu geführt hat, dass nach solchen Lockerungen, wo ein Element die Öffnung der Restaurants war, tatsächlich die Fallzahlen dann so merkwürdig verzögert gestiegen sind, das ist vollkommen unklar. Und die Autoren der Studie sagen auch selber, wir wissen es nicht genau.


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30:55



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen, also einschränkender Weise geben sie ja mehrere, sozusagen, Einschränkungsoptionen. Aber nichtsdestotrotz gibt es dort einen Verlauf, der ja auch am Ende dieser Studie dann doch wieder interpretiert wird, dass es gut ist, das Essen sozusagen sich zu holen beziehungsweise nicht ins Restaurant zu gehen. Zu dem gleichen Schluss kommt der Herr Lauterbach auch. Und er sagt es eindeutig, und Sie sagen, Sie sehen es da eigentlich nicht. Wie kommt man dann sozusagen zu dieser unterschiedlichen Bewertung dieser Situation?



Alexander Kekulé


Also die Autoren der Studie, das muss man sagen, das ist natürlich das CDC. Das ist so, als wenn das Robert-Koch-Institut bei uns was schreiben würde. Ich habe jetzt noch nie in der ganzen Historie dieser Covid-Pandemie ehrlich gesagt, auch nie zuvor in den anderen Diskussionen, die ich mit dem Robert-Koch-Institut schon in den letzten 2 0 Jahren hatte, habe ich noch nie erlebt, dass die gesagt haben: Wir haben uns geirrt. Das wäre irgendwie untypisch. Aus welchem Grund auch immer. Und natürlich ist auch beim CDC so: Die haben ja immer empfohlen, die Restaurants zuzumachen. Jetzt zu sagen, das hat gar nicht gebracht, das wäre ja – sie sagen, da ist eine Assoziation. Aber sie schreiben selber z.B., dass diese merkwürdige anfängliche Abnahme der Fälle völlig unerklärlich ist, und dass sie auch nicht verstehen, warum sie den Effekt, also die Assoziation, erst nach fast sechs Wochen sehen, dass dann tatsächlich nach der Öffnung der Restaurants Fälle ansteigen. Dann schreiben sie selber, dass das eine große Schwäche ist, und das finde ich auch, dass nicht unterschieden wird zwischen Indoor und Outdoor. Das heißt also, es gab ja viele Bundesstaaten in den USA, die haben das ganz früh erkannt auch mit diesen Aerosolen und haben gesagt, okay, draußen dürft ihr. Das gilt bei denen dann aber als Restaurantöffnung. Das heißt, es ist überhaupt nicht klar, ob da Indooroder OutdoorGastronomie gemeint ist. Und bei der Diskussion, wo Herr Lauterbach dieses Beispiel zitiert hat, ging es ja – es war eine bayrische Wirtin, mit der er sich da auseinandergesetzt hat, die


hat jetzt konkret einen riesengroßen Biergarten – also da ging es durchaus auch um die Outdoor-Gastronomie und die Frage: Kann man sich draußen anstecken? Ist das wirklich so gefährlich? Andere Auflagen wurden auch in der Studie überhaupt nicht berücksichtigt. Weil in den USA ist es dann oft so gewesen, anders als bei uns, dass man die Gastronomie aufgemacht hat, und überhaupt keine Regeln mehr hatte. Also so wie bei uns mit Abstand, und warten, bis man hingesetzt wird, und Maske bis zum Platz, und die Tische auseinanderstellen, und was es nicht alles gibt, Lüftungskonzepte und so. Das hat man in den USA zum allergrößten Teil gar nicht gehabt, sodass auch die Frage, die hier letztlich die Gretchenfrage ist: Kann man Gastronomie sicher machen, wenn man gute Hygienekonzepte im weitesten Sinne hat? Geht es, das so sicher zu machen, dass man es irgendwie halt noch erlauben kann? Die ist da überhaupt nicht adressiert in dieser Studie, und um die Frage ging es da gar nicht, weil eben ganz viele Bundesländer [Counties; Anm. d. Red.] diese Hygienekonzepte gar nicht hatten. Und die Autoren sagen auch selber, dass das hier ein Fragezeichen ist. Und ich erinnere mal, ich glaube, wir haben das im Podcast besprochen. Es gab im Oktober eine große Studie der Duke-Universität in den USA. Die haben insgesamt mal gefragt: Was ist, wenn man lockert, wenn man so Maßnahmen wieder aufhebt, was gibt es für Effekte? Und die haben gesagt: Ja, wenn man Maßnahmen lockert, kommt es zum Anstieg der Fallzahlen – kein Wunder. Und zwar insbesondere dann, wenn man stattdessen keinen Ersatz hat, keine anderen Hygienemaßnahmen. Und die haben eben damals auch festgestellt, wenn man z.B. Restaurants öffnet und zugleich die Maskenpflicht aufhebt, dass das natürlich dann einen durchschlagenden Effekt hat. Aber die Frage, die wir uns hier in Deutschland stellen, ist ja schon viel weiterentwickelt, nämlich: Was würde passieren, wenn wir mit unseren Schnelltests, mit unseren elektronischen Registrierungen im privaten Bereich, die inzwischen auch Teil des staatlichen Konzepts geworden sind, und den ganzen anderen Maßnahmen, die wir inzwischen entwickelt haben, wenn wir damit sozusagen intelligent, smart, vorgehen würden, und die Gastronomie z.B. stufenweise öffnen würden? Würde es dann


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zum Ausbruch kommen, ja oder nein? Und das kann man eben aus dieser Studie, um es ganz klar zu sagen, überhaupt nicht schließen.


35:06



Camillo Schumann



Wenn das reale Leben durch Studien ausgewertet wird, Beobachtungsstudien zu lesen und zu interpretieren und dann sozusagen auch die Korrekturen daraus zu lesen, das ist auch eine ziemliche Herausforderung. Wir wollen das am Donnerstag auch noch mal vertiefen, denn es gibt auch eine Beobachtungsstudie, die zu dem Schluss kommt, dass Lockdown-Maßnahmen überhaupt nichts gebracht hätten, und keine Menschenleben gerettet haben. Das ist auch wieder so ein Beispiel einer Beobachtungsstudie, die wir uns so ein bisschen vertiefend anschauen wollen. Wie bewerten Sie das? Also solche Beobachtungsstudien gerade, wenn man die bespricht und dann auch möglicherweise in den politischen Diskurs nimmt – sollte man das nicht immer mit dazu sagen?



Alexander Kekulé


Ja, das ist es eben grundsätzlich aus meiner Sicht ganz wichtig. Also viele Wissenschaftler sind ja schon echt auf die Nase gefallen, weil sie eine Studie gelesen haben oder mal eine selber gemacht haben, dann massiv an diese Daten geglaubt haben und das dann an die Öffentlichkeit gebracht haben. Und hinterher stellt sich dann im Lauf der Zeit raus, dass das eben die eine Studie sozusagen durch drei andere dann wieder nivelliert wird. Ich glaube, gerade bei Beobachtungsstudien, die ja den Charakter haben, dass man die Bedingungen nicht kontrolliert hat – wir haben ja schon oft über Confounder gesprochen, also Störfaktoren, die da eine Rolle spielen können. Ich glaube, da ist es ganz wichtig: Man muss sich die anschauen. Unter Fachleuten finde ich es auch extrem wichtig, dass man die diskutiert, auch die Pros und Cons. Ich glaube aber, bevor man politische Schlussfolgerungen daraus zieht, an der Stelle muss man wie in eine riesengroße Waage in die eine Schale und in die andere Schale legen, die einen, die dafürsprechen, die anderen, die dagegensprechen. Ich hätte fast gesagt, es gibt keine Beobachtungsstudie, die nicht in kürzester Zeit durch eine andere um 180 Grad widerlegt wird, oder die andere das


Gegenteil behauptet. Im Lauf der Zeit kristallisiert sich dann aber doch so ein Effekt raus, wo man dann eben sagen muss – wir nennen das ja dann Meta-Analysen, die da gemacht werden, dass man mehrere Studien zusammenfasst – und dann sagt man: So insgesamt geht das Zünglein an der Waage eher nach links oder nach rechts. Z.B. bei der Frage, welche Rolle spielen die Schulen? Das ist ja so ein Klassiker. In welchem Alter? Oder wie gefährlich ist es, Gastronomie aufzumachen, dann unterteilt nach Indoor-Outdoor. Bei diesen Fragen brauchen wir viele Studien. Und dann muss man sagen, wenn wir dann glauben, dass das übertragbar ist auf die Situation in Deutschland oder in Europa, dann machen wir politische Empfehlungen daraus. Aber nicht vorher.


37:40



Camillo Schumann



Jetzt zu unserem Schwerpunkt, Selbsttests. Wie führe ich die richtig durch? Denn seitdem vergangenen Wochenende gibt es ja die Selbsttests bei den Discountern Aldi und Lidl nun endlich zu kaufen – oder gab es, muss man ja sagen. aben Sie eigentlich einen ergattern können?



Alexander Kekulé


Ja, ich bin tatsächlich zu Aldi gegangen, um mal zu gucken, ob ich einen kriege, mehr so aus Neugier. Aber ich habe weder eine Schlange gesehen noch einen Test. Es war irgendwie das übliche Treiben. Und auf meine Anfrage wurde gesagt: Die sind schon weg.



Camillo Schumann



Wann waren Sie denn da uhrzeitmäßig?



Alexander Kekulé


Ja, nicht so früh. Ich weiß natürlich, wir haben ja schon kurz drüber gesprochen, dass Sie etwas früher aufgestanden sind, als ich.



Camillo Schumann



Extra. Nein, das stimmt nicht.



Alexander Kekulé


So nach dem Frühstück, vielleicht so zehn Uhr, da hatte ich schon vorher ein bisschen gearbeitet. Und dann habe ich gedacht, jetzt muss ich mir das mal anschauen. Aber ich war wahrscheinlich schon weit jenseits dessen, der irgendwie eine Chance gehabt hätte.


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Camillo Schumann



Das kann man so sagen. Ich war 07:35 Uhr vor der Aldi-Filiale meines Vertrauens, habe das mit dem Gassigang gleich verbunden, bin dann rein, weil ich mich gewundert habe, dass da keine Menschenseele drin war, und habe dann die Selbsttests gesucht und habe dann die Verkäuferin gefragt. Da sagte sie: Nein, um 07:08 Uhr waren schon alle verkauft. Bei dm übrigens jetzt ab Freitag, hat mir die Pressestelle noch mal bestätigt, und wir müssen erstmal mit so einer kleinen Verwirrung aufräumen: Schnelltests und Selbsttests. Die Politik hat versprochen, dass alle Menschen in Deutschland ab dieser Woche die Möglichkeit haben, sich mindestens einmal pro Woche kostenlos testen zu lassen. Personal in Schulen und Kitas, Schülerinnen und Schüler, sollen pro Präsenzwoche mindestens einen kostenlosen Schnelltest erhalten und deshalb gleich vorab: Es gibt einen Unterschied zwischen Schnelltests an Schulen z.B. und Selbsttests, die es bei Aldi, Lidl, dm und Rossmann gibt oder geben wird.



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. Das ist jetzt vom Test her übrigens das Gleiche. Das sind diese Antigen-Tests, so haben wir die immer genannt, oder Antigen-Schnelltests. Da wird festgestellt letztlich, ob Proteine, Eiweißmoleküle, des Viruspartikels mit drinnen sind. Das Testprinzip ist da – das ist vielleicht wichtig, noch einmal zu wissen – dass man quasi auf so einer kleinen Plastikkarte einen Film drauf hat, so eine Art VliesPapier, wo Antikörper drin sind. Und diese Antikörper binden bestimmte Teile des Virus. Und wenn die gebunden haben, dann gibt es durch einen chemischen Trick so eine blaue Bande an der Stelle. Und wenn 2 Banden da sind, ist es positiv. Dann ist also Virus detektiert worden. Und wenn nur eine Bande da ist, dann ist das negativ. Dann ist kein Virus dran gewesen. Also eigentlich ein ganz einfaches Prinzip. Und der Unterschied zwischen den Schnelltests zur Eigenanwendung und den Schnelltests, die offiziell nur von medizinisch geschultem Personal benutzt werden dürfen, ist eigentlich nur die Gebrauchsanweisung. Rein vom Test her ist es genau das Gleiche. Manchmal ist das Prozedere unterschiedlich, das eben jetzt für die selbst angewendeten


Tests eben gesagt wird, du musst den Tupfer nicht mehr in den Rachen stecken, sondern es reicht die vordere Nasenhöhle. Oder es gibt ja auch so Spucktests jetzt. Oder ich weiß gar nicht, ob die Gurgeltests in Deutschland jetzt schon sind. Wie man sozusagen das Material entnimmt, ist unterschiedlich. Aber auch da war es schon vorher natürlich möglich, dass die durch medizinisches Personal durchgeführten Tests verschiedene Arten der Materialentnahme zugelassen haben.


40:59



Camillo Schumann



Weil Sie es gerade sagen: Bei den Selbsttests soll in der Regel im vorderen Nasenbereich die Probe entnommen werden, bei den Profitests im hinteren Nasen-Rachen-Bereich. Wie wirken sich denn diese beiden unterschiedlichen Entnahmeorte auf die Probe aus? Produziert die Schleimhaut im vorderen Bereich genauso viel Material wie im hinteren Bereich?



Alexander Kekulé


Wenn wir das genau wüssten. Das ist bei diesem Virus noch nicht ganz klar. Also, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass bei den meisten Infizierten tatsächlich das Virus sich auch im vorderen Nasenbereich repliziert und dann auch weiter oben. Das ist auch noch die Nase selber, und nicht der Rachen hinten, wo diese Riechzellen sind, also wo quasi dann das Nervensignal ans Gehirn geleitet wird für den Geruch. Weil wir ja auch wissen, dass viele Menschen, ein gewisser Anteil, ich glaube,


2 0 Prozent oder so sagt man, zumindest vorübergehend den Geruchssinn verlieren während der Infektion. Und das kann man eigentlich nur darauf zurückführen, dass da eine Infektion, eine Entzündung im Bereich dieser Riechzellen in der Nase stattfindet, vielleicht sogar die Nerven selber betroffen sind. Das gibt auch Hinweise darauf. Das heißt also, das Virus repliziert, zumindest bei diesen


2 0 Prozent, da vorne. Andererseits ist es so, wenn man jetzt ganz praktisch Abstriche machen würde so im Sinne der Forschung, und würde quasi einmal durch den Mund reingehen und die hintere Rachenwand erwischen, das ist der Moment, wo es dann immer so einen Würgereflex gibt. Oder man würde nur vor dem Gaumenbogen irgendwo im Mund reiben. Oder man würde in der vorderen Nase


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oder eben durch die Nase dann auch wieder hinten in den Rachen gehen. Bei diesen ganzen Methoden hätte man natürlich schon unterschiedliche Trefferquoten für das Virus. Am sichersten ist es tatsächlich, durch die Nase ganz hinten in den Rachen zu gehen. Das ist die etwas unangenehmere Variante. Aber warum ist es am sichersten? Nicht unbedingt, weil dort so irrsinnig viel Virus produziert wird, das wissen eben nicht genau. Sondern aus meiner Sicht ist zumindest sehr wahrscheinlich, dass es damit zusammenhängt, dass das der Bereich ist, den wir am wenigsten spülen. Also, wenn Sie sich die Nase putzen, dann ist halt der vordere Nasenbereich erstmal leergepustet und da ist kein Material, würde der Mikrobiologe sagen. Und wenn Sie Wasser trinken und vielleicht noch ein bisschen Gurgeln, dann haben Sie eben den hinteren Rachen mal kurz leergespült. Und wenn Sie dann kurz danach einen Test machen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der positiv wird, nicht so groß. Den oberen Nasen-Rachen-Raum zu spülen ist echt schwierig. Dann müssen sie mindestens einen Kopfstand beim Trinken drauf haben, am besten so wie ein Elefant durch die Nase die Flüssigkeit einsaugen. Es gibt ja Leute, die können das tatsächlich. Und wenn Sie das machen, können Sie den auch noch spülen. Aber Sie merken schon, es hat eher etwas mit spülen zu tun. Wie oft wird da der der Schleim quasi ausgewechselt bei normalen Vorgängen wie Essen und sprechen und so, und nicht so sehr damit zu tun, wo das Virus genau produziert wird. Und deshalb wissen wir es einfach nicht genau.


43:53



Camillo Schumann



Aber man könnte damit ... Die meisten Tests, die ich mir angeguckt habe – und habe mir dann auch die Gebrauchsanweisung der Anbieter schicken lassen – werden vorne als „Nasenbohrer-Test“ also die 2 ,5 Zentimeter tief ins Nasenloch eingeführt, das Teststäbchen. Da macht es doch vielleicht Sinn, vorher mal so ein bisschen zu schnauben? Vielleicht nicht rauszuschnäuzen – alle, die das jetzt eklig finden, hören einfach weg – damit sich sozusagen hier vorne schön viel sammelt, oder? Damit man dann auch ein bisschen was hat, um auch eine gewisse Aussagekraft zu haben. Oder?



Alexander Kekulé


Naja, das Virus diffundiert ja in einem Schleimfilm, in einem Flüssigkeits-Sekretfilm sowieso. Das breitet sich quasi aus. Das sind ja ganz kleine, winzige Partikel, die sind so klein, dass sie sogar diese Brownsche Molekularbewegung mitmachen. Was wahrscheinlich viele noch aus der Schule kennen: So Wärme-ZitterBewegungen, die breiten sich also echt schnell aus in solchen Filmen. Und deshalb würde ich jetzt mal sagen, dass man quasi jetzt unbedingt den frischen Schleim von hinten holen muss, wäre vielleicht mal einen Versuch wert. Aber... Also, ich würde mal sagen, wenn man gerade frisch die Nase geputzt hat, das ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, vorne was abzunehmen. Ansonsten müsste es schon reichen. Das würde ich jedem empfehlen, wenn man es jetzt selber macht, praktisch gesprochen: Wenn man den Tupfer rausnimmt, da muss man echt gucken, ob da was dran ist. Ob der richtig feucht geworden ist, das sieht man ja auch, ob da ein bisschen Schleim mit dran ist. Und ich meine, ich habe mir auch ein paar von diesen Gebrauchsanweisungen, die jetzt so beim Discounter unterwegs sind, angesehen. Es ist so, dass da immer empfohlen wird, ein linkes Nasenloch und rechtes Nasenloch. Manche sagen dann sogar, es wäre gut, noch zusätzlich aus dem Mund was zu holen, sodass man ja mehrere Abnahmestellen hat. Und irgendwie wird dann am Schluss schon Flüssigkeit am Tupfer sein.



Camillo Schumann



Ach so? Kann man das machen, also rechtslinks, sondern immer schön im Mund rein oder nur Nase?



Alexander Kekulé


Wenn es einem nicht zu unappetitlich ist, kann man das machen tatsächlich. Ich würde es so machen, wie es in der jeweiligen Gebrauchsanweisung drinnen steht, und zwar aus dem Grund: mit diesem Verfahren ist dieser Test halt ausprobiert worden. Aber ganz ehrlich gesagt, das läuft ja eher andersrum. Jetzt von der Zulassung muss man sich das so vorstellen. Es gibt ja schon ewig diese Antigen-Tests. Auch wenn es bei Anne Will am Sonntag wieder falsch gesagt wurde die gibt es nicht erst seit Oktober, sondern die sind CE-zertifiziert seit Anfang März 2 02 0, europäisch zertifiziert. In


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Asien gibt es die schon seit Ende Februar 2 02 0. Und diese Tests gibt es schon ewig. Die werden ewig weltweit durchgeführt. Da hatten ja schon Malaysia und die Philippinen schon Erfahrungen mit den Tests, bevor sie überhaupt in Europa verkauft wurden. Und die genau gleichen Tests, die kann man natürlich so und so anwenden. Da können Sie sagen: Okay, du musst aus dem hinteren Nasen-Rachen-Raum die Probe nehmen, weil wir haben das vorher so standardisiert und unsere internen Qualitätsdaten so gewonnen. Die normale CEZertifizierung funktioniert so, dass der Hersteller selber die Qualitätsdaten quasi feststellt. Wie gut ist die Sensitivität, die Spezifität. Und dann macht er dazu die Gebrauchsanweisung im Normalfall eben für medizinisches Personal. Und wenn man jetzt eine andere Gebrauchsanweisung haben will, die eben für Laien besser ist, wie z.B. nur im vorderen Nasen-Rachenoder nur im Nasenraum zu entnehmen, dann muss man halt einfach das mal ausprobieren und schauen bei z.B. 100 Leuten oder so, kommt man denn da auch auf eine brauchbare Sensitivität. Die muss ja meines Wissens noch nach Empfehlung des Robert-Koch-Instituts bei mindestens 80 Prozent liegen. Und das machen die Tests alle, die jetzt frei sind oder die schon lange zur Verfügung stehen. Und dann wird einfach die Gebrauchsanweisung geändert, und man guckt mit den Probanden, erstens, ist die Sensitivität noch ausreichend, wenn ich z.B. nur vorne aus der Nase was nehme, und zweitens fragt man dann hinterher: Hat das funktioniert? Habt ihr das hingekriegt? Gab es da Probleme? Man schaut auch, ob die sozusagen wussten, wo ihr Nasenloch ist, und es nicht aus Versehen ins Ohr gesteckt haben u.Ä. Und dann sagt man: Okay, die Gebrauchsanweisung ist okay, und dann wird es eben für die Selbstanwendung zugelassen in Deutschland. Da gibt es in Deutschland jetzt im Moment eine Notzulassung dafür. Wahrscheinlich, weil man geglaubt hat, dass das europäische Verfahren zu träge ist. Keine Ahnung, warum die jetzt das nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen haben, quasi mit DeutschlandNotzulassung statt nach europäischem CEZertifikat. Aber im Prinzip ist es inhaltlich genau das Gleiche. Sodass es der gleiche Test ist eigentlich, mit einer anderen Gebrauchsanweisung. Mehr ist es nicht.


48:33



Camillo Schumann



Was tun bei einem positiven Ergebnis? Da gibt es unterschiedliche Hinweise in den einzelnen Gebrauchsanweisungen. Z.B. im Lidl-Test steht dort, wenn man es lesen kann, weil es wirklich sehr, sehr klein geschrieben ist: „Mein Ergebnis ist positiv. Was tun? Wenn ihr Ergebnis positiv ist und das Testkit somit die Kontrolllinie als auch die Testlinie deutlich anzeigt, sollten Sie sich an die nächstgelegene medizinische Einrichtung wenden, wenn von ihren örtlichen Behörden empfohlen. Ihr Testergebnis wird möglicherweise doppelt überprüft und die Behörde beziehungsweise Einrichtung erklärt ihnen dann die entsprechenden nächsten Schritte.“ Beim Aldi Test klingt das viel, viel besser und wesentlich konkreter. Da steht: „Wenn ihr Testergebnis positiv ist. Positive Ergebnisse müssen dem zuständigen Gesundheitsamt gemäß den lokalen Richtlinien sofort gemeldet werden. Das positive Testergebnis muss immer durch einen PCR-Test bei einem niedergelassenen Arzt überprüft werden und zwar schnellstmöglich.“ Und jetzt kommt es: „Bis das Ergebnis dieses Tests bekannt ist, sollten Sie und ihr Haushalt sich gemäß den Richtlinien selbst isolieren.“ Also wie unterschiedlich, sozusagen beim wichtigsten Ergebnis, dem positiven Ergebnis, da sozusagen der Hinweis gegeben wird.


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Alexander Kekulé


Also das eine ist, glaube ich, von Google Übersetzer aus dem Koreanischen eins zu eins übersetzt worden. Da kommt dann manchmal so etwas Lustiges dabei raus. Ich kenne das, wenn man irgendwelche Elektrogeräte kauft und nicht weiß, wo der Stecker rein muss. Naja, also Spaß beiseite. Das können wir hier auch noch einmal ganz klar sagen. Es gibt noch einen ganz anderen Tipp. Ich meine, dass der positive Test von der PCR bestätigt werden muss, ist klar. Wir dürfen aber hier auch im Podcast ganz offen sein und sagen, wenn Sie einen positiven Antigen-Test haben, dann sind Sie positiv. Das ist normalerweise so. Es wäre echt eine Ausnahme. Diese Spezifitäten liegen ja über 99 Prozent, manchmal bei 100 Prozent bei den Antigen-Tests. Das heißt positive sind wirklich positiv. Warum wollen Sie das trotzdem bestätigt haben? Und der wichtigste


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Grund ist der: Wir steuern auf eine Situation zu, wo wir in Deutschland – da werden wir vielleicht in diesem Podcast auch noch mal drüber sprechen – so etwas wie einen Impfpass haben müssen. Die Ansage, die jetzt im Raum steht, dass der erst ab 2 02 2  kommen soll, die ist meines Erachtens politisch nicht haltbar. Da ist zu viel Dampf im Kessel, will ich mal sagen, wenn man jetzt alle bis 2 02 2  warten lässt, bis sie sozusagen dafür, dass sie geimpft wurden, irgendwie wieder raus dürfen. Das heißt, es wird einen Impfpass geben. Und es wird in diesem Impfpass natürlich drinnen stehen – Israel hat es ja gemacht, wir haben es hier schon oft gefordert – dass man natürlich die Geimpften gleichsetzt, mit denen die Covid nachweislich schon hatten. Das heißt, wenn Sie schon Covid haben und das dann selber feststellen im Antigen-Test und dafür ja wahrscheinlich auch leiden müssen, nämlich erstens, viele erkranken ja auch. Auch jüngere Leute können da durchaus mal 2 Wochen platt sein. Manche haben Langzeitfolgen, manche haben monatelang keinen Geruchssinn hinterher. Auf jeden Fall muss man sich isolieren, zehn Tage plus X, und für diese ganze Qual kriegen Sie als Belohnung wenigstens sozusagen den Status wie ein Geimpfter. Um sich das zu sichern, braucht man die PCR, weil, einer sagt ja: Ich habe damals einen Antigen-Test gemacht, da waren 2 Streifen drauf, deshalb hatte ich Covid. Das wird definitiv nicht reichen für den Eintrag in den Impfpass. Sondern man braucht wahrscheinlich von einem Arzt irgendwie abgestempelt, das heißt von irgendeinem niedergelassenen Labor eine Bestätigung: „Bei dem war die PCR-positiv.“ Und die müssen sie sich wirklich in den Safe legen, weil die ist Gold wert an dem Tag, wo es den Impfpass gibt oder irgendwelche Privilegien gibt. Es ist ja jetzt schon so, dass, wenn sie in die USA fliegen, z.B. so was zum Teil als Einreisevoraussetzung gebraucht wird. Das können Sie dann vorlegen statt dem aktuellen Schnelltest. Und das wird im Urlaub so sein. Es wird Reiseveranstalter geben, die sagen, bei uns kommen überhaupt nur Geimpfte rein. Z.B. für die Kreuzschifffahrt sehe ich solche Konzepte. Und deshalb heben Sie sich das auf. Und machen Sie unbedingt, wenn sie positiv sind bei einem Antigen-Schnelltest – auch wenn sie den zuhause in der Küche gemacht haben aus Spaß


– nehmen Sie das ernst, machen Sie die PCR. Den Nachteil, dass man dann irgendwann zwischen drei Tage und drei Wochen später einen Brief vom Gesundheitsamt bekommt, den muss man halt in Kauf nehmen. Das ist längst nicht so schlimm, als wenn man später nicht nachweisen kann, dass man Covid hatte.


53:09



Camillo Schumann



Guter Tipp. Okay, wenn ich jetzt den Test gemacht habe: Wie lange hat das Ergebnis Gültigkeit, Aussagekraft? Wie viele Stunden, sechs bis acht. Wie würden Sie es bewerten?



Alexander Kekulé


Man kann es nicht in Stunden sagen. Das ist nicht so einfach. Man kann vielleicht folgendes Bild gebrauchen: Also wenn man sich infiziert hat, dann kommt das ein paar Tage später, bei den meisten, ungefähr vier Tage nach der Infektion, kommt es zu einem Anstieg der Viruskonzentration auf den Schleimhäuten der Atemwege. Das ist ein selbstverstärkender Effekt. Das heißt, wenn das Virus erst mal anfängt, da sozusagen sich auszubreiten von den ersten Zellen, die es infiziert hat, dann explodiert das sozusagen. Das Virus bleibt eine ganze Weile in bestimmten Zellen, vermehrt sich immer mehr. Plötzlich brechen die da aus. Dann steigt innerhalb von wenigen Stunden explosionsartig die Konzentration. Und danach kann man mit dem Antigen-Schnelltest ein positives Ergebnis erwarten. Aber weil ja keiner genau weiß, wann dieser Moment ist, wo sozusagen der Sack platzt, sozusagen, weil das keiner genau weiß wann, kann es theoretisch sein, dass schon 2 Stunden nach der Durchführung des Antigen-Tests man gerade negativ war und danach positiv wird. Das kann sechs Stunden sein. Kann auch sein, dass es erst 2 Tage später ist. Und das Ganze ist ja insgesamt zum Glück immer noch ein seltenes Ereignis. Darum machen diese Tests ja Sinn. Weil wir ja insgesamt in einer Situation sind, dass wir jetzt nicht die Krankheit ständig und überall erwarten müssen. Und deshalb ist die Frage, wie lange lasse ich das gültig sein, nichts Biologisches. Sondern das ist eine reine, pragmatische Alltagsrisiko-Bewertung. Und da ist meine Risikobewertung aus dem Frühjahr nach wie vor gültig. Aus meiner Sicht hat sich nichts verändert. Ich sage: Am gleichen Tag, kann man


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sagen, ist derjenige dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht infektiös. Natürlich wird man damit ein paar Infektionen übersehen, eben genau die, wo man es gerade kurz vorher getestet hat. Und wenn man es 2 Stunden später gemacht hätte, wäre es positiv gewesen. Aber so ist das im Leben. Man muss halt irgendwelche Risiken abgrenzen. Aber da gibt es keine biologische Grenze. Also, wenn jetzt einer sagen würde, acht Stunden ist der gültig, das ist auf jeden Fall Unsinn. Sondern man kann politisch-pragmatisch sagen, lass uns 2 4 Stunden nehmen. Der Test muss vom gleichen Tag sein, um z.B., das wird diskutiert, für körpernahe Dienstleistungen oder sowas gültig zu sein. Man muss vor allem wissen, das ist eigentlich das Wichtigste von dem Ganzen – ich habe jetzt gerade ein Beispiel genannt, warum so ein Test falsch negativ sein könnte, ja, weil man gerade am Anfang ist – man muss einfach wissen, diese Schnelltests können, erstens, am Anfang der Infektion einen täuschen. Das sehen wir ganz oft. Ja, wenn man so jemanden hat, der gerade ganz frische Symptome hat, und der macht einen Schnelltest, dass der dann negativ ist, der Schnelltest. Und wenn man zum gleichen Zeitpunkt eine PCR macht, ist sie schon positiv und beweist also, das ist schon Covid. Deshalb würde ich davor warnen – und das ist ganz wichtig für die praktische Anwendung – wenn jemand Symptome hat und der Schnelltest ist negativ, dann würde ich den auf jeden Fall am nächsten Tag noch einmal wiederholen. Da meine ich jetzt wirklich einmal schlafen zwischendurch. Wo ich wirklich dagegen wäre, ist, zu sagen: Okay, mein Kind ist heute Morgen mit Fieber aufgewacht. Ihm geht es nicht so gut. Es hat irgendwie Halsschmerzen oder was auch immer so kleine Kinder eben haben. Ich darf es aber jetzt in die Krippe geben oder in die Kita geben oder in die Grundschule geben, weil der Schnelltest war ja in der Früh negativ. Das, glaube ich, ist das größte Risiko, was diese Schnelltests bergen, dass man sozusagen bei symptomatischen Verläufen am Beginn der Symptomatik sofort den Test macht und sagt: Ist negativ, also ist es kein Covid. Man muss daran erinnern, dass wir in dieser Saison ja praktisch keine Grippe haben. Ich habe kürzlich gelesen, dass in den USA bisher, glaube ich, nur ein einziges Kind an der Grippe gestorben ist in der ganzen Saison.


Sonst haben die zwischen 150 und 2 50 pro Saison Todesfälle bei Kindern. Jetzt hatten sie einen. Und zwar weil die natürlich selbst in den USA durch diese antiepidemischen Maßnahmen, obwohl man es da ja nicht so konsequent macht wie bei uns, einfach die anderen Infektionskrankheiten verhindern. Und jetzt muss man sagen: Bei uns ist auch so, die Grippe ist selten, extrem selten, und auch andere Infektionskrankheiten sind selten. Das heißt wenn jetzt jemand plötzlich Symptome hat, die zu Covid passen, dann kann das schon gut auch mal Covid sein in der nächsten Zeit. Und gerade wenn wir jetzt so von Inzidenzen bis zu 100 reden oder sogar bis zu 2 00, dann darf man nicht sagen: Schnelltest war negativ, raus mit dir, du gehst in die Schule o.Ä. Gleiches gilt natürlich auch für die Eltern. Das heißt also, bei Symptomen einen Tag warten, bevor man den Schnelltest macht. Das ist eigentlich der allerwichtigste Tipp bei dem Ganzen.


Und sonst muss man wissen, dass der Schnelltest eben eine ganz gute Aussagekraft hat bei einer asymptomatischen Person, wenn man das Risiko eingeht für sich selber oder eben für Menschen, die keine besondere Risikogruppe sind. Man muss immer wissen, dass, wenn man also eine Risikosituation vorher hatte, z.B. jemand hatte Kontakt mit einem möglichen Covid-Fall und möchte dann seine Großeltern, die ungeimpft sind, besuchen. In so einer Situation würde ich mich nicht auf den Schnelltest verlassen. Der Schnelltest ist nur dann gut, wenn die Gesamtsituation einem sagt: Ich bin jetzt sowieso vorsichtig, ich habe keinen Risikokontakt gehabt, ich habe keine Symptome, und ich gefährde niemanden, der so in der allerhöchsten Risikokategorie ist. Dann würde ich sagen, kann man sich auf so einen Test verlassen.


59:07



Camillo Schumann



Jetzt haben wir über den Nasenabstrich-Test gesprochen. Aber eigentlich wurde er auch der Spuckund Gurgel-Test angekündigt. Aber jetzt bei den Discountern und auch den Drogeriemärkten in dieser Woche zumindest nicht verfügbar. Vielleicht den noch kurz erwähnen, was ist da zu beachten? Auch wieder von ganz hinten holen?


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Alexander Kekulé


Na ja, ich mag diese Gurgeltests ganz gern. Ich habe das ja auch mit den österreichischen Kollegen schon seit längerem begleitet. Es ist so, dieser Gurgel-Test hat den Vorteil: Wir haben es ja vorhin kurz besprochen. Man weiß nicht genau, in welcher Stelle der Schleimhaut das Virus sich gerade vermehrt. Und wenn man gurgelt, dann erwischt man halt auf jeden Fall irgendwie was, weil das spült dann so eine Ladung raus. Wenn man das kann, wäre es natürlich gut, nicht nur im vorderen Mundraum zu gurgeln. Also nicht nur vorne zwischen den Zähnen ein bisschen hinund herzuschieben, sondern tatsächlich hinten zu gurgeln und dann wieder zurück zu spucken in den Becher. Da ist es in der Tat besser, auch wenn das immer etwas unappetitlich klingt, von hinten was nach vorne zu holen. Einfach deshalb, weil durch das Sprechen, Kauen und Essen, auch durch die Speichelbildung, die dort stattfindet, ist der vordere Mundraum einfach stärker durchspült als hinten die Rachenwand. Und da wäre es schon es ganz gut, wenn man möglichst weit von hinten was nach vorne holen und in den Becher spucken könnte. Man kann das ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit machen.



Camillo Schumann



Man muss es ja nicht allzu laut machen, dass dann der Nachbar hört: Aha, jetzt testet er wieder.



Alexander Kekulé


Jungs auf dem Schulhof können das normalerweise ziemlich gut.



Camillo Schumann



Okay, wir wollten ja anstoßen, sobald es die Selbsttests gibt. Aber ich würde sagen, wir stoßen erst an, wenn jeder von uns, also Sie und ich ganz entspannt in den Discounter gehen oder den Drogeriemarkt und nicht früh um halb sechs Uhr den Wecker stellen müssen. Sondern wenn es die dann wirklich für alle gibt und in der breiten Bevölkerung vorhanden sind, dann würde ich sagen, können wir ja mal einen alkoholfreien Piccolo trinken.


1:01:12 



Alexander Kekulé


Erstens muss der Alkohol enthalten, um die Viren abzutöten. Völlig klar. Zweitens könnten


wir den natürlich gleich zum Gurgeln verwenden. Kleiner Spaß. Und beides ist falsch. In Feierlaune bin ich jetzt nicht, weil ich irgendwie noch nicht weiß, wie viele Tests wirklich da sind. Ja, das ist ja das große Fragezeichen. Gibt es jetzt am nächsten Tag im Discounter wieder welche oder war es das jetzt erst mal? Und irgendwie wurde ja auch angekündigt, dass jeder Deutsche sich jetzt, war es nicht ab diese Woche, einmal die Woche testen lassen kann?



Camillo Schumann



Ja, seit Montag sollte es eigentlich so sein.



Alexander Kekulé


Also das da muss ich sagen, schauen wir mal. Also ich bin ja irgendwie immer Optimist, dass wir solche Sachen hinkriegen. Also ich bin nicht einer von denen, die unterschreiben, dass wir Deutschen Logistik-Weltmeister sind, sondern ich glaube, der Logistik-Weltmeister war schon immer und ist leider das amerikanische Militär. Wenn man das mitkriegt, die sind immer ganz vorne mit dabei. Aber ich glaube trotzdem, dass wir es irgendwie doch hinkriegen müssen, so ein paar Tests irgendwie zu verteilen, jetzt, wo endlich der Groschen gefallen ist, dass die wichtig sind. Da müssen wir das doch irgendwie auf Spur kriegen, zumindest halbwegs synchronisiert zu diesem Öffnungsplan, weil da stehen die Daten drin. Wo die Daten nicht drin stehen ist, wie werden die Tests geliefert? Und ich habe übrigens gerade mal nachgeschaut, bei den Impfstoffen ist es auch so: Beim Bundesgesundheitsministerium kann man sich anschauen, welche Lieferungen für den Monat März versprochen wurden von den drei Herstellern. Das sieht ja nicht schlecht aus, wenn man sich die Zahlen anschaut. Aber dann ist dann bei BioNTech in Rot darüber geschrieben: Achtung, im März hat die Produktion noch gar nicht begonnen. Weiß nicht, was das heißen soll. Das heißt wahrscheinlich, die nachfolgende Tabelle ist Makulatur. Aber man muss irgendwie die Maßnahmen synchronisiert kriegen. Und da bin ich jetzt schon Optimist, dass das irgendwann funktioniert. Aber so richtig nach Piccolo ist mir heute noch nicht.


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1:03:10



Camillo Schumann



So. Wir haben über die Selbsttests gesprochen. Wir sind gespannt, wie sich das entwickelt. Wir müssen noch über eine spannende Beobachtung sprechen, die gerade in der Fachwelt diskutiert wird. Es geht um „Long-Covid“oder „Post-Covid“-Patienten, also Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben, aber immer noch unter den Folgen leiden und weiter Symptome haben. Das ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen, und so verbreitet es ist, so komplex ist es auch. Aber es gibt Beobachtungen, dass es diesen Menschen offenbar besser geht, wenn sie eine Impfung erhalten haben. Wie gesagt, es sind Beobachtungen, aber von sehr ernst zu nehmenden Menschen. Der Amerikanische Infektiologe Daniel Griffin z.B., schreibt bei Twitter, dass nach seiner Erfahrung etwa 40 Prozent der „LongCovid“-Patienten nach der Impfung eine Besserung erlebten, und auch andere Kolleg*innen berichten Ähnliches. Wie bewerten Sie die Diskussion?



Alexander Kekulé


Ja, also das ist wirklich spannend. Am Anfang, als ich das zum ersten Mal gelesen habe, habe ich gedacht, das ist irgendetwas ganz Skurriles aus den sozialen Netzen. Es gibt auch keine Publikation in dem Sinn dazu, nur immer wieder Leute, und zwar nicht nur „Andersgläubige“, sondern so ganz normal aus der wissenschaftlichen Community, die sagen wir beobachten bei diesem Long-Covid, was echt ein Thema ist, beobachten wir, dass die Impfung bei einem Teil der Leute eine Besserung macht. Diese 40 Prozent kann ich jetzt nicht unterschreiben, aber ... Ich kann nur sagen wenn so Hands-on-Ärzte so einen Effekt erleben, dann sagt man am Anfang: Naja, das kann viele Gründe haben, psychologisch, PlaceboEffekt o.Ä.. Aber ich erinnere mich dann immer gerne daran, wir hatten ja diesen ZikaAusbruch in Brasilien vor einiger Zeit. Da war es wirklich eine Ärztin aus dem Norden von Brasilien, die hat als Neuropädiaterin in ihrem ganz normalen Leben gemerkt: Mensch, die die Zahl der Kinder mit zu kleinem Schädel hat so komisch zugenommen. Und dann würde man auch sagen, naja, gut, ist keine Statistik. Am Schluss kam raus, dass das ein Virus ist,


was tatsächlich solche Störungen des Kopfund Gehirnwachstum verursacht. Darum nehme ich das einfach extrem ernst, wenn so Praktiker so eine Beobachtung haben. „Long-Covid“ ist ja ein extrem wichtiges Thema. Man sagt zu etwa 2 0 Prozent – das ist echt viel, jeder Fünfte – haben solche Symptome. Und wenn es jetzt wirklich so sein sollte, dass das durch die Impfung etwas besser wird, das wäre schon ein Hammer. Und das sollte man auf keinen Fall übersehen im jetzigen Stadium.



Camillo Schumann



Aber Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, sind ja nicht jetzt unbedingt die Zielgruppe für eine Impfung. Ist das nicht eigentlich erst mal ein Widerspruch?



Alexander Kekulé


Ja, im Gegenteil, die sollen ja jetzt aktuell gar nicht geimpft werden. Da sagt das RobertKoch-Institut aktuell frühestens nach sechs Monaten im Hinblick auf Varianten, ja. Aber dass Immunschutz besteht, ist klar.


Also man muss halt erstens sagen, „LongCovid“ ist eine ganz heterogene Sache. Also, man weiß nicht genau, was das ist. Da gibt es sicher viele auch, wo das psychologisch überlagert ist, die einfach im Lockdown und mit dem ganzen Drumherum sagen: Mensch, jetzt habe ich auch noch Covid gekriegt, und es geht mir nicht richtig besser danach. Aber es gibt auch ganz konkrete Fälle, wo man einfach weiß bei den Geruchsstörungen. Das ist ja ganz eindeutig. Aber auch sonst bei Konzentrationsstörungen bis hin zu Problemen am Herzmuskel und so gibt es einfach wirklich nachweisbare Probleme in einzelnen Fällen. Und deshalb ist es eigentlich klar, dass es diese Krankheitseinheit irgendwie gibt, übrigens nicht nur bei dem Sars-CoV-2 , sondern auch bei vielen anderen Virusinfektionen. Das darf man nicht vergessen. Das skurrile ist nur, wieso soll denen jetzt ausgerechnet die Impfung helfen? Und da muss man sagen, das ist natürlich etwas, warum Virologen von so was dann begeistert sind. Die fangen an zu spekulieren. Aber es ist nicht mehr als Spekulation. Also zum ersten wissen wir, das ist so eine Entwicklung, die eigentlich, wenn ich an meine VirologieVorlesung denke, sich in den letzten zehn Jahren so langsam verdichtet hat. Wir wissen, dass Viren nach einer durchgemachten Infekti-


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on, wenn man hinterher wieder gesund ist, ganz oft gar nicht weg sind. Ja, so ein Bakterium ist weg, auch wenn man Antibiotika genommen hat oder so, ist es weg. Oder zumindest tut es nix mehr. Aber die Viren, die nisten sich irgendwo ein, bleiben im Körper, und werden vom Immunsystem in Schach gehalten, und deshalb sind wir nicht mehr krank. Man kennt das ja von Herpes. Das Herpes hat man einmal richtig gehabt und dann später bei Stress oder Sonneneinstrahlung oder Fieber oder so kommt plötzlich das berühmte Fieberbläschen zurück.



Camillo Schumann



HI-Virus z.B. auch.



Alexander Kekulé


Bei HIV ist es ganz klar. Da ist es aber ohne Frage. Das macht ja eine primär chronische Infektion, sagen wir. Da ist man nach der Infektion das Virus definitiv nicht mehr los. Aber auch bei Hepatitis z.B., bei Leberentzündung, hat man früher gedacht, wenn Hepatitis vorbei ist, ist das Virus weg. Nix da, das bleibt. Und es gibt auch RNA-Viren, so z.B. wie eben das ... Bei Coronaviren kennt man es nicht, aber bei anderen RNA-Viren. Z.B. beim Masern-Virus ist es so, da wissen wir, dass es ganz häufig bleibt in bestimmten Zellen des Körpers. Und die Masern sind längst vorbei. Das Virus ist aber noch nachweisbar. Sodass man überlegen könnte, vielleicht ist zumindest bei diesen „LongCovid“-Patienten das Corona-Virus irgendwo noch da, „persistiert“, wie wir sagen, und dafür würde aus meiner Sicht sprechen, dass wir diese häufigen neurologischen Verläufe jetzt sehen. Dass das ganz oft ja gar nicht so nur die Lunge ist, sondern dass auch das zentrale Nervensystem mit betroffen ist. Wir sagen, das ist ein neurotropes Virus, und das ist ein Bereich, wo die Viren ganz gut überwintern können. Übrigens hat man das auch beim Ebola-Virus erst nach dem Ausbruch in Westafrika festgestellt zum ersten Mal. Weil man da so viele Patienten hatte und untersucht hat, dass dieses Virus in Nervenzellen, aber auch im Auge und in den Genitalien, in den Hoden bei Männern, überwintern kann, also bleiben kann, auch wenn Ebola ausgeheilt ist. Also deshalb könnte es sein, dass das Virus irgendwo noch im Körper ist, und deshalb diese Impfung sozusagen denen dann den Tritt in den Hintern


verpasst, dass das Immunsystem in der Lage ist, das Virus rauszuschmeißen. Eine andere Idee ist, dass es vielleicht nicht das ganze Virus ist, sondern vielleicht Teile vom Virus, irgendwelche Reste, die da noch rumlungern, die das Immunsystem reizen, sodass man vielleicht eine chronische Entzündung hat. Wo dann auch durch Stimulation z.B. diese angeborene Immunantwort, die ja bei der Impfung auch immer passiert, quasi nochmal das Immunsystem so einen Schubser kriegt, um das Virus zu eliminieren. Es ist quasi eine unspezifische Stimulation, wäre das. Wir haben ja viele Impfstoffe, die so ein Adjuvans dabei haben, sondern Wirkverstärker. Und diese RNAImpfstoffe, die haben das nicht, weil die RNA sich selber adjuvantiert. Es könnte auch sein – diese Studien oder diese Beobachtung ist gemacht worden bisher ausschließlich bei den RNA-Vakzinen, also bei dem von Pfizer und von Moderna. Und diese RNA ist ja in so einem kleinen Lipidbläschen drin. Es könnte auch sein, dass das so einen immunstimulierenden Effekt hat, der vielleicht dazu führt, dass das Immunsystem das Virus rausschmeißt. Oder es könnte sein, dass einfach, sag ich mal, so vagabundierende T-Zellen, die für eine Autoimmunerkrankung verantwortlich sind, also dass das „Long-Covid“ eine Autoimmunerkrankung ist. So ähnlich. Es gibt ja viele so Schilddrüsenerkrankungen, wo der Organismus seine eigenen Organe kaputtmacht und Ähnliches. Dass das eine autoimmunologische Störung ist, wo die weißen Blutkörperchen und da die T-Zellen speziell nicht tun, was sie sollen, sondern körpereigene Zellen kaputtmachen. Und da ist es bei solchen autoimmunologischen Phänomen ist es schon öfter mal beobachtet worden, dass man durch eine weitere Infektion, quasi die wieder auf Linie bringt. Ja, dass diese vagabundierenden T-Zellen dadurch, dass sie jetzt richtig was zu tun haben mit einer neuen Infektion oder in dem Fall mit der Impfung, quasi wieder richtig funktionieren. Dass sich das wieder einrenkt, könnte man so im Bild sagen. Also all diese Varianten sind möglich, und das ist natürlich superinteressant. Also es gibt mögliche Erklärungen dafür. Es kann aber auch sein, dass das ein Phänomen ist, was sich dann statistisch gar nicht richtig bewahrheitet.


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1:11:18



Camillo Schumann



Virologie für Feinschmecker am Ende des Podcasts. Und sollte es dazu dann tatsächlich mal Studien geben, also, wie sich die Impfung auf das Befinden von „Long-Covid“-Patienten auswirkt, werden wir das natürlich hier im Podcast besprechen.



Alexander Kekulé


Ganz wichtig wäre, dass man diese Studien jetzt anfängt. Wir haben ja in Deutschland die tolle Situation, dass noch nicht so viele geimpft sind. Und dadurch können wir unsere „LongCovid“-Patienten bei den Impfungen speziell in Studien einschließen. Und da würde ich ganz dringend dafür plädieren, dass man das wirklich macht, weil man muss dann das sehr systematisch machen. Man muss dann einem Teil der „Long-Covid“-Patienten wirklich den Impfstoff geben, anderen Placebo-Impfstoffe geben oder auch mal nur so eine Lipid-Hülle ganz alleine, ohne die RNA drin. Auch verschiedene Impfstoffe vergleichen, AstraZeneca und Pfizer, um da ein systematisches Ergebnis zu haben. Wenn wir das jetzt nicht sofort anfangen, dann ist es später nicht mehr möglich, wenn wir die Bevölkerung weitgehend durchgeimpft haben.



Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Viele Lehrer lassen sich ja gerade impfen. Und da stellen sich dann auch viele Fragen. Unter anderem hat dieser Lehrer angerufen:


„Wie lange wird es nach der Impfung wohl dauern, bis ich wieder in den Präsenzunterricht darf?“


Tja, geimpft. Und dann möchte er wieder zurück. Nachvollziehbar. Was würden Sie empfehlen?



Alexander Kekulé


Naja, also das ist relativ klar, da kann man sagen, zehn Tage nach der zweiten Impfung ist er geschützt, und zwar sicher. Nach der ersten schon so halbwegs. Da geht man auch von zehn Tagen aus. Das sind einfach die Daten aus den Zulassungsstudien. Das mit den zehn Tagen hängt damit zusammen, dass einige Menschen, die sich vorher infiziert haben, bevor sie geimpft wurden, dann in den ersten zehn Tagen doch noch krank wurden. Aber zuverlässi-


gen Schutz nach zehn Tagen ungefähr nach der Impfung. Und daher kann man sagen nach der zweiten Impfung zehn Tage später kann er definitiv in Präsenzunterricht gehen.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 157. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere nochmal vertiefen möchte: Alle Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 06.03.2 02 1 #156: Hörerfragen-SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


WassolltenKrebspatientenüberdie Impfung wissen?


Gibt es einen Schnelltest auf Antikörper?  Schützt uns die britische Variante vor


anderen Varianten?  WassolltemanüberdenModerna-


Impfstoff wissen?  Geben geimpft Personen noch eine


ansteckungsfähige Menge an Viren weiter damit?


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulé Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexader Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie ist 77 Jahre alt, hatte 1994 Brustkrebs und hat nun eine Frage zur Impfung:


„Was mich besonders verunsichert. Ich habe einen ganz geringen Leukozytenwert. Der liegt zwischen 3,4 und 3,8 manchmal auch 2 ,7. Ist es möglich, dass durch die Impfung dieser Leukozytenwert durcheinanderkommt und sich vielleicht noch verringert? Denn er ist ja auch gleichzeitig der Immunwert.“


Alexader Kekulé


Das ist unwahrscheinlich. Also die Impfung wird da keinen negativen Einfluss haben. Manchmal ist es so, dass jemand, der zu


niedrige Leukozyten hat, etwas schlechter auf den Impfstoff reagiert. Also, dass die Impfwirkung vielleicht nicht ganz optimal ist. Aber im Sinne von Nebenwirkungen würde ich nicht sagen, dass es irgendeinen Zusammenhang damit gibt. Also, es gibt keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen. Im Gegenteil: In dem Fall würde ich sogar dringend empfehlen.



Camillo Schumann



Bleiben wir beim Thema Krebserkrankung und Impfung. Diese Dame hat auch angerufen:


„Und zwar bin ich letztes Jahr 60 geworden, bin letztes Jahr im April, seit April Chemo-Patient mit multiplem Krebs. War zwischendurch auf einem guten Weg, da war er fast weg, und wurde dann nur noch mit Antikörpern behandelt. Jetzt, leider, seit Februar ist der Krebs zurück und ich muss wieder harte Chemo plus Antikörper nehmen. Meine Frage ist, wenn ich dran bin mit Impfen, ist es besser, das von BioNTech zu nehmen? Oder spielt das keine Rolle und ich soll nehmen, was da einfach kommt?“


Alexader Kekulé


Das ist schwer zu sagen. Diese Nebenwirkungen, also die Impfreaktion bei AstraZeneca ist ziemlich in den Medien gewesen. Ich habe jetzt noch keine Studie gesehen, die schwarz auf weiß bestätigt hat, dass dort die Impfreaktionen wirklich schwerer sind. Das ist ja mehr so eine Art Eindruck oder Gerücht oder Ähnliches. Ich würde da mal den behandelnden Arzt fragen, ob er der Meinung ist, dass man aufgrund dieses Eindrucks, der da entstanden ist – natürlich auch in der Fachwelt, das ist jetzt nicht nur etwas, was in der Laienpresse ist. Aber wenn es jetzt wirklich so ist, dass die Impfreaktion bei dem AstraZeneca etwas stärker sein sollte, dann würde ich jetzt jemanden, der gerade zwischen den Chemotherapien hängt, wahrscheinlich eher dem BioNTech-Impfstoff empfehlen oder auch Moderna. Auch deshalb, weil natürlich, da die Schutzwirkung noch ein bisschen höher zu sein scheint, zumindest nach dem bisherigen Daten. Das ist aber, sage ich mal so eine ganz feine Abwägung, fast hätte ich gesagt, auf hohem Niveau das noch weiter zu optimieren. Und statt sich sozusagen überzuoptimieren, muss man wahrscheinlich im Zweifelsfall sagen


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das, was ich zuerst kriege, ist immer das Richtige. Weil, in so einer Situation jetzt gerade mit Chemo, würde ich jetzt schon versuchen, eine COVID-Infektion dringend zu vermeiden. Und das heißt, wenn jetzt der eine Impfstoff zur Verfügung steht und der andere gerade nicht greifbar ist, dann würde ich auf jeden Fall das nehmen, was gerade da ist.


03:40



Camillo Schumann



Simon aus Stuttgart hat uns gemailt. Er schreibt:


„Eine Bekannte soll nächste Woche mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpft werden. Ihr wurde von einem Arzt geraten, prophylaktisch vor und nach der Impfung eine Paracetamol zu nehmen, damit sie keine Impfreaktion zu spüren bekommt. Jetzt stellen sich mir da 2 Fragen: Wenn damit die Immunreaktion gedämpft werden soll, würde dies nicht auch die Wirkung der Impfung herabsetzen? Und macht dies vielleicht Sinn vor der zweiten Impfung zu nehmen, da bei der zweiten Impfung die Reaktionen häufig heftiger ausfallen. Viele große Simon aus Stuttgart.“


Alexader Kekulé


Ich bin dagegen, so Paracetamol im Zusammenhang mit Impfungen zu nehmen. Es gab aber auch Gerüchte, dass das sogar bei den Studien zum Teil passiert ist, weil ja die Studienteilnehmer auch nicht blöd sind, die kriegen da Geld dafür, dass sie sich an irgendwelchen Studien beteilige. Und irgendwann spricht sich herum, dass man da eine Impfreaktion hat. Das ist ja auch ein Teil des gewünschten Effekts. Und dann nehmen die dann munter Paracetamol, ohne dass es so richtig kontrolliert wird. Also wirksam ist das wohl schon. Also man kann wohl diese Impfreaktion durch das Paracetamol so ein bisschen drosseln. Es gibt keine Untersuchung darüber, obwohl die natürlich echt interessant wäre, gute Frage, ob man durch die Einnahme eines solches Medikaments, was tatsächlich so einen kleinen Teil der Immunantwort, sage ich mal, so ein bisschen dämpft. Es ist ja nicht so, dass da quasi das Immunsystem insgesamt ausgebremst wird. Aber so ein bestimmter Teil der Immunantwort wird durch diese durch diese Medikamente durch diese Fiebersenker


letztlich ein bisschen gebremst. Und die Frage ist, wirkt sich das auf den Impferfolg aus? Das Problem ist, um so etwas Feines rauszukitzeln, müsste man wahrscheinlich wieder so etwas wie 40.000 Probanden haben. Die einen nehmen, dass die anderen nehmen, es nicht. Und dann müsste man schauen, ist da irgendein Unterschied. Oder zumindest ein paar Tausend. Und ich fürchte mal, das wird sich praktisch nicht realisieren lassen, so eine Studie, sondern es wird immer gerüchtehalber bleiben.


Ja, und vor der zweiten Impfung: Man sagt ja immer, dass bei der bei der Booster-Impfung bei der Auffrischungsimpfungsimpfung, diese Impfreaktion stärker ist. Das wäre auch theoretisch plausibel, weil das Immunsystem ja da zum zweiten Mal quasi dieses Antigen sieht, dieses Virusprotein sieht und dann natürlich schon stärker vorbereitet ist und vielleicht auch stärker reagieren kann. Was ich jetzt so anekdotisch von den Patienten höre, von den Personen höhre, die da geimpft werden, ist: Es gibt solche, die reagieren drauf. Die reagieren dann meistens bei beiden Impfungen. Und es gibt solche, die stecken des weg, als wäre da gar nichts passiert. Und da scheinen sehr viele individuelle Faktoren eine Rolle zu spielen. Das scheint wichtiger zu sein als die Frage, ob es die erste oder die zweite Impfung ist.


Und deshalb würde ich sagen, wenn jemand jetzt da wirklich totale Angst vor diesen Nebenwirkungen hat, dann soll er von mir aus Paracetamol nehmen. Am Ende des Tages, man fühlt sich halt einen Tag lang so, als würde man eine Grippe kriegen. Ja, so ein bisschen wie überrollt. Und manche sagen dann auch, sie haben ein bisschen so Schüttelfrost oder so was. Aber es geht ja wirklich immer nach einem Tag wieder vorbei. Und deshalb glaube ich, da darf man auch dann mal ein bisschen tapfer sein und sagen, das nehme ich jetzt mal in Kauf.


07:05



Camillo Schumann



Eine Dame über 80 aus dem Harzkreis hat angerufen. Sie möchte nicht, dass man ihren Ton vorspielt. Jedenfalls hat sie einen Impftermin erhalten. Am 12 . März soll sie den Moderna-Impfstoff bekommen. Nun will sie wissen, was man über diesen Impfstoff wissen


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muss. Und sie grüßt uns herzlich. Also die Frage nach dem Moderna-Impfstoff kann man nachvollziehen. Weil, der ist nun wirklich ziemlich unterrepräsentiert bei den Impfungen. Löwenanteil ist in BioNTech, aber Moderna eher weniger.


Alexader Kekulé


Ja, der ist jetzt bestellt. Also nach allem, was die Daten zeigen, ist das quasi identisch mit BioNTech. Ich habe noch nicht rausgekriegt, was wirklich der Unterschied ist. Die BioNTechLeute waren, so wie man das so liest, ein bisschen offener bei der Darstellung, wie sie dieses Protein gemacht haben. Was sie sich dabei gedacht haben, wie sie das sozusagen designt haben. Aber mein Eindruck ist, dass das Moderna-Zeug quasi das Gleiche in Blau ist. Also es gibt auch bisher aufgrund der klinischen Daten in Amerika wird moderner ja schon länger im großen Stil verimpft, gibt also gar keine Hinweise darauf, dass da irgendetwas anderes wäre. Und darum würde ich jetzt mal sagen das ist quasi das gleiche Produkt nur von einer anderen Firma.


08:2 0



Camillo Schumann



Herr D. aus Dortmund hat eine Mail geschrieben. Er hat eine Frage zum Komplex Infektiosität nach Impfung. Er schreibt:


„Wenn nach einer Impfung das Coronavirus zu einem milden oder sogar asymptomatischen Verlauf führt, ist die Last von emittierten Viren durch den Infizierten nicht auch geringer? Und somit auch weniger ansteckend? Sollte dies der Fall sein, müsste man die Diskussion, ob ein Geimpfter das Virus nicht trotzdem weiterträgt, dann nicht viel differenzierter betrachtet werden? Denn würde ein Geimpfter das Virus weniger stark an andere weitergeben, hätte man doch zumindest so etwas wie ein Abdämpfungseffekt. Mit freundlichen Grüßen, Herr D. aus Dortmund.“


Alexader Kekulé


Ja, das ist so. Das haben wir, glaube ich, auch schonmal besprochen. Es ist tatsächlich so. Ich sage auch immer, diese Frage, die da so als wahnsinnig wichtig in den Raum gestellt wird, gibt es eine sterilisierende Immunisierung, ja oder nein? Das heißt, führt eine Impfung dazu, dass man absolut das Virus nicht mehr weiter-


geben kann, weil die Antikörper da auf der Schleimhaut so schnell sind, dass sie jede Infektion sofort vermeiden. Das Virus kann sich nicht vermehren auf der Haut und in der Haut, und deshalb wird es nicht weitergegeben. Diese ganze Frage ist aus meiner Sicht akademisch, weil, wir kennen bei diesen Atemwegserkrankungen keine sterilisierende Immunität, das ist immer so, dass sich ein bisschen was dann doch vermehrt. Aber es ist viel, viel weniger, als wenn man keine Immunität hätte. Und deshalb kommt es genau zu diesem Effekt: Jemand, der geimpft wurde oder der so eine Infektion schon durchgemacht hat, der kann wohl, gerade wenn dann die Variante auftritt sich noch einmal infizieren, oder trotzdem infizieren beim Geimpften. Da ist es dann aber so, dass mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei fast allen Patienten die Replikation, die Vermehrung des Virus, stark limitiert ist und die Weitergabe dann eben auf keinen Fall reicht, um in Superspreading, zum Beispiel, zu machen. Also, da bräuchte man sehr viel Virus. Klar wird so ein Geimpfter, bei dem sich das Virus ausnahmsweise ein bisschen mehr vermehrt, zum Beispiel durch Küssen seinen Partner oder seine Partnerin anstecken können. So etwas würde ich jetzt nicht ausschließen. Also so auf der Ebene sind wir. Ich glaube, das war von Anfang an klar, und das daran wird sich nichts ändern an den an dieser, sag ich mal, rein theoretischen Ableitung. Und deshalb können wir mit der Arbeitshypothese aus meiner Sicht ab sofort arbeiten, dass man sagt: Geimpfte werden das Virus weniger weitergeben. Aber sie werden nur noch in Ausnahmefällen Superspreading machen oder gar keinen Superspreading machen und nur noch in Ausnahmefällen zu einer echten Infektion führend. Das ist sozusagen das, was auf der Hand liegt.


10:52 



Camillo Schumann



Diese junge Dame hat angerufen. Sie ist 2 7, arbeitet auf der Inneren Abteilung eines Krankenhauses. Dort steht den Mitarbeitern der Astrazeneca-Impfstoff zur Verfügung. Und nun hat sie folgende Frage:


„Ich bin mir unsicher, ob ich mich damit impfen lassen sollte, oder noch abwarte, bis eine


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Impfung von BioNTech oder Moderna bzw. auch eine überarbeitete Impfung in Hinblick auf die Mutation angeboten wird. Was würden Sie empfehlen? Auch vor dem Hintergrund, dass ich in den nächsten Jahren in die Familienplanung gehen möchte und dem Risiko, dass die Vektorimpfstoffe als DNA-Impfstoff auf den Zellkern wirken, wie Sie selbst, Herr Professor Kekulé, in einem der letzten Podcasts sagten. Da stelle ich mir die Frage, wie ist es mit den Risiken bei Vektorimpfstoffen aussieht. Und was Sie mir empfehlen würden. Ich danke Ihnen.“


Alexader Kekulé


Das ist ganz klar so, dass der AstraZenecaImpfstoff, wie jetzt seit neuerdings, seit vorgestern auch für Ältere – und aber sonst ist der Impfstoff auf jeden Fall für junge Leute zu empfehlen und in Ordnung. Es ist so, dass ich jetzt während einer Schwangerschaft aus verschiedenen Gründen so eine Impfung nicht machen würde. Das gilt aber für alle diese Impfstoffe. Weil da die Studienlage noch nicht so eindeutig ist. Es ist so, dass sowohl die RNAImpfstoffe als auch natürlich die Vektorimpfstoffe bei Schwangeren noch nicht ausreichend erprobt sind. Ja, das theoretische Risiko dieser Integration, das wird immer so diskutiert. Das ist eigentlich eher so ein, sage ich mal, ein Impfkritiker-Argument, was ich auch im Podcast schonmal aufgreifen wollte. Das kann man halt bei den RNA-Impfstoffen sauber wegdiskutieren. Bei den Vektorimpfstoffen ist es so, dass wir sagen müssen wir müssen uns die Lage erst mal anschauen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es irgendwie ansatzweise genetische Veränderungen dadurch gebe, in der Praxis. Aber man kann zumindest man kann hier nicht sagen, es ist rein theoretisch hundert Prozent auszuschließen. Und deshalb wird es auch so sein, dass man wahrscheinlich bei Schwangeren erstmal – da laufen jetzt die ersten Studien – da wird man wahrscheinlich die ersten Studien mit den RNA-Impfstoffen machen. Wenn aber im Moment keine Schwangerschaft besteht und sich hier nur um eine Familienplanung für die Zukunft handelt, dann kann man ohne weiteres den Astrazeneca-Impfstoff nehmen. Da spricht absolut nichts dagegen um, in der gerade Angeboten ist und ihr offensichtlich


hier im Krankenhaus ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, dann würde ich das machen.


13:2 9



Camillo Schumann



Herr von B. hat gemailt. Er schreibt:


„Was passiert eigentlich, wenn die CoronaSchnelltests neue Mutationen nicht erkennen? Könnte es dann sein, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt? Viele Grüße?“


Alexader Kekulé


Ja, wenn, dann würde das vielleicht passieren. Aber es ist so, dass diese Schnelltests die Mutationen tatsächlich erkennen. Und zwar deshalb, weil diese Schnelltests gegen ein Antigen, gegen ein Protein wirken oder ein Protein nachweisen letztlich in diesem Virus, was nicht das Oberflächenprotein ist. Das ist ein anderes, was in den drinnen ist und in dem Virus. Und das ist gar nicht identisch mit diesem Oberflächenprotein, was diese Varianten typischerweise kennzeichnet. Rein theoretisch wäre das auch möglich, dass diese Bestandteile, die von so einem AntigenSchnelltest erkannt werden, sich irgendwie im Lauf der Virusevolution ändern. Und dann diese Tests nicht mehr funktionieren. Aber da würde ich jetzt mal sagen, die werden ja millionenfach, demnächst vielleicht milliardenfach weltweit eingesetzt. Dass ich jetzt ausgerechnet derjenige bin, bei dem es zum ersten Mal versagt und der sozusagen Wissenschaftsgeschichte schreibt, da würde ich dann mal optimistisch sein und sagen das, das wird dann schon jemand anders auch vorher passiert sein. Und dann wird es irgendwo dokumentiert sein. Und dann hat man das irgendwo gehört. Im Zweifelsfall in diesem Podcast, wenn also irgendwie rauskommen sollte, dass der Schnelltest bei irgendwelchen Varianten versagt. Bis jetzt gibt es überhaupt keine Hinweise darauf. Und es ist eben vor allem auch ein anderes Protein, das Virus, was für diese klassische Variantenbildung jetzt verantwortlich ist.


15:02 



Camillo Schumann



Sie legen sich da sehr fest, dass ist aber zum Beispiel so ein Argument, was auf vielen, ich sage mal, nicht ganz so seriösen Seiten auch immer wieder behauptet wird: Dass die


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Schnelltests oder auch, dass der PCR-Test diese Varianten überhaupt nicht mehr nachweisen kann. Also das ist ausgeschlossen, ja?


Alexader Kekulé


Also das ist nach dem jetzigen Wissensstand bei den Varianten, die wir jetzt auf dem Schirm haben, ist es ausgeschlossen. Weil, eben das eine ist, dieses Core-Protein, was drin ist in dem Virus und das andere ist das SurfaceProtein, diese Spikes, die außen drauf sind. Und natürlich haben Varianten auch Mutationen in den anderen Virusbereichen. Aber da ist in der Evolution nicht so ein hoher Druck drauf, weil dieser äußere Stachel, die dieses Coronavirus hat, mit dem dockt es ja an die Zielzelle an. Und deshalb ist das auch besonders wichtig zur Abwehr von Antikörpern oder von Immunreaktionen. Weil, eine erfolgreiche Immunantwort wird immer das Andocken verhindern. Und deshalb ist das der Bereich, der auch so stark variabel ist, der sich ständig verändert in der Evolution, weil, da passt sich das Virus dem Immunsystem des Wirts an, und es optimiert sich auch, dass es immer besser quasi an den neuen Wirt „Mensch“, quasi an dessen Schleimhautzellen sich sozusagen festhalten kann und da reinkommt. Weil das zur Folge hat, dass dann weniger Viruspartikel für eine Infektion ausreichen. All diese all diese Dinge spielen sich hauptsächlich an diesem Spike außen ab. Und deshalb sehen wir auch, dass die Mutationsrate dort überhaupt am größten ist, relativ zu den anderen Proteinen. Und es gibt andere, diesen wesentlich stabiler – Coronaviren gelten insgesamt eigentlich als relativ stabile RNA-Viren – und so einen stabilen Teil des Virus, der eigentlich jetzt nicht dem ständigen Wandel unterworfen ist, den hat man genommen für die Antigen-Tests. Und auch bei der PCR ist es so ja, man unter anderem verschiedene PCR-Methoden, die auch dieses Spike nachweisen können, also das Gen, was das Spike codiert, nachweisen können. Aber die sind ja immer, wie wir sagen, multi-target, das heißt also, da werden immer weitere Gene des Virus parallel nachgewiesen, sodass also die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus einfach mal schnell diesen Test entgeht, dem einen oder dem anderen, das liegt wirklich bei Null. Das ist extrem gering. Und


wenn, dann würden wir das merken. Da gäbe es sofort Publikationen: Achtung, neue Mutante, die bei dem und dem Test nicht richtig anschlägt.


Wir haben das ja gehabt, den England dieses B117, da ist es ja tatsächlich so, dass bei dem Tripple-Target-Test, da gibt es eine Firma, Fisher Scientific heißt die. Die hat den PCR-Test mit drei Targets. Drei verschiedene Gene werden da parallel nachgewiesen von diesem Virus. Und da hat man gemerkt, hoppla, eins von denen, nämlich das „S“ ausgerechnet, das fällt aus. S-Dropout nannten die Engländer das. Und das war ja der erste Hinweis darauf, dass überhaupt eine Variante unterwegs ist. Und das haben wir sofort erfahren. Das war sofort bekannt, und jeder weiß, dass man bei diesem Test, bei diesen Varianten, bei mehreren Varianten auch bei der südafrikanischen und brasilianischen, diesen S-Dropout hat. Aber weil man das eben sofort gemeldet bekommen hat, bin ich sehr zuversichtlich, dass uns das nicht entgehen würde, wenn unsere Testinstrumente plötzlich nicht mehr so sauber funktionieren.


18:15



Camillo Schumann



Aber das habe ich bei Facebook gelesen. Da wird es ja wohl stimmen. (beide lachen) Kleiner Spaß. Frau Oberländer aus Jena hat angerufen. Sie hat eine Frage zu Schnelltests. Allerdings jetzt nicht zu den Schnelltest, über die wir gerade gesprochen haben, sondern:


„Kann man mit einem Corona-Schnelltest eine Aussage machen, in welchem Umfang man schon Antikörper entwickelt hat?“


Alexader Kekulé


Mit den Schnelltests, über die wir jetzt hier so reden: nein. Das sind ja die AntigenSchnelltests, die wir hier haben. Da wird das Virus selber nachgewiesen, also seine Eiweißmoleküle, seine Proteine. Es gibt tatsächlich auch Antikörper-Schnelltests, da muss man Blut haben und kann dann mit Blut quasi mit so einem Schnelltest Antikörper nachweisen. Die waren ja sogar als erstes in der Diskussion. Es gab eine ganze Weile – wo ich dann immer irgendwelchen Journalisten was von Schnelltests erklärt habe, und das


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dann immer durcheinander gebracht wurde, ob jetzt die Antikörper oder die AntigenSchnelltests gemeint sind – ich glaube, dass wir heute meistens die Antigen-Schnelltests meinen. Und es ist so, dass bei den AntikörperSchnelltests, man so grundsätzlich sagen kann, da rate ich von ab, die zu verwenden. Da haben wir es nicht so eilig. Da geht es ja um die Frage: Habe ich schon mal die Infektion durchgemacht? Ja, oder nein? Das kann wichtig sein, um später mal in die Oper zu gehen oder Ähnliches, sodass man nachweisen kann ich war schon einmal infiziert. Das kann aus verschiedenen Gründen wichtig sein. Vielleicht, wenn man überlegt, ob ich mich jetzt unbedingt impfen lassen muss oder so. Aber das sind ja alles keine Entscheidungen, die sehr, sehr schnell fallen müssen. Und deshalb empfehle ich dringend in so einem Fall dann wirklich sich vom Arzt Blut abnehmen zu lassen und es an ein großes Labor zu schicken. Die können auch die Antikörper nachweisen, aber nicht mit dem Schnelltests, sondern mit Verfahren, die wesentlich besser sind.


2 0:09



Camillo Schumann



Können sich die 60 Euro sparen. Und Herr B. hat gemailt: „Wenn die britische Variante flott ansteckend ist, kann es sein, dass die britische uns vor den anderen neuen Varianten schützt. Die alte Variante schmilzt ja auch dahin. Viele Grüße.“


Alexader Kekulé


Ich glaube, dass die alte Variante uns vor den Briten schützt, vor der britischen Variante, und dass die britische Variante uns natürlich vor den südafrikanischen und den brasilianischen schützt. Nicht unbedingt in dem Sinn, dass man dann absolut nicht mehr an infiziert werden kann. Aber in dem Sinn, dass falls man infiziert wird, man mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit in fast allen Fällen einen sehr milden Verlauf hat und zumindest keinen tödlichen Verlauf hat. Also diese Schutzwirkung, die ist ständig da. Und so wird sich aus meiner Sicht diese Pandemie insgesamt global weiterentwickeln. Dass wir immer mehr Menschen haben, die durch Impfung oder durch natürliche Infektion einfach eine Immunantwort gegen irgendwelche Varianten haben, dann irgendwann mal gegen mehrere


Varianten. Und irgendwann wird es dann so sein, wenn dann die dritte anklopft und sagt, ich will hier auch mal eine Infektion machen, dass die dann komplett chancenlos quasi vom Immunsystem gleich von der Schwelle mit einem Fußtritt entfernt wird. Also so in diese Richtung entwickelt sich das Ganze, glaube ich vom pandemischen Geschehen her.


2 1:2 4



Camillo Schumann



Positiv sind wir aus der Sendung gegangen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 156 Kekulé Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 09. März wieder, bis dahin.


Alexader Kekulé


Ich danke Ihnen, Herr Schumann, bis Dienstag.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de,rufen Sie uns an, kostenlos, unter: 0800 300 2 2  00. Oder twittern Sie Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekule.


Alle SPZEIAL-Ausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés CoronaKompass


#155


Links zur Sendung:


Öffnungsplan von Bund und Ländern (03.03.)


Microsoft Word BKMPK03032 1_end.docx (bundesregierung.de)


Öffnungsplan von Bund und Ländern mit Übersichtsgrafik (03.03.)


Öffnungsperspektive in fünf Schritten (bundesregierung.de)


Studie: BionTech vs. Astrazeneca (03.03.)


Assessing the Effectiveness of BNT162 b2  and ChAdOx1nCoV-19 COVID-19 Vaccination in Prevention of Hospitalisations in Elderly and Frail Adults: A Single Centre Test Negative Case-Control Study by Catherine Hyams, Robin Marlow, Zandile Maseko, Jade King, Lana Ward, Kazminder Fox, Robyn Heath, Anabella Turner, Zsolt Friedrich, Leigh Morrison, Gabriella Ruffino, Rupert Antico, David Adegbite, Zsuzsa Szasz-Benczur, Maria Garcia Gonzalez, Jennifer Oliver, Leon Danon, Adam Finn :: SSRN


Studie: BionTech vs. Astrazeneca (02 .03.)


Early effectiveness of COVID-19 vaccination with BNT162 b2  mRNA vaccine and ChAdOx1 adenovirus vector vaccine on symptomatic disease, hospitalisations and mortality in older adults in England (khub.net)


Donnerstag, 04. März 2 02 1.


DerbeschlosseneÖffnungsplanvonBund und Ländern im Realitätscheck und mit der Frage verbunden wie stark könnten sich die Lockerung aufs Infektionsgeschehen auswirken?


Dann: Neue Daten zur Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca.


Außerdem:SolltenPatientenmitder B1117-Mutation von anderen COVIDPatienten im Krankenhaus getrennt werden?


Wir wollen Orientierung geben, mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexader Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir sind am Beginn einer dritten Welle und reden über Öffnungen statt über Impfen und Tests. Erst müsse getestet werden, und dann könne es Öffnung geben. So hat Grünen-Chef Robert Habeck seine grundsätzliche Haltung zum Öffnungsplan formuliert. Bevor wir über die Details dieses Öffnungsplans sprechen: Wie sehen Sie das eigentlich? Wie ist der Zeitpunkt diesen Öffnungsplan zum aktuellen Stand der Pandemie zu bewerten? Ab Montag soll es ja schon losgehen – zu früh oder ist jetzt der richtige Zeitpunkt?


Dienstag, 04.03.2 02 1 #155: Licht und Schatten des Öffnungskonzepts



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


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01:2 4


Alexader Kekulé


Ich glaube, Herr Habeck hat Recht, dass man immer erst testen muss und dann sozusagen ein Risiko eingehen. Hier ist es ja so, dass die Tests kommen sollen. Sie sind ja auch sozusagen schon fast in den Regalen der Geschäfte. Aber es fehlt noch so ein bisschen das Gesamtkonzept, also, wann getestet wird, wie getestet wird. Das muss ja zum großen Teil von den Ländern umgesetzt werden. Und ich glaube tatsächlich, dass man auf der sicheren Seite wäre, den Bürgern die Tests zur Verfügung zu stellen und parallel zu sagen, so jetzt habt ihr die Tests und so sollen die eingesetzt werden. Und unter diesen Rahmenbedingungen können wir dann diese und jene Dinge wieder erlauben. Also öffnen, sage ich ja nicht so gerne, aber mit anderen Schutzmaßnahmen sozusagen möglich machen.


02 :13



Camillo Schumann



Die Tests sind jetzt in der Pipeline, die sind bestellt. Die kommen jetzt in den kommenden Tagen und Wochen. Also, man hätte ruhig jetzt noch mal ein, 2 Wochen warten sollen, wenn ich Sie richtig verstehe?


Alexader Kekulé


Ich hätte wahrscheinlich jetzt nicht so sportlich das alles so niedergeschrieben. Der aktuelle Plan, der ja da gestern verabschiedet wurde, der hat als 2 Stufen, die Fünfzigerund die Hunderter-Inzidenz und dann einen relativ klaren Zeitplan dahinter. Wenn irgendetwas schief geht, wenn das mit den Tests nicht funktioniert, wenn die Fallzahlen sich eine Richtung entwickeln, wo man das nicht wirklich vorhergesehen hat oder wenn es regional eben über 100 steigt, dann ist das so ein Start mit Stottern. Ich weiß nicht, ob es dazu kommen wird. Aber das Risiko besteht, dass diese Notbremse der Bundeskanzlerin dann vielleicht in den verschiedenen Regionen immer mal wieder angezogen werden müsste. Und das wäre natürlich dann jetzt, sage ich mal, politisch sehr, sehr ungeschickt. Rein epidemiologisch gesehen ist jetzt mal grundsätzlich der Plan – abgesehen davon, dass es halt sozusagen von der Reihenfolge her


jetzt nicht so koordiniert losgeht – ist der Plan eigentlich nicht schlecht.


03:2 7



Camillo Schumann



Da redet man jetzt im Detail drüber. Neun Stunden haben Bund und Länder über diesen Öffnungsplan verhandelt und auch gestritten. Teilweise wurde es sehr persönlich, was man da gehört hat. Das Ergebnis, das passt auf eine Seite. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat Folgendes dazu gesagt:


„Das ist ein Plan, den wir haben, der auf eine Din-A4-Seite passt, und wo jeder eins zu eins nachvollziehen kann: Wo stehen wir jetzt? Und worauf kann ich mich einrichten? Was ist für mich, für mein Bereich die nächste Perspektive? Hier ist der Sport genannt. Hier ist Kultur, Theater, Museen, Galerien sind hier genannt. Hier ist der Einzelhandel genannt. Hier sind Freizeitbereiche genannt. Hier ist der Jugendsport genannt. Das, was für viele jetzt die drängenden Fragen sind: Wie geht es in meinem konkreten Lebensumfeld voran? Worauf kann ich mich einstellen? Das ist hier in fünf Schritten auf einer Din-A4-Seite dargestellt.“


Genau diesen Zettel wollen wir uns jetzt mal genauer anschauen. Erst mal, was man grundsätzlich feststellen kann: Es wird nur die Inzidenz zum alleinigen Maßstab genommen, also nicht, wie das Robert Koch-Institut zum Beispiel empfohlen hat, auch auf andere Parameter zu schauen, Situation auf der Intensivstation, Stand der Impfung, wie geht es den über 60-Jährigen. Wie bewerten Sie das Festhalten an der Inzidenz?


04:43


Alexader Kekulé


Ja, das war offensichtlich das, was pragmatisch ist. Also ich halte sowieso nicht so viel davon, sich da zum Sklaven der Inzidenz quasi zu machen, in beiden Richtungen. Sowohl wenn es runtergeht, dass man dann nicht automatisch öffnen kann, wenn in einer Region was runtergeht, als auch, wenn die Inzidenzen wieder geringfügig steigen, dann heißt es auch nicht automatisch, dass man Gegenmaßnahmen ergreifen muss.


Es ist völlig richtig, dass einer der wichtigsten Parameter aus meiner Sicht eigentlich die


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Frage ist, wie weit sind wir mit den Impfungen? Also wenn man jetzt so in meinem Schema denkt, heißt es eben immer noch SMART. Und der Schutz der Alten ist quasi an erster Stelle. Und den wird man jetzt aktuell eben durch die Impfungen versuchen zu realisieren. Da sind wir ja so, wie ich das höre, auf einem guten Weg, zumal die erste Impfung schon Wirkung zeigt. Und da würde ich sagen, das ist ein Riesenunterschied, ob Sie eine Inzidenz von 50 haben, und eine Sterblichkeit, die im Bereich der normalen Grippe liegt, weil eben die Risikogruppen geschützt werden. Oder ob Sie die gleiche Inzidenz haben bei der Sterblichkeit, wie wir sie vor einem halben Jahr noch hatten. Also deshalb wäre für mich am allerwichtigsten die Frage, wie weit sind wir mit den Impfungen, insbesondere in den Risikogruppen? Und dann zeitversetzt, ich sage mal drei, vier Wochen später, nach den Impfungen sieht man das dann auch an den Mortalitäten, an den Sterblichkeiten. Also diesen Faktor hätte ich mit reingenommen, weil das eigentlich die wichtigste Interpretation ist: Muss ich mich jetzt bei der Inzidenz von 50, zum Beispiel, da jetzt wirklich weiterhin sehr streng sein? Oder kann ich gewisse Lockerungen aufrechterhalten?



Camillo Schumann



Genau, also gehört es dann irgendwann zum normalen Lebensrisiko?


Alexader Kekulé


Ja, das ist ja, wenn Sie so wollen, immer schon ein Gegenvorschlag gewesen, dass man versucht, einen Gleichgewichtszustand zu erzeugen, der in der Größenordnung von, aus meiner Sicht, etwas unter 50 liegen sollte bei der Inzidenz. Wo man dann sozusagen das normale Lebensrisiko wiederherstellt. Natürlich mit Schutzmaßnahmen, nicht alles fallen lassen, sondern mit Schutzmaßnahmen, die aber vernünftig sind. Und wenn man jetzt diese Inzidenz quasi zur Kardinalmarke für alles macht, so wie das in diesem Plan jetzt vorgesehen ist, da sehe ich dann auch das Problem, dass die Frage ist, ob sich die einzelnen Bundesländer dann jeweils daran halten. Wir hatten ja schon mal eine Ampel, die quasi nur den Zweck hatte, dass, sobald sie aufgestellt war, die Ministerpräsidenten


munter bei Rot rübergefahren sind. Und hier sehe ich so eine ähnliche Gefahr. Und ich kann auch Herrn Müller da nicht in keiner Weise beipflichten, dass das alles auf einem Zettel steht.


Es stimmt, es gibt eine DIN-A4Zusammenfassung. Das ist schon ein ziemlich kompliziertes Blatt. Ja, aber selbst auf dem steht beileibe nicht alles. Einige Sachen sind auch falsch, die in der Zusammenfassung stehen. Wenn man dann wirklich das ganze Papier und das Kleingedruckte dazu ansieht, dann kann man sagen, man kann nichts rauslesen aus diesem Blatt. Keiner kann feststellen, wie geht es mit mir wann weiter? Keiner kann sagen, wann kann ich mein Theater wieder aufmachen. Weil das von ganz, ganz vielen, Wenns und Möglichkeiten und vielleicht so oder so, oder wie das Bundesland dann entscheidet, und wie dann in den letzten 14 Tagen die Inzidenz in dieser Region in diesem Landkreis letztlich war. Und, und, und, also da ist es nicht so eindeutig. Und eigentlich, was Herr Müller gesagt hat, gerade eben ist halt, so ein bisschen, ohne dass ich da jetzt persönlich nahe treten will, als eine klassische politische Verkaufe, die wir da erleben.


08:2 1



Camillo Schumann



Das mit dem Kleingedruckten. Da spielen Sie sicherlich auf die Protokollnotiz einzelner Bundesländer an, oder?


Alexader Kekulé


Zum Beispiel. Das nicht nur. Das ist dann wirklich das Kleingedruckte. Ja, das hatte ich beim ersten Lesen tatsächlich übersehen. Aber schon wenn man das gar nicht anschaut, über die Protokollnotizen können wir gleich sprechen. Aber wenn man nur den Inhalt oben anschaut, also zum Beispiel, da gibt es jetzt eine Stufe, die erste Stufe heißt jetzt, dass man zunächst testet, nur beim bei Kosmetik. Also nicht mehr beim Friseur. Die Tests beim Friseur, die es in Österreich gibt, die haben sie rausgenommen. Die waren im Entwurf, drinnen, das hatten wir vorgestern besprochen. Die sind jetzt draußen. Aber bei Kosmetik, da soll also jetzt getestet werden, in der ersten Stufe. In der dritten Stufe dann, die dann irgendwann später kommt, soll nur dann


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getestet werden, also bestimmte Dinge zugelassen werden mit vorherigem Schnelltest, wenn die Inzidenz größer gleich 50 ist. Zum Beispiel, wenn man dann in den Zoo will, in der dritten Stufe bei Inzidenz über 50, dann muss man sich vorher testen lassen, auch im Botanischen Garten. Wobei ich mich frage, was daran gefährlich sein sollte. Wenn aber wir dann schon in der Stufe, beispielsweise 15, in der allerletzten, dann soll ein sogenannter kontaktfreier Sport also alles, was nicht Raufen ist und Ähnlichem, das soll sogar in Innenräumen dann zugelassen sein, und zwar auch bei Inzidenz über 100. Und das wiederum ohne Test. Also, das heißt also, jetzt muss ich mich testen lassen, wenn ich zum Kosmetiker gehe. In der nächsten Stufe muss ich mich testen lassen, falls über 50, wenn ich in den Zoo gehen will. Und in der fünften Stufe kann ich sogar, wenn ich bis zu 100 Inzidenz habe, kann ich dann also kontaktfreien Sport im Innenraum machen und das alles ohne Test. Also so glasklar ist das ganze Konzept nicht.


10:2 0



Camillo Schumann



Mir ist noch etwas aufgefallen, und zwar der Einzelhandel darf ab Montag nur bei einer Inzidenz unter 50 öffnen, ab dem 05. April auch bei einer Inzidenz zwischen 50 und hundert ist das logisch. Ist das nachvollziehbar?


Alexader Kekulé


Genau, ich habe das eine Beispiel herausgenommen, und Sie haben völlig recht. Vielleicht wollte der Herr Müller, dass wir nicht das ganze Papier lesen, sondern nur die Zusammenfassung. Aus der wird es nämlich nicht so deutlich. Ne, das ist überhaupt nicht logisch, natürlich nicht. Mein Lieblingsbeispiel ist immer das mit den Zoologischen Gärten. Klar, dass man natürlich das Aquarium schließt oder das Affenhaus, wenn da dicke Luft drinnen ist und sich alle vor der Scheibe drängen. Manche Kinder auch mit dem Gesicht direkt an die Scheibe rangehen, obwohl die Eltern des Eltern das ja sowieso nicht mögen, dass man da sagt, da macht man zu, das ist doch irgendwie klar. Aber im Freien? Na gut, wir wissen ja, dass bei COVID – ein kleiner Seitenschwenker – Tiere sind ja ein


ganz wichtiger zwischen Überträger. Nicht nur die Nerze, die in Dänemark Ausbrüche gemacht haben. Sondern dass diese Krankheit in Tieren langfristig sich halten wird. Das ist einer der Gründe, warum wir möglicherweise das nie ausmerzen werden. Aber ich glaube, daran hat man nicht gedacht bei den Zoos.



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen, man wird nicht einem Nilpferd kuscheln.


Alexader Kekulé


Aber das Virus könnte möglicherweise sogar bei den Nilpferden überwintern. Und dann irgendwann müssen wir uns dann vor Nilpferden schützen.


11:46



Camillo Schumann



Okay, ab Montag dürfen ja Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte öffnen, Fahrund Flugschulen und auch körpernahe Dienstleistungen, unabhängig von der Inzidenz. Die scheint es, also diese ganze Einrichtung, die ich gerade genannt habe, die scheinen auch unabhängig von der Inzidenz jetzt grundsätzlich ja offenzubleiben. Lesen Sie das auch da raus?


Alexader Kekulé


Ja, das steht da klipp und klar drinnen. Man hat halt gesagt, die gehören zum täglichen Bedarf. Ja, das ist, das ist ja eben der Unterschied. Das ist schon in Ordnung und Politiker, der überlegt sich, was brauchen die Bürger? Welchen Hahn kann ich nicht wirklich zudrehen, ohne dass sich jetzt quasi da einen Aufstand generiere? Und offensichtlich sind die Blumen wahnsinnig wichtig, die Bücher auch, obwohl man jetzt natürlich als Pragmat sagt, naja, es ist ja nichts leichter im Internet zu bestellen als so ein Buch. Bei den Blumen sehe ich es schon eher ein. Und bei den Gartenmärkten hat man sich ja gesagt, das ist dann so ähnlich wie Baumarkt. Und das wäre unfair, wenn die Baumärkte offen sind und die Gartenmärkte zu. Beim Blumengeschäft gibt es natürlich solche und solche. Es gibt ganz kleine Mini-Läden, die auch, wenn es so kalt ist, nicht dauernd lüften und die Tür aufmachen können, weil die Blumen sonst kaputtgehen. Da ist sicherlich kein Hygienekonzept im


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Hintergrund gewesen, sondern irgendjemand, der gesagt hat, in der Pandemie können wir den Leuten nicht verbieten, sich Blumen zu schenken oder Ähnliches? Ich könnte jetzt genauso gut sagen, ich bräuchte schon ganz lange – jetzt mal aus meinem eigenen Schwank aus meinem Leben – ich brauche eigentlich unbedingt einen grünen Faden, um was zu nähen, was kaputt gegangen ist. Der muss aber eine bestimmte Farbe haben, damit das passt. Da geht man normalerweise in den Laden mit dem Stoff und guckt so lange, bis man den Faden hat, der passt. Jetzt gehören aber diese Kurzwarengeschäfte nicht zu den zugelassenen staatlich anerkannten Notwendigkeiten des täglichen Bedarfs. Bleiben die Klamotten der Kinder halt kaputt. Aber wie lange will man das sozusagen durchhalten? Aber die Blumen, die kann man jetzt kaufen. Daher sage ich mal, das ist jetzt keine epidemiologische Einschätzung. Aber da ist ein bisschen willkürlich mal was aufgemacht worden. So ein bisschen salopp, würde man sagen, gib dem Affen Zucker. Es muss halt irgendwie mal was aufgemacht werden. Und da kann man natürlich man nicht alles zugleich aufmachen, das ist völlig klar. Also hat man mal so ein paar Sachen rausgegriffen, wo vielleicht die Lobby stark war, keine Ahnung.


14:14



Camillo Schumann



14 Tage später der vierte Öffnungsschritt. Frühestens ab dem 2 2 . März dürfen auch die Biergärten wieder öffnen. Bei einer Inzidenz unter 50 dürfen sie ohne Beschränkung öffnen. Liegt sie zwischen 50 und 100, brauche ich für den Biergarten eine Reservierung für den Tisch und einen tagesaktuellen Schnelltest oder Selbsttest. Wie bewerten Sie das? Biergärten, ein wichtiges Thema, auch gerade in Bayern.


Alexader Kekulé


Naja, das ist überall in Deutschland wichtig. Die Berliner lieben ja auch ihre Biergärten. Also ich glaube, beim Biergarten kommt es einfach drauf an: Also erstens im Freien ist die Infektionsgefahr im Prinzip zu vernachlässigen, sofern man halbwegs Abstand einhalten kann. Und das ist halt die Frage. Sitzen da irgendwie aus mehreren Haushalten dann die Leute eng gedrängt am Tisch im Biergarten, wie man das eigentlich so kennt? Dann ist es durchaus


sinnvoll, da erstmal zumindest ein Schutz einzubauen. Man kann ja solche Schutzmaßnahmen, wenn man die ersten Mal angeordnet hat, auch stufenweise wegnehmen. Also aus meiner Sicht wäre es irgendwie transparenter und einfacher zu verstehen gewesen, wenn man einfach gesagt hätte okay, die Biergärten können dann aufmachen, unabhängig von der Inzidenz. Und wir fangen mal an damit, dass es eine Registrierung geben muss und einen Schnelltest geben muss. Das kann man erst mal so sagen. Und wenn man dann merkt, dass die Lage bleibt stabil kann man das in der nächsten Stufe dann weglassen. Ich glaube, das ist für den Bürger dann einfacher, als wenn er dann immer überlegen muss, wo ist der Biergarten? Ist der vielleicht im Nachbarlandkreis und da ist Inzidenz über 50. Da muss ich ja dann das machen vorher. Da muss ich mich registrieren. Also ich denke da so von der praktischen Seite her ist es einfacher, quasi zu sagen wir machen das mit den Masken. Wir vermeiden aerogene Infektionen, das heißt also Biergarten, in dem Fall kein besonders hohes Risiko. Wir machen die reaktionsschnelle Nachverfolgung. Das heißt also, diese privaten Tests, die jetzt, das finde ich sehr positiv, auch Teil dieses neuen Konzepts sind. Und wir machen das erstmal und ziehen dann sozusagen die Sicherungen eine nach der anderen raus, wenn nichts passiert. Das wäre die andere Möglichkeit gewesen. Ich bin sicher, dass bei den vielen Stunden Diskussion, die der gestern stattgefunden haben, auch diese Variante diskutiert worden sein muss. Es würde mich mal interessieren, warum man es nicht so rum gemacht hat. Aber da wird es vielleicht auch Gründe dafür gegeben haben.


16:42 



Camillo Schumann



Es ist ein Kompromiss, das hat die Kanzlerin ja auch gesagt. Und sie hat auch gesagt, dass sie wäre für die 35 gewesen hat, sich dann aber auf die 50 hochhandeln lassen. Sie hat auch in der Pressekonferenz gesagt, dass das sozusagen denn im Ergebnis dann der Kompromiss ist. Und diese fünf Öffnungsschritte, die sind definiert und gestaffelt nach Inzidenz unter 50, wir haben es


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gesagt, und zwischen 50 und 100. Und die Voraussetzung für die einzelnen Öffnungsschritte, erklärt die Kanzlerin mal so.


„Ein nächster Öffnungsschritt kann immer dann erfolgen, wenn eine stabile oder sinkende Tendenz nach 14 Tagen des vorherigen Öffnungsschrittes da ist. Wir bauen eine Notbremse ein, wenn wir in ein exponentielles Wachstum geraten.“


Also stabile oder sinkende Zahlen und die Notbremse, die ja bei einer Inzidenz von 100 liegt. Da haben wir schon darüber gesprochen. Was sagen Sie denn zu dieser 100 eigentlich?


17:37


Alexader Kekulé


Ja, das ist wahrscheinlich das Einzige, was die Kanzlerin noch raushandeln konnte. Ich glaube, das ist sinnvoll. Weil, wenn uns einfach die Lage entgleitet, dann müssen wir eine Möglichkeit haben, das zurück zu drehen. Also ich finde das Ganze jetzt mal so. Man muss ja auch mal gucken. Es diesen berühmten Satz: Wenn ich mir das anschaue, bin ich Pessimist, wenn ich in die Vergangenheit, wenn ich mir die Vorgeschichte dazu ansehe, bin ich Optimist. Und das gilt hier auch. Es ist so, dass man wirklich sagen muss, im Vergleich zu dem, was bis jetzt immer rausgekommen ist bei diesen Ministerpräsidenten-Kanzlerin-Runden, finde ich, ist das jetzt das erste Mal ein Konzept, was also sozusagen eine wissenschaftliche Basis hat. Das funktioniert. Das hat alle Elemente drin, die man braucht. Das hat eine wissenschaftliche Basis, und es geht eben vorsichtig stufenweise vor, in dem Sinn: Wir wissen ja nicht, was da passiert. Man hätte natürlich auch sagen können, wir machen ab morgen das SMART-Konzept. Aber das hätte auch in die Hose gehen können. Gerade, weil wir jetzt im Moment in einer schwierigen Lage sind, so ein komisches Plateau, was wir schwer erklären können, mit den fallenden Fallzahlen. Darum finde es eigentlich richtig, dass man sagt wir machen das so stufenweise. Man hofft halt, dass in diesem Zeitraum, auch wenn es nicht in dem Papier so explizit drinnen steht, durch die Impfungen der Risikogruppen, insgesamt das Sterbensrisiko bei Erkrankungen quasi sinkt, die Mortalität sinkt und wir dann quasi parallel


und diese höhere Fallzahl, so interpretiere ich das, dann im schlimmsten Fall zwischen 50 und 100 liegen kann, dass man sich diese Zahl unter Umständen leistet, weil weniger gestorben wird durch die Impfungen. Ich weiß nicht, ob ich jetzt als Epidemiologe, wenn ich da dabeigesessen hätte – ich glaube, das sind aber auch keine Fachberater mit drin gewesen – ob ich jetzt dazu geraten hätte, da die Stufe zwischen 50 und 100 so großzügig einzubauen, dass man die wirklich bis ganz zuletzt lässt. Weil wenn man erst mal bei 100 oder 99 ist – die letzte Stufe ist über 100. Theoretisch könnte es sein, dass wir dann in zehn Wochen eine bundesweite Inzidenz von 100 stabil haben und sagen so jetzt kommt die nächste Stufe: Jetzt gibt es dann auch noch Hotels auf und Urlaub auf und alles sozusagen. Das kann dann so dermaßen schnell aus dem Ruder gehen, je nachdem, wie die Bevölkerung sich verhält, dass ich das wahrscheinlich nicht empfohlen hätte. Aber man hat es jetzt einfach mal so aufs Papier geschrieben. Ich würde jetzt mal eine Wette abgeben, dass in irgendeinem Landkreis in Deutschland, wenn es kreisweise dann wirklich gemacht werden sollte, und wenn die Länder sich überhaupt daran halten, was da in den großgeschriebenen Buchstaben steht, dass dann doch die Notbremse gezogen werden muss. Also das Ziehen der Notbremse, das wäre meine Prognose, wird nach diesem Schema immer mal wieder nötig sein. Die Frage ist, ob es dann gemacht wird. Und die Frage ist dann letztlich, wenn man da so beim Start nicht einfach langsam beschleunigt, sondern so los stottert, mit Bremsen beschleunigen, dann doch wieder die Notbremse in dem ein Landkreis ja, im anderen nein. In dem einen Bundesland müsste es längst sein. Aber der Ministerpräsident sagt bei mir gilt das nicht. Das ist ein Risiko. Es kann aber auch sein, dass alles gut geht, wenn jetzt die Inzidenzen sozusagen brav unter 50 so dahin schmoren, dann kann das ja sein, dass das Konzept ganz toll aufgeht. Und wie gesagt, es ist zum ersten Mal, sodass es moderne Instrumente, eben den Test mit reinnimmt. Ich finde es super, um noch etwas Positives zu sagen, dass jetzt die Masken generell am Arbeitsplatz empfohlen werden, also Schluss mit Verkäufer ohne Maske oder Paketbote ohne Maske, und was


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es alles gibt. Das ist zwar nur eine SollBestimmung, aber ich würde mir sehr wünschen, dass man das dann durchzieht. Und vor allem diese private Kontaktnachverfolgung, die steht jetzt klipp und klar da drinnen. Die soll ja an das sogenannte Sormas hinten angeschlossen werden. Sormas ist diese EDV, die die Gesundheitsämter verwenden. Ich weiß ja nicht, ob inzwischen alle angeschlossen sind, aber es sollten ja immer mal alle angeschlossen werden, um ihre Daten auszutauschen und ans RKI zu übermitteln. Und da soll es eine Schnittstelle geben, die ganz schnell beauftragt werden soll. Am besten gestern als heute, das ist quasi diese private App, die man dann benutzen kann, oder die privaten Apps, um diese Nachverfolgung zu machen, dass die auch quasi eine Verbindung zu den Gesundheitsämtern hat, falls einer positiv ist. Was für mich ein bisschen Alarmsignal war, das da drin stand ist: Das machen wir genauso wie bei Elster. Wer sich erinnert, wie viele Jahre das gedauert hat, bis das System funktioniert hat. Ich glaube, das ist mehrmals verschoben worden, die Pflicht, über Elster seine Steuererklärungen ab zu geben, weil die EDV nicht funktioniert hat. So viel Zeit wie bei Elster haben wir nicht. Und wenn da jetzt drinnen steht in dem Papier analog Elster, dann könnte man das auch natürlich so lesen, wenn man zynisch wäre. Aber ich würde mal hoffen, dass die das hinkriegen. Aus meiner Sicht ist es ja sowieso gar nicht so wichtig, dass die Gesundheitsämter jetzt mit diesen Daten auch noch überschüttet werden. Sondern das Wichtigste ist, dass sich die Leute privat gegenseitig warnen können. Und dass es auch vorgeschrieben ist. Und das steht ja da alles drin.


2 2 :55



Camillo Schumann



Um nochmal auf die Inzidenz zurück zu kommen. Schleswig Holstein ist aktuell das einzige Bundesland mit einer Inzidenz unter 50. Da kann dann am Montag der Einzelhandel geöffnet werden. Thüringen hat vom Öffnungsplan nix. Aktuell liegt das Land bei einer Inzidenz von 12 7. Also, die haben von dem Öffnungsplan jetzt erstmal also grob geschätzt, in den kommenden Wochen so gar


nichts. Möglicherweise ein paar einzelne Städte oder Landkreise. Während in Villariba schon gefeiert wird, muss Villabajo noch daheim auf der Couch sitzen.


Alexader Kekulé


(Lachen) So ist es ganz offensichtlich. Es war ja schon immer so, dass wir eine Mehrklassengesellschaft sind, in mehrerlei Hinsicht. Vielleicht ist es dann auch so, für Landkreise sogar ein kleiner Ansporn, dann zu sagen, wenn die merken, sie sind bei einer Inzidenz von 60, dass man sagt, Mensch, das müssen wir jetzt doch noch schaffen, unter die 50 zu kommen. Andererseits wenn man da aus welchen Gründen auch immer hängen bleibt, zum Beispiel, weil man in einer grenznahen Region ist, man eigentlich gar nichts dafür kann, dass Pendler unterwegs sind, dann wird es natürlich dann für den Landrat wahnsinnig schwierig, die nächsten Wahlen zu gewinnen, wenn er da konsequent den Deckel drauf hält. Was wir hier sehen, ist letztlich, kann man sagen, eine Schwäche von demokratischen Systemen. Demokratische Systeme haben viele, viele Vorteile. Aber ein Nachteil ist eben, dass so unangenehme Maßnahmen, die die Bevölkerung nicht sofort einsehen oder wo ein Teil der Bevölkerung ja zunehmend den Sinn gar nicht mehr dahinter sieht, dass die eben dann auch zum Verlust des Amtes für den Politiker führen können. Aus meiner Sicht ist das einer der Gründe, warum eigentlich viele westliche Demokratien nicht alle, ja, aber viele westliche Demokratien hier in dieser Pandemie so einen schlechten Kurs gesegelt haben, während andere, die so etwas auch demokratisch, aber, sage ich mal, etwas strikter organisiert sind – Südkorea ist ein gutes Beispiel: Die haben ja dann eigentlich relativ konsequent das Ding durchgezogen. Alles hat Vorund Nachteile. Und in solchen Krisensituationen – jetzt kommt auch noch der Wahlkampf 2 02 1 mit ins Spiel – man merkt es ja zunehmend auch an den Fußnoten zu diesem Papier letztlich. Und ich glaube, das müssen wir uns eingestehen, dafür, dass wir sozusagen in der Regel Entscheidungen treffen, die eben legitimiert sind vom Souverän, dafür dauert es halt länger und ist es immer irgendwo auch ein Kompromiss.


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2 5:2 9



Camillo Schumann



Weil Sie gerade Fußnote angesprochen. Ich habe ja Thüringen genannt, mit einer Inzidenz von 12 7, die jetzt erst mal laut diesem Plan in die Röhre gucken. Und die haben bei ihrer Protokollnotiz zu Protokoll gegeben, dass sie gerne auf das Papier des RKI noch mit Einfluss genommen hätten. Bei diesem Plan jetzt, was ja natürlich dann den Blick ein bisschen weitet fernab von der Inzidenz, auch eben auf die ITS, wie geht es den Menschen also, dass man noch mehr Parameter nimmt. Nachvollziehbar in der Lage von Thüringen, beispielsweise. Und für Sachsen, die hätten ja noch nicht gelockert. Denen geht das alles viel, viel zu schnell und unkoordiniert. Also da liegt man, sieht man mal, wie weit sozusagen auch das Meinungsspektrum da ist. Und am Ende muss man Kompromiss finden. Und das ist jetzt der Kompromiss, über denen wir gesprochen haben.


Alexader Kekulé


Ich glaube, so ist es letztlich. Was mich so, wahrscheinlich jeden, der versucht, wissenschaftlich anzugehen, so ein bisschen irritiert, ist immer – Sie haben völlig richtig von den Meinungsspektrum gesprochen. Die Meinung der Politiker richtet sich halt einfach gerade nach den Fallzahlen im jeweiligen Bundesland. Wenn wir uns erinnern, welche Position Sachsen früher hatte, genau 180 Grad diametral das Gegenteil von jetzt oder auch Thüringen – die sind ja sozusagen, Wendehals ist gar kein Ausdruck dafür – je nachdem, wie die Inzidenz im Land gerade ist. Mir fehlt da so ein bisschen das Verständnis für die Gesamtsituation. Wir haben ja mindestens ein Problem für ganz Deutschland. Wenn man mal so denken darf, eigentlich ein europäisches. Aber nehmen wir mal Deutschland als vernünftige, halbwegs zu managende Größe. Und da muss man einfach sagen, ob die Welle jetzt gerade sozusagen in Sachsen hochschwappt und dafür dann nebenan in Hessen vielleicht nicht so viel los ist oder andersrum, oder ob jetzt gerade im Norden oder im Süden mehr los ist, das ist wie eine Wellenbewegung in dem in einem Planschbecken. Da kann man nicht sagen die Welle ist gerade an einer anderen Ecke vom


Planschbecken, darum habe ich eine andere Meinung als gestern. Die kommt dann auch zurück. Ja, und das ist so, dass, wenn woanders die Fallzahlen steigen, dann kommen sie, wenn ich lockere, garantiert auch bei mir an. Weil die Deutschen zumindest seit die Mauer weg ist zwischen Ost und West und Nord und Süd und insgesamt einfach hundert Prozent oszillieren. Da gibt es Reisende, da gibt es Verwandtschaftsbeziehungen, da gibt es Pendler und so weiter. Da kann man davon ausgehen, dass sich jede Veränderung der Inzidenz sozusagen im Sinne von kommunizierenden Gefäßen früher oder später überall ausgleicht. Und deshalb bin ich immer irritiert, wenn man so sieht, dass tatsächlich die Ministerpräsidenten also auf ihre momentane lokale Lage schielen und davon sozusagen ihre politischen Statements ableiten.


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Camillo Schumann



Weil Sie gerade Reisen angesprochen haben, über die Perspektiven für weitere Bereiche Gastronomiekultur, Veranstaltung Reisen, Hotels, wurde in diesem Papier überhaupt nicht eingegangen. Denn das soll erst bei der nächsten Sitzung am 2 4. März beraten werden. Und da soll dann geschaut werden, na ja, wie es denn die Teststrategie angelaufen. Wie kommt das Impfen voran? Wie steht es um die Mutanten. Um diese Einflussfaktoren dann mit in die Meinungsbildung einfließen zu lassen, wie man dann mit Hotels und Veranstaltungen umgehen kann. Die Biergärten sind offen, aber man schaut noch, ob man möglicherweise eine Ferienwohnung aufmachen darf, die Entscheidung ist noch nicht getroffen. Ist das für Sie nachvollziehbar?


Alexader Kekulé


Da zieht sich ein System durch, und das System heißt, dass offensichtlich hier die Entscheidungsträger Angst davor haben, die Schleusen zu öffnen für Freizeitreisen. In die Richtung geht es. Man kann ja mit beruflichem Anlass, wenn man die entsprechenden Papiere dabei hat, kann man ja jetzt schon reisen. Und es gibt auch Hotels, die dann notfalls ein Zimmer auf haben. Dann halt eben ohne das übliche opulente Frühstück. Und alles


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Mögliche ist da reduziert. Aber das geht schon, irgendwie. Das wird auch zunehmend genutzt aus meiner Perspektive. Also, da passiert sehr viel, wahrscheinlich auch in Richtung Infektionsgeschehen. Und jetzt hat man die Befürchtung, wenn wir jetzt, nachdem alle so ausgehungert sind, quasi sagen okay, ab nächste Woche Ostern oder so ist wieder Reisefreiheit. Und dass das also ebenso zu einem bundesweiten Ausgleich letztlich der Infektionslage führt. Es ist die Frage, was man seinen Hotels zutraut und was man seinen Bürgern zutraut. Ich bin immer so ein bisschen auf der Seite, dass ich sage, Infektionsgeschehen in Pandemien, Epidemien, brauchen sowieso kluge Individuen und kluge Individualentscheidungen. Und deshalb müssen wir sozusagen diese Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen fördern. Wahrscheinlich, wenn so ein Wissenschaftler dann, was weiß, ein paar Jahre lang Regierender Bürgermeister einer deutschen Großstadt oder Ähnliches wäre, wäre der wahrscheinlich auch geheilt von der Idee, das kann schon sein. Man hat ja auch in Berlin zum Beispiel gesehen, dass da alle Appelle, was die Kneipen betroffen hat, eigentlich nicht so richtig genützt haben. Und da wird gesagt, wenn wir jetzt aufmachen, machen die Leute, was sie wollen, und das geht völlig aus dem Ruder. Und ich glaube, das ist der Grund, warum man Reisen und Hotels erstmal zu lässt.


31:04



Camillo Schumann



Aber man hätte doch jetzt, 2 2 . März, Außengastronomie, also der Biergarten darf auf sein bei einer Inzidenz unter 50. Da hätte man doch schon mal mit den Ferienwohnungen beginnen können oder nicht?


Alexader Kekulé


Der Unterschied zwischen Biergarten und Ferienwohnungen ist eben, dass man im Biergarten tendenziell mit dem Fahrrad fährt oder am besten zu Fuß hingeht, für den Fall, dass man doch zu viel Bier dort trinken sollte. Die Ferienwohnung, das ist typischerweise eine Reise, sodass also diese Vermischung zwischen verschiedenen Bundesländern dazu kommt. Und dann sagen halt, was weiß ich, sagt Mecklenburg-Vorpommern – also ich war


nicht dabei – aber ich kann mir vorstellen, dass die Frau Schwesig dann sagt er also, bei uns ist die Inzidenz so niedrig. Und wenn jetzt der Urlaub losgeht, dann kommen die bösen Bayern alle an, weil die an der Ostsee Urlaub machen wollen, weil sie nicht mehr ans Mittelmeer fliegen können oder fahren können und schleppen uns wieder das Virus ein. Also so in dieser Richtung kann ich mir vorstellen, dass die Überlegungen gegangen sind. Das gibt aber, wie Sie richtig sagen, keinen epidemiologisch plausiblen Grund. Das haben wir schon oft besprochen. Man kann Hotels einfach sicher machen. Man kann auch Reisen sicher machen. Das Einzige, wo ich so ein bisschen Vorbehalte hätte, das wäre vielleicht eine Kreuzfahrt mit dem Schiff. Das ist die ganz hohe Schule, so etwas abzusichern. Das wird dann auch keinen Spaß mehr für die Reisenden und auch nicht mehr lukrativ für die Veranstalter. Aber so eine normale Urlaubssituation im Hotel könnte man natürlich sicher machen und die Befürchtung, dass es aber dadurch sozusagen ein Ausgleich, eine Verteilung und gerade jetzt auch der neuen Varianten im ganzen Bundesland stattfinden könnte, die steht da offensichtlich hinter diesem Konzept.


32 :49



Camillo Schumann



Aber nichts desto trotz, um dann noch mal kurz darüber zu reden. Ich meine jetzt gar nicht Hotels, sondern wirklich explizit Ferienwohnungen. Also man nimmt zum Beispiel am 2 2 . März Ferienwohnungen explizit mit rein. Und wir wissen ja laut diesem Papier von Robert Koch-Institut von Reisen mit der Bahn beispielsweise: Infektionsrisiko, sehr gering. Und in der Ferienwohnung, da bin ich in einer Ferienwohnung mit meiner Familie und treffe er auch keinen. Also, dass man zum Beispiel schon mal so locker angefangen hätte, so ein bisschen zu mindestens, die Reisesituation auch so ein bisschen auch zu kontrollieren und dann auch zu schauen, wie entwickelt sich das.


Alexader Kekulé


Also, wenn ich dann da Runde gesessen hätte, wäre sicher so in diese Richtung in Vorschlag reingekommen übrigens nicht auf Basis der Einschätzung des Robert Koch-Instituts, dass


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Fernreisen kein Infektionsrisiko hätten. Ich sehe das ganz anders, insbesondere in der Bahn. Wenn man lange da im geschlossenen Raum mit vielen Leuten sitzt oder auch im Flugzeug, empfehle ich ja schon immer, FFP-Masken zu tragen, weil ich das für ein sehr hohes Infektionsrisiko halte. Und des Robert Koch-Papier ist aus meiner Sicht unbrauchbar, um irgendwelche Maßnahmen daraus abzuleiten. Unter anderem aus dem Grund, weil ja nicht dabeisteht um mal das Beispiel zu nehmen: Meinen die jetzt niedriges Risiko, wenn man eine FFP2 -Maske auf hat oder vielleicht ein Vollschutzanzug, wie die Feuerwehr das hat typischerweise und Gummihandschuhe. Da würde ich sagen ja, dann ist Reisen natürlich sicher. Also, das Grundproblem bei den ganzen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts ist ja letztlich, dass immer gesagt wird. Wir müssen Kontakte vermeiden, das hört man jetzt auch ständig, Kontakte vermeiden, Kontakte vermeiden. Aber es ist eben nicht jeder Kontakt gleich. Und wir müssen unterscheiden zwischen Kontakten, die halbwegs gesichert werden können, seit neuerdings noch zusätzlich mit mittels der Tests und solchen, wo es echt schwierig ist, die zu sichern. Und da haben Sie völlig Recht. Jetzt, diese Ferienwohnung wäre etwas, das könnte man ohne weiteres sichern. Das ist ganz klar. Und wir wissen ja auch, dass jetzt ganz massiv der Trend zu den Wohnmobilen geht. Ich habe gehört, man hat also überhaupt keine Chance mehr für dieses Jahr ein Wohnmobil sich zu leihen. Für mich persönlich käme das jetzt nicht unbedingt in Frage. Ich weiß gar nicht, wo ich meine Kinder alle hin packen soll in so einem Ding. Aber es ist trotzdem so, ein Wohnmobil darf man sich leihen. Darum haben sie schon recht. Also mit dem Wohnmobil kann ich überall hinfahren. Die sind ja auch alle ausgebucht. Aber wenn ich dann anderweitig hinfahren und dort eine Wohnung habe, dann geht es wieder nicht. (beide schmunzeln) Okay, da können wir lange darüber diskutieren.



Camillo Schumann



Das müssen wir ja nicht tun.


Alexader Kekulé


Es fehlt natürlich ... dieses sozusagen


evidenzbasierte Konzept fehlt. Aber trotzdem, um noch mal was Positives zu sagen, es ist jetzt grundsätzlich eine Bereitschaft da, das Ganze mit den modernen, wichtigen wissenschaftlichen Instrumenten anzugehen. Und da freue ich mich einfach sehr, dass diese fünf Instrumente, über die wir hier immer gesprochen haben, jetzt alle da drinnen sind. Und da will ich jetzt nicht über die Kleinigkeiten rummäkeln, dass man das und das noch hätte anders machen können. Es ist eigentlich ein guter Tag, weil dieses neue Konzept jetzt auf dem Papier steht. Und ich bin sicher das dann am 2 2 .03. das noch mal nachjustiert wird an den Stellen, wo es vielleicht noch nicht so optimal ist.


36:09



Camillo Schumann



Noch 2 kleine Punkte. Nicht klein, sie sind sehr groß, und darauf fußt auch dieses Konzept für Ende März, Anfang April. Da ist dann der Übergang in die nächste Phase der nationalen Impfstrategie vorgesehen, dass auch die Hausund Fachärzte mit in die Regelversorgung der Impfung aufgenommen werden. Das ist doch schon mal ein wichtiger Schritt. Das konnte man sicherlich bisher nicht machen, weil der Impfstoff limitiert war. Und ab dem zweiten Quartal soll es ja dann bis zu 2 00.000 Impfungen pro Tag geben. Und das schaffen die Impfzentren ja gar nicht mehr. Da muss man ja dann in die Fläche gehen. Das ist ja, sage ich mal ein guter Schritt, um dann möglicherweise dann auch Richtung Sommer, dann wieder noch mehr zu öffnen.


Alexader Kekulé


Ja, das war von Anfang an so geplant, dass dann in der zweiten Stufe die Hausärzte mit einbezogen werden. Ich muss jetzt sagen, ich habe mir ernsthaft überlegt, ich bin jetzt nicht so ein Gesundheitsmarktexperte. Ich habe mir ernsthaft überlegt, woran das liegt. Und die einzige Erklärung, dass man das so verzögert, macht es eben das nicht genug Impfstoff da ist in der ersten Stufe. Weil natürlich viele Menschen gerade Ältere lieber zu ihrem Hausarzt gehen, wo sie sowieso hingehen, wo dann auch die Beratung vernünftig sein kann. Eigentlich ist es ja wirklich Vorschrift, vor jeder Impfung über Nutzen und Risiken aus völlig ein ärztliches Beratungsgespräch zu führen. Und


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es scheint aber so zu sein, dass der Impfstoff nicht da war oder die Logistik noch nicht fertig war. Es gibt ja genug Leute, die zurzeit sag ich mal schimpfen über die Logistik in Deutschland. Das ist übrigens auch international Thema in allen möglichen Zeitungen. Die ganze Welt schaut vielleicht schmunzelnd auch auf die Deutschen drauf und sagen, Mensch, da haben sie den Impfstoff erfunden, oder der wurde in ihrem Land erfunden. Und jetzt kriegen Sie das nicht hin, irgendwie diese Impfungen zu verteilen. Und da will ich mich jetzt nicht daran beteiligen. Aber es ist letztlich so, dass die Hausärzte ein ganz wichtiger Schritt sind, weil viele Menschen eben auch Hemmungen haben, in diese Impfzentren zu gehen. Und da sie so Angst davor haben, dann vielleicht sich sogar anzustecken oder Ähnliches. Und je schneller, desto besser. Da kann man nur dafür sein.


38:2 5



Camillo Schumann



Aber die 2 00.000 pro Tag, dann soll auch in unterschiedlichen Schichten auch am Wochenende geimpft werden. Also da macht man dann so richtig Druck. Da könnte man ja, wir sind jetzt bei einer Quote der erste Schuss fünf Prozent, da könnte man doch ich sage mal so Ende April bei 15-2 0 Prozent oder höher liegen. Das wäre doch ein signifikanter Einfluss dann auf das Pandemiegeschehen.


Alexader Kekulé


Wir haben ja – wenn ich jetzt die schönen Bilder aus dem Dezember noch vor Augen habe – wir haben ja angeblich etwa 400 Impfzentren in Deutschland. Und es ist so, dass von diesen Impfzentren angeblich die Kapazitäten zwischen 1.000 und 5.000 Impfungen am Tag liegen. Das wurde damals immer so berichtet – ich kann mich genau erinnern – dass manche gesagt haben, hier können wir bis zu 5.000 oder Ähnliches am Tag impfen. Also da bin ich ja dann locker bei 400.000 pro Tag. Sodass man schon sagen muss, welche Zahl ist jetzt richtig? Also diese 2 00.000, die die Impfzentren jetzt überlastet und deshalb gehen wir in die Arztpraxen. Oder war das damals vielleicht dann doch nicht ganz richtig, dass diese 400 Impfzentren solche Kapazitäten haben? Rein theoretisch müsste man, sage ich, mal 400.000 oder 2 00.000 mit


den Impfzentren locker abdecken, sofern die so funktionieren, wie es vorher angekündigt war.


39:41



Camillo Schumann



Und dann kommen ja noch die Hausärzte dazu. Dann wird sich das schon, sage ich mal so zurechtruckeln, was die Impfung angeht. Und dann müsste man doch eigentlich den 2 1. September als Zielmarke Ende des Sommers, dass jedem ein Impfangebot gemacht werden kann, und der es dann auch tatsächlich nutzen kann auch ein realistisches Ziel sein. Oder?


Alexader Kekulé


Also das halte ich auf jeden Fall für realistisch. Ich glaube, dass das noch verkürzt wird. Also meine Vorhersage ist eigentlich, dass es so sein wird, dass das vorgezogen wird das Datum. Ich glaube, 2 1. September ist so eine Sicherheitsmarke, die man eingezogen hat. In den USA ist es gerade so. Da hat man, ich weiß das Datum nicht mehr ganz genauso, aber da hat der amtierende neue Präsident tatsächlich auch seine vorherige Ankündigung um 2 Monate nach vorne korrigiert. Also da geht es auch um die Frage, bis wann jeder Amerikaner geimpft werden wird. Ich meine, es war im Juni irgendwann, und das ist auch um 2 Monate vorgezogen worden. Das ist ja ganz klar, diese Produktionen laufen jetzt an. Da sind ja weltweit enorme Kapazitäten geschaffen worden. Und wenn der Impfstoff dann im großen Stil wirklich produziert wird, dann kann es tatsächlich sein, dass am Schluss die Impfgeschwindigkeit dann doch der Flaschenhals von dem Ganzen wird. Also im Moment ist der Flaschenhals, dass wir zu wenig haben. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir noch vor diesem 2 1. September in der Situation sind, dass jeder, der will, eine Impfung bekommen hat.


41:08



Camillo Schumann



Und wer dann frühestens am 2 2 . März, sollte die Inzidenz zwischen 50 und 100 liegen, mal wieder ins Kino, in die Oper, ins Konzert oder ins Theater möchte, der muss sich schnell oder selbst testen lassen. Ab Montag kann jeder einen kostenlosen Schnelltest machen. Zumindest ist es so versprochen. Den Test, wie


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gesagt, gibt es kostenlos und Apotheken, Arztpraxen und Testzentren. Der Selbsttests für Zuhause, Spucktest zum Beispiel, kauft die Bundesregierung jetzt gerade in großem Stil ein. Die Selbsttests gibt es aber schon ab diesem Samstag bei Aldi, zum Beispiel, 2 5 Euro für fünf Stück. Rossmann und DM wollen dann ab kommenden Dienstag nachziehen und auch Selbsttests verkaufen. Und nächste Woche Dienstag wäre auch mal eine gute Möglichkeit, mal darüber zu reden, wie man eigentlich so einen Selbsttest am besten nutzt, damit er dann auch eine gewisse Aussagekraft hat. Kleiner Hinweis an dieser Stelle dann auf den Podcast am Dienstag. Aber grundsätzlich, dass es jetzt losgeht, dass es jetzt in die Läden kommt, sogar schon in dieser Woche. Wir sollten ein Piccolöchen öffnen. Das werden wir dann auch mal machen. Oder?


Alexader Kekulé


Nächste Woche, das machen wir definitiv nächste Woche. Das ist der letzte Buchstabe, der noch gefehlt hat. Und dass das Testen jetzt kommt, das finde ich ganz wunderbar. Dann sind wir dann in der Pflicht, sozusagen mal genau zu erklären, was man da alles falsch machen kann. Ich muss mal gucken, ob ich das irgendwie schaffe, dann vorher noch mich bei Aldi, Rossmann und so weiter anzustellen. Ich schätze mal, dass es dort auch lange Schlange geben wird vor den Geschäften. Hoffentlich ist schönes Wetter, dass man nicht im Regen steht.



Camillo Schumann



Genau, und auf jeden Fall, bevor man dann Spucktest machen, kein Piccolo trinken.


Alexader Kekulé


Das war ich schon mal der erste wichtige Tipp.



Camillo Schumann



Aber grundsätzlich gibt man mit diesen Selbsttests der Bevölkerung sehr viel Vertrauen, dass die dann auch verantwortungsvoll mit dem Testergebnis umgeht, aber grundsätzlich ist das ja, sage ich mal, der der Schritt in die Freiheit. Oder?


43:12 


Alexader Kekulé


Ich glaube ja, weil das eben denen, die ein niedriges Infektionsrisiko haben, also die jetzt


in der Situation sind, wo sie nicht eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, sich anzustecken. Ich sag mal, der Schnelltest ist nix für aus meiner Sicht für Krankenhauspersonal, was also wirklich auf der Intensivstation arbeitet. Und denjenigen, die auch nicht in der Gefahr sind, eine Risikoperson anzustecken. Also, wenn man jetzt nicht Pfleger im Altenheim ist oder so was, dann ist aus meiner Sicht so ein Schnelltest eine ganz tolle Sache, um eben noch eine zusätzliche Sicherungsebene einzuziehen und sich ein paar Freiheiten dadurch zu ermöglichen. Da freue ich mich sehr, dass das jetzt demnächst tatsächlich Wahrheit wird. Ja, das ja hätte man ja fast nicht mehr zu träumen gewagt. Aber das ist eine tolle Sache.


43:59



Camillo Schumann



Kann man dann den Podcast einstellen.


Alexader Kekulé


Da denken wir dann ernsthaft darüber nach. Aber erst, wenn wir den Piccolo getrunken haben.



Camillo Schumann



Eben. Bei aller Freude jetzt auch darüber, aber nicht alle freuen sich über die Öffnung und die Lockerung der Kontaktbeschränkungen. Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv und Notfallmedizin, man könnte auch kurz DIVI sagen, hat den Kollegen von Panorama gesagt: Egal wie schnell oder langsam wir jetzt impfen, wenn wir jetzt zu viele Kontakte zulassen und der R-Wert wieder richtig hoch geht, dann fliegt uns das Ding auf den Intensivstationen um die Ohren. Führen die Öffnung nach dem 07. März, einem Anstieg des R-Wertes auf ungefähr 1,4 könnte die Zahl der CoronaPatientinnen und Patienten auf Intensivstationen auf mehr als 10.000 hochschnellen. Das ist so eine errechnete Prognose des DIVI. Der bisherige Höchststand, wir erinnern uns, hat man im Januar bei 6.000 Corona-Patientinnen und -Patienten. Malt er da zu sehr den Teufel an die Wand?


Alexader Kekulé


Ja, ich habe so den Eindruck, den hat er


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absichtlich an die Wand gemalt. Vorangegangen, ist ja ein Statement der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die tendenziell immer so ein bisschen, sag ich mal, liberaler ist. Und die haben ja gesagt, ja wir können, so sinngemäß, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, so 50 Inzidenz, können wir uns schon leisten. So viele Patienten haben wir nicht mehr. Und jetzt steuert DIVI hier gegen, also dieses Intensivregister steuert jetzt gegen. Also ich finde es immer völlig in Ordnung, wenn jeder sagt also, ich bin dafür, vorsichtiger zu sein, oder ich bin dafür, sportlicher zu sein. Ich finde es wichtiger, dass die Menschen nicht so quasi an der an der Kandare liegen. Aber, wenn dann Fachleute auftreten und sich dann auf so Studien die sie selber gerade gemacht haben, oder Berechnungen, die sie sich selber gerade gemacht haben, beziehen – wir kennen diese Berechnung nicht. Ich habe natürlich die Pressemitteilung jetzt auch gelesen. Angeblich ist da schon eingerechnet, dass geimpft wird. Und da muss ich sagen, wenn also vernünftig geimpft wird und wir ja nun wissen, dass die erste Impfung schon einigen Erfolg zeigt und man dann sagt, wir kommen da möglicherweise auf einen R von 1,4 und dann geht das große Sterben wieder los. Dann möchte ich wirklich die Zahlen sehen, weil wenn das stimmt, was der Bundesgesundheitsminister sagt, haben wir in wenigen Wochen die Hochrisikopatienten durchgeimpft. Und was sollte es dann? Ja, wieso sollen dann so viele Leute daran sterben, wenn man die abzieht aus der ganzen Gleichung, dann ist die Sterblichkeit von einer COVID-Infektion, wenn man nur die Infizierten sich anschaut, in der Größenordnung von einer schweren Grippe und dann zu sagen, es werden die Intensivstationen volllaufen. Da muss man wirklich sehen, wie das berechnet wurde. Da habe ich ernste Zweifel, dass das quasi nachvollziehbar sein wird.


46:59



Camillo Schumann



Bei einer schweren Grippe wären es ungefähr 3.000, die gleichzeitig auf Intensivstationen liegen. Da gäbe es jetzt eine Differenz von 7.000, das ist schon einer, das ist nicht wenig.


Alexader Kekulé


Ja, da ist der Unterschied, dass die Grippe, das


ist dann verteilt auf die Saison. Und da gibt es manchmal so Peaks in der schlimmen Grippesaisons, wo das so aussieht. Aber ich, ich bin dagegen, quasi jetzt – das ist ja auch so eine Unkultur, die sich so ein bisschen in entwickelt hat in Deutschland. Wir gucken ja hier in diesem Podcast immer so auf die Studien drauf, wenn sie dann halbwegs fertig sind. Und da gibt es dann Studien aus Israel, aus den USA, aus Großbritannien sonst wo natürlich auch meine deutsche (Studie) dazwischen. Aber das ist was anderes, als wenn Leute sagen, ich habe da selber gerade mal was gerechnet. Oder ich habe da gerade mal folgenden Tests irgendwie PCRs mit irgendwelchen Schülern gemacht oder so was und dann sofort mit Schlussfolgerungen an die Öffentlichkeit treten. Ich glaube, es ist ganz wichtig, solche Daten erst mal in der wissenschaftlichen Community zu diskutieren, zu gucken, was sagen die Gutachter dazu? Und dann am Schluss kommt man halt zu so einer Gemengelage von meistens, ja dann nicht einmal eindeutigen Daten, und die sollte man dann versuchen zu interpretieren. Aber quasi, weil jetzt gerade die Deutsche Krankenhausgesellschaft den Aufschlag in die eine Richtung gemacht hat, dann zu sagen ja, und wir haben heute Nacht jetzt noch mal nachgerechnet. Und es ist aber genau andersrum. Das verdirbt zum bisschen aus meiner Sicht die Debatte. Also das ist dann ist mir ein bisschen zu politisch, hätte ich fast gesagt.


48:33



Camillo Schumann



Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung dieses Podcasts war die Berechnung so noch nicht veröffentlicht worden. Wir werden das in den kommenden Podcasts nochmal besprechen. Wir haben über das Papier im Detail gesprochen. Im Plan wird auch über den Impfstoff von AstraZeneca gesprochen. Dort steht dazu wörtlich: „... ausweislich der Studienergebnisse aus Großbritannien weist der Impfstoff von AstraZeneca generell eine hohe Wirksamkeit auf“ und „... dies ist auch in der älteren Bevölkerung der Fall“. Dazu, und jetzt wird es interessant, „... erwarten Bund und Länder eine kurzfristige Entscheidung der Ständigen


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Impfkommission über die Empfehlung des Impfstoffs für die Bevölkerungsgruppe über 65 Jahre, um die Impfterminvergabe entsprechend zügig anpassen zu können, damit der Impfstoff dann schnell verimpft werden kann“.


Also die Politik macht er jetzt auch noch mal richtig Druck.


Alexader Kekulé


Tja, im letzten Podcast habe ich ja schon meine Meinung dazu gesagt, am Dienstag. Ich finde die Politik sollte sich hüten, den Wissenschaftlern vorzuschreiben, was sie zu entscheiden haben. Wir erwarten, dass das und das passiert. Dann kann man ja gleich die Kommission auflösen. Ja, das ist eine Kommission am Robert Koch-Institut. Und ja, das Robert Koch-Institut ist eine Behörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministers. Und das ist ja immer das Problem von solcher Behördenforschung. Dass die dann sowieso immer so an der staatlichen Leine liegt, hat Vorund Nachteile. Dafür wissen sie dann auch immer als Erstes, wann wo irgendwelche Fördergelder fließen, weil sie nämlich die Konzepte mitgeschrieben haben. Aber es ist so – ich finde, hier muss man schon eine Entflechtung haben – weil man ja auch als Politiker nichts davon hat, wenn die Bevölkerung dann den Eindruck hat, die die STIKO hat sich ja dem politischen Druck gebeugt. Man will ja als Politiker, wenn man vernünftig ist, eigentlich eine wissenschaftliche Kommission haben, die eine rein faktisch evidenzbasierte Meinung zum Besten gibt. Und wenn man jetzt die erkennbar, auch noch hier sozusagen alle Ministerpräsidenten, alle Länderchefs gemeinsam mit der Kanzlerin ihre Erwartung ausdrücken, mit ganz konkretem Wunsch das doch bitte ruckizucki endlich mal zu ändern, dann entwertet man im Grunde genommen hier eine Position, die man sonst ja sehr schön als wissenschaftlich neutral in der Argumentation hätte nützen können. Da hätte man sagen können, schaut mal her, diese Kommission hat das beschlossen, die sind jetzt zu dem Ergebnis gekommen. Das ist komplett wertlos, wenn man die vorher dazu genötigt hat.


51:00



Camillo Schumann



Zumal ja auch, wenn jetzt im zweiten Quartal es mehr Impfstoffe gibt, auch von BioNTech alles noch einmal aus ausgeweitet wird, da gibt es auch überhaupt keinen Druck in Anführungszeichen, jetzt den AstraZeneca unbedingt jetzt den Alten noch zu geben, oder?


Alexader Kekulé


Ich glaube, das Problem ist ein anderes. Das Problem ist, dass natürlich die Impfkommission in Deutschland und das Ganze ist ja auch im Ausland passiert, in Kanada jetzt gerade ganz aktuell... die Kommission hat natürlich diesem AstraZeneca-Impfstoff in gewisser Weise schon einen Makel angehängt, indem sie gesagt hat, über 65 Jahren nicht. Da fragt sich natürlich jeder also irgendetwas ist mit dem. Dieser Makel soll jetzt endlich wegpoliert werden, damit, weil man ja umgekehrt auch niemanden die Wahl lassen will, das ist ja erklärt, kriegst du diesen oder jenen Impfstoff? Und wenn man jetzt mit dem einen, der ja bekanntermaßen eine höhere Wirksamkeit hat, das ist nicht wegzudiskutieren, diese RNAImpfstoffe quasi nur den alten gibt, was ich ja, solange es dafür zugelassen ist, für richtig halte, dann ist es natürlich auch verständlich, dass die anderen sagen naja, dann warte ich eben, bis die Lieferung für mich dann auch noch ausreicht, wenn sie nicht zu dieser ersten Gruppe gehören. Darum will man da so eine Art Sozialismus unter den Impfstoffen einführen. Und hat deshalb diesen politischen Wunsch. Ich bin aber eigentlich dagegen, diese politischen Wünsche quasi einer Kommission überzustülpen. Ich weiß gar nicht, ob das darunter fällt, aber man weiß ja auch, dass ist eine Forschungsfreiheit in Deutschland gibt. Eine Wissenschaftsfreiheit heißt eigentlich im Grundgesetz, und die ist ja absichtlich geschützt, und zwar sehr, sehr hoch, genau wie die Pressefreiheit, ist das geschützt. Und ich glaube, diese Wissenschaftsfreiheit quasi jetzt da einzuschränken, bloß damit dieser Impfstoff dann quasi für alle gilt und man es leichter hat bei der Verteilung und vielleicht nicht so viele mit dem Finger auf einen zeigen, warum man das falsche Zeug bestellt hat, angeblich das falsche Zeug bestellt hat, es ist ja


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nicht so, dass es wirklich falsch ist. Aber wie gesagt, ich habe da ein bisschen Bedenken. Und ich finde es ganz toll, dass die Kommission sich bisher nicht hat drücken lassen, weil dieser politische Druck ja schon länger im Raum ist.


53:2 1



Camillo Schumann



Für die Ministerpräsidenten auch für die Kanzlerin ist die Evidenz ja gegeben. Anspielung auf die Schottland-Studie, die wir hier ausführliche letzte Woche besprochen haben. Aber es gibt noch 2 andere Studien neben der Schottland-Studie, die vielleicht bei der Neubewertung des Astra Impfstoffs für ältere Menschen eine Rolle spielen könnten. Sie haben Sie gelesen. Was ist da sozusagen das Exzerpt daraus? Also kann man das sozusagen pro AstraZeneca interpretieren?



Alexander Kekulé


Ja, also, die Schottland-Studie, das haben wir schon besprochen. Nochmal, die kann man jetzt nicht benutzen, um zu sagen in der Zulassung wurde das zwar nicht gemacht, dass die alten Leute da ausreichend untersucht wurden, aber die Daten aus Schottland, die reichen jetzt aus. Und deshalb ist es so, dass wir das auch empfehlen können, für Ü-65. Es gab Hinweise darauf, aber es gab keine harten Daten und so ein bisschen in diese Richtung geht es weiter. Aber man kann schon sagen, die Datenlage verdichtet sich. Es gibt eine Studie, die jetzt gerade am 03.03. rausgekommen ist. Das war gestern, auch ein Preprint muss man immer sagen, die ist noch nicht wissenschaftlich begutachtet worden. Und die kommt aus Bristol im Vereinigten Königreich. Dort ist es so, da hat man in mehreren Krankenhäusern in Bristol eine sogenannte Single Center Studie gemacht, also quasi diese Krankenhäuser da zusammengefasst und hat jetzt, das ist die Besonderheit, nur über 80-Jährige, also 80 oder älter angeschaut. Und viele von denen hatten ganz schwere Grunderkrankungen. Weitere Komorbiditäten, wie wir sagen, fürchterliches Wort. Und das ist wirklich die erste Studie, die in großem Umfang das bei über 80-Jährigen auch gemacht hat, die sonst schwer krank sind. Und da hat den eben geholfen, dass in dieser Region eben fast


hundert Prozent schon ihre erste Dosis hatten, als die Studie abgeschlossen wurde. Und man hat dann quasi da eine Stichprobe rausgegriffen, die eben in diesen Krankenhäusern aufgetreten ist. Insgesamt 466 Probanden über 80. Von denen haben sie haben sich 144 infiziert im Verlauf der Studie, das war quasi so eine Verlaufsstudien. Da hat man eben festgestellt, dass die erste Dosis von dem BioNTech-Impfstoff in der Größenordnung von 71 Prozent schützt, die von AstraZeneca in der Größenordnung von 80 Prozent. Bevor jetzt wieder Kollegen von mir losrennen und sagen AstraZeneca ist besser, muss man genauer reinschauen. Wenn man die Daten genauer anschaut, das nennt man dann so eine Nachanalyse, nennt man dann Sensitivitätsanalysen in der Statistik. Da haben die dann Folgendes gemacht. Da haben die gesagt, ja Moment mal, es wurde ja in England mit BioNTech angefangen zu impfen, am 08. Dezember und AstraZeneca erst viel später am 04. Januar. Und wenn man jetzt das sozusagen ausgleicht und sagt, wir gucken wir uns jetzt nur die Daten ab 04. Januar an, wo also beide Impfstoffe dann unterwegs waren. Dann ist es so, dass BioNTech 79,3 Prozent Schutzwirkung hat und AstraZeneca 80,4. Also das ist sozusagen dann gleich. Das heißt mit anderen Worten, die Impfstoffe sind, wenn man in dieser Studie, wo man es dann wirklich auch vergleichen kann, anders als bei der Schottland-Studie, die keinen Vergleich zulässt aus methodischen Gründen, muss man sagen die Impfstoffe sind hier für über 80-Jährige, zumindest was die erste Dosis betrifft, gleich gut. Und das heißt natürlich dann, und ich finde schon, dass man das hier draus schließen kann, ich meine 466 ist nicht 40.000 Teilnehmer. Aber wenn man hier sieht, Mensch, erst gar keinen Unterschied zwischen den beiden, das sage ich jetzt mal, wieso soll dann sozusagen in der Alltagssituation, sonst einen Grund geben, dass man sagt, wir lassen den Impfstoff nur bis 65 zu. Also, das deutet schon sehr darauf hin, dass es auch für die, dass die, dass die Ständige Impfkommission ein paar zumindest ein paar Strohhalme haben wird, an die sie sich klammern kann und sagen kann, na gut wir haben da eine Studie, es sind nicht 40.000, es ist keine Zulassungsstudie, keine echte Fall-Kontroll-Studie, wo dann auch


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verblindet wird und so weiter. Aber schön, es deutet daraufhin, dass das die gleichgut wirken und gleichgut heißt ja auch dann gleiche Indikation behalten.


57:36



Camillo Schumann



Wir sprechen über Studien, die sozusagen pro AstraZeneca zu interpretieren sind. Und genau in dem Moment, als Sie da drüber gesprochen haben, so ist das während einer Aufzeichnung kam in der Tat die Eilmeldung, dass Herr Spahn zitiert wird, mit: „Die STIKO empfiehlt AstraZeneca jetzt auch für über 65-Jährige.“ Na Mensch, wenn das nicht passt.


Alexader Kekulé


Das ist ja sozusagen Live is Life. Gut, dass Sie nebenbei noch auf einem Computer schielen, während ich spreche.



Camillo Schumann



Ich höre ihn nicht zu.


Alexader Kekulé


Wie meine Kinder, die hören auch nie zu, wenn der Papa wieder – da heißt es dann, der Große Bär erklärt die Welt am Küchentisch. Und die wollen eigentlich nur noch die Frage klären, ob es jetzt noch eine Nachspeise gibt oder nicht. (beide schmunzeln)


Ja, also das ist ich kenne jetzt natürlich die Begründung nicht. Aber ich nehme mal an, dass die jetzt nicht gesagt haben, wir machen das, weil die Kanzlerin und MP ́s es unbedingt wollten. Sondern, die werden zum Beispiel diese Studie, würde ich mal sagen, weil die gerade ganz neu von gestern ist, die werden sie wahrscheinlich anführen. Und das ist auch durchaus seriös.


Übrigens für die, die sich fragen wieso ist das eigentlich so, dass BioNTech, wenn man nur den Zeitraum ab 04.01. anschaut, plötzlich genauso abschneidet wie AstraZeneca aber vorher schlechter abgeschnitten hat? Das ist ganz interessant. Da geht man davon aus, dass tatsächlich am Anfang der Impfungen in England – das ist eine der Theorien, wie man das erklären kann – die Menschen tendenziell eher gedacht haben: Jetzt bin ich geimpft, jetzt brauche ich mich nicht mehr zu schützen, sodass also wahrscheinlich der Infektionsdruck auf die Geimpften am Anfang dieser


Impfkampagne in England dann höher war. Also dass die sich quasi einem höheren Risiko ausgesetzt haben. Vielmehr Erklärungen gibt es eigentlich nicht. Das wahrscheinliche ist eigentlich, dass man entweder aus Versehen am Anfang zu viele Leute geimpft hat, die gerade schon sich COVID eingefangen hatten. Und die andere Erklärung ist, dass die nach der Impfung eben sich einem höheren Risiko ausgesetzt haben: Nach dem Motto jetzt, je oller, desto doller hätte ich fast gesagt, je geimpfter desto doller, über 80-Jährige, die keinen Bock mehr hatten, auf Quarantäne und so weiter. Und gesagt haben, jetzt gehe ich, mache ich mal alles, was ich schon immer mal machen wollte. Und wenn man natürlich diese erste Euphoriewelle damit rein rechnet, dann könnte das erklären, warum der BioNTechImpfstoff möglicherweise am Anfang weniger gut gewirkt hat. Sonst wird es relativ schwierig. Den Abgleich mit den verschiedenen Varianten, den hat man in dieser Studie nicht gemacht. Das ist hier nicht genau gezeigt worden.



Camillo Schumann



Na gut, dass bei uns die Pubs noch zu sind, Wenn jetzt auch die über 65-Jährigen mit AstraZeneca geimpft werden können.


Alexader Kekulé


Und die Oper je nachdem, wo man sich halt dann so ansteckt. Wir haben ja alle wahrscheinlich irgendwelche Opern-Abos, Rot und Grün und jetzt endlich mal gezogen werden müssen.


Die zweite Studie spreche ich nur ganz kurz an, die ist die ist von Public Health England, quasi dem öffentlichen Gesundheitsdienst in England, jetzt gerade in „The Lancet“ publiziert worden, von vorgestern, also auch was Neues, auch nur ein Preprint, also ist noch nicht endgültig raus. Und die haben eigentlich mehr so statistisch das untersucht, mit einer großen Zahl mit den Public Health Daten, die sie haben. Und die kamen also auch drauf, dass zwischen, ums kurz zu sagen, zwischen BioNTech und AstraZeneca praktisch kein Unterschied ist in einer Schutzwirkung. Die kamen auch auf eine ähnlich hohe Schutzwirkung der ersten Dosis. Das heißt also auch hier wieder, weitere Studie, die, die sagt,


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die erste Dosis erstmal rauszugeben und nicht die zweite zurückzuhalten. Das wäre die richtige Strategie. In England wird es gemacht. In Deutschland empfehle ich es ja nun schon seit langer Zeit sehr, sehr intensiv. Und es ist so, dass man hier auch Hinweise darauf hat, tatsächlich bei dieser bei dieser Public Health England Studie, die im Lancet als Preprint erscheint, dass das tatsächlich auch gegen diese Variante B1.1.7 dort wirkt. Also, wir wissen nicht, ob es vielleicht ein bisschen schlechter ist, aber zumindest auch eine deutliche, klar erkennbare Wirkung hat. Und das ist ein gutes Zeichen. Und das gilt ja aber bei dieser Studie für beide Impfstoffe, also AstraZeneca und BioNTech, die haben nach dieser Lancet-Studie tatsächlich eine Wirksamkeit, auch gegen B1.1.7. Da kann etwas schwächer sein, aber ist wahr.


1:02 :00



Camillo Schumann



Sehr schön so. Also da haben wir doch jetzt, glaube ich, AstraZeneca umfassend besprochen. Also ab heute auch für die über 65-Jährigen empfohlen, laut STIKO. Prima.


Alexader Kekulé


Und es gibt auch Daten, die das unterstützen. Das muss man nur noch einmal sagen. Es ist eben nicht nur nicht nur der politische Druck gewesen.



Camillo Schumann



Genau, das haben wir jetzt mit den beiden Studien damit dann auch noch bewiesen. Kommen wir zu den Hörerfragen. Wir haben uns auch wieder verplaudert, stelle ich gerade fest. Ich gucke ab und zu auf die Uhren, da bin ich jetzt kurz zusammengezuckt. Aber das müssen wir auf jeden Fall noch klärenden. Uns erreicht sehr, sehr viel Post von Krankenhauspersonal, das uns schreibt. Und das berichtet zunehmend, dass Patienten mit Verdacht auf eine Infektion mit der B1.1.7-Variante von Patienten mit dem Wildtyp, also dem Ur-Virus quasi getrennt werden, da der Verdacht im Raum steht, dass Patienten mit der englischen Mutation diese an andere Patienten mit dem Ursprungs-Virus weitergeben könnten. Und jetzt fragen viele Mitarbeiter im Krankenhaus, kann dies wirklich


passieren? Und was hätte das für Folgen für die Patienten?


1:03:03


Alexader Kekulé


Das weiß keiner genau. So grundsätzlich ist es so, mit dem gleichen Virus eine Doppelinfektion bei jemandem, der also schon quasi positiv ist und deshalb isoliert ist, der müsse sich ja dann zusätzlich mit der anderen Variante infizieren. Das ist grundsätzlich ein seltenes Ereignis. Aber wir haben solche Dinge bei COVID beobachtet. Das Sars-CoV-2  kann das. Das ist sogar so, dass wir wissen, dass es Patienten gibt, wo diese Doppelinfektion rein, im Prinzip zur Vermischung von Genen führen kann, wir nennen das Rekombination. Das auf jeden Fall im Tierexperiment gezeigt und noch nicht so lange bekannt, dass Coronaviren so was überhaupt können. Aber die können tatsächlich Gene auch untereinander austauschen. Deshalb ist, wenn man jetzt wirklich weiß, der eine hat die neue Variante, und der andere hat den alten Typ, dann wäre es in den wenigen Fällen, wo man das weiß – bei uns wird ja nicht soviel sequenziert. Ja, man kann das machen als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Ich glaube, dass es nicht praktikabel sein wird, das immer zu machen. Man hat die Sequenzierungen auch nicht so schnell bei der Hand. Und es ist so, dass wir ja letztlich nur diese 2 Typen auf die Schnelle anschauen. Es gibt ja ganz viele andere Varianten, die zirkulieren, die wir nicht auf dem Radar haben. Also ich würde es wahrscheinlich aus ökonomischen Gründen sein lassen. Aber im Einzelfall, wenn man im Einzelfall sagt ja, jetzt wissen wir es halt gerade mal zufällig und wir haben jetzt ein Zimmer frei und dann trennen wir die voneinander. Dann ist das etwas, das kann man im Moment als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme durchaus machen.



Camillo Schumann



Aber hätte das noch irgendwelche anderen körperlichen Folgen, dass es eben besonders schlecht geht?


Alexader Kekulé


Das weiß keiner. Es ist klar, dass es solche Doppelinfektionen schon mal gegeben hat mit verschiedenen Varianten. Aber ich glaube


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nicht, dass das dazu führt, dass man sich dann doppelt schlecht fühlt oder Ähnliches. Daher ist es eigentlich keine medizinische Indikation. Also medizinisch gesehen gibt es keine Indikation in dem Sinn. Es ist eher so epidemiologisch, wenn man jetzt an die Rekombinanten denkt oder Ähnliches. Aber da ist halt wirklich die Frage: Die allermeisten Infektionen sind ja nicht im Krankenhaus. Die allermeisten sind ja zu Hause irgendwie im privaten Umfeld. Einige werden gar nicht bemerkt. Dort passiert das ja ständig. Dort ist es ständig so, dass Menschen Kontakt miteinander haben, wo 2 Personen infiziert sind. Und natürlich sind die Viren nicht immer hundert Prozent gleich, sondern die verändern sich ständig. Und warum soll man dann aus epidemiologischen Gründen gerade diese Ausnahmesituation im Krankenhaus mit sehr viel Aufwand kontrollieren, während man draußen überhaupt keinen Einfluss darauf hat?


1:05:56



Camillo Schumann



Wir haben eine Mail von Frau F. bekommen. Sie ist in einer sehr misslichen Lage, sie ist nämlich in Mexiko gestrandet. Sie schreibt:


„Ich habe mich mit dem Coronavirus infiziert, benötige aber 2 negative Tests, PCR und Antigen-Schnelltests für den Rückflug nach Deutschland. Nun frage ich mich, wie ich rechnen kann. Ab wann ist das Virus nicht mehr in meinem Körper nachweisbar? Ich mache selbstverständlich eine Quarantäne mit einer Länge von 2 Wochen ab den ersten Symptomen. Aber das ist ja so, wie ich das verstehe, hat ja nichts mit der Nachweisbarkeit des Virus zu tun. Ich verstehe es so, dass das Virus auch über die 2 Wochen hinaus und bis zu vier Wochen (?) nachweisbar sein kann. Über eine Antwort, würde ich mich freuen, denn ich würde wirklich gerne wieder nach Hause. Die Koffer waren schon gepackt, als die Symptome auftraten. Und nun bin ich gestrandet. Mit besten Grüßen, Frau F. in Mexiko.“


1:06:44



Alexander Kekulé


Ich kenne so einen ähnlichen Fall von der Tochter einer Freundin, die ist auf die Weise in


der Schweiz gestrandet und konnte nicht nach Deutschland zurück. Die war viele, viele Wochen schon wieder genesen und hat immer wieder positive PCR-Ergebnisse geliefert. Und dann hat das Gesundheitsamt daheim gesagt, nö. Wenn Sie in diesem Zustand kommt, muss sie bei uns erst mal in Isolation. Also die gute Nachricht ist, normalerweise ist das Virus nach fünf bis zehn Tagen weg. Die weitere gute Nachricht ist, wir sind ja inzwischen international, kam zu der Überzeugung gekommen, dass man so einen cut off auf jeden Fall über 30, wahrscheinlich über 2 8 schon als nicht mehr infektiös bezeichnen darf.



Camillo Schumann



CT-Wert, muss man an dieser Stelle sagen.


Alexader Kekulé


CT-Wert, genau. Der genaue cut off ist gar nicht richtig. Sondern CT-Wert, um ganz genau zu sein. Das heißt also, es ist so, dass wenn das Virus nur noch eine kleine Menge nachweisbar ist, bestünde eigentlich kein Grund, jemanden von der Beförderung auszuschließen. Aber ich weiß natürlich nicht, wie die Fluggesellschaft, mit der die Dame Reisen will, das handhabt, wie das Mexiko handhabt. Deshalb würde ich mal sagen, normalerweise ist der Spuk nach 2 Wochen definitiv vorbei. Das heißt, die PCR wird negativ. Ganz wenige Menschen, wir wissen nicht, wie viel Prozent das sind, aber ganz wenige haben das Pech, dass einfach, obwohl sie wieder gesund sind, irgendetwas noch in der PCR nachweisbar ist. Das kann noch viele Wochen sein. Ich kenne Fälle, da waren es noch sechs Wochen. Das wird dann ein langer Mexiko-Urlaub. Aber ich würde mal sagen, das häufige ist häufig, das seltene ist selten, lernen Medizinstudenten. Und deshalb würde ich sagen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kann sie nach den 14 Tagen Isolierung auch wieder zurückfliegen.



Camillo Schumann



Aber das Allerbeste wäre doch, einen AntigenSchnelltest zu machen, bevor sie ins Flugzeug steigt, weil definitiv nicht mehr nachweisbar.


Alexader Kekulé


Ja, der Antigen-Schnelltest, der wird dann negativ sein. Dass das wäre jetzt eine extreme Ausnahme, vor allem, weil wir wissen, wenn


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jemand länger das Virus ausscheidet, das ist eigentlich immer mit schwereren Krankheitsverlauf assoziiert. Und ich würde mal sagen, dass die Hörerin offensichtlich nicht so schwer krank ist. Zumindest kann sie noch Podcasts hören. Und das heißt also, die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt hier das mit schwerem Krankheitsverlauf assoziiert ist und deshalb länger auch längere Ausscheidung gibt und höhere Ausscheidung, ist nicht so hoch.


1:09:06



Camillo Schumann



Nein, sie hatte einen leichten Verlauf. Abschließende Frage: Ist es denn eigentlich vorgegeben, ob man dann, bevor man ins Flugzeug steigt, negativen PCR-Test oder negativen Antigen-Schnelltest macht? Weil, das ist ja nun sehr, sehr aussagekräftig, ob oder ob nicht.


Alexader Kekulé


Das entscheidet bei uns die Fluggesellschaften. Rein technisch gesehen ist für solche Sachen die IATA zuständig, diese internationale Agentur, die sich da um Flugreisen kümmert, die auch zum Beispiel vorschreibt, was man ins Handgepäck mitnehmen darf, wie viel Kilo Sprengstoff man dabei haben darf oder auch nicht. Und die wären theoretisch dafür zuständig. Die haben aber keine eindeutige Festlegung gemacht, ob es Antigen-Schnelltest oder PCR sein muss.


1:09:53



Camillo Schumann



Gut. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 155, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder dann wieder zu einem HörerfragenSPEZIAL.


Alexader Kekulé


Gerne, bis dahin.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann twittern Sie Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekule oder schreiben Sie uns eine Mail an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostet nix:


0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es


Podcasts gibt. Und alle wichtigen Links zur Sendung unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 02 .03.2 02 1 #154: Sich nicht zum Sklaven von Inzidenzen machen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


„ControlCovid“ – Schutzkonzept des RobertKoch-Instituts https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Downloads/Stufenplan.pdf ?__blob=publicationFile


Antikörperantwort auf die erste BNT162 b2 Dosis bei zuvor mit SARS-CoV-2  infizierten Personen (2 5.02 .2 02 1) Antibody response to first BNT162 b2  dose in previously SARS-CoV-2 -infected individuals The Lancet


Dienstag 02 . März 2 02 1.


Morgen beraten Kanzlerin und Ministerpräsidenten über eine Lockerungsstrategie. Was steht drin im Entwurf?


Dann das Robert-Koch-Institut hat ein Schutzkonzept für die Öffnungsstrategie vorgelegt. Was ist davon zu halten?


Außerdem: Wie eine BioNTech-Impfung auf Menschen wirkt, die schon eine Infektion durchgemacht haben.


Und wenn ich als Lehrer nur einmal in der Woche getestet werde, welcher Tag wäre sinnvoll?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die


aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Und vorweg die wichtigste Frage gleich am Anfang: Waren sie schon beim Friseur?


00:59



Alexander Kekulé


Nein, eine meiner Lockdown-Investitionen ist ja, dass ich mir tatsächlich eine echte Friseurschere gekauft habe, und damit helfen wir uns in der Familie zurzeit gegenseitig. Es besteht die Chance, dass die Frisöre in Zukunft weniger Arbeit bekommen, weil, ich habe meinen Sohn geschnitten. Das darf ich ja sagen, und da sagen alle, das sieht ganz toll aus.



Camillo Schumann



Was anderes darf man ja auch in dem Fall nicht sagen, weil, etwas anderes gibt es nicht.



Alexander Kekulé


Genau, das wagt keiner.


01:30



Camillo Schumann



Die Frisöre haben auf. Die Schulkinder, die kommen einem morgens auch wieder entgegen. Und auch wenn man das kritisch sehen kann mit den Schulöffnungen, aber es hat schon so was von so ein bisschen Normalität. Das tut irgendwie gut. Finden Sie nicht auch?



Alexander Kekulé


Ja, es tut gut. Andererseits ist es natürlich schon so, dass in den Schulen, was man so hört, auch die Infektionen grassieren, zum Teil. Und das ist dann schon spannend. Also für alle, die sich so ein bisschen, sage ich mal, ernsthaft jetzt überhaupt noch Gedanken über Corona machen – viele haben es ja aufgegeben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen – aber für Menschen, die da vorsichtig sind, ist es so, dass Kinder in der Schule oder in der Kita in gewisser Weise eine offene Flanke sind.



Camillo Schumann



Auf jeden Fall. Ich wollte es versuchen, ein wenig menschlich und positiv darzustellen. Das zumindest, was die Abläufe jetzt so in der Gesellschaft angeht, dass so etwas wie Routine entsteht.



Alexander Kekulé


Sie wollten sagen, die Plagen sind endlich nicht mehr zu Hause.



Camillo Schumann



Das haben Sie gesagt. Schauen wir mal kurz auf die Zahlen, da hat sich jetzt gar nicht so viel getan. Dem RobertKoch-Institut wurden innerhalb eines Tages rund 4.000 Neuinfektionen gemeldet, ähnlich viele wie vor einer Woche. Die Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 wurden heute mit 358 angegeben, 57 weniger als vor einer Woche. Auf der Intensivstation gibt es nach einem sehr positiven Trend nach unten wieder ein leichtes Plus. Die 7-Tage-Inzidenz aktuell bei 65,4 vor einer Woche bei 61. Man könnte sagen die Plateaubildung verstetigt sich. Oder?


02 :59



Alexander Kekulé


Ja, es sieht so aus, als würden wir von diesem Plateau, wenn man es mal so nennen darf, nicht weiter runter kommen. Es ist ja zusätzlich natürlich die Tendenz, in den nächsten Wochen, dass die Menschen – egal, was da morgen im Kanzleramt rauskommt – dass die Menschen so ein bisschen sauer gefahren sind. Also, viele halten sich einfach nicht mehr an die Maßnahmen. Man erlebt es auch ganz privat im Alltag an jeder Ecke. Und ich glaube, das ist der Haupt-Gegentrend, der jetzt sozusagen im Raum steht. Und positiv, dass das Wetter mitspielt. Der Winter scheint ja kurz gewesen zu sein. Ich weiß nicht, was die Meteorologen sagen, aber wenn es jetzt langsam warm wird, wir zugleich die Tendenz haben, das Alte geimpft werden und dadurch die Sterblichkeit sinkt, dann ist es natürlich insgesamt so, dann halten sich nicht mehr so viele Menschen an die Maßnahmen. Und irgendwo in der Mitte bleiben wir halt auf diesem Plateau hängen.



Camillo Schumann



Die Mutationen haben wir auch noch. Aber wie verbreitet ist dieses Phänomen der


Plateaubildung? Das haben wir ja nicht exklusiv hier in Deutschland.



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein weltweiter Trend. Und es ist ganz ganz witzig, finde ich, dass die Diskussionen, ohne dass das abgesprochen zu sein scheint, wirklich weltweit ganz ähnlich laufen. Man kann jetzt gerade aktuell in der Washington Post lesen – das ist dann immer die von gestern, die bei uns aktuell ist – kann man lesen, dass genau die gleiche Diskussion in den USA ist. Die haben ja eine ganz massive Abnahme der Fallzahlen gehabt. Die haben sich schon gefreut. Daraufhin haben sie alle geöffnet. Die sind jetzt im Öffnungsrausch, hätten wir fast gesagt. In New York werden die Theater und Kinos wieder geöffnet. Zugleich gibt es diese Varianten, vor denen alle Sorge haben. New York hat jetzt seine eigene Variante, seit ganz neuem. Es war ja relativ klar, nachdem es eine südkalifornische gibt, darf also die Ostküste nicht hinterherhinken. Und daher ist es so: Ja, wir haben wir haben so eine allgemeine Entwicklung, das gelockert wird und zugleich die Fallzahlen eben nicht weiter sinken. Und die Weltgesundheitsorganisation, da hat gestern der Generaldirektor Ghebreyesus davor gewarnt, dass man jetzt denkt, weil das auf einem Plateau ist, wird es dort bleiben. Und auch der US-Infektiologe Toni Fauci, so eine der Ikonen dort den USA in diesem CovidThema, der sagt auch: Vorsicht, das könnte jetzt alles wieder hochgehen. Wobei ich eben der Meinung bin, der Grund, wenn sowas hochgeht, sind immer Lockerungen, und Politiker aber immer sehr gerne dann hinterher sagen: Ja, es ist hochgegangen, nicht wegen unserer Lockerungen, sondern wegen der Varianten.



Camillo Schumann



Aber die Frage ist ja genau: Kann man das dann irgendwann mal – oder möglicherweise jetzt schon – eigentlich abschließend klären, woran es dann tatsächlich gelegen hat? Weil, das ist doch eigentlich die Grundlage und der Maßstab dann für weitere Schritte?


05:40



Alexander Kekulé


Ja, es wäre nice to know, sage ich mal. Aus


meiner Sicht ist es gar nicht so wichtig. Weil selbst, wenn die Varianten wirklich, sag ich mal, mit 0,5 infektiöser sind, also wenn die ein R haben von 3,5 statt 3,0 Basisreproduktionszahl. Wenn das so wäre, selbst dann wäre es so, dass die Varianten ja nicht hochinfektiös sind im Gegensatz zu den bisherigen Viren. Also, das liest man überall, übrigens nicht nur in Deutschland. Die Presse rauf und runter schreibt das brav ab. Die Politiker sagen das, auch international liest man von den hochinfektiösen Varianten. Also das Virus ist das Virus, und es hat eine gewisse Infektiosität oder Kontagiosität, wie wir sagen. Und wenn die Kontagiosität geringfügig steigt, also 0,5 ist geringfügig, dann heißt es natürlich, diese Variante wird sich dann durchsetzen gegen die anderen. Das ist völlig klar. Aber das wird jetzt nicht von einem sozusagen Normalo-Virus zu einem hochinfektiösen Virus, sondern die Gegenmaßnahmen – das ist mir immer ganz wichtig, immer wieder zu sagen – bleiben wirklich die gleichen. Sodass es für die Konzeption der Gegenmaßnahmen aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle spielt. Ich will eigentlich, dass man davon wegkommt, immer auf die Varianten zu zeigen, sondern nüchtern bei dem Programm bleibt, was man sowieso quasi ins Auge gefasst hat. Und man kann, um die Frage zu beantworten: Nein, man kann bisher aus den Daten nicht sauber rauslesen, welchen Anteil die Varianten haben. Aber es gibt nirgendwo einen Anstieg der Varianten, wenn die Gegenmaßnahmen eingehalten wurden. Und es ist immer so gewesen, dass die Varianten – am besten haben wir das bei B.1.1.7 aus England beobachtet – die wurden ganz genau mit den gleichen Gegenmaßnahmen wieder eingefangen, wie man es vorher auch gemacht hat. Z.B. in Irland ist die Zahl der Infektionen deutlich runter gegangen, nachdem man halt die Pubs alle wieder zugemacht hat



Camillo Schumann



Und parallel zur Plateaubildung: In Deutschland nimmt eine „Lockerungsdiskussion“ Fahrt auf. Völlig klar auch warum. Weil, morgen berät die Kanzlerin mit den Länderchefs und -chefinnen über einen konkreten Lockerungsfahrplan. Die 35, die mal so als Ziel-Inzidenz-Marke für


Lockerungen angegeben wurde, lässt sich so offenbar gar nicht mehr halten. SachsenAnhalts Ministerpräsident Haseloff will auch über einer Inzidenz von über 50 lockern. NRWMinisterpräsident Armin Laschet sprach sich für kontrollierte Öffnungsschritte ohne Fokussierung auf Inzidenzwerte aus.


Herr Kekulé, wir impfen. Die Älteren sind durch Impfungen immer mehr geschützt und die Tests kommen jetzt. Können wir uns erlauben, jetzt den Fokus von der Inzidenz komplett wegzunehmen?


08:16



Alexander Kekulé


Komplett weg auf keinen Fall. Die Inzidenz ist, wenn man so sagen darf, quasi so die Großwetterlage bei dem ganzen Thema. Aber Großwetterlage, um es mal damit zu vergleichen, heißt natürlich, ja, das Klima in Deutschland geht Richtung Sommer z.B.. D.h. aber nicht, dass es morgen nicht regnen und übermorgen nicht schneien kann in irgendwelchen Regionen. Und neben der Großwetterlage müssen wir natürlich auch ganz viele andere Faktoren im Auge haben. Die Inzidenz alleine ist, glaube ich, v.a. bei den Lockerungen ein schlechter Berater. Die Inzidenz ist dann gut, wenn sie plötzlich steigt, bundesweit oder in einer Region. Dann ist relativ klar, dass man was falsch gemacht hat und dass man nachschärfen muss. Aber wenn die Inzidenz jetzt auf diesen Plateau rumhängt, dann brauchen wir tatsächlich andere Methoden.


09:09



Camillo Schumann



Okay und über diese anderen Methoden wollen wir mal sprechen. Das Robert-KochInstitut hat ein Schutzkonzept entwickelt: „ControlCovid“. Und dieses Schutzkonzept soll quasi als Grundlage für die Beratungen morgen dienen zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten. Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, hat letzte Woche auf einer Pressekonferenz zu diesem Schutzkonzept Folgendes gesagt, wir hören mal kurz rein:


(Lothar Wieler)„Ja, das RKI ist tatsächlich auch eine Institution, die eigenständig denken kann. Das ist so.


(Mann) Das ist auch ausdrücklich gewünscht. (Lachen) (Lothar Wieler weiter) Also an diesem Konzept haben wir seit März, Entschuldigung, seit Dezember gearbeitet, weil wir natürlich Daten brauchen. Also, das Konzept versucht ja, die aktuelle Literatur mit einzubeziehen. Es ist ein lebendes Konzept, das auch weiter ausgearbeitet wird. Und für uns ist ja wichtig, dass wir halbwegs eine Evidenz haben für das ein oder andere. Es gibt nicht für alles Evidenz, aber für das, wofür wir Evidenz finden könnten, das haben wir in das Konzept mit eingearbeitet.“


Gut, jetzt kann man da natürlich schmunzeln. Evidenz hat Herr Wieler selber schon in den Mund genommen, ist genau das Stichwort: Evidenz – unumstößliche Tatsache, faktische Gegebenheiten. Und Sie haben das Papier auch gelesen. Ich bin beim ersten Lesen über eine Grafik gestolpert, und zwar eine Grafik auf Seite 6, die sogenannte Toolbox zum Stufenkonzept. Da werden so Bereiche definiert und auch ihr Infektionsrisiko, ihren direkten Einfluss z.B. an schweren Verläufen und ihren Anteil an sogenannten Nicht-CovidEffekten, z.B. soziale, psychologische oder ökonomische Effekte. Und dort steht z.B. für Hotels und Einzelhandel fast überall niedrig, „grün“, also so gut wie gar keine Gefahr. Aber seit Monaten sind Hotels und Geschäfte geschlossen. Ist das nur für mich ein Widerspruch oder auch für Sie?


10:53



Alexander Kekulé


Nein, das ist ganz offensichtlich ein Widerspruch. Man muss sagen diese „ControlCovid“ (jetzt muss man sich die ganzen Ausdrücke merken, dann gibt es noch „No Covid“, „Null Covid“, „Zero Covid“), also „ControlCovid“, jetzt das, was das RobertKoch-Institut nach einem Jahr Pandemie vorgelegt hat, das kulminiert sozusagen in dieser Toolbox. Also vorher werden alle möglichen Settings definiert. Da wird dann so überlegt, in welcher Situation, also Settings, damit meinen die Situationen, in welcher Situation gibt es besonders hohe Gefahr von Infektionen? Wann ist die Gefahr, dass Risikopersonen infiziert werden usw.? Und daraus haben sie dann quasi


zusammengedampft für die konkrete Anwendung diese Toolbox. Also, wenn die sagen, im Einzelhandel und im Hotel ist das Infektionsrisiko niedrig. Dann ist natürlich schon so ein bisschen die Frage, wie genau, wie Sie richtig sagen, warum hat man das dann zugemacht? Es wird nämlich auch noch dazugeschrieben, der Anteil am gesamten Übertragungsgeschehen ist ebenfalls niedrig für diese beiden Bereiche, um die mal rauszunehmen. Transmissionseffekt, ja, und dann ist es auch so, dass sie sagen, dass aber die Einschränkungen – das haben sie nämlich auch in die gleiche Tabelle gepackt – zumindest bei dem Einzelhandel immerhin moderat sind, also auf der dritten Stufe. Die haben so drei Stufen rot-gelb-grün, und der Nachteil sozusagen, ich würde ja sagen, die sekundären Kollateralschäden, sind also gelb, also schon berücksichtigungswert im Einzelhandel. Klar, das ist doch ein Problem, das Ganze. Und übrigens, bei den Hotels sagen sie, das finde ich auch interessant, dass die Schließungen nur limitierte Effekte hätten. Da bin ich jetzt nicht so sicher. Wenn man die ganze Tourismusbranche sieht: Ich meine, vielleicht von Berlin aus gesehen, konkret am Sitz des Robert-Koch-Instituts mag es nicht so Tourismusströme geben, die dahin pilgern. Aber, wenn Sie mal andere Regionen Deutschlands, irgendwo am Rhein oder an der Nordsee oder unten in Bayern, wo die Berge sind, oder Baden-Württemberg, da ist der Tourismus doch ein richtiger Faktor. Und auch die ganzen Geschäftsreisenden sind ein Faktor. Und wenn die [am RKI; Anm. d. Red.] dann sagen, die Schließung von Hotels hat praktisch nur limitierte, minimale Einwirkungen, also grün, das ist auch auf dem gleichen Niveau wie die Bars und Clubs ... Da muss ich sagen viele Dinge in dieser Toolbox, sage ich mal, sind Fragezeichen und nicht so richtig ausgegoren. Ganz ehrlich, vieles wirkt eben gerade nicht so evidenzbasiert. Und die Frage, die man sich insgesamt stellt – aber das hat Herr Wieler eigentlich in dem Zitat gerade schon beantwortet. Er hatte einen klassischen Freud’schen Versprecher drin gehabt, er hat gesagt: seit März. Und er wollte dann eigentlich erklären, warum das RKI seit März untätig war, und sagt, nee, nee, wir können also auch nachdenken. Aber wir brauchten


eben erst einmal die Fakten. Aber wenn sie seit März nichts vorgelegt haben in dieser Weise, und dass das Ergebnis angeblich evidenzbasiert ist, dann muss ich sagen, ist das natürlich etwas, wo die Politiker, glaube ich, nicht viel damit anfangen können. Das schauen die sich an und sagen: Was soll ich damit? Da sind auch so viele Wenns und Abers drinnen. Und dann wird z.B. gesagt, für die Deeskalierung, also wenn man jetzt quasi weggeht von den Maßnahmen, wenn man lockert, dann soll man die Belegung der Intensivstationen als Parameter nehmen. Da würde man ja jetzt sagen: Ja, gut, dann können wir ja munter lockern. Und für die Eskalation, also für die neuen Lockdowns oder für strengere Maßnahmen, da soll man diese 7-Tage-Inzidenz im jeweiligen Landkreis sich anschauen. Da bin ich auch nicht so sicher, ob dieses Festhängen an der Inzidenz in der jetzigen Phase der Pandemie, wo wir es endlich schaffen, die Risikogruppen ein bisschen besser zu schützen, wo wir die Schnelltests haben als weiteres Instrument, wo die Inzidenz da wirklich sozusagen allwissend ist.


14:55



Camillo Schumann



Na gut, es hängt ja nicht nur daran. Aber in der Tat, vier Stufen: Eine Basisstufe mit Inzidenz unter 10, dann zwischen 10 und 35, zwischen 35 und 50 und mehr als 50. Und neben dieser 7-Tage-Inzidenz koppelt das RKI die Stufen noch an den Anteil der Covid-19-Fälle an der Kapazität der Intensivstation, an die Krankenhausfälle, und – da wird es interessant – bei den über 60-Jährigen und die Möglichkeiten beim Nachverfolgen von Kontaktpersonen. Also, es ist ja schon sozusagen ein gewisser Besteckkasten, der da geliefert wird. Und das ist doch eigentlich ganz praktisch.



Alexander Kekulé


Das stimmt. Dieser Besteckkasten, da werden aber nur die Instrumente benannt. Und ich glaube, das hätte quasi Lieschen Müller aufschreiben können, dass der Anteil der Nachverfolgung von Kontaktpersonen wichtig ist bei der Frage, wie man die Pandemie im Griff hat. Das ist ja heute heutzutage allgemein bekannt. Es wird aber nicht aufgeschrieben,


wie man das mit in die Waagschale werfen soll. Also es gibt diese Leitindikatoren, wie das dort heißt. Aber wie man jetzt diese anderen Faktoren, die Sie genannt haben, die natürlich auch in dem Paper erwähnt werden, wie man die dann sozusagen reinmischen soll, und v.a. wie die reingemischt wurden, um dann diese interessante Toolbox da aufzubauen – ich sage noch ein anderes Beispiel: Personenverkehr fern. Also Flugreisen heißt das und Bahnreisen, Infektionsrisiko niedrig. Also was soll ich damit anfangen? Da hätte eine Abstimmung sein müssen. Und das ist ja ein Problem, was ich schon lange benenne: Da hätte eine Abstimmung sein müssen, wie schützt man sich in der Situation? Wenn alle eine FFP-2 Maske aufhaben und die nicht einmal zum Trinken abnehmen, dann haben Sie natürlich im Flugzeug tatsächlich ein niedriges Infektionsrisiko. Aber Tatsache ist ja, dass Sie, sobald Sie was essen oder trinken im Flugzeug, die Maske abnehmen können. Und viele haben dann deshalb die ganze Zeit ihren Orangensaft oder Tomatensaft in der Hand bis kurz vor der Landung. Dann müssen sie ihn abgeben und die Maske wieder aufsetzen. und Tomatensaft, ganz wichtig, ist ein typisches Flugzeuggetränk, mit oder ohne Pfeffer. Und es ist so, dass man hier also sagen muss, der Blick der Behörden, und wir werden ja gleich über das Bundesregierungskonzept auch noch einmal sprechen, über das Kanzleramtskonzept. Da ist immer der gleiche Blick, dass man sagt, man muss möglichst viele Kontakte vermeiden, um die Krankheit zu verhindern. Und ich sage, nein, man muss gucken, was für ein Kontakt es ist. Ist das im geschlossenen Raum? Ist da die Gefahr eines Superspreadings? Ja oder nein? Haben die Personen die Möglichkeit, sich zu schützen, indem sie Masken aufsetzen und Abstand halten oder dass die Lüftung gut ist? Und wenn das alles nicht möglich ist, hat man als Plan B vielleicht einen Schnelltest, mit dem man das sicherer machen kann. Und dann muss man mit diesen Parametern gucken, ist die Situation noch risikobehaftet oder nicht? Oder kann man eine Situation, die vielleicht normalerweise risikobehaftet wäre, kann man die durch solche Maßnahmen, Maske, Schnelltests usw. eventuell entschärfen? Und dass diese Ebene – dass wir ja smarte Tools haben, mit denen wir schon lange Einfluss auf


diese Pandemie und aufs Infektionsgeschehen nehmen könnten – dass diese Ebene da in der Toolbox des Robert-Koch-Instituts überhaupt nicht drinnen ist, das finde ich eigentlich schade, weil das ja auch ganz aktuell ist. Am 18. Februar 2 02 1 ist es auf den Tisch gelegt worden. Das Datum sagt ja allein schon leider sehr viel.


18:2 4



Camillo Schumann



Aber genau diese anderen Faktoren, die noch eine Rolle spielen, wie Testen z.B., die sind Grundlage für das nächste Papier, über das wir jetzt sprechen wollen, und zwar das Papier für die Länderschalte der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Morgen, das haben wir schon mehrfach betont, beraten ja Kanzlerin und Ministerpräsidenten über Lockerungen. Wir haben den Entwurf dieses Papiers schon vorab und dort steht drin, quasi so als Präambel: „Bund und Länder wollen nun erproben, wie durch die deutliche Ausweitung von Tests und ein Testprogramm in Verbindung mit einer besseren Nachvollziehbarkeit der Kontakte im Falle einer Infektion, Öffnungsschritte auch bei höheren 7-Tage-Inzidenzen mit über 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner möglich wären. Für die nächsten Wochen und Monate wird es bei stabilem Infektionsgeschehen einen Vierklang geben aus Impfen, Testen Kontaktnachvollziehung und Öffnungen.“ Wie hört sich das für Sie an?



Alexander Kekulé


Das einzige Wort, was ich nicht mag, ist „Öffnungen“. Weil man eigentlich statt aufmachen, umstellen auf eine selektivere Kontrolle sagen müsste. Also nennen wir es mal selektive Kontrolle statt Öffnen. Aber davon abgesehen hört sich das für mich sehr gut an. Also ich finde es sehr gut, dass man nicht sich quasi in die Ecke „No Covid“ hier hat treiben lassen, sondern dass man sagt, auch über 35 Inzidenz, damit können wir leben. Ich finde die Überlegungen sehr nachvollziehbar, dass, wenn man sagt, wenn jetzt der Schutz der Alten zumindest mal als Risikogruppen und demnächst auch anderer Risikogruppen durch die Impfung voranschreitet, dass man sich da letztlich eine höhere Inzidenz leisten kann. Das ist etwas, was ich klar unterstreiche und, wie


Sie wissen, auch schon oft hier gesagt habe. Und naja, das Testen und die schnelle Nachverfolgung – hier wird ja jetzt zum ersten Mal auch die private Nachverfolgung mit einer App ins Spiel gebracht in diesem Konzept – dass das Dinge sind, die ich gut finde, das sind die Buchstaben T und R aus dem SmartKonzept. Also es nimmt langsam Gestalt an. Ich freue mich sehr, dass man sozusagen sich einem sinnvollen Konzept hier annähert. Fast hätte ich gesagt, dem Konzept, was ich schon länger vorgeschlagen habe. Aber es hat natürlich auch ein paar Abweichungen.



Camillo Schumann



Wo sind die denn?



Alexander Kekulé


Naja, eine wichtige Abweichung ist, dass immer noch durch dieses ganze Thema sich der Inzidenzwert durchzieht. Also mein Vorschlag, der jetzt übrigens ziemlich genau ein Jahr alt ist, der ist ja so, dass man sagt, wir können uns etwas höhere Inzidenz leisten, müssen nicht jeden Tag nervös auf die Inzidenz gucken, wenn wir ein gutes Schutzkonzept haben. Nach dem Motto: Ich habe hier eine Rüstung an, da ist mir egal, aus welcher Richtung die Kugeln fliegen, die ist einfach, sozusagen halbwegs dicht. Und hier kommt es mir so ein bisschen so vor, als hätte man so eine Melange gemacht, fast hätte ich gesagt, einen Kompromiss, aus Leuten, die so sagen na, ihr müsst so „No Covid“-mäßig denken, d.h. stufenweise runtergehen auf eine Inzidenz von 10, das wurde mal diskutiert. Oder 7, das ist, glaube ich, der niedrigste Wert, den ich gehört habe. Und dass man sagt, immer wenn die erste Stufe erreicht ist bei der Inzidenz, dann kommt als Nächstes die nächste Stufe. Dann muss man 2 Wochen warten, dann darf man das nächste aufmachen, usw. usw.. Also dieses Inzidenz-Stufenkonzept, das hat mehrere Nachteile. Der eine ist, dass wir natürlich in dem Moment, wo wir die Risikogruppen besser geschützt haben, nicht mehr erklären können, warum die Inzidenz von sozusagen „nicht tödlich verlaufenden Erkrankungen“, warum das noch so eine Riesenrolle spielen soll. Der andere Nachteil ist, auch wenn uns jetzt der Sommer helfen wird, glaube ich nicht, dass wir schnell von diesem Plateau runterkommen, ohne


drastische Gegenmaßnahmen zu machen. Im Gegenteil, es sind ja Lockerungen mit dabei. Und deshalb ist ein kleiner Widerspruch in einem ganzen Konzept, wenn man sagt: Naja, wir wollen jetzt stufenweise runter – in vier Stufen wird es beschrieben, also vier plus eins – und wir gucken uns dann jeweils die Inzidenzen an, wie sie schön brav runter gehen. Aber zugleich wird ja gelockert. Wieso soll die Inzidenz runtergehen, wenn man lockert?



Camillo Schumann



Und man muss aber fairerweise dazu sagen, in diesem Entwurf – es ist ja nur ein Entwurf – und da ist die Zahl der Neuinfektionen pro Woche pro 100.000 Einwohner, die Inzidenz, auch noch ge-xt [mit „x“ angegeben, Anm. d. Red.]



Alexander Kekulé


Da ist unklar. Ja, das ist unklar, welcher Wert da eingetragen wird. Aber trotzdem ist klar, es sind vier Stufen. Und die Stufen hängen davon ab, wie der Inzidenzwert in der Region ist. Und wahrscheinlich wollen sie das dann morgen ausfeilschen, welche Zahl da rein soll. Aber das Grundprinzip, da sich so zum Sklaven der fallenden Inzidenz zu machen. D.h. ja letztlich, wenn ich jetzt mal an eine der letzten Stufen denke, was da so nach dem vierten Schritt, also erst im fünften Schritt sollen nach dem Konzept, was jetzt vorliegt, Gastronomie, Kultur, Reisen und Hotels aufgemacht werden. Also erst im allerletzten Schritt. Da wird auch nichts genauer beschrieben, sondern das läuft unter ferner liefen. Aber d.h. ja automatisch, da ist dann irgendeine Keller-Inzidenz damit verbunden, ich sage jetzt mal 2 0 oder so was. Und was ist denn, wenn die Inzidenz jetzt da bleibt oder vielleicht sogar ein bisschen noch einmal ansteigt und so? Dann fahren wir gar nicht mehr in Urlaub? Oder machen die Hotels gar nicht mehr auf? Oder die Gastronomie? Da geht es ja nur um die Gastronomie im Freien, die ist da beschrieben. Also diesen Teil, dass es so an der fallenden Inzidenz sich quasi sklavisch festgekettet, den halte ich für epidemiologisch nicht für begründet und für politisch gefährlich. Weil dann hinterher haben sich die Politiker dann auf so ein Konzept verhaftet, was nicht aufgeht.


2 3:58



Camillo Schumann



Und, weil wir gerade bei Gastronomie und Hotels sind: Die spielen sozusagen, was zeitlichen Abstände angeht, auch noch überhaupt keine Rolle, wann überhaupt darüber diskutiert wird. Sondern erst am 2 4. März, also wenn sich die Kanzlerin mit den Regierungschefs und -chefinnen noch einmal beraten wird. Also erst am 2 4. März wird überhaupt in den Mund genommen, wie dann die Strategie dann tatsächlich für diese auch wichtigen Bereiche aussieht. Ist das nachvollziehbar? Steigt da nicht mittlerweile der Druck auf dem Kessel? Weil, wir haben auf der einen Seite das Papier vom RKI, was sagt, „alles gut“, und man fragt sich, warum öffnen wir nicht? Und hier spielt es überhaupt keine Rolle in den Öffnungsschritten.



Alexander Kekulé


Tja, da müssen Sie Herrn Wieler fragen. Es ist so, ich habe diese beiden Papers nacheinander gelesen, so wie Sie wahrscheinlich auch. Und ich muss zugeben, ich habe den Eindruck, die Bundeskanzlerin und die MP scheren sich überhaupt nicht darum, was das RKI da aufgeschrieben hat. Die machen ihr eigenes Konzept, um sozusagen das Wort zu übernehmen. Die können auch selbstständig denken. Und da will ich jetzt daraus keine Schlussfolgerungen ziehen. Aber es ist so, dass man hier eben andere Dinge, z.B. auch verboten hat, die jetzt nach dem RKI-Konzept kein Problem wären. Also wenn ich jetzt z.B. daran denke, dass Zoos, Botanische Gärten und auch Sport ohne Kontakt im Freien – gilt dann Ball auch schon als Kontakt? Aber ich sag mal so – [Sport] mit großem Abstand voneinander im Freien, irgendwie Federball spielen, das ist vielleicht ein gutes Beispiel, das wird erst bei einer Inzidenz von unter 35 erlaubt. Also ich darf erst wieder Federball spielen im Park, wenn die Inzidenz in der Region unter 35 ist. Das widerspricht in dem Fall z.B. der Einschätzung des Robert-KochInstituts, was sagt Parks und Spielplätze, „Infektionsrisiko niedrig“. Und daher muss ich sagen, ich habe auch gehört, dass in Düsseldorf jetzt seit kurzem sogar Maskenpflicht auf der Straße angeordnet wurde. Also, es gibt viele Dinge, wo man ein Fragezeichen machen kann.


Aber um was Positives zu nehmen. Ich finde es total gut, dass jetzt die körperlichen, körpernahen Dienstleistungen, also Friseur und Co., dass da als Voraussetzung der Schnelltest gelten soll. Ich finde es richtig gut, dass zweimal die Woche Schnelltests angeboten werden sollen für möglichst viele Menschen in der Gesellschaft. Übrigens hat man da so süffisant hingeschrieben, weil die Tests jetzt in großer Zahl verfügbar sind. Also man hat nicht geschrieben, weil die Tests jetzt zugelassen sind, weil man natürlich genau weiß, dass es die Tests schon seit einem Jahr gibt. Aber wie auch immer ist man halt jetzt auf den Trichter gekommen, dass die Tests eine gute Sache sind. Und man will sie auch sehr konsequent einsetzen. Und wenn da drinsteht, jeder Deutsche soll im Prinzip die Möglichkeit haben, sich zweimal die Woche umsonst zu testen, das finde ich ganz super. Das finde ich, ist ein sehr, sehr gutes weiteres Tool. Ich überlege gerade, ob bei Smart noch eins fehlt. Nö, die private Nachverfolgung des R hat man ja auch eingeführt. Und zwar sagt man, dass man, wenn dann irgendwann mal die Freiluftgastronomie wieder aufmacht, wenn die Museen wieder aufmachen oder vielleicht mit ganz wenig Besetzung auch Theater oder so was, dann soll es vorherige Anmeldungen geben. Dann soll es Schnelltests geben. Und dann soll eine App eine privat verfügbare App im Raum stehen. Sie merken, da höre ich mich fast selber reden. Das soll eine App im Raum stehen, zur Verfügung stehen, mit der man sich da registrieren kann. Der einzige Unterschied zu dem Vorschlag, den ich gemacht habe an der Stelle, ist folgender: Ich habe immer gesagt und diese App soll wirklich nur privat funktionieren. Und da sollen die Behörden erst mal außen vor sein, außen vor bleiben. Erstens, um sie zu entlasten, weil ich glaube, dass die Behörden sowieso mit ihrer Nachverfolgung genug zu tun haben. Manchmal kriegt man die QuarantäneAnordnung ja 2 Wochen, nachdem man schon wieder aus der Zeit raus ist. Und zweitens, weil ich glaube, dass Teile der Bevölkerung so eine App, wenn es dann indirekt – irgendwie das soll jetzt über das Elster-Portal der Steuerbehörden ans Finanzamt gemeldet werden – ich habe das Gefühl, dass da eher bestimmte Teile der


Bevölkerung da Vorbehalte haben, als wenn es eine ganz private Sache ist, wo ich meine Kumpels und meine Peer-Group warne. Deshalb war mein Vorschlag etwas anders. Aber da finde ich, soll man jetzt nicht kleinlich sein. Ich finde es ganz toll, dass überhaupt dieses private Nachverfolgungssystem, für das ich ja schon lange Werbung mache, dass das jetzt überhaupt Teil dieses Konzepts werden soll.


2 8:43



Camillo Schumann



Kurz noch ein Blick in den Entwurf für die Gespräche morgen bezüglich der Osterfeiertage. Da appelliert der Bund an die Menschen eindringlich, auf nicht notwendige Reisen im Inland und auch ins Ausland zu verzichten: also kein Urlaub machen. Wie auch, wenn im Inland die Hotels und Gaststätten nicht geöffnet sind, das macht ja dann auch überhaupt keinen Spaß. Aber anders als im Lockdown über Ostern im letzten Jahr sollen Verwandtenbesuche vom 02 . bis 05. April analog den Regelungen von Weihnachten gelten, also über vier Personen, fünf Personen über 14 Jahre können sich dann da treffen. Tja, immerhin.


2 9:2 6



Alexander Kekulé


Naja, da ist viel Lob drin in dem ganzen Papier. Da wird also auch in jedem zweiten Absatz die Bevölkerung gelobt. Man weiß ja genau, wann man Leute lobt, in welcher Situation das gut ist. Und da wird eben auch gesagt, na ja, die haben sich an Weihnachten so toll verhalten. Jetzt hoffen wir, dass es an Ostern auch so gut geht. Es ist halt ein Unterschied, ob man jetzt Ostern mit der Familie feiert und deshalb verreist. Oder ob man sagt, jetzt sind Osterferien, jetzt machen wir zehn Tage richtig Urlaub. Und Letzteres, da wird appelliert, das nicht zu machen. Ich verstehe das auch deshalb. Ich kann es in gewisser Weise nachvollziehen. Und zwar, weil das ja jetzt sehr kurz vor der Tür steht und weil einfach diese Dinge noch nicht startklar sind. Wir haben ja nicht jetzt sofort diese Schnelltests am Start. Wir haben auch noch nicht die Konzepte. Wir haben die Hotels eben, die sollen aus irgendwelchen Gründen erst als letztes geöffnet werden, und darum sagt man halt,


wir wollen uns das lieber erst mal anschauen, lieber erst mal sehen, dass wir sozusagen die Tools, um dann in dem Bild zu bleiben, zur Hand haben. Dass wir alle Werkzeuge haben, v.a. die Schnelltests, und dass wir vielleicht auch ein bisschen besser unsere Risikogruppen geschützt haben. Dann wird übrigens die Diskussion losgehen – die ich damals im Spiegel mit großer, auch zum Teil mit kritischer Resonanz angestoßen hat, mit fünf anderen Autoren zusammen – dass man die Frage stellen muss, wenn man dann wirklich die Risikogruppen halbwegs schützt, wieviel Einschränkungen der Grundrechte darf man in dieser Situation, ist dann überhaupt noch gerechtfertigt? Also ich glaube, das müssen wir besser früher als später anfangen. Also ich will da nichts beantworten. Aber die Frage, mal überhaupt richtig zu diskutieren, auf welche Situation steuern wir denn da eigentlich zu? Wenn wir jetzt sehr bald – in dem Paper steht ja auch, dass in den nächsten Wochen schon alle älteren Menschen in Deutschland geimpft sein sollen – offensichtlich reicht da der BioNTech-Impfstoff. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass da noch mit reinkommt, dass eine Impfung erst einmal gegeben wird und man die zweite jetzt nicht aufspart. Aber, wie auch immer, haben sie das nicht übernommen. Aber d.h. ja letztlich, auf welche Situation steuern wir dann in, ich sag mal, in 2 Monaten zu. Nehmen wir mal an, in 2 Monaten sind die Alten durchgeimpft, das wäre doch eine tolle Sache, und haben zumindest die erste Impfung bekommen. Die Sterblichkeit sinkt. Und dann, glaube ich, wird die Diskussion noch haariger. Und das wird in diesem Regierungs-Paper überhaupt nicht angeschnitten, obwohl Maßnahmen drinnen stehen, die weit über die nächsten 2 Monate ja hinausgehen.


31:56



Camillo Schumann



Da haben wir jetzt das Konzept beziehungsweise den Entwurf, muss man dazusagen, der Beratung morgen besprochen. Da sind viele Unbekannte noch drin, z.B. die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, worauf sich dann die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin einigen werden. Ich bin sehr, sehr gespannt, welche


Zahl dann da eingetragen wird und was dann tatsächlich von dem, was wir jetzt da besprochen haben, umgesetzt wird. Aber da hören wir uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


V.a. was dann die Ministerpräsidenten am Donnerstag früh alles verkünden, wie sie den gemeinsamen Beschluss interpretieren.



Camillo Schumann



Richtig, da werde ich eine kleine O-TonSammlung machen. Mal gucken, ob wir das bis dahin schon haben. Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Bayern zumindest konnten die Gespräche morgen nicht abwarten und haben gestern schon einen gemeinsamen Weg im Kampf gegen Corona präsentiert. Beide Bundesländer haben mehr Grenzen zu Hochrisikobeziehungsweise Mutationsgebieten in Tschechien und Österreich. Die beiden Ministerpräsidenten haben sich auf einen Zehn-Punkte-Plan geeinigt. Interessant ist: Nötig sei, sagen sie, eine besondere Impfstrategie, ein besonderes Impf-Regime für die Hotspots. Als Beispiel nannte Sachsens Ministerpräsident Kretschmer den Vogtlandkreis, wo die 7-Tage-Inzidenz aktuell bei rund 2 30 liegt. Impfung für die Grenzregion und Pendler: gute Idee und wenn ja, mit welchem Impfstoff?


33:17



Alexander Kekulé


Das ist schwierig. Die Idee, Hotspots zu impfen oder auch Grenzregionen, das wäre dann eine Variante von Hotspots, die kann ja eigentlich nur auf dem Grundgedanken fußen, dass man sagt, wir erzeugen durch die Impfung so etwas wie Herdenimmunität. Also immunisieren quasi diesen Hotspot durch. Und bei der Herden-Immunität bin ich eben aus mehreren Gründen so mit dem Begriff über Kreuz, so ein bisschen. Der wichtigste ist, dass man diese 70 Prozent, die man wahrscheinlich ungefähr bräuchte – vielleicht sogar ein bisschen mehr, wenn man jetzt diese etwas höher ansteckenden Varianten im Auge hat – 70 Prozent Geimpfte oder auch Erkrankte/Genesene, das ist auf die Schnelle nicht erreichbar. Also das ist echt viel. Wir haben ja schon bei Masern Probleme gehabt, auf die Quoten zu kommen, obwohl da kleine


Kinder ja regelmäßig quasi geimpft werden. Also ich glaube diese Quote, dass man wirklich einen Herdenimmunisierungs-Effekt sieht, das dauert lange. Und das kann man auch nicht mal schnell sagen, jetzt nehmen wir da irgendwo in Sachsen eine Grenzregion zu Tschechien, oder in Bayern, nehmen wir irgendwo eine Grenzregion zu Österreich oder so was, und immunisieren da durch. Das Saarland gibt es übrigens auch noch, die waren da scheinbar nicht beteiligt, weil der saarländische Ministerpräsident Hans, der hat ja von vornherein gesagt: Also, wir machen nicht zu. Deshalb ist es so, ich glaube, dass man die Herdenimmunität schwer hinkriegt in so kurzer Zeit durch eine Impfung, das ist eher ein Langzeitziel. Und ich glaube auch, dass sie grundsätzlich bei diesem Virus bei diesem Coronavirus SARS-CoV-2  möglicherweise gar nicht zu erreichen ist, weil eben sich diese Varianten ständig bilden. Und die Varianten ganz offensichtlich, da haben wir jetzt wieder gerade von gestern, da habe ich aus einer Videokonferenz aus Brasilien gehört, dass die P1-Variante aus Brasilien definitiv Zweitinfektionen macht. Die wütet in Brasilien deshalb so – wir haben ja dort weltweit eines der katastrophalsten Infektionsgeschehen, auch im Moment wieder, in Brasilien sind die Fallzahlen wieder hochgegangen, fürchterlich – und einer der Gründe ist, dass dieses P1 eben Zweitinfektionen macht. Wenn man jetzt weiß, man kann also noch einmal infiziert werden mit einer Variante. Und gegen alle Varianten – so gut der BioNTech-Impfstoff sein mag – kann man nicht impfen. Deshalb glaube ich nicht, dass man da wirklich das hinbekommt, selbst wenn man impft, und dass man da eine echte Immunisierung bekommt. Und das wäre aber Voraussetzung für dieses Konzept, Hotspots quasi auszumerzen. Aber wir nennen das dann Riegelungsimpfungen in der Epidemiologie.


35:53



Camillo Schumann



Riegelungsimpfung, tolles Wort, wieder was gelernt.



Alexander Kekulé


Riegelungsimpfung, das macht man bei Ausbruchsgeschehen. Das wurde gerade aktuell versucht im Kongo im Zusammenhang mit Ebola.



Camillo Schumann



Aber würde es denn nicht reichen ... Die Frage ist, ob Söder und Kretschmann jetzt eine Herdenimmunität im Grenzgebiet im Auge hatten. Vermutlich ja auch nicht. Aber würde es nicht reichen, schon die Inzidenz auf die angestrebten, was weiß ich, 35 oder 50 irgendwie hinzukriegen?


36:19



Alexander Kekulé


Ja, aber sie kriegen ja die Inzidenzen nur runter, wenn sie dieses Ausbruchsgeschehen lokal quasi stoppen. Und das Ausbruchsgeschehen durch Impfung stoppen, heißt dann immer sogenannte Herdenimmunität. Sie können durch Impfungen Ausbruchsgeschehen eigentlich nur so stoppen. Man kann durch Impfungen Risikogruppen schützen. Das ist das, was wir jetzt machen. Und das ist auch richtig. Und das ist ja schon lange Konzept gewesen, ist auch empfohlen worden. In Deutschland stand das in alten Pandemieplänen drin. Und die zweite Stufe wäre dann, durch Impfungen quasi die Pandemie zu beenden, wenn ich das mal so sagen darf. Und ich weiß, dass viele meiner Kollegen – das ist ja quasi die Stunde Null gewesen, als Virologen erklärt haben: Ja, wir müssen so und so viele Leute impfen, dann wird die Pandemie zu Ende sein. Ich bin nicht so sicher wegen dieser Varianten, ob das überhaupt dazu kommen wird oder ob wir nicht vielleicht so einen Dauerzustand haben werden. Und das Gleiche gilt natürlich auch in kleinen Regionen. Und deshalb bin ich eigentlich eher dafür, gute Lösungen zu finden für diese Grenzregionen, die dann auch für die Menschen, die da pendeln, akzeptabel sind. Und jetzt nicht auf so eine Impfkampagne zu setzen.



Camillo Schumann



Was wäre denn so eine Lösung, um vielleicht jetzt noch einen Tipp zu geben den beiden Ministerpräsidenten?



Alexander Kekulé


Eins ich glaube, das ist gar nicht gar nicht von mir, sondern von den grundsätzlichen – oder der Vorschlag ist hier im Podcast schon vor langer Zeit gekommen. Aber das hat sich dort glaube ich, so ein bisschen auch jetzt


umgesetzt: Und zwar werden die ja zweimal die Woche getestet, die Pendler. Das ist so die Idee oder zum Teil, glaube ich, auch sogar alle drei Tage mit Schnelltests, die stehen ja jetzt zur Verfügung. Meines Erachtens kann man den Grenzverkehr sehr gut beschleunigen, indem man die Pendler, die ständig hin und her fahren, indem man denen irgendeine Erleichterung macht. Z.B. so ein Kontrollsystem, wie es an den Mautstationen in Italien oder in Frankreich ist. Kann man auch anders machen. Aber dass man die quasi registriert, dass man sozusagen weiß, das ist ein Pendler, der hat Sonderrechte, der fährt hier hin und her. Und dafür muss er eben z.B. zweimal die Woche getestet werden und muss es auch nachweisen. Ich glaube schon, dass es in diese Richtung geht, diese Dinge sind ja im Prinzip implementiert. Die Frage ist, wann macht man das? Und da gibt es letztlich 2 verschiedene Anlässe jetzt in der aktuellen Situation. Das eine ist ein Hochinfektionsgebiet, wo also viele Fälle aufgetreten sind. So was haben wir in Tschechien. Da sind es besonders viele Fälle. Und da ist aus meiner Sicht ganz klar: Da braucht man Grenzschutzmaßnahmen im Sinne von virologischem Grenzschutz. Da braucht man so was zu Tschechien, z.B., weil die Inzidenz dort so hoch ist. Das andere sind die sogenannten Mutationsgebiete, davon halte ich weniger. Also z.B. nach Tirol. Da ist die Inzidenz gar nicht höher als in den benachbarten Regionen, aber man hat halt in Tirol vermehrt die südafrikanische Variante gefunden. Da glaube ich, ist es vergebene Liebesmüh, jetzt genau diese Variante irgendwie rauszufiltern, indem man an der Grenze da Kontrollen macht. Solange die Inzidenzen links und rechts der Grenze gleich sind oder ähnlich sind und auch die Gegenmaßnahmen ähnlich sind, würde ich da nicht wegen der Varianten was machen. Und ganz aktuell haben wir natürlich jetzt, das ist ja jetzt, glaube ich, seit gestern in Kraft, da Lothringen, also das heißt ja neuerdings Département Moselle.



Camillo Schumann



Seit heute.



Alexander Kekulé


Ist seit heute in Kraft. Und da haben wir in Lothringen eben die Situation: Da ist beides.


Da ist sowohl die südafrikanische Variante als auch eine Hochinzidenz, was kein Zufall ist, weil die haben dort die Geschäfte alle aufgehabt, die Frisöre aufgehabt. Die Deutschen sind alle rübergefahren, um sich, um Ihre Frage vom Anfang zu beantworten, schön die Haare schneiden zu lassen und einzukaufen usw. Und ich glaube sogar Freiluftgastronomie war auch offen. Und dann sind natürlich die Fallzahlen in Lothringen hochgeschossen, anders als woanders als in Frankreich. Und Paris hat also ganz fürchterlich geschimpft auf die Lothringer und gesagt das könnt ihr nicht machen. Aber die haben das trotzdem gemacht aus politischen Gründen, auch die Départements sind dort nicht ganz so renitent wie die Bundesländer bei uns. Aber die haben auch Entscheidungsgewalt. Und naja, da sind die Fallzahlen eben zum zweiten Mal übrigens dort so massiv gestiegen. Das scheint irgendwie was mit der Bevölkerung da zu tun zu haben. Und, ja, dann ist natürlich die Variante gekommen. Also, das ist so ein klassisches Beispiel, eines mehr, man macht auf und daraufhin kommt natürlich in dieser Situation die Variante, in dem Fall aus Südafrika. Und deshalb ist es dort schon sinnvoll, weil das Saarland ja viel niedrigere Inzidenzen hat. Ich weiß nicht genau, es liegt bei 60 auch im Saarland. Und drüben Lothringen, also Département Moselle, ist viel, viel höher, hat also fünfmal so viel Inzidenz, mindestens. D.h., es ist schon sinnvoll, da was zu machen. Aber auch nicht so einfach: Woran erkennen Sie es? Da kommt einer aus Frankreich mit dem Auto rübergefahren, und früher hat man das schön am Kennzeichen gesehen, da war ja „75 ist Paris und 57 ist Lothringen“. Das war leicht zu merken. Da hat man gesehen, wenn einer 57 draufhatte, dann war der aus Département Moselle. Aber jetzt haben wir diese neuen Kennzeichen, wo man überhaupt nicht mehr weiß, wo der herkommt. Und die anderen Regionen, die nicht Lothringen sind, die sind ja nicht betroffen von dieser Maßnahme. Sodass die Frage ist, wie praktikabel ist so was.


41:34



Camillo Schumann



Ja eben. Da kommen wir nämlich jetzt drauf. Während, Sie haben es ja schon gesagt, die


Grenzen zu Tschechien und Österreich kontrolliert werden, ist die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich offen, wenn man so will. Die Pendler aus Moselle, die zum Arbeiten nach Deutschland kommen, die müssen nun einen negativen Corona-Test vorweisen, ab heute. Allerdings verzichtet Deutschland auf stationäre Kontrollen. Dafür gibt es die Schleierfahndung im Hinterland. Sie haben es ja schon so ein bisschen erklärt. Bringt so etwas denn eigentlich was? Weil Schleierfahndung, das ist doch dann eher so eine Stichprobe, die man zieht und nicht mal so grundsätzlich. Ist das dann eher so ein Feigenblatt, was man da hat? Oder ist das wirklich effektiv?



Alexander Kekulé


Ich glaube, das ist eher ein Feigenblatt. Ich glaube, das ist politisch. Aber das darf man jetzt eigentlich einen Virologen nicht fragen.



Camillo Schumann



Doch.



Alexander Kekulé


Es ist doch so. Wir wissen doch, dass seit Wochen der Ministerpräsident des Saarlandes, Hans, zusammen mit seinem Kollegen, Entschuldigung, ich weiß jetzt nicht wie der heißt, aus Lothringen, aus Moselle eben gesagt hat: Wir machen nicht zu hier, anders als Tirol, anders als Tschechien, bei uns wird die Grenze nicht kontrolliert. Andererseits war es jetzt klar, dass also der Druck zu groß war. Und jetzt musste man eine Lösung finden, die gesichtswahrend ist. Und das ist gesichtswahrend. Aber epidemiologisch natürlich nicht effektiv. Schleierfahndung, d.h., dass die Polizei im Hinterland irgendwo mal so Autos stoppt. Bei so einem Lkw, wo hinten irgendwelche Schweine drauf sind und man mal gucken will, ob es den Schweinen gut geht, mag das ja noch sinnvoll sein. Aber bei Berufspendlern, wenn ich mir das so vorstelle, da fährt dann die Polizei mit Blaulicht hinterher, sagt „Rechts ranfahren. Wo sind Ihre Corona-Tests“, und das stichprobenweise, ach nee. Da hätte ich lieber gesagt, einfach alle durch so eine vereinfachte Kontrolle durchfahren lassen, mit einem Pickerl vorne dran, was erkennt, wer Pendler ist und fertig. Übrigens noch eine kleine Nettigkeit


obendrauf. Die Franzosen wissen natürlich sehr genau auch, das Lothringen, also Lorraine heißt es ja in Frankreich, dass dort ein Hochrisikogebiet ist. Und die haben auch alle Angst vor den Leuten aus Lothringen, sind auch genervt, dass sie die nicht mehr am Autokennzeichen erkennen können. Und deshalb gilt die Regel, wenn man nach Lothringen einreist, muss man eine negative PCR nachweisen. Aber ich glaube, nicht innerhalb von 2 Tagen, sondern eine etwas längere Zeitspanne. Also d.h. letztlich, wenn die Deutschen rüber wollen, brauchen sie ein negatives PCR-Ergebnis. Und wenn die Franzosen zu uns wollen, brauchen sie einen negativen Schnelltest. Also erinnert schon so ein bisschen an United Kingdom und Portugal, die dann gegenseitig die Flüge gestoppt haben, jeweils aus umgekehrten Begründungen. Und das deutet eben daraufhin, dass wir letztlich nicht drum herum kommen, da über die Grenzen hinweg gute Regelungen zu finden. Es kann letztlich perspektivisch nur so funktionieren, dass man sich auf sehr strenge Maßnahmen links und rechts der Grenze einigt. Und dann sagt okay, wenn die da drüben genauso vorsichtig sind wie wir und das genauso erfolgreich durchziehen wie wir, dann machen wir die Grenze einfach auf, weil wir dann vertrauen auf unsere Nachbarn, dass die funktionieren. Aber innerhalb Frankreich traut man Lorraine nicht so ganz.



Camillo Schumann



Und da macht es auch keinen Unterschied, dass der grenzüberschreitende öffentliche Nahverkehr gestoppt wurde, weil jetzt ein Beförderungsverbot gilt?



Alexander Kekulé


Na ja, gut, das ist so. Das ist natürlich ganz übel für die, die nicht mit dem Auto fahren. Was wird dann passieren? Die fahren dann mit dem Auto oder in Fahrgemeinschaften statt mit dem Bus. Also ich finde, ein Bus ist eigentlich besser kontrollierbar. Das sieht man ja, welche Linie das ist und von wo der kommt und wo der hinfährt, als so ein Pkw. Und wenn dann jetzt statt 2 Leuten dann immer fünf im Pkw sitzen, weil die sich zu Fahrgemeinschaften zusammentun, ich weiß nicht, ob das im Infektionsschutz-Sinne jetzt besser ist.


45:2 2 



Camillo Schumann



Gut. Dann haben wir auch darüber gesprochen, sozusagen Sinn und Unsinn diverser unterschiedlicher Kontrollen von Pendlern und Einreisenden.


Wir müssen noch mal kurz über den Impfstoff von AstraZeneca sprechen. Der war ja bisher in Deutschland für die über 65-Jährigen nicht vorgesehen. Jetzt gibt es aber neue Daten aus Schottland. Die haben wir ja auch ein Ausgabe 152  ausführlich besprochen. Und die STIKO, die Ständige Impfkommission, hat sich natürlich auch über die Daten gebeugt. STIKOChef Professor Thomas Mertens hat dazu im ZDF heute journal Folgendes gesagt, wir hören kurz rein:


„Wir werden das genau prüfen. Und es wird ja auch sehr bald zu einer neuen, aktualisierten Empfehlung kommen. Allein schon deshalb, weil dann der Johnson und Johnson-Impfstoff wahrscheinlich zugelassen sein wird. Und im Rahmen dieser Aktualisierung wird man gegebenenfalls Anpassungen auch dieses Punktes vornehmen.“


Also möglicherweise wird dann der AstraZeneca-Impfstoff auch für die über 65Jährigen empfohlen werden. Ist jetzt noch ein bisschen Kaffeesatzleserei, aber das kann man da so ein bisschen raushören. Gute Idee?



Alexander Kekulé


Ich muss jetzt sagen, die Daten aus Schottland – wir haben die Studie ja besprochen – da ist es so, die kann man nicht vergleichen mit Zulassungsdaten. Weil das ist eine Beobachtungsstudie, wo man einfach nur geguckt hat, wie ist die Hospitalisierungsrate quasi im Zusammenhang mit der Impfung? Und hat dann das einerseits bezogen auf BioNTech-Impfstoff, andererseits bezogen auf AstraZeneca-Impfstoff gemacht, ohne dass man das quantitativ vergleichen konnte. Ich weiß, in den Medien haben das ganz viele gemacht. Ich bin nicht ganz sicher, ob es Herr Mertens auch gemacht hat. Aber man kann nicht sagen, dass AstraZeneca da besser abgeschnitten hätte bei der Hospitalisierungsrate. Sondern das waren 2 nicht vergleichbare Größen. Aber insgesamt hat man gesehen: Die Impfung, und das war ja


das Entscheidende dieser Studie, die Impfung auch schon nach dem ersten Schuss ist so wirksam, dass man, wie ich meine, empfehlen kann, erst mal alle Leute einmal zu impfen, ohne die zweite Dosis aufzuheben. Weil man dann einen größeren Schutz für die Gesamtbevölkerung bekommt. Jetzt konkret AstraZeneca: Ich habe jetzt keine weiteren Daten gesehen. Ich war gestern auch in einer Telefonkonferenz, wo ich nichts Neues gehört habe. Aber wenn Herr Mertens was anderes hat als diese Schottland-Studie, da bin ich ganz sicher, dass die Impfkommission das in die Waagschale werfen wird. Ich möchte natürlich auch davor warnen. Weil, es ist ja klar, es gibt hier jetzt politischen Druck, das muss man ganz klar sagen. Die Ständige Impfkommission hat AstraZeneca mit diesem Makel versehen. Unter anderem deshalb sage ich ja auch, dass es de facto ein Impfstoff zweiter Klasse ist, im Moment mit diesem Makel versehen. Sodass ausgerechnet diejenigen, die es am dringendsten bräuchten, nämlich die über 65, damit nicht geimpft werden sollen. Und jetzt ist natürlich folgende Situation: Die Menschen haben Vorbehalte gegen diesen Impfstoff. Es ist so, dass wir ja zu wenig von dem BioNTech bestellt haben, ganz offensichtlich. Aus welchen Gründen auch immer ist da zu wenig da. Und deshalb ist der politische Druck natürlich massiv da, zu sagen: Jetzt erlaubt es doch für die Älteren. Weil dann haben wir erstens nicht mehr das Problem, dass alle auf uns zeigen, weil wir zu wenig bestellt haben von dem anderen Zeug. Und zweitens ist es so, dass dann vielleicht auch die Vorbehalte in der Bevölkerung insgesamt abnehmen. D.h. also, ich bin sicher, dass die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut jetzt unter ganz massivem politischen Druck steht. Und gerade, wenn man als Wissenschaftler unter großen Druck steht, dann muss man noch härter auf die Daten schauen. Und diese Schottland Studie alleine reicht auf keinen Fall aus, um die Empfehlung zu ändern.


Vielleicht kann ich noch eins hinzufügen. Gerade gestern, am Montag, hat sich Kanada ganz genauso entschieden. Die kanadische Zulassungsbehörde hat sich gerade gestern noch einmal über die Daten gebeugt. Und Health Canada ist wirklich eine der weltweiten Top-Einrichtungen. Die ist so auf dem Niveau


von CDC oder Großbritannien oder Ähnliches. Und Health Canada hat gesagt wir machen es genauso wie die Deutschen auch. Wir machen es so, dass wir das für Personen über 65 nicht zulassen. Und daher wäre es auch so ein bisschen merkwürdig. Dann hätten wir dann in Deutschland jetzt eine Kommission, die das zuerst mal beschlossen hat. Kanada hat sich dem angeschlossen, was andere Länder auch empfohlen haben, dass nämlich die über 65Jährigen erstmal den AstraZeneca-Impfstoff nicht bekommen, weil einfach nicht genug Daten dafür da sind, die klinischen Studien das nicht hergeben zu zeigen, dass da der Schutz noch vorhanden ist. Und wir wissen ja auch, dass dieser AstraZeneca-Impfstoff, das ist relativ deutlich auf Grund der klinischen Daten, zumindest gegen die südafrikanische Variante schlechter wirkt. Und die brasilianische P1Variante, die ist ja immunologisch noch weiter entfernt. D.h. also, die Wahrscheinlichkeit, dass es dagegen auch schlechter wirkt, ist sehr hoch. So vor diesem Gesamthintergrund jetzt einfach zu sagen: Wir haben zwar keine neuen Daten, aber wir lassen es jetzt trotzdem zu für Ü-65, das halte ich für gefährlich. Weil, das wichtigste Pfrund, was so eine Kommission hat, ist letztlich ihre wissenschaftliche Redlichkeit und ihre Sachlichkeit. Und die sollte sich auf keinen Fall vom politischen Tagesgeschäft irgendwie drängen lassen.


50:48



Camillo Schumann



Und ich glaube, Herr Mertens ist auch so einer, der das nicht tut, glaube ich, sich nicht vor den Karren spannen lässt. Zumindest hat er im ZDF heute journal gesagt, dass er noch ganz viele offene Fragen hatte und auch die Hauptautorin dieser schottischen Studie kontaktiert hat, ihr einer E-Mail geschrieben hat mit offenen Fragen. Und er wartet nun auf die Beantwortung dieser E-Mail. Und dann wird sich noch einmal zusammengesetzt und die Daten noch einmal neu interpretiert. Und das wird dann in die Bewertung einfließen. By the way, heute, weil Sie gerade Kanada angesprochen haben: In Frankreich ist der Impfstoff von AstraZeneca nun auch für über 65-Jährige zugelassen worden. Also, wie jedes Land das so unterschiedlich bewertet, aber ja


dieselben Daten zur Grundlage hat, das finde ich unheimlich spannend.



Alexander Kekulé


Naja, das ist eben schon die Gemengelage zwischen Wissenschaft und Politik. Das muss man ganz klar sagen. Ich habe ja nun lange genug in so einer Kommission gesessen, die genau so einen politischen Auftrag auch hatte. Das ist sehr schwer. Also die Erfahrung, die Kommissionen machen, und das finde ich dann eigentlich so rum besser, wenn sie sagen: Naja, ich habe die und die Empfehlung, aber als


Plan B könnte man mit folgendem Risiko auch das und das machen. Dass man sich als Kommission nicht ganz festlegt, sondern sagt, es gibt 2 Möglichkeiten, und die Politik soll abwägen zwischen den verschiedenen Risiken. Also in Deutschland, jetzt AstraZeneca, ganz konkret wäre es so: Die eine Situation ist die, dass wir die Alten schneller durchgeimpft bekommen, weil wir dann mehr Impfstoff zur Verfügung haben. Die andere Situation ist, dass die Impfung vielleicht nicht ganz so effektiv ist. Und das dritte Problem ist natürlich, dass letztlich durch so eine Empfehlung, dass man sagt für Ü-65 empfehlen wir das nicht, sozusagen das ganze Thema so ein bisschen vergiftet ist. Das wird übrigens auch international so wahrgenommen, dass die Ständige Impfkommission dadurch, dass sie da mal gesagt hat: „Nein, für Ü-65 lassen wir es nicht zu“, dem ganzen Impfstoff so einen Makel angehängt hat. Und da wäre es mir lieber, wenn die Wissenschaftler sagen, es gibt Möglichkeit A und B, und ihr entscheidet. Jetzt ist es aber so, dass bei den Impfungen eben die Kommission selber die Empfehlungen rausgibt in Deutschland. Und dadurch hat man eben diese Situation, dass die Wissenschaftler unter enormen politischen Druck stehen. Das wären sie nicht so sehr, wenn sie in 2 Varianten anbieten können und die Entscheidung der Politik überlassen.


53:06



Camillo Schumann



Noch einmal die Frage: Bis Ende der Woche sollen noch einmal mehr als 1 Million Dosen ankommen von AstraZeneca. Insgesamt liegt dann die Liefermenge bei 3,2  Millionen. Bisher, das ist jetzt Stand Sonntagabend, wurden 455.000 Menschen mit AstraZeneca in


Deutschland geimpft. Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sollen ja jetzt auch geimpft werden. Einige Ministerpräsidenten fordern nun eine Freigabe des Impfstoffs für alle Impfwilligen. Wie sehen Sie das?



Alexander Kekulé


Naja, bevor das im Regal rumliegt, auf jeden Fall. Es ist ja so, was eigentlich das noch größere Problem ist, dass immer noch munter mit BioNTech geimpft wird, und zwar außerhalb der Hochrisikogruppen. Also, das finde ich das größere Problem, dass ganz viele sagen, ich nehme nur BioNTech, und der dann nicht zur Verfügung steht für die Hochaltrigen. Sonst meine ich, was will man mit Impfstoffen, die im Regal rumliegen. Und das ist letztlich so, dass die Produktion ja weltweit massiv von allen Impfstoffen ganz massiv angekurbelt wird. Wir haben ja ganz neu jetzt auch, seit Montag in den USA zugelassen den Johnson und Johnson-Impfstoff. Der hat den Vorteil, dass er nur einmal geimpft werden muss und dass man ihn ganz normal im Kühlschrank lagern kann. Da muss man gar nicht in den Tiefkühler gehen. Und von der Wirksamkeit her ist es so, dass die behaupten, dass er noch besser als die anderen, nämlich hundert Prozent Schutz vor Tod und Schwersterkrankungen. Wobei man sagen muss, die Studie kann man nicht vergleichen, weil die zum anderen Zeitpunkt mit anderen Kollektiven gemacht wurde. Aber man kann schon sagen: Der wirkt offensichtlich auch super, nur eine Impfung und Lagerung im Kühlschrank. Da haben wir dann demnächst den auch in Europa wohl zugelassen. Und in dieser Gesamtgemengelage, glaube ich, ist es nicht sinnvoll zu sagen, wir sparen den Impfstoff von AstraZeneca jetzt irgendwie auf. Der bleibt sonst für ewig im Kühlschrank liegen oder im Lager liegen, weil wir ja Nachschub bekommen. Also, die Projektion ist ja so, dass wir in wenigen Wochen schon in der Lage sein werden, dass diese Impfzentren, die wir in Deutschland haben, und da gibt es ja nicht wenige, dass die überlastet sein werden. Dass die das gar nicht mehr hinkriegen, die Lieferungen alle zu verimpfen. Im Moment stehen die Turnhallen leer. Da haben wir uns ja schon immer so ein bisschen lustig gemacht,


dass die im Dezember aufgebaut wurden, obwohl eigentlich klar war, dass kein Impfstoff da ist. Aber jetzt kommt bald die Situation, wo die dann unter Volllast stehen. Da muss man auf die Arztpraxen gehen und zusehen, dass die Arztpraxen anfangen zu impfen. Auch das ist nicht ganz einfach. Weil die muss man jetzt vorbereiten, dafür, dass das in einigen Wochen dann losgehen soll. Da gibt es viele Fragezeichen. Ja, und was passiert dann mit dem AstraZeneca-Zeug, was irgendwo rumliegt, wenn man plötzlich zehnfache Lieferungen bekommt? Deshalb würde ich sagen raus damit. Gebt es. Wer auch immer haben will, dem sollte man das jetzt geben. Weil für die Ü-65 kann man es im Moment ja sowieso nicht verimpfen.


55:53



Camillo Schumann



Übrigens, um noch einmal auf die Arztpraxen und den Impfstoff zurückzukommen. Das ist auch Teil dieses Entwurfs, der dann morgen besprochen wird: Dass im April, zumindest im Verlauf des Aprils, in dieser Phase dann auch hausund fachärztlichen Praxen mit in die Impfstrategie einbezogen werden sollen. Apropos Impfstoff. Viele Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, fragen sich, ob sie sich jetzt impfen lassen sollen. Ob jetzt mit BioNTech oder AstraZeneca. Das Robert-KochInstitut empfiehlt das ja nicht. Aber unter denen, die sich impfen lassen, gibt es auch vielleicht die, die es gar nicht mitbekommen haben, dass sie schon mal Kontakt mit dem Virus hatten. Jedenfalls die Frage, die dahintersteckt: Wie wirkt eine Impfung auf jemanden, der schon mal eine Infektion durchgemacht hat? Und dazu gibt es jetzt eine ganz interessante Untersuchung, nämlich ziemlich deutlich.



Alexander Kekulé


Ja, also es gibt da sogar 2 Studien insgesamt, die eine aus London. Das ist ein kleines Lancet-Letter gewesen, gerade aktuell erschienen. Und da ist es so, da hat man sich angeschaut, wie wir reagieren eigentlich die Antikörper bei Menschen, die vorher schon Covid durchgemacht haben? Das ist relativ einfach dort gewesen, weil die haben nämlich in England dieses Covid Consortium. Das ist quasi eine Longitudinalstudie, also eine


Längsverlaufsstudie, eine Beobachtungsstudie, wo man Leute in der Pandemie beobachtet hat, um zu gucken, wann infizieren die sich, wie krank werden die, welche Blutveränderungen haben die dabei usw. Und da hat man in dem Fall Bedienstete aus dem Gesundheitswesen genommen, weil die so etwas immer besonders gerne mitmachen. Und v.a. auch deshalb, weil natürlich die ein hohes Infektionsrisiko letztlich haben. Und da hat man 51 Teilnehmer genommen, das ist keine so riesengroße Studie. Und davon haben sich tatsächlich in der Zeit dann im Lauf der Zeit 2 4 mit Covid infiziert, immerhin nicht schlecht, fast die Hälfte Trefferquote von so einer Stichprobe. D.h., in England sind offensichtlich die Krankenhäuser nicht besonders sicher gewesen, keine sicheren Orte für das Personal. Und zwar war das am Anfang. Begonnen hat man das beim ersten Lockdown im Vereinigten Königreich, ab dem 2 3. März und dann vier Monate lang. Und da hat man diese Leute, von denen man also wusste, dass sie sich infiziert haben, mit der Kontrollgruppe, von denen man wusste, ganz genau so kontrolliert worden, aber nicht infiziert. Die wurden alle geimpft. Dann hat man sich angeschaut wie steigen da eigentlich die Antikörper-Titer an? Und da hat man eben gesehen, dass bei denen, die vorher schon mal Covid durchgemacht haben, die Antikörper nach der ersten Impfung 140-mal höher waren als bei solchen, die keine vorherige CovidInfektion hatten. Oder auch mehr als zehnmal höher als bei denen, die zweimal geimpft wurden. D.h. also eine durchgemachte CovidInfektion ist viel, viel effektiver, letztlich für die Antikörperproduktion als eine Erstimpfung. sodass die dann sagen: Wenn das so ist, dann braucht man ja Leute, die schon mal Covid hatten, auf jeden Fall nur einmal impfen – also höchstens einmal, würde ich sagen – aber das eine Mal reicht dicke in dem Fall, und da würde ich sagen, es ist ganz toll, dass das hier mal gezeigt wurde.


59:05



Camillo Schumann



Und was bedeutet das jetzt für den praktischen Alltag? Also es gibt ja sicherlich Millionen Menschen, die das nicht mitbekommen haben, sich jetzt trotzdem


impfen lassen. Vorher einen Antikörpertest machen und dann sagen: Ich brauche nur eine?



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau die kluge Frage. Und die haben die sich natürlich auch gestellt. Die haben gesagt, sie empfehlen jetzt, vorher einen Antikörpertest zu machen. Und wenn der positiv ist, dann braucht man halt nur eine Impfung. Ich finde, das ist nicht praktikabel. Da müssen Sie Blut abnehmen. Dann müssen Sie warten, was beim Testergebnis rausgekommen ist. Dann ist es ja so, dass wir wissen, dass die Antikörper bei einigen Menschen nach ein paar Monaten wieder verschwinden. Also es gibt einen Teil, man weiß nicht genau, wie viele, vielleicht 2 0-30 Prozent, die haben vier Monate nach der Infektion keine nachweisbaren, also mit dem Standardtest nachweisbaren, IgG-Antikörper mehr. D.h., Sie können nie ganz sicher sein, zu welcher Gruppe Sie da gehören. Und ja, man könnte sagen, die Frage ist ja sowieso: Muss man sich überhaupt noch impfen, wenn man glaubt oder weiß, dass man Covid durchgemacht hat? Also wenn man weiß, dass man Covid durchgemacht hat, da bin ich ja der Meinung, dass die Impfung mit den jetzigen Impfstoffen keine Notwendigkeit ist. Der einzige Grund, das Robert-Koch-Institut empfiehlt es ja auch nicht – allerdings mit der Begründung, dass die sagen „Erst einmal sparen bei dem Impfstoff“. Ich kann vielleicht argumentieren, wer sich das überlegen sollte, was dafür sprechen könnte, das ist Folgendes: Sie wissen ja nie, mit welcher Variante sie sich infiziert haben. Also wenn man Covid hatte, die allermeisten Menschen speziell in Deutschland, wissen ja nicht, welche Variante das war, weil wir das ja alles nicht testen. Unter anderem, weil der Leiter des Referenzlabors in Deutschland ja gesagt hat, so viel testen brauchen wir nicht. Die Engländer haben getestet wie die Wahnsinnigen. Und da wissen die Leute schon eher mal, wer welche Variante hat. Aber wenn sie es nicht wissen, dann könnte es ja sein, dass die Variante, die sie infiziert hat, vielleicht dass man an Weihnachten krank geworden ist, da gab es ja eine richtige Welle, vielleicht war das ja schon B.1.1.7 aus England. Und der Impfstoff von


BioNTech und die anderen Impfstoffe natürlich auch, die sind aber gegen den ursprünglichen Typ. Das bedeutet dann letztlich, dass man, wenn man sich impfen lässt, ist es so ähnlich, als würde man dann mit einer anderen Variante infiziert. Sodass man eigentlich in dem Fall, wo man dann nicht zweimal genau die gleiche Variante hat, sondern der Impfstoff vielleicht von dem abweicht, was man natürlicherweise durchgemacht hat, erweitert man so ein bisschen seine Immunantwort. Die Antikörper und T-Zellen, die da sozusagen spezialisiert werden, auf dieses Virus, die erfassen dann ein breiteres Spektrum; so ähnlich, als würde man mit einer Variante infiziert werden. Und das ist ja das, wo wir sozusagen insgesamt in der Pandemie drauf zusteuern, dass wir immer mehr Varianten haben werden. Es wird damit relativ harmlose Infektionen geben, und dadurch werden wir zunehmend immun werden, während des Virus zugleich immer ansteckender wird. Und das kann man so ein bisschen, sage ich mal simulieren mit so einer Impfung, obwohl man es durchgemacht hat. Das wäre ein Argument, was dafür sprechen würde, so als nice to have, für den Fall, dass es dann doch nicht die ursprüngliche Variante war. Aber sonst heißt es bei uns, vorher testen, ich glaube, das ist nicht wirklich notwendig aus meiner Sicht. Und was die eben auch sagen, ist, wenn man nur einmal impft, ist der Vorteil, wir wissen ja, dass die Reaktogenität, also diese Impfreaktionen – Schwellung, Rötung, Schmerzen, allgemeine Probleme – dass die bei der zweiten Impfung oft stärker ist. Und das vermeiden wir. Und darum schreiben die in diesem Paper: Das ist doch gut, weil dann die Akzeptanz des Impfstoffs steigt, wenn man nicht zweimal impft, sondern nur einmal, und die Leute weniger Nebenwirkungen haben. Da sage ich: Ja genau, und mit genau dem Argument, ein weiteres Argument, warum es gut ist, erst mal alle einmal zu impfen. Und dieses Paper spielt im Grunde genommen auch da rein, dass man sagt, einmal impfen ist auf jeden Fall nichts Falsches in der jetzigen Situation, wo wir nur einen Impfstoff haben, der für die älteren Leute zugelassen ist.


01:02 :57



Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Monika aus Niedersachsen, die hat sich bei uns gemeldet. Sie arbeitet an einer Grundschule. Dort soll es ja bald Schnelltests für die Lehrerinnen und Lehrer und das Personal geben. So sieht es auch der Entwurf der Ministerpräsidenten vor. Allerdings nur einen Test pro Woche für jeden. Nun diskutiert das Lehrerkollegium welcher Tag wohl der richtige für den Test dafür ist.


„Die Meinungen gehen allerdings auseinander, ob montags gut wäre, um nichts in die Schule einzutragen oder ob freitags gut wäre, um nichts in die Familien, z.B. beim elterlichen Besuch weiterzugeben. Was würden Sie empfehlen, Herr Dr. Kekulé? Viele Grüße und schon mal vielen Dank im Voraus.“


Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft.



Alexander Kekulé


Also in der Lage klar der Montag. Weil das ist ja eine Untersuchung, die dem Schutz der Schulsituation dient. Und das macht man am besten, indem man montags testet. Man muss dann sagen schon am Mittwoch ist es dann mit Fragezeichen, ob das Testergebnis noch wirklich gültig ist. Und zugegeben, wenn man dann am Sonntag die Oma besucht, muss man sich eigentlich vorher noch mal testen lassen. Die gute Nachricht ist ja, wenn irgendetwas von dem Papier, was wir vorher besprochen haben, dann tatsächlich umgesetzt wird, dann wird es ja so sein, dass jeder Bürger 2 Tests zur Verfügung gestellt bekommt pro Woche. Dann wird es so sein, dass zusätzlich die Kitas und die Schulen durch regelmäßige Tests – da steht auch drin, 2 Tests pro Woche mindestens abgesichert werden – und dann wird, wenn das jetzt alles nicht nur Fantasie ist, sondern das tatsächlich Fakt wird, dann wird man die Möglichkeit haben, sich zweimal in der Woche zur testen für die Sicherheit der Situation in der Schule oder in der Kita. Plus, wenn man privat dann eine Situation hat an Ostern oder Ähnliches, wo man dann verschiedene Generationen trifft, sofern die noch nicht geimpft sind, kann man dann die zusätzliche Sicherheit damit einziehen. Also ich bin da insgesamt ganz optimistisch, dass wir


jetzt – und dann wird es auch noch wärmer im Sommer – dass wir eigentlich auf einem guten Weg sind.


01:05:06



Camillo Schumann



Ja, damit sind wir am Ende. Herr Kekulé, ich habe eine positive Nachricht zum Schluss gefunden. Die ist mir heute beim Studieren des täglichen Lageberichts zur Lage der Nation des Robert-Koch-Instituts aufgefallen. Und zwar: Die 7-Tage-Inzidenz bei den alten Menschen, die entwickelt sich wirklich sehr, sehr gut. Bei den über 80-Jährigen liegt sie, Stand heute, bei 66. Vor drei Wochen waren es noch 132 . Die 7-Tage-Inzidenz bei den über 80-Jährigen wurde in den vergangenen drei Wochen halbiert. Das ist doch was, oder?


01:05:38



Alexander Kekulé


Das ist super. Das liegt an der ersten Impfung, und es geht in diese Richtung weiter. Also, wie gesagt, ich finde, wir sind jetzt auf einem ganz guten Weg. Also, ich würde mal wirklich empfehlen, diese Panik vor den Varianten, die da immer geschürt wird – wir müssen konsequent weitermachen. Wir dürfen uns jetzt nicht locker machen, und jetzt wird es langsam wärmer. Und wenn wir jetzt nicht plötzlich irgendwie in so eine „Covid, was ist das?“-Haltung verfallen, dann werden wir das Richtung Sommer in eine ganz gute, kontrollierte Lage bringen.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 154. Vielen Dank. Wir hören uns am Donnerstag wieder, bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis Donnerstag, Herr Schumann



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann twittern Sie Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekule oder schreiben Sie uns eine Mail an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostet ja nix: 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Und alle wichtigen Links zur Sendung, alle besprochenen Papiere unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 7.02 .2 02 1 #153: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann

:


Sind Tests auf T-Zellen sinnvoll?  Verhindert eine Impfung eine


Herzmuskelentzündung?  Soll sich eine 94-Jährige nach


durchgemachter Covid-Erkrankung


impfen lassen?  Entwickelt der menschliche Körper


eine Immunantwort gegen die Träger


Viren der Vektor-Impfstoffe?  Ist frisch produzierter Speichel


ausreichend für einen Schnelltest?


Damit hallo und herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass – Hörerfragen SPEZIAL. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Frau S. aus Weimar hat angerufen und folgende Frage:


[0:00:47]:


„Wie steht es eigentlich mit der Möglichkeit, sich über die Post im Briefkasten oder Pakete, über gekaufte Lebensmittel und andere Waren beziehungsweise deren Verpackungen mit Viren anzustecken?“


[0:01:02 ]:



Camillo Schumann

:


Am Anfang des Podcasts war das ein Klassiker. Die Frage kam immer wieder.



Alexander Kekulé:


Über Schmierinfektion kann man schon mal reden. Die haben die meisten Epidemiologen am Anfang als wichtig angesehen. Das waren Erfahrungen, die aus der Influenza-Ecke kamen. Da sagte man früher, die Influenza wird gar nicht nur durch Husten usw. übertragen, sondern auch über die Hände. Bei dieser Covid-Pandemie ist es nur ein kleiner Anteil. Wir wissen nicht, wie viel. Ich schätze, höchstens zehn Prozent werden durch die Schmierinfektion übertragen. Oberflächen, die nicht besonders virenfreundlich sind – also alles, was irgendwie rau ist und der Witterung ausgesetzt wird – macht das Virus kaputt. Da müsste der Paketbote, der das Paket an der Tür übergibt, sich vorher in die Hand gehustet haben und dann direkt außen drauf gelangt haben, dass da noch frischer Schleim drauf ist. Alles, was irgendwie eine Weile in der Post war, unterwegs war, an der Luft war oder auch auf einer rauen Oberfläche, ist vernachlässigbar.


[0:02 :2 1]:



Camillo Schumann

:


Herr K. ist Kardiologe, kommt aus Saarbrücken, und hat uns eine Mail geschrieben und will Folgendes wissen


„Meine Frau hatte vor neun Monaten suspekte, aber nicht absolut typische Symptome von Covid-19, Geschmacksverlust, Krankheitsgefühl, kein Fieber oder Atemwegsinfekte. Eine PCR war negativ. Danach waren mehrere Antikörper-, Streifentests und zweimal Antikörpertests im Labor ebenfalls negativ. Inzwischen bieten einige Labors T-Zellen-Tests an. Sind diese Tests valide? Können Sie noch reaktiv sein? Meine Frau würde sich wahrscheinlich nicht impfen lassen, wenn sie anhand der Tests eine abgelaufene Infektion nachweisen könnte.


1


Bei einer Patientin mit einer ähnlichen Vorgeschichte war ein solcher T-Zellen-Test positiv, allerdings 2 Monate nach der Erkrankung.“


T-ZellenTests, was sagen Sie dazu? [0:03:10]: 

Alexander Kekulé:


Diese Tests sind nicht in dem Sinn standardisiert wie die Antikörpertests. Und da gibt es verschiedene Sorten. Wir haben Lymphozyten, das sind weiße Blutkörperchen, die bei der Produktion von Antikörpern helfen. Das sind die B-Lymphozyten. Und dann gibt es welche, die sowohl den B-Lymphozyten helfen können als auch selber unter Umständen andere Zellen abtöten können, wo Viren drin sind. Die heißen dann T-Zellen. Und diese TZellen gehen nach der Infektion irgendwann in so einen Tiefschlaf über. Da gibt es dann quasi nur noch so ein paar, die irgendwo in den Lymphknoten vor sich hinschlummern. Die heißen Gedächtniszellen. Und diese Gedächtnis-T-Zellen werden reaktiviert, wenn das Virus wiederkommt. Und die haben sich gemerkt, wie man sich das gegen das Virus wehrt. Die sorgen dafür, dass die Immunabwehr schnell wieder aktiviert wird. Man kann im Labor Blut abnehmen und die T-Zellen da rausholen. Und die kann man dann stimulieren mit dem Coronavirus-Spike, dem künstlichen Protein. Und wenn die dann losgehen wie Schmidts Katze, weiß man, der hat noch eine Immunität dagegen. Die fangen dann an, irgendwelche Interferone zu produzieren. Ähnliches macht man übrigens bei Tuberkulose schon relativ lange in der Diagnostik. Aber hier ist es – anders als bei der Tuberkulose – nicht so standardisiert. Das heißt, man weiß nicht genau, ab welcher Reaktivität dieser T-Zellen ist es sauber positiv. Nach wie viel Monaten kann ich noch mit einer rechnen. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Immunität zu tun, sondern ob die T-Zelle anspringt. Und da gibt es keine Standards. Aber wenn das Labor das anbietet, seriös ist und sagt, wir liefern da auch eine Erklärung dazu, kann man das


versuchen. Leider ist die Chance groß, dass man das Geld dafür ausgibt und das Labor hinterher sagen muss, wir haben ein Ergebnis, das nicht eindeutig ist.



Camillo Schumann

:


Aber man sollte es nicht unversucht lassen. [0:05:45]: 

Camillo Schumann

:


Die Frage ist, warum er das machen will. Wissenschaftler wollen so etwas immer machen, weil sie neugierig sind. Wenn Ärzte sich Blut abnehmen lassen, wird meistens zu viel diagnostiziert im Vergleich zur Normalbevölkerung, denn sie wollen das wissen. Wenn sich die Frau des Hörers sich sonst definitiv nicht impfen lassen will – aus welchem Grund auch immer –, ist das legitim. Es ist ihr offenbar extrem wichtig zu wissen, weil sie eben den Geruchsverlust hatte. Das kann man versuchen. Und wenn das Labor seriös ist, werden die draufschreiben, wir haben ein Ergebnis. Oder sie werden draufschreiben, wir können das nicht sicher sagen.



Camillo Schumann

:


Was kostet so was? Wissen Sie das?



Alexander Kekulé:


Das weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, dass das nicht billig ist, weil das ein Spezialtest ist, der noch nicht standardisiert ist. Mehr als 50 Euro wird es auf jeden Fall kosten.


[0:06:47]:



Camillo Schumann

:


Dann hat ein Herr angerufen, der auf unserem Anrufbeantworter ein bisschen schwer zu verstehen war. Deswegen würde ich seine Frage so formulieren: Er hat eine 94-jährige Bekannte, die hat eine Covid19-Erkrankung gut überstanden. Alles prima. Und jetzt fragte sie sich, ob sie sich impfen lassen soll. Was kann dieser Herr seiner Bekannten empfehlen?


[0:07:12 ]:


2 



Alexander Kekulé:


Wenn es sicher ist, dass sie Covid überstanden hat, würde ich mich mit 94 nicht impfen lassen. Die Impfungen haben sog. Nebenwirkungen. Ich nenne es eigentlich immer ungern Nebenwirkungen, weil es ja die Impfreaktion ist. Das ist ja eigentlich der gewünschte Effekt, dass man dann eine Schwellung, Rötung, Schmerzen an der Einstichstelle oder systemische Effekte wie Fieber oder Schüttelfrost hat. Manche schlafen schlecht. Das würde ich mir, wenn ich die Infektion schon hinter mir habe, nicht antun, weil überhaupt nicht gesagt ist, dass das auch einen zusätzlichen Schutz bringt. Zumal mit den jetzigen verfügbaren Impfstoffen. Wir müssen leider davon ausgehen, dass wir im Laufe des Jahres die Impfstoffe noch anpassen müssen, in dem Sinn, dass wir auf Impfstoffe umschalten müssen, die auch die neuen Varianten abdecken. Da würde ich lieber abwarten, bis die verfügbar sind und mich dann impfen lassen.



Camillo Schumann

:


Dieser Herr hat eine konkrete Frage zur Impfung, speziell auf ein Leiden nach einer Infektion:


[0:08:2 4]:


„Können die Impfstoffe auch eine Erkrankung verhindern, z.B. eine Herzmuskelentzündung, also nicht nur eine Erkrankung der Lunge, sondern auch eine Erkrankung am Herzen durch Corona oder Long-Covid? Besten Dank und viele Grüße.“


[0:08:42 ]:



Alexander Kekulé:


Die Antwort gleich vorweg: Ja, das können Sie verhindern. Aber es ist ein interessantes Thema. Viele Arbeitsgruppen auf der Welt erforschen das gerade, weil wir Wissenschaftler nicht genau verstehen, wie diese Herzmuskelentzündung, die gar nicht so selten ist, zustande kommt. Es gibt ja Herzmuskelentzündungen, die durch Viren direkt aus-


gelöst werden. Das Virus befällt da die Muskelzelle im Herzen und macht dann die Krankheit. Es gibt aber auch Herzmuskelentzündungen, die indirekt über das Immunsystem ausgelöst werden. Wir wissen es noch nicht genau. Aber klar ist in dem Fall: Wenn man das Virus nicht hat, dann kriegt man auch die Herzmuskelentzündung nicht. Das wäre würde zumindest allem widersprechen, was wir bis gesehen haben. Das wäre eine echte Überraschung, wenn es möglich wäre. Deshalb würde ich sagen, ja, die Impfung verhindert es. Vielleicht kann man noch Folgendes sagen: Die Amerikaner machen ja immer gleich detailliertere Studien im großen Stil. Danach sieht es so aus, als wäre das gar nicht so selten. Der Anrufer hat ja auch Long-Covid angesprochen. Auch wenn die eigentliche Infektion harmlos verlaufen ist – da gibt es ja viele jüngere Leute, die haben die so gar nicht so schwer empfunden, kann es Schädigungen am herzen geben. Wenn man genau nachschaut mit kardiologischen Methoden, sieht man, was das Herz schon abgekriegt hat. Das gibt sich dann aber im Lauf der Zeit wieder. Das ist nicht so, dass das bleibt. Aber da kann es von Vorteil sein, sich 2 Monate lang körperlich nicht zu überanstrengen. Nicht anstrengen, zum Tauchen gehen oder auf einem Berg klettern oder Ähnliches. Und das stellt man nur fest, wenn man das Herz entweder im Ultraschall untersucht oder bestimmte Marker im Blut feststellt, die darauf hindeuten. Und wenn jemand nach so einer Covid-Infektion das Gefühl hat, Mensch, ich werde nicht fit, dann sollte man noch mal zum Internisten gehen und das überprüfen lassen, damit man das nicht übersieht, wenn das Herz noch ein bisschen länger braucht, bis es wieder gesund wird.



Camillo Schumann

:


Nur bei diesen Symptomen oder lieber auf Nummer sicher gehen?



Alexander Kekulé:


Das kommt darauf an, ob man Privatpatient oder ein Kassenpatient ist.


3


Ganz ehrlich: Wenn ich der Patient wäre – nicht weil ich als Beamter automatisch zwangsweise Privatpatient bin –, würde ich als vorsichtiger Arzt sagen, immer machen. Ich würde immer bei einer Covid-19-Infektion nach Gerinnungsstörungen suchen. Da gibt es manchmal Überraschungen, dass man auch bei Menschen, die sonst normal harmlose Erkrankung haben, trotzdem ggf. Mikrothrombosen im Blut haben. Das kann wichtig sein, das zu wissen. Vor allem, wenn man starke körperliche Anstrengungen vorhat. Ich würde auch diese Untersuchungen, an denen man erkennt, ob das Herz was abgekriegt hat, routinemäßig machen, obwohl ich vorsichtig sein muss. Ich kann mir vorstellen, da kommen die bösen Briefe von den Krankenkassen. So eine Luxus-Untersuchung bei jedem zu machen, würde auch in die Kosten gehen. Deshalb habe ich gesagt, wenn Sie Symptome haben oder tendenziell dazu neigen, hypochondrisch zu sein – was alle Ärzte sind –, dann würde ich empfehlen, das zu machen. Und wenn Sie sagen, so genau will ich das gar nicht wissen, dann machen Sie es nicht.


[0:12 :42 ]:



Camillo Schumann

:


So etwas kann ja auch mal tödlich enden. Und so eine Herzmuskelentzündung kann man ja auch mal nicht merken. Gerade als junger Mensch.


[0:12 :53]:



Alexander Kekulé:


Das ist richtig, aber selten. Unser Gesundheitssystem ist ökonomisiert. Es gibt bestimmte Untersuchungen, z.B. während der Schwangerschaft, mit denen würde man Schädigungen des Embryos bzw. des Fötus feststellen, die nur 1:1.000 oder seltener vorkommen. Die werden nicht gemacht, weil die Krankenkasse sagt, nein, bezahlen wir nicht. Dann wird es eben nicht gemacht. Es sei denn, Sie sagen einem Arzt, er soll das machen. Und unter Umständen kostet das dann extra Geld. In so einem Gesundheitssystem leben wir seit


Jahren. So toll finde ich das auch nicht. Aber man kann nicht sagen, bloß weil bei 1:2 .000 vielleicht mal eine Herzmuskelentzündung übersehen wird, machen wir bei jedem eine Blut-Marker-Untersuchung und vielleicht auch noch einen Herz-Ultraschall. Das kostet dann richtig Geld. Die Kardiologen freuen sich vielleicht, aber die Kassen eben nicht. Und deshalb muss man an so einer Stelle ein bisschen vorsichtig sein.


[0:13:55]:



Camillo Schumann

:


Gut. Frau M. hat gemailt:


„Mein Arbeitgeber stellt der Belegschaft einmal wöchentlich einen Corona-Antigen-Schnelltests für Zuhause zur Verfügung. Dazu muss man 30 Sekunden Speichel im Mund sammeln, dann in ein Röhrchen spucken, mit der Flüssigkeit mischen und dann auf den Teststreifen tropfen. Nun meine Frage: Bislang war meines Wissens es ja so, dass man, um ausreichend Virus aufzusammeln, tief in den Rachen oder die Nase muss. Wie kann es sein, dass frisch produzierter Speichel ausreichend für einen Schnelltest ist? Viele Grüße aus Hameln, Frau M.“


[0:14:2 9]:



Alexander Kekulé:


Es kommt ein bisschen darauf an. Es gibt ja Leute, die produzieren viel Speichel und andere wenig. Der Speichel nimmt im Alter auch deutlich ab. Die Idee ist, dass sich das letztlich ausgleicht. Die Schleimhaut im Mundund Rachenraum ist ja im Idealfall mit einen mehr oder minder durchgehenden Flüssigkeitsfilm überzogen. Der Rachen ist im Normalfall durchgehend feucht, leider nicht bei allen und immer, aber so sollte es eigentlich sein. Wenn Sie dann irgendwo so ein paar Zellen haben, die munter Viren produzieren, dann diffundieren diese Viren durch diese Feuchtigkeitsschicht. Und wenn Sie dann vorne aus dem Mundraum Speichel rausholen, dann ist es im Idealfall so, dass da Viren drin sind.


4


Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man vorher eben nichts essen sollte. Ich hoffe, das steht da in der Gebrauchsanweisung drin, und nicht den Mund spülen, also nichts trinken, Zähneputzen usw., weil Sie damit vorübergehend die Viruskonzentration deutlich verringern können. Das ist auch der Unterschied zu diesem Abstrich-Verfahren. Man kann ja durch die Nase im oberen Rachen eine Probe nehmen. Das gilt als am sichersten. Hauptsächlich deshalb, weil man da hinten nicht spülen kann. Selbst wenn Sie etwas essen, geht die Speise nicht in den oberen Rachenraum. Da kommt man eben nur durch die Nase rein. Und man kann aber auch einen Abstrich normal durch den Mund machen. Das wäre eigentlich genauso gut, wenn man die Leute mal eine Stunde vorher nichts essen und trinken lassen würde, weil dann eben genug Virus ggf. im Speichel verteilt ist. Und das Gleiche gilt für den Spucktest oder auch für den Gurgel-Test, wie die Österreicher das machen. Da ist eben immer eine wichtige Zusatzempfehlung, dass man vorher weiß, was da im Beipackzettel steht.


[0:16:2 5]:



Camillo Schumann

:


Herr Meyer hat uns gemailt:


„Ich bin 35 Jahre alt, habe keine Vorerkrankung, aber eine schwangere Frau. Dadurch bin ich der Gruppe 2  zugehörig und habe dementsprechend auch ein Impfangebot mit AstraZeneca erhalten. Können Sie mir einen Grund nennen, dieses aufgrund der aktuellen Datenlage anzunehmen, anstatt auf Biontech/Pfizer zu warten?“


[0:16:49]:



Alexander Kekulé:


Je schneller, desto besser. Die Datenlage ist nicht das Thema, sondern die Infektionslage. Ja, wir haben in Deutschland eine Situation, wo wir in so einer Patt-Lage sind bei einer Inzidenz um die 60. Je nach dem, welche Maßnahmen als nächstes beschlossen werden,


kann das wieder hochgehen. Nicht wegen der Mutanten, sondern weil man über Öffnungen nachdenkt. Man kann sich aber auch mit einer Inzidenz von 60 prima infizieren. Das geht nicht nur, wenn 400 im Ort ist. Und deshalb würde ich sagen, gerade wenn die Frau schwanger ist, würde ich empfehlen, sich gleich impfen zu lassen, selbstverständlich. Und der AstraZeneca-Impfstoff steht zur Verfügung. Wenn der da ist, würde ich den nehmen. Niemand sagt, es muss unbedingt Pfizer sein. Es spricht ja nichts dagegen, sich zweimal impfen zu lassen, dann später. Ich würde ja sowieso davon ausgehen, dass wir irgendwann im letzten Quartal anfangen müssen, mit neuen Impfstoffen zu arbeiten. Und da werden es mit Sicherheit die RNA-Impfstoffe sein, die die als erstes zur Verfügung stehen, in einer modifizierten Form. Und da wäre es dann vielleicht gar nicht so schlecht, sich die dritte Impfung abzuholen, aber dann mit einem RNAImpfstoff, sodass dem nichts entgegensteht. Was man hat, das hat man.



Camillo Schumann

:


So viele Impfungen, egal was da ist? Alles rein in die Arme?



Alexander Kekulé:


Bei AstraZeneca sind es ja 2 Impfungen, die man kriegt. Überkreuzimpfen wird nicht empfohlen. Wahrscheinlich wird es irgendwie funktionieren. Aber da gibt es eben keine Studien darüber bisher. Die werden gerade gemacht. Aber es ist so, dass man dann eben zweimal Astra bekommen würde. Und im Abstand von drei bis vier Wochen. Und dann ist es so, dass man sich im Herbst noch einmal anstellen kann, falls Biontech/Pfizer bis dahin einen modifizierten Impfstoff rausbringt, der dann ein paar von den Varianten noch mit abdeckt. Das wird ja gerade untersucht. Die Impfstoffhersteller sind ja massiv dabei, ihre Impfstoffe anzupassen – im Moment gegen die südafrikanische und die südamerikanische Variante .



Camillo Schumann

:


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Apropos anpassen: Herr R., treuer Hörer dieses Podcasts, hat eine Frage zu Mutationen, und er hat angerufen:


[0:19:16]:


„Durch das Verfolgen des Podcasts ist mir klargeworden, dass es einen Vormarsch gibt von diesen neuen Varianten. Und als das Thema angefangen hat, hieß es immer von dem Herrn Kekulé, sie sind ansteckender, aber wenn es lehrbuchmäßig abläuft, weniger gefährlich. Und jetzt haben Sie auch Studien besprochen, in denen es für Männer oder auch insgesamt ein höheres Risiko für schwere Verläufe mit einhergeht. Hat das etwas mit der Menge der Ansteckungen zu tun, aufgrund der höheren Infektionsrate bzw. der höheren Ansteckungsrate oder ist das halt ein Fehler in den Statistiken? Mich hat eigentlich immer beruhigt, dass es zwar ansteckender ist, aber weniger gefährlich. Nur die Kombination ansteckender und gefährlicher macht jetzt ein bisschen mehr Bauchschmerzen.“


[0:2 0:10]:



Alexander Kekulé:


Ein wichtiger Punkt, aber den sehen meine Kollegen und ich nicht alle gleich. Das ist manchmal so. Gewisse Fragen sind nicht so, dass jeder Virologe zum gleichen Ergebnis kommt, obwohl wir uns über die gleichen Studien beugen. Ich bleibe dabei: Die Viren werden im Lauf der Zeit infektiöser. Das ist von vornherein vorhersehbar gewesen. Das habe ich am Anfang der Pandemie schon ein paar Mal erklärt. Und sie werden zugleich weniger gefährlich. Dieses „weniger gefährlich“ hat 2 verschiedene Komponenten. Die eine Komponente ist, dass sich das Virus selbst typischerweise optimiert in Richtung Ansteckungsfähigkeit, also dass es kontagiöser wird, wie wir sagen. Wenn das Virus das macht, dann muss es sich ja verändern. Und meistens ist es so, dass es eben zum Glück nicht die gleichen Veränderungen sind, die das Virus machen müsste, um stärker krankmachend zu werden, sodass wir meistens Viren haben, die


entweder infektiöser sind oder stärker krankmachend. Und da setzen sich dann immer die infektiöseren durch. Ein Virus, was stärker ansteckend ist, ist ein Vorteil und eins, was stärker krank macht, führt dazu, dass die Betroffenen im Bett bleiben, mit weniger Menschen Kontakte haben. Und das ist schlecht für das Virus. Das heißt also, von Seiten des Virus her ist es klar und von der Menschenseite, vom Wirt her gesehen, ist es auch klar. Wenn wir z.B. mit der üblichen Mutante, die schon im Umlauf ist, oder mit den Varianten, die schon im Umlauf waren, mal eine Covid-Infektion durchgemacht haben oder eine Impfung bekommen haben, dann haben wir schon einen teilweisen Immunschutz. Und dann wird die nächste Infektion deutlich harmloser verlaufen, sodass der Endpunkt einer solchen Pandemie der sein wird – das ist aber meine Vorhersage – , dass wir viele Varianten haben werden, die sich dann zunehmend entwickeln werden, die stärker infektiös sind, weil sie sich durchgesetzt haben gegen ihre Kollegen. Aber zugleich ist es so, dass die Population immuner ist, weil sie ja schon ähnliche Varianten gesehen hat von ihrem Immunsystem, abgesehen von den Neugeborenen und das Virus ist zugleich auch optimiert auf Infektiösität. Das heißt dann nicht auf Gefährlichkeit. Die Daten, die da von dem Hörer angesprochen wurden, stammen aus England. Das sind epidemiologische Daten. Da muss man immer ein bisschen aufpassen. Die sagen nicht notwendigerweise etwas über die Eigenschaft des Virus aus. Und da hat man gesehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Hospitalisierungen höher sind, wenn diese Variante B1.1.7 aufgetreten ist. Das ist immer eine schlechte Nachricht, so etwas. Und es ist kritisch zu beurteilen, weil es so ist, dass wir nicht wissen, ob das an einem Virus selber liegt. Aber höchstwahrscheinlich liegt es nicht an dem Virus selber. Und zwar aus folgendem Grund: In den Regionen, wo dieses B1.1.7 aufgetreten ist, außer z.B. im Südosten, in Essex. Greater London usw.. Anfangs hat sich Variante da durchgesetzt in kürzester Zeit. Man kann sehen, wie die Fallzahlen rapide


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ansteigen. Die werden ja auch immer wieder gezeigt in den Medien. Aber die Sterblichkeit ist gesunken in der gleichen Zeit, also die Sterblichkeit ist in diesen Regionen runtergegangen. Und wenn es so wäre, dass sich da ein tödlicheres Virus ausbreiten würde, dann müsste die Sterblichkeit hochgehen. Oder andersherum gesagt: Solange sich da etwas bei dem Virus ändert, aber trotzdem nicht mehr Menschen schwer krank davon werden oder daran sterben, ist das etwas, was für mich eher akademischen Charakter hat. Das ist interessant, aber das ist für die Angst, die man vor dem Virus haben muss, nicht relevant, weil ja nicht mehr Menschen in der Bilanz daran sterben, obwohl es mehr Infektionen gibt. Und diese Diskrepanz gibt es. Und das ist eben die Frage. Die Virologen schauen auf das Phänomen so drauf, wie ich es gerade erklärt habe. Und die anderen zeigen in Talkshows diese Linien, die da so nach oben weg starten und sagen, oh, wahnsinnig gefährlich. Aber das ist dann immer nur bezogen auf das Durchsetzen der Variante. Und dass die sich durchsetzen, ist völlig klar. Wenn ein Virus da ist, das ich etwas schneller ausbreitet, dann wird sich das durchsetzen.



Camillo Schumann

:


Am Ende wird auf der Intensivstation abgerechnet. Und da werden wir dann sehen, wie sich dann diese Lage entwickeln wird. Das werden wir dann in einem halben Jahr sehen vielleicht.



Alexander Kekulé:


Das sehen wir viel schneller. Das ist keine Panikmache. Aber dieses B1.1.7 wird sich in den nächsten Wochen in Deutschland auch durchsetzen. Das war schon immer so: Was sich in Bayern durchgesetzt hat, hat sich in Restdeutschland auch durchgesetzt. Das war Spaß. Aber es ist so, das ist ja in Süddeutschland schon massiv verbreitet. Das wird sich in Deutschland in den nächsten Wochen ausbreiten und dann, wie Sie sagen: wird auf der Intensivstation abgerechnet werden. Wenn da die Fallzahlen ansteigen würden, also pro


Infektionen, dann hätten wir ein Hinweis. Aber das ist ja in England auch erhoben worden. Man hat in England sogar gesagt, okay, wie ist der Einfluss auf die Krankenhauseinweisung auf die, die schon im Krankenhaus sind? Das hat man genau untersucht. Man hat gefragt: Wenn du schon mal ins Krankenhaus kommst, hast du dann eine höhere Chance da dann daran zu sterben oder Ähnliches? Und da ist die Antwort: Nein, da ist überhaupt kein Effekt, dass diese neuen Varianten gefährlicher werden.


[0:2 5:57]:



Camillo Schumann

:


Herr H. aus Rohrbach hat geschrieben. Er hat eine Frage zum Vektor-Impfstoff allgemein. Seine Frage:


„Entwickelt der menschliche Körper eine Immunantwort gegen die Träger-Viren der Vektor-Impfstoffe, z.B. im Rahmen einer ersten Impfung? Inwieweit beeinflusst dann diese Tatsache die Möglichkeit der Verwendung des gleichen Impfstoffs im Rahmen einer Wiederholungsimpfung und deren Wirksamkeit? Viele Grüße.“


[0:2 6:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Da kann man auf unseren letzten Podcast vom Donnerstag verweisen. Da haben wir das ja auch relativ ausführlich besprochen. Aber nochmal in Kürze: Das ist ja genau das Thema. Also dieses Vektor-Virus, das Träger-Virus vermehrt sich zwar nicht, das muss man immer wieder unterstreichen. Das ist ein Virus, das so gebaut wurde, dass es sich nicht vermehren kann. Nach der Injektion aber ist so ein Virus, auch wenn es sich nicht mehr vermehrt für den Organismus eine starke Herausforderung und er produziert eine starke Immunantwort. Das ist ja auch gewünscht. Das Adenovirus, was als Victor verwendet wird, ist sozusagen ein Wirkverstärker für das Spike-Protein. Wenn man nur das Protein in so einem Impfstoff hat – das gibt es ja auch: die Chinesen haben


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solche Impfstoffe, auch in Frankreich wurde so etwas entwickelt – dann müssen Sie oft einen Wirkverstärker dazugeben. Das heißt, Sie müssen irgendetwas reingeben, was das Immunsystem ein bisschen anreizt, denn das Protein alleine ist nicht appetitlich genug für die Immunzellen, um in großer Zahl anzuströmen. Und das macht man bei den Vektor-Impfstoffen durch das Virus. Und da gibt es eine starke Immunantwort. Es wäre plausibel und auch der Grund, warum diese Vektor-Impfstoffe, speziell der von AstraZeneca eine stärkere Allgemeinreaktion haben als die RNA-Impfstoffe, dass man da so beschreibt, dass am 2 . oder 3. Tag häufiger allgemeine Symptome auftreten wie Fieber oder Ähnliches. Das könnte die Erklärung sein, dass es eben eine Immunreaktion auch gegen den Vektor gibt. Und ja, das ist ein riesen Problem bei der zweiten Impfung. Darum hat man ja Schimpansenvirus genommen, weil sie gesagt haben, da ist die Wahrscheinlichkeit hoch – vielleicht außer bei Tierpflegern im Zoo, dass keiner der Antikörper dagegen im Blut hatte. Sonst wirkt das nicht, weil die Antikörper den Vektor wegfangen würden. Und das Gleiche gilt dann bei der zweiten Impfung. Vielleicht erinnern Sie sich, erinnern sich einige noch daran, dass es so war, dass dieser AstraZeneca-Impfstoff dieses merkwürdige Phänomen hatte: Wenn man die erste Dosis halbiert, wird der Effekt besser. Das hatten wir am Anfang gesagt. Was ist da los? Aber die eine Arbeitshypothese ist: Es könnte daran liegen, dass durch die kleinere erste Dosis das Immunsystem weniger stimuliert wird gegen den Vektor, sodass die zweite Dosis noch eine Chance hat, richtig zu funktionieren und nicht gleich abgefangen wird von den bis dahin vorhandenen Antikörpern und Zellen. Aus dem gleichen Grund macht das Gamaleja-Institut in Moskau bei dem russischen Impfstoff absichtlich 2 verschiedene Adenoviren rein, einen für die erste und einen für die zweite Impfung. Und aus dem gleichen Grund ist der Johnson&Johnson-Impfstoff ein Einmal-Schuss: Weil man sagt, na ja, mit so einem Vektor zweimal impfen, wer weiß, ob das zweite Mal


noch funktioniert. Die Überlegung ist also völlig richtig. Und vielleicht das Letzte noch hinterher: Das Problem ist: Wir werden die Impfstoffe früher oder später anpassen müssen. Und Leute, die im großen Stil mit einem Adenovirus vom Schimpansen geimpft wurden, da ist vollkommen unklar, ob man die mit dem gleichen Konstrukt noch einmal mit einem angepassten S-Protein von diesem Sars-Cov-2  überhaupt immunisieren kann.


[0:2 9:45]:



Camillo Schumann

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Damit sind wir am Ende von Ausgabe 153 von


Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.


Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 .März wieder.



Alexander Kekulé:


Vielen Dank, Herr Schumann. Eins schönes Wochenende.



Camillo Schumann

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Sie haben auch eine Frage, twittern Sie doch Ihre Frage unter dem Hashtag #fragKekulé, schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 5.02 .2 02 1 #152 : Warum Osterurlaub möglich wäre



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


94 Prozent weniger Krankenhausaufenthalte nach einer Dosis AstraZeneca (19.02 .):


https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abst ract_id=37892 64


Israelische Auswertung zur Wirksamkeit Biontech/Pfizer-Impfstoff (2 4.02 .):


https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2 101765?query=TOC


Robert-Koch-Institut legt Schutzkonzept vor (18.02 .):


https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Downloads/Stufenplan.pdf ?__blob=publicationFile



Camillo Schumann

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Donnerstag, 2 5. Februar 2 02 1.


Studie belegt: 94% weniger Krankenhausaufenthalt nach 1. Impfung mit AstraZeneca-Impfstoff. Wie sind diese Daten einzuordnen?


Dann: Johnson&Johnson steht vor einer Notfallzulassung in den USA für seine EinmalImpfung. Was muss man über dieses Vakzin wissen?


Dann: Osterurlaub – möglich oder unmöglich?


Und: Sollten Geschwister einer Kontaktperson weiter in Schule und Kita geschickt werden?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen aktuellen Blick rund um das Coronavirus und beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Es gibt wieder mehr Infektionen als vor einer Woche. Das RKI hat einen Anstieg von 1.662  Fällen auf insgesamt 11.869 registriert. Auch die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, die berühmte 7-Tage-Inzidenz, lag bundesweit mit 61,7 auch höher als gestern mit 59,3. Beunruhigt Sie das?



Alexander Kekulé:


Das ist schade. Aber besser als jetzt wird es meines Erachtens nicht. Das ist der Effekt des Lockdowns, den wir jetzt haben. Und auf diesem Plateau fressen wir uns offensichtlich fest. Man muss mit solchen Fakten leben. Da kann man jetzt jammern. Jeder hätte sich gewünscht, dass es besser wird. Ich hätte auch gedacht, dass wir unter die 50 kommen. Aber wir wissen auch nicht wirklich, woran es liegt. Wir werden wohl auch nicht weiter runterkommen, weil das Mitmachbedürfnis bei einem Teil der Bevölkerung nicht mehr so da ist. Es kann aber auch andere Gründe geben. Das wissen wir nicht genau. Das Gute ist, dass wir jetzt langsam wieder in die warme Jahreszeit hineinkommen. Deswegen habe ich im Moment keinen Grund zur Beunruhigung. Wir sind jetzt da gelandet, das ist das Paket, mit dem wir jetzt arbeiten müssen. Man hört aus der Bundesregierung, dass sie diesmal


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Nägel mit Köpfen machen wollen. Sie wollen ein gutes Konzept vorlegen.



Camillo Schumann

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Das ist dann in der nächsten Woche. Darüber wollen wir dann auch sprechen. Eine kurze Info, ein Lagebericht aus dem RKI. Der Anteil der Ausbrüche in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen ist in den letzten Wochen angestiegen bis auf 44% in Meldewoche 2  und nimmt seitdem ab, bis auf 19% in Meldewoche 7. Das ist eine Halbierung. Erkennen wir darin einen positiven Effekt der Impfung? Halten wir jetzt das Sterben allmählich auf?



Alexander Kekulé:


Das wäre die Frage, die man eigentlich dem RKI stellen müsste. Das ist erst im neuesten Lagebericht so. Bisher hatten wir den Anstieg, der höchst beunruhigend war. Der hatte gezeigt, dass wir es nicht geschafft haben, die Altersheime zu schützen. Das wäre möglich gewesen. Aber da sind viele allein gelassen worden mit ihren Konzepten. Dass wir ausgerechnet jetzt, wo wir angefangen haben zu impfen, diesen Effekt haben, hängt wohl sehr wahrscheinlich an den Impfungen. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Dass man jetzt sogar so schnell den Effekt sieht, ist toll. Sie haben ja gesagt, dass das schon die letzten Wochen so sei, sie haben da offensichtlich noch ältere Daten gesichtet. Das belegt auch noch einmal, was ich gesagt habe, dass es richtig ist, auch ggf. nur einmal zu impfen. Es kann noch nicht der Effekt der 2 . Impfung sein, den wir da sehen. Wenn das so ist, heißt das, dass einmal zu impfen eine gute Empfehlung war. Aber ob das so ist? Da hat das RKI eigentlich eine Bringschuld. Wir haben nun schon 1 Jahr die Pandemie. Am Anfang sagten sie, dass sie bessere Daten liefern. Jetzt ist es 1 Jahr später und sie wissen noch immer nicht, ob das auf den Impfungen beruht. Nach wie vor wird ja nicht übermittelt, woher die Fälle gemeldet werden, aus welchem Heim. Deswegen weiß man gar nicht, ob der gewollte Effekt von dort stammt. Spätestens jetzt in der


Impfphase jetzt würde ich mir wünschen, dass man genauer weiß, was los ist.



Camillo Schumann

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Das könnte ja auch auf bessere HygieneMaßnahmen zurückzuführen sein. Aber möglicherweise auch in Korrelation mit den Impfungen. Aber von 44% auf 19% ist doch schon toll.



Alexander Kekulé:


Das ist plötzlich so ein starker Effekt – nachdem wir es nie richtig geschafft haben – das ist entweder ein Meldeartefakt. Das ist möglich. Entschuldigung, Statistiker sind halt so. Die schauen da rein und fragen sich, ob es ein Artefakt sein kann. Wenn Ihre Frau immer unfreundlich ist und plötzlich Rosen mitbringt, dann denken Sie auch: Hm, was ist jetzt passiert. Vielleicht gibt es Gründe. Vielleicht ist Valentinstag. Aber es gibt auch andere Erklärungen. Deshalb muss man da als Wissenschaftler auch skeptisch sein. Als Ehemann sollte man nicht skeptisch sein. Deshalb sage ich, dass das ein Meldeartefakt sein könnte, dass etwas gemeldet wurde, was vorher nicht gemeldet wurde. Man will es doch aber immer positiv sehen. Das wird schon die erste Impfung gewesen sein.



Camillo Schumann

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Um beim Positiven zu bleiben: Die Politik will ab 3. März ihre Öffnungsstrategie vorstellen. Die wird, was man so hört, stark als Schnellund Selbsttests gekoppelt sein. Und wenn man dem Öffnungsstrategiepapier des RKI glaubt, dann ist das Infektionsrisiko in Hotels und im Einzelhandel sehr gering. Ist da schon ein Osterurlaub in dieser Gesamtsituation drin? Die Ministerpräsidenten Kretschmer und Söder halten das ja für ausgeschlossen. Wie fällt da Ihre Einschätzung aus?



Alexander Kekulé:


Das ist die Frage des Machbaren. Epidemiologisch ist das machbar. Da können Sie ein Fußballspiel stattfinden lassen, Sie können auch ein Hotel absichern. Da muss


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man halt das machen, was jetzt erkannt wurde. Da braucht man Schnelltests. Da braucht man nicht nur ein Konzept, das sagt, wir brauchen in geschlossenen Räumen 1,50 m Abstand und eine Plexiglasscheibe. Da muss man Superspreadingereignisse konsequent ausschließen. Wenn ich ein Hygienekonzept für eine Sauna im Hotel machen müsste, dann bekäme ich sicher ein paar Schwierigkeiten. Aber für alle anderen Situationen wird das schon irgendwie hinhauen und wäre das möglich. Die Frage ist nur: Haben die Hotels die Instrumente, sind die Gesundheitsämter vorbereitet und ist die Rechtslage so, dass man ihnen das ermöglicht.


Es wird in dem Zusammenhang immer von Öffnungskonzepten geredet. Aber „öffnen“ geht nicht. Wir müssen umstellen auf ein Sicherheitskonzept, das die Bürger weniger belastet. Ansonsten wäre es wieder das Spiel Wirtschaft versus Gesundheit. Davon müssen wir wegkommen. Ich hoffe, dass wir beim nächsten Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin nicht wieder den Jojo-Effekt haben. Sondern dass wir ein Konzept haben, das alle mal durchziehen. Damit wir die Pandemie im Land in den Griff kriegen.



Camillo Schumann

:


Oder man kann es auch einfach Öffnung nennen, das klingt dann besser und macht es dann genau so. Das ist geht doch auch. Das ist nur ein psychologisches Moment.



Alexander Kekulé:


Ja, es ging mir nur darum, die Erwartungshaltungen nicht so zu schüren. Der eine macht auf, der andere findet das gefährlich. Ich bin als Fernsehzuschauer auch schon etwas sauer, wenn Leute auf der Straße gefragt werden, was sie von öffnen halten. Dann sagen die einen, öffnen ist gefährlich, und die anderen sagen, öffnen ist gut, ich brauche einen neuen Haarschnitt. Das ist eben die falsche Frage.



Camillo Schumann

:


Trotzdem haben Sie meine Frage nicht beantwortet: Ist jetzt der Osterurlaub drin, oder nicht?



Alexander Kekulé:


Ja, er ist drin, wenn die Politik am 3. März die richtigen Entscheidungen trifft. Dann ist es sicher möglich, wenn man ein gutes Sicherheitskonzept hat. Die Menschen können auch in den Weltraum fliegen und heil wieder zurückkommen. Das ist möglich und längst nicht so aufwendig wie Rocket Science.



Camillo Schumann

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Der Osterurlaub sollte dann sicher nicht bei unseren Nachbarn in Tschechien stattfinden. Denn dort und in der Slowakei wütet das Coronavirus aktuell besonders stark. Die 7Tage-Inzidenz liegt in Tschechien bei 700. Im Vergleich: bei uns ist es 60. Die Kurve steigt da steil an. Man kann da mutmaßen, woran das liegt. Laut Umfrage der WeltGesundheitsorganisation dort gaben 46% der Befragten an, dass sie trotz Symptomen nicht zu Hause bleiben. Die gleiche Zahl hält die Pandemie für einen medialen Hype. Und 1/3 verweigert grundlegende Hygienemaßnahmen. Da ist der Mitmachwille, die Compliance, völlig unten durch.



Alexander Kekulé:


Ja, das Wort Compliance, das müssen wir in diesem Podcast jetzt mal wirklich einführen. Bei der Medikamenteneinnahme in der Medizin sagt man Compliance, wenn der Patient das Medikament wie aufgeschrieben nimmt und nicht einfach in die Tonne wirft. Ich habe mal gelesen, dass die Hälfte der verschriebenen Medikamente gar nicht genommen wird. Wenn Sie mich nach meiner privaten Stichprobe fragen – ich habe viele Freunde in Prag – da würde ich sagen, dass es gegen 80-90% geht an Leuten, die nicht mehr mitmachen wollen. Die Stimmung ist dort AntiCorona. Da hat sich etwas aufgeheizt. Der Ministerpräsident Babiš ist dort unbeliebt. Der


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hat bei dem Petrol-Verkauf vor ein paar Jahren angeblich Geld einbehalten. Da gab es den Storchennestskandal, wo er angeblich Geld im Zusammenhang mit EU-Mitteln veruntreut hat – da gab es ja auch Ermittlungen – usw. Der hat es nicht geschafft, die Leute hinter sich zu stellen. Und die Leute sind gegen die Regierung und damit auch gegen die CoronaMaßnahmen. Das ist eine toxische Mischung.


Warum ist das relevant, da mal hinzuschauen? Weil das das Menetekel an der Wand für uns ist. Wenn wir in Deutschland das Vertrauen in die Regierung verlieren und in die „alles-vonoben-ist-schlecht-Haltung“ kommen, dann könnte es uns genauso gehen wie den Tschechen. Deswegen ist es wichtig, sich das anzuschauen.



Camillo Schumann

:


Es wurde schon angekündigt, dass es noch einen wesentlich härteren Lockdown geben würde. Wenn der Rückhalt in der Bevölkerung gegen Null geht, oder sehr rückläufig ist, wird der das dann aber auch nicht mehr bringen.



Alexander Kekulé:


Bei einer solchen Bekämpfung kommt es darauf an, was der Einzelne macht. Wenn Sie Hochwasser haben, kann der Staat einen Damm bauen. Da kann der Staat sagen, der Damm schützt euch. Aber die Seuche kommt an jeden einzelnen heran. Deshalb kommt es auf die Schwarmintelligenz der Bevölkerung an. Da kann er da von oben anordnen, was er will. Außer Sie fangen an mit chinesischen Methoden. Wenn Sie überall die Straßen überwachen, Polizei aufstellen und ähnliches, dann kann man auch die Bevölkerung unterdrücken. Wobei ich bei den osteuropäischen Staaten davor warnen muss. Polen, Slowakei, Tschechien, das sind Länder, die schnell mal Misstrauen haben, weil sie aus historischen Gründen allen Anlass dafür hatten.



Camillo Schumann

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Die Grenzkontrollen zu Tirol und Tschechien wurden jetzt bis zum 3. März verlängert. Sollten Sie aus Ihrer Sicht auch noch darüber hinaus gelten?



Alexander Kekulé:


Das kommt auf die Zahlen an. Aber in Tschechien und der Slowakei sind die Fallzahlen so enorm hoch. Da haben wir aber erheblichen Grenzverkehr. Das Problem müssen wir wirklich lösen. Ich hatte den Vorschlag gemacht, für die Pendler spezielle Plaketten einzuführen. Damit man unter Kontrolle hat, wie oft sie pendeln, wer getestet ist, ob sie geimpft oder genesen sind. Entweder macht man da zu. Aber das ist mit dem Grenzverkehr nicht durchzuhalten. Oder man kontrolliert besser.


Man muss unterscheiden zu den sog. Hochrisiko-Gebieten. Wir haben in Deutschland seit einiger Zeit neben den normalen Risikogebieten die Hochrisikogebiete. Und daneben noch die Mutanten-Gebiete. Die Mutanten laufen in Tirol herum. Das hat nichts mit der Bevölkerung, sondern mit den Viren zu tun. Als Bayer darf man mal kurz gegen die Österreicher Spaß machen, machen die umgekehrt auch. Deren Inzidenz ist gar nicht so hoch aktuell. Und sie behaupten, sie hätten es in den Griff bekommen. Wenn man ein Hochrisikogebiet an der Grenze hat, muss man zumachen und kontrollieren. Das geht nicht anders, sonst schwappt das rüber. Wenn Sie ein Gebiet haben mit einer niedrigen Inzidenz, und weiß, dass die ergriffenen Maßnahmen vernünftig sind, dann kann ich nur sagen, wir hatten auch die britische Mutante und haben die Grenzen zugemacht. Nach der aktuellen Definition müsste man sagen, Süddeutschland ist ein Mutanten-Gebiet für B1.1.7., die britische Variante. Und natürlich werden die anderen auch zu uns herüberkommen. Da ist die Frage, was ist die Strategie. Wollen wir NoCovid? Das geht ja nicht. Aber ist jetzt die Strategie No-Mutante? Das geht auch nicht.


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Die mischen sich auch rein und vermehren sich auch schneller.


Wir haben jetzt 2 -3 Mutanten unterm Mikroskop und gucken darauf wie die Maus auf die Schlange. Aber es sind viele weitere Mutanten im Umlauf, die wir gar nicht nachweisen. Deswegen können wir gar nicht alle Mutanten aufhalten. Bei einem Hochinzidenz-Gebiet müssen die Grenzen dicht gemacht werden, aber bei Mutanten nicht. Hier sollte lieber eine saubere Strategie gemacht werden, um klarzumachen, was erreicht werden soll.



Camillo Schumann

:


Da wäre also die Verlängerung der Grenzkontrollen zu Tschechien im Moment ein gangbarer Weg?



Alexander Kekulé:


Auf jeden Fall, mindestens die Grenzkontrollen. Man muss ja auch die Schicksale der Menschen, die da pendeln im Auge behalten. Es sind ja viele, die da Arbeit haben und hin und her fahren. Man muss die Leute wirklich erfassen. Die müssen eine Art Visum haben. Ich habe vorgeschlagen, das mit Plaketten zu machen wie bei Mautstationen in Frankreich und Italien. Da gibt es logistisch auch keinen Stau an der Grenze. Man muss das kontrollieren, sonst schwappen die Infektionen zu uns herüber.



Camillo Schumann

:


Man kann ja auch impfen. Da liegen ja noch ein paar Impfdosen herum.



Alexander Kekulé:


Ja, da kommen wir vielleicht heute noch drauf. Das ist in der Tat so. Ich würde es wahrscheinlich einfach so machen, dass ich sage, entweder regelmäßige Tests oder Impfung oder durchgemachte Infektion, die natürlich irgendwie nachgewiesen werden muss. Das ist ja dann für die, die weder die Infektion hatten noch sich dauernd testen


lassen wollen, auch eine Motivation, möglichst schnell bei der Impfung mitanzustehen.



Camillo Schumann

:


Was ich beim Betrachten der Zahl nicht so richtig verstanden habe: Sachsen ist ein wunderbares Beispiel, liegt an der Grenze zu Tschechien. Hier gab es ja bis um den Jahreswechsel enorm hohe Inzidenzwerte. Da ist die Zahl im Lockdown um die 80 Inzidenzwert. Und da gab es noch keine Grenzkontrollen. In Tschechien war der Inzidenzwert aber sehr hoch. Das verstehe ich nicht so richtig.


18:2 9



Alexander Kekulé:


Da stochern wir beide ein bisschen im Nebel, weil die Zahlen wenig verlässlich sind. Aber in den grenznahen Kreisen ist es schon rot auf der Karte. Das ist egal, ob Sie jetzt Bayern haben mit den Ostgrenzen oder Sachsen haben. Diese Landkreise, die da grenznah sind, sind schon eher rot bis dunkelrot. Und wenn da mal einer dazwischen ist, der keine hohe Inzidenz hat, dann weiß man auch nicht, ob das ein Erfassungsfehler ist. Das geht ja auch pro 100.000, da ist dann die Frage, wie viele Leute wohnen da überhaupt usw. Aber der Blick auf die Karte sagt schon, dass wir da, wo wir an der Grenze zu Tschechien sind, ein Problem haben. Die Österreicher haben ja genau das Gleiche mit der mit der Grenze zur Slowakei. Da ist es ganz genauso.



Camillo Schumann

:


Okay, also sozusagen der grobe Blick reicht da, um das Ganze einzuordnen?



Alexander Kekulé:


Ich würde dafür plädieren, bei so etwas nicht so kleinteilig zu sein, weil die Datengrundlage ungenau ist. Wir haben alle in der Schule gelernt, wenn Sie jetzt irgendetwas schätzen und sagen, na ja, ich habe irgendwie drei oder vier Äpfel zu Hause, dann können sie nicht sagen, ich habe 3,5000 Äpfel, sondern man


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muss einfach sagen, es ist ein Schätzwert. Und wir sind einfach insgesamt in dieser Pandemie – wie in jeder Katastrophe – ständig in der Lage, dass wir diese sog. 80/2 0 Entscheidungen nach einem Pareto-Prinzip treffen müssen. Und das ist hier auch wieder so. Es sieht verdammt so aus, als würden die Viren von da drüben rüberschwappen. Es ist sehr plausibel. Und das reicht für mich im Grunde genommen zu empfehlen, die Grenzen müssen kontrolliert werden.


2 0:07



Camillo Schumann

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Kommen wir zu einem weiteren wichtigen Thema. Aktuell wird in Deutschland über den Impfstoff von AstraZeneca heiß diskutiert. Da scheint eine große Verunsicherung vorzuherrschen. Deutschlandweit werden Impftermine abgesagt, wenn klar ist, dass man mit AstraZeneca geimpft wird. Hanno Kautz, der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, quantifiziert das mal ein bisschen:


2 0:32 


„15% des ausgelieferten Impfstoffes von AstraZeneca wurde bislang nur verimpft. Bis 2 3.02 . wurden 1,45 Millionen Dosen ausgeliefert. Verimpft wurden davon nur etwa 2 40.000.“


Tja, viel ist das nicht.



Alexander Kekulé:


Wenn die 15% deshalb nicht verimpft wurden, weil 85% die Impfung verweigern, ist das eine Katastrophe. Das wissen wir natürlich nicht. Es kann auch andere Gründe haben, dass das noch nicht an den Mann gekommen ist.


Wir sind ja in der Situation, dass wir nur diesen Impfstoff jetzt in großer Menge haben. Das ist nun mal so, kann man sich beschweren bei was weiß ich Frau von der Leyen, der Kommission, die sie beraten hat, dem Bundesgesundheitsministerium, was zu wenig Einfluss auf den Einkauf genommen hat usw.


Aber das ist ja alles verkochte Milch, wenn Sie so wollen. Jetzt stehen wir da und haben ein Instrument in der Hand, mit dem wir diese Pandemie endlich nach diesen ganzen Monaten in den Griff bekommen können. Nicht in dem Sinn, dass es diese 100% absolute Herden-Immunität gibt. Aber so in den Griff bekommen, dass es eine Alltagskrankheit wird. Da sollten wir jetzt nicht zögern, diese Rettungsleine zu ergreifen. Das ist ja so ähnlich wie jemand, der schon lange im Ozean getrieben hat und gewartet hat, bis er endlich gerettet wird, zwischendurch gedacht hat, er schafft es nicht mehr und stirbt und dann kommt ein Boot vorbei, schmeißt einen Rettungsring ab und man sagt, den will ich nicht. Da muss man zugreifen in dieser Situation, wenn man die Chance hat. Und auch wenn man unter Umständen nur den zweitbesten Impfstoff bekommt.



Camillo Schumann

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Grund für diese Impf-Zurückhaltung könnten ja auch kritische Berichte über den AstraZenecaImpfstoff sein. Sie haben es angesprochen. In Ausgabe 149 zum Beispiel haben Sie ihn als Impfstoff zweiter Klasse bezeichnet und auch begründet. Jeder, der Interesse daran hat, kann das auch in Ruhe noch einmal nachhören. Aber können Sie verstehen, dass Menschen sich dadurch verunsichern lassen, weil sie nicht die wissenschaftliche Draufsicht haben?



Alexander Kekulé:


Bei unserem Podcast glaube ich das nicht. Der Podcast hat ja den Vorteil, da darf man das sagen, weil man da die Chance hat, das immer zu erklären, wie das gemeint ist. Und ich habe in den Situationen dazu gesagt, es ist zwar der zweitbeste, aber das muss man machen. Das ist ja die Frage. Viele Diskussionen sind ja anders als das, was wir hier machen oder was in ausführlichen Gesprächssendungen gemacht wird, sondern sehr verkürzt ist. Und gerade wenn es dann so Richtung Twitter geht, 2 80 Anschläge oder so sind da erlaubt. Viele Virologen, da gehöre ich neuerdings auch dazu, twittern gelegentlich mal. Und dann


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muss man halt höllisch aufpassen, was da drinsteht und was insgesamt in den Social Media eingedampft ist. Da wird dann halt viel vermischt. Das ist keine leichte Situation. Aus meiner Sicht ist schon immer ein bisschen die Frage: Muss ich mich gegenüber meinen Hörern, die mich um eine Einschätzung bitten, irgendwie pädagogisch verhalten wie einem Kind gegenüber und sagen, ist schon nicht so schlimm, obwohl ich vielleicht selber ein paar Bedenken habe. Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass, wenn man die Sachen offen auf den Tisch legt, wenn man sagt, so und so sind die Fakten, es gibt Sachen, die dafür sprechen und Sachen, die dagegen sprechen. So beurteile ich das. Das ist für mich die nachhaltigere Diskussionsform. Sie erzeugt nachhaltiger Vertrauen, weil, selbst wenn jemand nicht jeden Satz komplett versteht, kann man das noch einmal anhören. Dann kann man noch mal nachschlagen. Dann kann er mit seinen Freunden darüber reden. Und ich glaube, dass wir insgesamt in der Republik, gerade was Virologie betrifft, uns enorm aufgeschlaut haben. Und deshalb finde ich, man muss das so diskutieren. Man darf nicht einfach nur sagen, wie das einige Politiker tun: AstraZeneca ist gut, und der Beweis ist, dass ich mich jetzt damit impfen lasse. Das beweist natürlich aus Sicht eines aufgeklärten Bürgers erst einmal gar nichts, sondern vielleicht nur, dass der Mann in Not war. Ich bin auf der Schiene, dass ich sage, man muss alle Fakten auf den Tisch legen. Ich gebe ja auch meine eigene Interpretation dazu. Die heißt in dem Fall: Man muss sich auf jeden Fall impfen lassen, wenn man die Chance hat. Das haben nicht viele, auch mit dem AstraZenecaImpfstoff. Und ich bin auch der Meinung, da ist das Thema immer, dass diese Nebenwirkungen am nächsten Tag so ein bisschen schwerer sind. Die Zahlen sehen so aus, als wäre es tatsächlich so. Die Impfreaktion scheint sich da nach den jetzigen Zahlen wieder zu ändern, dass man Fieber hat. Manche sagen, ich bleibe einen Tag im Bett. Diejenigen, die vielleicht einmal eine Gelbfieberimpfung oder so was abgekriegt haben – ich hatte mal das


Vergnügen früherdie wissen echt was Nebenwirkungen sind. Wenn man sich mal so ein Tag schlapp fühlt nach einer Impfung, ist nicht schlimm. Das war früher bei den ersten Impfstoffen, die überhaupt zu entwickelt worden absolut Standard. Dass wir solche Luxus-Impfstoffe haben, wo man hinterher total fit ist, ist eigentlich eine neue Entwicklung. Und darum kann ich nur sagen, lieber mal einen Tag schlapp fühlen. Da hat man einen guten Grund, mal zuhause zu bleiben, als sich dem Risiko einer Covid-19Infektion auszusetzen. Und man setzt ja nicht nur sich selber aus, sondern auch all die, die man anstecken könnte. Und da finde ich in der Gesamtbilanz, da muss man nehmen, was man kriegt, wie bei diesem Rettungsring beschrieben.



Camillo Schumann

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Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission Thomas Mertens spricht jetzt in Bezug auf den AstraZeneca-Impfstoff von einem gewaltigen Image-Problem. Wir hören kurz rein:


2 6:59


„Im Augenblick ist das halt einfach eine Psychose, die ausgebrochen ist und die jetzt schwer zu korrigieren ist. Der AstraZenecaImpfstoff war immer gut und wird jetzt durch die ganz neuen Studien immer besser. Insofern bin ich der festen Ansicht, dass diese Diskussion eigentlich eine irrationale Diskussion ist, sie jetzt irgendwann mal beendet werden sollte.“



Camillo Schumann

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Bevor wir jetzt auf die angesprochenen Daten kommen, teilen Sie seine Einschätzung?



Alexander Kekulé:


Nein, ich finde, jemand, der Sorgen hat, ist nicht psychotisch. Jemand, der Argumente gehört hat, die ihn beunruhigen, ist nicht irrational, sondern da muss man über die Argumente diskutieren. Beim AstraZenecaImpfstoff ist die Diskussion einfach blöd gelaufen. Insofern hat Thomas Mertens


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grundsätzlich Recht. Am Anfang hieß es „Vektor-Impfstoff = Virus“. Das kann sich im Körper vermehren. Bis sich dann geklärt hat, dass dieses Virus nicht vermehrungsfähig ist. Das war schon Überzeugungsarbeit. Nächste Stufe, das ist ein DNA-Impfstoff, der kann sich ins Genom einklinken. Da ist schon mal der Kommunikationsfehler gemacht worden, dass man gesagt hat, das gibt es überhaupt nicht. Das kann auf gar keinen Fall sein. Das hätte man am Anfang gleich erklären müssen. Doch das gibt es schon, aber extrem selten, extrem unwahrscheinlich, es ist noch nicht beobachtet worden. Aber so ist das Misstrauen gesät worden. Weil manche Leute gesagt haben, die Kritiker sind alle irrational, so etwas gibt es nicht. Und dann werden halt die Studien rausgezogen, wo man gezeigt hat, dass es so etwas eben doch gibt. Diese heterologe Rekombination zum Beispiel, die es bei Adenoviren selten gibt. Da musste man ein paarmal korrigieren. Und dann kam AstraZeneca selber mit dem Kardinalfehler und hat Daten vorgelegt, wo selbst die Fachleute gesagt haben, also so könnt ihr aber nicht rechnen. Und das alles zusammen macht bei einem neutralen Beobachter Skepsis. Ich meine ich jetzt nicht mich. Ich habe den Luxus, dass ich immer so ein bisschen hinter die Kulissen schauen kann. Aber bei jemandem, der jetzt sich nicht somit befasst, versteht das nicht. Der sagt, das schaue ich mir noch einmal an, bevor ich mich impfen lasse. Dann ist er für mich aber weder psychotisch noch irrational.



Camillo Schumann

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Und dann kommt der Kekulé und sagt auch noch Impfstoff zweiter Klasse.



Alexander Kekulé:


Aber ich habe es ja auch erklärt, warum. Ich will vielleicht noch einmal Folgendes spezifizieren, weil das ja auch von den Medien aufgenommen wurde. Es gibt also sehr gute und gute Impfstoffe sozusagen. Sehr gut sind im Moment die RNA-Impfstoffe und der von AstraZeneca ist gut. Viele wären froh gewesen, wenn sie die Note „gut“ im Abitur gehabt


hätten. Was ist der Klassenunterschied? Der Klassenunterschied bezieht sich nicht darauf, dass sozusagen die Impfreaktionen komplett in einer anderen Spielklasse wären. Oder dass die Wirksamkeit in einer anderen Spielklasse ist. Da kann man ja auf ganz verschiedene Weisen draufgucken. Sondern es ist deshalb eine andere Spielklasse, weil es ein Impfstoff ist, den man voraussichtlich nicht anpassen kann. Das ist eben das Hauptproblem. Aus 2 Gründen: Einen Vektor-Impfstoff anzupassen ist viel aufwendiger. Deshalb ist es so, dass wenn Mutanten kommen, man für die Anpassung des Impfstoffs solange brauchen würde, dass wir das mit dem Vektor-Impfstoff höchstwahrscheinlich nicht schnell genug hinbekommen würden. Und der andere Grund, warum die Anpassung mit einem großen Fragezeichen versehen ist, ist, dass es immer auch eine Immunisierung gegen den Vektor gibt. Darum haben die Russen beim GamalejaInstitut es so gemacht, dass sie für die erste Impfung und die Booster-Impfung 2 verschiedene Faktoren genommen haben. Darum hat Oxford/AstraZeneca gesagt, wir nehmen einen Adenovirus als Vektor, der kommt vom Affen, vom Schimpansen, damit wir sicher sind, dass dann noch keine Immunität in der Bevölkerung da ist, weil sonst der Impfstoff nicht wirkt. Darum gibt es diese merkwürdigen Daten, wenn man die erste Impfung bei AstraZeneca halbiert, dass der Effekt größer wird. Das hat wahrscheinlich mit der Immunisierung zu tun. Und das gleiche Problem wird uns möglicherweise auf die Füße fallen, wenn wir den Impfstoff anpassen, weil sie dann mit dem gleichen Adenovirus ein anderes Paket transportieren. Und diese Anpassung ist dann viel schwieriger. Wir können da nicht diese sog. Mockup-Zulassung machen, wie wir das in Europa bei den anderen machen wollen, dass man einfach sagt, ihr habt einen Impfstoff zugelassen, ihr dürft da drinnen ein bisschen was modifizieren und die Zulassung gilt dann trotzdem noch. Vielmehr wird man bei einem Vektor-Impfstoff aus den genannten Problemen aus meiner Sicht eine Mockup-Zulassung nicht machen


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können. Und aus all diesen Gründen ist es ein Impfstoff 2 . Klasse in der jetzigen Situation, weil er jetzt hilft. Man kann soll ihn jetzt nehmen. Aber er wird langfristig in dieser Pandemie keine so große Rolle spielen.



Camillo Schumann

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Und – um das vielleicht einschränkend auch noch zu sagen; die Stiko hat es ja auch selber gesagt –, dass er für die Alten nicht eingesetzt werden kann oder nicht eingesetzt werden sollte und gerade da, wo ja die Sterblichkeit besonders hoch ist.



Alexander Kekulé:


Das ist ein guter Punkt. Das ist bei unserem letzten Podcast noch Teil der Überlegung gewesen. Das ist ja ganz interessant, dass Karl Lauterbach das kann ich ja hier ausplaudern, weil ich es gestern im Fernsehen gesehen habe. Der hat gestern klipp und klar gesagt, er ist jetzt dafür, dass man den AstraZenecaImpfstoff auch bei Älteren verimpft. Er hat der Empfehlung der Ständigen Impfkommission jetzt widersprochen. Das ist schon tapfer. Und umgekehrt versteh ich dann, wenn jetzt Thomas Mertens, der Vorsitzende der Impfkommission, den wir gerade gehört haben, langsam nervös wird. Denn wenn jetzt selbst Experten wie Herr Lauterbach frontal gegen die Ständige Impfkommission losgehen und sagen, den kann man für alte Leute nehmen. Da wird der nervös und benutzt auch etwas stärkere Ausdrücke, um zu beschreiben, was in der Bevölkerung vor sich geht.



Camillo Schumann

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Aber Herr Mertens hat die neuen Daten angesprochen. Und er meinte damit eine sehr vielversprechende Studie aus Schottland. Dort wurden beide Impfstoffe ja verimpft, der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer und der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca. Und das Ganze mit dem extrem guten Ergebnis für Astra, was die Hospitalisierungsquote angeht, und das schon nach der 1. Impfung: 94% weniger Krankenhausaufenthalte nach einer Dosis AstraZeneca, das kann sich sehen lassen.


33:54



Alexander Kekulé:


Ja, das klingt gut. Man muss vielleicht vorneweg sagen, das ist als Preprint veröffentlicht worden. Und das ist diese sog. EAV2 -Studie. Die machen das schon länger. Das ist ein Dauerprogramm in Schottland. Und das Tolle daran ist, dass die das auf ihre mehr oder minder gesamte schottische Population von 5,4 Millionen Leuten beziehen. Und es ist so, dass von denen jetzt bis zum Zeitraum, den sie sich angeschaut haben, das war vom 18.12 .15. 02 . 35 Prozent derer, die geimpft werden sollten, nicht von der Gesamtpopulation, die erste Dosis bekommen haben. 1,14 Millionen, da muss man sagen, da sind wir schon ganz schön hinterher. Selbst wenn wir die Schotten als Vergleich nehmen. 35 Prozent von denen, die die Dosis bekommen sollten. Die haben in den Bevölkerungsdatenbanken nachgeschaut, wie es mit den Hospitalisierungen aussieht. Wie oft musste man ins Krankenhaus bei denen, die geimpft wurden, bei denen, die nicht geimpft wurden. Und dann hat man die miteinander verglichen. Und da ist ein klarer Effekt zu sehen. Und das ist eigentlich das Interessante bei dieser Studie: Bereits nach der ersten Impfung. Also das ist das wirklich, dass es hier sozusagen der Hammer, der da rausgekommen ist, dass man in so einer großen Studie einen ganz deutlichen Effekt auf die Krankenhauseinweisungen schon nach einer Impfung sieht. Das ist das, was bewiesen ist. Und dann haben sie noch in einer Nebenauswertung geguckt, wie ist bei dem Biontech/Pfizer-Impfstoff im Vergleich zum AstraZeneca ist. In Schottland wird beides verwendet. Die haben mit dem BiontechImpfstoff angefangen und dann haben sie Astra gekriegt und auch genommen. Übrigens in der Bevölkerung ohne großes Murren. Das ist nicht so, dass da so eine Diskussion wie bei uns war. Und da haben sie die Daten gesehen, wie sie jetzt sind: Die Hospitalisierungen gingen um 94% runter bei denen, die mit AstraZeneca geimpft wurden. Und um 85%


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runter, bei denen, die mit Pfizer geimpft wurde. Darauf bezieht sich wohl Mertens. Und darauf hat auch der Herr Lauterbach bezogen, der sagt, das beweist auch, dass AstraZeneca sogar besser ist als Pfizer.



Camillo Schumann

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Jede Studie hat Dinge, die man unbedingt betrachten muss, um die Daten besser einordnen zu können. Wo würden Sie hier ein bisschen Wasser in den Wein gießen?



Alexander Kekulé:


Der Wein besteht nur aus Wasser, um es knallhart zu sagen. Man kann auf Grund dieser Studie sagen: Die 1. Impfung wirkt schon. Das ist auch mir wichtig, weil ich empfehle, dass wir erst einmal impfen und dann weitersehen. Vor allem die Alten. Aber aufgrund dieser Daten kann man keinen Vergleich zwischen Pfizer und AstraZeneca vornehmen und sagen, der eine wäre besser als der andere. Man hat in Schottland mit AstraZeneca wesentlich später angefangen zu impfen. Zu dem Zeitpunkt war es so, dass man hauptsächlich die Alten damit geimpft hat. Ich weiß es nicht genau, warum das politisch so ist, aber es ist quasi so, dass sich AstraZeneca bei 75-Jährigen im Land zu 2 /3 verwendet wurde. Bei den 80Jährigen und Älteren, stieg der Anteil von AstraZeneca auf 80 Prozent. Da wurden nur 2 0 Prozent mit dem Pfizer-Impfstoff geimpft. Jetzt wissen wir alle, alte Leute kommen öfter ins Krankenhaus. Alte Leute sterben leider auch öfter. Wenn Sie also einen Impfstoff ganz massiv bei alten Leuten einsetzen, dann haben Sie natürlich einen deutlichen Effekt bei den Krankenhauseinweisungen. Das ist ja völlig klar. Wenn Sie einen 30-Jährigen haben und impfen, macht das Impfen bzgl. der Hospitalisierungsfrage keinen großen Unterschied, weil er sonst auch nicht so schwer krank geworden wäre. Und das ist die wichtigste Verzerrung. Das ist kein Fehler der Studie, sondern die haben einfach die Daten so ausgewertet. Das steht übrigens auch Schwarz auf Weiß in dem Paper drin. Man muss es nur lesen. Das bedeutet, dass AstraZeneca,


dadurch, dass es mehr bei alten Leuten eingesetzt wurde, einen deutlicheren Effekt auf die Krankenhauseinweisungen hatte. Der Unterschied liegt bei zehn Prozent in diesem Bereich. 94 Prozent versus 85 Prozent. Und da kann man nicht sagen, da ist der Impfstoff schuld, sondern das ist einfach das Setting insgesamt.


Anderer Punkt: Man muss Studien ja immer so anschauen, wo wie stark ist die Aussage, wie stark ist die Power von dieser Aussage. Wir haben schon über die Zulassungsstudien gesprochen. Da kommt es darauf an, wie viele Infizierte man hat, bei den Zulassungsstudien vom Pfizer zum Beispiel oder Moderna. Da haben die Zulassungsbehörden auch vorher schon gesagt, ihr müsst so viele Probanden haben, dass ihr mehrere hundert Infizierte bekommt, weil man nur dann den Effekt zwischen Kontrollgruppe, die nicht geimpft wurde, und der Gruppe, die geimpft werden, statistisch sauber herausarbeiten kann. Jetzt ist es so, dass die 85 Prozent bei der Studie von Pfizer, dass man sagt, Krankenhaus Einweisungen gehen um 85 Prozent runter. Das basiert auf 3.346 Probanden, und davon haben sich 18 infiziert, also 18 nur im Gegensatz zu einigen Hundert bei den Zulassungsstudien. Das heißt, dass es insgesamt schon mal eine schwächere Aussage ist. Die macht es nicht falsch deswegen, aber die könnte sich noch ändern durch weitere Daten. Jetzt kommt es aber: Die 94 Prozent AstraZeneca, wo sich jetzt alle draufstürzen, die basieren auf 52 1 Probanden und nur noch auf 2 Infizierten. Und weil man später angefangen hat und die Studie danach natürlich zu Ende war, ist auch der Erfassungszeitraum viel kürzer. Das heißt, der Beobachtungszeitraum dieser Personen war kürzer. Unterm Strich: Die Daten sind zu schwach, um ein Vergleich zwischen AstraZeneca und Pfizer zu machen. Sie zeigen aber eindeutig, dass die erste Impfung schon einen deutlichen Effekt hat.


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Camillo Schumann

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Der 1. Schuss wirkt also, auch wenn die Daten, wie Sie es gerade eben gesagt haben, ein wenig dünn sind. Aber nichtsdestotrotz mit Astra wurden die Älteren in Schottland geimpft und bei uns werden sie es nicht. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man das bei uns mal aufheben sollte.



Alexander Kekulé:


Ich kann mir vorstellen, dass der Kollege Lauterbach, der da mit dem Vorschlag vorgeprescht ist, darauf geguckt hat. Ich würde mal sagen, es ist genau, wie Sie sagen. Es ist ein deutlicher Hinweis in diese Richtung. Die Daten aus England insgesamt deuten darauf hin, dass man den AstraZeneca-Impfstoff durchaus auch bei Älteren zulassen könnte. Ich würde aber nicht so weit gehen und die Empfehlung der Impfkommission, die ja nun wirklich eine Institution in Deutschland ist, infrage stellen. Sondern ich bin ganz sicher, dass die sich regelmäßig über die Daten beugen. Die schlafen auch nicht zwischen ihren Sitzungen, sondern lesen munter und telefonieren munter weiter. Und wenn die der Meinung sind, man kann das jetzt auch für Ältere einsetzen, dann werden sie das ohne Verzögerung rausbringen. Die Ständige Impfkommission macht das ja auch bei anderen Impfstoffen andauernd. Darum heißt es ja „ständig“, dass sie ständig etwas ändert. Da wird dann mal diese Impfung für das Alter empfohlen oder hier schärft man was nach oder ändert man was. Da würde ich mich darauf verlassen, dass die das richtig machen. Ich würde nicht so weit gehen, da eine Gegenmeinung aufzubauen.



Camillo Schumann

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Aber ich kann ja mal eine Frage stellen. Das bietet sich an.



Alexander Kekulé:


Ich bin sicher also, dass man sich das da anschaut. Noch einmal für Leute, die sagen Mensch, da gibt es so viele Studien. Was wir


zum Beispiel Edinburgh haben und was wir jetzt insgesamt haben, da kommen ja immer mehr Studien. Wir werden vielleicht noch über Israel sprechen. Das sind ja alles Beobachtungsstudien. Das heißt, wir gucken uns die Realität an und versuchen, die Daten zu extrahieren. Das ist immer sehr stark störungsbefangen. Der Vorteil ist: Man hat viele Daten meistens. Aber der Nachteil ist: Man hat viele Störfaktoren, zum Beispiel die Frage, wann wurde der Impfstoff eingeführt. Deshalb sagen wir eben in der ImpfstoffForschung und -Zulassung vor allem, wir brauchen für die Zulassung eine saubere Zulassungsstudie. Und das muss eine klare FallKontroll-Studie sein, in der von vornherein alle Bedingungen so sind, dass man die Population ausgesucht hat, die Hälfte wird geimpft, die andere nicht. Keiner weiß, wer die Impfung bekommen hat, am besten auch die Impfärzte nicht. Das hat jetzt in dem Fall nicht ganz geklappt. Aber unterm Strich ist es so, dass die Aussagekraft von so einer Studie, wie diese Zulassungsstudien, über die wir im letzten Jahr ja viel gesprochen haben, viel stärker als eine nachträgliche Beobachtungsstudie ist. Und deshalb warne ich davor, das einfach so in einen Topf zu werfen. Die ImpfkommissionsMitglieder wissen das natürlich alles. Und deshalb sagen die, gut, da ist jetzt mal aus Edinburgh eine Beobachtung gemacht worden. Aber da warten wir doch noch einmal ab, bis wir bessere Daten haben, die vielleicht auch aus kontrollierten Studien stammen.


44:32 



Camillo Schumann

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Jetzt saß er, der erste Schuss mit Astra, schon gut. Es müssen aber nicht immer 2 Schüsse sein. In den USA steht ja der Vektor-Impfstoff von Johnson&Johnson vor einer Notfallzulassung. Und das Besondere an diesem Impfstoff ist ein One-shot-Impfstoff, es reicht also nur einen Schuss. Der Impfstoff lässt sich auch noch leichter lagern und transportieren, ungefähr drei Monate bei Temperaturen zwischen 2 °C und 8°C. Das ist


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also der ideale Impfstoff für die Hausarztpraxis um die Ecke. Was halten Sie von diesem Impfstoff?



Alexander Kekulé:


Er ist neu, da wissen wir es noch nicht genau. Aber die Idee ist, dass man sagt, ein Schuss reicht. Das hat Johnson und Johnson von vornherein gesagt. Es ist auch so ein VektorImpfstoff. Und das Gute ist hier, es wird gezeigt, dass man auch mit einer Impfung wirklich die Immunisierung hinbekommt. Die Ergebnisse sind noch nicht spruchreif. Die haben zwar 40.000 Probanden insgesamt gehabt, aber es ist so, dass die Impfeffektivität schwankt. Und zwar ist es so, dass in den Vereinigten Staaten die Schutzwirkung mit diesem Johnsen-Impfstoff bei 72 % lag. Jetzt werden einige sagen, ja, das ist aber wieder weniger als der mRNA-Impfstoffe. Ich würde mal sagen, es kristallisiert sich heraus, dass diese Vektor-Impfstoffe nicht ganz so potent sind wie die RNA-Impfstoffe. Das ist wieder so ähnlich wie Oxford. Und das Problem ist aber die Vergleichbarkeit. Und zwar deshalb, weil diese Studie viel später angefangen wurde. Und da haben sich auch in den USA so nach und nach die Mutanten ausgebreitet. Deshalb wissen wir nicht genau, ist diese Wirksamkeit bezogen auf eine Mischung, wo jetzt die Mutanten schon da sind, und den alten Virustypen, oder ist es noch bezogen auf die alten, weil wenig Varianten in dieser Studienpopulation waren. Man hat es nicht untersucht. Ein Hinweis, dass die Varianten eine Rolle spielen könnten, ist folgender: Die amerikanische Zulassungsbehörde hat in dem Bericht geschrieben, das die mittlere Effektivität dieser Vakzine bei 67 Prozent liegt. Wenn man das aufschlüsselt, ist es so, in den USA-Studien waren es 72  Prozent. Die haben aber zugleich in Südafrika eine Studie gemacht. Hätten Sie vielleicht lieber nicht machen sollen. Da waren es nämlich nur 64 Prozent. Was heißt das? In Südafrika wissen wir eben, dass diese südafrikanische Variante unterwegs ist. Von der wissen wir auch, dass der AstraZeneca-Impfstoff überhaupt nicht wirkt.


Das ist noch mal ein Punkt in Sachen 1. Klasse/2 . Klasse. Und dann gibt es noch einen anderen, der dort ausprobiert wurde von Novavax, der es dort nur bei etwa 50 Prozent Wirksamkeit in Südafrika. Das heißt, offensichtlich ist es so in Südafrika, wo die neue Variante der dominante Typ ist, wirkt dieser Johnsen-Impfstoff deutlich schlechter als in USA. Das ist für mich so ein Hinweis in die Richtung, dass wir mit diesem Vektor-Impfstoff ein ähnliches Problem kriegen könnten, wie wir es bei AstraZeneca schon definitiv haben, dass die südafrikanische waren, die Variante und dann höchstwahrscheinlich auch die brasilianische gar nicht mehr ausreichend abgehalten werden.



Camillo Schumann

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Johnson/Johnson die gehören ja zu den sechs Firmen, die einen Liefervertrag über CoronaImpfstoffe mit der EU haben. Also der sollte jetzt auch nicht gekündigt werden, oder?



Alexander Kekulé:


Nein, das würde ich nicht machen. Man muss mal sehen, wie es weitergeht. Das kommt darauf an, wie das mit den Varianten bei uns weitergeht. Und das ist auch ein Grund und fast schon einen Appell, sich möglichst schnell mit dem Zeug impfen zu lassen, was gerade verfügbar ist. Egal, was es ist, auch wenn AstraZeneca draufsteht. Warum? Weil wir nicht wissen, was das Virus inzwischen macht. Oder eigentlich wissen wir es ganz genau. In Tirol wartet schon die südafrikanische Variante, irgendwo anders in Deutschland sitzt sie wahrscheinlich schon. Und auch wenn die Bayern immer auf die Österreicher schimpfen, sind sie insgeheim ja eng miteinander verbunden, sodass ich jetzt vermuten würde, dass auch die eine oder andere südafrikanische Variante schon mal Urlaub in den bayerischen Alpen gemacht hat. Und deshalb müssen wir davon ausgehen, das kommt so nach und nach zu uns. Und dann gibt es noch mit Sicherheit zehnmal so viele andere Varianten, die wir noch überhaupt nicht auf dem Schirm haben, die sich aber auch ausbreiten. Geimpft zu sein


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ist allemal besser, als nicht geimpft zu sein, weil man eben dann höchstwahrscheinlich nur einen milderen Verlauf der Krankheit bekommt. Und die Daten aus Israel, über die wir sprechen werden, sind ja tatsächlich so, dass sie, dass sie das andeuten, dass man, wenn man geimpft wurde, auf jeden Fall einen milderen Verlauf hatte.



Camillo Schumann

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Wir haben wir schon die schottische Studie besprochen, in der auch die Grundgesamtheit, was jetzt Pfizer und AstraZeneca angeht, sehr klein war. Sie haben jetzt die israelischen Daten angesprochen. Da geht es um weit mehr Menschen. Da reden wir über 600.000 Menschen. Wie hat sich das auf die Ergebnisse ausgewirkt?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so, dass wir aus Israel jetzt die zweite Studie haben. Es gibt ja dort diese riesen Versicherungen, insgesamt wohl vier Versicherungen, jeder Israeli muss da versichert sein. Wir haben die Makkabi-Studie besprochen vor einiger Zeit, wo herauskam, dass das tatsächlich auch so eine Art Herdenimmunisierung da eintritt, dass man auch das Virus nicht weitergibt, wenn man geimpft ist. Der größte Versicherer dort heißt Clalit. Das heißt auf Deutsch so etwas wie Allgemeine Versicherung. Das war früher mal die allgemeine Arbeitervereinigung, aus der das hervorgegangen ist. Israel war ja früher in seinen Anfängen ein sehr sozialistischer Staat. Und aus der Zeit gibt es diese Versicherung. Und die ist deshalb super stark, die hat die Leute alle erfasst. 53 Prozent der Bevölkerung sind in der Versicherung, und deshalb konnten die aus dem Vollen schöpfen. Und eben so grob gesagt 600.000 Geimpfte mit 600.000 Nichtgeimpften 1:1 vergleichen im Zeitraum 2 0.12 .-01.02 . Das ist schon eine riesige Datenmenge. Und da haben die festgestellt, wenn man jetzt die ersten zwölf Tage nach der ersten Impfung weglässt – warum lässt man die weg? Weil man da nicht weiß, ob jemand, der positiv wird, sich schon vorher infiziert


hat? das sieht auch, sah auf den da bei den Daten auch bei den Zulassungsdaten immer sehr deutlich so aus, als würden in den ersten zwölf Tagen Infektionen auftreten bei Leuten, die sich schon vor der ersten Impfung geimpft haben. Und deshalb haben sie die hier weggelassen, was ich richtig finde. Sie schauen sich deshalb zum Beispiel Tag 14 bis 2 0 oder Tag 2 1 bis 2 7 nach der ersten Dosis an. Was sehen wir da? Wir sehen: die erste Dosis kann auch hier wieder ganz klar die Infektion verhindern. Aber die Zahlen sind nicht so dramatisch wie in Schottland. Wir müssen hier den Pfizerwert nehmen, weil Israel nur Pfizer hatte. Es konnten dort 85 Prozent der Hospitalisierungen verhindert werden bei der schottischen Studie. Und hier, wo man jetzt viel mehr Daten hat und die genau die gleiche Zahl anschaut, landet man bei 78 Prozent, also nur 78 statt 85. Nach der 2 . Impfung geht es natürlich nach oben. Daran sehen wir: Wenn man eine höhere Zahl hat von Probanden, dann wird dieser Effekt unter Umständen etwas kleiner. Zumindest in Israel war es so.



Camillo Schumann

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Und man muss sich den Betrachtungszeitraum auch noch einmal anschauen und dort die Verbreitung der einzelnen Varianten. Hat das auch einen Einfluss?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist eben ganz wichtig. Und deshalb ist es auch so interessant, sich das anzuschauen. Die haben leider nicht gewusst, wer von ihren Versicherten jetzt die B1.1.7 hat. Aber man weiß, dass im Lauf dieser Studie, die bis Anfang Februar ging, der Anteil an B1.1.7 in Israel in einigen Regionen bis auf 80 Prozent hochgegangen ist. Genauer muss man sagen, in einigen Krankenhaus-Bezirken, weil diese Versicherer eigene Krankenhäuser haben. Aber zum Teil haben die 80% B1.1.7, also diese britische Variante, gehabt, sodass man sagen muss, das, was wir in Israel sehen, diese Schutzwirkung nach einem Schuss, ist eine Mischkalkulation zwischen der alten Variante und der neuen. Wir wissen zwar, dass Biontech


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auch bei der neuen schützt. Aber es könnte natürlich sein, dass es damit zusammenhängt, dass der erste Schuss noch nicht so wirksam ist. Zugleich ist es so, dass die ja mitten in einen Ausbruch reinimpfen, also in Israel. Die haben zum Teil Inzidenzen bei 400. Und da machen die ihre Impfkampagne. Gegen den Sturm arbeiten die dort. Und deshalb ist es so, dass man auch bei dieser Studie eine Verzerrung dadurch hat, dass viele Neuinfektionen auftreten, während die Leute geimpft werden. Insgesamt kann man auch hier noch einmal ablesen: eine Impfung ist ein ganz deutlicher Effekt bei den Hospitalisierungen, eben 78 Prozent. Und das sieht man hier nämlich so super toll bei dieser großen Zahl von Probanden, die da genommen wurde, dass es einen Anstieg gibt bei der Wirksamkeit solcher Vakzine zwischen der Infektion, der schwereren Infektion Erkrankungen bis hin zum Tod. Wenn man nur guckt, wie stark wird die Infektion verhindert, dann liegt es da zum Beispiel bei 60 Prozent, symptomatische Erkrankungen 66, Hospitalisierung 78 Prozent, schwere Erkrankungen 80 Prozent. Das heißt, es steigt an, je härter das Ergebnis ist. Was bedeutet das? Wenn wir jetzt bei Impfstoffen AstraZeneca sagen, naja, die Erkrankung wird ja nur zu 70 Prozent verhindert, dann können wir trotzdem davon ausgehen, dass schwere Erkrankungen und Todesfälle zu einem deutlich höheren Prozentsatz verhindert werden. Das zeigen alle diese Studien. Hier ist es eine, wo es besonders schön nebeneinander steht, weil man so viele Daten hatte. Der Effekt für die schweren Verläufe und für die Todesfälle ist immer höher als das, was bei den Zulassungsstudien sozusagen in Bezug auf das Auftreten überhaupt eine irgendeiner symptomatischen Erkrankung festgestellt wurde.



Camillo Schumann

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Alle diese Studien, die wir besprochen haben, gibt es auch als Link in der Verschriftlichung dieses Podcasts, wie immer unter jeder Folge auf www.mdr-aktuell.de.


Wer dann noch etwas braucht zum Einschlafen zum Beispiel. Das liest sich bestimmt auch gut nach der zweiten Seite.



Alexander Kekulé:


So viel Zahlen! Meine Studenten werden dann immer müde, wenn ich so viele Zahlen habe. Aber es ist halt mal so.



Camillo Schumann

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Wir sind fast am Ende der Sendung. Ich würde gerne abschließend mit Ihnen eine provokante These besprechen, und zwar Gurgeln statt Lockdown. Das sage nicht ich, sondern der Facharzt für Hygiene, Professor Klaus-Dieter Zastrow. Den kennen sie sicherlich auch. Und von der „Bild“ ist er mal liebevoll „der Hygienepapst“ genannt worden. Und eben dieser „Hygienepapst“ hat bei „Phoenix“ Folgendes gesagt:


56:14


„Wenn die Mundhöhle desinfiziert werden würde von den Bürgern, dann sind da keine Viren mehr. Und dann kann man auch niemanden anstecken. Und das haben die Herren und Damen Mathematiker, die irrsinnige Vorstellungen konstruieren, noch nicht verstanden. Da, wo kein Virus ist, gibt es auch keine Verteilung. Und wir desinfizieren uns die Hände. Jeder weiß das, jeder akzeptiert das, jedem ist das völlig klar. Und jetzt frage ich mal, warum desinfizieren wir uns nicht die Mundhöhle, da, wo das Virus sitzt? Also wir müssen an der Quelle ansetzen und das Virus abtöten, inaktivieren. Und dann kann man alles aufmachen.“



Camillo Schumann

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Mensch, wir machen seit Monaten Lockdown.



Alexander Kekulé:


Wir hätten das Handdesinfektionsmittel einfach gurgeln müssen. Ich will mich nicht darüber lustig machen. Die Überlegung hatten wir schon ganz oft besprochen, es gab Hörerfragen rauf und runter mit allen


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möglichen Ideen, wie man sich den Rachen desinfizieren könnte.


Der Unterschied zwischen der Händedesinfektion und der Desinfektion des Halses ist folgender: An den Händen wächst das Virus nicht nach. Wenn ich die Hände einmal desinfiziert oder auch gewaschen habe – ich bin ja gar nicht so für Desinfektionsmittel –, dann ist das Virus erst mal weg. Da muss ich schon erst mal in den Rotz von irgendjemand anders reinfassen, damit ich wieder etwas an der Hand habe. Darum halte ich die HändeDesinfektion hauptsächlich für einen psychologischen Effekt, hat vielleicht auch einen kleinen epidemiologischen Effekt. Aber sie wird überschätzt. Wie würde man den Hals desinfizieren? Sie würden vielleicht mit irgendeinem Desinfektionsmittel, da, wo man beim Gurgeln hinkommt, spülen. Das kann das Virus dann momentan dann entfernen. Ich habe gehört, dass Sportler, die solche Tests ja jetzt auch machen müssen, da munter irgendwelche Suppe vorher trinken und Gurgeln und sonst was machen, damit sie beim Schnelltest negativ werden. Das geht schon. Man kann das Virus wegspülen oder auch wegdesinfizieren, wie man das nennen will. Das ist nur so: Diese Schleimhaut produziert ja das Virus ständig nach. Ich weiß nicht genau, nach wie vielen Minuten, aber ich würde wetten, nach einer Stunde haben sie dann wieder genug im Hals, um doch dann wieder den nächsten anzustellen stecken. Und die Frage ist dann, wie gut wirkt das.


Wenn Herr Zastrow ein Experiment macht, wo er ein paar hundert Leute hat, die alle gurgeln und ausprobiert, ob das wirklich funktioniert, wie oft man gurgeln muss, dann bin ich da auch dafür.


Also gurgeln statt Pandemie, dafür bin ich immer, das würde ich unterschreiben, wenn es funktioniert. Ich würde vielleicht für meine Kinder noch ein Plädoyer einlegen. Bonbon statt Pandemie wäre vielleicht noch eine Steigerung, weil das ja auch kontinuierlich wirkt. Und vielleicht gibt es irgendwelche


Bonbons, die man lutschen kann, die auch eine Desinfektionswirkung haben. Aber sie merken schon, da fehlen einfach die Daten. Nette Idee. Aber da fehlen die Daten.


59:00



Camillo Schumann

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Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Frau Schneider hat eine Mail geschrieben:


„Eine Woche, nachdem Kitas und Grundschulen geöffnet hatten, bekamen wir die Mitteilung, dass unser Kind als Kontaktpersonen 1 zu einem an Covid erkrankten Kind 14 Tage in Quarantäne muss. Daraufhin haben wir die 2  älteren Geschwister beide in der Grundschule vorsorglich auch erst einmal zu Hause gelassen, um mögliche Ketten zu unterbrechen. Wir haben in dem Zusammenhang festgestellt, dass sehr viele Eltern, weil man es eben darf, die Geschwister von einer Kontaktpersonen 1 weiter in Schule und Kita schicken. Was halten Sie von der Regelung, dass Geschwister von Kontaktpersonen Schulen und Kitas weiter besuchen dürfen?“



Alexander Kekulé:


Ganz ehrlich gesagt, das ist eines der Themen, wo ich auch Probleme habe, weil Geschwisterkinder im ähnlichen Alter sind und miteinander spielen, dann kriegt es der andere auch. Ob man es bemerkt oder nicht, weiß man nicht. Aber früher oder später. Das wäre ja ein Wunder, wenn es da nicht zu einer Ansteckung käme. Und die meisten, nach meines Wissens sogar alle Regelungen in den Bundesländern, sehen vor, dass die Geschwister der Kontaktpersonen ersten Grades, also derer, die jetzt wirklich ein ernstes Risiko haben, sich angesteckt zu haben und in Quarantäne sind, dass die weiter nicht nur in die Schule gehen dürfen, sondern müssen. Das ist so.



Camillo Schumann

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Durch die neue Verordnung ist ja die Präsenzpflicht aufgehoben worden. Schulpflicht besteht, aber die Präsenzpflicht


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aufgehoben worden. Aber noch mal, wäre es sozusagen eine Empfehlung, dann auch zu sagen, okay, wir lassen die Kinder zu Hause? Und müssten dann möglicherweise auch die Verordnung geändert werden?



Alexander Kekulé:


Ich würde das ganze Thema Schule noch einmal grundlegend überarbeiten. Ich habe den Eindruck, dass das gerade in der Mache ist. Und dazu gehört sicher, wenn er ein Geschwisterkind in einer Ausbruchssituation mit dabei war, das ist ja dann das Typische bei Kontaktperson 1. Dann würde ich die Geschwister auch zu Hause lassen, sicherheitshalber, denn es kommt ein bisschen darauf an, ob sie sich schützen können. Wenn Sie natürlich einen 16-Jährigen haben, der wirklich aufpasst, nur seine FFP-Maske aufhat und vernünftig ist, ist das was anderes, als wenn sie ein Kind haben, was in der ersten Klasse ist.



Camillo Schumann

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Damit sind wir am Ende von Ausgabe 152 . Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann zu einem Hörerfragen Spezial.



Alexander Kekulé:


Gerne. Da freue ich mich drauf, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Sie haben auch eine Frage, twittern Sie doch Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekule, schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 3.02 .2 02 1 #151: Selektive Maßnahmen ersetzen Lockdown 

Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung


Mutation B.1.1.7 länger infektiös, aber keine größere Viruslast: https://dash.harvard.edu/bitstream/handle/1/ 37366884/B117Trajectories_10Feb2 02 1.pdf


00:10



Camillo Schumann

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Dienstag, 2 3. Februar 2 02 1. Stehen wir vor einer dritten Welle?


Die Schulen und Kitas öffnen in zwölf Bundesländern wieder. Wann wird sich die Schulöffnung im Infektionsgeschehen bemerkbar machen?


Außerdem: Spannende Harvard-Studie zur Mutation B1.1.7.


Und: Wenn es bald Selbsttests für Zuhause gibt, verlieren wir da nicht die Kontrolle über das Infektionsgeschehen?


Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei „MDR Aktuell. Das Nachrichtenradio“. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo Herr Schumann, willkommen zurück.



Camillo Schumann

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Sie haben sich doch bestimmt auch über das vorfrühlingshafte Wetter der vergangenen Tage gefreut, oder?



Alexander Kekulé:


Natürlich freue ich mich. Virologen sitzen ja nicht nur im Labor, sondern dürfen auch mal zwischendurch die frische Luft genießen. Kurz!



Camillo Schumann

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Aber nur ganz kurz (lacht). Ihr Kollege Karl Lauterbach sorgt aber sofort dafür, dass sich die gute Laune erst gar nicht durchsetzt. In einem Interview hat er gesagt, die dritte Infektionswelle hat angefangen und lässt sich nicht mehr aufhalten. Lesen Sie das auch aus den Daten und teilen Sie seinen Pessimismus?


01:2 6



Alexander Kekulé:


Wenn Sie „Welle“ in dem Sinn meinen, dass die Zahl der Infektionen massiv wieder hochgeht, würde ich sagen, da hat er nicht Recht. Es gibt eine Verschiebung von dem bisherigen Typ zu neuen Typen, speziell B1.1.7, im Moment. Und wenn Sie die Kurve für B1.1.7 separat aufzeichnen würden für Deutschland, würde man sehen, dass das B1.1.7 im Januar nahe bei Null war und im Moment exponentiell ansteigt. Aber das ist eine Bewegung innerhalb der gesamten Viruslast, die wir haben. Ich glaube nicht, dass es – bloß weil eine neue Variante da ist – ausgeschlossen ist, dass wir mit den Maßnahmen das Virus eindämmen können. Wir haben dieses Plateau erreicht von ungefähr 60, in der Größenordnung. Da sind offensichtlich die antipandemischen Maßnahmen ausgereizt. Nach meiner Interpretation ist es so, dass wir in der Situation sind, dass wir genug getan haben, um auf 60 zu kommen. Warum man nicht auf Null kommt, hat viele Gründe.


Einer ist wahrscheinlich, dass ein Teil der Bevölkerung zunehmend sauer ist und nicht so richtig mitmacht bei den antipandemischen Maßnahmen, z.B. wenn man merkt, dass man Symptome hat, gar nicht zum Arzt geht, weil man nicht isoliert werden will und nicht will,


dass alle Freunde in Quarantäne kommen usw., sondern denkt, man kann das privat managen.


Ein anderer Grund ist dieses Prinzip, dass man im Innenraum, auch wenn man 1,5 m auseinander ist und vielleicht eine Plexiglasscheibe dazwischen hat, sich trotzdem infizieren kann durch Superspreading. Dieses Prinzip ist uralt. Wir wissen das seit 2 003 von SARS. Dass man das gerade in der Arbeitswelt noch nicht richtig verstanden hat oder sich konsequent dagegen wehrt. Das heißt, es gibt Situationen in der Arbeitswelt, wo es weiter zu Infektionen kommt. Und darum haben wir dieses Basislevel von 60. Wenn Sie davon wirklich runter wollen, Richtung No-Covid, müssen sie drakonische Maßnahmen, wie das in China passiert ist, ergreifen. Da können Sie schon auch auf Null runterkommen.


Aber ich will noch mal betonen: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Tatsache, dass wir auf diesem Plateau festgefahren sind, irgendwas mit den Varianten zu tun hätte. Wenn Sie die Tür aufmachen und draußen steht die Variante, kommt die Variante rein, und wenn Sie die Tür aufmachen und draußen steht da der vorherige Typ, kommt der vorherige Typ rein. Aber Voraussetzung ist immer, dass Sie dem Virus die Tür öffnen.


04:02 



Camillo Schumann

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Während wir dieses Plateau erreicht haben, läuft sich die Politik gerade für weitere Lockerung warm. Regierungssprecher Steffen Seibert formuliert das so – und versucht auch, den Begriff „Welle“ in diesem Zusammenhang positiv umzudeuten.


„Die erste Öffnungswelle rollt ja derzeit schon zur Zeit mit Schulen in einer Reihe von Ländern, Kitas, aber auch Gartenzentren, Baumärkte usw.; am 1. März kommen noch die Friseursalons dazu.“


Wie nehmen Sie das wahr? Zum einen stagnieren die Infektionszahlen, nehmen hier und da ein bisschen zu. Die Mutation ist die


große Unbekannte. Wir haben darüber gesprochen. Aber trotzdem denkt die Kanzlerin in Vorbereitung der nächsten Sitzung mit den Ministerpräsidenten laut über sog. Paketlösungen für Lockerungen nach. Ist das so ein Momentum, wo man gar nicht mehr anders kann? Fast unabhängig davon, wie die Infektionslage ist? Der Druck ist zu groß ist es meine Wahrnehmung. Ist das auch Ihre?


04:59



Alexander Kekulé:


Ja, das ist schwierig. Ich bin immer froh, dass ich nur Virologe bin und aus fachlicher Sicht so etwas kommentieren darf und nicht Politiker geworden bin. Hut ab vor denen, die in diesen Situationen die Entscheidungen treffen. Wenn man von einer Öffnungswelle spricht, habe ich spontan an die Wellen gedacht, nach der sich die Fußballfans sehnen im Stadion, die sogenannte Ola, die spanische Welle. Das ist eine tolle Sache. Aber wo ist der Unterschied? Wo ist die Grenze zwischen Öffnungswelle und Öffnungsorgie? Ja, das ist so ein bisschen die Frage. Was man sich überlegen muss, ist: Mach ich auf in dem Sinn, dass ich öffne, das ist die Öffnungswelle – die Kanzlerin hat im Sommer mal zu Recht vor Öffnungsorgien gewarnt – oder ändere ich die Strategie in dem Sinn, dass ich nicht für das Virus aufmache, also selektiv. D.h., ich erlaube Dinge, aber ich mache es so, dass das Virus sich trotzdem nicht richtig ausbreiten kann. Vielleicht ein bisschen, aber nicht richtig. Z.B.: Ich mache die Frisöre auf, aber ich mache Schnelltests verpflichtend für die Friseurin, weil eine FFP2 -Maske durchgehend zu benutzen, wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Aber vielleicht funktioniert sogar das beim Friseur. Aber bei der Massage oder wo man keine FFP2 -Maske tragen kann, da sage ich, da ist dann der Schnelltest verpflichtend vorher. Das wäre der Ersatz eines Lockdowns durch eine selektive, angemessene Maßnahme. Und das ist keine Öffnung in dem Sinn, denn ich erlaube zwar bestimmte Tätigkeiten wieder, aber die Sicherheitsmaßnahmen, die ich eingezogen habe, machen, so sage ich mal, 90-95 %


Schutz. Das wird nicht mehr hundertprozentig sein. Das muss man offen sagen, dass man immer, wenn man was erlaubt, selbst wenn man gute Gegenmaßnahmen hat, dass man gelegentlich mal auch Pech hat, dass einer morgens mit einem Schnelltest getestet wurde und nachmittags doch positiv geworden ist. Wenn Sie heutzutage als Gast in eine Fernsehsendung müssen, kriegen sie vorher eine E-Mail geschickt, dass Sie bitte vom gleichen Tag einen Antigen-Schnelltest mitbringen müssen. Und zwar nicht erst seit gestern. Das ist schon ewig lang so. Die Bundesliga hat – da habe ich mich ja frühzeitig in dieser Richtung geäußert – ein Schutzkonzept entwickelt, wo die Fußballer halbwegs geschützt werden. Wir sprechen nicht von irgendwelchen FC BayernLieblingsleuten, die wieder abreisen mussten. Aber in der Regel sind die Fußballer so halbwegs geschützt. Und solche Konzepte gibt es, das funktioniert gut. Klar, da haben Sie den Einzelfall, da gibt es einen Thomas Müller, der doch irgendwie infiziert ist, aber im Großen und Ganzen funktioniert das Prinzip. Und so ähnlich stelle ich mir das für die Gesellschaft auch vor. Wenn die Kanzlerin von „Paketen“ spricht, wenn die Kanzlerin aktuell auch den Bundesgesundheitsminister ausgebremst hat bei seiner Idee, ab 1. März die AntigenSchnelltests in Apotheken zu verteilen, und sagt, nein, das machen wir lieber im Rahmen einer größeren Lösung, dann ist meine Hoffnung – wenn ich mal Kaffeesatz lesen darf – dass ein smartes Konzept am Schluss rauskommt. Es könnte sein, dass die Kanzlerin so etwas gerade ausbrütet, und das wäre ja von Vorteil. Also nicht lockern, sondern andere Maßnahmen, die selektiver sind und uns deshalb besser Luft zum Leben lassen.


08:2 8



Camillo Schumann

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Das wäre dann wirklich eine Paketlösung, wo alles mit drin ist, wo man das bei bestimmten Bereichen versucht. Ein Versuch vollzieht sich ja gerade in Niedersachsen, und in Sachsen haben sie es schon vorgemacht. Jetzt ziehen


weitere zehn Bundesländer nach oder sind nachgezogen. Sie öffnen Grundschulen und Kitas und starten wieder mit Präsenzunterricht, häufig im Wechselmodell mit halben Klassen, die abwechselnd zur Schule kommen, mancherorts auch im Vollbetrieb in festen Gruppen. In den Kitas werden wieder mehr oder alle Kinder betreut. Die Einzelheiten regelt – wie so häufig in der Pandemie – jedes Bundesland für sich. Herr Spahn knüpft an die Öffnung der Kitas und Schulen so einiges:


„Was wichtig ist, ist, dass wir schrittweise schauen, welche Veränderung bringt die Öffnung von Kitas und Schulen beim Infektionsgeschehen. Wenn wir da trittsicher sind, können wir auch einen weiteren Schritt gehen.“


Wie bewerten Sie den Umstand, die weiteren Lockerungen von der Entwicklung in Kitas und Schulen abhängig zu machen? Nichts anderes sagt er ja damit, oder?



Alexander Kekulé:


Das habe ich auch so gehört. Na ja, wir wissen ja, dass Kinder anders sind. Also das habe ich mir erlaubt, während Sie Kurzurlaub gemacht haben oder auf einem anderen Kanal gesprochen haben, im Podcast noch mal zu thematisieren. Es ist ja so, dass die CDC klar gesagt hat nach Auswertung aller Studien, sie ist da zum gleichen Ergebnis gekommen wie wir schon länger: Dass Kinder nicht so infektiös sind wie Erwachsene. Warum das biologisch so ist, darüber haben wir schon viel gesprochen. Letztlich ist es so: Es gibt eine Übertragung durch Kinder, ja. Aber – so meine Arbeitshypothese – es ist nach wie vor so, dass sie kürzer infektiös sin, vielleicht nur einen halben Tag oder einen Tag lang. Wenn man weiß, dass sich Kinder komplett anders verhalten und dass sich auch die antiepidemischen Maßnahme – also das Tragen von Masken, Abstände einhalten, Händewaschen – bei Kindern gerade in Kitas nicht in gleicher Weise durchsetzen lässt wie bei Erwachsenen oder bei älteren Schulkindern, dann frage ich mich: Kann man von der Situation in Kitas hinterher schließen:


Aha, ich bin hier trittsicher. Und mache dann den nächsten Schritt in irgendeinem anderen Bereich, also nicht bei den Kindern. Ich glaube, das ist ein schlechtes Beispiel, um das pars pro toto auf die Gesellschaft zu übertragen. Da hätte ich mir nicht die Kitas ausgesucht. Als Politiker steht man ja immer da vorne, die Scheinwerfer sind an und die Journalisten wollen etwas wissen. Und dann muss man irgendwie Dinge erklären und in einen Zusammenhang bringen, weil man glaubt, der Bürger will eine plausible Erklärung haben. Und es klingt so, als wäre da der politische Entschluss im Raum gewesen, der ja politisch berechtigt ist, dass man sagt, wir müssen bei der Ausbildung der Jüngsten etwas machen und bei der Betreuung der Jüngsten etwas machen, denn die leiden am meisten. Da müssen wir in Richtung Öffnung oder andere Konzept denken. Und zugleich wollen wir das aber als Erstes machen und später erst andere Maßnahmen. Aus politischen Gründen, nicht aus epidemiologischen Gründen. Man hat so den Eindruck, dass diese Brücke zu diesen epidemiologischen Gründen („Jetzt probieren wir das mal aus als Pilot für das Andere.“) vielleicht etwas unglücklich war, aus der Situation entstanden.



Camillo Schumann

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Nichtsdestotrotz sind wir uns einig, dass die Öffnung der Kitas und Schulen ein wichtiges Element ist, auch für die seelische Zufriedenheit der Kinder, nicht nur für die spätere Karriere. Aber auf einen Schlag gibt es jetzt in Deutschland Millionen zusätzlicher Kontakte, die es vorher nicht gab. Wann werden sich die Schulöffnungen denn bemerkt? Werden Sie sich überhaupt bemerkbar machen? Was vermuten Sie?



Alexander Kekulé:


Ich gehe definitiv davon aus, dass sich das bemerkbar macht, übrigens seelische Zufriedenheit auch der Eltern. Ich habe ja auch ein Kind. <beide lachen>


Wenn Sie da einfach so aufmachen, gehen die Infektionszahlen wieder hoch. Die Frage ist nur, wie stark geht es hoch? Gibt es eine


Explosion? Und da deuten alle Daten darauf hin, dass das nicht so ist. Wir haben diverse Studien in den USA, da ist das miteinander verglichen worden. Die Studien zeigen, dass, wenn man nur die Schulen aufmacht und wenn v.a. dort die Hygienekonzepte eingehalten werden, dass das etwas ist, was man an den Fallzahlen merken kann. Aber es kommt nicht zu einer explosiven Vermehrung der Neuinfektionen. Diese Fälle, wo wir in Israel z.B. die Situation hatten, dass die Schulen aufgemacht hatten und explosionsartig die Zahlen wieder zugenommen haben (ähnliche Beispiele gab es übrigens auch in den USA), da war es immer so, dass auch die Masken weggelassen wurden. Also wenn man die Kinder zusammentut und die Masken weglässt, dann gibt es ganz klar eine Katastrophe, v.a. bei den Älteren. Und darum würde ich sagen, das hat eine gute, faire Chance, dass das Experiment gutgeht. Ich selber bin ein übervorsichtiger Mensch. Ich hätte mir überlegt, Mensch, zehn Bundesländer zugleich, und gleich richtig dicke anfangen ... Ich hätte wahrscheinlich schon vor 2 Wochen mal in bestimmten Landkreisen einige Kitas und Grundschulen unter strengsten Kontrollen aufgemacht und mir das angesehen, was da passiert. Da können Sie über die Abwasserkontrolle feststellen, ob ein Kind Covid19 hat. Man kann vielleicht einbis zweimal die Woche testen und sehen, wie oft sind Tests sind sinnvoll? Ist diese AbwasserÜberprüfung, die der Kekulé seit Monaten empfiehlt, wirklich überhaupt so empfindlich, wie man sich das vorstellt? Das sind ja italienische Daten, aus denen das stammt. Kann das sein, dass diese Abwasserüberprüfung z.B. erst spät anschlägt, weil die Kinder vielleicht nicht so oft groß müssen in der Kita, dass man damit gar nicht frühzeitig genug einen Ausbruch erkennt, das ist durchaus möglich. Dann war es eine Schnapsidee.


All diese Dinge hätte ich in einer vernünftigen Begleitforschung an einem Pilotprojekt ausprobiert und gesagt, okay, mit den Daten aus dem Pilotprojekt gehen wir in den


nächstgrößeren Schritt, vielleicht ein zweites Bundesland oder einige Bundesländer versetzt, so, wie man das ja bei dem Ferienbeginn auch macht. Da fangen ja auch nicht alle Ferien zugleich an. Aus gutem Grund. Ich würde auch sagen, bevor man riskiert, dass man wieder in eine Situation kommt, wo die Kontrolle schwierig wird, hätte ich das als Pilotprojekt gemacht. Aber gut, es ist beschlossen. Da kann man die Daumen drücken, dass es gutgeht.



Camillo Schumann

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Das wäre ja auch so eine Echtzeitüberwachung gewesen, damit man auch gleich weiß nach 2 -3 Wochen, so hat es sich entwickelt und so wäre es anwendbar?



Alexander Kekulé:


Ja, genau. Sie haben ja noch gefragt – das habe ich noch unterschlagen – wann wir das merken. Naja, wie immer nach 2 bis drei Wochen, je nachdem, wie schnell wir hinterherkommen mit den Tests. Und das ist eben der Unterschied: Wenn Sie ein kontrolliertes Experiment haben – Sie merken schon, da spricht nicht der Politiker, sondern der Akademiker –, haben Sie eine Gruppe, die anders ist als die andere. Da kann man sich sogar noch eine Vergleichsgruppe bilden. Und das können Sie überwachen. Da merken Sie ja sofort, wenn etwas schiefgeht, und können sofort sagen, da hat es einen Ausbruch gegeben, das war eine schlechte Idee, wir machen wieder zu. Wenn sie in zehn Bundesländern alles aufgemacht haben und die haben erst mal alle Kontakte und stecken munter ihre Eltern alle an und Sie merken es erst drei Wochen später, dann haben Sie diese Option nicht. Das ist eine Frage, wie man es machen will. Also ich wäre wahrscheinlich als Politiker völlig untragbar, weil ich immer solche Vorsichtsmaßnahmen einziehen würde. Und umgekehrt muss ich sagen, das, was die Politik da macht, ist nicht wissenschaftsbasiert.


Das ist so! Also erst einmal alle aufmachen bundesweit, das ist – das muss man so sagen – das ist nicht wissenschaftsbasiert, das ist politisch getrieben. Das sind ja gute Motive. Das muss man vielleicht dazusagen, damit es


nicht so hart klingt. Das sind ja berechtigte Motive, dass man sagt, dass man die Kinder nicht weiter zu Hause einsperren kann, und dass man denen endlich etwas Gutes tun muss, weil die am stärksten unter der Situation leiden. Das ist die Basis für diese Entscheidung. Nicht, dass man irgendwie wissenschaftlich sagen würde, das muss man genau so machen, dass man in zehn Bundesländern zugleich wieder aufmacht.



Camillo Schumann

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Die große Frage ist auch: Werden die Infektionen von innen nach außen oder von außen nach innen getragen, oder bilden sie ggf. auch nur die Infektionslage ab, die außerhalb herrscht?


17:15



Alexander Kekulé:


Wir haben schon in den Klassen typischerweise das Bild der äußeren Infektionslage. D.h., in einer Region, wo die Inzidenz hoch ist, ist es auch so, dass man tendenziell mehr Infektionen bei Schülern findet. Wenn man aber ein bisschen detaillierter reinschaut und guckt, wer hat wen angesteckt ... das ist leider meist nicht so leicht zu untersuchen. Es ist komplizierter, das rauszukriegen. Aber da, wo man so gewisse Hinweise darauf hatte, dass die Schüler sich gegenseitig anstecken und das in die Elternhäuser übertragen – das ist das, wovor man Angst hat, dieses Durchlauferhitzerphänom, das wir von der Influenza kennen – das tritt offensichtlich bei Covid19 nicht auf.



Camillo Schumann

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Was ein positiver Fakt ist. Jetzt sollen ja auch Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher in der Impf-Priorisierung nach oben rutschen. Sie wären erst im Mai dran gewesen. Das ist doch für die Gesamtsituation gerade eine gute Nachricht, oder?


18:19



Alexander Kekulé:


Naja, das ist ein bisschen ambivalent, wenn man das so als Wissenschaftler anschaut.


Erstens ist es mal eine gute Nachricht für die Leute, die bei der Lehrergewerkschaft o.ä. sind. Und die Lehrer haben sich ja auch in großem Stil beschwert. Das ist für sie eine gute Nachricht. Aber man muss die Frage stellen: Was ist denn die Arbeitshypothese dahinter? Also entweder bin ich der Meinung, dass das Öffnen der Schulen sicher oder vertretbar ist. Dann besteht ja nicht so ein besonderes Risiko für die Lehrer, zumindest nicht für die jüngeren Lehrer. Viele Lehrer sind ja noch im jugendlichen, frischen Alter. Und wenn die mal Covid kriegen, ist es – zumindest statistisch gesehen – nicht so ein großes Risiko. Wenn ein Lehrer zu einer Risikogruppe gehört oder 65 ist, im Pensionsalter langsam, muss man sagen, da wird er sowieso geimpft, weil er aus anderen Gründen in die Kategorien reinkommt. Es geht also um die Frage, ob ich junge, gesunde Lehrer impfen soll. Und soll ich junge, gesunde Polizisten impfen? Soll ich junge, gesunde Straßenbahnfahrer impfen usw. Die Liste ist lang. Soll ich junge, gesunde Kuriere von der DHL und UPS impfen? Die haben ja auch ständig Kontakte und müssen durch fremde Treppenhäuser gehen, fremde Klingeln anfassen. Hier haben sich die Lehrer, weil die im Zusammenhang mit der Situation in den Schulen einen wichtigen Teil der Gesellschaft vertreten, wo auch die Schmerzen groß sind, nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Eltern, Gehör verschafft.


Sie kennen je meine Empfehlung: Wenn ich über die Impfstoffe zu bestimmen hätte, würde ich die RNA-Impfstoffe, die ja im Moment besonders knapp und besonders begehrt sind, sprich bei uns in Deutschland, den von Biontech/Pfizer erst mal an die Menschen über 70 verimpfen, und zwar jedem eine Dosis verpassen. Egal ob die da die zweite noch im Kühlschrank ist oder nicht. Übrigens vielleicht eine gute Nachricht noch am Rande: Es ist gerade das bestätigt worden, was wir auch schon mal im Podcast vermutet haben: Man kann den Biontech/Pfizer-Impfstoff tatsächlich auch bei -2 0°C lagern. Man braucht nicht diese Ultratiefkühlung mit -80°C. D.h. also, den würde ich – salopp gesagt –


raushauen, wirklich die Alten impfen. Wenn es so ist, dass wir genug Impfstoff haben, ggf. auch von einem anderen Hersteller, und sagen kann, das können wir uns leisten, die Lehrer alle zu impfen, weil das auch fair ist den anderen Risikogruppen oder den anderen Gruppen gegenüber, die ein erhöhtes berufliches Infektionsrisiko haben, dann würde ich sagen, es ist völlig in Ordnung. Das kann ich nicht beurteilen, ob man – indem man Lehrer impft – den Alten den Impfstoff wegnimmt.


Praktisch gesehen ist es so: Die Lehrer wollen unbedingt geimpft werden. Es gibt viele, die gesagt haben, sie gehen gar nicht mehr in die Schule, wenn sie nicht geimpft werden. Das war ja der Hintergrund dieser Debatte. Und ich schätze, wenn man die einlädt ins Impfzentrum, kommen die auch alle. Irgendwie sind ja auch in der Lage, in die Schule zu kommen. Es ist viel schwieriger bei den Alten, die irgendwo in der Wohnung sitzen und nicht im Internet hängen oder auch in den Heimen sind. Da müssen Sie hinzufahren zur Impfung. Und so ein bisschen möchte ich davor warnen, dass man nicht den einfachen Weg macht. Die Lehrer, wenn man da nur sagt, ihr dürft euch impfen, die kommen, und dafür das schwierigere Thema ausspart, nämlich die echten Risikogruppen. So empfinde ich es. Ich sage es noch mal: Bei über 70 Jahre geht das Sterbensrisiko Richtung 10% hoch. Und das ist einfach eine ganz andere Krankheit, als wenn Sie das mit 30 oder mit 40 kriegen.



Camillo Schumann

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Das war das Statement von Professor Kekulé zu den Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern, die – was die Priorisierung der Impfung angeht – nach vorne gerutscht sind. Weil wir ja schon die Virus-Mutationen am Anfang der Sendung angesprochen haben: Mit Argusaugen wird die weitere Entwicklung der B1.1.7-Mutation beobachtet. Dass sie sich durchsetzen wird, ist unstrittig, dass sie ansteckender ist, auch. Aber warum? Und ist die Viruskonzentration ggf. auch höher? Es gibt neue Daten aus Harvard. Können Sie bitte die Daten kurz erklären, bevor sie sie bewerten?


2 2 :45



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so eine kleine Studie, die da gemacht wurde. So klein ist das gar nicht, wenn man es praktisch macht. Die haben 65 Patienten gehabt, die alle Covid 19 hatten. Und davon hatten sieben, also ein Teil, dieses B1.1.7. Man sieht daran, dass es zu einem Zeitpunkt gemacht wurde, als sich B1.1.7 noch nicht so richtig durchgesetzt hatte. Und die haben die täglich mit der PCR getestet, um zu gucken, welche Viruslast ist da und wie steigt die Viruskonzentration an und wie fällt sie wieder ab? Das ist eine wichtige Sache, weil man in dem Zusammenhang rauskriegen kann, wie lange ist der Patient ggf. infektiös?



Camillo Schumann

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Und welche Schlussfolgerungen kann man daraus ziehen?



Alexander Kekulé:


Die Gruppe mit dem B1.1.7 – also mit dieser Variante, die ein höherer R hat, also eine höhere Reproduktionszahl, die sich schneller ausbreitet – bei der ist es so, dass die sich signifikant länger im Rachen aufhält. Sie ist dort länger nachweisbar ist als die sog. normalen Varianten vorher. Man unterscheidet da zwischen 2 Phasen, und zwar erst mal die Phase der Proliferation, wo das Virus immer mehr wird. Da wissen wir auch, dass da die meisten Ansteckungen kommen. Und hinterher die Klärungsphase, wo das Virus so langsam wieder verschwindet. Bei manchen Leuten dauert es ja ziemlich lange, leider. Beim B1.1.7 ist es so, dass die Proliferationsphase 5,3 Tage ist und die Klärungsphase 8 Tage. Das wäre also bei dieser Variante, die eine schnellere Ausbreitung hat, 13,3 Tage Ansteckungsfähigkeit. Und im Vergleich dazu ist bei der Gruppe mit dem normalen Virus – das ist etwas, was man schon lange wusste – die Proliferationsphase ungefähr 2 Tage, also 2 gegenüber 5,3 und die Klärungsphase hinterher 6,2  Tage, also 6,2  gegenüber acht, macht 8,2  Tage insgesamt Ansteckungsfähigkeit. Im Mittelwert natürlich! Und man hat sich auch ein bisschen


angeschaut, wie die Konzentrationen sind, also die Viruskonzentrationen am Peak, also zwischen der Proliferationsphase und der Klärungsphase, wenn die Viruskonzentration ihr Maximum erreicht. Und da ist es so, dass diese sog. CT-Werte, die inzwischen jeder in Deutschland kennt, im vergleichbaren Bereich waren, also einmal bei 19 und einmal bei 2 0. Der Unterschied ist nicht mehr signifikant. Und das heißt also, die Viruslast – wenn man so will – ist bei diesen B1.1.7 im Vergleich zur normalen Variante gleich gewesen. Aber das B1.1.7 ist offensichtlich über einen längeren Zeitraum – zumindest bei dieser Studie mit 65 Patienten – infektiös gewesen, hat zu einer längeren Infektiösität geführt.


2 5:35



Camillo Schumann

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Vor dem Hintergrund, dass sich B1.1.7 bei uns auch zur dominanten Variante durchsetzen wird: Müsste man ggf. Quarantänebzw. Isolations-Zeiträume noch mal überdenken und ggf. auf drei Wochen ausweiten?



Alexander Kekulé:


Oh je, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Gute Idee. Das muss man dann sehen. Auch bei B1.1.7 sind wir bei fünf plus acht. Aber Sie haben Recht. Wenn es so sein sollte, dass das wirklich an diese berühmten zehn oder 14 Tage Quarantäne herangeht, könnte es durchaus eine Rolle spielen, dass das länger ausscheidet. Also mir ist wichtig zu sagen, dass man die Tatsache, dass ein Virus sich schneller ausbreitet, nicht 1:1 setzen kann damit, dass es höher kontagiös ist, also dass die Ansteckungsfähigkeit von diesem Virus höher ist. Höhere Ansteckungsfähigkeit würde ja bedeuten, dass ich weniger Viruspartikel brauche, um jemanden zu infizieren. Wenn der statistisch statt 10.000 Partikel nur noch tausend braucht, ist die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, höher. Das könnte ein höheres R oder im klassischen Sinn R-Null, also diese Basisreproduktionszahl, erklären. Es kann aber viele andere Gründe haben und hat es wahrscheinlich auch, dass sich in England und Irland und Portugal diese Variante so schnell


ausgebreitet hat. Ein Grund ist, dass ggf. – das haben wir ja schon mehrmals vermutet, jetzt haben wir es mal schwarz auf weiß – die Infektionszeit länger ist, also die Dauer der Ansteckungsfähigkeit. Wenn zugleich die Symptome schwach sind, laufen viele Menschen herum mit schwachen Symptomen, die es vielleicht gar nicht merken, dass sie krank sind und die sind auch noch über mehr Tage ansteckungsfähig als mit der Urvariante. Das heißt also, das könnte einen erheblichen Teil dieser schnelleren Ausbreitung erklären. Und da braucht man gar nicht diese Angst haben – weil immer gesagt wird, es ist eine solche Monster-Mutante –, dass diese Mutante in der Stadt, wo wir einen 1,5 mSicherheitsabstand haben, ausgerechnet 1,7 m weit springt. Das wäre schlimm für alle, die ihre Plexiglasscheiben schon in diesem Abstand festgeschraubt haben. Es ist auch nicht auszuschließen – weil Sie das jetzt gemeinerweise als These in den Raum gestellt haben – das ist dann die Schumann-Hypothese <beide lachen> – dass man nicht ausschließen kann, dass die höhere Ansteckungsquote oder die höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit, die wir beobachten bei B1.1.7 damit zusammenhängt, dass unsere antiepidemischen Maßnahmen bei der Quarantäne und bei der Isolierung nicht optimal sind. Sprich: wenn es wirklich länger ansteckend ist und man lässt die Leute nach zehn Tagen raus – das ist ja heute der Standard, oder Einreisende können sich ja nach fünf Tagen frei testen – das ist ja sowieso ein heißes Eisen, da kommen sie aus dem Urlaub zurück – wir wissen: Inkubationszeit ist bis zu 14 Tage – und nach fünf Tagen machen Sie ein Schnelltest. Es reicht ja der AntigenSchnelltest, wenn sie von irgendwo – was weiß ich, irgendwo aus England, wo das B1.1.7 gerade zirkuliert, oder Sankt Moritz, da gibt es auch solche Ausbrüche – zurückkommen und alles ist gut. So was Ähnliches ist ja sogar mal von 2 Kollegen von mir empfohlen worden für die Schule und leider auch praktiziert worden im Herbst, dass man gesagt hat: Kinder werden in einer Art Cluster gemeinsam isoliert,


wenn ein Ausbruch in der Schule ist, da wir die gganze Klasse in Isolation/ Quarantäne geschickt, weil wir gar nicht weiter testen. Und nach fünf Tagen kommen sie alle wieder zurück, sofern sie keine Symptome haben und die Schnelltests negativ sind. Da bin ich sicher, dass man massiv Infektionen übersieht und Infektionsketten befördert. Und mit der Schumann-Hypothese zusammen wäre diese Maßnahme noch giftiger. Aber das wissen wir noch nicht. Das ist hoffentlich den Hörern klar, dass wir ein bisschen spekuliert haben. Das ist auch nur eine kleine Studie, die mir gefällt, weil sie eine Hypothese von mir bestätigen würde. Aber da muss man mal abwarten, was weitere Daten bringen.



Camillo Schumann

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Um da vielleicht noch einen Strich drunter zu ziehen. Was sind die Schwachstellen dieser Arbeit? Ich vermute mal, es ist die recht kleine Kohorte, die 65 Personen, oder?



Alexander Kekulé:


Ja, die 65 Personen. Wenn man die Daten anschaut – die haben da auch so eine schöne Grafik dazu gemacht, die werden Sie sicher noch auf die Webseite stellen –, sehen die irgendwie hübsch aus. Und da denken Sie, ist ja völlig klar, dass eine hat eine längere Ansteckungsfähigkeit. Aber 65 ist für Leute, die im Labor so etwas machen müssen – und die werden jeden Tag getestet, es wird quantitativ gemacht – schon viel Arbeit. Und Sie müssen ja erst einmal 65 Patienten beibringen. Und davon in dem Fall auch sieben, die B1.1.7 hatten. In Zukunft ist es so, dass wir viele B1.1.7-Patienten haben werden. Da wird es schwieriger sein, die Vergleichsgruppe zu bilden mit denen, die noch die alten Varianten haben. Aber irgendwie in der Zeit zwischendurch, also zwischen der neuen und der alten Variante wird man das vielleicht vergleichen können. Übrigens bei der GVariante, die in Norditalien ausgebrochen ist und sich weltweit durchgesetzt hat, hat man den Punkt vollkommen verpasst. Da gibt es überhaupt keine Daten, die epidemiologisch vergleichen, was die G-Variante im Vergleich


zum ursprünglichen Wuhan-Typ für eine Ausbreitungsgeschwindigkeit hat. Bei B1.1.7 wird diskutiert, dass das R zwischen 0,3 und 0,5 höher sein könnte als bei der vorherigen Variante, also als bei der G-Variante, die schon vorher da war. Aber bei der G-Variante im Vergleich zum Wuhan-Typ haben wir keine Vorstellung, um wie viel die angestiegen ist in der Ausbreitungsgeschwindigkeit.


31:35



Camillo Schumann

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Spannend fand ich heute den Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper, der gesagt hat, dass bei allen positiv Getesteten der Stadt auch auf B1.1.7 sequenziert wird. Da hat man ja eine einhundertprozentige Sicherheit, wie viel es denn wirklich ist. Das ist aus epidemiologischer Sicht vermutlich gar nicht so notwendig, alle zu sequenzieren, oder? Wie bewerten Sie das?


32 :02 



Alexander Kekulé:


Es ist wissenschaftlich gesehen so, dass man das machen kann. Und das gibt sicher interessante Daten. Man muss dann ein bisschen aufpassen beim Kaffeesatzlesen mit den Varianten. Wissen Sie, die Gensequenzierung zu machen, ist technisch heutzutage einfach, man muss beinahe nur auf einen Knopf drücken. Das machen Maschinen. Next Generation Sequenzer heißen die. Wenn sie so eine Maschine haben und das Personal, was die bedienen kann, kriegen Sie die Daten. Dann haben Sie für jedes Virus, was Sie sequenziert haben, erst einmal 30.000 Datenpunkte in der Datenbank. Das ist das Genom. Und jetzt kommen Sie also in die Situation, dass Sie das auswerten müssen. Sie müssen überlegen: Ist das eine echte Mutante? War das vielleicht ein Sequenzierfehler, wenn eine einzelne Base nicht stimmt? Hat es eine biologische Funktion? Wo sitzt es genau? Wie sieht es beim Protein aus? Also, man hat ja nur den genomischen Code. Und aus dem muss man simulieren, wie das beim Protein aussieht. Und


das ist etwas, da müssen Sie echt nicht nur virologische Expertise haben, sondern in genau diesem Spezialgebiet eine Ahnung haben. Da gibt es nicht so viele Leute, die sich da gut auskennen. Ich will nicht sagen, dass sie das in Magdeburg nicht könnten. Aber das ist wahnsinnig viel Arbeit, da eine einzige Mutante zu charakterisieren. Und wenn Sie alles durchsequenzieren, finden Sie, würde ich mal vorhersagen, fast täglich irgendwelche Mutationen. Es gibt jetzt schon die Southern California Mutant. So mancher, der in Nordkalifornien lebt, würde sagen, die gab es schon immer <beide lachen>. Das ist die südkalifornische Mutante. Keiner weiß, was die soll. Die hat sich ausgebreitet. Ob die gefährlicher ist, ob sie sich schneller ausbreitet. Und ich weiß nicht, ob das so toll ist, wenn es die Magdeburg Mutanten 1 bis 100 gibt und ob man denkt, oh, Magdeburg ist scheinbar auch gefährlich. Man muss schon aufpassen. Das eine ist die Akademia, wo man Forschung macht. Da sage ich, ja, es ist sinnvoll, das zu machen. Und es ist wichtig, dass wir in Deutschland einen Überblick haben, welche der sozusagen staatlich anerkannten Mutanten gerade unterwegs sind. Also B1.1.7, die südafrikanische und die brasilianische plus noch einige, die dazu im Kommen sind. Aber ich glaube, es ist nicht sinnvoll, zu sagen, ich sequenziere alles durch, und jede Mutante werde ich sofort publizieren. Der Wissenschaftler will sich ja auch immer gerne äußern. Es gibt ja auch Publikations-Punkte, wenn man so etwas veröffentlicht. Und dann stehen wir am Schluss da und sehen ganz viele Mutanten, die irgendwo auftauchen. Wie gesagt, die 2 geradezu zirkulierenden Corona-Virustypen ändern sich ja auch ständig und denen rennt auch keiner hinterher und guckt sich jede Mutante an.


Ich glaube, das große Bild darf man nicht verlieren. Und das große Bild heißt: Wir müssen ungefähr wissen, was in Deutschland passiert. Es ist gut, dass wir endlich gründlicher sequenzieren. Fünf Prozent, wie das von der Bundesregierung ausgegeben wurde von allen Mutanten ist sinnvoll. Hundert Prozent zu


machen – gut, es gibt 2 00 Euro pro Sequenz, das wäre vielleicht auch eine Motivation, das zu machen –, aber das brauchen wir nicht. Sondern wir müssen nur wissen, was gerade zirkuliert.



Camillo Schumann

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Wir haben über die Harvard-Studie gesprochen und müssen auch über eine Studie sprechen, die wir allerdings vom Inhalt nicht detailliert kennen, weil sie noch nicht veröffentlicht wurde. Sie wurde aber an die Medien, wie wir das so im Fachjargon sagen, durchgestochen. Also da wird schon mal was unter der Hand weitergegeben. Und das ist auf einem israelischen Portal gelandet. Es geht um die Frage: Kann sich ein Geimpfter mit dem Virus infizieren und das Virus auch weitergeben? Dem „Spiegel“ liegt diese Studie des israelischen Gesundheitsministeriums zusammen mit Pfizer vor. Demnach verhindere der Biontech-Impfstoff eine Virusübertragung zu 89,4 Prozent. Karl Lauterbach hat sofort zum Handy gegriffen und getwittert und Interviews dazu gegeben. Und er hat zu dieser Studie gesagt, damit würde die Impfung eine Herdenimmunität ermöglichen und die Rückkehr zum normalen Leben möglich machen. Wie ist Ihre Reaktionen auf diese Informationen?


36:31



Alexander Kekulé:


Naja, also die Studie aus Israel ist nicht völlig unerwartet. Das war ja klar, dass es eine gewisse Herdenimmunisierung gibt. Das Erstaunliche ist, ich habe die Studie auch nicht bekommen. Ich habe es versucht, aber es ist so, dass man da im Moment nicht rankommt. Ich glaube, dass Pfizer noch draufsitzt und sagt, die rücken wir erst heraus, wenn sie von unseren Abteilungen freigegeben ist. Das ist in so großen Konzernen ein komplexer Prozess. Aber wenn das stimmt, was als Zahl durchgesickert ist, würde man im Laien-Jargon sagen: 89,4 Prozent einschließlich der Asymptomatischen – das wäre natürlich schon sehr gut. Das würde ja heißen, dass man nicht nur Infektionen verhindert und nicht nur


Krankheiten verhindert – was die Studie sowieso schon gezeigt hat –, sondern auch Asymptomatische verhindert. Die Zahlen sind noch nicht so schlüssig, sage ich mal, weil wir uns daran erinnern, dass in Israel ja nur mit dem Fall Pfizer-Biontech-Impfstoff geimpft wurde. Die haben inzwischen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ja komplett, also zweimal geimpft. Und ich glaube, über die Hälfte schon einmal. Es ist so, dass da ja immer gesagt wurde, die Effektivität der Impfung ist 95 Prozent, wenn sie richtig funktioniert. Und da ist die Frage: Wenn etwas 95 Prozent Krankheiten verhindern kann, also 95 Prozent der Erkrankungen, ist es plausibel, dass 89,4 Prozent, also sagen wir mal 90 Prozent der Infektionen verhindert werden? Das kann vielleicht irgendwie sein – da muss man gucken, wie die das gerechnet haben –, aber auf den ersten Blick ist es ja so, dass etwa die Hälfte der Infektionen asymptomatisch verläuft, also völlig ohne Symptome. Das ist so die Zahl, die immer noch im Raum steht. Das würde nicht zusammenpassen. Wenn Sie von den Symptomatischen 95 Prozent verhindern und davon ausgehen, dass die andere Hälfte asymptomatisch sind, und die Symptomatischen Plus die Asymptomatischen sind in der Summe 90 Prozent, das hieße, dass nur sehr wenig asymptomatische Infektionen vorkommen in Israel. Zumindest nicht diese 50 Prozent. Daher sage ich mal, das ist noch nicht plausibel. Das heißt aber nicht, dass die Studie deswegen schlecht ist, sondern dass die Daten nicht auf den ersten Blick plausibel sind. Da muss man genauer gucken, was sie da zusammengewürfelt haben. Wie haben die das genau gemacht? Ist die Aussagekraft in sich stark oder nicht? Und das kann durchaus sein, dass sich zeigt, dass das alles Hand und Fuß hat. Davon gehe ich grundsätzlich aus. Vielleicht folgende Warnung: Das mit den Asymptomatischen ist immer ein Riesenproblem. Wie stelle ich fest, dass ich eine asymptomatische Infektion verhindert habe? Indem ich einen PCR-Test mache. Das hat man ja zum Teil gemacht. Es ist ja bekannt, dass AstraZeneca bei einem kleinen Teil seiner


Studien-Teilnehmer diese PCR-Tests gemacht haben. Und die konnten deshalb sagen, dass es einen deutlichen Abfall auch bei den asymptomatischen Infektionen gibt. Pfizer hatte das ursprünglich nicht in seiner Hauptstudie mit drin. Und es gibt ein paar andere Untersuchungen – in Oxford gab es eine, die gemacht wurde, die hat auch gesagt, dass der Impfstoff von ich glaube es war AstraZeneca 50 Prozent Reduktion der Asymptomatischen macht. Das hat man so mitlaufen lassen. Und auch bei Moderna, bei dem RNA-Impfstoff aus den USA war es so, dass man bei den meisten Teilnehmern zweimal PCRs gemacht hat. Und da hat man auch gesehen, dass die Asymptomatischen ungefähr um 2 Drittel abfallen, also auf ein Drittel reduziert wurden. Aber bei all diesen Studien ist das Problem das gleiche gewesen: Man hat große Test-Abstände. Bei Moderna weiß ich es. Die haben nur zweimal getestet in einem Monat Abstand. Und wenn man es genau nimmt, weiß man nicht, ob jemand, der im Abstand von einem Monat getestet wurde, sich dazwischen nicht vielleicht doch infiziert hat. asymptomatisch, weil er es nicht gemerkt hat, und wieder negativ wurde bis zum zweiten Test. Und in Israel haben sie meines Wissens nur einmal getestet. Und sagen aber, wir haben immer die Asymptomatischen ausgeschlossen. Und da sagt so ein fieser Statistiker: „Nein, Freunde, die können sich ja vorher infiziert haben oder später, ihr habt ja nur einen Zeitpunkt gezeigt, wo sie PCRnegativ waren.“ Und das müsste man sich genauer anschauen. Das würde auch diese kleine Diskrepanz erklären, die ich am Anfang genannt habe. Und das würde bedeuten, dass die Schutzwirkung bezüglich asymptomatischer Infektionen, um die es hier geht, vielleicht doch nicht bei 90 Prozent liegt, sondern ein bisschen geringer ist.



Camillo Schumann

:


Aber über diese 89,4 Prozent in dem Fall freuen sich doch eigentlich nur die Impfverweigerer, dem Rest kann es auch völlig egal sein, oder?


41:39



Alexander Kekulé:


Sie sehen das immer so praktisch. Ja, das ist immer so. Die Leute, die sich impfen lassen, freuen sich, dass der Impfstoff funktioniert. Und wir haben ja nicht nur so einen Herdeneffekt bei der Immunität, sondern wir haben auch einen Parasiteneffekt. Ja, das ist aber nicht nur in diesem Fall so, sondern allgemein. Wir haben das früher bei den Masern schon diskutiert. Da habe ich das auch schon so benannt. Klar, wenn Sie eine Gesellschaft haben, die gut durchimmunisiert ist, dann können so ein paar dazwischen rumschwimmen und sagen: ist mir doch wurscht. Ich bin Anthroposoph – um mal was zu sagen, was uns beide betreffen könnte – und ich als Anthroposoph impfe mich nicht. Ich will nicht die Anthroposophen schlecht machen. – Für die, die es noch nicht mitgekriegt haben: wir waren ja beide auf Waldorfschulen. – Aber es ist so, da gibt es einige Hardcore-Anthroposophen, die sagen, ich lasse mich nicht impfen. In Israel ist das auch ein Riesenthema mit den orthodoxen Juden. Das ist, glaube ich, bekannt. Die orthodoxen Juden sagen, Impfung gibt es nicht bei mir. Und die haben ziemlich große Familien und ziemlich große Versammlungen immer und ganz Israel ist von denen genervt. Die müssen schon an der Mauer getrennt beten und solche Sachen, weil die massenweise Infektionen haben, während die anderen inzwischen nach und nach immun werden. Man muss sich überlegen, wo geht das Ganze hin. Und insofern bin ich meistens optimistischer als Karl Lauterbach, den Sie vorhin genannt haben, und ich möchte da etwas Essig in seinen Wein reinschütten. Wir haben ja ständig neue Varianten, ohne Frage. Und es ist klar, dass die Varianten auch Geimpfte infizieren werden früher oder später. Das ist so sicher, wie das Amen im Gebet. Ich meine nicht B1.1.7, da ist relativ klar, dass der Biontech-Impfstoff eine hohe Schutzwirkung hat. Aber wenn diese brasilianischen Mutanten erst mal kommen, P1 und P2  und wie sie alle heißen, werden wir nach und nach und durch


andere Varianten werden wir dann Impfdurchbrüche haben. Wir werden die Situation haben, dass Geimpfte auch infiziert werden. Die werden kaum Symptome haben. Die werden schön asymptomatisch andere anstecken können, sodass wir nicht davon ausgehen können, dass wir durch die Impfung eine komplette Herden-Immunität haben. So oder so nicht. Und deshalb ist auch, wenn wir 90 Prozent Asymptomatische verhindern mit diesem einen Typ ... Wir haben in Israel den klassischen G-Typ, also den Norditalien-Typ und den relativ stark steigenden Anteil von dem B1.1.7 gehabt am Anfang der Impfkampagne. Aber trotzdem ist es so, die sind ja noch in einem Topf bezüglich der Wirksamkeit des Impfstoffs. Hier ist mit Biontech-Impfstoff geimpft worden. Der geht auch gut gegen B1.1.7. Und da muss man sagen, weil ich gegen den einen Typ, wenn's 90 Prozent wären, Wirkung habe, heißt das noch lange nicht, dass der nächste Typ genauso gut geschützt wird. Und deshalb finde ich, die Aussage zu machen, wir können durch die Impfung echte Herdenimmunität gegenüber der Covid-Pandemie herstellen, etwas zu früh. Ich würde mir das wünschen, aber ich finde es in dem Fall etwas zu optimistisch.



Camillo Schumann

:


Demgegenüber steht ja auch noch die Impfbereitschaft. Da muss sich ja auch eine größere Gruppe impfen lassen. Der Rest müsste sich so durchinfizieren, ohne es zu merken, um diese These zu unterstützen, oder?


44:53



Alexander Kekulé:


Ja, genau. Das ist ja sowieso schon immer meine Vorstellung davon. Man muss realistisch auf die Welt schauen. Der größte Teil der Menschen wird sich weltweit durch natürliche Infektion immunisieren, ohne Wenn und Aber. Wenn man mal schaut, was das für ein Trauerspiel ist mit diesem sogenannten COVAX-Programm, wo ja mal gesagt wurde, fünf Prozent der Impfstoffe, die die reichen Länder kaufen, sollen an die armen Länder


abgegeben werden. Jetzt hat immerhin Joe Biden, der neue US-Präsident, gesagt, er nimmt an COVAX teil. Das war am Anfang des Programms, wo weder China noch die USA mitgemacht haben. Dann hat China, vielleicht auch ein bisschen um Donald Trump was zu zeigen, plötzlich gesagt, wir machen doch bei COVAX mit. Das war vielleicht auch ein Marketinginstrument für den chinesischen Impfstoff. Und Deutschland ist schon von Anfang an mit der EU zusammen im COVAXProgramm. Aber ich sehe nicht, dass irgendwelche Leute aus Deutschland fünf Prozent von unserem wertvollen PfizerImpfstoff, wo sich die Leute darum kloppen, irgendwie nach Nigeria fahren würden. Und das heißt also, es ist so, dass die Entwicklungsländer hintendran stehen, knallhart, wie vorhergesagt von den Kritikern. Ich habe gerade die Zahlen gesehen aus Südafrika. Da ist die Sterblichkeit unter dem medizinischen Personal fürchterlich. Keiner weiß genau, warum. Wahrscheinlich, weil die Behandlung auch schlecht ist. Ich nehme mal an, dass es in Brasilien ähnlich zugeht. Da habe ich keine Daten, und wir müssen davon ausgehen, dass weltweit die Immunisierung gegen dieses Virus zum größten Teil durch natürliche Infektionen stattfindet. Und ja, das ist auch in Deutschland so. So wie die orthodoxen Juden sich auf dem natürlichen Weg immunisieren werden. Das ist ja bei denen auch Programm, die sagen ja, wir wollen das. Und so wird es auch die eine oder andere, sage ich mal, Clique in Deutschland geben, die sagt, nein, Impfungen machen wir nicht. Die werden dann auf natürlichem Weg durchimmunisiert. Und wenn man nicht gerade, sag ich mal, 70 ist oder irgendwelche anderen Risikofaktoren hat, muss ich auch sagen, ist es ja am Ende eine individuelle Entscheidung. Wir wollen ja keine Impfpflicht. Und wenn einer sagt, nein, das Risiko nehme ich in Kauf, würde ich sagen, ist es in diesem Fall eine andere Situation als bei Masern oder so, wo man ja mit verantwortlich ist, dass es schlimme Ausbrüche in bestimmten Subpopulationen gibt. Hier haben wir ja schon


eine weltweite Pandemie. Also wenn Sie die letzten Tausend hätten und die weigern sich, dann würde ich mal drüber nachdenken, ob man für die ein paar bessere Argumente auftreibt. Aber in der Lage, wo wahrscheinlich der weit überwiegende Teil der Menschheit immunisiert wird, muss man da nicht so streng sein.


47:40



Camillo Schumann

:


So, wir müssen auch über die Schnelltests reden. Das war ja über die vergangenen Tage, auch übers Wochenende, noch ein großes Thema: kostenlose Schnelltests für alle ab 1. März z.B. in Apotheken. Das wurde ja angekündigt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Daraus wird erst einmal nichts. Das Corona-Kabinett hat die Pläne erst einmal gestoppt. Zu viele offene Fragen. Die kostenlosen Schnelltests sollen Thema am 3. März werden, wenn die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin über das weitere Vorgehen beraten werden. Was haben Sie gedacht, als Sie das gehört haben?



Alexander Kekulé:


Na, ich habe erst mal meinen Piccolo wieder zugemacht. Ich wollte mit Ihnen Piccolöchen trinken, aber den habe ich wieder zugekorkt.



Camillo Schumann

:


Aber die Selbsttest für Zuhause könnte es bald geben, so hat es zumindest Jens Spahn im Bericht aus Berlin am Sonntag angekündigt. Wir können da noch mal kurz reinhören. Also den Sekt noch nicht wegstellen.


„Übernächste Woche spätestens werden wir die ersten Zulassungen haben aus heutiger Sicht. Die kann es theoretisch – und so, wie ich das wahrnehme, sind die auch schon in Verhandlungen – auch in Discountern geben, in Drogeriemärkten, im Internet, in vielen Bereichen. Das lässt mich vermuten, dass die Preise mit der Menge auch sinken. Und dann werden wir schauen: Wie sind die Preise? Ich sag mal ein bisschen salopp formuliert, wenn es zwei, drei Euro ist, glaube ich, braucht es weniger staatliche Hilfe, als wenn der acht oder


zehn Euro kostet, um den auch zugänglich zu machen. Und deswegen werden wir die ersten zwei, drei Wochen uns anschauen, wie sich das entwickelt.“



Camillo Schumann

:


Zurzeit prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 30 Anträge. Und das sind 2 verschiedene Paar Schuhe. Das eine sind die kostenlosen Schnelltests in der Apotheke, durchgeführt von medizinischem Personal. Und das andere sind die sog. Laientests für Zuhause für einen Euro ggf. bei Rossmann oder DM.


Also so weit müssen Sie die Flasche Sekt gar nicht wegstellen, Herr Kekulé.


49:34



Alexander Kekulé:


Ja, die Frage ist, wie oft kann man so eine Flasche auf und zu machen, bis sie schal wird? Was wir brauchen... Entschuldigung, wenn ich das Gleiche wie im März 2 02 0 sage: Was wir brauchen, sind Schnelltests für jedermann, die jeder selber machen kann, für einen Euro. Wenn die 2 Euro kosten, gut. Also bin ich 100 Prozent auf der Seite des Bundesgesundheitsministers. Und ich freue mich, dass das diese Entwicklung genommen hat, wenn man mal davon ausgeht, was da für Gegenwind aufkam, als er diese Forderungen zum ersten Mal aufgestellt hat. Das war fast schlimmer als bei den Masken. Es ist so, dass die Schnelltests für jedermann kommen werden. Die gibt es ja im Ausland schon. In der Schweiz gibt es sie schon, in Österreich gibt es sie schon. Und das ist ja nur dieses Zulassungstestthema. Man braucht für diesen sogenannten Gurgel-Test, den man in der Regel hat, das muss man nicht mehr mit dem Tupfer machen, Spucktests heißen die auch.


Um dieses CE-Kennzeichen zu bekommen, braucht man eine Bestätigung einer externen, dafür zugelassenen Stelle. Und das ist bei uns in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut. Das Verfahren hätte man seit März 2 02 0 auf den Weg bringen können, dann hätten wir die Tests seit April 2 02 0. Jetzt haben wir sie ein


knappes Jahr später, aber besser spät als nie. Und das wird super funktionieren. Man muss fast schon wieder vorsichtig sein und sagen, so ein Test, wenn der negativ ist, ist kein Beweis, dass man kein Corona hat. Und zweitens ist es so, der sagt nur, dass ich höchstwahrscheinlich im Moment nicht besonders ansteckend bin. Was heißt „nicht besonders“? Das heißt, ich kann durch die Luft kein SuperspreadingEreignis auslösen. Ich kann aber, wenn ich jemanden wirklich küsse, meinen Partner, z.B. kann ich anstecken. Es ist also möglich, dass man wen ansteckt, auch wenn der Schnelltest negativ war. Und leider ist es so, dass wir immer mal wieder sehen, dass so negative Schnelltests einen Tag negativ sind und am nächsten Tag, wenn man richtig krank wird, sind sie plötzlich positiv, und die PCR hätte es schon früher gefunden. Das muss man wissen als Laie. Aber ich glaube, wir wissen ja auch, wie man ein Handy bedient, so ein modernes Smartphone, oder wie man aus einem Parkautomaten einen Schein rausholt, die meisten zumindest. Manche stehen auch wütend klopfend davor. Aber es ist so, wir können ja so einiges irgendwie. Und ich glaube, diese Schnelltests zu bedienen und auch zu wissen, was das bedeutet, wenn das Zeichen da auf negativ ist, kann man den Leuten schon erklären.



Camillo Schumann

:


Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass, wenn das einmal in der Peripherie ist und bei DM und Rossmann und in einer Apotheke für einen oder 2 Euro zu kaufen gibt und jeder das zuhause machen kann, dann kann man wieder in Restaurants gehen und zu Kulturveranstaltungen. Aber erkauft man sich dann nicht ggf. Freiheit zu Lasten der Kontrolle über das Infektionsgeschehen?


52 :37



Alexander Kekulé:


Ja, man erkauft sich das... Ja zum einen die Kontrolle über das Infektionsgeschehen. Die ist in gewisser Weise nicht mehr so vorhanden. Sie meinen wahrscheinlich, dass, wenn man einen positiven Schnelltest hat, privat, dass


nicht jeder sofort zum Gesundheitsamt rennt, sondern das für sich behält. Das ist eine politische Frage, oder eine soziologische Frage. Deshalb ist meine Meinung da wahrscheinlich ein bisschen amateurmäßig. Ich stehe immer auf dem Standpunkt: die Verantwortung bei den Menschen zu lassen ist die Methode der Wahl. Ich bin gegen das chinesische Prinzip, sondern immer dafür, dass wir eine westliche, demokratische Antwort auf solche Zustände brauchen. Und das heißt konkret, ich muss mich sowieso darauf verlassen, dass die Leute selber mitmachen. Wenn die Leute Symptome haben und nicht zum Arzt gehen, habe ich ja auch die Situation, dass ich als Staat nichts mehr tun kann. Und deshalb bin ich froh um jede zusätzliche Ebene, wo ich gerade diejenigen mitnehmen kann, die vielleicht nicht zum Arzt gehen würden, wenn sie Husten haben, weil sie nicht wollen, dass ihre Freunde alle in Quarantäne müssen. Und wenn die die Möglichkeit haben, den Schnelltest stattdessen zu machen, weil sie vielleicht auch nur leichte Symptome haben, das ist ja die große Mehrheit, würde ich als Staat sagen, so funktionieren wir nun mal in Deutschland. Das ist ja auch ein Luxus, würde ich sagen. Die Leute werden sich zum größten Teil vernünftig verhalten. Und der kleine Teil, der sich unvernünftig verhält oder Fehler macht oder das Testergebnis falsch interpretiert, das ist eigentlich der Preis, den ich zahle. Also ich erkaufe mir das nicht durch weniger Kontrolle, denn wenn ich weniger Kontrolle brauche, ist es sogar besser. Die Menschen kontrollieren sich selber, da habe ich so eine Art Herdenintelligenz, ausgenutzt. Der Preis, den ich unterm Strich zahle, ist ggf., das mehr Infektionen stattfinden, die ich irgendwie indirekt zulasse, weil ich nicht mehr den Anspruch habe, 100 Prozent dichtzumachen, sondern nur noch 95 Prozent. Oder was auch immer diese Schnelltests als Grenze haben. Und da sage ich, ja, das ist das Prinzip. Dafür bin ich ja früher mal angegriffen worden. Wir haben dann eine kontrollierte Durchseuchung. Wir erlauben, dass unser Kontrollsystem so eine Restundichtigkeit hat. Um es


hundertprozentig zu machen, müssten wir das Leben zu sehr einschränken.



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt. Wenn es in ein, 2 Wochen diese Reihentests in Drogeriemärkten zu kaufen gibt. Und die ganze Zeit frage ich mich, wie wir es machen. Da müssen wir ja jeder für sich eine Flasche Sekt hinstellen. Wir sind ja zugeschaltet.



Alexander Kekulé:


Das machen wir dann schon zusammen mit Sicherheitsabstand. Mein Sohn hat so ein tolles Ding, mit dem man alte Bananenschalen aus den Mülleimern rausholen kann. So einen langen Grapscher. Der reicht zum Anstoßen.



Camillo Schumann

:


Prima.


Wir kommen zu den Hörerfragen. Frau S. aus Ludwigshafen hat eine Frage zu diesen Schnelltests und eine interessante Theorie:


55:43


„Wäre es nicht sinnvoll, dass man sagen würde, z.B. am Sonntag, den soundsovielten, testen sich alle Deutschen durch mit einem Schnelltest. Sie sollen ja für alle zur Verfügung stehen. Und alle, die positiv sind, machen eine PCR und bleiben zu Hause. Und noch mal fünf Tage später macht man dasselbe. Müsste man da nicht die Inzidenz gegen Null senken können?“


56:10



Alexander Kekulé:


Das ist eine gute Idee, eine alte Idee. Das hat man sich nicht nur mit den Schnelltests überlegt, sondern es gibt ja so Verfahren, ein bisschen anders als die PCR, aber im Prinzip auch solche gentechnischen Verfahren. Mit denen kann man massenweise Menschen untersuchen. Auch in England gab es solche Vorschläge beim Massenscreening alle durchzutesten. Die Österreicher haben es diskutiert und teilweise versucht. Das Problem ist immer, wenn man so eine Momentaufnahme hätte, wenn man es


wirklich schaffen würde, alle am gleichen Tag zu testen – das ist ja nicht ausgeschlossen – oder in den gleichen 2 Tagen, wäre es so, dass man bei so einer hohen Inzidenz, wie wir sie in Deutschland haben, trotzdem danach so viele übersehen hätte, die erst danach positiv werden, dass man das wiederholen müsste, rein theoretisch, eine Woche später noch mal. Und man müsste fast 100 Prozent einsammeln, also dafür sorgen, dass die wirklich alle in Isolation kommen, die positiv sind, um irgendwie einen deutlichen Effekt zu haben. Und wahrscheinlich wäre es so, wenn man das zum zweiten Mal macht, dass man immer noch so eine Restpopulation hat, die man übersehen hat, sodass man also extrem viel Aufwand hätte. Vielleicht sogar dreimal testen, und dann könnte man mit radikalen Maßnahmen – alle in Isolation – die Pandemie fast auf Null drehen. Aber was machen Sie dann mit den Grenzen? Da müssen Sie die Grenzen zumachen, denn am nächsten Tag kommen ja schon die ersten wieder rein. Und dann haben sie wieder das gleiche Problem. Darum macht man das in Situationen, die anders sind als in Deutschland. Wo das radikal oder konsequent gemacht wird, ist in China. China hat ja echtes No-Covid. Und wenn es da so einen Ausbruch gibt – die hatten das ja ein paarmal, wo sie hundert Fälle irgendwo haben – da riegeln die dann außen herum alles ab. Da rückt das Militär und die Polizei ab. Alles wird zugemacht. Und innendrin wird wirklich jeder getestet. Und die ziehen wirklich jeden aus der Wohnung und sorgen dafür, dass sie


100 Prozent getestet haben. Dann sperren sie alle für eine Woche ein und testen sie noch mal, und dann werden die, die positiv waren, in Isolierung geschickt und die anderen freigelassen. Freigelassen muss man da wirklich sagen. Es ist das richtige Wort. Wollen wir das in Deutschland? Ich eher nicht so.


58:2 4



Camillo Schumann

:


Und zum Schluss, Herr Kekulé, haben wir noch etwas Schönes, denn wir haben Post bekommen. Ich packe das mal aus. Und zwar


hat uns die Frau S. aus Kirchheim einen echten Brief geschickt. Und nicht nur das. Das war ein Maxibrief. Da war noch was drin. Sie schreibt, sie hört zusammen mit ihrem Mann den Podcast seit fast einem Jahr. Und in einer Folge haben Sie auch mal erzählt, wie Sie ihre Maske transportieren. Das war ziemlich zerknüllt in der Gesäßtasche, oder in der Tasche irgendwo zusammen mit den Bröseln. Jedenfalls hat sich Frau S. gedacht, so können die Masken definitiv nicht transportiert werden und hat sich an ihre Nähmaschine gesetzt und Ihnen und mir jeweils eine wundervolle MaskenTasche genäht. Also wirklich hervorragend. Sieht toll aus, sehr professionell. Frau S., Großes Kompliment! Und die Frage, Herr Kekulé: Welche wollen Sie? Mir ist es egal, solange ich die bunte bekommen kann.



Alexander Kekulé:


Eine ist blau und eine ist bunt. Ich finde die auch toll. Vielen Dank dafür erstmal. Wenn Sie dafür den Piccolo bezahlen, nehme ich die blaue.



Camillo Schumann

:


Okay, alles klar mache ich gerne.


Frau S., vielen vielen Dank. Wir haben uns sehr darüber gefreut. Viele Grüße auch an Ihren Mann. Bleiben Sie uns gewogen und v.a. bleiben Sie gesund. Und wer die Masken von Frau S. mal sehen will, wir haben Bilder davon auf unserem Twitter-Kanal von MDR aktuell mit dem Hashtag #Maskentasche. Und übrigens, wenn jemand Ihre schicke MaskenTasche sehen und auch eine haben will, dann kann er eine patentund markenrechtliche Beratung bekommen vom „Rechthaber“, dem Podcast für juristische Alltagsfragen mit Anwalt Thomas Kinschewski.


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 151. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Vielen Dank. Ich freue mich drauf, Herr Schumann.


Sie haben auch eine Frage, twittern Sie doch Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekule, schreiben Sie uns an mdraktuellpodcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 0.01.2 02 1 #150: Hörerfragen SPEZIAL


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Kann man als Geimpfter herausfinden, ob die Impfung auch wirklich wirksam ist?


Können Schnelltests so geschickt eingesetzt werden, dass der PCR-Test über kurz oder lang überflüssig wird?


Gibt es Neues bei der Erforschung von Medikamenten gegen Covid-19?


Sorgen die Kontaktbeschränkungen in diesem Winter dafür, dass unser Immunsystem schlechter gerüstet ist für kommende Jahre?


Jan Kröger:


Damit herzlich willkommen zu einem weiteren


Kekulés Corona-Kompass – Hörerfragen Spezial, nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Kröger.


Jan Kröger:


Herr Kekulé, Folge 150 ist das heute. Ein kleines Jubiläum mal wieder erreicht. Nun wollen wir gar nicht anstrebend, in die Sphären von "Tatort" oder "Lindenstraße" vorzustoßen mit der Anzahl. Aber diese etwas gekünstelte Überleitung kommt zu unserer ersten Frage.


Herr S. aus Chemnitz hat sich auch sehr mit den Zahlen beschäftigt. Er hat noch mal


zurückgeschaut auf das Infektionsgeschehen im November und im Dezember. Er sagt: "Im November kam der Lockdown light und stabilisierte die täglich registrierten Neuinfektionen etwa bei 18.000 im Wochenmittel. Dann kam der Dezember, und da gab es einen bislang nicht erklärten Anstieg der Neuinfektionen auf so etwa 2 5.000 im Wochendurchschnitt." Seine Frage lautet: Hat dieser Anstieg bereits etwas mit der britischen Mutation B.1.1.7 zu tun oder gibt es dafür andere Ursachen? Schließlich wurde in Großbritannien die Mutation bereits im September das erste Mal entdeckt.


[0:01:38]



Alexander Kekulé:


Das ist eine sehr kluge Frage. Das wissen wir nicht genau so. Die Daten, die wir vom Robert Koch-Institut haben, sagen, dass zu diesem Zeitpunkt die britische Variante noch nur in sehr kleiner Größenordnung in Deutschland vorhanden war. Aber es wurde natürlich zu der Zeit auch kaum gesucht. Kann sein, dass ein Teil dieser Infektionen tatsächlich schon die britische Variante war. Andererseits haben wir natürlich auch das Problem gehabt, dass vor Weihnachten die Compliance, das Mitmachen, nicht mehr so funktioniert hat. Die Maßnahmen wurden dann auch noch einmal verschärft. Möglicherweise hängt es auch einfach damit zusammen, dass wir in Deutschland zu dem Zeitpunkt nicht so gut drauf geachtet haben, uns zu schützen. Aber ja, es ist auch möglich, dass die britische Variante da eine Rolle gespielt hat. Das wurde aber eigentlich vom Robert Koch-Institut bisher ausgeschlossen.


[0:02 :33]


Jan Kröger:


Nun gibt es ja nicht nur die britische Variante, auch von der südafrikanischen ist hierzulande schon die Rede. 1,5 % hat das Robert KochInstitut in seinen Zahlen festgestellt in dieser Woche. Mit diesen Mutationen beschäftigt


1


sich auch diese Anruferin, die noch ein bisschen Hintergrundwissen dazu haben möchte. Anruferin:


"Ist das alles als eine Virusklasse anzusehen. Oder ist es schon wie bei Hepatitis A, B, C, dass das ganz verschiedene Typen sind? Also sind die Mutationen noch zu einer Gruppe, einer Klasse zu zählen?"



Alexander Kekulé:


In der Virologie ist das mit den Spezies nicht so einfach wie sonst in der Biologie. Wir sprechen hier nicht von Klassen, sondern von Arten auf dieser Ebene. Sonst sagt man in der Biologie, 2 Tiere gehören dann zur gleichen Art, wenn sie sich miteinander paaren können und die Nachkommen auch wieder fruchtbar sind. Deshalb sind Pferde und Esel nicht die gleiche Art. Die können sich zwar paaren, aber die Nachfolger sind nicht immer fruchtbar.


Bei den Viren ist das nicht so sauber definiert. Wir diskutieren alle paar Jahre wieder, wie man Virusarten genau beschreiben soll. Wir sprechen da von einer Quasi-Spezies, also Quasi-Art, weil jedes einzelne Virus in so unendlich vielen Varianten vorkommt, selbst in einem einzelnen Patienten. Wenn der 2 Wochen lang krank ist, kann man oft am Ende dieser 2 Wochen das Virus kaum noch mit dem vergleichen, was ihn am Anfang mal infiziert hat. Und diese Quasi-Spezies, also diese Räume von Möglichkeiten, in denen sich die Viren bewegen, die werden ungefähr in Arten eingeordnet. Da ist es so, das aktuelle Virus heißt SARS-CoV-2 . Das ist eigentlich ganz eng verwandt mit SARS-CoV-1, also dem SARSVirus aus 2 003. Man könnte durchaus diskutieren, wenn man diese ganzen Varianten anschaut, ob man nicht sagen müsste, die ursprüngliche Wuhan-Variante was da letztlich die weltweite Pandemie verursacht hat war vielleicht auch nur eine Variante von dem SARS-Virus aus 2 003. So weit ist der Begriff. Und weil der Begriff so weit ist, heißt die


Antwort kurz: Ja, das ist alles immer noch die gleiche Art. Man kann sogar überlegen, ob SARS 1 und SARS 2  wirklich auseinandergehalten werden müssen oder ob das nur verschiedene Erscheinungsformen des gleichen Virus sind, was da wieder aufgetaucht ist. Die Erkrankungen sind ja auch extrem ähnlich. Die SARS-Erkrankung von 2 003 und das sogenannte Covid-19 ist eigentlich klinisch völlig die gleiche Erkrankung mit etwas unterschiedlichem Schweregrad. Wenn das SARS damals länger geblieben wäre das ist nach sechs Monaten verschwunden dann hätte das auch irgendwann Varianten gebildet. So wie jetzt. Aber das ist ganz was anderes als diese genannten Unterschiede, die es zum Beispiel bei Hepatitis A, B, C gibt. Das sind ganz unterschiedliche Viren, die dann auch zu ganz unterschiedlichen Virusfamilien gehören.


[0:05:41]


Jan Kröger:


Frau C. hat noch eine Nachfrage zu unserer letzten Hörerfragen-Sendung vor einer Woche:


"Lieber Herr Professor Kekulé, können Sie noch etwas ergänzen zur Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit der Nanolipid-Partikel in den mRNA-Wirkstoffen? Ich dachte immer, Nanopartikel im Körper hätten ein schwer einzuschätzendes Risiko, dass sie Zellwände passieren können, die für normale Lipide unpassierbar sind. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie erklären könnten, warum im Impfstoff Nanolipide verwendet werden und inwiefern diese eventuell ein Risiko für den Geimpften darstellen."


[0:06:11]



Alexander Kekulé:


Diese riskanten Nanopartikel, von denen manchmal die Rede ist, die sind nicht sofort biologisch abbaubar. Da ist es in der Tat so, dass so ganz kleinen Partikel, zum Beispiel im Feinstaub, uns Sorgen machen. Da kennen wir das. Wenn man atmet und Feinstaub einatmet, dann können ab einer minimalen Größen-


2 


grenze können diese Partikel problemlos ins Blut penetrieren. Sie können vom Blut in alle Organe wandern. Daher stammt wahrscheinlich diese Information, dass Nanopartikel gefährlich sind. Das sind aber dann Partikel, die eben nicht abgebaut werden, sondern die chemische Substanzen sind und keine biologischen. Hier ist es aber so, dass sind eigentlich kleine Fetttröpfchen. Die zersetzen sich tatsächlich völlig. Das ist im Körper sonst auch öfters mal, dass im Blut ganz kleine Fetttröpfchen in der gleichen Größenordnung existieren. Die werden typischerweise von Fresszellen verspeist, wenn sie irgendwo sind, wo sie nicht hingehören. Im Normalfall war es das dann.


Bei diesen speziellen Impfstoffen ist es so, man will quasi, dass die aufgenommen werden von Fresszellen oder auch von anderen Zellen. Weil dann diese RNA, die drinnen ist, freigesetzt wird. Dann kommt es zu der Situation, dass diese RNA umgewandelt wird in ein Protein. Dieses Protein, also dieses Eiweißmolekül, das ist genau dieser Spike, dieser Stachel, der außen an dem SARS-CoV-2 -Virus dran ist. Drum kommt es zu dieser Immunreaktion.


Es gibt ein Fragezeichen bei diesen Nanopartikeln, was schon aus der Urzeit stammt, als man damit angefangen hat. Wir wissen, dass Zellen manchmal was Lustiges machen. Wenn die so eine RNA aufgenommen haben, durch Nanopartikel quasi ausgepackt, dann stellt die Zelle fest, das brauche ich eigentlich nicht. Damit kann ich nichts anfangen. Manchmal passiert es dann, dass die Zellen das wieder neu verpacken, in neue Nanopartikel und das ausscheidet. Mikrovesikel sagen wir auch dazu. Dann kommt es in die Blutbahn und geht irgendwo anders hin im Körper. Diese Weiterverteilung von der Einstichstelle, dass das nicht da bleibt, wo man immunisiert hat, sondern irgendwo anders im Körper landen könnte ... Dass also die RNA vielleicht plötzlich in einer Leberzelle ist und die Leberzelle anfängt, die


Antigene, die Spikes, zu produzieren, die eigentlich zum Virus gehören. Das ist eins der Bedenken, was wir hatten am Anfang, als diese Impf-kampagnen starteten, beziehungsweise als die Studien gemacht wurden. Man wusste nicht genau, wie das Immunsystem reagiert. Aber da gibt es überhaupt keine Hinweise darauf, dass da Probleme aufgetreten wären. Das hätte man an einer Erhöhung der Leberwerte und ähnlichen Dingen wie entzündlichen Reaktionen hätte man das festgestellt. Dieser Verdacht, dass diese Nanopartikel durch Weiterverbreitung im Körper irgendwie Probleme machen könnten, der hat sich bei den Studien nicht bestätigt.


[0:09:15]


Jan Kröger:


Viele Leute kommen zwar für die Impfung infrage, aber sie fragen sich, sind sie aufgrund ihrer eigenen Gesundheit in der Lage, die Impfung zu vertragen? Zum Beispiel diese Hörerinnen aus Dresden, die uns angerufen hat.


Anruferin:


"Ich habe eine Frage: Ich bin chronische lymphatische Leukämiepatientin. Die kontrolliert wird, aber noch nicht behandelt. Können Sie mir sagen, ob ich mich trotzdem impfen lassen kann?"


[0:09:42 ]



Alexander Kekulé:


Ich würde mich impfen lassen. Die CLL, diese chronisch lymphatische Leukämie, ist eine Erkrankung, wo es durchaus auch zu Problemen mit der Immunabwehr kommen kann. Da wäre eine SARS-CoV-2 -Infektion nicht das, was man haben will. Im Vergleich dazu ist der Impfstoff harmlos. Ich würde schon sagen, dass man den Impfstoff nehmen kann. In den aktuellen Entwicklungen mit dem AstraZenecaPräparat, da gibt es Hinweise, dass einige Menschen so eine besonders starke Reaktion hatten. Die ist für einen Normalsterblichen auch kein Problem. Aber ich würde jemanden,


3


der so eine Erkrankung hat, die auch noch immunologisch ist, empfehlen, den RNAImpfstoff zu bekommen.


[0:10:2 7]


Jan Kröger:


Herr G. aus Marburg hat geschrieben:


"Meine Frage betrifft die Schutzwirkung der Impfstoffe. Diese weisen laut den vorliegenden Studien Wirksamkeiten zwischen 66 und 95 % auf. Gibt es aber für die einzelne geimpfte Person eine Möglichkeit, gefahrlos herauszufinden, ob die Impfung in ihrem Fall wirksam ist? Würde beispielsweise ein Antikörpertest darüber zuverlässig Auskunft geben?"


[0:10:48]



Alexander Kekulé:


Nein, das weiß man nicht. Das ist auch immer die Schwäche dieser Studien. Das sind immer Mittelwerte, das ist immer die Statistik. Der Einzelne kann es an den Antikörpern nicht feststellen. Man kann Antikörpertests machen, ja. Aber die sind mal höher und verschwinden dann bei einigen Probanden nach drei, vier Monaten. Wir gehen aber davon aus, dass die trotzdem noch immun sind. Das liegt daran, dass das Immunsystem hier auf diese Impfung in der Weise reagiert, dass es zunächst diese Antikörper macht. Zusätzlich auch diese sogenannten zytotoxischen T-Zellen, also eine besondere Sorte von weißen Blutkörperchen. Die können Zellen angreifen, wo das Virus drinnen ist. Diese akute Reaktion hört aber nach ein paar Tagen auf. Nach ein paar Wochen oder Monaten verschwinden quasi diese aktiven Truppen. Es gibt nur noch Gedächtniszellen, wie wir die nennen, die irgendwo im Körper darauf warten, dass vielleicht eines Tages das Virus wiederkommt. Das ist sozusagen der Pandemieplan des Organismus, der dann in der Schublade liegt. Wenn das gleiche Virus noch mal kommt, können diese Gedächtniszellen dafür sorgen, dass in kürzester Zeit wieder Antikörper produziert werden. Die sind dann besonders


spezifisch. Die haben eine besonders hohe Bindungskraft, weil immer nur diejenigen Gedächtniszellen aufgehoben werden, die besonders gut zu dem Virus gepasst haben. Da findet so eine Art Optimierung statt. Das Gleiche gilt für diese zytotoxischen T-Zellen. Wo welche Zellen irgendwo im Körper schlummern und vielleicht im Falle einer Infektion richtig gut zuschlagen könnten, heißt den Menschen schützen vor der Infektion, das kann man leider nicht feststellen.


[0:12 :2 9]


Jan Kröger:


Herr E. ist Medizinstudent aus Österreich und offenbar aufmerksamer Hörer unseres Podcasts. Er hat eine Frage zum CT-Wert beim PCR-Test. Er schreibt:


"Einen Aspekt, den Sie, Herr Kekulé, bereits in Folge 12 6 angesprochen haben. Sie haben damals angedeutet, wenn einer so etwas wie 2 5 hat als CT-Wert, dann ist er eindeutig gefährlich."


Seine Frage hängt nun damit zusammen:


"In meinem Heimatbezirk in Österreich wird die Isolation aktuell selbst nach zehn Tagen und 48 Stunden symptomfrei halt nur mit einem CTWert kleiner als 30 beendet. Aber wird hier nicht Korrelation mit Kausalität verwechselt? Der CT-Wert wird liefert einen Hinweis auf die Viruslast. Das kann, muss jedoch nichts über die Kontagiosität aussagen. Gerade ab zehn oder mehr Tagen nach Symptombeginn gibt es Hinweise, dass der CT-Wert isoliert nur noch wenig über die Kontagiosität aussagt."


[0:13:2 0]



Alexander Kekulé:


Das kann man nicht ganz so sagen. Der CT-Wert sagt einfach aus, wie viele Viruspartikel da drinnen waren in der Probe. Wobei diese Viruspartikel nicht unbedingt vermehrungsfähig gewesen sein müssen. Diese PCR weißt quasi auch abgestorbene Viren, also nicht mehr vermehrungsfähige Viren, nach. Weil sie weist nur das Genom nach, nur diese


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RNA des Virus. Trotzdem gibt es natürlich eine Korrelation. Wenn das Virus sich im Rachen nicht mehr vermehrt, dann nehmen auch diese abgestorbenen Viren deutlich ab. Das ist klar. Es wird ständig durch den Speichel und auf andere Weise da gereinigt. Die Immunzellen sind ständig unterwegs auf den Schleimhäuten und räumen alles weg, was man nicht mehr braucht. Deshalb verschwinden abgestorbene Viruspartikel nach einer Weile, wenn also nicht ständig weiter nachproduziert wird. Sodass man sagen kann, so ein CT-Wert 2 5 ist ein Beispiel, wo es eindeutig so ist da muss auf der Schleimhaut eine Virusproduktion stattfinden. Weil so viel Müll liegt nicht rum bei uns im Rachen. Das wäre nicht möglich. Klar, wenn man einen CT-Wert hat, der zwischen 2 8 und 30 liegt, da fängt die Diskussion an. Da kommt es auch darauf an, wie der Test gemacht wurde. Wie viel war auf dem Tupfer drauf? Wie gründlich wurde der abgenommen? Und ja, da gibt es einzelne Patienten, die haben Covid durchgemacht. Die sind längst wieder gesund und putzmunter. Und deren Quarantäne wird ständig verlängert, weil sie am Ende der Quarantäne so ungeschickt waren, einen Test zu machen. Dieser Test ist eine Möglichkeit, die Quarantäne zu verkürzen. Aber wenn man ihn gemacht hat und dann Fett positiv war in der PCR, dann sagt das Gesundheitsamt, noch mal zehn Tage oder 14 Tage. Je nachdem.


Unterm Strich ist es so, die CT-Werte korrelieren schon mit der Infektiosität. Davon gehen wir aus. Wo die Grenze ist, wissen wir nicht. Da entfachen sicher viele Diskussionen, ob das jetzt bei 2 8 oder bei 30 liegt oder was auch immer. Da kann ich auch nichts dazu beitragen, weil das wirklich in jedem Labor ein bisschen anders festgestellt wird. 




[0:15:34] 


Jan Kröger:


In dieser Woche hat der Bundesgesundheitsminister angekündigt, ab 1. März soll es kostenlos in Apotheken Schnelltests geben in Deutschland. Mit den Schnelltests verknüpft diese Anruferinnen auch eine gewisse Hoffnung:


"Wenn demnächst alle Risikogruppen, vor allem die über 80-Jährigen, geimpft sind, ist es


dann noch notwendig, diese PCR-Tests in diesem großen Umfang als Hauptsteuerungsinstrument nutzen. Entscheidend ist doch, dass die Todeszahlen und die schweren Erkrankungen sinken. Das andere Instrument sind die Schnelltests, hoffentlich bald zum selber Durchführen. Wäre das eine Möglichkeit, diese PCRTests endlich mal irgendwann aufzugeben?"


[0:16:18]



Alexander Kekulé:


Grundsätzlich ist das die Idee des SmartKonzepts, wenn die Alten geschützt sind, also die Risikogruppen, und man Masken hat, eine aerogene Infektionen weitgehend vermeidet, schnell nachverfolgt und massiv testet, im Sinne von Tests, die für jedermann zur Verfügung stehen. Da hat man dann den Zustand, dass man eigentlich stabil aus einem Lockdown raus kann, ohne dass die Fallzahlen wieder hochgehen, und zwar auch mit der Mutanten. Das würde dann aber trotzdem die PCR nicht völlig ersetzen. Es gibt natürlich immer Situationen, da will man auf jeden Fall vermeiden, dass man etwas übersieht. Diese Schnelltests sind weniger empfindlich als die PCR. Das ist bekannt. Zum Beispiel der Arzt, der eine Diagnose stellen will. Da kommt jemand her und hat Symptome. Da will ich als Arzt wissen, hat er jetzt einen normalen Schnupfen oder normalen Husten? Oder ist das vielleicht Covid-19? Da brauche ich die PCR. Weil da kann ich mit dieser Ungewissheit, dass der Schnelltest das vielleicht nicht detektiert hat, kann ich als Arzt nicht leben. Ich kann aber, wenn ich jemanden teste, der komplett asymptomatisch ist in Alltagssituationen ... Ich glaube, das hat die Hörerin so gemeint. Ich sage mal Kinder, die in die Kita gehen oder Besucher im Altenheim oder Ähnliches. Da ist der Schnelltest natürlich Gold wert, weil er eine zusätzliche Sicherheitsebene einzieht. Und ja, je mehr Menschen geimpft sind, desto stärker spricht es auch für diese breite Anwendung der Schnelltests. Weil dann die Wahrscheinlichkeit, dass man quasi die


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Schleusen öffnet und die Leute unvernünftig werden und sagen, jetzt habe ich mich schnell getestet, die nächste Woche mache ich sieben Tage Party, die ist dann nicht mehr so hoch. Wenn das einer wirklich machen sollte, dann trifft er hoffentlich auch nicht so viele Ungeimpfte. Klar, mit zunehmender Immunisierung der Bevölkerung kommen wir in einem Modus rein, wo wir mit Schnelltest, aber eben auch plus Maske plus Vermeidung von Superspreading in geschlossenen Räumen, wo wir stabil durch diese Pandemie segeln können. Das wissen wahrscheinlich Hörer, die länger dabei sind, dass ich das seit Ende Februar letzten Jahres empfohlen habe. Ich glaube nach wie vor, dass das das richtige Konzept ist. Ich habe auch so ein bisschen das Gefühl, dass wir in Deutschland in kleinen Schritten uns auf diese Lösungen zuarbeiten im Moment. Vielleicht wird es dann wirklich so aussehen, wenn die Schnelltests für jedermann zur Verfügung stehen, dass wird dann ganz gut mit der Pandemie klarkommen. Zugleich natürlich die Risikogruppen schützen. Ich hatte immer vorgeschlagen, in den Altenheimen bessere Schutzkonzepte einzuziehen. Das ist ja nicht gemacht worden. Aber wenn man stattdessen demnächst die Impfung hat, ist das mindestens genauso gut.


[0:19:03]


Jan Kröger:


Schnelltests, Impfungen, Altenheimen. In der nächsten Frage ist alles davon drin. Herr H. ist Physiotherapeut in Offenbach und schreibt:


"Aufgrund meiner Tätigkeit in Altenheimen bin ich nun zweifach geimpft. Nun verlangen viele Heime zum Betreten der Einrichtung einer negativen Schnelltest, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Wenn man davon ausgeht, dass Schnelltests nur Infizierte mit erhöhter Viruslast sicher erkennen und ein Geimpfter, wenn er mit dem Virus in Kontakt kommt, nun wahrscheinlich entweder gar nicht oder nur mild erkrankt, kann man doch davon ausgehen,


dass bei ihm keine hohe Viruslast zu finden wäre und ein Schnelltest sinnlos ist. Weiß man dazu schon Genaueres?"


[0:19:37]



Alexander Kekulé:


Das ist wissenschaftlich nicht sozusagen perfekt nachgewiesen. Aber ich bin immer dafür, in so einer nationalen und globalen Notlage neige ich nicht dazu zu warten, bis jetzt die letzte wissenschaftliche Studie alles perfekt nachgewiesen hat, sondern mit Arbeitshypothesen zu arbeiten. Der Hörer hat es komplett richtig verstanden. Jemand, der geimpft ist oder die Infektion schon durchgemacht hat, der kann leider noch einmal infiziert werden. Das bringen die Varianten so mit sich. Aber nach allem,


was irgendwie wahrscheinlich ist und nachdem, was die Daten hergeben, ist es so, dass jemand, der schon mal die Krankheit durchgemacht hat oder geimpft wurde, nur ganz niedrigen Virus-Titer bekommt bei der Zweitinfektion. Oder bei der Infektion mit einer anderen Variante. Das heißt, dass man aus epidemiologischer Sicht keine Angst mehr haben muss, dass der als Superspreader ins Altersheim läuft und dort alle ansteckt. Es ist vielleicht eine Sondersituation bei Mitarbeitern im Altenheim. Da wäre jemand, der jeden Tag dort ist und der vielleicht engen Kontakt zu den Patienten hat, dann sowieso ein Kandidat, der mit der PCR getestet werden sollte. Also nicht mit den Schnelltests. Ich empfehle ja schon lange dringend, auch in Abweichungen und der Empfehlungen des Robert KochInstituts und des Bundesgesundheitsministeriums, dass man Pflegepersonal im Krankenhaus oder im Altersheim und auch die Bewohner von Altersheimen, dass man die mit der PCR testet. Wir haben dafür genug Kapazität. Bei dieser besonders kritischen Situation sollten wir uns diese Lücke nicht erlauben, die zwischen den Schnelltests und den PCR immer noch vorhanden ist. Aber für Besucher ist der Schnelltest das Richtige. Und


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bei einem Geimpften den Schnelltest zu machen, das ist eigentlich sinnlos. Sinnvoller wäre es vielleicht, einmal die Woche eine PCR zu machen, wenn man absolut sicher gehen will. Wenn ich das zu entscheiden hätte, epidemiologisch würde ich wahrscheinlich sagen, dieses Restrisiko nehmen erst mal in Kauf und gar keine Tests bei solchen Personen machen. So lange, bis irgendwo vielleicht sich herausstellen sollte, dass man sie doch braucht. An der Stelle, weil das Risiko minimal ist, würde ich es erst mal drauf ankommen lassen. Genau beobachten, ob die Geimpften tatsächlich irgendwo jemand anstecken. Wenn es irgendwo auf der Welt passiert, dass ein Geimpfter jemanden anders ansteckt, dann wird das sofort publiziert. Das wäre quasi die Alarmanlage, wo ich umschalten würde und die mit der PCR testen würde. Aber sonst würde ich wahrscheinlich jetzt erst mal darauf ankommen lassen.


[0:2 2 :2 7]


Jan Kröger:


Nun haben wir in den letzten Minuten schon den Werkzeugoder Instrumentenkoffer im Kampf gegen die Pandemie ordentlich ausgepackt. Eine Etage in diesem Werkzeugkoffer, die fehlt noch ein bisschen. Die vermisst auch Herr E. aus Dresden. Hier seine Frage:


"Warum wird so wenig für Medikamente zur Behandlung der Covid-Erkrankungen getan? Täuscht mich dieser Eindruck? Wie ist Ihre Einschätzung dazu? Und wie ist nach Ihrer Einschätzung der Stand bei der Medikamentenentwicklung? Können wir in der nächsten Zeit auf Erfolge hoffen? Meines Erachtens ist das genauso wichtig wie prophylaktische Impfungen."


[0:2 3:04]



Alexander Kekulé:


Das mit der Therapie ist einfach schwierig, weil wir bei Viren immer die Situation haben, dass es nur ganz wenige Wirkprinzipien gibt, die funktionieren. Jeder weiß, dass man sich bei


Herpesbläschen in eine Creme auf die Lippe schmieren kann. Das ist so ein Beispiel, wo wir durch Zufall eigentlich was antivirales haben. Ein Mittel, was gegen Viren wirkt. Es gibt auch tatsächlich ein Mittel, was gegen Influenzaviren wirkt, oder 2 Mittel. Die helfen aber nicht gegen mutierte Influenzaviren. Aber bei den jetzigen Corona-Viren gibt es das nicht. Da gibt es keine antiviral wirksam Prinzipien. Darum hat ganz am Anfang dieser Pandemie die Weltgesundheitsorganisation im dem Fall was sehr Gutes gemacht. Die hat gesagt, wir ziehen alles aus den Schubladen, was wir irgendwie haben, wo wir den Verdacht haben, dass es vielleicht wirken könnte gegen dieses Covid-19, also zur Therapie. Und wir probieren das aus. Das ist gemacht worden. Nach und nach sind alle Kandidaten durchgefallen. Neue Medikamente zu entwickeln dauert wesentlich länger, als einen Impfstoff zu machen. Da muss man ein neues Wirkprinzip finden. Das ist meines Erachtens aussichtslos, das während der Pandemie im nächsten Jahr noch auf die Beine zu stellen. Darum war der Ansatz der WHO an der Stelle richtig.


Was funktioniert, ist die gute alte Intensiv.medizin. Die Intensivmediziner haben das rausgeholt, was sie schon immer gemacht haben und für Covid-19 beatmete Patienten optimiert. Also gesehen, wie man am günstigsten den Sauerstoff verabreicht. Wie man den Patienten lagern muss. Zu welchem Zeitpunkt das sinnvoll ist, immununterdrückende Medikamente zu geben. Dexamethason haben wir besprochen. Und diese klassische Standard-Intensivtherapie wurde sehr weit optimiert. Ich würde sagen, selbst wenn man auf der Intensivstation landet mit Covid-19, hat man in Deutschland noch eine Chance, weit über 50 %, das zu überleben. Das ist wirklich eine Leistung dieser Disziplin, ganz ohne neue Medikamente das soweit hinzubekommen. Aber sozusagen das Silver Bullet, mit dem wir das Virus quasi ausknipsen können, so etwas werden wir nicht kriegen


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während dieser Pandemie. Das wäre viel zu aufwendig in der Entwicklung.


[0:2 5:30]


Jan Kröger:


Zum Abschluss schauen wir gemeinsam mit unserem Hörer Herrn R. noch über die Pandemie hinaus. Er fragt:


"Derzeit ist abgesehen von SARS-CoV-2  die Belastung durch Viren aller Art geringer als normalerweise. Meine Frage: Ist das möglich, dass unser über mehrere Grippesaisons damit gewissermaßen geschontes Immunsystem nach Corona, also nach Wegfall der jetzigen Beschränkungen, am Ende geschwächt ist? Und wir besonders anfällig für Keime aller Art sind, da dem Immunsystem das Training fehlt?"


[0:2 5:59]



Alexander Kekulé:


Das ist wirklich eine kluge Frage. Die hätte von einem Immunologen oder Virologen stammen können. Man muss über so etwas tatsächlich nachdenken. Der Präsident des Robert KochInstituts Lothar Wieler hat vor ein paar Tagen fast stolz verkündet, dass als Nebeneffekt dieser Lockdown-Maßnahmen auch die Grippesaison in Deutschland ausgeblieben ist. Weil man mit den gleichen Maßnahmen, mit denen man SARS-CoV-2 -Infektionen verhindert, kann man auch andere Virusinfektionen verhindern. Unter anderem die Grippe oder Erkältungsviren. Bei Erwachsenen spielt das keine Rolle, wenn da ein Immunisierungsjahrgang ausfällt. Wir werden alle Jahre wieder geplagt mit allen möglichen Viren. Und unser Immunsystem hat schon ein ausreichend langes Gedächtnis, dass das mal ein Jahr aussetzen kann. Das würde mich wundern, wenn da ein messbarer Effekt auftritt. Wo aber dieses Argument stimmt, ist bei den Kindern. Bei Kindern ist es so, dass die in einem bestimmten Alter eigentlich ein offenes Fenster haben, sich immunologisch da weiterzuentwickeln. So wie es bestimmte Altersstufen gibt, wo Kinder lernen zu rechnen


oder lernen zu sprechen oder wo es am besten ist, Fremdsprachen anzufangen. Und so ist es auch beim Immunsystem. Da gibt es quasi typische Phasen, wo es eigentlich nicht so gut ist, Infektionskeime von Kindern komplett wegzuhalten. Da ist eher die Gefahr ... Da haben wir kein Beispiel dafür. Das ist eine reine Spekulation, weil das in der Geschichte noch nie vorkam. Dass aber jetzt einen Jahrgang, wo möglicherweise den Kindern was fehlt. Es ist ein Jahrgang, wo durch diese massiven Lockdown, wo quasi die ganze Erkältungssaison im Winter ausgefallen ist.


Die Kinder hatten nicht den Kontakt mit einer bestimmten Sorte Viren in diesem Jahr. Es kann dann sein, dass zum Beispiel nächstes Jahr, wir besonders viele schwere InfluenzaErkrankungen oder besonders viele schwere Erkältungen haben. Hauptsächlich von Kindern, die dieses Jahr quasi ausgesetzt haben mit ihrem immunologischen Trainingsprogramm. Da ist ein Fragezeichen dran. Man kann es so vielleicht formulieren: Dieser Lockdown ist auch ein immunologisches Experiment mit unklarem Ausgang. Vor allem, was die Kinder betrifft.


[0:2 8:2 1]


Jan Kröger:


Das war Ausgabe 150, Kekulé Corona-Kompass SPEZIAL nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. In der nächsten Ausgabe am Dienstag wird mein Kollege 

Camillo Schumann

 wieder Ihr Gesprächspartner sein. Mich hat es sehr gefreut, in dieser Woche mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Noch mal vielen Dank und bis bald dann wieder.



Alexander Kekulé:


Mich hat es auch sehr gefreut. Vielen Dank, Herr Kröger.


Jan Kröger:


Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD-


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Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen finden Sie auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 18.02 .2 02 0 #149: AstraZeneca ein Impfstoff zweiter Klasse


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Studie aus Sao Paulo mit gegenteiligem Ergebnis zur Vitamin D3-Wirksamkeit (englisch): https://jamanetwork.com/journals/jama/full article/2 776738?guestAccessKey=f5804d82 41ff-44f8-82 9f90c98f52 e117&utm_source=silverchair&ut m_medium=email&utm_campaign=article_a lertjama&utm_content=olf&utm_term=02 172 1


Jan Kröger


Links zur Sendung:


Wirksamkeit des Biontech-Impfstoffes gegen südafrikanische Mutation (New England Journal of Medicine; englisch): https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJ Mc2 102 017?query=featured_home


Eigenangaben von Prof. Winfried Stöcker zu seinen selbst vorgenommenen Impfungen: https://www.winfriedstoecker.de/blog/ergebnisse-impfungengegen-corona


Schwedische Studie über das Risiko geöffneter Schulen ohne weitere Schutzmaßnahmen (englisch): https://www.pnas.org/content/118/9/e2 02 0 834118


Empfehlungen der USSeuchenschutzbehörde CDC für den Schulbetrieb (englisch): https://www.cdc.gov/coronavirus/2 019ncov/community/schoolschildcare/operation-strategy.html


Studie aus Barcelona zur positiven Wirksamkeit von Vitamin-D3-Gabe auf den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung (englisch): https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?ab stract_id=3771318





Die Impfkampagne in Deutschland steht vor der nächsten Herausforderung. Viele haben Vorbehalte gegenüber dem Impfstoff von AstraZeneca. Ungewöhnlich viele Geimpfte klagen über Nebenwirkungen. Und schon länger ist bekannt, dass er weniger wirksam sein soll als andere Impfstoffe. Haben wir es da also tatsächlich mit einem Impfstoff zweiter Klasse zu tun?


In diesen Wochen kehren in vielen Bundesländern die Schüler zurück in den Präsenzunterricht. Gerade für viele Eltern erst mal eine Erleichterung. Unsere Frage heute lautet: Mit welchem Konzept kann das gelingen? Dafür schauen wir auf neue Strategien und Daten aus anderen Ländern. Über den Einsatz von Vitamin D3 gegen einen schweren Verlauf bei Covid-19 wird fast seit Beginn der Pandemie diskutiert. Eine neue Studie dazu liefert auf den ersten Blick hoffnungsvolle Ergebnisse. Auch damit werden wir uns heute näher beschäftigen.


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio "MDR Aktuell". In dieser Woche vertrete ich 

Camillo Schumann

, den Sie sonst an dieser Stelle hören können. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


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Alexander Kekulé


Hallo, guten Tag, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, fangen wir an mit dem Infektionsgeschehen. Das haben wir am Dienstag bereits angekündigt, dass wir das heute etwas ausführlicher tun wollen. Und da scheint es so zu sein, dass sich, wenn man auf die Fallzahlen guckt, sich dort in dieser Woche eine Stagnation ergeben hat. Eine Stagnation beim Rückgang. Heute sind es 10.2 07 Neuinfektionen. Das sind exakt 30 weniger als am Donnerstag vor einer Woche. Die Inzidenz deutschlandweit verharrt seit einigen Tagen bei der Zahl 57, ungefähr. Kommen Sie auch zu dem Schluss, dass sich der Rückgang abgeflacht hat?



Alexander Kekulé


Die Daten sehen so aus. Wir haben ja nur das, was das Robert Koch-Institut uns liefert. Bei der Johns Hopkins Universität sieht es ganz ähnlich aus. Kleine Gemeinheit, dass so kurz vor der 50 sich einzubremsen scheint. Ich weiß nicht, was das Virus sich dabei denkt. Es will uns scheinbar an der Stelle ein bisschen nerven, weil das eine zwar willkürliche, aber doch bundesweit akzeptierte Schwelle mal war. Ich interpretiere das so, dass wir bei diesen Maßnahmen die Wirkung jetzt haben, die diese Maßnahmen bringen. Es ist ja bei jedem Lockdown so. Das haben wir in der Vergangenheit auch bei den mehreren Stufen dieses aktuellen Lockdowns besprochen. Man ergreift bestimmte Maßnahmen, und die Wirkung ist eigentlich sofort. Nur bis man die Wirkung dann feststellt, dauert es eine Weile. Ich sage mal 2 Wochen. Und wenn man nach zwei, drei Wochen sieht, dass die Inzidenz nicht weit genug runtergegangen ist, dann ist die richtige Option zu sagen, wir ändern die Maßnahmen. In dem Sinn, dass man dann wirksamere Maßnahmen braucht, was auch immer das bedeutet. Das war der Grund, warum ich vor Weihnachten dagegen plädiert habe, einfach mal so den Lockdown zu verlängern. Ich habe den Eindruck, dass wir jetzt in dem Bereich sind, mit dieser etwas über 50er-


Inzidenz ... Das ist das, was im Moment durch die Maßnahmen, die wir aktiv haben, erreichen können. Wenn wir jetzt einfach nur so weitermachen, kann es eigentlich aus meiner Sicht nur schlechter werden. Weil die Akzeptanz der Bevölkerung eher sinkt. Man kann dann davon ausgehen, dass bei Fortführung des Lockdowns in genau diesem Schema man eher weniger Menschen hat, die da mitmachen. Dadurch bleibt die Inzidenz auf diesem Wert oder steigt vielleicht sogar wieder ein bisschen an.


Jan Kröger


Eine Zahl, die ich eben noch nicht genannt hatte, die hat das Robert Koch-Institut gestern veröffentlicht. Das überprüft seit einigen Wochen das Voranschreiten der britischen und südafrikanischen Mutationen in Deutschland.


2 2  % aller dort untersuchten positiven CoronaProben wiesen die britische Variante auf. 1,5 % die südafrikanische. Das waren wieder mehr als in der Vorwoche. Hat auch dieses voranschreiten mit dieser Stagnation jetzt zu tun?



Alexander Kekulé


Das wissen wir nicht genau. Also ich glaube nicht, dass man bei wirksamen antiepidemischen Maßnahmen, also Einheiten des Abstands, die konsequente Verwendung der Masken, Homeoffice, geschlossene Schulen ... Das ist eine lange Liste. Dass es da einen großen Unterschied macht, ob man jetzt eine etwas infektiösere Variante im Umlauf hat oder nicht. Natürlich, die Zahlen zeigen das. Die aktuellen Daten vom RKI belegen das auch schwarz auf weiß, dass diese Varianten speziell B.1.1.7 aus Großbritannien im Vormarsch sind. Das ist ganz normal, weil die sich schneller ausbreiten als ihre Wettbewerber. Wenn man so sagen darf. Jemand, der grundsätzlich etwas schneller ist, der wird nach einer gewissen Zeit, meine Schätzung ist Ende März ... Wahrscheinlich wird es dann die dominante Variante sein, vielleicht sogar schon vorher. Ich glaube aber nicht, dass die Tatsache, dass wir jetzt auf so einem Plateau scheinbar wieder hängen bleiben, mit den Varianten zu tun hat. Sondern das haben wir auch in der Vergangenheit gesehen. Das war im


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allerersten Lockdown genau das Gleiche. Das war zu Beginn dieses Lockdowns, Ende November, die gleiche Situation. Wir hatten so ein Plateau erreicht und dann war die Frage: Brauchen wir weitere Maßnahmen, um die Inzidenz weiter zu drücken? Das wäre eine Möglichkeit. Oder sagen wir, mit dieser Inzidenz versuchen wir jetzt irgendwie klarzukommen. Es wurde mal gesagt, 50 ist die Schwelle, was die Gesundheitsämter leisten können bei der Nachverfolgung. Und deshalb hat man das so genommen.


Inzwischen sind die Gesundheitsämter im Vergleich zu damals erheblich nachgerüstet worden. Es gibt immer noch Lücken, aber die haben wesentlich besseres Personal. Es gibt Taskforces, die landesweit eingesetzt werden können, wenn irgendwo mal einen Fokus ist. Sogar die Bundeswehr ist manchmal im Einsatz. Sodass man die Frage stellen muss, damals haben wir gesagt, 50 ist unsere Schmerzgrenze. Mein Gott, jetzt sind wir auf 57. Das ist eigentlich der gleiche Bereich. Und die Gesundheitsämter sind besser aufgestellt.


6:2 8


Jan Kröger


Ein wichtiger Weg für Deutschland, klar, das sind die Impfungen, um im Kampf gegen die Pandemie voranzukommen. Da muss Deutschland in den nächsten Monaten auch viel auf den Impfstoff von AstraZeneca Vertrauen. Aber genau daran scheint es zu hapern. Am Dienstag hatten wir hier die Hörerfrage eines Arztes besprochen, der bei sich sehr starke Nebenwirkungen festgestellt hat. Nun wissen wir aus den Nachrichten der vergangenen Tage, damit war er kein Einzelfall. In Braunschweig und in Emden wurden sogar Kliniken oder ganze Abteilungen geschlossen. Dort hatte mit AstraZeneca geimpftes Personal so starke Nebenwirkungen, dass der Betrieb nicht aufrechterhalten werden konnte. Also kein Einzelfall, dieser eine Bericht, den wir hatten. Wie haben Sie die Meldungen beurteilt über die Nebenwirkungen?



Alexander Kekulé


Da war unser Hörer ziemlich avantgardistisch. Da


es ein einzelner Anruf war, habe ich mir gedacht und auch gesagt: "Na ja, ein Fall ist kein Fall in so einer Situation." Das waren keine klassischen schweren Nebenwirkungen. Es war so eine Art systemische Impfreaktionen, so ein Fiebergefühl Schwächegefühl, als würde gerade eine Grippe kommen. Dieses Gefühl ist das, was manchmal am nächsten Tag, bei ganz wenigen sogar am übernächsten Tag nach der Impfung auftritt. Das hatte ich so verstanden, dass unsere Hörer das berichtet hatte. Wenn sich das so häufig, dass medizinisches Personal sich reihenweise krankschreiben lässt ... Ich habe gehört, dass ein Drittel der Geimpften diese Symptome gezeigt hat. Dann muss man das natürlich ernst nehmen. Das sind zum einen Fachleute, also medizinisch geschultes Personal. Die werden nicht hysterisch irgendetwas auf die Impfung schieben, was damit nichts zu tun hat. Sondern das muss man als Meldungen ernst nehmen. Dieser sehr hohe Anteil bei den Geimpften ist wirklich beunruhigend. Das stimmt auch nicht so ganz mit den Zulassungsdaten überein, die von AstraZeneca veröffentlicht wurden.


Jan Kröger


Was genau haben die gesagt?



Alexander Kekulé


Am Anfang des Jahres ist es ganz offiziell in einem wissenschaftlichen Magazin publiziert worden. Ich habe das auch gerade in dem Zusammenhang noch einmal genauer nachgesehen. Die haben dort gesagt, dass die Nebenwirkungen, einschließlich ernster Impfreaktionen, in beiden Gruppen ähnlich waren. Man hat in solchen kontrollierten Studien eine Kontrollgruppe, die ein Placebo bekommen hat. Manchmal eine andere Impfung oder so, damit der Arm wenigstens ein bisschen geschwollen ist und die nicht sofort merken, dass sie quasi ein Placebo hatten. Manchmal auch nur Salzwasser. Und dann gibt es die eigentliche Studiengruppe, die den Impfstoff bekommt. Da wurde gesagt, dass in beiden Studien sich die Effekte ungefähr die Waage hielten.


Ganz konkret publiziert, also dass es für jedermann einsehbar ist, haben Sie aber diese


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Art von Nebenwirkungen quantitativ nicht. Was hier beschrieben wird, ist nicht das, was man eine ernste Nebenwirkungen nennen würde. Im Englischen sagt man "serious adverse effects" dazu. Das sind die Dinge, die dokumentiert werden müssen. Daneben gibt es noch so eine Liste von Nebenwirkungen, die auch dokumentiert werden. Die heißen "events of special interest", also Ereignisse mit besonderem Interesse. Wenn jemand nach einer Impfung sagt: "Ich habe plötzlich nichts mehr gesehen für eine halbe Stunde." Kurz blind geworden. Dann ist das zwar erst mal keine ernsthafte Nebenwirkungen, weil es sofort wieder aufgehört hat. Aber es ist "of special interest". Es gibt ein besonderes Interesse an diesen ungewöhnlichen Dingen. Diese beiden Dinge haben sie genau dokumentiert. Da steht es auch quantitativ drinnen, was da aufgetreten ist. Aber das sind eben so richtige medizinische Diagnosen. Bein gelähmt oder Herzinfarkt. Das sind diese Effekte, die man dokumentiert hat. Was unterhalb dieser Schwelle der ernsten oder speziellen Effekte liegt, das ist in dieser allgemeinen öffentlich zugänglichen Publikation nicht drinnen.


Ich fand es interessant, dass gestern in den Nachrichten der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Professor Mertens aus Ulm gesagt hat, sein Eindruck ist, dass diese Häufung, wie wir sie jetzt sehen, nicht ganz mit den Zulassungsdaten übereinstimmt. Da kennt er aber offensichtlich Daten, die nicht allgemein zugänglich sind. Weil dieses fieberähnliche Gefühl ist nicht dokumentiert in der Publikation, die jeder von uns aus dem Internet holen kann.


Jan Kröger


Wenn man das mal zuspitzt auf die Frage: Würden Sie weiterhin zu diesem Impfstoff AstraZeneca raten? Sie und ich kämen vom Alter her noch infrage für den Impfstoff.



Alexander Kekulé


Ich bin jetzt 62 . Ich weiß nicht, ob ich nicht schon Richtung Pfizer gehe. Aber ja, was heißt raten? Es kommt auf die Situation an. Wenn Sie nichts anderes zur Verfügung haben, und wir sind in Deutschland schon irgendwo in einer Notlage,


dann ist es natürlich besser, den AstraZenecaImpfstoff zu haben als gar nichts. Aber ich rekapituliere einfach noch mal was, was der Unterschied zwischen AstraZeneca und RNAImpfstoffen nach der derzeitigen Datenlage ist. Das kann sich natürlich noch ändern.


Der AstraZeneca-Impfstoff ist weniger wirksam. Wahrscheinlich im Bereich von 60 % statt 95 %. Weniger wirksam heißt, dass man damit in dieser Größenordnung die Epidemie gar nicht kontrollieren kann. Wenn Sie ein Virus haben, was eine Basisreproduktionszahl R 0 von 3,5 oder so hat, dann kommen Sie mit einer 60 %Wirkung nicht hin. Das ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass man bei R=3 2 Drittel der Bevölkerung immun bräuchte, um die sogenannte Herdenimmunität herzustellen. 2 Drittel wären schon 67 %. Das ist also weit entfernt von dem, was man epidemiologisch bräuchte. Deshalb bin ich von Anfang an nicht so ein großer Fan von diesem Impfstoff gewesen. Die Daten sind umstritten. Ja, das liegt bei mir immer noch in der Waagschale. Das AstraZeneca hatte am Anfang ein bisschen Hokuspokus mit den Zahlen gemacht. Es ist ziemlich klar, dass die südafrikanische Variante durch den AstraZenecaImpfstoff weniger abgehalten wird. Der Impfstoff schützt weniger deutlich vor der südafrikanischen Variante. Da gibt es inzwischen einige Zahlen. Da sieht es auch bei den RNAImpfstoffen besser aus. Mehr Nebenwirkungen hatten wir schon mit Fragezeichen im Raum stehen. Für die Leute, die so grundsätzliche Kritiker sind, zu denen gehöre ich nicht. Das ist immer das Thema: "Das enthält ja eine DNA, ein DNA-haltiges Virus." Das heißt also, im Prinzip kann der AstraZeneca-Impfstoff im Zellkern Veränderungen machen, was eine RNA grundsätzlich nicht machen kann. Für mich ist es auch wichtig, dass er für Alte aufgrund der Datenlage zu Recht noch nicht zugelassen ist. Und die Alten sind unser Hauptproblem in Deutschland und eigentlich weltweit. Wir müssen die schützen. Ganz praktisch gesehen: Ein DNA-Impfstoff ist an neue Varianten viel schwieriger anzupassen als ein RNA-Impfstoff. Das dauert viel, viel länger aus technischen Gründen. Und wir müssen wohl eine Anpassung machen wegen der neuen Varianten, die da sind.


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Sodass politisch die Frage ist: Will man auf so eine Karte, auf so eine Technologie überhaupt setzen? Wenn man jetzt innerhalb der nächsten Monate mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Anpassungen vornehmen muss, kaufe ich mir dann so ein Impfstoffprodukt ein, wo ich weiß, das kriege ich nicht rechtzeitig in einer upgedateten Version. Und psychologisch vielleicht für die Deutschen, AstraZeneca es deutlich billiger. Das ist vielleicht ein Vorteil. Aber es gibt auch Leute, die sagen: "Das billige Zeug will ich nicht." Das ist halt bei uns einfach so. So dekadent das sein mag. Deshalb aus all diesen Gründen: Ja, AstraZeneca ist ein Impfstoff zweiter Klasse. Das ist die zweite Wahl.


Jan Kröger


Klare Aussage. Wir spielen noch mal den Ball weiter in die Politik. Denn die Diskussion hat gestern auch den Bundesgesundheitsminister erreicht. Er hat sich folgendermaßen geäußert:


15:07


Jens Spahn


"Wir haben bis Ende nächster Woche 10 Millionen Impfdosen für 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Wir sind in einer Zeit noch immer der Knappheit. Und ich bin sehr, sehr sicher, dass wir hinreichend viele Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, aber dann eben auch weiteren Gruppen der Priorisierungsgruppe 2  haben, die einen solchen Impfstoff gerne zu ihrem Schutz und zum Schutz von anderen nehmen werden. Und wenn Sie jetzt sagen, es gibt eine steigende Skepsis. Man muss jetzt ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht als Gesellschaft in was reinreden und ein wirklich wirksames Instrument in dieser Pandemie, nämlich eine Schutzimpfung mit einem zugelassenen, sicheren und wirksamen Impfstoff, irgendwie infrage stellen."


Jan Kröger


Ein wirklich wirksames Instrument. Sind Sie da bei Herrn Spahn?



Alexander Kekulé


Aus meiner Sicht ist es so: Wenn wir von einem wirksamen Instrument sprechen, gibt es quasi


2 Blickrichtungen, von denen man drauf gucken kann. Das eine ist: Können wir damit Todesfälle verhindern? Die Sterblichkeit ist, bei uns in Deutschland genauso wie weltweit, hauptsächlich bei den hochaltrigen Menschen, also über 80. 80 % der Verstorbenen waren über 80. In diesem Bereich ist der Impfstoff nicht zugelassen. Das heißt also, hier kann ich eigentlich nicht von einem wirksamen Instrument sprechen, weil es die Sterblichkeit nicht reduziert.


Das Zweite ist die Frage: Ist es so, dass ich damit die Epidemie eingrenzen kann? Da ist es so, dass, falls es bei diesen 60 % bleibt, man sagen muss: Nein, das geht gerade bei den etwas infektiöseren Varianten nicht. Weil wir wissen nicht genau, wie viele infektiöser die sind. Aber die sind offensichtlich etwas ansteckender als die ursprünglichen zirkulierenden Typen. Damit ist es klar, dass man eine etwas höhere Effizienz der Schutzwirkung bräuchte. Also 95 % ist gut. Aber 60 % ist dann relativ, bei diesen neuen Varianten, noch schlechter, als es sowieso schon war.


Wir haben in diesem Podcast, bevor die neuen Varianten auf dem Tableau waren, schon gesagt, dass der AstraZeneca-Impfstoff eigentlich auch bezüglich der alten Datenlage zu schwach ist von der Wirksamkeit, um die Epidemie effizient zu bekämpfen. Deshalb stimme ich da dem Bundesgesundheitsminister nicht ganz zu. Oder vielleicht kennt er Daten, die ich nicht kenne. Aber die 2 Leute, die sofort gestern in den Medien gesagt haben, ich würde mich damit impfen lassen ... Der eine von beiden ist der Bundesgesundheitsminister selbst. Von dem weiß jeder, dass er schon Covid hatte. Und der andere ist Herr Lauterbach, der sich sogar öffentlich mit dem AstraZeneca-Impfstoff impfen lassen will. Wenn jetzt Politiker anfangen, so demonstrativ vorzupreschen und sich quasi da ins Zeug legen, persönlich ... Ich habe da immer so den Verdacht, dass die Argumente alle sind und dass man mehr Gesten braucht statt Argumente. Ich glaube aber, da unterschätzen die Politiker die Deutschen. Also mal die ganzen Aluhüte ausgenommen. Aber der normale Deutsche guckt sich das ganz rational an, schaut sich die Wirksamkeit an, liest die Daten dazu und


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sagt dann: "Mach ich es oder warte ich lieber, bis ich das andere Zeug kriege." Dann gibt es noch die Frage, warum die EU massenweise AstraZeneca bestellt hat und offensichtlich zu wenig von den RNA-Impfstoffen. Die wurden von einem Gremium beraten, dem unter anderem der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, angehört. Ich finde, die müssten mal erklären, warum sie im Juli nicht gesagt haben: "Kauft mal mehr von dem RNA-Impfstoff"? Ich habe, glaube ich, schon erwähnte, ich war 2 009 in der Schutzkommission. Ich habe damals die Bundesregierung ganz offiziell beraten im Zusammenhang mit der Beschaffung von Impfstoffen gegen Influenza. Sobald die Influenza-Pandemie überhaupt nur bekannt war das war noch gar nicht erklärt als Pandemie damals haben wir sofort ein Paper gemacht. Und wir haben gesagt: "Ihr müsst jetzt das bestellen, das bestellen, das bestellen." Und zwar von uns aus, ohne dass wir gefragt wurden. Deshalb frage ich mich, was dieses Beratungsgremium von Frau von der Leyen, wo 2 Deutsche drin sind, eigentlich gemacht hat in der Zeit. Im Ergebnis ist offensichtlich zu wenig RNA-Impfstoff, also von Pfizer und von Moderna bestellt worden.


Jan Kröger


Dann schauen wir jetzt mal auf den RNAImpfstoff von Biontech und Pfizer. Und zwar im Zusammenhang mit der Frage, wie wirksam ist der gegenüber diesen Mutationen, die in den letzten Monaten aufgetaucht sind, die jetzt so langsam auch in Deutschland vordringen? Im Zusammenhang mit der südafrikanischen Variante gibt es dazu eine neue Untersuchung. Zu lesen im New England Journal of Medicine. Der Schluss lautet: "Der Biontech-Impfstoff ist gegen diese Variante aus Südafrika 2 Drittel weniger effektiv und dennoch in der Lage, das Virus zu neutralisieren." Wie passt das zusammen?



Alexander Kekulé


Das macht man immer, wenn man wissen will, ob so einen Impfstoff jetzt gegen die Varianten wirkt. Dann bastelt man im Labor künstlich diese Mutationen. Die haben an der Universität von


Texas die drei verschiedene Mutationen sich zusammengebastelt. Alle drei enthielten diese, weil diese Mutation D614G. An die wird sich kaum noch ein Hörer erinnern. Das ist nämlich die, die im Februar aufgetaucht ist in Norditalien. Die hat in der ersten Stufe dieses Virus ein Stück infektiöser gemacht. Die hat sich inzwischen weltweit zu fast 100 % durchgesetzt. Ein ähnlicher Prozess, wie wir es jetzt mit den neuen Varianten sehen. Und dann haben sie dazu noch verschiedene Dinge gemacht. So ein Element eingebaut, was in England beobachtet wurde. So eine Deletion, wo ein paar Bausteine fehlen. Es geht immer um dieses S-Protein, also um dieses Spike, was außen dran ist an dem Virus. Das ist wichtig für das Andocken an den Rezeptor, wenn das Virus versucht, in die Schleimhautzellen reinzukommen. Dann haben sie sich eine zweite Mutationen noch zusammengebaut, die sehr ähnlich aussieht wie die südafrikanische oder auch die aus Brasilien. Diese 2 Varianten haben viele Ähnlichkeiten. Da haben sie quasi drei Mutationen genommen. Wir haben schon mal über die Mutation E484K gesprochen. Die ist da mit eingebaut worden. Und noch eine dritte. Dann haben sie in einem dritten Experiment alle Mutationen, die in Südafrika sind. Das sind, glaube ich, acht oder neun in diesem S-Protein. Die haben sie alle eingebaut, komplett quasi das nachgemacht und das auch getestet. Sie hatten also drei verschiedene Testkandidaten von Viren, die künstlich hergestellt waren. Die haben sie dann versucht zu hemmen im Laborexperiment wir nennen das Neutralisationstest mit Serum von Personen, die in den Studien mal geimpft worden. Da hat man einiges zurückgestellt. Diese Studienteilnehmer müssen immer ganz schön Blut lassen. Sie kriegen auch Geld dafür in der Regel. Da hat man noch Rückstellproben im Kühlschrank. Da hat man geguckt: Haben die denn Antikörper jetzt, nachdem sie zweimal mit dem Biontech-Impfstoff geimpft wurden, mit denen diese drei im Labor hergestellten künstlichen Varianten-Viren neutralisiert werden können? Also gestoppt werden können? Da ist rausgekommen, wie Sie richtig sagen, dass die Variante, die also drei verschiedene Mutationen hatte, die so ähnlich ist wie die englische, da ist noch eine Zweidrittel-Wirksamkeit da gewesen.


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Ich habe in der Publikation eine Kleinigkeit nicht verstanden. Das kommt auch bei Fachleuten vor. Die schreiben rein, es ist um 2 Drittel reduziert worden. Das hieße, dass dann nur noch ein Drittel, also 33 %, übrig geblieben ist. Aber wenn man die Daten in der Tabelle ansieht, merkt man, dass es auf 2 Drittel reduziert wurde. Also wenn 100 % die alten Stämme sind, dann ist es bei diesen Mutanten noch 66 %, Zweidrittel, wirksam. Das ist aber nur die erste Stufe. Das ist, wenn man nur drei kleine Mutationen einbaut. Aber dann haben sie noch diesen einen gehabt, wo sie alle acht Mutationen-Reihen genommen haben, die in der südafrikanischen Mutante vorhanden sind, in dieser Variante. Da ist es wirklich auf ein Drittel runtergegangen. Also andersherum gesagt, 2 Drittel, ein Drittel. Man weiß nicht genau, wo das Ende nach unten ist. Und man weiß auch nicht, was bedeutet das. Wenn der Impfstoff von Biontech vorher 95 % wirksam war und ich davon 2 Drittel nehme, lande ich blöderweise doch wieder im Bereich von 60 %, grob gerechnet. Das wäre wiederum so ähnlich wie bei AstraZeneca. Also zu wenig, um wirklich antipandemisch zu wirken.


Ganz zu schweigen davon, wenn ich bei dieser südafrikanischen nur noch ein Drittel Wirksamkeit habe, bin ich ein bisschen über 30 %. Das ist natürlich völlig ferner liefen. Und es würde sich auch keiner mit einem Impfstoff impfen lassen, wo er weiß, ich habe da 30 % Schutz hinterher. Heißt also umgekehrt, 70 % Wahrscheinlichkeit, dass ich doch krank werde, wenn ich mich mit dem geimpft habe. Die verkaufen das an der Universität von Texas, und auch in den Medien wird das so kolportiert, als Erfolgsmeldung. Man muss auch sagen, University of Texas, das sind die Leute in Galveston, die zusammen mit Pfizer schon immer diese Studien gemacht haben. Das ist das quasi ein ausgelagertes Pfizer-Labor. Ich finde, das ist ein weiterer Grund darüber nachzudenken, ob wir nicht bald eine Anpassung dieser Impfstoffe brauchen.


2 4:42 


Jan Kröger


Wir bleiben beim Thema Impfstoff, schauen aber


nun auf eine Geschichte, die in den letzten Tagen auch eine enorme Medienkarriere in Deutschland hingelegt hat. Und viele Hörerfragen haben uns dazu erreicht. Es geht um die Person Winfried Stöcker, Labormediziner und Unternehmer aus Lübeck, der bereits im letzten Jahr angekündigt hat, einen eigenen Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln. Er sagt mittlerweile auch, diese Entwicklung bei ihm war erfolgreich. Er und seine Familie und auch weitere Personen seien nun immun gegen Covid19. Zum Kern dieser Geschichte gehört allerdings auch, dass er einen Rechtsstreit am Hals hat mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Darauf waren wir in den nächsten Minuten noch einmal schauen. Ganz neu ist die Geschichte nicht bei uns im Podcast. Wer also noch einmal Ihre Einschätzung hören möchte, bevor Winfried Stöcker diesen Tests durchlaufen hat, der kann gerne noch mal Folge 37 vom 2 9. April 2 02 0 nachhören. Ihre Aussage damals zu dem Vorhaben: Die Wirkungsweise könnte funktionieren. Aber natürlich, wenn er das nur bei sich selber ausprobiert, wäre es nicht statistisch signifikant. Das wollen wir jetzt noch einmal näher unter die Lupe nehmen. Zunächst die Wirkungsweise. Was hat Winfried Stöcker da genau gemacht?



Alexander Kekulé


Das ist eigentlich der klassische Ansatz, wie man schon immer Impfstoffe gemacht hat. Das ist ein Prinzip aus dem 18. Jahrhundert. Angeblich haben die Chinesen das sogar schon lange vorher gemacht. Man nimmt das Virus und versucht es auf irgendeine Weise mehr oder minder zu inaktivieren, also kaputtzumachen. Tod machen darf man beim Virus nicht sagen, weil es eigentlich keine lebende Materie ist. Man sorgt also dafür, dass es nicht mehr vermehrungsfähig ist, dass aber seine Proteinstruktur noch halbwegs gut erhalten sind. Da gibt es verschiedene Methoden. Man kann das austrocknen oder erhitzen oder mit Chemikalien behandeln oder Ähnlichem. Dann nimmt man das, was übrig ist, sozusagen das zermatschte Virus, und injiziert sich das. Das Immunsystem erkennt dann die Oberflächenstrukturen, die dann noch vorhanden sind. Zum Beispiel dieses Spike-


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Protein, von dem wir so oft reden. Es produziert dagegen dann Antikörper und T-Zellen, die dieses auch erkennen können. Diese Methode, mit einem abgetöteten Virus zu arbeiten oder mit Proteinen davon, ist uralt oder schon ziemlich alt, sehr gut erprobt. Wenn es ein besonders gefährliches Virus wäre, so wie Ebola und ich müsste jetzt in Westafrika zum Einsatz, dann würde ich mir wahrscheinlich auch so was spritzen. Weil das kann kaum schaden. Das ist kaum möglich, dass das schadet. Es hat aber eine faire Chance, dass es nicht richtig funktioniert. Also, dass die Schutzwirkung gering ist. Deshalb kommt es immer darauf an, sind da sogenannte Epitope dabei? Also bestimmte Regionen auf einem Protein, die von den Zellen erkannt werden, die Antikörper produzieren sollen. Und sind da Epitope dabei, die von diesen T-Zellen erkannt werden? Die quasi direkt eine Aktivität gegen den Eindringling entwickeln können. Das weiß man bei so einem Experiment nicht vorher. Aber ich würde mal sagen, das war ein pfiffiger Ansatz oder grundsätzlich richtiger Ansatz. Und genau das Gleiche haben die Chinesen damals auch gemacht. Die haben exakt die gleiche Methode verwendet und haben gesagt: "Wir machen das jetzt einfach mal. Wir stellen das jetzt her. Dann impfen wir einfach ein paar tausend Leute." In China ist sowas ja leichter möglich. Da haben die auch gesagt: "Wir schauen einfach mal, ob es wirkt. Besser als gar nichts wird sein. Besser als die berühmte Ohrfeige im Dunkeln ist es allemal." Und in China hat das dann funktioniert. Der chinesische Impfstoff ist tatsächlich wirksam. Man kann, um das ein bisschen zu verstärken, ein sogenanntes Adjuvans dazugeben. Also ein Wirkverstärker, der das Immunsystem ein bisschen kitzelt, damit es wirklich kommt und quasi angelockt wird. So wie Haie vom Blut angelockt werden, kommen da die Immunzellen und gucken sich das ganz genau an, was man da rein gespritzt hat. Das wird bei dem chinesischen Impfstoff gemacht. Herr Stöcker hat das, glaube ich, nicht mit drin gehabt, so einen Wirkverstärker. Das ist eine simple Methode. Dass das über 60 % Wirksamkeit geht, wäre echt Glückssache. Möglich, aber Glückssache.


Jan Kröger


Herr Stöcker hat sich unter anderem an die Institute von Christian Drosten und Hendrik Streeck gewandt. Er hat sich von dort auch die Bestätigung laut eigener Aussage eingeholt, dass die Immunisierung funktioniert hat. Er veröffentlicht auch Ergebnisse auf seiner eigenen Homepage. Ist das so stichhaltig, wie er es sagt?



Alexander Kekulé


Ob das mit Immunisierung funktioniert, das ist die Frage. Die erste Stufe ist, dass man Patienten hat. Das nennen wir dann Phase-2 -Studien. Vielleicht 30-50 Patienten. Manche haben auch schon 2 00 in der Phase 2 . Denen gibt man den Impfstoff. Hinterher guckt man, ob sich Antikörper dagegen bilden beziehungsweise Antikörper gegen das Sars-CoV-2  bilden. Wenn man es ganz gründlich macht, guckt man auch nach, ob sich spezifische T-Zellen bilden. Die haben ein bisschen andere Vorlieben, was sie so erkennen. Auf welche Proteine sie typischerweise reagieren. In diesem Fall, was ich gelesen habe, hat er tatsächlich in den beiden Labor nur die Antikörper testen lassen. Also feststellen lassen, ob sich Antikörper bilden, die virusneutralisierend sind. Die T-zelluläre Antwort, die mindestens genauso wichtig ist, ist meines Wissens gar nicht geprüft worden. Wenn man diese Antikörper generiert hat, kann man sagen, das funktioniert wahrscheinlich in der ersten Stufe. Weil Antikörper sind ganz wichtig, wenn das Virus kommt. In den ersten Minuten, wenn das Virus noch frei ist und noch nicht in einer Zelle drinnen ist, dann sind bei denen, die geimpft sind oder die die Krankheit schon durchgemacht haben, diese Antikörper das Erste, was die freien Viruspartikel abfangen kann. Und in einer zweiten Stufe gibt es immer ein paar Viren, die dann doch eine Zelle befallen haben. Die sitzen in der Zelle drinnen, in der körpereigenen Schleimhautzelle. Und dann braucht man diese speziellen T-Zellen, zytotoxischen T-Zellen nennen wir die. Auch wenn das Virus schon in einer eigenen Zelle drinnen ist, sind die in der Lage, quasi von außen festzustellen, da ist ein Virus drin. Und die machen dann die ganze Zelle kaputt,


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einschließlich des Virus, was dabei ist. Man hört schon raus, es ist ein relativ komplexer Prozess, wo viele Stufen eine Rolle spielen. Aber diese allererste Stufe aus der Phase 2 , da würde ich sagen, das hat er belegt. Wir wissen inzwischen alle, das das Nächste, was man machen muss, die Phase-3-Studie ist. Da testet man wirklich die Wirksamkeit im Feld. Die Hälfte der Leute kriegt ein Placebo, die andere Hälfte den Impfstoff. Dann lässt man sie sozusagen ins freie Leben raus und hofft, dass sich ein hoher Teil infiziert. Das ist jetzt ein bisschen gemein. Aber man braucht für die Statistik eine relativ große Zahl von Infektionen in dieser Gruppe. Dann wertet man paar Monate später aus und sagt, bei den Geimpften waren statistisch weniger Infektionen dabei als bei den Nichtgeimpften. Diese Phase 3, das ist die Nagelprobe. Das ist das Entscheidende, worüber wir die ganze Zeit reden, wenn wir bei AstraZeneca zum Beispiel von einer schlechteren Wirksamkeit sprechen. Das hat Herr Stocker natürlich nicht gemacht. Das heißt also, der Impfstoff ist weit von einer Zulassung weg. Und leider ist er auch zu spät, weil die Chinesen ihren Impfstoff schon zugelassen haben. Ich habe gehört, dass Ungarn sogar per Notfallzulassung sich den chinesischen Impfstoff besorgt hat. Der wird da im Moment gerade verteilt. Das heißt also, da ist Herr Stöcker einfach auch kommerziell zu spät mit dem Projekt dran.


Jan Kröger


Die Geschichte von Herrn Stöcker ging anders weiter. Im September hat er sich an das PaulEhrlich-Institut gewandt. Die Antwort des PaulEhrlich-Instituts war letzten Endes eine Strafanzeige gegen ihn. Es bestehe aus Sicht des Instituts der Verdacht strafbaren Handelns. Denn das entwickelte Antigen sei als Arzneimittel zum Einsatz gekommen. Damit bestehe der Verdacht, dass hier eine klinische Prüfung mit diesem experimentellen Arzneimittel stattgefunden hat. Das war dieser Einsatz bei der eigenen Familie, ohne zuvor die erforderlichen Genehmigungen einzuholen. Wie beurteilen Sie diese Reaktion des Paul-Ehrlich-Instituts?



Alexander Kekulé


Oh weh, sind wir deutsch. Ich kenne Herrn Stöcker nicht persönlich. Aber er macht den Eindruck, als wäre er ein bisschen hemdsärmlig. Auch im positiven Sinne. Ich kenne das aus meiner Zeit als Notarzt. Man muss manchmal in Krisensituationen 80-zu-2 0, nach Paretoprinzip, entscheiden. Ich habe zwar nicht alle Daten, aber ich mache es jetzt einfach mal, weil ich absehen kann, dass es nicht wirklich schaden kann. So hat er eigentlich recht gehabt. Klar, dass er natürlich gegen die Pharmaindustrie, auch die chinesische, keine Chance hat auf der Zeitachse das rechtzeitig hinzubekommen. Das muss er eigentlich irgendwie selber auch gewusst haben. Er ist ja nicht der einzige auf der Welt, der solche Experimente macht. Deshalb war es wahrscheinlich irgendwo auch sinnlos, seine Verwandten oder ich habe gehört, dass er noch irgendwelche Freunde und Bekannten zu freiwilligen versuchen überredet hat. Das war natürlich im Sinne einer Wirkstoffentwicklung sinnlos. Es war weiß klar, dass er keine Chance hat. Aber warum man ihn dafür abstrafen


muss ... Wissen Sie, es gibt mehrere Helden, berühmte Heldentaten in der Medizin. Bei mir in der Mikrobiologie besonders beliebt ist Barry Marshall. Das ist ein australischer Forscher. Der hat vor versammelter Mannschaft bei einem Kongress ein Gläschen von Bakterien getrunken, Helicobacter pylori heißen die, um zu beweisen, dass die eine Magenschleimhautentzündung machen. Damals war die Frage, ist die Schleimhautentzündung erst und die Bakterien setzen sich drauf? Oder sind die Bakterien wirklich die Ursache der Schleimhautentzündung? Und er konnte das dann beweisen. Er ist tatsächlich krank geworden. Er hat es dann durch Antibiotika wieder geheilt und später den Nobelpreis dafür gekriegt. Also sozusagen als Heldenselbstexperiment. So in dieser Historie von Medizinern, die vom alten Schlag sind und sagen, das probiere ich jetzt an mir selber aus, sehe ich das aktuelle Thema hier auch. Warum der jetzt deshalb strafrechtlich verfolgt werden soll? Mein Gott. Ich würde hoffen, dass die Staatsanwaltschaft, sofern da nicht jemand zu Schaden gekommen ist oder jemand von ihm nicht aufgeklärt wurde, das Verfahren wegen


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Geringfügigkeit einstellt.


Jan Kröger


Um das abzuschließen müssen wir natürlich sagen, eine juristische Würdigung können wir hier in diesem Podcast nicht vornehmen. Aber ich glaube, es ist klargeworden, dass Sie sehr viel Verständnis haben für dieses Vorgehen, das Herr Stöcker gemacht hat. Jetzt schauen wir nach diesem langen Block über die aktuellen Entwicklungen rund um Impfstoffe. Schauen wir auf das, was nun für viele Eltern in Deutschland wieder eine große Bedeutung hat: die schrittweise Wiederöffnung der Schulen in vielen Bundesländern. Das sehen wir uns in den kommenden Minuten an. Jetzt lassen wir erst einmal einige Eltern zu Wort kommen. Ein Reporter hat sich dazu in Erfurt umgehört. Dort sollen in Thüringen in der kommenden Woche die ersten Schüler wieder zurückkommen in den Präsenzunterricht.


Frau 1


"Ich bin natürlich sehr begeistert als berufstätige Mutter mit 2 Kindern, dass es dann wieder weiter. Also halbwegs normal."


Frau 2 


"Ich hätte es gerne, dass auch die Großen in die Schule gehen. Ich finde, gerade dieses Alter, 8. Klasse, 9. Klasse, ist auch total wichtig, dass die in die Schule gehen. Und dass sie es sich nicht selber beibringen müssen."


Frau 3


"Ich finde es sehr gut, weil ich war ab Mitte Dezember mit beiden Kindern zu Hause und es war grauenvoll. Die Schulsachen konnte man gar nicht zu Hause lösen, was alles gewollt war. Meine Kleine ist zwei, die Große ist neun. Und dann hat man ein bisschen was anderes zu tun."


Jan Kröger


Drei Stimmen aus Erfurt, die alle recht hoffnungsfroh auf die nächste Woche schauen. Vor allem mit den Erfahrungen, die sie in den letzten Wochen und Monaten gesammelt haben oder sammeln mussten. Wie blicken Sie darauf?



Alexander Kekulé


Das wird man sehen, was die Politik da entscheidet. Aber wir haben von der epidemiologischen Seite schon lange die Frage: Was ist mit den jüngeren Schülern? Klar ist inzwischen, dass Schüler so ab der Sekundarstufe, also nach der Grundschule, genauso infektiös sind wie Erwachsene. Da ist kein Unterschied und das wäre auch biologisch schwer zu erklären. Wir haben aber auch die Daten schon länger, dass es so aussieht, als wären jüngere Schüler möglicherweise nicht solange infektiös. Das Immunsystem bei Kindern ist einfach so, dass es sehr stark mit der angeborenen Immunantwort arbeitet. Und die ist einfach sehr schnell. Möglicherweise führt es dazu, dass diese effektiv des Virus eliminieren können und nur kurzzeitig ansteckend sind. Vor diesem Hintergrund und mit der gesamten Summe der Studien, die wir haben, die sich alle gegenseitig widersprechen ... In den Schulen kann man schon zu dem Ergebnis kommen, dass es möglich ist, die Schulen zu öffnen, wenn man bei den älteren Schülern sehr gute Sicherheitsmaßnahmen hat. Also Masken weiterhin und Abstand und so weiter. Bei den Jüngeren könnte man sogar darüber nachdenken, ob man mit Tests arbeitet plus Abstand, so weit es geht. und Kohortierung. Aber dass man auf die Masken bei den Grundschülern und in der Kita verzichtet.


Jan Kröger


Bei den Schülern. Aber natürlich nicht bei den Lehrern?



Alexander Kekulé


Bei den Lehrern würde ich das nicht machen. Es gibt auch Daten, die darauf hindeuten, dass die Lehrer angesteckt werden. Man muss ja auch immer sehen, der praktische Schulalltag funktioniert wohl doch so, dass man Schüler ganz gut kohortieren kann oder auch Kita-Kinder. Das heißt in dem Fall, dass man sie ihn so Blasen, quasi zusammen hat. Dass die mit den anderen Klassen keinen Kontakt haben. Falls es mal zu einem Ausbruch kommt, ist es dann schnell


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unter Kontrolle. Das ist bei den Lehrern schwierig. Da ist mal einer krank, da ist mal einer in Quarantäne oder im Urlaub oder so. Dann müssen die Lehrer auch andere Klassen übernehmen. Oder in der Kita werden die Gruppen dann zusammengelegt oder der Betreuer muss eine andere Gruppe übernehmen. In diesen Situationen, ist ganz klar, dass die Betreuer und Lehrer ein höheres Infektionsrisiko haben.


Jan Kröger


Dorfschullehrer aus dem 19. Jahrhundert, der alles unterrichtet hat, als Ideal für den eingeschränkten Regelbetrieb sozusagen. Dann wäre die Durchmischung nicht da.



Alexander Kekulé


Da gibt es an der Waldorfschule auch, um aus der Schule zu plaudern, sagt man da. Ich war auf einer Waldorfschule. Da ist es auch so, dass es einen Hauptlehrer gibt, der quasi viele Jahre den gesamten Unterricht schmeißt.


Jan Kröger


Sie haben Daten schon angesprochen. Es gibt eine sehr interessante Studie aus Schweden aus dem ersten Lockdown, sprich das Frühjahr 2 02 0. Was haben die in Schweden gemacht? Die haben alle Klassen von der 9. Klasse runter, also alle Jüngeren ab 9. Klasse, weiter in der Schule behalten. Und alle in der Oberstufe wurden in den Distanzunterricht geschickt. Nun hat diese Studie das ausgewertet, was das mit dem Infektionsrisiko gemacht hat. Mit dem Ergebnis, dass Lehrer im Präsenzunterricht doppelt so häufig einen positiven Corona-Test hatten als Lehrer, die eben diesen Risiko nicht ausgesetzt waren. Ebenso gab es ein erhöhtes Risiko für die Lebenspartner der Lehrer und noch ein geringfügig erhöhtes Risiko für die Familien der Schüler. Für die Kinder selber kann die Studie keine Aussagen treffen. Denn es wurde einfach zu wenig getestet, damals in Schweden, welche Infektionen es bei Kindern gegeben hat. Wie sehen Sie diese Ergebnisse?



Alexander Kekulé


Das ist eine interessante Studie. In Schweden ist


es mit den Daten so, dass da sehr, sehr viel erfasst wird. Das wissen vielleicht viele gar nicht so, aber die Schweden sind muntere Datensammler. Die konnten das eben über ihre Registraturen rückverfolgen: 163.000 Eltern, 70.000, Lehrer und 44.000 Partner von den Lehrern. Und jeweils zuordnen den Schulen und den Schülern. Dann haben die daraus diese Statistik berechnet, dass man ein Risiko von 2 fach erhöht für die Lehrer hat. Die Partner noch 1,3-fach erhöht. Was heißt es im Ergebnis? Das heißt also, der Lehrer kann sich anstecken. Da ist ein höheres Risiko. Für die Familien der Kinder ist ein erhöhtes Risiko durch diese weiterhin geöffneten Grundschulen. Das geht quasi alles unterhalb des Gymnasiums. Aber dieses Risiko schlägt sozusagen statistisch nicht durch, im Vergleich zu der Möglichkeit, sich irgendwo anders zu infizieren. Das muss man immer so ein bisschen vor Augen haben. Wenn Studien sagen, wir haben da kein erhöhtes Risiko, dann ist der Hintergrund immer die Wahrscheinlichkeit, sich irgendwo anders im Leben zu infizieren. In Schweden war nicht so viel zugemacht zu der Zeit. Die haben, fast hätte ich gesagt, aggressiv offen gehalten. Dadurch gab es einfach ein hohes Grundrisiko sich anzustecken. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass die Kinder die Schule besucht haben weiterhin übrigens ohne irgendwelche Schutzmaßnahmen. ohne Masken und so hat dieses Risiko nicht erhöht. Sodass man sagen muss, unter den schwedischen Bedingungen waren diese Grundschulen für die Schüler und deren Familie im Gegensatz zu den Lehrern keine Pandemietreiber. Das kann man daraus schließen.


Jan Kröger


"Je jünger die Kinder sind, umso weniger sind sie ein Treiber der Pandemie." Mit diesem Grundsatz ist auch zum Beispiel in den Vereinigten Staaten jetzt die Empfehlung gegangen, der obersten Seuchenschutzbehörde des CDC, die Schulen dort wieder zu öffnen. Wie genau sieht dort dieses Konzept aus? Und können wir auch in Deutschland was daraus lernen?



Alexander Kekulé


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Die CDC haben am 12 . Februar ihr Konzept aktualisiert und noch mal alle Studien gesichtet, die es dazu gibt. Die Frage, wer infiziert wen in Schulen oder in verschiedenen Altersgruppen, das ist bei uns, überhaupt in Europa nur sehr sporadisch untersucht worden. Sobald irgendwo vielleicht eine vom Staat bezahlte Studie irgendwo in Deutschland auftaucht, wird die durch die Medien getrieben. Aber letztlich habe ich in den Eindruck, dass das sehr stark auch Interessen bestimmt ist. Dass der Politiker, in dessen Land geöffnet werden soll, holt dann die Studie raus, die das irgendwie unterstützt. In den USA ist das anders. Die haben wesentlich bessere und detailliertere Daten. Die haben sehr, sehr viele Studien gemacht und das sehr gründlich untersucht. Und die kommen letztlich zu 2 Ergebnissen bei der Zusammenschau dieser Studien. Sie sagen erstens: Schulen, die also ihre Abwehrstrategien gründlich eingehalten haben, also Maske plus Abstand plus Kohortisierung, bei denen ist es möglichst sicher, zu öffnen. Die sagen, diese Methoden, die auch in Deutschland angewendet werden, um Schulen sicherer zu machen, wenn man die konsequent durchzieht, dann ist es der Schulbetrieb sicher. Die unterscheiden da relativ genau, was bei uns ja auch nicht so ist, zwischen dem eigentlichen Schulbetrieb und der Frage, was passiert im Schulbus? Was passiert vorher? Was passiert nachher? Und so weiter. Übrigens für alle Schulen, "K-12 " heißt es bei denen. K wie Kindergarten bis zur 12 . Klasse. Nach der 12 . Klasse ist in den USA Schluss mit der Schule. Das heißt also, für alle, für den gesamten Durchgang. Die zweite wichtige Schlussfolgerung, die sie gezogen haben, ist, dass sie sagen, bei jüngeren Kindern ist die Inzidenz von Covid-19 geringer. Das ist in Deutschland eine riesige Streitfrage gewesen, wo auch einige Virologen nicht genau die gleiche Meinung hatten. Das ist, glaube ich, bekannt. Die Frage: Sind Kinder genauso infektiös wie Erwachsene? Ja oder nein? Das beantwortet jetzt die CDC abschließend mit nein. Jüngere Kinder sind weniger infektiös als ältere Kinder und ältere Kinder ebenso wie Erwachsene. Damit ist hoffentlich auch in Deutschland diese Diskussion vom Tisch. Diese Diskussion gab es auch zwischen mir und einem


anderen bekannten Virologen. Das ist allgemein bekannt geworden. Also nein, jüngere Kinder sind nicht genauso infektiös wie Erwachsene. Woran das liegt, dass wissen wir tatsächlich immer noch nicht genau. Aber deshalb sagt die CDC, die Schulen zuzumachen ist die allerletzte Option, die man ziehen soll. Wenn man alle anderen antiepidemischen Maßnahmen, also Kneipen zu, Masken aufsetzen, Transportverbote und Kontaktverbote. Wenn alles nicht hilft, dann ist die letzte Maßnahme, die man ergreifend soll, die Schule zuzumachen. Das ist sozusagen die Überschrift. Mit der Überschrift haben sie dann gesagt: Was empfehlen wir jetzt? Die haben erstens neue Inzidenzindikatoren eingeführt. Die sind dort etwas strenger geworden. Wenn die Inzidenz in einer Gegend unter 50 ist, heißt das bei denen Stufe gelb. Dann soll erst angefangen werden mit regulären Unterricht in der Klasse. Wenn es über 50 ist, dann sollen diese höheren Schulen auf jeden Fall in den Hybridmodus übergehen. Also teilweise nur noch Unterricht machen. Wenn die rote Stufe erreicht ist, dass es bei denen eine Inzidenz über 100, dann soll komplett virtueller Unterricht gemacht werden. Immerhin in den höheren Schulen. Aber sie sagen, und das ist ein gutes Konzept, egal welches Level, die Grundschulen bleiben offen. Und zwar mit folgendem Auflagen: Erstens, die Lehrer werden regelmäßig getestet. Zweitens, die Schüler werden regelmäßig getestet. Es wird zumindest empfohlen, es ist keine Verpflichtung. Die Schüler sollen regelmäßig getestet werden. Und sie sollen ihre sonst üblichen "Six feet", 1,8 Meter, Abstand halten. Übrigens auch in den USA: Masken in allen Stufen. Abgesehen vom Kindergarten ist es so, dass die Schüler in den USA, auch die Kleinen, jetzt Masken tragen.


Jan Kröger


Das wäre eine Ableitung, die man sozusagen positiv aus diesem Konzept machen kann. Mit Blick auf die anstehenden Öffnungsschritte in Deutschland: Was würden Sie sagen, darf man auf keinen Fall machen?



Alexander Kekulé


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Es gibt 2 Dinge, die wichtig sind aus meiner Sicht. Wir haben das ja schon diskutiert. Ich glaube, die Öffentlichkeit in Deutschland hat sich schon müde diskutiert bei den Schulen. Aber 2 Dinge sind noch mal wichtig an der Stelle. Das eine ist, wir müssen die Schnelltests in die Schulen integrieren. Das muss vor allem bei den Kleineren regelmäßig machen, wo das aus pädagogischen Gründen nicht sinnvoll ist, Masken zu tragen. Mein Vorschlag wäre zu sagen, man testet die Lehrer einmal die Woche mit der PCR und zwischendurch auf Halbzeit von der Woche mit einem Antigen-Schnelltest. Und man bietet den Schülern einmal wöchentlich einen Antigen-Schnelltest an. Demnächst kommen ja diese Gurgeltests, wo man nur in so ein Töpfchen spucken muss. Das kann eine lustige Party in der Klasse geben. Das ist nicht so belastend wie ein Tupfer. Das Zweite, was man meines Erachtens nicht machen will da möchte ich direkt eine Warnung aussprechen ist, noch einmal anfangen mit dieser Cluster-Strategie, die letztes Jahr vorangetrieben wurde. Herr Lauterbach, den ich sehr schätze, hat sich dafür eingesetzt. Aber diese Cluster-Strategie funktioniert so, dass man gesagt hat, sobald ein Schüler in der Klasse positiv ist, untersuche ich gar nicht weiter, sondern ich nehme die ganze Klasse als Cluster. Ob die jetzt isoliert werden oder quarantänisiert werden, ist mir egal. Also wer positiv ist oder nicht, ist mir egal. Diese ganze Klasse stelle ich fünf Tage in eine "Abklingphase". Damit die sozusagen Zeit haben, da ihr Virus auszubrüten. Nach fünf Tagen teste ich alle mit einem Schnelltest durch. Wer negativ ist, kommt wieder in die Schule. Damit hat man, würde ich mal schätzen, die Hälfte aller Infektionen übersehen. Und zweitens ist es so, dass das Gesundheitsamt überhaupt keinen Überblick mehr hat, was da los ist. Man weiß nicht mehr, wer in dieser Kohorte oder in diesem Cluster überhaupt positiv war. Was bei diesen Schülern dann zu Hause passiert ist, ob die ihre Geschwister angesteckt haben, ob vielleicht die Oma schon krank ist und so weiter, das ist komplett unterm Radar. Ich glaube, das war ein Riesenfehler im Herbst, das anzufangen. Das wurde ja gemacht. Und zur gleichen Zeit sind die Fallzahlen so dramatisch gestiegen. Keiner weiß,


ob das eine Rolle gespielt hat. Aber da kann ich nur warnen. So wie ich damals erfolglos gewarnt habe. Jetzt zum zweiten Mal: Tut das bitte nicht. Die Inkubationszeit ist bis zu 14 Tage bei dieser Erkrankung. Man kann nicht nach fünf Tagen sagen, jetzt ist alles wieder gut, wenn der Schnelltest negativ ist. Gerade nicht bei so einem Cluster, wo man nicht weiß, wer sich zu welchem Zeitpunkt infiziert hat. Es kann ja sein, dass kurz bevor das Gesundheitsamt oder die Schule eingreift, noch kurz vorher eine Infektion stattgefunden hat. Da ist noch lange nicht das Ende dieser Inkubationszeit erreicht. Ich glaube, dass ist sowohl hinsichtlich der Möglichkeit der Nachverfolgung als auch als Gefährlichkeit des Experiments etwas, was man nicht noch mal machen sollte.


50:53


Jan Kröger


Nun ist unsere Zeit heute schon deutlich vorangeschritten. Aber eine Hörerfrage möchte ich auf jeden Fall noch aufnehmen. Herr M. hat sich eine Studie angeschaut, ein Preprint-Paper für das Lancet Journal am 2 1. Januar 2 02 1: "Dort werden statistisch signifikant bessere Verläufe bei Vitamin-D3-Gabe berichtet, wenn eben Patienten mit Covid-19 in die Klinik kommen. In Deutschland werde dieses Thema bisher sehr kritisch abschlägig diskutiert, schreibt er. Und fragt: Mich würde die Meinung von Herrn Kekulé zu diesem Thema interessieren."



Alexander Kekulé


Das Vitamin D wurde schon ein paarmal diskutiert. Das Vitamin D produzieren wir im Sommer bei Sonneneinstrahlung auf die Haut. Da machen wir das meiste Vitamin D selber und müssen dann kaum noch was aufnehmen durch die Nahrung. Im Winter sieht es schlechter aus. Da hat ein großer Teil der Mitteleuropäer sowieso schon immer Vitamin-D-Mangel. Also die ganzen blassen Gesichtern, die keine Sonne mehr abkriegen. Jetzt im Lockdown, würde ich mal mutmaßen, wird wahrscheinlich die Zahl der Personen mit Vitamin-D-Mangel noch größer sein. Deshalb ist es wichtig zu sagen, dass das Vitamin D möglicherweise ersetzt werden muss bei denen, die ein Mangel haben oder glauben,


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sie hätten einen Mangel. Vitamin D ist wichtig für die Knochen, dass die Mineralisierung in den Knochen funktioniert. Aber eben auch für die Immunantwort. Die Immunzellen brauchen das Vitamin D. Es ist bekannt, dass bei schwerem Vitamin-D-Mangel dann auch die T-zelluläre Immunantwort schwächer wird. Jetzt ist die Frage: Gilt der Umkehrschluss? Kann man also, indem man bei einem Vitamin noch mehr gibt, als sowieso gebraucht würde, quasi therapeutischen Effekt machen? Da ist die Antwort nein. Man kann durch zusätzliche therapeutische Gabe hoher Dosen von Vitamin D den Krankheitsverlauf bei Covid nicht verbessern. Gerade ganz aktuell, für die, die des nachgucken wollen, im JAMA ... Das ist ein Journal von der amerikanischen Medical Association. Da gibt es gerade eine klinische Studie, die relativ genau untersucht hat: Wie ist es mit der Verweildauer im Krankenhaus? Bringt das Vitamin D irgendetwas? Man hat eine echte, randomisierte klinische Studie gemacht, wo man Kontrollen hatte und alles sauber untersucht hat. Da hat man festgestellt: Nein, die Gabe von Vitamin D bringt bei Covid therapeutisch nichts. Aber ich würde natürlich trotzdem jedem raten, wenn er den Verdacht eines Vitamin-D-Mangels hat, dann soll er im Winter, gerade im Lockdown, Vitamin D nehmen und den Mangel substituieren. Man muss ein bisschen aufpassen. Man kann das überdosieren. Also genau auf dem Beipackzettel schauen. Aber ich halte das wirklich für sinnvoll, Vitamin D prophylaktisch zu nehmen im Winter. Wenn man nicht an die Sonne kommt. Und in der Pandemie, man weiß ja nicht, ob es hilft, aber besser ist es wahrscheinlich schon. Wenn man dann aus Versehen Covid bekommt, ist es besser, nicht gerade einen massiven Vitamin-D-Mangel zu haben. Das heißt also andersrum wird ein Schuh draus. Prophylaxe betreiben, zu verhindern, dass man einen Vitamin-D-Mangel hat, ist gut. Und vielleicht hilft es auch bei Covid. Das wissen wir nicht. Da gibt es überhaupt keine Daten. Aber therapeutisch bringt es nichts.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 149. Vielen


Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder. Dann kommen all die anderen Fragen auch groß zur Geltung. Dann ist wieder unser Hörerfragen-Spezial dran. Vielen Dank für heute und bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. Kekulés CoronaKompass gibt es als ausführlichen Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 16.02 .2 02 0 #148: Mutationen begründen keinen DauerLockdown Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie der TU Berlin über Ansteckungsrisiko in versch. Innenräumen: "Covid-19-Ansteckung über Aerosolpartikel: Vergleichende Bewertung von Innenräumen hinsichtlich des situationsbedingten R-Wertes" https://depositonce.tuberlin.de/bitstream/11303/12 578/5/kriegel_hart mann_2 02 1.pdf


Britischer Bericht über Ausbreitung der Mutation B.1.1.7: "NERVTAG: Update note on B.1.1.7 severity, 11 February 2 02 1" https://www.gov.uk/government/publications/n ervtag-update-note-on-b117-severity-11february-2 02 1


Jan Kröger


Die Infektionszahlen in Deutschland sind in den letzten Wochen deutlich gesunken, aber aus Sicht der politischen Entscheidungsträger nicht deutlich genug. Die Lockdown-Beschränkungen wurden letzte Woche weitestgehend bis in den März hinein verlängert. Wir fragen heute, wo bleibt die Strategie dahinter?


Begründet hat Bundeskanzlerin Merkel die Verlängerung mit der Ausbreitung von Mutationen des Coronavirus, vor allem der britischen Variante B.1.1.7. Wir wollen heute auf die jüngsten Daten aus Großbritannien schauen. Welchen Aufschluss geben sie über die tatsächliche Gefahr der Mutation?


Dann blicken wir auf die heutige Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Ab


dem 1. März sollen alle Bürger kostenlos mit Schnelltests getestet werden können. Wie wichtig ist dieser Schritt?


Und es geht um die Frage, wenn man besonders heftig auf die erste Impfdosis reagiert hat, sollte man sich dann die zweite Dosis verabreichen lassen?


Damit herzlich willkommen zurück zu Kekulés Corona-Kompass. Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio "MDR Aktuell". In dieser Woche vertrete ich 

Camillo Schumann

, den Sie sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herzlich willkommen zurück. Denn unser Podcast hatte ja eine zehntägige Pause eingelegt. Die letzte umfassende Folge hatten wir am 2 . Februar. Deswegen möchte ich mit dem beginnen, was ich getan hat in den letzten 2 Wochen. Wir blicken zunächst auf die Infektionszahlen oder auf das Infektionsgeschehen. Da hat sich einiges getan. Vor 14 Tagen lagen wir bundesweit laut RKI bei einer Inzidenz von 90. Heute bei 59. Die konkrete Zahl für heute lautet


3856 Neuinfektionen. Da steckt ein kleiner Schönheitsfehler drin. Denn heute ist es erstmals wieder so, dass die Zahlen gestiegen sind gegenüber dem Dienstag der Vorwoche. Um 480 nämlich. Wie bewerten Sie die Zahlen zurzeit? Ist das immer noch der stabile Trend oder hat diese Delle heute doch einiges an Besorgnis hervorzurufen?



Alexander Kekulé


Ich glaube, das ist nach wie vor der stabile Trend. Wir sind ja noch im Lockdown. Da kann es eigentlich nur langsam runtergehen mit den Fallzahlen. Es ist natürlich ein Zufallstreffer, was


man an einem Tag gerade für Meldungen hat. Nach dem Wochenende allemal, sodass ich immer vorschlagen würde, wir warten noch ein, 2 Tage, und sehen es uns dann an.


Jan Kröger


Das werden wir in unserer Folge am Donnerstag machen. Schauen wir erst einmal auf die Entscheidung der letzten Woche, den Lockdown weitestgehend zu verlängern. Ausnahme war die Wiedereröffnung von Friseurgeschäften ab dem 1. März. Und je nach Bundesland unterschiedlich: die Möglichkeit, Schulen und Kitas wieder zu öffnen. In der letzten Sendung hatten Sie mit 

Camillo Schumann

 das schon besprochenen. Sie hatten ein bisschen vorausgeschaut auf die Bund-Länder-Gespräche. Ich will diesen Faden noch ein bisschen aufgreifen. Zum einen haben Sie dort ein strategisches Vorgehen der Politik gefordert. Diese Entscheidung letzte Woche, trifft es das?



Alexander Kekulé


Richtig strategisch ist es nicht. Man will natürlich, dass die Fallzahlen runtergehen. Die sind ja jetzt in einem sehr guten Bereich. Und wir werden demnächst wahrscheinlich bundesweit diese berühmten 50 Fälle in der 7-Tage-Inzidenz unterschreiten. Die Frage ist strategisch oder taktisch: Wie soll es dann eigentlich weitergehen? Es wird langsam weniger, ja. Wir sind in einem Bereich, wo man noch einzelne Regionen hat, wo es deutlich über 50 ist. Teilweise gibt es schon Regionen in Deutschland, die in einem komfortablen Bereich angekommen sind. Dann sagt man, okay, jetzt öffnen wir mal die Friseure. Ich bin nicht dafür, dass man einfach irgendwie aufmacht. Weil alle Länder, die in der jetzigen Situation oder in ähnlichen Situationen geöffnet haben, das dann damit bezahlen mussten, dass die Fallzahlen wieder dramatisch angestiegen sind. Gerade so um Weihnachten rum hatte man in Irland, England und anderen Teilen der Welt auch diese Probleme. Dieser Ausbruch in Portugal war ja im Grunde genommen auch die Konsequenz einer Öffnung.


Das sind immer unkontrollierte Öffnungen gewesen. Es hat keinen Sinn, "Schleuse zu, Schleuse auf" zu denken. Sondern man muss


überlegen, wie kann man diesen Lockdown, der immer irgendwie wirken muss, durch selektivere, intelligentere Maßnahmen ersetzen. Das muss man natürlich auch vorbereiten. Es tut mir leid, das zu sagen, weil wir schon fast ein ganzes Jahr über dieses Thema sprechen in diesem Podcast. Ich sehe da noch nicht so richtig eine Strategie. Wie kommt man Schritt für Schritt raus?


Wenn jetzt zum Beispiel die Friseure geöffnet werden, dann gibt es offensichtlich Überlegungen, dass dort das Ansteckungsrisiko nicht besonders groß sei. Aber auf handfeste Daten stützt sich das natürlich nicht, weil man keine Untersuchungen gemacht hat.


Wenn die Lehrer oder Kultusminister fordern; die Schulen wieder zu öffnen, haben sie sehr gute pädagogische Gründe dafür, psychologische Gründe. Aber so richtig saubere Daten, wie man öffnen soll, ohne die Schüler und Lehrer zu gefährden, haben wir auch nicht. Da bin ich ein bisschen unglücklich drüber, dass wir nach wie vor das machen, was die Kanzlerin immer "Steuern im Nebel" nennt. Also „auf Sicht fahren“. Da hätte ich mir gewünscht, dass man zumindest diesmal am Ende des Lockdowns ein klareres Ausstiegsszenario hat.


Jan Kröger


Das Beschlusspapier nimmt an einer Stelle Bezug darauf. Zum nächsten Treffen sollen Schritte erarbeitet werden, wie eben Kontaktbeschränkungen gelockert werden können. Wie Sport in Gruppen wieder ermöglicht werden kann. Wie Freizeit, Gastronomie und Hotelgewerbe auch wieder zu ihrem Recht kommen würden.


Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der auch die Ministerpräsidentenkonferenz koordiniert für diese Gespräche, hat da die Vorschau so gemacht (auch wenn er am Anfang einen leichten Zählfehler drin hat):


Michael Müller


"Schulen, Friseure, Einzelhandel, Kultur sind 3 Stufen, die wir jetzt haben, für die nächsten 2 , 3 Wochen. Das ist der Einstieg in ein stufenweises Vorgehen. Aber es muss weitergehen.


Wir haben einige Länder gehabt, die auch selbst noch mal etwas vorgelegt haben, weil es auf der Bundesebene auch schwierig zu verabreden war. Ich habe versucht, das kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz noch mal in einen Rahmen zu gießen. Aber es war dann auch zu kurzfristig. Uns ist allen klar, es muss ausgehend von dem, was wir jetzt als Basis haben, auch von den Erfolgen, die wir in den letzten sieben Wochen erreicht haben, muss es ein weiteres stufenweises Vorgehen geben, an dem man sich auch langfristig orientieren kann."


Jan Kröger


Können Sie daraus etwas ablesen, wie es dann weitergehen soll?



Alexander Kekulé


Das ist immer so der politische Blick auf die Dinge. Der Politiker überlegt sich, was mache ich eigentlich kaputt, wenn ich Shutdown mache? Oder wo ist die Lobby besonders stark? Und deshalb nennt er natürlich diese vier Punkte, die Schulen zum Beispiel. Auch die Kultur hat in der letzten Zeit natürlich stärkere Stimme bekommen hat.


Auch beim Einzelhandel gibt es ganz klare wirtschaftliche Schäden, die entstehen. Diese Dinge liegen aus politischer Sicht in einer Waagschale. Auf der anderen Waagschale sozusagen die Infektionssicherheit.


Aus epidemiologische Sicht würde man da die Frage ganz anders stellen. Man würde nicht nach dem politischen Schaden fragen. Sondern man würde fragen, wo sind die Infektionen kontrollierbar, wenn man aufmacht. Wo könnte man aufmachen ohne Gefährdung?


Da ist der Friseur ein gutes Beispiel, der hier auch genannt wurde. Man kann Sicherheitskonzepte haben, bis hin zu Schnelltests, die man dort anwenden könnte. Die gewährleisten eine Sicherheit, die nicht auf


100 % geht. Das geht niemals. Aber die in dem Bereich ist, wo man von einem Restrisiko sprechen kann, was gesellschaftlich akzeptabel ist. Ich plädiere immer dafür, dass man diese Restrisiken ganz offen anspricht. Dass man sagt, wir können das nicht verhindern. Wir können auch diese neuen Varianten, die da kommen,


nicht verhindern. Sondern wir müssen überlegen, mit wie viel Risiko wir letztlich leben können als Gesellschaft und v.a. wen dieses Risiko trifft. Es ist ein Riesenunterschied, ob das jetzt sehr alte Menschen sind, die eine hohe Gefährdung sofort haben. Oder ob das junge Menschen sind. Wo man sagen kann: Wenn dann mal einer von 1000 sich doch infiziert, beim Friseur oder im Einzelhandel o. ä., dann ist es unter Umständen etwas, was man als Gesamtgesellschaft hinnehmen kann.


Jan Kröger


Aber diese Einstufung, die Friseure als ersten Schritt, dann den Einzelhandel, und dann denken wir über Hotelund Gastgewerbe nach ...


Ist das für Sie nachvollziehbar?



Alexander Kekulé


Das Gastgewerbe scheint offensichtlich am schwierigsten kontrollierbar zu sein. Da geht nicht so sehr darum, dass man keine Hygienekonzepte hätte, sondern dass man wirklich gerade in den Großstädten gelernt hat: Wenn wir da aufmachen, dann kommt es allgemein zu Zusammenkünften, die außerhalb der Kontrolle sind, wo es zu Infektionen kommt.


Wenn man Gaststätten aufmacht ... Ich hatte dazu vor fast einem Jahr diese Smartkonzept entwickelt. Gaststätten ist so einer der Bereiche, wo man wahrscheinlich ohne die Schnelltests nicht auskommt. Zumindest dann, wenn man sagt, da soll wirklich jedermann Zutritt haben. D.h. also, man wird wohl in vielen Gaststätten, wenn man die Menschen einfach nicht so weit auseinandersetzen kann, wie es sicher wäre im Innenraum, darauf angewiesen sein, Schnelltests zu verlangen beim Eintritt. Wenn man an diese sogenannten Gurgeltests denkt, die im Ausland schon quasi standardmäßig im Einsatz sind, dann finde ich das eigentlich zumutbar. Dass man sagt: Okay, wer einen Tisch im Restaurant bucht, der muss bei der Buchung oder dann spätestens wenn er eintrifft, einen Test vorweisen oder er kann notfalls dort einen Schnelltest machen. Ich hatte mir das so vorgestellt, dass man quasi mit Maske plus Schnelltest plus privater Registrierung eigentlich eine Sicherheitsebene; ein Sicherheitsnetz erzeugen kann, was viele


solche Bereiche stabilisiert und wieder verantwortbar macht. Auch zum Beispiel Fitnessstudios. Das ist ja auch so ein Bereich. Klar gibt es Fitnessstudios, die haben ganz tolle Lüftungsanlagen, die einzelnen Workouts sind weit voneinander entfernt. Vielleicht es auch noch Fenster offen o. ä.


Da wird man unter Umständen sagen. Naja, das ist infektiologisch kein so großes Problem. Aber natürlich gibt es dann auch Gruppen, die machen Gymnastik im geschlossenen Raum. Und weil einige frieren, sind die Fenster zu. Und bei Gymnastik sind natürlich auch ältere Herrschaften mit beteiligt. Da ist quasi im gleichen Studio eine andere Aktivität, die wieder bedenklich ist. Darum glaube ich, dass man in diesen Bereichen letztlich sagen muss: Die Schnelltests plus die Masken sind die Lösung, die man da anbieten kann. Da kann ich nur nach wie vor darauf drängen, dass man das breitflächig einführt. Ich glaube, dass wir damit ein Konzept hätten, wo wir aus diesem Lockdown genauso wie schon aus dem letzten raus können, ohne dass die Fallzahlen wieder hochschnellen.


Jan Kröger


Auf die Test kommen wir nachher zu sprechen. Aber das hieße, in ein paar Wochen könnte man an solchen stringenten Lösungen auch in Richtung Hotelund Gastgewerbe arbeiten?



Alexander Kekulé


Auf jeden Fall. Also Hotel ja sowieso. Im Hotelbereich sehe ich die Gefahr gar nicht so groß. Im Hotel sind die Personen automatisch registriert, die dort übernachten. Und es ist so, dass die Hotels heutzutage auch schon sehr gute Sicherheitskonzepte haben.


Ich würde das ergänzen. Ich habe viele Berichte gehört von Bekannten. Die sind über die Weihnachtsfeiertage unterwegs gewesen, irgendwo in den Bergen. Auch beim Skifahren, zum Teil im Ausland. Das ist durchaus noch möglich und erlaubt. Dort gibt es dann immer irgendwelche Hygienekonzepte. Die sind aber hauptsächlich auf 1,5 m Abstand im geschlossenen Raum plus Händewaschen abgestellt. Und natürlich Masken.


Ich glaube, wenn man da zusätzlich die Personen


testen würde, die eintreffen in so ein Hotel. Und man sagt, die müssen einfach negativ sein beim Eintreffen. Und wenn der Aufenthalt länger als eine Woche ist, muss man vielleicht einen zweiten Test vorlegen. In diesem Rahmen könnte man eine sehr hohe Sicherheit schaffen. Ich sage mal in der Größenordnung von 90 % 95 %. Da wären wir im grünen Bereich.


Das sollte uns eigentlich als Gesellschaft reichen. Bei den Impfstoffen ist es auch so, dass wir jubeln, wenn es heißt, 95 % schützend.


Viel besser muss unser Sicherheitskonzept auch nicht sein.


Jan Kröger


Schauen wir noch einmal auf die Begründung für die Entscheidungen der letzten Woche, weitestgehend die Maßnahmen aufrechtzuerhalten in den kommenden Wochen noch. Die Begründung, das ist die Verbreitung der Coronavirus-Mutationen. Die hat die Bundeskanzlerin nach diesem Gespräch am vergangenen Mittwoch so dargestellt:


Angela Merkel


"Die Frage ist, wie schnell nimmt sie zu. Wir wissen, dass unser R-Faktor nicht unter 0,7 liegt. Er liegt meistens bei 0,8-0,85. Wenn diese Variante um 0,3 aggressiver ist, dann würde unser Reproduktionswert wieder bei über 1 liegen. D.h., wir würden sehr schnell im exponentiellen Wachstum sein. Deshalb ist da eine dritte Welle angelegt, die wir bekämpfen müssen. Deshalb ist die Zeitspanne zwischen jetzt und Mitte März, wo uns die Experten sagen, dass die mutierten Viren die Oberhand gewinnen könnten über das bisherige Virus. Diese Zeitspanne ist so existenziell, dass wir da weiter unsere Inzidenzen senken. Deshalb müssen wir auch sehr vorsichtig sein."


Jan Kröger


Gehen Sie mit dieser Argumentation mit?



Alexander Kekulé


Es ist ja so eine alte Frage, wie man das sehen soll. Da kommt eine neue Variante oder mehrere neue Varianten des Virus. Wir hatten sowas ähnliches schon mal in Norditalien vor ziemlich genau einem Jahr. Am 2 0. Februar ist in


Norditalien zum ersten Mal eine Mutation aufgetreten. Das hat man damals noch nicht gewusst. Es war der erste Fall, der dort festgestellt wurde. Aber das war schon eine Variante, die sich schneller ausbreitete als der Wuhan-Typ. Die hat sich dann weltweit durchgesetzt. Das Virus hat sich da angepasst in dieser Andockstelle, wo diese Spikes, die an den Rezeptor in den Atemwegen andocken und auch an anderen Organen. Dort wurden die so ein bisschen optimiert, damit sie da besser dran passen. Das Virus kann so quasi besser infizieren beim Menschen. Das hat damals sich weltweit durchgesetzt, aber nicht dazu geführt, dass die Epidemie großartig anders verlaufen ist, als sie sonst verlaufen wäre. Es ist sicherlich so, dass man das hätte aufhalten können. In dem Sinn, dass man vielleicht Wochen oder Monate gewonnen hätte zu dem damaligen Zeitpunkt. Aber da war es so, dass es, wenn man es mit Norditalien vergleicht, damals ein lokalisierter Ausbruch war. Den hat man nicht erkannt. Den hätte man erkennen und stoppen können. Damit hätte man weltweit die Pandemie ausgebremst.


Das ist eine ganz andere Situation als jetzt. Jetzt haben wir nicht eine Mutante, sondern mindestens drei, die schon offiziell festgestellt wurden. Ich würde sagen, die Dunkelziffer ist mindestens fünfmal so hoch. Es gibt weltweit mit Sicherheit viele Mutanten, die sich jetzt in dem Sinn angepasst haben. Varianten, die eben etwas besser infektiös sind. Viren machen das so, dass sie sich an einen neuen Wirt anpassen. Das Virus kam mal aus dem Tierreich, höchstwahrscheinlich. Und es ist der ganz normale Vorgang. Dadurch, dass es so viele Varianten sind ... Die sind schon in Deutschland zum Teil nachgewiesen worden. Wir haben hier sehr spät angefangen, Varianten überhaupt systematisch zu suchen in Deutschland. Und wir wissen, dass die im Prinzip auch da sind bei uns, und dass die überall im Ausland sind. Direkt auf der anderen Seite der Grenze. Und da ist die Frage, ist das jetzt ein Grund, andere Maßnahmen zu ergreifen? Da bin ich jetzt schon der Meinung, dass ist kein Grund dafür. Wir haben es zwar klar mit einer Epidemie zu tun, aber es ist keine dritte Welle oder keine dritte Epidemie. Oder wie manche auch sagen


Pandemie in der Pandemie. Sondern es ist einfach nur so, dass wenn man den Lockdown lockert und die Fallzahlen ansteigen, wird sich dann natürlich die Variante durchsetzen. Das ist ganz normal, weil die einen Ticken schneller ist. Und das reicht aus, um die dann dominant zu machen.


Ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland ... Prognosen sind immer schwierig, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Aber bis Ende März werden wir in der Situation sein, dass diese B.1.1.7 und andere stärker infektiöse Varianten, die alle die gleiche Mutation haben ... Bei der südafrikanischen und bei der südamerikanischen Variante ist jeweils ein Kernelement dieses Spikes in gleicher Weise verändert. Plus noch paar andere Sachen. Sowas wird bis Ende März wahrscheinlich in Deutschland auch dominant sein. Das wird dann so ungefähr die Hälfte der Fälle oder mehr ausmachen, wenn die Fallzahlen wieder zunehmen.


Das heißt für mich aber nicht, dass man deshalb den Lockdown verlängern muss. Egal wie man vorgeht, wenn die Fallzahlen ansteigen, wird es dann diese Variante sein. Und ja, die wird wahrscheinlich etwas infektiöser sein. Wir haben schon darüber gesprochen in diesem Podcast. Dieses höhere R, was beobachtet wurde in England, also ein 0,3 oder 0,5 größeres R, also schnellere Ausbreitung. Diese schnellere Ausbreitung muss keineswegs ausschließlich auf einer höheren Infektiosität beruhen. Sondern es gibt ganz viele andere epidemiologische Faktoren, die eine Rolle spielen, und gerade in England eine Rolle gespielt haben. Aber diese Variante ist biologisch relativ klar wohl infektiöser als die Typen, die vorher da waren.


Die Rechnung ist ein bisschen die, dass man sagt: Wenn die Variante sich mit 0,4 schneller ausbreitet, dann muss ich auf 0,6 runtergehen, damit dann mit der Variante noch 1,0 beim R herauskommt. Ich glaube aber, diese Rechnung kann man nicht so 1:1 machen. Weil wenn die Gegenmaßnahmen greifen, dann wird das R durch die Gegenmaßnahmen in einen Bereich runtergedrückt, der unter 1 ist. Deutlich unter 1 ist. D.h., dass ein Infizierter statistisch weniger als einen weiteren ansteckt.


Wenn ich Gegenmaßnahmen habe, dann kommt weder der ursprüngliche Typ noch die Variante da durch.


Jan Kröger


Schauen wir noch einmal auf die Fakten, die mittlerweile bekannt sind zu dieser Mutation B.1.1.7 in Großbritannien, wo sie bereits die deutlich dominante Variante geworden ist. Was verraten die letzten Daten aus Großbritannien?



Alexander Kekulé


In Großbritannien gibt es ein wirklich gutes Team. NERVTAG heißen die. In England spricht man schon davon, dass die Leute ziemlich nerven. Das kommt von "New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group". Es ist eine Beratungsgruppe, die sich um neue und wiederkehrende Respirationsviren oder Gefahren von diesen Viren beschäftigt. Dieses Team setzt sich zusammen und beugt sich alle paar Wochen über die Daten und guckt, wie sieht es aus bei uns in England mit der neuen Variante? Die heißt da B.1.1.7.


Wir hatten schon drüber gesprochen. Es gab eine Sitzung von diesem NERVTAG-Komitee. Die haben 2 Publikationen angeschaut. Das sind immer nur Preprints und auch sehr lokal. Die kommen aus der Gegend, teilweise von Mitgliedern von NERVTAG. Die waren vom 15. Januar, wer das noch mal nachschauen will. Das eine vom Imperial College und das andere von der London Schools of Hygiene and Tropical Medicine. Das sind so 2 Star-Institute in England. Die hatten Schwachstellen. Die eine Schwachstelle ist, dass sie sich nur auf Community Daten berufen haben, also Daten erhoben wurden nur immer im Rahmen von allgemeiner Surveillance. D.h. wenn man guckt, wer hatte jetzt Covid-19. Das sind also Screening-Untersuchungen ohne medizinischen Anlass, d.h. Pillar 2  oder Ebene 2 . Ebene 1 wäre das, was im Krankenhaus passiert oder aus medizinischer Indikation festgestellt wird und natürlich viel interessanter. Die Leute, die wirklich krank sind und so zur Diagnose kommen, von denen kann man besser ableiten, wie gefährlich das Virus ist. Die hatten damals nur 3.382  Todesfälle analysiert, also eine kleine Fallzahl und eine relativ ungeeignete Datenbasis.


Jetzt haben sie sich noch mal zusammengesetzt, vor drei, vier Tagen. Da wurden noch mal neue Papers analysiert. Da haben sie sich nicht nur diese zwei, sondern zehn weitere wissenschaftliche Ergebnisse angeschaut. Die sind auch relativ ausführlich dargestellt worden. Da muss man aber sagen: Acht von denen sind wiederum auch solche Pillar-2 -Analysen. Da werden eigentlich die gleiche Datensets verwendet und noch mal neu untersucht mit mehr Zahlen. Was bei diesen Zahlen immer rauskommt: Wenn man Menschen anschaut, die irgendwie Covid-getestet worden sind – die also bei Screening-Untersuchungen z.B. für die Schule oder aus welchen Gründen auch immer sich haben testen lassen nach allgemeinen Ansätzen – und dort dann vergleicht diejenigen, die die neue Variante haben (also das B.1.1.7), mit denen, die die alte Variante haben, und sich zugleich aus der gleichen Region die Todesziffern, Sterbezahlen anschaut, kann man also feststellen, das dann des Risiko zu sterben mit der Variante B.1.1.7 etwas höher ist. Also je nach Studie so zwischen 1,3 -fach erhöht und 1,7-fach erhöht. Also zweifach wäre doppelt hohes Risiko. 1,7 kommt bei manchen Studien raus.


D.h., es gibt offensichtlich eine Assoziation, wie sich jetzt schon verdichtet, dass diejenigen, die die neue Variante haben, statistisch gesehen auf der Bevölkerungsebene irgendwie häufiger sterben danach. Da ist ein Zeitraum von 2 8 Tagen berücksichtigt worden, also innerhalb vier Wochen nach Diagnose.


Das kann aber viele Gründe haben. Das muss nicht so sein, dass dieses Virus wirklich tödlicher geworden ist. Sondern das kann auch heißen, dass das Virus Menschen infiziert oder zufällig in dieser Zeit Menschen infiziert hat, die ein höheres Sterberisiko hatten. Zum Beispiel mit Vorerkrankungen oder im höheren Alter. Eine solche Assoziation ist da nicht auszuschließen. Insgesamt ist es auch so, dass die Sterbezahlen in dem Zeitraum, wo diese Variante aufgetreten ist, und auch in den Regionen, wo diese Variante aufgetreten ist ... Das hat in Südostengland angefangen und hat dann auf Greater London übergegriffen. Da hat man aus diesen Regionen


Covid-Sterblichkeiten pro Monat, pro Woche o.ä. Und die sind in keiner Weise hochgegangen. Die Sterblichkeit pro Infektionszahl ist nicht hochgegangen in dieser Zeit. Nur die Detailanalyse, wenn man auf die Varianten schaut, gibt dieses merkwürdige Signal, dass da vielleicht das Risiko zu sterben ungefähr 1,5-fach erhöht ist.


Ich würde sagen, da ist noch ein Fragezeichen dran, um zu verstehen, ob das wirklich eine Eigenschaft des Virus ist oder ob es mit den Personen zusammenhängt, die das Virus in diesen Fällen getroffen hat.


Jan Kröger


Darüber hinaus gab es aber auch 2 Studien, die sich nicht auf Screening-Tests bezogen haben. Was haben die ergeben?



Alexander Kekulé


Das ist das wirklich Neue und die habe ich mir am genausten angeschaut, weil das andere Daten sind. Die eine ist auch wieder von der London School. Das sind Sam Abbott und Sebastian Funk, das sind 2 SuperMathematiker, die sich dort schon lange mit Modellierungen beschäftigen. Die haben sowohl die Screening-Untersuchung als auch solche, die bei Ärzten gemacht werden aufgrund von Verdachtsdiagnose oder die im Krankenhaus bei der Einweisung gemacht werden, untersucht. Das ist das Besondere, dass hier die Hospitalisierung untersucht worden. Man hat nachgeschaut, ob lokal in der Gegend, wo die Varianten aufgetaucht sind bei den Einweisungen, ob sich dort die Todeszahlen erhöht haben. Oder auch die Aufnahmen auf die Intensivstationen. Da haben sie festgestellt, dass das Risiko tatsächlich ungefähr 1,4-mal höher ist für Hospitalisierung. D.h., wenn man diese Variante hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man ins Krankenhaus muss, 1,4-mal höher, als wenn man sie nicht hat. Und die Wahrscheinlichkeit daran zu sterben ist auch ungefähr 1,4-mal höher. Diese Studie hat nicht sehr viele Einzeldaten gehabt, aber die sagt relativ deutlich: Wenn man die Krankenhaussituation anschaut, sowohl die Aufnahme ins Krankenhaus als auch die Sterblichkeit etwas höher ist, 1,4-fach, bei den


Varianten im Vergleich zum ursprünglichen Typ.


Und die zweite Studie, die widerspricht dem ein bisschen. Darum wollte ich die beide hier ansprechen. Das ist gemacht worden von dem Team, was diese Massen von Sequenzierungen in England macht. Die haben dort schon seit März letzten Jahres ein Team, das Unmengen von Sequenzdaten macht von den zirkulierenden Viren. Da ist herausgekommen, wie häufig Varianten auftauchen. Die haben mit neun Krankenhäusern zusammengearbeitet und haben da 2 .386 Patienten ausgewertet, die Covid hatten.


Knapp die Hälfte, 45 %, hatten dort schon diese Variante. Das sind Daten, die so um Weihnachten rum bis in den Januar herein erhoben wurden. D.h., aktuell ist es sicher weit über 50 %. Das Interessante ist: Es sind 533 gestorben. Wenn Sie das ganz genau nachrechnen, haben die festgestellt, dass das Risiko zu sterben mit der Variante etwas erhöht ist. Und zwar 1,09. D.h. also, man hat ein 9 % höheres Sterbensrisiko. Also nicht sehr viel.


Interessant wird es, wenn man die nächste Stufe macht. Die haben sich dann angeschaut, wie ist es mit männlich und weiblich? Sie haben festgestellt, dass bei Frauen dieses Risiko ziemlich stark erhöht ist, nämlich 1,4-fach. Also etwa 40 % höheres Sterbensrisiko. Bei Männern dafür ist es verringert, 0,89. Die hätten 11 % weniger Risiko zu sterben.


So ähnlich ist es auch bei der Hospitalisierung oder bei der Aufnahme auf Intensivstationen in dieser Studie gewesen. Das ist für mich so typisches Beispiel, was Statistiken manchmal machen. Da sieht man so einen Wert und sieht, da ist das Risiko erhöht zu sterben. Wenn man genau nachschaut, sieht man, bei Männern ist es niedriger als bei Frauen. Im Gegenteil. Bei Männern hätte die Variante sozusagen ein protektiven Effekt. Und im Mittelwert gibt es eine leichte Erhöhung. So was stinkt für mich immer danach, dass man die Daten noch nicht optimal analysiert hat. Da ist irgendein Confounder, irgendein Faktor, der die Auswertung gestört hat. Der hat zu diesem Ergebnis geführt. Weil wir genau wissen, und das


ist eindeutig, dass Covid-19 für Männer gefährlicher ist. Männer sterben häufiger an Covid. Das ist praktisch sicher und zwar von Anfang an. Das war schon in den ersten chinesischen Daten so. Dass jetzt hier plötzlich die Frauen häufiger sterben sollen bei der Variante, da sage ich mal: Oh. Wenn man das sieht, man sieht, dass das eine der Bausteine ist, warum dieses NERVTAG-Komitee zu dem Ergebnis kommt, dass sie sagen, höchstwahrscheinlich ist diese Variante gefährlicher. Also lebensgefährlicher. Nicht im Sinne von infektiöser. Das steht außer Frage. Sondern lebensbedrohlicher als der Vorgänger. Da würde ich sagen, epidemiologisch stimmt das, ja. Epidemiologisch sehen wir das. Aber ob das wirklich das Virus ist oder ein epidemiologischer Effekt, zum Beispiel wer da überhaupt infiziert wird, das ist aus meiner Sicht offen.


Jan Kröger


Für uns wiederum in Deutschland bleibt die Frage, was muss passieren, damit das als Rechtfertigung für den Lockdown weiterhin dienen kann?



Alexander Kekulé


Ich würde sagen, da muss man unterscheiden. Das eine ist die höhere Infektiosität, höhere Ansteckungsfähigkeit. Wir sagen „Kontagiosität“, dass das Virus ansteckungsfähiger ist. Da, würde ich sagen, gibt so viele Hinweise darauf, dass man das als Arbeitshypothese verwenden kann. Diese neuen Varianten, die alle die gleiche Basis haben, egal ob aus England, Südafrika oder Südamerika, sind ansteckender als die ursprüngliche, die wiederum ansteckender war als die Wuhan-Variante. Das andere ist die Frage: Ist sie auch gefährlicher im Sinne von tödlicher? Letzteres würde ich sagen, da ist immer noch in dickes Fragezeichen dahinter. Wir sehen es epidemiologisch als Effekt. Aber ob das jetzt biologisch eine Eigenschaft des Virus ist ... Nach dem Motto, wenn ich wirklich damit infiziert werde, habe ich ein höheres Risiko, dran zu sterben. Das sehe ich noch nicht. Vor allem deshalb, weil auch in England nach wie vor, obwohl diese Variante sich so ausbreitet ... Die haben B.1.1.7 jetzt wahrscheinlich in vielen


Regionen bei 70 %, weil sich das einfach durchsetzt. Trotzdem hat die Sterblichkeit nicht zugenommen an dieser Erkrankung. Das ist eigentlich der beste epidemiologische Beweis dafür, dass es, wenn es ein Effekt ist, so ein kleiner hinter dem Komma ist. D.h., wir haben allen Grund weiterhin vorsichtig zu sein. Ich würde niemals von Lockerungen sprechen wollen, sondern immer sagen, wir beenden den Lockdown. Aber wir machen stattdessen etwas Anderes, was selektiver und intelligenter ist. Technisch unterstützt. Aber wir dürfen nicht einfach aufmachen. Weil das ist ganz klar ein infektiöseres Virus. Wenn man aufmacht, wird es diese Chance nutzen, genauso wie sein Vorgänger auch. Vielleicht wird es das ein bisschen besser nutzen. Aber für mich ist es kein Grund umgekehrt, den Lockdown zu verlängern, dass diese Varianten vorhanden sind.


Jan Kröger


Was die Ministerpräsidenten oder die BundLänder-Gespräche in der letzten Woche ergeben haben, das war eine Neu-Fokussierung auf einen neuen Inzidenzrichtwert.


Kurz bevor die 50 bundesweit erreicht ist, wird nun gesagt, das 35 das Ziel ist, um dann zum Beispiel beim Einzelhandel wieder Öffnungen stattfinden lassen zu können. Können Sie sich das erklären, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist?



Alexander Kekulé


Das ist genauso mysteriös wie die 50 wahrscheinlich. Kanzleramtsminister Braun hat ja schon ein paar Mal schon erklärt, wie man auf diese 50 kam. Man hat gesagt, sieben Tage die Woche, 7 × 7 ist 49. In der Größenordnung von sieben Fällen pro Tag kann ein Gesundheitsamt das nachvollziehen. Am Anfang war das noch so, dass man von 35 ausgegangen ist, also fünf pro Tag. Dann wurde das quasi politisch hochgehandelt auf 50. Jetzt soll es wieder 35 sein. Es ist sicher sinnvoll, so einen Grenzwert zu haben. Es ist sinnvoll, damit die Politik einfach so eine Linie hat, wo sie sagt, wo müssen wir konsequentere Entscheidungen treffen. Ob der bei 50 oder bei 35 liegt, weil diese Zahlen nicht so genau sind, das ist meines Erachtens nicht so wichtig.


Dass man das jetzt gesenkt hat, von 50 auf 35, während wir auf dem absteigenden Ast sind, ich höre da so ein bisschen "No Covid" durch. Es gibt diese Kampagne "No Covid", die sich bei der Bundeskanzlerin und bei den Ministerpräsidenten Gehör verschaffen konnte. Einige haben ja kritisiert, dass da nur eine kleine Auswahl von Fachleuten zurate gezogen wird. Natürlich ist die "No Covid"-Strategie, also dass es auf 0 runtergehen soll, meines Erachtens jetzt epidemiologisch nicht mehr sinnvoll. Ich habe das vor genau einem Jahr selber gefordert, als es noch machbar gewesen wäre. Da waren einige Leute dagegen. Diejenigen, die damals dagegen waren, sagen jetzt, sie sind für "No Covid" oder stehen zumindest dieser Gruppierung nahe. Ich weiß nicht, ob man das der Bevölkerung zumuten kann, ganz ehrlich gesagt. Als Epidemiologe bin ich natürlich immer dafür, Viren zu eliminieren. "No Covid" würde ich mir sofort aufs T-Shirt drucken lassen. Ich bin aus verschiedenen Gründen dafür. Meine Kinder würden das auch lieben, wenn sie kein Covid hätten. Aber es ist vielleicht eine Mogelpackung zu sagen "No Covid". Weil 0 wird nicht möglich sein, ohne die Außengrenzen zuzumachen. Es wird nicht diese sogenannten grünen Bereiche, die da in Deutschland entstehen sollen, die sich dann gegen die noch nicht grünen Bereiche quasi abriegeln. Das wird dann so Netzwerk von von "zona rossa", wie man in Italien dazu gesagt hatte am Anfang. Und statt roten Zonen werden es dann grüne Zonen, wo außen rum alles rot ist. Ich sehe da nicht so richtig, dass das irgendwie funktionieren kann. Wir sehen jetzt schon an der Grenze zu Tschechien, was das für ein Chaos gibt, wenn man zumacht und die Just-in-TimeLkw nicht mehr rein können. Und das soll es dann innerhalb Deutschlands mit grünen Zonen geben, die dann immer mal wechseln können. Der eine Bezirk wird dann plötzlich von grün auf gelb umgeschaltet. Ich glaube, das ist praktisch nicht möglich. Aber diese Entscheidung von 50 auf 35 runterzugehen ... Ich habe den Eindruck, das ist ein gewisses Sympathisieren mit der "No Covid"-Idee. Wenn "No Covid" am Schluss vielleicht sich hochhandeln lässt auf nicht 0 Fälle, sondern 35, und das vielleicht als stabilen Zustand aufrechterhalten und in diesem Zustand


durch gute Nachverfolgung plus Kontrollmaßnahmen, Masken, Schnelltests usw. in diesem Zustand zu bleiben ... Plus unter Umständen Grenzschließungen, wenn die Nachbarn wahnsinnig hohe Fallzahlen haben. Das muss man dann vorübergehend machen. Dann haben Sie genau das Konzept, was sich im Februar 2 02 0 vorgeschlagen habe. Also wenn "No Covid" sich sozusagen hochhandeln lässt auf nicht "No", sondern auf 35, dann wäre das vernünftig. Ich weiß nicht, ob die Politik heimlich darauf zusteuert. Man überlegt, wenn es keine Erklärungen gibt, was vielleicht die größere Weisheit dahinter sein sollte. Aber vielleicht ist es auch nur wieder Zufall.


Jan Kröger


Wir werden es vielleicht die nächsten Wochen erfahren. Je nachdem, wie sich dieser Inzidenzwert entwickelt. Sie haben die Grenzschließungen schon angesprochen, die Richtung Tschechien und Richtung Tirol unternommen worden sind von der Bundesrepublik. Einerseits lange Staus an den Grenzen und Warenlieferungen, die auch hier gebraucht werden, und Arbeitnehmer, zum Beispiel in der Pflege, die schwer rein können. Auf der anderen Seite haben Sie eben auch gesagt, als vorübergehende Maßnahme ganz praktisch. Was heißt vorübergehend? Für wie lange?



Alexander Kekulé


Das ist ganz klar, das ist das Prinzip der kommunizierenden Gefäße, was jeder aus der Physik kennt. Wenn Sie ein Gefäß haben, wo viel Druck drinnen ist oder viel Flüssigkeit, in ein anderes, wo wenig drin ist, und sie verbinden die unten miteinander, dann gleicht sich das aus. Das es so eine Art Druckausgleich bei den Infektionen. Wir sprechen tatsächlich in der Epidemiologie auch vom Infektionsdruck in dem Zusammenhang. In Deutschland stehen wir jetzt gar nicht so schlecht auf 59 als 7-Tage-Inzidenz zu. Von 59 wollen wir runter auf 35. Wenn man dann so einen Nachbarn hat wie Tschechien, die aus verschiedenen Gründen Öffnungen machen, Öffnungsorgien würde die Kanzlerin wahrscheinlich sagen. Die bezahlen jetzt für ihre „Öffnungsorgien“ und liegen bei einer 7-Tage-


Inzident von 190 ungefähr. Das ist natürlich satt. Wenn Sie dann ganz viele Grenzpendler haben, die ständig von einem 190er-Gebiet in ein möglicherweise demnächst 40eroder 35er Gebiet hin und her fahren, das geht nicht. Das wird beobachtet in Deutschland, dass in diesen grenznahen Regionen wohl durch die Pendler, ob Berufspendler oder Ausflügler, das weiß ich nicht, aber wohl durch die Pendler bedingt in den grenznahen Regionen die höchsten oder sehr hohe Fallzahlen sind. Deshalb muss man da vorübergehend, bis die Nachbarn das in den Griff bekommen haben, Kontrollen einführen. Da gibt es aus meiner Sicht 2 Möglichkeiten. Die eine ist das, was jetzt gemacht wird. Das ist dann die Ultima Ratio: Einfach zumachen. Ich glaube aber, dass man 2 Spezialfälle eigentlich besser behandeln könnte.


Der eine Spezialfall sind die Transporte. Wir sehen in den Nachrichten die Lkw, die an den Grenzen stehen. Das ist von der tschechischen Republik, auch von Frankreich und natürlich von der Europäischen Kommission kritisiert worden, dass Deutschland da über Nacht im Alleingang vorgeprescht ist und jetzt die Warenlieferungen draußen bleiben. So ein Lkw-Fahrer, ein Mensch, der sitzt ganz alleine in seinem riesigen Laster. Vielleicht sind sie manchmal zu zweit. Die Namen von diesen Leuten zu registrieren, vielleicht über die Spedition, das kann doch kein Hexenwerk sein. Heutzutage haben alle GPS drinnen. Der Spediteur weiß ganz genau, wer wo am Steuer ist, wie lang der Pause gemacht hat, ob er zwischendurch noch bei McDonald's oder woanders sich einen Hamburger geholt hat, ob er seine Schlafzeiten eingehalten hat und was es alles gibt. Dass man das nicht nutzt, um zu sagen, diese Leute werden registriert, die werden in sinnvollen Abständen mit Schnelltests getestet, und die fahren auf einer registrierten, vorher definierten Spur da rein und raus und kriegen eine Art Einfahrtsschein dafür. Im Europa des 2 1. Jahrhunderts sollte sowas doch einfach mal möglich sein. Es ist ein Riesenunterschied, ob Sie irgendwelche unkontrollierten Skifahrer haben, wo Sie nicht wissen, wer das war, was der macht usw. Oder ob Sie einen tschechischen oder rumänischen Lkw-Fahrer haben, der nicht lange Urlaub in


Deutschland macht, sondern umlädt und wieder zurückfährt.


Das andere sind die Grenzpendler. Dieser grenznahe Verkehr, das sind echt viele Menschen, die ständig hin und her müssen, weil sie in Tschechien wohnen und in Deutschland arbeiten. Oder in Tirol gibt es häufig Menschen, die dann in Süddeutschland arbeiten und in Tirol leben. Das ist auch ein begrenzter Personenkreis. Warum kann man die nicht registrieren, regelmäßig testen und mit einer Plakette, ähnlich der Mautplaketten, die man an den Autobahnen in Italien und in Frankreich schon lange hat ... Da müssen Sie gar nicht mehr bremsen, sondern nur etwas langsamer werden, dann wird telemetrisch von dem Chip, den Sie im Auto haben, gemessen, dass Sie bezahlt haben. Oder in unserem Fall wäre es, dass Sie den letzten Coronatest gemacht haben. Und dann können Sie da durch. Natürlich muss die Polizei gelegentlich mal kontrollieren, ob da keiner schummelt, dass die Plakette nicht getauscht werden. Aber mein Gott, geschummelt wird immer ein bisschen. Daher glaube ich, dass man durch relativ einfache Maßnahmen diese Grenzpendler und den Warenverkehr viel besser in den Griff kriegen könnte, ohne gleich die Schleuse runter zu lassen nach Tschechien und Tirol.


Deshalb ist die Kritik aus Brüssel in gewisser Weise berechtigt. Man sagt, so radikal muss es nicht sein, ein milderes Mittel hätte vielleicht auch genügt. Aber auch da haben wir so ähnlich wie mit den Schnelltests die Situation, so was muss man vorbereiten. Man muss dafür sorgen, dass die Technik auch da ist und dass die steht. Ich bin ganz sicher, dass irgendwann ein Minister sehr stolz verkünden wird, dass man ab nächster Woche das dann endlich fertig hat. Weil man der Not gehorchend wahrscheinlich so eine smarte Lösung gefunden hat.


Jan Kröger


Da sprechen wird aber auch über digitale Lösungen im Deutschland der Coronapandemie. Und das ist ein Thema, über das man sich noch länger auslassen kann. Aber Sie haben schon von einem stolzen Minister gesprochen, der mit einer Idee kommt. Bundesgesundheitsminister


Jens Spahn hat gewissermaßen Ideenimport betrieben. Er will ähnlich wie Österreich eine Schnelltest-Strategie verfolgen. Aber wenn wir näher hinschauen, dann gibt es da bedeutende Unterschiede. Jens Spahn hat heute angekündigt, alle Bürgerinnen und Bürger sollen kostenlos von geschultem Personal mit AntigenSchnelltests getestet werden können. Ab dem 1. März. Die Kommunen sollen vor Ort Testzentren oder Apotheken mit solchen Angeboten beauftragen können. Die Kosten dafür will der Bund übernehmen. Erst mal die grundsätzliche Frage: Finden Sie das gut?



Alexander Kekulé


Tja, wen fragen Sie da. Es ist bekannt, dass ich seit letztem März dringend für diese Schnelltests plädiere. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man das lernen kann wie Zähneputzen. In Österreich ist Standard, der sogenannte Gurgeltest oder Spucktest. Das kann im wahrsten Sinne des Wortes wirklich jedes Kind. Diese Tests wurden ja nicht gerade erst erfunden. Sondern das geht akut nur noch darum, für diese Selbstdurchführung einen weiteren Zulassungsschritt zu machen. In der Europäischen Union muss man bei Tests, die durch Privatpersonen selber gemacht werden, zusätzlich nachweisen, dass er idiotensicher ist. Das ist aber kein Hexenwerk. Das Zulassungsverfahren dauert höchstens 2 Monate bei gutem Willen der Behörden. Das wird jetzt wohl, wie ich gehört habe, auf den Weg gebracht. Endlich. Also klar bin ich dafür. Das ist eine gute Sache.


Jan Kröger


Das wird auf den Weg gebracht. Wie gesagt, ab dem 1. März. Das betrifft noch immer Schnelltests, die geschultes Personal vornehmen müssen. Es soll dann wiederum den Weg ebnen für diese Selbsttest, die Laien machen können. Das Ganze ist in Österreich schon einen Schritt weiter. Wie genau sieht es da aus?



Alexander Kekulé


Sie wissen, ich bin ursprünglich aus München. Auch wenn meine Wahlheimat Halle an der Saale ist. Aber man guckt als Bayer immer ein bisschen kritisch auf Österreich rüber. Traditionell ist das ein alter Streit: Wer hat den


Kaiserschmarrn erfunden? Wer hat die klügeren Kinder? Wer hat die schöneren Berge? Aber da jetzt waren uns die Österreicher deutlich voraus. Das tut mir als Bayer besonders weh. Aber es ist so, bei denen ist der Schnelltest ab 1. März für den Eigenbetrieb, also zum Selbermachen, in den Apotheken erhältlich. Und zwar auch umsonst. Diesen richtigen Schritt hätte man in Österreich auch noch früher machen können. Aber da frage ich jetzt schon, gibt es da nicht irgendwie eine Ehre, auch außerhalb Bayerns, dass man sagt: Jetzt müssen wir zuschauen, wie das kleine Österreich uns hier vormacht, wie man Coronabekämpfung macht. Das soll mal keine Kritik sein, sondern ein Ansporn, das schnell auf den Weg zu bringen. Weil ich ganz sicher bin, dass in dem Moment, wo die Menschen das selber in der Hand haben, werden sie das zum größten Teil vernünftig nutzen. Ich glaube nicht, dass die Leute Schnelltests machen und sich dann sagen: Jetzt kann ich nur negativ sein. Ich treff mich mit der Oma, obwohl ich gerade aus Tirol zurückkam. Sondern es wird so sein, dass die Menschen das vernünftig einsetzen. Und mit der Einschränkung, dass man Risikopersonen nicht mit den Schnelltests sichern sollte. Sondern dass im Altenheim, insbesondere das Personal und die Bewohner weiterhin PCRs bekommen sollten. Ansonsten finde ich, sind diese Schnelltests, auch wenn man sie selber macht, eine ganz tolle Sache.


Jan Kröger


D.h. die Ankündigung des Gesundheitsministers von heute ist für Sie nur der halbe Schritt?



Alexander Kekulé


Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Da muss man sich schon sehr darüber freuen. Ich weiß aber auch, sogar von ihm persönlich, dass das in der Mache ist, dass man diese Zulassung für den selbst gemachten Test bekommt. Das ist in dem Sinne keine Zulassung. Es wird manchmal so genannt. Aber es ist so, dass dieses Zertifikat, diese CE-Konformität, kann sich sonst der Hersteller selber draufstempeln und selber ausstellen. Wenn es aber durch Privatpersonen und durch nicht geschultes Personal gemacht wird, muss eine unabhängige dafür befugte Stelle das zertifizieren. Also noch mal drüber


schauen, dass die Daten alle in Ordnung sind. Es gibt aber massenweise Studien. Bei den Spucktests gibt es aus Österreich Studien, schon vom letzten Frühsommer, die gezeigt haben, dass das funktioniert. Sogar bei den Antigentests gibt es inzwischen auch aus Deutschland mehrere Studien, die das belegen, was eigentlich offensichtlich ist: Dass es Menschen gibt, die nicht Medizin studiert haben und die trotzdem in der Lage sind vor dem Spiegel mit einem Wattetupfer sich aus dem Rachen ein bisschen Schleim zu entnehmen. Das ist aber tatsächlich jetzt akademisch-wissenschaftlich belegt durch mehrere Studien. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, das nicht zu machen.


Jan Kröger


Diese Tests könnten dann einen Schritt wieder ermöglichen. Zum Beispiel, dass wieder mehr möglich ist. In Schulen, in Kitas, aber auch eben im Einzelhandel oder in der Kultur. Genau diesen Ansatz haben auch Forscher von der TU Berlin verfolgt. Nämlich herauszufinden, in welchen Bereichen ist es eigentlich besonders riskant, sich anzustecken und in welchen nicht? Wo könnten Hygienekonzepte greifen? Das war so die Leitfrage. Die Frage, die wir uns alle noch stellen: Bei welchen konkreten Maßnahmen hilft man besonders viel, um die Verbreitung des Coronavirus und der Krankheit Covid-19 zu verhindern?


Diese Studie ist in den letzten Tagen auch durch viele Medien gegangen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann kann man ausgehend von der Situation Supermarkt mit Maske ... Die Situation kennen wir mittlerweile alle seit vielen Monaten. Dieses wird dort in dieser Studie von der TU Berlin mit einem R-Wert von 1,0 dargestellt. Wenn man sich da entlang hangelt, sieht man zum Beispiel Theater, Oper, Museen, 30 % Belegung, alle mit Maske, hätte nur einen R-Wert von 0,5. Das wäre sozusagen ein sehr guter Wert. Auch für viele Kulturschaffende etwas Hoffnung.


Schauen wir auf die andere Seite. Zum Beispiel eine Schwimmhalle mit einem R-Wert von 2 ,3 oder auch das Mehrpersonenbüro, 50 % Belegung, ohne Maske, mit einem R-Wert von 8,0. Sie haben sich auch die Daten dort


angeschaut. Was taugt diese Studie? Was taugen diese Ergebnisse?



Alexander Kekulé


Um das Positive vorneweg zu sagen, das ist ganz wichtig und auch richtig, dass da die Kollegen von der TU Berlin mal versucht haben, situationsbedingte Infektionsrisiken überhaupt abzuwägen. Das ist so fast eine der ersten Studien, die das mal ein bisschen systematisch nebeneinander gestellt haben. Und genau das muss man machen. Man muss doch wissen, wo sind die Risiken. Damit man weiß, wo man tätig werden muss, um die Ausbreitung zu verhindern, und wo man noch nachbessern muss unter Umständen. Das basiert letztlich auf einer Berechnung. Die haben die Methode nicht neu entwickelt. Sondern diese Schätzberechnung ist ein Paper, das ist schon letztes Jahr rausgekommen. Anfang November war das, auch aus Berlin. Da ist die Petra Gastmeier beteiligt gewesen. Eine sehr geschätzte und eine der besten Krankenhaushygienikerinnen, die wir in Deutschland haben. Und noch mehrere andere Kollegen aus Berlin. Die haben schon damals so ein Verfahren entwickelt, wie man den R-Wert schätzen kann. Da geht zum Beispiel die körperliche Aktivität ein. Man sagt, jemand, der sich sehr stark anstrengt und schnauft, der verbreitet mehr Partikel. Natürlich wäre jemand, der singt auf jeden Fall auch ein stärkerer Gefährder als jemand, der schweigt. Übrigens, eine Art Schweigegebot würde ich in bestimmten Situationen aus dem Grund ganz ohne Studie anordnen. Wenn ich mir so denke, wie italienische Skifahrer lautstark in der Gondel erzählen, wie die letzte Abfahrt war ... Da würde ich sagen, Schweigegebot in bestimmten Räumen. Die 5 Minuten kann man sich das auch sparen. Und das ist in der Studien berücksichtigt, dass jemand, der spricht oder singt einen Unterschied macht. Und dann auch, wie voll belegt ist der Raum. Da wurde der Abstand berücksichtigt und die Frage, Maske ja oder nein.


So positiv der Ansatz ist, muss man sagen, das ist jetzt nur der allererste Wurf. Das ist eine ganz grobe Schätzung. Man kann nicht sagen, weil dieses Paper so ist und diese eine Abbildung, die Sie genannt haben, überall abgedruckt in den


Publikumsmedien abgedruckt wurde ... Supermarkt mit Maske, 1,0. Was würde das bedeuten? Das würde bedeuten, dass statistisch gesehen jemand, der im Supermarkt ist ... Jemand ist positiv und ein Anderer ist nicht infiziert, dann wird der angesteckt. 1,0 heißt ja, jeder Infizierte steckt einen weiteren an. Oder zumindest ist das die Basis dieser Rechnung.


Wie kann man die Situation im Supermarkt ernsthaft mit ÖPNV vergleichen, also öffentlicher Personennahverkehr. Das kann 2 3 Uhr die komplett leere Straßenbahn sein, die in den Vorort raustingelt, wo man im Wagen alleine sitzt. Ist das wirklich ein Unterschied, ob ich da eine Maske aufhabe oder nicht? In dieser Tabelle ist es 0,8, so ähnlich wie der Supermarkt. Der könnte auch voll besetzt sein. Sie merken schon, wenn man einen Schritt weiter denkt, merkt man, man muss es viel genauer machen.


Ich würde dafür plädieren: Ja, so ein Schema brauchen wir. Das ist ein sehr guter Ansatz. Aber die Fälle, die für uns politisch extrem wichtig sind, wo es richtig weh tut, diese Fälle müssen wir systematisch untersuchen. Denn es gibt viele Bereiche in unserer Gesellschaft, wo wir nicht so einfach eine Lösung wie mit dem Fernfahrer anbieten können. Sondern wo man sich was überlegen muss, wo es knifflig ist. Zum Beispiel: Wie mache ich das mit den Schülern? Da brauchen wir dringend Pilotprojekte, wo man einfach mal so eine Schule aufmacht, systematisch untersucht mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Und wo man guckt, was brauchen wir und was brauchen wir nicht?


Jan Kröger


Also ein guter Ansatz, eine gute Idee. Aber da ist noch mehr Forschung nötig.



Alexander Kekulé


Auf jeden Fall. Und ich würde dringend davor warnen – ich hoffe, dass das nicht passiert, weil das Paper doch so viel zirkuliert – dass jetzt die Leute sagen, die Schwimmhalle ist aber 2 ,3 und der ÖPNV ist nur 0,8. Das kann man sicherlich nicht quantitativ nebeneinander stehen lassen. Wahrscheinlich werden am Ende dieser Pandemie die Papers rauskommen, wo wir das wirklich sauber durchgerechnet haben. Dann


werden wir sagen: Aha, die Schüler haben sich – und das rate ich jetzt einfach mal! – nicht im Klassenzimmer infiziert, sondern im Bus. Und vielleicht sogar gar nicht im Bus, sondern kurz vorher beim Einsteigen, weil sie da keine Maske auf hatten, gedrängelt waren, laut miteinander geredet haben. Irgend sowas könnte dann publiziert werden in 2 Jahren. Wenn es natürlich dann nicht mehr so viel bringt.


Jan Kröger


Kommen wir zu den Hörerfragen und zu einem Thema, das wir heute erstaunlicherweise bisher kaum angesprochen haben. Nämlich das Thema Impfung. Aber die Hörerfragen machen das wett.


Herr V. aus Nürnberg hat uns angerufen, mit 2 Fragen: Ob bestimmte Vorerkrankungen bei der Impfung ein Risiko darstellen.


"Erstens: Mein Schwiegervater, der schon über 80 ist, hat eine Penicillin-Allergie. Der Hausarzt konnte nicht sagen, ob es dann hilfreich ist, an der Impfung teilzunehmen. Zweitens: Es geht um Hashimoto, also um eine Krankheit, die die Schilddrüse betrifft. Da wollte ich fragen, ob das hinderlich ist für eine Impfung, wenn man schon über 50 ist."


Jan Kröger


Also einmal die Penicillin-Allergie und einmal die Hashimoto-Erkrankung. Was sagen Sie?



Alexander Kekulé


In beiden Fällen kann man sich impfen lassen. Die Penicillin-Allergie ist was ganz Spezielles. Das Penicillin wird ja von einem Pilz hergestellt. Das ist ein Antibiotikum, was Bakterien abtötet, aber von einem Pilz gemacht wird. Diese Pilze können ganz schön allergene Substanzen, also Substanzen, die das Immunsystem wachrütteln, produzieren. Das ist ein Sonderfall. Jemand, der eine Penicillin-Allergie hat, der muss deswegen noch lange nicht gegen irgendwas anderes allergisch sein.


Die Substanzen, die da möglicherweise in den aktuellen RNA-Impfstoffen eine Rolle spielen, sind ja Bestandteile dieser Fettpartikel. Da gibt es Polyethylenglycol PEG. Das ist so ein Lösungsvermittler, der da mit drinnen ist. Möglicherweise spielt der eine Rolle bei den


Allergien. Also ganz was anderes als das Penicillin. Da kann man Entwarnung geben.


Und Hashimoto ist eine Autoimmunerkrankung. Häufiger haben das Frauen. Da werden Antikörper gebildet, die die Schilddrüse angreifen. Und das hat aber auch absolut nichts mit dem zu tun, was bei der Impfung passiert. In beiden Fällen kann auf jeden Fall die Impfung verantworten.


Jan Kröger


Dann kommen wir zu Herrn S., Arzt aus Rehlingen-Siersburg. Da geht es jetzt nicht um Sorgen vor der Impfung, sondern um Sorgen nach der Impfung. Er hat uns geschrieben:


"Sehr geehrter Professor Kekulé, ich bin am Wochenende mit einem Vektorimpfstoff von AstraZeneca geimpft worden und habe ca. 10 Stunden später grippeähnliche Symptome entwickelt, die nach 2 Tagen rückläufig waren. Ich bin 55 Jahre alt, gehöre keiner Risikogruppe an. Als Arzt habe ich schon etliche Impfungen hinter mir und bin über die Heftigkeit der Impfreaktion (Fieber um 39,5, Kopfund Muskelschmerzen) überrascht. In dieser Form hatte ich sie noch nicht erlebt. Und nun frage ich mich, ob ich mir die zweite Impfung Mitte April überhaupt verabreichen lassen soll. Zum einen fürchte ich eine erneute Impfreaktion. Zum anderen könnte man in Anbetracht der Impfreaktion darauf schließen, dass meine Immunantwort vielleicht schon ausreicht, um nicht an Covid-19 zu erkranken."



Alexander Kekulé


Diesen Zusammenhang zwischen Stärke der Impfreaktion und Wirkung der Impfung, den gibt es tatsächlich. Nicht speziell bei Covid, aber es ist sonst bekannt, dass Menschen, die eine deutliche Impfreaktion haben, tendenziell auch die Antikörper und aktiven T-Zellen produziert haben, die man braucht für den Schutz. Wenn ich das höre, Fieber, heftige Reaktion ... Ich würde trotzdem davon ausgehen, dass es beim zweiten Mal nicht noch mal so unangenehm wird. Normalerweise ist es so, dass beim zweiten Mal die Reaktionen stärker sind. Aber das muss im Einzelfall nicht so sein. Wenn er beim ersten Mal eine besonders starke Impfreaktion hatte,


aus welchem Grund auch immer, dann heißt das nicht, dass jetzt bei diesem Patient speziell beim zweiten Mal wieder so eine starke Reaktion kommen muss. Drum würde ich die zweite Impfung einfach machen. Es ist ja keine lebensbedrohliche Situation aufgetreten und nichts, was im Sinne einer echten Komplikation wäre. Wichtig ist aber, dass der Impfarzt dieses Ereignis meldet. Man meldet ja nicht nur so schwere Ereignisse, wo jemand unter Umständen in Lebensgefahr kommt oder ins Krankenhaus muss. Sondern wir wollen auch wissen, wie häufig solche Reaktionen sind wie die, die der Hörer gerade beschrieben hat. Das wäre wichtig, dass man das statistisch erfasst. Ob das eine Ausnahme war oder ob das vielleicht bei diesem AstraZeneca-Impfstoff ein bisschen häufiger ist? Bis jetzt haben wir da keine so guten Daten drüber. Deshalb es ganz wichtig, dass man das meldet und erfasst. Ich fürchte, dann werden wir in 2 Monaten mehr wissen. Das nützt natürlich diesem Hörer nichts. Aber wenn ich das wäre, ich würde mich das zweite Mal trotzdem impfen lassen.


Jan Kröger


Dazu hat Herr S. noch eine Nachfrage:


"Macht es aus virologischer Sicht Sinn als zweite Impfung dann einen mRNA-Impfstoff zu erhalten, wenn die erste Impfung mit einem Vektorimpfstoff durchgeführt wurde?"



Alexander Kekulé


Das wurde noch nicht ausprobiert. Da gibt es Studien, die das versuchen, weil man natürlich weiß, das in vielen Teilen der Erde für die zweite Impfung möglicherweise keine Dosis gerade zur Verfügung steht. Vor allem innerhalb dieses Zeitfensters, wo es empfohlen wird. Das haben wir noch nicht ausprobiert. Rein theoretisch ist es so, dass man mit einem anderen Impfstoff bei der zweiten Impfung eigentlich auch einen Booster bekommen sollte. Also diese Wirkungsverstärkung bekommen sollte, diese Auffrischung, die wir haben wollen. D.h. also, das wäre jetzt rein theoretisch nicht von Nachteil. Das hätte vielleicht sogar den Vorteil, dass andere Antikörper und andere T-Zellen aktiviert werden, weil es nicht genau identisch ist wie die erste Impfung.


Wo ich immer so ein bisschen dran denke, ist: Wir wissen, dass diese Varianten unterwegs sind. Wir wissen, zumindest wenn man sich die Antikörper-Reaktion ansieht, dass bei den Varianten die Impfung nicht immer sicher funktioniert. Die Daten sind da noch bisschen widersprüchlich. Aber es ist zumindest anzunehmen, dass speziell bei der südamerikanischen Variante aus Brasilien die bisherigen Impfstoffe nicht ganz so zuverlässig sind. Dann wäre es eine gute Überlegung, zusammenzukommen und zu sagen, man macht als zweite Impfung oder als dritte Impfung einen Impfstoff von einem anderen Hersteller. Oder vom gleichen Hersteller mit einer anderen Formulierung, der auch gegen diese Varianten wirkt. Da die aber jetzt nicht zur Verfügung stehen und da man nach 3-4 Wochen zur Zweitimpfung gehen soll, stellt sich im Moment diese Frage nicht. Aber ich würde sagen, spätestens im Herbst, wenn wir dann wahrscheinlich Impfstoffe auch gegen die Varianten haben, dann wäre das relevant. Und Sie wissen, dass das ich sowieso dringend empfohlen habe, jetzt, da der Impfstoff gerade noch knapp ist, alle alten Menschen erst mal mit der Erstimmunisierung zu versehen. Wir haben auch nach dem aktuellen RKI-Bericht, der von heute ist, eine hohe Sterblichkeit bei den über 80-Jährigen in Deutschland.


Und selbst mit einer einmaligen Impfung ist man in der Lage, dort das Sterberisiko deutlich zu senken. Deshalb wäre ich dafür, jetzt erst mal alle durchzuimpfen, die man irgendwie kriegen kann. Die über 80 sind und die es machen wollen. Es sind ja auch nicht alle bereit dazu. Auch auf die Gefahr hin, dass vielleicht nicht genug im Kühlschrank ist, um für die zweite Dosis gleich nach drei oder vier Wochen bereit zu sein.


Aber wie gesagt, in dem angesprochenen Fall gibt es die Möglichkeit gar nicht, mit einem anderen Impfstoff nachzuimpfen. Das ist im Moment gar nicht vorgesehen.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 148. Vielen


Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet:


mdraktuell-podcast@mdr.de


Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter:


0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass gibt es als ausführlichen Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


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MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 06.02 .2 02 0 #147: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Verändert der Vektorimpfstoff die menschliche Erbinformation?


Wie können sich Taxifahrer mit Vorerkrankungen schützen?


Kann das Virus über die Augenschleimhaut aufgenommen werden?


Erhöhte Körpertemperatur lange nach durchgemachter Infektion. Woran kann das liegen?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Frau M. hat angerufen und sie will mehr über den AstraZeneca-Impfstoff wissen. Und zwar was ganz Spezielles: „Und zwar interessiert mich dort insbesondere die Funktionsweise des Vektorimpfstoffes. So wie ich gelesen habe, wird ja ein Stück der DNA in einen Vektor gepflanzt und dieser wiederum über die Impfung in den menschlichen Körper gebracht. Wäre es theoretisch möglich, dass dieses Stück der DNA, das mir dort durch eine


Impfung gegeben wird, in meine DNA eingebaut wird?“



Alexander Kekulé


Das ist ein verdammt heißes Eisen. Erstmal grundsätzlich: Dieser AstraZeneca Vektorimpfstoff, so ähnlich funktioniert aber auch der vom Gammaleja-Institut und von einem der beiden chinesischen Hersteller, das Prinzip ist, dass man ein Adenovirus hat. Das ist ein Virus, was harmlose Erkrankungen macht bei Menschen, die so erkältungsähnlich verlaufen. Und dass man da ein Stück rausschneidet aus dem Virus und stattdessen eine DNA einsetzt, also eine Erbinformation, die zu dem Adenovirus passt – dieses Adenovirus ist ein DNA-Virus, die also dann hinterher über den Umweg von messenger-RNA, wie hier richtig gesagt wurde, dann das S-Protein kodiert. Also quasi, da ist man einen Schritt vor dem, was diese RNAImpfstoffe machen. Die RNA-Impfstoffe haben nur ein Stück RNA, aus dem direkt das Protein gemacht wird. Und in der normalen menschlichen Zelle oder auch tierischen Zelle ist es ja so, dass man Erbinformation im Kern hat, da sitzt die DNA drin – bei uns auf Chromosomen. In Chromosomen zusammengefasst. Wenn die Zelle gerne daraus ein Protein herstellen möchte, weil sie sagt: Ich brauche einen neuen Baustein, ich brauche ein neues Enzym, irgendwas wird gerade angefordert. Dann wird ganz selektiv ein Stück von dieser DNA kopiert und zwar erst mal RNA kopiert. Das ist, wenn man so will, quasi so ein Zwischenüberträger für diese Informationen. Aus der RNA wird dann das Protein gemacht außerhalb des Zellkerns. Und wir haben bei den RNA-Impfstoffen, also Moderna und BioNTech haben wir die Situation, dass wir sagen, das ist eine RNA, die bleibt erst einmal im Zytoplasma, also außerhalb des Zellkerns. Und deshalb können wir, wenn wir es nicht ganz abstruse Theorien, mit in die Waagschale werfen, sagen, das ist ausgeschlossen, dass hier im Zellkern irgendwas verändert wird, also da, wo es zu genetischen Veränderungen kommen würde. Bei den Adenoviren ist es etwas komplizierter. Die müssen, weil es DNA-Viren sind, auch wenn


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das dann letztlich nicht-vermehrungsfähige Viren sind, muss diese DNA im Prinzip erstmal im Zellkern landen, um in RNA umgeschrieben zu werden. Dann wird die RNA produziert, und der zweite Schritt ist dann wie bei den RNA-Impfstoffen. Sodass jetzt, das zielt auf die Frage der ganzen, sage ich mal Impfkritiker ab: Die sagen könnte dieser Impfstoff nicht irgendwie meine Erbinformation beeinflussen. Und da muss man fairerweise sagen, es hat ja keinen Sinn, da hinterm Berg zu halten: Bei den DNA Impfstoffen ist es nicht zu hundert Prozent auszuschließen. Also, da ist es einfach so, die sind vom Mechanismus, so dass die in der Nähe der Chromosomen sozusagen tätig werden. Die müssen das auch machen, weil eben diese RNA sonst nicht hergestellt werden kann. Aus der ja dann wiederum das Protein gemacht wird mit dem man den Immunschutz erzeugen will. Und deshalb ist da, wenn man so will, ein zu zusätzliches Fragezeichen bei diesen Vektorimpfstoffen. Ich kann nur sagen, bisher hat es da – bei den Versuchen, die man gemacht hat – und da haben natürlich die Leute ganz genau hingeschaut schon in der Phase 2 , wo diese Sachen vorgeprüft wurden, hat es da im Tierversuch überhaupt keine negativen Effekte gegeben. Selbst verständlich hat man zum Beispiel auch geguckt, ob jetzt bei trächtigen Tieren dann möglicherweise der Embryo verändert wird, weil das ist es ja besonders wichtig, dass also da nichts dazwischenkommt, wenn also die DNA kopiert wird, also die Zellen sich teilen. Und da hat man keinerlei Hinweise auf irgendwelche Störungen gefunden. Aber man kann anders als bei den RNA-Impfstoffen sich nicht zurücklehnen und sagen, wir schließen das von vornherein aus.


04:50



Camillo Schumann



Also genau das wäre sozusagen die Frage nach den Konsequenzen. Die erste Frage nicht beantwortet, demzufolge kann auch die zweite Frage nach den Konsequenzen auch nicht beantwortet werden und schon gar nicht jetzt, sondern dann vielleicht in ein paar Jahrzehnten.



Alexander Kekulé


Ich will da überhaupt nicht Angst vor diesen Impfstoffen machen. Ich glaube, ich bin überzeugt, dass die Daten gut erhoben wurden und die Impfstoffe sicher sind. Aber wenn ich jetzt gerade an die Frage denke, die in Zukunft dann mal zu ventilieren sein wird: Was macht man den eigentlich mit den Jüngeren und den Kindern? Wenn ich die Wahl hätte, sage ich mal ganz ehrlich bei meinen Kindern zwischen einem RNA-Impfstoff und einem DNA-Impfstoff, dann würde ich es prinzipiellen Gründen lieber den RNA-Impfstoff nehmen, weil einfach da prinzipiell solche Langzeiteffekte, die quasi über die Erbinformation vermittelt werden einfach rein theoretisch ausgeschlossen sind. Und beides sind ja neue Wirkprinzipien. Diese Vektorimpfstoffe, die hat man mal – ja gegen Ebola gibt's zum Beispiel was und 2 andere exotische Anwendungen, wo man das schon mal gemacht hat – aber, das können Sie sich vorstellen, in diesem Rahmen ist jetzt nicht millionenfach geimpft worden oder gar milliardenfach geimpft worden. Ich glaube, es wird auch eine Diskussion in Deutschland geben, weil natürlich, das ist eine Information, die kein Geheimnis ist, was ich jetzt gesagt habe. Und da werden sich sicherlich im Lauf der Zeit die Kritiker draufstürzen. Und deshalb habe ich ein bisschen die Befürchtung, dass einfach diese Vektorimpfstoffe – nachdem auch der Start so ein bisschen misslungen ist bei AstraZeneca jetzt – ich glaube das es wird die Diskussion geben, ob die in Deutschland überhaupt einen sinnvollen Einsatz haben. Weil die Leute natürlich immer sagen werden: Ich nehme lieber das mit weniger Nebenwirkungen, längerer klinischer Erprobung, mehr bisher stattgehabten Verimpfungen weltweit – die sind ja weit vorne von der Zahl der Impfungen, wo man auch die Nebenwirkungen sieht oder nicht vorhandenen – und dann am Schluss das geringere Restrisiko bezüglich der DNA und natürlich auch der 95 % Wirksamkeit. Wir sind ja in Deutschland so Optimierer. Und deshalb glaube ich nicht, dass sozusagen der zweitbeste Impfstoff hier eine ernste Chance hat.


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07:04



Camillo Schumann



Aber interessant ist ja trotzdem, das Spin von den Coronakritikern, dass die mRNA-Impfstoffe unserer DNA verändern sollen und zu einem der Vektorimpfstoff spielt dabei überhaupt keine Rolle. Könen Sie sich das erklären?



Alexander Kekulé


Das RNA ist sowas, was Leute, die jetzt biologisch so ein bisschen weit weg von der Praxis sind sagen. Ich muss zugeben, es gibt sogar tatsächlich amerikanische Wissenschaftler, die da ein bisschen Öl ins Feuer geschmissen oder nur die Lunte angezündet haben. Es ist nämlich so, es gibt ja – ich will das ruhig auch erzählen, wie die so denken – es gibt ein Enzym, das ist die Reverse Transkriptase, das ist ein Enzym, das kann ein biologisches Wunder machen: nämlich die RNA rückwärts umschreiben in DNA. Normalerweise wird aus RNA DNA gemacht, das RNA-Protein. Aber es gibt dieses exotische Enzym, das aus einer RNA wieder eine DNA macht. Und zwar, darum heißt es Reverse Transkriptase. Übrigens 1980 gab es den Nobelpreis, den Baltimore und Temin gekriegt haben, ganz tolle Sache. Und wo gibt es dieses? Natürlich mal wieder in Viren, aber in ganz anderen Viren, die heißen deshalb auch Retro-Viren, weil die den Rückwärtsgang einschalten können bei der Genetik. Das haben wir so ähnlich bei der HIV-Infektion. Da ist es so, wenn jemand mit dem HIV-Virus dem Aidsvirus infiziert ist, dann stellt quasi dieses Virus, das hat ein RNA-Genom, das stellt davon eben im Rückwärtsgang eine DNA-Kopie her, mithilfe dieser Reverse Transkriptase. Und diese DNA-Kopie, die klinkt sich dann quasi ein in das Genom des Wirts, in die weißen Blutzellen des Menschen. Und von dort aus ist es für das Virus praktisch, der Wirt wird es nicht mehr so leicht los. Und es kann bei Bedarf dann wieder RNA und daraus Viren herstellen.


Jetzt ist es so, dass HIV, das Aidsvirus ist nicht der einzige Erreger, der so etwas kann. Es gibt viele solche Retroviren. Und wir wissen, dass in unserer biologischen Geschichte, in der Evolution, immer mal wieder andere Retroviren


sich eingeklinkt haben und von denen sehen wir Spuren in unserer Erbinformation, auch wenn wir unser Leben lang nie eine HIV-Infektion hinter uns gebracht haben oder eine Infektion mit einem anderen Retrovirus. Und deshalb sagen jetzt diese Kritiker, die diesen Teufel an die Wand malen, es könnte ja sein, dass manche Menschen von so einem Retrovirus-Rest, den sie ja genetisch dabeihaben, auch eine Reverse Transkriptase-Funktion mit drin haben. Und die könnte dann blöderweise aktiviert werden. Und dann könnten diese Ausnahme Personen durch die Aktivierung der Reverse Transkriptase in der Lage sein, einen RNA-Impfstoff, der schließt sich dann der Kreis, gegen Covid-19, umschreiben in DNA. Und dann integrieren ins Genom und dann, Bingo, hätte man auch durch eine RNA-Impfung auch eine Veränderung des Genoms. Das ist eine extrem abwegige Schlussfolgerung, weil wir sehen ja de facto bei den humanen Zellen, wie auch bei allen anderen tierischen Zellen, praktisch nie so eine Aktivierung von Reverse Transkriptase-Genen, die irgendwo versteckt werden.


Es gibt einige akademische Ausnahmen. Aber im Praktischen wäre das eine große Ausnahme, 1:10.000 oder 1:100.000, wo so etwas überhaupt möglich wäre. Aber darauf kaprizieren diese Gegner, die sagen, mit der Reversen Transkriptase, die möglicherweise noch da sind und aktiviert werden könnte, könne möglicherweise die RNA in die DNA integriert werden und dann wäre es eine genetische Veränderung.


10:50



Camillo Schumann



Da ist ein Lottogewinn wahrscheinlicher, oder?



Alexander Kekulé


Das ist für mich ein völlig vernachlässigbares Risiko. Vor allem, selbst wenn es dann am Schluss wäre, dann wäre am Ende ein Stück Müll-DNA in unserem Chromosom drin. Und bei denjenigen, bei dem die Biologie in der Schule noch nicht so lange her ist, da lernt man ja jetzt schon, dass unser ganzes Erbgut, das menschliche Erbgut, das besteht ja


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hauptsächlich aus Müll. Ich weiß die Zahl nicht mehr auswendig. Aber 95 % sind es sicherlich. Es sind irgendwelche Gensequenzen, die in der Praxis keine Bedeutung haben, die wir somit schleppen aus ganz verschiedenen Gründen. Da kann man ganze Vorlesungen drüber halten. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein irgendwie aus Versehen herein geschobenes RNA-Stück aus einem RNA-Impfstoff am Ende des Tages einen Effekt hätte. Aber ja, die Leute, die diese Minimalrisiken im Auge haben, die behaupten dann, das sei eine Gefahr für die Menschheit.


11:50



Camillo Schumann



So, jetzt haben wir das durchdekliniert. Das ist auch unglaublich wichtig, auch wenn wahr.scheinlich das ein oder andere schwer zu verstehen ist. Aber das sozusagen mal dieses Grundprinzip klar ist. Und weil wir zu viel Zeit für die Beantwortung dieser Frage aufgebracht haben, versuchen wir bei den kommenden Fragen ein wenig mehr auf die Uhr zu schauen.


Herr V. aus Ludwigshafen, der hat angerufen. Er hat eine Frage zu den Mutationen, ja in Großbritannien, in Südafrika, auch bei uns nachgewiesen wurden. Er ist ein bisschen schlecht zu verstehen, aber die Frage ist interessant.


„Ist davon auszugehen, dass, wenn sich beide Varianten in Deutschland verbreiten, dass in eine von den beiden dominanter als die andere ist und am Ende nur noch eine von den beiden weiter bestehen wird?“



Alexander Kekulé


Also insgesamt sind es ja nicht nur diese 2 Mutationen. Sondern es gibt eine weitere Variante, die in Brasilien gerade zirkuliert und gefunden wurde. Und ich persönlich bin absolut sicher, dass wir weltweit schon ganz viele haben. Ich sage mal, 2 0 wäre eine kleine Zahl dafür. Es kommt darauf an, wo man genau nachschaut mit diesen Gensequenzierungen. Und deshalb, ja, es werden die sich schnell verbreitenden Varianten, die alle letztlich Abwandlungen des Motivs sind, was wir in Großbritannien gesehen haben, die werden sich weltweit einen Wettkampf liefern.


Ich glaube nicht, dass es noch einmal so kommen wird, wie damals im März in Norditalien, dass ich jetzt eine Variante jetzt weltweit 100 % durchsetzt. Das war ja damals die sogenannte G-Variante. Sondern das wird höchst bescheinigt so sein, dass wir verschiedene, sage ich mal, Stämme von dem Virus eine ganze Weile lang haben werden, die miteinander in Wettbewerb treten. Weil die Unterschiede in der Infektiösität, die sind jetzt nicht so groß unterhalb der Varianten. Als das man klar sagen würde, eine von denen wird sich durchsetzen. Die B117 aus England und die anderen, die verbreiten sich deutlich schneller aus, als die bisherige G-Variante, die sich in Norditalien verbreitet hat. Aber sie breiten sich untereinander nicht so unterschiedlich schnell aus. Darum, glaube ich, wir werden es mit mehreren zu tun haben. Und es wird doch keine so große Rolle mehr spielen, weil wir so nach und nach eine Immunität gegen diese verschiedenen Varianten entwickeln.


14:05



Camillo Schumann



Frau F. aus Hamburg hat angerufen. Sie hat eine Frage zum Maskentragen im Freien:


„Ist es weiterhin richtig, dass die Ansteckungsgefahr draußen sehr unwahrscheinlich ist? Und welche Empfehlungen geben Sie aktuell zum Verhalten im Außenbereich. Auch in Bezug auf das Masketragen. Herzlichen Dank, Tschüss.“



Alexander Kekulé


Da bleibe ich bei meiner Empfehlung. D. h. natürlich nicht, dass es ewig dabei bleibt. Aber immerhin so lange, bis irgendetwas Widerlegendes veröffentlicht wird.


Im Freien hat es noch nie in SuperspreadingEreignis gegeben. Man kann sich im Freien anstecken in dem man aus kurzer Distanz sich quasi anspuckt, also laut miteinander spricht o. ä. Kurze Distanz heißt unter 2  m. Aber eine echte Indikation, ein Grund fürs Maskentragen, in dem Sinn, dass man sagt auch Leute, die etwas weiter auseinander sind, müssen Maske aufhaben für den Fall, dass da Aerosole entstehen könnten,


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das gibt es definitiv im Freien nicht. Und dass bleibt dabei. D. h. also, es gibt keine Empfehlung im Freien eine Maske zu tragen. Klar, im öffentlichen Nahverkehr ist es ja jetzt so, da soll man die Maske im Gesicht haben, wenn man einsteigt. Das bedeutet, dass man irgendwie an der Haltestelle sie sich aufsetzen muss und das Gleiche gilt, wenn man in der Schlange vorm Geschäft steht, wahrscheinlich. Aber abgesehen davon, dass man halt quasi, bevor irgendwo reingeht, die Maske schon mal aufsetzt, gibt's kein Grund im Freien.


15:2 7



Camillo Schumann



Herr B. hat gemailt und will wissen:


„Wie steht es um die mögliche Infektion über die Schleimhäute der Augen? Wäre es nicht immer noch möglich, sich in geschlossenen Räumlichkeiten und trotz des Tragens einer FFP2 -Maske immer noch über die Augen zu infizieren? Ist eine Übertragung über Aerosole, über die Augenschleimhäute möglich? Viele Grüße, Herr B.“



Alexander Kekulé


Das wissen wir leider nicht genau. Also, es ist es von anderen ähnlichen Viren bekannt. Wenn die über die Nasenschleimhäute und über die Atemwege aufgenommen werden können, dann haben die häufig auch die Möglichkeit über die Augenschleimhaut reinzukommen. Es ist nicht so, dass man bei SARS-CoV-2 , diesem aktuellen Pandemievirus, dass jetzt im einzelnen belegt hätte, dass das funktioniert. Das ist einfach nett zusätzliche Sicherheitsmaßnahme, die Augen mal zumindest gegen Anspucken o. ä. zu schützen. Das ist der Grund, warum natürlich im Krankenhaus man immer auch die Augen schützt mit so einem Gesichtsvisier oder auch einer Brille. Für den Alltag, vor allem, wenn es nur um indirekte Infektionen über Aerosole geht, also über diese ganz feinen Tröpfchen, die wie eine Wolke getragen werden, da würde ich jetzt mal sagen, deshalb eine Brille aufzusetzen ist übertrieben. Zumal, die müsste dann auch dicht schließen, das Aerosol steht auch in der Luft, es würde auch an der Brille vorbei in die Augen gehen.


Aber ich glaube, wenn es da wirklich überhaupt eine Übertragung geben sollte, dann ist die nicht so relevant, dass man deshalb jetzt wegen der Aerosole seine Augen schützen muss.


16:57



Camillo Schumann



Herr W. hat gemailt:


„Ich bin Taxifahrer mit Vorerkrankung und sehr besorgt über das Ansteckungsrisiko im Fahrzeuginneren während meiner Arbeit. Wir Taxifahrer sind nicht weniger und haben eine hohe Anzahl internationaler Kunden. Wie sieht hier der maximale Eigenschutz aus? Auch bezüglich der höheren Ansteckungsgefahr durch die Virusmutationen. Mit freundlichen Grüßen, Herr W.“



Alexander Kekulé


Also, ich weiß, dass die Politik immer wieder sagt, diese Mutationen seien ansteckender. Diese Mutationen breiten sich schneller aus: Das ist die richtige Aussage. Vielleicht habe ich auch selber schon mal hier und da durcheinandergebracht. Aber ob sie biologisch quasi stärker ansteckend sind, also zum Beispiel weniger Viren ausreichen, um jemanden zu infizieren, da ist sogar schon ein kleines Fragezeichen dahinter. Ich würde sagen höchstwahrscheinlich, ja. Aber ist es nicht so, dass man jetzt quasi doppelte Masken anziehen muss, wird es in Amerika zum Teil jetzt schon gemacht wird, weil diese Varianten im Anmarsch sind. Das ist das gleiche Virus. Und das ist mit den gleichen Gegenmaßnahmen Prinzip beherrschbar wie die bisherigen Varianten. Im Taxi ist natürlich eine zugegeben ernste Situation. Vor allem, wenn es so kalt ist, dass man die Fenster natürlich dann zu machen muss während der Fahrt. Da ist meines Erachtens das, was man wirklich machen muss, eine FFP-Maske tragen – und zwar am besten beide. Das wäre vielleicht eine der wenigen Situationen, wo ich sagen würde: Es ist auch empfehlenswert, dass die dann beide eine Maske, also der der Fahrer und seine Gäste, eine Maske ohne Ventil tragen in der Situation. Weil das wirklich so ein kleiner Raum ist, dass das schon einen Unterschied macht. Und meines


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Wissens sind die FFP2 -Masken im öffentlichen Nahverkehr zu dem ja auch Taxi gehört inzwischen Vorschrift. Allerdings muss man sagen, so wie ich das beobachte, nicht in allen Bundesländern wirklich umgesetzt. Wenn man in Deutschland in einer Stadt ins Taxi steigt, dann kommt es vor, dass der Fahrer eine FFP-2  aufhat und sagt, das ist Pflicht, für den Fahrgast auch. Und dann kommt man irgendwie in einer anderen Stadt an und da hat der Fahrer dann gar keine Maske auf.


18:58



Camillo Schumann



Frau W. Hat gemailt:


„In einem Ihrer Podcasts haben Sie gesagt, es eine durchgemachte Covid-19-Infektion viel besser vor einer Neuansteckung schützt, als eine Impfung. Nun zeigt sich in Brasilien eine zweite Coronawelle mit einer Coronavariante in einem Gebiet, in dem bereits Herdenimmunität geherrscht hat. Wie kann sich die Wissenschaft sicher sein, dass eine Impfung auch vor der brasilianischen Variante schützt, wenn nicht einmal bereits durchgemachte Coronainfektion davor schützen kann? Viele Grüße, Frau W.“



Alexander Kekulé


Das ist tatsächlich so, dass die aktuellen Daten leider darauf hindeuten, dass die brasilianische Variante definitiv auch Menschen anstecken kann, die in der ersten Welle schon mal infiziert wurden. Das sehen wir ganz klar jetzt im Amazonas. Das Amazonasgebiet ist ja riesig, ich meine, es ist sogar der größte Bundesstaat Brasiliens. Aber es ist dort so in den Regionen Manaus, wo man das messen kann. Das ist nur ein Teil davon. Das sieht man ganz klar, da hat es eine herdenimmunitätähnliche Entwicklung gegeben und jetzt gibt's die zweite Welle durch die neue Variante. Also die bricht quasi die Immunität, das kann man nicht anders ausdrücken. Immune-Escape-Mutante sagen wir zu so etwas dann auch. Und das gilt natürlich auch für die Impfung, ohne wenn und aber. Da gibt es ja Studien, die wir schon besprochen haben, kürzlich. Und die haben wirklich gezeigt, dass die Immunität also deutlich herabgesetzt


nach der ersten Infektion. Da hat man ein Serum genommen von Personen, die einfach ganz klar die Infektion schon durchgemacht haben in der ersten Welle in Brasilien und dann hat man deren Seren genommen und im Labor ausprobiert, ob man damit des Virus neutralisieren kann und hat festgestellt – ich meine, um den Faktor 30 oder so ähnlich war es – ist die Neutralisationskraft herabgesetzt worden. Und in der Größenordnung von 8-fach, wenn ich mich richtig erinnere, die Zahlen aber jetzt nicht mehr so ganz genau auf dem Schirm, war es bei Personen, die geimpft worden sind, dass man quasi Serum von denen genommen hat, um zu gucken, gibt es da eine Neutralisation? Oder andersrum gesagt: Sowohl der Impfstoff als auch die Infektion schützen nicht sicher vor der Zweitinfektion durch diese neuen Varianten. Das gilt zu 100 Prozent für die brasilianische, die sogenannte V3-Variante. Das gilt auch leider inzwischen belegt. Da war ich letzte Woche in einer Konferenz der Weltgesundheitsorganisation, wo die Kollegin die Daten dargestellt hat für die Variante aus Südafrika, die V2 -Variante. Und es ist leider so, dass es auch Hinweise darauf gibt, dass möglicherweise sogar die Variante aus England, dass auch dort die durchgemachte Infektion und die erfolgte Impfung mit den RNA-Impfstoffen in dem Fall nicht 100 % vor der Zweitinfektion schützen. Was bedeutet das? Man kriegt das Virus noch mal. Aber zu Erinnerung: Des haben wir, glaube ich, seit den ersten Tagen dieses Podcasts quasi als Szenario den Raum gestellt. Diese Zweitinfektionen sind dann wesentlich weniger schlimm. Wir haben dann Infektionen, die praktisch nie tödlich verlaufend. Das sind extreme Ausnahmen. Sodass des Virus quasi von einem gefährlichen Raubtier von einem Tiger sozusagen zum Kätzchen wird. Und deshalb ist es nichts Schlimmes, dass diese Mutanten sich nach und nach durchsetzen. Sondern wir werden uns an dieses Virus anpassen und das Virus wird sich an uns anpassen.


2 2 :15



Camillo Schumann



Frau K. hat angerufen und folgende Frage:


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„Ich bin 50 Jahre alt, arbeite im medizinischen Bereich und leide an einer Gerinnungsstörung, Faktor-V-Leiden, heterozygot. Was sollte ich beachten im Falle einer Impfung gegen Covid-19 oder einer Infektion? Bis jetzt brauchte ich keinerlei medizinische Handlung. Danke für Ihre Antwort und verbleibe mit freundlichen Grüßen.“



Alexander Kekulé


Das heißt ja Leiden, nicht weil man daran leidet, sondern nach der belgischen Stadt. Dort ist es wohl mal genauer untersucht worden. Und wer also diese Faktor-V-Mutation hat, bei dem ist es so, dass tatsächlich die Blutgerinnung, wenn sie einmal an geschubst wird, schlechter zu bremsen ist. Weil die normale Bremse, die diesen sogenannten „Faktor fünf“ in der Gerinnungskaskade stoppt wieder, die funktioniert da nicht richtig aus genetischen Gründen. Das ist eben vererbt. Menschen, die das haben, die tendieren unterschiedlich stark, auch sowieso schon zu Thrombosen. Man hat das ursprünglich auch, glaube ich, mal entdeckt, dadurch, dass man gemerkt hat, dass Menschen vermehrt Venenthrombosen hatten und dann hat man gemerkt, das kommt familiär vor. Und auf die Weise hat man diese erblichen Faktor-V-Erkrankungen festgestellt. Und ja, COVID bitte unbedingt vermeiden. Das ist wirklich eine Hochrisikoerkrankung für COVID, weil wir wissen, dass bei COVID-Erkrankungen auch bei Menschen, die dieses besondere Risiko nicht haben einfach, die Gefahr durch Thrombosen absolut nicht zu unterschätzen ist. Das ist ein großer Teil des Krankheitsbildes, diese Mikrothrombosen. Durch die Impfung besteht überhaupt kein Extrarisiko. Das ist ja ein Leiden, wo nicht die Blutungsgefahr besteht, sondern wo umgekehrt die Thrombosegefahr besteht und deshalb sofort impfen lassen, sobald es möglich ist. Die dieses Faktor-V-Leiden haben, die sind also Hochrisikogruppen, das kann man nicht anders sagen.


2 4:2 0



Camillo Schumann



Frau S. hat gemailt:


„Ich arbeite als Physiotherapeutin in Berlin. Eine


Patientin, 48, erkrankte an SARS-CoV-2  Anfang Dezember mit leichten Symptomen und erhöhter Körpertemperatur: Fieber von 37,5-38,4. Die Symptome verschwanden bis auf die immer erhöhte Körpertemperatur von um die 38,4 bei körperlichen Aktivitäten, wie zum Beispiel längere Spaziergänge, Hausarbeit, Sport und ungewöhnlich schneller Erschöpfung danach. Haben Sie eine Erklärung dafür. Herzliche Grüße, Frau S. aus Berlin.“



Alexander Kekulé


Also da ist noch Nobelpreis frei, wenn man das rausgekriegt, das ist eine klassische Schilderung eines der vielen Symptome von Long-COVID. Des Kardinalsymptom aus meiner Sicht ist vorzeitige Erschöpfung, atypische Erschöpfung nach körperlicher Arbeit, Anstrengung oder auch nach geistiger Arbeit. Und das kann leider noch Wochen, bei manchen noch monatelang bestehen. Ich habe Hoffnung, dass es irgendwann weg ist. Aber und das ist ganz merkwürdig. Wir wissen nicht genau, was da los ist. Einige sagen das es was Neurologisches. Es hat damit zu tun, dass das vegetative Nervensystem nicht ganz in Ordnung ist, also das Nervensystem, was so die Durchblutung steuert, die Verdauungsfunktion steuert und solche Sachen. Das, was unbewusst läuft. Andere sagen, da ist immunologisch etwas nicht in Ordnung, das Immunsystem hat eine Klatsche weggekriegt durch das Virus und hat dadurch eine Art Dauerentzündungszustand. Und zum letzterem würde ein bisschen diese ständig erhöhte Temperatur passen. Also solche Schilderung gibt's viele. Ganz oft werden die Leute dann erst mal so nach Hause geschickt, nach dem Motto: Rege dich nicht so auf. Aber man muss sagen, bei Einzelnen ist es dann so schlimm, dass es Krankheitswert hat und dann heißt dann eben auch Long-COVID. Warum das so ist, wissen wir nicht, aber das es verbrieft, dass das öfters vorkommt.


2 6:05



Camillo Schumann



Und die WHO hatte noch mal darauf hingewiesen in dieser Woche, dass genau das noch


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intensiver und wesentlich intensiver als bisher noch untersucht werden soll. Aber es ist auch davon auszugehen, mit allem, was man dazu weiß, das erhöhte Körpertemperatur jetzt in den kommenden Wochen und auch dann die Nebenwirkungen dann deutlich zurückgehen werden.



Alexander Kekulé


Also, ich gehe da fest davon aus. Ich kenne jetzt selber keinen Patienten, der nicht sagen würde, es wird langsam besser. Also, das ist das, was man immer fragen muss, zusätzlich. Weil ja auch viele so den Teufel an die Wand malen und sagen, naja, wir werden an ein Volk von Schwerstkranken, wenn wir alle mal COVID gehabt haben. Also, wenn sie mal so einzelne Patienten, die 2 Wochen nach der Erkrankung sagen, Mensch du, ich bin immer noch nicht wieder fit. Und woran könnte das liegen und kann ich was nehmen und die Angst haben, dass es bleibt. Und die sich aufregen, dass sie nicht mehr so joggen können wie früher. Wenn sie dann 2 Monate später mit den sprechen, gibt es zugegeben einige, die sagen, ich habe es ein bisschen immer noch. Das hängt auch mit der Aufmerksamkeit dem Symptom gegenüber zusammen. Aber alle, die ich bisher gesehen habe, sagen es ist deutlich besser geworden. Und wenn alle, die ich beobachte – und man kann ja mal dazu aufrufen, das dass sich Leute melden, bei denen es gar nicht besser geworden ist – aber wenn alle so berichten, so in kleinen Schritten, wenn man Geduld hat, wird es einfach besser. Dann habe ich Hoffnung, dass es irgendwann mal weg ist. Das ist die natürliche Konsequenz.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 147 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Ab jetzt ist der Corona-Kompass in einer kurzen Winterpause. Los geht es dann wieder am 16. Februar. Dann wie gewohnt dreimal die Woche. Und dann mit meinem Kollegen Jan Kröger an dieser Stelle. Wir hören uns wieder am 2 4. Februar. Herr Kekulé, bis dahin, bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Das wünsche ich Ihnen auch, Herr Schumann. Und wenn sie weiter arbeiten müssen, damit natürlich auch viel Spaß.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage dann schreiben Sie uns an, MDR Aktuell Minus Podcast MDA DE oder rufen Sie uns an kostenlose 0800 3002 2 00 alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass zum nachhören auf MDR Aktuell de da die Audiothek bei YouTube und über wo es Podcasts gibt, MDR Aktuell Kekulés Coronakompass



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00. Alle SPEZIALAusgaben und alle Folgen Kekulés CoronaKompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 02 .02 .2 02 1 #146: Mit Sputnik V die Pandemie bekämpfen



Camillo Schumann

, Moderator


MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Studie zur Wirksamkeit des russischen Impfstoffs Sputnik V (02 .02 .2 02 1) Safety and efficacy of an rAd2 6 and rAd5 vectorbased heterologous prime-boost COVID-19 vaccine: an interim analysis of a randomised controlled phase 3 trial in Russia The Lancet


Studie: Größere Herdenimmunität wegen Mutationen nötig? Eine Modellrechnung Immunisation, asymptomatic infection, herd immunity and the new variants of COVID 19 | medRxiv


00:14



Camillo Schumann



Wären Impfstoffe aus Russland und China eine Option für die EU?


Warum gibt die EU den AstraZeneca-Impfstoff ohne Altersobergrenze frei? In Deutschland wird die Gabe aber nur bis 64 Jahre empfohlen.


Bundesgesundheitsminister Spahn formuliert das Ziel: Herden-Immunität bis zum Sommer. Aber ist das realistisch?


Die Inzidenz sinkt. Die Zahl der Neuinfektionen auch. Die Lockerungsdiskussion nimmt langsam Fahrt auf. Zu früh oder es jetzt sogar der richtige Zeitpunkt?


Infiziert man sich durch eine Impfung mit dem Virus und kann auch andere anstecken?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Zu Beginn hat die Kanzlerin mal das Wort:


01:12 


„Wunder werden da jetzt nicht passieren, sondern das wird sich gut entwickeln. Das wird zunehmen, aber diese Wegstrecke dauert es.“


Tja, Wunder wird es nicht geben. So hat die Kanzlerin den gestrigen Impfgipfel zusammengefasst, bei dem es überschaubare Ergebnisse gab. Bundesgesundheitsminister Spahn hat dann abends in den Tagesthemen gesagt, dass beim Impfgipfel allen Teilnehmenden klar geworden sei, dass es in diesem ersten Quartal bis in den April hinein noch harte Wochen der Knappheit geben werde. Herr Kekulé, wie sollte man denn mit diesen harten Wochen der Impfstoffknappheit umgehen?


01:49



Alexander Kekulé


Ja, die Frage ist halt jetzt was machen wir mit dem bisschen Impfstoff, was da ist?


Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass man Wunder von vornherein ausschließen kann. Ich glaube, das Wesen des Wunders ist, dass es unerwartet kommt, weil ja zumindest an die Leute, die sozusagen das C im Namen haben, das ja vom göttlichen Willen abhängt. Aber diesen kleinen Spaß beiseite... Es ist so, was leider tatsächlich vorhersehbar ist, dass die Impfstoffproduktionen natürlich ein wahnsinnig riskantes Geschäft sind. Da wird immer wieder was schiefgehen, das ist ganz normal. Deshalb kann man irgendwie versuchen zu planen, aber letztlich ist klar, wir werden deutlich weniger haben, als wir uns wünschen. Und darum ist mein Vorschlag eigentlich, das ganz gezielt zu verwenden für die richtigen Bevölkerungsgruppen.



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten die Priorisierungsliste der einzelnen Impfstoffgruppen, die es bisher gibt, empfohlen von der Ständigen Impfkommission, würden Sie also über den Haufen werfen und noch einmal neu strukturieren?



Alexander Kekulé


Über den Haufen werfen ist übertrieben. Aber Sie wissen ja, dass ich zu der Minderheit der Fachleute gehöre – das kann man ja offen so sagen, weltweit gesehen – die sagen, im Notfall ist eine einmalige Impfung besser als gar nichts. Insofern sollte man erstmal zusehen, möglichst viele Leute einmal zu impfen, insbesondere mit den RNA-Impfstoffen, und nicht die Hälfte aufheben für die 2 . Impfung nach drei bis vier Wochen. Weil wir eben sagen,


dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Booster-Impfung nach drei Monaten zum Beispiel machen kann, ohne dass es irgendwie schadet. Ich glaube, wir haben darüber auch schon mal gesprochen. Es ist ja so, dass diese Zweitimpfung deshalb so kurz danach gewählt wurde bei den Studien, weil man gedacht hat, das ist eine Pandemie, da wollen wir möglichst schnell die Menschen quasi zum vollen Schutz auffrischen. Also, dass diese Auffrischungsimpfung oder Booster-Impfung möglichst schnell danach passiert. Rein immunologisch ist es aber so: Wenn man das ein bisschen später macht, einige Monate oder vielleicht sogar mal ein halbes Jahr oder so später, dann ist eigentlich der Booster-Effekt, also der Auffrisch-Effekt sogar besser, als wenn man es nach drei bis vier Wochen macht. Und da dazwischen haben sich die Hersteller Moderna und BioNTech ja entschieden, diese drei oder vier Wochen zu nehmen. Und ich glaube, das steht aber nicht in Stein gemeißelt, dass man deshalb nach ... später nicht mehr die 2 . Impfung geben darf.


Auf der anderen Seite ist es ja so, dass wir die Situation haben, dass die neuen Mutanten vor der Tür stehen. Es ist ziemlich sicher, dass infektiösere Varianten demnächst kommen werden, auch zu uns. Die können wir vielleicht ein bisschen aufhalten. Aber letztlich ist es ausgeschlossen, dass zu verhindern, dass diese infektiöseren Varianten dann irgendwann sich durchsetzen. Und wenn wir zugleich sehen, dass wir es einfach nicht hinbekommen haben, die Altenheime zu schützen – da kann man jetzt ich lange drüber aufregen, aber de facto ist es nicht gelungen bisher – dann sollte man meines Erachtens, und das ist der neue Vorschlag, wirklich alles, was man hat an RNAImpfstoffen zusammenkratzen und die Alten zuerst impfen. Also wirklich konsequent, sogar auf Kosten des medizinischen Personals. Das gibt sicherlich böse Briefe jetzt. Aber es ist einfach so, wenn jemand eine 10%-Sterblichkeit hat und wir keine andere Möglichkeit haben und da glaube ich inzwischen nicht mehr so dran, die Leute zu schützen, dann macht einfach eine Impfung einen Riesenunterschied. Selbst wenn sie ein paar Durchbrüche haben, wird es die Sterblichkeit massiv verringern.


05:16



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen: Also alles zusammenkratzen, um als kurzfristig ausgerufenes Schlachtziel die Mortalität so weit wie es geht zu senken, um dann, wenn dann wieder mehr Impfstoffe sind, dann zur normalen Priorisierungsliste zu kommen.



Alexander Kekulé


Ganz genau. Es kann auch sein, dass die Nachlieferungen dann sozusagen, während dieser Prozess läuft, diese Priorisierung schon wieder überflüssig macht. Wenn ein Wunder passiert, falls es dann doch passiert, wäre es ja so, dass wir quasi während wir eigentlich beschlossen haben, erst mal alles zu verimpfen, dann vielleicht doch nach drei oder vier Wochen schon die 2 . Dosis hätten. Dann wäre ja alles wieder im grünen Bereich, so wie von der STIKO empfohlen. Aber ich meine, hier darf man nicht mit deutscher Gründlichkeit sagen: Wir prüfen jetzt die Studien. Wir überlegen, was optimal ist. Und wir machen nur das, was quasi in Friedenszeiten deutsche Standardzulassung wäre. Sondern, hier ist meines Erachtens, so, wie es in England auch gemacht wird und von vielen Kollegen in den USA inzwischen laut gefordert wird, – die haben ja das gleiche Problem – gerechtfertigt zu sagen, wir nehmen erst mal eine Dosis, was auch immer wir da haben. Und wir gucken wirklich auf die Sterblichkeit, auf die Mortalität, bei den alten Menschen insbesondere.



Camillo Schumann



Und wenn wir so einen Zeitraum ins Auge fassen – also bis April, das wären ja 2 Monate – wo diese Impfstoffknappheit noch vorherrscht. In 2 Monaten kann man ja doch dann einiges auch nochmal nachsteuern, oder?


06:49



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube ich schon, weil... Es ist so. Wir haben ja jetzt den Winter. Und es kommt darauf an, jetzt das Sterben zu stoppen, weil wir einfach in den Altenheimen jetzt im Winter die Situation haben. Wir haben dazu aber auch wirklich den erklärten Willen der Politik, die Alten nicht noch mal komplett unter die Glaskuppel zu stellen und einzusperren, wie es zum Teil ja bei der ersten Welle war. Und eben zugleich die Situation, dass diese Mutanten jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu uns kommen werden. Darum glaube ich, müssen wir da wirklich jetzt und sofort handeln. Ende April des steuert ja schon so langsam auf die Zeit nach Ostern zu, wo es ja dann erfahrungsgemäß wärmer wird. Ich glaube, das ist auch politisch ganz gut zu vermitteln. Weil, für diejenigen, die nicht im Altersheim sind oder in den Pflegeeinrichtungen oder eben nicht im höheren Alter sind – das gilt natürlich auch für Hochaltrige, die Zuhause leben – für die andern, glaube ich, ist das viel eher zumutbar, dass man sagt: Pass mal auf, du hast dich jetzt schon dran gewöhnt, nolens volens diese Masken zu tragen, diesen Abstand einzuhalten und so weiter. Das muss ja für die anderen keinen Lockdown sein. Aber eine vernünftige Vorsicht


walten lassen, genügt ja eigentlich für Menschen, die kein besonderes Risiko haben. Und das Gleiche gilt aus meiner Sicht auch für medizinisches Personal. Da hatten wir am Anfang das Problem, dass die einschlägigen Masken nicht verfügbar waren und auch die Schulung noch nicht so gut. Aber ich meine, wenn man das, wenn das medizinische Personal sich konsequent verhält, dann sind die Ansteckungen dort im Prinzip vermeidbar. Und natürlich spreche ich jetzt von solchen, die nicht zusätzlich die Altersqualifikationen erfüllen. Und deshalb meine ich, sollte man wirklich alles nehmen, um die Alten zu impfen.


08:2 7



Camillo Schumann



Und in diese Priorisierungsliste auch Menschen mit schweren Vorerkrankungen, die vielleicht auch unter 65 sind mit reinnehmen?



Alexander Kekulé


Ja, diese Gruppe ist ja immer wahnsinnig schwierig definierbar. Da gab es Kollegen von mir, die haben gesagt, wenn man die schweren Vorerkrankungen, also diese sogenannten weiteren Risikogruppen, wenn man die zusammenzählen würde, dann hätten wir irgendwie 2 Drittel der Bevölkerung zusammen. Das unterschreibe ich überhaupt nicht. Sondern es ist aus meiner Sicht so, dass keineswegs jeder, bei dem zum Beispiel mal eine Krebsdiagnose gestellt wurde, deshalb automatisch zur Hochrisikogruppe für COVID gehört. Sondern da kann man, um an diesem Beispiel mal zu bleiben, wirklich nur die einbeziehen, die entweder gerade operiert wurden oder unmittelbar gerade unter Chemotherapie stehen oder gerade eben standen. Ähnliches gilt für die ganzen Herz-KreislaufErkrankungen. Da ist ja nicht jeder, bei dem irgendwann mal koronare Herzkrankheit diagnostiziert wurde, ganz automatisch ein Hochrisikopatient.


Aber ja, wenn man jetzt wirklich das eng sieht, also wenn man diese Gruppe der noch nicht hochaltrigen Risikopatienten streng definiert, dann würde man die da sicherlich mit einbeziehen. Es gibt ja so ein paar Fälle, wo es völlig eindeutig ist. Ich sag mal Kleinstkind mit Herzfehler oder Ähnlichem. Da gibt es gar kein Wenn und Aber. Das ist natürlich dann eine Risikopersonen. Oder jemand, der sehr stark übergewichtig ist.



Camillo Schumann



Das ist sozusagen ein Vorschlag, mit dem Sie – Sie haben es ja auch selber gesagt – nicht allein auf weiter Flur, aber zumindest in einer Minderheit sind. Weil das Gegenargument ist auch: Nur eine Impfung, sozusagen für einen großen Teil der


Bevölkerung, macht es der Mutationen auch relativ einfach, sich dann auch überhaupt zu entwickeln und durchzusetzen. Oder?


10:03



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau das Gegenargument, warum auch der bekannte amerikanische Immunologe und Virologe Anthony Fauci gesagt hat: Lieber nicht riskieren mit der einmaligen Impfung. Und ich glaube, dem sind die meisten an weltweit einfach gefolgt.


Das Gegenargument – diese Gefahr der Mutationen durch nur teilweise immune Personen, das ist ja so ein bisschen die Idee. Da muss ich sagen, die steht aus meiner Sicht dem Vorteil hinten an. Es ist so, die Vorteile überwiegen bei weitem.


Und zwar. Erstens ist es so. Es ist eine reine Hypothese, dass sich nach einer Impfung möglicherweise Mutanten durchsetzen könnten bei diesen Personen, aufgrund eines rein theoretisch, sage ich mal, nicht ganz perfekten Immunschutzes. Das ist rein theoretisch. Dafür haben wir bei keinem anderen Virus und nirgendwo anders irgendwie einen Hinweis, dass es so etwas überhaupt gibt. Aber ja theoretisch, die Möglichkeit ist nicht auszuschließen.


Aber was wir ganz sicher wissen, ist, dass bei Ungeimpften, also denen, die gar keinen Schutz haben, dass dort solche Mutanten entstehen. Und zwar kann es sogar sein, dass Personen, die immun sind, zum Beispiel nach Infektionen, die also ganz normal klassisch immun wären, dass sogar die helfen, diese Mutanten entstehen zu lassen. Ich weise darauf hin, dass die klassischen Mutanten sind zum Beispiel in Brasilien jetzt entstanden. Also die gefährlichsten, die wir kennen, diese V3-Mutante, die auch möglicherweise einen Immundurchbruch macht. Und da kann ja wohl keine annehmen, dass im Amazonas soviel geimpft wurde, dass deshalb quasi die Mutanten entstanden sind. Sondern nein, die sind ganz normal natürlich entstanden, ohne sozusagen die Hilfe von unvollständigem Impfschutz. Und weil die sowieso unvermeidbar sind, weil ich sowieso fest überzeugt bin, dass wir in den nächsten Monaten auch in Europa verschiedene Mutanten haben werden, wahrscheinlich noch weitere, die wir gar nicht kennen, würde ich sagen: Das ist sowieso nicht zu verhindern. Und jetzt zu glauben, dass man mit der teilweisen Impfung, also nur einmal impfen und dann etwas länger warten, irgendwie diesen Mutanten den Weg ebnet, das ist für mich so abwegig oder ein vernachlässigbares Risiko gegenüber dem enormen Vorteil, dass wir die Sterblichkeit in dieser Population senken würden.


Und das heißt natürlich dann insgesamt in Deutschland wäre einfach die Zahl der Toten sehr, sehr deutlich gesenkt.


12 :2 0



Camillo Schumann



Wir sind ja immer noch bei Todeszahlen zwischen 500, 600 und fast 1.000. Und dass auch relativ konstant, obwohl die Zahlen, die Zahl der Neuinfektionen jetzt auch, konstant zurückgehen. Also, das ist ja nun wirklich ein Marker noch der ein relativ großer Fingerzeig ist zur aktuellen Situation, wie es den Menschen da draußen geht.



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau so. Man muss ja immer wieder erinnern, dass die Zahl der Toten natürlich immer hinterherhinkt den Maßnahmen. Das ist ganz klar. Da ist ein Zeitversatz drinnen gegenüber den Neuinfektionen. Wichtig ist für mich, einfach so ein bisschen in die Zukunft zu denken. Am 15. Februar soll ja angeblich Schluss sein mit diesem Lockdown oder mit dieser Phase des Lockdowns. Mit dieser „Scheibe des Lockdowns“ hätte ich fast gesagt. Und man muss überlegen, wie geht es dann weiter? Und wenn wir es schaffen würden, uns dadurch, dass wir einfach die Sterblichkeit die Mortalität senken, also die auf die Gesamtbevölkerung bezogene Sterblichkeit, dann würden wir uns einfach Luft verschaffen. Dann wäre es möglich zu sagen okay, wir haben das jetzt im Griff. Die Intensivstationen sind nicht mehr voll, und dadurch können wir möglicherweise selektiver vorgehen statt diesen Gesamtlockdown zu machen. Ich kann mal an das Beispiel erinnern: Ich glaube, das ist ja auch durch die Presse gegangen. Vor einigen Wochen ist das, in einem Ort in Südbaden bei Freiburg – Herrischried heißt der, den kannte ich auch noch nicht vorher – da ist ja im Altenheim ein COVID-Ausbruch gewesen. Und der war insofern besonders, als von 2 1 Bewohnern im Altenheim niemand irgendwie schwer erkrankt ist. Die hatten ganz leichte Symptome, so ein bisschen Schnupfen, leichten Husten, und dann war es schon wieder vorbei. Warum? Die sind 2 Wochen vorher geimpft worden. Die hatten am 02 .01. schon ihre Impfung, die waren alle einmal geimpft. Und danach gab es den Ausbruch, und keiner musste auch nur ansatzweise ins Krankenhaus. Klar, dass ist jetzt anekdotisch, das ist keine statistische Signifikanz. Aber das deutet sehr daraufhin als Anekdote, wenn man so sagen will, dass auch der einmalige Schutz zumindest verhindert, dass gestorben wird. Und klar, die Virologen sagen dann: „Ja, aber die könnten noch ansteckend sein. Das Virus ist trotzdem nicht hundert Prozent abgewehrt.“ Das ist mir, sage ich mal in so einer Notlage, in der wir in der Bundesrepublik jetzt sind, eigentlich egal. Weil


ich sage wenn die Leute nicht sterben, ist doch super, dann ist die einmalige Impfung das, was ich empfehle.



Camillo Schumann



Tja, und bis April müssen wir uns mit dem Nachschub an Impfstoffen möglicherweise noch ein bisschen gedulden. Sie haben jetzt gerade sozusagen Ihr Szenario geschildert. Und der Chef von BioNTech, Sahin, der hat im TagesthemenInterview gesagt, dass der Impfgipfel, der gestern Abend stattfand, auch wichtig war, damit allen Beteiligten klar wird, wie komplex die Impfstoffproduktion ist und dass es immer mal wieder zu Lieferengpässen kommen kann. Wir hören mal kurz rein:


15:08


„Wir sind ja in einer Ausnahmesituation, die es in dieser Art noch nie gegeben hat. Wir bauen die Produktion aus. Wir produzieren in diesem Jahr zehntausendfach mehr Dosen, als das, was wir im letzten Jahr produziert haben. Das ist eine enorme Skalierungs-Leistung. Wir sind selbst davon abhängig, dass die Zulieferer uns Materialien liefern. Wie zum Beispiel besondere Lipide, von denen wir dann wiederum abhängen. Und wir haben auch keine vollen Lagerstätten, sondern alles, was wir produzieren, wird de facto sofort ausgeliefert. Das heißt, wenn es dann zu einer Verzögerung kommt aufgrund z.B. eines technischen Problems oder aufgrund eines Rohstofflieferung-Problems, schlägt das sofort durch. Dementsprechend können wir gar nicht anders, als dass wir kurzfristige Veränderungen auch nur kurzfristig kommunizieren können.“


(Prof. Dr. Ugur Sahin, CEO BioNTech)


Ich glaube, das war wichtig, das mal zu hören. Und ich höre da raus, wenn irgendwo eine Pumpe ausfällt, sind wir wieder in so einer Situation wie jetzt. Das heißt, wir müssen ja, was die Priorisierung angeht, und wie wir mit dem Impfstoff umgehen, ja sowieso flexibel denken. Oder?


16:17



Alexander Kekulé


Ja, das glaube ich, das ist wichtig. Das habe ich, glaube ich, auch schon von Anfang an gefordert. Wir haben ja schon gesprochen über das Problem mit diesen Lipid-Nanoparticles, mit diesen winzigen Fettbläschen, in denen diese RNA-Impfstoffe eingeschlossen sind. Und dass eben die Fette, die man dafür braucht, die Lipide, wie wir es gerade gehört haben, dass die eben von anderen Herstellern kommen und im Moment ein limitierender Faktor sind. Die USA haben quasi alle Hersteller, alle Zulieferungsbetriebe, alle Produkte von denen quasi beschlagnahmt. Die haben da so eine Art Kriegsrecht ausgerufen und gesagt, es


bleibt alles im Land. Ähnliches ist ja für Europa diskutiert worden im Zusammenhang mit AstraZeneca. Ich halte es aber vor dem Hintergrund unserer europäischen politischen Kultur nicht für realisierbar, dass man sowas mit Gewalt macht. Und ich glaube, dieser sogenannte Impfgipfel von gestern – ja, der hatte natürlich sehr stark demonstrativen oder vielleicht sogar edukativen Charakter für einige Politiker – aber ich glaube, das wichtigste Ergebnis ist doch, dass man sieht, es macht keinen Sinn, die Industrie unter Druck zu setzen. Da gibt es ja verschiedene Stimmen, die in diese Richtung gegangen sind, angefangen von irgendwelchen Zwangslizenzen an Dritte – wo man dann sagen muss, wieso sollen die das besser können als eine Firma, die dann von BioNTech gekauft wurde – bis hin zu Exportstopp und Ähnlichem. Ich glaube, das alles hat keinen Sinn, sondern man muss hier kooperieren mit der pharmazeutischen Industrie. Und diese Firmen, die das machen, die haben eine irrsinnige Leistung vollbracht. Ich glaube, dass die Pharmaindustrie in dieser Pandemie wirklich vielen, vielen Menschen gezeigt hat, wie wichtig es ist, dass wir so etwas haben. Und ich glaube, da sollte man die einfach mal machen lassen und unterstützen, wo immer es geht.


18:01



Camillo Schumann



Es gibt zu wenig Impfdosen, das ist Fakt. Und ja, da kommen dann auf einmal Impfstoffe ins Spiel, die vorher keine große Rolle für die EU gespielt haben, nämlich Impfstoffe aus Russland und China. Bundesgesundheitsminister Spahn hat sich ja durchaus offen für diese Impfstoffe gezeigt, sofern es eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde gibt. Die Entwickler des russischen Sputnik-Impfstoffes haben laut Recherchen des MDR auf der Suche nach einem Kooperationspartner für eine mögliche Impfstoffproduktion nun Kontakt mit dem Pharmahersteller IDT Biologika in Sachsen-Anhalt aufgenommen. Jetzt liegt für den russischen Impfstoff eine Zwischenauswertung vor. Die Studie wurde heute bei „The Lancet“ veröffentlicht, also nicht irgendwo. Sie haben darüber gelesen. Also, wie wirksam ist der russische Impfstoff?



Alexander Kekulé


Ja, das entspricht der Pressemitteilung, die wir schon hatten. Das liegt jetzt bei 91,6 Prozent. Das ist also wirklich gut für so einen Impfstoff – deutlich oberhalb dessen, was AstraZeneca publiziert hat. Und die Daten insgesamt, sofern man das jetzt an der Publikation sozusagen erkennt – die Anhänge habe ich nicht durchgelesen auf die Schnelle – die Daten sehen insgesamt wirklich gut aus.



Camillo Schumann



Okay, das ist sozusagen eine wichtige Standortbestimmung. Also wird dann dieser Impfstoff möglicherweise auch eine Alternative für uns?



Alexander Kekulé


Ja, wir haben bis jetzt immer geschimpft auf die Russen, dass die immer corner cutting machen, wie wir sagen, also irgendwie da Abkürzungen genommen haben. Das ist in der Tat so gewesen. Man hat es einfach mal versucht, hat dann auch losgeimpft. Und wenn jetzt diese Daten stimmen – es gibt bei solchen Publikationen immer einen langen Anhang, der gar nicht in dem eigentlichen Paper mit drinnen steht. Das müsste man dann ganz genau studieren in dem Fall natürlich, um mal zu gucken, ob das wirklich so stimmt. Andererseits muss man sagen die Lancet-Gutachter sind streng, und wenn, was quasi aus Russland kommt, wahrscheinlich doppelt streng, vermute ich mal. Und die haben das durchgewunken und gesagt, dass ist so in Ordnung. Und auf der Basis dieser Daten ist es so, dass man sagen kann mit einer ziemlich guten Sicherheit – also so stabil wie bei Moderna und BioNTech ist die Zahl nicht – aber mit einer ziemlich guten Sicherheit ist das über 90 Prozent wirksam.


Warum sage ich nur ziemlich gut? Das ist ja eine Phase-3-Studie hier, von der die Moskauer öfters gesprochen haben. Und es ist so, dass da eigentlich 40.000 Teilnehmer dabei sein sollten. Und man hat jetzt eben eine Zwischenauswertung veröffentlicht, wahrscheinlich wegen des öffentlichen Drucks und weil man auch Marketing natürlich außerhalb von Russland ganz massiv macht zurzeit. Und deshalb haben die Leute von diesem staatlichen GamalejaInstitut eben schon bei 17.000 Personen, die die Vakzine bekommen haben, und 5.700 Personen, die die dazugehörige Kontrolle bekommen haben, eine Auswertung gemacht.


Ich persönlich fand es bisschen schwächer hier, dass die Kontrolle in dem Fall nur sozusagen „Wasser“ war. Da hat man nur Pufferlösung genommen. Bei anderen Studien wird da eine andere Impfung verabreicht, um so eine Art subjektiven Faktor – wir sagen da Bias, also so eine Störung des Ergebnisses durch die Probanden selber, auszuschließen, weil es ja so ist, wenn man nur Salzwasser gespritzt bekommt, dann hat man diese klassischen Nebenwirkungen der Impfung nicht, also diese sogenannte Impfreaktion mit Schwellung, Rötung, Schmerzen. Die fällt natürlich aus, sodass immer die Gefahr besteht, dass die Leute merken, dass sie in der Kontrollgruppe sind. Und dann hat man natürlich dann auch bei dem


ganzen sonstigen Verhalten der Menschen einen Unterschied.


Aber trotzdem in dieser Gruppe derer, die also hier tatsächlich untersucht wurden, war es so, dass man 82  Fälle hatte bei denen, die Placebo bekommen haben, also quasi nur Wasser: Das waren 1,3 Prozent der Geimpften, also der Probanden. Und in der eigentlichen Prüfgruppe hat man nur 16 Fälle gehabt, obwohl die Gruppe wesentlich größer war, und das waren 0,1 Prozent. Und aus diesem Verhältnis quasi Größe der Gruppen beziehungsweise Zahl der Infektionen, einmal mit Impfstoff, einmal ohne Impfstoff, kommt man eben auf diese knapp 92  Prozent Wirksamkeit.


2 2 :12 



Camillo Schumann



Können Sie etwas zur Altersverteilung sagen? AstraZeneca hat ja das Problem der Wirksamkeit für die Älteren, wonach sie auch in Deutschland für die über 65-Jährigen jetzt nicht empfohlen wird. Wäre das möglicherweise eine Alternative?



Alexander Kekulé


Ja, das ist aus der Studie selber nicht so auf Anhieb rauszulesen. Da müsste man die sogenannte Supplementary Materials anschauen. Manchmal ist es da in diesem Anhang des Anhangs noch irgendwo versteckt. Das habe ich auf die Schnelle nicht gefunden. Die geben nur an, dass sie über 60Jährige geprüft haben. Also das ist von der Altersverteilung schon etwas mehr im hochaltrigen Bereich als bei AstraZeneca. Aber natürlich gibt es jetzt keine Angabe von über 70. Und bei den über 60-Jährigen ist es so, da hatten sie immerhin 1.611 in der Impfgruppe und 533, ungefähr ein Drittel, in der Kontrollgruppe. Das ist nur eine Zwischenauswertung und hat längst nicht so viele einzelne Fälle, die ja die Basis der Statistik sind, wie zum Beispiel bei der BioNTech-Studie. Da waren es natürlich wesentlich mehr – einige Hundert. Sodass dieses Ergebnis zwar im Raum steht. Das ist das wahrscheinliche Ergebnis. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es richtig ist, ist nicht so hoch wie bei dem anderen. Also man kriegt ein Resultat der Mathematik, der mathematischen Berechnungen. Und dann kann man ja in der Statistik immer auch so schön dazusagen, wie wahrscheinlich ist es, dass mein Resultat richtig ist. Und an der Stelle sage ich mal, ist diese Studie etwas schwächer. Aber meistens pendelt sich das dann schon in der Gegend ein. Und das sieht ganz gut aus. Sie hatten vor allem ein Viertel aller Teilnehmer mit Grunderkrankungen. Und es ist ja immer wichtig, weil wir wissen, dass das Leute sind, die auch, wie die Alten, ein höheres Risiko haben.



Camillo Schumann



Das ist ja verrückt. Möglicherweise könnten die Russen dann die Impflücke in Europa schließen. Oder? Wenn man es mal ein bisschen weiter denkt.



Alexander Kekulé


Also, wenn man jetzt diese Studie für bare Münze nimmt. Es stand ja, muss sich jetzt ehrlicherweise sagen, es stand ja schonmal in dieser Pandemie im „The Lancet“, was dann hinterher widerrufen werden musste. Wir sind da etwas vorsichtiger geworden, selbst wenn es begutachtet wird. Aber wenn ich mir vorstelle, ich darf ja auch öfter so Arbeiten begutachten. Die Kollegen, die das dann gesehen haben – das ist ja geheim, wer das genau gemacht hat – die wissen ja, da ist im „The Lancet“ echt mal was schief gegangen in diesem Jahr. Und deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass die doppelt vorsichtig waren. Und deshalb würde ich einfach mal vermuten, wahrscheinlich stimmt das so.


Vom Wirkprinzip her ist es so, das wäre dann ein zweiter Vektor-Impfstoff neben dem von AstraZeneca. Der ist aus Gründen, die wir nicht genau verstehen – in dieser Studie, die ist ja auch nur in Moskau gemacht worden und das ist übrigens der Grund mit dieser Teilauswertung. Die haben nach meiner Erinnerung in Moskau einen Teil gemacht und einen Teil in anderen Krankenhäusern auswärts. Und diese Kliniken und Polikliniken in Moskau, die haben ja diese offenen Polikliniken, so wie man es früher auch in der DDR hatte. Und die sind natürlich viel besser organisiert und besser zugänglich. Und die anderen Daten, das dauert jetzt wahrscheinlich eine Weile. Aber ja, das ist ein Vektor-Impfstoff, der offensichtlich einen Ticken besser funktioniert als der von AstraZeneca.


Vielleicht zur Erinnerung: Es ist so, die haben ja hier 2 verschiedene Adenoviren eingesetzt. So eine Kombination, wo sie die erste Impfung mit dem Adeno-2 6 (Adenovirus-Typ-2 6) machen und die zweite mit dem Adeno-5. Das sind 2 verschiedene Vektoren, die man nimmt. Und zwar deshalb, weil man sicher gehen will, dass es nicht zu einer Immunisierung gegen den Vektor bei der ersten Injektion kommt. Dann wäre es so, dass die zweite wirkungslos wäre, weil, quasi der Booster dann keinen Effekt mehr hat. Solche Dinge werden so ein bisschen diskutiert bei dem AstraZeneca, wo zweimal dieses aus dem Schimpansen-Adenovirus gewonnene Konstrukt verwendet wird. Und hier nimmt man eben Adeno-2 6, das ist ein humanes Adenovirus, das aber sehr selten ist. Das nimmt man zuerst, in der Hoffnung, dass ganz wenig Menschen in der Population dagegen Antikörper haben. Adeno-5 ist etwas häufiger. Da haben etwas häufiger Menschen Antikörper. Aber das ist eben


deshalb wohl auch als Booster verwendet worden. Ich erkläre das so ausführlich, weil, wir haben noch einen weiteren Kandidaten in der Schublade.


Der eine ist von Johnson&Johnson, bekanntlich, zusammen mit Janssen Pharmaceuticals. Der hat nur Adeno-2 6, also die geben zweimal nacheinander Adeno-2 6-Konstrukte.


Und dann gibt es auch noch einen chinesischen von CanSino. Die haben ja sowohl ein abgetötetes Virus oder inaktiviertes Virus als auch einen vektorbasierten Impfstoff in der Pipeline. Und bei denen es ist es Adeno-5 basiert, also auch zweimal das Gleiche. Und wenn es jetzt wirklich so sein sollte, dass dieser russische Ansatz, den sie am Gamaleja schon länger favorisieren – auch für den Ebola-Impfstoff haben die das schon mal so ähnlich gemacht – wenn das tatsächlich was bringen sollte, dass man 2 verschiedene Vektorviren nimmt, um zu verhindern, dass es Immunität gegen den Träger quasi gibt, dann wäre das eine tolle Sache. Dann könnte es sein, dass die sogar noch Johnson&Johnson ausstechen. Da würden die sich in Moskau sicher freuen.



Camillo Schumann



Das glaube ich. Und unterm Strich überrascht Sie das, oder?



Alexander Kekulé


Also ja, ich bin ganz ehrlich. Mein Gott, in dieser Pandemie ist alles so mit heißer Nadel gestrickt. Und wenn dann Leute so sagen schnell schnell, wir haben das Tollste von der Welt, dann ist man da sehr zurückhaltend geworden. Und das war bis jetzt nur eine Pressemitteilung aus Moskau. Und jetzt haben die sich natürlich an der Ehre gepackt gefühlt und haben da jetzt die Daten vorgelegt. Und da muss ich einfach sagen als Wissenschaftler: Die Daten sind die Daten. Und wenn ich das lese, so, wie das da steht, quasi unbesehen unbeschadet der Personen, die da möglicherweise dahinter stehen, ist es ein hervorragendes Ergebnis. Der Impfstoff ist ein weiterer Kandidat, der helfen kann, weltweit diese Pandemie zu bekämpfen. Und er hat den Vorteil, dass man den in einem normalen Tiefkühler bei -18°C lagern kann, wie alle Vektor-Impfstoffe. Das heißt, Sie könnten bei sich zu Hause in kleinen Vorrat anlegen, wenn sie da das Vanilleeis und die Fischstäbchen rausräumen.


Ein kleiner Wermutstropfen bei allen VektorImpfstoffen ist, dass man relativ aufwändige Produktionsanlagen natürlich braucht, weil man sehr viele Viruspartikel produzieren muss. Das heißt, die Frage ist jetzt, wie schnell die Russen die Produktion hochfahren können. Vor allem natürlich in Ländern, die da schon erste Verträge haben, wird


es so sein, dass die jetzt ganz schnell natürlich diesen Impfstoff haben wollen.


2 8:2 2 



Camillo Schumann



Wie sieht es mit den chinesischen Impfstoffen aus? Da gibt es ja auch mehrere, die schon zugelassen und auch verimpft worden sind.



Alexander Kekulé


Da gibt es 2 verschiedene. Die Firmen heißen ja beide so ein bisschen ähnlich. Die eine heißt Sinovac und die andere Sinopharm. Und Sinovac, das sind die – wir haben über beide Impfstoffe schon gesprochen – das sind die, die so einen inaktivierten Impfstoff haben. Das heißt also oldschool einfach mal so ein Virus totgemacht, sage ich mal, dafür gesorgt, dass sich das nicht mehr vermehren kann. Und dann wird dieses nicht mehr vermehrungsfähige Virus dann gespritzt. Das ist so das alte Prinzip, was man schon bei der Pockenimpfung irgendwann im 18. Jahrhundert angewandt hat. Und da gibt es ja diese berühmte Studie vom Butantan-Institut. Das ist eine Phas-3, die in Brasilien läuft. Da finde ich, die ist schon, sage ich mal, zumindest ist die unter Einsicht der Öffentlichkeit. Also in Brasilien ist die Kontrolle schon halbwegs vorhanden. Also, man kann da viel sagen über die Gesundheitsbehörde Fiocruz dort. Aber da schauen sie schon ein bisschen mit drauf. Und da ist, wie es angeblich am Anfang hieß,


78 Prozent Wirksamkeit rausgekommen. Das klang ganz gut. Dann haben sie neue Pressemitteilungen gemacht. Da waren es dann plötzlich angeblich nur noch 50 Prozent. Das wäre genau die Schwelle, die man nach WHO-Kriterien mindestens erreichen muss, um einen brauchbaren Pandemie-Impfstoff zu haben. Dann haben sie eine dritte Veröffentlichung gemacht, wo sie wieder erklärt haben, warum die Unterschiede nichts bedeuten. Also ich muss mal sagen auch da muss man wirklich warten, bis die Daten auf dem Tisch sind.


Und dann die andere Firma Sinopharm: Die hat auch einen inaktivierten Impfstoff. Von dem wissen wir nur, dass er in den Vereinigten Emiraten schon eingesetzt wird in großem Stil. Die sagen Wirksamkeit über 80 Prozent, das klingt ganz gut. Aber das war so ein bisschen komischer Übergang, des kann man sich bei uns gar nicht vorstellen, aber die Chinesen machen das so ähnlich wie die Russen. Die haben erst mal eine Phase-3-Studie, irgendwo, eben zum Beispiel in den Emiraten. Und dann, während diese Studie noch läuft, sagen sie: Es ist alles gut, wir starten jetzt mit der richtigen Impfung. Da kann sich sozusagen jeder plötzlich anstellen. Dadurch haben die ziemlich gute Durchimpfungsraten in den Vereinigten Emiraten. Die sind also weltweit mit führend, aber eben mit


diesem chinesischen Impfstoff. Und ich habe gelesen, dass Ungarn den jetzt gerade bestellt hat. Ich weiß nicht, wie sie das machen wollen. Dann müssen sie wohl so eine Art Notfallzulassung dann rausbringen, weil, bis die Europäische Arzneimittelbehörde hier die Zulassung macht, das wird noch eine Weile dauern.


Also unterm Strich: Für mich sind das alles wacklige Daten. Ich selber hätte jetzt, sage ich mal ganz ehrlich, keine Angst vor so einem inaktivierten Impfstoff. Da ist ein bisschen Wirkverstärker mit drinnen. Aber in dem Fall auf Aluminiumbasis, also so ein klassischer Wirkverstärker, der wird nicht viel machen. Das Problem ist nur, vielleicht macht der Impfstoff auch nicht viel, dann habe ich mich umsonst geimpft. Das wäre möglich. Man muss aber an Folgendes erinnern an der Stelle: Wenn wir so Wirksamkeiten haben, die im Bereich zwischen 50 Prozent, 60 Prozent bis hin zu angeblich knapp 70 Prozent bei AstraZeneca gehen, dann sind wir ja schon bei der Wirksamkeit deutlich unter dem, was rein theoretisch für die Herdenimmunität gebraucht würde. Also für die rein theoretische Herden-Immunität – Sie wissen, da habe ich immer Vorbehalte gegen diesen Begriff aus verschiedenen Gründen – aber das wäre ja so, dass wir eigentlich 2 Drittel, ungefähr 67 Prozent, impfen müssten. Wenn sie jetzt einen Impfstoff haben, der zum Beispiel nur 60 Prozent wirksam ist. Dann würde der zwar den WHO-Kriterien entsprechen. Aber mit dem könnte man auf keinen Fall Herdenimmunität herstellen, weil, selbst wenn sie alle damit impfen würden, hätten sie ja eben nur 60 Prozent, zum Beispiel Immunität. Das heißt, es reicht nicht.


Das wirft eher ein Schlaglicht auf die WHO, die da offensichtlich diese Marke viel zu niedrig gesetzt hat. Und man kann jetzt nicht sagen, bloß weil es den die WHO-Kriterien entspricht, ist es ein brauchbarer Impfstoff.


32 :2 2 



Camillo Schumann



Wir sind ja auch gespannt, ob dann die EMA, den russischen bzw. die chinesischen Impfstoffe dann hier in Europa zulassen werden, werden Sie natürlich erfahren, hier im Podcast. Wenn es den Podcast dann noch gibt.



Alexander Kekulé


Doch. Ich glaube, die werden zumindest irgendwann die Zulassung beantragen. Aber das haben sie ja noch gar nicht gemacht. Man muss vielleicht noch eins ergänzen für die echten Profis unter den Hörern. Es gibt sie auch das RollingReview-Verfahren, über das wir gesprochen haben, wo Monate vor dem eigentlichen Zulassungsantrag oder Notzulassungsantrag die Unterlagen schon


eingereicht werden, und parallel zu den Studien schon geprüft wird. Sowas gibt es für diese Impfstoffe ja gar nicht, weil sich diese Staaten natürlich nicht in die Karten schauen lassen.


33:03



Camillo Schumann



Weil wir gerade bei der EMA sind. Da gibt es ja gerade Diskussionen um eine Entscheidung der EMA. Drei Impfstoffe werden aktuell in Deutschland verimpft, 2 mRNA-Impfstoffe, einer von BioNTech/Pfizer und einer von Moderna, und einen Vektor-Impfstoff von AstraZeneca. Doch der letztere soll in Deutschland nicht an Personen unter 65 Jahre verimpft werden. Das ist eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission, weil zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren bisher keine ausreichenden Daten vorliegen. Die Europäische Arzneimittelbehörde, die EMA, bestätigt auch die fehlenden Daten für ältere Menschen, hat den AstraZeneca-Impfstoff aber trotzdem ohne Altersobergrenze zugelassen, weil der Impfstoff sicher sei und es gute Erfahrungen mit anderen Impfstoffen gebe. Handelt die EMA da grob fahrlässig oder ist die STIKO einfach zu streng?



Alexander Kekulé


Ich glaube keins von beiden. Also es ist ja so, dass die Europäische Arzneimittelbehörde die Zulassung prüft. Also ob man das überhaupt verwenden darf, das Zeug, sozusagen. Und da stehen natürlich ganz vorne erstmal die Sicherheitsaspekte. Und die Überlegung ist also: Gibt es da irgendwelche Gründe, die Zulassung zu versagen? Es handelt sich ja hier um eine bedingte Zulassung. Also das ist das Notfallverfahren der Europäischen Arzneimittelbehörde. Und da gucken die erst einmal auf die möglichen Nebenwirkungen drauf. Und da haben sie dann extrapoliert und gesagt: Na gut, wenn es bis 65 nicht so viele Nebenwirkungen gab – in der Altersgruppe wird es schon langsam schwach mit den Daten von AstraZeneca – dann wird es wohl bei den Älteren jetzt auch nichts spektakulär Neues geben. Zumal man natürlich ganz knallhart sagen muss: Langzeitnebenwirkungen von 30 Jahre plus, das sind so Sachen, die werden jetzt wahrscheinlich bei einem 90-Jährigen nicht so sehr berücksichtigt wie bei einem 2 0-Jährigen. Und daher sagt, glaube ich, die EMA richtigerweise, nein, grundsätzlich die Zulassung machen wir. Die haben ja auch, muss man in Erinnerung rufen, quasi als Schwelle für die Wirksamkeit tendenziell diese 50 Prozent der WHO. Die CDC in USA haben irgendwann mal gesagt, wir hätten lieber 60 Prozent Wirksamkeit. Ich weiß nicht, ich glaube, aus Europa gibt es da keine Ansage, wie wieviel die Impfstoffe mindestens machen müssen. Das heißt, da gilt dann tendenziell


des WHO-Votum. Und da sagt die EMA eben: Erstens diese 50 Prozent halten wir für belegt. Und zweitens: Wahrscheinlich wirkt irgendwie auch bei Älteren, und wird damit zugelassen.


Die STIKO, die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut, die gibt ja Empfehlungen, wann man den zugelassenen Impfstoff dann konkret einsetzen soll, also wie man es optimieren soll. Natürlich kann sich jeder impfen, wie er lustig ist, auch wenn es nicht von der STIKO empfohlen ist. Sie können sich jetzt, wenn sie meinen, ich muss jetzt noch einmal gegen Polio eine Impfung haben, dann können sie sich die geben lassen, obwohl die natürlich möglicherweise für Sie gar nicht empfohlen ist. Und daher ist da natürlich der Maßstab einfach ein anderer. Und ich glaube, dass die Ständige Impfkommission anders entschieden hätte, wenn AstraZeneca der einzige verfügbare Impfstoff wäre. Also wenn die als erstes angemeldet hätten – früher sah es ja immer so aus, als wollten sie das, könnten sie das, und da sind sie ziemlich überholt worden – dann wäre es vielleicht anders gewesen. Aber jetzt hat man nun mal die RNA-Impfstoffe mit diesen sehr guten Daten. Und dann sagt man einfach, es wäre nicht angezeigt, jetzt gerade bei einer Gruppe, wo eben die AstraZeneca-Daten nicht eindeutig sind, parallel mit dem RNA-Impfstoff und mit dem Vektor-Impfstoff von Zeneca/Oxford zu impfen, weil man dann einfach einen Teil der älteren Herrschaften hat, wo man sagen muss, da ist relativ klar, dass es funktioniert. Und bei einem anderen Teil ist ein Fragezeichen. Und diese politischen Aspekte, wie erkläre ich, dass man quasi nur den zweitbesten kriegt? Ich glaube, das ist alles in der Waagschale gewesen und deshalb eine nachvollziehbare Entscheidung.


36:49



Camillo Schumann



Aber das sorgt auch bei den Menschen da draußen für Verunsicherung. Und bei den Impfstoffen ist ja die Wirksamkeit in Studien nachgewiesen worden, aber noch nicht im Feld. Das passiert ja jetzt gerade, in dem sich Millionen Menschen impfen lassen. Ist denn der Unterschied wirklich so groß zwischen den beiden Impfstoffarten, dass man dann wirklich ausschließen kann – oder anders: dass man dann diese Empfehlung wirklich geben kann, über 65 nicht? Also ist dann wirklich da die Differenz so groß, dass man sagt, bei BioNTech ist das definitiv und bei denen definitiv nicht?



Alexander Kekulé


Naja, was ist sicher in der Wissenschaft? Also, die Daten sind so, dass wir davon ausgehen können, dass die RNA-Impfstoffe, und das ist ein Riesenglücksfall, auch im höheren Alter überhaupt funktionieren. Wir haben ja bei Influenza anderes


gesehen, dass es ausgerechnet bei den Alten dann nicht mehr richtig funktioniert. Diese RNAImpfstoffe sind offensichtlich so stark reaktogen, die machen so eine starke Impfreaktion, dass auch das gealterte Immunsystem, das quasi genauso schwach geworden ist wie die Muskulatur von einem älteren Menschen, dass das irgendwie trotzdem noch genug angeschubst wird, um hier eine Immunität zu erzeugen. Das ist einfach für den Vektor-Impfstoff von AstraZeneca und natürlich auch für die anderen, die es dann so gibt, nicht belegt. Und bevor ich das sozusagen irgendwie Mal gesehen habe, dass überhaupt so ein Vektor-Impfstoff bei alten Menschen funktioniert und zwar gut funktioniert, bin ich da zurückhaltend. Man muss allerdings dazu sagen, die EMA, die europäische Arzneimittelbehörde, hat auch Folgendes noch mit auf dem Schirm gehabt. Vor der Phase 3 gibt es ja die Phase-2 -Studien. Das sind so kleinere Studien, wo man dann eigentlich nicht guckt, sind die Personen tatsächlich vor COVID geschützt worden, im Feld sozusagen schon. Sondern man guckt einfach nur im Labor: Haben die Antikörper gebildet oder irgendwelche Lymphozyten, irgendwelche T-Zellen gebildet, die also spezifisch für das neue Sars-CoV-2 -Virus sind? Und diese Laborversuche, die zeigen tatsächlich bisher keine Altersabhängigkeit, auch bei dem AstraZeneca-Impfstoff. Sodass man schon sagen kann: Aufgrund dieser im Labor ausgewerteten Phase-2 -Versuche sieht es so aus, als gäbe es da nicht irgendwie einen Knick, dass ab 60 nichts mehr passiert mit der Immunantwort. Aber es ist eben nicht in Phase 3 wirklich knallhart getestet worden.


Und ich finde, da man ja beide Optionen hat und auch als Ständige Impfkommission ein bisschen politisch denken muss, glaube ich, war das schon die richtige Entscheidung zu sagen: Die Bevölkerung hat verstanden, dass diese RNA-Impfstoffe offensichtlich funktionieren. Sie hat verstanden, dass AstraZeneca mit den Daten zum Teil da jongliert hat. Und es gibt vielleicht noch einen ganz anderen Aspekt. Ich glaube, der war vielleicht in der Ständigen Impfkommission nicht so Thema, aber das kann man ja hier auch ansprechen. Es gibt ja Teile der Bevölkerung, die haben panische Angst davor, dass diese modernen Impfstoffe ihnen irgendwie die Gene zusammenschmeißen könnten. Und dass das quasi genveränderte Maßnahmen sind, wenn man sich da impfen lässt. Also das Internet ist voll mit solchen Gruselgeschichten. Und da kann jeder Wissenschaftler, der sich damit auskennt, guten Gewissens sagen: Ein RNAImpfstoff macht so was nicht. Weil diese RNA eine Substanz ist, die überhaupt nicht in den Zellkern geht, wo unsere Erbinformation ist. Also diese ganzen Chromosomen, wo unsere


Erbinformationen drauf ist, die sind ja im Zellkern. Und diese RNA-Impfstoffe gehen da gar nicht rein. Und deshalb manipulieren die nicht die Gene.



Camillo Schumann



Kleiner Cliffhanger: Am Samstag werden wir nämlich die Frage klären, ob das möglicherweise so ein Vektor-Impfstoff macht. An dieser Stelle, müssen wir die Frage gar nicht beantworten, wenn Sie wollen.



Alexander Kekulé


Okay, gut, dann ist das ein Cliffhanger. Ich wollte gerade loslegen. Da sparen wir uns das auf.



Camillo Schumann



Das sparen wir uns dann für den Samstag auf. Es gab nämlich eine Hörerfrage dazu. Wie gesagt, die Antwort dann im Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL am Samstag.


Um da noch mal ganz kurz ein Strich drunter zu ziehen. Wir haben ja jetzt sozusagen die Unterschiedlichkeiten so ein bisschen rausgearbeitet noch einmal. Aber was alle eint, eine, sag ich mal, sterile, sterilisierende Abwehr haben sie alle nicht. Also man könnte möglicherweise dann auch das Virus weitergeben, oder? Diese Frage ist ja noch ungeklärt.


41:02 



Alexander Kekulé


Ja, also da würde ich sogar sagen, die Frage ist eigentlich klar. Sie ist nicht wirklich geklärt abschließend, aber ich weiß, dass viele auch im politischen Raum diskutieren um die Frage: Gibt es eine sterilisierende Immunität nach Impfung? Das heißt, dass jemand, der geimpft wurde, definitiv dem Virus nicht mehr erlaubt, sich irgendwie auch nur minimal zu vermehren. Da ist die Antwort eigentlich nein, das gibt es einfach nicht. Also wir haben ganz, ganz wenige Beispiele, wo es so aussieht wie eine sterilisierende Immunität. Aber praktisch gesehen, vor allem, wenn sie mit der PCR nachgucken, wird es immer so sein, dass Geimpfte natürlich noch eine Teilvirusvermehrung ermöglichen auf ihren Schleimhäuten. Damit ist das Virus dann da nachweisbar im Prinzip vorhanden. Und wenn Sie jetzt jemanden wirklich intensiv küssen, zum Beispiel, dann ist es auch möglich, dass die paar Viren, die dann da sind, den anderen anstecken – rein theoretisch. Aber es ist so, dass wirklich alle Daten darauf hindeuten, dass die Infektiosität der Geimpften so stark reduziert ist, dass wir keinen epidemischen Effekt mehr dadurch haben. Also es ist keine echte sterilisierende Impfung. Vor allem kann man keine sterilisierende Immunität erwarten, wenn man jetzt die ganzen Mutanten anschaut – wir haben ja schon ausführlich darüber gesprochen. Selbst bei der


britischen Mutante ist nicht auszuschließen, dass sie Leute erfolgreich infizieren kann, die in der ersten Welle schonmal COVID hatten. Und ganz sicher ist das möglich, bei den Mutanten, die also aus Südafrika und Brasilien jetzt gemeldet werden. Und das ist völlig klar, dass auch Leute, die geimpft sind, mit solchen Mutanten im Prinzip dann infiziert werden können. Aber die Hoffnung ist eben, dass es eine Infektion ist, die ganz harmlos verläuft oder schwach verläuft und eben keine schlimmen, lebensbedrohlichen Erkrankungen macht. Trotzdem ist es keine sterilisierende Immunität. Also dieses Thema wird ja vor allem im Ethikbereich immer gerne vorgeschoben, um zu sagen, die Frage, wann wir anfangen, den Leuten, die geimpft wurden, irgendwelche Erleichterungen einzuräumen. Dieses Thema wird ja immer nach hinten geschoben, weil man sagt, da müssen wir vorher die wissenschaftliche Frage der sterilisierenden Immunität klären. Ich glaube, es ist praktisch, auf diese Weise die Diskussion zu vertagen. Aber eine sachliche Grundlage gibt es dafür nicht.


43:2 4 

Camillo Schumann

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Tja, sind alle geimpft, dann hat das Virus eine sehr geringe Chance, sich weiter zu verbreiten. Eine Impfpflicht soll es in Deutschland ja nicht geben. Da hat Herr Spahn auch noch einmal darauf hingewiesen. Aber bis zum Sommer soll jeder, definitiv jeder in Deutschland ein Impfangebot erhalten, dass er dann annehmen kann oder eben nicht. Und er hat noch etwas Interessantes gesagt werden. Wir hören mal kurz rein:


„Ziel dieser Kampagne ist natürlich die sogenannte Herdenimmunität, und die werden wir Richtung Sommer erreichen.“


Herdenimmunität bis zum Sommer, wie realistisch ist dieses Szenario?



Alexander Kekulé


Oh weh. Also ich habe ja Hemmungen, dem Bundesgesundheitsminister zu widersprechen. Erstens, wenn er etwas Optimistisches sagt. Und zweitens ist er natürlich mein Freund, seit der sich dafür einsetzt, dass die Schnelltests für jedermann freigegeben werden sollen.


Es ist so mit der Herdenimmunität: Sie wissen, dass ich dieses Konzept nicht so toll finde aus verschiedenen Gründen. Ich glaube, so wird es nicht funktionieren. Und vor allem, wenn wir jetzt die Varianten anschauen. Vorher wäre es jetzt wissenschaftlich schwieriger zu erklären. Aber das gleiche Prinzip. Und jetzt ist es so: Wir haben doch ständig neue Varianten. Das heißt, das Virus macht das, was wir einen Antigendrift nennen. Es verbiegt


sich immer an der Stelle so ein bisschen, vor allem an diesen Spike-Proteinen, aber auch an anderen Stellen, wo das Immunsystem von Leuten, die entweder geimpft sind oder die Krankheit durchgemacht haben, halt hingreifen will. Das weicht quasi aus wie jemand, dem man die Hand gibt und der sich dann dreht man, damit man die Hand nicht schnell fassen kann. So macht das Virus das ständig und ist ständig in Bewegung. Das ist ja quasi nicht ein Virus, was 1:1 wie kopierte Fotos immer gleich aussieht, sondern das ist – wir nennen es auch Quasi-Spezies, das sind ständig sich verändernde Mutanten, die alle nicht genau gleich sind. Quasi Geschwister, die so unterschiedlich sind wie Hund und Katz, wenn man das so sagen darf. Und dann mendeln sich halt immer diejenigen raus, die besser durchkommen. Was heißt es in der Praxis? Sobald wir halt hier in Deutschland halbwegs immun sind, wird es nicht so sein, dass wir Herdenimmunität haben. Selbst wenn wir das mit diesen Varianten möglicherweise erst bei einem etwas höheren Niveau ansetzen, weil die Reproduktionszahl größer ist. Sondern es wird so sein, dass wir weitere Infektionen haben, die dann aber nicht mehr so schlimm sind, weil wir eine Teilimmunität haben. Weil wir mit einer der Geschwister von diesem Virus irgendwie immunologisch schonmal zu tun hatten, entweder durch Impfung oder durch Infektionen. Und deshalb verläuft es dann einfach nicht mehr so schlimm. Dann ist es irgendwann mal eigentlich eine harmlose Erkrankung, die immer wieder auftritt. Und das wird nicht so sein, dass wir das auslöschen. Herdenimmunität – das war ja mal die Hoffnung, irgendwann im 19. Jahrhundert, als man bei Schafsherden diesen Begriff geprägt hat – Herdenimmunität würde ja bedeuten, dass die Krankheit dann weg ist. Das wird sie nicht sein. Das ist eine Illusion. Die wird immer da sein und wird immer weiter unsere Kinder infizieren. Die werden keine großen Symptome haben. Die werden dann unauffällig immunisiert. Wir nennen das stille Feiung, so ein schönes altes Wort, die stille Feiung, quasi die Immunisierung der Kinder durch unbemerkte Infektionen. Und dann werden die, wenn sie älter sind, von so einem Virus auch keine schwere Erkrankung bekommen. Und das wird dann auch keine erhöhte Sterblichkeit bei den alten Menschen mehr geben.


46:44



Camillo Schumann



Und so eine Herdenimmunität – auch wenn Sie das Wort nicht mögen – kriegt man ja auch nicht innerhalb von einem Jahr hin mit 2 Wellen, jetzt in dem Fall. Die haben wir ja jetzt hinter uns. Sondern es wird er sicherlich ein paar Jahre dauern,


bis das dann in einem Großteil der Bevölkerung dann auch angekommen ist. Oder?



Alexander Kekulé


Das andere ist der Zeitfaktor, ja. Da ist die Frage, welche Zahl nimmt man? Wenn jetzt die Reproduktionszahl R ist, dann wäre rein theoretisch, wenn man so eine ganz einfache Rechnung aufmacht, der Kehrwert davon also Zweidrittel, also 1 minus der Kehrwert (1 – Kehrwert). Das wäre dann sozusagen die Immunitätsschwelle, die HerdenimmunitätsSchwelle mit 66,7 Prozent. Wenn aber R jetzt ein bisschen größer ist, vielleicht liegt es ja dann doch eher 0,5 höher, als man es bisher gedacht hat, oder 0,3 – irgendwo in dem Bereich scheinen die britischen Daten sich einzupendeln für diese britische Variante – dann muss man natürlich entsprechend mehr Personen dann auch immun haben, damit man diesen sogenannten Herdenschutz herstellt. Aber wie gesagt, da gibt es so viele Fragezeichen bei diesem Komplex bis dahin, dass dieses Immunitätskonzept ja voraussetzt, dass wir diese sogenannte homogene Vermischung der Bevölkerung haben. Das gibt es eben bei Schafen, dass die sich homogen mischen. Obwohl, ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht Schafe gibt, die andere nicht mögen und deshalb in der Herde immer weit weg von denen stehen. Aber beim Menschen ist es definitiv so, dass jetzt nicht alle Populationen, Subpopulationen bei uns selbst in Deutschland, sich homogen mischen würden – weder über die Altersschwellen noch über die kulturellen Schwellen. Es gibt vielleicht auch Cliquen, die überhaupt sagen, ich will mit anderen, die nicht so denken wie ich, nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, ob jetzt ein Aluhut direkt einen Virologen heiraten würde und Ähnliches. Und deshalb ist es einfach so quer durch die Bevölkerung gibt es einfach Blasen, wenn ich mal so sagen darf, Populationsblasen. Und dann gilt dieses Prinzip der Herdenimmunität nicht mehr. Aber es hat sich irgendwie so dermaßen durchgesetzt im Denken der Politiker, dass man das kaum noch rausbekommt. Das ist so ähnlich wie das Händewaschen. Ja, das ist nicht wegzubekommen, dass dieses Händewaschen einfach nötig ist, um sich dieses Virus wegzuwaschen.


48:49



Camillo Schumann



Ich glaube, das sind auch so Strohhalme, an die man sich klammert, damit man auch etwas kommunizieren kann. Damit man sagen können gut, dann haben wir Herdenimmunität, dann scheint die Sonne, und dann ist alles wieder schön. Weil wir gerade über diese „Herdenimmunität“ gesprochen haben. Und Sie haben dieses Beispiel dieser Schafherde genommen. Es gibt ja


Berechnungen, die britische Forscher angestellt haben, wonach sich ja wegen der neuen der B.1.1.7Variante auch deutlich mehr Menschen mit dem BioNTechund AstraZeneca-Impfstoff impfen lassen müssten, damit eine Herdenimmunität dann auch entsteht und auch der von Ihnen angesprochene R-Wert deutlich gesenkt werden kann. Was halten Sie von dieser Berechnung? Sie haben sich das angeschaut.



Alexander Kekulé


Ja, das ist natürlich richtig. Das ist immer so mathematisch – fast hätte ich gesagt Spielchen – aber das ist schon wichtig, um eine Vorstellung davon zu bekommen. Das ist der Grund, warum ich gerade gesagt habe, wenn man jetzt diese neuen Varianten anschaut: Die Einzige, die wirklich sauber von der Epidemiologie durchgerechnet wurde, ist die britische. Aber ähnlich wird es bei den anderen auch aussehen. Dann ist es so, dass wir wirklich sehen, das R ist höher. Wahrscheinlich ist dann auch oder praktisch sicher davon auszugehen, dass auch das R0, dieses Virus höher ist, also die Basisreproduktionszahl. Das wäre also die, die quasi nur eine virus-spezifische Eigenschaft wiedergibt. Aber zu dieser Tatsache, dass dieses R0 höher ist, also das Virus wahrscheinlich rein biologisch stärker ansteckend ist, kann man sagen, verschiedene Gründen kommen da in Frage. Dazu kommen natürlich auch so Bevölkerungseffekte hinzu. Also wir haben ja schon einige besprochen. Ich vermute, dass auch dadurch, dass diese britische Variante, Variante V1 sagen manche auch, die südafrikanische wäre dann V2  und die brasilianische V3. Und diese britische Variante und die anderen beiden wohl auch, auch diese Tatsache, dass die sich quasi unabhängig ausgebreitet hat und nicht gebremst wurde durch die Gegenwart der anderen vorherigen Varianten, das kann man unterschiedlich erklären. Aber leider ist eine Erklärung, die für mich immer wahrscheinlicher wird, dass hier auch tatsächlich Zweitinfektionen stattfinden. Dass also Leute, die in der ersten Welle schonmal COVID hatten, jetzt mit der B.1.1.7, wie die ja auch heißt in Großbritannien, dann einfach noch einmal infiziert wurden. Und dann kriegen sie natürlich ein höheres R. Das ist ja ganz klar, wenn Leute, die erstens dachten, ich bin jetzt immun oder zweitens gar nicht vom Verhalten her sozusagen schonmal reingefallen sind, weil sie irgendwie zu einer Population gehören, die sich da vielleicht ungeschickter verhalten hat, oder die es gar nicht merken, weil sie beim zweiten Mal durch die Immunität eine ganz, ganz schwache Infektion nur noch hat, nur noch ganz leichte Symptome. Dadurch würden sie natürlich ein höheres R erzeugen, weil jemand, der asymptomatisch ist,


sich reflexartig nicht so vorsichtig verhält wie jemand, der richtig krank ist.


51:43



Camillo Schumann



Um nochmal auf diese Berechnungen zu kommen. Das bedeutet, durch die Mutationen müssten sich wesentlich mehr Menschen impfen lassen, um dann tatsächlich so eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung zu haben. Aber das kollidiert ja auch mit der Impfbereitschaft. Also, ergo, man wird es nie hinbekommen. Oder ist diese Rechnung falsch?



Alexander Kekulé


Nein, die Rechnung ist nicht falsch. Aber ich finde es ein bisschen zu pessimistisch. Ich gehe immer davon aus, da werden sich schon Leute impfen lassen. Ich bin auch mal ganz am Anfang gefragt worden, würden Sie jetzt als Allererster, als die Studien noch gar nicht veröffentlicht waren, würden Sie jetzt sofort sich impfen lassen mit den RNA-Impfstoffen? Da habe ich gesagt: Nee, unter den ersten 100.000 will ich nicht sein. Aber jetzt, im Umkehrschluss ist es ja so, es gibt ja weltweit Millionen Menschen, die geimpft wurden. Und wir haben die Sicherheitsdaten. Und wenn man dann erst einmal sieht, dass wirklich in den Altenheimen die Sterblichkeit runtergeht, den Effekt können wir ja jetzt noch gar nicht beobachten. Obwohl wir, ich weiß nicht genau, wie viele, aber vielleicht so um die 600.000-700.000 Menschen ja schon in den Altenheimen geimpft haben in Deutschland. Und da ist es dann einfach so, dass man sagen muss, wenn man dann sieht, das funktioniert ja und die Nebenwirkungen sind erträglich, ich glaube, dass dann plötzlich so ein Run auf den Impfstoff kommen wird. Ganz ohne Incentives, also ganz ohne irgendwelche Boni für Geimpfte oder Ähnliches, auch ohne Zwang, ohne verpflichtende Impfungen. Die Menschen werden das machen. Und die anderen, die da absolut keine Lust darauf haben, weil sie vielleicht sagen, Corona ist mir zu blöd, da mache ich nicht mit: Bei denen ist es so, die werden dann früher oder später sich halt auf natürlichem Weg infizieren. Und damit sind sie auch gut für den epidemiologischen Schutz der Bevölkerung. Darum bin ich da schon ganz optimistisch, dass wir das in Griff bekommen.



Camillo Schumann



811.000, fast 812 .000 Pflegeheimbewohner*innen sind jetzt schon geimpft worden.



Alexander Kekulé


Na, sehen Sie, dann habe ich ja noch untertrieben. Und wie üblich wissen die Nachrichtenleute mehr als die Wissenschaftler, das ist immer so gewesen. Aber trotzdem das Ergebnis, die Schlussfolgerung


ist die gleiche: Wir gehen in die richtige Richtung. Meine Beobachtung ist, dass gerade bei denen, wo mir extrem wichtig ist, sich zu impfen – und ich habe ja auch jetzt mal eine neue Strategie sogar vorgeschlagen heute – bei denen ist es wirklich so, die wollen geimpft werden. Also ich kenne jetzt keinen 80 plus, der sagt, das Risiko nehme einfach mal in Kauf. Das wäre ja auch bei 10 % Sterblichkeit wäre es ja auch unverantwortlich, den Enkeln gegenüber jedenfalls. Ich kann nur sagen, in meiner Familie wird die Oma dringend noch gebraucht, und zwar nicht als Babysitter. Und ich glaube, das sehen viele so. Und wenn dann die Enkel sagen, ich will das Ganze nicht, dann haben die auch nicht so ein hohes Risiko.


Wir haben ja noch nach unten sowieso die Flanke offen, um das noch einmal aufzuzeigen. Die Impfstoffe sind ja erst ab 16 bzw. 18 zugelassen, und meines Erachtens wird sich auch nicht so bald etwas ändern daran. Weil man bei der NutzenRisiko-Abwägung für den Zwölfjährigen zum Beispiel natürlich schon sagen muss, dem Kind selber nutzt das nix, sich impfen zu lassen. Das wird bei einer natürlichen Infektion in der Regel weniger Nebenwirkungen haben als bei einer Impfung. Und daher werden wir sowieso immer junge Menschen haben, die weiterhin empfänglich sind für das Virus, solange nicht eine richtig effiziente Durchseuchung haben. Und deshalb glaube ich glaube nicht, dass die Ständige Impfkommission die Empfehlung aussprechen wird. Und ich glaube auch nicht, dass die Zulassung sobald kommen wird, um jetzt wirklich kleinere Kinder zu impfen.


55:37



Camillo Schumann



So Herr Kekulé. Wir kommen zum nächsten Thema. Wir sind ja mitten im Lockdown. Jetzt mal so eine privat-persönliche Frage. Was vermissen Sie eigentlich am meisten? Also ich kann nur für mich sprechen, bei mir ist es der Friseur. Das ist eindeutig so.



Alexander Kekulé


Bei mir nicht. Das habe ich privat gelöst, weil ich jemand in der Familie habe, der das draufhat. Also vielleicht nicht so toll, aber irgendwie drauf hat. Und ich habe mir tatsächlich selber inzwischen 2 Frisierscheren angekauft. Ich bin irgendwie jemand, der wahnsinnig gerne so Equipment hat für alles Mögliche. Ich habe auch alle Schraubenzieher, die man braucht, um Fahrräder und Autos notfalls zu reparieren. Und jetzt habe ich also 2 Friseurscheren, und die benutze ich bei den Kindern. Ein Familienmitglied wird dann immer auf mich losgelassen. Ich finde ich es sogar ganz lustig, im Fernsehen dann zum Teil zu beobachten, wie die Leute sich privat geholfen haben, ganz


offensichtlich. Also was vermisse ich am meisten? Das ist eine schwierige Frage. Also ich vermisse eigentlich am meisten den unbefangenen Kontakt mit Freunden, ganz ehrlich gesagt. Bei Arbeitskollegen ist man ja zum einen sowieso etwas förmlicher, an der Uni sowieso, da siezt man sich tendenziell eher, und da ist es ja auch nicht so üblich, dann ständig die Mitarbeiter zu umarmen oder so. Und deshalb ist es auch nicht so schlimm, wenn man dann eine Maske auf dem Gesicht und bisschen Abstand hat. Und wir machen auch viel inzwischen mit Videokonferenz. Aber so im privaten Umfeld ist es schon so, dass so dieses haptische Element des Lebens wegfällt. Und ich finde, der Mensch ist irgendwie mal ein Herdentier gewesen. Und das, also der Teil, wird bei mir besonders schlecht bedient in der Pandemie. Das vermisse ich, glaube ich, am meisten.


57:19



Camillo Schumann



Ich, wie gesagt, meinen Friseur.



Alexander Kekulé


Ich finde die Herde, das ist auch kleine Herde zwischen dem Friseur und seinen Kunden.



Camillo Schumann



Ja natürlich, aber gar nicht wegen der Haare, sondern wegen der Gespräche.


Es macht es auch Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Aber mittlerweile sagen ja auch Freunde und Bekannte, Mensch, so ein bisschen länger Haare, das steht dir. Da denkt sicherlich der ein oder andere über eine Typveränderung nach. Aber auf jeden Fall bis zum 14. Februar, was ja auch der Valentinstag ist, gilt er der aktuelle Lockdown. In NRW ist er jetzt sogar noch einmal verschärft worden. Die Zahlen, die gehen nach unten. Die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz liegt, stand heute, Dienstag, 02 .02 . bei 90. Die Zahl der Neuinfektionen bei rund 6.100, ein bisschen weniger als vor einer Woche. Und obwohl die meisten Städte und Landkreise 365 von 412 , weit von der angestrebten 50er-Inzidenz entfernt sind, nimmt doch jetzt so langsam die Lockerungsdiskussion Fahrt auf. Bevor wir über ein Beispiel reden: Was halten Sie davon, dass jetzt über Lockerungen diskutiert?



Alexander Kekulé


Also ich bin immer für strategische Diskussionen. Wir machen das in Deutschland ja leider seit Anfang der Pandemie so, dass man immer erst einmal wartet, was kommt. Dann stehen wir quasi mit der Nase an der Wand und sagen: Und was jetzt? Deshalb bin ich schon dafür, jetzt zu diskutieren, was am 14. Februar, das sind ja dann nur noch zwölf Tage, was da passiert und wie es weitergehen


soll. Einfach nur lockern, dieses Hin und Her zwischen neuen Maßnahmen und Lockerungen, das funktioniert nicht. Das ist ja mein ceterum censeo an der Stelle. Und wenn man müsste jetzt quasi konkrete Vorbereitungen treffen für den dann 15., 16. Februar, wenn wir eben rauskommen aus der Pandemie. Und an dem Tag, wenn also alle Valentins-Blumen verschenkt und alle Küsse ausgetauscht sind, würde ich mir wünschen, dass nicht gesagt wird: Und jetzt kommt das nächste Scheibchen von der Wurst und wir machen jetzt Richtung Null-COVID weiter. Oder wir machen einfach so weiter wie bisher. Es gibt ja den Vorschlag, noch zu verschärfen sogar, bis man Richtung Null geht. Sondern ich plädiere ja für so einen Steady State, einen Gleichgewichtszustand auf einer niedrigen Fallzahl, mit dem sich dann auch halbwegs leben lässt, und übrigens die Friseur*innen dann auch wieder aufmachen können. Selbst wenn wir 2 die unterschiedlich stark vermissen.


Aber es geht ja um das Grundsätzliche, dass wir viele Lebensbereiche haben, wo eigentlich ziemlich klar ist, dass man durch gezielte Maßnahmen das gleiche Ergebnis hat, wie durch einen ungezielten Lockdown. Und da finde ich, das ist dann auch nicht mehr von der von einer Güterabwägung zu verantworten, dass man, wenn man sozusagen ein weniger eingreifendes geeignetes Mittel hat, dass man das dann nicht einsetzt. Und bei den Friseuren gibt es überhaupt kein Hinweis darauf, dass es dort Infektionen gab. Und da könnte man jetzt eine lange Liste machen von Dingen, wo man eigentlich mit gezielten Maßnahmen genau so weit kommt. Notfalls eben, indem man es mal ausprobiert, weil wir in Deutschland nach wie vor sehr wenig Daten haben.


1:00:2 9 Ausprobieren ist genau das Stichwort. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat einen konkreten Plan, wie es nach dem 14. Februar weiter gehen kann. Denn, dass es Lockerungen geben wird, ist für ihn völlig klar. Bei einer öffentlichen Zoom-Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung hat er mal den sächsischen Weg beschrieben. Da hören wir jetzt mal rein, es geht eine reichliche Minute, ist aber spannend:


„Wir haben es jetzt in den vergangenen 2 Wochen mit den Abschlussklassen in den Schulen versucht. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, werden das nächste Woche auswerten, und wollen ab 8. Februar die Abschlussklassen inklusive der dualen Ausbildungsberufe ebenfalls wieder in die Schulen holen. Wir bereiten uns vor für den 15. Februar, dass im Bereich der Kindergärten und Grundschulen etwas möglich ist. Das hängt sehr


von dem Infektionsgeschehen ab, aber die Vorbereitungen dafür laufen, inklusive der Möglichkeiten, dass die Älteren und auch die Lehrer, also das Personal, sich vorher testen lassen kann, bevor die Schule und bevor der Kindergarten in Betrieb geht. Sachen werden vorbereitet. Wir haben über Friseurund Kosmetik-Handwerk gesprochen. Eins ist klar, wir können nicht alles auf einmal starten, weil damit eine viel zu große Mobilität entsteht, viel zu viele Kontakt entstehen. Aber es wird am 14./15. Februar – wenn wir den jetzigen Weg, der ja eine durchaus positive Entwicklung bei den Inzidenz-Zahlen anzeigt, beibehalten – werden wir am 15. Februar Lockerungen haben können. Dann müssen wir drei bis vier Wochen warten und schauen, wie sich die Dinge entwickeln, ob das weiterhin alles beherrschbar bleibt. Dann können wir den nächsten Schritt gehen. Und dann sind wir schon wieder in einer anderen Jahreszeit, im Übrigen, an dem uns möglicherweise das Wetter, die UV-Strahlung auch bei der Bekämpfung ein Stück weit hilft.“


Herr Kekulé, für mich hört sich das nach einem ziemlich, ich sage mal, umsichtigen und vorsichtigen Weg aus dem Lockdown an. Wie hört sich es für Sie an?


1:02 :32 



Alexander Kekulé


Also, das klingt für mich gut, sage ich mal. Ich hätte mir fast gewünscht, dass man das am Ende der Sommerferien letztes Jahr schon so angegangen wäre. Aber es ist so, dass, ja, das Wichtigste ist für mich der Satz: „... nicht alles auf einmal“. Es ist natürlich so, dass es für die Gesetzgeber schwierig ist. Wir haben eine Schulpflicht, da sagen die einen dann, wieso werden die bevorzugt? Aber wir haben ja das tatsächlich schon vor langer Zeit mal im Zusammenhang mit den Kindergärten besprochen. Alle auf einmal aufzumachen, ist einfach ein Risiko. Und wenn man jetzt in einer Region mal anfangen würde und sagen würde, gut in dieser Region kennen wir die Inzidenz. Vielleicht nehmen wir noch eine andere, eine mit Hochinzidenz, eine Niedriginzidenz, und dann machen wir mal einen Teil der Kindergärten und Kitas auf oder einen Teil der Grundschulen, und das aber unter strenger Begleitforschung. Das kann ich nicht oft genug sagen. Da muss man nicht nur gucken, wie entwickeln sich die Fallzahlen? Geht die Inzidenz hoch? Weil, das ist ein viel zu weit hinten gelagerter Parameter. Da merkt man viel zu spät, wenn etwas passiert. Das wäre so, als wenn ich sage, ich fange erst an zu löschen, wenn man aus fünf Kilometer Abstand sieht, dass das Haus brennt. Sondern wir müssen quasi an jeder Ecke kleine Feuermelder installieren, um sofort eingreifen zu können, wenn


was schiefgeht. Und das heißt für mich eben, zum Beispiel, diesen Vorschlag, dass man die Abwasser testet von diesen Einrichtungen. Dass bei den Schulen das Abwasser auf COVID getestet wird. Dass man, wie das jetzt hier richtig gesagt wurde, natürlich die Schnelltests anbietet. Da kann ich nur noch einmal dafür plädieren: In Österreich gibt es längst den Gurgeltest, und es gibt jetzt aus fachlichen Gründen überhaupt keinen Hinweis, warum der schlechter sein soll, als die Tests, die wir jetzt haben, die den Nasenoder Rachenabstrich brauchen. Meine Erfahrung ist – also ich selber finde den Nasenabstrich nicht so schlimm – dass viele Leute das als unangenehm empfinden oder irrationale Angst davor haben. Und darum sage ich, ein Gurgeltest, das ist doch super für Kinder. Da können sie einmal gurgeln und spucken das in den Becher. Bitte nicht auf den Mitschüler. Und dann wird da ein Tupfer reingehalten, und dann hat man das Ergebnis. Also sowas würde ich mir wünschen, so ein bisschen Technik im Dienste des Menschen, um mehr Freiheit zu kriegen. Und ich habe den Eindruck, es klang aus der Rede raus, als hätte man das Prinzip verstanden.


1:04:46



Camillo Schumann



Und weil ja auch, sage ich mal, so Zwischenschritte eingeplant sind. Wir haben da rausgehört, den 8., den 15., wir haben dann drei bis vier Wochen, dann soll noch mal geguckt werden. Erst die Abschlussklassen, dann kommen die Kitas dazu. Dann die größeren, dann getestet, dann wird noch mal geschaut, wie die Zahlen sind. Also das ist doch so ein vorsichtiges Herantasten, bis man dann wieder Richtung normal geht. Und dann hat man ja möglicherweise auch Zeit gewonnen. Und dann ist es tatsächlich wärmer und die Sonne spielt mit.



Alexander Kekulé


Ja, das ist richtig erzählt so. Das Einzige, wo ich jetzt bei den Ausführungen von Herrn Kretschmer nicht ganz sicher bin, wie er sozusagen dann bei seinen Stufen prüft, ob es geklappt hat bisher. Und wenn man da nur auf die Inzidenz schaut, das kann ich nur noch einmal sagen, das wäre gefährlich. Sondern man muss wirklich ganz konkret an den Schulen, wo man ist, dann testen: Hat es da Ausbrüche gegeben, ja, oder nein. Also man muss sozusagen betreutes Lernen an der Stelle machen. Betreut in dem Fall vom Infektiologen, dass also der lokale Amtsarzt wirklich dahinter her ist, zu gucken, kommt es dazu Ausbrüchen? Meine Vermutung ist ja, dass, wenn wir Schulen öffnen, dass es gar nicht im Klassenzimmer zu Problemen kommt. Vor allem bei den Älteren, wo wir ja Hygienemaßnahmen problemlos einsetzen können. Sondern dass es Ausbrüche gibt, wenn überhaupt, dann im


Zusammenhang mit der Zeit nach der Schule. Da gibt es auch viele internationale Studien, hauptsächlich aus den USA, die darauf hindeuten, dass das so ist. Deshalb muss man dann schon auch von der Politik da vorausdenken und sagen, okay, wie kann ich denn möglicherweise dafür sorgen, dass die Kinder nach der Schule eben nicht dann sagen „Hurra, wir haben wieder frei, wir können wieder machen, was wir wollen“, und sich in großen Gruppen in geschlossenen Räumen treffen, sondern dass die halt dann am Anfang zunächst mal wirklich nach Hause gehen, wenn die Schule zu Ende ist.


1:06:39



Camillo Schumann



Und noch eine Frage: Weil Herr Kretschmer ja definitiv ab dem 14., 15., 16. diese Lockerungen angekündigt hat, aber er überhaupt nicht auf die Inzidenz jetzt geschaut hat. Macht er sich damit nicht auch so ein bisschen angreifbar, dass er sozusagen jetzt lockern muss, weil es kann doch sein, dass jetzt in den nächsten zwölf Tagen sich signifikant wenig verändert und der Lockerungsweg dann der falsche wäre zu diesem Zeitpunkt, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist bei allen politischen Vorhersagen immer die Gefahr, wenn man sich da aus dem Fenster lehnt, das haben die Politiker ja schmerzlich erlebt im letzten Jahr. Dann ist immer die Gefahr, dass die Pandemie einem ein Schnippchen schlägt. Und dann hinterher sind die Fallzahlen so hoch, dass man das Angekündigte dann doch nicht machen kann. Ich weiß jetzt nicht, aus der Rede war jetzt nicht klar, wie weit er sich da festgelegt hat. Ich hatte schon den Eindruck, dass das Ganze dynamisch ist, je nachdem, wie sich das entwickelt. Und anders kann man es nicht machen. Im Grunde genommen muss man in dieser Situation eine Vorschrift nach der anderen lockern, unter strenger wissenschaftlicher Begleitung, und gucken, macht das einen Effekt in dem Sinn, dass sich mehr Leute infizieren. Und wenn man dann zum Beispiel feststellt, die Öffnung der Friseur hat null Wirkung und hat gar keinen Nachteil, dann kann man sie eben aufmachen. Und wenn man feststellt, dass man Baumärkte auch öffnen kann, dann ist es auch gut.


Wobei eben immer das Problem dieser soziale Nebeneffekt ist. Die Menschen sind ja jetzt insgesamt sozial ausgetrocknet, so ein bisschen. Es gibt ja sogar viele, die Heimarbeit quasi ablehnen, weil sie sagen, ich freue mich doch, wenn ich im Büro mal Menschen treffe, und dann das sogenannte Homeoffice eigentlich gar nicht haben wollen, obwohl es ja verpflichtend sein soll. Und so ähnlich wissen wir natürlich nicht, was passiert jetzt, wenn die Baumärkte offen haben? Ja, im


Baumarkt kann man alles Mögliche kontrollieren. Aber die Leute gehen dann vielleicht gruppenweise einkaufen und treffen sich hinterher dann auch auf der heimischen Baustelle, um zusammen die Garage zu sanieren, was man schon lange mal machen wollte. Und dann haben sie sozusagen als Kollateraleffekt davon soziale Kontakte, die eben nicht so öffentlich sichtbar sind und die vielleicht zu einer Erhöhung der Fallzahlen führen. All das ist wahnsinnig schwer vorherzusehen, genauso wie die Frage, was die Schüler nach der Schule machen.


1:09:00



Camillo Schumann



Wir sind gespannt, wie es dann nach dem 14. Februar nicht nur in Sachsen, sondern in Gesamtdeutschland weitergeht. Damit kommen wir zu den Hörerfragen.


Frau K. aus Chemnitz hat angerufen. Sie arbeitete in einem Pflegeheim. In dieser Woche beginnen dort die Impfungen, und es herrscht große Unsicherheit unter Personal und Bewohner*innen. Wir hören mal kurz rein:


„Wenn ich die Impfung erhalte und am nächsten Tag einen Corona-Test machen muss, könnte da durchaus die Möglichkeit bestehen, dass der eventuell positiv dann sein könnte, dass das dann reagiert? Und meine zweite Frage: Es kam so die Diskussion auf, ist es möglich, dass sich da vielleicht auch Bewohner irgendwie gegenseitig anstecken können mit Corona? Aber eigentlich wird ja der Virus an sich ja nicht verimpft. Aber es besteht da eine sehr große Unsicherheit. Und ja, das wäre schön, wenn ich hier eine Antwort auf die Fragen bekommen könnte. Vielen Dank und auf Wiederhören.“


Tja, da schwingt eine große Unsicherheit mit.



Alexander Kekulé


Ja, was ich jetzt ehrlich gesagt denke, wenn ich das höre, ist: Es besteht ja eine gesetzliche Aufklärungspflicht, und zwar durch einen Arzt oder Ärztin, das muss ja wohl irgendjemand dort gemacht haben und diese Fragen beantwortet haben. Ich höre solche Fragen ganz oft und bin immer überrascht, dass da scheinbar man erst mit der Spritze kommt und hinterher sagt, gibt es noch Fragen oder nicht?


Ja, also es ist so zu der ersten Frage, könnte der Test dann positiv werden. Das ist auszuschließen. Und zwar der Schnelltest sowieso nicht, weil der Schnelltest weist ja ein anderes Antigen nach als das, was von der Impfung erzeugt wird. Die Impfung erzeugt ja künstlich, quasi an der Stelle, wo man reinspritzt, erzeugt die dieses S-Antigen, also diese Spike-Proteine werden von den


körpereigenen Zellen hergestellt. und das ist ein anderes als das sogenannte Core-Protein, was von den Schnelltests nachgewiesen wird, zumindest von dem Roche-Test. Bei den anderen, muss ich zugeben, weiß ich es nicht. Und es ist auch so, dass die Hersteller das nicht immer veröffentlichen, was sie da verwendet haben.


Ob die PCR positiv werden würde? Also es ist rein theoretisch nicht völlig auszuschließen, dass ein paar von diesen Lipid-Nanoparticles – also dieser Impfstoff enthält ja RNA-Moleküle, die in so einem kleinen Fettbläschen sind. Die können natürlich irgendwohin wandern im Körper und in irgendwelchen anderen Zellen dann auch anfangen, solche Spike-Proteine zu produzieren. Und es ist nicht völlig auszuschließen, dass so ein RNAMolekül, was aber jetzt nur für das Spike-Protein ist, auch mal von der PCR erwischt wird. Dann gäbe es bei einer sehr, sehr empfindlichen PCR einen positiven RNA-Nachweis an der Stelle, wo eigentlich gerade sozusagen der Impfstoff tätig ist. Das ist in der Praxis aber aus 2 Gründen nicht relevant. Der eine ist: Die Dosis ist so gering, die man dann im Verhältnis hat ... Also der Abstrich wird ja aus dem Rachen gemacht und nicht von der Injektionsstelle, sodass man mit den üblichen Nachweisverfahren, Standardverfahren in der Labordiagnostik, unterhalb der Nachweisschwelle wäre. Die Leute wären also dann noch negativ, obwohl man rein theoretisch vielleicht irgendetwas rauskitzeln könnte in der PCR. Und das zweite ist: Die PCR ist ja immer, wie wir sagen, Multi Target, das heißt, die wird nicht nur das S-Gen nachweisen, sondern noch mindestens ein weiteres vom Virus. Manche haben sogar drei verschiedene Targets, die sie nachweisen. Und das S-Gen alleine, vielleicht von so einer RNA, die injiziert wurde, das wird auf keinen Fall zu einem Multi-Target-positiven Ergebnis führen. Im schlimmsten Fall wäre, rein theoretisch, ein Target positiv. Aber dann weiß man schon, das kann eigentlich nur der Impfstoff gewesen sein und nicht das Virus.



Camillo Schumann



Und somit wäre dann auch die zweite Frage beantwortet. Weil, wenn man nicht infektiös ist, kann man dann auch, nach so einer Impfung, niemanden anstecken.



Alexander Kekulé


Nein, das kann man nicht. Das werden wahrscheinlich ältere Bewohner dieses Heims sein, die wissen, dass es so was gab bei Pockenimpfungen zum Beispiel in der guten alten Zeit. Da hatte man inaktivierte Viren, wo eben in der einen oder anderen Charge die Inaktivierung eben doch nicht so toll gelaufen ist. Und da kam es dann zu Impfpocken, und die konnte man auch


übertragen. Oder auch von der Polioimpfung, von der Kinderlähmung, das war ja ein Lebendimpfstoff, den man hier hatte. Und da war es bekannt, dass zum Beispiel, wenn ein Geschwister zu Hause gerade schwer krank ist, dass man dann den anderen nicht impfen soll mit Polio, weil die sich in der Familie anstecken können. Das gibt es hier alles nicht. Weil erstens nicht das ganze Virus drinnen ist. Übrigens auch nicht bei dem AstraZenecaImpfstoff. Da ist zwar ein Adenovirus drinnen, aber dem hat man was weggenommen, dass es sich nicht mehr vermehren kann. Das heißt also auch, dieses Virus könnte keine Ansteckung machen. Und die RNA-Impfstoffe schon gleich gar nicht, weil die ja nur diese Spike-Protein quasi codiert haben.


1:13:58



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 146. Die nächste Ausgabe wird es nicht wie gewohnt jetzt am Donnerstag geben, sondern am Samstag das Hörerfragen SPEZIAL. Und danach geht Kekulés Corona-Kompass in einen Winterurlaub.


Am 16. Februar geht es dann wie gewohnt dreimal pro Woche weiter. Und da werden wir dann natürlich einen Blick dann auf die Lockerungsmaßnahmen haben.


Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann, wie gesagt, am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an: mdraktuell-podcast@mdr.de


Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter


0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch mal vertiefen möchte: Alle wichtigen links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


Sollten sie durch die Corona-Pandemie Probleme mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Vermieter oder andere rechtliche Dinge zu klären haben, dann hilft ihnen „Der Rechthaber“ weiter, der Podcast für juristische Alltagsprobleme mit dem Anwalt Thomas Kinschewski. Klicken Sie rein: derrechthaber.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 8.01.2 02 1 #145: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link-Tipp :


www.derrechthaber.de



Camillo Schumann

:


Tötet Zigarettenrauch Viren ab?


Sollte die Einreise-Quarantäne verlängert werden?


Wieso ist eine durchgemachte Infektion ein besserer Schutz gegen das Virus als eine Impfung?


Herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Wir haben eine Mail bekommen von Frau R. aus Wien. Viele Grüße nach Österreich.


„Kann es sein, dass das Rauchen von Zigaretten die Virusübertragung erschwert bzw. hemmt. Die Logik dahinter wäre, dass die Viruspartikel, die zu einer Ansteckung führen können, mit dem warmen ausgeatmeten Zigarettenrauch an die Zimmerdecke steigen bzw. der Rauch das Virus sogar abtötet und dadurch weniger


bzw. gar keine Infektion möglich ist. Danke für ihre Einschätzung. Beste Grüße aus Wien.“


Sie will doch nur eine Argumentation fürs Rauchen haben, oder?


[0:01:05]:



Alexander Kekulé:


Ich finde, die Idee ist kreativ, das muss man belohnen. Man könnte eine Doktorarbeit drüber machen. Ich würde aber sagen, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es funktionieren wird. Aus folgendem Grund: Wenn man mal genau beobachtet, was mit Zigarettenrauch passiert – manchmal sieht man das ja im Licht, wenn seitlich Licht einfällt, da steigt der Rauch nicht zur Zimmerdecke auf, der bleibt erst mal auf der Stelle stehen. Als Nichtraucher weiß ich das auch, wenn man hinter durch diese Wolke durchgeht, hat man es im Gesicht. Deshalb würde ich sagen, es ist so, dass der warme Rauch die Zigarette, da ist ja Feuer innendrin, dass der warme Rauch offensichtlich beim Einatmen dermaßen abgekühlt und auf Körpertemperatur gebracht wird, dass beim Ausatmen nicht mehr so ein starker thermischer Effekt da ist. Das ist wahrscheinlich von der Temperatur her, würde ich mal raten, ähnlich wie die normale Ausatemluft. Und dadurch kriegt man diese sog. Konvektionsströmungen, wie es heißen würde, nach oben gar nicht mehr hin.



Camillo Schumann

:


Und der Rauch tötet das Virus ab? Das war ja noch die 2 . Frage?



Alexander Kekulé:


Das ist so, dass das Virus jedes Partikel gerne nimmt, an dem es sich anhängen und durch die Luft wandern kann. Das hat ja keine Flügel, sondern braucht entweder kleine Feuchtigkeitstransporter oder Staubpartikel. Die sind ja im Zigarettenrauch drin, und deshalb würde ich eher als Arbeitshypothese – aber das ist wild geraten, sagen, das könnte sogar ein Vehikel für Viruspartikel sein. Das wäre eine interessante Doktorarbeit, das mal zu untersuchen.


1


[0:02 :45]:



Camillo Schumann

:


Viele Raucher zucken zusammen, nachdem sie das gesagt haben, wenn da drei-vier Leute in der Raucherecke stehen und sich gegenseitig anpusten, könnten sich in der Theorie, wenn man das mal weiterspinnt, auch anstecken.


[0:02 :59]:



Alexander Kekulé:


Aber das ist wild geraten. Das Virus alleine fliegt nicht durch die Luft. Man sich eine Größenordnung vorstellen, in der es schon atomar wird, dass die einzelnen Ausläufer fast schon einzelne Atome sind. Und das ist winzig klein. Das hat keine Chance, eine größere Strecke zu fliegen, weil solche Minipartikel, die fangen an zu zittern von allein, von der Wärme, von der Brownschen Wärmebewegung. Darum kommen die nicht weit, weil die da nur rumzappeln, wo sie gerade sind. Und wenn die aber in einem Tröpfchen Speichel oder auf einem richtigen Staubkörnchen draufsitzen, können die eine gute Strecke machen, weil sie sich da festhalten. Die kleben daran. Und deshalb würde ich schon den Rauchern raten, davon auszugehen, dass der Rauch, den man sieht, möglicherweise auch Viruspartikel enthalten könnte, das wäre als Arbeitshypothese zumindest mal zulässig.



Camillo Schumann

:


Das war eine experimentelle Antwort.



Alexander Kekulé:


Sehr experimentell. Aber vielleicht finden sich ein paar Freiwillige, die das ausprobieren wollen.



Camillo Schumann

:


Dieser Herr hat angerufen und folgende Frage:


[0:04:15]:


„Worin liegt der Unterschied – fachlich gesehen –, dass diese Person in Zusammenhang durch das Coronavirus gestorben ist oder mit dem Coronavirus gestorben ist?“


[0:04:2 9]:



Alexander Kekulé:


Da streiten sich seit Anfang der Pandemie die Fachleute. Man sagt in der Medizin normalerweise immer, was los war, kann nur der Pathologe hinterher entscheiden. Der, der die Leiche hinterher öffnet. Es ist so, dass wir einen fließenden Übergang haben, muss man fairerweise sagen. Wenn jemand schwer krank ist und liegt sowieso schon im Krankenhaus z.B. und es kommt im Krankenhaus zu einem Corona-Ausbruch, kann das der eine Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und bricht derjenige unter dieser Infektionskrankheit zusammen. Da würde man nicht direkt sagen, er ist an Corona gestorben, sondern er ist wohl eher mit Corona gestorben. Wo wäre für mich die Unterscheidung? Ich glaube, da gibt es keine offizielle Definition. Aber ich überlege mir das immer so: Wenn man eine andere Atemwegsinfektion hätte, irgendeine schwere, nicht Covid19, sondern eine sehr schwere Erkältung oder vielleicht auch eine Grippe. Oder die hätte die zum gleichen Ergebnis geführt und wir bezeichnen die als Erkältung oder auch die normale Grippe nicht als tödliche Erkrankungen. Das kommt schon manchmal vor, ist aber nicht häufig. Und wenn man sagt, derjenige wäre mit fast jeder beliebigen anderen Atemwegsinfektion auch gestorben, würde ich sagen, er ist eher mit Corona gestorben. Und wenn man sagt, dass es eine Infektion ist, bei der nur dieses Virus eine spezifische Wirkung entfaltet hat, weil es bei v.a. bei Älteren eine hohe Letalität hat und andere Erkrankungen hätte er wahrscheinlich überlebt, würde ich sagen, er ist an Corona gestorben. Aber das ist, wie gesagt, nicht immer auseinanderzuhalten.


[0:06:15]:



Camillo Schumann

:


Herr oder Frau Fischer hat uns eine Mail geschrieben:


„Herr Kekulé sagt immer wieder, dass jemand nach durchgemachter Coronainfektion mit Antikörpern besser ausgestattet ist als jemand, der geimpft wurde. In sämtlichen Talkshows


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wird es genau andersherum gesagt, dass nämlich ein Geimpfter eine bessere Immunität besitzt. Wie erklärt er das?


[0:06:33]:



Alexander Kekulé:


In sämtlichen Shows, das stimmt nicht. Falls mich einer mal einladen und fragen sollte, würde ich das nicht sagen. Aber ja, ich nehme an, dass die Leute, die in den Talkshows gefragt werden, das auf die Frage beziehen, wie gut die neutralisierenden Antikörper nach der Impfung sind. Und das ist ja etwas, was die Hersteller zu recht auch immer voranstellen, dass sie sagen: Wenn wir neutralisierende Antikörpertesten– dieAntikörper,die gerichtet sind gegen das Spike-Protein vom Virus; das Virus hat an der Außenlinie Stachel, weshalb es ja überhaupt Coronavirus heißt; und die heißen Spikes; und da gibt es Antikörper, die daran binden und zugleich verhindern, dass das Virus sich vermehren kann. Das kann man im Labor testen. Wir nennen die neutralisierend, weil sie die Virusvermehrung stoppen. Und diese neutralisierenden Antikörper, die speziell gegen das Spike-Protein sind, die sind nach der Impfung quantitativ mehr, auch von der Wirksamkeit her mehr, als nach einer Infektion. Woran liegt es das? Man guckt genau nach den Antikörpern, die auch durch den Impfstoff erzeugt werden? Der Impfstoff erzeugt ja nur eine kleine Untergruppe von Antikörpern, die bei der Infektion auftauchen. Bei der Infektion passiert Folgendes: Da vermehrt sich ein Virus richtig. Da wird nicht nur das Spike-Protein durch RNA hergestellt, sondern da vermehrt sich richtig ein Virus. Und da passieren noch viel mehr Dinge in der Zelle. Da könnte man lange drüber reden. Es wird eine Reihe von Lymphozyten erzeugt, die in der Lage sind festzustellen, wenn eine körpereigene Zelle, z.B. eine Schleimhautzelle, in den Atemwegen ein Virus innendrin hat. Die können das erschnüffeln, die haben da extra Fühler wie beim Stethoskop der Arzt, der hört, wie das Herz schlägt. Da schnüffeln die da rum an den Schleimhautzellen und merken, wenn


da innendrin einen Virus ist. Und wenn sie es finden, schlagen die zu und machen die Zelle kaputt mit den Viren drin und viele andere Mechanismen, die das Immunsystem auf der Palette hat. Und diese Breite der Immunabwehr ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem bisschen, was der Impfstoff macht. Deshalb ist die Immunität nach einer echten Infektion mit einem sich vermehrenden Virus viel breiter aufgestellt. Man hat auch eine größere Kreuzimmunität zu anderen ähnlichen Viren. Wenn man die Infektion durchgemacht hat, ist man z.B. für neue Varianten mit hoher Wahrscheinlichkeit eher geschützt als mit einer speziellen Impfung. Aber die Impfung ist, wenn man nur die Antikörper anschaut, die durch die Impfung generiert werden mit diesem speziellen Produkt, von dem hat man ein bisschen mehr im Blut hinterher als jemand, der die Infektion durchgemacht hat.



Camillo Schumann

:


Doktor P. hat angerufen. Er ist ein niedergelassener Arzt und Psychotherapeut. Er hat nicht direkt eine Frage, sondern schildert etwas aus seinem Praxisalltag mit einer Schlussfolgerung. Wir hören mal kurz rein:


[0:09:37]:


„Ich mache mir Sorgen, dass uns das psychosozial um die Ohren fliegt. Ich habe viel zu tun. Die Patienten mit Depressionen werden immer jünger. Ich kann das auch bestätigen, das schaffen wir kaum noch, so viele Anfragen sind bei uns in der Facharztversorgung. Meine Frage an Professor Kekulé ist: Sind meine Sorgen übertrieben? Ja, ich würde mich freuen, wenn Sie das noch einmal anstoßen könnten. Ich würde mich sehr freuen. Ja, es ist vielleicht nicht nur eine reine Frage, sondern auch ein kleiner Diskussionspunkt.“


[0:10:09]:


Das wird er auch zu Long Covid subsumiert, wenn man das mit reinnimmt.



Alexander Kekulé:


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Das sind 2 verschiedene Aspekte. Wir haben ja auch schon mal darüber gesprochen. Wir haben neurologische Effekte, und wir haben sicherlich auch psychische Konsequenzen von Leuten, die Covid durchgemacht haben. Bei einem gewissen Anteil sind auch Depressionen als eine Dauerfolge festgestellt worden, Muskelschwäche und was es alles gibt.


Man muss auf der anderen Seite sagen, die meisten erholen sich. Das ist nicht so, dass das der Normalzustand wäre, dass wir eine Gesellschaft von Moribunden werden im Nachgang zu dieser Pandemie. Aber es dauert halt relativ lang, sich davon zu erholen. Wenn, jemand eine richtige Lungenentzündung durchgemacht hat, weiß er, dass es auch da manchmal sechs-neun Monate dauert, bis man sich wieder richtig fit fühlt.


Das völlig andere Phänomen ist, sind die Langzeiteffekte der Infektion. Und dann gibt es ja die Kollateraleffekte von Leuten, die psychosozial beeinträchtigt sind. Da unterscheide ich ja zwischen primären Kollateraleffekten, z.B. dadurch, dass Leute beeinträchtigt sind, weil sie Angst vor dem Virus haben, weil sie in der Verwandtschaft Leute haben, die krank sind oder weil vielleicht der Arzt ausgefallen ist und sie nicht mehr zu ihrem Therapeuten gehen konnten, weil der Arzt krank war. Also Covidkrank. Und den sekundären Kollateralschäden. Das sind solche, die durch unsere Gegenmaßnahmen entstehen. Die ersten können wir ja nicht verhindern. Das ist halt das Virus und was das indirekt macht. Aber die sekundären Kollateralschäden, da müssen wir schon genau hinschauen. Was ist da los? Wie schwer deprimiert es die Bevölkerung, wenn wir sie ständig einsperren? Lockdown ist ja nicht einsperren. Aber manche haben ja das Gefühl, sie seien eingesperrt. Und ich glaube, da kommen auch schon viele Studien hoch, die genau das sagen, was der Anrufer gemeint hat, dass wir eine Zunahme von psychischen Erkrankungen haben, dass Leute, die vorher auf der Kippe waren und halbwegs stabil waren, immer brav ihre Medikamente genommen haben und zum Arzt gegangen


sind, ausfallen. Entweder weil sie nicht mehr zum Arzt gehen, weil sie die Medikamente nicht mehr nehmen oder weil der psychische Druck, den der Lockdown gerade auf Leute, die sowieso schon labil waren, ausüben kann, zu groß wird, dass die – wie die Psychiater sagen – dekompensieren. Und ich glaube, dass ist ein weites Feld haben. Die sekundären Kollateralschäden sind noch lange nicht beziffert. Und da geht es nicht nur um Geld.


[0:12 :57]:



Camillo Schumann

:


Herr P. hat gemailt:


„Es wird von Corona Ansteckung im Flugzeug berichtet.“


Er hat auch eine entsprechende Studie beigefügt. Weiter schreibt er:


„Beruflich muss sich eventuell bald fliegen. Wie hoch schätzen Sie die Ansteckungsgefahr bei Flügen, die zwei-drei Stunden dauern und der Passagier dauerhaft, ohne Ausnahme auf dem Flughafen und dem Flugzeug eine FFP3-Maske ohne Filter trägt? Viele Grüße, Herr P.“


[0:13:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Erstens muss ich als braver Virologe erst mal sagen, man sollte berufliche Flüge, wenn es geht, vermeiden, und diese – zugegeben wahnsinnig langweiligen – Zoom-Konferenzen vorziehen oder auch andere Videokonferenzsysteme.


Wenn man unbedingt fliegen muss, ist es ja so, das längere Sitzen im Flugzeug definitiv das Risiko. Da gibt es inzwischen viele Studien. Aber es gibt keine einzige Studie, die gezeigt hätte, dass jemand, der kontinuierlich eine FFP2 -Maske aufhatte, sich während des Fluges infiziert hätte. Der Mund-Nasen-Schutz, diese sog. OP Maske, das ist etwas, wo man noch Daten hat für einen geschlossenen Raum. Wenn im Flugzeug in der Nähe jemand sitzt, der hohe Mengen Viren ausscheidet, wenn man stundenlang da zusammensitzt, reicht das aber nicht aus. Wenn der Anrufer da


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kontinuierlich eine FFP2 -Maske aufhat und höchstens mal kurz zum Trinken absetzt bei einem Drei-Stunden-Flug, ist das ein kalkulierbares Risiko. Sicher gibt es ein Restrisiko. Aber ich würde mal sagen, das ist in einem Bereich, wo man das verantworten kann.



Camillo Schumann

:


Und er hat ja, schreibt er, eine FFP3-Maske ohne Filter. Und das war die Frage, ob er damit auf der sicheren Seite ist.



Alexander Kekulé:


Er meint, wahrscheinlich ohne Ausatemventil. Die mit dem aus Atemventil sind im Flugzeug gar nicht zulässig. Und nach drei Stunden ist es schon ein schönes Geschnaufe mit dem Ding, weil das auch einen höheren Atemwegswiderstand erzeugt, v.a. wenn die im Lauf des Fluges langsam feucht wird. Durch die Ausatemluft vielleicht besser noch eine 2 . dabei zu haben, um mal wechseln zu können. Aber wenn man das durchhält und sagt, das ist es mir wert, kann man das machen. Der Unterschied zur FFP-2 , die heißen ja im Englischen auch N95, ist der, die filtert von einer bestimmten definierten Partikelgröße 95 Prozent weg. Und die FFP3 liegt, glaube ich, bei 99, also noch mal eine Standardabweichung weiter weg von der FFP-2 . Und damit ist sie deutlich wirksamer. Das ist klar. Ehrlich gesagt, im Krankenhaus würde man wahrscheinlich FFP3 empfehlen, wenn man sie hätte. Und in Situationen wie im Flugzeug ist im Vergleich zu den allgemeinen Lebensrisiken der Unterschied zwischen FFP2  und FFP3 nicht groß, dass man sagen würde, wir müssen alle im Flugzeug eine FFP3-Maske aufhaben. Da kommt man langsam in den Bereich, wo auch das Risiko besteht, dass ein Flugzeug mal runterfällt. Man geht ja grundsätzlich Risiken ein im Leben. Und deshalb würde ich nicht sagen, man braucht eine FFP3-Maske.


[0:16:09]:



Camillo Schumann

:


Diese Dame ist sich unsicher, ob sie sich impfen lassen soll. Aus folgendem Grund


[0:16:14]:


„Ich bin 68 Jahre alt und hatte vor ungefähr 30 Jahren beim Röntgen der Nieren mit Kontrastmittel – das war ein altes Kontrastmittel. Das ist, glaube ich, heute nicht mehr im Handel – da hatte ich einen anaphylaktischen Schock. Und da wollte ich fragen – angesichts der Diskussionen bezüglich Nebenwirkungen der Corona-Impfung –, ob ich mich impfen lassen darf wegen dieses Schocks damals. Es wäre sehr nett, wenn Sie die Frage beantworten könnten.“


[0:16:47]:


Grundsätzlich ist es so, dass die Ständige Impfkommission Stiko sagt, dass Personen, die früher schon mal etwas wie einen anaphylaktischen Schock hatten, also eine Überreaktion hatten, sehr vorsichtig sein sollten. Das soll man immer mit dem Arzt besprechen. Denn solche Dinge empfiehlt man ja nicht generell. Ich würde aber sagen, dass diese alten Kontrastmittel, die man früher hatte, die waren, ja zum Teil auch jodhaltig und so, dass erhebliche Überreaktionen erzeugt haben. Und ich würde sagen, das ist so eine besondere Situation, weil das bekannt ist, dass diese Kontrastmittel das ausgelöst haben. Um da ist auch relativ genau untersucht worden, woran das lag, sodass ich nicht davon ausgehen würde, dass jemand automatisch ein höheres Risiko bei einer Impfung hat. Aber da wäre meine Bitte, dieses Thema mal mit dem Arzt zu besprechen. Da müsste man schauen, wie damals die Situation war. Ob das ein echter anaphylaktischer Schock war.


Aber relevant bei dieser Frage sind v.a. Personen, die bei Impfungen mal eine Überreaktion gezeigt haben. Und da muss man genau überlegen, ob es sinnvoll ist. Und das andere ist: Wir wissen, dass diese RNAImpfstoffe ja in kleinen künstlichen FettBläschen eingeschlossen sind. Und da gibt es eine Substanz, die damit drin ist. Die heißt Polyethylenglykol, auch Pegk genannt, was da drin ist, Molekulargewicht 2 .000. Und dieses ist eine Art Lösungsvermittler zwischen dem


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inneren und äußeren dieser Fett-Bläschen. Und da wissen wir, dass es auch Leute gibt, die gegen dieses Pegk allergisch sind. Aber abgesehen von den 2 Gruppen, wo man weiß, die haben möglicherweise eine Allergie gegen Pegk oder diejenigen, die schon mal bei einer Impfung eine dramatisch schlimme Reaktion gezeigt haben, würde ich bei den anderen, die das Übliche haben, vom Heuschnupfen bis zu leichten Asthmaanfällen, da würde ich nicht davon ausgehen, dass die gefährdet sind bei den Impfungen.



Camillo Schumann

:


Damit sind wir im Bereich Mittelchen gegen Corona. Dieser Herr hat eine Frage zu einer traditionellen Heilpflanze aus dem Mittelmeerraum:


[0:19:05]:


„Und zwar es handelt sich darum um den Wirkstoff Zistrose. 2 014/2 015 wurde der bereits erfolgreich gegen Viren der CoronaFamilie eingesetzt. Es umhüllt die Viren und macht sie unschädlich. Meine Frage ist: Glauben Sie an so etwas? Denn im aktuellen Stadium von Covid 2  soll auch helfen bzw. vorbeugen, wenn man diesen Wirkstoff zu sich nimmt. Das ist ja aus der Zistrosa. Meine Frage: Ist das überhaupt möglich, oder ist das nur Geldmacherei?“


[0:19:46]:



Alexander Kekulé:


Ich kann mir schon vorstellen, dass es irgendwelche Studien gibt, wo man zeigt, wo irgendwelche Wässerchen und Pflanzenextrakte und sonst was gegen Viren wirken, von mir aus auch gegen andere Coronaviren. Das ist fast nie so, dass sich das übertragen lässt, dass man sagen kann, das nehme ich und verhinderte damit eine Infektion. Diese Tests wurden praktisch immer unter irgendwelchen Zellkultur-Bedingungen gemacht und in bestimmten Situationen, wo man Viren leicht unter Kontrolle bringt. Sie können auch AIDSViren z.B. mit normalem Spülmittel abtöten. Haben wir im Labor früher übrigens genauso


gemacht. Und das heißt nicht, dass Sie Spülmittel trinken müssen, um keinen AIDS zu bekommen. Bloß die Hände weg von solchen Empfehlungen. Das wird definitiv nicht funktionieren. Ob es Geldschneiderei ist, weiß ich nicht. Aber manchmal sind Idealisten am Werke, die an Naturheilmittel glauben. Aber ich würde das auf gar keinen Fall empfehlen, irgend so etwas zu nehmen. Wenn es so einfach wäre, müssten die pharmazeutischen Unternehmen ja nicht Milliarden investieren, um neue Wirkstoffe zu finden.


[0:2 0:55]:



Camillo Schumann

:


Herr J. hat geschrieben:


„In Bremen wurde die Mutation B1.1.7 von einer Kita-Mitarbeiterin eingetragen, die nach zehn Tagen Einreise-Quarantäne negativ war, nach weiteren vier Tagen aber positiv. In Bremerhaven hat eine Frau nach der Einreise aus Großbritannien trotz negativen Tests vor Reiseantritt mindestens eine Person mit B1.1.7 angesteckt. Sollten die Quarantäne-Fristen für Reisende nicht angepasst werden? Viele Grüße.“


[0:2 1:2 1]:



Alexander Kekulé:


Das sind 2 Fälle: Die eine hat einen negativen Test vor Abreise gehabt, und im anderen Fall ist eine zehn Tage in Quarantäne gewesen.


Erstens ist, glaube ich, inzwischen schon in Stein gemeißelt und Lehrbuchwissen, dass die Inkubationszeit von der Covid19-Infektionen typischerweise bis zu 14 Tage dauern kann zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit. Es gibt Einzelfälle, wo es mal länger war, aber wir sagen bis 14 Tage, um irgendeine Zahl zu nennen. Und wenn man in Anführungszeichen nur zehn Tage Quarantäne hat, geht man ein Risiko ein. Wir haben ja auch mal eine Studie besprochen ein, wo bei US-Rekruten, die man in einer Kaserne hatte, relativ genau untersucht wurde, in welchen Zeiträumen die sich gegenseitig angesteckt


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hatten. Und da hat man gemerkt, dass am Tag 14 noch Leute PCR-positiv geworden sind, die vorher nichts hatten, und in einer Situation, die extrem gut kontrollierbar war. Das ist ja sonst immer das Problem. Aber bei dieser einen Studie war das so. Amerikanische Soldaten, die gehorchen schon, gerade wenn sie noch jung sind, relativ genau dem, was man ihnen sagt, sodass man davon ausgehen kann, dass die Quarantäne eingehalten wurde. Und trotzdem gab es am 14. Tag noch Infektionen. Das andere, da haben wir es nicht mit einer Kaserne zu tun gehabt offensichtlich. Viele Leute halten sich ja nicht an die QuarantäneRegeln. Und da kann sich jemand auch nach ein paar Tagen vielleicht noch infiziert haben. Das weiß ich nicht, ob das in diesem Fall möglich wäre. Aber unterm Strich ist es ein wichtiges Beispiel, denn wir reden ja gerade über mögliche Verschärfungen. Zurzeit ist es ja ein politisches Thema. Das hatten wir ja auch im letzten Podcast. Und ich glaube, an der Stellschraube kann man schon noch einmal nachdenken, wenn man überlegt, sogar Einreisebeschränkungen zu machen, Flüge zu untersagen und Ähnliches, ob es nicht naheliegend wäre, erst mal diese QuarantäneVorschrift nachzuschärfen und zu sagen, wenn wir neue Varianten nicht ins Land lassen wollen und dass unsere Strategie ist, da gibt es ja Argumente dafür und dagegen. Aber wenn man sagt, nein, das wollen wir mal versuchen, würde ich sagen, dass man zusieht, dass man die Quarantäne in den vernünftigen Bereich bringt. Meines Wissens kann man sich bei der Einreise in vielen Fällen ja auch nach fünf Tagen frei testen. Da macht man nach fünf Tagen einen Schnelltest. Und dann ist man befreit von der Quarantäne. Wenn ich mich nicht irre, legen das sogar die Bundesländer jedes für sich selber fest. Da gibt es unterschiedliche Regelungen. Und auch da müsste man noch einmal nachdenken, ob man dieses Schlupfloch, was man bisher bewusst offengelassen hat bei der Abwägung zwischen Risiko und den Nachteilen für die Bürger, nicht als erstes zumacht, bevor man Flüge streicht oder


man sagt: Wenn die Flüge gestrichen sind, brauchen wir es nicht.


Um das nächste Fass aufzumachen, haben wir auch die Berufspendler an den Grenzen, die ja überhaupt nicht unter die Regelungen fallen. Die dürfen ja hinund herfahren, wie sie wollen. Das Gleiche gilt für Leute, die Frachten transportieren, Lkw-Fahrer, Zugführer usw. Wenn man sagt, wir wollen, dass die neuen Varianten nicht ins Land kommen, muss man über diese Dinge nachdenken. Und die Quarantäne ist eins davon.



Camillo Schumann

:


Also ja, die Quarantäne-Fristen sollten für Reisende angepasst werden.



Alexander Kekulé:


Die andere Frage war mit der Person, die vor Reiseantritt negativ getestet wurde und doch das Virus hatte. Diese Tests sind ja alle fehlerbehaftet, und auch die Menschen scheiden gerade am Anfang der Erkrankung – das ist wichtig, sicher in Erinnerung zu rufen – erst mal eine Weile des Virus nicht aus. Und plötzlich kommt es zu diesem schlagartigen Anstieg exponentiellen Anstieg, einer Virusvermehrung auf der Schleimhaut. Und wenn man kurz davor testet, ist man mit dem Antigen-Tests völlig machtlos. Und mit der PCR ist ein bisschen Glückssache, ob man das Virus schon erwischt, sodass wir das öfter sehen, dass jemand sagt: Mensch, gestern war ich noch PCR negativ, heute habe ich eindeutige Symptome, und am Tag 2 ist es so, dass man in allen Tests positiv wird. Das ist der typische Verlauf dieser Erkrankung, und deshalb übersehen wir bei den Tests, die vor der Einreise gemacht werden, einen Teil der Patienten, einen Teil der Erkrankten. Und das nimmt man halt in Kauf dafür, dass es schön praktisch ist. Und auch da muss man fragen, ist es eine Sache, die man mit den Varianten, die nicht ins Land sollen, weiter aufrechterhalten soll oder ob man da nachschärft. Das würde ich nicht beantworten wollen. Aber da gibt es viele Argumente dafür und dagegen. Das muss man mal diskutieren.


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Camillo Schumann

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Frau Fischer aus Magdeburg hat angerufen. Sie will sich impfen lassen. Aber:


„Mit Entsetzen sehe ich im Fernsehen ständig, dass die minimale Impfdosis von 0,3 Milliliter mit einer überdimensionalen, langen und starken Kanüle verabreicht wird. Diese ist sicher für das Aufziehen der Spitzen nötig, aber z.B. für mich unzumutbar. Ich bin 84 Jahre, habe 43 kg Körpergewicht und leide an starkem Muskelschwund und diversen Vorerkrankungen und habe trotzdem die Absicht, mich impfen zu lassen. Kann ich in diesem Fall von einem verantwortungsbewussten Impfarzt Ärztin die Anwendung einer kleineren Kanüle erwarten oder verlangen? Beste Grüße und vielen Dank.“


[0:2 7:06]:



Alexander Kekulé:


Erstens ist es so: Es gibt zwar eine Standardstärke von Kanülen, die für intramuskuläre Injektion verwendet wird, für die Spritze in den Muskel. Und die ist nicht die stärkste. Da gibt es noch ein paar andere Kaliber, die eher Angst machen. Vielleicht sieht es im Fernsehen manchmal gefährlich aus, das ist aber keine besonders starke Kanüle. Zweitens ist es so, dass die etwas größeren Kanülen bei allen Arten von Spritzen weniger wehtun, weil die weniger in dem Sinn piksen, dass sie die Haut erst mal Eindrücken und erst mit Schwung reingehen, sondern die etwas größeren Kanülen sind ja vorne schräg angeschliffen. Die schneiden wie ein feines Skalpell erst mal einen kleinen Schlitz in die Haut und fahren durch diesen Schlitz hinterher. Und dadurch ist es so, dass schon vor Ewigkeiten mal Tests ergeben haben, dass eine dünne Kanüle als unangenehmer empfunden wird, als eine, die ein bisschen stärker ist. Darum kann ich nur sagen, ja, man kann mal fragen. Aber es muss nicht heißen, dass es deswegen weniger wehtut beim Stechen.


[0:2 8:2 1]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 145


Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.


Herr Kekulé, vielen Dank.


Wir hören uns am Dienstag, den 2 . Februar, wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé:


Für Sie auch, kommen Sie gut übers Wochenende und in den Februar hinein.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Übrigens: Sollten Sie durch die CoronaPandemie Probleme haben mit Ihrem Arbeitgeber, Ihrem Vermieter oder andere rechtliche Dinge zu klären haben, dann hilft Ihnen „Der Rechthaber“ weiter. Der Podcast für juristische Alltagsprobleme. Klicken Sie rein: www.derrechthaber.de


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


Übrigens: Sollten Sie durch die CoronaPandemie Probleme mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Vermieter oder andere rechtliche Dinge zu klären haben, hilft Ihnen „der Rechthaber“ weiter. Der Podcast für juristische Alltagsprobleme mit dem Anwalt Thomas Kinschewski. Klicken Sie rein www.derrechthaber.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 8.01.2 02 1 #144: Der Sündenfall des Westens – Ein Jahr Corona



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links:


Studie: Wie wirksam ist der Moderna-Impfstoff gegen Mutationen? (2 5.01.) mRNA-12 73 vaccine induces neutralizing antibodies against spike mutants from global SARS-CoV-2  variants | bioRxiv


Studie: Wie wirksam ist der Biontech/PfizerImpfstoff gegen Mutationen? (2 6.01.) Increased Resistance of SARS-CoV-2  Variants B.1.351 and B.1.1.7 to Antibody Neutralization | bioRxiv



Camillo Schumann

:


Donnerstag 2 8., Januar 2 02 1.


Wie gut wirken Impfstoffe gegen die VirusMutationen? Es gibt neue Studien.


Dann: Ein Jahr Sars-CoV-2  in Deutschland. Was wusste man damals über das neue Virus? Und was wusste man noch nicht?


Außerdem: Schärfere Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen. Deutschland will sich gegen Mutationen abschotten. Wie ist diese Strategie in der derzeitigen Lage zu bewerten?


Zudem: Einzelne Bundesländer entwickeln für die Zeit nach dem Lockdown Exitstrategien: Sollten bei einer Inzidenz knapp unter 2 00 schon die Wochenmärkte eröffnen?


Und: Erkennen PCRund Schnelltests auch Mutationen?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus.


Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Wir starten mit einem kleinen Rückblick auf den 2 7. Januar 2 02 0, gestern vor einem Jahr. Da hat Professor Wieler, Präsident des RobertKoch-Instituts zum Sars-CoV-2  Virus Folgendes gesagt:


„Wir haben bislang lediglich Zahlen von Fällen und Zahlen von Todesfällen. Und wenn man von diesen Zahlen ausgeht, können wir nicht davon ausgehen, dass das Virus viele schwere Erkrankungen macht zurzeit.“


Am selben Tag hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wie folgt geäußert:


„Grundsätzlich sind wir wachsam. Wir nehmen die Dinge ernst. Wir sind aber auch gut vorbereitet. Es gibt Pandemiepläne. Es gibt Umgangspläne, was im Fall der Fälle an den Flughäfen und in den Kliniken zu tun wäre.“


Und am 2 7. Januar 2 02 0 war es auch, als der erste Deutsche positiv getestet wurde. Es war ein Mitarbeiter des Automobilzulieferers Webasto in Bayern.


Herr Kekulé, welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?



Alexander Kekulé:


Das war die Zeit, wo im Grunde genommen der Sündenfall des Westens stattgefunden hat. Das waren ja nicht nur Wieler und der Bundesgesundheitsminister, sondern auch


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andere. Ich kann mich an einen erinnern, der gesagt hat, es ist zu früh, Alarm zu schlagen. Wieler hat kurz vor diesem Interview, was Sie gerade gespielt haben, gesagt, das Virus wird sich in Europa nicht nennenswert ausbreiten. Das war für mich die schlimmste Zeit, weil damals einige Fachleute, zu denen ich auch gehört habe, gesagt haben, das wird garantiert ausbrechen, das hat das Potenzial zur Pandemie. Wir müssen unbedingt was tun, Grenzkontrollen z.B. oder Tests machen. Die waren ja damals schon vorhanden. Und man hat gekämpft wie jemand, der in einen Honigtopf gefallen ist, wo alles wahnsinnig zäh ist. Das war die schwierigste Zeit.


Jetzt ist es ja so, dass wir es verstanden haben. Bei den neuen Varianten wird vielleicht die Aktivität entwickelt, die wir damals dringend hätten entwickeln müssen, weil wir, die westliche Welt, damals die Chance gehabt hätten, etwas Ähnliches zu machen wie einige asiatische Staaten, übrigens auch einige Länder im Westen. Und dann hätten wir diese Pandemie wesentlich besser im Griff gehabt. Die Pandemiepläne, die der Bundesgesundheitsminister damals erwähnt hat, die lagen in der Schublade und blieben in der Schublade. Und man hat nicht gemacht, was da drin entsteht.


Sie haben gesagt „Sündenfall des Westens“. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die WHO vor ein paar Tagen in ihrer Retrospektive. Können Sie uns vielleicht mit ihren Worten erklären, warum es schwer war und warum es da offenbar möglicherweise Kommunikationsprobleme, aber auch Verständigungsprobleme gab bei der Einschätzung der Lage?



Alexander Kekulé: All das ist ein riesen Thema. Ich möchte mein Buch erwähnen, da habe ich das ausführlich geschildert. Es ist letztlich so, dass damals die WHO gesagt hat, Grenzschließungen sind kein probates Mittel. Das liegt daran, dass die Rahmenbedingungen für die WHO schon immer seit ihrer Gründung und auch davor bei den


Vorläuferorganisationen waren, dass sie vor allem die Wirtschaft schützen wollte vor übertrieben Quarantänemaßnahmen. Das ist nicht von mir, sondern dass ist historisch verbrieft. Und aus dieser Grundhaltung heraus hat die WHO gesagt, erst einmal den Reiseverkehr nicht einschränken, wird schon nicht schlimm sein. Ich erinnere mich gut an den 2 2 . Januar, da war ja die erste Sitzung, wo die Frage war: Soll man den Notfall ausrufen, ja, oder nein? Da hat man sich erst einmal auf Druck der Chinesen dagegen entschieden. Dass man in dem Fall besser die Alarmglocke gedrückt hätte, ist heute klar. Aber das Problem ist auch aus meiner Sicht, dass sich das deutsche RKI und die Experten, die das RKI beraten haben, der WHO-Meinung angeschlossen haben und wesentlich weniger auf dem Stand der Zeit waren als viele Kollegen in Hongkong. Ich erinnere mich, der erste Kollege aus Hongkong, der mich da alarmiert hatte, war noch vor Silvester gewesen. Und ungefähr am 8./9. Januar war es international klar, dass dieses Virus von Mensch zu Mensch springt und dass die Chinesen das verheimlichen. Und das war die Phase, wo man etwas gezögert hat. Und es kamen ja weitere. Man hat den Ausbruch in Italien übersehen, obwohl völlig klar war, man muss in Europa testen. Und seitdem haben wir die berühmte G-Variante, die die erste stärkere infektiöse Variante war, die sich weltweit ausgebreitet hat.



Camillo Schumann

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Ich erinnere mich an unseren 1. Podcast. Der war am 16. März, dem Tag, an dem Bayern als 1. Bundesland den Katastrophenfall ausgerufen hatte. Und seit dem Morgen des 16. März 2 02 0 waren auch die Grenzen zu Österreich, Schweiz und Frankreich geschlossen. Und zwischen dem Webasto-Fall Ende Januar, den wir gerade erwähnt hatten, und den Grenzschließungen lagen exakt 50 Tage. Sie haben schon ihr Gefühl um den 2 7. Januar beschrieben. Aber wie war denn diese Zeit in diesen 50 Tagen?


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Alexander Kekulé:


Oh Gott, ich habe ja Konzepte gemacht, weil ich früher mit der WHO zusammengearbeitet habe. Die Konzepte lagen in dem entscheidenden Gremium, was sich in der WHO um Europa gekümmert hat, auf dem Tisch. Man hat beschlossen, dass das nicht wichtig sei, dass das eine Mindermeinung war. Der Kollege von der WHO hat die Frage gestellt: Haben Sie das schon mit dem RKI abgesprochen? Nach dem Motto: das RKI hat eine andere Meinung und ein einzelner Fachmann ist uns da nicht wichtig. Da stand klipp und klar drin, was man machen muss, um den Ausbruch in Europa noch in den Griff zu bekommen. Übrigens ähnlich wie die Vorschläge, die von den Zero-Covid-Leuten kommen. Wobei das damals eine faire Chance gehabt hätte. Heute ist es viel zu spät. Das war für mich die dunkelste Zeit. Wenn Sie sich Ihr halbes Leben lang mit Pandemie-Vorbereitung befasst haben, wenn Sie praktisch täglich Anrufe aus dem Inund Ausland kriegen von Leuten, die sagen, was machen die da? Wir haben das überhaupt nicht verstanden. Und wenn man täglich den Fernseher anmachen muss und Beschwichtigungstexte hört, wissend, was da kommt, das war bitter, kann ich sagen. Und diese Zeit war ja auch die, wo wir es verschlafen haben. Als der Ausbruch in Italien das war Ende Februar, als der war, dass man ihn nicht mehr einfangen konnte –, da war im Grunde genommen schon alles vorbei, da war das Virus aus der Pandorabüchse ausgebrochen. Und das bekommt man nicht wieder zurück. Oder den Geist bekommt man nicht mehr zurück in die Flasche, wie mein Kollege Klaus Stöhr damals gesagt hat.



Camillo Schumann

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Die Annahmen waren ja damals: Schmierinfektion spielen eine große Rolle. Heute wissen wir: Das neue Virus, das wird nicht unbedingt gefährlicher sein, nicht tödlich wie Sars 2 002 . Und wir wissen, die Aerosole sind der Übertragungsweg schlechthin. In Deutschland sind an oder mit Sars-CoV-2  bislang über 54.000 Menschen gestorben.


Seien wir selbstkritisch: Lagen Sie mit Ihren Vermutungen im Nachhinein daneben, oder gab es vielleicht auch ein Vakuum, aus dem heraus man keine Aussage treffen konnte?



Alexander Kekulé:


Ich glaube, an 2 Stellen würde ich sagen, lag ich selber daneben. Die Wichtigste ist: Ich habe es komplett falsch eingeschätzt, wie die westliche Welt reagieren würde. Erst Europa, aber vor allem die USA. Das war für mich absolut unvorstellbar. Selbst bei diesem Präsidenten, der dort agiert hat. Aber die haben eigentlich hervorragende Seuchenbehörden bei Ausbrüchen im Ausland. Ich habe das ja in Westafrika mit Ebola erlebt. Da war die CDC, die US-Gesundheitsbehörde, hervorragend. Und dass man mit einer hervorragenden Ausstattung dermaßen auf die Nase fällt aufgrund falscher politischer Entscheidungen und zum Teil auch schlechter Beratung durch Wissenschaftler, war das eine, was ich nie gedacht hätte. Ich habe damals in den ersten Interviews gesagt, wir kriegen das in den Griff, weil ich wusste, dass die Pläne in der Schublade liegen.


Und das Zweite, was ich fachlich am Anfang unterschätzt habe, ist in der Tat die Kontagiosität, die Ansteckungsfähigkeit. Es ist ja so, dass wir bei Sars 2 003 nie genaue Zahlen hatten, was das für einen R-Null-Wert hat. Und wir wussten, dass man Sars einfangen konnte. Das ist ja im Grunde genommen das gleiche Virus. Man könnte das aktuelle Virus fast als Variante des damaligen Sars-Virus bezeichnen. Und die Krankheit ist die gleiche. Es hat nur politische Gründe, dass die WHO das Covid-19 statt Sars nannte. Und da habe ich gedacht, dass man das in den Griff bekommt. Es hat sich aber vielleicht auch durch die G-Variante, die in Italien entstanden ist, durch die höhere Infektiösität weiterentwickelt, dass es von Ausbreitungsgeschwindigkeit Richtung Influenza geht. Dass es diese SuperspreadingEreignisse sind, die man selektiv stoppen muss, weil man bei den restlichen Übertragungen sowieso keine Chance hat. Das ist bei mir erst gereift im März 2 02 0. Da habe


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ich ja das Smart-Konzept aufgeschrieben, was das schon berücksichtigt hat. Aber das war am Anfang eine Fehleinschätzung, das muss ich sagen. Die ersten 2 Monate dachte ich nicht, dass es ansteckend ist und habe den Daten aus Wuhan, die ja zum Teil schon darauf hingedeutet haben, nicht geglaubt, weil die Chinesen am Anfang gelogen hatten. Und weil sie es anders dargestellt haben, habe ich auch gedacht, na gut, mal sehen, ob das stimmt.



Camillo Schumann

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Aber wie war das bei oder sozusagen in der wissenschaftlichen Diskussion, war das alles relativ klar oder war es ein relativ unüberschaubare Informationshorizont, wo man sich selber was rauspicken musste und selber interpretieren musste?



Alexander Kekulé:


Natürlich hat das was mit der Interpretieren zu tun. Es gibt ja Kollegen, die sagen, die wissenschaftlichen Daten sind glasklar, und der Wissenschaftler interpretiert nicht, sondern er liest nur die Daten vor. Ich sehe das anders. Es ist so, dass selbst die besten Fachleute, wenn sie auf die gleichen Daten schauen, unterschiedliche Interpretationen reinlegen, vor allem wenn es in Richtung Maßnahmen geht.


Jeder hat ja so seine Informationsblase. Da schimpft man immer darüber im Internet. Aber das ist bei Fachleuten auch so. Ich habe da eine Blase, in der die meisten Kollegen im Ausland sind. Wir waren uns völlig einig. In Hongkong wurde die Situation genauso beurteilt, wie ich das gesehen habe. Vielleicht habe ich auch ein paar Beurteilungen von denen übernommen. Man bestärkt sicher da immer ein bisschen gegenseitig. Und in Deutschland habe ich beobachtet, auch seitens der organisierten Virologie, dass es Gegenbewegung gab. Man hat fast versucht, keine abweichenden Meinungen zuzulassen. Und das ist, glaube ich, auch bekannt, dass ich da auch das Ziel solcher Kampagnen geworden bin. Die sind sicherlich im guten Sinne gemacht worden, dass man wollte, dass die Bevölkerung


nicht aufgeregt wird. Ich bin ja da als „Alarmist“ beschimpft worden von meinen Kollegen und Ähnliches. Man wollte, dass niemand dem RKI widerspricht, damit es eine einheitliche Linie gibt.


Ich glaube, wir müssen lernen, dass der offene wissenschaftliche Diskurs wichtig ist und dass man große Gremien von Wissenschaftlern braucht, die miteinander diskutieren. Wenn man die immer nur einzeln fragt, ist das schlecht. Man braucht ein Gremium, denn das Ergebnis von solchen Gremien ist meistens besser. Und vor allem, wenn die Politiker dabeisitzen und sich das anhören, verstehen die ja auch ein bisschen die Argumente besser. Ich glaube, das hätten wir am Anfang unbedingt machen müssen. Das steht übrigens in den Pandemieplänen, dass man dafür eine Kommission, eine Fachkommission gründen soll. Das ist nicht gemacht worden und wie viele Punkte in der Schublade geblieben.



Camillo Schumann

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Dann haken wird das ab, auch wenn es schwerfällt, auch wenn wir noch stundenlang darüber sprechen könnten. Das ist, glaube ich, die spannendste Phase, in der viel passiert ist und vor allem auch wenig passiert ist. „Wir können nicht auf die nächste Pandemie warten.“, das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt. Die EU plant ein gemeinsames Pandemieabwehrprogramm und auch eine neue Behörde, die Hera, die Health Emergency Response Authority. Ende letzten Jahres hat die EU-Kommission auch einen Pandemieplan vorgelegt Ziel der Aktivitäten ist eine gemeinsame Gesundheitsunion. Das hört sich für mich als Außenstehenden an, als wäre man von dieser Pandemie überrascht gewesen. Und man möchte für die nächste, die vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten kommt, gut vorbereitet sein. Wie neu sind denn diese Pläne?



Camillo Schumann

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Da sprechen Sie den nächsten wunden Punkt an. Ja, ich bin ich etwas über 60. Den ersten Plan habe ich mit Ende 2 0 in der Hand gehabt.


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Ich kann mich auch gut erinnern. 2 003 das ist ja interessanterweise einer der Hallo-WachRufe, die wir hatten. Da ging es ja um den ersten Sars-Erreger. Danach haben wir weltweit festgestellt, wir haben viel zu wenige Responsemöglichkeiten. Damals gab es genau solche Vorschläge, so etwas zu machen. Übrigens gibt es eine ähnliche Einheit bereits bei der Europäischen Kommission, die sich aber insgesamt auf Desaster-Prävention bzw. Desaster-Reaktion konzentriert. Aber die Seuchenausbrüche sind ein Teil davon. Kurz vorher – habe ich noch vergessen –: 2 001 die die biologischen Anschläge nach dem September Eleven, da gab es ja den MilzbrandAnschläge. Da gab es genau die gleiche Diskussion. Ich glaube, ich selber habe das zum ersten Mal öffentlich 1999 in einem Artikel im Tagesspiegel gefordert. Praktisch immer, wenn etwas war. Da hatten wir die Schweinegrippe 2 009 und Ebola 2 014. Es war immer: nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Wir haben immer gesagt, und damit glaube ich das gleiche gemeint wie die Frau von der Leyen aktuell: Wir müssen uns auf die nächste Seuche vorbereiten und mal sehen, ob es was wird. Wenn die Welt wieder in den Alltag zurückfällt, irgendwann und vor allem den langen Schuldenzettel sieht, der von dieser Pandemie übrig geblieben ist und daran zu nageln hat, da müssen wir aufpassen, dass da keine Weltwirtschaftskrise daraus entsteht im Nachfeld. Ich glaube, da werden die nächsten Probleme entstehen.


Und es ist die Frage, wie effektiv das alles wird. Wir haben ja viele Schauplätze, die global noch nicht funktionieren. Übers Klima möchte ich gar nicht sprechen. Aber das ist die viel größere Baustelle, die komplett liegen geblieben ist während der Pandemie.



Camillo Schumann

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Jetzt soll das ja auch eine neue Behörde werden mit Struktur, mit Befugnissen usw. Braucht es die? War das, was man bisher an Struktur hatte und an Verantwortlichkeiten, nicht durchschlagkräftig genug, dass man sich komplett neu aufstellt?



Alexander Kekulé:


Das muss man auf 2 Ebenen beantworten: Das eine ist die Frage: Brauchen wir wissenschaftlich mehr, als was wir haben? Da meine ich, nein. Da habe ich damals ein Paper geschrieben als Reaktion auf 2 003, den SarsAusbruch, und einen Vorschlag gemacht für ein weltweites Alarmsystem. Das habe ich immer verglichen mit einem Erdbebenfrühwarnsystem, bei dem wir früh erkennen, ob neue Viren unterwegs sind, wo man z.B. im Tierreich nachschaut, was ist dort unterwegs, wo man vor allem bei Menschen, die in Regionen wie z.B. in Südchina leben, wo solche Krankheitsausbrüche ja häufig herkommen. Aber auch in Regionen Afrikas, wo wir Fledermauspopulationen haben mit gefährlichen Viren, dass man bei den Menschen die Blutproben, die sowieso gemacht werden, regelmäßig untersucht. Und wenn man da etwas Merkwürdiges feststellt, kann man das heute mit Methoden machen, die nicht speziell nach einem Virus suchen, sondern die generell feststellen können, ob es ein neues Virus ist, dass man da eine Frühinvestigation hat, ein Team hinschickt und mal nachschaut. Da war ich nicht der einzige, da gab es auch Kollegen aus den USA, die ähnliche Vorschläge gemacht haben. Und das gibt es ein bisschen. Schon das sind Programme, die in den USA hauptsächlich gelaufen sind. Da wurde Geld für ausgegeben. Trump hat es zwischendurch mal gestoppt, aber es ist inzwischen wieder neu aufgelegt. Und es gibt diese Frühwarnung von Viren. Und diese Systeme haben wir uns mit den modernen Social Media verbunden. Schnell genug ist es. Wenn man sich erinnert an SarsCoV-2 , da waren die ersten Warnungen ja Ende Dezember raus, und das hätte noch gereicht. Die Frage ist nur, was macht die Politik damit? Und da ist die Schwachstelle. Gerade die EU ist ja an vielen Stellen von der Struktur her toll. Aber wenn es um die konkreten Umsetzungen geht, hängt es immer an einzelnen Staaten, die ihre Partikularinteressen vertreten. Und deshalb kommt es nicht zu schnellen gemeinsamen


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Entscheidungen. Und ich glaube, daran wird auch eine Kommission oder eine neue Struktur in Brüssel nichts ändern.


Dafür bräuchten wir etwas wie eine internationale biologische Behörde unter den Vereinten Nationen. Das wäre, glaube ich, eher sinnvoll, dass man die Daten zusammenfließen lässt, die da relevant sind. Es geht auch bis zu Themen wie biologische Artenvielfalt, Erhalt der Biodiversität. Ich glaube, wenn man da jemanden hätte, der sozusagen die globalen Sicherheitsaspekte im Auge hat und der Konzepte entwickelt, das ist ja immer das, was fehlt: übergeordnete Konzepte, wäre das eine gute Sache, weil. Die WHO hat das zum wiederholten Mal nicht geliefert. Das RKI hat es auch nicht geliefert, sondern nur die Dinge am Anfang wiedergegeben, die von der WHO kamen. Und wenn da von oben von Anfang an ein starkes Signal gewesen wäre aus der Wissenschaft, hätten es die Politiker schon schwerer gehabt zu sagen, wir ignorieren das. Ich erinnere mich an das 1. Treffen der europäischen Gesundheitsminister, wo Herr Spahn hingereist ist und zurückkam und sagte: Ja, wir haben beschlossen, enger zusammenzuarbeiten und sonst nicht eine einzige Maßnahme umgesetzt wurde. Da hat schon mein Vorschlag auf dem Tisch des RKIs und des Gesundheitsministeriums gelegen. Wir haben gesagt, wir reden darüber und wir halten zusammen in dieser Krise, das ist viel zu wenig. Wenn es da ein klares Statement z.B. von einer UN-Behörde gegeben hätte, die vielleicht stärker aufgestellt ist als die WHO, wäre das gut gewesen. Die WHO kann bestimmte Sachen nicht machen, weil sie ihre Einzahler nicht verprellen darf.



Camillo Schumann

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Gut, beenden war den Rückblick und auch die Bewertung, was die EU in Zukunft vorhat. Wir werden vielleicht in zwei-drei Jahren, wenn sich alles mal entspannt hat, war wieder einen Podcast außer der Reihe machen, nur unter dem Thema, was macht die EU in Sachen Pandemiebekämpfung? Und da schauen wir mal wieder auf den aktuellen Stand. Apropos


aktueller Stand: Die aktuellen Infektionszahlen, und mal etwas Positives zu nennen: 17.500 Neuinfektionen ist eine Menge, aber immerhin 8.000 weniger als vor 2 Wochen. Und die 7Tage-Inzidenz ist das erste Mal seit drei Monaten unter 100 gefallen. 98 beträgt die 7Tage-Inzidenz. Das wäre unter 100 das erste Mal seit drei Monaten. Erst mal ein guter Schritt?



Alexander Kekulé:


Der Lockdown wirkt, wenn ich das mal sagen darf. Und wir haben ja noch gut 2 Wochen Zeit. Bis dahin wird es auf jeden Fall sein, dass wir in einer Phase sind, wo wir über geänderte Maßnahmen nachdenken können.



Camillo Schumann

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Und über die wollen wir gleich reden. Während die Infektionszahlen sinken, denkt die Bundesregierung laut darüber nach, sich nach außen abzuschotten. Grund ist die Angst vor Mutationen, die Reisende ins Land bringen könnten. Zu den Maßnahmen gehören laut Bundesinnenminister Seehofer deutlich schärfere Grenzkontrollen, besonders an den Grenzen zu Hochrisikogebieten. Aber auch die Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland sei auf nahezu null gesunken sowie Israel, das derzeit auch zumacht, um die Einschleppung der Virus-Mutation zu verhindern. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hat dpa bestätigt, dass ein entsprechender Beschluss derzeit abgestimmt wird. Und die Einschränkungen könnten laut Bild für Flughäfen schon nächste Woche umgesetzt werden. Deutschland schottet sich ab. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen in der aktuellen Situation?



Alexander Kekulé:


Da haben Sie mir die Brücke gebaut. Das ist ja das, was vor einem Jahr sinnvoll gewesen wäre. Die Frage ist, wie groß der Effekt noch sein wird. Israel, haben Sie gerade genannt, ist ein gutes Beispiel. Die haben die Flughäfen frühzeitig zugemacht, bei denen ist das geografisch auch gut möglich, weil die nicht viel Kontakt haben außerhalb des Flugverkehrs.


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Die haben trotzdem etwa 40 Prozent B1.1.7 im Land. Die neue Variante hat sich dort massiv ausgebreitet. Ich gehe davon aus, dass auch in Israel B-1-17 die dominante Variante werden wird. Im Vereinigten Königreich und in Irland ist es ja schon so, dass die als dominant gilt. Wir sehen das Gleiche auch in Ländern außenherum. Ich glaube, Belgien ist bei 2 5 Prozent. Bei Portugal ist es so, dass gerade gesagt wurde, dass wahrscheinlich Ende Februar dort das B1.1.7 vorhanden sein wird. Das heißt, wir haben es mit einer Situation zu tun, wo diese Variante auch in Deutschland schon vorhanden ist. Daher ist die Frage, was bringt es, die Grenzen zuzumachen? Klar, wir haben weitere, noch schlimmere Bösewichter am Horizont geortet, insbesondere aus Brasilien. Aber auch die südafrikanische Variante sind Dinger, wo wir Hinweise haben, dass die Zweitinfektionen relativ gut machen können, vielleicht sogar die Impfung nicht richtig wirkt. Und sich davor Zeit zu kaufen, um möglichst viele Menschen zu impfen oder auch mit der ersten Variante, ohne sich immunisiert zu haben. Wir haben ja ständig weitere Infektionen im Land. Dieser Effekt könnte dazu führen, dass es eine neue Variante schwerer hat, sich auszubreiten. Deshalb kauft man sich Zeit durch solche Grenzschließungen. Man muss sich aber immer im Klaren sein, dass man nur vorübergehenden ein bisschen bremsen kann. Wir werden das nicht auf Dauer draußen halten können, so wie die Chance am Anfang der Pandemie bestanden hätte. Das ist aber eine politische Frage, immer eine Güterabwägung machen, eine Einschränkung der Wirtschaft, Einschränkungen der Grundrechte für die Bürger auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein gewisser Zeitgewinn, um mehr Menschen impfen zu können, sozusagen das, um der Impfung einen kleinen Vorsprung zu geben. Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt, wo wir das alles noch nicht abschließend beurteilen können – wir wissen ja auch nicht, wie hoch dieses R-Null von den Varianten ist, das sind ja alles grobe Schätzungen, die sind wohl infektiöser, aber wie viel das ist, wissen wir nicht – und deshalb


würde ich sagen zum jetzigen Zeitpunkt: Besser machen als nicht machen. Aber radikale Maßnahmen wären – da man ja nur Zeit kauft – nicht gerechtfertigt.



Camillo Schumann

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Weil Sie sagen „der Impfung ein bisschen Vorsprung geben“: Wie weit sollte dieser Vorsprung sein, wie groß?



Alexander Kekulé:


Fragen Sie mal bei Biontech und bei Moderna nach. AstraZeneca wird ja gerade öffentlich angezählt. Das ist die Frage. Das kann keiner richtig modellieren. Wenn ich bei den Impfstoffen bin, bleibe ich bei meiner Prognose, die ist schon ein Jahr alt ist. Da werden wir zwischen Mai und Juni in dem Bereich sein, wo wir – wenn nicht was Großes schiefgeht – erste Herdenimmunisierungseffekte sehen, erste epidemiologische Effekte der Impfung sehen, wie man es in Israel ja gerade glaubt zu messen. Und lange können wir aber den Flugverkehr nicht einschränken. Das kann ich nicht beurteilen. Muss man den Wirtschaftsminister fragen. Bis dahin können wir das nicht durchhalten, sodass schon die Frage ist, wie bei jedem Schlachtplan: Was ist das Kriegsziel? Wir haben Ende Januar. Machen wir noch 2 Monate die Grenzen zu, haben wir der Impfung einen gewissen Vorsprung verschafft. Aber wir werden danach auch nicht in dem Bereich sein, dass die Impfungen einen echten, starken antiepidemischen Effekt haben. Wir werden in dem Bereich sein, dass die Impfungen hoffentlich die Risikogruppen besser schützen. Das wäre aber ein kompletter Strategiewechsel, weil das ist ja immer abgelehnt worden ist, dass es nur um den Schutz der Risikogruppen geht und die anderen lässt man da im viralen Sturm stehen. Das ist ja mit gutem Grund nicht die Strategie der Bundesregierung. Darum muss man sagen, man wird eine Weile bremsen, gucken, wie sich das entwickelt, und ich persönlich fürchte, wir werden trotzdem gerade bei B1.1.7 in Deutschland, vielleicht in 2 Monaten


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ungefähr nach und nach eine Situation haben, wo das dominant wird. Aber wir werden deshalb keine höhere Sterblichkeit haben. Wir werden, wenn wir die antiepidemischen Maßnahmen weiter betreiben, auch B1.1.7 in den Griff bekommen mit genau den gleichen Maßnahmen, mit denen wir die italienische Variante bekämpfen. Deshalb muss man überlegen, wie lange man da international zumachen will. Ich nenne noch ein Beispiel, das ist Großbritannien. Das Königreich hat ja bekanntlich die Grenzen zu Portugal geschlossen wegen der dort aufgetretenen südafrikanischen und neuerdings auch brasilianischen Variante. Portugal wiederum hat die Grenzen zu Großbritannien geschlossen wegen der B1.1.7-Variante. Demnächst soll es so sein, dass jeder irgendetwas im Land hat. Ich habe gehört, in Garmisch ist auch etwas Neues gefunden worden. Die Frage ist, wo soll das hinführen, wenn wir weltweit immer mehr Varianten finden? Am Schluss machen wir


alles zu, und jeder kocht sich nur noch einheimische Produkte.



Camillo Schumann

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Möglicherweise macht es ja auch nur europäisch Sinn, wenn man die starke Verbreitung von B1.1.7 und ggf. noch 2 andere Mutationen in Europa verhindern will, dass man mal gesamteuropäisch ich sechs-acht Wochen den Flugverkehr stark einschränkt und Grenzkontrollen etc. macht. Damit zumindest die Impfung europaweit einem Gewissen bekommt. Wäre das sinnvoller?



Alexander Kekulé:


Die europäische Zusammenarbeit ist ja im Grunde genommen das zweite Thema, wo man bei dieser Pandemie ein bisschen traurig sein muss. Das erste ist für mich, wie die USA reagiert haben. Und in Europa ist auch nicht richtig viel konzertierte Aktion zu erkennen gewesen. Das wäre eine weitere Chance, das zu machen, wobei man sagen muss, in Portugal sind offensichtlich die brasilianischen Varianten schon unterwegs. Das hat mit den unmittelbaren Kontakten zu tun. Portugal hat


ja schnell zugemacht zu Großbritannien, aber zu Brasilien sind die Flüge aus Brasilien erst gestern gestoppt worden. Ich nehme an, dass die dort inzwischen auch diese brasilianische Variante haben, sodass wir nicht mehr die Situation haben, dass wir sagen können, naja, Europa ist bisher noch verschont, lasst uns die Grenzen zumachen. Sondern wir müssen durch konsequente anti-epidemische Maßnahmen verhindern, dass sich das in Europa weiter ausbreitet.



Camillo Schumann

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Deutschland will sich nach außen abschotten. Im Inneren des Landes laufen sich die Bundesländer nun für Lockerungen warm. Gestern hat Schleswig-Holstein einen umfangreichen Perspektivplan vorgelegt. Auf neun Seiten wird da ziemlich detailliert dargelegt, welche Lockerung es bei welchem Inzidenzwert geben kann. Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt hat da schon mal Nägel mit Köpfen gemacht und angekündigt, die Wochenmärkte und auch den Zoo wiederzueröffnen. Halles OB Bernd Wiegand erklärt mal warum:


„Weil wir in der letzten Eindämmungsverordnung der Stadt vor ca. 2 Wochen eine Lockerungsstrategie beschlossen haben, die deutlich macht, unter welchen Voraussetzungen wir bestimmte Paragrafen nicht mehr zur Anwendung kommen lassen. Und da haben wir mehrere Abstufungen drin, unter 2 00, unter 100, unter 30. Wenn wir in der nächsten Eindämmungsverordnung einiges einführen, um Anreize zu setzen, auch in der Bevölkerung bestimmte Ziele zu erreichen, aber auch, um Zuversicht und Mut deutlich zu machen in der Stad. Und als dann fünf Tage dieser Wert unterschritten war, haben wir diesen Paragrafen beschritten. Und das bedeutet, dass die Wochenmarkthändler und Reisegewerbe für Lebensmittel in der Stadt zulässig sind, falls wir unter der 2 00er-Grenze sind.“


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In Halle, wird der Zoo nach wenigen Tagen unter einer 2 00-Inzidenz wiedereröffnet. Im Perspektivplan von Schleswig-Holstein dürfen die Zoos erst wieder öffnen, wenn die 7-TageInzidenz 2 1 Tage lang stabil bei unter 100 liegt. Das ist ein deutlicher Unterschied. Wie bewerten Sie diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit Blick auf die Lockerungen?



Alexander Kekulé:


Ich würde grundsätzlich nichts an Inzidenzen festmachen, sondern ich halte es für wichtig, auf das individuelle, spezielle situative Risiko zu gucken. Zu Halle an der Saale, das ist meine zweite Heimat, da habe ich auch eine gewisse Affinität. Gerade Herr Wiegand (parteilos), der Oberbürgermeister dort, ist am Anfang als einer der ersten vorgeprescht und hat Maßnahmen überhaupt erstmal ergriffen, von der Maske bis zu allen anderen Schutzmaßnahmen, wo die anderen noch rumdiskutiert haben. Dem kann man nicht vorwerfen, dass er irgendwelche Lockerungsorgien feiern wollte. Ich kenne die Begründung für diese Abstufung nicht. Aber ich finde immer, man muss aufs Risiko schauen. Wenn wir Familien haben, die im Zoologischen Garten spazieren gehen mit ihren Kindern aus dem gleichen Hausstand, den Abstand dort einhalten und sich die Tiere anschauen, da sehe ich beim besten Willen im Freien kein Risiko. Man kann über etwas diskutieren, wenn man ein Affenhaus hat, ein Aquarium hat oder Ähnliches, was vollgestopft ist mit Menschen oder wo überhaupt schlechter Luftaustausch ist. Aber wenn ich mir einen Zoologischen Garten im Freien vorstelle oder auch eine Situation auf dem Markt, falls man die Abstände dort im Freien einhalten kann, ist aus infektiologischer Sicht das Risiko, dass dort Superspreading entsteht, extrem gering. Es gibt weltweit kein Beispiel dafür. Darum würde ich sagen, wenn man selektiv vorgeht und sagt, das, was infektiologisch ungefährlich ist, könnt ihr machen, glaube ich, ist es der richtige Weg. Aber leider haben wir da immer noch wenige Daten dafür. Aber das, was wir haben, kann man ja benutzen. Und da


ist nicht wichtig, wie hoch die Inzidenz ist. Außerdem ist es wahr, wenn sie 2 Meter Abstand halten und nur in Gruppen zusammen sind, die zusammenwohnen und im Freien sind, ist es egal, wie groß die Inzidenz außenherum ist, genauso wie wenn sie mit genügend Abstand auf der Rodelpiste sind. Das kann ich nur noch einmal unterstreichen.


Und gerade wegen der neuen Varianten, damit die Gegenmaßnahmen Akzeptanz haben. Es ist, glaube ich, auch sinnvoll, solche Sachen, bei denen offensichtlich nicht plausibel ist, Einschränkungen zu machen, die zu lockern. Ich würde das gar nicht als Lockerung bezeichnen, sondern sie nehmen, im Grunde genommen eine bisher schon immer überflüssige Maßnahme, zurück.



Camillo Schumann

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Die Frage, die dahinter steckt, ist ja, dass wieder jeder anfängt, sein eigenes Süppchen zu kochen. Ist das clever, oder sollte man nicht aus den Erfahrungen der letzten Monate des letzten Jahres lernen und sagen: Passt auf, wir machen einen Perspektivplan für alle, und alle halten sich verdammt noch mal dran. Oder ist das ein bisschen übertrieben? Denn selektive Maßnahmen schließt das nicht aus.



Alexander Kekulé:


Ich mag den Generalplan, der klug wissenschaftlich basiert ist. Da haben wir gerade ein Beispiel gehabt. Aber das ist wieder eine politische Frage. Ich finde es als Wissenschaftler gut, wenn die Politik sich einigt, was da in Schleswig-Holstein auf diesem ausführlichen Papier ist, wo Schwellen aufgezeigt werden. Das erinnert mich ein bisschen an die berühmte Corona-Ampel, die mal eingeführt wurde. Ich glaube, die hat man schon längst wieder vergessen. Die ist ja nur aufgestellt worden, damit die Ministerpräsidenten gleich danach bei Rot rüberfahren können. Und ähnlich wird es wahrscheinlich wieder sein. Ich muss aber auch sagen, da muss man ein bisschen auch im eigenen Garten sauber machen. Die Wissenschaftler sind sich ja auch nicht mehr


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einig. Selbst die Leute, die normalerweise relativ schnell zu einem Konsens kommen. Ich habe früher immer gesagt, Diskussionen von Wissenschaftlern sind total langweilig, weil nach drei Minuten weißer Rauch aufsteigt. Das ist ja im Moment gar nicht mehr. Deshalb darf man, glaube ich, nicht mit dem Finger auf die Politik zeigen. Wir haben viele Dinge, bei denen man nicht genau weiß, was der beste Weg ist, umso politischer es wird, je mehr der Faktor Mensch da eine Rolle spielt, desto schwieriger wird das.



Camillo Schumann

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Wir sind gespannt, wie die Konzepte umgesetzt werden und ob es möglicherweise beim nächsten Bund-Länder-Treffen ein gemeinsames Perspektivkonzept gibt. Schleswig-Holstein hat nun eins vorgelegt.


Herr Kekulé, wir müssen noch über die Mutation bzw. über die Wirkung der Impfstoffe bei Mutationen sprechen. Ich frage mich schon lange: Ist es sicher, dass die Infektionszahlen in den Ländern, wo sie ja stark steigen, die Mutation ursächlich dafür sind oder mögliche Lockerungen? Oder spielt es am Ende keine Rolle mehr?



Alexander Kekulé:


Das ist nicht sicher, das ist auch ein wichtiger Punkt. Es ist für einen Politiker immer besser zu sagen, die Lockerung, die ich letzten Monat beschlossen habe, war nicht schuld. Es liegt an einer Mutation, so wie es Boris Johnson getan hat. Wir hatten auch in Irland diesen Effekt, dass dort durch die Weihnachtszeit und durch die Lockerungen über Silvester – die hatten, anders als wir über Weihnachten und Silvester alles auf alles aufgemacht, die die Pubs offen usw. – und danach sind die Fallzahlen hochgegangen. Genauso war es übrigens in Portugal, wo es im Moment fürchterlich ist. Es ist so, dass wir, wenn man die Zahlen genau anschaut, jetzt der Moment ist, wo die Inzidenzen explodieren, steil ansteigen. Das war in diesen Ländern typischerweise Anfang Januar plus/minus eine Woche. Zu dem Zeitpunkt war der Anteil dieser Mutanten bei


den nachgewiesenen Infektionen jeweils äußerst gering, von der Größenordnung unter fünf Prozent. Aktuell sind die Mutanten angestiegen. In einigen Ländern geht es ja Richtung dominante Variante. Auch in Portugal ist es so, dass im Moment in der dritten Januarwoche die Mutanten Richtung 2 0 Prozent hochgegangen sind, diese B1.1.7. Aber damals als das losgeschossen ist Anfang Januar in Portugal. Da war diese Mutation überhaupt noch nicht häufig zu beobachten, sodass man schon sagen muss, da ist es zumindest zu einer Art Vorglüheffekt, der durch die Lockerung der Maßnahmen entsteht, gekommen. Und wenn sozusagen das Infektionsgeschehen insgesamt hochläuft, und zwar meistens, wenn man es genau analysiert bei den Ländern, wo wir überhaupt Daten haben, in der Weise, dass die vorherigen normalen Viren, die ItalienVariante, die wir ja weltweit haben, dass die erstmal hochgeschossen ist – und im Schlepptau kommt auch die Mutation, und die setzt sich durch. Ich würde mal sagen 90 Prozent vom Effekt – aus dem Bauch heraus – sind die nachlassenden Gegenmaßnahmen, und die letzten zehn Prozent erledigt die Mutation. Dass die ansteckender sind, ist aufgrund der Daten inzwischen klar. Man kann aber nicht sagen, dass diese Zunahme ausschließlich auf höherer Infektiösität beruht. Wenn Leute da sagen, dass es eine Pandemie in der Pandemie ist, finde ich das, ehrlich gesagt, ein bisschen übertrieben.



Camillo Schumann

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Jetzt gehen die Zahlen in einzelnen betroffenen Ländern wieder zurück. Liegt das an den getroffenen Maßnahmen? Oder woran liegt es?



Alexander Kekulé:


Das liegt nicht daran, dass die Mutante schlapp geworden ist. Es liegt nur an den Maßnahmen. Ist es so, dass das ein wichtiges Zeichen ist. Das kann man nicht oft genug sagen. Das beweist, dass auch in Gegenwart einer solchen Mutante – wir sprechen z.B. von Irland und von Vereinigten Königreich, wo die B1.1.7 dominant geworden ist, die Mehrheit der


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Infektionen macht der aktuellen Neuinfektionen – auch dort wirken die klassischen Gegenmaßnahmen, wenn man sie ergreift. Und das heißt für mich im Umkehrschluss, wenn wir das machen, was wir schon länger verstanden haben, was notwendig ist in Deutschland, dass das wirkt. Auch wenn die Mutanten ins Land kommen. Und ich gehe davon aus, dass die irgendwann, bei uns auch dominant werden, früher oder später, dass wir aber mit der Mutante mit genau den gleichen Instrumenten klarkommen.



Camillo Schumann

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Und die große Frage: Wirken die Impfstoffe auch gegen die Mutationen? Die Hersteller Biontech und Moderna, beide mRNAHersteller, sagen ja, das zeigen NeutralitätsStudien des Nationalen Gesundheitsinstituts in Washington und der Uni von Texas. Ein neuer Impfstoff sei deshalb derzeit nicht erforderlich, heißt es in Stellungnahmen dieser beiden Firmen. Allerdings seien sie auch bereit, sofort zu reagieren, falls neue Varianten auftauchten. Die Hersteller beruhigen die Bevölkerung, beruhigen die Sie auch?



Alexander Kekulé:


Ich bin immer dagegen, sich aufzuregen. Sie merken ja, auch bei diesen Mutanten glaube ich immer, wir kriegen das in den Griff. Man muss da unterscheiden. Das eine ist die B1.1.7, die im Vereinigten Königreich erstmals nachgewiesen wurde. Wo sie herkommt, weiß ja keiner. Da haben wir aber die Version 2 .0, die aus Südafrika kommt, und die Version 3.0, die aus Brasilien kommt. Die heißen wirklich V2  und V3 in einer der Nomenklaturen, die wir da haben. Bei dem Impfstoff von Pfizer/Biontech ist es ja so, die haben gerade gestern das als Preprint veröffentlicht – und darauf bezieht sich auch die Pressemitteilung – von einer ihrer Vakzinierungs-Studien haben 2 0 Seren von geimpften Personen genommen. Und die haben das gemacht, was man eine Pseudovirusneutralisation nennt, einen Neutralisationstest, mit dem man guckt, ob diese Seren die Antikörper enthalten, nach der


Impfung in der Lage sind, in der Zellkultur die Virusvermehrung zu hemmen. Aber die Viren, die man sich anschaut, sind keine Coronaviren in dem Sinn, sondern man nimmt Labor-Viren, die man hat, und baut da ein Stück von Corona ein und lässt sich das vermehren. Solche Viren nennen wir Pseudoviren. Weil sie zusammengebaut sind. Und da haben die getestet, wenn man da Mutationen miteinbaut, wirken unsere Seren von eingeimpften Personen noch? Und da haben sie festgestellt, dass das im Prinzip im Schnitt halbwegs noch wirkt. Da ist kein großer Unterschied bei den mit den verschiedenen Mutationen. Und daraufhin haben sie die Pressemitteilung gemacht. Wenn man sich das genau anschaut, gibt es aber da 2 Pferdefüße dran. Der eine ist, dass diese – sowohl die britische Variante als auch die südafrikanische, als auch die brasilianische, ein Bouquet von Mutationen haben. Es sind acht oder neun Mutationen alleine in diesem berühmten Spike-Protein. Die haben von diesem Bouquet aber nur drei Mutationen eingebaut in ihre Pseudoviren. Die haben nur drei getestet. Zugegeben drei, von denen man glaubt, dass die besonders wichtig wären, aber nur drei. Und wenn man sich die Daten anschaut, stellt man fest, dass von diesen 2 0 Seren, die sie untersucht haben, bei der Hälfte eine gute Neutralisation gab – das heißt, da haben sogar die Antikörper, die in diesem Serum der Patienten waren oder der Probanden waren, die haben sogar besser gewirkt, ungefähr doppeltgut gewirkt wie normalerweise, wie gegen die mit den normalen Varianten. Da sagt man, hey super! Aber sechs von 2 0 haben doppelt so schlecht, also nur halb so gut gewirkt. Im Mittel gibt es sozusagen plus minus Null. Und das haben sie publiziert. Die Daten sind, würde ich mal sagen, nicht eindeutig, weil es unterschiedliche Gruppen gab, die unterschiedlich reagiert haben. Und man hat nur drei dieser acht oder neun Mutationen eingebaut und ein Protein, das ist ja ein Eiweißmolekül, das kann man sich als langen Faden vorstellen, der aufgeknäult ist, ähnlich wie ein komplett verwurschteltes


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Wollknäuel. Wenn die Katze die Oma beim Stricken überrascht hat. Und die haben bestimmte Konformationen, wie wir sagen. Die Form dieses Gesamtknäuls hängt von vielen kleinen Stellschrauben ab. Und es ist ein riesen Unterschied, ob sie nur drei Stellschrauben verändern, wie es gemacht wurde, oder das komplette Paket machen, was sich in der Variante sicher offensichtlich genetisch durchgesetzt hat, sonst wäre sie nichterfolgreich. Und da gibt es andere Studien, die das gemacht haben.



Camillo Schumann

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Wenn man die Studien vergleicht, wie würden Sie die einordnen?



Alexander Kekulé:


Ja, da gibt es 2 Studien, die das gemacht haben. Ich gehe da nicht im Detail darauf ein, aber die eine von den beiden ist von der Columbia University in New York. Der David Ho ist dort, das ist ein berühmter Mann aus der Aids-Forschung. Noch der wurde mal Man oft he year im Time Magazine genannt vor langer Zeit. Er kommt auch in meiner Vorlesung deshalb vor. Das ist die eine Studie. Und die haben die britische und die südafrikanische Variante untersucht. Und es gibt eine weitere Studie von Moderna zusammen mit der USGesundheitsbehörde NIH in der Nähe von Washington. Das ist die Behörde, wo der berühmte Toni Fauci arbeitet. Und die ist zu einem extrem ähnlichen Ergebnis gekommen: Sowohl Antikörper, die man aus älteren Studien hat oder auch für Therapien hat, die im Labor hergestellt wurden, sogenannte monoklonale Antikörper, haben die Eigenschaft, dass sie nur eine Stelle an einem Protein erkennen, in diesem Wollknäul sozusagen nur einen kleinen Ausschnitt sich anschauen und da anbinden oder nicht. Bei denen ist es so, dass eine deutliche Reduktion der Bindung stattgefunden hat, insbesondere bei der südafrikanischen Variante, und ein kleiner Effekt auch bei der britischen. Aber der ist nicht groß gewesen. Und dass vor allem die Seren von Personen, die entweder die Krankheit durchgemacht haben oder auch


geimpft wurden mit dem Biontechoder Moderna-Impfstoff eine Reduktion der Wirksamkeit dieser Antikörper, die da in dem Serum ist. Konkret in Zahlen hatte die eine Studie von David Ho 2 0 Patienten angeschaut und festgestellt, dass da die die B1.1.7 dreifach so schlechter festgehalten wird von den Antikörpern, und die südafrikanische etwa zehnbis 30-fach schlechter. Das ist ein erheblicher Effekt bei der südafrikanischen Variante. Und auch bei den Geimpften ist es so, dass das B1.1.7 etwas schlechter wirkt, zweifach schlechter als der normale zirkulierende Typ. Und bei den Geimpften bei dem südafrikanischen Virus ist es ungefähr sechsbis neunfach schlechter. Das heißt, bei der südafrikanischen Variante haben wir deutliche Hinweise darauf, dass sie sowohl bei der Impfung als auch bei Leuten, die die Infektion durchgemacht haben, vom Immunsystem nicht gut erkannt wird.


Und es gibt noch die brasilianische, die heißt bei uns V3, sozusagen Version drei. Da ist es so, dass es die unangenehmste von allen, da ist noch nicht getestet worden bis jetzt. Keine der beiden Studien hat es untersucht. Aber die Daten kann man ein bisschen extrapolieren, weil die Mutationen ähnlich sind. Da wird es mindestens so übel aussehen wie bei der südafrikanischen.



Camillo Schumann

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Übrigens eine kleine Vorlesungen zur monoklonalen Antikörpern in Ausgabe 143.


Die alles entscheidende Frage ist: Ist das leichte Irreführung der Öffentlichkeit durch diese Firmen, oder ist es zu vernachlässigen?



Alexander Kekulé:


In der Publikation, die ich gelesen habe – übrigens alles, was ich gerade besprochen habe, sind Preprints, die noch nicht von richtig von Gutachtern durchgeguckt wurden – steht klipp und klar drin, dass es eine Schwachstelle ist, dass sie nur drei Mutationen eingebaut haben und nicht die komplette Variante simuliert haben im Labor.


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Ich muss sagen, Presseleute lassen die Schwachstellen immer gerne weg. Ob das schon Irreführung ist, weiß ich nicht. Das ist ja auch ein bisschen Aufgabe der Wissenschaftsjournalisten, es nachzulesen, vielleicht auch diesen Podcast zu hören. Ich bin sicher, das wird auch in anderen Podcasts besprochen und der Öffentlichkeit zu erklären, was es damit auf sich hat. Aber man kann sich das klar vorstellen. In dem einen Fall ist etwas artifiziell getestet worden. Da sieht es noch gut aus, aber auch nicht nichtrichtig gut. Das geben sie ja zu, dass sie keine 100-prozentige Wirkung mehr haben. Und die anderen, die the real thing sozusagen immittiert haben, sehen klar, dass es eine Einschränkung der Impfstoffwirksamkeit bei beiden, Moderna und Pfizer, gibt. Und das ist leider auch bei Personen, die die Krankheit durchgemacht habe, klar.


Eine Einschränkung gibt insbesondere bei der südafrikanischen Variante und damit auch bei der brasilianischen, oder kurz gesagt: Wir sind in der Situation, dass wir damit rechnen müssen, dass, wenn die kommen – und das wird früher oder später der Fall sein – haben wir viele Leute, die zum 2 . Mal Sars-CoV-2 Infektionen bekommen können. Und ich würde sogar soweit gehen und vermuten, dass ein Teil der Menschen, die in der 2 . Welle noch mal – das ist ja ein erstaunliches Phänomen – noch einmal Covid bekommen haben, obwohl sie offensichtlich im Frühjahr schon mal hatten – ich glaube, dass das zum Teil schon auf die B1.1.7 aus Großbritannien zurückzuführen ist.



Camillo Schumann

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Ich glaube, man muss da auch auf die genaue Wortwahl achten. Wirken die Impfstoffe gegen die Mutation? Klar, selbstverständlich wirken sie. Aber wie gut wirken sie? Ich glaube, das sollte man beachten, wenn man durchs Internet streift oder Zeitung liest, dass man da genau hinschaut, wenn man sich diese Informationen zu Gemüte führen will, um das bewerten zu können.



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Ich versuche ja immer, am Schluss noch etwas Positives zu sagen. Was wird denn in Zukunft passieren? Es wird sein, dass immer mehr Varianten auftauchen. Das sind die ersten, die wir genauer angeschaut haben. Da werden mehr kommen. Und es werden Varianten kommen. Das ist normal. Das nennen wir auch Antigendrift. Das sehen wir auch bei anderen Viren, dass sich das langsam verändert. Das Virus wäre ja blöd, wenn es das nicht machen würde. Das wird passieren, wenn wir neue Varianten haben. Aber es werden immer mehr Menschen entweder durch Impfung oder durch natürliche Infektionen weltweit eine Immunität zumindest mal gegen eine Variante haben. Wenn die nächste kommt, wird man nicht mehr schlimm krank. Da ist das Immunsystem schon mal gebrieft gegen das eine. Ja, da kriegt man trotzdem noch eine Infektion. Aber man wird nicht mehr schwer krank. Es kommt die übernächste und die übernächste. Und deshalb glaube ich, dass wir vielleicht in einem Jahr in der Situation sein werden, dass die Weltbevölkerung in der Lage ist, dass wir alle Immunität gegen irgendeine Variante dieses Sars-Cov-2  haben und dass die neuen Varianten immer harmlosere Erkrankungen machen, sodass es zwar neue Varianten gibt, aber die werden uns nicht mehr stärker plagen, als es die Grippe macht. Und das ist auch deshalb wichtig, weil es wird ja viel diskutierte, höre ich auch von Kollegen oft diese wichtige Bedenken: Gibt es überhaupt sterilisierende Immunität? Wird es sein, dass Menschen, die geimpft sind, das Virus nicht weitergeben können? Das ist ja eine Diskussion, die immer mit den neuen Freiheiten für Geimpfte verbunden wird. Da kann man klar sagen, das wird nicht sein! Sterilisierende Immunität bei einem Virus, das sich ständig verändert, wird es nicht geben, sondern wir werden immer Geimpfte haben, die sich auch mit neuen Varianten anstecken können. Und obwohl sie selber weniger schwer krank werden, ein bisschen das Virus weitergeben können.


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Aber was bedeutet es insgesamt, wenn wir die Alten schützen? Und das ist ja sowieso unser Konzept, dafür zu sorgen, dass besonders die Risikobevölkerung halbwegs in Deckung geht. Und irgendwann ist es so, dass die Weltbevölkerung halbwegs durchimmunisiert ist, vor allem die Jungen, die danach kommen. Ich glaube, im Jahr werden 100 Millionen Menschen geboren, habe ich irgendwann mal gelesen. Wenn die infiziert werden in jungen Jahren, wie wir es bei den klassischen Kinderkrankheiten haben, wo praktisch keine Symptome da sind, ihnen nichts weh tut, dann sind sie, wenn sie älter sind, halbwegs immun gegen dieses Virus, sodass auch Sars-CoV-2  sozusagen seinen Schrecken verlieren wird. Ob und obwohl es Varianten gibt und vielleicht sogar gerade, weil es Varianten gibt, weil dadurch die Menschen immer wieder eine Challenge kriegen, wie wir sagen, eine neue Provokation fürs Immunsystem. Und im Laufe der Zeit ist man gegen alles gewappnet, was daherkommt.



Camillo Schumann

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Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Rosi hat gemailt:


“Mich würde interessieren, ob die gängigen Corona-Tests, PCR, Antigen, auf die neuen Corona-Mutationen überhaupt reagieren. Oder kann es sein, dass die Fallzahlen sinken, weil die Mutationen durch die gängigen Tests nicht erfasst werden? Mit freundlichen Grüßen.“



Alexander Kekulé:


Bei dem PCRs haben wir das voll im Griff. Wir wissen, dass die britische Mutation an einer Stelle von einem bestimmten Test einen Ausfall erzeugt. Aber der ist genau bekannt. Das wird keiner heutzutage mehr übersehen. Und bei den Antigen-Schnelltest ist es, da weiß ich nicht bei allen Tests wie die funktionieren, aber der, der in Deutschland viel verwendet wird und von Roche vertrieben wird, der geht gegen das Nukleokapsid des Virus, nicht gegen dieses Spike-Protein, der stellt also nicht das Spike-Protein fest, was da außen drauf ist, sondern den anderen Teil von dem Virus, der


von diesen Varianten kaum betroffen ist. Das ist relativ stabil, und das sind ja auch typischerweise keine monoklonalen Tests, die nur eine kleine Stelle des Virus erkennen, sondern typischerweise macht man die mit Tier-Seren, wo eine Mischung von Antikörpern drin ist. Und dadurch, würde ich sagen, ist ein Ausfall bei seinem Antigen-Schnelltest durch die Variante extrem unwahrscheinlich.



Camillo Schumann

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Damit sind wir am Ende. Und wir haben mal wieder eine positive Nachricht. Zum Schluss – das hatten wir lange nicht – nach mehr als 300 Tagen im Krankenhaus ist der 74 Jahre alte Covid-Patient Joffrey Wolf in London endlich nach Hause entlassen worden. Der Mann war im März 2 02 0 schwer erkrankt und danach über 2 Monate lang künstlich beatmet und ins Koma versetzt worden. Zwischenzeitlich gab es kaum noch Hoffnung. Auch die Familie hat ihn fast schon aufgegeben. Aber im Juli wachte er unerwartet auf. Er hat er noch einen Schlaganfall bekommen. Jedenfalls konnte er nach 300 Tagen, nach fast einem Jahr das Krankenhaus wieder verlassen. Ist das nicht eine schöne Nacht?



Alexander Kekulé:


Das finde ich auch. Vor allem sieht man, was die Intensivmedizin leisten kann. Das ist ja unglaublich, was wir da inzwischen für Möglichkeiten haben. Das hätte man sich vor 30 Jahren nicht vorstellen können.



Camillo Schumann

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Damit sind wir am Ende von Ausgabe 144. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin. G



Alexander Kekulé:


Gerne, ich freue ich mich darauf. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


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0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


Übrigens: Sollten Sie durch die CoronaPandemie Probleme mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Vermieter oder andere rechtliche Dinge zu klären haben, hilft Ihnen „der Rechthaber“ weiter. Der Podcast für juristische Alltagsprobleme mit dem Anwalt Thomas Kinschewski. Klicken Sie rein www.derrechthaber.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Dienstag, 2 6.01.2 02 1 #143: Wir beginnen das Überholmanöver



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Ist B.1.1.7 gefährlicher? Stellungnahme SAGE (Scientific Advisory Group for Emergencies) (2 1.01.2 02 1): https://assets.publishing.service.gov.uk/govern ment/uploads/system/uploads/attachment_da ta/file/9552 39/NERVTAG_paper_on_variant_o f_concern__VOC__B.1.1.7.pdf



Camillo Schumann

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Dienstag, 2 6. Januar 2 02 1.


Ist die britische Virus-Mutation gefährlicher oder nicht? Britische Wissenschaftler haben zumindest einige Hinweise. Wie sind die zu bewerten?


Dann: Weniger Neuinfektionen, immer mehr Geimpfte. Haben wir das Virus überholt?


Außerdem: In Deutschland sollen ab nächster Woche noch nicht in der EU zugelassene Antikörper-Mittel eingesetzt werden. Was muss man dazu wissen.


Und: Kann das Virus in meinem Körper mutieren und meinen Partner oder meine Partnerin erneut anstecken?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Wo stehen wir in der Pandemie? Der Blick auf die Zahlen gibt zumindest einen Hinweis. In Deutschland sind binnen eines Tages mehr als 6.400 Neuinfektionen im Robert-Koch-Institut gemeldet worden. Vor 2 Wochen waren es noch doppelt so viele, nämlich 12 .800. Und die 7-Tage-Inzidenz für Gesamtdeutschland liegt bei rund 108. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?



Alexander Kekulé:


Die Zahlen sprechen für sich. Der Lockdown wirkt, die Zahlen gehen runter. Das war ja schon seit ein paar Tagen zu beobachten. Und wenn es kein Unglück gibt, dann landen wir Mitte Februar in einem Bereich, wo man in eine andere Phase übergehen kann und aus meiner Sicht diesen radikalen oder doch relativ drastischen Lockdown beenden kann.


01:48



Camillo Schumann

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Sie haben gesagt, Mitte Februar werden die Lockdown-Maßnahmen auslaufen. Dann werden wir uns in einer neuen Phase befinden. In welcher Phase befinden wir uns jetzt und in welcher Phase werden wir uns dann befinden?



Alexander Kekulé:


Wir sind jetzt im Endstadium der Phase, wo es etwas außer Kontrolle ist. Und wir sind Mitte Februar voraussichtlich in einer Phase, wo wir die Lage wieder unter Kontrolle haben werden. Ich sehe auch viele Maßnahmen, die zwar angeordnet wurden kürzlich, die aber noch nicht voll implementiert sind. Z.B. gibt es seit Kurzem Jahr bessere Handreichungen für die Altenheime. Es gibt Überlegungen, wie die Schnelltests in den Altenheimen von anderen Leuten gemacht werden können als dem Personal, was da arbeitet. Es gibt v.a. im gesamten beruflichen Umfeld zumindest mal von oben die Ansage, dass eine Maske zu tragen ist. Ich muss sagen, meine private kleine Stichprobe sieht anders aus. Sowohl Taxifahrer


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als auch Paketboten haben keine Masken auf und behaupten steif und fest, es sei in ihrer Region jeweils erlaubt. Immer noch. Aber es geht zumindest in die richtige Richtung. Ich glaube, dass diese Maßnahmen, die da sehr spät, aber doch irgendwann beschlossen wurden, dass die einen Effekt zeitigen werden und zwar auch noch in den nächsten Wochen. Es kann sogar noch zu einer verstärkten Bremswirkung kommen, v.a. wenn im betrieblichen Bereich die Anordnungen auch konsequent umgesetzt. Und dann gibt es ja auch noch diese kleine Sache mit den FFPMasken, die angeordnet wurden. Ich glaube, das wird keinen Rieseneffekt haben, aber irgendeinen Effekt wird man sehen. Und auch das hat sich ja noch nicht eingepreist in den Zahlen.


03:32 



Camillo Schumann

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Mitte Februar, haben Sie gesagt, werden wir also die Situation einigermaßen wieder unter Kontrolle haben. Was heißt „unter Kontrolle“? Für die Politik heißt „unter Kontrolle“ eine Inzidenz um die 50 und die Nachverfolgung wird wieder möglich? Was bedeutet es für Sie?



Alexander Kekulé:


Im Grunde genommen so ähnlich. Ich mache das nicht an diesen 50 fest. Die 50 sind ein gutes Alarmsignal, wenn Politiker die Bundesländer unter einen Hut bringen und so eine Art Corona-Ampel haben wollen, damit die Ministerpräsidenten nicht alle durcheinanderreden. Dafür ist das eine Zahl, auf die man sich einigt und bei der man sagt, okay, wenn die überschritten wird, müssen wir etwas tun, und zwar jeder, ob er will oder nicht. Dafür war das ein adäquates Mittel. Aber wenn Sie so wollen, ist es eigentlich ein politisches Mittel, was damals auch dringend notwendig war. Rein epidemiologisch kann man das so nicht sagen, weil die Kapazitäten der Gesundheitsämter unterschiedlich sind. Es kommt v.a. darauf an, ob sich die Infizierten überhaupt beim Gesundheitsamt melden. Mein Eindruck ist, dass wir eine Riesendunkelziffer haben von Personen, die ihre Erkrankung gar nicht mehr dem Gesundheitsamt mitteilen. Vielleicht wissen sie


sogar zum Teil definitiv, dass sie Covid19 haben, weil sie einen Schnelltest machen lassen haben. Aber die Schnelltests werden ja entgegen der Idee des Seuchenschutzgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes gar nicht gemeldet und erscheinen gar nicht auf der Liste des Robert-Koch-Instituts. Da gibt es relativ viele Fragezeichen in dem Bereich. Wie viele Bürger machen da mit? Was wird da gemeldet? Was fließt in die Inzidenz ein? Und dann die unterschiedlichen Kapazitäten der Gesundheitsämter. Wenn mal ein Ausbruch irgendwo an einem konkreten Ort ist – wir haben ja leider immer noch Ausbrüche in Altenheimen, auch in Krankenhäusern immer wieder – das sind ja komplett vermeidbare Situationen, aber für das Gesundheitsamt relativ einfach. Denn da wissen sie, wo die Fälle sind, da können sie das dort lokalisieren. Und dann haben Sie gleich sieben mit einem Streich. Das ist anders, als wenn sie auf dem platten Land plötzlich einen positiven Fall haben. Und der sagt Ihnen nicht, wo er es her hat, vielleicht weil er niemandem denunzieren will. Und daher finde ich so eine Kombination besser. Einerseits brauchen wir, um umzusteigen auf ein anderes Konzept – als ein Beispiel habe ich ja dieses Smart-Konzept schon länger mal vorgeschlagen – brauchen wir erstens eine Fallzahl, eine Inzidenz, die das überhaupt zulässt. Da würde ich mal sagen, die soll stabil unter 50 sein. Und zweitens brauchen wir auch Grüne Lampen bei allen Gesundheitsämtern, dass die sagen, jawohl, bei uns sieht es okay aus. Wir glauben, die Lage ist so halbwegs im Griff, weil das individuell von den etwa 400 Gesundheitsämtern eigentlich nur jedes Amt selber sagen kann. Und wenn die alle den Daumen heben und die Gesamtdurchschnittsinzidenz in einem vernünftigen Bereich ist, dann können wir auf eine Strategie umsteigen, die einen Gleichgewichtszustand von Neuinfektionen aufrechterhält, statt immer dieses Auf und Ab, was wir bis jetzt hatten.


06:39



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, wie es dann Mitte Februar sein wird und wie sich die Zahlen entwickelt


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haben. Sie haben mal gesagt, wenn die Zahl der Impfungen größer ist als die Zahl der Dunkelziffer der Neuinfektionen, dann wäre das ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Pandemie. Jetzt haben wir ca. 6.400 Neuinfektionen, Dunkelziffer mal fünf bis zehn, und rund 61.000 Impfung am Tag, also zehnmal so viel. Haben wir das Virus überholt?


07:04



Alexander Kekulé:


Wenn man diese groben Schätzungen, die ich da aufgestellt habe, für bare Münze nimmt, dann würde man sagen, ja, wir sind gerade im Überholmanöver. Und wir sind ja bei den Impfungen erst am Anfang. Um im Bild zu bleiben: Wir beschleunigen ja erst, trauen uns nicht richtig aufs Gas zu treten, weil wir wissen, dass an der Tankstelle nicht so viel Benzin da ist. Der Impfstoff ist ja ist sehr knapp, und jeder weiß, wenn der Tank halb leer ist und man will irgendwo ankommen, dann tritt man auch nicht so fest aufs Pedal. Das heißt, da ist noch Luft. Und ich glaube, dass wir in den nächsten Wochen bei den Impfungen richtig beschleunigen können. Da wird dann dadurch, dass es ja dann hoffentlich auch irgendwann mal wärmer wird, der Moment eintreten, wo die Impfungen einen deutlicheren epidemiologischen Effekt haben als die Erkrankungen selber. Und das Wichtigste ist: Vom ersten Tag an haben die Impfungen ja einen starken Effekt, einen selektiven Effekt auf die Sterblichkeit, Mortalität in dem Fall, weil wir ja die Risikopersonen, speziell die Alten, zuerst impfen.


08:12 



Camillo Schumann

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Da kommen ja die Meldungen über Lieferengpässe bei den Impfstoffherstellern ja gerade zur Unzeit, wenn wir gerade versuchen, so richtig aufs Gas zu drücken und das Virus rechts zu überholen, oder?



Alexander Kekulé:


Das Thema haben wir auch im Podcast schon oft angesprochen. Ich verstehe, dass die Presse da jedes Mal aufgeregt ist und dass Politiker


dann jedes Mal die Kamera suchen, um mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen. Meistens sind es die gleichen Politiker, die vorher selbst irgendetwas verschlafen haben. Das ist eine riesige logistische Herausforderung. Und wenn man das in den letzten Jahrzehnten beobachtet hat, wie oft da mal der Grippe-Impfstoff nicht richtig geliefert wurde, wie oft von den Standardimpfungen, die im Jugendalter und Kindesalter empfohlen werden, irgendwelche Engpässe waren, weil ein Hersteller auch nur eine einzige Charge irgendwie vermasselt hatte. Im Vergleich dazu läuft es gut. Und das ist ja alles das erste Mal: Die Fabrik wird hingestellt, die Leute werden zum Teil neu eingestellt, das Rezept ist neu. Und dann setzen die sich hin und produzieren nicht mal so ein bisschen, sondern Unmengen. Und das wäre doch ein Wunder, wenn es auf Anhieb klappt. Darum kann ich nur sagen, dieses Aufgeregte „Wieso ist der Impfstoff nicht da?“, Wieso übermorgen, und nicht gestern?“, das beobachte ich selbst im europäischen Ausland nicht. Also das ist in Deutschland besonders stark, dass man da ein Riesenthema draus macht.


09:41



Camillo Schumann

:


Die Infektionszahlen gehen zurück, die Impfungen kommen gut voran. Das sind die guten Nachrichten.


Auf der anderen Seite haben wir mehrere Virus-Mutationen im Land. Besonders die in Großbritannien entdeckte Variante macht der Politik doch große Bauchschmerzen. Kanzleramtschef Helge Braun hat am Sonntag bei Anne Will Folgendes gesagt:


09:59


„Wir sehen ja momentan, dass wir in mehreren Krankenhäusern auch schon mit der Mutante zu tun haben. Das heißt, das ist bei uns im Land angekommen. Und deshalb wird sie irgendwann so wie in den anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen. Und da bin ich sehr sicher.“


3


10:16



Camillo Schumann

:


Teilen Sie die Einschätzung von Helge Braun, dass die britische Virus-Mutation die Führung in Deutschland übernehmen wird?



Alexander Kekulé:


Ja, ich teile seine Einschätzung zu ungefähr einem Drittel. Erstens sagt er, es ist angekommen im Land. Nein, das war schon da. Wir haben es nur vorher nicht festgestellt und jetzt suchen wir danach. Zweitens wird es die Führung übernehmen. Das ist das Drittel, was 100-Prozent richtig ist. Wenn Sie mehrere Varianten haben und da ist eine dabei, die hat sich schon in mehreren anderen Regionen in Großbritannien, also in Teilen Englands, um genauer zu sein – in Irland und auch in Teilen der USA ist es ja inzwischen auch schon gemessen worden – da hat sich diese B1.1.7Variante ja ganz konkret durchgesetzt. Und deshalb wissen wir, die setzt sich gegen die alten Varianten durch, aus welchen Gründen auch immer. Da gibt es ja mehrere Gründe dafür. Und die wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf dem europäischen Festland durchsetzen. Das ist quasi so sicher wie damals die G-Variante, die sich in Italien durchgesetzt hat und dann in der Welt verbreitet wurde.


Aber der dritte Teil ist, dass sie uns Probleme machen wird, wenn ich das richtig gehört habe. Da ist die Frage: Natürlich macht uns Covid19 Probleme. Und das Sars-CoV-2 -Virus mit seinen vielen Varianten macht uns Probleme, v.a. wenn wir unsere Hausaufgaben beim Abdichten der diversenSchlupflöcher in dem Fall nicht gemacht haben. Aber das ist kein anderes Problem. Ich hatte ja fast schon befürchtet, als Boris Johnson am Anfang politisch angegriffen war und kritisiert wurde wegen seiner mangelnden CoronaMaßnahmen und dann plötzlich vor Weihnachten alles auf diese neue Variante geschoben hat. Er hat dann gesagt, die Variante ist da, ich kann dafür gar nichts. Ich hatte da so ein bisschen befürchtet, dass wir so eine Tendenz auch in anderen Ländern bekommen. Und ich kann nur noch einmal davor warnen: Wir müssen unseren Job


machen. Wir müssen die Dinge machen, die schon immer anstanden. Und dann wird uns auch diese neue Variante nichts tun. Und wir sollten da nicht anfangen, so eine Dolchstoßlegende aufzusetzen, dass jedes Problem, was in Deutschland entsteht, an der neuen Variante liegt.


12 :2 6



Camillo Schumann

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Weil Sie Boris Johnson angesprochen haben: Die große Frage ist ja: Ist die in Großbritannien entdeckte Virus-Variante B1.1.7 auch gefährlicher, also biologisch gefährlicher? Richtet sie größeren Schaden an? Hat sie sich so verändert, dass sie auch gefährlicher im Sinne von tödlicher ist? Bisher ist man ja nur von einer deutlich stärkeren Übertragung ausgegangen. Doch dann hat der britische Premier Boris Johnson vor ein paar Tagen mit folgender Aussage überrascht:


12 :55


„I must tell you this afternoon that we’ve been informed today that in addition to spreading more quickly it also now appears that there is some evidence that the new variant that was first identified in London in the southeast may be associated with a higher degree of mortality.“


12 :56


Johnson sagt, dass die Variante des neuartigen Virus mit einem höheren Sterblichkeitsgrad verbunden sein könnte und er benutzt auch die Begriffe „Evidenz“ und „vielleicht“. Was haben Sie gedacht, als Sie diesen Auftritt von Boris Johnson gesehen haben?



Alexander Kekulé:


Den habe ich unmittelbar verfolgt. Und es war so, dass der die Leitungen international heiß laufen ließ. Es ist ja so, dass dann sofort die Zoom-Konferenzen gestartet werden. Evidence heißt auf Deutsch sinngemäß Beweis. Aber wenn man auf Englisch sagt „there is evidence for“, dann heißt das nicht, dass es bewiesen ist, sondern das heißt, wir haben sozusagen wissenschaftliche Belege dafür, dass es so sein könnte. Das ist nicht gleichzusetzen mit


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„bewiesen“. Er hat es korrekt formuliert. Aber wenn ein Ministerpräsident so etwas so klar sagt, dann glaubt man, dass da eine ernste Gefahr dahinter ist. Ich würde mal sagen, wir wissen bis heute noch nicht genau, wie viel Evidenz dafür vorhanden ist, weil die Publikationen, aus denen das hervorgeht, bisher noch nicht öffentlich sind.


14:2 8



Camillo Schumann

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Die große Frage ist: Wie kommt er denn da drauf? Wer hat ihm das gesagt? Woher hat er diese Informationen? Sie haben die ZoomKonferenzen angesprochen. Sie sind dann sozusagen auf die Suche gegangen, wie er denn an diese Informationen gekommen ist. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist nachher auch publiziert worden. Es gibt in Großbritannien dieses SAGE-Komitee, das heißt


. Das ist eine tolle Sache, muss man sagen. Das ist ein hochkarätig besetztes


Gremium, das auch widersprüchliche Köpfe drinnen hat. Also Leute, die sich, wenn sie wahrscheinlich nicht gerade im Meeting sitzen, außerhalb dieser Situation doch durchaus mal fetzen, weil sie unterschiedliche Meinungen haben, und die dann gemeinsam die Regierung beraten. Sie ahnen, warum ich das so herausstelle. In Deutschland ist es doch eher so, dass die Regierung den einen oder anderen Berater herauspickt und leider die Empfehlung der WHO, dass man im Pandemiefall eine Pandemiekommission macht und einen Stab hat auch von Beratern, die unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Fächer repräsentieren und dann versucht, die in den Konsens zu bringen, das hat man in Deutschland absichtlich und bewusst unterlassen. Stattdessen sucht sich die Politik immer ihre eigenen Berater. Jedes Bundesland hat seinen eigenen Beraterstab, zum Teil Inoffizielle, zum Teil sind die ja, wie z.B. in Nordrhein-Westfalen oder in Bayern, offiziell benannt. Die Bundesregierung hat einzelne Personen, die immer wieder als Berater eingeladen werden. Die einen nutzen die Wissenschaftler dann von Fall zu Fall, wenn es


passt, irgendwie auch als Begründungshilfe. Die Wissenschaftler sind zum Teil, glaube ich, auch nicht so glücklich darüber. Und deshalb wäre mir so eine formale Kommission lieber. Es gab da ja mal die Schutzkommission beim Bundesinnenministerium, die in solchen Dingen auch den Bundestag und die Regierung beraten hat, die leider aufgelöst wurde schon vor vielen Jahren. Aber so was Ähnliches bräuchte man. Also lange Rede, kurzer Sinn: In England heißt es SAGE und ist eine gute Einrichtung. Ich habe die vor Jahren schon im Zusammenhang mit der Schweinegrippe erlebt. Da waren tolle Leute dabei. John Oxford war damals mit drin. Bei Ebola haben sie gute Arbeit gemacht. Die haben dafür gesorgt, dass Großbritannien wesentlich effektiver als Deutschland geholfen hat, bei dem EbolaAusbruch 2 014 in Westafrika. Und beim ZikaVirus 2 015 hat das SAGE bessere Empfehlungen gegeben als die WHO. Die waren nämlich bei diesem Ausbruch in Südamerika etwas realistischer und gelassener. Nun gut. Und jetzt sitzen sie also da.


Das SAGE hat also gerade ein Meeting gehabt und die haben sich Daten vorstellen lassen von britischen Kollegen, die möglicherweise auf diese erhöhte Infektiösität hindeuten würden.


Und das ganze wurde veröffentlicht im NERVTAG Paper. Können Sie vielleicht ein paar Worte dazu verlieren?



Alexander Kekulé:


Ja, da gibt es dann wiederum so eine andere Gruppe, die heißt Nervtag. Toller Name. Das ist also kein neues Computerspiel oder Schießgerät für kleine Kinder, sondern heißt New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group. Das ist also die Beratungsgruppe für neue und neu aufkommende Atemwegsviren zuständig ist. Wenn man so will, eine Art Satellit von SAGE. Und da sitzen also das Who is Who der britischen Infektionsforscher. Die meisten keine Corona-Experten, weil Corona ein Virus ist, was bisher nicht groß aufgefallen ist. Die meisten kommen eher so aus der Epidemiologieoder Influenza-Richtung oder sind Pandemie-Experten. Und die haben sich


Scientific Advisory Group for


Emergencies



Camillo Schumann

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vier Arbeiten angeschaut. Und die habe ich versucht, ein bisschen nachzuvollziehen, um kurz zu sagen, was da drin steht. Das ist nämlich die Basis für das, was auch Boris Johnson da gesagt hat.


Es gibt eine Arbeit, die hat Nick Davies gemacht von der London School of Hygiene und Tropical Medicine. Das ist neben dem Pasteur-Institut die weltweite Referenz für Tropenmedizin. Und Nick Davies ist dort ein schon lange bekannter Mann. Die haben sich, also alle vier Arbeiten haben sich die Daten angeschaut, die man in England hat. Und zwar einerseits die Ergebnisse der PCR-Tests. Die haben da die sogenannten Pillar-2 -Testings, also Tests auf Ebene zwei. Das heißt, das sind solche Tests, die nicht gemacht werden, um im Krankenhaus eine Diagnose zu stellen, sondern z.B. wenn Altenheime durchgecheckt werden, oder bei Hintergrund-Tests, um irgendwo mögliche Infektionen festzustellen. Man würde vielleicht bei uns sagen, vorsorgliche Tests oder so. Die sind dort alle erfasst. Und man hat dann auch zugleich die Statistik gehabt von Public Health England, also von dem großen öffentlichen Gesundheitswesen dort, wer an Covid gestorben ist in den Regionen. Und dann hat man quasi die Testergebnisse regional mit riesigen Zahlen ge-matcht, also per Computer mit den Todesfällen abgeglichen. Und da kam bei der Analyse der London School raus: Wenn man guckt, 2 8 Tage nach dem Test, also nach vier Wochen. Und da hat man solche miteinander verglichen, die in der PCR aussehen wie der normale Typ, also das normale Virus, mit denen, die aussehen wie B1.1.7. Ich sage deshalb „aussehen“, weil man ja nicht alles einzeln durchsequenziert hat, sondern man nimmt da diesen Ausfall eines der Tests, der einen Teil vom S-Gen analysiert. Diesen sogenannten S-Dropout nimmt man quasi als Proxy, als Ersatzparameter, für dieses B1.1.7. Weil das B1.1.7 freundlicherweise in einem bestimmten PCR-Test, eben in diesem bestimmten S-Gen-Test, negativ ist und sonst aber in allen Tests nachweisbar. Und darum sagt man, okay, eine Variante, die sonst positiv ist in der PCR, wo nur dieser eine Parameter ausgefallen ist, die zählen wir einfach als B1.1.7. Und wahrscheinlich stimmt das auch. Und da ist es eben so, dass diese neue


Variante, die B1.1.7, eine 1,3-fach höhere Sterblichkeit hat. Genauer 1,35 also, oder andersherum gesagt: eine 35 Prozent höhere Sterblichkeit. Etwas Ähnliches hat Neil Ferguson vom Imperial College in London gemacht. Neil Ferguson ist ein alter Hase, den wir schon ewig kennen aus Influenza Statistiken, einer der großen Epidemiologen. Ich glaub, ich tue ihm nicht weh, wenn ich sage, er ist immer einer von denen, die etwas aufgeregter sind als seine Kollegen. Wenn er seine Vorträge hält, ist es meistens so, dass man ein bisschen Gänsehaut kriegt hinterher. Egal ob es um Ebola geht oder Influenza. Und der kommt – wen wundert es – auf eine etwas höhere Zahl, er kommt auf ein 36 Prozent höheres Risiko.


Und dann gab es noch eine Studie von Kollegen aus Exeter, die ich nicht persönlich kenne. Die sagen sogar 91 Prozent höher für die Mortalität. Und dann gab es noch eine KohortenAnalyse von diesen Daten von Public Health England, die wir schon mal besprochen haben, wo man so zufällig, quasi randomisiert, irgendwelche Leute analysiert hat und geguckt hat: Sterben die? Sind die positiv oder nicht? Bei der Kohorten-Studie kam raus, dass tendenziell das relative Risiko, mit der B1.1.7Variante im Vergleich zu der Standardvariante zu sterben, bei 1,65 liegt. Oder andersrum gesagt, 65 Prozent mehr Sterbewahrscheinlichkeit.


2 2 :10



Camillo Schumann

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Wenn ich diese Zahlen höre, rutscht mir ein wenig das Herz in die Hose. Und wenn ich mir überlege, wenn sich B1.1.7 bei uns verbreitet, müssen wir mit noch höheren Todeszahlen rechnen. Aber Sie lesen die Studie ein bisschen anders?



Alexander Kekulé:


Das sieht erst einmal dramatisch aus. Aber: Hier wurden ausgewertet von allen Todesfällen, die man überhaupt hatte, nur acht Prozent. Diese Untersuchungen beziehen sich im Prinzip auf die gleiche Datenbasis, und zwar eine indirekte Datenbasis. Und man hat insgesamt nur acht Prozent der Todesfälle da


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drin gehabt. Und es gab extreme Schwankungen zwischen den einzelnen Regionen, wo es auch so aussah, dass man die deutlichsten Effekte, also sozusagen das größte relative Risiko der neuen Variante, immer dann gesehen hat, wenn die Zahlen ziemlich klein waren. Und es ist klar, wenn Sie nur drei Fälle in einem Land haben und davon 2 mit der neuen Variante und einer mit der alten Variante angesteckt sind, dann würden Sie sagen, okay, die neue Variante ist doppelt so tödlich. Da kämen Sie also auf plus 50, plus hundert Prozent. Aber das ist eben leider die Schwäche von kleinen Zahlen. Wir sagen, die statistische Power von diesen Ergebnissen ist nicht besonders gut. Und das ist auch von vielen Kollegen hinterher auseinandergenommen worden. Und man hat gesagt: Ja, wenn man sich das runterrechnet und guckt: Wie signifikant sind die Einzeldaten? Wie sicher ist z.B. auch, wie die Fälle festgestellt wurden? Waren das überhaupt Covid-Fälle? Oder hat man nur eine positive PCR gehabt und jemand ist an etwas anderem gestorben? Wie war die Übertragungssituation? Da gibt es quasi eine lange Liste von Dingen – von der Quantifizierung, also wenn da so etwas wie 60 Prozent mehr, 35 Prozent mehr im Raum steht –, die kann man absolut nicht unterschreiben, das ist vollkommen unklar. Und ob es überhaupt einen vielleicht kleinen Effekt gibt, das ist, würde ich sagen, nicht auszuschließen. So kann man es vielleicht formulieren, und möglich. Darum hat dieses Komitee auch gesagt – wenn man nicht nur auf Boris Johnson schaut – , da ist eine realistische Möglichkeit, „a realistic possibility“, dass es ein erhöhtes Todesrisiko mit B1.1.7 gibt, aber mehr nicht.


2 4:38



Camillo Schumann

:


Das heißt, dass es einen Hinweis gibt, aber keinen Beweis. Aber wie schwer wiegt denn dieser Hinweis in der wissenschaftlichen Diskussion? Ist das etwas, was man definitiv verfolgen sollte, oder ist das zu vernachlässigen?



Alexander Kekulé:


Das ist eben genau der Punkt. Dann gibt es


Leute wie mich, die sagen, ich habe die Daten verstanden. Und ich lese aber auch, dass selbst die Kollegen, die das selber vorangebracht haben, einschließlich z.B. Neil Ferguson, den ich auch schon erleben durfte und der ja selbst in der Kommission, im SAGE-Kommittee sitzt, selber sagen am Schluss des Tages, es ist nur eine realistische Möglichkeit. Und dann haben sie dann extra so eine schöne Scala, denn Wissenschaftler sind bei so etwas immer exakt – übrigens Richter wollen das von Gutachtern auch immer so haben. Da haben sie so eine Skala, auf der steht, was heißt denn „realistische Möglichkeit“? Also z.B. wenn Wissenschaftler sagen, etwas ist „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, dann meinen die sozusagen hundert Prozent. Aber diese Zahlen nehmen Wissenschaftler ungern in den Mund. Also 99 meinen die. Und „realistische Möglichkeit“ heißt nach Definition von SAGE, dass es bis zu 50 Prozent wahrscheinlich ist, also weniger als 50 Prozent wahrscheinlich. Da sagt man natürlich, wenn man von der anderen Seite draufguckt: Okay, ihr seid euch also sicher, dass es zu über 50 Prozent, also zu mindestens 50 Prozent Wahrscheinlichkeit eure Aussage nicht stimmen. Es ist nicht einmal fifty-fifty. Es ist auf jeden Fall unter fifty-fifty die Möglichkeit, dass hier die Sterblichkeit höher ist. Und damit meinen die im Grunde genommen, man muss es weiter verfolgen. Wir werden in der nächsten Zeit vielmehr Daten haben. Das Problem ist ja immer: Die Todeszahlen hinken den Infektionen weit hinterher, sodass man durch diesen Versatz eine Störung da drinnen hat. In den nächsten drei, vier Wochen werden wir auf jeden Fall aus England die sauberen Daten hören. Was dabei rauskommt, weiß natürlich keiner. Wissenschaftlich gesehen ist es so – weil ja der Hörer vielleicht auch eine Take-Home-Message haben will:


Jetzt nehmen wir mal an, wir hätten 30 Prozent mehr Sterblichkeit. Es ist so, dass die durchschnittliche Sterblichkeit mal so grob bezogen auf Infektionen für einen 60-Jährigen vielleicht bei einem Prozent liegt. Der 60Jährige hätte also statt ein Prozent Wahrscheinlichkeit, an Covid zu sterben, 1,3 Prozent. Es ist aber für jemanden, der z.B. über 70 ist oder über 80 und der sowieso mit einer


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zehn Prozent Sterblichkeit konfrontiert ist im Fall der Infektion, ein hohes Risiko hat. Da ist es völlig wurscht, ob das ein paar Prozent mehr sind. Für den ist nur wichtig, er muss verhindern, dass er die Krankheit kriegt. Und umgekehrt die Jungen, die sowieso fast kein Risiko haben, daran zu sterben: Wenn sie fast Null mit 1,3 multiplizieren, dann haben sie immer noch so etwas wie fast Null. Das heißt, es ändert im Grunde genommen nur kosmetisch diese Verlaufskurve. Für die individuellen Risikobewertungen ändert es absolut nichts. Sodass ich davor warne ... Falls rauskommen sollte, dass da ein bisschen was dran ist – und das ist ja noch gar nicht raus – warne ich davor, zu sagen: Oh je, jetzt haben wir die nächste Katastrophe. Aber das ist eben wichtig. Andere Wissenschaftler blicken auf genau die gleichen Daten und kommen zu anderen Ergebnissen. Und das ist mir ganz wichtig, dass man das versteht. Wissenschaft ist eben nicht so, dass man Daten hat, und aus den Daten ist eindeutig ein Ergebnis abzuleiten. Sondern selbst hochintelligente Leute, die es ernst meinen, die nicht von der Pharmaindustrie bestochen wurden oder einen Aluhut aufhaben, kommen – wenn sie die Dinge anschauen – manchmal zu unterschiedlichen Bewertungen. Ich weiß, dass da auch nicht alle Wissenschaftler der gleichen Meinung sind. Aber so sehe ich das.


2 8:37



Camillo Schumann

:


Wenn wir da mal so ein Fazit ziehen wollen. Es ist wichtig, dass wir darüber geredet haben. Denn wenn sich ein Regierungschef – in dem Fall Boris Johnson – hinstellt und so etwas sagt, muss man den Hintergrund erklären. Das haben wir getan.


Aber wenn man irgendwo in den kommenden Tagen eine Überschrift liest und Deutschland „britische Variante tödlicher“, dann stimmt das so erstmal nicht, oder?



Alexander Kekulé:


Nein, das stimmt so nicht, weil die Daten dafür eben nicht erhoben sind. Es ist unter 50 Prozent wahrscheinlich, dass diese Aussage stimmt. Also eher unwahrscheinlich. Und es ist


so, dass – selbst wenn sie stimmen würde – hätte das für uns – ähnlich wie überhaupt das Problem auch der möglicherweise bzw. wahrscheinlich höheren Infektiosität bei B1.1.7 – praktischen keine Konsequenzen. Ich würde sozusagen meiner Armee sagen: Zurück in eure Gräben, seht zu, dass ihr die Deiche weiter aufbaut, dass die Schlupflöcher stopft, wo die Viren reinkommen, da haben wir noch genug zu tun. Und es ist uns völlig egal, ob das B1.1.7 heißt oder sonst wie.



Camillo Schumann

:


Und immer schön Maske aufsetzen im Schützengraben.



Alexander Kekulé:


Genau.


2 9:36



Camillo Schumann

:


Kommen wir zum nächsten Thema. Vielleicht haben wir die Hörer dieses Podcasts gestern auch die Meldung gesehen: Deutschland kauft für 400 Millionen Euro Antikörper-Mittel. Das sind exakt 2 Medikamente. Beide haben in den USA schon eine Notfallzulassung erhalten, in der EU sind sie aber noch nicht zugelassen. Der ehemalige US-Präsident Trump hat eines dieser Medikamente eingenommen. Und der Gesundheitsminister Spahn möchte diese monoklonalen Antikörper ab nächster Woche in Deutschland als erstem Land in der EU einsetzen.



Alexander Kekulé:


Erstens: Ich finde das gut. Dem Bundesgesundheitsminister wird ja manchmal Aktionismus unterstellt. Aber in dem Fall, das Zeug erstmal einzukaufen und hier zu haben, war in der Lage gut. Bevor das als nächstes an alle geht und sich alle darum streiten. Diese Antikörper funktionieren ja so: Man hat künstlich einen bestimmten Antikörper hergestellt. Darum heißen die monoklonal, denn die passen nur an eine einzige Stelle dieses Spike-Proteins vom Sars-CoV-2  Virus. Und die ist so designt worden, dass man hofft, dass dieser Antikörper neutralisiert, das heißt, das Virus an der Infektion hindert. Das ist eine andere Situation, als wenn man eine normale


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Infektion hat, wo viele Antikörper hergestellt werden. Sozusagen nicht nur an der einen Stelle einer hingrapscht, sondern eine Riesenarmee unterschiedlichster Antikörper, die irgendwo alle daran binden können. Und irgendeiner wird dann schon passen. Die Impfung liegt so ein bisschen dazwischen. Da werden hauptsächlich Antikörper von bestimmten Sorten produziert, die auch ganz konkret nur auf das Spike-Protein gerichtet sein können, denn in dem Impfstoff ist ja nichts anderes drin. Der Impfstoff generiert ja dieses Spike-Protein im Körper. Aber das ist ungefähr so. Also monoklonal ist so: Wenn sie einen einzigen Lego-Baustein haben, und der muss zufällig an die Stelle passen, wo sie es gerade hin haben wollen. Und wenn der Mensch loslegt, Antikörper gegen eine Infektion zu infizieren, das ist also so die große Riesen-Weihnachtspackung mit allen LegoBausteinen, die es überhaupt gibt. Die haben sie dann sozusagen zur Auswahl. Was weiß ich 10.000 Stück, 100.000 Stück. Und da ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeiner dem Virus beikommt, natürlich viel höher. Warum ist es so wichtig, sich das vor Augen zu halten? Der Antikörper von Regeneron, das ist der Präsidenten-Antikörper, der Trump angeblich geheilt hat – da sind 2 verschiedene Monoklonale drin. Da war man schon so schlau und hat eben das berücksichtigt und gesagt, na ja, 2 sind besser als einer. Und Eli Lilly hat einen, von dem sie aber sagen, der würde besonders gut wirken. Das sind die 2 Produkte, die gerade in den USA zugelassen sind und die man hier auch kaufen kann. Die haben, glaube ich, gerade aktuell – und deshalb ist das gerade so in den Medien – also, so vor drei Tagen ungefähr, eine Presseerklärung rausgegeben, wo sie erste Daten veröffentlicht haben. Noch nicht PeerReview-überprüft, aber das geben die selber bekannt. Die haben in Altenheimen mit tausend Testpersonen diese monoklonalen Antikörper verimpft als Prophylaxe in dem Fall. Und da haben die so ungefähr die vierfache Dosis verimpft, die man sonst für die Therapie benutzt. Also mal richtig draufgehauen im Sinne einer Impfung. Das würde man dann in dem Fall „passive Immunisierung“ nennen, weil man quasi einen Antikörper gibt. So etwas Ähnliches macht man z.B. auch, wenn man


Angst vor Tollwut hat oder bei Tetanus oder so. Und hier haben die also quasi passiv immunisiert mit ihrem Antikörper, die vierfache therapeutische Dosis. Das ist dann in dem Fall eine ganze Ampulle. Und haben dann gesehen, dass bei den Leuten, die da arbeiten in den Altenheimen, das Risiko, sich zu infizieren, in den nächsten acht Wochen um 57 Prozent gesunken ist. Das ist schon eine deutliche Hausnummer. Es ist nicht so wie die 95 Prozent bei der Impfung, aber 57 Prozent. Was ich daran interessant fand es, dass man überhaupt solche Zahlen herauskitzeln kann. Die Studien sind ja noch nicht veröffentlicht. Aber Mensch, das muss ja ein Altersheim gewesen sein, wo sich echt viele Mitarbeiter infiziert haben. Es waren mehrere Altersheime. Damit Sie sozusagen statistisch signifikanten belegen können, dass es 57 Prozent Reduktion des Risikos ist, brauchen Sie schon einen stattlichen Anteil von Schwestern und Personal, das sich da infiziert hat.


Und jetzt kommt aber das Interessante: Bei den Bewohnern der Altersheime lag diese Schutzwirkung bei 80 Prozent. Die sind noch besser geschützt als die Leute, die da arbeiten, innerhalb von acht Wochen durch diese Impfung mit dem Antikörper.


34:2 4



Camillo Schumann

:


Für wen sind solche Antikörper-Mittel eigentlich geeignet? Sie haben das Beispiel Altenheim gebracht. Dann könnte man die ja prophylaktisch immer mit so einem Schwung solcher Medikamente versorgen.



Alexander Kekulé:


Das ist das, was Eli Lilly sozusagen mit der Studie andeuten will. Das ist eine der beiden möglichen Indikationen. Warum eigentlich die Alten so viel besser geschützt waren, ist nicht klar. Wahrscheinlich liegt es am Verhalten, weil die im Altersheim sind und da bleiben. Und das Personal hat auch andere Quellen, wo es sich möglicherweise infizieren kann. Das ist aber noch unklar. Diese unterschiedlichen Zahlen machen noch ein bisschen Kopfzerbrechen. Ja, man könnte hier entweder die Alten schützen. Das wäre dann so eine klassische passive


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Immunisierung. Die würde dann angezeigt sein, wenn man einen Ausbruch hat. Also wenn sie im Altenheim merken, oh Gott, da ist ein Ausbruch. Und das ist ja in Deutschland alle Nase so, leider, immer noch. Dann könnten Sie alle anderen Insassen eben durchimpfen. Denn dann haben sie für ein paar Wochen Schutz. Hier getestet für 8 Wochen, aber das wirkt sicher auch zwölf Wochen oder vier Monate, je nachdem. Es wird dann irgendwann langsam verschwinden. Da ist es dann so, dass sie die Anderen doch effektiv schützen. Das ist eine Domäne, wo ich ziemlich sicher bin, dass diese monoklonalen Antikörper gut wirken.



Camillo Schumann

:


Da wird es dann aber mit der Impfung schwierig, wenn man die Alten entweder impft oder das Medikament gibt. Die müssen sich ja dann entscheiden, oder geht beides?



Alexander Kekulé:


Da haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich wollte gerade Luft holen und das Gleiche sagen ist. Das ist nämlich genau das Problem. Das ist sehr genau die Gruppe, die sie unbedingt impfen wollen. Man müsste eigentlich fragen, wenn es einen Ausbruch gibt, warum waren die denn nicht schon geimpft? Und wenn sie die Wahl haben, beim Ausbruch zu impfen, also, aktiv zu impfen, das wäre dann quasi mit dem Biontech-Impfstoff oder Moderna-Impfstoff, oder passiv zu impfen, das wäre also in dem Fall mit so einem Antikörper, dann ist die Frage: Brauchen Sie dieses Zeitfenster? Der passive Impfstoff mit dem monoklonalen Antikörper wirkt sofort. Das heißt, Sie haben die sofortige Schutzwirkung. Das ist ein Vorteil, wenn Sie nicht wissen, ob derjenige sich schon angesteckt hat oder sich in den nächsten Stunden anstecken wird. Bei der normalen Impfung ist es so: Da wird ja erst mal diese RNA in die Zelle gebracht, die muss sich da erstmal verbreiten. Die produziert dann irgendwelche Proteine, die aussehen wie ein Spike von dem Virus. Und dann kommt das Immunsystem daher und fängt dann irgendwann an, Antikörper zu produzieren. Bis dieser Effekt hochgefahren ist, würde ich mal sagen, vor zehn Tagen darf man da eigentlich nichts erwarten. Das ist individuell ein bisschen


unterschiedlich, kann auch mal zwei, drei Wochen dauern. Und bei manchen ist es ja auch richtig gut erst nach der Booster-Impfung nach drei bis vier Wochen. Und wenn sie dieses Zeitfenster nicht haben, weil Sie sagen, da ist ein Ausbruch und ich weiß nicht, wer schon was abgekriegt hat und wer nicht, ich will sofort schützen, dann ist das eine Option.


Aber was passiert eigentlich, wenn jemand monoklonale Antikörper – von der Firma Eli Lilly produziert oder von Regeneron produziert – im Blut hat und dann geben sie dem z.B. den Biontech-Impfstoff. Dann produziert ja die Zelle auf Kommando auch Antigen. Und dann soll ja dieses Antigen theoretisch dazu führen, dass der Körper Antikörper und auch aggressive T-Zellen dagegen produziert. Aber wenn diese Antigene sofort von den vorhandenen Antikörpern von Eli Lilly weggefangen werden oder von Regeneron, dann machen sie sich quasi die Impfwirkung komplett kaputt. Das ist noch nicht ausprobiert worden, aber das ist ein sehr wahrscheinliches Szenario. Warum ist es sehr wahrscheinlich? Weil wir sowohl diese mRNA-Impfstoffe haben, die quasi am Reißbrett erfunden wurden, als auch die monoklonalen Antikörper, die auch voll synthetisch hergestellt werden. Gut, da braucht man zum Teil Versuchstiere dafür. Aber sie werden letztlich künstlich im Labor hergestellt. Da ist es so, dass wir beide ja nach der Konstruktion eines bestimmten SpikeProteins gemacht haben. Also wir haben sozusagen ein Prototyp-Spike-Protein eines bestimmten Virusstammes, der irgendwann mal eingefangen wurde und sozusagen als Universal-Blaupause für diese Dinge herhält. Und wenn Sie genau die gleiche Blaupause verwendet haben für den aktiven und den passiven Impfstoff, sprich für die mRNAImpfstoffe und für die monoklonalen Antikörper, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die sozusagen wie Schlüssel und Schloss perfekt zusammenpassen und sich gegenseitig wegfangen, sehr hoch. Das heißt also, die Gefahr besteht, dass man, indem man diese neuen monoklonalen Antikörper einsetzt, sich dann die Optionen versaut, hinterher klassisch impfen zu können.


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39:16



Camillo Schumann

:


Vorerst sollen ja diese Medikamente nur in Unikliniken unter ganz speziellen Voraussetzungen gegeben werden. Und dieses Mittel senkt ja die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs. Sind diese Medikamente dann nicht genau dort an der richtigen Stelle, dass man sie im Krankenhaus gibt, bevor es sozusagen schlimmer wird? Oder gehören die eigentlich zu Hause in den Apothekerschrank?


39:40



Alexander Kekulé:


Die Mitarbeiter von Eli Lilly haben die sicherlich zu Hause im Schrank. Wobei, man muss das ja auch spritzen.


Also es ist so. In den USA gibt es schon Studien dazu, da dort die Zulassungen da sind. Und da hat sich klar gezeigt – ich meine, wir haben sogar eine von den Studien mal besprochen –, je früher man das gibt, desto besser. Zu dem Zeitpunkt muss man das geben, wo man noch gar nicht weiß, ob das ein krankenhauspflichtiger Verlauf wird. Das heißt also, man muss es zuhause geben, dann wirkt es. Und das ist ja auch klar: So ein Antikörper kann das Virus nur wegfangen, wenn es daherkommt und nicht, wenn es schon in irgendwelchen Zellen drinnen ist und sich dort schon munter vermehrt hat. Das hat auch ein bisschen was mit der Dosis zu tun. Die Virusvermehrung läuft ja am Anfang ziemlich zäh an auf den Schleimhäuten. Nach der ersten Infektion ist das ziemlich lange, bis das in Schwung kommt. Und ab einem bestimmten Moment gibt es quasi so einen selbstverstärkenden Effekt, dass sich die Viren dann explosionsartig vermehren. Und dann sind so viele Viren da, dass dann auch diese begrenzte Zahl von Antikörper-Molekülen, die man mit so einer Injektionsspritze in den Patienten verabreichen kann, dass die dann irgendwann quasi weggesättigt ist. Die werden weggefangen, und das war's. Das Virus wird aber weiter produziert. Das heißt, sie brauchen das ganz früh, ganz am Anfang. Auch deshalb,


weil die Immunantwort am Anfang, die sogenannte angeborene Immunität, das ist ja die, die darüber entscheidet, wie schlecht es dem Patienten später gehen wird. Da müssen wir dem Immunsystem helfen. Und das heißt, wir müssen im Grunde genommen, damit es etwas bringt, bei jedem, der irgendwie die leisesten, leichtesten Covid19-Symptome hat, sofort diesen Antikörper geben. So ähnlich wie damals, wenn Sie sich erinnern, bei der Grippe. Da gibt es ja so dieses berühmte Tamiflu, das ist ein tolles Medikament im Prinzip. Nachteil ist nur, Sie müssen es innerhalb von spätestens 72 -Stunden nach Symptombeginn geben, sonst wirkt es nicht mehr. Das Problem ist – und das hat man in den USA gesehen: Man muss es in die Peripherie bringen. Wenn es in der Universitätsklinik im Privatschrank des Professors liegt, der damit eine Studie machen will, bringt es wenig, weil die Patienten, die dahin kommen, meistens schwer krank sind oder in einem fortgeschrittenen Stadium sind, bis sie in die Uniklinik kommen. Und in den USA hat man gesehen, bei diesen monoklonalen Antikörpern ist es hauptsächlich ein Problem, die dann in die Peripherie zu bringen. Ja, die müssen ja dann auch irgendwie gekühlt werden. Die müssen intravenös verabreicht werden. Das heißt, sie brauchen da eine Logistik dafür. Das kann so eine Schwester, die irgendwie mal bei jemandem zu Hause vorbeifährt, um Fieber zu messen, tendenziell nicht machen. Diese ambulante Logistik ist neben dem Problem, was wir gerade genannt haben, das zweite große Thema, was wir haben, was möglicherweise die Anwendbarkeit dieser monoklonalen Antikörper dann begrenzen kann.


42 :38



Camillo Schumann

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Gibt es noch weitere Probleme, oder war es das?



Alexander Kekulé:


Es gibt noch ein drittes in der Zukunft. Wir haben ja schon über die Mutanten gesprochen, die so sind, dass sie das


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Immunsystem überlisten. Wir nennen die Immune-Escape-Mutanten. Höchstwahrscheinlich ist die britische Variante B1.1.7-Mutante keine echte Immune-ExcapeMutante. Das ist aber auch nicht raus. Aber es ist ziemlich sicher, dass die aus Johannesburg und die aus Brasilien, die jeweils z.B. diese Mutation e484K im Spike tragen, also an einer Stelle, wo das Immunsystem normalerweise neutralisierende Antikörper hinschickt, dass diese Varianten möglicherweise sowohl ausbüchsen kann gegenüber den Impfstoffen, die wir jetzt haben, als auch Personen, die schon mal krank waren, reinfizieren können. Das haben wir in Studien gesehen in Südamerika. Und wir haben ja auch diese Johannesburg-Studie mit dem Spenderplasma besprochen, wo das relativ klar gezeigt wurde, dass also diese Variante in der Lage ist, sowohl Geimpfte als auch Infizierte dann noch mal befallen. Wie schwer die Krankheiten werden, ist ein anderes Thema. Aber wenn Sie sich einen Geimpften oder Infizierten anschauen, dann sind das ja Personen, die viele verschiedene Antikörper haben. Die allermeisten kriegen sie nach der echten Infektion, ein etwas weniger tolles Spektrum nach der Impfung, aber auch noch vollkommen ausreichend für einen Immunschutz. Und im Vergleich dazu ist ja dieser eine monoklonale Antikörper von Eli Lilly ein einzelner einsamer Soldat, der da alleine mit seinem Gewehr und seinem aufgesteckten Bajonett rumläuft, und bei Regeneron sind es zwei. Wenn jetzt an der Stelle, wo die zugreifen, wo gerade die Mutation ist oder das Virus sich verändert hat, dann sind diese als erstes unwirksam. Oder andersherum gesagt: Während wir uns bei der Frage, gibt es Re-Infektionen, die vielleicht sogar schwerer verlaufen können, eigentlich im Moment noch entspannt zurücklehnen und sagen können: Re-Infektion ja, aber schwerer wird die wohl nicht. Und bei der Frage: Wirken unsere bisherigen Impfstoffe auch gegen die neuen Varianten, sagen können: Ja, irgendwie werden sie wohl wirken, vielleicht aber nicht ganz so gut; müssen wir bei diesen monoklonalen Antikörpern eigentlich


vermuten, dass die die ersten sind, die komplett ausfallen in ihrer Funktion, wenn wir es mit neuen Immune-Escape-Varianten zu tun haben.


45:09



Camillo Schumann

:


Ich habe noch einen Widerspruch. Oder vielleicht ist es ja auch keiner.


Sie haben ja gerade eindrucksvoll geschildert, warum es so wichtig ist, diese AntikörperMedikamente frühzeitig zu geben, damit dann eben der Körper darauf eingestellt ist und ein schwerer Verlauf verhindert werden kann. Es ist es ja so, dass die Mittel bisher nicht zugelassen sind in der EU und nur in Universitätskliniken unter strenger Kontrolle Patienten verabreicht werden dürfen. Aber jetzt ist es ja so, dass Patienten, wenn die einmal im Krankenhaus sind, ja eigentlich schon einen schweren Verlauf haben. Also sind sie dort eigentlich an der falschen Stelle. Müssten die dann nicht eigentlich zum Hausarzt, dass man den dann schnell anruft und sagt: „Ich bin infiziert. Irgendwie habe ich ein Kratzen im Hals. Ich komme zu Ihnen. Ich habe gehört, sie haben das Mittel.“


45:52 



Alexander Kekulé:


Darum machen wir diesen Podcast. Unter unseren Kollegen ist das ja bekannt. Sie können davon ausgehen, dass die, die sich intensiv mit den Themen beschäftigen, die haben diese Studien aus USA gelesen. Und ich hoffe doch, dass das eben nicht so läuft, das man sagt, jetzt geben wir das mal unseren Patienten. Die Versuchung ist immer hoch. Da kriegt man dann schön schnell genug Personen für eine Studie zusammen und so. Man muss jetzt entweder sagen, wir machen es unten in der Ambulanz, sodass wir quasi jeden, der in die Ambulanz kommt und der eigentlich nach Hause geschickt wird, sagen: „Moment mal, bevor du gehst, ich hab da was vorbereitet. Du wurdest gerade heimgeschickt, aber ich hab da eine kleine Studie, wo du mitmachen kannst.“


12 


Das wäre die eine Variante aus der Uniklinik und die andere, die smarter wäre, ist tatsächlich, ein Netz von Hausärzten zu gewinnen. Ich glaube und hoffe sehr, dass das in diese Richtung geht. Es gibt ein bisschen, das haben Sie schon richtig angesprochen... Es gibt das Problem: Wir haben ja keine Zulassung. Damit ist es eine Studie ... Im Krankenhaus dürfte man das machen. Bei schwer Erkrankten dürfte man das trotzdem einsetzen. Wir nennen das Compassionate Use, also quasi Verzweiflungstat, oder so ähnlich könnte man das übersetzen. Wenn man weiß, nichts anderes hilft, dann braucht man keine Zulassung.


Dann gibt es das sogenannte Off-Label. Das heißt also, wenn etwas anderweitig zugelassen ist, es dann sozusagen anzuwenden für eine andere Anwendung. Also zu sagen, okay, aufgrund der Zulassungsdaten, die es schon gibt, habe ich eine Vorstellung von der Sicherheit dieses Medikaments. Das kommt ja nicht in Frage, weil es in Europa überhaupt nicht zugelassen ist, sodass es eigentlich schwierig ist. Man muss eine klinische Studie aufsetzen, mit allem Drum und Dran. Da muss das Ethikkomitee durch. Dann sagt das Ethikkomitee: Da gibt es ja immer mal wieder Nebenwirkungen. Wie sind denn die Aussichten der Patienten ohne die Therapie? Das ist so der Klassiker. Und wenn man dann sagen muss, das sind genau die Gesunden, die eigentlich überhaupt nichts haben. Wenn wir die heimschicken und gar nichts mit denen machen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es den hinterher sehr schlecht geht, extrem gering, sonst würden wir sie nicht heimschicken. Da wird dann die eine oder andere hitzige Diskussion im Ethikkomitee geführt werden, ob man das machen darf oder nicht. Und am Schluss kriegt dann der Klinikdirektor die Zulassung und die Erlaubnis, die Studie zu machen oder nicht.


48:16



Camillo Schumann

:


Um das auch mal festzuhalten: Dieses


Antikörper-Medikament bekommen jetzt nicht Menschen, die auf der Intensivstation mit Covid liegen. Das ist schon mal ausgeschlossen?



Alexander Kekulé:


Hoffentlich nicht. Das wäre aufgrund der bisherigen Daten komplette Verschwendung. Das ist so oft versucht worden, hat nichts gebracht.



Camillo Schumann

:


Aber trotzdem noch einmal: 400 Millionen Euro werden dafür ausgegeben. Dann werden diese Medikamente an Orte geliefert, wo sie erstmal keine Verwendung direkt haben. Dann frage ich mich so ein bisschen: Warum macht man das eigentlich? Ist das irgendwie so nice to have, oder ist das gut investiertes Geld?


12  [0:48:49]:



Alexander Kekulé:


Dazu weiß ich zu wenig, wie das gemacht wird. Ich habe es ja gerade geschildert. So eine Sache muss besonders gut durchs Ethikkomitee durch. Solche monoklonalen Antikörper können im Einzelfall schon heftige Nebenwirkungen haben. Man greift ja da ins Immunsystem ein. Und wir wissen dann eben auch die Dinge wie z.B. die mögliche Interferenz mit der Impfung. Z.B. ein 30Jähriger hat leichtes Covid19, erscheint in der Ambulanz. Da muss man den darüber aufklären, dass, wenn er jetzt an der Studie mitmacht, kann er was Tolles für die Wissenschaft tun und auch für die Leute, die sich habilitieren wollen am Institut. Aber es ist so, dass er da möglicherweise, so grob gesagt in den nächsten sechs bis12  Monaten sich nicht effektiv impfen lassen kann, weil er Antikörper im Blut hat, die das möglicherweise verhindern. Diese Patientenaufklärung oder Probandenaufklärung in dem Fall müsste extrem transparent erfolgen. Wenn ich eine Ethikkommission wäre, würde ich da reinschreiben, dass das genau erklärt werden muss, dass das für denjenigen auch Nachteile haben kann. Und wenn man das zu Ende denkt – ich will kein Pessimist sein – ist dann die


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Frage: Wie lange hält sich das Zeug? In welchen Kühlschrank liegt es? Wie viel wird dann am Ende des Tages für sinnvolle Studien eingesetzt? Ich gehe aber, ehrlich gesagt, davon aus, dass, wenn die Bundesregierung so viel Geld in die Hand nimmt, und auch als absolutes Alleinstellungsmerkmal das macht... Das ist ja auch so publiziert worden, dass das hier eine Besonderheit ist, dass wir die ersten in Deutschland sind. Ich gehe davon aus, dass hier vorher bei den Leuten, die es einsetzen sollen und wollen, also bei denen, die diese klinischen Studien dann machen müssten, das da vorher eine Abfrage stattgefunden hat. Das wäre ja eigentlich das übliche Verfahren. Wir sind ja alle vernetzt. Also das macht übrigens das Bundesgesundheitsministerium bei jedem Gesetzgebungsverfahren. Da gibt es dann immer die Einbeziehung der Betroffenen und der Fachleute. Und es geht ruckzuck heutzutage mit Zoomen sowieso. Ich hoffe doch sehr, dass da vorher mal gefragt wurde angesichts dieses doch recht begrenzten Einsatzfeldes, weil wir es eben mit einem frühen Stadium zu tun haben. Oder ersatzweise Ringimpfung, Immunisierung bei Ausbrüchen ein Altersheim, dass man vorher gefragt hat, wann brauchen wir das und wie viel brauchen wir davon.


51:2 2 



Camillo Schumann

:


Da haben wir einen Blick auf die AntikörperMedikamente. Die werden dann sicherlich noch mal ein Thema im Podcast sein. Kommen wir zum Schluss noch zu einem weiteren Vorhaben des Bundesgesundheitsministers: Er will die von Ihnen schon seit Monaten geforderten Antigen-Schnelltests für Zuhause ermöglichen. Dafür soll die Medizinprodukteabgabeverordnung geändert werden. Ich hätte ja nie gedacht, dass das passiert. Wir machen seit 16. März diesen Podcast und haben immer wieder darauf hingewiesen. Man hatte gemerkt, dass es da sehr große Blockaden gibt. Und auf einmal löst sich dieser Knoten. Waren sie da auch so ein bisschen überrascht?



Alexander Kekulé:


Ich freue mich extrem drüber. Das erinnert mich verdammt an die Sache mit den Masken, wo ich am Anfang beschimpft worden bin. Und jetzt zahlen Sie Strafe, wenn Sie keine aufhaben. Es wäre toll, wenn wir das haben. Und ich bin noch nicht sicher, ob es schon beschlossene Sache ist, weil das mal in den Raum gestellt wurde. Ich weiß, dass viele meiner Fachkollegen sagen, das ist Unsinn mit den Antigen-Schnelltests. Die Diskussion ist da noch nicht zu Ende. Und daher bin ich da ... Wie da am Schluss der Bundesgesundheitsminister und die Bundesregierung entscheiden werden, das wird man sehen. Aber ich kann nur sagen diese Antigen-Schnelltests könnten ein GameChanger in dieser Pandemie sein. Speziell wenn wir jetzt nicht wieder Mitte Februar lockern und dann wieder den nächsten Lockdown anpeilen wollen, sondern mal irgendwie in einen alternativen Steady State übergehen wollen.


52 :55



Camillo Schumann

:


Es gibt da noch ein großes Aber: Zunächst muss noch die Medizinprodukteabgabeverordnung geändert werden.


Aber noch etwas anderes. Wir hören mal Jens Spahn zu:


53:03


„Solange es keinen Test gibt, der CE-zertifiziert zugelassen ist zur Selbsttestung –und diese Zulassung beinhaltet den Nachweis, dass ein Laie die Probenentnahme, die ja dann im Zweifel im Mundraum stattfindet, oder im Nasenraum, auch so hinkriegen kann, dass das Ergebnis mit sehr hoher Treffsicherheit das richtige ist. Das muss nachgewiesen werden im Zulassungsprozess. Und deswegen kann man aus meiner Sicht – und deswegen bin ich da auch zurückhaltend – nicht entgegen aller medizinprodukterechtlichen Regeln Schnelltests, die wir aktuell haben für geschultes Personal – wo wir die Frage, wie


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geschult wird, wir ja auch für Lehrerinnen und Lehrer schon zusätzlich gedeutet haben – wo aber eben eine Schulung auch wichtig ist, nicht einfach zu einem Heimtest machen für jedermann.“


53:53



Camillo Schumann

:


Das muss sozusagen für den Laien noch mal getestet werden. Aber wir haben doch vor Kurzem auch Studien besprochen, z.B. von der Charité, die sagen, ja, ein Laie kann das genauso gut wie medizinisches Personal. Das reicht nicht?


54:07



Alexander Kekulé:


Doch das würde reichen. Genau diese Studie könnte man vorlegen. Vielleicht macht man dann noch eine zweite dazu. Meine praktische Erfahrung ist, wir haben ja schon oft darüber gesprochen, dass das jetzt schon fast nur von Laien gemacht wird. Was heißt Laien? Das sind halt Leute, denen hat man es zweimal erklärt. Zum Teil ist das der Wachund Schließdienst von irgendwelchen Veranstaltungssälen. Und wenn man da reinkommt, weil z.B. eine Podiumsdiskussion stattfindet oder eine Fernsehaufzeichnung stattfindet, dann tun die Jungs, die also sonst draußen mit der Knarre rumhängen und aufpassen, dass da keiner einbricht, die machen da mal schnell diesen Schnelltest. Die haben dann auch die gleichen Lederjacken an. Das ist dann nett anzusehen. Und die machen das nicht schlecht. Also zumindest fand ich es bei dem, der das bei mir gemacht hat, okay. Es gibt sogar Kinder, die machen sich das gegenseitig, nachdem der Papa es erklärt hat. Und es gibt Lehrer, die das können. Die sind ja auch nicht wirklich medizinisch trainiertes Personal. In den Altenheimen, die Pflegerinnen, haben auch nicht die Ausbildung, die man mit einer Krankenschwester vergleichen kann.


Mein Credo zu dieser Sache ist, das kann jeder lernen wie Zähneputzen. Aber ja, Zähneputzen ist auch nicht so einfach. Da gibt es ja auch


manche Kinder, die das besser, und manche, die das schlechter machen. Es ist es doch so, das ist eine ungewohnte Sache. Ich weiß auch, dass manche da eine Hemmung davor haben, solche Tests zu machen, v.a. wenn es darum geht, den Tupfer in die Nase zu schieben. Ich persönlich finde, wenn es richtig gemacht ist, ist der Nasenabstrich weniger unangenehm als ein Rachenabstrich, weil ich es schlimmer finde, wenn ich hinterher würgen muss, als wenn ich hinterher niesen muss. Ich frage auch meine Patienten immer: lieber nießen oder würgen, wenn es um die Frage geht, wo man den Tupfer reinschiebt. Und dann kann ich ja nur noch einmal deutlich und laut an die österreichische Variante des Gurgeltests erinnern. Alle Daten, die im Moment publiziert sind, deuten darauf hin, dass der genauso gut ist wie Nasenabstrich oder Rachenabstrich, wenn es um den epidemiologischen Test geht. Das heißt also, man kann genauso, und das machen die Österreicher rauf und runter an den Schulen zurzeit, man kann genauso einen Rachenspültest, einen sogenannten Gurgeltest, machen. Und das kann ja nun wirklich jeder, denn wenn Sie sich die Zähne geputzt haben, müssen Sie ja die Zahnpasta auch irgendwie ausspülen.


56:35



Camillo Schumann

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Genau. Und laut Bundesgesundheitsministerium soll es dann auch den Spuckoder Gurgeltest geben in Deutschland. Aber worauf ich noch mal kurz hinauswollte, damit Sie vielleicht kurz den Unterschied noch mal erklären: Die Tests sind ja aktuell für medizinisches Personal zugelassen, aber noch nicht für den Laien. Also das muss dann tatsächlich noch mal geprüft werden, dass der Laie das dann auch machen kann. Bekommt derselbe Test dann noch einen Stempel „Jetzt auch für Laien“?


56:59



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ehrlich gesagt etwas, was auch Fachpolitiker und sehr viele Journalisten


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durcheinanderbringen. Es ist erstens so, nach dem Medizinproduktegesetz, was hier einschlägig ist, werden solche diagnostischen Tests überhaupt nicht zugelassen. Alle schreiben „zugelassen“, selbst in der sogenannten qualifizierten Presse liest man „zugelassen“. Das ist keine Zulassung. Sondern sie müssen eine CE-Zertifizierung haben. Und das CE-Label ist, wie Sie wissen, auf allem möglichen Kram aufgestempelt. Manchmal findet man das auf Zahnstochern und sonst was. Im Bereich der Diagnostik gibt es 2 verschiedene CE-Verfahren, wie man diese Zertifizierung bekommt. CE ist Französisch und steht für Conformité Européene, also für europäische Konformität bzw. für Certification Européene, also europäisches Zertifikat. Diagnostisch wird unterschieden, ob das ein Test ist, das hat der Bundesgesundheitsminister ja erklärt, der vom medizinischen Fachpersonal gemacht wird. In diesem Fall kann sich der Hersteller das selber draufstempeln. Er muss bestimmte Tests machen, das ist da vorgeschrieben in so einer europäischen Norm, welche Anforderungen die so ungefähr erfüllen müssen. Sehr genau ist die Norm, ehrlich gesagt, nicht. Aber z.B. bei so einem Antigen-Schnelltest würde man dann 400 oder 500 Rachen-Proben nehmen, die einmal mit der PCR untersuchen und einmal mit dem Antigen-Tests. Und dann würde man eben feststellen, wie ist die Sensitivität und die Spezifität. Sensitivität heißt: wie viel Prozent der PCR-Positiven weist man im Antigentest nach, also wie empfindlich ist er. Und Spezifität heißt: wie oft ist er falsch, oder andersherum gesagt: wie viel Prozent derer, die nachgewiesen wurden, waren dann auch „richtig“ im Sinne von Kontrolle durch die PCR. Die ist da immer der Goldstandard. Das macht er entweder selber oder beauftragt ein Labor, das es für ihn macht. Und dann hat er eine schöne Tabelle, die legt er sich in die Schublade bei sich zu Hause in seiner Firma. Und dann holt er sich einen CE-Stempel und macht den auf die Packung drauf. So einfach ist das, also keine „Zulassung“.


Es ist so, dass, wenn sie aber eine Anwendung haben wollen, wo der Privatnutzer das selbst macht, also nicht medizinisches Personal – das gilt z.B. für so Schwangerschaftstest, den man ja auch in der Apotheke kaufen kann, oder auch Blutzucker, das wird viel von Diabetikern selber gemacht –, dann müssen Sie eine weitere Hürde nehmen. Und das heißt, sie dürfen diese Untersuchungen, von denen ich gerade gesprochen habe, nicht selber „inhouse“ machen, sondern müssen eine dafür nach EU-Verordnung zugelassene Stelle beauftragen. Da gibt es viele. Meines Wissens kann man das beim TÜV z.B. machen lassen. Ich weiß gar nicht, ob es Bundesinstitute gibt, die das vielleicht auch machen können. Und da wird übrigens auch ein bisschen Geld mit verdient, denn das kostet dann Gebühren. Und die machen dann genau das Gleiche. Also die machen dann exakt das, was Sie vorher selbst gemacht haben. Und wenn sie die „Zulassung“, also die CE-Zertifizierung haben wollen für Home User, also für Leute, die das selber machen, dann wird es natürlich mit Laien getestet. Dann holen sie sich quasi so einen Pulk Studenten rein oder Ähnliches, also keine Medizinstudenten, und geben denen Zettel in die Hand und sagen Gebrauchsanweisung, mach mal, und überprüfen quasi, wie gut dann das Ergebnis des Tests ist, wenn die Abnahme von Laien gemacht wurde. Und dann kriegen Sie wiederum dieses Ergebnis von denen. Da müssen Sie ein bisschen mehr Geld dafür zahlen. Das legen Sie sich genauso in ihre Schublade. Und dann können sie CE draufstempeln. Also, es ist eigentlich eine „Selbstzulassung“, die aber in dem einen Fall eben die Anforderungen hat, dass eine externe, dafür ausgewiesene, ermächtigte Stelle diese Untersuchung noch einmal bestätigt. Und das ist vom Zeitrahmen her, wenn sie das schnell gemacht kriegen, würde ich mal sagen, 2 Monate. Das heißt also, der Test von Biozensor, der ja inzwischen Roche-Test heißt, weil er von Roche vertrieben wird, war Anfang März verfügbar, plus 2 Monate. Da können Sie sich ausrechnen, plus Bazuka. Da würde ich sagen, Anfang Mai


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hätten wir den definitiv hier haben können, mit der Zulassung zur Selbstuntersuchung.


01:01:10



Camillo Schumann

:


Die Frage ist ja, ob der Spuckoder Gurgeltest auch schon durch diese Laien-Prüfungen gegangen ist. Und der soll es ja dann richten bei uns.



Alexander Kekulé:


Das haben die Österreicher raufund runtergemacht. Also gerade unser Gesundheitsminister ist ja jemand, dem ich vom Typ her – das kann ich als Virologe, glaube ich, mal so aus meiner Sicht sagen –, der wirkt nicht wie jemand, der etwas unterlassen würde, wo er den Eindruck hat, das könnte funktionieren. Der ist ja eher so ein Macher. Und vielleicht kann man auch hinzufügen: Er will sich auch als Macher politisch darstellen. Wenn dem einer gesagt hätte, du musst nur das und das machen, dann wird das zugelassen. Und dann hast du den Test sofort. Und das ist eine gute Sache. Ich bin sicher, der hätte das gemacht. Warum das jetzt so spät ist, ist sicherlich eher den wissenschaftlichen Beratern zuzuschreiben. Aber wenn man jetzt sagt, das ist so eine Zulassung, da sind noch so viele Hürden. Diese Selbstzertifizierung ist im Vergleich zu einer echten „Zulassung“, wo man eine Zulassungsbehörde hat, nichts dagegen. Ich nehme mal als Beispiel die Impfstoffe, wo wir 40.000 Probanden hatten und das aufs Schärfste kontrolliert wurde. Und die Studie, die die Charité gemacht hat, die wir besprochen haben, die hat ja ziemlich klar gezeigt: Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob das medizinische Fachpersonal die Abnahme macht oder Laien, die halt so ein Zettel in die Hand gedrückt bekommen nach Gebrauchsanweisung. Und das wird man vielleicht noch einmal wiederholen, um es dann doppelt und dreifach zu haben. Aber letztlich, am Ende des Tages, ist es so: Diese Tests sind ohne Wenn und Aber für den Eigenbedarf geeignet, sofern jemand überhaupt so etwas machen will. Es gibt ja


Menschen, die sagen, ach nein, an mir selber da so einen Test machen, ist mir nichts, und wenn ich dann hinterher Tropfen muss und wenn dann was falsch ist, da gehe ich doch lieber zum Arzt. Und Sie wissen ja, dass mein Vorschlag ist – um auch individuelle Hemmschwellen zu überwinden und vielleicht auch ein Zertifikat für ein negativesTestergebnis zu haben –, dass man ergänzend das auch in der Apotheke testen lassen kann.


01:03:08



Camillo Schumann

:


Und wenn es dann die Antigen-Schnelltests für alle in der Apotheke gibt, können wir auch mal hier im Podcast ein Piccolöchen öffnen.



Alexander Kekulé:


Das machen wir definitiv. Da haben wir dann hoffentlich irgendwie dazu beigetragen, ein kleines Sandkorn mit in die Waagschale geworfen.



Camillo Schumann

:


Wir kommen zu den Hörerfragen: Herr W. hat gemailt:


„Meine Mutter hat die Benachrichtigung zur Impfung erhalten. Dazu eine dringliche Frage: Ich höre immer, dass man nicht geimpft werden soll, wenn man Corona schon hatte. Aber wenn man keine Blutuntersuchung vor der Impfung macht, dann kann man doch nicht feststellen, ob die zu impfende Person schon Corona gehabt hat oder nicht. Können Sie mir da helfen? Viele Grüße.“


01:03:44



Alexander Kekulé:


Das hat 2 Aspekte. Das eine ist: Warum wird empfohlen, das nicht zu machen? Offiziell deshalb, um den Impfstoff zu sparen. Wir haben zu wenig Impfstoff. Es wird ja noch interessant, wann überhaupt die 2 . Dosis verfügbar wird. Sie erinnern sich an die Debatte, wie lange darf man warten? Das kam ja, weil wir so wenig Impfstoff haben. Die schon mal die Krankheit gehabt haben, die haben zehnmal so viele, hundertmal so viel


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Antikörper und sonstige Immunzellen als jemand, der nur geimpft ist. Also besser gewappnet als nach der Infektion kann man nicht sein. Deshalb ist es völliger Unsinn, diese Leute zu impfen.


Andererseits muss man – auch wenn man es akademisch anschaut –, sagen, die Zulassungsstudien für die mRNA-Impfstoffe sind alle gemacht worden mit Probanden, die vorher kein Covid hatten. Zumindest die allermeisten hatten kein Covid vorher. Sondern das waren Regionen, wo das eben gerade im Ausbruch war. Da hat man am Anfang rekrutiert, und es waren eher Ausnahmen. Es gab wenige, die dann quasi nach der ersten Impfung doch noch Covid entwickelt haben und sich offensichtlich schon vorher infiziert hatten. Das heißt, wir haben letztlich keine gezielten Untersuchungen, die sagen, was passiert eigentlich, wenn ich jemanden impfe, der die Krankheit schon durchgemacht hat? Dessen eigene Zellen aufgrund einer RNA, die da jetzt rein reinkommt, anfangen, Virusproteine zu machen. Und zwar nicht nur an der Einstichstelle, sondern das verteilt sich ja zum Teil weiter im Körper. Irgendwelche anderen Körperzellen fangen an, Virusproteine vom Sars-CoV-2  zu machen. Aber deren Immunsystem ist sozusagen schon scharf gestellt gegen diese Antigene, weil ja derjenige eine Infektion durchgemacht hat. Das wurde nicht ausprobiert. Und da würde ich sagen, wenn ich im Steuerungskomitee so einer Studie wäre, da müssen wir eine Subpopulation haben, wo wir das mal untersuchen, nur um auszuschließen, dass da die Nebenwirkungen anders sind als bei denen, die komplett ohne Antikörper waren.


Man muss aber auch dazusagen, das ist eine extrem hypothetische Diskussion, denn wir haben ja viele andere Impfstoffe. Wir blicken ja, seit Edward Jenner das im 18. Jahrhundert mal mit den Pocken begonnen hat, blicken wir auf eine uralte Tradition der Impfung zurück. Und so ein Phänomen, dass Leute, die schon mal die Krankheit durchgemacht haben, bei der Impfung dann plötzlich riesige


Nebenwirkungen oder deutlich mehr Nebenwirkungen haben als solche, die die Krankheit noch nicht hatten, ist mir zumindest nicht bekannt. Kann sein, dass ich in den Geschichtsbüchern was übersehen habe. Aber das gibt es sonst nicht.



Camillo Schumann

:


Okay, noch einmal kurz zusammengefasst: Würden Sie der Mutter empfehlen, vorher eine Blutuntersuchung, einen Antikörpertest zu machen?



Alexander Kekulé:


Nein, einfach impfen. Das ist ja auch so: Der Antikörpertest hat ja das Problem, dass der bei vielen Leuten nach einigen Monaten negativ wird. Und deshalb können Sie es nicht unterscheiden. Wenn man nicht sicher ist, dass man es schon hatte oder davon ausgeht, dass man es schon hatte, weil vielleicht ein Schnelltest positiv war – zum Teil ist es ja auch so, dass eine ganze Familie krank war, aber nur einer war beim Arzt und hat sich testen lassen. Aber dann war es völlig klar, dass die anderen genau das Gleiche hatten in den gleichen 2 Wochen. Dann können Sie sagen, okay, ich hatte es schon. Da brauchen Sie sich nicht impfen lassen. Aber abgesehen von diesen Ausnahmen, wo es völlig eindeutig ist, würde ich sagen: Wenn man sich impfen lassen will und wenn man zur Risikogruppe gehört oder aus anderen Gründen sagt, ich bin dran mit der Impfung, dann soll man das natürlich auf jeden Fall machen. Das Risiko, dass da irgendwelche unerwarteten Nebenwirkungen da sind, ist extrem gering. Das ist eher ein akademisches Problem, bei dem sich die Zulassungsstelle und die Hersteller darüber Gedanken machen müssen, aber nicht derjenige, der sich fragt, lasse ich mich impfen, ja oder nein.



Camillo Schumann

:


Dann hat dieses Ehepaar angerufen. Es ist positiv getestet worden und hat eine Befürchtung:


„Meine Frau und ich sind corona-positiv. Jetzt würde mich interessieren: Wir wohnen in einer Wohnung. Können wir uns während der


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Genesung wieder gegenseitig anstecken? Besteht die Möglichkeit, dass einer von uns eine Mutation erzeugt, die dann auf den anderen übergeht und wieder ansteckt und so der eine den anderen wieder aufschaukelt?“


01:08:11



Camillo Schumann

:


Spannende Frage.



Alexander Kekulé:


Es wäre wissenschaftlich interessant. Aber leider besteht diese Möglichkeit so gut wie nicht. Das wäre weltweit der erste Fall. Und daher würde ich sagen, nein, die Möglichkeit besteht definitiv nicht. So etwas kann es rein theoretisch geben, wenn man sich das mal vorstellen will, wenn Sie ein ganzes Land hätten. Also nicht 2 Personen, da ist die Wahrscheinlichkeit null. Aber wenn sie z.B. das Bundesland Amazonas in Brasilien haben. Da ist genau diese Sache passiert. Ein Teil der Bevölkerung hat sich infiziert, das Virus hat sich ausgebreitet, traf auf immer mehr Personen, die schon infiziert waren, hat sich deshalb verändert und im Lauf der Zeit – aber nicht in ein paar Wochen, sondern eher im Zeitraum von Monaten – kommen dann neue Varianten raus. Das sind dann eben solche, die wir jetzt beobachten, die plötzlich die Menschen wieder infizieren können, die vorher schon mal Covid hatten. Aber das ist eher so auf einer Ebene, wenn man es mit Millionen von Menschen zu tun hat und Zeiträumen von Monaten, und wenn man keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen hat.


01:09:19



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 143. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Da freue ich mich. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns


an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Samstag, 2 3.01.2 02 1 #142 : Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann

:


Sollten Menschen mit mehreren Kindern schneller geimpft werden?


Ist ein Abstrich im Mund genauso gut?


Kann man sich mit 2 Impfstoffen impfen lassen?


Wie ansteckend sind Erkältungswellen im Vergleich zur Sars-CoV-2 ?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Guten Tag, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Herr T. hat uns geschrieben:


„Ich leite ein Altenheim in Bayern. Wir haben mittlerweile 2 2 5 Schnelltests, und ein Arzt würde uns auch einweisen. Jedoch stellt sich mir die Frage, wie das ganze ablaufen soll. Wer soll den lieben langen Tag testen bei der Personalstruktur im Altenheim! Wie oft würden Sie generell empfehlen zu testen? Und wie lange kann man von einer Nicht-Infektion ausgehen? Viele Grüße.“


[0:01:00]:



Alexander Kekulé:


Das Testkonzept für Altenheime ist ein heikles Thema. Ich würde da ungern etwas pauschal dazu sagen. Ich biete gerne an, dass jemand mir eine E-Mail schreibt und wir bilateral über den konkreten Fall im Altersheim sprechen.


Ich habe in Einzelfällen schon Altersheime beraten bei solchen Situationen, weil man da die lokale Situation anschauen muss. Aber vielleicht Folgendes allgemein: Zum Testen in Altenheimen bin ich etwas vorsichtiger als die offizielle Linie, und zwar aus folgendem Grund: Die Schnelltests übersehen einfach manche Infektionen. Das ist so, weil man manchmal etwas übersieht, denn man will ja wissen, ob an dem Tag akut jemand infektiös ist. Darum bin ich dafür, in Altenheimen – wenn die Kapazitäten da sind und im Moment sind wir in Deutschland gut aufgestellt – mit den PCRs zu testen. Der Zeitverlust ist auch kein Thema. Ich rede von den Bewohnern dort und auch vom Personal, da ist der Zeitverlust in dem Sinn kein Thema. Ob das nach ein paar Stunden kommt oder nach 15 Minuten bekannt ist, spielt keine Rolle, weil es ja um Leute geht, die ständig da im Einsatz sind. Und man muss sie einfach überwachen. Und mit dieser PCRÜberwachung – ich weiß, dass die Tests, die dort bei dem Anrufer vorrätig sind, keine PCRTests waren – würde ich sagen, zweimal die Woche, das ist so ein Fenster. Klar, da hat man Lücken. Aber man muss ja zwischen Praktikabilität, Kosten usw. einen Mittelweg finden. Wer soll es machen? Ja, das ist ja ein riesen Thema. Natürlich nicht das Personal der Altenheime. Diese Nasen-Rachen-Abstriche oder Gurgeltests kann ungelerntes Personal machen. Da muss man Leute rekrutieren, die das machen. Die müssen zweimal die Woche kommen und vorher einen Schnellkurs gemacht haben bei einem Arzt. Und das funktioniert überall. Wenn sie heutzutage in eine Fernsehshow gehen und dort soll nur sichergestellt werden, dass die Kabelträger, Kameraleute und das sonstige Personal sich nicht ansteckt, machen auch irgendjemand den Schnelltest. Deshalb meine ich, müssen wir auch den Altenheimen und auch sonstigen Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen usw.


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weiter diesen Service zur Verfügung stellen, dass sie diese Schnelltests gemacht bekommen. Das Geld muss da sein. Und ich habe gehört. Es gibt viele Leute, die zurzeit nicht arbeiten können, aus verschiedenen Gründen. Vielleicht hat auch jemand Lust, sich auf die Weise nützlich zu machen.


[0:03:36]:



Camillo Schumann

:


Herr H. hat gemailt:


„Herr Professor Kekulé, es gibt ja vier Erkältungs-Coronaviren. Sind diese Erkältungsviren wesentlich ansteckender als das bisherige Sars-CoV-2 -Virus? Mit freundlichen Grüßen, Herr H.“


[0:03:51]:



Alexander Kekulé:


Meines Wissens ist für diese vier Virustypen, von denen aber 2 im Moment eigentlich nur richtig zirkulieren ist, kein R-Wert sauber erhoben worden. Man kann eigentlich sagen, es ist überhaupt noch nie so viel gemessen und geschätzt worden wie bei dieser Pandemie, weil man bei früheren Pandemien einfach nicht so genau zugeschaut hat, was da passiert. Ich würde aber, ohne dass es diesen R-Wert gibt, sagen: Wenn ein Virus es schafft, sich jedes Jahr wieder massiv auszubreiten, obwohl man vorher eine zum großen Teil ja immune Bevölkerung hatte – und das ist bei den Erkältungsviren der Fall – dürfte das ein deutlich höheres R-Null haben. In dem Fall muss man sagen Basisreproduktionszahl = 1. Aber belegt ist das nicht. In der Theorie müsste es genauso sein, wie sich das der Hörer vorstellt, aber richtig untersucht wurde das für die verschiedenen Typen nicht.


[0:04:50]:



Camillo Schumann

:


Man kann also nicht definitiv abschließend sagen: Sars-CoV-2  ist infektiöser als andere Erkältungsviren?


[0:04:59]:



Alexander Kekulé


Nein, es ist eher andersherum: Man würde


davon ausgehen, dass die klassischen Erkältungsviren besser an den Menschen angepasst wären, weil sie schon länger da sind. Dass die ansteckender sind, wissen wir z.B. bei Schnupfen. Bei den Rhinoviren wissen wir, die sind deutlich ansteckender. Aber die bläst man ja auch so richtig motiviert in die Gegend?


[0:05:17]:


Man muss sich das so vorstellen: Wenn man so einen Winter hat mit Erkältungskrankheiten, sind Schnupfenviren, die sogenannten Rhinoviren im Einsatz. Da sind viele Coronaviren. Wir haben aber noch ein paar andere Sorten von Adenoviren und andere. Die können so Erkältungen aller Art machen. Und natürlich noch die Grippe. Die hätte ich fast vergessen, und Paramyxoviren und so weiter. Wenn Sie Virologie lernen, müssen sie die alle drauf haben. Und wenn Sie 100 Leute mit Erkältungen haben, sind das verschiedene Viren. Und deshalb ist es wahnsinnig schwer zu sagen, wer hat wen angesteckt, mit welchem Intervall dazwischen. Daraus würde man ja ausrechnen, wie schnell breitet sich das aus. Wenn einer durchschnittlich drei andere ansteckt, dann ist R = 3. Diese Berechnung kann man nur machen, wenn man eine saubere Virusdiagnostik macht oder wenn nur ein einziges Virus zirkuliert oder die Symptomatik so eindeutig ist wie bei Masern, dass man einfach sagt, ich brauche keinen Test, ich sehe, das sind die Masern. Aber das ist ja alles bei Erkältungen nicht der Fall. Und darum hat es nie einer so sauber auseinanderklamüsert.



Camillo Schumann

:


Dieser Herr, hat angerufen: [0:06:2 5]:


„Angenommen, ich wäre mit AstraZeneca geimpft worden, könnte man später noch mit Moderna und dem Biontech-Impfstoff nachlegen? Ist das kumulativ in der Wirkung, oder gibt es sogar medizinische Gründe, die dagegensprechen würden, 2 Impfstoffe nacheinander zu impfen?“


2 


[0:06:42 ]:



Alexander Kekulé:


Es gibt 2 Varianten von „nacheinander“. Das eine ist, diese Impfstoffe werden ja zweimal gegeben. Das zweite Mal ist die Auffrischungsimpfung oder Booster-Impfung. Da würde ich dringend davon abraten, etwas anderes zu nehmen. Und die andere Frage ist, bringt es bei diesen speziellen Impfstoffen etwas, erst den einen und dann den anderen zu nehmen, nach dem Motto 95 Prozent Schutz reicht mir nicht. Ich will irgendwie auf 100 kommen. Das ist völlig sinnlos und mit der Gefahr verbunden, dass man das Immunsystem ein bisschen überreizt und beim zweiten und dritten Mal eine stärkere Immunreaktion nach der Impfung hat. Deshalb würde ich dringend davon abraten.


Es bringt auch nichts, weil das S-Protein, um das es geht, dieses Spike, was da entweder in einem Impfstoff drin ist oder produziert wird von den Zellen, ist ja genau das gleiche. Also diese AstraZeneca-Vektoren, das sind ja so virale Vektoren, die veranlassen die Zelle, das gleiche Spike zu produzieren wie die Impfstoffe von Biontech und Moderna. Sie kriegen z.B. keinen Schutz gegen die modernen Varianten, die gerade im Kommen sind. Da würde ich eher vorschlagen abzuwarten nach der ersten Impfung, weil ich schon annehme, dass im Jahr 2 02 2  ein neuer Corona-Impfstoff angeboten werden wird, der diese Varianten, die bis dahin da sind, abdecken wird bzw. speziell abdecken wird. Der jetzige wird auch einen Schutz haben, aber das wird sicherlich fokussierter sein. Und da wird es sich lohnen, sich noch einmal impfen zu lassen.


[0:08:17]:


Eine Dame hat angerufen, die ein Immunsuppressivum einnimmt. Deshalb will sie wissen, inwieweit eine Impfung wirkt. Und sie hat eine weitere Frage:


[0:08:2 5]:


„Und außerdem soll es ja bei Impfungen bei Personen, die bereits eine Autoimmun-


erkrankung haben, häufiger dazu kommen, dass sie sich noch eine zusätzliche Autoimmunerkrankung dazu erwerben. Gibt es Wahrscheinlichkeiten, wie häufig das vorkommt? Denn der Worst Case wäre ja für solche Patienten, dass sich immunsupprimierte die Impfung g lassen, eine weitere Autoimmunerkrankungen dazu bekommen und durch die Impfung noch nicht einmal gegen die CoronaInfektion geschützt wären.“


[0:08:56]:



Alexander Kekulé:


Das muss man im Einzelfall sehen. Es gibt sehr viele verschiedene Autoimmunerkrankungen, und die allermeisten sind keine Kontraindikation für die Impfung. Außerdem kann man bei den meisten trotzdem impfen. Natürlich muss man fairerweise auch sagen, das ist ja bisher nur in Studien untersucht worden. Und aktuell wird im Markt draußen beobachtet, wie die Impfungen laufen. In den USA sind, glaube ich, inzwischen schon über 15 Millionen Menschen geimpft. Das heißt aber trotzdem nicht, dass man genau das auseinander genommen hat, wie viele Personen mit welcher speziellen Autoimmunerkrankung welche Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen haben. Diese Daten sammeln wir erst, sodass ich sagen würde, das muss man mit dem Arzt besprechen zu dem Zeitpunkt, wo man sich impfen lässt, ob für die konkrete Autoimmunerkrankung irgendwelche Hinweise vorhanden sind in diese Richtung. Hier ist die Behauptung so eingeflossen, dass Menschen, die eine Autoimmunerkrankung haben, durch eine Impfung – da ging es offensichtlich nicht um die Covid19 Impfungen –, dass jemand dadurch weitere Autoimmunerkrankungen bekommt. Das ist so ein Gerücht. Das höre ich relativ oft. Das sagen natürlich die sogenannten Impfkritiker immer. Dafür gibt es aber keinen wissenschaftlichen Beleg. Das ist nicht signifikant belegt, dass es diesen Effekt gibt, dass das Spektrum der Autoimmunität durch eine klassische Impfung ausgeweitet wird.


[0:10:19]:


3



Camillo Schumann

:


Herr S. hat eine Mail geschrieben:


„Meine Frage bezieht sich auf den PCR-Test Drive through. Ich wohne in München und habe im Drive through einen Test-Termin ausgemacht. Organisatorisch lief alles tipptopp. Die Dame entnahm mir nur Speichel aus dem Mundraum, auch auf Nachfrage nichts aus dem Rachen oder der Nase. Ist dieser Test so durchgeführt, überhaupt valide im Ergebnis? Vielen Dank und viele Grüße.“


[0:10:47]:



Alexander Kekulé:


Wir empfehlen immer noch, die PCR mit Nasen oder Rachenabstrich zu machen. Am Anfang hieß es, es muss dieser Nasenoder Rachenabstrich sein, wo man durch die Nase ziemlich weit reinfährt und hinten vom Rachen etwas abnimmt. Und es gibt ja auch noch den Gurgeltest. Aber beim Gurgeltest wird im Mundraum gespült. Da sammelt man natürlich aus dem ganzen Mundraum das Virus. Das ist ein Vorteil dieses Tests. Ich weiß, dass leider oft so – im Rheinland würde man sagen, die „Kölsche Wisch“ – gemacht wird, also immer so schnell, schnell, wie jemand, der keine Lust hat zu putzen. Das habe ich, ehrlich gesagt, sogar selbst am Flughafen erlebt. Da gab es auch solche Schnelltests. Und da musste ich durch oder durfte ich durch und habe das machen lassen. Ich würde sagen, es wäre gut, wenn das Personal da so ausgebildet und auch angewiesen ist, den Rachenabstrich hinzukriegen. Ich weiß, das ist mühsam und durch die geöffnete Fahrertür noch mehr. Andererseits ist es so, bei jemandem, der einen hohen Titer hat, also der hohe Mengen Virus gerade ausscheidet, da würde natürlich jeder Speicheltropfen, egal wie schlampig man den gewonnen hat, eine positive PCR ergeben.


[0:12 :00]:



Alexander Kekulé:


Also im besten Fall ist diese Abnahme nur aus einem Mundraum – um die Frage zu beantworten – weniger aussagekräftig.



Alexander Kekulé:


Genau, wenn sie negativ ist. Wenn sie positiv ist, bleibt es dabei. Und wenn sie negativ ist, hat man einfach ein höheres Risiko, dass man das Virus nicht richtig erwischt hat. Man würde für die gesamte Prozedur von Abnahme bis zum Test hinten eine wahrscheinlich deutlich erniedrigte Sensitivität haben, also die Nachweisempfindlichkeit ist deutlich geringer.


[0:12 :31]:


Oder er sammelt viel Speichel im Mund, schluckt nicht runter und fährt noch einmal durch.


[0:12 :38]:


Und dann muss das aber ein sehr saugfähiger Tupfer sein. Darum gibt es den Gurgeltest, wie die Österreicher sagen. Bei denen hat man, glaube ich, so fünf Milliliter sterile Flüssigkeit, die man da eine Weile im Mund behält und in den Becher zurückspuckt, weil diese riesigen Tupfer auf dem Markt nicht erhältlich waren, die man braucht.


[0:12 :59]:



Camillo Schumann

:


Dann haben wir eine Frage bekommen, da habe ich mir den Namen gar nicht notiert. Aber ich stelle sie trotzdem. Sorry an dieser Stelle.


„Unser Nachbar hat in unmittelbarer Nähe unseres Grundstücks ein Trampolin-Sportgerät aufgestellt. 2 bis drei Kinder benutzen das Gerät gleichzeitig, schreien, kreischen und brüllen, was die Lunge hergibt. Unser Gartenweg führt direkt dort vorbei. Das Gerät überragt die Hecke beziehungsweise Mauer zum Nachbarn durch einzelne Sprünge. Durch Schreie, Sprünge und Turbulenzen des Sprungturms befürchten wir einen Eintrag von Aerosolen. Oft befinden wir uns bei aller Vorsicht versehentlich in der Nähe dieses Sportgerätes. Ist dadurch eine Ansteckung mit Corona Viren möglich? Viele Grüße.“


[0:13:46]:



Alexander Kekulé:


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Es ist extrem unwahrscheinlich. Wir sprechen ja von Tätigkeit im Freien. Dass man da, indem man an so einem Trampolin vorbeigeht, sich anstecken kann, das würde ich praktisch ausschließen. Das wäre eine extreme Ausnahme. Man muss auch sagen, dass Kinder ja wahrscheinlich, wenn sie das Virus ausscheiden, das eher kurzzeitig ausscheiden in der Regel.


Was ich nicht unterschreiben würde, ist, dass sich die Kinder untereinander nicht anstecken könnten. Die sind sich gegenüber, schreien sich quasi aus einem Meter Abstand oder kürzer gegenseitig an, umarmen sich vielleicht, springen gemeinsam. Sie ahnen schon, das habe ich schon beobachtet. Da würde ich mir schon überlegen, mit wem ich da zusammen in das große Trampolin reinspringe oder reinschicke. Aber solange man nur daran vorbeigeht, ist keine Gefahr.


[0:14:32 ]:



Camillo Schumann

:


Es wurde noch gefragt:


„Wie lange müssten wir warten, um unseren Garten nach Betätigung dieses Geräts wieder betreten zu können?“



Camillo Schumann

:


Ja, also sofort wieder. [0:14:43]:



Alexander Kekulé:


Währenddessen sogar. Man kann da einfach daneben sitzen bleiben. Das ist im Freien ungefährlich, weil diese klassischen Aerosole – das kann man nicht oft genug sagen, weil leider auch manche Verordnungsgeber zumindest im Ausland das nicht so auf dem Schirm haben – bilden sich einfach im Freien nicht. Wir haben im Freien – das hängt mit der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck und Luftbewegung zusammen – nicht die Situation, dass sich infektiösen Aerosole in einer Wolke quasi halten, durch die jemand anders durch-gehen könnte oder die als Wolke so langsam weiterziehen und den anderen infizieren könnten.


Wir haben nicht diesen Klassiker, den wir bei dem Superspreading in geschlossenen Räumen haben. Und darum würde ich sagen, das ist es ist der gleiche Grund, warum wir, wenn es keinen Kontakt gibt, zwischen Fußballern auf einem Fußball-feld keine Infektionen beobachten können. Die gibt es immer nur in einer Dusche, im Umkleideraum oder beim unmittelbaren Kontakt im Freien, wenn sie face-toface gegenüber sind.


[0:15:43]:



Camillo Schumann

:


Das ist schon interessant. Hier ist es das Trampolin Sportgerät vom Nachbarn. Die Menschen entwickeln jetzt ein Angst, wo sie sich überall oder bei welchen Tätigkeiten sie sich anstecken können. Ich habe das auch erlebt. Ich war spazieren mit Maske, da kommt mit einer entgegen 100 m Entfernung und wechselt die Straßenseite auch mit Maske.



Alexander Kekulé:


Das sieht man ständig. Das ist auch der Grund, warum wir diesen Podcast machen. Man muss einfach sagen, wo die Lücken sind. Noch eine Lücke ist z.B.: Da kommt ein Paketbote ohne Maske durchs Treppenhaus geschnauft, legt das Paket vor die Tür, weil das zum Teil ja so Standard ist und schnauft die Treppe wieder runter, weil er unter Zeitdruck ist. Und eine Minute später geht durch das gleiche Treppenhaus mit geschlossenen Fenstern die 80jährige Lady zum Einkaufen, hat ihre Maske nicht auf, weil sie die erst im Geschäft aufsetzt. Das sind so Lücken, die wir offen haben. Aber das Augenmerk auf die Situation im Freien ist fälschlich gesetzt worden. Das liegt daran, dass von Anfang an die Asiaten im weiteren Sinne im Freien immer diese Masken aufhatten. Das hängt aber auch sehr damit zusammen, dass die schon immer gedacht haben, dass man sich mit so Masken gegen Abgase und Ähnliches schützen kann. Und wenn man gesehen hat, wie im Sommer in Peking der Smog zum Teil ist, weiß man auch, warum. Dann haben aber die Europäer gedacht, sie müssten die Masken auf der Straße anziehen. Und ich weiß, dass einige Politiker das auch glauben. Und ich warte auch immer darauf, dass in Deutschland


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irgendwann die bundesweite Maskenpflicht auf der Straße angeordnet wird. Da gibt es absolut keine Notwendigkeit dafür. Und sobald es die gibt, sobald es irgendwo einen Ausbruch gibt, also einen Superspreading im Freien weltweit, schwöre ich Ihnen, hören Sie es in diesem Podcast.


[0:17:2 4]:



Camillo Schumann

:


Frau N. hat gemailt:


„In unserer Familie hatten 2 Personen Corona mit normal leichtem Verlauf, der Sohn und die Freundin hatten grippeähnliche Symptome zu Hause, im eigenen Haus. Können die beiden trotzdem in Zukunft Viren auf uns übertragen, wenn sie in unser Haus zu Besuch kommen? Oder sind sie durch ihre Immunität auch keine Überträger mehr? Wie lange hält die Immunität nach überstandener Viruserkrankung? Und müssen diese Menschen überhaupt noch geimpft werden? Viele Grüße.“


[0:17:53]:



Alexander Kekulé:


Die leichteste Frage ist: Müssen sie geimpft werden? Die Antwort ist nein, weil der Impfstoff identisch ist mit dem im Moment vorherrschend zirkulierenden Corona-Typ, mit der Variante, die bei uns da ist. Da ist die echte Infektion viel besser als eine Impfung. Weil ja nicht nur dieses kleine Stück eines Virus, also dieses Spike produziert wird, sondern dass ein veritables Virus im Einsatz war und das Immunsystem so richtig durcheinandergebracht hat. Und da haut das Immunsystem drauf mit allem, was zur Verfügung steht, wenn so ein echtes Virus am Vermehren ist. Also diese Vermehrung in den Schleimhautzellen macht das Immunsystem dreimal so wild, als wenn das nur so ein Impfstoff ist.



Camillo Schumann

:


Noch kurz nachgefragt: Auch nach einem halben Jahr, wenn sich die Antikörper schon wieder zurückgebildet haben?



Alexander Kekulé:


Ja, es ist ja so, dass die Antikörper wieder


zurückgehen. Das sehen wir auch. Das ist ja auch ein Nachweis-Problem, wie beweise ich, dass sich die Infektion hatte. Bei vielen ist es so, dass sie nach vier Monaten keine messbaren IGG-Antikörper mehr haben. Die gehen zurück. Aber das ist eigentlich so ein ökonomisches Verhalten des Immunsystems, denn Antikörper heißt ja Proteine. Und die müssen ständig produziert werden, weil die sonst irgendwann kaputtgehen. Und die Zellen, die die produzieren, sind Lymphozyten, also eine bestimmte Sorte weißer Blutkörperchen, die so genannten Plasmazellen. Das sind so Nachfahren der Lymphozyten quasi. Und die produzieren die Antikörper. Und die stellen diese Produktion irgendwann ein, weil das blöd wäre, wenn das Virus weg ist. Warum soll man sich da die Mühe machen? Die sterben sogar regelrecht ab. Aber stattdessen gibt es andere Zellen, die genau die gleichen Fähigkeiten haben. Die gehen als Gedächtniszellen in so einen Schlafzustand und lauern irgendwo in den Lymphknoten oder sonst wo. Und die werden reaktiviert, wenn das Virus wiederkommt. Aber erst, wenn das kommt. Um wissenschaftlich festzustellen, ob jemand immun ist, müsste man den so ein bisschen provozieren mit ein bisschen Virus. Das könnte man schon machen. Man könnte quasi Virusprotein – natürlich kein ganzes Virus – nehmen und diese Lymphozyten in der Zellkultur stimulieren. Da gibt es Tests dafür. Und wenn man sieht, die explodieren quasi sofort und haben nur darauf gewartet, dass dieses Virus kommt, weiß man, aha, der war noch immun.


Die anderen Fragen sind schwieriger. Wie lange hält die Immunität an? Das wissen wir nicht genau. Aber es ist relativ klar, das – sag ich so grob als Hausnummer – wir davon ausgehen können, dass in dieser Pandemie mit diesen Varianten, die im Moment zirkulieren, als Hauptvarianten, dass wir da schon eine Immunität haben von, ich sage, wahrscheinlich ein Jahr lang oder so. Das Problem sind nur diese Varianten, die kommen. Und da wissen wir gerade bei dieser Variante, die da an der Position 484 des Spike-Proteins ist, da wissen wir, da gibt dieses Immun-Escape-Phänomen, das ist ja ziemlich klar gezeigt worden inzwischen. Und das heißt aber auch, dass man


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sich noch mit einer Variante anstecken kann, sowohl nach der Impfung als auch nach einer Infektion.


[0:2 1:05]:



Camillo Schumann

:


Herr M. aus Bayern hat geschrieben:


„Warum wird im Formular in Bayern nicht die Anzahl und auch das Alter der Kinder aufgenommen, um die Priorität zu bestimmen? Macht es aus virologischer und auch ethischer Sicht nicht Sinn, eine weitere Priorisierung innerhalb der Risikogruppen oder allgemein einzuführen? Innerhalb der Familie gibt es ja kein Entkommen, und je mehr Kinder, desto größer das Ansteckungsrisiko und die Verbreitung. Wie würden Sie die Prioritäten allgemein beim Impfen vergeben? Viele Grüße.“


[0:2 1:33]:



Alexander Kekulé:


Die Prioritäten würde ich so vergeben, wie sich das die einschlägigen Kommissionen schon seit Jahrzehnten überlegt haben. Und das ist genau das, was auch beschlossen wurde in Deutschland, dass man als allererste Priorität diejenigen impft, die besonders gefährdet sind. Und was wäre ein Grund, die Kinder im Haus zu bevorzugen? Da würde man sagen, Kinder haben ein höheres Expositionsrisiko. Also die Gefahr, sich anzustecken, ist da höher. Aber da ist ja immer die Frage, wer steckt sich an. Also ein 30-jähriges Elternteil, das sich da ansteckt beim Kind, ist ja auch nicht besonders gefährdet. Und wenn die 80-jährige Oma oder der Großvater noch mit dem Haus wohnt, können die ja in die erste Priorisierung-Gruppe. Und zwar egal, ob Kinder dabei sind oder nicht. Die müssen nicht die Kinder vorzeigen, um den Zugang zum Impfstoff zu bekommen. Darum finde ich, das System ist aus meiner Sicht schon schlüssig und richtig so. Ich sehe da daran keinen Fehler.


[0:2 2 :36]:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 142  von


Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.


Vielen Dank.


Wir hören uns am Dienstag, den 2 6. Januar, wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé:


Das wünsche ich Ihnen auch, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch ein vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Donnerstag, 2 1.01.2 02 1 #141: Virus befällt auch das Gehirn



Camillo Schumann

, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links:


LongCovid Selbsthilfegruppe (2 1.01.2 02 1)


https://www.nakos.de/data/OnlinePublikationen/2 02 1/NAKOS-CoronaSelbsthilfegruppen.pdf


Südafrikanische Studie zur Mutation – Blutplasma-Untersuchung (19.01.)


https://www.biorxiv.org/content/10.1 101/2 02 1.01.18.42 7166v1


Südafrikanische Studie zur Mutation – Antikörper-Untersuchung (19.01.)


https://www.biorxiv.org/content/10.1 101/2 02 1.01.15.42 6911v1


Müdigkeit, Schlafstörungen, Depression: Chinesische Studie zu LongCovid (08.01.)


https://www.thelancet.com/journals/l ancet/article/PIIS0140-6736(2 0)32 6568/fulltext



Camillo Schumann

:


Donnerstag, 2 1. Januar 2 02 1.


Spürbar weniger Neuinfektionen. Die 7-TageInzidenz auf dem niedrigsten Wert seit zweieinhalb Monaten. Fast 2 .000 weniger


Patienten auf Intensivstationen. Sind wir über den Berg?


Dann: in Baden-Württemberg ist ein Mann nach einer erneuten Sars-CoV-2 -Infektion gestorben. Was weiß man darüber?


Außerdem: Antikörper sind bei Virus-Variante aus Südafrika offenbar weniger wirksam. Was bedeuten diese neuen Studienergebnisse?


Zudem: Müdigkeit, Schlafstörungen, Depressionen – aktuelle Erkenntnisse zu „Long-Covid“.


Wir wollen Orientierung g. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.





Camillo Schumann

:


Zu Beginn der aktuelle Blick auf die Zahlen. Die machen doch ein wenig Mut. Binnen eines Tages wurden zwar immer noch über 2 0.000 Neuinfektionen – Stand heute – gemeldet. Vor genau einer Woche waren es aber 2 5.000, also 5.000 mehr. Und diese Daten sind nach Weihnachten und Jahreswechsel nun auch belastbar, sagt das Robert-Koch-Institut. Die 7Tage-Inzidenz wird mit 119 angegeben. Das ist der niedrigste Wert seit dem 1. November 2 02 0. Spürbar gute Nachrichten, oder?





Alexander Kekulé:


Das würde ich auch so sehen. Der Lockdown hat seine Wirkung, und das wird jetzt in der nächsten Zeit auch so weitergehen. Das ist vorherzusehen gewesen. Man muss sich jetzt noch einmal fragen, warum jetzt der Lockdown von vornherein bis Mitte Februar noch einmal verlängert wurde, bevor man diese Entwicklung abgewartet hatte. Aber wie gesagt, das ist wahrscheinlich eine eher politische und psychologische Entscheidung gewesen.





Camillo Schumann

:


Und setzt sich dieser Trend fort, dürfte der Plan der Politik, bis Mitte Februar bei einer 50er-Inzidenz zu landen, aufgehen. Oder grätscht uns da die Mutation dazwischen?





Alexander Kekulé:


Wenn wir uns an die Regeln halten, die sowieso notwendig sind, die Lücken schließt und das macht, was sowieso notwendig ist, auch mit der vorherigen Variante. Da grätscht uns die Mutation nicht dazwischen, auch keine weitere, sondern das ist das gleiche Virus. Das ist die gleiche Pandemie, das ist eine kleine Veränderung, ja, das ist unangenehm. Man wird jetzt nicht sofort in dem Moment, wo die aufgetaucht ist, von der Bremse gehen, sondern sich das erst mal anschauen. Aber viel gefährlicher als die neuen Varianten sind die Lücken, die wir sowieso schon hatten in Deutschland.





Camillo Schumann

:


Kleine Veränderungen, sagen Sie. Die Kanzlerin hat heute bei der Bundespressekonferenz das Bild ein wenig düsterer gezeichnet. Wir hören mal kurz rein:


„Auf der anderen Seite haben wir es nämlich mit erschreckend hohen Todeszahlen zu tun. Das ist furchtbar, allein heute sind es wieder über tausend Menschen. Und auch darüber hinaus haben wir gegenwärtig damit zu kämpfen, dass all unsere Bemühungen gegen das Virus eine Gefahr trotzdem nicht außer Acht lassen können. Unseren Bemühungen droht eine Gefahr, und wir sehen diese Gefahr heute etwas klarer als zu Jahresbeginn. Und das ist die Mutation des Virus, wie sie vor allem in Großbritannien und Irland, aber auch in den Niederlanden, in Dänemark und anderen Ländern nachgewiesen ist. Auch bei uns ist dieses mutierte Virus, wie gesagt, schon nachgewiesen. Aber es ist nicht dominant, jedenfalls bis jetzt nicht. Und trotzdem müssen wir die von dieser Mutation ausgehende Gefahr sehr ernst nehmen. Das kann ich jedenfalls uns allen nur raten.“





Camillo Schumann

:


Sie sagen: kleine Gefahr. Die Kanzlerin, die sieht das noch wesentlich schärfer. Wie können Sie die Differenz erklären?





Alexander Kekulé:


Ich habe ja nicht „kleine Gefahr“ gesagt, sondern „kleine Veränderung“. Wie gefährlich das ist, muss man sehen. Aber ich warne davor, alarmistisch zu sein. Wir haben eine höhere Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus‘, bei dieser Variante aus Großbritannien B1.1.7. Aber insgesamt gesehen ist es so: Wir haben nicht nur diese eine Variante, sondern da zirkulären viele. Das sind auch keine Informationen, die wir jetzt so im engeren Sinne erst seit Januar völlig überraschend haben, sondern das war völlig klar. Von Anfang an ist ja auch von einigen Virologen schon vorher vorhergesagt worden, dass das Virus sich anpasst in der Weise, dass es ansteckender wird. Ob diese Variante ansteckender ist, ist aber eine Vermutung. Dafür gibt es deutliche Hinweise. Aber wie wir am Dienstag ausführlich besprochen haben, ist es so, dass die schnellere Verbreitung in England und damit einer wahrscheinlich höheren Infektiösität, also eine leichtere Bindung an den Rezeptor, könnte auch dazu beigetragen haben, das mehr asymptomatische Verläufe, insbesondere bei Kindern sind und/oder dass die Erkrankung über längere Zeit hinweg möglicherweise ansteckend ist bei den Patienten. Es gibt, will ich damit sagen, oft mehrere Faktoren, die dazu führen, dass man in der Epidemiologie im Ergebnis sieht, dass es sich schneller verbreitet. Und einer dieser Faktoren ist möglicherweise eine etwas geringere Infektionsdosis, die man braucht, um jemanden anzustecken. Das heißt aber nicht, dass man z.B. deshalb unbedingt auf FFP-2  umsteigen müsste oder deshalb 2 ,50 m Abstand statt 2  m machen sollte, sondern der Abstand, der vorher gut war, war richtig. Viel gefährlicher als die Varianten sind die Lücken, die wir jetzt immer noch in der Verteidigung haben. Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Bundeskanzlerin. Aber im Ausland gibt es Politiker, die jetzt ständig auf diese Varianten zeigen und damit offensichtlich die Diskussion ablenken wollen von den Dingen, die noch offen sind auf der To-do-Liste. In Deutschland stehen 


  1. die Altenheime, 

  2. das berufliche Umfeld, 

  3. Infektionen zu Hause und 

  4. die zunehmende Non-Compliance, also dass die Leute nicht mehr mitmachen wollen bei den CoronaMaßnahmen. 

Das sind unsere vier Probleme. Und auf die sollten wir uns stark konzentrieren, wissend, dass ein sich schneller verbreiten des Virus diese Aufgabe noch dringender macht. So kann man das schon formulieren. Aber ich habe immer so ein bisschen Angst davor, wenn da so Panik verbreitet wird.





Camillo Schumann

:


Haben Sie den Eindruck?





Alexander Kekulé:


Es gibt so einen Satz, den ich überhaupt nicht ausstehen kann es: Wenn Leute sagen: kein Grund zur Panik. Das ist so ein dummer Satz, weil Panik definitionsgemäß unbegründete Angst ist. Jetzt ist mir das kürzlich in einem Radiointerview genauso rausgerutscht und ich bin auch munter zitiert worden. Ich habe hinterher überlegt, warum mir das passiert. Das war so ein kurzes Interview, sodass ich es auch nicht mehr einfangen konnte. Der Grund ist der, weil ich den Eindruck habe, dass andere jetzt Panik haben. Deshalb sage ich: kein Grund zur Panik. Kein Grund zu dieser Panik, die ich da beobachte: Wenn man so sagt, das ist eine Pandemie in der Pandemie. Ich erinnere noch mal daran: Die G-Variante in Norditalien war im Grunde genommen genau das Gleiche, was wir jetzt beobachten. Das war eine Variante, die sich schneller ausbreitet. Damals gab es wenige Leute – zu denen habe ich gehört, die gesagt haben, wir müssen was tun, weil das noch am Anfang ist. Und wir müssen jetzt versuchen, das so lange wie möglich unter Kontrolle zu halten. Sie erinnern sich, dass die große Mehrheit – auch der Fachleute – gesagt hat, nein, das ist nicht nötig. Mit dem bekannten Ergebnis, dass sich die G-Variante weltweit verbreitet hat.


Jetzt wird sich möglicherweise B1.1.7 weltweit verbreiten, vielleicht aber auch etwas anderes. Wir werden die nächsten Monate mit vielen neuen Varianten konfrontiert werden. Und da empfehle ich doch nicht jedes Mal, den


Blutdruck steigen zu lassen, sondern zu fragen: Habe ich meine Hausaufgaben gemacht, wo sind in meine Lücken? Und wenn das Haus dicht ist, ist das Haus dicht. Egal, welche Variante da an der Tür anklopft.





Camillo Schumann

:


Wir haben die Verlängerung des harten Lockdowns bis Mitte Februar mit teilweise verschärften Maßnahmen und jetzt die Angst vor den Mutationen. Ist denn Mitte Februar klar, wie die Lage der Mutationen in Deutschland sein wird?





Alexander Kekulé:


Sie können aber gemeine Fragen stellen, Herr Schumann. Das ist genau der Punkt. Die Frage ist doch immer bei so etwas: Was ist mein ExitSzenario? Das weiß jeder General spätestens seit dem Desaster in Afghanistan, wo sich erst Russland oder die Sowjetunion und dann die USA verbrannt haben, weil sie kein ExitSzenario hatten, (das) weiß man, wenn ich in eine Schlacht gehen oder wenn ich etwas Dramatisches anordnen will –, das gilt genauso für Epidemiologie –, muss ich wissen, wo will ich hin, wie mache ich weiter? Gut, die Bundesregierung sagt, wir wollen auf Inzidenz 50. Da sage ich, ja, das kann schon sein, dass der deutsche Mittelwert in diesem Bereich sinkt für einen Moment. Aber was machen Sie, wenn Sie von der Bremse runtergehen? Die Situation haben wir ja in England und in Irland, übrigens auch in Portugal und in Tschechien – dann gehen die Fallzahlen wieder dramatisch hoch. Dann haben Sie das Gleiche wie vorher. Das ist jetzt die Variante. Aber das ist egal. Es war das Runtergehen von der Bremse. Das heißt, wir brauchen ein kontinuierliches Konzept, mit dem wir, wenn wir irgendwo zwischen 50und 100-Inzidenz gelandet sind, weitermachen, bis wir alle immun sind. Halbwegs immun mit Blick auf die Varianten, die diese Immunität auch durchbrechen können. Und dieses Konzept kann auch ein anderes sein. Aber wir brauchen so ein Konzept, sonst sind wir immer am Gas geben und bremsen. Und das wird nicht funktionieren.





Camillo Schumann

:


Noch mal ein paar Zahlen: Besonders deutlich wirkt sich der harte Lockdown in den Krankenhäusern aus. Laut Divi-Intensivregister werden stand heute 4.782  Menschen intensivmedizinisch versorgt. Zum Vergleich Ende vergangenen Jahres waren es 6.648, also grob 2 .000 Patienten mehr. Bis auf Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und das Saarland gehen die Intensivpatienten deutlich zurück, fast 2 .000 Patienten weniger innerhalb von 2 0 Tagen. Das ist doch schon mal eine Aussage und ein Hinweis darauf, dass die Mutation bisher nicht dafür gesorgt hat, dass die Krankenhäuser voll werden, oder doch?





Alexander Kekulé:


Das hat ja auch niemand behauptet. Ich glaube, das steht überhaupt nicht im Raum, dass diese Mutationen irgendwie gefährlicher werden, sondern sie haben eine schnellere Ausbreitung und sind zugleich ungefährlicher. Das wäre sozusagen das Standardprogramm für so ein Virus. Und man könnte sogar sagen, vielleicht passiert es gerade, denn wir haben in England ja gesehen, dass diese Variante B1.1.7 auftritt, sie besonders häufig asymptomatisch verläuft. Und die asymptomatischen sind ja die ungefährlichste oder symptomärmste Variante, die man sich vorstellen kann. Und falls sich das statistisch bewahrheiten sollte, das sind erst einmal so anekdotische Beobachtungen, da muss man eine gute Statistik machen, um zu sehen, ob das signifikant ist – die haben wir noch nicht – aber falls sich das bewahrheitet, könnte es sein, dass vielleicht mehr jüngere Leute betroffen sind oder das aus irgendwelchen Gründen nicht so viele schwerkrank werden. Zugleich ist aber eine schnellere Verbreitung quasi lehrbuchhaft. Und wenn jetzt die Sterblichkeit im Krankenhaus oder auch die Belegung der Intensivstationen nicht so hoch ist – vielleicht hängt es damit zusammen, dass diese Variante überhaupt jetzt schon eine Rolle spielt, das wissen wir ja gar nicht. Ich glaube, ehrlich gesagt auch, wie die Kanzlerin das auch sagt: Die ist wohl nicht dominant in Deutschland, obwohl wir nur schlechte und kleine Stichproben bis jetzt haben. Wenn man auf die Intensivstation schaut – ich habe das auch genau in dem Zitat gerade gehört, dass man sagt, ja, wir haben immer noch so viele Patienten in den Intensivstationen – dieser Effekt schleppt sich ja – über den Daumen gepeilt – nach den Infektionen drei bis vier Wochen hinterher. Die Intensivbelegungen sind deutlich nachgelagert. Und deshalb ist das, was wir auf den Intensivstationen jetzt sehen, das Ergebnis unserer Bemühungen von vor drei bis vier Wochen.





Camillo Schumann

:


Und das wäre der Jahreswechsel, also Ende letzten Jahres.





Alexander Kekulé:


Man kann vielleicht sogar sagen, wenn man jetzt auf der Suche nach Bildern ist, kann man sagen, zumindest bezüglich der Belegung der Intensivstationen und der Sterblichkeit, da hat Weihnachten keine dramatische Verschlechterung gebracht. Das würde ich jetzt schon mal wagen zu sagen. Das heißt also – anders als Thanksgiving in USA – ist es uns gelungen, auch durch die ziemlich restriktiven Maßnahmen, einen Anstieg zu verhindern. Ich glaube, die Menschen waren vernünftig an den Feiertagen. Was der Einzelne macht, was das Individuum macht, ist das Entscheidende.





Camillo Schumann

:


Bei aller vorsichtigen Freude über diesen positiven Trend bei den Zahlen müssen wir über eine Meldung sprechen, die doch für einiges Aufsehen sorgte. In BadenWürttemberg nämlich ist zum ersten Mal ein Mann nach einer erneuten Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Das hat das Landesgesundheitsamt Stuttgart auf Anfrage von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung bestätigt. Es handelt sich um einen 73 Jahre alten Mann. Er hatte Herz-KreislaufErkrankungen. Der Mann hatte sich im April vergangenen Jahres erstmals mit Sars-CoV-2  infiziert, im Dezember erneut und am 11. Januar starb er an einer Lungenentzündung und Sepsis mit Multiorganversagen. Wie bewerten Sie diesen Fall?





Alexander Kekulé:


Das ist schwer zu sagen, ohne die Patientenakte jetzt im Detail zu kennen, weil Lungenentzündung und Sepsis synonym für eine bakterielle Infektion sind. Das heißt, er hat offensichtlich auf die virale Infektion obendrauf noch eine bakterielle Superinfektion bekommen, wie wir sagen. Und ob die das war, die tödlich war, oder nicht, das kann man aus der Beschreibung nicht ableiten.




Grundsätzlich ist es so – da haben wir ja schon öfters drüber gesprochen – es gibt definitiv Neuinfektionen. Menschen, die sich in der ersten Welle angesteckt haben, können sich jetzt noch mal anstecken. Wir haben für Europa noch nicht gezeigt, ob das eine andere Variante ist, die da zuständig ist. Es wäre aber, sag ich mal plausibel, dass es häufiger durch eine neue Variante ausgelöst wird. Und es wäre plausibel, dass das in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle weniger schwere Infektionen sind beim zweiten Mal. Das muss man klar sagen, auch wenn einzelne Menschen sterben. In diesem Fall war das ja ein älterer Herr mit schweren Vorerkrankungen. Und es war eine bakterielle Infektion, die eine Rolle gespielt hat. Und deshalb kann es gut sein, dass das Fass schon voll war und ein weiterer Tropfen es zum Überlaufen gebracht hat. Das wäre wahrscheinlich auch durch eine Influenza-Infektion, also durch die Grippe, passiert, sodass es jetzt kein typisches Covid19-Problem ist in dieser Situation. Aber ja, man kann Covid-19 zweimal bekommen, das wissen die Hörer dieses Podcasts schon seit einer Weile. Das ist inzwischen eindeutig. Vor allem in der zweiten Welle kann man es noch einmal kriegen, wenn man es in der ersten Welle gekriegt hat. Und ich hoffe sehr, dass diese Infektionen deutlich schwächer, weniger gefährlich verlaufen als beim ersten Mal.





Camillo Schumann

:


Bisher gibt es nur drei bis vier weltweit nachgewiesene Fälle einer Re-Infektion. Das ist, wenn ich Ihnen so zuhöre, absolut unrealistisch, es wird deutlich verbreiteter sein.





Alexander Kekulé:


Ja, das sind 3 4 Fälle, eine Handvoll, wo das wissenschaftlich akribisch bewiesen wurde. Die waren ja auch schon im Sommer da. Und Hinweise gab es ja in Südkorea schon auf wesentlich mehr Fälle, wo das nicht so sauber akribisch nachgewiesen wurde. Die Gesundheitsämter verfolgen das und die da arbeiten, die wissen, dass es Menschen gibt, die ziemlich eindeutig im Frühjahr Covid-19 hatten und jetzt wieder positiv getestet werden. Ich gehe davon aus, dass dieses Phänomen existiert. Das passt ja auch in das Bild der Coronaviren. Wir wissen, dass sich die Coronaviren typischerweise so nach ein bis 2 Jahren – in diesem Fall schon schneller, weil es eine massive weltweite Pandemie ist –, so verändern, dass sie dem Immunsystem von jemandem, der dass schon mal durchgemacht hat, entkommen können. Und diese anderen Coronaviren, die das machen, machen das so, dass man eine schwächere Krankheit kriegt. Das sind ja bekanntlich nur Erkältungen. Und meine Prognose für die mittlere Zukunft ist, dass wir mit diesem Virus und seinen Varianten auch in dieser Weise leben müssen, dass das wie eine schwere Grippe gelegentlich mal Todesfälle verursacht. Aber bei vielen Menschen, die entweder geimpft sind oder es schon mal hatten, in der Regel höchstens mittelschwere Verläufe bringt.





Camillo Schumann

:


Kommen wir noch mal kurz auf diesen Fall zurück. Ob sich der Mann jetzt beim zweiten Mal mit dem gleichen Virus oder einer motivierten Form infiziert habe, könne man nicht sagen, weil man die Probe der Erstinfektion vom April nicht mehr habe, also auch nicht analysieren könne, so zumindest das Landesgesundheitsamt. Und nach Ansicht dieses Gesundheitsamtes gibt es aber keine epidemiologischen Hinweise, dass der Verstorbene mit dieser Mutation in Berührung kam. Deshalb wurde vom örtlichen Gesundheitsamt auch keine genaue VirusAnalyse, eine sogenannte Genomsequenzierung, in Auftrag gegeben. Nur bei den Fällen, bei denen eine Reiseverbindung nach Großbritannien, Südafrika oder Irland besteht, würden wir dem Gesundheitsamt Bescheid geben, eine Sequenzierung zu veranlassen. Eine Genomsequenzierung erst bei einer Reiseverbindung? Ist das nicht gerade die Info, die man braucht, ob die Mutation jetzt schon unter uns ist und bei dem Herrn zugeschlagen hat?


5



Alexander Kekulé:


Als wir Ende September oder Anfang Oktober darüber gesprochen haben, mag es vielleicht neu gewesen sein für den einen oder anderen, der auch im Gesundheitsdienst arbeitet. Aber nachdem sogar der Bundesgesundheitsminister jetzt im Januar quasi die Parole ausgegeben hat, wir müssen feststellen, welche Genome im Umlauf sind, welche Varianten das sind, weil das nicht geht, dass wir dermaßen hinter Großbritannien und Dänemark und anderen Ländern hinterherhinken, in dieser Phase kann man nicht mehr sagen, ich habe es ja nicht gewusst. Es ist vollkommen klar, dass wir einen Fehler machen, wenn wir sagen, nur die, die aus Großbritannien kommen und eine Reiseanamnese haben, vielleicht auch nur die Grafschaften, wo das B1.1.7 besonders intensiv unterwegs ist, im Südosten der Insel, dass das ein Riesenfehler ist, den wir wiederholen würden. Noch einmal zur Erinnerung: Es war so, dass das Robert-KochInstitut beim Ausbruch der sogenannten GVariante in Norditalien genau den gleichen Fehler gemacht hat. Da haben Sie gesagt, jetzt ist erst mal nur Codogno betroffen, diese eine Ortschaft und ein paar Dörfer außenherum. Die haben die sogenannten Risikogebiete erweitert und waren allen Ernstes der Meinung, ein Virus, das in Norditalien weit verbreitet ist, würde in Tirol oder in anderen Teilen Österreichs nicht auftauchen. Und das ist ja schon damals völlig realitätsfern gewesen. Und es gilt jetzt auch. Wir müssen damit rechnen, dass dieses Virus in Deutschland ist. Und deshalb muss jeder, der eine Zweitinfektion hat – dazu kann ich nur aufrufen an dieser Stelle – und sei es auch nur ein Verdacht, weil die erste vielleicht nicht sauber bestätigt wurde – jetzt sequenziert werden. Man kann das neuerdings für 2 2 0 Euro selber machen im Labor. Oder man kann es für 2 0 Euro Portogebühren einschicken ans Referenzlabor. Aber zu sagen, nö, wir machen das nicht, weil der gesagt hat, er war nicht in England, das ist zu diesem Zeitpunkt nicht adäquat.





Camillo Schumann

:


Um mal das Robert-Koch-Institut ein wenig in Schutz zu nehmen: Das Gesundheitsamt


könnte ja selber auf die Idee kommen, das proaktiv mal zu machen, weil ja aufgefordert wurde, grundsätzlich fünf Prozent aller positiv Getesteten auch zu sequenzieren.





Alexander Kekulé:


Das war aber jetzt gerade nicht gegen das Robert-Koch-Institut gerichtet. Damals bei der G-Variante in Norditalien haben sie es verbasselt. Das kann man nicht anders sagen. Jetzt ruft das RKI ja klar dazu auf, diese Sequenzierungen zu machen. Und die Frage ist, warum das Gesundheitsamt, was da zuständig ist, so schematisch denkt. Ich weiß nicht, ob es irgendeine Vorlage dazu gibt. Keine Ahnung. Aber wie gesagt, das Virus ist wahrscheinlich im Land. Möglicherweise macht es auch schon einen erheblichen Teil unserer Fälle aus. Vielleicht hat es auch schon vor Weihnachten einen gewissen Effekt gemacht. Deshalb ist es notwendig zu sequenzieren, wenn man eine Infektion hat.





Camillo Schumann

:


Bleiben wir bei der Mutation. In Ausgabe 137 haben wir über die britische, südafrikanische und auch die brasilianische Variante gesprochen. Nun gibt es detailliertere Informationen zur Variante, die in Südafrika unterwegs ist. Da hatten sie ja schon Informationen, die Sie im Podcast auch genannt haben. Nun wurden die Daten veröffentlicht. Mal wieder ein Preprint, muss man dazusagen. Demnach sind Antikörper gegen diese Virus-Variante aus Südafrika weniger wirksam. Und dadurch könnte auch der Impfstoff weniger wirksam seien. Sie haben die Studie gelesen. Gibt es neue Erkenntnisse, die Sie daraus ziehen?





Alexander Kekulé:


Ja, das sind 2 Studien. 



Camillo Schumann

:


Das ist also ein Hinweis. Man kann jetzt nicht daraus schlussfolgern, die Impfstoffe wirken nicht mehr so wie in den Studien nachgewiesen wurde.





Alexander Kekulé:


Genauso ist es. Vor allem ist es ja so: Pfizer hat genau dieses gleiche Experiment Anfang Januar veröffentlicht. Das waren ähnliche Daten. Und die kam zu dem Schluss, dass es eigentlich eine vergleichbare Schutzwirkung hat. Das ist auch groß durch die Presse gegangen. Ich würde jetzt mal sagen, es ist ein bisschen pari pari. 


Ich glaube nicht, dass sie bei so einer Sache, wo sie dermaßen unter Beobachtung stehen, schummeln würden. Außerdem: AstraZeneca hat schon mal versucht, irgendetwas geradezubiegen in der Kommunikation und ist damit richtig auf die Nase gefallen. Das heißt, ich glaube, die sind da schon offen. Das würde ich schon dringend annehmen. Aber es ist so, dass es nicht so leicht festzustellen ist, wenn Sie nur so eine Stichprobe von den Antikörpern haben, wie das im echten Leben wirkt, weil sie da mehr Faktoren haben, die zusammenwirken. 




Wir haben auch – das kann ich vielleicht für die, die jetzt am Detail Spaß haben noch sagen – verschiedene Arten von Klassen, von Epitopen, wie wir sagen, also vom Bindungsstellen für Antikörper auf diesem S-Protein drauf. Dieser Spike hat verschiedene typische Bindungsstellen, wo die Antikörper besonders gerne hingehen. Und da gibt es, je nachdem, ob das schon angedockt hat oder nicht angedockt hat, (...) diese Stelle, die da bindet, an das Ziel, (die klappt) so raus. Ich hab das schon mal mit so einer Art Schirm verglichen. Und bei diesem Schnappmechanismus gibt es ein Vorher und ein Nachher. Das eine heißt Upund das andere heißt Down-Konfiguration, und die Antikörper binden da unterschiedlich. 




An diesem kleinen Beispiel – das ist nur eins von vielen –, merkt man schon, das ist sehr komplex. Und wenn man da mal 17 Antikörper rauszieht und guckt, wie gut sind die gegen das Original und gegen die Variante, ist das ein Hinweis, aber kein Beweis, dass es zu einem echten im Immun-Escape kommt.





Camillo Schumann

:


Das war jetzt etwas für Feinschmecker, vielen Dank. Und auch vielleicht noch einmal als Zusammenfassung: Man darf sich nicht von jeder Studie verrückt machen lassen.





Alexander Kekulé:


Das ist ein guter Satz, das sehe ich genauso. Man darf sich auch nicht von jeder neuen Variante verrückt machen lassen, denn weltweit ist es ja nicht nur Herr Spahn, der sagt, wir müssen das jetzt mal machen, sondern viele in der Welt fangen jetzt an, diese Sequenzierungen zu machen. Und ich muss davor warnen, jetzt alle drei Tage wieder fette Schlagzeilen zu produzieren, dass da wieder eine neue Variante kommt. Wie gesagt, den größten Fehler haben wir schon gemacht mit der G-Variante aus Italien. Und seitdem ist das Virus weltweit verbreitet, erfolgreich. Und ob sich da jetzt noch ein bisschen die Farbe ändert oder noch ein bisschen schneller ausbreitet, ist das nicht so schlimm. Solange es nicht gefährlicher wird – und dafür gibt es nicht nur keine Hinweise darauf, sondern sogar die Hoffnung, dass es sich eher abschwächt von der Gefährlichkeit her. Solange es nicht gefährlicher wird, ist es für mich kein Grund, irgendwie die Maßnahmen zu ändern.





Camillo Schumann

:


Heute wird es ja noch eine Telefonkonferenz der EU-Staats und Regierungschefs geben. Und die Kanzlerin hat heute auf der Bundespressekonferenz gesagt, dass man sich europaweit auf diese 5 % Sequenzierungsquote einigen möchte. Das wäre aber trotzdem erst mal ein guter Schritt, um überhaupt erst mal zu wissen, wie diese einzelnen Mutationen in Deutschland unterwegs sind, oder nicht?





Alexander Kekulé:


Sie müssen ja beobachten, was los ist. Das ist wie bei einer Schlacht. Da brauchen Sie erst mal am Anfang einen Lagebericht. Das ist ja eines unserer großen Probleme in Deutschland, dass z.B. die Fragen: 




Das sind ja alles nur Fragezeichen. Und wenn man jetzt wenigstens bei dieser molekularen Surveillance ein bisschen mehr Klarheit hätte, wäre zumindest ein Stein in diesem Puzzlespiel sichtbar – oder in diesem Memory-Spiel-Bild: man könnte eine Karte so umgedreht, dass man sieht, was drauf ist. Da die anderen Dinge offensichtlich nicht beizubringen sind – das ist in Deutschland eigentlich überraschend, dass man diese Daten nach einem Jahr immer noch nicht hinkriegt – ist es gut, dass man wenigstens diese epidemiologische Surveillance hinbekommt. 




Aber ich will nun noch mal sagen, das kommt zu spät, um die Entscheidungen zu treffen, die die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich jetzt für Mitte Februar vorgenommen haben.





Camillo Schumann

:


Wir haben über die Re-Infektion gesprochen, über Mutationen gerade. Da ist man schnell bei Langzeitfolgen der Viruserkrankung. Darüber wollen wir jetzt mal ein bisschen vertiefender sprechen. Es gründen sich in Deutschland immer mehr Selbsthilfegruppen für Menschen mit CoronaLangzeitfolgen, u.a. auch in Leipzig und Umgebung: www.selbsthilfe-leipzig.de, wer sich da melden möchte. Deutschlandweit gibt es auch im Internetportal, Nakos heißt das. Mittlerweile gibt es sehr viele Studien und Erlebnisberichte. Was schätzen Sie, Herr Kekulé, wie viel Prozent aller an Covid-19Erkrankten müssen damit rechnen, dass sie diese Krankheit jetzt länger beeinträchtigen wird?





Alexander Kekulé:


Und das ist schwierig. Wir haben da – wie immer bei solchen Sachen – so einen Untersuchungsbias, so nennt man das also, wenn man anfängt, etwas zu untersuchen und die Menschen darauf aufmerksam gemacht sind. Und ich glaube, es gibt auf der Welt niemanden, der nicht auf die Covid-Pandemie aufmerksam gemacht wurde, dann finden die damit scheinbar zusammenhängende Symptome schneller.





Camillo Schumann

:


Um „Bias“ noch mal zu erklären: Man macht die Krankheit durch und hört ein bisschen intensiver in sich rein und vermutet, dass das eine oder andere damit in Zusammenhang zu bringen ist.





Alexander Kekulé:


Genau, Bias ist quasi eine Verfälschung der Daten durch meistens subjektive Faktoren. Das gilt aber nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Untersucher. Die können jetzt schöne Doktorarbeiten zu diesem Thema schreiben. Und wenn man etwas findet, kann man so was publizieren? Wenn man nichts findet, wird es meistens keiner schreiben. Und deshalb wird da intensiv gesucht nach den Langzeitfolgen. Aber deshalb war ich auch selber immer so ein bisschen skeptisch. Da wurde ja schon im Mai gesagt, es gibt diese Long-Covid-Leute. Inzwischen sieht es so aus, als wäre das ein hartes Phänomen. Es wurde bestimmt bis vor 2 Monaten noch diskutiert, ob das Bias ist durch die Art der Untersuchung quasi ein Scheinphänomen ist. Oder auch subjektiv, dass Menschen, die sehr viele Einschränkungen haben – zum Teil waren


sie auf den Intensivstationen und Ähnliches. Aber inzwischen ist relativ klar, dass es ein Long-Covid-Krankheitsbild im engeren Sinne gibt. Wie viel Prozent jetzt dieses Krankheitsbild im engeren Sinne hat, kann ich jetzt nicht direkt sagen. Aber ich würde mal schätzen: 2 5 % ungefähr von denen, die überhaupt die Krankheit durchgemacht haben, sind jetzt unmittelbar danach nicht vollkommen gesund. Anders als bei einer Erkältung oder bei einer leichten Grippe.





Camillo Schumann

:


Und Long-Covid heißt eigentlich: über den Zeitraum danach. Was schätzen Sie: vier, sechs, acht, zwölf, 16 Wochen danach?





Alexander Kekulé:


Das Problem ist, dass wir die Beobachtungszeit gerade bis zu einem knappen Jahr haben im Moment. Aber es ist so, dass die ersten Studien jetzt vorliegen. Die sind sauber gemacht worden. Nach 6 Monaten ist es eindeutig, wenn man solche Symptome hat – darüber müssen wir vielleicht gleich im Detail reden. Die meisten Studien enden damit, dass sie sagen, wir werden das jetzt weiter fortsetzen. Die sagen immer, okay, das war der erste Zwischenbericht, Fortsetzung folgt nach 9 Monaten, nach 12  Monaten usw.





Camillo Schumann

:


Es gibt eine aktuelle chinesische Studie vom 8. Januar im Lancet erschienen, da wurde genau dieser Zeitraum 6 Monate betrachtet. 1.733 Covid-Patienten wurden untersucht. Das war eine ambidirektionale Kohortenstudie. Das bedeutet erst einmal was?





Alexander Kekulé:


Also „ambidirektional“ und „Kohortenstudie“, okay. Wenn man so eine epidemiologische Studie macht, gibt es ja Beobachtungsstudien oder Interventionsstudien. Und die Interventionsstudien sind das, was man auch „experimentnah“ nennen würde. Wenn man den Impfstoff testet (macht), macht man eine Intervention. Das andere ist die Beobachtungsstudie. Da schaut man eigentlich nur, was passiert ohne aktiv einzugreifen. Und das kann man entweder mit dem sogenannten Querschnitt machen, das heißt, 




Die chinesische Studie wurde ja mit Patienten in Wuhan gemacht, die also am Anfang, im Zeitraum Januar bis Mai 2 02 0 in Wuhan aus dem Krankenhaus entlassen worden sind. Und dann kann man die weiter beobachten. 




Wenn man das an der Uni lernt, gibt es eine berühmte Studie. Das war diese gruselige Aktion: das Agent Orange, dieses Entlaubungsmittel, ist ja da im Vietnamkrieg ausgebracht worden von den Soldaten. Und das hat bekanntlich bei den neugeborenen Kindern Schäden verursacht. Aber war auch klar, dass die Soldaten Ausschlag kriegen auf der Haut und so. Und da hat man retrospektiv geguckt, wie viel Prozent der Soldaten hat einen Hautausschlag und prospektiv, wie viele


kriegen später Krebs? Das ist der Klassiker von so einer bidirektionalen Studie.





Camillo Schumann

:


Ich hab ja schon gesagt: 1.733 Covid-Patienten wurden in dieser Kohortenstudie über diesen langen Zeitraum untersucht. Das Ergebnis fasse ich mal kurz zusammen: Müdigkeit, Muskelschwäche, Schlafstörung, auch Depression. Wie hat sich das verteilt? Also wie signifikant war das?





Alexander Kekulé:


Das ist ein dem Fall eindeutig. Die Hinweise gab es ja schon immer, wie Sie richtig auch gesagt haben. Es gibt ja schon riesige Selbsthilfegruppen im Internet. Hier ist es klar gezeigt worden: 





Camillo Schumann

:


Müdigkeit und Muskelschwäche sind sozusagen neurologische Komplikationen. Und man hört ja immer wieder, dass Sars-CoV-2  in das zentrale Nervensystem im Gehirn quasi eingreift. Wie genau macht das Virus das?





Alexander Kekulé:


Das wissen das nicht genau. Aber es verdichten sich inzwischen die Hinweise, dass das Virus neurotrop ist, das heißt, dass es direkt die Nerven selber befällt. Das war ja immer so eine Diskussion: 




Und dann muss man überlegen, was ist das für ein Syndrom? Das ist wichtig. Und man muss sagen, wir haben in Deutschland ja auch viele Covid-Kranke. Das ist nicht assoziiert mit den schweren Krankheitsverläufen. Bei schweren Krankheitsverläufen kommt es häufiger vor. Je schwerer die Krankheit, desto häufiger sind solche Long-Covid-Erscheinungen. Aber es ist so, dass das auch bei Leuten, die zu Hause gewesen sind und einen relativ milden Verlauf hatten, die Krankheit nicht mehr aufhören will. 




Die haben so eine Müdigkeit, die selbst durch Ausruhen nicht weggeht. Die können sich 2 Stunden aufs Sofa legen und sind immer noch nicht fit hinterher. Es gibt Schlafstörungen. Manche bleiben auch immer im Bett. Und es sieht so aus, als werde das möglicherweise beim Teil der Patienten sozusagen das neurologische Korrelat ist.





Camillo Schumann

:


Ist das vergleichbar mit anderen Viruserkrankungen?





Alexander Kekulé:


Ja, bei anderen Virusinfektionen gibt es verschiedene Situationen. 





Camillo Schumann

:


Ich habe so das Gefühl, dass dieses Virus das Allerschlechteste in sich vereint und den Menschen umhaut.





Alexander Kekulé:


Das sehe ich gar nicht mal so. Es ist es ein neues Virus. Es hätte viel schlimmer kommen können. Also die Pandemien, die wir früher (gesehen) haben, die waren viel fürchterlicher. Das ist jetzt eigentlich für das, was theoretisch noch als nächstes irgendwo aus einer Fledermaus oder einem anderen Wildtier kommen könnte, eher eine Art Generalprobe. 





Camillo Schumann

:


Von mir an dieser Stelle der Hinweis: Herr Kekulé wollte gerade lustig sein. Nicht, dass ich E-Mails beantworten muss.





Alexander Kekulé:


Wegen dem „nicht so gut, intelligent zu sein“? Das diskutieren wir nochmal separat. Ich wollte eigentlich nicht lustig sein. Nein, es ist manchmal für Kinder, wenn sie mal an Kinder denken, in bestimmten Entwicklungsstadien diese superintelligenten Kinder mit einem IQ 140-plus, die haben es zum Teil nicht leicht.





Camillo Schumann

:


Wir vergaloppieren uns und kommen zu den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen und folgende Frage:


„Durch eine Impfung werden ja Fragmente des Virus im Körper produziert. Meine Frage ist:


Sind diese ausreichend, um bei einer PCR oder einem Antigen-Schnelltest für ein positives Resultat zu sorgen? Viele Grüße.“


Kurze Frage, kurze Antwort!





Alexander Kekulé:


Bei einem Antigentest wird kein falschpositives Resultat erzeugt. Was sein kann, ist, dass beim Antikörpertest, also wenn man später Blut abnimmt, man nicht sauber unterscheiden kann, ist das jetzt ein Geimpfter oder jemand, der die Krankheit durchgemacht hat? Da könnte es schwieriger werden. Aber der Antigen-Tests schlägt nicht an.





Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 141. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder, zu einem Hörerfragen SPEZIAL.


Bis dahin.





Alexander Kekulé:


Gerne, bis dahin, Herr Schumann.





Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


12 






Dienstag, 19.01.2 02 1 #140: Zero Covid ist illusorisch



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zur Sendung:


Oxford-Studie zur Mutation B.1.1.7 (15.01.2 02 1)


https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2 0 2 1.01.13.2 12 4972 1v1


Stanford-Studie: Harte Lockdown-Maßnahmen wenig wirkungsvoll


https://www.researchgate.net/publication/348 2 70406_Assessing_Mandatory_Stay-atHome_and_Business_Closure_Effects_on_the_ Spread_of_COVID-19


Impfdashboard des Robert-Koch-Instituts


https://impfdashboard.de/



Camillo Schumann

:


Dienstag 19. Januar 2 02 1.


Wer steckt sich mit dem mutierten Virus an? Neue Studie aus Großbritannien dazu.


Dann: Berater der Bundesregierung schlagen eine Null-Covid-Strategie vor. Ist das realistisch?


Außerdem: 2 3 Todesfälle nach Impfung in Norwegen. Was weiß man darüber? Kann das auch bei uns passieren?


Zudem: Harte Lockdown-Maßnahmen bringen wenig. Eine Stanford-Studie wird im Netz heiß diskutiert. Was sollte man darüber wissen?


Und: Warum wird in den Oberarm geimpft?


Wir wollen Orientierung g. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Und das Wort hat zu Beginn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:


01:10


„Wir sehen schon, dass Maßnahmen wirken, dass die Kontaktreduktion wirkt. Die Intensivstationen sind um zehn 15 Prozent wieder leerer geworden und entlastet worden von Covid19-Patienten. Wir hatten ja 5.700 bis 5.800 Covid19-Patienten. Wir gehen Richtung 5.000. Das ist erst einmal gut. Die Zahlen scheinen zu sinken. Das ist auch gut. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen und hinmüssen, um es dauerhafte zu kontrollieren, damit es nicht gleich wieder aufflammt.“


01:37



Camillo Schumann

:


Tja, mit den Neuinfektionen sind wir ungefähr Stand Oktober, und bei der Auslastung der Krankenhäuser war man bei 5.648 (Höchststand) und ist jetzt bei 4.936. Teilen Sie die Einschätzung des Gesundheitsministers, dass der Lockdown wirkt?


01:54



Alexander Kekulé:


Ja, das muss der Lockdown sein. Es gibt keinen anderen Grund dafür. Im Winter ist das Virus ja ansteckender, und deshalb gehe ich davon aus, dass es eine Wirkung gibt. Man darf die Toten nicht zu kritisch betrachten, weil diese Zahl immer hinterherhinkt. Und je besser die Intensivstationen sind, desto mehr können sie sich mit jedem einzelnen Patienten befassen,


und je weniger überlastet sie sind, desto länger dauert es, bis jemand dann tragischerweise stirbt. Deshalb hinkt diese Zahl umso mehr hinterher, je besser der Zustand der Intensivstationen ist.


02 :30



Camillo Schumann

:


Der harte Lockdown wirkt also. Das lag ein bisschen in der Natur der Sache. Im Netz verbreitet sich aber gerade eine StanfordStudie rasend schnell, die von Corona-Kritikern viel geteilt wird. Die Studie hat untersucht, ob scharfe Maßnahmen im Vergleich zu weniger scharfen Maßnahmen einen so großen Effekt auf das Pandemiegeschehen haben. Dazu wurden einige Länder untersucht, u.a. auch Deutschland. Das Ergebnis: Signifikante Vorteile von strikten Maßnahmen gegenüber weniger Einschränkungen gibt es nicht. Viele Hörer haben uns diese Studie geschickt mit der Bitte, sie mal einzuordnen. Sie haben Sie gelesen, was sollte man darüber wissen?


03:05



Alexander Kekulé:


Wenn man als jemand vom Fach so eine Studie liest, guckt man als erstes auf den Autor. Das ist der John Ioannidis, über den wir schon einmal gesprochen haben in diesem Podcast. Das ist ein ehrenwerter Kollege aus der medizinischen Fakultät in Stanford, der aber von Beginn der Pandemie an der Meinung war, 




Es ist also jemand, der kritisch an die Dinge herangeht, das muss man vorher sich anschauen. Bei dieser Studie hat er etwas Interessantes gemacht. Und in dem Versuch würde ich ihm fast unterstellen, mal wieder zu zeigen, dass wir es übertreiben mit den Gegenmaßnahmen. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die belegt haben in der Vergangenheit, dass diese nicht pharmakologischen Interventionen, also alles, was wir unter Lockdown und sozialen Einschränkungen verstehen, erheblichen Effekt hat auf die Fallzahlen. Das ist ja klar, das sehen wir in Deutschland im Moment ja auch. 




Da ist ganz berühmt dazu die Nature-Arbeit aus dem Juni vom Imperial College in London. Die Kollegen haben damals ganz klar gezeigt, dass die Interventionen in der ersten Welle etwas gebracht haben. All diese Arbeiten haben aber eine Schwachstelle, die auch viel kritisiert wird unter Fachleuten. 




Und zwar ist die Schwachstelle die: Worauf bezieht man die Wirkung von irgendwelchen LockdownMaßnahmen, 




Man sieht zwar schon ein Plus. 




Das heißt, 




Deshalb muss man schon die Frage stellen – und das haben wir im Podcast auch gelegentlich gemacht: Ist es z.B. sinnvoll, ein Maßnahmenpaket so fortzuführen? 




Was bedeutet das nun? Falls das überhaupt trägt – das sind ja alles immer nur Statistiken, so ein bisschen der Blick in die Glaskugel –, könnte ich mir vorstellen, dass Menschen, wenn man schon fünf Maßnahmen hatte und die sechste und siebte beschließt, vom Willen zum Mitmachen her langsam abspringen und man dadurch plötzlich diese Negativ-Effekte sieht.





Camillo Schumann

:


Würden Sie diese Studie als anwendbar bewerten?





Alexander Kekulé:


Es ist ein Hinweis darauf, dass die alte Regel gilt: 


09:19





Camillo Schumann

:


Spannende Vorzeichen, denn heute berät die Kanzlerin wieder mit dem Ministerpräsidenten darüber, wie es nach dem 31. Januar weitergeht. Bis dahin gilt ja der harte Lockdown bei uns. Leider können wir über die Beschlüsse heute im Podcast nicht sprechen, da wir vor den Beratungen aufzeichnen.


Was vorab bekannt wurde: Laut Beschlussvorlage soll der harte Lockdown bis 15. Februar verlängert werden. Die Regelungen für das Homeoffice sollen verschärft werden. Offenbar ist eine Verordnung geplant, die Arbeitgeber verpflichtet, überall dort, wo es möglich ist, den Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen. Medizinische Masken sind im öffentlichen Nahverkehr und beim Einkaufen weiterhin zu tragen. Eine Pflicht zur FFP2 Masken sei nicht vorgesehen. Schulen sollen weiter geschlossen bleiben, bis die Inzidenz bei 50 liegt. Wie gesagt, alles Beschlussvorlage. Aber wir wissen ja, dass sich das Kanzleramt zunehmend durchsetzen kann. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?



Alexander Kekulé:


Das muss man differenziert sehen. Das eine ist schon vorgezogen, bis zum 15.2 .2 02 1 den Lockdown verlängern, nun, man kann sicher sagen: Wir werden am 15.2 . durch diese Sache nicht durch sein. Das ist trivial. Aber ob man schon sich für einen Monat festlegen soll? Das hätte ich wahrscheinlich persönlich nicht gemacht, außer aus politischen Gründen. Möglicherweise denkt die Regierung, es ist besser, das Volk schon vorzubereiten. Damit sich auch die Wirtschaft darauf einstellen kann,


weil wir ja viele Fragezeichen haben. Wir wissen ja nicht genau, wo die Lücken sind. Es gibt Vermutungen, aber wir wissen nicht genau, warum es weiterhin zu Infektionen kommt. Und wie der Bundesgesundheitsminister in dem Einspieler richtig gesagt hat, im Moment geht es ja runter. Es könnte sein, dass das der Anfang eines absteigenden Astes ist, den wir sehen – in dem Sinne, mal etwas Positives, auf dem absteigenden Ast zu sein. Das wissen wir nicht genau. Darum bin ich etwas überrascht, dass die Verschärfung in dieser Phase schon beschlossen werden soll. Ich befürchte, das wird im Hinblick auf die Mutationen begründet werden. Und da finde ich die Begründung nicht so scharf, nicht so gut. Was ist mit den Einzelmaßnahmen? Es gab den Vorschlag, wie es in Bayern meines Wissens auch Vorschrift ist, inzwischen FFP2 -Masken im öffentlichen Nahverkehr zu tragen und auch beim Einkaufen. Die FFP2 -Maske hat einen klaren Vorteil aus virologischer Sicht. Sie ist aber von der Anwendbarkeit her so eine Sache. Ob die wirklich jeder richtig trägt? Und wenn man das mit in die Rechnung hineinnimmt, wie oft die Maske zwischen Nase und Backe richtig große Löcher lässt, ob das wirklich den Aufwand rechtfertigt, ist vielleicht ein Fragezeichen aus der Praxis drin. Aber die, die wissen, wie man das Ding aufsetzt, sind damit besser geschützt. Das wäre unter der Idee, dass man in diesen Bereichen, also Nahverkehr und Einkauf, dass man da die Infektionen vermutet, die uns Probleme machen. Aber dafür gibt es keine Daten. Das ist wilde Spekulation. Wer sagt denn, dass wir uns beim Einkaufen infizieren? Und die Frage ist, ob das in einem Riesenkaufhaus auch so ist oder in einem großen Lebensmittelgeschäft. Und da noch einmal runterzugehen auf medizinische Masken? Jetzt gilt also quasi jeder normale OPMundschutz. Offensichtlich waren doch zu viele gehäkelte selbstgebastelte Masken im Umlauf, die so offensichtlich krasse Löcher lassen, dass man gesagt hat, da muss man ein bisschen mehr regulieren. Falls das der Grund gewesen sein sollte – Sie sehen schon, das ist ein bisschen Kaffeesatz lesen – dann wäre das vielleicht begründet.


Homeoffice ist die wichtige riesige Lücke, die ich ja schon seit langer Zeit angemahnt habe. Wir haben im Arbeitsleben keine klaren Regelungen und keine ausreichend scharfen Regelungen. Homeoffice ist ein Ding, was man machen kann, das ist im Ausland ja auch schon gemacht worden, in der Schweiz z.B., dass es verpflichtend ist, wo es geht. Aber da sagt am Ende des Tages doch der Arbeitnehmer, wo es geht. Und ich hätte mir gewünscht, dass es Pflicht ist, am Arbeitsplatz, immer wenn man im geschlossenen Räumen ist, eine Maske zu tragen! Ausnahme: Da, wo es nicht anders geht. Dann Schnelltests. Aber dass diese simple Regelung Maske auf am Arbeitsplatz! nicht durchdringt, keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht gibt es ja juristische Gründe.


Mit den Schulen – bis 50 runterbremsen und erst dann die Schulen wieder aufmachen – das kann eine Weile dauern. Also das wird sicherlich Probleme mit dem Abitur geben und Ähnliches. Das muss man halt mal sehen. Also wir können sicher bis 50 runterbremsen. Mein Problem bei diesen Ansagen von Fallzahlen ist: Wenn wir dann von der Bremse gehen, geht es wieder hoch. Das ist völlig klar.


14:2 1



Camillo Schumann

:


Weil Sie die Masken Ansprachen: Also eine Pflicht für FFP-2 -Masken sei erst einmal nicht vorgesehen. Bayern ist da vorgeprescht. Und gestern hat der Gesundheitsminister Spahn angekündigt, dass 34 Millionen Menschen in diesen Tagen nun Gutscheine für FFP2 -Masken per Post zugeschickt bekommen. Also


34 Millionen Menschen haben für die nächsten Wochen eine FFP2 -Maske. Das ist doch auch ein guter Schritt. Oder?



Alexander Kekulé:


Das ist ein richtiger Schritt. Man muss davon ausgehen, dass die Menschen in Deutschland schlau sind, dass sie lernen können und dass sie solche Dinge auch verstehen. Und es ist klar wenn man jemanden wirklich erklärt, wie die FFP2 -Maske zu tragen ist – Stichwort Bart ab, Stichwort wirklich luftdicht – bin ich der Meinung, dass die Menschen wissen, wie man das anwendet. Aber es ist schwieriger als mit der selbstgemachten Maske oder dem OP-


Mundschutz. Warum ist es schwieriger? Weil sie sofort wechseln müssen, wenn die feucht wird. Wir müssen davon ausgehen, dass der Normalbürger so eine Maske, wenn sie kein Ventil hat, nicht länger als 2 Stunden trägt. Sonst ist man echt am Ende. Und wenn etwas körperlich anstrengend ist – ich denke da an die Paketboten und Ähnliches, die in den Treppenhäusern rauf und runter rennen – ist eine FFP2 -Maske nicht zumutbar, denn bei körperlicher Anstrengung ist man da schnell am Ende. Und diese ganzen Wennund RandBedingungen machen es schwierig. Aber wenn Sie nur einen Virologen fragen, finde ich, kann man es den meisten Menschen beibringen. Ich hätte es wahrscheinlich eher als Empfehlung gemacht. Und wer damit nicht klarkommt oder sagt, ich liebe meine selbstgehäkelte Maske, die will ich weiter tragen... Ich weiß nicht, ob das nicht vielleicht der bessere Weg gewesen wäre. Aber gut, so ist es. Scheinbar soll es beschlossen werden, dass die OP-Masken Pflicht werden.


16:2 1



Camillo Schumann

:


Ggf. treibt die Angst vor der Mutation die Entscheidungsträger zu diesen Maßnahmen. Wir wollen später noch mal darauf eingehen.


Eine Zeit ohne Corona, das wäre schön. Genau das ist das Ziel einiger Wissenschaftler. Den heutigen Bund-Länder-Beratungen vorangegangen war wieder ein Gespräch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten berieten. Und einige Wissenschaftler, darunter die Virologin Melanie Brinkmann und der Physiker Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung sollen der Kanzlerin eine Null-Covid-Strategie vorgeschlagen haben. Ziel sei es, Neuinfektionen, Todesfälle, Lockdowns künftig komplett zu verhindern. Eine Inzidenz von null solle erreicht werden. Das wird als Langfriststrategie in drei Phasen vorgeschlagen. Eine Inzidenz von null, ist das noch möglich?


17:15



Alexander Kekulé:


Ich habe mir dieses Paper angesehen. Das ist ja zirkuliert. Da ist übrigens noch der Herr Fuest mit dabei vom ifo-Institut, das ist einer der renommierten Wirtschaftsforscher. Für mich auffällig: die Ilona Kickbusch. Das ist eine international bekannte Expertin für solche Prävention. Mit der hatte ich in der Vergangenheit oft zu tun, auch bei anderen Ausbrüchen. Die lebt in Genf und hat dort auch eine Professur und berät unmittelbar die Weltgesundheitsorganisation. Wegen der Frau Kickbusch habe ich gedacht, das muss man sich genau anschauen, was da drinsteht. Und ja, die Idee ist schön, zu sagen, wir gehen auf Null runter. Vorbild auch in Australien zum Teil, Vorbild Neuseeland, Vorbild Taiwan, das war, wenn man sich erinnert, mein dringender Vorschlag am Anfang dieser Pandemie. Da habe ich gesagt, wir haben kaum Fälle im Land, dass ist unsere Chance für Europa oder zumindest für Deutschland eine echte Präventionsstrategie zu machen. Also zu verhindern, dass das Virus reinkommt. Und wenn es reinkommt, dann macht das sogenannte Stamping out, dass man die Infektionsherde sofort eliminiert. So ein bisschen macht China das ja auch im Moment, wobei in China noch gewisse Lücken sind.


Ich muss aber ehrlich sagen, dass jetzt vorzuschlagen wäre ungefähr so, als ... was weiß ich: Am Anfang hat man im Badezimmer irgendwie nassen Boden gehabt, und einer hat gesagt: „Wischt doch mal den Boden auf. Wir machen das trocken und verhindern, dass wieder Wasser reinkommt.“ Damals ist der als Panikmacher ja bekanntlich beschimpft worden. Und jetzt steht aber im Badezimmer das Wasser schon weit über Bauchhöhe, schon fast bis zum Hals. Und jetzt sagt man, wir kriegen das Ganze ruckzuck wieder trocken, während gleichzeitig alle Wasserhähne ja noch offen sind. Ich glaube, ehrlich gesagt, das ist absolut illusorisch. Das ist nicht zu machen in der jetzigen Situation. Wenn ich mir in dem Paper mal den Zeitplan anschaue: Das soll, wie Sie sagen, in vier Stufen gehen. Stufe 1 wird erreicht, nachdem man 2 Wochen lang die Inzidenz unter 10 pro 100.000 hatte, im Mittelwert für sieben Tage.



Camillo Schumann

:


Die Wissenschaftler argumentieren, auch in Deutschland habe nach der ersten Welle eine Inzidenz von nur 2 ,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen geherrscht. Es ist also möglich, heißt ist da.


19:51



Alexander Kekulé:


Ja, aber der Vergleich ist meines Erachtens so nicht anwendbar. Damals hatten wir die Situation, dass wir hauptsächlich Ausbrüche hatten. Und die Ausbrüche in Clustern oder Superspreading-Ereignissen hat das Gesundheitsamt relativ schnell unter Kontrolle gebracht. Das ist ja ein riesen Unterschied, ob sie 100 Fälle verteilt in 100 Familien haben oder ob sie die an einem Platz haben. In irgendeiner Fabrik, wo es zum Ausbruch kam, und das Gesundheitsamt die Leute nur dingfest machen muss oder einen Zaun außen rummachen muss. Und das war damals eine komplett andere Situation. Da hat man das so runtergebracht, weil man hauptsächlich Ausbrüche verfolgt hat. Man hatte auch eine Weile als gemeinsame Nenner die Importe. Es waren die Skifahrer, die das aus Österreich mitgebracht haben usw. Das war für das Gesundheitsamt eine andere Situation.


Jetzt haben wir das, was das Robert-KochInstitut neuerdings „diffuses Geschehen“ nennt. Ich nenne das Noise-Effekt, wo wir so ein Hintergrundrauschen haben, was nicht mehr zuzuordnen ist. Da kriegen Sie das nur noch mit drastischen Maßnahmen runter. Und die werden ja auch empfohlen. Es wird ja gesagt: Phase eins soll also solange durchgehalten werden, bis 14 Tage lang die Inzidenz unter zehn ist. Und da gilt: Das Verlassen des Hauses nur noch mit triftigen Grund, Treffen bis fünf Personen, aber nur im Freien – also im Freien dürfen sich fünf Personen treffen, ich schätze mal mit Mindestabstand, aber ich weiß nicht, warum man das auch im Freien begrenzen muss –, und im Haus dürfen sie nur einen Besucher empfangen, und zwar nur einen, sofern sie alleine leben. Das heißt, alle anderen dürfen niemanden mehr im Haus haben. Und das solange, bis 2 Wochen lang die Inzidenz unter zehn war.


Das gesamte Arbeitsleben soll runtergefahren werden, und zwar soll es so sein, dass nur noch systemrelevante Berufe in die Arbeitsstätte gehen. Das ist ja nur ein kleiner Teil, der so relevant ist. Ich glaube, das ist jetzt nicht mehr machbar. Das war ja nur die erste Stufe. Die zweite Stufe ist erreicht, wenn man mindestens 14 Tage unter einer Inzidenz von 5 gekommen ist. Dann beginnt die dritte Stufe, wenn Sie weitere 14 Tage auf Null waren. Und erst wenn Sie wiederum insgesamt vier Wochen lang die Inzidenz von null haben, sind sie in der grünen Zone in diesem Modell. Ich habe gar nicht zusammengerechnet, wie lange das dauert. Aber ich würde mal sagen mit der Startphase – die würde ich mal mit drei bis vier Wochen ansetzen – sind Sie also bei 14 Wochen mindestens, bis sie bei Grün sind. Und was passiert dann? Dann haben Sie die Bude saubergekriegt – in dem Bild von vorhin ist also im Badezimmer endlich der Boden trocken –, aber die Wasserhähne laufen ja noch wie wild. Sie müssen also verhindern, dass in diese grünen Zonen in Deutschland weitere Infektionen eingetragen werden. Das heißt, wir bräuchten Abgrenzungen, die z.B. den grünen Landkreis von einem, der noch nicht grün ist, abgrenzen. Oder wir müssten Deutschland von den Nachbarländern abgrenzen. An der Stelle wird das Paper dann sehr einsilbig.



Camillo Schumann

:


Ziel sei es, die grüne Zone nach und nach immer weiter auszudehnen, von den einzelnen Landkreisen z.B. in Deutschland letztlich über ganz Europa. Ist das denn möglich?



Alexander Kekulé:


Hier wird das Paper relativ einsilbig. Die sagen, wir erhalten die grünen Zonen in Europa durch drei verschiedene Maßnahmen: Erstens wir appellieren an andere EU-Staaten, unnötige Reisen nach Deutschland zu vermeiden. Wenn ich schon Apell höre im Zusammenhang mit der EU bin ich ehrlich gesagt nicht so optimistisch. Ich möchte keine Liste aufmachen von Appellen, die nicht funktioniert haben. Nummer zwei: Klarmachen, dass das nur gemeinsam geht. Das heißt, die anderen wiederum durch Überzeugungsarbeit dazu bringen, das gleiche Konzept zu machen. Die Autoren wollen nicht nur die Bundesregierung überzeugen, sondern alle EU-Mitgliedstaaten.


Und drittens, wenn in einem Land grün ist, also wenn wir in Deutschland z.B. grün wären, sollen wir Vereinbarungen mit anderen Ländern schließen, wie die Einreisenden zu kontrollieren sind oder unter welchen Umständen mit welchen Gründen die einreisen dürfen. Und als letztes Mittel die Grenzen schließen für EU-Staaten. Das heißt, was gar nicht drin steht, ist, dass die EU nach außen sich auch wiederum komplett zumachen müsste. Das ist ja bei den Flüchtlingen „vortrefflich“ gelungen. Und die Diskussion ist ja auch kreativ und konstruktiv gelaufen zwischen den verschiedenen EU-Mitgliedern. Und wenn man weiß, wie die Visegrád-Staaten nicht nur in der Flüchtlingsfrage, sondern auch bei der Bestellung dieser Impfstoffe reagiert haben, muss man sagen, ich halte es für ausgeschlossen, dass es ein EU-Konsens gibt. Und mit Appellen das erhaltene Ziel zu schützen, wenn das die einzige Option ist, die man hat, geht das nicht mehr. Das wird nicht funktionieren. Und wenn Sie schon wissen, dass sie am Schluss die grüne Zone gar nicht grün halten können, sondern wieder in den nächsten Lockdown laufen, weil sie von grün wieder in die Stufe 2 oder eins zurückgefallen sind, weiß ich nicht genau, wo das alles hinführen soll. Sie merken schon, ich bin nicht so begeistert von diesem Projekt.


2 5:15



Camillo Schumann

:


Wenn Zero Covid nach ihrer Darstellung eher in der Theorie funktionieren würde, in der Praxis aber kläglich scheitern würde, was vermuten Sie denn: Bei welchem Inzidenzwert müssen wir uns in den nächsten Wochen, Monaten tief in die Augen schauen und sagen: Okay, gut, damit müssen wir uns abfinden?



Alexander Kekulé:


Das kann ich ehrlich nicht sagen. Meine optimistische Prognose wäre, dass wir demnächst bundesweit unter 100 kommen. Wir werden dann in so eine ähnliche Lage wie vorher kommen. Das Problem ist nur, wann immer man von der Bremse runtergeht – das hat Irland gezeigt, dass hat das Vereinigte Königreich gezeigt, die tschechische Republik und Portugal –, dann hat man wieder diese steigenden Fallzahlen. Und deshalb ist kann


man nicht sagen, wir gehen bis 50 runter, oder wir gehen bis 100 runter. Ich glaube, das ist eine Diskussion, die gefährlich ist, weil sie auch politisch so schwierig zu kommunizieren ist. Wenn man sagt, ab der Grenze gibt es wieder Lockerungen für das Volk, aber wissend, dass die Fallzahlen wieder ansteigen, ist das ein gefährlicher Start.


Ich will noch dazusagen: Das wäre toll gewesen, all das zu machen am Anfang, bevor die italienische Variante, die G-Variante, die auch infektiöser war als der ursprüngliche Wuhan-Stamm, in Norditalien so massiv ausgebrochen ist. Das wäre der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Da hat man es nicht gemacht. Aber jetzt ist dieser Zug für diese Strategie abgefahren.


2 6:53



Camillo Schumann

:


Mutation ist das Stichwort: Es gibt ja die Mutation, die in Großbritannien nachgewiesen wurde, eine weitere Variante in Südafrika und in Japan und eine aus Brasilien. Und gestern nun eine neue Variante in einem Krankenhaus in Garmisch-Partenkirchen. 73 Patienten und Mitarbeiter wurden positiv getestet. Und bei 35 von ihnen wurde auch eine bislang unbekannte Variante des Virus entdeckt. Labormitarbeiter des Klinikums Garmisch hatten mit Hilfe eines speziellen Laborgeräts Unregelmäßigkeiten bei den Corona Abstrichen festgestellt. Man könne aber noch nicht sagen, ob diese Virusvariante nun ansteckender oder aggressiver sei als das bislang bekannte Coronavirus. Das hat zumindest der stellvertretende Ärztliche Direktor Clemens Stockklausner gesagt. Ein Grund zur Panik bestehe nicht. Drei der Proben wurden an die Berliner Charité geschickt. Auf solche Meldungen müssen wir uns einstellen. Oder?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist normal. Wir haben Mutationen. Und man muss ja schon ein bisschen aufpassen, was man Variante nennt. Das Virus mutiert ständig. Man kann statistisch sagen, bei ungefähr jedem 2 . Sprung auf den nächsten Infizierten gibt es eine Mutation, so in der


Größenordnung. Das heißt, Coronaviren sind relativ stabil, aber trotzdem kommt es zu diesen Mutationen. Und irgendwann ist es so, dass sich ein mutierter Typ so durchsetzt, dass der einen echten Selektionsvorteil hat und sich im Darwinschen Sinne so vermehrt, dass man sieht, aha, der kann irgendetwas, was die anderen nicht können: Survival of the fittest. Und das nennen wir Variante, wenn sich das richtig durchsetzt. Das heißt, bloß weil man eine Mutation gefunden hat, ist es noch lange keine Variante. Und eine Variante würde ich das nennen, wenn es einen eigenen Ausbruch damit gibt, so wie wir es in Großbritannien haben. Aber auch die Varianten sind etwas, mit dem wir ständig rechnen müssen. Wir haben in Deutschland sträflich versäumt, genauer hinzugucken und diese molekularbiologische Surveillance zu machen. In Großbritannien, wo man das weltweit mit Abstand am gründlichsten gemacht hat, hat man etwas gefunden, dieses berühmte B1.1.7. Es gibt aber weitere, die schon entdeckt wurden. Und ich glaube, dass wir wöchentlich neue Varianten finden werden. Ich warne davor, jedes Mal in Alarmismus zu verfallen. Das ist der normale Gang der Dinge, dass sich das Virus ändert, und zwar typischerweise so, dass es ansteckender wird, aber zugleich – zum Glück und in der Regel – weniger gefährlich. Das ist das, was wir bei den anderen Viren immer beobachtet haben. Und ich bitte doch höflichst, das Coronavirus auf diesem Weg, sich so zu verhalten wie alle anderen auch.


2 9:38



Camillo Schumann

:


Was weiß man über die Variante B1.1.7, die in Großbritannien nachgewiesen wurde? Es gibt eine neue Studie aus Oxford, die ein wenig Licht ins Dunkel bringt. Zum einen ist die Variante gefährlicher. Und wer steckt sich mit dieser Variante eigentlich an? Gibt es aus Ihrer Sicht schon genügend belastbare Informationen, um überhaupt konkrete Schlüsse zu ziehen?



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube schon. Diese Studie und auch die die Daten, die sonst so zirkulieren, sind doch relativ eindeutig. B1.1.7, diese Variante, die in Südostengland zuerst aufgetreten ist, ist offenbar etwas infektiöser als die anderen Varianten, die in England unterwegs sind. Wie viel ist schwer zu sagen. Aber ich würde mal davon ausgehen, aufgrund der Gesamtsicht der Daten, dass wir plus 2 0 bis 30 Prozent haben. Ich glaube, wir haben es auch so ähnlich besprochen. Das heißt also, dass R0 wäre quasi um 0,2  bis 0,3 höher als bei dem Normaltyp. Das ist eine grobe Schätzung, weil auch das R schwer zu schätzen ist. Aber so in der Größenordnung, oder anders gesagt: Nehmen wir mal an, wir haben Gegenmaßnahmen ergriffen und bei den gleichen Gegenmaßnahmen muss man damit rechnen, falls keine anderen Faktoren eine Rolle spielen – da gibt es viele Fragezeichen – das , wenn man das Infektionsgeschehen z.B. auf 0,9 hätte – und das wäre plus 0,3 – würde man den Sprung über die 1 machen. Das heißt, statt dass die Fälle weniger werden, wird es damit 1,2  wachsen. Und dadurch ist das schon zunächst mal beunruhigend, weil man bei einer Virus-Variante, die sich schneller verbreitet, mit den gleichen Gegenmaßnahmen weniger weit kommt.



Camillo Schumann

:


Kurz nachgefragt: Sie sprachen im letzten Podcast von 0,5. Ist das eine Anpassung?



Alexander Kekulé:


Das ist bei den Daten so, da muss man ein bisschen gucken, worauf man das bezieht. Die 0,5 bis 0,7 hat Boris Johnson mal bekanntgegeben. Da habe ich ja schon immer so ein bisschen geunkt, dass Politiker gerne solche Anstiege von Fallzahlen auf das Virus schieben und nicht dazusagen, dass sie die Pubs und Gaststätten kurz vorher aufgemacht haben. Das ist ja bezogen gewesen auf die konkrete Ausbruchssituation, die gemessen wurde. Wenn sie z.B. bei 1,0 sind, kann es schon sein, dass das mal auf 1,7 hochgeht bei einem konkreten Ausbruch. Aber die Frage ist ja, was für eine Virus-Eigenschaft steckt dahinter? Und die Virus-Eigenschaft wäre hier also die Spekulation, wie stark sich die Basisreproduktionszahl verändert hat. Das ist


die Eigenschaft des Virus, dieses R0. Und da, würde ich mal sagen nach den aktuellen Daten, ist eine Schätzung von 0,2  bis 0,3 für die Basisreproduktionszahl adäquat. Es gibt Kollegen von mir, die sagen, die neueren britischen Zahlen legen nahe, dass das etwas kleiner ist, als ursprünglich erwartet wurde. Diese aktuelle Oxford-Studie wird auch zum Teil im Netz so interpretiert, dass Leute sagen: schaut mal her, es ist ja gar nicht so schlimm. Aber da wäre ich vorsichtig, denn erstens ist es das ein Schätzbereich, wo wir das gar nicht so genau festmachen können. Und zweitens ist es so, dass eine Zunahme von z.B. 0,3 bei der Reproduktionszahl bedeutet, dass es sich um 30 Prozent schneller ausbreitet. Das wäre schon ein erheblicher Effekt.



Camillo Schumann

:


Welche sonstigen Informationen ziehen Sie aus dieser neuen Studie?



Alexander Kekulé:


Die Studie ist interessant und ist auch viel diskutiert worden, auch ambivalent, wie gerade angedeutet. Das war ja ein Preprint, das muss man auch dazusagen. Es ist also noch nicht offiziell von einem Journal angenommen worden. Das waren mehrere Arbeitsgruppen von der Oxford University, die das gemacht haben. Die haben sich diese nationale Surveillance angeschaut, die die in Großbritannien haben. Da werden Haushalte zufällig ausgewählt, das gibt es schon relativ lange. Und insgesamt haben die für diese Untersuchung über 370.000 Personen aus insgesamt über 180.000 Haushalten genommen und haben festgestellt – was wir sowieso schon wissen –, dass im Zeitraum Ende September bis Anfang Januar diese neue Variante B1.1.7 massiv zugenommen hat. Man muss immer dazusagen, die wird indirekt bestimmt. Das war diese Sache, dass bei einem bestimmten Test, der in England häufig verwendet wird, der Nachweis für das S-Gen ausfällt. Wir nennen das S-Gene Failure. In so einer PCR, die die dort machen, zeigt sich diese Variante eleganterweise dadurch, dass von drei Targets, die untersucht werden, plötzlich eins weg ist. Sonst würde man das gar nicht so einfach statistisch feststellen. Aber man nimmt an, dass dieser S-Verlust mehr oder minder identisch mit dieser B1.1.7-Variante ist. Das ist


eine Vermutung, die wahrscheinlich stimmt. Ganz sicher ist das aber natürlich nicht bei solchen Sachen. Und da hat man Folgendes festgestellt: Die Variante nimmt massiv zu. Aber das Interessante ist: Diese Zunahme ist nicht wirklich verdrängend, sondern im Moment noch additiv. Das heißt also, die alte Variante oder die alten Varianten, die in England zirkulieren, sind noch da, vermehren sich in gleicher Geschwindigkeit, und dazu kommt diese neue, die sich etwas schneller vermehrt. Es ist also noch keine echte Verdrängung dar. Und das ist interessant, weil man sich da fragen muss, woran das liegt.


35:2 4



Camillo Schumann

:


Und woran könnte das liegen?



Alexander Kekulé:


Rein theoretisch könnte man formulieren, dass es sein kann, dass der Gleiche zweimal infiziert wird mit den verschiedenen Varianten. Dann hätte man auch keine Verdrängung, sondern einen additiven Effekt. Verdrängung heißt ja: Immer wenn jemand schon infiziert war, kommt das andere Virus nicht rein, denn das das Immunsystem sagt: nein, du kommst nicht rein, denn ich habe schon ein Virus, mit dem ich mich auseinandergesetzt habe. Das ist extrem unwahrscheinlich. Zumindest bei dieser britischen Variante. Wir haben ja auch schon über die brasilianische gesprochen. Das Wahrscheinlichere ist, dass unterschiedliche Populationen erstmal infiziert wurden. Das heißt also, in England ist das normale Infektionsgeschehen, was man schon länger beobachtet hat mit der Standardvariante. Und dann hatte man so ab Anfang Dezember schon immer beobachtet, dass man eine massive Zunahme bei den Jugendlichen und auch bei den jüngeren Schülern hat. Das war in der ersten Welle nicht so, und das war auch vorher nicht so. Das ist akut so und ein wichtiger Teil des Infektionsgeschehens in England. Und bei dieser Population gibt es beide Varianten, die alte und die neue. Aber es scheint so zu sein, dass die beiden Varianten unabhängig voneinander, wenn ich so sagen darf, diese Subpopulationen infizieren. Das heißt also z.B., wenn sie eine große Schulklasse haben mit 30 Kindern, ist entweder die alte Variante dort am


Ausbrechen oder die neue, nicht beide zusammen in dem Sinn, dass sie sich verdrängen würden. Und das führt dazu, dass man einen echten additiven Effekt hat und wir davon ausgehen müssen, dass es irgendwann in Zukunft zu der Verdrängungssituation kommt. Das heißt, die neue Variante tut uns nicht einmal den Gefallen, die alte zurückzudrücken, sondern das dauert noch eine Weile. Die laufen nebeneinander her, und irgendwann in den nächsten Wochen wird die neue sich durchsetzen.



Camillo Schumann

:


Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht auch für die Situation bei uns?



Alexander Kekulé:


Das ist vor allem deshalb eine wichtige Nachricht, weil das heißt, wir wissen nicht genau, warum die schneller ist. Das ist nämlich nicht klar, warum sich diese neue Variante schneller ausbreitet. Wenn man einen echten Verdrängereffekt hätte, könnte man sagen naja, survival of the fittest. Die eine setzt sich quasi gegen die andere im direkten Wettkampf durch, weil sie z.B. weitergetragen wird durch die Luft oder kleinere Virusmengen reichen. Hier steht ja der Verdacht im Raum, dass kleinere Virusmengen ausreichend sind für eine Infektion. Das wäre eine echt schlechte Nachricht, denn das heißt, dass man statt 1 m jetzt 2  m Abstand halten muss, weil kleinere Virusmengen ausreichen. Aber das ist nur eine der möglichen Erklärungen.


Die andere wäre, dass die neue Variante über längere Zeit ausgeschieden wird von den Infizierten. Das würde selbstverständlich erklären, warum man mehr Angesteckte bekommt, weil die Dauer der Ausschaltung des Virus eine wichtige Rolle bei dieser Reproduktionszahl R spielt. Wir wissen z.B. von den Masern, dass die so massiv infektiös sind, u.a. deshalb, weil man relativ lange Virusausscheider ist.


Was aber interessant und wichtig ist im Zusammenhang mit diesen Subpopulationen: Wir sehen auch in England Hinweise darauf, dass diese neue Variante insbesondere bei asymptomatischen Patienten eine Rolle spielt. Was heißt das? Patienten ohne Symptome haben die neue Variante. Das passt erstens


dazu, dass im Moment das Mehr bei den Jugendlichen ist, die ja bekanntlich weniger Symptome haben. Das könnte aber auch bedeuten, dass man dadurch unbedarfter die Infektion weitergibt.


39:03



Camillo Schumann

:


Das bedeutet, dass es eine ziemlich schwierige Kombination wäre, wenn das so aufeinandertrifft.



Alexander Kekulé:


Das sieht schon so aus und würde ja auch zu der allgemeinen Theorie passen: Wenn diese neue Variante – das ist bitte eine Spekulation, denn die Studie deutet in diese Richtung – wirklich häufiger asymptomatische Verläufe machen würde, hieße das, die Menschen geben unbedarft das Virus eher weiter. Das würde erklären, warum R höher ist, also die Verbreitung höher ist: weil man häufiger asymptomatisch ist. Das wäre aber zugleich eine kleine gute Nachricht, weil das bedeuten würde, dass diese krankmachende Wirkung abgenommen hat. Dafür gibt es aber noch keine Daten. Aber wenn es häufig bei asymptomatischen/jüngeren Menschen ist, könnte das eine Entwicklung seien, die nicht unbedingt so alarmierend ist.


Das Andere, was es zu bedenken gibt: Die breiten sich letztlich in verschiedenen Subpopulationen aus, die ursprüngliche Variante und diese neue B1.1.7. Daher gilt Folgendes: Subpopulationen unterscheiden sich immer im Verhalten, insbesondere wenn man jüngere Menschen anschaut. Nehmen wir mal an, es wäre so, dass im Moment, ohne dass das eine Präferenz des Virus ist, aber de facto im Moment die Verbreitung von B1.1.7 mehr bei jüngeren Menschen ist. Dann wissen wir, dass die sich tendenziell weniger an die Maßnahmen halten. Bei denen gibt es eine schnellere Verbreitung. Und da könnte allein das Verhalten der Subpopulation, in der sich die Variante ausbreitet, der Grund dafür sein, dass wir diese höhere Ausbreitung sehen. Es muss also nicht unbedingt eine Eigenschaft des Virus selbst sein.



Camillo Schumann

:


Und der Blick auf die Mutation ist eine wichtige


Sache, um es besser einschätzen zu können und auch unsere Maßnahmen dementsprechend anpassen zu können.


Bisher – das haben wir ja im Podcast ja auch schon mehrfach gesprochen – spielte die Suche nach Virus-Mutationen in der aktuellen Pandemie eine untergeordnete Rolle. Das soll sich ändern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Verordnung zur molekulargenetisches Surveillance des Coronavirus unterschrieben.


41:16


„Mit dieser Verordnung verpflichten wir die Labore, die Sars-Cov-2 -Viren zu sequenzieren und ihre Ergebnisse anders Robert-KochInstitut zu übermitteln. Und wir vergüten die Übermittlung der aufwändig gewonnenen Daten mit 2 2 0 Euro pro Sequenz. Auch wer positive Corona-Test-Proben an die Speziallabore übermittelt, bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung. Die Menge der so untersuchten Proben richtet sich dabei nach Infektionslage. Grundsätzlich gilt, dass mindestens fünf Prozent aller Positiv-Testungen entsprechend genom-sequenziert werden sollen. Die Analyse des Corona Virus wird also fester Bestandteil der PandemieÜberwachung.“


42 :02 



Camillo Schumann

:


Jetzt könnte man ketzerisch sagen, kurz vor dem Ende der Pandemie fangen wir an zu sequenzieren. Aber bei allem, was Sie vorangegangen gesagt haben: Ist es jetzt nicht total wichtig, die scharfe Brille aufzusetzen und zu wissen, welchen Umfang die Mutation haben?



Alexander Kekulé:


Ja, es ist richtig, was Sie sagen: mit der Betonung auf „jetzt!“. Es wäre jetzt richtig und wichtig, weil gerade die Entscheidungen der Bundesregierung, die heute anstehen, wo es auch so ist, das in Zukunft noch mal nachgeprüft werden muss, da müsste man wissen: Ist dieses B1.1.7 schon lange im Land? Oder gibt es bereits weitere Varianten, die den gleichen Effekt machen, die sich ähnlich schnell


vermehren? Das ist nicht dramatisch, wie viel schneller sich das vermehrt. Aber ich lese da manchmal so Dinge, dass es sich pro Monat „sechs bis acht Mal schneller sich vermehrt als die ursprünglichen Typen“. Das ist Unsinn. Erstens: sechs bis achtmal schneller pro Monat gibt es schon mal gar nicht, weil die Geschwindigkeit sowieso schon pro Zeit gemessen wird. Es kann höchstens sein, dass man nach einem Monat sechs bis achtmal mehr Fälle hat als in anderen Varianten. Aber das ist nicht der Faktor sechs bis acht, sondern das ist wirklich plus 30 Prozent – nur noch einmal, um dort die Kirche im Dorf zu lassen.


Aber es kann sein, dass weitere dieser Varianten im Umlauf sind. Und das würden wir jetzt gerne wissen, weil das sind nochmal ganz andere Maßnahmen. Stichwort Grenzschließungen: Haben wir schon so viel im Land, dass wir mit einer explosiven Ausbreitung des B1.1.7 rechnen müssen, so wie es in Großbritannien und in Irland passiert ist? Wir wissen, dass da so eine Schwelle interessanterweise im Raum steht. Erst ab ungefähr 0,2 5 Prozent Anteil der neuen Variante fangen die an, sich so explosionsartig zu vermehren. Vorher können die so ein bisschen mitlaufen. Aber 0,2 5 Prozent ist nicht viel. Vielleicht haben wir das schon bei uns. Und das hieße, dass wir im Grunde genommen sowieso in der Phase sind, wo diese neue Variante am Start ist. Vielleicht gibt es auch viele weitere. Das heißt, jetzt sofort müssten wir diese Informationen haben. Wenn die Pläne mit der Impfung funktionieren, wenn uns der Sommer wieder hilft und wenn leider auch die natürliche Durchseuchung weiterläuft, würde ich sagen, wenn wir da im Juni/Juli am Start sind, ist es zu spät.



Camillo Schumann

:


Aber könnte nicht jedes PCR-Labor diese Sequenzierung vornehmen?



Alexander Kekulé:


Nein, das ist ein großer Unterschied. Die PCR muss man sich so vorstellen. Das wird in der Routinediagnostik fast mit Robotern gemacht. Das sind so Maschinen, da muss man das nur reinladen, auf Start drücken und aufpassen, dass die Maschine keinen Unsinn macht, was


nicht immer ganz einfach ist. Aber das ist absolute Routine.


PCR ist Handwerk und die Sequenzierung ist eine Kunst. Dafür braucht man spezielle Methoden. Wir machen das heutzutage mit einer Methode, die nennen wir das Next Generation Sequencing. Das ist eine Sequenzierungsmethode, bei der Sie mit hoher Geschwindigkeit eine große Zahl von Proben durchschleusen können. Aber da gibt es spezielle Geräte, die teuer sind, spezielles Personal, das sich darum kümmert. Meistens sind es Arbeitsgruppen, die hauptberuflich Sequenzierer sind und das machen. Und das kann nicht jedes Labor, das ist völlig ausgeschlossen. An diese 2 2 0 Euro pro Labor kommen in Deutschland nur wenige ran, weil die diese Möglichkeiten nicht haben. Häufig stehen diese Sequenzierer auch nicht in der Virologie direkt, sondern das sind häufig sogenannte Core Facilities an der Uni, also quasi Dienstleistungseinheiten, die das für die ganze Universität machen, wenn man so was mal braucht. Ich sehe also nicht, wie man mit der Hardware, die da ist, auf diese vom Bundesgesundheitsminister genannten fünf Prozent kommen soll. Noch einmal zur Erinnerung: Selbst das Referenzlabor der Bundesrepublik bei Herrn Drosten in der Charité hat ja unter tausend Sequenzen seit Beginn der gesamten Pandemie geliefert. Ich glaube, das hochzufahren ist ein Thema von Personal und von Hardware, die man braucht.


46:17



Camillo Schumann

:


Apropos Hardware: In Garmisch, wo eine weitere, noch unbekannte Virus-Variante entdeckt wurde, wurde es mit Hilfe mit eines speziellen Laborgeräts entdeckt. Die sind aber weitergeschickt worden in dieses Labor in der Charité. Das heißt, die Labore sammeln das erst mal ein und dann wird es noch einmal spezieller geprüft. Oder wie muss ich mir das vorstellen?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Es gibt Labore, die können das fertigmachen und unterschreiben. Aber das muss man sich so vorstellen: Man stellt diese Sequenz von den einzelnen Bausteinen der Erbinformation des


Virus fest. Das sind um die 30.000 Bausteine. Die Maschine liest das durch. Da macht sie beim ersten Lesen meistens ein paar Fehler. Da müssen Sie gucken, wo sind die Fehler. Dann müssen Sie es noch einmal selektiver lesen lassen. Dann müssen Sie Plausibilitätschecks machen, weil ein einziger Austausch eines einzigen Bausteins da drinnen kann dazu führen, dass das Virus hinterher so etwas wie eine Variante ist, zumindest eine Mutation hat. Dann müssen Sie die Mutation belegen. Und bis man am Schluss sagen kann, ja, das ist die Sequenz, die ich rausgekriegt habe, bei der ich sicher bin, dass wirklich jede einzelne Base, wie diese Bausteine heißen, stimmt, das dauert. An einem normalen Forschungslabor, wenn Sie flott sind, brauchen Sie für eine Sequenz eine Woche. Aber da sind Sie schon gut dabei. Nicht so wie wir früher im Labor. Wir hatten eine andere Methode. Da haben wir 2 Monate gebraucht, um 500 zu sequenzieren. Das ist schneller geworden. Aber wie gesagt, es ist eine Spezialtechnik. Und am Schluss zu unterschreiben, dass alles richtig ist, das können meistens nur darauf wirklich spezialisierte Labore, wie z.B. das Referenzlabor für Coronaviren an der Charité in Berlin. Und da wird es in der Regel so laufen, dass die Labore einen Hinweis darauf haben. Und dann schicken sie das nach Berlin, und da geht es noch einmal von vorne los. Die prüfen es noch einmal nach. Und bis man am Schluss sagen darf, jawohl, wir haben da eine deutsche Variante, was weiß ich, wenn Sie Garmisch sagen: „Bavaria 1.1.3“, das dauert eine Weile.


48:2 4



Camillo Schumann

:


Aber die Frage ist, was macht man mit diesen Informationen über die Mutation? Das Vereinigte Königreich hat in der Pandemie umfangreich sequenziert und hat trotzdem fast 90.000 Tote. Also was bringt dieses Wissen? Die Maßnahmen bleiben sowieso dieselben und die Menschen ja auch.



Alexander Kekulé:


Welcher Zustand der Varianten hat überhaupt Einfluss auf unsere Maßnahmen, wie Sie richtig sagen? In UK haben die noch keine Konsequenzen daraus ziehen können, die irgendetwas gebracht hätten. Und da muss


man sagen das ist ein Riesenunterschied. Ich lese zum Teil in der Zeitung „Supervirus ist im Anmarsch“, „Neue Pandemie bricht aus“, die „Pandemie in der Pandemie“. Die G-Variante, die weltweit zirkuliert, ist doch auch in Italien mal neu entstanden und weltweit ausgebrochen. Klar, das wäre schön gewesen, wenn man damals den Deckel draufgemacht hätte und früher erkannt und das verhindert hätte. Das ist nicht passiert. Jetzt ist sie weltweit vorhanden. Und so wird das auch mit diesen neuen Varianten. Vielleicht die 1.1.7 oder eine der vielen anderen, die mit Sicherheit zirkulieren und nicht gefunden wurden. Übrigens könnte die 1.1.7 aus Großbritannien auch von irgendwo auf der Welt stammen, denn in allen anderen Gegenden wird ja nicht richtig geguckt. Vielleicht kommt sie aus Garmisch. Keine Ahnung, ist ein Spaß gewesen. Ich glaube nicht, dass sie aus Garmisch kommt. Aber es ist durchaus möglich, dass das irgendwo anders aus der Welt zum ersten Mal wirklich aufgetreten ist. Übrigens genauso wie die norditalienische damals, die sich in Norditalien massiv vermehrt hat. Wir haben einzelne Belege, dass die vorher schon mal hier und da aufgetaucht ist. So wird jetzt wieder sein. Und die Frage ist, wo kann man Maßnahmen ergreifen? Ich glaube, dass diese Variante auf keinen Fall ein Grund dafür sein darf, dass wir in Aktionismus verfallen. Dass wir Maßnahmen verschärfen, ohne dass wir einen konkreten Beleg dafür haben, dass das etwas bringt. Und wir haben ja eine Reihe von offenen Baustellen in Deutschland, über die wir gesprochen haben: Altersheime usw. Diese Baustellen jetzt endlich fertig zu machen, dafür ist die neue Variante eine Herausforderung und noch mal ein Appell. Und es ist leider so, dass man in dem Moment, wo man noch nicht genau weiß, was die bewirken wird, ein ungünstiger Moment ist, um von der Bremse zu gehen bei dem Lockdown. Aber neue Maßnahmen kann man auf der Basis, dass man irgendwelche Varianten sequenziert hat, nicht empfehlen.


50:47



Camillo Schumann

:


Wir müssen noch über Impfung reden. An dieser Stelle sei auch die Seite www.impfdashboard.de empfohlen, eine gute


Übersicht des Robert-Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums. Dort steht der aktuelle Stand der Impfung. Abgebildet ist auch, wer geimpft wurde. 1,2  Millionen Impfdosen wurden bisher verabreicht und 6.500 Menschen davon haben sogar schon die 2 . Impfung erhalten. Fast 50 Prozent der Impfungen gingen an Menschen, die in Gesundheitsund Pflegeberufen arbeiten.


34 Prozent an Pflegeheimbewohner*innen, 2 4 Prozent an ältere Menschen. Auch wenn Biontech/Pfizer nun angekündigt haben, in den nächsten Wochen weniger Dosen liefern zu können als angekündigt. Wie bewerten Sie den aktuellen Impfstand?



Alexander Kekulé:


Ich bin ja überhaupt nicht auf der Seite derer, die sich da beschweren. Das ist eine riesige logistische Aktion. Das war völlig klar von Anfang an, dass da, wo gehobelt wird, Späne fliegen. Und wenn man das vergleicht mit anderen Impfstoffen, wo es monatelang Ausfälle gab, weil irgendein Reaktor bakteriell verseucht war oder Ähnliches, da läuft das doch super im Vergleich damit. Und 1,2  Millionen Geimpfte in Deutschland ist doch kein Grund, um sich aufzuregen. Ich glaube, da soll man die Leute mal machen lassen. Wir haben da meines Wissens fast 400 Zentren, die bereit wären dazu. Wir haben mobile Trupps, die das machen. Wir sind ja nicht das amerikanische Militär, das das mit perfekter Logistik hinkriegt. Aber dass wir überhaupt Impfstoff haben, ist gut. Wir hätten möglicherweise mehr bekommen können, wenn auch an dieser Stelle die Berater der Europäischen Kommission gesagt hätten, dass man mehr von den RNA-Impfstoffen bestellen soll. Aber es ist halt im Moment so, wie es ist. Und ich finde, das ist eine gute Bilanz:


1,2  Millionen. Wir schreiben den 19. Januar!


52 :40



Camillo Schumann

.


Nach Impfungen kann es immer mal wieder auch zu Todesfällen kommen. Die ImpfSicherheit überwacht akribisch in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut. Und am aktuellen Sicherheitsbericht vom 13. Januar wurde von


sieben Todesfällen berichtet. Das bezog sich auf Impfung bis zum 10. Januar. Da waren so 610.000 geimpft worden. Und die Patienten waren im Alter von 79 bis 93 Jahren, und sie starben in einem zeitlichen Abstand von zweieinhalb Stunden bis vier Tagen nach der Impfung. Und alle Patienten hatten schwerwiegende Vorerkrankungen, z.B. Karzinome, Niereninsuffizienz, Demenz etc.. Also gerade die Alten mit schweren Vorerkrankungen haben das höchste Risiko für diese Impfungen.


53:18



Alexander Kekulé:


Das ist eine Koinzidenz erstmal. Und die Kausalität ist – das ist bei all diesen Statistiken immer das Problem – eine ganz andere Baustelle. Bei den Impfstoffen wie bei allen Medikamenten, speziell wenn es experimentelle Impfstoffe sind bzw. Impfstoffe mit einer Notfallzulassung, da muss man alles dokumentieren, was im zeitlichen Zusammenhang passiert. Und wenn jemand offensichtlich aus einem anderen Grund stirbt und das aber drei Stunden später, wird es erstmal dokumentiert für alle Fälle, um zu sehen, ob es ähnliche Sachen woanders gab. Und wenn sich das merkwürdig häuft, greift das Paul-Ehrlich-Institut oder auch die europäische Arzneimittelbehörde irgendwann ein. Das heißt überhaupt nicht, dass da ein kausaler Zusammenhang bestehen muss.


54:01



Camillo Schumann

:


Aber gerade diese Gruppe der Alten mit vielen Vorerkrankungen waren ja nicht Teil der Studien. Deswegen ist diese Verbindung ja zu machen, oder nicht?



Alexander Kekulé:


Deshalb ist es extrem wichtig, sich das anzuschauen. Das ist völlig richtig, da wird weltweit genau hingeguckt. Das ist ja das Wesen der Notfallzulassung, dass man die Zulassung erteilt aufgrund nicht vollständiger Daten. Das ist ja zum Teil anders kommuniziert worden. Aber es ist wirklich so, dass es eine


Notfallzulassung ist und einige Daten erst später erhoben werden, z.B. bei solchen besonders Hochaltrigen mit Vorerkrankungen. Das wird später komplettiert. Und dann schaut man sich diese Daten an in der Post Marketing Surveillance, also in der weiteren Überwachung. Manche sagen auch Phase-4Studie dazu. Da wird das genau angeschaut und ausgewertet. Und die Daten, die ich soweit kenne, auch aus den USA, da sind ja inzwischen über 10 Millionen Menschen geimpft worden mit den RNA-Impfstoffen, da ist kein Hinweis bisher darauf, dass es einen kausalen Zusammenhang im engeren Sinne gibt.



Camillo Schumann

:


Da schlägt Norwegen bisschen raus. In Norwegen ist die Todesrate deutlich höher unter den bisher nur 42 .000 Geimpften gab es insgesamt 2 3 Todesopfer. Die Berichte legen nahe, dass häufige Nebenwirkung von mRNAImpfstoffen wie Fieber und Übelkeit bei einigen gebrechlichen Patienten zu einem tödlichen Ausgang beigetragen haben könnten. So wird Sigurd Hortemo, Chefarzt der norwegischen Arzneimittelbehörde, zitiert.


Können Sie sich diese hohe Todesrate erklären?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist im weltweiten Vergleich ein Ausreißer, muss man sagen. Ich kann mir das nicht erklären. 2 3 Tote bei 42 .000 Geimpften. Selbst wenn man sagt, Alte sterben sowieso irgendwann und das kann zufällig auch mal nach der Impfung sein – das soll jetzt nicht despektierlich sein, aber aus statistischer Sicht ist es so – Also selbst wenn man sich das so anschaut, ist es so, dass das nicht zusammenpassen würde. Die Vermutung ist ernst, die von den Norwegern geäußert wird. Und man muss dazu sagen, Norwegen ist ein Land, was hervorragende Statistiker hat, hervorragende Epidemiologen hat, die in vielen internationalen Studien auch führend dabei waren. Das heißt, man muss das ernst nehmen, was sie da festgestellt haben. Und auch welche Schlussfolgerungen sie ziehen. Es


ist ja ein gewünschter Effekt des Impfstoffs, gar nicht mal so in dem Sinne Nebenwirkung, dass es zu der sogenannten Impfreaktion kommt: Schwellung, Rötung, manchmal Schmerzen, manchmal ein bisschen Müdigkeit, und was es so alles gibt. Manche haben Gliederschmerzen, vielleicht bis hin zu Schlafstörungen und so. Das gibt's ja alles. Eltern, die ihre Kinder gelegentlich zum Impfen bringen, die kennen das. Und da sagt der Kinderarzt immer: Impfreaktion. Das, was beim Kind dazu führt, dass es drei Tage nachts schlecht schläft und viel schreit, kann der gleiche Effekt sein. Also diese starke Stimulierung des Immunsystems kann bei einem Hochaltrigen, der zusätzlich vielleicht ein paar schwere Grunderkrankungen hatte, der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das ist nicht auszuschließen. Das kann man sich so vorstellen. Das Immunsystem soll ja trainiert werden durch die Impfungen. Stellen Sie sich vor, Sie würden einem Alten irgendwie 2 10-Kilo-Gewichte geben und sagen: Trainier mal damit, weil es gut ist, starke Muskeln zu haben. Dann haben sie eine faire Chance, dass die einen Herzinfarkt bekommen und sich überanstrengen. Und das ist nicht auszuschließen. So wie die Norweger das als Verdacht in den Raum stellen, ist das auch so eine Art Überanstrengung der Immunantwort. Der Impfstoff, das muss man sagen – die RNAImpfstoffe sind – dafür, dass da kein Wirkungsverstärker dabei ist, kein Adjuvans – ganz schön „reaktorgen“ wie wir sagen. Also die machen eine relativ starke Impfreaktionen. Viele Fachleute sind auch überrascht, dass die so stark ist. Aber im Sinne des gewünschten Zwecks ist das eine gute Impfreaktion, denn sonst würden sie nicht auf diese 95 Prozent Wirksamkeit kommen.


57:55



Camillo Schumann

:


Auch in Norwegen waren die Menschen, die gestorben sind, hochaltrig, hatten Vorerkrankungen, nun also dieser Ausreißer, der im Moment noch nicht erklärbar ist. Da könnte man ja mal fragen – weil sie gerade


gesagt haben, Norwegen hat eine gute Statistik, die schauen da gut drauf –: Schauen die besonders gut drauf und wir vielleicht nicht? Da wird man so ein bisschen unruhig.



Alexander Kekulé:


Naja, das Paul-Ehrlich-Institut hat auch international einen hervorragenden Ruf. Ich erwarte hier die beste Arbeit von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Die sind ein bisschen kalt erwischt worden von dieser Pandemie. Die waren ja in London und mussten im Zusammenhang mit dem Brexit nach Amsterdam umziehen. Da ist vieles erst im Entstehen, einiges Personal ist noch in London geblieben leider. Und was die machen müssen, ist, schnell den europäischen Vergleich herzustellen. Norwegen ist ja kein EU-Mitglied, und deshalb sind die Daten von dort quasi über Bande gespielt. Da muss die EMA im Grunde genommen als europäische Behörde da europaweit die Daten zusammenziehen. Selbst wenn wir in Deutschland 1,2  Millionen Impfungen haben, brauchen wir da eine größere Stichprobe, vor allem bei den Alten. Es ist ungefähr die Hälfte der Geimpften wohl aus dem medizinischen Bereich und die andere Hälfte gehört zur Risikogruppe, Alte und andere mit schweren Vorerkrankungen. Und man müsste mal gucken, wie viele haben wir, die wirklich hochaltrig mit schweren Vorerkrankungen waren? Gab es da vielleicht in Norwegen irgendetwas, wo wir das näher eingrenzen können? Und das muss man ruckzuck machen. Vor allem, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern in Deutschland und anderen EUStaaten. Ich selber sage jedem, der über 80 ist: Lass dich impfen, und zwar so schnell du es kriegen kannst. Aber diese Empfehlung ist gekoppelt an die Überzeugung, dass es keine schweren Nebenwirkungen gibt. Und wenn die Norweger andere Daten haben, muss man da schnell sein, um das zu klären.


01:00:00



Camillo Schumann

:


Wenn es belastbare Daten für Europa gibt,


erfahren Sie es im Podcast. Damit sind wir bei den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen:


01:00:08


„Mich würde interessieren, ob es zwingend erforderlich ist, dass beide Impfung vom gleichen Hersteller kommen, oder ob es auch möglich wäre, z.B. diesen günstigeren Impfstoff aus Skandinavien zu nehmen und bei der 2 . Impfung den teureren, oder ob es da Kreuzreaktionen gibt. Und meine 2 . Frage wäre: Warum wird in den Oberarm geimpft? Ist es zwingend erforderlich, oder gibt es an sich bessere Stellen, wo die Wirkung besser wäre?“



Camillo Schumann

:


Vielleicht erst mal die letzte Frage: Warum Oberarm?



Alexander Kekulé:


Das muss ich aus dem Stand sagen, das ist bei mir echt lange her, dass mir das einer erklärt hat. Es ist so: Beim Erwachsenen ist der Oberarm ein gut zugänglicher Muskel, in den man gut injizieren kann, den man gut greifen kann, den man letztlich sieht. Und da ist nach meiner Erinnerung auch einer der Gründe dafür, dass man gesehen hat, dass dort die Immunisierung relativ gut ist. Es gibt andere Muskeln – das hängt wahrscheinlich mit der Durchblutung zusammen oder solchen Dingen, das kann ich nicht beurteilen, wo die Immunisierung nicht so gut ist. Das ist aber etwas, was mir damals im Studium jemand erklärt hat. Ob das heute noch State of the Art ist, weiß ich nicht. Das Zweite, was ich weiß, ist, dass die Impfung bei Kindern in den Oberschenkel gemacht wird, weil da der Muskel größer ist. Also nimmt man eher den großen Muskel. Das ist wichtiger Grund bei allen Injektionsstellen, die man sich so überlegt. Da gab es in der Historie auch immer mal wieder Änderungen. Früher hat man ja in den Po geimpft, wenn man sich daran erinnert. Das war ja so der Klassiker. Bei allen Injektionsstellen ist es so, dass man aufpassen muss, wenn viele Menschen das machen, auch zum Teil nur unter ärztlicher Anleitung, ohne große medizinische Ausbildung, dann stechen


die auch mal in eine Ader oder in einen Nerv. Und da hat sich im Lauf der Zeit herausgemendelt, dass beim Erwachsenen die Injektion in den Oberarm wirksam ist. Man kommt gut dran, und es gibt besonders wenige Nebenwirkungen im Sinne von punktierten Gefäßen und punktierten Nerven.



Camillo Schumann

:


Und die Frage Impfung mit 2 Impfstoffen. Die erste Impfung mit dem einen und die zweite Impfung mit dem anderen.



Alexander Kekulé:


Mit dem mit dem skandinavischen Impfstoffhersteller war wahrscheinlich AstraZeneca gemeint, also das Oxford AstraZeneca-Produkt, der ein Vektor-Impfstoff ist. Also nach Empfehlung der Ständigen Impfkommission Stiko, an die ich mich wirklich halten würde, weil die sich Gedanken darüber machen... Da gibt es kein Wenn und Aber. Man soll den Impfstoff im Moment nicht wechseln. Aber das ist eine Empfehlung. Was würde man machen, wenn man den anderen z.B. überhaupt nicht mehr bekommt, weil er nicht geliefert wird oder Ähnliches? Da wird man sicher noch mal drüber nachdenken. Für diesen Extremfall, dass der Impfstoff ausgefallen ist, mit dem man die zweite Dosis bräuchte, wäre es aus meiner Sicht die erste Option zu sagen: bis zu drei Monaten kann man warten, wenn man nicht zur Hochrisikogruppe im hohen Alter gehört. Also erst mal abwarten. Sie wissen, muss ich dazusagen – da unterscheide ich mich von der Empfehlung der Stiko und auch von der Empfehlung der US-Behörde, die sagt, man darf nicht länger abwarten. Das Vereinigte Königreich hat sich dafür entschieden, dass man länger abwarten darf. Und die zweite Option wäre für mich ein Wechsel. Da können Sie z.B. von Biontech auf Moderna wechseln. Die sind so ähnlich die Impfstoffe, dass ich wirklich keinen Grund sehe, sie im Notfall nicht zu wechseln. Notfall heißt, man kriegt nichts anders. Aus Kostengründen würde ich auf keinen Fall wechseln.


1:03:42 



Camillo Schumann

:


Damit sind wir wieder am Ende mit Kekulés Corona-Kompass. Wir haben uns wieder verplaudert, Herr Kekulé. Ich könnte ja immer bis abends reden. Aber dann hört uns keiner mehr zu, habe ich zumindest den Eindruck.


1:03:52 



Alexander Kekulé:


Das ist das Problem, wenn Sie jemanden fragen, der mit Begeisterung bei der Sache ist. Ich könnte Ihnen stundenlang etwas über Viren erzählen, über Impfstoffe usw. Meine Studenten schimpfen auch immer, dass die Vorlesungen zu lange dauern. Da müssen Sie mich bremsen, wenn ich mich ins Thema verliere.



Camillo Schumann

:


Okay, dann sprechen wir uns am Donnerstag wieder zur Ausgabe #141. Vielen Dank und bis dahin.



Alexander Kekulé:


Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Samstag, 16.01.2 02 1 #139: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links:


https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Epi dBull/Archiv/2 02 1/Ausgaben/02 _2 1.pdf?_ _blob=publicationFile



Camillo Schumann

:


Fast 1 Million Impfung, viele Neuinfektionen, hohe Dunkelziffern – müssten wir nicht langsam Herden-Immunität haben? Sind Blutverdünner ein Problem bei der Impfung?


Das Virus will doch leben, wieso sterben Menschen daran? Erhöht die Antibabypille die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs?


Und: Soll man aktuell nach Südafrika reisen?


Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass – Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer von dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo Herr Schumann, Frau S. aus Gotha hat gemailt:


„Lieber Herr Kekulé, ich bin 85 Jahre alt und nehme seit 2 Jahren den Blutverdünner Eliquis. Könnten dadurch Probleme bei der Corona-Impfung entstehen. Ich habe mir im Internet gelesen, dass der Corona-Impfstoff sehr tief in den Muskel gespritzt werden muss. Nun bin ich etwas verunsichert. Bei der


jährlichen Grippeschutzimpfung durch meinen Hausarzt hat es jedenfalls noch nie Komplikationen geg. Vielen Dank und viele Grüße.“


3 [0:01:08]:



Alexander Kekulé:


Ja, es ist richtig, diese Impfung wird in den Muskel verabreicht. Da muss man aufpassen, dass man die nicht aus Versehen nur unter die Haut oder sogar in eine Vene spritzt.


Wir wissen von vielen anderen Impfungen, dass diese Blutverdünner – ob das Eliquis oder Marko Mar ist, was man früher viel gegeben hat –, kein zusätzliches Risiko bedeuten. Das heißt, es kann sein, dass es etwas länger danach blutet. Aber das ist dann keine Kontraindikation, wie wir sagen. Und es steht auch klar in den Empfehlungen, dass man auch bei Menschen, die unter Blutverdünnung stehen – insofern keine weiteren genetischen Risiken bestehen – man diese intramuskuläre Injektion machen kann.


[0:01:49]:



Camillo Schumann

:


Weil Sie gerade den Muskel angesprochen haben: Ich habe auf einem Foto gesehen, da hat bei einer Impfung die Ärztin oder der Arzt so eine Hautfalte gemacht am Oberarm und die Impfung da reingejagt. Trift man bei dieser Hautfalte überhaupt den Muskel?


[0:02 :06]:



Alexander Kekulé:


Wenn Sie da eine Hautfalte gesehen haben, ist das falsch gemacht worden. Das wäre die intradermale Injektion, in die Haut. Das macht man bei Blutverdünnern – dieses Heparin, was vielleicht einige kennen – wird so gespritzt. Und man muss nicht mit 2 Fingern eine Hautfalte heben, sondern man spannt eigentlich die Haut mit der breiten Hand. Und man drückt den Muskel ein bisschen zusammen, damit der sich nach vorne wölbt. Das muss man nicht so machen, aber machen einige. Und möglicherweise haben Sie das gesehen. Aber wenn es wirklich eine Hautfalte


1


war, dann ist das auf dem Bild falsch gewesen. Ich kann Ihnen sagen: Ich als Fachmann schaue da anders hin. Ich gucke auch manchmal entsetzt, wie man im Fernsehen sieht, wie die Leute diese Nasen-Rachen-Abstriche machen. Der eine oder andere bohrt da diesen Tupfer senkrecht in Augenrichtung, so wie man mit dem Finger in der Nase bohren würde, was natürlich keiner macht. Aber da sieht man schon an der Stoßrichtung, dass das komplett falsch ist. Und so was wird auch noch im Fernsehen gezeigt. Mag sein, dass das vielleicht bei der Demonstration schiefgegangen ist. Aber ich gehe mal davon aus, dass die Leute, die in unseren Impfzentren das machen, da von Ärzten vorher angelernt wurden und deshalb wissen, wie es geht.


[0:03:2 0]:



Camillo Schumann

:


Herr S. hat eine Mail geschrieben. Er schreibt:


„Ich beabsichtige, mit meiner Familie, 2 Kleinkinder, im März vier Wochen in Südafrika zu verbringen, 2 Wochen in Kapstadt und 2 Wochen an der Garden Route. Wir wohnen in Mietshäusern und ab und zu in kleinen Lodges, maximal 2 0 Gäste. Wie ist Ihre Risikoeinschätzung bezüglich: ärztlicher Versorgung, Ansteckungsgefahr mit der Mutation und Gefährlichkeit für ein kleines Baby, ein Kleinkind und 2 Erwachsene?“


Danke für Ihre Einschätzung, Herr Schmitz.


Herr Kekulé, bevor Sie antworten, lassen wir mal kurz Professor Wieler, Präsident des RKI, zu Wort kommen. Denn der hat sich in dieser Woche exakt dazu geäußert, nämlich zu Fernreisen, speziell nach Südafrika.


[0:04:03]:


„Wer nicht reisen muss, der soll auch nicht unbedingt reisen. Denn diese Varianten werden durch Reisen, auch durch Mobilität schneller verbreitet.“


[0:04:11]: Und das Auswärtige Amt warnt derzeit vor nicht notwendigen touristischen Reisen nach


Südafrika. Südafrika ist von Covid19 besonders stark betroffen, ist da zu lesen. Zahlreiche Regionen des Landes wurden als Hotspots definiert, u.a. auch die Garden Route.


Jetzt, Herr Kekulé!


[0:04:2 8]:



Alexander Kekulé:


Ja, da kann man schon auch etwas dazu sagen. Die Warnungen des Auswärtigen Amts basieren auf einer Einschätzung, die erstens die Häufigkeit der Infektionen dort berücksichtigt und zweitens die Möglichkeiten, in dem Land zu testen. Auch wenn manche Länder scheinbar wenig Fälle haben, dann aber oft deshalb, weil sie kaum testen. Und so ein bisschen fließt auch die Frage ein, ob das ein Land ist, wo man im Zweifelsfall medizinisch gut versorgt wäre. Das ist aber eher weit hinten.


Die Mutation hat mit diesen Warnungen nichts zu tun. Die Warnung des Auswärtigen Amts haben nichts mit der Mutation zu tun. Und Herr Wieler hat eigentlich das richtig gesagt, aber man muss auch genau hinhören, was er gesagt hat. Er hat nicht gesagt: Oh, da ist eine Mutation, deshalb dürft ihr nicht mehr da hinfahren. Vielmehr geht es darum: Wenn man dort ist und sich infiziert und das nicht bemerkt, oder obwohl man es bemerkt, vielleicht trotzdem frech wieder in den Flieger zurücksteigt und die Krankheit, diese Mutanten nach Deutschland einschleppt, kriegen wir hier schnell die Mutanten, die wir nicht haben wollen, aus verschiedenen Gründen. Und deshalb sagt er: lieber nicht machen, wenn es nicht notwendig ist. Dieses Risiko, was ja eigentlich relativ konkret ist, kann man auch spezifisch dadurch bekämpfen, verhindern, sogar ausschließen, indem man, wenn man zurückkommt, brav die 14 Tage Quarantäne einhält. Das heißt, durch die Maßnahmen, die sowieso schon angeordnet sind: Rückkehr aus dem Risikoland heißt Quarantäne – durch diese Maßnahmen kann man auch die Mutante verhindern. Und das ist mir wichtig zu sagen. Leider geht es durch alle politischen Kreise durch, auch Fachleute und Kollegen von mir machen das, das sehe ich, wenn ich täglich den Fernseher anmache. Da gibt es 2 ver-


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schiedene Positionen. Die eine Position ist die, dass man sagt, da ist eine Mutante unterwegs, und deshalb müssen wir einen härteren Lockdown machen. Zusätzliche Maßnahmen machen das, was wir schon immer gemacht haben, noch verschärfter machen. Und es gibt die Gegenposition, die ich ja hier formuliert habe: und die heißt: Diese Mutante ist zwar ein bisschen infektiöser, aber das spielt nur epidemiologisch eine Rolle. Die Mutanten werden die Varianten des Virus langsam überholen in der nächsten Zeit. Das wird stattfinden. Genauso wie bei der Mutation, die in Italien damals aufgetreten ist, die GVariante, die weltweit verbreitet ist – wo übrigens kein Hahn danach gekräht hat damals. Da hatte ich ja vorgeschlagen, dass man die Grenzen zumacht nach Italien. Und es ist so, dass man da vorsichtig ist. Man will die Mutanten nicht im Land haben. Das ist richtig, solange man es überhaupt verhindern kann. Das wird sich nicht lange durchhalten lassen. Aber bitte, das ist kein Grund zur Panik. Diese Mutanten machen genau das Gleiche. Die sind durch die gleichen Methoden vermeidbar. Die Infektion ist genauso vermeidbar, und man muss nicht wegen einer Mutante härtere Lockdown-Maßnahmen ergreifen oder eine andere Maske aufsetzen. Da gilt genau das Gleiche. Man muss die Dinge, die wir sowieso schon zu wenig gemacht haben, jetzt gründlicher durchführen. Wir haben in der letzten Folge des Podcasts darüber gesprochen. Man muss konsequenter durchziehen, aber nicht in Panik verfallen, weil da eine neue Variante unterwegs ist.


[0:07:46]:



Camillo Schumann

:


Außerdem gibt es ja, um noch einmal auf die Reise nach Südafrika zurückzukommen, eine Testpflicht für alle Reiserückkehrer aus Risikogebieten und da, wo die Inzidenz sehr hoch ist. Und man muss sich vorher online anmelden mindestens. Das müsste die Familie S. machen, wenn sie aus Südafrika zurückkehrt. Um noch einmal kurz auf die Frage zurückzukommen: ärztliche Versorgung, Ansteckungsgefahr und Infektionsgefährlichkeit fürs Baby, fünf Monate Kleinkind und die sehr gesunden Erwachsenen.


Können Sie da so eine zusammenfassende Antwort geben? [0:08:15]:



Alexander Kekulé:


Es ist so, dass ich grundsätzlich – die Frage kriege ich oft –, dann sage ich, wenn das aus irgendwelchen Gründen als notwendige Reise erachtet wird, das muss jeder selber wissen, was notwendig ist, gibt es keinen Grund, nicht hinzufahren. Man muss nur dort wirklich konsequent verhindern, dass man sich ansteckt. Noch konsequenter als bei uns. Aber ich bin ja wirklich auf dem Standpunkt: Virusansteckungen kann man vermeiden. Da muss man sich richtig verhalten. Ich erinnere mich an die Ebola-Einsätze in Westafrika bei „Ärzte ohne Grenzen“. Da haben sich, obwohl da ein extrem hohes Risiko ist und war, nach meiner Erinnerung insgesamt vier Mitarbeiter angesteckt. Das ist wirklich eine enorme Leistung, und das ist möglich. Aber man muss das halt auch knallhart durchziehen, keine Lücken lassen. Und man muss auch wissen: In Südafrika ist die medizinische Versorgung in der Regel schlechter als bei uns. Es gibt einige hervorragende Krankenhäuser. Das in Kapstadt ist ja weltberühmt, aber da müssen sie einen Freund haben, der Arzt ist, um reinzukommen. Das ist nicht so was, was so einfach funktioniert, dass Sie dem Sanitäter sagen, bringen Sie mich bitte da hin. Und deshalb müssen sie damit rechnen, wenn sie wirklich einen Fehler machen, ist das ein Drahtseilakt, denn dann werden Sie unter Umständen medizinisch viel schlechter versorgt als bei uns. Und dieses Risiko ist der Teil, den man sich selber überlegen muss: Nehme ich das in Kauf, ja oder nein, habe ich das im Griff, ja oder nein. Und wenn Sie sagen, jawohl, das habe ich im Griff und wenn ich krank werde, bin ich jung, und das Risiko nehme ich auch noch in Kauf, wenn ich mich infiziere, kann man das meines Erachtens machen mit der Einschränkung von Herrn Wieler, dass man, wenn man zurückkommt, das Virus bitte nicht mitbringt.



Camillo Schumann

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Herr B. hat angerufen. Er hat eine grundsätzliche Frage zum Virus:


[0:10:10]:


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„Ein Virus ist ein atomares Material, kein lebendiges wie eine Bakterie. Und ein Virus will ja immer überleben. Und wenn es sich in die Zelle einnistet, möchte das Virus ja überleben. Und da das Virus überleben möchte, möchte es auch, dass der Körper insgesamt gesehen überlebt. Und das widerspricht irgendwie so ein bisschen der These, dass man ja auch an dem Virus, aber auch an vielen anderen Viren, versterben kann. Können Sie da vielleicht auch mal etwas grundsätzlich zu sagen? Vielen Dank.“


[0:10:42 ]:



Alexander Kekulé:


Virologen diskutieren so etwas immer gerne. Ja, das Virus ist tot, darum „will“ es ja eigentlich nichts. Aber aus genetischen oder aus phylogenetischen Gründen und entwicklungsgeschichtlichen Gründen ist es so, dass die Viren nur bestehen können, wenn sie sich vermehren. Und deshalb ist es nicht „im Interesse“ eines Virus, den Wirtsorganismus sofort zu töten. Drum sind ja auch Viren wie Ebola relativ leicht bekämpfbar. Und alle Viren, die man in dem Sinne des Hörers als „kluge Viren“ bezeichnen würde, die sich angepasst haben an den Menschen, haben sich immerhin in der Weise angepasst, dass sie weniger schwere Krankheiten verursachen, aber dafür leichter übertragbar sind. Die Weltmeister sind dabei die Schnupfenviren. Das Schnupfenvirus macht eigentlich nichts Schlimmes. Aber es kitzelt einen schön gemein in der Nase. Vorher produziert es noch richtig viel Schleim mit vielen Viren drinnen. Und man macht Hatschi und kann locker über 2 Meter Abstand jemand anders damit infizieren. Darum sind die ja auch so erfolgreich. Und obendrein sind die Schnupfenviren „doppelt intelligent“ – wenn man das so spaßig sagen darf. Weil sie so eine harmlose Krankheit machen, will ja keiner richtig viel Geld für die Forschung ausgeben. Anders als bei Ebola. Das Ebola-Virus hat es ja komplett übertrieben mit dem Ausbruch in Westafrika 2 014/2 015, wo das so schlimm zugeschlagen hat, dass die Weltgemeinschaft plötzlich angefangen hat, sich um einen Exoten-Virus zu kümmern, mit der Folge, dass es jetzt einen guten Impfstoff dagegen gibt. Und deshalb ist es für ein Virus eigentlich klug,


eine harmlose Krankheit zu machen. Da forscht keiner dran, damit kann man möglichst viele anstecken und bleibt über Jahrtausende Begleiter des Menschen. Das Coronavirus, um das es aktuell geht, das geht ja in die Richtung. Diese Mutanten, die höher infektiös sind, bei denen müsste es wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn die nicht zunehmend auch weniger schwere Erkrankungen machen, zumindest bei der Weltpopulation, die so nach und nach mal Kontakt hatte mit dem Virus oder mit dem Impfstoff. Da bin ich eigentlich sicher, dass es in den nächsten Jahren so sein wird, dass genau die Varianten dieses SarsCov-2  ansteckender sein werden. Aber, wie gesagt, das macht bei den Gegenmaßnahmen keinen Unterschied. Aber sie werden zugleich weniger schwere Erkrankungen verursachen. Und vielleicht kann man noch eins dazu sagen: Interessant ist immer zu beobachten, was die Viren bei Menschen machen, die noch ein frisches Immunsystem haben, bei jungen Menschen, Kindern. Und da ist es überall so, dass die Erkrankungen nicht so schwer verlaufen, sondern wenn man das früh abkriegt, ist man relativ schnell immun ohne schwere Folgen. Das ist ja bei den Masern typisch. Bei einem Kind, das an Masern erkrankt, ist es in der Regel – klar, das ist eine unangenehme Krankheit –, aber statistisch gesehen sterben da nicht so viele Kinder dran. Und bei Bevölkerungen, die an die Masern gewöhnt sind wie wir in Europa – wir sind ja entweder durch Impfungen oder früher auch durch durchgemachte Erkrankungen immun –, da schlagen diese Viren nicht so schlimm zu. Die können nur so gnadenlos zuschlagen, wenn sie in eine „immunologisch naive“ Bevölkerung kommen. Und das hat es Sars-CoV-2  Jahr gemacht. Das ist ja komplett neu gewesen. Deshalb waren die Immunsysteme der Menschen weltweit nicht darauf vorbereitet. Aber unsere Gegenwehr wird dazu führen, dass dieses Virus letztlich vom gefährlichen Raubtier zu einer Art Haustier wird.


[0:14:16]:



Camillo Schumann

:


Wollen wir es hoffen. Eine Mail von Matthias aus Würzburg:


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„Das Robert-Koch-Institut zählte seit Beginn der Pandemie knapp 2  Millionen nachgewiesene Infektion mit Sars-CoV-2  in Deutschland. Wir haben eine konstant hohe Zahl an Neuinfektionen, diese Woche bis zu 2 5.000, dazu eine hohe Dunkelziffer, die zwischen 5und 10-mal höher liegt. Und wir haben fast 1 Million geimpfte Menschen. Wenn man das alles so zusammenrechnet, dürfen wir doch langsam eine Herdenimmunität haben, oder? Viele Grüße.“


[0:14:43]:



Alexander Kekulé:


Ja, das halte ich auch für wahrscheinlich. Da kann man noch einmal daran erinnern, dass ich eine abweichende Meinung habe. Das tut mir leid, aber ich muss das als Wissenschaftler dazusagen, wenn ich eine Position habe, die von der offiziellen RKI-Position abweicht. Und zwar wird ja immer gesagt, wir brauchen 60 bis 70 Prozent Geimpfte oder anderweitig Immunisierte, Infizierte, um Herdenimmunität zu erreichen. Dem widerspreche ich. Es ist auch so, dass es da zahlreiche Studien darüber gibt, die sagen, dass das so nicht stimmt. Denn man muss davon ausgehen, dass es um die sozial aktiven Gruppen geht. Oder nennen wir es mal so: In der heutigen Situation, da haben wir einen Lockdown über weite Zeiten gehabt, da geht es um die Gruppen, die – aus welchen Gründen auch immer – immer noch das Virus weitergeben, obwohl Maßnahmen ergriffen wurden. Und diese Gruppen sind nicht jeder. Ich schätze, es handelt sich wahrscheinlich um zehn bis 2 0 Prozent der Bevölkerung, um die es dabei geht. Und bei dieser Teil-Bevölkerung tritt genau das ein durch die vielen Neuinfektionen bzw. vielleicht auch durch Impfungen aber ich glaube, das betrifft beides: die Menschen in den Altenheimen werden ja geimpft und sind zugleich ein Hotspot für die Infektionen – bei diesem Teil der Bevölkerung kommt es nicht zu Herden-Immunität, aber zu einem partiellen Herdenschutz. Und dadurch – bin ich ziemlich sicher – werden wir eine Abnahme wieder der Neuinfektionen haben. Zumindest war das ein Teil des Effekts, den wir bei der ersten Welle hatten. Da waren diejenigen, die für die Weitergabe des Virus besonders verantwortlich waren, teilweise


schon immunisiert. Und dieser Herdenschutz passiert deshalb nicht erst bei 60-70 Prozent – rein rechnerisch wären es bei R = 3 dann 66,7 Prozent –, sondern es passiert schon viel früher. Es gibt Veröffentlichungen, die zeigen, dass das zwischen 40 und 50 Prozent Geimpfte oder Immunisierte – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – schon losgeht.



Camillo Schumann

:


Und was meinen Sie so über den Daumen gepeilt?



Alexander Kekulé:


Wir haben ja hier mehrere Dynamiken. Das Wichtigste ist, dass wir fragen, was für Gegenmaßnahmen wir machen. Und die Gegenmaßnahmen sind ja bis relativ hart, aber teilweise unwirksam. Und das ist eigentlich das Schlechteste, was man machen kann. Am besten ist, wenn man faul ist und das intelligent macht. Ein intelligenter Fauler, der nur das macht, was unbedingt notwendig ist, den mag ich auch bei den Studenten am liebsten. Und es gibt es die die absolute Gegenposition. Das ist derjenige, der Unsinn macht. Aber den mit Verve. Und das ist im Moment so, wie wenn man mit wahnsinnigem Dampf irgendwie schon wieder da nach den Mutanten schreit und sagt, wir müssen noch mehr Lockdown machen. Und ich weiß, dass sich nächste Woche die Bundeskanzlerin wieder mit den Ministerpräsidenten trifft. Man darf da nicht seinen eigenen Blutdruck so hochfahren, dass man sagt, wir müssen irgendetwas machen. Hauptsache etwas. Wenn man hier selektiv rangeht, glaube ich schon, dass man die offenen Türen, die noch vorhanden sind, zumachen kann. Und das wird in den nächsten Wochen einen Rückgang der Neuinfektionen bewirken. Auch deshalb, weil sich dieser Lateraleffekt in den Haushalten, die Weiterverbreitung des Virus innerhalb von Haushalten, wenn eine Person dabei ist, die infiziert ist, die eigentlich isoliert werden müsste, was aber in Deutschland nicht vorgesehen ist, das brennt sich ja irgendwann aus. Irgendwann sind ja die Haushalte, die Positive dabei hatten, mal durchinfiziert. Und irgendwann werden wir auch in den Altersheimen den Effekt haben. Notfalls durch die Impfung, wenn man es anders nicht hinbekommt. Und


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darum glaube ich schon, dass wir auf dem Weg sind, die Fallzahlen zu drücken. So richtig deutlich wird der Effekt sein, wenn uns zusätzlich wieder die warme Jahreszeit hilft.


[0:18:42 ]:



Camillo Schumann

:


Schnelle Frage, schnelle Antwort: Herr Doktor J. aus München hat geschrieben.


„Lässt sich ein Impferfolg 14 Tage nach der Impfung durch IgG-Bestimmung messen?“


[0:18:52 ]:



Alexander Kekulé:


Das kann man so nicht sagen. Bei den Phase-2 Studien hat man das so gemacht. Da hat man nach 14 Tagen und auch anderen Zeiträumen nachgeguckt, gehen da die Antikörper hoch. Aber nur mit der reinen IgG-Bestimmung, v.a. mit dem Standardtest, der so im Routinelabor bei uns verfügbar ist, könnte man da nicht sicher Aussagen treffen. Das sind relativ komplexe Messungen, wo man auch genau gucken muss, welche Antikörper sind es? Die sogenannten neutralisierenden Antikörper muss man da feststellen. Da braucht man Zellkulturen dafür. Und es kommt auch darauf an nachzuschauen, ob sich reaktive T-Zellen gebildet haben, ob die sogenannte zelluläre Immunantwort aktiviert wurde. Das sind Zellen, die können körpereigene Zellen zerstören, wenn da das Virus drin ist. Und dieses Bild kann man nicht durch Standardtests abbilden. Das das könnte ein Speziallabor, aber Standardtest bildendes nicht ab.


[0:19:49]:



Camillo Schumann

:


Nach und nach werden die Menschen ja geimpft. Manche, die noch nicht dran sind, die machen sich ja auch so ihre Gedanken über die Wirksamkeit der Impfstoffe. Häufig reden wir ja über die Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna? Dieser Herr hat angerufen und eine Frage zum Impfstoff von AstraZeneca:


[0:2 0:30]:


„Wenn ich mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpft werde, der – wenn ich richtig verstanden habe – nur zu 60 Prozent wirksam ist, und meine Frau auch, wir sind beide um die 60, dann haben wir 50 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass keiner von uns krank wird. Wir würden aber am Sozialverhalten gar nicht so viel ändern können bei dem Risiko, das wir haben. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank.“



Camillo Schumann

:


Ist diese Schlussfolgerung richtig?



Alexander Kekulé:


Ja, zumindest mathematisch ist das ungefähr richtig: 0,7 mal 0,7. Ich bin nicht so super Kopfrechner. Aber das wird schon ungefähr Stimmen. Wenn man für eine ganze Gruppe rechnet, ist es in der Tat ein Argument gegen den AstraZeneca-Impfstoff. Das diskutieren übrigens Epidemiologen ähnlich. Die gucken nicht nur 2 Leute an, sondern fragen, wenn wir 1 Million Menschen impfen, wie kriegen wir denn eigentlich insgesamt die HerdenImmunität hergestellt? Und man muss leider auch noch Folgendes dazu sagen: Es ist ja so: Diese 0,7 oder 70 Prozent Wirksamkeit hat ja AstraZeneca ein bisschen geschummelt. Die haben ja einen Mittelwert gebildet aus 0,6 und 0,9. Das ist nicht genau der Mittelwert. Aber es ist so gemittelt worden, dass man auch noch die Zahl der Probanden mit in die Waagschale geworfen hat. Und über die Methoden, mit denen das mathematisch gemacht wird, war da so eine Art Mittelwert hergestellt worden, und das ist gar nicht zulässig gewesen. Zusätzlich hat man festgestellt, dass das Studien mit verschiedenen Protokollen waren, die da zusammengemischt wurden. Das ist ja alles durch die Presse gegangen. Und AstraZeneca hat sich da echt die Nase. Aber nüchtern betrachtet gehen wir mal auf etwa 0,6, also 60 Prozent Wirksamkeit. Da wäre es in der Tat so. Das ist ja das Studienergebnis. Und das Studienergebnis bezieht sich auf Erkrankungen. Das heißt, in all diesen Phase-3-Studien wurde ja nicht getestet bei allen Teilnehmern – das wäre gar nicht möglich gewesen –, ob sie PCR-positiv geworden sind, sondern es wurde nur geguckt, ob sie sie Krankheitssymptome haben. Alle diejenigen, die asymptomatisch


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oder subsymptomatisch, so dass sie es selber nicht gemerkt haben, krank wurden, sind da draußen. Und das heißt im realen Leben, wo es darum geht, auch jeden Fall zu verhindern, der infektiös ist, aber keine Symptome hat, wären diese Impfstoffe weniger wirksam als die 95 Prozent von Moderna und die 60 Prozent von AstraZeneca. Was heißt das? Wir kommen in einem Bereich, wo man die Frage stellen muss: Kann man mit so einem Impfstoff – wenn man noch mit reinrechnet, dass sich nur 50 Prozent oder 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen – mit so einem Impfstoff überhaupt epidemiologisch einen Effekt erzielen? Und wenn man gemein ist, steht immer einer auf – heute sind wir sind ja in Zoom-Meetings, da drückt einer auf einen Knopf – und sagt: Und was ist mit den Mutanten? Falls noch eine Mutante kommt, die, wo der Impfstoff schlechter wirkt? – Der muss ja gar nicht unwirksam sein. Er muss nur noch schlechter wirken, ich sage mal 40 Prozent. So kann man super Horrorszenarien machen, dass wir das Virus noch drei Jahre als Gegenüber haben. Ich würde trotzdem dazu raten: Erstens wenn Sie ihn kriegen können, nehmen Sie den BiontechImpfstoff, nehmen sie nicht AstraZeneca, das sag ich mal so knallhart. Und zweitens, wenn wir schnell impfen in Deutschland und schaffen relativ schnell eine Herdenimmunität herzu.stellen, da tragen ja auch jüngere Leute dazu bei, indem sie leider infiziert werden, dann können wir das Virus überholen, bevor es anfängt, sich munter zum mutieren und vielleicht unsere Impfstoffe unwirksam zu machen. Und diesen optimistischen Pfad sollten wir verfolgen. Und falls das nicht klappt, reden wir dann darüber.


[0:2 4:07]:



Camillo Schumann

:


Klare Impfempfehlungen von Professor Kekulé, das hört man so selten, zumal ja auch der Bundesgesundheitsminister gesagt hat, es wird (vielleicht irgendwann) mal keine Auswahl der Impfstoffe geben. Man bekommt den verabreicht, der im Impfzentrum da ist oder beim Arzt.


[0:2 4:2 5]:



Alexander Kekulé:


Wenn Sie mich offen fragen, sage ich halt offene Antworten. Da kommen wahrscheinlich wieder ein paar böse Hörerbriefe. Aber es ist so, da darf man sich nichts vormachen. Das ist auch bei den Medikamenten so. Wir haben bestimmte Medikamente, die haben weniger Nebenwirkungen. Die sind aber teurer. Und darum kriegen die die Privatpatienten. Das ist kein Geheimnis, was ich sage. Und das ist überall in der Medizin so. Wir haben schon längst eine Zwei-Klassen-Medizin. Und wenn sie sich an die Schweinegrippe von 2 009 erinnern, da gab es einen Impfstoff, wo klar war, dass dieses Adjuvans nicht dabei war, dieser Wirkverstärker war nicht dabei. Der wurde von einer anderen Firma bestellt, von Baxter statt von GlaxoSmithKline. Und den hatte sich die Regierung für die Regierungsbeamten, für die Beamten und die Regierung bestellt und der hieß dann immer der „Regierungs-Impfstoff“. Und der hatte definitiv dieses Problem mit dem Adjuvans nicht. Wo ja damals der große Streit war zwischen dem Robert Koch, Paul Ehrlich und mir, weil ich gesagt habe, dass Adjuvans ist bedenklich. Und die haben gesagt, kein Problem. Hinterher hat sich herausgestellt, dass Adjuvans hat erhebliche Nebenwirkungen gehabt. Das mit diesem „Regierungs-Impfstoff“ hat echt ein Geschmäckle gehabt, deshalb muss man aufpassen. Ich habe das so ausführlich erzählt, weil ich glaube, dass sich vielleicht auf der Regierungsbank nicht alle so an diese 2 009er Geschichte erinnern. Man muss sehr aufpassen, dass man da nicht in die gleiche Falle tappt, wenn man verschiedene Impfstoffe hat. Der eine kostet nur ein paar Euro pro Schuss, der andere ist viel teurer. Und sagt man kann sie es nicht aussuchen. Ich glaube, das könnte zu Verwerfungen führen. Solange es so ist, dass mehrere Experten sagen, der BiontechImpfstoff und der von Moderna ist eindeutig besser, wird es wahnsinnig schwierig, den Leuten zu erklären, warum ein Teil den zweitbesten Impfstoff bekommt. Das Thema muss die Regierung lösen, bevor der AstraZenecaImpfstoff bei uns an den Start geht.


[0:2 6:2 0]:



Camillo Schumann

:


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Frau S. hat uns eine Mail geschrieben und auch ein Foto mitgeschickt. Sie schreibt


„Nach jedem einzelnen Tragen hänge ich meine FFP2 oder FFP3-Masken sofort auf den Bügel (siehe Foto) und nutze stets eine von denen, die dort mindestens eine Woche schon hängen. Ist dieser Umgang mit den Masken eigentlich sicher? Mit freundlichen Grüßen, Frau S..“


Haben sie das Foto gesehen?


[0:2 6:42 ]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich habe das Foto gesehen, ja süß. Die hängen da so ein bisschen wie Unterhosen auf der Stange. Man muss da nicht eine Woche warten. Wenn man die über Nacht trocknen lässt, sind da für den Normalbetrieb keine Viren mehr drauf. Wenn Sie mal ein Virus abkriegen irgendwo in der Straßenbahn oder so beim Einatmen fliegt auf die Maske, sind es ja geringe Viruskonzentrationen. Und da ist bis zum nächsten Tag, wenn sie das komplett trocknen lassen, alles weg. Die Viren können sich im komplett trockenen Milieu nicht lange halten. Das ist anders, wenn Sie im Krankenhaus arbeiten und Sie ein Patient aus Versehen richtig angespuckt hat. Wenn da so ein Tropfen auf die Maske geflogen kommt, ist das ein andere Viruskonzentration. Da würde ich davon abraten, es nur über Nacht trocknen zu lassen. Aber sonst ist dieses Verfahren sicher. Man muss nur darauf achten, wenn man diese FFP2 -Masken länger benützt, werden die irgendwann dicht. Dieses Material lässt wenig Luft durch. Und dann muss man sie wirklich wegschmeißen. Das heißt, wenn man merkt, dass das Atmen schwerer wird als bei einer neuen Maske, da muss man sie leider wegschmeißen, weil man das in der Regel mit Waschen nicht rauskriegt.


[0:2 7:53]:



Camillo Schumann

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Weil ja viele glauben, dass sie die FFP2 -Maske genau wie Alltagsmasken bzw. den OPMundschutz jeden Tag wechseln müssen und die alten wegschmeißen müssen. Das muss man ja gar nicht, weil die ja auch ein bisschen


mehr kosten, um die vier Euro, also am besten 2 kaufen. Und die im Wechsel tragen.


[0:2 8:15]:



Alexander Kekulé:


Sie müssen deshalb 2 kaufen, denn wenn man die eine Weile trägt, macht man sie von innen feucht durch die Ausatemluft. Und man hat manchmal Pech und ist irgendwo draußen, wartet vor einem Geschäft im Regen. Und ist die Maske nass oder feucht, brauchen Sie eine zweite. Aber sie brauchen nicht aus hygienischen Gründen eine 2 . Maske in dem Sinn, dass die Viren da irgendwie inaktiviert werden müssten. Ich selber habe auch so eine FFP-Maske, und die habe ich wirklich immer zusammengeknüllt in der Manteltasche. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange ich die schon habe. Wenn mir da zu viel Schokoladenflecken drauf sind und Keksbrösel drin sind und ich sie irgendwie eklig finde, dann schmeiß ich sie halt weg. Aber das ist nicht so, dass man sich aus virologischen Gründen Gedanken machen muss, sofern man nicht im Krankenhaus arbeitet.


[0:2 9:05]:



Camillo Schumann

:


Ich habe zwei, und die trage ich immer schön im Wechsel. Das beruhigt ungemein. Letzte Frage: Frau H. macht sich Sorgen um ihre Enkelin. Sie schreibt:


„Sind Frauen, welche die Antibabypille nehmen, gefährdet, einen schweren Covid-19-Verlauf zu bekommen. Eine Nebenwirkung der Pille ist ja ein erhöhtes Thromboserisiko. Ich mache mir Sorgen um meine 17-jährige Enkelin, die seit 2 Jahren die Pille nimmt. Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau H.“


[0:2 9:37]:



Alexander Kekulé:


Erstens es ist so, dass alles, was das Thromboserisiko erhöht, bei einer Covid-19Erkrankung schlecht ist. Wir haben keine Daten über Frauen, die die Antibabypille nehmen. Das gibt es ja verschiedene Präparate mit unterschiedlich starker Erhöhung des


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Thromboserisikos. Da würde ich auch, wenn da jemand Informationen haben will, ein Gespräch mit dem Frauenarzt oder der Frauenärztin empfehlen. Aber abgesehen von diesem grundsätzlichen Risiko, was da ist, kann man sagen: Es ist immer schlecht, das Thromboserisiko zu erhöhen. Und es ist so, dass wir keine Daten darüber haben. Es gibt keine Arbeit, die das belegt. Ich kann Ihnen sagen, dass ich in meinem privaten Umfeld sage: Frauen, die nicht mehr jung sind und die die Pille nehmen, wenn die Covid19 bekommen, sollte man mit dem Arzt, der sie behandelt, darüber diskutieren, ob man nicht vorsorglich so eine Art Blutverdünnung macht. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Ärzte wissen, wie man das macht. Das heißt, man kann vielleicht empfehlen, dass Frauen, die über 2 0-2 5 sind und die Pille nehmen, sollten sich in der Regel vom Arzt behandeln lassen, wenn sie Covid-19 wirklich bekommen und nicht nur zu Hause bleiben im Hinblick auf die mögliche Blutverdünnung. Und bei den Jüngeren würde ich sagen: Da wiegt die andere Seite der Waagschale. Und das ist die gute Nachricht: in dem Alter 17 Jahre war das, glaube ich – ist es ja nun so, dass das Risiko insgesamt so gering ist, dass man da trotz Antibabypille sagen kann, die ist komplett im grünen Bereich. Die Wahrscheinlichkeit, in dem Alter schwer an Covid zu erkranken, ist so gering, dass das für mich zu den Lebensrisiken gehört, die man in Kauf nehmen muss. Sonst müsste man sich ja immer zu Hause einsperren.


[0:31:35]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 139


Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.


Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns am Dienstag, den 19. Januar wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé:


Sie auch, Herr Schumann. Das wird ja eine spannende nächste Woche.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns


an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Donnerstag, 14.01.2 02 1 


#138: FFP2 -Maske – Schlüssel zur Normalität?





Camillo Schumann

, Moderator


MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio




Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle




Links:


https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2 02 1/Ausgaben/02 _2 1.pdf?__blob=publicationFile 





Camillo Schumann

:



Donnerstag, 14. Januar 2 02 1. 


Der Lockdown wirkt nicht wie erhofft, sagt das Robert-Koch-Institut und fordert eine Verschärfung. Was spricht dafür? Und was spricht dagegen? 


Dann: FFP2  Maskenpflicht im ÖPNV und Geschäften in Bayern ab Montag. Ist die FFP2 -Maske, der Schlüssel zur Normalität? 


Und: Am Ende der Sendung gibt es mal wieder etwas zum Schmunzeln. 


Wir wollen Orientierung. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. 


Ich grüße Sie, Herr Kekulé. 





Alexander Kekulé:
Hallo, Herr Schuman. 





Camillo Schumann

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Rekordzahlen, eine hohe Zahl an Neuinfektionen und auch noch die Mutation. Das Robert-Koch-Institut hat heute darüber informiert, dass der Lockdown bisher nicht so wirkt wie erhofft und deshalb auch verschärft werden könnte. 


„Das ist eine Option.“ 


Das hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, gesagt und weiter:


 „Diese Maßnahmen, die wir machen, für mich ist das kein vollständiger Lockdown; es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und wird nicht stringent durchgeführt.“





Camillo Schumann

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Und von paar Tagen soll die Kanzlerin gesagt haben: Wir brauchen noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen. Die Daumenschrauben könnten noch einmal angezogen werden. Wie bewerten Sie das? 





Alexander Kekulé:
Ja, das ist möglich. Ich bin grundsätzlich dagegen, ein Maßnahmepaket, das nicht so recht funktioniert, so wie es ist, fortzuführen, weil wir so viele Daten haben, die sagen, die Maßnahmen greifen in der ersten Woche. Man stellt fest, ob sie gegriffen haben in der zweiten Woche. Und wenn es nicht richtig funktioniert, muss man nachjustieren. Wie auch immer. Ich bin ja immer dafür, statt allgemein noch mehr Beton darüberzuschütten, lieber selektiver das anzugehen, was man vielleicht endlich mal analysiert hat, dass da die Probleme aufgetreten sind. Aber die grundsätzliche Einstellung von Herrn Wieler, wenn es nicht funktioniert, muss man etwas ändern, ist plausibel.





Camillo Schumann

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Herr Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, hat gefordert, die Wirtschaft runterzufahren. Wir bräuchten einen kompletten Stillstand. Wo genau könnte man noch nachjustieren?





Alexander Kekulé:
Naja, da will ich ein bisschen hinter Herrn Wieler in Deckung gehen. Der hat ja gesagt, es wird auch nicht überall konsequent durchgeführt. Und da liegt meines Erachtens eher der Hase im Pfeffer. Wenn wir an die Wirtschaft denken – das ist ja einer der vier Bereiche, die ich auch schon seit Wochen identifiziert habe, wenn ich mal so sagen darf: offene Seitentüre in diesem Haus, wo wir ständig die Vordertüre weiter zusperren und weitere Schlösser anbringen, während Balkon und Fenster und Garage alles offen ist. Eine der offenen Türen ist, dass wir die Bereiche Büros, wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinn nicht wirklich geregelt haben. Es gibt viele Regelungen von Gaststätten, Hotels, Schulen, da ist alles Mögliche probiert worden. Aber die Regelungen für die Wirtschaft stehen ja erst seit den Weihnachtstagen auf dem Papier, weil das letztlich so funktioniert, dass das über das Arbeitsschutzgesetz läuft, den Schutz der Arbeitnehmer. Da hat übrigens der Bund die unmittelbare Gesetzesautorität. Das heißt, anders als in vielen anderen Bereichen, die wir hier diskutieren, sind da nicht die Länder zuständig. Und das geht über die sogenannte Corona-Verordnung runter bis zu den Empfehlungen der Berufsgenossenschaften. Und die sind zum Teil erst vor wenigen Wochen rausgekommen – ich habe da mehrere gelesen und Gespräche geführt –, sind aber inhaltlich noch auf dem Stand, wie wir das mal gehört haben – ich sag mal im Mai oder so –, dass das wichtigste ist: Abstand halten von 1,50 m und Hände waschen. Und dieses Grundprinzip: Abstand im geschlossenen Raum und sich möglichst oft die Hände wäscht, ist alles gut. Das zieht sich so ein bisschen durch die Empfehlungen auch der Berufsgenossenschaften. Einige sind da aktueller und andere älter. Und da meine ich, ist noch viel Luft nach oben. Im Arbeitsbereich müssen wir dafür sorgen, um es mal pauschal zu sagen, dass, wenn Menschen zusammenarbeiten und in einem geschlossenen Raum zusammen sind, bitte verdammt noch mal eine Maske aufsetzen. 




Dass diese Regelung nirgendwo oder in vielen Bereichen nicht durchgezogen wird, geht nicht. Und diese Lücke, die haben wir. Und im aktuellen RKI-Bericht ist auch die Rede davon, das am Arbeitsplatz noch ein erhebliches Infektionsgeschehen vorhanden ist.





Camillo Schumann

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Herr H. Wieler hat heute auch eine Situation geschildert von einer Firma, die ein tolles Hygiene-Konzept hat. Aber dann sitzen die Mitarbeiter beim Mittagessen zu viert oder zu fünft an einem Tisch und lachen und sprechen miteinander. So banale Sachen sind das, wo das Problem entsteht.



Alexander Kekulé:
Und wir haben ja auch schon oft über den Paketboten gesprochen, der offen durchs Treppenhaus läuft, weil er denkt, er ist gerade allein und muss keine Maske aufsetzen. Aber in diesem Bereich Arbeitsschutz sind 2 Dinge, ohne da zu sehr ins Detail zu gehen, schwierig. Das eine ist der Arbeitsschutz: der dient  dem Schutz der Arbeitnehmer. Das ist formal so. Das heißt, ob z.B. der Paketbote, um im Bild zu bleiben, die ältere Dame im Haus infiziert, die 2 Minuten nach ihm durchs Treppenhaus geht, was er möglicherweise mit Aerosolen kontaminiert hat, ist im Arbeitsschutz ja nicht relevant, weil er nur der Arbeitnehmer bisher geschützt werden soll oder seine Kollegen schützen soll. Und das zweite Problem ist, dass wir das Prinzip der Aerosole dort nicht haben. 




Praktisch gesehen kann ich sagen, große Unternehmen, ich denke mal so richtig große mit 50.000 Mitarbeitern oder mehr, die haben Betriebsräte. Die haben ein Heer von Ärzten, die sich da kümmern und die rufen zum Teil auch bekannte oder nicht so bekannte Virologen und Epidemiologen an und sagen, komm doch mal her und erklärt uns, was wir machen sollen. Das ist aber nicht möglich bei irgendeiner kleinen Klitsche. Ein Handwerksbetrieb soll das kraft seiner eigenen Wassersuppe machen. Und wenn in dieser Corona-Verordnung, das ist sozusagen eine Ausführungsbestimmung des Bundesgesetzes, drin steht: „Jeder Betrieb muss selbst eine Risikobewertung machen“, dann geht das nicht. Das machen wir am Institut für Mikrobiologie in Halle nicht einmal alleine, sondern wir haben da wirklich einen Experten dafür am Klinikum, der uns in so einem Fall noch mal berät. Denn diese Risikobewertung nach Arbeitsschutzgesetz ist ein eigenes Handwerk. Das hieße, dass quasi jeder Schreiner seine Werkstatt machen soll. Das kann nicht funktionieren. Und da hat Herr Wieler vollkommen recht – spät, aber immerhin. Doch ich muss leider wieder sagen – wir reden ja schon seit Langem darüber – das ist hier auf der To-do-Liste, dass man am Arbeitsplatz wie auch immer dafür sorgt, dass konsequent zumindest diese aerogenen Infektionen vermieden werden, die auch zu Superspreading-Ereignissen führen können.



Camillo Schumann

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So ein Hygienekonzept in einem kleinen Handwerksbetrieb ist auch keine Raketenwissenschaft, mit Abstand die FFP2 -Maske, wo es geht, Homeoffice, Lüften und – wenn man im Auto zusammensitzt – auch eine FFP2 -Maske. Mehr ist es doch nicht, oder?





Alexander Kekulé:
Ich sage: im Grunde genommen sogar nur Maske. Wir reden ja hier von Epidemiologie für die ganze Bundesrepublik und nicht so von Einzelfall-Schutz. Wer im Einzelfall ein erhöhtes Risiko hat, da würde ich sagen FFP2 , bei den anderen wäre ich ja schon glücklich, wenn jeder eine Maske auf hat. Und Sie haben Recht, es ist keine Raketenwissenschaft. Aber es gibt so Dinge: Was ist in der Kantine? Was ist, wenn jemand eine schwere Bohrmaschine bei einer Wohnungsrenovierung in der Hand hat, darf der die Maske abnehmen? Wer kontrolliert das? Das ist ja auch häufig das Problem. Und da brauchen die, glaube ich, schon ein bisschen Unterstützung. Und ich würde da auch mit dem Finger auf das Bundesarbeitsministerium mit seinen Behörden, die dahinten dranhängen, richten. Und zwar ist es so, dass das nach dem alten AHA geht. Sie wissen, dass ich so ein bisschen zwischen den Zeilen das nicht so ernst genommen habe, weil Nummer eins: Abstand im Freien reicht 1,5-2  m, sage ich ja immer. Das gilt nach wie vor. Aber Abstand im geschlossenen Raum, das war nun wirklich gestern. Ich glaube, da muss man nicht Hörer eines der bekannten Podcast zu dem Thema sein, um zu wissen, dass man sich im geschlossenen Raum über mehr als  2 m Abstand und die berühmten 1,5 m infizieren kann. Der Arbeitsschutz geht aber nach dem sogenannten Top-Verfahren vor. Das ist historisch schon lange so, eigentlich kein schlechtes Verfahren. TOP heißt: Erst müssen technische Voraussetzungen geschaffen werden. Das heißt, am besten ist es z.B., durch Abluftanlagen oder so dafür zu sorgen, dass man sich nicht infizieren kann oder die berühmte Plexiglasscheibe dazwischenbasteln. 




Nur, wenn das nicht geht, kommt als nächstes organisatorisch die Abstandsregelung 1,5 m. Und nur wenn das nicht funktioniert gilt, die persönliche Schutzausrüstung. Und wegen dieses in anderen Fällen richtigen Verfahrens – was aber bei Covid-19 in die Irre führt, ist es  so, dass die sagen: Na gut, als erstes musst du eine Plastikscheibe einbauen. Wenn du eine Scheibe dazwischen hast, ist alles gut. Da gibt es viele Arbeitsplätze, die sitzen quasi Schulter an Schulter, und dazwischen ist eine Plexiglasscheibe. Und da sagt man, es ist erledigt. Zweitens Organisation: Wenn du nur 1,5 m Abstand hältst in deiner Kantine, ist alles in Butter. Und nur, wenn du diese 1,5 m nicht schaffst, musst du persönliche Schutzausrüstung tragen: also Maske und Co. aufsetzen. Und das ist falsch! Das steht aber da oft drinnen. Und die Arbeitgeber setzen das zum Teil um, wenn sie keine Spezialberatung haben. Und deshalb, sage ich mal, da wir wissen, dass der Abstand 1,5 m in einem geschlossenen Raum definitiv nicht ausreichend schützt. 


Und da wir auch wissen, dass das Händewaschen, ich sag mal so, als Hausnummer höchstens zehn Prozent der Infektionen verhindert – wahrscheinlich ist es viel weniger; wir haben es hier mit einem luftgetragenen Virus zu tun, deshalb muss man sagen: AHA ist im Grunde genommen erledigt. Das ist aber noch die Grundlage der Arbeitsschutzvorschriften. Daher haben wir das Problem, dass die lange hinterher sind. Die haben das noch nicht geupdatet. Das wird irgendwann kommen. Aber bis der letzte Handwerksbetrieb, das sozusagen umgesetzt hat, höchstwahrscheinlich Sommer, haben wir hoffentlich das Virus mit anderen Mitteln halbwegs im Griff. 





Camillo Schumann

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Nun haben wir über den Bereich Arbeitsschutz gesprochen und was die Firmen unternehmen können, um die Pandemie einzudämmen. Sie haben ja über andere geöffnete Fenster und Scheunentor gesprochen. Das auch noch kurz erwähnt! 





Alexander Kekulé:
Die anderen haben wir auch schon öfters mal besprochen. Das sind drei aus meiner Sicht. Die Nummer eins ist, dass wir diesen Lateraleffekt in den Haushalten haben. Das Problem ist, wenn einer infiziert ist, steckt er den ganzen Haushalt an, weil wir die Isolierten nicht aus der Wohnung rausnehmen. Nummer 2 ist, dass wir in den Altersheimen die Situation noch nicht im Griff haben. Der Lagebericht vom Robert-Koch-Institut ist nach wie vor so, dass auch aktuell die Infektionen nicht unter Kontrolle zu bekommen sind. Die bräuchten offensichtlich auch mehr Beratung und mehr Unterstützung, weil die Heime das selber nicht hinkriegen. Und Nummer drei ist  der für mich gefährlichste Effekt: Ich glaube, dass ein wirklich zunehmender Teil der Bevölkerung – auch weil die Maßnahmen nicht mehr verständlich sind – nicht mehr mitmacht. Und wenn man diese vier Dinge im Auge hat, und sich darauf fokussiert, würde man das umsetzen, was sich Herr Wieler wünscht, ohne dass man so allgemein sagt: Na gut, treten wir  noch mehr auf die Bremse, machen wir halt Shutdown oder totaler Lockdwon: alle zuhause bleiben und am Schluss muss jeder einen Taucheranzug anziehen und kriegt Handschellen angelegt. Da würden wir übrigens nach 2 Wochen die Pandemie bekämpft haben.




Und genau den letzten Punkt, dass die Menschen nicht mehr so richtig mitmachen, hat das RKI heute auch noch mal dargestellt aufgrund einer Mobilitätsstudie. Da wird ja quasi permanent die Mobilität der Menschen analysiert. Und da ist es in der Tat so gewesen, dass sich im ersten Lockdown die Mobilität drastisch eingeschränkt hat und das jetzt  nicht mehr der Fall ist, dass immer mehr Menschen das ist offenbar nicht so ernst nehmen und die Mobilität  nicht so stark einschränken und dass dadurch auch noch viel Infektionsgeschehen zu verzeichnen ist. Dieser Wunsch, auch etwas für sich selber zu tun, war wahrscheinlich im Frühjahr letzten Jahres größer als jetzt. Das ist auch ein wenig paradox.





Alexander Kekulé:
Ich glaube ja immer an den mündigen Bürger. Ich werde dafür auch zum Teil gescholten. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Politik gemacht. Aber als Wissenschaftler habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man Leuten Dinge geduldig erklärt und wirklich sagt, warum es so ist und wenn die weit weg von unserer Disziplin sind und keine Ahnung von Virologie haben, irgendwann fällt der Groschen, und man kann die meisten Leute überzeugen. Ich weiß, dass die Politik inzwischen an dem Punkt ist, wo sie auf dem Trip ist: und bist du nicht willig, brauch ich Gewalt. Und deshalb war ich ein bisschen vorsichtig bei der Analyse dieser Mobilitätsdaten. Da muss man zum einen sagen, wir haben ja im Frühjahr massiv auch das Arbeitsleben eingeschränkt. Das ist ja bewusst nicht so gemacht worden. Und deshalb wissen wir bei den Mobilitätsdaten nicht, ob das beruflich bedingt war oder ob die alle nur zum Rodeln gegangen sind oder Party gemacht haben. Und zweitens, das ist ja schon lange da, mein Credo: Reisen und reisen ist  zweierlei: sich fortbewegen kann man unterschiedlich machen. Wenn Sie in einem vollbesetzten VW-Bus mit acht Leuten irgendwohin hinfahren zur Party, ist das eine Mobilität, die zu Infektionen führen dürfte. Wenn Sie aber mit einem Haushalt im Auto irgendwo zum nächsten Rodelhang fahren mit den Kindern und da Abstand halten und das vernünftig machen, ist das auch Mobilität, die aber smarte Mobilität ist. Und ich glaube, wir können noch einmal dafür plädieren: Wir müssen die Klugheit der Bevölkerung mit einbeziehen, statt alle zu entmündigen, weil ich glaube, dass eine echte Resilienz gegen so eine Bedrohung wie eine Pandemie nur entsteht, wenn jedes einzelne Glied der Gesellschaft selber aktiv mitdenkt. Jedes Fragment muss intelligent sein. Wir brauchen da eine Herdenintelligenz, wenn ich mal so sagen darf. Und die können wir nicht erzeugen, indem wir den Leuten nur Vorschriften machen, aber nichts erklären. 





Camillo Schumann

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Sie appellieren sozusagen an die Intelligenz, an die Vernunft der Menschen. Wenn ich im Straßenverkehr unterwegs bin, wenn ich beim Einkaufen bin nach, wenn ich nur im Treppenhaus bin, muss ich ehrlich sagen, da Zweifel ich da dran. 





Alexander Kekulé:
Ja, genau, sie haben völlig recht. Ich weiß, dass mir der viele widersprechen. Und es kann auch sein, dass ich damit in eine Minderheitsposition gerate. Aber das will ich offen sagen, ich mache ja seit Jahrzehnten solche Dinge und wir haben auch in Ländern, wo wir es unter Umständen mit Menschen zu tun haben, die vom Bildungsniveau Lichtjahre von dem entfernt sind, was wir in Deutschland im Durchschnitt haben, auch die Erfahrungen gemacht: Auf irgendeine Weise musst du den Leuten das so erklären, dass es in ihrer Welt plausibel ist. Machen die mit, und ich bin fest davon überzeugt, dass das in Deutschland so war, dass wir am Anfang deshalb vergleichsweise erfolgreich waren, obwohl die Regierung ja echt spät reagiert hat und viele Dinge zu spät passiert sind –, aber letztlich haben wir die erste Welle erfolgreich irgendwie hingekriegt, weil 2 Dinge da waren: Die Bevölkerung hat der Regierung vertraut und hat gesagt, das wird schon richtig sein. Und die Regierung hat aber auch der Bevölkerung vertraut. 




Ich mal erinnere daran, bei den Ausgangssperren war ja die große Diskussion: Spanien und Österreich und andere hatten diese totalen Ausgangssperren nach dem Modell Wuhan, wo man die Wohnung nicht verlassen durfte. Und hier haben verschiedene Virologen, zu denen ich auch gehört habe, gesagt, nein, das ist nicht sinnvoll. Und die Politik hat gesagt, okay, wir gehen dieses Risiko mal ein und machen den deutschen Weg. Das ist weltweit erst danach zum Teil kopiert worden, dass wir hier in Deutschland gesagt haben, wir erlauben den Leuten, die Wohnung zu verlassen für sportliche Aktivitäten, zum Spazierengehen usw. Und das hat hervorragend funktioniert. Und das hat, glaube ich, psychologisch irrsinnig viel ausgemacht, dass die Menschen gesagt haben, man hat das klug dosiert, weil man gesagt hat, im Freien ist die Ansteckungsgefahr extrem gering, und man vertraut den Leuten, dass die da nicht die Riesenpartys feiern. Und jetzt so in diesen Weg umzuschwenken: Mensch, die halten sich nicht an die Regeln, die wir machen, wir haben so tolle Vorschriften wie die 15 km-Corona-Leine und die sagen, das ist Unsinn, und jetzt müssen wir halt die Polizei schicken usw. Ich übertreibe absichtlich ein bisschen. Aber Sie wissen ja aus diversen amerikanischen Filmen: Am Schluss kommt das Militär angerückt. Das war ja in Spanien so. In Madrid ist ja das Militär eingerückt am Schluss. Das ist ja auch mitten in Europa. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Konfrontation zwischen Politikern kommt, die ihre Maßnahmen nicht erklären, die nicht erklären können, warum es nicht funktioniert, die vielleicht selber nicht genau wissen, worum es nicht funktioniert und die sagen: immer härter, immer drastischer! Und eine Bevölkerung, die da irgendwann zunehmend nicht mehr mitgeht. 


Deshalb noch einmal zurück, diese Mobilitätsdaten – ja, aber die muss man genauer analysieren und gucken, waren es irgendwelche Mobilitäten oder waren das gefährliche Mobilitäten im Sinne von Infektionsgefahr. 





Camillo Schumann

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Ich habe unheimlich Bauchschmerzen dabei, das muss ich ehrlich sagen, die Verantwortung zu 100 Prozent den Menschen wieder zurückzugeben. 





Alexander Kekulé:
100-Prozent nicht. Aber wissen Sie, man muss doch den Versuch unternehmen, die Dinge zu erklären. Und wenn Sie Ihr Bild haben – das ist mir völlig klar, dass das kein wissenschaftliches Podcast-Thema ist, sondern ein bisschen Stammtisch. Aber die eine Minute können wir uns hier nehmen –, wenn Sie ihr Bild haben, dass Sie sagen: Wenn Sie im Straßenverkehr so rumgucken, denken sie, außer mir sind alles Idioten unterwegs. 





Camillo Schumann

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Das haben Sie gesagt.





Alexander Kekulé:
Das Gefühl habe ich auch manchmal. Andererseits müssen Sie sich überlegen, wie oft war es schon so, dass Sie und ich im Straßenverkehr etwas eine Sekunde übersehen haben und gemerkt haben, ups, der andere hat gebremst, der andere ist ausgewichen. Eine Sekunde war ich über einen Streifen gefahren, und der neben mir hat pariert. Es ist schon so, dass dadurch, dass jedes einzelne Auto von grundsätzlich von einem intelligenten Individuum gesteuert wird, dadurch funktioniert das. Man weicht sich aus. Oder in der Fußgängerzone, wo früher tausende von Menschen durcheinander gelaufen sind. Man rempelt sich extrem selten an. Und das funktioniert nur deshalb, weil jeder zwischen seinen Ohren einen Zentralprozessor hat, mit dem er seine individuellen Bewegungen im letzten Moment noch anpassen kann. Und diesen Prozessor, der da zwischen den beiden Ohren platziert ist, den brauchen wir auch in der Pandemie. 





Camillo Schumann

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Und ich hoffe, dass dieser Prozessor bei allen auch wirklich rundläuft. Damit schließen wir das Thema ab. Kommen wir zum nächsten: Die Kanzlerin hat ja auch vor der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus-Mutationen in Deutschland gewarnt. Und möglicherweise werden auch deswegen diese Gedankenspiele angestellt, das Ganze noch einmal zu verschärfen. Die Entwicklung in Irland habe gezeigt, wie schnell sich das Virus ausbreiten könne. Dort habe es innerhalb kurzer Zeit eine Verzehnfachung der Infektionszahlen gegeben. Teilen Sie die Befürchtung der Kanzlerin, dass die Mutationen trotz Lockdowns die Infektionszahlen nach oben treiben werden?




2 0:10



Alexander Kekulé:
Wir haben ja in der letzten Ausgabe schon mal ein bisschen über die aktuellen Mutationen gesprochen. Man muss dazu Folgendes sagen: Diese Mutationen sind etwas infektiöser. Da gibt es nicht nur die, die in Irland und dem Vereinigten Königreich aufgetreten ist, sondern noch mindestens 2 weitere, und ich vermute, dass es weltweit sehr viele gibt, die wir noch nicht entdeckt haben. Diese etwas infektiöseren Mutationen, bei denen die Höchstgeschwindigkeit der Ausbreitung ca. 0,5 höher ist als bei dem normal zirkulierenden Typ. Das heißt R0, diese Höchstgeschwindigkeit der Reproduktionsrate, ist z.B. bei 3,5 statt bei drei. Das ist ein marginaler Unterschied aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass dieser Basiswert von ungefähr 3, von dem wir weltweit zurzeit so ausgehen, ist eine Schätzung, die zwischen 2 ,5 und 4,5 liegt. Und dazwischen irgendwo liegt es. Je nach Ausbruch kriegen Sie auch unterschiedliche Daten, je nach Rahmenbedingungen. Das heißt, das ist sowieso eine wachsweiche Zahl. Und ob das ein bisschen mehr ist bei dem einen Virus, das macht für die praktische Epidemiologie keinen Unterschied, denn das Virus kriecht ja deswegen nicht durch ihre Stoffmaske durch, weil R0 = 3,5 statt 3,0 ist. Vielmehr wird es weiterhin an den Stellen, wo Sie – um im vorigen Bild zu bleiben – die seitlichen Türen offen haben, da wird es reinkommen. Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, wo es funktioniert – z.B. hatten wir ja gute Konzepte für den Einkauf oder wenn Sie mit der FFP2 -Maske im Zug sitzen oder so was –, da ist das völlig egal, ob das ein Virus mit einem R von 3,0 oder von 3,5 ist. Wir verringern ja diese Maximalgeschwindigkeit durch die antiepidemischen Maßnahmen auf ein R von ungefähr1. Das ist ja bekannt, dass wir schon lange bei 1 sind. Das kann man sich so vorstellen: Wenn Sie ein Auto in der Garage einsperren, ist es egal, ob das ein Ferrari oder ein Käfer ist, die Höchstgeschwindigkeit interessiert sie nicht. Sie haben es sozusagen an der Leine. Wir müssen uns an die Leine nehmen. Aber da gibt es für die praktische Situation kein Unterschied.





Camillo Schumann

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Aber noch einmal gefragt: In Irland ist es ja nun mal Fakt gewesen, dass sich die Zahlen verzehnfacht haben. Eine absolute Ausnahmesituation, 6.000 Neuinfektionen, das ist für die Insel richtig viel. Und 50 Prozent der nachgewiesenen Neuinfektionen sind auch auf die Mutation zurückzuführen. Da ist doch ziemlich Druck auf dem Kessel.





Alexander Kekulé:
Genau, diese Zahlen muss man  richtig interpretieren. Das ist folgendermaßen: In Irland haben wir erstens eine Verzehnfachung des Anteils dieser neuen Variante B1.1.7. Da haben es Ende November/Anfang Dezember die ungefähr 4-5 Prozent von der neuen Variante gehabt. Und jetzt ist es bei 50 Prozent. Das ist eine Verzehnfachung. Warum hat sich die Variante durchgesetzt? Das müssen Sie sich so vorstellen: Das sind ja Milliarden von Viruspartikeln, die gegeneinander antreten. Es ist eine Massenstatistik, die da stattfindet. Und stellen Sie sich vor, Sie haben dort z.B. Kinder, die einen sind 6, die anderen 6,5 Jahre. Ich bin nicht der große Pädagoge, aber ich würde schätzen, ein Kind mit 6,5 Jahren läuft wahrscheinlich –  statistisch gesehen – ein bisschen schneller als eins mit 6. Wenn Sie Millionen von Kindern gegeneinander antreten lassen, 1 Million 6-Jährige und 1 Million 6,5-Jährige kriegen Sie den Effekt, dass immer die 6,5-Jährigen das Wettrennen gewinnen. Und deshalb ist es hier so, dass der kleine Unterschied von 3,0 zu 3,5 bei diesem Massenstart dieser Viren, die sich ja gegenseitig verdrängen, weil jemand zuerst beim nächsten Opfer ist, der verdrängt die anderen. Denn jemand, der mit einem Virus infiziert ist, kann ja nicht im 2 . noch zusätzlich infiziert werden im gleichen Moment. Und deshalb ist es so, dass sich immer das schnellere Virus durchsetzen wird. Sodass Sie bei so einem Massenexperiment – statistisch gesehen – in die Situation kommen, dass ein kleiner Unterschied sofort dazu führt, dass Sie von vier Prozent auf 50 Prozent innerhalb von wenigen Wochen hochkommen. Das heißt aber nicht, dass der Unterschied relevant wäre, sondern der ist klein und wird aber statistisch sozusagen herausgemendelt. 


Das andere ist die Frage: Warum haben sich die Fallzahlen so stark erhöht? Da weiß ich gar nicht, ob sie sich verzehnfacht haben. So krass war es nicht. Aber es ist richtig, dass Irland in den letzten Wochen sowohl die Vereinigten Staaten als auch das United Kingdom überholt hat. Das sind aber 2 Länder, die schon hohe Zahlen haben bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Warum haben Sie das gekriegt, das ist ja die Katastrophe, dass so viele Erkrankungen da sind. Und da sagt die irische Regierung so wie das vorher Boris Johnson im Vereinigten Königreich gesagt hat: oh, das ist die neue Variante. Genauso sagt die Regierung von Südafrika: Wir sind nicht schuld. Wir haben alles toll gemacht. Die neue Variante ist schuld. Das ist aus politischer Sicht auch bequem. Es ist ja so, die haben Anfang Dezember – weil sie so gut dastanden in Irland  die Pubs geöffnet, alle Gaststätten geöffnet, sie haben dazu aufgefordert, easy Christmas zu feiern. Und danach sind die Fallzahlen hochgegangen. Und wenn man im Lockdown von der Bremse geht, dass man da plötzlich eine Explosion der Zahlen kriegt, haben wir in Deutschland auch erlebt: dass diejenigen, die sich sozusagen sicher fühlen – Stichwort Sachsen, Thüringen, weil sie sagen, bei uns ist ja alles gut –, dass die, wenn sie sich locker machen, plötzlich eine explosionsartige Vermehrung haben. Das kennen wir aus dem eigenen Land. Und jetzt sagen bekanntlich Herr Ramelow und auch der Ministerpräsident von Sachsen, das haben wir irgendwie falsch eingeschätzt. Die Iren sagen stattdessen: Nein, wir machen ja alles richtig. Das liegt an der Variante. 




Ich will nicht sagen, dass die Variante gar keine Rolle gespielt hat. Aber das ist nur statistisch. Die Frage ist doch: Müssen wir die Gegenmaßnahmen nachschärfen, weil wir eine neue Variante haben, so wie es damals in Italien auch war – da kam diese G-Variante auf, und in Brasilien gibt es eine neue, die auch schon in Japan entdeckt wurde –, müssen wir wegen dieser Varianten nachschärfen? Und ich sage nein. Der Unterschied ist für die antiepidemischen Maßnahmen nicht relevant, obwohl diese neuen Varianten das sein, werden, mit dem wir es in den nächsten Monaten zu tun haben. Aber Sie werden nicht stärker krank deswegen. Und Sie müssen auch nicht Angst haben, dass die durch die Poren von einer Maske durchgehen oder Ähnliches. 





Camillo Schumann

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Eine schwierige Argumentation an einem Tag mit 2 5.000 Neuinfektionen.





Alexander Kekulé:
Ja, was soll ich Ihnen sagen, da muss man trotzdem nüchtern bleiben. Wenn Sie als Feuerwehrmann zu einem Großbrand kommen, ist immer Panik. Es gibt selbst Profis, bei denen echt das Herz hoch schlägt. Und wir haben so etwas schon live erlebt. Ich war ja früher mal Notarzt, der weiß, dass das eine Situation ist, bei der viele Menschen in Panik geraten. Aber trotzdem muss der Feuerwehrmann kaltblütig hingucken und sagen, wo genau die Brandquelle ist und nicht anfangen, Löschwasser sonstwohin zu spritzen. Da muss er gucken, aha, da ist die Gasleitung, wo es rauskommt, da muss ich mich hinarbeiten. Da setze ich meine Kräfte ein, und da mache ich das Ding dichter, dann wird das Feuer ausgehen. Und diese Professionalität hätte ich gerne auch hier bei dem Flächenbrand, den wir in Europa gerade mit Covid haben.





Camillo Schumann

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Genau hinschauen ist genau das Stichwort. Herr Wieler, der Präsident des RKI, hat gesagt, man habe noch keine Kenntnis darüber, wie stark sich die Mutationen in Deutschland verbreitet. Bei insgesamt 15 Reiserückkehrern sind die Mutation aus Südafrika und Großbritannien – Stand heute – auch nachgewiesen worden. Und es muss mehr sequenziert werden. Und v.a. muss auch mehr gemeldet werden, hatte er heute gesagt. Wir hören mal kurz rein:




„Und was ein wichtiger Kern ist, das hatte ich am Anfang gesagt, es wird in Deutschland einiges auch an Sequenz analysiert, aber die Daten werden nicht alle in öffentlichen Repositorien sofort zur Verfügung gestellt. Und das ist ein riesiger Aufruf, den ich auch, glaube ich, vor Weihnachten schon hier getätigt habe: Alle Kolleginnen und Kollegen, die  sequenzieren in Deutschland, die solche Proben sequenzieren, die mögen, sobald sie einen Befund haben, den in öffentliche Datenbanken hochladen. Die Verordnung wird dafür Sorge tragen, dass sie das ans Robert-Koch-Institut melden müssen, damit wir das zentral erfassen, was die beste Lösung ist, denn wir brauchen ja den Überblick. Aber der entscheidende Punkt ist, dass die Kolleginnen und Kollegen, die  ein Raum von Forschungsprojekten und was auch immer, so eine positive Sequenz haben, die müssen sie auch melden!“





Camillo Schumann

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Das wirkt schon fast verzweifelt. 





Alexander Kekulé:
Ehrlich gesagt, möchte ich nicht in der Haut von Herrn Wieler stecken. Der weiß ja im Prinzip, was er bräuchte. Aber auch in dieser Situation äußert er sich spät. Wir haben in diesem Podcast – nach meiner Erinnerung war das Ende September – zum ersten Mal darüber gesprochen, dass die molekularbiologische Surveillance bei uns, sprich die Analyse von Gensequenzen in Deutschland, zu schwach ist, dass wir zu wenig machen. Wir haben das damals im Zusammenhang mit den ersten Mutanten, die damals schon irgendwo identifiziert wurden, besprochen. Scheinbar hat das Robert-Koch-Institut sich da nicht so deutlich geäußert, weil erst in den letzten Tagen die Bundesregierung gesagt hat, okay, nehmen wir mal richtig Geld dafür in die Hand. Die Labore sind ja auch alle im Stress. Ich will nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Ich kann Ihnen versichern, dass alle Labore, ich leite eins davon, die eine solche Covid-Diagnostik machen, wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen und sich auch das Personal die größte Mühe gibt, irgendwie hinterherzukommen. Und da zu  sagen, ihr müsst da noch was sequenzieren, das ist richtig viel Extraarbeit. Darum wird es nur in einigen Laboren passieren, z.B. im Rahmen von Forschungsarbeiten. Aber da kriegen Sie nicht Tausende von Sequenzen her, um mal so eine Größenordnung zu sagen. Es gibt ja ein Referenzlabor, was dafür zuständig ist. Und das ist das Labor von Herrn Drosten in Berlin. Das ist das Labor, was für diese Dinge zuständig ist. Das hat seit Beginn der Pandemie nach den offiziellen Zahlen ungefähr 900 Sequenzen gemacht seit Beginn der Pandemie. Und dann kommen, würde ich mal sagen, noch 800 bis 900 dazu, die gemeldet wurden von irgendwelchen peripheren Laboren. Gut, kann sein, dass da ein paar unter den Tisch gefallen sind. Vielleicht gibt es nur noch 2 00 mehr, die man rausquetschen kann, wenn der Aufruf von Herrn Wieler befolgt wird. Aber Sie müssen sich das so vorstellen: Die Labore, die diese Sequenzen machen, sind ja eher Universitätslabore. Und die kennen sich alle mit dem Vornamen. Wir sind eine Clique. Wir benehmen uns ja zum Teil schon wie in der Familie. Ich gehe davon aus, dass 90 Prozent der Kollegen, wenn Sie irgendwie ein auffälliges Isolat haben – z.B. Sie finden die südafrikanische Variante bei sich irgendwo in einem Provinzlabor, natürlich melden die das dem RKI. Das sind ja keine Schlafmützen. Die melden wahrscheinlich nicht, weil sie nichts gefunden haben. Aber wenn sie was Spannendes finden, melden sie es.  Wissenschaftler sind ja auch immer so ein bisschen eitel, da will man zeigen: Schaut mal her, was ich Tolles gefunden habe. Ich glaube nicht, dass sie massenweise exotische Varianten haben und das nicht melden. Klar kann es sein, dass es Verzug gibt, und das muss man organisieren. Aber ich muss schon sagen: Wir haben Mitte Januar. Und diesen Aufruf zu machen, ist nicht besonders kreativ. Wenn wir das im Podcast Ende September/Anfang Oktober gemacht haben, würde ich erwarten, dass eine staatliche Stelle da einen Monat früher darauf gekommen sein sollte. Und jetzt ist es  halt verdammt spät. Und deshalb würde ich mal davon ausgehen – und ich glaube, das machen alle meine Kollegen, ohne alarmistisch sein zu wollen: Gehen wir doch mal praktisch davon aus, dass von diesen Varianten schon ziemlich viele in Deutschland sind, zumindest von der englischen, vielleicht auch von der südamerikanischen und südafrikanischen. Und da ändert sich letztlich nichts. Es ist halt ein anderes Virus. Wir machen eine andere Variante, wir machen die gleichen Maßnahmen. Und es ist nur der Appell, diese vier Löcher zu stopfen, die wir schon länger identifiziert haben. 





Camillo Schumann

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Aber braucht es so viele Sequenzen der neuen Mutationen, reichen nicht ein paar um das  statistisch repräsentativ hochzurechnen? 





Alexander Kekulé:
Das ist eine kluge Frage.  Das kommt halt darauf an, von welcher Seite Sie das sehen. Ich weiß auch, dass die Bundeskanzlerin – ich weiß nicht, wer sie da beraten hat – sagt: Ja, wir brauchen strengere Maßnahmen, weil die neuen Mutanten infektiöser sind. Das ist ja auch aus Laiensicht klar, dass man denkt, Mensch, das ist infektiöser, was machen wir? FFP-2  statt Stoffmaske oder so was, oder einen Kontakt statt 2 Kontakte. Aber das ist ja letztlich nicht unser Problem. Wie gesagt, es hat keinen Sinn, weil das ein bisschen infektiöser ist, an der Haustür noch vorn drei Schlösseranzubringen, wenn links und rechts alles offen ist. Und es ist so, dass wir diese Daten dann bräuchten, wenn wir der Meinung wären, das mit Zunahme der Varianten auch zunehmende Gegenmaßnahmen erforderlich sind, wenn es so, wenn es einen Zusammenhang gäbe. Aus meiner Sicht ist das relativ akademisch. Es wäre schön gewesen, wir hätten diese Varianten vorher entdeckt, weil wir das schneller mit einbezogen hätten in verschiedene Überlegungen. Aber praktisch gesehen passt sich das Virus weltweit an. Es gibt da 2 verschiedene Anpassungsbewegungen. Die eine ist, dass es kontagiöser wird, wie wir sagen, also stärker ansteckend ist. Und das passiert sozusagen auf der virologischen Ebene erstens dadurch, dass kleinere Mengen vom Virus schon zur Ansteckung führen können. Das heißt, es wird ja immer so diskutiert, dass es stärker an den Rezeptor bindet und dadurch weniger Viren reichen für eine Infektion. Und der zweite wichtigere Faktor ist, dass das Virus, wenn es den Menschen länger krank macht, länger krank hält, länger ausgeschieden wird und dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen angesteckt werden. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit verlängert sich. Die 2 Mechanismen – das ist sozusagen lehrbuchhaft von vielen vorausgesagt worden – die passieren jetzt und da werden wir nichts dagegen machen können. Das ist der Lauf der Dinge. 


Und es passiert noch – davon in gewisser Weise unabhängig – eine zweite Anpassungsbewegung. Und die ist eher beunruhigend. Es ist nämlich so, dass das Virus auch darauf reagiert, dass zunehmend Menschen immun dagegen sind, entweder durch durchgemachte Infektionen oder demnächst durch Impfung. Und da passt es sich in der Weise an, dass es dieser Immunantwort entkommt. Wir nennen das Imun-Escape, quasi ein Entkommen von der Immunantwort. Das ist in gewisser Weise ein davon unabhängiger Prozess. Und die Variante in Brasilien ist ja deshalb so beunruhigend, weil die einerseits diese Veränderung, diese Mutation hat, die wir schon bei der B1.1.7 aus dem Vereinigten Königreich besprochen haben, diese sogenannte N 501 Y-Mutation, die offensichtlich zu erhöhter Kontangosität führt. Sie hat aber zweitens im gleichen Virus – zumindest einige Isolate haben das – die neue Variante, die heißt E484K. Die haben ja auch schon mal besprochen. Und das führt wahrscheinlich zu einem Imun-Escape, das heißt dazu, dass die gleichen Menschen, die schon mal die Krankheit durchgemacht haben, noch einmal infiziert werden können mit dieser Mutation. Und wenn eine Variante beides hat, sie ist leichter übertragbar und kann eventuell auch Leute infizieren, die immun sein sollten durch Impfung oder durch Erkrankungen. Das gibt der Pandemie dann eine neue Dynamik, weil der Grundsatz gilt: Falls es so sein sollte – das ist ja noch nicht klar –, würde der Grundsatz nicht mehr gelten: Wenn du geimpft bist, bist du sicher. Und wenn du es einmal durchgemacht, dann kriegst du es erstmal nicht noch mal. Und diese Tendenz haben wir bei der brasilianischen Variante vor dem Auge. Und es gibt Hinweise, die da zur Vorsicht mahnen.





Camillo Schumann

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Und wie die Impfstoffe darauf reagieren können, wollen wir gleich im weiteren Verlauf des Podcasts noch mal besprechen, weil das wirklich ein sehr wichtiger Punkt ist. Zu Re-Infektionen gab es bisher nur vereinzelte Meldungen. Und ich habe auch mal das RKI angefragt, ob in den Gesamtneuinfektionszahlen möglicherweise Re-Infektionen mit dabei sind, oder ob die separat erhoben werden. Und da wurde mir gesagt, dass Re-Infektionen nicht meldepflichtig sind. Wenn ein solcher Fall aufträte, würde er als neuer Fall übermittelt. Das RKI geht aber davon aus, dass solche weltweit seltenen Ereignisse auch dem RKI bekannt würden. Bisher sind Re-Infektionen noch kein großes Thema.





Alexander Kekulé:
Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich in dem Fall – wenn ich das so höre, muss ich da ein bisschen vorsichtig sein – mündlich von 2 verschiedenen Leitern von Gesundheitsämtern die Informationen bekommen habe, dass sie in ihrem Bereich – und normalerweise sind bei uns die Leiter von Gesundheitsämtern für ihren Bezirk doch gut informiert. Es ja ein Vorteil, dass wir diese ungefähr 400 regionalen kleinen Zellen haben –  unabhängig voneinander gesagt haben, sie sahen im Herbst Leute, die Stein und Bein schwören, sie hatten im Frühjahr schon mal Covid. Die sind zum Teil sogar positiv getestet worden, und sie kommen wieder mit einer Covid-Erkrankung. Das ist aber leider mündlich, und das Robert-Koch-Institut hat da sicher bessere Daten. 


Ich schildere mal, was in Brasilien gerade los ist: Wir haben im Norden und Nordosten Brasiliens die Situation, dass die längst diese 60 Prozent durchgemacht haben, wo man langsam Richtung Herden-Immunität denken muss. Und da ist die Infektionswelle zurückgegangen. Und wir haben alle gesagt, es liegt an der Herdenimmunität, z.B. da im Bundesstaat Amazonas ist es riesengroß oder in Bahia da im Norden. Wer sich ein bisschen auskennt, weiter Nordwesten, Pernambuco und Rio Grande do Norte. Und diese Regionen da oben, die medizinisch schlecht versorgt sind, wo wir auch bei Zika schon das Problem haben, da ist es so, dass sie so eine Art zweite  Welle haben. 




Und ausgerechnet dort kommen die Mutanten her, die  dieses E484K haben, diese eine Mutation an der Stelle, wo auch der Rezeptor von dem Virus gebunden wird und wo wir wissen, das ist leider auch in Experimenten schon gezeigt worden, dass diese (Mutante) wohl zu einem Imun-Escape führt. Dass da die neutralisierenden Antikörper, die man gebildet hat nach der Infektion mit dieser kleinen Variante dieses Proteins vom Virus plötzlich nicht mehr richtig binden. Das kann man sich so vorstellen: Das Virus kommt ja quasi an den Rezeptor,  an den es sich gerade andocken will, aber da hängt dieser blöde Antikörper dran. Und deshalb kommt es nicht an den Rezeptor. So ändert es die Stelle, wo sich der Antikörper bindet. Und damit kannst du den quasi abschütteln und doch wieder an die Zelle andocken. Und auch bei einem immunen Menschen, der schon Antikörper im Blut hat oder sonst wo auf der Schleimhaut hat, kann das zu einer Infektion führen. Und deshalb mendelt sich so eine Mutante immer nur raus, wenn eine Population zum großen Teil schon die Infektion durchgemacht hat. Und dass wir diese Mutante gerade in Brasilien sehen – und ich bin sicher, genau die gleichen oder sehr ähnliche werden, z.B. in Indien, in den großen Zentren, wo wir auch wissen, dass die Durchseuchung hoch ist – vorhanden sind, aber nicht nachgewiesen worden sind. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass dieses Virus dabei ist auszubüchsen und zwar schneller, als wir das von den anderen Coronaviren kennen. Bei den anderen hat es ein, 2 Jahre gedauert, und hier scheint es so zu sein, dass –  wie lange läuft die Pandemie – Na ja, gut, wir haben sie bald ein Jahr. Aber es ist schon fast planmäßig. Da verändert sich das Virus  so, dass man  Corona zweimal kriegen kann? Zumindest wenn ich in Brasilien wäre, würde ich davon ausgehen – falls jemand da gerade seinen Urlaub geplant hat von unseren Hörern – gehen Sie davon aus, selbst wenn sie Covid schon hatten in Deutschland, können Sie sich in Brasilien mit der Variante, die dort zirkuliert, demnächst auch ein zweites Mal infizieren. Übrigens wird die Zweitinfektion tendenziell leichter von dem, was wir wissen, nicht schwerer, und hoffentlich gibt es weniger Todesfälle. Darüber haben wir noch keine Zahlen. 





Camillo Schumann

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Genau das wollte ich gerade fragen. Die entscheidende Frage ist ja auch, mit welcher Härte die Zweitinfektion zuschlägt. Und die zweite große Frage: Wirken die Impfstoffe von Biontech und Moderna auch gegen diese Mutation? Dazu hat sich Lothar Wieler, der Präsident des RKI, heute auch geäußert:




„Wenn Varianten auftreten sollten, gegen die dieser Impfstoff,  z.B. Biontechoder Moderna -Impfstoff nicht mehr so gut wirken sollte, sind die Firmen in der Lage, in wenigen Wochen angepasste Impfstoffe zu produzieren. Das ist ein genialer, innovativer Fortschritt. Das ist einer der weiteren wirklich großartigen Erfolge dieses mRNA-Impfstoffes.  Sie können den Bauplan recht rasch ändern. Die Zulassung lässt es zu, dass diese neun Impfstoffe mit diesem geänderten Bauplan in kurzer Zeit auch wieder eingesetzt werden können.“





Camillo Schumann

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Das Virus ist zwar clever, wir sind aber auch clever. 





Alexander Kekulé:
Was Herr Wieler da angesprochen hat, ist die sogenannte Mock-up-Zulassung. Es ist ja so, dass wir hier im EU-Verfahren die sogenannte Notfallzulassung oder Emergency Procedure haben im Moment. Das kann ich nur noch mal betonen: Wir haben es hier zu tun mit der Emergency Procedure der EU. Und da sind für Impfstoffe, die gegen Pandemien sind, 2 verschiedene Verfahren vorrangig. Es gibt noch eine dritte Methode, aber die 2 sind wichtig. Das eine ist das, was hier bei Moderna und bei Biontech gemacht wurde. Das ist das Rolling-Review-Verfahren, dass man quasi die Daten frühzeitig einreicht und eine vorläufige Zulassung erteilt wird und man einige Daten nachreichen kann. Und dass zweite ist dieses sogenannte Mock-up-Verfahren. Das funktioniert so, dass man eine Zulassung bekommt gegen ein bestimmtes Virus, einen Typ eines Virus. Das hat man für Influenza mal erfunden, wo man ja nicht genau wusste, wird die nächste Pandemie von H5N1 oder von einer anderen HN-Kombination ausgelöst. Aber man wollte trotzdem die Zulassung beschleunigen. Da hat man gesagt, ihr dürft gegen ein bestimmtes Virus die Zulassung beantragen, alle Phase-3-Studien machen, alles komplett bei uns auf den Tisch legen. Und wenn das Influenzavirus nicht z.B. H5N1 ist, was die nächste Pandemie macht, sondern H5N4, gilt die Zulassung trotzdem dafür. Ihr dürft diese Kleinigkeit in Anführungszeichen ändern, um gegen die Virus-Variante den Impfstoff umzubauen. Und der ist trotzdem sofort zugelassen, das ist Mock-up. Und ich nehme an, das hat Herr Wieler angesprochen. Und es gibt schon Gespräche zwischen den Herstellern und Brüssel, dass man für den Fall, dass es zu dieser Verschiebung kommt, dass man was ändern muss, man so eine Mock-up-Zulassung kriegt. Das wird sicherlich relativ flugs passieren. Und ja, es ist richtig, man kann innerhalb von acht Wochen diese RNA-Impfstoffe umstellen. Trotzdem haben wir Probleme: Wir haben ja Produktionsengpässe, Lieferengpässe und v.a. zum Teil nicht so viel bestellt, dass wir gleich morgen alle durchimpfen können, und die Logistik hängt auch noch hintendran. Das heißt, es dauert, ohne dass dies ein Vorwurf ist. Ist eben so. Da wird auch viel zu viel mit Kritik und Dreck geworfen, dass man sagt, Mensch, es geht so langsam. Man soll froh sein, dass wir überhaupt so viele geimpft haben. Das fängt ja auch an. Trotzdem gibt es ja Berechnungen, bis wir hier in Deutschland so halbwegs alle durchgeimpft haben, dass das ein epidemiologischen Effekt hat und nicht nur die Risikogruppen halbwegs schützt, wird es auf jeden Fall Sommer oder Herbst. Vor diesem Hintergrund muss man sagen: In dieser Zeit verändert sich das Virus. Und da sollte man eine neue Produktion auflegen mit einem geänderten Impfstoff. Das wird dieses Jahr nicht mehr funktionieren. Wegen der Produktionskapazitäten im Labor haben die den ruckzuck aber Produktionskapazität. Selbst wenn die Zulassung schnell sein sollte, funktioniert das nicht. Und sie müssen ja immer erst einmal testen, wenn Sie eine Virus-Variante haben. Jetzt haben wir alle international auf dem Radar diese E484K-Variation, die in Brasilien aufgetaucht ist und übrigens schon bei einigen Reisenden in Japan identifiziert wurde. Und wenn wir das auf dem Radar haben, stellen Sie sich vor, man würde den Impfstoff ändern. Dafür müssen sie auch erst einmal ausprobieren, ob der wirkt. Gerade wenn es vorher nicht so richtig funktioniert hat, müssen sie einen Wirkungsnachweis erbringen. Sie können das nicht nur im Labor herstellen. Das wären die sechs bis acht Wochen. Und dann sagen Sie, jetzt stelle ich mal schnell paar Milliarden her, sondern sie müssen schon ausprobieren, ob das auch schützt. Vielleicht nicht mehr an 40.000, sondern nur an 3.000 oder 5.000 Probanden, aber da ist schon ein gewisser Vorlauf notwendig. Und deshalb sehe ich das doch mit Bedenken. 


Und das andere, was man im Auge haben muss, ist Folgendes: Was wir hier sehen, ist, dass Menschen, die auf natürlichem Weg infiziert wurden, selbst die sind offensichtlich nicht geschützt vor Re-Infektion, zumindest in Einzelfällen. Und da muss man die Frage stellen – da sind ja viele Antikörper gebildet, die so einen Impfstoff nicht hervorruft, weil der Impfstoff ja nur dieses S-Protein generiert, dieses Spike-Protein von dem Virus und so ein Viruspartikel ist für den Organismus und das Immunsystem ein viel stärkerer Stimulus – hat man eine Immunität nur auf der Schleimhaut, oder hat man eine Immunität woanders im Körper? Das sind ja unterschiedliche Antikörper. Und da würde ich nicht extrapolieren und sagen, da ändert man mal ein paar Aminosäuren, sozusagen in diesem künstlichen Impfstoff und dann wird es schon funktionieren. So einfach wird es nicht gehen.




46:56



Camillo Schumann

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Sollten sich Menschen, die Sars-CoV-2 -Infektion durchgemacht haben, auch impfen lassen? Das ist eine Frage, die unsere Hörer umtreibt. Sehr viele E-Mails und Anrufe bekommen wir dazu. Die Ständige Impfkommission Stiko, die sagt deutlich erst mal nein. In ihrer aktualisierten Empfehlung zur Impfung schreibt sie:




„Die Stiko kann auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch keine endgültige Aussage machen. Nach überwiegender Expertenmeinung sollten Personen, die mit Sars-CoV-2  infiziert waren, sich zunächst nicht impfen lassen, da  eine gewisse Schutzwirkung durch eine Sars-CoV-2 -Infektion anzunehmen ist. Und diese Impfdosen sollten für Nicht-Infizierte Person verwendet werden.“




Die Stiko geht auf Nummer sicher. Wenn ich Ihnen so zuhöre, würde ich eher die Tendenz haben, Menschen, die das vielleicht im Frühjahr oder im Sommer schon durchgemacht haben, sollten sich vielleicht doch impfen lassen?





Alexander Kekulé:
Nein, weil der Impfstoff auf der Basis des Virus aus der ersten Welle generiert worden ist. Dieser Prototyp, der da verwendet wurde, war ein amerikanisches Isolat. Und aus diesem Prototyp hat zumindest Biontech seinen Impfstoff generiert. Bei Moderna weiß ich es nicht genau, ob die das öffentlich gemacht haben. Aber Biontech hat das kürzlich genau gesagt, aus welchem Isolat sie diesen Impfstoff hergestellt haben, in dem Sinn, dass man geguckt hat, wie sieht dort das Protein aus. Und da hat man das quasi 1:1 nachgebaut in eine RNA, die genau dieses Protein generiert. Mit der kleinen Besonderheit, dieses Protein hat 2 verschiedene Rezeptoren. Wir nennen das Konfigurationen. Das sieht anders aus. Bevor es angedockt ist an den Rezeptor, schnappt dieses Protein quasi zu. Und diese Änderung der Form des Proteins, die will man nicht haben. Man will quasi den noch nicht zugeschnappten Rezeptor, dieses noch nicht zugeschnappte Spike-Protein haben. Und dafür haben die gesorgt, dass genau das generiert wird. Aber das Virus, das die Blaupause dafür war, das war ein Satz der ersten Welle. Und da muss man sagen, wer eine Infektion hatte in der ersten Welle, der hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – da gab es noch nicht so viele Varianten – ein sehr ähnliches oder genau dieses Virus abbekommen. Und deshalb kann ich nicht empfehlen – die Stiko sagt das letztlich richtig –, dass sich jemand, der die Infektion durchgemacht hatte, also viel breiter aufgestellt ist mit Antikörpern, mit spezifischen T-Zellen, mit Sorten von Antikörpern, die auch auf der Schleimhaut existieren, dass der sich impfen lässt. Es wäre Unsinn, da soll man die Impfdosis lieber jemand anders geben. Interessant fand ich, dass die Stiko ein bisschen geschlingert ist. Einerseits sagen sie, wir geben keine Empfehlung, und dann sagen sie „nach mehrheitlicher wissenschaftlicher Meinung“, so als wäre das jemand anders als die Stiko. Das hat mich ein bisschen gewundert. Da wurde lange diskutiert, wie man das formulieren soll. Aber es ist trivial. Wenn Sie die Krankheit durchgemacht haben, haben Sie sozusagen nicht nur einen Gürtel, sondern da haben sie den Gürtel und die Hosenträger und die Hose auch noch mit dem Tacker irgendwo festgenagelt. Und in diesem Bild wäre die Impfung halt nur ein Hosenträger. Sie haben, wenn sie die Infektion durchgemacht haben, sind sie auf jeden Fall um Klassen besser geschützt als mit dem Impfstoff alleine. Und deshalb halte ich es für völligen Unsinn, Leute zu impfen, die die Infektion durchgemacht haben. Abgesehen davon: Die Phase-3-Studien und Phase-2 -Studien wurden ja alle gemacht mit Leuten, die alle zum allergrößten Teil noch nie Kontakt mit dem Virus hatten. Aufgrund der Epidemiologie kann man das schätzen, und deshalb wissen wir gar nicht, wie das mit den Nebenwirkungen aussieht. Bei Leuten, die schon mal das Virus erlebt haben, vielleicht sind da die allergischen Reaktionen häufiger oder Ähnliches. Und deshalb würde ich es nicht darauf ankommen lassen.





Camillo Schumann

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Aber möglicherweise die Update-Impfung vielleicht für Menschen, die sich schon mal infiziert hatten. Wenn die Unternehmen reagiert haben auf die Mutation, dass man sich diesen Schuss auch noch gibt? Wer auf Nummer sicher gehen will? Oder wäre das ein bisschen übertrieben?





Alexander Kekulé:
Das ist sehr in die Zukunft blickend. Aber ich würde mal sagen, wenn wir unseren Podcast vom 14.01.2 02 2  aufnehmen, könnte es sein, dass genau diese Frage im Raum steht. Aber das ist genau richtig gedacht. Wenn man sozusagen einen RNA-Impfstoffe Version 2 .0 hat, kann es sein, dass jemand, der mit dem Virus 1.0 infiziert war, davon profitiert. Genau, das ist richtig. 





Camillo Schumann

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Und irgendwann wird dann die Re-Infektionen. möglicherweise auch separat erhoben. Das wäre doch auch mal interessant, wie viel von den 2 5.000 sich neu infiziert haben und wieder infiziert haben, oder?





Alexander Kekulé:
Unter den vielen Dingen, ich meine den Lagebericht vom RKI von heute oder von gestern, da ist schon interessant, was da erhoben wurde und was nicht. Und es fehlen so wahnsinnig viele Daten. Wo man sich fragt, wieso wird das nicht übermittelt? Wieso stochern wir da so im Dunkeln rum? Wir können ja auch gerne über ein paar Einzelheiten nachher noch sprechen. Und die Re-Infektionen? Ja, das wäre etwas, was man dringend übermitteln müsste. Das kann ja nicht sein, dass Leiter vom Gesundheitsamt den Eindruck haben, da seien Leute, die hätten sich reinfiziert, und das RKI nichts davon weiß.





Camillo Schumann

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Ja gut, aber dann soll das Gesundheitsamt diese Informationen auch dem RKI melden, die sind ja in der Bringschuld. Das RKI fährt ja nicht hin und sagt: Hier gibt es mehr.





Alexander Kekulé:
Nein, das müssen Sie anders sehen. Dieser Prozess ist zum großen Teil automatisiert. Das sind so Webseiten, wo man das eingibt. Es wird immer davon geredet, dass es noch einzelne gebe, die Faxe schicken. Aber letztlich sind es die Ausnahmen. Ja, das ist eine Webseite, wo man was eingeben muss und was da einzugeben ist, das gibt schon das RKI vor, und die müssen sagen, was sie haben wollen. Und wenn im aktuellen Bericht z.B. der Satz drin steht: „Seit Herbst 2 02 0 können zu den Einrichtungen auch differenziertere Angaben erfasst werden.“ Zu den Einrichtungen da ist z.B. Schulen gemeint oder Ausbrüchen in Altersheim oder auch Ausbrüche im Krankenhaus. Seit Herbst können die auch in differenziertere Angaben erfasst werden, z.B., ob sie es um eine Schule oder eine Kita gehandelt hat, z.B. ob sie es um im Krankenhaus oder in der Arztpraxis gehandelt hat, das ist doch nun wirklich ein Riesenunterschied und wahnsinnig wichtig. Und es wird bis heute nicht einmal erfasst, ob es eine Grundschule oder eine weiterführende Schule ist. Und all diese Dinge, die gibt das RKI vor, das RKI macht seine Wunschliste und schimpft völlig zu Recht, dass viele es nicht ausfüllen. Die Prozente, sind gruselig. Die Anteile, die da bekanntgegeben haben, was z.B. in den Einrichtungen stattfindet oder nicht, sind gering. Und nur 60 Prozent geben überhaupt an, welche klinischen Merkmale die Patienten hatten usw. Und diejenigen, die genauer angeben, wie viel Prozent bei ihnen z.B. in der Kita waren, sind noch weniger. Aber dass das RKI das erst seit Herbst 2 02 0 überhaupt abfragt, wo wir uns seit einem Jahr damit beschäftigen, finde ich erklärungsbedürftig.





Camillo Schumann

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Auf der anderen Seite hat Herr Wieler auch gesagt, dass die Gesundheitsämter über fünf unterschiedliche Software-Typen verfügen und teilweise die Softwareunternehmen nicht die Fragen übernommen haben, die das RKI vorgibt. Und somit sind die Informationen, die gemeldet werden an das RKI immer löchrig.





Alexander Kekulé:
Das RKI ist ja nur eine obere Bundesbehörde. Zuständig ist der Bundesgesundheitsminister in diesem Geschäftsbereich. Und wenn der jedesmal, wenn irgendwo in seiner Behörde einer was verbaselt hat, sagen würde: Naja, die haben das da unten nicht hingekriegt. Ich bin da dran, dass da mal was passieren soll. Das ist nicht so üblich. Irgendjemand muss da schon die Verantwortung tragen. Dafür sitzt er ja oben. Und ich finde nicht, dass man nach einem Jahr noch sagen kann: Ja, da sind die Daten nicht da, und die Softwarehersteller haben nicht geliefert usw. Das kann man ja mal ein paar Wochen lang machen. Aber wie gesagt, wir schreiben das Jahr 2 02 1. Demnächst ist Jahr 2 der Pandemie, und da würde ich schon erwarten, dass das irgendwann mal durchgestellt ist. Und da kann man das nicht auf irgendwelche Zulieferer schieben.





Camillo Schumann

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So, jetzt haben wir wieder fast eine Stunde gesprochen und noch so viele Themen vor der Brust. Meine Redaktion schaut immer kritisch auf uns und sagt, macht nicht so lang, und das geht doch nicht, dem hört doch keiner mehr zu. Ich würde Kraft meiner Wassersuppe sagen: Die machen wir noch, weil das sehr interessante Themen sind. 


Thema FFP2 -Masken: Im Frühjahr gab es kein Klopapier. Und jetzt gibt es keine FFP-2  Masken mehr, mancherorts zumindest. Bayern hat ja am Montag das Tragen einer FFP2 -Maske im ÖPNV und in Geschäften zur Pflicht zu machen. Manche Bundesländer denken auch darüber nach und vorsorglich decken sich offenbar viele Menschen mit FFP2 -Masken ein. Sie haben ja immer dafür plädiert, dass sich v.a. Risikogruppen mit diesen Masken schützen sollen. Ist es möglicherweise gerade mit Blick auf die infektiöse Virus-Mutation nicht auch eine gute Idee, dass man weg von den selbstgehäkelten hin zu den FFP2 -Masken kommt?





Alexander Kekulé:
Das ist genau der Trugschluss. Gut, dass Sie das so formulieren. Das ist genau falsch. Weil dieses Virus ein bisschen infektiöser ist, brauchen wir keine anderen Masken. Aber es ist so, weil das auch durch die normale Maske genauso abgehalten wird. Da ist kein Unterschied. Klar, der Virologe freut sich da. Ich würde ja auch nichts anderes anziehen, wenn ich einem Patienten gegenüber wäre, wo ich weiß, der hat Covid-19. Und ich finde auch FFP2 -Masken für jedermann, z.B. im Flugzeug, im Zug, wenn man da länger sitzt bei einer Bahnfahrt, vollkommen richtig. Ich finde auch wenn man das beobachtet: In der letzten Zeit das hängt mit dem Berufsverkehr zusammen. Da ist es ja so, dass der öffentliche Nahverkehr voll ist. Wir haben in Berlin wieder volle U-Bahnen wie eh und je. Und in so einer Situation, wo man vielleicht auch mal länger in der U-Bahn ist, ist das sicher sinnvoll zu sagen, die Leute sollen FFP-2 -Maseken anziehen. Aber da muss man auch wissen, wie, und man muss sie richtig aufsetzen. Und die Bedienung einer FFP-2 -Maske – da komme ich fast wieder zurück zum Anfang unseres Podcasts – ist ja nicht ohne. Wenn man die irgendwie so halbschräg ins Gesicht setzt, nützt das genauso wenig wie eine schräg sitzende selbstgehäkelte Maske.





Camillo Schumann

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So ist es. Eine Hörerin sieht das genauso. Und sie hat uns angerufen und die schildert mal, wie man so eine FFP2 -Maske richtig trägt:




„Wenn ich eine FFP2 -Maske auspacken, sollte ich zuerst den Knick, der ja bei der Lieferung in der Maske ist, komplett begradigen, dann die Maske aufsetzen und mit 2 Fingern oder mit mehreren Fingern die Nase sorgfältig anpassen und dabei auch die die Ohren schon einspannen. Und kann ich erst den Sitz der Maske an der Nase richtig regulieren. Auch sehr kluge Menschen in meinem Umfeld haben dies bisher leider versäumt. Darum wollte ich es gern verbreiten.“





Camillo Schumann

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Das hat sie doch gut gemacht, oder?





Alexander Kekulé:
Das hat sie hervorragend gemacht, ich habe ich fast nichts hinzuzufügen. Das Wichtigste ist: Wenn man ausatmet mit einer FFP2 -Maske, bläst es meistens zwischen Nase und Wangen nach oben raus. Das können Brillenträger im Winter daran sehen, dass ihre Brille beschlägt oder daran sehen, dass sie nichts sehen. Und es ist so, dass dieses Rausblasen da oben bei so einer starren Maske, die eher wie eine Kappe ist, leider auch dazu führt, dass man an der gleichen Stelle auch die Luft einatmet, weil das ja anders als so ein Stofflappen ist und sich nicht ans Gesicht anpasst. Deshalb ist es extrem wichtig, genau das zu machen, was die Hörerin da gesagt hat. 


Und man muss eine Dichtigkeitsprüfung machen. Da werde ich aber doch noch ein bisschen gemein: Es gibt ja auch männliche Hörer mit Vollbart. Das geht gar nicht. Im Krankenhaus heißt die Vorschrift. Ich weiß, es gibt immer Riesen-Ärger im Krankenhaus, als die Vorschrift kam: Hast du Vollbart, musst du abrasieren, wenn man eine FFP2 -Maske aufsetzen soll oder FFP3, weil die beim Bart  nicht dicht schließen. Gut, das gilt für Personal, was wirklich beruflich exponiert ist. So eine Situation hat man in der U-Bahn nicht. 


Aber ich will es nur dazu sagen: So ein Ding ist nur dicht, wenn man es richtig aufsetzt. Das heißt, ich würde davor warnen zu glauben, habe ich eine FFP2 -Maske im Gesicht, ist alles gut, kann mir gar nichts passieren. Die ist nur gut, wenn man sie richtig konsequent dicht auf hat. Und da kann ich nur sagen ohne Ausatem-Ventil. Und das sind ja die, die üblicherweise erhältlich sind. Ich würde mal sagen, 2 Stunden sind schon echt lang. Viel länger hält man das nicht aus mit so einer Maske. Und gerade wenn man irgendwie vielleicht gerade eine Erkältung hinter sich hatte oder nicht so gut auf der Lunge ist oder so was, ist man ohne Ausatem-Ventil das schlecht dran. Die Ausatem-Ventile sind ja komplett verpönt, obwohl an einem normalen Nase-Mundschutz, seitlich genauso viel vorbeigeht. 


Und wenn die FFP2 -Maske Pflicht ist, kann ich nur sagen, das begrenzt die Einsatzzeit eines Einkäufers doch merklich. Das ist schon eine neue Stufe für so einen Laien, mit der Maske zu arbeiten. 


Da werde ich noch ein Letztes los, was völlig unwissenschaftlich ist. Mein Eindruck ist viele haben ihre Maske auch lieben gelernt. Die haben die ja zum Teil selber genäht. Wir haben ja diese Kampagne damals gestartet gegen die Empfehlungen von RKI und Bundesgesundheitsministerium. Das war ja auch eine Revolution, dass diese Maske überhaupt eingeführt wurde, die Volksmaske. Und jetzt heißt es, die müssten alle wegschmeißen und die hässlichen Papierdinger nehmen, da weiß ich nicht, ob das so gut ankommen wird.





Camillo Schumann

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Aber nichtsdestotrotz ist es effektiver.





Alexander Kekulé:


Natürlich ist es effektiver. Es ist eine weitere Sicherheitsmaßnahme, wenn man das konsequent macht. Wir haben das ja für Risikogruppen schon immer empfohlen, und ich habe ja auch immer dazu gesagt, es sollen auch diejenigen machen, die – aus welchen Gründen auch immer – vorsichtig sind. Es gibt ja auch andere. Jeder verhält sich anders. Der eine sagt, Mensch, so ein Restrisiko nehme ich in Kauf. Vielleicht, weil mein persönliches Risikoprofil nicht so entsprechend ist. Und der andere sagt, nö, ich bin zwar erst 50, aber ich will trotzdem auf Nummer sicher gehen. Und für die war die FFP2 -Maske schon immer eine Option. Es ist mehr Sicherheit an dieser besonderen Stelle. Aber diese Stelle ist nicht unsere offene Tür gewesen. Die offenen Türen sind woanders. Und darum wird hier nachgeschärft mit der Begründung, dass das Virus infektiöser geworden ist, aber das hat nicht allererste Priorität. Ich bin für diese FFP2 -Masken in geschlossenen Räumen im öffentlichen Bereich. Da ist es sicherlich sinnvoll als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.





Camillo Schumann

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Weil Sie gesagt haben, der Bart muss ab, wenn man eine FFP2 -Maske trägt. Aber die Barbiere und Frisöre, die sind ja zu. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wirbt dafür, Friseure und Kosmetiker im Februar wieder öffnen zu lassen. In diesen Fällen kann er sich eine Pflicht zum Tragen von FFP2 -Masken vorstellen. Was sagen Sie dazu? 





Alexander Kekulé:
Da hat er zu 100 Prozent Recht. Das ist vollkommen richtig. Und ich kenne auch, ehrlich gesagt, im professionellen Bereich fast nur Leute, die da eine FFP2  im Gesicht haben. Ich gehe sogar so weit, wenn ich jemanden vor mir habe, der mir die Haare schneiden soll oder Ähnliches und er hat keine FFP-2  auf, wo man face-to-face ist und der andere hat in der Regel nur einen OP-Mundschutz auf, die muss man auch zwischendurch vielleicht mal abnehmenden. Deshalb ist klar, dass es das Richtige ist. Und v.a. finde ich, das ist ein guter Ansatz, denn das ist ein intelligentes Beispiel, wo man sagt: Wie ist die Situation? Wie kann ich die Situation spezifisch absichern und trotzdem irgendwie dafür sorgen, dass der Betrieb weiterläuft? Und ich kann nur dafür plädieren, dass man so eine Smart-Strategie, so eine intelligente Strategie, überlegt. Die muss man eher verfolgen, als so generell alles zuzudrehen. 





Camillo Schumann

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Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese Dame hat angerufen und eine Impf-Frage:


„Ich würde mich gerne impfen lassen, bin 76, habe aber schon einmal einen anaphylaktischen Schock auf ein Medikament gehabt. Und ich habe gehört, dass so Leute wie ich, die also genauso reagieren, also viele Allergien haben, sich nicht impfen lassen sollten, weil es da 4 Fälle weltweit gegeben haben soll. Das ist natürlich wenig, aber ich habe da trotzdem meine Bedenken und wollte mal fragen, was ich da machen soll.“





Alexander Kekulé:


Mit 76 Jahren ist es sinnvoll, sich impfen zu lassen. Natürlich würde man vielleicht bei der Vorgeschichte dafür sorgen, dass die Impfung wirklich von einem Arzt gemacht wird, der auch reagieren könnte, falls es zu einer stärkeren Reaktion kommt. Ich würde vielleicht auch empfehlen, eine halbe Stunde danach dort zu bleiben, statt der sonst empfohlenen 15 Minuten. Aber man muss das mal so sehen: Die Zahl dieser besonders allergischen Reaktionen bis hin zu anaphylaktischen Schocks, das kann man an 2 Händen abzählen. Und in den USA sind ja inzwischen Millionen von Menschen geimpft worden. Ich gehe davon aus, dass das extrem selten ist. Und man kriegt es auch als Arzt in den Griff, falls es dazu kommen sollte.





Camillo Schumann

:
Damit sind wir am Ende von Ausgabe 138. Wir wollen mal wieder eine interessante Meldung im Zusammenhang mit Corona zum Besten geben. Wir hatten unsere Hörer ja mal aufgerufen, sich einen Namen für diese Rubrik zu überlegen, in der wir Meldung präsentieren, über die man auch mal schmunzeln kann. 


Viele Hörer haben uns geschrieben. Besten Dank an dieser Stelle! Und wir haben uns auf einen Rubriknamen geeinigt. Wollen sie den zum Besten geben?


1:05:35



Alexander Kekulé:
Ja, das, was wir am lustigsten fanden, ist der „Coronald der Woche“. Der „Coronald“ hat uns spontan alle beide umgehauen, wahrscheinlich weil wir in unserer Kindheit Donald Duck gelesen haben. An irgendwas muss es gelegen haben. 





Camillo Schumann

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Vermutlich. 





Alexander Kekulé:
Und den vergeben wir jetzt in unregelmäßigen Abständen. Ich hätte allerdings schon eine lange Liste, dass wir praktisch jede Woche schon was vergeben dürfen. Aber vielleicht können die Hörer sich ja auch Vorschläge machen, was ihrer Meinung nach besonders abwegig ist bei den Anti-Corona-Maßnahmen.





Camillo Schumann

:
Leider wurde der Name „Coronald der Woche“ anonym eingesandt. Aber vielen Dank an dieser Stelle. Und der „Coronald der Woche“ kommt aus Sachsen. „Nächste Woche öffnen ja die Abschlussklassen wieder die Schulen in Sachsen. Vorgesehen sind Corona-Schnelltests. Das ist sehr gut. Kultusminister Piwarz hat gesagt die Tests sollen sicherstellen, dass nach der langen Zeit des Lockdowns nur gesunde Personen die Schulen besuchen.“ Und wird es spannend: „Diese Tests finden aber nur an 100 ausgewählten Schulen statt, und dorthin sollen die Jugendlichen mit ihren Lehrern im Bus fahren. Die Anreise soll mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder selbst organisiert erfolgen, hieß es aus dem Kultusministerium.“





Alexander Kekulé:
Na gut, scheinbar sind diejenigen, die diese Regelung da aufs Papier gebracht haben, haben sich sehr viele Gedanken gemacht und waren offensichtlich der Meinung, dass man sich im Bus nicht infizieren kann. Und das will man an hundert Schulen testen in Sachsen, dass an den anderen Schulen auch nichts passieren kann. Das ist ja klar, wenn man die eigene Schule testet, dass bei anderen Land alles in Ordnung sein wird. Das sind so geniale Gedanken, dass wir der Meinung sind, dafür vergeben wird den „Coronald für diese Woche“.





Camillo Schumann

:
Vielen Dank, Herr Kekulé.
Wir hören uns am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL. 





Alexander Kekulé:
Sehr gerne, bis dann, Herr Schumann. 





Camillo Schumann

:
Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 


0800 300 2 2  00. 


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.




MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“








Samstag, 12 .01.2 02 1 #137: Infektion trotz Impfung?



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Linktipps:


Sicherheitsbericht Impfkomplikationen (Stand: 04.01.2 02 1)


https://www.pei.de/SharedDocs/Downloa ds/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberi chte/sicherheitsbericht-2 7-12 -bis-31-12 2 0.pdf?__blob=publicationFile&v=5


Impfnebenwirkungen melden


https://nebenwirkungen.bund.de/nw/DE/ home/home_node.html


Testen wie die Profis


Studie:


https://www.medrxiv.org/content/10.110 1/2 02 1.01.06.2 02 49009v1



Camillo Schumann

:


Dienstag 12 . Januar 2 02 1.


Neuinfektionen/Lage in den Krankenhäusern. wie ist die aktuelle Situation zu bewerten? Wirkt der Lockdown oder nicht?


Dann: Neue Virus-Mutation in Japan entdeckt. Was weiß man darüber?


Außerdem: Positiv trotz Impfung. Wie kann das sein?


Und: Jeder kann Schnelltests wirkungsvoll durchführen, belegt eine deutsche Studie. Kommen jetzt die Schnelltests für alle?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur,


Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Wir starten wie immer mit den Zahlen für die vergangenen 2 4-Stunden, da meldet das Robert-Koch-Institut 12 .800 Neuinfektionen. Das sind so über den Daum gepeilt 900 mehr als am Dienstag vor einer Woche. Knapp 900 weitere Todesfälle wurden gemeldet, die 7Tage-Inzidenz fällt leicht auf rund 165. Das Robert Koch-Institut weist auf seinem Dashboard jetzt nicht mehr explizit darauf hin, dass diese Zahlen wegen Weihnachten und Jahreswechsel mit Vorsicht zu genießen wären. Werden die Zahlen jetzt wieder belastbarer?


[0:01:32 ]:



Alexander Kekulé:


Ja, das sagt das Robert Koch-Institut. Da gucken wir ja alle so ein bisschen in die Glaskugel rein. Insgesamt war es schade, dass wir da so eine Lücke hatten. Und insgesamt sind wir in Deutschland leider immer noch in der Lage, dass viele Dinge, die epidemiologisch superinteressant wären – z.B. die Frage: wo infizieren sich die Leute? Welcher Anteil hat sich bei der Arbeit möglicherweise infiziert? Wie viele von den Infektionen sind im Heim aufgetreten, gerade bei den Älteren, oder welcher Anteil der Infizierten ist älter? Die Altersverteilung haben wir nur bei den Toten ... – all diese Dinge machen es schwierig, das Schiff zu steuern. Ich möchte jetzt nicht Politiker sein. Aber da kann man lange nörgeln. Die Zahlen sind, wie sie sind. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Robert-Koch-Institut sehr unglücklich darüber ist, dass man ständig Kaffeesatz lesen muss, statt konkrete Auswertungen zu machen. Und das versuchen wir halt weiter so. Irgendwann kommt der Impfstoff, dann werden wir das alles nicht mehr brauchen.


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Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz, dass jetzt nicht mehr explizit darauf hingewiesen wird, dass es möglicherweise noch einen großen Meldeverzug gibt, könnten in diesen Zahlen jetzt schon die Lockerungen zu Weihnachten eingepreist sein?


[0:02 :42 ]:



Alexander Kekulé:


Ich glaube nicht, dass man jetzt daraus lesen kann, dass die Lockerungen zu Weihnachten irgendeinen Effekt hatten. Rein statistisch gesehen muss es da zu der ein oder anderen Ansteckung gekommen sein. Ich glaube aber auch, dass das Setting „Weihnachten“ eines ist, wo sich Party-People heimlich irgendwo in einem Keller in einer Großstadt treffen. Vielmehr waren das doch meistens vernünftige Menschen, die wussten, worauf man achten muss. Das ist ja immer der wichtige Unterschied. Geht man davon aus, dass jeder Kontakt gefährlich ist – das verneine ich ja klar. Man muss unterscheiden zwischen gefährlichen Kontakten und solchen, wo die Menschen sich geschützt haben. Und ich glaube, Letzteres war das Übliche an Weihnachten.


[0:03:2 9]:



Camillo Schumann

:


Wenn die Zahlen jetzt möglicherweise so ein bisschen belastbarer werden und wir mit 12 .000 mehr doch ein relativ hohes Grundrauschen haben, heißt das: Es bleibt so und der harte Lockdown wirkt nicht?


[0:03:41]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so. Der sogenannte harte Lockdown hat ja eine Reihe von Schwachstellen. Ich mach da einfach immer diese vier Schwachstellen auf: 1. ist es so, dass wir in den Wohnungen immer noch Infektionen haben, dadurch, dass Infizierte nicht in Isolation außerhalb gebracht werden können in Deutschland. 2 . ist es so, dass wir am Arbeitsplatz noch große Lücken haben. Es gibt ja im Bereich des Arbeitsschutzes neue Empfehlungen der Berufsgenossenschaften. Man versucht schon, wie das ja wir im Podcast schon lange besprochen haben, auch über den Arbeitsschutz da einzugreifen.


Aber das dauert einfach. Da lässt jede Berufsgenossenschaft für ihren Bereich Empfehlungen heraus. Und die Arbeitgeber sollen sogenannte Risikobewertungen machen, womit sie zum großen Teil völlig überfordert sind, was zur Folge hat, dass man nicht mal das Einfachste macht, nämlich konsequent am Arbeitsplatz immer dann, wenn mehrere Leute in einem Raum sind, Masken tragen. Punkt. Das passiert ja noch nicht. Das ist die nächste Lücke. Und dann haben wir nach wie vor die offene Flanke mit den Heimen und speziell Altersheimen und Pflegeheimen. Das ist ja nach wie vor so: Man hat jetzt Konzepte, die Tests sind jetzt akzeptiert, vieles ist es auch verschriftlicht worden. Aber wenn man sich das durchliest – mein lieber Scholli –, was die Heimbetreiber da jetzt alles machen und bewerten sollen, statt ein paar einfache Regeln an die Hand zu geben. Auch die Frage, wer überhaupt die Schnelltests dann machen sollen, in welcher Frequenz und so, das ist alles offen. Und die Nummer 4 sind eben meines Erachtens die Menschen, die die Nase voll haben, aus welchen Gründen auch immer, und sich gar nicht mal an die Regeln halten. Diese vier Punkte sind der Grund, warum der Lockdown nicht so perfekt wirkt. Aber ich bin sicher, dass wir in der nächsten Woche sinkende Zahlen sehen werden. Das das wird nie in den Bereich von 50 gehen, Inzidenz 50 pro 100.000. Das werden wir in den nächsten 14 Tagen auf keinen Fall sehen. Aber wir werden ein deutliches Absinken der Fälle beobachten.


[0:05:55]:



Camillo Schumann

:


Die Neuinfektionen sind das eine, die Lage in den Krankenhäusern das andere. Schauen wir mal in die Krankenhäuser. Das ist ja auch ein guter Gradmesser, um die Lage besser bewerten zu können. Stand heute, 12  Uhr werden 5.197 Menschen in Verbindung mit Covid-19 intensivmedizinisch versorgt. Vor einer Woche, am 5. Januar, mussten 5.678 Menschen intensiv betreut werden. Das waren rund 480 mehr als heute. Seit gut zwölf Tagen haben mehr Menschen das Krankenhaus verlassen, als neu aufgenommen wurden. Wie bewerten Sie diesen Trend, ist der wichtiger?


[0:06:32 ]:


2 



Alexander Kekulé:


Der ist wichtig, weil das sozusagen unsere Vorweg-Position ist. Die harten Zahlen sind ja letztlich die Zahlen: Wie viele Menschen sind im Krankenhaus? Wie viele Menschen sind auf der Intensivstation, wie viele Menschen sterben? Das wird ja sehr klar erhoben in Deutschland – übrigens nicht überall auf der Welt. Das ist eigentlich toll, dass wir dieses Intensivregister haben und dass diese Dinge bei uns funktionieren. Das ist aber immer nachgeordnet bei den Neuinfektionen. Und da müssen wir davon ausgehen, dass da mindestens 14 Tage, eher drei Wochen, Verzögerung sind. Da gibt es viele Effekte. Einer ist z.B., wenn die Intensivstationen nicht überlastet sind. Dann hat man als Arzt – da habe ich jetzt keine Zahlen drüber, aber aus eigener Erinnerung, als ich mal für solche Bereiche mitverantwortlich war – die Tendenz, den ein oder anderen Patienten noch einen Tag länger liegen zu lassen, als wenn sie wissen, draußen wird gedrängelt, und ich brauche jedes Bett. Dass da jetzt noch Menschen behandelt werden, dass das langsam runtergeht, das ist eigentlich das statistisch Erwartete. Und deshalb würde ich sagen, das ist ein positiver Trend. Das wird sich so fortsetzen. Das ist zäh, bis die Intensivstationen dann leerer sind. Und es hängt entscheidend davon ab, wie wir die Alten schützen, speziell in den Altenheimen.


[0:07:59]:



Camillo Schumann

:


Wenn man sich die relativ hohe Zahl der Neuinfektionen anschaut, sehen wir die Entwicklung in den Intensivstationen, in den Krankenhäusern, die ja eine positive Ent-wicklung sind, auch mit Blick auf drei Wochen zurück. In Verbindung mit den Alten scheinen wir dann doch einiges richtig gemacht zu haben.


[0:08:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Ja, das kann man schon so sagen, spät, aber doch. Es ist so, dass man versuchen muss, das zu entkoppeln, die Neuinfektionen von den Sterbezahlen, von der Mortalität. Wie kann man das entkoppeln? Wir wissen, dass die Sterblichkeit bei denen über 70 Jahre massiv


ansteigt, im Bereich von zehn Prozent. Das ist eine extrem gefährliche Erkrankung. Das heißt, man muss verhindern, dass sich Alte infizieren. Klar, es gibt andere Risikogruppen. Da haben wir oft darüber gesprochen, Übergewichtige usw. Aber aus der epidemiologischen Hubschrauberperspektive sind es die Alten, die am einfachsten zu greifen sind, speziell wenn sie in Heimen sind. Und wenn man die schützt – und das sind ja jetzt Bemühungen im Gange, das jetzt die Schnelltests endlich kommen, dass die Konzepte seit Weihnachten kommen, dass die Heime auch verstanden haben, was man da macht usw. – und zusätzlich jetzt in den nächsten Wochen richtigerweise die Alten in den Heimen zuerst geimpft werden, dann werden wir das schaffen, wofür ich ja schon lange plädiere, nämlich eine Entkopplung der Sterblichkeit von der Inzidenz. Und dann können wir uns eventuell auch höhere Inzidenzen als diese berühmten 50 pro 100.000 leisten. Ich bin optimistisch, dass das in den nächsten Wochen in diese Richtung gehen wird.


[0:09:41]:



Camillo Schumann

:


Dann können wir uns dann so ein Grundrauschen von z.B. 8.000 bis 10.000 Neuinfektionen pro Tag leisten und müssen jetzt nicht gleich wieder einen neuen Lockdown denken, oder?


[0:09:51]:



Alexander Kekulé:


Das ist genau meine alternative Strategie, die ich da im Auge habe, statt zu sagen, wir müssen unter die Inzidenz von 50 kommen. Damit die Gesundheitsämter die Nachverfolgung wieder mehr oder minder vollständig hinbekommen, kann man ja auch so rum argumentieren, dass man sagt: Solange wir es schaffen zu verhindern, dass viele Menschen daran sterben, ist es nicht so schlimm, wenn wir v.a. bei jüngeren Leuten ein gewisses Grundrauschen an Infektionen schweren Herzens in Kauf nehmen. Wir müssen aber wissen, das kann man nicht oft genug sagen, dass dann auch manchmal der eine oder andere plötzlich auf der Intensivstation landet. Das kann auch einen 30-Jährigen oder 35-


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Jährigen mal passieren. Das ist eine Ausnahme, die überleben es auch meistens. Aber schön ist es nicht, das kann ich sagen.


Aber es auch nicht schön, mit 35 an einer schweren Influenza zu erkranken und dann eine bakterielle Infektion obendrauf zu kriegen und damit auf der Intensivstation zu liegen. Und das haben wir, kann ich nicht oft genug sagen, jedes Jahr seit Jahrzehnten. Damit haben wir uns schon längst abgefunden. Da würde man keinen Lockdown machen. Und darum glaube ich, dass das eine Strategie wäre, die funktionieren kann, wenn man es vielleicht auch noch schafft, zusätzlich zur Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter ein privates Nachverfolgungssystem aufzulegen, das die Kapazität erweitert. Da kann man sich als Zahl auch eine Inzidenz von 80 oder 100 leisten, sofern deswegen nicht mehr gestorben wird.



Camillo Schumann

:


Ich habe ja Zahlen zwischen 8.000 und 10.000 genannt. Das war willkürlichen. Je weniger, desto besser. Das war jetzt nur, um das ein bisschen zu verdeutlichen.



Alexander Kekulé:


Da sind wir uns ja vollkommen einig. Aber was hier als weißer Elefant im Raum steht, ist ja das, was ich sekundäre Kollateralschäden der Pandemie nenne, Kollateralschäden, die nicht durch das Virus selber entstehen, sondern durch die Gegenmaßnahmen. Und das haben wir massiv. Die Psychiater sagen, dass die Menschen depressiv werden, dass Menschen mit vorhandenen Erkrankungen Verschlimmerungen bekommen. Wir wissen von den Ärzten, dass Operationen verschoben wurden, dass sich Leute nicht zum Arzt trauen. Von den wirtschaftlichen Schäden habe ich jetzt überhaupt nicht gesprochen.


Wir haben auf der anderen Seite der Waagschale gute Gründe, es anders zu machen. Sogar vielleicht den Grund, der mir eigentlich wichtig ist, dass wir die Bevölkerung nicht verlieren dürfen bei der ganzen Diskussion. Ich fordere da eine Art Begründungskultur, dass wir die Maßnahmen wirklich auch fachlich gut begründen müssen. Denn es wäre das Schlimmste, wenn uns gerade in


Deutschland, wo die Menschen der Regierung viel Vertrauen entgegengebracht haben. Wenn das jetzt wegbröckelt und die künftigen Maßnahmen auch nicht einfach werden – wenn es jetzt an die Impfungen geht, und Leute hinten in der Schlange stehen, oder die Frage, was sollen die Leute machen, die geimpft sind, die müssen ja weiter gewisse Schutzmaßnahmen einhalten, obwohl sie selbst kein Risiko mehr haben. Wir brauchen dieses Vertrauen und diesen Goodwill der Bevölkerung. Und den dürfen wir uns jetzt nicht durch überzogene Maßnahme verspielen. Und darum gibt es eben auf der anderen Seite der Waagschale auch diese sekundären Kollateralschäden. Und deshalb muss man sagen ja, je weniger Kranke, je weniger Tote, desto besser, das ist ohne Frage. Aber man muss das auch so balancieren, dass die Menschen auch perspektivisch mitmachen. Man darf nicht nur die nächste Woche anschauen, sondern wir müssen mindestens das nächste halbe Jahr im Auge haben.


[0:13:2 3]:



Camillo Schumann

:


Perspektive ist genau das Stichwort. Bleiben wir bei den Zahlen und schauen auf den Stand der Impfung. Die Zahlen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut ja jeden Tag gegen Mittag. Blöderweise erst nach unserer Aufzeichnung. Wir haben deshalb den Stand vom 11. Januar, vom Montag. Rund 613.000 Menschen wurden geimpft, davon 2 38.000 Bewohner in Pflegeheimen. Die vergangenen Tage, bis auf Sonntag, wurden rund 50.000 Menschen pro Tag geimpft. Herr Kekulé, Sie sagen ja immer, wir müssen mehr Menschen impfen als sich infizieren. Wir impfen jetzt rund viermal mehr Menschen als sich neu infizieren. Das ist doch ein gutes Verhältnis, oder?


[0:14:05]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube, dieses Überholmanöver, wie ich es mal genannt habe, könnte sogar gelingen. Das muss auch gelingen. Bei den Infizierten muss man immer eine ziemlich hohe Dunkelziffer dazurechnen. Ich würde mal sagen, Faktor zehn da einzurechnen, ist sicherlich nicht falsch. Und wenn wir jetzt fünfmal so


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schnell sind mit den Impfungen, dann sind wir dabei aufzuholen. Das weiß ja keiner genau, wie groß die Dunkelziffer ist, sonst würde sie nicht so heißen. Und ich glaube, das ist wichtig, dass wir bei den Impfungen Tempo gewinnen. Man muss auch dazu sagen – es gibt ja jetzt viele Leute, die sich beschweren; das war ja zu erwarten – es ist wieder zu langsam, und da ist ein irgendwie fünf Kisten Impfstoff nicht an den Mann gekommen. Das muss ja immer gekühlt oder weggeworfen werden. Ja, sowas passiert. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber ich glaube, unterm Strich ist es so: Wir sind in Deutschland mit der Logistik wirklich gut aufgestellt. Das haben wir – dafür, dass das ja aus dem Boden gestampft wurde – gut gemacht. Der Hase liegt im Pfeffer bei der Beschaffung der Impfstoffe. Und das ist letztlich ein EU-Problem, wo man sicherlich noch einmal diskutieren muss, warum die EU hier offensichtlich so beraten wurde, dass sie diese RNA-Impfstoffe nicht bestellt hat, zumindest nicht in dem großen Umfang. Da meine ich, sollten sich die Leute, die EUBerater waren, sich mal dazu äußern, wie es eigentlich zu dieser Fehleinschätzung gekommen ist. Ich bin sicher, dass das nicht nur politisch entschieden wurde, sondern dass die fachliche Frage, welche Sorte nehmen wir, im Juli/August, wo das ja alles anhand von wissenschaftlichen Studien, die noch keineswegs in Stein gemeißelt waren, entschieden werden musste – auch wissenschaftlicher Sachverstand eine Rolle gespielt haben muss. Ich erinnere mich gut an die Diskussion 2 009 bei der Schweinegrippe. Da gab es ja die Schutzkommission, wo ich da die Arbeitsgruppe „Biologische Gefahren“ geleitet habe. Da haben wir uns selbstverständlich dazu geäußert und gesagt, der und der Impfstoff muss jetzt bestellt werden für die Schweinegrippe. Wie Sie wissen, ist man uns da nicht gefolgt, aber trotzdem stand diese Empfehlung im Raum. Und ich könnte die als Berater jederzeit wieder aus der Kiste ziehen und sagen: Schaut mal her, das war unsere Empfehlung. Die Politik hat sich nicht daran gehalten. Und deshalb würde ich eigentlich diesem Beratergremium der Europäischen Kommission von Frau von der Leyen schon empfehlen, mal jetzt rauszuholen, welche Empfehlungen sie denn


damals gegeben haben, im Juli, als die Bestellungen gemacht wurden.


[0:16:34]:



Camillo Schumann

:


An dieser Stelle muss man auch sagen, dass auch nachverhandelt wurde. Biontech/Pfizer hat er z.B. angekündigt, die Produktionsmenge von 1,3 auf 2  Milliarden erhöhen zu wollen. Mit anderen Worten: Da ist noch einiges in der Pipeline, was dann auch „nachgeschossen“ werden kann.


[0:16:50]:



Alexander Kekulé:


Ja, bei dieser optimistischen Aussage ist dabei, dass das 2 . Werk in Marburg an den Start geht. Die haben das um mindestens einen Monat vorgezogen. Das ist schon sportlich. Sicher kriegen die da auch jede Hilfe, die sie brauchen. Aber wenn man weiß, wie solche Prozesse sonst in der Industrie ablaufen, muss man sagen: Hut ab! Die pharmazeutische Industrie hat eigentlich weltweit erheblich daran gearbeitet, ihr Image zu verbessern, muss ich sagen. Man muss aber auch sagen, dass diese Ankündigung von Biontech/Pfizer – das steht im Kleingedruckten –, dass man da pro Ampulle mehr Impfstoffe raussaugen kann, als ursprünglich mal ausgewiesen war. Und das heißt, es ist nicht nur eine echte Steigerung der Produktionskapazität, sondern es ist auch eine Umrechnung da. Insofern jetzt diese Restmenge, die da immer mit in der Ampulle ist, jetzt als verimpfbar deklariert wird. Das ist neu von der europäischen Zulassungsbehörde EMA entschieden worden. Da waren die auch extrem schnell. So schnell habe ich von der EMA überhaupt noch nie eine Entscheidung mitbekommen, auch in der Zeit, wo sie noch in London war. Damals waren die auch sehr gut. Und jetzt sind sie in Amsterdam. Die haben da quasi über Nacht diese Zulassung erteilt, dass man auch diese Reste, die dann noch in der Flasche drin sind, verwenden darf. Das ist mitgerechnet bei der sogenannten Produktionssteigerung von Pfizer/Biontech.


[0:18:2 0]:



Camillo Schumann

:


Normalerweise gingen fünf Dosen raus. Jetzt


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sind es 6, 2 0 Prozent mehr, und die Restmenge musste bisher mit den Flaschen entsorgt werden. Hört sich jetzt für mich wie ein Unding an, dass man das wegschmeißt.



Alexander Kekulé:


Das ist eine Sache, die schon vor vielen Wochen, sofort nach der Zulassung in den USA, klar. Und die Leute haben sofort gesagt, da ist immer noch eine kleine Neige drin. Und da gibt es diesen schönen Ausdruck Noargel-Sammler. Das sind in Bayern bei den Bierfesten Leute, die kein Geld haben und die Reste trinken. Die nehmen die quasi leeren Biergläser und schütten sich das alles zusammen, bis sie wieder eine Masse voll haben, und können so gratis Bier trinken. Und so ein bisschen hat man das bei den Impfdosen den USA schon gemacht, weil man gesehen hat, da ist immer so ein bisschen was übrig, immer ein bisschen was übrig lassen.



Camillo Schumann

:


Warum macht man das eigentlich? Warum kann man es nicht genau definieren?



Alexander Kekulé:


Das ist absoluter Standard. Wenn man Ampullen hat für mehrere Verabreichungen, nicht nur bei Impfstoffen, dann gibt der Hersteller immer automatisch ein bisschen mehr rein. Wenn man sich so eine Spritze vorstellt, dann hat die doch vorne einen engen Hals, wo die Nadel draufgesteckt wird oder manchmal schon fertig drauf ist. Und das, was in diesem Hals ist, das wird normalerweise bei der Spritze nicht rausgedrückt, weil der Kolben typischerweise vorher endet. Und weil in jeder Spritze immer ein bisschen Rest drinnen bleibt, und weil auch beim Aufziehen kleine Fehler passieren, gibt man so ein bisschen mehr dazu. Ob das jetzt 2 0 Prozent sind oder 2 6 Prozent. Es hat mich eigentlich überrascht, dass es so viel ist. Aber man gibt ein bisschen mehr in diese Mehrfachinjektionsampullen. Und das ist auch geschehen. Und dann kann man Spritzen nehmen, die das nicht haben. Die haben dann vorne an dem Stempel, der vorund zurückgeht, noch mal einen kleinen Zapfen vorne dran. Der heißt Spardorn. Und der schiebt aus dem vordersten engen Hals aus der Spritze den letzten Tropfen noch mit raus. Wir nennen solche Spritzen in Deutschland meistens


Tuberkulinspritzen, weil man die für den sogenannten Tuberkulin-Test – das ist so ein Verfahren, wo man genau die richtige Menge injizieren muss – schon lange verwendet. Und solche Feindosierungsspritzen oder Sparspritzen verwendet man jetzt, weil man ja jeden Tropfen benützen will, auch für diesen Impfstoff, zumindest in einigen Bundesländern.


Ich habe gelesen, dass das komischerweise in Deutschland noch nicht alle so machen. Da kann man nur dringend dazu aufrufen, das zu tun. Und wenn man das macht, braucht man eben die Reserve nicht. Und deshalb nutzt man hier einfach eine Methode, die aus anderen Bereichen eigentlich üblich ist, um wirklich den letzten Tropfen zu verimpfen, solange der Impfstoffsuche knapp ist.



Camillo Schumann

:


Sind dann sechs Impfdosen da drin? Oder sammelt man die dann in einer weiteren, um dann wirklich noch mal eine komplette Impfung zu haben?



Alexander Kekulé:


Jetzt stellen sie so eine Gretchenfrage, die völlig berechtigt ist. 2 0 Prozent mehr heißt ja, dass sie aus fünf auch sechs machen können. Aber das wären dann 2 0,0 Prozent. Und da machen Sie aus 5,0 dann 6,0. Und da müssen Sie – ich habe ja nun wirklich auch richtig Biochemie studiert und echte Erfahrungen im Labor – schon super akribisch arbeiten, damit sie keinen Rest haben. Und das ist so bei so einer Massenveranstaltung, bei der sie Tausende verimpfen pro Tag unmöglich. Was da also in der Praxis passiert, ist wohl eher, dass man es von mehreren Ampullen sammelt. Ob das jetzt wiederum zulässig ist, weil dann Sie ja aus 2 Ampullen mischen, dann müssen sie kontrollieren, ob es die gleiche Charge ist.



Camillo Schumann

:


Schon allein auch wegen der Temperatur!



Alexander Kekulé:


Ja, die werden dann schon parallel gelagert. Sie werden jetzt wahrscheinlich nicht irgendwie eine alte von gestern noch einmal rausholen bei diesem Impfstoff, der ja super strenge Vorschriften hat. Das ist ja das Thema, dass sie den nur kurz nach dem Auftauen verwenden


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dürfen. Ich würde mal sagen, wenn ich es jetzt zu machen hätte und ich wüsste, ich kann damit wirklich mehr rausholen und muss halt dann von der nächsten Ampulle noch ein bisschen nehmen. Ich würde das in der Praxis wohl machen. Das wäre mir eigentlich egal, ob irgendwo in der Zulassungsstelle dann sagt, ihr habt da die Regeln nicht befolgt. Es gibt überhaupt keinen sachlichen Grund, das nicht zu machen, wenn man das Handling in der Hand hat. Und das sind ja sowieso Profis, die das machen müssen, weil – noch mal zur Erinnerung – dieser Biontech-Impfstoff funktioniert so, dass der bei -70°C bis -80°C gelagert wird. Dann wird der aufgetaut und darf dann nur eine bestimmte Zeit, ich glaube 2 4-Stunden oder so verimpft werden. Das heißt, am gleichen Abend muss man definitiv die übrigen Dosen wegschmeißen. Deshalb machen das Profis. Da gibt es genaue Anweisungen. Und meistens sind es Leute, die wie ein Apotheker eine Ausbildung haben. Ich traue denen schon zu, dass sie das richtig machen, auch wenn sie von 2 Ampullen mal was mischen.



Camillo Schumann

:


Dass das Mehr aus den Impfdosen rausgenommen wird, ist unseren Hörern auch nicht verborgen geblieben. Eine aufmerksame Hörerin vermutet dann gleich mal das Allerschlimmste. Sie hat folgende Frage hinterlassen:


„Ich rufe aus Bottrop an. Da haben wir so einen Skandal mit gepanschten Krebsmedikamenten. Da hat so ein Apotheker die ganzen Medikamente gestreckt. Jetzt frage ich mich, wo ja in Rede steht, ob man möglicherweise die Corona-Schutzimpfung weiter verkleinert, ob da auch die Möglichkeit besteht, dass man möglicherweise Natriumchlorid oder sonst was bekommt und überhaupt nicht mehr den Wirkstoff, weil er ja so ein Hype drauf ist. Wie kann ich dann sicher sein, dass ich überhaupt das bekomme, was vorgegeben wird, das ich bekommen soll, Wenn das so weit vervielfältigt wird. Dann ist das ein unheimlicher Unsicherheitsfaktor.“


[0:2 5:00]:



Alexander Kekulé:


Sie können nicht hinter jeden Apotheker, der das mischt oder hinter jedem, der das verteilt, einen Polizisten stellen. Das ist klar. Die Frage ist auch, ob er das überhaupt merken würde. Da müssten sie dem wieder eine spezielle Ausbildung geben. Wir haben in den USA so einen Fall. Ich habe darüber nur gelesen. Aber es gibt einen Fall, wo ein Apotheker das gestreckt hat, um mehr Geld zu verdienen. Der ist jedenfalls angeklagte in dieser Richtung. Das ist so, weil das auch eine teure Sache ist, wird ja auch auf dem Schwarzmarkt schon gehandelt, was man so hört. Es ist so, dass die Versuchung da ist. Und ich glaube, es wäre sinnvoll, zumindest so ein internes Kontrollsystem zu machen. Sie können keinen Polizisten dahinter stellen. Aber man braucht zumindest Listen, aus denen klar wird, wie viel ist wirklich reingegangen in den Impfstation, wie viel ist verimpft worden, damit man so eine Art Kontrolle hat. Vielleicht nicht so hart wie bei Betäubungsmitteln, wo wir das ja auch schon lange kennen. Aber irgendwas sollte man meines Erachtens schon machen, auch um die Leute zu schützen, die das tun. Es gibt ja jetzt gerade in Deutschland Veröffentlichungen, wo den Mitarbeitern des DRK vorgeworfen wird, sich das gegenseitig zu verimpfen und sich zu priorisieren, obwohl sie noch gar nicht dran wären. Das ist ein schwerer Vorwurf. Und wenn es dann solche Listen gebe, wo klar ist, wie viel Ampullen haben die gehabt, wie viele Leute haben die geimpft, dann hätte man zumindest eine gewisse Kontrolle. Und man könnte auch diese Helfer, die sich ja da wahnsinnig ins Zeug legen und das ehrenamtlich machen und die keine solchen Betrugs Gedanken haben, höchstwahrscheinlich zu 99,99 Prozent, schützen vor solchen Vorwürfen.



Camillo Schumann

:


Aber die Kontrolle wäre dann die 2 . Impfung, die man unbedingt braucht.



Alexander Kekulé:


Das ist sowieso etwas, was ich mich frage. Es ist ja bekannt und auch zulässig, dass man, bevor man abends die Sachen wegwirft in so einer Impfstation, ist es üblich, mal schnell Leute anzurufen, die eigentlich nicht priorisiert


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waren, z.B. wenn sie eine Impfung bei über 80-Jährigen machen und haben dann abends noch fünf Spritzen übrig, aber kein Kandidat ist mehr verfügbar, weil ein Teil ja auch die Spritzen verweigert. Es ist ja nicht so, dass da alle sagen ja, bitte her damit. Und dann ist es zulässig, bevor man das in den Müll schmeißt, ein paar Krankenschwestern anzurufen und zu sagen, kommt vorbei. Wer auch immer greifbar ist, dann aus der nächsten Priorisierungsgruppe, medizinisches Personal in dem Fall, und denen zu sagen: ihr kriegt jetzt die erste Impfung. Ich frage mich, wie das bei den Leuten, die das außer der Reihe bekommen haben, mit der Auffrischungsimpfung nach drei bis vier Wochen ist. Denn die müssten ja dann irgendwie eine Sonderregistrierung haben oder sich noch mal quasi nach drei Wochen anstellen und hoffen, dass wieder abends etwas übrig bleibt. Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Da gibt es noch viele Fragezeichen. Aber ich kann nur sagen und dazu aufrufen. Es gibt Dinge, die sind wichtig. Und es gibt Dinge, die sind unwichtig in dieser Pandemie. Und wir reden über so viele Dinge, die eigentlich Nebenschauplätze sind. Und jetzt die Frage, ob der eine oder andere da die Spritze früher kriegt oder Ähnliches. Da sollten wir uns, glaube ich, nicht aufregend. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und wir machen das halbwegs gut in Deutschland. Und das ist sicherlich nicht unsere Achillesferse bei dem Covic-Thema.


[0:2 8:2 2 ]:



Camillo Schumann

:


Was auf jeden Fall wichtig ist, war ja die Frage: Wirkt der Impfstoff, der bisher verimpft wurde, der von Biontech/Pfizer auch gegen die VirusMutation aus Großbritannien und Südafrika? Studienergebnisse deuten zumindest darauf hin, dass er das tut.


[0:2 8:40]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ja die im Moment die große Aufregung. Wir haben diese B1.1.7-Variante in Großbritannien. Und die hat eine bestimmte Mutation, über die wir schon mal gesprochen haben. Die ist genau an der Bindungsstelle, wo es an den Rezeptor gebunden wird. Das Virus


dockt an einer Stelle mit sechs Aminosäuren in diesem Spike-Protein an. Und eine davon, das ist diese N501Y-Mutation. An der Position 501 ist eine Aminosäure ausgetauscht. Diese bestimmte Mutation ist beunruhigend, weil sie genau diese Andockstelle betrifft. Und die ist gefunden worden sowohl bei der südafrikanischen Variante als auch bei der britischen Variante. Und beide sind höchstwahrscheinlich stärker infektiös. Und wir wissen auch, dass diese Mutation korreliert ist mit einer stärkeren Bindung an den Rezeptor. Das kann man in der Zellkultur zeigen und dass sogar die Infektiösität von Mäusen hochgeht. Das heißt sozusagen, das Wirtsspektrum wird verändert. Und deshalb war es super spannend, jetzt mal zu gucken, ob der Impfstoff da noch wirkt. Das hat Pfizer wie angekündigt untersucht. Und die haben Folgendes gemacht: Die haben 2 0 Kandidaten genommen, die in der Phase-3Studie dabei waren, Leute, die zweimal geimpft wurden im Abstand von drei Wochen und die dann immun waren hinterher. Zumindest nach der Phase drei Studie hat man das so angenommen. Und dann hat man geguckt, wie ist das bei deren Blut, das damals abgenommene Serum: Hat man da Antikörper, die das in der Zellkultur genetisch veränderte Virus neutralisieren können? Da hat man aber eine Einschränkung: Es war so, dass man nicht direkt die britische Variante genommen hat, sondern man hat extra gebastelt – molekularbiologisch kann man das heutzutage machen; das ist schnelles Verfahren. Genau bei 501 hat man dieses Y ausgetauscht. Man hat da die 2 Aminosäuren, Asparagin gegen Tyrosin, getauscht und beobachtet, wie ist es mit diesem veränderten Virus? Gibt es noch neutralisierende Antikörper, also Antikörper, die das Virus in der Zellkultur an seiner Infektiösität hindern. Und da ist die Antwort ja, es gibt überhaupt keinen Unterschied, das funktioniert 100 Prozent. Es ist sogar so gewesen, dass in dem Test diese neutralisierenden Antikörper bei diesen 2 0 Patienten sogar besser waren als die Variante mit dem einen Austausch. Das heißt, schlimm wird es nicht. Aber man muss – wie alle wissenschaftlichen Ergebnisse – einordnen. Erstens ist es ein Preprint, das muss man immer dazu sagen. Aber das wird schon stimmen. Man muss es einordnen. In der britischen Variante


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sind insgesamt 2 3 Mutationen. Acht davon sind im Spike drin, eine davon in dieser Rezeptorverbindungsdomäne. Und jetzt hat man von diesen acht im Spike relevanten Mutationen eine einzige ausprobiert. Es gibt aber eine Reihe weiterer, und wir wissen nicht, ob dieses Gesamtpaket, nicht nur diese Punktmutation, sondern die gesamte Variante, die in England zirkuliert, mit dieser Neutralisation genauso gut funktioniert. Das wissen wir noch nicht. Und es ist ein Laborexperiment. Man hätte keine Phase-3-Studie gemacht, wenn man sich nur auf die Laborexperimente verlassen hätte. Dann hätte man es ja auch bei der Phase 2 belassen können.


Die Frage, ob die Infektion im wirklichen Leben verhindert wird, die ist damit nicht beantwortet.



Camillo Schumann

:


2  weitere Mankos der Studie: Es gab nur 2 0 Probanden und sie war nicht unabhängig. Pfizer hat die Studie selber gemacht.



Alexander Kekulé:


Das hat Pfizer zusammen mit anderen gemacht. Die haben an der Universität Texas schon lange eine Kooperation. Pfizer sitzt er in der Nähe von New York City, und die haben mit denen schon lange eine Kooperation. Klar, die haben das zu den Leuten geschickt, die das draufhaben und die das auch wahrscheinlich für die Phase-zwei-/Phase-drei-Studien gemacht haben. Ich sehe da kein Problem. Ich habe keinen Hinweis darauf, dass man das ein bisschen schöngerechnet hat. Und 2 0 reicht in dem Fall aus, weil man nur sehen wollte, ob es einen Unterschied gibt. Man hat das Virus verwendet, was 1:1 die Vorlage war für den Impfstoff, und verglichen mit einer Punktmutation, wo diese Stelle 501 in der Rezeptorbindung verändert wurde. Und wenn sich da absolut kein Unterschied findet, dann ist zumindest diese kleine Aussage meines Erachtens bei 2 0 handfest.


[0:33:32 ]:



Camillo Schumann

: Und dass sich das Virus auch immer stärker an den Menschen anpasst, so wie bei diesen beiden Mutation, beweisen ja auch weitere Meldungen. Und zwar wurde in Japan eine neue Mutation gefunden bei vier


Menschen, die aus Brasilien nach Japan eingereist waren. Was weiß man darüber?


[0:33:50]:



Alexander Kekulé:


Das wird in Japan als die absolute Horrornachricht gehandelt. Da gibt es die Japan Times und verschiedene andere Zeitungen, die man auch hier lesen kann. Und die überschlagen sich jetzt mit Alarmmeldungen. Aus meiner Sicht ist es so: Da ist schlicht und ergreifend die brasilianische Variante importiert worden. Das war ja nur bei vier Touristen, wo das gefunden wurde. Die heißt – auch für die Leute, die Lust haben, das nachzuschauen – nicht mehr B1.1.7 wie die britische, sondern B1.1.2 48. Und das ist die aus Brasilien, die einfach dort in Japan aufgetaucht ist, bei so einer Familie, die da eingereist ist. Diese brasilianische Variante kennen wir schon länger. Die wird in Japan möglicherweise so gehypt, weil die im Moment ein Riesenproblem haben. Die japanische Strategie funktioniert ja nicht. Ich sage das auch deshalb, weil es in Deutschland Leute gab, die damit geliebäugelt haben. Die haben ja in Tokio jetzt gerade den Notstand ausgerufen und haben einen massiven Anstieg der Fallzahlen. Das ist jetzt ein anderes Thema. Aber die Politik ist deshalb mit dem Rücken zur Wand. Und jetzt ist es denen gerade recht zu sagen, hier haben wir eine neue Variante, die vielleicht ins Land kommt. Dann können sie es auf die Biologie schieben. Was dahinter steht, ist diese brasilianische Variante. Die kennen wir schon seit ein paar Wochen. Die hat insgesamt zwölf Mutationen in diesem Spike, in diesem SProtein, was diesen Ausläufer vom Virus macht, mit dem eine Stelle dann an die Zielzelle andockt, und davon eine Mutation in der Rezeptorbindungsdomäne unter diesen sechs Aminosäuren, die genau andocken. Warum ist es wichtig? Das ist wieder eine andere. Das ist nämlich nicht diese 501Position, sondern eine andere, die 484Position, also ein bisschen daneben. Das ist deshalb wichtig, weil wir bei dieser Mutation sehen, dass sie sich in Brasilien massiv ausbreitet, hauptsächlich im Nordosten von Brasilien, im Amazonas da oben und in Bahia, wer die Region da kennt. Da scheint es so zu


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sein, als gäbe es da Re-Infektionen von Leuten, die Covid schon mal durchgemacht haben. Das hören wir hier auch in Deutschland, wenn man so die Gesundheitsämter fragt gelegentlich, dass sie sagen: Mensch, wir haben jetzt Infektionen bei Leuten, die im Frühjahr auch schon mal eine Infektion hatten. Es ist ein Fall konkret vor ein paar Tagen auch als Preprint veröffentlicht worden aus Brasilien, wo man eine Frau hatte, 45 Jahre, die im Mai eine Infektion hatte und sich im Oktober noch einmal angesteckt hat. Und es ist so gewesen, dass die 2 . Infektion sogar ein bisschen schwerer verlaufen ist. Aber sie ist nicht daran gestorben oder so. Und diese 2 . Infektion hatte eben diese 484-Mutation, diese klassische brasilianische Mutation, die jetzt auch in Japan aufgetaucht ist.


Das heißt, wir sehen hier solche Mutationen können auch zu dem führen, was wir ImmunEscape nennen, dass das Immunsystem eines Menschen dann beim 2 . Mal nicht in der Lage ist, die Infektion abzuwehren, zumindest nicht voll abzuwehren. Und das ist viel beunruhigender, was die Impfstoffe betrifft. Was kann man daraus ziehen? Wir müssen schnell impfen. Ja, wir müssen jetzt einfach schnell sein, bevor solche Mutationen immer mehr werden. Ich bin sicher, dass wir weltweit viele davon haben. Die werden ja nur gelegentlich mal gefunden, weil, wer sequenziert schon alle Viren, die er so entdeckt. Und ich glaube, dass das jetzt der Trend wird. Und wir werden in den nächsten Monaten immer mehr Mutationen haben, die dann auch durch die Impfung nicht so perfekt zu bekämpfen sind.



Camillo Schumann

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Aber eigentlich ist man doch davon ausgegangen, dass sich das Virus anpasst und dann mit weiteren Mutationen schwächer wird. Und hier wäre das ja eigentlich genau das Gegenteil.



Alexander Kekulé:


Was heißt Schwäche? Lehrbuchmäßig wäre es so. Und das ist ja auch das, was ich immer hoffe und auch verkünde: Man muss ja Optimist sein. Lehrbuchmäßig wäre es so, dass ein Virus, wenn es sich an eine Population anpasst, nach und nach kontagiös wird, also infektiöser, d.h. die Infektiösität steigt. Das


heißt, wahrscheinlich liegt es an 2 Phänomenen: Erstens die Dosis, die das Virus braucht, um jemanden anzustecken, wird geringer. Das könnte mit dieser verbesserten Bindung an den Rezeptor zusammenhängen. Und zweitens die Patienten werden dann zugunsten des Virus über einen längeren Zeitraum ansteckungsfähig. Das haben wir z.B. bei Masern. Da wissen wir, dass die Patienten zwei, drei Wochen lang ansteckend sind. Darum hat die Krankheit Masern einen R = 12 Wert, also sehr hoch. Weil schon eine kleine Dosis reicht. Und diese Kombination – die Menschen sind länger ansteckungsfähig, und das Virus braucht nur eine kleine Menge, um anzukommen – führt zu einer höheren Kontagiosität. Und dafür ist es für das Virus wiederum ungeschickt, den Menschen gleich zu töten, denn jemand, der tot ist, kann niemanden mehr anstecken. Jemand, der lange dahinsiecht, wie bei so einer richtig fiesen Erkältung, wo man zehn Tage lang schnupft, der ist toll als Vehikel für das Virus. Und darum ist der normale Weg: Kontagiosität steigt, Schwere der Erkrankungen sinkt.


Ich würde jetzt aus dem einen Fall aus Brasilien, wo man sagt, bei der Zweitinfektion hat sie schwerere Symptome gehabt, jetzt nicht schließen, dass das eine Tendenz ist. Ich hoffe immer noch, dass die Gesamttendenz für die nächsten 2 Jahre es wahrscheinlich so sein wird: Das Virus wird ansteckender sein. Der eine oder andere wird eine Zweitinfektion kriegen. Das heißt auch der Impfstoff wird nicht bei 100-Prozent wirken, aber das Virus wird weniger schwere Infektionen allgemein verursachen, sodass wir nicht die Intensivstationen voll haben damit.


[0:39:37]:



Camillo Schumann

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Bundesgesundheitsminister Spahn will das Einschleppen ebensolcher Mutationen nach Deutschland unbedingt verhindern. Und offenbar hat Spahn nach Informationen des Spiegel eine neue Rechtsverordnung an die Ministerien geschickt. Demnach soll nur noch derjenige nach Deutschland einreisen dürfen, der einen frischen negativen Corona-Test. Das gilt für Reisende, die aus Ländern zurückkehren, in denen eben diese neuen


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Mutationen aufgetreten sind oder in denen es einen hohen Inzidenzwert gibt. Außerdem muss sich jeder Reisende aus diesen Gebieten vorab online registrieren, damit dann die Gesundheitsämter das besser kontrollieren können. Und das soll offenbar ab dem 14. Januar gelten, jetzt ab Donnerstag. Werden sich die Mutationen davon irgendwie beeindrucken lassen?


[0:40:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Ich muss dann – Entschuldigung – den Satz loswerden: Warum zum Teufel hat er das nicht gemacht, als ich dringend dafür plädiert habe, im Januar 2 02 0. Da habe ich ja gesagt, dass wir genau das machen müssen, und zwar sofort, um überhaupt die Einschleppung des Virus zu bremsen. Da haben mir ja alle widersprochen damals. Aber gut, jetzt will man es bei der Mutante so machen, wie ich es damals dringend empfohlen habe. Das wissen Sie, das ich mir da auch zum Teil die Hörner blutig gestoßen habe, bei meinem VirologenKollegen, der Meinung waren, dass es sinnlos ist. Jetzt hat es viel weniger Effekt, als es damals gehabt hätte. Da hätten wir wirklich verhindern können, dass es hier so einen massiven Ausbruch in Europa oder in Deutschland gibt. Jetzt so eine Variante, die sind ja jetzt stärker infektiös. Wir werden die nicht nachhaltig zurückhalten können. Und v.a. wissen wir ja noch nicht, wie viele von diesen Varianten in Deutschland überhaupt schon zirkulieren, weil wir hier diese sogenannte genetische oder molekularbiologisches Surveillance nicht machen. Wir haben ja hier insgesamt um die 900 Sequenzdaten in Deutschland gewonnen. Noch mal zur Erinnerung: In Großbritannien liegt die wöchentliche Zahl von Sequenzen, die die so identifizieren bei 140.000 oder so. Das heißt, wir sind hier an dieser Stelle blind, was das Infektionsgeschehen im Lande betrifft. Ich finde es richtig, an der Stelle vorsorglich erst mal zu sagen – das war ja damals auch meine Empfehlung, als es überhaupt losging in Wuhan – bevor wir mehr wissen, machen wir


lieber erst mal zu. Bevor Sie wissen, ob der Hund, der da auf sie zuläuft, sie beißt oder nur spielen will, gehen Sie mal lieber davon aus, dass er beißen könnte? Dann haben sie das Risiko erst mal minimiert. Und wenn er dann noch spielen will, können Sie immer noch nett zu ihm sein und streicheln. Und so ähnlich ist das auch. Es kann sein, dass wir in drei bis vier Wochen plötzlich feststellen, dass bei uns diverse Varianten, die höherinfektiös sind, bereits zirkulieren. Ich glaube auch überhaupt nicht, dass sich das begrenzen lassen wird auf die südafrikanische und die britische. Wie gesagt, wir haben jetzt gerade über die brasilianische gesprochen, die wohl jetzt schon in Japan aufgetaucht ist. Wobei man sagen muss, bei der brasilianischen ist noch nicht nachgewiesen, dass sie wirklich höher infektiös ist. Aber es ist möglich. Und ich bin sicher, dass weltweit noch viele, viele weitere zirkulieren. Aber ja, solange das alles noch Fragezeichen sind, weil wir zu wenig genetische Analysen in Deutschland machen, würde ich sagen, es ist richtig, erst mal die Schotten dicht zu machen. Und das will der Bundesgesundheitsminister hier machen. Da hat er Recht. Es kann gut sein, dass man dann 2 Wochen später sagt, okay, wir haben schon so viele Varianten im Land, und die kommen auch aus allen Ecken, wir wissen gar nicht, wo wir in der Welt dann noch irgendwelche Einreisekontrollen verhängen sollen, sodass man das wieder zurückdreht. Aber als erste Reaktion finde ich das richtig. Auf jeden Fall reagiert er da wesentlich besser, als damals, als das Virus in Wuhan damals ausgebrochen ist.


[0:43:2 2 ]:



Camillo Schumann

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Aber trotzdem sind offenbar Ausnahmen dieser Rechtsverordnung geplant. Das gilt nicht für Diplomaten und u.a. auch nicht für Geschäftsreisende. Von denen gibt es ja auch eine Menge. Müsste so etwas nicht für alle gelten?


[0:43:36]:


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Alexander Kekulé:


Oh, das habe ich jetzt gar nicht gewusst. Bei den Diplomaten ist das juristisch schwierig, weil für Diplomaten gilt ja, wenn ich das richtig verstanden habe, dass das Fremdland keine Bestimmungen über die treffen darf, das muss das eigene Land machen. Da kann man aber auch davon ausgehen – das ist ja eine privilegierte Reisegruppe –, dass die schon sehr engmaschig kontrolliert werden. Ich glaube nicht, dass es so viele Länder gibt, wo die Diplomaten sich komplett unachtsam, verhalten oder ohne Kontrollen einreisen würden. Wenn es eine Empfehlung für Diplomaten gibt, werden die meisten Länder das auch einhalten, ohne dass man das per Rechtsverordnung festlegen muss. Ich glaube, das kann man auch gar nicht bei ausländischen Diplomaten. Und das 2 . ist bei Geschäftsreisenden. Da könnte man das festlegen. Und da muss ich sagen, das ist wieder so eine Lücke, die verstehe ich zumindest nicht. Vielleicht gibt es dazu eine Begründung. Ich fordere neuerdings wirklich eine Begründungskultur, weil es schwierig ist, das nachzuvollziehen. Vielleicht gibt es eine Begründung, warum das bei Geschäftsreisenden nicht gehen soll. Wir haben ja im Moment die Situation, dass sowieso kaum Urlaubsreisende unterwegs sind wegen der Restriktionen. Und es geht ja hauptsächlich um Geschäftsreisende. Dass man ausgerechnet die jetzt davon ausnimmt, verstehe ich ehrlich gesagt auf Anhieb nicht. Sie erinnern sich an die erste Einschleppung von Covid-19/Sars-Cov-2  durch eine chinesische Mitarbeiterin eines Autozulieferers bei München, die aus Shanghai kam. Das war ja eine Geschäftsreisende. Es gibt keine Evidenz dafür, dass Geschäftsreisende immun gegen das Virus wären.


Die Pandemie ist in Norditalien so richtig hochgekocht, weil sich da schon in der ersten Stufe eine damals höher infektiöse Variante durchgesetzt hatte, und von dort nach Südamerika. Der erste Fall in Brasilien oder überhaupt in Südamerika ist ein Geschäftsreisender aus Brasilien gewesen, der aus


Norditalien zurückgekehrt ist. Es ist nicht so, dass die Geschäftsreisenden jetzt hier keine Geschichte hätten in dieser Pandemie. Ich weiß nicht, ob es da nur mir so geht, weil ich als jemand, der da vom Fach ist, das immer gern verstehen will. Ich wundere mich eigentlich, das nicht mehr Bürger sagen: Mensch, klar, das machen wir alles mit. Aber wir wollen gerne wissen, warum? Diese Frage wird kaum gestellt. Und das würde mir wirklich wünschen, dass wir das ändern in Deutschland, weil die meisten Dinge irgendeine Begründung haben. Und da muss man sagen: Mit den Diplomaten, da gibt es das und das Gesetz, warum wir das nicht machen können. Ich schätze, dass es so eins gibt. Und bei den Geschäftsreisen muss man sagen: Aus den und den Gründen machen wir es nicht. Sonst sieht es ja so aus, als würde man gerade die Gruppe, die jetzt historisch das Virus aus der ganzen Welt bereits verschleppt hat und die aus Wirtschaftsgründen sozusagen privilegiert ist, als würde man die hier wieder privilegieren, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Und dieser Hautgout liegt ja da sowieso in der Luft im Moment. Die Schulen sind zu, alles, was Freizeitaktivitäten sind, ist verboten, man darf nicht einmal mehr zum Rodeln gehen in manchen Regionen an der frischen Luft, aber in den Büros wird weiter munter gearbeitet, wird in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt, und zwar ohne Maske zum Teil. Dieser Hautgout liegt ja in der Luft, dass die Wirtschaft hier favorisiert würde. Ich mach den Vorwurf nicht, aber ich finde, wenn man den Vorwurf vermeiden will, muss man erklären, warum man so etwas macht.


[0:47:2 5]:



Camillo Schumann

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Irgendjemand muss ja den Laden am Laufen halten. (Beide lachen.) Wir verlassen dieses Thema und kommen kurz noch mal auf die Impfungen zurück. Zum einen die Frage, die wir geklärt haben mit der Wirksamkeit bei den Mutationen. Und es gibt noch eine Beobachtung im Zusammenhang mit der Impfung, die


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für Verwirrung sorgt, geschildert von dieser Hörerin:


[0:47:51]:


„Eine gute Bekannte von mir, die 92  ist, selbst Impfärztin war und bestimmt keinen Stuss erzählt in der Hinsicht, ist im Altersheim in Berlin am 2 . oder 3.1. – weiß ich jetzt nicht genau – und hat heute hat ein positives Testergebnis für Corona bekommen. Wie kann das zusammenhängen? Das kommt mir irgendwie sehr merkwürdig vor, wenn die Impfung den Erfolg hat, dass sie positiv getestet wird. Wenigstens für drei Tage sollte sie ja wohl vorhalten. Wie hängt das zusammen? Dankeschön.“


[0:48:2 6]:



Camillo Schumann

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Das war die Schilderung aus Berlin. In der oberfränkischen Marktgemeinde Küps im Landkreis Kronach haben sich im Seniorenheim „Sonnenblick“ auch mehrere Bewohner und Pflegekräfte trotz einer ersten Corona-Impfung mit Sars infiziert. Und das, obwohl die Schnelltest vor der Impfung negativ waren. Wie ist das erklärbar?


[0:48:45]:



Alexander Kekulé:


Ja, erstens muss man sagen: Die Impfaktion ist auch eine Exposition. Da kommen ja Fremde in das Heim rein und impfen. Da muss man höllisch aufpassen, dass es dar nicht zu einer Verbreitung des Virus‘ kommt. Ich gehe davon aus, dass das in diesen beiden Fällen gemacht wurde. Ich sage es noch mal, dass das wichtig ist, damit man das im Auge behält. Und dann ist es so ja, wenn sie eine Kopfschmerztablette nehmen. Die wirkt nach 2 0 Minuten und nach 2 Stunden nicht mehr so stark. Und deshalb ist dieser Impuls verständlich, dass man sagt, Mensch, die ist gerade geimpft worden, das muss mindestens ein paar Tage halten.


Aber bei Impfstoffen ist es genau umgekehrt. Wir wissen, dass sich der Immunschutz eigentlich erst nach zehn bis 14 Tagen nach der ersten Impfung aufbaut. Das Immunsystem braucht einfach so lange, bis es diese sogenan-


nte adaptive Immunität entwickelt. Das lernende Immunsystem braucht so lange. Das sind mehrere Schritte, die hier passieren. Und deshalb ist es normal, dass unmittelbar nach der Impfung Menschen noch positiv werden, auch wenn die erste Impfung dann nach 14 Tagen doch relativ guten Schutz bietet, haben wir ja schon darüber gesprochen. Und das heißt, es gibt 2 Varianten: Die eine ist: Die Betroffenen hatten sich schon vor der Impfung infiziert, und das ist erst nach der Impfung ausgebrochen. So was hat man übrigens bei den Zulassungsstudien, diesen sogenannten Phasedrei-Studien von Biontech und Moderna relativ häufig gesehen. Da ist ein relativ großer Teil der Leute, die geimpft wurden, gleich in den ersten zehn Tagen positiv geworden. Das ist gemein für die Hersteller, denn da haben sie offensichtlich jemanden geimpft, der das Virus schon in sich hatte. Das versaut einem total die Statistik. Aber es spricht eigentlich nicht gegen die Wirksamkeit des Impfstoffs. Und hier haben wir es genauso. Das ist sehr wahrscheinlich so gewesen, dass entweder kurz vor der Impfung oder unmittelbar nach der Impfung es zu einer Infektion gekommen ist und das ist dann nicht zu erwarten, dass man innerhalb der ersten 14 Tage schon geschützt ist.


Das kann man vielleicht auch mit dem Appell verbinden, denn wir werden jetzt viele Menschen haben, die geimpft sind in nächster Zeit. Zumindest nach der ersten Impfung darf man wirklich nicht davon ausgehen, dass man jetzt wieder Halli Galli machen kann und alles in Ordnung ist und man geschützt ist. Und man muss wirklich wissen, dass man danach auch ansteckend sein kann. Man kann sich auch selbst anstecken. Und man muss im Grunde genommen bis 14 Tage nach der 2 . Impfung päpstlicher sein als der Papst und diese Hygieneregeln weiter einzuhalten.



Camillo Schumann

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Aber kann es nicht sein, wenn man sich vorher schon infiziert hat, dann bekommt man noch mal eine Dosis durch die Impfung, dass man dann erst recht ausgeknockt wird?



Alexander Kekulé:


Ja, da stellen Sie in Ihrem jugendlichen Leichtsinn eine schwierige Frage. Das wissen wir nicht. Der Pfizer./Biontech-Impfstoff wurde ja


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an deutlich über 2 0.000 Menschen verimpft. Da hat man festgestellt: wenig Nebenwirkungen, das muss ich wirklich sagen. Die Nebenwirkungen sind extrem gering, auch wenn da der eine oder andere Mal allergische Reaktion gezeigt hat. Aber die Leute, die man da zur Verfügung hatte, waren fast alles Menschen, die noch keinen Kontakt mit dem Virus hatten. Das liegt am Zeitpunkt der Studien, und wo man sie gemacht hat. Wir wissen nicht, was dieser Impfstoff macht bei Leuten, die gerade mit dem Virus kämpfen oder die die Virusinfektion schon durchgemacht haben, die deshalb eigentlich schon eine Immunantwort entwickeln. Möglicherweise waren das auch die Gründe für diese allergischen Reaktionen, die wir gesehen haben. Das ist unbekannt. Das heißt, man hat ja bei den Zulassungsstudien nicht, bevor man losgelegt hat, festgestellt, sind das alles Leute ohne Covid19-Infektionen in der Vergangenheit oder ist ein Teil davon Covid-19 infiziert gewesen oder hat ein Teil bereits im Moment? Im Gegenteil, man hat ja gesehen, dass man wohl ein paar erwischt hat, die schon infiziert waren, gerade akut. Und diese Differenzierung, was in dem Fall passiert, wenn jemand schon die Infektion durchgemacht hat, das wissen wir nicht. Dieser Teil der Population steigt aber ständig, das ist ja klar, weil die natürlichen Infektionen weiterlaufen. Und das wird dann sicherlich die Zweitund Drittauswertung, die sogenannte SurveillanceUntersuchung oder Post-Marketingstudien, die jetzt laufen, zeigen, ob es da irgendeinen Effekt gibt. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Ich vermute auch, dass es nicht so ist. Aber man muss ehrlicherweise sagen, die Frage ist bis jetzt nicht beantwortet.


[0:53:2 1]:



Camillo Schumann

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Vielleicht bringt auch die Beantwortung der Fragebögen nach der Impfung ein bisschen Licht ins Dunkel. Offenbar scheinen sich auch die Nebenwirkungen zumindest in Deutschland bisher in Grenzen zu halten. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, hat NTV gesagt:


„Zwar seien dem Institut in der ersten Impfwoche in sechs von 130.000 Fällen von schwerwiegenden Reaktionen berichtet


worden, aber es sei bislang unklar, ob sie im direkten Zusammenhang mit der Impfung stehen. Aber es ist so, dass allergische Reaktionen aufgetreten sind, aber nicht die erwarteten anaphylaktischen Reaktion. Das, was aufgetreten ist, war wesentlich milder.“


Da gibt es ja dann auch so ein Sicherheitsbericht, den das Paul-Ehrlich-Institut veröffentlicht. Der letzte ist vom 4. Januar, was ja eben die erste Impfwoche betrifft. Das wird schon gut überwacht.


[0:54:09]:



Alexander Kekulé:


Ja, da gehe ich fest davon aus. Ich kenne Herrn Cichutek schon seit sehr langer Zeit. Das ist wirklich einer der super gründlichen Virologen, die das extrem ernst nehmen solche Themen. Und unsere deutschen Behörden sind da absolut unbestechlich. Die können für Politiker die Pest sein, wenn es drauf ankommt, weil die so stur ihren wissenschaftlichen Stiefel durchziehen. Deshalb, glaube ich, sind wir da in guten Händen. Das Gleiche gilt nach meiner Einschätzung auch für die CDC in den USA, die amerikanische Behörde, die da zuständig ist. Bei denen ist es ein bisschen anders aufgeteilt als bei uns. Hier gibt es ja das RKI und das PaulEhrlich-Institut. Letzteres ist für die Impfstoffe und Sera aus historischen Gründen zuständig. Die Behörden in den USA haben von dem Pfizer/Biontech-Impfstoff meines Wissens schon über 2  Millionen Dosen verimpft und ausgewertet und haben da auch kürzlich eine Zwischenauswertung der Daten präsentiert. Das hält sich absolut in Grenzen. Ich glaube, da waren ein oder 2 sehr schwere Verläufe dabei. Wobei man immer sagen muss: Mensch, wenn sie 2  Millionen Menschen an einem Tag X fragen, was hast du gerade für Erkrankungen, dann haben sie immer irgendeinen dabei, der plötzlich gestern schwer krank geworden ist. Und das dann kausal auf den Impfstoff zurückzuführen, ist statistisch gar nicht so einfach. Ich würde davon ausgehen: Für eine Impfreaktion wollen wir ja immer haben: Schwellung, Rötung, Schmerzen. Auch wenn das brutal klingt. Das ist ja der gewünschte Effekt, weil dadurch das Immunsystem anspringt und die Antikörper und die T-Zellen bildet, die das Virus eliminieren sollen. Und der Übergang


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dieser lokalen Wirkung, dass man dann ein, 2 Tage vielleicht schlapp ist, ein bisschen Fieber hat, zu der echten allergischen, ist ein fließender Übergang, das empfindet auch jeder ein bisschen anders. Und manche Menschen sind empfindlicher. Und ja, es gibt immer Leute. Auch jeder Kinderarzt kann das bestätigen, dass alle ein, 2 Jahre kommt das in seiner Praxis vor, dass er ein Kind impft, und das hat dann eine allergische Reaktion. Da muss er seine Notfallkoffer rausziehen, vielleicht den Notarzt rufen. Das ist dramatisch. Aber im Verhältnis zu den Millionen, die geimpft werden, ist es eben selten. Und man weiß auch nicht genau, woran das liegt. Deshalb würde ich sagen, solange wir jetzt nichts hören von unerwarteten, massiven Nebenwirkungen, gehe ich davon aus, dass der sicher ist.



Camillo Schumann

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Beim Deutschen wirkt es anders, das ist klar.



Alexander Kekulé:


Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt: Wir wissen, dass solche genetischen Dinge auch nach Ethnien unterschiedlich sind, ob sie Farbige oder einen Kaukasen oder sonstwas impfen. Das ist ein Unterschied. Und das wird noch spannend. Das kann schon sein, dass man dann feststellt, dass es bei dem einen oder anderen besser oder schlechter oder häufiger oder seltener Nebenwirkungen gibt. Aber da kann man nur sagen, das ist ja bei der Infektion genauso. Es gibt ja Leute, die reagieren auf solche Virusinfektionen, die drücken das irgendwie weg ohne irgendetwas, und andere sind massiv krank. Und es liegt auch an den Genen. Und übrigens lernen wir als Nebeneffekt hier bei dieser Sars-Cov-2 -Pandemie über diese immunologische Antwort sehr viel. Das nützt uns auch sehr viel für andere Erkrankungen, um die besser zu verstehen.


[0:57:31]:



Camillo Schumann

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Und diese Nebenwirkung – es werden ja jetzt jeden Tag so über den Daumen 50.000 Menschen geimpft – kann auch jeder selbst im Paul-Ehrlich-Institut melden. Da gibt es einen Link zu einem Formular, das kann man dann ausfüllen und über sein Befinden berichten.


Die Nebenwirkungen, wie gesagt, die werden dann im Sicherheitsbericht veröffentlicht. Und den Link gibt es wie immer in der verschriftlichen Versionen dieses Podcasts immer unter jedem Podcast. Und ob man sich dann noch einmal infiziert hat oder nicht, das kann man ja vielleicht mit einem Schnelltest am besten rausfinden. Womit wir beim letzten Thema für diesen Podcast wären. Diese Schnelltests gibt es offiziell nur noch für medizinisches Personal. Oder man geht in so ein Schnelltest-Zentrum. In der Apotheke kann man das auch machen. Frei verkäuflich für jedermann sind die noch nicht. Sie plädieren ja schon seit Monaten dafür, dass sich jeder für einen Euro in der Apotheke so einen Schnelltest besorgen kann und dass so ein Schnelltest von jedermann genauso gut durchgeführt werden kann, wie wenn es medizinisches Personal tut. Das ist jetzt in einer Studie der Charité nachgewiesen worden, mit einem ziemlich deutlichen Ergebnis, wie ich finde, oder?


[0:58:39]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich liebe die Charité an der Stelle. Die haben das, was ich seit so vielen Monaten fordere und wo alle, einschließlich irgendwelche Ärzteverbände und Fachleute aller Richtungen, gesagt haben, das geht total in die Hose. Vor allem Ärzte, die da immer Geld daran verdienen. Die haben jetzt wirklich gezeigt, dass der Selbsttest im Prinzip genauso gute Ergebnisse liefert, als wenn die Abnahme von einem Profi gemacht wurde. Übrigens das Institut für Tropenmedizin und auch ein Virologe vom Institut für Virologie waren beteiligt. Aber es ist jetzt keine Studie des Instituts für Virologie, sondern die Tropenmedizin, die schon ein paarmal interessante Daten veröffentlicht hat, hat sich da eine Runde von Probanden genommen, 146 an der Zahl, und hat denen einfach nur eine schriftliche Anleitung in die Hand gedrückt. Auf dieser Anleitung waren kleine Bildchen dabei. Und dann mussten die sich selber da den Nasen-Rachen-Abstrich machen, was ja nicht trivial ist für Leute, die da keine Erfahrung haben. Das wurde nicht angelernt, sondern nach der Papierform sollten die das machen. Und trotzdem war es so, dass die Ergebnisse gleich gut waren, als wenn die


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Profis das machen. Die Sensitivität, die Nachweis-Quote lag bei dem Selbsttest bei 82 ,5 Prozent für den Antigen-Schnelltest. Die mussten sogar auch das Tropfen hinterher selber machen, den Antigentest komplett selber durchführen. Und bei den Profis, wenn die Profis gemacht haben, war es 85 Prozent. Diese 2 ,5 Prozent sind aber kein wirklich signifikanter Unterschied. Und das Wichtigste ist, wenn der Test negativ war – und darauf kommt es ja hauptsächlich an, wenn man sich selber testet und es ist ein Negativ-Test –, dann heißt es ja, man hat das Virus mit dem Schnelltest nicht nachgewiesen. Die Übereinstimmung der negativen Tests war zwischen den selbstgemachten Tests und den Tests, die die Profis gemacht haben, 99,1 Prozent. Mehr geht eigentlich nicht bei so einer Studie. Und dann haben sie noch eine weitere Auswertung gemacht, weil ja diese Schnelltests immer die Besonderheit haben, dass sie hauptsächlich Leute mit einer höheren Viruslast erkennen und Leute, die wenig Virus im Rachen haben, möglicherweise bei den Tests nicht erkannt werden. Da haben ja viele Leute gesagt, deshalb dürfen wir die nicht verwenden. Und mein Argument ist, gerade deshalb sind sie epidemiologisch brauchbar, denn wir wollen ja gar nicht die aus dem Verkehr ziehen, die gar nicht infektiös sind und nur wenig Virus im Rachen haben. Und da ist es so, dass bei denen, die eine hohe Viruslast haben, also die klar ansteckend waren, da waren die Ergebnisse, dass 96,6, rund 97 Also in 97 Prozent hat man die dann gefunden, die Positiven. Und da war überhaupt kein Unterschied in der Gruppe der Personen, die sich selber getestet haben, und der Tests, die gemacht von Professionellen gemacht wurden. Das heißt unterm Strich, man kann diese Tests wirklich selber machen. Ich kann nur noch einmal dazu aufrufen, dass – wo diese Tests auch bei meinen Kollegen und sogar beim Bundesgesundheitsministerium endlich salonfähig geworden sind –, diese Tests freigibt für den Selbsttest.


[1:01:50]:



Camillo Schumann

:


Tja, das ist ein schönes Beispiel für ihre geforderte Begründungskultur. Die hätte man


ja jetzt, was die Wirksamkeit dieses Schnelltests angeht. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 137, Herr Kekulé.


Und wir wollen die Sendung mal mit einer überraschenden Aussage beenden. Die Aussage kommt von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der bei Markus Lanz etwas gemacht hat, was sonst selten Politiker tun. Er hat einen Fehler, zugegeben, er hat seinen anfänglichen Widerstand gegen härtere Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaAusbreitung bereut. Und das hat er gesagt:


„Ich habe mich von Hoffnungen leiten lassen, die sich jetzt als bitterer Fehler zeigen. Und ich muss das einfach sagen: Ich weiß auch, ich habe es noch genau im Ohr, dass die Bundeskanzlerin eindringlich gesagt hat: Es werden Zahlen auf uns zukommen, da werden wir uns noch sehr, sehr, sehr, sehr daran erinnern und wünschen, dass wir sie wieder hätten. Und ich muss sagen, sie hat recht gehabt, und ich habe unrecht gehabt.“


[1:02 :51]:



Camillo Schumann

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Hört man selten, oder? Das kann man so stehen lassen.



Alexander Kekulé: Ja, das kann man so stehen lassen. Vielleicht aus meiner Sicht: Man muss jetzt aufpassen, dass so etwas nicht in die Gegenrichtung umschlägt, denn im Moment schreien alle nach noch härteren Lockdwons, um noch geringere Fallzahlen zu kriegen. Gerade die Länder, die früher dagegen waren, Sachsen und Thüringen, sind ja jetzt die Speerspitze der Bewegung bei den Einschränkungen. Hoffnung ist, wie Herr Ramelow richtig sagt, für einen politischen Profi kein guter Ratgeber. Aber Angst ist auch kein guter Ratgeber. Deshalb bin ich sehr für eine Versachlichung. Und da muss man aufpassen, dass man nicht emotional in die Gegenrichtung schlägt. Wissenschaftlern wird ja immer vorgeworfen, dass sie so kaltblütig sind und dass sie so sachlich sind. Ja, aber was soll man sonst machen? Weder Hoffnung noch Angst, sondern wir müssen uns die Evidenz anschauen. Und dann plädiere ich dafür, dass die ein bisschen besser


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wird, dass wir besseres Zahlenmaterial haben für die Entscheidungsfindung.


[1:03:50]:



Camillo Schumann

:


Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Sehr gerne, ich freue ich mich drauf, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Samstag, 09.01.2 02 1 Hörer-Fragen SPEZIAL #136: Fragen zu Kerzen, Kinderwunsch und Mutationen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann

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Samstag, 9. Januar 2 02 1.


Wie schützt man sich gegen die neue VirusMutation? Muss man sich jedes Jahr impfen lassen?


Und: muss es immer derselbe Impfstoff sein? Schützt eine brennende Kerze vor Ansteckung?


Sollten sich Frauen mit Kinderwunsch besser nicht impfen lassen?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem


Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL


nur mit ihren Fragen.


Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Herr K. aus Köln hat gemailt:


„Was bedeutet das für das konkrete Verhalten im Alltag, dass die neue Virusmutante aus Großbritannien viel ansteckender ist? Schützt zum Beispiel eine FFP2 -Maske dann nicht mehr so zuverlässig, zum Beispiel im Supermarkt oder im ICE. Und wenn ja, wieso ist das so, obwohl die mechanische Barriere dieselbe ist. Viele Grüße.“


3 [0:01:00]:


Die Ansteckungsfähigkeit kann man ungefähr an dieser Basisreproduktionszahl festmachen. Wie hoch dieses R wäre, wenn man keine Gegenmaßnahmen ergreift. Da sind die Schätzungen so, dass das R bei diesem Sars-CoV-2  im Bereich von 3,0 liegt. Und die Briten berichten, dass die neue Variante bei R = 3,5 bis 3,7, also 0,5 bis 0,7 höher liegt. Das ist aber eine Abweichung, die nicht eklatant ist. Zum Vergleich: Bei Masern ist das R im Bereich von 12  und bei Windpocken wahrscheinlich im Bereich von 10. So genau hat man das nicht bestimmt. Das heißt, hier wird jetzt nicht aus einem mäßig ansteckenden Virus ein super ansteckendes Virus, sondern es ist ein epidemiologischer Effekt, der sich nur bei einer sehr großen Zahl von Personen zeigt. Deshalb sind genau die gleichen Maßnahmen weiterhin wirksam. Rein theoretisch-akademisch müsste man sagen, das ist nicht ganz so gut. Aber das ist etwas, was sich erst hinterm Komma abspielt und für unser praktisches Leben keine Rolle spielt.


[0:02 :06]:



Camillo Schumann

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Kurz nachgehakt: Nichtsdestotrotz wird davon gesprochen, dass diese Virusmutante sich wesentlich schneller ausbreitet. Ist das übertrieben?


[0:02 :18]:



Alexander Kekulé:


Na, das „wesentlich“ bezieht sich letztlich auf die Gesamtpopulation. Wir haben es ja hier mit einer Exponentialfunktion zu tun. Dadurch ist – auf die Gesamtbevölkerung gesehen – klar, das wird wesentlich mehr, was sich nach vier Wochen angesteckt hat.


Andererseits ist es so: Wir ergreifen zwar epidemische Maßnahmen, aber unser Problem ist, dass wir insgesamt nicht genau wissen, welche Maßnahmen wirksam sind und welche nicht. Der Lockdown wirkt, weil man alles zumacht. Und es kann schon sein, dass die eine oder andere Sondersituation so ist, dass man mehr Menschen ansteckt, zum Beispiel wenn


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man ein Superspreading-Ereignis hat. Und man hat ein Virus, was zum Beispiel mit 3,7 sich vermehrt statt mit 3,0. Dann ist zu erwarten, dass sich bei einem SuperspreadingEreignis mehr Menschen infizieren. Das kann man aber nicht auf die Situation mit der FFP2 Maske übertragen. Die FFP2 oder FFP3Masken schützen sehr weitgehend. Und das reicht für den Alltag aus. Die Probleme sind woanders, nämlich da, wo die Maske oft nicht dicht sitzt, dass vor allem an der Nase oben die Luft rausund reingeht. Und diese Dinge sind viel schlimmer und schlagen viel stärker ins Kontor als die Frage, ob das jetzt R =3,0 oder 3,50 ist.


[0:03:43]:



Camillo Schumann

:


Und weiß man denn, wie sich das Virus verändert hat, dass es sich jetzt so schnell ausbreitet? Also was hat sich da so konkret verändert?


[0:03:52 ]:



Alexander Kekulé:


Wir hatten das vor Weihnachten relativ detailliert in einer Ausgabe besprochen. Es ist so, dass sich mehrere Mutationen angesammelt haben bei dem Virus bei dieser Variante, die in Großbritannien entdeckt wurde. Das ist ein ganzes Paket von Mutationen. Deshalb spricht man auch von einer neuen Variante, die hier aufgetreten ist. Insgesamt sind acht von diesen Mutationen im sogenannten Spike, also in diesem Bereich, wo das Virus andockt an seine Zielzelle. Ganz konkret an dieser Andocking-Stelle vorne hat sich da etwas verändert. Deshalb ist die Vermutung naheliegend – und das wird auch durch Zellkulturexperimente unterlegt –, dass die Bindung dieses Virus an diesen ACE2 -Rezeptor möglicherweise etwas besser ist. Das mit der Bindung darf man sich nicht so vorstellen: je fester das Virus sich da anklammert, desto infektiöser wird es. Vielmehr ist das eine relativ aufwendig konzertierte Aktion. Das Virus muss genau an diesen Rezeptor andocken. Dann muss es aber wieder das Stück, mit dem es


angedockt hat, das schneidet es ab, um dann weiter in die Zelle reinzukommen. Also wenn man so sagen darf: Die Türklinke muss es auch wieder loslassen, sonst kann es nicht durch die Tür durchgehen. Und dafür gibt es auch bestimmte Funktionen. Auch an dieser Stelle, wo dieser Schnitt in dem in dem in dem Protein gemacht wird, bleibt das letzte Stück hängen. Auch an dieser Stelle hat sich bei dieser Variante etwas verändert, sodass die Vermutung schon naheliegt, dass der Gesamtprozess – Andocken und anschließendes Eintreten in die Zelle, die der infiziert werden soll, also irgendeine Schleimhautzelle in den Atemwegen – eben einfach effizienter läuft.



Camillo Schumann

:


Das heißt, die Übertragung ist gleichgeblieben. Die Aufnahme geht aber schneller?



Alexander Kekulé:


Ja, aber das darf man sich dann genauso vorstellen, wie Sie sagen. Aber der entscheidende Punkt ist: Wenn die Aufnahme schneller geht oder effizienter geht, dann genügen weniger Viruspartikel für eine Ansteckung. Das ist sozusagen der Schlüssel. Das heißt, jemand, der nicht so viel ausscheidet, ist dann trotzdem noch infektiös, weil ein paar wenige Partikel dann ausreichen, um doch eine Infektion auszulösen. Und so hängt das zusammen.



Camillo Schumann

:


Na, klasse, das heißt: überall Maske tragen, auch unter der Dusche?



Alexander Kekulé:


Nein, einfach das weitermachen wie bisher. Ich glaube, dass unser Wissen über unsere Schwachstellen im Lockdown noch nicht richtig funktioniert. Und das sind ja ganz andere. Das ist nicht die Frage, ob diejenigen, die eine Maske aufhaben, die richtige Maske tragen, oder man eine Maske unter der Dusche aufhaben soll. Sie wissen, wenn sie nass ist, muss man wechseln.



Camillo Schumann

:


Das war Spaß.



Alexander Kekulé:


Aber das Problem sind einfach die, die gar keine Maske auf haben. Und im medizinischen


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Bereich kann man durchaus auch sagen, also einschließlich Altenpflege, wenn das Personal, was teilweise mit Menschen zusammen ist, die die sehr viele Viren ausscheiden, wo eine hohe Infektionsgefahr ist, wenn die ihre Maske nicht richtig im Gesicht haben, dann ist das gefährlich und führt dann zu Infektionen. Das heißt also, diese Dinge sind viel wichtiger: Hat das Personal die Masken richtig auf? Werden die Vorschriften, die man für Heime entwickelt hat, überall konsequent eingehalten? Wie ist es im Nachtdienst? Ist es dann so, dass die Schwester, die da Dienst hat, fünf Stationen auf einmal versorgt? Wenn sie das macht, hat sie die Möglichkeit und genug Zeit, sich zwischendurch zu desinfizieren. Die ganz simplen praktischen Sachen sind viel wichtiger für unsere Infektionsabwehr als die Frage, ob das R von 3,0 auf 3,5 gestiegen ist.


Aber ja, für die Gesamtbevölkerung ist das eine ganz schlechte Nachricht, weil sie dann eine schnellere Durchseuchung bekommen und wir noch schneller impfen müssen, um dieses Geschehen zu überholen.



Camillo Schumann

:


Dieser Herr hat angerufen, er diskutiert ab und zu mal mit Freunden und Bekannten und bräuchte mal ein paar Fakten.


[0:08:03]:


„Ich habe das Problem in Diskussionen mit Corona-Skeptikern oder PCR Skeptikern, die sagen, mit dem PCR-Test werden so viele Zyklen durchgeführt, 30, 35, 40, 45, dass die Werte, die dann da entstehen, zu ungenau sind und nicht passend sind. Ich entgegnete dagegen, dass bei den Tests individuell ermittelt wird pro Probe, wie der CT wert ist, und über diesen CT-Wert man sehr gut nachvollziehen kann, inwieweit man infektiös ist und wie der Krankheitsverlauf war. Da findet man leider im Internet kaum eine Quelle, dass der CT-Wert individuell ermittelt wird.“


[0:08:51]:



Alexander Kekulé:


Ja, es ist völlig richtig mit dem CT-Wert, das ist die Zahl der Zyklen, die man in der PCR fahren muss, um ein positives Signal zu bekommen.


Und bei der PCR ist es ja so, dass das Genom des Virus, das Erbgut des Virus, in einem chemischen Verfahren verdoppelt wird. Dann hat man ja vier, und wenn man das noch einmal verdoppelt, hat man acht und dann 16, 32 , 64, und wenn man es zehnmal macht 1.02 4 und so weiter. Das heißt also, man vermehrt in sehr großer Zahl dieses Genom des Virus. Und irgendwann sagt das Nachweisverfahren, Bing, da ist ein Virus da oder auch gar nicht. Und man kann – so empfindlich ist die Methode unter experimentellen Bedingungen, jetzt nicht mit der Routinediagnostik – ein einzelnes Genom nachweisen. Das ist so unglaublich empfindlich, dass man ein einziges Virus nachweisen könnte. Das findet bei der Routinediagnostik nicht so statt. Und deshalb sagt man, okay, ab wann gilt es denn als positiv? Und da ist so eine Grenze eingebaut. Wir nennen das Cutoff, also da, wo abgeschnitten wird. Meistens liegt der Cutoff für die Verfahren – das wird in jedem Labor je nach Methode separat bestimmt –, aber der liegt meistens in der Größenordnung zwischen 33 und 35 CT. Das heißt also 2 hoch 33 hätte man sozusagen vermehrt bei der ganzen Sache. Das ist eine Empfindlichkeit, die dann über die Infektiösität nicht unbedingt was aussagt. Die sagt etwas darüber aus, dass das Virus da ist. Die PCR ist extrem spezifisch, wie wir sagen. Die irrt sich also nicht bei dem, was sie nachweist. Wenn die positiv ist, dann ist das Virus da, oder zumindest sein Genom. Das kann auch ein totes Virus, also ein nicht vermehrungsfähiges Virus sein. Aber die sagt jetzt nichts darüber aus, ob genug Viruspartikel da sind, um effizient eine Ansteckung zu machen. Und da sagen wir seit einiger Zeit den diagnostischen Laboren, ab einem Wert von 30 ungefähr – das ist weitgehend anerkannt – gilt der Patient nicht mehr als infektiös. Ich habe das auch schon gesehen, dass Gesundheitsämter dann gesagt haben CT war über 30. Ja, das ist jemand, der offensichtlich die Infektion durchgemacht hat und noch so ein paar Viren oder Virusgenome übrig hat im Speichel. Aber der gilt uns jetzt nicht mehr als infektiös. Der darf sich wieder ganz normal verhalten. – Da


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unterscheiden sich übrigens die Gesundheitsämter. Es gibt auch andere, die sagen, nein, wenn irgendetwas nachweisbar ist in der PCR, muss derjenige in Quarantäne bzw. in die Isolierung definitionsgemäß. Und das ist eine kleine Schwierigkeit. Und die sogenannten Corona-Kritiker haben das aufgespießt. Die sagen – und an der Stelle ist das Argument nicht ganz falsch Wenn einer ein CT von 30 hat, wieso muss er jetzt in Isolation für zehn Tage?


Und es gibt ja skurrile Fälle. Da gibt es Menschen, die sind so neugierig, dass die nach zehn Tagen, wenn sie von der Isolierungsanordnung vom Gesundheitsamt bekommen haben, dann sagen sie nicht, okay, der Spuk ist vorbei, ich gehe wieder raus zum Einkaufen. Nein, dann lassen sie noch einmal einen Test machen, oder der Arzt war neugierig und macht noch mal ein Test. Und dann sieht man, ups, die PCR ist immer noch positiv. Da können Sie noch einmal zehn Tage Quarantäne machen. Und sie kriegen auch von einigen Gesundheitsämtern dann die Quarantäneanordnung. Und Sie werden es nicht glauben: Es gibt Fälle, wo dann Leute nach sechs und acht Wochen völlig verzweifelt sind, weil sie irgendwie noch Spuren von Virusgenomen im Speichel haben. Das geht bei denen halt dann einfach nicht so schnell weg wie bei anderen. Und da gibt es sture Gesundheitsämter in Deutschland, die sagen, okay, Quarantäne, noch mal zehn Tage, noch mal zehn Tage. Das ist Futter für die Corona-Kritiker. Und deshalb sind die Virologen, die sich mit dem Thema intensiver beschäftigen, sich einig, dass man irgendwo bei 30, manche sagen sogar schon bei 2 9, 2 8 sagen muss, das ist jemand, der hat wohl Covid19 durchgemacht. Der gilt aber für uns nicht mehr als infektiös.


[0:12 :54]:



Camillo Schumann

:


Dann verstehe ich nicht, warum man das nicht bundesweit einheitlich gemacht hat, bspw. 30 und fertig für alle Gesundheitsämter. Warum es solche individuellen Lösungen gibt, das kann ich als Außenstehender nicht nachvollziehen.


[0:13:10]:



Alexander Kekulé:


Es gibt verschiedene Verfahren, mit denen man das nachweist, verschiedene Maschinen, verschiedene Hersteller. Und bei jedem ist der CT-Wert etwas anders. Und wenn man es ganz genau nimmt, ist es sogar so, dass jedes Labor für sich das auch noch einmal austariert, damit der Cutoff sauber ist, wo man sagt, okay, da ist es bei uns positiv, da ist es negativ. Und dann gibt es da noch einen Bereich dazwischen. Den nennen wir eben nicht genau feststellbar. Jetzt gibt es Labore, die sagen, bei nicht feststellbar bitte noch mal eine Probe einschicken. Das finde ich eigentlich das Vernünftigste. Es gibt aber andere Labore, die schreiben dann auf dem Befund drauf, schwach positiv, wenn es grenzwertig ist. Was soll jetzt jemanden im Gesundheitsamt, so ein armer Amtsarzt, mit der Info machen: schwach, positiv? Und Sie haben völlig recht, da wäre eigentlich die Gesellschaft für Virologie gefragt, das ist unsere Fachgesellschaft, die sich auch um solche diagnostischen Standardisierungen kümmert, eine Empfehlung abzugeben, ab welchem CT, bei welchem Gerät und bei welchem Hersteller man noch von einer Infektiösität ausgehen kann. Aber wir kennen die öffentliche Diskussion zwischen den Fachleuten. Die sind unterschiedlicher Meinung. Bis jetzt habe ich noch nicht festgestellt, dass irgendjemand so mutig war und gesagt hat, okay, CT gleich 2 8, darüber ist Schluss. Und darunter gilt der Patient nicht mehr als infektiös? Da hat dann jeder ein bisschen Angst. Dass er zur Verantwortung gezogen wird, wenn es doch mal eine Ansteckung gab.


[0:14:38]:



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz: von Anfang an war ja klar, dass ein positiver PCR-Test sogar als Fall definiert wurde laut WHO und Robert-KochInstitut. Da geht man ja sogar noch einen Schritt weiter. Da ist man ja förmlich schon krank in Anführungszeichen, obwohl man das ja überhaupt nicht ist.


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[0:14:55]:



Alexander Kekulé:


Jetzt sprechen sie etwas an, was beim Epidemiologen zu einem Zwei-Stunden-Vortrag führen könnte. Sie haben völlig recht: Die Falldefinition erfolgt in Ermangelung anderer sauberer Kriterien. Sie wissen, klinisch sieht es aus wie eine Influenza. Was soll man machen? Man kann ja nicht sagen: Fieber plus Husten plus Kopfschmerz ist gleich Covid. Deshalb gibt die Falldefinition über die PCR, man hat einfach nichts Besseres. Und dadurch kommt eben dieser PCR extrem viel Gewicht zu. Wobei man aber sagen muss: Mit der Falldefinition habe ich nicht so viele Probleme, denn da ist jeder, der positiv ist, in der PCR. Der hat ja Kontakt mit dem Virus gehabt. Anders kann das nicht sein. Und da ist es sozusagen für die medizinische Diagnostik und Therapie, wie man weiter vorgeht, schon gut, das über die PCR zu machen. Die Chinesen haben am Anfang, weil sie nicht genug Tests hatten, klinische Kriterien zu Rate gezogen, oder auch geröntgt. Das war also wesentlich schwächer. Und selbst die Falldefinition, die mancher jetzt anbieten, sogar Hunde zu verwenden für die Diagnostik, ist viel schwächer als die PCR. Aber man muss eben sauber unterscheiden – und da liegt der Hase im Pfeffer – zwischen den Fragen, die die Ärzte haben, die jemanden therapieren wollen – da ist die PCR richtig – und den Epidemiologen, die eigentlich nur für die Gesamtbevölkerung diese Infektion eindämmen wollen. Und da wäre es schon sinnvoll, wenn man sich einigen würde auf einen CT-Wert, wo man nicht mehr als infektiös gilt.


[0:16:34]:



Camillo Schumann

:


Epidemiologen/ Politiker sind es, die am Ende dann auch Entscheidungen treffen müssen. Aber das sei jetzt einfach mal dahingestellt. Wir müssen weiterkommen. Wir haben noch mehr Fragen: Herr B. hat gemailt:


„Es wird er künftig mehrere Impfstoffe geben. Und wie es aussieht, wird man eventuell jedes Jahr neu geimpft werden müssen. Muss man


dann immer wieder mit demselben Impfstoff geimpft werden? Oder kann jemand, der jetzt vielleicht Biontech bekommt, später dann auch mit einem anderen wie zum Beispiel von AstraZeneca geimpft werden? Das wäre ja vielleicht bald relevant, werden erst einmal alle nur eine Impfung kriegen von Biontech und dann eventuell der Nachschub fehlt. Viele Grüße.“


[0:17:09]:



Alexander Kekulé:


Das sind 2 Fragen. Die erste: Muss man überhaupt immer wieder neu geimpft werden? Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich bin ja da Berufsoptimist, sonst hätte ich den Job nicht so lange durchgehalten. Und deshalb sage ich, es wird hoffentlich so sein, dass wir mit dieser einen Impfung, mit dieser einen Klasse von Impfstoffen, die wir jetzt demnächst haben, die Epidemie halbwegs in den Griff bekommen. Ob man dann noch mal den Impfstoff umstellen und ein Jahr später oder 2 Jahre später noch mal impfen muss, das ist ein großes Fragezeichen. Wir wissen es von Influenzaviren, dass die sich jedes Jahr durch genetische Veränderungen so weit verändert haben, dass man immer wieder neue Impfstoffe zusammenmischen muss, um die in Griff zu bekommen. Ob das bei Covid-19 auch so wird, ist überhaupt nicht klar. Wir haben solche Untersuchungen bei Coronaviren nicht. Es gibt keine Daten darüber. Was wir wissen, ist, dass man normalerweise mit so einem normalen Coronavirus, die diese Erkältungen machen, typischerweise spätestens nach 2 Jahren die Immunität verschwunden ist. Man kann mit genau dem gleichen Coronavirus nach 2 Jahren noch einmal eine Infektion bekommen, ohne dass sich das so spektakulär verändert haben muss. Das liegt wohl am Immunsystem, dass das Virus nicht so ernst genommen hat beim ersten Angriff. So eine Covid-19-Infektion ist klinisch bei vielen eine relativ schwere Erkrankung. Da ist auch davon auszugehen, dass die Antikörper die Zellen, diese zytotoxischen T-Zellen, die sich da bilden, dass die effizienter sind. Und möglicherweise hält diese Immunität dann auch länger. Das


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wissen wir aber alles nicht. Es kann sein, dass die Immunität gegen Covid-19 oder Sars-Cov-2  relativ lange hält im Vergleich zu den normalen zirkulierenden Coronaviren. Oder es kann sein, dass es ganz genau so ist. Da lassen wir uns mal überraschen. Und deshalb würde ich da jetzt noch nicht den Teufel an die Wand malen.


Die andere Frage, die ist eher eine praktische: Könnte man bei einer späteren Impfung den Impfstoff wechseln? Ich würde davon abraten, den Impfstoff zu wechseln. Bei einer Impfung gibt man ja immer erste und zweite Dosis. Also diese zweite Dosis heißt auch Booster oder Auffrischungsimpfung. Und da würde ich davon abraten, den Impfstoff zu wechseln, weil das einfach in Studien nicht genau untersucht ist. Wenn sie dann rein theoretisch 2 Jahre später sich nochmal impfen lassen wollen oder sollen und haben jetzt den von Biontech genommen, dann können sie dann 2 Jahre später auch was von einem anderen Hersteller nehmen. Da würde nichts dagegensprechen.



Camillo Schumann

:


Weil sie in sich abgeschlossen waren und dann der Körper wieder auf was Neues reagieren kann.



Alexander Kekulé:


Ja, das ist eine interessante Diskussion. Der Körper soll ja auf etwas Neues reagieren. Und bei dieser sogenannten Booster-Impfung, im Deutschen sagt man manchmal Auffrischungsimpfung, da ist es immunologisch gut, wenn der Abstand zwischen der ersten und der zweiten relativ lang ist. Man weiß, dass der Boostereffekt deutlicher ist, wenn sie 2 oder drei Monate warten. Jetzt bei diesem Impfstoff haben alle Hersteller gesagt, wir probieren das in einer Phase drei, aber nur mit vier Wochen aus, nicht länger. Weil man eben gesagt hat, es geht hier um die Bekämpfung einer Pandemie, und wir müssen möglichst schnell möglichst viele Leute möglichst effizient immun kriegen. Und da machen wir jetzt – weil ja zwischen der ersten und der zweiten Impfung die Wirkung noch nicht so groß ist – meinen kurzen Abstand, um dann gleich auf 100-Prozent oder eben bei diesen RNA-Impfstoffen auf 95 Prozent hochzufahren.


Das ist eigentlich der Pandemie geschuldet, dass der Abstand so kurz gewählt wurde bei den Phase-drei-Studien und nicht den immunologischen Überlegungen. Da hätte man gesagt: Wenn man will, dass das so richtig sitzt – damit sich das immunologische Gedächtnis das auch merkt und nicht wieder vergisst –, wäre es vielleicht sogar besser, länger zu warten. Aber sie merken, das ist vielschichtig. Wenn Immunologen und Virologen diskutieren, gibt es lange Abende. Und am Ende des Tages muss man es halt ausprobieren, und keiner hat da die perfekte Lösung.


[0:2 1:2 5]:



Camillo Schumann

:


Der Herr S. aus Jena hat uns eine Mail geschrieben, und er fragt:


„Schützen brennende Kerzen auf einer Kaffeetafel vor Ansteckung? Denn durch die aufsteigende Wärme entsteht eine thermische Barriere, und ausgeatmetes Aerosol zirkuliert nach oben in den Raum.“


Und jetzt schilderte folgende Situation:


„Meine Schwester und mein Schwager sind positiv auf Corona getestet worden. Meine Eltern waren am dritten Advent für circa drei Stunden zu Besuch. Bis heute zeigen beide keine Symptome, trotz der für alle Beteiligten unwissenden Exposition am dritten Advent. 2 Tage später zeigen meine Schwester und mein Schwager Symptome, welche dann weitere 2 Tage später durch ein positives Testergebnis bestätigt worden. Meine Eltern haben inzwischen auch einen Test durchgeführt und warten auf das Ergebnis. Viele Grüße.“


War die Kerze eine Barriere im Raum?


[0:2 2 :13]:



Alexander Kekulé:


Es ist so, dass die Luftkonvektion durch die Kerze, die entsteht. Aber solche Luftströmungen sind – gerade wenn man nur eine Kerze hat –, als Wärmequelle leicht zu stören. Da muss nur jemand mal von seinem Stuhl auf stehen, dann haben Sie sofort wieder Turbulenzen und stören diese Konvektion.


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Auch durch Sprechen und Atmen wird es gestört. Wenn jetzt alle schweigend im Raum sitzen und die Kerze eine Stunde lang brennen lassen, kann ich mir schon vorstellen, dass ein Strömungsmesser feststellt, dass die Luft so sauber aufsteigt, dass man das bekommt, was man einen Laminareffekt bekommt, dass die Strömung sehr gleichmäßig ist. Und dann würde die auch so eine Art Luftwand erzeugen zwischen den beiden Personen, die links und rechts am Tisch sitzen. Aber wie gesagt, da muss man doch einmal fest husten, dann hat man das durchbrochen, weil eine Kerze nicht sehr viel Energie abgibt. Ich würde sagen, das war einfach nur das übliche Glück. Vielleicht ist auch mal zwischendurch die Tür aufgemacht worden. Vielleicht war die Virusausscheidung an dem Tag nicht so besonders hoch. All das hat mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Rolle gespielt als die Kerze auf dem Tisch.


[0:2 3:2 6]:



Camillo Schumann

:


Die Impfung, die gehen ja los. In der ersten Stufe sind Personen über 80 Jahre dran. Dazu gehört auch dieser Herr. Er ist 83 Jahre alt und hat folgende Frage:


[0:2 3:35]:


„Wenn ich von Biontech eine erste Impfung gekriegt habe, im Januar, dann heißt das wohl, dass man zu 50 Prozent geschützt ist? Die 95 Prozent, die treten dann erst bei der zweiten Impfung ein. Aber ich wollte gerne wissen, ob die erste Impfung auch schon insoweit schützt, dass dann ein milderer Verlauf der Krankheit eintritt, sofern man sich doch ansteckt.


Und ich würde gerne weiter wissen, wie lange ich nach der ersten Impfung warten muss, bis dieser Effekt eintritt, ob das bspw. eine Woche ist, denn für mich das sehr wichtig. Ich müsste nämlich dringend zu Fachärzten.“



Camillo Schumann

:


So geht es wahrscheinlich Millionen älteren Menschen.



Alexander Kekulé:


Das mit den 50 Prozent nach der ersten Impfung weiß ich nicht. Das haben einige Leute


so aus den Daten herausgelesen. Das ist eine sehr grobe Schätzung. Wahrscheinlich ist die Wirkung der ersten Impfung deutlich höher als diese 50 Prozent. Das liegt daran, dass man die Infektionen, die man gefunden hat in den Studien, die hat man zugeordnet und geguckt, wie viel davon sind nach der ersten Impfung aufgetreten und wie viel nach der zweiten. Und die meisten, die man gefunden hat, sind meine nach meiner Erinnerung, zehn Tage nach der ersten Impfung aufgetreten. Und das ist nicht auszuschließen, dass das Leute waren, die sie schon vorher infiziert hatten in diesem Zeitfenster. Und das ist in der Studie auch ganz offen diskutiert dieses Thema, sodass es sein kann, dass diese Schutzwirkung der ersten Dosis deutlich höher ist. Aber das ist eben nicht belegt. Wir wissen es nicht genau. Wir wissen, dass bei älteren Menschen die zweite Impfung wahrscheinlich sinnvoll und notwendig ist, weil das Immunsystem nicht so spontan und nicht so frisch anspringt wie bei einem jüngeren. Das ist dort einfach etwas träger von der Reaktion her. Und deshalb geht man davon aus, dass sowohl diese Dosis – also so viel wie der eben drinnen ist in der Spritze – als auch die zweite Impfung, die BoosterImpfung notwendig sind. Ich würde mal sagen, es gibt für jemanden, der älter ist und sich als Risikoperson empfindet, gibt zum keinen Grund auch nach der Impfung die FFP2 -Maske beim Weg zum Arzt wegzulassen. Und wenn man die aber wiederum hat und wenn man weiß, wie man sie aufsetzt und der Arzt ein vernünftiges Hygienekonzept hat – die meisten haben ja sowieso nicht mehrere Patienten in einem Wartezimmer oder höchstens mal zwei, die weit auseinander sitzen , dann meine ich, ist es schon sinnvoll, zum Arzt zu gehen. Wir wissen, dass durch diese Pandemie ja viele sekundäre Kollateralschäden entstanden sind, also Schäden, die durch die Gegenmaßnahmen und nicht durch das Virus entstanden sind. Und zu denen gehört auch, dass Leute sich nicht mehr zum Arzt und zur ärztlichen Behandlung getraut haben und dadurch andere Schäden bekommen haben, weil sie z.B. den Blutdruck nicht mehr richtig eingestellt haben oder wichtige Therapien unterlassen haben. Darum meine ich, da das jetzt kein Phänomen ist, wo wir sagen können, nächste Woche ist vorbei, da wartest du noch schnell, bis der


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Impfstoff da ist oder Ähnliches, sondern viele werden lange auf den Impfstoff warten müssen, auch ältere Menschen, und dann noch mal einen Monat bis zur zweiten Impfung. Daher empfehle ich, ein Konzept zu haben mit Maske und Absprache mit dem Arzt, dass man auch als Risikopersonen sich dort behandeln lassen kann.



Camillo Schumann

:


Also auf Nummer sicher gehen, mit Maske, auch nach der ersten Impfung.



Alexander Kekulé:


Die Maske wegzuschmeißen und zu sagen hurra, jetzt mache ich weiter wie vorher, das ist eigentlich nur eine Option für Leute, die sowieso sagen, ich bin in einer Altersklasse unter 2 0, wo ich dieses Risiko einfach in Kauf nehmen kann. Und wenn ich dann einmal geimpft bin, mein Gott, dann hab ich halt mein Risiko, was gerade noch 1:10.000 war, auf eins zu 100.000 reduziert. Dann verstehe ich eher, dass man sagt, jetzt ist es für mich nicht mehr relevant. Man muss sich zwar an die gesetzlichen Vorgaben halten, Wir werden die Vorschriften, also Maskenregeln, noch sehr lange brauchen. Wahrscheinlich noch das ganze Jahr. Man muss sich sozusagen aus formalen Gründen wahrscheinlich noch eine ganze Weile daran halten. Aber für die private Risikobewertung würde ich sagen, bei den ganz jungen Menschen sieht das anders aus als bei jemandem, der nicht zur Risikogruppe gehört.


[0:2 8:13]:



Camillo Schumann

:


Wir haben eine anonyme Mail bekommen von einer jungen Frau:


„Laut Empfehlung der britischen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sollen sich Frauen mit bestehendem Kinderwunsch nicht impfen lassen bzw. ab der ersten erfolgten Impfung mindestens drei Monate mit der Erfüllung ihres Kinderwunsches warten. Laut der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC besteht mit Einschränkung keine Einschränkung oder Empfehlung zur Verhütung nach erfolgter Impfung. Gerade aber in den Kliniken arbeiten viele junge Frauen in der


Pflege und auch in der Ärzteschaft. Da ich selbst auch durch die englische Empfehlung bezüglich der Durchführung einer Impfung verunsichert bin, würde ich gern ihre Einschätzung dazu erfahren. Bestehen möglicherweise doch ernsthafte Kontraindikationen im Sinne von Fruchtschädigungen oder Toxizität. Oder ist dies nur eine Vorsichtsmaßnahme? Und warum gibt es unterschiedliche Empfehlung seitens Großbritannien und der USA? Viele Grüße.“


[0:2 9:07]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist eines der Themen, wo auch die Fachleute heißt diskutieren. In den Studien sind keine Schwangeren und keine stillenden Mütter untersucht worden. Das heißt, wir haben über Schwangere und Stillende keine Sicherheitsdaten. Und wenn man das so hört, dann würde eigentlich ein konservativer Mensch einer Zulassungsbehörde sagen, gut, dann ist es für die eben nicht empfohlen, genauso wie wir es ja für Kinder nicht empfehlen. Andererseits ist es so, man macht ja vorher die Phase-1und die Phase-2 Studien. Man macht Toxikologie vorher auch im Tierexperiment bei solchen Sachen. Und da ist nirgendwo ansatzweise ein Hinweis auf eine Fruchtschädigungen, also eine Schädigung des Kindes gefunden worden. Es ist wohl möglich, dass diese Impfstoffe über die Muttermilch auf das Kind übertragen werden. Das es zumindest nicht ausgeschlossen, so wie die aufgebaut sind. Das sind so kleine Fetttröpfchen, das ist prinzipiell möglich. Und daher ist dann die Frage gut, will man das Kind indirekt impfen, eher lieber nein. Und will man aufgrund der Tierexperimente sagen, das wird schon beim Menschen auch keinen Schaden anrichten. Da würde ich sagen, lieber nein.


Aber da gibt es andere Leute, die in solchen Kommissionen sitzen, die das diskutieren. Und das ist dann das Ergebnis, was man sieht, dass vielleicht die USA und Großbritannien unterschiedliche Meinungen haben. Die sagen, wir haben nie schwere Nebenwirkungen bei Impfstoffen gesehen, speziell bei Schwangeren. Das ist überhaupt nicht typisch,


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wenn man mal vom Wirkungsverstärker absieht, der da manchmal drin ist. Aber diese modernen RNA-Impfstoffe haben keine Wirkungsverstärker dabei. Und daher sagen die, okay, es ist halt so, dass wir auf keinen Fall wollen, dass Schwangere Covid-19 bekommen, weil klar ist, dass die ein höheres Risiko haben, an der Erkrankung zu sterben. Schwangerschaft ist definitiv ein Risikofaktor für Covid19. Das ist nicht so schlimm wie sehr alt zu sein, aber schwanger zu sein – wenn man sich dann infiziert –, stellt ein Risiko dar. Und bei dieser Abwägung, was nehme ich jetzt: lieber Pest oder Cholera, an der Stelle sagen eben manche okay, dann empfehle ich lieber die Impfung. Auch wenn ich nicht genau weiß, ob sie Nebenwirkungen hat, denn wenn die Infektion eintritt bei jemandem, dann ist das ein höheres Risiko.


Das heißt für die Menschen: Wenn jetzt eine Krankenschwester schwanger ist und weiß, ich bin nicht geimpft, und ich hatte die Krankheit bis jetzt noch nicht, ich habe keinen Covid19 durchgemacht, und ich bin jetzt aber schwanger, dann sollte die auf gar keinen Fall in einem Bereich arbeiten, wo sie ein erhöhtes Risiko für Covid19-Infektionen hat. Ich wäre dagegen, die dann zum Beispiel auf eine Intensivstation arbeiten zu lassen. Aber da muss man eben dann auch mit den Arbeitgebern sprechen und diese Dinge diskutieren. Weltweit gibt es da leider unterschiedliche Auffassungen.



Camillo Schumann

:


Und was gibt man jetzt dieser Dame an die Hand? Soll sie sich ihren Kinderwunsch verabschieden, wenn sie sich impfen lassen will?



Alexander Kekulé:


Also sofern also unsere Hörerin sagt, okay, ich habe ein erhöhtes Risiko im Krankenhaus, weil bei uns auch Covid-Patienten sind, ich aber mit ihnen nicht unmittelbar zu tun habe, oder weil wir im Krankenhaus schon Ausbrüche hatten, die wir nicht so schnell in den Griff bekommen haben – es gibt ja einige Kliniken, wo das leider noch der Fall ist – und wenn zugleich der Kinderwunsch besteht, dann würde ich sagen, entweder, oder. Also wenn Sie sich nicht


ungeimpft Covid aussetzen und zugleich schwanger werden wollen, dann müssen Sie mit dem Arbeitgeber sprechen und sagen: Ich will in einem Bereich, wo kein Infektionsrisiko ist oder zumindest keines, was über die normalen Lebensverhältnisse hinausgeht.


[0:32 :51]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 136 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir sprechen uns dann am 12 . Januar wieder.



Alexander Kekulé:


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Donnerstag, 07.01.2 02 1 #135: Impfung für Kinder derzeit nicht sinnvoll



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann

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Donnerstag 7. Januar 2 02 1. Der Lockdown wird verlängert und verschärft. Dabei spielt die Angst vor der Virus-Mutation aus Großbritannien eine große Rolle. Wie gehen wir mit dieser Situation um? Dann: Welche Rolle spielen Schulen in der Pandemie? Es gibt neue Daten aus der österreichischen Gurgel Studie. Außerdem: Deutschlands Kinderärzte wollen, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden. Doch ist der Impfstoff dafür überhaupt geeignet? Und: Ein neuer Test soll zwischen Sars-CoV-2  und Grippeviren unterscheiden. Kann der PCRTest das denn bisher nicht? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Der Lockdown wird also verlängert und auch noch verschärft. Vielleicht auch deshalb, weil nicht so richtig klar ist, wo wir in der Pandemie eigentlich gerade stehen. Die Kanzlerin hatte


das am Dienstag nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten so erklärt:


„Dazu haben wir eine Experten-Anhörung vorgeschaltet, bei der der Chef des RobertKoch-Instituts, Herr Wieler, uns noch einmal darauf hingewiesen hat, dass durch die Weihnachtsund Silvester Neujahrstage eine klare Datenlage über die wirkliche Inzidenz in Deutschland erst ab 17. Januar etwa zu gewinnen ist. Das heißt, wir erahnen und wissen, dass die Inzidenz deutlich über 50 ist. Aber wie genau sie ist, kann zurzeit nicht genau abgesehen werden.“


Herr Kekulé, Sie hatten vermutet, dass in ein bis 2 Wochen die Datenlage belastbarer wird...



Alexander Kekulé:


Das hat sich so ergeben durch die Weihnachtsfeiertage und dadurch, dass – wie wir in der letzten Folge besprochen haben – das Robert-Koch-Institut leider keine Schätzungen dazu gemacht hat. Ich schätze, das war nicht die angenehmste Sitzung für Herrn Wieler, wenn er dabei war. Und jetzt muss man eben einfach den Lockdown verlängern, bis man weiß, was er bisher gebracht hat. Das ist wissenschaftlich völlig stringent. Ich sage als Epidemiologe, da gibt es leider kein Argument dagegen. Politisch hätte man sich gewünscht – weil ja die Kollateralschäden bei solchen Lockdowns doch erheblich sind und auch die psychologischen Schäden für die Bevölkerung enorm sind –, dass das ein bisschen besser vorbereitet wird oder dass man zumindest bessere Schätzwerte in der Hand hat. Aber es ist nun einmal so, da hat es keinen Sinn, lange rumzuunken. Jetzt warten wir halt die zehn Tage noch ab. Und dann werden wir sehen, ob es etwas gebracht hat.


Da ist vielleicht eins noch einmal wichtig zur Erinnerung: Alle Studien, die solche Lockdowns untersucht haben – und da gibt es inzwischen mindestens fünf, die des relativ gut gemacht haben –, zeigen das gleiche Ergebnis. Die Hauptwirkung erzielt man in der ersten Woche, vielleicht in den ersten 2 Wochen. Aber danach ist der Effekt sozusagen eingetreten, sodass und Dauer-Lockdown,


ohne was zu verändern, relativ wenig Zweck hat.


3:11



Camillo Schumann

:


Die ersten ein bis 2 Wochen, das war ja vor Weihnachten, bevor es dann wieder diese Lockerungen gab, da hätte man es schon spüren können, oder?



Alexander Kekulé:


Der Effekt war eben schwächer als erwartet. Da habe ich ja die Hypothese – aber ich höre auch keine Gegenidee, wie es sonst sein könnte –, dass das dieser Lateraleffekt ist, dass man eben viele Infektionen hat, die eins zu eins stattgefunden haben in Haushalten. Das beeinflusst man ja durch den Lockdown nicht. Wenn man das wissenschaftlich betrachtet, was da passiert, ist das so ähnlich, als wenn sie beim Auto aufs Gaspedal oder in dem Fall vielleicht besser auf die Bremse treten und das Auto bremst nicht. Dann machen sie sich Gedanken, woran könnte das liegen? Ja, Bremsflüssigkeit ausgelaufen, Beläge kaputt? Und so kann man in der Epidemiologie auch Hypothesen aufstellen. Eine Variante ist die Infektion haben in Haushalten stattgefunden. Aber irgendwie müssen es Infektionen sein, die mit den Maßnahmen, die vorher ergriffen wurden, offensichtlich nicht erreicht wurden. Sonst hätten die ja gewirkt. Und aus dem Grunde ist es halt immer die Frage, wenn man die gleichen Maßnahmen dann weiterlaufen lässt, von denen klar ist, dass sie nicht ausreichend wirken, auf welcher wissenschaftlichen Hypothese man das Ganze basiert.


Die zweite Idee, die aus meiner Sicht nach wie vor im Raum steht, ist, dass sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung sich einfach nicht mehr daran hält. Da können Sie Maßnahmen beschließen, wie Sie wollen, da wirkt die Bremse nicht, weil die Übersetzungsmaschine nicht funktioniert. Das erscheint mir auch deshalb plausibel, weil jetzt zunehmend Menschen in ihrem ganz persönlichen Umfeld jemanden kennen, der Covid hatte. Und das sind ja – das haben wir ja immer gesagt – in den allermeisten Fällen, vor allem bei Jüngeren, harmlose Infektionen. Und


das erzeugt dann so ein Bild, das man so sagt, ich kenne da fünf Leute, die hatten es alle, und die fühlen sich eigentlich fast besser als vorher, weil sie keine Angst mehr vor Infektionen und Ansteckung haben müssen. Das ist so ein psychologischer Effekt, der, glaube ich, den Bemühungen der Bundesregierung entgegenläuft.



Camillo Schumann

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Am 17. Januar wäre der harte Lockdown schon einen Monat in Kraft. Bund und Länder wollen sich das nächste Mal am 2 5. Januar wieder treffen, um dann zu beraten. Wir haben auf der einen Seite die unklare Datenlage darüber, wie zum Beispiel die Kontakt-Lockerung an Weihnachten und Silvester, und auch die Reiserückkehrer zu Buche schlagen werden. Und wir wissen auch nicht, wie stark sich das mutierte Virus aus Großbritannien in Deutschland ausbreitet. Wir reden gleich darüber. Es gibt also viele Fragezeichen. Wie würden Sie denn den Ist-Zustand aktuell in Deutschland beschreiben?



Alexander Kekulé:


Wir sind jetzt in so einer Schwebe halb tot, halb lebendig, nicht Baum, nicht Borke. Und es ist psychologisch vor allem schwierig. Die Bevölkerung ist ja ganz unterschiedlich betroffen. So ein Virologe oder Epidemiologe muss auch ein großes Institut leiten. Wir sind bis über alle Ohren mit Arbeit voll. Wir wissen nicht, wo uns der Kopf steht. Und für uns ist es eigentlich hauptsächlich schlimm, weil wir viel zu tun haben. Wir freuen uns immer, wenn die Fallzahlen runtergehen. Genauso wird es den Kollegen in der Klinik gehen, die die Patienten behandeln müssen. Zum Teil sind die Intensivstationen nach wie vor voll. Aber ein Großteil der Bevölkerung dreht in gewisser Weise Däumchen und schaut zu, wie das Geld am Bankkonto weg ist. Und derweil tanzen ihnen die Kinder auf der Nase herum. Und sie lernen ja auch nichts weiter. Eltern sind dann oft überfordert, den Kindern altersentsprechend etwas beizubringen, wenn sie es zu Hause machen müssen. Ich glaube, diese Kollateralschäden – ich nenne sie sekundäre Kollateralschäden des Lockdowns –, die durch die Maßnahmen entstehen, müssen wir schon zusehend im Blick haben. Deshalb kann ich nun appellieren: Wir müssen hier


erstens analytisch rauskriegen, was los ist, warum die Maßnahmen nicht ausreichend greifen, und dann im nächsten Schritt an der Stelle den Lockdown oder die Maßnahmen verschärfen, wo es auch wirksam ist und nicht pauschal quasi überall eine Betondecke drauflegen nach dem Motto: irgendetwas davon wird dann schon funktionieren. Zumal die letzten Wochen gezeigt haben: So richtig durchschlagend – obwohl es ein kompletter Lockdown ist, aus meiner Sicht schärfer als im Frühjahr – so richtig durchschlagend wirkt es nicht.



Camillo Schumann

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Apropos Analyse: Dass sich die mutierte und vielleicht hochansteckende Virus-Mutation aus Großbritannien in Deutschland ausbreitet, könnte ja vielleicht auch eine mögliche Erklärung dafür so sein. Dass es sich in Deutschland befindet, scheint klar zu sein. Noch einmal Angela Merkel:


„Wir haben einzelne Fälle nachgewiesen in Deutschland. Es ist ja bekannt und in der Presse gewesen. Wie weit er sich ansonsten verbreitet hat, wissen wir noch nicht. Und deshalb gibt es ja auch diese Anstrengung, jetzt stärker zu sequenzieren, also die Genome stärker zu analysieren als wir das bisher in Deutschland gemacht haben, das ist sowieso richtig und gut, das zu tun.“



Camillo Schumann

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Die mutierte Form des Coronavirus ist zum Beispiel in Bayern nachgewiesen worden, und zwar bei einer Reiserückkehrerin aus Großbritannien. Herr Kekulé, wissen wir, welchen Anteil diese neue Virusform an der aktuellen Zahl der Neuinfektionen hat?



Alexander Kekulé:


Nein, da haben wir absolut keine Ahnung. Wir haben die Zahlen schon vor langer Zeit mal ausgebreitet. In Großbritannien werden pro Woche weit über 100.000 Sequenzen analysiert. Man macht eine molekularbiologische Surveillance, d.h. eine molekularbiologische Überwachung des Virus, um zu gucken, wie sich das verändert. In Europa ist meines Wissens Dänemark die Nummer 2 auf der Bestenliste. Die machen das auch sehr gründlich und haben auch schon


eine hochinfektiöse Variante festgestellt. Das ist wieder eine andere als die aus Großbritannien. Und ganz hinten – unter ferner liefen – kommt Deutschland mit um die 900 Fälle, die, glaube ich, analysiert wurden. Da sind wir weit hinterher. Und dieses Manko haben wir auch schon vor langer Zeit mal aufgezeigt. Das rächt sich jetzt, dass man jetzt erst damit anfängt, weil wir einzelne Fälle finden. Ja, aber wie sind die gefunden worden? Da gibt es Beispiele aus Bayern und auch der berühmte Ball Fall in Niedersachsen. Die Medizinische Hochschule Hannover hat ja Ende Dezember bei einer Nachprüfung festgestellt, dass eine Frau, die infiziert wurde, und auch gestorben ist, wohl von ihrer Tochter, die aus England zurückgekommen war (angesteckt wurde; Anm. d. Redaktion). Daraufhin hat man gesagt, das wollen wir noch mal aus dem Kühlschrank holen und angucken. Da stellte man fest, Bingo, da ist diese gefährliche britische Variante B1.1.7 drin. Das hilft überhaupt nicht weiter, weil die eine ist längst tot. Die andere hat sich längst erholt davon. Und man weiß nicht, ob das weiter verbreitet wurde, weil das sehr vom individuellen Verhalten abhängt. Wenn jemand aus Großbritannien damals zurückgekommen ist nichts ahnend und hat sich aber nach der Rückkehr, was ja Vorschrift war, ordentlich verhalten – also Kontakte gemieden usw. –, dann kann höchstens mal ein Menschen im persönlichen Umfeld wie eben die eigene Mutter tragischerweise infiziert werden.


(...) Grundsätzlich ist es aber so: Es gibt ja das B1.1.7 aus Großbritannien. Das Virus verändert sich. Es gibt in Südafrika eine andere Variante, über die jetzt auch gesprochen wird, die heißt 501.V2 . Und dann gibt es noch 2 bis drei andere, die so halb bekannt sind. Und ich würde mal wetten, weltweit zirkulieren schon zig Varianten des Virus‘, die dadurch aufgetreten sind, dass sich das Virus in einzelnen Patienten massiv über längere Zeit vermehren konnte, vielleicht jemand mit Immunschwäche. Dann wird es mit den Antikörpern dieses Patienten irgendwann in Kontakt treten und lernt dann, wie man mit Antikörpern zurechtkommen kann, also irgendwie sich sozusagen durchsetzen kann in einem Milieu, wo ein Teil der Bevölkerung


schon immun ist. Und das funktioniert aus Sicht des Virus immer dann, wenn es sich schneller vermehrt, also wenn es stärker ansteckend ist. Das wird jetzt passieren. Das ist einfach die Zukunft. Und da muss man sich überlegen, wie gehen wir mit so etwas perspektivisch um? Das wird ganz klar auch nach Deutschland kommen.



Camillo Schumann

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Es ist möglicherweise schon in Deutschland. Und die große Frage – Sie haben es gerade gesagt – ist, was machen wir, wenn diese Variante jetzt auch häufiger auftritt? Die Politik hat das ja auch am Dienstag bei den Beschränkungen, die beschlossen wurden, auch noch mal mit in die Waagschale geworfen, weil man ja eben nicht weiß, wie sich diese Mutation in Deutschland ausbreitet. Die Politik reagiert nun mit Kontaktbeschränkungen wie im März und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Bewegungsradius bei Inzidenzwerten über 2 00 und einem 15-Kilometer-Radius und man darf nur noch eine weitere Person treffen. Wie bewerten Sie das?



Alexander Kekulé:


Wir haben grundsätzlich schon eine Diskussion unter den Kollegen, die sich damit beschäftigen, was für Beschränkungen haben denn überhaupt bei so einer Art von Erkrankungen einen Sinn? Das war ja am Anfang der ganzen Pandemie – wenn Sie sich erinnern – die Ansage der Weltgesundheitsorganisation, auch des Robert-Koch-Instituts, dass man gesagt hat: Reisebeschränkungen sind völlig sinnlos. Das hat man übernommen von Erfahrungen mit Grippepandemien. Wobei man aber sagen muss, dass sich die Grippe – wenn es ein ganz neuer Grippetyp ist – rasanter ausbreitet als das bei Covid-19 der Fall ist. Da hat man gesagt, das ist so hochinfektiös, dass das nichts bringt, wenn wir da die Grenzen zumachen. Es kommt trotzdem. Man kauft sich damit nur wenig Zeit, was die wirtschaftlichen Schäden überhaupt nicht rechtfertigt. Das war am Anfang die Position. Da gab es ja die Gegenstimme, die von meiner Seite unter anderem kam, das man gesagt hat: Nein, das ist eher wie Sars 2 003. Und da hat sich gezeigt, dass anti-epidemische Maßnahmen etwas


bringen im Gegensatz zur Grippe. Und deshalb machen sollten wir die jetzt machen.


Jetzt sind wir eine deutliche Zeit später. Zwischendurch ist ja noch in Italien das Gleiche noch einmal passiert. Zuerst hatten wir den Typ Wuhan, der sich in China ausgebreitet hat und von dort in die Welt. Dann hatten wir diese neue Variante, die in Italien aufgetreten ist. Die D614G-Variante war das. Da war in Norditalien wieder die gleiche Diskussion, wo es dann hieß, wir machen die Grenzen nicht zu. Daraufhin hat sich diese Variante von Norditalien weltweit verbreitet und ist heute weltweit der Covid-19-Erreger, von dem wir sprechen.


Ich muss vielleicht an der Stelle eine Sache richtigstellen, weil ich relativ oft, sogar von Fachkollegen, höre, dass die das durcheinanderbringen. Wenn jetzt so etwas aus Norditalien zum Beispiel auftritt und sich von dort in der ganzen Welt ausbreitet wie damals D614G, dann heißt es nicht, dass in Italien die Mutation stattgefunden hat und dann, Peng, von dort aus in die Welt verbreitet hat. Sondern das ist einfach durch eine Verquickung unglücklicher Umstände dort einer Art Durchlauferhitzer entstanden, da hat sich etwas herausgemendelt, was vorher schon da war. Ich sage das deshalb so deutlich, weil auch honorige Kollegen aus den medizinischen Fachgesellschaften die Dinge ein bisschen durcheinandergebracht haben. Also die Varianten sind zum Teil vorher schon da. Dieses D614G wurde zum Beispiel auch mal in China gefunden, hat sich aber da nicht so richtig verbreitet. Es wurde sogar auch mal in Bayern ein Isolat gefunden hat. Es hat sich aber nicht so richtig verbreitet.



Camillo Schumann

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Wenn ich da kurz einhaken darf: D614G hat man gefunden, B1.1.7 nicht in Deutschland. Wie kann das eigentlich sein?



Alexander Kekulé:


Es ist so, dass wir bei diesem B1.1.7, also dieser neuen Variante, die noch ansteckender ist als die norditalienische, ganz am Anfang sind. Das ist gerade der Beginn einer neuen wahrscheinlich Pandemie, mit diesen noch infektiöseren Typen. Das Virus optimiert sich und man hat das B1.1.7 in Einzelfällen


gefunden. Und was da immer passiert ist, die Mutante ist wahrscheinlich schon vorher dagewesen. Das heißt nicht, dass die im Vereinigten Königreich entstanden ist. Es kann sein, dass die irgendwo anders auf der Welt entstanden ist und jemand es dorthin importiert hat. Aber irgendwann entstehen halt Bedingungen, unter denen sich das Virus optimal weiterverbreiten kann. Und dann kommt es zu so einer explosionsartigen Ausbreitung. Und dann sagen wir, das ist die britische Variante. Es ist vielleicht eine kleine Gemeinheit, weil die gar nicht dort entstanden ist rein genetisch gesehen.


Aber was heißt das auf der anderen Seite? Das heißt, ein Virus ist kein Virus. Ein Virus von diesem infektiöseren Viren-Typ, was vielleicht damals in Niedersachsen in einer Familie eine Tragödie verursacht hat, das hat sich höchstwahrscheinlich nicht in ganz Niedersachsen massiv ausgebreitet, so wie es jetzt in England der Fall ist. Sonst hätten wir das sogar mit den wenigen Sequenzierungen, die wir in Deutschland machen, gefunden. Und die Frage ist jetzt, wie lange können wir das zurückhalten, bis wohl dann auch in Europa dieses B1.1.7 die dominierende Variante wird.


Wenn man sich die Ausbreitung in England anschaut – und das hatten wir ja schon vor Weihnachten besprochen –, dass die Replikationszahl hier offensichtlich um 0,5 bis 0,7 höher ist als bei den üblichen Typen, dass wir hier sagen müssen: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Variante, die sich effektiv verbreitet, dass die irgendwann dominant wird und uns die Arbeit schwerer macht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.



Camillo Schumann

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Und das heißt, dass diese Virus-Variante eigentlich das Zeug hat, auch in Deutschland wieder für exponentielles Wachstum zu sorgen?



Alexander Kekulé:


Das sehe ich nicht so, weil wir ja die epidemischen Maßnahmen alle platziert haben. Wir sind ja nicht völlig hilflos hier. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass man jetzt sagen kann: okay, jetzt ist das – als Hypothese – um R = 0,5 höher, also statt R = 3,0 hätten


wir dann vielleicht R = 3,5. Das ist epidemisch fürchterlich, denn wir haben es ja mit einer Exponentialfunktion zu tun. Und wir stehen dann in gewisser Weise am Anfang einer explosionsartigen Ausbreitung einer neuen Variante. Aber das heißt nicht, dass man jetzt sagen muss: Okay, statt drei Kontakten machen wir jetzt nur noch zwei, oder statt 2 nur noch einen oder 15 Kilometer Radius. Es ist nicht so, dass man mit Maßnahmen, wo fraglich ist, ob sie wirksam sind, zum Beispiel die Beschränkung des Bewegungsradius‘ oder die vieldiskutierte Schließung von Gaststätten oder die Frage nach Masken im Freien oder dem Verbot von Veranstaltungen im Freien, wenn die Leute Abstand haben, das sind ja Maßnahmen, wo überhaupt nicht klar ist, ob sie wirksam sind. Und mit der Verschärfung nichtwirksamer Maßnahmen wird man einen Virus nicht in den Griff bekommen, egal ob das 3,0 oder 3,5 Reproduktionsrate hat.



Camillo Schumann

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Aber Sie haben ja gesagt, es gibt fünf Studien, die belegen, welche Maßnahmen im Lockdown wirken und dass ein Lockdown wirken kann. Man ist doch wesentlich weiter als im Frühjahr.



Alexander Kekulé:


Dass er wirkt, darüber gibt es viele Studien, und zwar vor allem, wann der Effekt eintritt. Aber das Problem ist: Man weiß trotz allem nicht ganz genau, welche Maßnahmen das sind. Wir haben ja viele Diskussionen. Die Frage, war das notwendig, die Weihnachtsmärkte zu verbieten oder Ähnliches, oder jetzt gerade aktuell mit dem Schlitten fahren? Ist das jetzt schlimm, wenn die Leute am Rodelhang stehen, obwohl sie den Abstand einhalten. Da fehlen uns die Daten, und da bin ich auch zunehmend unzufrieden. Am Anfang wusste man nichts Genaues. Da war das Bild der Übertragungen unvollständig. Aber heute meine ich, dass man in Deutschland, wo wir ja sehr gut organisiert sind, mit solchen Dingen und mit unseren Gesundheitsämtern – da beneidet uns ja die Welt dafür – dass wir das in Deutschland nicht hinkriegen, ein bisschen schärfer einzugrenzen, wo diese Infektionen noch stattfinden. Und ich glaube, wir müssen da viel selektiver vorgehen und können das nicht mit der Holzhammermethode weitermachen. Wir


müssen vielmehr einen chirurgischen Eingriff machen, statt mit der Artillerie zu schießen. Wir müssen gezielt schießen, und zwar dahin, wo es auch wirkt.



Camillo Schumann

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Angenommen, am 2 5. Januar kommen alle noch einmal zusammen, und man stellt fest: gut, die Zahlen sind jetzt bisschen zurückgegangen, nicht sonderlich, aber ein wenig. Was wäre denn ihr chirurgischer Appell?



Alexander Kekulé:


Naja, das ist der gleiche ehrlich gesagt wie schon seit März. Ich greife mal einen anderen Aspekt heraus: Das eine ist testen, testen, testen. Sie wissen, das heißt Smart-Strategie bei mir und aerogene Infektionen vermeiden. Aber ich spreche mal über die reaktionsschnelle Nachverfolgung. Hier ist es ja so – das ist unser Gradmesser –: Wenn jetzt einige Kollegen sagen, und zwar sehr gut begründet, dass ist jetzt überhaupt nichts, wo die Leute falsch gedacht hätten, die sagen, man muss unter 50 pro 100.000 Inzidenz kommen oder vielleicht sogar 2 5 ist ja genannt worden, dann ist das im Prinzip richtig. Denn man sagt, solange die Gesundheitsämter nicht alles nachverfolgen können, ist diese Pandemie im Land außer Kontrolle. Man kann aber auch anders herangehen und sagen: okay, wie viele Fälle, die man nicht erwischt bei der Nachverfolgung könnten wir uns denn leisten? Wenn wir zum Beispiel die Alten schützen würden, dann würden wir ja die Sterblichkeit ganz massiv drücken. Dann würden wir die Intensivstationen nicht überlasten. Und wir könnten aber Wirtschaft und soziales Leben viel mehr zulassen, weil wir dann quasi mit einer Inzidenz sage ich mal von 50 entspannt leben könnten, oder zwischen 50 und 100 vielleicht noch, damit klarkommen, wenn bei diesen Leuten, die sich da infizieren, eben hauptsächlich Menschen dabei wären, wo es leichte Krankheitsverläufe gibt. Und die andere Schiene, über die man nachdenken kann, ist, man kann überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, dass man ein privates Nachverfolgungssystem parallel einzieht, dass sich Menschen im privaten Bereich durch so eine einfache App wie sie auch zur Anmeldung in Gaststätten verwendet wird, gegenseitig, warnen nach


irgendwelchen Veranstaltungen oder Treffen, wenn jemand positiv geworden ist und man die Kapazität der Nachverfolgung, die von den Gesundheitsämtern geleistet wird, erheblich erhöhen kann durch ein paralleles privates System, weil die Bereitschaft in der Bevölkerung ist ja zum größten Teil da.


Und wenn Sie diese 2 Aspekte mit reinnehmen, dann sehen Sie: Wir sind ja eigentlich nicht so hart an diese 50 gebunden. Diese Zahl 50 orientiert sich an den Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitsämter. Und deshalb meine ich, müssen wir alternative Wege gehen und nicht so ganz stur sagen, einerseits manövrieren wir komplett im Nebel, wir haben keine Ahnung, was wir nächste Woche entscheiden werden, aber diese Zahl 50 ist heilig. Ich glaube, da kann man schon flexibel denken.



Camillo Schumann

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Aber wenn man es dann aus der Hand gibt, zum Beispiel mit einer App im privaten Bereich, hat man ja erst recht keine Datengrundlage mehr, mit der man dann Entscheidungen treffen kann, weil man es auch nicht richtig nachvollziehen kann, oder?



Alexander Kekulé:


Ja, das wäre dann die Frage, ob man es meldet oder nicht. Es ist ja nicht aus der Hand gegeben. Es ist ja nicht so, dass die Gesundheitsämter dann sozusagen zumachen sollen, sondern die machen ja weiter und sollen gerne weiter aufrüsten und noch mehr Nachverfolgungspersonal bekommen. Aber meines Erachtens hängt es gar nicht so sehr daran, sondern viele Menschen melden das einfach gar nicht mehr. Jetzt gibt es auch noch diese Schnelltests, bei denen wir festgestellt haben, dass entgegen dem Infektionsschutzgesetz es offensichtlich nicht Usus ist, in Deutschland einen positiven Schnelltest zu melden. Das wäre ja eigentlich auch meldepflichtig, zumindest wenn es vom Arzt gemacht wird. Zumindest haben wir erfahren, dass die positiven Schnelltests gar nicht in die Archivstatistik einlaufen, aus welchem Grund auch immer, sondern erst dann, wenn sie von der PCR bestätigt werden. Das heißt, wir haben jetzt schon so eine Art Parallelwelt, die außerhalb der offiziellen


Daten existiert, in der Leute privat irgendwelche Schnelltests machen oder irgendwelche Ärzte des machen. Die sagen: na gut, habe ich halt Corona, isoliere ich mich, sehe ich zu, dass ich niemanden anstecke. Und wenn es mir schlecht geht, rufe ich eben 112  und muss ins Krankenhaus. Das hat, glaube ich, jeder schon verstanden. Und den allerallermeisten geht es auch wieder gut. Und diese Parallelwelt haben wir schon. Und das nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist das Gefährliche. Richtig ist es, das zu akzeptieren, dass es das gibt und diesen Menschen, die zum Teil aus verschiedenen Gründen – das sind ja auf keinen Fall nur Corona-Leugner, die diese Nachverfolgung nicht unterstützen oder die vielleicht gar nicht erfasst werden, weil das Gesundheitsamt nicht hinterherkommt. Wenn man da eine zusätzliche Möglichkeit schafft, erhöht man die Kapazitäten objektiv. Die Frage ist, soll man das dann melden, oder nicht? Ich persönlich stehe eigentlich auf dem Standpunkt, dass es für viele Bevölkerungsgruppen in Deutschland besser wäre, wenn man weiß, dass so etwas im privaten Bereich läuft. Dann ist es nicht automatisch so, dass der Staat das sofort sieht. Da sind wir anders als in China. Das müsste man aber dann öffentlich diskutieren, was der bessere Weg ist.


Sie sprechen etwas Wichtiges an: Ein Teil der Zahlen ist dann ganz offiziell dem RKI nicht bekannt. Ich glaube, jetzt ist die Dunkelziffer auch schon riesig. Und ich kann nur noch einmal daran erinnern: die Corona-App des Bundes funktioniert nicht, weil man gesagt hat, wir wollen die Privatsphäre über alles stellen. Und weil man gesagt hat, dass es komplett freiwillig ist, dass sich jemand einträgt, wenn er positiv ist. Das ist eine freiwillige Maßnahme bei der App. Und nichts anderes schlage ich vor. Diese Grauzone oder diese Privatsphäre ist ja in der bisherigen Strategie der Bundesregierung sowieso dabei.


2 6:2 2 



Camillo Schumann

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Weil wir gerade auch so ein paar Maßnahmen besprochen haben, also die Kontaktbeschränkungen, (den) Bewegungsradius gestreift haben. Ein


wichtiger Punkt ist, dass Schulen und Kitas bis Ende Januar weitestgehend dicht bleiben. Und man muss ja sagen, damit vollziehen auch die Kultusminister der Länder, die das ja schon am Montag beschlossen haben, einen regelrechten Kurswechsel. Sie waren es ja, die das eigentlich nicht wollten. Wir wollten ja, dass die Schulen offen bleiben bzw. es eingeschränkte Möglichkeiten gibt. Wie bewerten Sie diesen Kurswechsel aus epidemiologischer Sicht?



Alexander Kekulé:


Sie werden sich erinnern, dass das Stichwort Corona-Ferien ursprünglich mal vor mir stammte. Das heißt, die Gefahr, dass Schüler die Pandemie mit befeuern, ist sehr umstritten. Die Gefahr ist jetzt zumindest von meiner Seite immer gesehen worden. Ich kann an der Stelle auch sagen, dass Christian Drosten mal eine Studie gemacht hat, die methodische Schwächen hatte, in der er aber auch den Eindruck vermittelte, dass Kinder genauso infektiös sein könnten wie Erwachsene. Das heißt also, da kam von der epidemiologischen Seite und von der molekularbiologischen Seite ein einheitliches Bild zustande. Vorsicht: Die Kinder sind zwar häufig asymptomatisch, aber wir haben keinen harten Beleg dafür, dass sie nicht ansteckend sind. An dieser Einschätzung hat sich beim Christian Drosten wie bei mir von beiden Seiten nichts geändert. Und daher ist es, dass jetzt die Kultusminister dazugelernt haben. Wir räumen das jetzt ein, dass Kinder auch eine Rolle spielen können. Das ist eine späte Einsicht, aber eine richtige Einsicht. Wir haben ja hier auch schon die Studien besprochen, die das gezeigt haben, zum Beispiel bei diesem massiven Ausbruch in Georgia bei diesem Pfadfindercamp in den USA. Da ist klar gezeigt worden, dass Jugendliche und Kinder massivste Ausbrüche verursachen können. Und es gibt noch einzelne Schulen, wo das so war. Wir hatten die Beispiele in Israel, die ganz gut untersucht wurden und in Deutschland auch mehrere Studien, wobei ich immer vorsichtig bin bei Studien, die dann von Landesregierungen bezahlt wurden, die bestimmte politische Interessen haben. Da heißt es, die Datenlage ist klar, und auch das, was jetzt so in den letzten Wochen und


Monaten noch dazugekommen ist, zeigt: Nach wie vor haben wir keinen Grund anzunehmen, dass Kinder weniger infektiös wären als Erwachsene. Und damit sind Schulen ein Ort, an denen man aufpassen muss, dass es nicht zu einem weiteren Befeuern dieser Epidemie kommt.



Camillo Schumann

:


Man muss dazu sagen – um die Politik jetzt ein wenig „in Schutz zu nehmen“: Auf der einen Seite gibt es die virologischen/ epidemiologischen Hinweise. Auf der anderen Seite muss man versuchen, um politische Entscheidungen zu treffen, die Balance zu finden. Und bisher konnte man sich möglicherweise auch noch „leisten“, die Schulen auch noch offenzulassen. Aber bei dieser Infektionslage, in der wir uns befinden, wo die Datenlage sehr dünn ist und noch die Mutation dazukommt, war es möglicherweise auch ein zu heißes Eisen, oder?



Alexander Kekulé:


Ja, es ist, wie Sie sagen: Ich kritisiere niemanden dafür, dass er das wissenschaftliche Datennetz nicht richtig bewertet hat. Das wäre ja gemein. Umgekehrt machen Wissenschaftler ja auch keine qualifizierte Politik. Wir haben jetzt eine Lage, wo man alles zumachen muss, wo ein großer Verdacht ist, dass es zu Infektionen kommt. Und da sind bei den Schulen – ja, wie infektiös sind Kinder? Das ist ja nach wie vor ein bisschen die Gretchenfrage. Wir haben da in Deutschland eine schlechte Datenlage, muss man nach wie vor sagen. Auch da ist es so, dass man meines Erachtens, nachdem sich die Pandemie jetzt quasi jährt, mal ein bisschen genaueres Bild als am Anfang haben müsste.


30:2 8



Camillo Schumann

:


Es gibt neue Daten aus Österreich, aus der „Gurgel-Studie“. Das muss man vielleicht mal erklären.


30:36



Alexander Kekulé:


In der Gurgel Studie wird statt mit dem Abstrich, was ja bei Kindern und Eltern nicht so


beliebt ist, also Rachenabstrich oder gar NaseRachenabstrich, wird einfach gegurgelt. Die kriegen so ein paar Milliliter einer vorher sterilen Lösung, sollen da ein bisschen den Mund mit spülen und spucken das wieder aus. Und daraus wird dann eine PCR gemacht. Das ist fast so gut wie die echte PCR, wie die Abstrich-PCR, und hat mehrere Vorteile. Das haben die Österreicher schon länger verfolgt. Ein Vorteil ist der, dass es einheitlich ist, denn beim Gurgeln hat jedes Kind relativ vergleichbare Ergebnisse. Beim Abstrich kommt darauf an, wie gut es gemacht ist. Wenn Sie mit dem Tupfer da hineinfahren und an der Stelle sind, wo gerade kein Virus war, dann haben Sie einen schlechten Abstrich gemacht. Und er ist vielleicht deshalb falsch negativ. Das heißt, die Gurgel-Werte sind untereinander schon ein bisschen besser vergleichbar, ist man Eindruck. Wahrscheinlich ist die Methode ein bisschen weniger empfindlich, als wenn ein guter Hals-NasenOhren-Arzt den Abstrich macht. Ja. Und was haben sie da gemacht, das ist ja schon länger bekannt. Schon vor Weihnachten gab es da mal die erste Runde, und da ist das bekannt geworden. Da waren fast 9.500 Schüler in Österreich, etwas über 1.2 00 Lehrer und an über 2 40 Schulen wurde das so untersucht. Das ist schon eine große, flächendeckende Studie. Und da hat man überall geguckt, wer hat das Virus im Hals? Wir nennen es dann in dem Fall eine Prävalenz-Studie. Man guckt dann, wie viel ist da an Kranken? Man nimmt diese positive PCR als Synonym für Erkrankung oder Infektion. Da ist das erste Wichtige... In der ersten Runde der Gurgel Studie, die war im September, Ende September bis Mitte Oktober, waren in Österreich noch 0,39 Prozent, also ungefähr 0,4 Prozent prävalent für ganz Österreich. Und das hat sich eben jetzt aktuell in der 2 . Runde geändert. Die ist auch schon von vorgestern, nämlich vom 10. bis 16. November, d.h. sie ist auch schon eine Weile her. Da ist der Wert auf 1,4 Prozent gestiegen. Das ist schon relativ viel. So war die Prävalenz bei den Schülern und Lehrern. Und was eben jetzt interessant ist, ist Folgendes: Die haben dann geguckt, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen Schülern und Lehrern? Und da ist die Antwort: Nein, statistisch


gesehen infizieren sich die Schüler oder sind die Schüler genauso oft krank wie die Lehrer.



Camillo Schumann

: Und das ist ja eigentlich das Interessanteste an dieser Studie, dass man diesen Unterschied nicht machen kann.



Alexander Kekulé:


Das Interessanteste an der Studie ist eigentlich etwas, was nicht gefunden wurde. Das macht man in der Statistik immer so. Da fängt man an, etwas auszuwerten und guckt dann, ob das signifikant ist. Das heißt also, man guckt, ob an der Zahl der Daten eine Aussage getroffen werden kann, die mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit richtig ist. Und mit dieser Prüfung – da gibt es Standardverfahren, die der eine oder andere vielleicht noch aus der Schul-Mathematik kennt – ist eben herausgefunden worden: Nein, zwischen Schülern und Lehrern besteht absolut kein Unterschied.


Und man hat noch andere Kriterien gehabt: das Geschlecht und das Alter der Kinder. Das widerspricht jetzt ein bisschen meiner Hypothese, die ich vorhin gesagt habe. Da gab es keinen Unterschied zwischen jungen Kindern und alten Kindern, zumindest im Schulalter. Das heißt ab sechs Jahren bei dieser Studie kein signifikanter Unterschied. Die einzigen 2 Unterschiede, die signifikant waren, waren eben, dass man festgestellt hat: erstens hängt es von der regionalen Inzidenz ab. Wenn der Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner hoch ist – ich sage mal 400 oder 300, solche Top-Regionen gibt es in Österreich durchaus –, dann ist auch in den Schulen, die dort sind, die Prävalenz höher. Und es hängt auch vom Sozialmilieu der Kinder ab. Wenn das Brennpunktschulen sind mit Kindern, die aus schwierigem sozialen Milieu stammen, dann sind auch die Prävalenzen dort höher, also die Anzahl der Personen, die positiv waren in der PCR. Und das heißt letztlich kurz gesagt – und das hat der Michael Wagner, der Studienleiter aus Wien, bei der Zwischenauswertung vor Weihnachten mal gesagt – das heißt letztlich, die Kinder spiegeln einfach nur die Gesellschaft wieder.



Camillo Schumann

:


Was draußen passiert, passiert dann auch in


der Schule, sie bilden die Gesellschaft eigentlich nur ab.



Alexander Kekulé:


Das heißt umgekehrt: Man sieht, da wir keine statistisch signifikanten Unterschiede finden, heißt es, wir haben keinen epidemiologischen Hinweis darauf, dass bei den Kindern etwas anderes passiert als beim Rest der Bevölkerung.


Und dann muss man sagen umgekehrt: Würden Sie 30 Erwachsene in ein Klassenzimmer zusammensperren und sechs Stunden lang unterrichten lassen und sagen: macht dreimal die Stunde die Fenster auf? Wahrscheinlich eher nicht. Und wenn es eben epidemiologisch so ist, dann deutet alles daraufhin, als bräuchten wir für die Schulen sehr gute Lösungen.


Ich sage vielleicht noch eins dazu. Das ist nicht die einzige Studie. Viel beachtet wurde ja auch diese sogenannte React-Studie aus England. Da hat man auch einen Riesen-Aufwand betrieben, Da hat man über 160.000 Personen gehabt, hat getestet, wie viel davon sind positiv. Man ist einfach zufällig durch die ganze Bevölkerung durchgegangen. Und da war es so, dass auch eine Zunahme der Prävalenz stattgefunden hat. Das ist ganz klar. In England diskutiert man ja auch, ob das die neue Variante war. Aber wichtig ist, der härteste Anstieg, der zwischen September und Dezember in England stattgefunden hat bei dieser React-Studie, war eben bei den 5bis 17-Jährigen. Die hatten den stärksten Anstieg von allen. Es wurde sogar diskutiert, ob vielleicht diese neue, besonderes gefährliche Variante oder besonders infektiöse Variante B1.1.7, ob die vielleicht speziell auf Kinder geht. Das hat aber Gründe andere gehabt, wie man die Proben genommen hatte. Das hatte also nichts damit zu tun. Aber da sieht man diesen massiven Anstieg bei den Kindern, als die Schulen dann aufgemacht wurden.


Und deshalb kann ich nur sagen, die Maßnahmen der Bundesregierung, hier jetzt die Schulen erst einmal zuzulassen und da auf Nummer sicher zu gehen, ist richtig, weil man eben kein anderes Konzept hat. Sie wissen, ich plädiere dafür, die Schüler zweimal pro Woche zu testen, mit Masken zu unterrichten. Und


dann würde man auch das in den Griff bekommen. Aber wenn man die Tests nicht beibringt und diese Konzepte nicht auf dem Tisch hat, kann man eben nur zumachen.


37:34



Camillo Schumann

:


Man könnte sie aber auch noch impfen, die Kinder. Denn Deutschlands Kinderärzte schlagen Alarm, auch mit Blick auf die Schließung der Schulen. Und sie fordern, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen. Minderjährige hatten es in der Pandemie seit Beginn besonders schwer, das hat der Präsident des Berufsverbandes der Kinderund Jugendärzte, Thomas Fischbach, der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt. Und beim Impfen für Kinder müsse mehr Tempo gemacht werden, um endlich die Situation an Schulen und Kitas dauerhaft zu entspannen. Das ist jetzt ein riesengroßes Thema, das Thema Kinderimpfstoffe. Fakt ist er aber, Biontech und Moderna sind zugelassene Impfstoffe, aber nicht an Kindern, also für Personen unter 16 Jahren zugelassen. Deswegen ist das eine schöne Forderung, läuft aber so ein bisschen ins Leere, oder?


38:17



Alexander Kekulé:


Ich wäre dagegen, dass man Bevölkerungsgruppen gegeneinander irgendwie ins Feld führt und sich dann um den Impfstoff streitet. Dass man die Schulen nicht geschützt hat und jetzt nach dem Impfstoff schreit, ist so ähnlich wie bei den Altenheimen. Die hat man auch nicht geschützt, was eines der schlimmsten Versagen überhaupt ist. Und jetzt sagt man, der Impfstoff wird es schon richten und kriegt ihn aber nicht schnell genug in die mobilen Teams, die da impfen sollen. Das ist so ein verzweifeltes Festhalten an einem Strohhalm. Da würde ich ein bisschen davor warnen. Denn es ist einfach so: Bis wir genug Impfstoff haben, dass wir auch die Kinder impfen können – bei der Priorisierung, die ja von der Ethikkommission und vom Ethikrat und von der im STIKO gemacht wurde


– dauert es eine ganze Weile. Da brauchen wir andere Konzepte, statt jetzt auf die Impfung zu schielen.


Diese Diskussion, wenn wenig Impfstoff da ist, wen soll man zuerst impfen, da kann ich Ihnen sagen, das ist seit Jahrzehnten von den Leuten, die Pandemiepläne gemacht haben, diskutiert worden, auch in Planspielen, rauf und runter. Da gibt es in meinem Buch ein ganzes Kapitel darüber, wie das diskutiert wurde.


39:32 



Camillo Schumann

:


Die Frage ist nicht, ob man jetzt eher die Kinder oder die Alten impft. Die Frage ist eher, darf man die Kinder überhaupt impfen? Denn sie wurden ja nicht mitgetestet. Deswegen schließt sich das doch eigentlich von selbst aus. Eigentlich müssten die Firmen erst mal an unter 16-Jährigen den Impfstoff testen, oder nicht?


39:50



Alexander Kekulé:


Wir haben seit gestern 2 zugelassene Impfstoffe in der EU. Auch der Impfstoff von Moderna, der auch ein RNA-Impfstoff ist, eigentlich das gleiche Prinzip wie bei Biontech und Pfizer, hat ja jetzt die bedingte Zulassung, also diese Notfallzulassung, erhalten. Es ist so, dass der Biontech-Impfstoff ab 16 zugelassen ist und der Moderna-Impfstoff sogar erst ab 18. Das hängt damit zusammen, wieviele Personen im jüngeren Alter bei den Phase-3Studien überhaupt eingeschlossen wurden. Und da ist es so, dass die Moderna-Leute keine Menschen unter 18 untersucht haben. Bei Biontech ist es so, da hat eine Phase-3 begonnen mit nur 300 Teilnehmern. Das würde man eigentlich als Phase 2  betrachten. Eine Phase 3 hat eigentlich immer ein paar tausend Teilnehmer. Und da hat Biontech jetzt mit 300 Teilnehmern das Alter zwischen zwölf und 17 Jahren begonnen zu prüfen. Aber 300 ist wenig.


Das heißt, ich würde es eher als Phase 2  betrachten. Pfizer nennt das Phase-3-Studie, und da müssen noch ein paar Tausend her. Ich würde mal sagen, 3.000-5.000 braucht man


auf jeden Fall, um festzustellen, wie sieht es da eigentlich mit Nebenwirkungen aus und mit der Wirksamkeit. Man muss ja auch die Dosis bei Kindern unter Umständen neu festlegen. Und bei Moderna ist das so, die haben angekündigt, dass sie eine Studie mit 3.000 Kindern machen wollen, zwischen zwölf und 17 Jahren auch, also erst ab zwölf erst einmal. Die hat noch nicht einmal begonnen, also nicht einmal mit der Rekrutierung der Teilnehmer. Und bisher hat Moderna eben erst ab 18 überhaupt untersucht. Und AstraZenecaOxford hat noch gar nichts in der Richtung gemacht.


Das heißt, wir sind weit davon entfernt, belastbare Daten zu haben. Wie sieht es bei Kindern mit der Wirksamkeit und der Sicherheit aus?


41:52 



Camillo Schumann

:


Aber wieso trauen sich die Unternehmen nicht an die unter Zwölfjährigen ran?



Alexander Kekulé:


Man macht es eigentlich immer stufenweise. Ich muss jetzt zugeben: Warum das historisch so ist, müsste man vielleicht mal den Vorsitzenden der STIKO, Herrn Mertins, fragen. Der weiß es sicher. Man hat es schon immer so gemacht. Man hat die Impfstoffe erst einmal bei den Erwachsenen ausprobiert, und wenn es dann eine ganze Weile gut funktioniert hat, hat man die Altersgruppe so ab zwölf genommen. Um bei den ganz jungen ist es ja so: Man kann, nach dem, was wir jetzt messen können, sagen, ist das Immunsystem mit der Einschulung so halbwegs ausgereift. Zwischen vier und sechs Jahren reifen diese Zellen aus und sehen dann langsam so ähnlich aus wie beim Erwachsenen, die für die Immunantwort zuständig sind. Die gehören ja alle im weitesten Sinne zu den Lymphozyten, sind also ein Teil der weißen Blutzellen. Hinzu kommt, dass das Immunsystem eine ganze Weile noch weiter lernen muss, weil jeder Erreger, mit dem wir zu tun haben, ist eine neue Erfahrung für das Immunsystem. Da baut es dann eben seine Abwehrmechanismen so stufenweise


aus, sodass ich sagen würde, bis vielleicht 30 Jahre oder so lernt das Immunsystem. Auf einer zunehmenden Kurve wird es immer besser, immer besser. Und dann irgendwann im Alter wird es dann wieder schwächer, weil die Gedächtniszellen kaputtgehen und das alles nicht mehr funktioniert. Und wo macht man jetzt sozusagen den Schnitt bei den Kindern? Es ist sinnvoll zu sagen, unter zwölf nehmen wir erst mal nicht mit, sondern wir gucken erst mal die Gruppe der Jugendlichen an. Und die reine Kindermedizin, die Pädiatrie, hat ja schon mit Kinder zwischen null und zwölf zu tun, auch wenn jetzt offiziell der Übergang bei 14 wäre. Und das wird man sich anschauen. Da wird man dann auch impfen. Da wird es dann eine Zulassung geben. Und wenn man sich das wiederum in einer NachZulassung-Studie, einer Post-Marketing-Studie oder Surveillance-Studie, sich anschaut, dann wird man sagen, okay, wenn da auch nichts passiert ist, dann gehen wir an die ganz Jungen ran. Das ist einfach historisch immer so gewesen. Wie gesagt, ich kann Ihnen nicht genau erklären, warum. Aber ich finde, auch aufgrund der verschiedenen Reifungszustände des Immunsystems ist es sinnvoll. Und es gibt ja diesen Spruch, den ich schon mal gebracht habe. Jeder Arzt kennt den, der heißt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Man darf nicht einfach das, was man für Erwachsene gemacht hat, umrechnen aufs Körpergewicht der Kinder und sagen, dann wird es schon stimmen. Sondern Kinder reagieren eben in vieler Hinsicht anders. Und das hat man zum Glück in der Pädiatrie in den letzten zehn bis 15 Jahren doch sehr deutlich erkannt. Und auch hier muss man das beachten.


44:2 0



Camillo Schumann

:


Man hätte sozusagen aus einer Dosis, wo fünf bis sechs Impfung für Erwachsene drin sind, hätte man jetzt nicht zehn oder 2 0 Kinderimpfungen draus machen können, sondern das muss dann getestet werden und detailliert zugeschnitten werden.



Alexander Kekulé:


Ja, weil das Immunsystem von Kindern reagiert nicht immer so wie bei Erwachsenen. Wenn man jetzt hier die Impfdosis reduzieren würde, so wie man es bei manchen Medikamenten ja macht, dass man das einfach durch das Körpergewicht teilt und sagt, das wird schon stimmen. Wenn man das hier so machen würde, muss man beachten, dass die Reaktionsfähigkeit des kindlichen Immunsystems zum Teil schlechter ist als bei Erwachsenen. Wir haben ja diese angeborene Immunität, da sind die Kinder besser. Und dann haben wir die adaptive Immunität. Das ist das, wo wir von Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen und sowas sprechen. Also Zellen, die andere infizierte Zellen kaputtmachen können. Das ist diese erworbene Immunität oder auch adaptive Immunität, die ist bei Erwachsenen besser. Aber letztere ist das, was der Impfstoff anspricht. Der Impfstoff will ja, dass eine erworbene Immunität gebildet wird. Das heißt also, der Körper lernt, aha, ich habe es hier mit einem Infektionserreger zu tun. Ich bilde jetzt Antikörper dagegen. Ich bilde spezifisch dafür abgerichtete T-Zellen dagegen und merke mir, wie ich das gemacht habe. Und wenn dieser Erreger wiederkommt, dann werde ich schneller darauf reagieren. Das ist eine ganz typische Fähigkeit, die eben Erwachsene haben mit dieser adaptiven Immunität. Und das ist nicht das Hauptstandbein der Immunabwehr von kleinen Kindern.



Camillo Schumann

:


Würden Sie sich denn für eine Impfung gegen Sars-CoV-2  für Kinder aussprechen, im Vergleich zum Beispiel zur Influenza-Impfung?


46:09



Alexander Kekulé:


Das ist schwierig. Also es ist ja so ... Das ist eine ganz schwierige Diskussion. Man muss ja sagen, dass Kinder bei Sars-CoV-2  im Prinzip nicht gefährdet sind. Ja, es gibt immer einzelne Berichte von sogar Todesfällen ist, auch aus Deutschland. Aber wenn man die Gesamtstatistik anschaut, ist das so: Ein Kind kriegt diese Erkrankung oft asymptomatisch


oder mit ganz leichten Symptomen und merkt es kaum und ist dann immun hinterher. Da muss man fragen, was bringt dann für das Kind die Impfung mit einem komplett neuen Impfprinzip, was es bisher noch nie gab, nämlich diesen RNA-Impfstoffen. Auch mit dem Blick, dass so ein Kind dann das ganze Leben noch vor sich hat. Das ist eine andere Indikation, als wenn Sie den 80-Jährigen, der zehn Prozent Wahrscheinlichkeit zu sterben hat, wenn er die Virusinfektion kriegt, und dessen Wahrscheinlichkeit, dass er noch 2 0 Jahre lebt, einfach objektiv gesprochen zumindest in der Regel nicht mehr so hoch ist. Und deshalb muss man bei Kindern einen anderen Blick haben.


Es gibt Diskussionen immer mal wieder, da hat die Ständige Impfkommission auch in der Vergangenheit intensive Beratungen geführt: Kann es eine gesellschaftliche Indikation für Kinder geben, weil sie andere schützen? Die Diskussion haben wir zum Beispiel bei der Hepatitis-B-Impfung, und die Diskussionen haben wir zum Beispiel auch bei der Impfung gegen dieses Papillom-Virus, was ja bei Mädchen oder bei Frauen, wenn sie älter werden, ein Zervixkarzinom, also ein Gebärmutterhalskarzinom machen kann. Die Frage, soll man da Jungs auch impfen? Die können ja selber so etwas nicht kriegen. Aber man kann verhindern, dass sie die Mädchen anstecken, oder die Männer die Frauen anstecken. Und solche Diskussionen werden schon geführt. Aber da ist die Voraussetzung, dass der Impfstoff extrem sicher sein muss. Und es muss vollkommen eindeutig sein, dass der Schutz für die anderen, wie zum Beispiel bei diesen Papillom-Viren, so dermaßen durchschlagend ist. Muten wir das jetzt den Jungs in dem Fall zum Beispiel zu, oder muten wir Kindern zu, dass sie gegen Hepatitis B geimpft werden, obwohl das eigentlich eine Erkrankung ist, die in diesem Alter keine Rolle spielt. Ich sehe diese harte Indikation für eine Impfempfehlung aus sozialen Gründen bei Sars-CoV-2  nicht.


48:33



Camillo Schumann

: Oder anders gefragt: Macht eine InfluenzaImpfung bei Kindern grundsätzlich mehr Sinn, als eine Sars-CoV-2  Impfung bei Kindern jemals machen würde?



Alexander Kekulé:


Ja, das stimmt, das habe ich nicht dazu gesagt. Es ist ja so: Bei der klassischen Influenza haben wir die sogenannte U-förmige Altersverteilung. Bei der klassischen Influenza. Ich spreche nicht von der Spanischen Grippe, sondern der saisonalen Influenza. U-förmig heißt, wir sehen schwere Komplikationen und Todesfälle bei ganz Jungen, also eben bei kleinen Kindern unter vier Jahren, und wir sehen sie bei ganz Alten wieder. Und dadurch ist die Altersverteilung der Komplikationen U-förmig. Bei Covid-19 ist die Altersverteilung ... Ich habe das improvisiert mal als EishockeyschlägerVerteilung bezeichnet. Da haben Sie bei Null überhaupt kein Risiko, und es steigt dann so ganz langsam an wie der untere Teil eines Schlägers. Und dann, irgendwo bei 65-70 geht es steil nach oben. Und diese Eishockeyschläger-Altersverteilung würde prinzipiell bedeuten, dass es niemals einen Sinn macht, Kinder aufgrund einer medizinischen individuellen Indikation zu impfen. Zumindest nicht mit einem experimentellen Impfstoff oder mit einem Impfstoff, der nur eine Notfallzulassung hat. Deshalb brauchen wir als Grund die Argumentation: Kinder haben selbst überhaupt nichts davon. Der Impfstoff ist absolut ungefährlich, auch mit der Lebensperspektive von 80 Jahren, die man noch vor sich hat. Und ich muss es unbedingt machen, weil ich keine andere Möglichkeit habe, sonst die Gesellschaft zu schützen vor diesem Virus. Bei allen drei Punkten sehe ich die Voraussetzungen einer Sars-Cov-2 -Impfung für kleine Kinder nicht gegeben.


50:2 6



Camillo Schumann

:


Damit kommen wir zu den Hörer-Fragen wie immer am Ende. Herr D. hat uns geschrieben:


„Sehr geehrter Herr Kekulé. Aus der Presse ist zu entnehmen, dass nun ein Test der Firma BioMerieux vorliegt, der verbindlich zwischen Grippe und Corona unterscheiden kann. Als Bürger ohne medizinisches Fachwissen frage ich mich, kann das die PCR nicht? Wie hoch ist denn der Anteil der Grippe in den aktuellen Infektionszahlen zu bewerten? Oder habe ich da was falsch verstanden? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Ja, das ist nicht von unserem Hörer falsch verstanden worden, sondern er hat netterweise auch den Link zu dem österreichischen Artikel geschickt. Das ist von Journalisten falsch verstanden worden. Diese BioMerieux-Test, der ist ein Nasenabstrich, bei dem man einen Antigen-Schnelltest macht. Das ist so ähnlich wie das, was wir ja auch bei dem Roche-Test kennen und bei vielen anderen. Die sind ja inzwischen in Deutschland zum Glück verfügbar und Standard. Und dieser Antigen-Schnelltest ist aber so, dass er verschiedene Antigene testet, also nicht nur Sars-Cov-2 , sondern zusätzlich eben 2 verschiedene Influenzaviren A und B. Und ich glaube, es ist noch ein das Respiratorische Synzytial-Virus, das ist ein Virus, was bei Kindern schwere Atemwegserkrankungen machen kann. Das ist auch noch mit dabei. Das heißt, es ist für den niedergelassenen Kinderarzt dann ganz gut. Da macht er einen Abstrich und sieht dann, es ist zwar kein Covid, aber es ist RSV, dieses Respiratorische Synzytial-Virus oder es ist Influenza B, sodass es für einen Arzt ganz gut ist. Wenn er nur einen Test hätte, dann macht er erst einmal einen Covid-Test und sagt, nein, das war es nicht. Aber jetzt muss ich dann noch mal ein Tupfer in die Nase schieben, um zu gucken, ob es Grippe war. Da werden spätestens beim dritten Tupfer die Eltern denken, ich suche mir in anderen Kinderarzt. Und in diese Richtung geht dieser BioMerieux-Test, dass der einfach


quasi so ein Paket-Test ist für mehrere Viren. Das ist für den Hausgebrauch völlig ungeeignet, sondern das ist etwas, was der Kinderarzt braucht. Der hat ja eine ganze Reihe von Schnelltests. Eltern wissen, dass zum Beispiel auch Streptokokken regelmäßig so getestet werden. Und so hat er dann von BioMerieux diesen Kombinationstest. Es gibt aber auch andere Firmen, die ähnliche Kombinationstests anbieten.


52 :45



Camillo Schumann

:


Dann hat diese Dame angerufen mit einer Frage zur Impfung:


„Mein Mann ist 93 und ich 77. Mein Mann sollte jetzt schnell geimpft werden mit diesem mRNA-Impfstoff. Ich bin aber nicht in der Altersklasse. Ist dann mein Mann ansteckend für mich? Und eine weitere Frage: Kann er sich erneut anstecken später oder ist das nur bei einer Mutation des Virus möglich?“



Alexander Kekulé:


Also das Erste ist: Dieser mRNA-Impfstoff, der produziert nur einen kleinen Teil des Virus, die Spikes, diese Stacheln, die davon auch nach außen rausstehen. Die sind als solche nicht ansteckend. Man ist also bei der Impfung nicht ansteckend. Das gibt es nur bei sogenannten Lebend-Impfstoffen. Manchmal gab es das früher bei Polio. Vielleicht hat die Dame das sogar in Erinnerung gehabt. Da gab es dann Chargen von Polio-, also der KinderlähmungImpfung. Das war ein Lebend-Virus. Da war es dann so, dass manche Chargen schlecht hergestellt waren. Und da gab es dann Ausbrüche in irgendwelchen Familien oder Schulen durch das Impfvirus. So etwas ist absolut nicht zu befürchten. Da kann man komplette Entwarnung geben.


Kann man sich noch einmal infizieren? Ich würde sagen, auch ohne dass das Virus mutiert. Es gibt ja schon viele Mutanten, die auch zirkulieren, nicht nur diese englische. Meine Vermutung ist, dass wir ganz viele schon weltweit haben, die noch nicht gefunden wurden. Ich würde sagen ja, wahrscheinlich


kann man sich, je nachdem, wie gut die Antikörper sind, die der eigene Körper produziert hat, vielleicht noch einmal infizieren. In diesem Fall wäre es für die Person selber nicht so schlimm, weil sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nach allem, was wir virologisch und immunologisch verstanden haben, nicht mehr so eine schwere Erkrankung kriegen würden. Aber mit jemanden, mit dem man extrem eng zusammen ist, dem Ehepartner wäre es dann eine Verkettung unglücklicher Umstände. Aber es ist nicht auszuschließen, dass man so jemanden bei sehr engem Kontakt dann auch infizieren könnte. Ausgerechnet an dem einen Tag, wo das Immunsystem erfolgreich das Virus bekämpft. Das kann schon sein. Das ist nicht ganz auszuschließen. Aber epidemiologisch spielt es keine Rolle. Das heißt also die viel diskutierte Frage: Schützt der Impfstoff auch vor Weiterverbreitung? Das halte ich für überbewertet, weil es für die Gesamtepidemiologie klar ist, dass das was bringen wird. Aber im Einzelfall ist es nicht auszuschließen, dass es zu Infektionen kommt.


55:11



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 135. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem HörerFragen SPEZIAL.


Bis dahin.



Alexander Kekulé:


Gerne, bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter


0800 300 2 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Dienstag, 05.01.2 02 1 #134: Zweite Impfdosis verzögern?



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Linktipps


Aktuelle Impfzahlen


https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu artiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonit oring.html Impfstoff-Studien (Sammlung) https://doi.org/10.1016/S01406736(2 0)32 661-1 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2 035389 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2 02 8436 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2 034577 https://www.fda.gov/media/1442 45/dow nload



Camillo Schumann

:


Dienstag, 5. Januar 2 02 1.


Bundesgesundheitsminister Spahn lässt eine verzögerte Gabe der 2 . Impfstoffdosis prüfen. Unbedenkliche Lösung oder gefährlicher Verzug?


Dann: Lockdown verlängern und wie? Außerdem Besucheransturm auf die Mittelgebirge. Wie groß ist die Ansteckungs-gefahr? Und: Gäbe es keine Viruskrankheiten mehr, wenn sich der Mensch vegan ernähren würde? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen.


Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


An dieser Stelle ein wünsche ich Ihnen noch einen guten Start ins neue Jahr und vor allem Gesundheit.



Alexander Kekulé:


Selbstverständlich wünsche ich Ihnen und unseren Hörern dieses Podcasts auch von meiner Seite guten Start ins neue Jahr und vor allem Gesundheit.



Camillo Schumann

:


Und hoffen wir beide Male zusammen, dass dieser Podcast nicht mehr lange notwendig sein wird und Corona Geschichte sein wird, oder?



Alexander Kekulé:


Dann reden wir über etwas anderes. Da haben wir so viele Themen angeschnitten, die wir nicht besprechen konnten bisher.



Camillo Schumann

:


Das stimmt. Normalerweise starten wir ja mit einem Blick auf die aktuellen Zahlen in den Podcast. Das wollen wir heute auch mal machen. Das Robert-Koch-Institut meldet rund 12 .000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Das sind gut tausend weniger als vor einer Woche am Dienstag. Das weist aber auch darauf hin, dass während der Weihnachtsfeiertage zum Jahreswechsel und an den umgebenden Tagen bei der Interpretation der Fallzahlen zu beachten ist, dass zum einen meist weniger Personen einen Arzt aufsuchten, dadurch weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchung durchgeführt wurden. Herr Kekulé, heißt das, dass wir uns gerade – was die Zahlen angeht – in einer Art Blindflug befinden?


[0:02 :02 ]:



Alexander Kekulé:


Wir sind in vieler Hinsicht im Blindflug, schon


1


seit Längerem, in diesem Fall auch. Ja, das ist richtig. Ich verstehe nicht ganz, warum am 5. Januar, das immer noch unklar ist, weil man anhand von einzelnen Stichproben das schon überprüfen hätte können. Die Vermutung ist richtig: Das Robert-Koch-Institut nimmt an, dass sich weniger Menschen über Weihnachten untersuchen lassen haben und dadurch besondere Verzögerungen bei den Gesundheitsämtern gibt, und dadurch die Zahlen geringer sind. Aber das könnte man prüfen, indem man irgendwo eine Stichprobe macht, wo man dann einfach mal schaut, wie es ist: Sind die Untersuchungen so viel runtergegangen? Um wieviel Prozent sind Sie an Weihnachten runtergegangen? Und anhand dieser Probe könnte man dann eine Schätzung machen, wie die en Entwicklungen sind. Das wäre im Moment extrem wichtig, weil wir alle wissen wollen, ob die Weihnachtsfeiertage irgendeinen negativen Effekt gehabt haben.


[0:02 :56]:



Camillo Schumann

:


Ich wollte gerade sagen: Man hätte es quantifizieren können, um mit dieser doch sehr wichtigen Lage auch valide Zahlen zu haben, um dann auch Entscheidungen treffen zu können.


[0:03:05]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ganz klar. Also wenn Sie wissen wollen, was das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung ist, aber die Banken nicht die Zahlen liefern, dann können Sie einfach 100 Leute nehmen und bei denen das genauer untersuchen und dann so eine Art Hochrechnung auf die Gesamtmenge machen. Das hätte man hier ganz sicher auch machen können. Und ich verstehe nicht, warum nicht so ein Instrument benutzt wird. Denn bekanntlich sitzen die Politiker gerade im Moment zusammen und beugen sich über die Zahlen des RKI. Sie wollen wissen: Hat der Lockdown gewirkt, müssen wir weitere Verschärfungen machen usw. Dass sie gar nichts liefern als Entscheidungsgrundlage, ist halt deutsches Beamtentum, hätte ich fast gesagt.



Camillo Schumann

:


Was meinen Sie, wie groß ist die Verzögerung, und wie gefährlich kann diese Verzögerung sein?



Alexander Kekulé:


Naja, was heißt gefährlich? Es muss ja jetzt beschlossen werden, ob der Lockdown verlängert wird und wenn ja, wie. Nehmen wir mal an, die Zahlen, die wir hier sehen, wären relativ nah an der Wahrheit dran. Das heißt, wir hatten einen massiven Rückgang der Neuinfektionen. Dann würde man andere Entscheidungen treffen und das anders interpretieren, als wenn man jetzt dann später beim Nachzählen in der nächsten Woche vielleicht feststellt, das war eine Scheinrechnung. Daher kommt es darauf an, was die Politik daraus macht. Gefährlich im gesundheitlichen Sinn ist es aus meiner Sicht nicht. Da plädiere ich eher für Langmut, denn die Zahlen gehen rauf und runter. Das muss man aus der langfristigen Perspektive sehen, nicht von Tag zu Tag nervös werden. Aber wenn jetzt an einem bestimmten Stichtag politische Entscheidungen getroffen werden müssen, dann würde ich als Politiker wahrscheinlich auf den Tisch hauen und sagen wir, wieso kriegen wir hier keine bessere Grundlage!


[0:04:48]:



Camillo Schumann

:


Wie es mit dem Lockdown weitergeht, darüber werden wir im Verlauf des Podcasts noch sprechen. Bleiben wir mal bei den Zahlen und schauen mal auf das Impf-Geschehen. Das wird nun mit Beginn der Impfung auch täglich vom Robert-Koch-Institut veröffentlicht. Und zum Zeitpunkt dieser Podcastaufzeichnungen haben wir den Datenstand vom 04.01.2 02 1. Demnach haben bislang in Deutschland rund 2 66.000 Menschen eine Impfung gegen SarsCoV-2  erhalten, darunter fast 115.000 Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeheimen. Zum Vergleich: Rund 800.000 Menschen werden in einer vollstationären Pflegeeinrichtung versorgt. Das heißt also: Nach einer reiflichen Woche nach Impfstart haben rund 14 Prozent der Pflegeheimbewohner ihre erste Impfung bekommen. Ist das


2 


jetzt eine gute Zahl? Wie interpretieren Sie das?



Alexander Kekulé:


Ich glaube, dass man die Pflegeheimbewohner da als erstes nimmt, ist richtig. Aber wir brauchen die Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Das ist ja noch mal eine feine Unterscheidung. Ich meine, dass in den Altersheimen wahrscheinlich noch mehr Menschen leben. Wir haben jetzt etwa 33.000 Impfungen pro Tag durchgeführt. Das ist laut Robert-Koch-InstitutsZahlen so der Mittelwert gewesen am Anfang. Da gibt es leider keine Dunkelziffer. Also 33.000 sind die, die geimpft sind pro Tag. Wenn man jetzt mal so grob sagt: Vielleicht haben wir 2 0.000, hätten wir 2 0.000 neu gemeldete Neuerkrankungen pro Tag. Wenn man jetzt das vollständige Bild hätte, einfach mal so als Schätzung, da ist die Dunkelziffer sicherlich das Fünfbis Zehnfache. Das heißt, sagen wir mal 100.000 bis 2 00.000 Neuinfektionen jeden Tag in Deutschland versus 33.000 Impfungen. Das heißt also, die Neuinfektionen immunisieren dreimal so viele bis sechsmal so viele Personen, wie wir es mit den Impfungen schaffen. Da müssen wir dringend das Überhol-manöver hinkriegen, denn sonst hat das Ganze ja relativ wenig Sinn, denn eine Durchseuchung oder eine Immunisierung auf natürlichem Weg kriegen sie viel, viel schneller hin als mit einer Impfung.


[0:06:47]:



Camillo Schumann

:


Okay, aber die Impfung werden ja gezielt in den Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen durchgeführt. Und Gesundheitsminister Spahn hat dazu heute im ARD Morgenmagazin Folgendes gesagt:


[0:06:59]:


„Wenn wir es im Januar schaffen würden, in allen Pflegeheimen alle Bewohnerinnen und Bewohner zu impfen, dann macht das in dieser Pandemie einen echten Unterschied.“


[0:07:06]:


Und hat weiter gesagt: Mit der Entscheidung, zuerst in Pflegeheimen zu impfen, war klar, dass es langsamer geht. Dort müssen mobile Teams eingesetzt werden. Das ist aufwendiger, als im Impfzentrum. Das hat er der Rheinischen Post gesagt. Er sei aber zuversichtlich, dass noch im Januar allen Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen ein Impfangebot bekommen. Und wenn sich dort alle impfen ließen, habe die Pandemie schon einen Teil ihres Schreckens verloren. Sehen Sie das auch so? Wenn man gezielt dort sozusagen dann alle immunisiert hat, ist sozusagen der Knoten schon einmal geplatzt, oder nicht?


[0:07:36]:



Alexander Kekulé:


Die Pflegeheime sind auf jeden Fall der wichtigste Teil des Konzepts, was ich schon länger vorgestellt habe, heißt ja SMART und beginnt mit S, dem Schutz der Risikogruppen, speziell der alten in den Heimen. Das ist ja die Situation, die wir nicht in den Griff bekommen haben in Deutschland im Herbst, dass es dort weiterhin schwere Ausbrüche gab. Auch nach dem aktuellen Bericht des Robert-KochInstituts, der jetzt von gestern ist, ist noch einmal beschrieben, dass es weiterhin in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen Ausbrüche gibt. Der Schutz dieser Risikogruppen durch anti-epidemische Maßnahmen, also durch Infektionsprävention, hat nicht funktioniert. Und wenn man das jetzt stattdessen über die Impfung hinbekommt und zwar möglichst schnell, dann ist das wichtig. Das ist klar, das ist das Wichtigste, was wir überhaupt machen können. Das hat nach wie vor Priorität, wenn nicht durch Schutz vor Infektionen, dann eben durch die Impfung. Da hat der Bundesgesundheitsminister Recht.


[0:08:35]:



Camillo Schumann

:


Und wenn man das noch im Januar schaffen würde, dann wäre es doch schon mal ein Meilenstein, oder nicht?


[0:08:42 ]:



Alexander Kekulé:


Na gut, er hat es in dieser Aussage jetzt auf die


3


Pflegeheime bezogen. Ich weiß nicht genau, wie die Zahlen sind. Ich vermute, dass in den Altenheimen noch mehr Menschen leben. Man müsste beides in den Griff bekommen, dass man sowohl in Altenals auch in Pflegeheimen durch die Impfung die Bewohner schützt. Wenn man dieses Paket abgearbeitet hätte, dann hätten wir das größte Damoklesschwert entfernt, weil wir wissen, dass dort die Sterblichkeitsrate besonders hoch war bzw. nach wie vor ist. Und das würde den Blick auf die Pandemie verändern, weil wir für den Rest der Bevölkerung etwas entspannter damit umgehen könnten, wenn wir insgesamt mit einer niedrigeren Letalität bei dieser Erkrankung Leben.


[0:09:2 8]:



Camillo Schumann

:


Die große Frage, die sich jetzt gestellt hat mit dem Impfstart. Wenn sich herausgestellt hat, wie viel Impfdosen eigentlich da sind, gibt es genügend Impfstoff? Da gibt es ja jetzt auch in der Koalition einen offenen Streit. SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil im ARD Morgenmagazin:


[0:09:44]:


„Es war immer klar, das muss priorisiert werden. Das bestreite ich auch gar nicht. Darum geht es nicht. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel lese, dass Herr Sahin, also der Chef von Biontech sagt, er hat der Europäischen Kommission noch mehr Impfstoff angeboten. Und das ist dann abgelehnt worden, weil die Osteuropäer skeptisch sind, weil die Franzosen das nicht wollten, wenn man andere Impfstoffe hatte. Und wir wussten aber zu dem Zeitpunkt, Anfang November, schon, dass es ein guter Impfstoff ist. Warum hat dann nicht die Bundesregierung, Frau Merkel, der Gesundheitsminister, bilaterale Verträge abgeschlossen?“


[0:10:11]:



Camillo Schumann

:


Das ist die Kritik von Lars Klingbeil. Der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Hanno Kautz, hat gestern in der Bundespressekonferenz darauf folgendermaßen reagiert:


[0:10:2 1]:


„Es gibt nämlich genug Impfstoff für Deutschland 1,3 Millionen bis Ende vergangenen Jahres, 4 Millionen bis Ende Januar, rund 11 Millionen bis Ende des ersten Quartals. Und allein die Impfstoffe von Biontech und von Moderna, wenn der dann zugelassen wird, werden ausreichen in diesem Jahr, Deutschland zu versorgen, mit 130 bis 140 Millionen Impfstoffdosen.“


[0:10:53]:



Camillo Schumann

:


Wie schätzen Sie die Impfstoffsituation in Deutschland ein?



Alexander Kekulé:


Ich kann die Zahlen, die gerade genannt wurden, nicht ganz nachvollziehen. Diese Millionen, die da im letzten Jahr schon dagewesen sein sollen. Wir haben ja gerade gehört, wie viele verimpft wurden. Das hieße ja, dass da irgendwo in den Kühlschränken oder in den Tiefkühlschränken einige Millionen Dosen herumliegen, die nicht verimpft wurden. Davon habe ich nichts gehört.


Ich höre im Gegenteil davon, dass man bundesweit etwa 400 Impfzentren hochgezogen hat. Die sollen Mitte Dezember aktiv gewesen sein, und die konnten aber nicht loslegen, weil keine Dosen da waren. Und weil dann offensichtlich später – wie Gesundheitsminister das ja gerade erklärt hat – man auf die Idee kam, doch lieber mit mobilen Teams zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass diese Dosen in dieser Millionenzahl letztes Jahr vorhanden waren. Und mit Blick auf die Zukunft: Das sind sicher irgendwelche Verträge oder Vorverträge, die da sind. Die Frage ist ja immer, wann ist die Ampulle am Patienten? Und da wird es Flaschenhälse geben. Das wird einfach so sein, dass wir zumindest regional Probleme haben werden, den Impfstoff zu bekommen. Das liegt nicht an uns. Das liegt einfach daran, dass das eine wahnsinnig aufwendige Logistik ist.


Und ja, die EU hat definitiv zu spät bestellt. Das ist ja ein kein Geheimnis. Das kann man auch nicht mehr schönreden. Ich fand es eigentlich nachvollziehbar, dass die Bundesregierung gesagt hat, wir wollen jetzt hier nicht ausscheren, sondern wir wollen zumindest bei


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dieser Impfstoffbestellung mal bei dem bleiben, was der europäische Gedanke von gegenseitiger Solidarität ist. Man hat deshalb Brüssel die Verhandlungen überlassen. Deutschland hatte sich da schon mal die Finger verbrannt, nachdem der Bundesgesundheitsminister früh in der Pandemie erklärt hat: Wir exportieren keine Schutzausrüstung mehr, auch nicht an unserer EU-Partner und dann feststellen musste, dass wir so etwas gar nicht im Land herstellen. Und das hat nicht nur Gelächter, sondern auch Verstimmung bei den EU-Mitgliedsstaaten ausgelöst. Und deshalb, glaube ich, wollte man jetzt nicht als nächstes ausscheren und sagen: Ja, wir haben mit dem Paul-Ehrlich-Institut eine gute Zulassungsbehörde – das haben ja nicht alle EU-Mitgliedsstaaten – und deshalb machen wir das wie die Briten an der Stelle. Das fand ich eigentlich politisch gesehen. Richtig. Ich glaube auch, dass die kleine Verzögerung, die dadurch eingetreten ist, jetzt nicht schädlich ist. Die logistischen Probleme sind eher größer als diese Verzögerung. Die Frage ist nur: Kriegen wir insgesamt genug, und zwar rechtzeitig genug? Und das hat eher mit der Bestellpolitik der EU zu tun. Da ging es ja um Haftungsfragen, wahrscheinlich auch um Geld, auch um nationale Fragen: Aus welchen Ländern wird bestellt? Und es ist eben so, dass die Europäische Kommission am Ende dann immer die Bestätigung der Mitgliedsstaaten braucht. Und diese Mechanismen sind aufwendig, das ist klar. Dass sich da ein Herr Sahin wundert, der vorhin zitiert wurde, insofern dass das Brüssel so gemütlich verhandelt, nach dem Motto: wir haben hier alles unter Kontrolle und irgendwo kommt der Impfstoff dann schon her, oder wenn ihr nicht liefert, wird jemand anders liefern, ist verständlich. Wissen Sie, es ist so: Die mRNA-Impfstoffe waren ja das wissenschaftlich das sportlichste Thema. Die Vektor-Impfstoffe wie von AstraZeneca gibt es ja schon so ähnlich. Die wurden zumindest bei Ebola mal ausprobiert. Die anderen Impfstoffe, die klassischen Impfstoffe, über die haben ja oft gesprochen. Und die mRNA-Impfstoffe waren sozusagen der Prototyp der Prototypen. Und da, glaube ich, muss man auch die wissenschaftlichen Berater der Europäischen Union fragen. Es gibt ja ein sechsköpfiges wissenschaftliches EU-


Beratergremium. Da muss man die fragen: Gab es klare Vorschläge an die Kommission, diese mRNA-Impfstoffe auch zu bestellen? Oder habt ihr hier vielleicht die Chance dieser Impfstoffe verkannt? Denn das ist ja letztlich eine wissenschaftliche Entscheidung, ob man Unmengen von AstraZeneca bestellt, was offensichtlich passiert ist, oder von Sanofi aus Frankreich bestellt. Das kann ja nicht nur politisch entschieden werden. Dann muss ich ja gerade dieses Beratungsgremium, was die Frau von der Leyen ja extra einberufen hat, hierzu Stellung nehmen. Und ich kann nur sagen, von den Leuten, die ich etwas besser kenne, wenn einer von denen in diesem Gremium wäre, hätte der gesagt, ihr müsst die mRNAImpfstoffe in großem Stil einkaufen. Offensichtlich ist entweder dieser Ratschlag nicht erteilt worden. Das wäre dann eine wissenschaftliche Fehleinschätzung. Oder man hat dieses Gremium gar nicht gefragt. Das wäre dann echt ein Politikum.



Camillo Schumann

:


Aber zum Zeitpunkt der Bestellung war ja auch noch nicht 100 Prozent klar, welcher Impfstoff es durchs Ziel schafft? Das war ja auch eine Wette auf die Zukunft. Man wollte sich breit aufstellen.



Alexander Kekulé:


Ja, eben. Aber da hat man eben zu wenig bei den mRNA-Impfstoffen bestellt und dafür mehr bei den Vektor-Impfstoffen. Also ich vergleiche das mal mit dem Klassiker, als ich früher mehr zuhause war. Wenn Sie Investmentfirmen haben, müssen Sie sehr viel Geld verwalten und müssen das investieren. Zum Beispiel in Aktien oder in Unternehmen oder in Start-ups. Die versuchen da auch zu streuen, weil sie wissen, der eine schafft es, der andere schafft es nicht. Aber kein Finanzmensch würde das jemals ohne wissenschaftlichen Berater machen. Da gibt es dann eben Leute, die machen sog. Due-Diligence-Studien, das sind Fachleute, die untersuchen, wie ist die wissenschaftliche Aussicht, dass das eine oder das andere Projekt reüssiert. Und auf dieser Basis muss man das entscheiden, und nicht, weil vielleicht Herr Macron für Sanofi Werbung gemacht hat. Und deshalb ist die Frage wichtig: Gab es hier möglicherweise eine wissenschaft-


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liche Fehleinschätzung, das dieses EU Beratergremium, also Gremium der Europäischen Kommission, dass sie gesagt haben: Dieser mRNA-Impfstoff ist so experimentell. Setzen wir mal lieber auf Vektor und auf Standards wie von Sanofi. Oder sind die gar nicht gefragt worden. Dann hätte man es ohne wissenschaftliche Einschätzungen gemacht. Und das kann man auch, wenn man so eine so eine Gießkannenpolitik macht. Das ist ja richtig gewesen, dass man sagt, wir setzen auf möglichst viele Pferde. Es waren ja auch nur Vorverträge. Da ist ja kein Geld geflossen durch die Vorverträge. Aber wenn man das macht, dann muss man das meines Erachtens auf einer wissenschaftlichen Basis machen. Und im Juli – um den Zeitraum geht es ja jetzt, wo die USA gesagt haben, wir bestellen bei Moderna und bei Biontech – war den Insidern eigentlich schon klar, dass das Impfstoffe sind, die, wenn sie funktionieren, durch die Decke gehen. Und die USA haben ja deshalb auch im großen Stil zum Beispiel jetzt bei Biontech bestellt.


[0:17:49]:



Camillo Schumann

:


Das eine ist, auf ein Pferd zu setzen, und das andere ist die Lieferfähigkeit. Und da stoßen diese Firmen schnell an ihre Grenzen und können nur gewisser Kapazitäten zur Verfügung stellen. Deswegen gibt es da auch bei Biontech jetzt mehrere Standorte, die neu dazukommen. Die Produktion soll verdoppelt werden. Also selbst wenn man bestellt hätte, hätte man ja jetzt gar nicht mehr gehabt.


[0:18:13]:



Alexander Kekulé:


Ja, das stimmt. Aber das ist ja der Blick in die nahe Zukunft. Es geht jetzt gar nicht so viel darum, was jetzt im Moment da ist. Da wurde sicherlich vertragsgemäß ausgeliefert. Und die USA haben einfach früh sehr viel bestellt. Und deshalb haben die wesentlich mehr Impfstoff bekommen als die EU, jetzt konkret von Biontech/Pfizer. Wenn man da mehr bestellt hätte, dann hätten die USA weniger bekommen. Ich glaube nicht, dass die Manager Dinge verkaufen, die sie dann hinterher nicht liefern können. So etwas wird sicherlich in den


nächsten Monaten mal auftreten. Aber das ist bis jetzt nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Kapazitäten absehbar begrenzt sind, und das war absehbar. Und es ist auch weiterhin absehbar. Und dann ist es einfach so: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und wer zuerst unterschriebene Verträge für Lieferungen hat, der wird zuerst beliefert. Das ist in diesem Fall auch so.


[0:19:04]:



Camillo Schumann

: Gemessen an den Zahlen um die 130-140 Millionen, die jetzt vom Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums noch genannt worden sind, um die mal kurz zu nehmen, sollte das alles so eintreten und Moderna dann auch liefern und zugelassen werden, dann werden diese 130-140 Millionen in diesem Jahr doch völlig ausreichend sein bei 80 Millionen Einwohnern und einer Impfbereitschaft von 50-60 Prozent. Nicht jeder geht ja hin. Dann haut das doch hin, oder nicht?


[0:19:30]:



Alexander Kekulé:


Ja, das glaube ich schon, das ist nur eine Zeitfrage. Das Problem ist nur auf der Zeitachse. Wir müssen ein Überholmanöver gegenüber den natürlichen Infektionen schaffen. Und das hat alles mit Zeit zu tun. Ich bleibe bei meiner Prognose: Ich versuche ja immer, Optimist zu sein. Und meine Prognose ist, dass am Ende des Sommers, wenn also die kalte Jahreszeit in 2 02 1 wiederkommt, wir keine relevante CovidWelle mehr haben werden, und nur ein paar Infektionen auftreten. Aber es wird hoffentlich keine Diskussion mehr über Lockdowns geben. Wenn wir dann immer noch über Lockdowns reden müssen, dann ist das traurig. Dann ist bei den Impfkampagnen was schiefgegangen.


[0:2 0:14]:



Camillo Schumann

:


Und damit die Impfung die Infektionszahlen rechts überholen und schnell mehr Impfdosen zur Verfügung stehen, lässt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn prüfen, ob man den Zeitraum zwischen der 1. und der 2 . Gabe des Impfstoffs verzögern könnte. Maximal 42  Tage


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beträgt dieser Zeitraum. Macht man den Zeitraum größer, könnte man weitere Impfdosen produzieren und die treffen dann ein und könnten dann auch verteilt werden, so möglicherweise das Kalkül. Wäre eine Verlängerung des Zeitraums zwischen beiden Impfungen eine unbedenkliche Lösung oder ein gefährlicher Verzug?


[0:2 0:51]:



Alexander Kekulé:


Das ist die 1-Million-Dollar-Frage, die Sie darstellen. Das ist ja so, dass in Großbritannien die, die die Regulationsbehörde dort, das ist dieses Medicine Health Regulatory Agency, die MHRA, das jetzt gerade aktuell empfohlen. Die hat gesagt, man darf bis zu zwölf Wochen, also drei Monate, quasi warten mit der 2 . Dosis. Das hat sie nicht rein auf wissenschaftlicher Basis empfohlen, sondern der Not folgend, dass man gerade in Großbritannien jetzt durch diese hochinfektiöse Variante, die sich dort auch massiv ausbreitet, das Problem hat, dass man eben Schwierigkeiten hat, mit der Impfung die natürlichen Infektionen zu überholen. Und seitdem wird das heiß diskutiert.


Da kann ich nur sagen, bei meinen Kollegen, mit denen ich darüber gesprochen habe, ist es zweigeteilt. Einige sagen: Seid ihr völlig wahnsinnig, das könnt ihr nicht machen. Das ist wahnsinnig gefährlich, mit einer Dosis erst mal zu arbeiten. Und andere sagen: Das ist unter den gegebenen Umständen eine Option, mit der man arbeiten kann.



Camillo Schumann

:


Die große Frage ist, wie wirksam ist denn das? Wie wirksam ist der erste Schuss? Wie lange hält der durch?



Alexander Kekulé:


Das weiß keiner genau. Aber klar ist, dass die Wirksamkeit nicht ganz so stark ist und nicht ganz so gut ist, als wenn man 2 macht. Sonst würde man ja nicht 2 Injektionen machen. Die Kritiker sagen, das darf man nicht machen. Die sagen Folgendes, erstens ist es so, dass wir keine sauberen Daten haben, wie stark die Wirksamkeit, wie stark der Schutz nach der ersten Injektion ist. Das ist zwar in einigen Studien oder in den meisten Studien so


als Nebenzweig mit ausgewertet worden. Aber die Zahl der Teilnehmer, an denen man das auswerten konnte, war viel geringer. Und dadurch ist die Aussagekraft, wir sagen die Power, die Signifikanz dieser Aussage, nicht so stark. Die sagen also, wir wissen nicht genau, wie gut das dann wirkt, ob das dann in einem Bereich von 70 Prozent ist. Oder geht es auf 50 runter oder vielleicht noch auf 40? Es ist auch nicht auswertbar gewesen, weil man nicht genug Teilnehmer hatte nach Altersgruppen. Die große Frage ist ja, wie ist es dann bei Älteren zum Beispiel, wirkt es dann auch gut genug. Und da haben wir ja immer Bedenken – auch bei anderen Impfstoffen –, weil das Immunsystem altert. Deshalb wissen wir: Je älter man wird, desto schlechter wirken normalerweise die Impfungen. Bei Influenza ist das ja ganz katastrophal. Und die Befürchtung ist hier, dass man dann gerade bei denen, auf dies besonders ankommt, vielleicht keinen so guten Schutz hat nach einer Impfung.


Und dann gibt es noch ein ganz praktisches epidemiologisches Argument: Es ist ja so, dass, wenn man anfängt zu impfen, tritt das Gleiche ein, was wir im Sommer schon einmal beobachtet haben: Wenn man in bestimmten Bereichen eine weitgehende Immunisierung von Teil-Bevölkerungen hat – das gibt es ja zum Beispiel in Indien zum Teil oder in Südamerika, jetzt zunehmend auch in anderen Bereichen der Welt, auch in USA teilweise –, ist die Bevölkerung dann immunisiert entweder durch natürliche Infektion oder durch Impfung. Und dann fängt das Virus an, sich daran anzupassen, es verändert sich. Und diese Veränderungen kann es am besten machen. also mutieren, dass es eine impfresistente Variante gibt – wir nennen es dann auch EscapeVariante, also eine Flucht-Variante, die durch die Impfung nicht verhindert werden kann. Das Virus ist optimal aufgestellt für so eine Situation, wenn man Leute hat, die einen halben Immunschutz haben, so einen schwachen Immunschutz, die aber das Virus noch infizieren kann, und die zusätzlich aber dann länger krank werden, wie zum Beispiel ältere Leute, die einen längeren Krankheitsverlauf haben oder auch Menschen mit einem schlechten Immunsystem. Und wir haben Hinweise darauf, dass die neue Variante, diese besonders infektiöse im Vereinigten König-


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reich, dass die wohl entstanden sein könnte in einer Person mit einem schlechten Immunsystem. Das haben wir hier im Podcast schon einmal spekuliert. Inzwischen gibt es aber auch Daten, die das belegen, dass es in diese Richtung geht: Bei jemand, der lange krank ist, wo das Immunsystem mit dem Virus nicht klarkommt, da kann sich das Virus in diesem einen Organismus anpassen. Und das Gleiche würde gelten für jemanden, der so eine Teilimmunität durch eine Impfung hat. Und deshalb ist die Angst der Leute, die dagegen ist, dass man damit sehr selektiv, also dass man resistente Varianten züchtet.



Camillo Schumann

:


Man würde es dem Virus eigentlich noch wesentlich leichter machen, wenn man diesen Zeitraum vergrößert?



Alexander Kekulé:


Ja, speziell bei den Leuten, die jetzt empfänglich sind, die also dann auch krank werden und länger krank werden. Meine Arbeitshypothese ist, dass altersabhängig die Zeit, in der man das Virus ausscheidet, zunimmt. Dass Kinder nur ganz kurz das Virus ausscheiden und wir deshalb zum Beispiel in Grundschulen weniger Infektionen sehen. Und Alte, die schwer krank sind, die 2 Wochen lang oder drei Wochen im Krankenhaus sind, die scheiden auch das Virus über einen längeren Zeitraum aus. Und dann hat das Virus hier über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, sich genetisch zu verändern und anzupassen. Das ist das Argument derjenigen, die dagegen sind, das zu machen. Und die, die dafür sind, die sagen: besser irgendwie impfen als gar nicht. Die schauen auf die Daten der Studie. Ich habe mir die auch noch einmal ganz genau angeschaut. Da gibt es diese Teil-Auswertungen. Es ist zum Beispiel so mit einer kleineren Zahl von Teilnehmern war es bei dem Biontech/PfizerImpfstoff so, das nach dem ersten Schuss 82  Prozent immun waren. Das ist schon gut. 95 Prozent bekanntlich nach 2 Impfungen, 82  nach dem ersten. Das ist aber eine Auswertung, die nicht an dieser Riesenzahl von Probanden gemacht wurden – das waren nicht über 40.000 Menschen bei Biontech. Bei Moderna sind die Daten auf den ersten Blick


nicht verständlich. Nach der 1. Dosis waren da 95,2  Prozent immun, 14 Tage nach der ersten Injektion, und dann insgesamt nach der 2 . Dosis, wenn man alle zusammen anschaut, waren es 94,1, also ein bisschen weniger. Das liegt aber daran, dass es andere Zahlen von Patienten waren, die dann in den beiden Gruppen, also in der umkämpften Gruppe und in der Kontrolle aufgetreten sind und ausgewertet wurden. Und dadurch kommt es zu solchen Schwankungen. Man kann sagen, bei Moderna ist es so, dass nach der 1. Impfung eigentlich das so aussieht, als wäre er schon genauso gut gewesen wie nach der 2 . Und dann AstraZeneca. Das ist ja dieser VektorImpfstoff, wo ziemlich viel schief gegangen ist, die am Anfang leider auch falsche Daten publiziert haben bzw. die Daten falsch interpretiert haben. Die haben das jetzt noch einmal besonders genau offengelegt, wie sie alles rechnen, weil die ja jetzt in Erklärungsnot sind. Und da haben wir die ausführlichsten Daten. Die haben untersucht, wie sieht es aus nach vier Wochen nach der Impfung, oder wenn man sechs bis acht Wochen Abstand bis zur 2 . Impfung macht, oder wenn man sogar über zwölf Wochen Abstand macht. Und die haben da relativ ausführliche Daten vorgelegt. Und mal so ganz grob gesagt, ist es so, wenn man nur eine Impfung macht, also statt 2 nur eine, dann ist bei AstraZeneca die Wirksamkeit bei 64 Prozent, sagen sie. Das ist auch wieder interessant, weil die Wirksamkeit insgesamt mit 2 Impfungen laut AstraZeneca nur 62  Prozent beträgt. Dann wäre also eine Impfung besser als zwei. Und das liegt eben auch an diesen Statistiken, die man da macht. Ja, das ist von vielen belächelt worden. Ich kenne auch Kollegen, also richtig hartgesottene Virologen, die sagen, die lügen schon wieder. Das ist nicht so, sondern das ist einfach so, dass diese Daten einfach unter-schiedlich stark belastbar sind. Vielleicht kann ich erst AstraZeneca-Studie noch eins sagen, weil ich mir das hier gerade aufgeschrieben habe: Es ist bei allen Studien so, das man immer nur angeguckt hat, wie gut wirkt die Impfung zur Verhinderung von Erkrankungen, also symptomatischen Erkrankungen. Und da kommt man dann auf die berühmten 95 Prozent oder bei AstraZeneca um die 60 Prozent. Wenn man das aber anschaut bezüglich der Verhinderung


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der Infektion, also nur guckt, sind die positiven der PCR geworden, ja oder nein, gar nicht auf die Symptome guckt, dann ist die Impfwirksamkeit, also der Impfschutz beim AstraZeneca-Impfstoff plötzlich nur noch 46 Prozent, also runtergegangen von 62  auf 46. Daran sieht man, wenn man jetzt überhaupt eine guckt, kann ich mit den Impfstoff die Infektion verhindern, einschließlich derjenigen, die keine oder nur sehr wenige Symptome haben, dann stürzen sowieso diese Wirksamkeiten deutlich ab, alle. Und deshalb muss man aufpassen, wenn man sagt: Naja, wir haben 95 Prozent Impfschutz mit 2 Impfungen. Und wenn wir dann noch eine machen, dann geht es ein bisschen runter. Das muss man sehr vorsichtig anschauen. Und deshalb braucht man da eine kluge Strategie.


[0:2 9:49]:



Camillo Schumann

:


Und genau darum geht es. Ich höre da heraus, pauschal für alle ist das jetzt erst mal nicht zu machen, wenn Sie jetzt in der Ständigen Impfkommission Stiko wären und Sie bekämen jetzt diesen Auftrag vom Herrn Spahn, darüber zu befinden und eine Empfehlung abzugeben. Wie wäre denn Ihre Strategie?


[0:30:08]:



Alexander Kekulé:


Die Stiko-Mitglieder, muss man sagen, sind hinter geschlossenen Türen munter am Streiten. Das kann ich Ihnen versichern. Das ist nicht so, dass die immer eine Meinung haben, das liegt auch an unterschiedlichen Ausbildungen, die die haben. Und es ist eigentlich ein Wunder, dass da immer wieder weißer Rauch aufsteigt.


Meine Strategie – und da habe ich den Vorteil, dass ich das mit niemandem absprechen muss – ist folgende: Man muss ja fragen: Was ist denn eigentlich das Ziel dieser ganzen Impfungen? Und da gibt es 2 verschiedene Zwecke. Der eine Zweck ist der Schutz der Risikogruppen, speziell der Alten. Und der andere Zweck, der damit eigentlich zunächst mal nicht so viel zu tun hat, ist die Erreichung der Herdenimmunität. Das Wort mag ich nicht so, aber ich sage es einfach mal so: dass man


epidemiologisch die Bevölkerung sicher macht. Für die 1. und die 2 . Kategorie von strategischen Zielen braucht man unterschiedliche Konzepte. Deshalb würde ich empfehlen, dass man bei den Alten dringend an dem klassischen Schema vier Wochen Abstand festhält und es so macht, wie es in den Studien gemacht wurde. Wenn da was schiefgeht, haben wir eben diesen Selektionseffekt, das dann erstens mehr Menschen sterben und zweitens die Gefahr besteht, das resistente Viren auftreten, weil die ältere Menschen typischerweise länger das Virus ausscheiden und daher auch eher die Möglichkeit besteht, dass sich solche Mutanten bilden.


Das ist aber anders, wenn ich in die Allgemeinbevölkerung reinschaue. Und wenn ich Richtung Herdenimmunität, also die berühmten 66 Prozent erreichen soll, da würde ich sagen, eine Impfung ist besser als keine. Es ist auf jeden Fall vertretbar zu sagen, jeder kriegt eine Impfung. Und dann erweitern wir den Zeitraum für die für die 2 . Impfung auf drei Monate, dass man bis zu drei Monate warten kann. Das wäre meine Empfehlung. Zum Beispiel Personen über 70 oder 75 – irgendwo muss man da eine Grenze machen – machen es nach Schema, und alle anderen dürfen bis zu drei Monate warten. Mit der 2 . Impfung wird es sportlich. Ob Herr Spahn dann für diejenigen, die dann einen Schuss bekommen haben, den 2 . auch beibringt.


[0:32 :14]:



Camillo Schumann

:


Das war jetzt nur von mir nur orakelt, dass man dann diese Zeit nutzen könnte, damit wieder Impfstoff produziert wird, der dann auch geliefert und verteilt wird. Meinen Sie, ob das dieser Plan ist und ob er aufgehen könnte?


[0:32 :2 9]:



Alexander Kekulé:


Das wird auch überall diskutiert. In den in Großbritannien zum Beispiel wird jetzt gerade in genau dieser Kommission, die ich vorhin genannt habe, im MHRA, diskutiert, was ist, wenn die nicht liefern, wenn die Produktionsprobleme haben? Jemand hat die drei Monate rum, was machen wir denn dann? Kann man


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dann zum Beispiel über Kreuz nehmen, also jemand, der Biontech-Impfstoff bekommen hat, darf der dann die 2 . Dosis von Moderna kriegen oder vielleicht sogar von AstraZeneca? Da bin ich dagegen, an der Stelle zu experimentieren. Ja, wir sind hier nicht irgendwo im Busch, wo man notfallmäßig Menschen vor dem Tod retten muss, weil Ebola ausgebrochen ist. Sondern wir haben hier eine relativ hoffentlich noch kontrollierte Situation bei den Impfungen. Und deshalb muss die Bundesregierung zumindest an der Stelle sagen, wenn wir das auf drei Monate verlängern, dann planen wir das aber militärisch durch, dass nach drei Monaten jeder seine 2 . Dosis kriegt, und zwar vom gleichen Hersteller. Und dann müssen wir auch dafür sorgen, dass das zum Beispiel in dieser Zeit zwischendurch ganz akribisch dokumentiert wird. Die Leute müssen überwacht werden in dieser Zeit. Da muss kommentiert werden, wer ist da krank geworden? Das kann möglicherweise das ganze Programm torpedieren, wenn man feststellt, ups, da gibt es ganz viele, die sich infizieren nach der ersten Injektion, also wenn man so lange wartet. Das heißt also, da muss man ganz sauber untersuchen: Wie ist es dann? Wo gibt es die Probleme nach der ersten Impfung? Wie häufig ist es? Und wenn man feststellt, dass wird dann häufiger oder vielleicht sogar die Krankheitsverläufe werden länger – es ist auch möglich, dass die Leute dann nicht so schwer krank sind, aber dafür länger des Virus ausscheiden, was auch wieder die Gefahr von Mutationen birgt –, wenn man so was sieht, müsste man das abbrechen. Da braucht man eine ganz gute Planung dafür, dass man die Leute, die man dann länger warten lässt, unter Kontrolle hat.


Vielleicht ein letztes Wort dazu, damit man versteht, warum ich da so zur Vorsicht mahne: Bei den Zulassungsstudien, konkret von Moderna, habe ich jetzt gerade die Zahlen noch einmal gesehen. Da war es so: Da hatte man elf Fälle in der Gruppe der elf Infektionsfälle, die Covid bekommen haben, klinisch in der Gruppe der Geimpften. Im Gegensatz zu ungefähr 185 Fälle bei den Ungeimpften. Und aus diesem Verhältnis hat man dann diese Wirksamkeit von 95 Prozent errechnet. Aber alle elf Fälle sind nach der ersten Impfung


aufgetreten. Das heißt also, der typische Impfversager – so würde man das nennen unter Immunologen – tritt eben genau nach der ersten Impfung auf. Das haben diese Studien gezeigt und nicht nach der 2 ., wenn es dann sicher ist. Und wenn wir jetzt sehen, da sind so viele Impfversager, dass das gefährlich wird Richtung Mutanten. Dann muss man unter Umständen diese Strategie wieder einfangen. Aber mit dieser Vorgabe, dass man das sehr genau beobachtet, würde ich sagen, Ü70 kriegen es nach Schema. Und wenn es nur um die epidemiologische Herden-Immunität geht, dann gibt man den Leuten nur einen Schuss und stellt aber sicher, dass sie innerhalb von drei Monaten den 2 . bekommen.


[0:35:45]:



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, wie sich die Stiko dann entscheiden wird und ob der Plan umgesetzt wird. Bisher ist es ja nur ein Auftrag, das Ganze mal zu prüfen, um dann die Zeit zu überbrücken, um dann schnell mehr Impfstoff zu bekommen. Wir sind sehr gespannt. Und wenn das hier im Podcast dann auch sprechen. Bisher wird der Impfstoff von Biontech/Pfizer verimpft, und die andere Firma ist Moderna. Der Begriff ist ja auch schon gefallen. Die Zulassung steht in der EU auch bald aus. Beide Firmen haben einen mRNA-Impfstoff auf den Markt gebracht. In Großbritannien haben wir nun die weltweit ersten Impfungen mit dem Mittel von AstraZeneca begonnen. Für die EU ist der Corona-Impfstoff aber noch nicht zugelassen. Die große Frage ist: Wie unter-scheidet sich der Impfstoff zu dem von Biontech/Pfizer? Auf jeden Fall schon mal im Preis. Das kann man feststellen. Der AstraZeneca Impfstoff, von dem ja auch nur eine Dosis notwendig ist, soll nur rund 1,80 Euro kosten, der von Moderna 18 Euro und der Impfstoff von Biontech /Pfizer rund 12  Euro, und da muss man ja 2 Impfung bekommen, über die wir gesprochen haben. Und der Preis erklärt dann auch die Zusammensetzung des Impfstoffs, oder?


[0:36:53]



Alexander Kekulé:


Darüber haben wir gerade gesprochen. Dieser


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diese AstraZeneca-Impfstoff ist ein sogenannter Vektor-Impfstoff. Ein gleiches Prinzip gibt es von einem der chinesischen Impfstoffe und vor allem bei dem russischen Impfstoff, der ist auch ein Vektor-Impfstoff. Bei AstraZeneca hat man speziell ein Virus genommen, was Erkältungen bei Affen macht, ein sogenanntes Adenovirus, was bei Affen vorkommt, bei Schimpansen speziell. Und in dieses Adenovirus hat man ein kleines Stück von dem SarsCoV-2  eingebaut. Und das führt dazu, dass man diesen Adenovirus im Impfstoff in der Zell-kultur vermehren kann. Das heißt, der vermehrt sich im Labor von selber, und darum ist es billiger, ihn herzustellen, das Virus muss man nur füttern mit Zellen, und dann vermehrt sich das. Dann kann man das aufarbeiten. Das Virus wird dann genetisch so gebastelt, dass es sich nach der Injektion in den Menschen hinterher, wenn es als Impfstoff verwendet wird, übrigens nicht mehr vermehren kann. Das ist ein Adenovirus, was sich nur in der Zellkultur vermehren kann und in das ist ein bestimmter genetischer Schalter eingebaut worden, damit es im Menschen nach der Impfung nicht zu einer Vermehrung dieses Adenovirus kommt. Aber trotzdem ist es ein super Vehikel, was dann eben vom Immunsystem erkannt wird. Das Immunsystem reagiert auf das Virus und eben auf das darin eingebaute Stück von dem Sars-CoV-2 . Und dadurch kommt es zu einer Immunisierung, die offensichtlich nicht so gut wie bei den ärmeren mRNA-Impfstoffen ist. Das kann viele Gründe haben. Die Vektor-Impfstoffe haben vor allem das Problem, dass das Antikörper gegen dieses Affen-Adenovirus ein Problem machen können. Vor allem, wenn man die 2 . Impfung dann macht. Und das ist der Grund, warum das biologisch ein anderes Prinzip ist und auch preiswerter ist. Ein bisschen schwieriger zu beurteilen. Also jetzt, wo die RNA-Impfstoffe offensichtlich funktionieren und nach den Studien, die wir mit wesentlich mehr Teilnehmer übrigens gemacht haben als bei der bei der AstraZeneca-Studie. Da kann man sagen, die mRNA-Impfstoffe sehen im Moment sicher aus für den Zeitraum, den angeschaut haben. Und die die Datenlage dafür ist bei dem AstraZeneca-Impfstoff bisher noch nicht so hart. Das war sehr sportlich das, dass das in Großbritannien lokal dort entwickelt wurde.


Das ist ja der Oxford-AstraZeneca-Impfstoff. Dass diese Impfstoffe in Großbritannien jetzt gleich eine Notfallzulassung bekommen haben, dafür ist die Datenlage ein bisschen schwach, zumal ja vor Weihnachten AstraZeneca einige Daten bekanntgegeben haben, die nicht ganz gestimmt haben. Dann haben sie gesagt, sie wollen weitere Untersuchungen machen. Und als Ergebnis dieser weiteren Auswertung hat eben diese MHRA gesagt, bei denen sei sogar nach einer Dosis schon 73 Prozent Wirksamkeit des Impfstoffs im Gegensatz zu 62  Prozent nach 2 Dosen. Sie merken schon, da gibt es ein paar offensichtliche Widersprüche. Und jetzt verlangen natürlich meine Kollegen und ich auch, die Daten mal zu sehen. Das ist irgendwie so ein bisschen „Methode China“ oder „Methode Moskau“ oder so: Man verlautbart irgendwelche Ergebnisse, aber liefert die Daten dazu nicht. Ja, das ist so ein bisschen komisch. Also wir kennen das von Sinopharm, die chinesische Firma, da gab es vor einigen Wochen die Ergebnisse aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Da haben Sie gesagt, unser Impfstoff hat 86 Prozent Wirksamkeit. Und jetzt, vor ein paar Tagen kam heraus, dass die Chinesen sagen, es sind nur 79 Prozent. Also genau der gleiche Impfstoff, aber es wird nicht erklärt, warum die Wirksamkeitsdaten so auseinandergehen. Und in diese Kategorie spielt im Moment AstraZeneca auch. Und deshalb bin ich da eigentlich der Meinung, man muss Daten nachfordern und sich das ganz genau ansehen. Und ich hoffe, dass die europäische Arzneimittelbehörde bei diesem AstraZeneca-Oxford-Impfstoff ganz genau hinschaut, bevor sie den zulässt.


[0:40:55]:



Camillo Schumann

:


Wenn schon Experten und Wissenschaftler noch viele Fragezeichen haben, wie soll es erst unseren Hörern gehen? Oliver aus Bayern, hat geschrieben: „Herr Kekulé, wenn die breite Bevölkerung voraussichtlich im 2 . Quartal geimpft werden soll, haben wir mindestens drei in Europa zugelassene und verfügbare Impfstoffe bei Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca. Wenn Sie wählen könnten, welchen würden Sie persönlich bevorzugen? Für mich als Laie ist es


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schwer, nennenswerte Unterschiede herauszufinden. Viele Grüße.“


[0:41:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Das ist schwierig zu sagen. Ich würde, wenn ich mich impfen lassen darf – das ist sehr sinnvoll, sich zu impfen – wenn ich drankomme irgendwann mal, würde ich gucken, wie die Datenlage zu diesem Zeitpunkt ist. Denn wir beobachten jetzt Biontechund den ModernaImpfstoff in einer Post-Marketing-Studie oder auch Bilanz-Studie. Wir beobachten, wie er auf der Straße funktioniert. Vor allem sind da jetzt die Nebenwirkungen interessant. Dass der wirksam ist, das ist ziemlich klar, übrigens auch höchstwahrscheinlich gegen diese neue Variante aus England, diese hochinfektiöse Variante. Es sieht so aus, dass er auch dagegen funktioniert. Und jetzt hat man ja Millionen von Menschen, die in der nächsten Zeit geimpft werden und die Daten, die Nebenwirkungen werden ja kontinuierlich gemeldet. Und wenn dabei jetzt nicht irgendetwas Katastrophales passiert, dann schätze ich mal, dass sich Anfang April – das war jetzt die Frage des Hörers – in der Lage wäre, dass ich einige Millionen Daten habe von Leuten, die mit dem RNA-Impfstoffen geimpft wurden und bis dahin wesentlich weniger wahrscheinlich mit dem AstraZeneca. Außer es wird irgendwo in Indien die große Impfung begonnen. Aber Großbritannien alleine wird nicht so wahnsinnig viele Impfdaten bringen. Und dann ist klar: Wenn die Daten sehr stark sind für die mRNA-Impfstoffe, aber noch fraglich für die Vektor-Impfstoffe, dann würde ich den mRNAImpfstoff bevorzugen. Wenn Sie mich vor drei Monaten gefragt hätten – ich weiß nicht, ob ich das schon mal gesagt habe -, da hätte ich gesagt, ich nehme den chinesischen Impfstoff von Novak. Das ist einer, bei dem ganz klassisch des Sars CoV-2  Virus plattgemacht wurde. Das wird inaktiviert, wie wir sagen. Töten darf man ja beim Virus nicht sagen, weil das nicht lebt. Das wird inaktiviert mit Methoden, die es irgendwie schon seit hundert Jahren gibt. Und das hätte ich, glaube ich, als erstes genommen, weil ich da gesagt hätte, da weiß nicht genau, ob es hilft. Aber es hat zumindest wahrscheinlich keine Nebenwirkungen, wenn ich mir das


geben lassen. Und jetzt ist meine persönliche Favoritenposition so ein bisschen umgeschwenkt auf die RNA-Impfstoffe, weil da einfach die Daten doch sehr überzeugend sind.


[0:43:44]:



Camillo Schumann

:


Ja, und dann schauen wir mal, wie die Datenlage ist. Und hier im Podcast, lieber Oliver aus Bayern, haben wir immer regelmäßig einen Blick auf die neuesten Entwicklungen der Impfstoffe. Und dann können wir vielleicht auch einen Hinweis geben. Wir befinden uns im harten Lockdown, Herr Kekulé. Und die große Frage ist, wie lange soll er gehen? Wie soll er weitergeführt werden? Heute berät er weder die Kanzlerin mit den Länderchefs in einer Videoschalte, und zum Zeitpunkt unserer Aufzeichnungen tun sie das noch. Wir können also über konkrete Beschlüsse noch nicht reden, was sich aber vor dieser Videoschalte angedeutet hat, ist, dass der harte Lockdown bis mindestens Ende des Monats verlängert werden soll. Ist das eine gute Idee?


[0:44:2 0]:



Alexander Kekulé:


Das ist eben schwierig, denn ohne die Daten vom RKI zu encodieren, ist es wie Kaffeesatz lesen. Sie haben mich gefragt, was ich in der Impfkommission empfehlen würde. Da wüsste ich echt nicht, was ich sagen soll, weil mir keiner Daten auf den Tisch legt. Was wollen Sie dann entscheiden, gerade als Politiker? Da sind sie ja auch auf etwas angewiesen. Politiker sind es gewohnt, dass sie mit 50 Prozent der Informationen eine hundertprozentige Entscheidung treffen und dann auch hinterher begründen und auch erklären, warum es so sein musste. Das ist der Auftrag des Politikers. Die können nicht warten, bis alle Daten auf dem Tisch liegen. Aber wenn es so mau ist wie im Moment – es ist ja so, dass die Infektionszahlen deutlich runtergehen. Dass die Sterblichkeit aber zu hoch ist, hört man in den Medien oft. Es sterben noch so viele Leute. Deshalb müssen wir in der Lockdown-Phase verlängern. Das ist natürlich zu kurz gedacht, weil sich die Sterblichkeit den Infektionen um 2 bis drei, manchmal sogar vier Wochen


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nachschleppt. Das heißt also, das ist eine deutliche Verzögerung. Und das kann deshalb sozusagen nicht unser Gradmesser für die aktuellen Maßnahmen sein. Und auch die sogenannten Neuinfektionen sind ja eigentlich Infektionen, die vor 2 Wochen stattgefunden haben. Das Casting, also diese mathematische Methode, mit der das RobertKoch-Institut versucht, ein Bild vom Jetzt abzugeben, hat sich in den letzten Wochen gerade vor Weihnachten als schwach erwiesen. Da hat das Casting nicht so richtig funktioniert. Das liegt auch daran, dass das umso schwächer ist, je weniger die Werte schwanken. Und im Moment liegt es ja ständig bei R = 1. Also können Sie mit den Zahlen eigentlich nichts anfangen. Und wenn sie keine Zahlen haben, dann brauchen Sie Modelle, dann brauchen Sie Arbeitsmodelle. Ich sage immer Arbeitshypothesen. Und meine Arbeitshypothese ist bekanntlich, dass ich sage: Wir haben deshalb so Schwierigkeiten, die Zahlen runterzukriegen aus 2 Gründen: Nummer eins: Infektionen im Haushalt, das habe ich so als Lateral-Effekt bezeichnet. Dass man also im gleichen Haushalt einer nach dem anderen sich durchinfiziert. Das würde auch dieses R = 1 erklären, dass also statistisch immer eine einen weiteren innerhalb seiner Ansteckungsfähigkeit angesteckt hat. Und nicht so die Riesenausbrüche wie es zum Teil früher war.


Und der 2 . Effekt, den wir haben, ist, dass ein Teil der Bevölkerung einfach die Nase voll hat. Die machen da nicht mehr mit. Und da lebt Berlin in so einer Bubble. Irgendwie sollen wir den Lockdown verschärfen oder noch etwas verbieten oder noch anders vorschreiben. Das ist ein Teil der Bevölkerung komplett Wurst inzwischen. Und dort gibt es natürlich dann kontinuierlich Infektionen. Und das ist das nicht nur irgendwelche renitenten CoronaLeugner, sondern das sind ganz normale Menschen, die irgendwo auf dem Land im Dorf leben. Die Hälfte des Dorfes ist schon krank gewesen. Ein Opa ist gestorben, das finden alle ganz fürchterlich. Aber das nehmen sie nicht zum Anlass, sich alle einsperren zu lassen. Und dies ist dieses Grundgefühl. Das ist bei vielen Leuten da. Man traut sich nicht mehr, das zu äußern. Und das halte ich für einen gefährlichen Spaltpilz auch. Und das ist ein Grund,


warum wir weiterhin solche Infektionszahlen haben. Und dann natürlich die Ausbrüche in den Alten und Pflegeheimen, die man ja nach wie vor nicht im Griff hat, sondern jetzt offensichtlich das mit dem Impfstoff versuchen will. Was soll dann eine neuer Lockdown? Welche Maßnahme soll man da empfehlen? Da fällt mir nichts ein, was irgendwo jetzt Aussicht auf Wirksamkeit hat, denn sie können in der Wohnung nichts machen. Sie können, weil wir ja keine Ausweichmöglichkeiten haben – Stichwort Fieber-Kliniken gibt es nicht –, in den Altersheimen hat man es offensichtlich nicht geschafft. Konzepte gab es ja seit März dafür, aber es ist nicht umgesetzt worden, Stichwort Testung und so weiter und FFP2 -Masken. Und dann die Leute, die sowieso keine Lust mehr haben, sich an irgendetwas zu halten. Da können Sie nicht in jede Wohnung einen Polizisten stellen.


[0:48:10]:



Camillo Schumann

:


Dann sind wir einfach mal gespannt, was da noch so beschlossen wird. Wir müssen uns ja gar nicht bewerten und gar nicht rumorakeln, was vielleicht dann auch noch die beste Variante wäre. Wie Sie das Ganze sehen, haben Sie jetzt gerade noch mal wunderbar auf den Punkt gebracht. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat auf jeden Fall gesagt, dass bis zum 31. Januar da nichts geht und der Lockdown so bleibt, wie er ist. Und er hat auch gesagt, es ist alles, was wir derzeit tun, immer nur auf Sicht. Und der SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach hat bei NTV immer so ein bisschen skizziert, was er vermutet, wie lange dieser Lockdown gehen könnte? Möglicherweise noch ziemlich lange. Und das hat er gesagt:


[0:48:48]:


„Ich würde auch gar kein Datum für das Ende des Lockdowns in den Vordergrund stellen. Es wäre wichtiger, hier auch ein Ziel zu erarbeiten, was der Bevölkerung auch zu vermitteln ist, und zwar, dass eine bestimmte Inzidenz erreicht ist. Aus meiner Sicht wäre die beste Inzidenz, die wir jetzt so erreichen könnten. 2 5 pro 100.000 pro Woche. Wenn dieses Ziel


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erreicht ist, die ist etwas niedriger als die 50, die wir vorhatten. Aber wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht früher aus dem Lockdown rausgehen und dann von vorn anfangen müssen. Diese Ziel-Inzidenz von 2 5, wenn die erreicht wäre, dann sollten die Bevölkerung wissen, können wir aus dem Lockdown heraus.“


[0:49:2 8]:



Camillo Schumann

:


Was sagen Sie dazu?



Alexander Kekulé:


Auweia, das könnte bedeuten, dass wir alle bis Juni im Lockdown bleiben. Ich schätze den Herrn Lauterbach sehr, ich diskutiere auch gelegentlich mit ihm seine und meine Vorschläge. Das ist ja auch hinter den Kulissen klar, dass man da auch mal drüber spricht. An der Stelle glaube ich, das ist psychologisch nicht gut. Gerade er begründet ein bisschen psychologisch, wie man das der Bevölkerung auch erklärt, sozusagen so eine Zahl in den Raum zu stellen, wo keiner dazu sagen kann, ob das jetzt bis Juni dauert oder vielleicht dann doch bis August. Keine Ahnung, wie es weitergeht. Falls der Lockdown, aus welchen Gründen auch immer, nicht funktionier, dann bliebe man halt bei 50. Und was ist denn dann? Das können sie dann im April nicht mehr erklären.


Wenn ich es mal so als Schlagzeile formuliere: Schluss mit Lockdown, nicht morgen, aber bald. Und wir müssen umsteigen auf ein alternatives Konzept. Und da kann ich nur noch einmal daran erinnern, diese SMART-Konzept, was wir besprochen haben, darf an der Stelle auch noch einmal sagen, ich habe einen ganzes Buch gerade darüber geschrieben, da steht es im Detail drin. Es gibt Alternativen, das SMARTKonzept ist eines, wie man aus diesem Lockdown raus in eine Phase kommt, in der wir mit dem Virus, mit Maßnahmen, die man im Grunde genommen vertreten und verkraften kann, ohne die Wirtschaft zu strangulieren und ohne sich sozial fertigzumachen und psychologisch, wie man damit weiter umgeht. Das ist so Stichwort Moskitonetz bei Malaria. So gibt es eben Maßnahmen, mit denen wir hier klarkommen können. Und ich will es jetzt


nicht noch einmal hier aufführen. Aber das ist dringend notwendig, auf eine Methode umzusteigen, die weniger wehtut, aber genauso gut schützt am Ende des Tages. Und da hat man sich zu wenig Mühe gegeben, das zu machen. Und es ist ja so: vielleicht doch noch einmal kurz der Schutz der Risikogruppen. Das wäre der Buchstabe S. Da stehen wir kurz davor. Ob man das jetzt mit der Impfung oder vielleicht zusätzlich dann doch mit den Tests mit den Masken schafft in einem Altenheim, das muss man eben beschleunigen. Wir müssen eben konsequent überall die Masken tragen. Nicht, dass es heißt, in einigen Bereichen ja, in anderen Bereichen nein. Das wäre ja kein Lockdown, wenn man mit der Maske rumlaufen muss. Das darf man auch nicht so politisieren, das Thema Masken. Wir müssen die aerogenen Infektionen vermeiden. Also immer dann, wenn viele Leute in einem engen Raum zusammen sind. Das muss man staatlich kontrollieren. Wir brauchen eine reaktionsschnelle Nachverfolgung von neu aufgetretenen Fällen. Da hab ich vorgeschlagen, dass man parallel zu dem System, was Gesundheitsämter haben, ein System hat, was privat funktioniert und die Leute am besten über eine App oder Ähnliches. Immer dann, wenn mehr als 2 0 Menschen sich treffen. Oder man kann auch sagen, zehn oder 15, das dann parallel sein Meldesystem auf dem kleinen Dienstweg privat entsteht. Und dass die Schnelltests hochgefahren werden, die sind ja jetzt endlich da, die Schnelltests, sodass ich aus meiner Sicht nicht verstehe, warum man da weiterhin mit dem Riesenhammer draufhaut, statt ein bisschen chirurgischer, selektiver vorzugehen. Und so ein selektives Konzept brauchen wir dringend, statt jetzt stur zu sagen: wir bleiben quasi bei diesem Hammerkonzept, bis die Fallzahlen unter 2 5 fallen.


[0:52 :50]:



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz braucht es eine händelbare Zahl an Neuinfektionen, um das dann auch umsetzen zu können. In der derzeitigen Situation wäre es möglicherweise noch zu viel und zu unübersichtlich.


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[0:53:01]:



Alexander Kekulé:



Alexander Kekulé:


Nein, wenn sich die Leute halbwegs vernünftig verhalten aus meiner Sicht nicht. Das ist ja auch wieder das Stichwort Arbeitshypothese. Ich gehe seit Januar letzten Jahres davon aus, dass aerogene Übertragungen im Freien, wenn überhaupt, dann ganz minimal stattfinden. Da müssen 2 Menschen nahe Gesicht zu Gesicht stehen. Und mit dieser Grundhypothese, die bis jetzt nicht widerlegt wurde durch irgendwelche Daten, ist es so, dass man sagen kann, nein, wenn Leute beim Schlittenfahren sind im Freien und natürlich zusammenbleiben in den Gruppierungen, in denen sie auch im Haushalt sind, dann ist es überhaupt keine Gefahr. Und deshalb täuschen auch diese Bilder, die dann einmal so zitiert werden in den Nachrichten: Die sagen immer: Schaut mal her, dieser wahnsinnige Stau der Straße, die vielen Autos hintereinander, fürchterlich. Die Leute halten sich nicht an die Auflagen oder Ähnliches. Da infiziert man sich ja ganz offensichtlich bei niemandem, wenn es von Auto zu Auto geht. Und das Gleiche gilt auch, wenn jeder seinen Rodelhang runterfährt und ein bisschen Abstand von dem anderen hält. Also mit 2 Meter Abstand im Freien ist man da im grünen Bereich. Und ich glaube, so voll kann es gar nicht werden im Harz oder sonst wo in den Bergen.



Camillo Schumann

:


Doch das ist ja das Verrückte. An manchen Stellen war es halt sehr, sehr voll, und die Menschen standen dicht an dicht.



Alexander Kekulé:


Das sollte man vermeiden, also mit Fremden über längere Zeit als ein paar Sekunden Schulter an Schulter zu stehen, das würde ich jetzt schon versuchen zu vermeiden. Da muss man halt unter Umständen dann auf dem einen Rodelhang, wo es vielleicht so ist, dass es sich total knubbelt, muss man eine Höchstzahl von Besuchern festlegen. Die Diskussion hatten wir ja schon bei Weihnachtsmärkten. Da ist eigentlich genau das Gleiche. Ein nicht überfüllter Weihnachtsmarkt ist überhaupt kein Problem im Freien. Wenn es natürlich dann so voll wird, dass die Leute sich drängeln und schubsen und dann kein Abstand mehr halten können, weil es einfach zu eng ist, dann geht


Die derzeitige Situation ist eben unklar. Und das ist der Hauptgrund, den Lockdown noch um ein bis 2 Wochen zu verlängern. Das wäre jetzt mein Plädoyer gewesen, hauptsächlich mit dem Argument, dass wir keine Zahlen haben, um was zu entscheiden. Wir wissen überhaupt nicht, was es bewirkt hat. Und wir wissen vor allem nicht, welcher Teil des Lockdowns. Da sind ja ganz viele Sachen gemacht worden, die Schulen wurden geschlossen, die Geschäfte, die ganze Kultur heruntergefahren und die Kontaktverbote. Wir wissen gar nicht, welcher Teil von diesen Maßnahmen wirksam war und welcher nicht, falls es überhaupt was gebracht hat. Und da brauchen wir einfach, und da ist wieder das Robert-Koch-Institut gefragt, ein bessere Zahlen. Die Politik braucht sie. Und wenn wir in 2 Wochen sehen, jawohl, das hat was gebracht, weil dann die Zahlen hoffentlich endlich auf dem Tisch liegen, dann würde ich sagen, ist auf jeden Fall der Zeitpunkt gekommen, um von diesem Lockdown auf so etwas wie diese SMART-Konzept umzusteigen.


[0:54:01]:



Camillo Schumann

:


ist


Weil Sie vorhin schon von Menschen angesprochen haben, denen jetzt mittlerweile alles Wurst ist. Die Mittelgebirge haben am Wochenende einen ziemlich einen Ansturm von Ausflüglern erlebt und werden das möglicherweise an diesem Wochenende an dem kommenden Wochenende wieder erleben. Harz, Winterberg im Sauerland, Großer Feldberg, bayerische Alpen, überall das gleiche Bild kilometerlange Staus, überlastete Straßen, die Parkplätze voll Müll, Fäkalien zwischen Bäumen und Wegen. Einige Orte wollen sich nun für Besucher komplett abriegeln. Mal abgesehen von Müll und Staus, dass das alles nicht so richtig schön ist. Sind überfüllte Skihänge und Wanderwege ein epidemiologisches Problem?


[0:54:41]:


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es nicht mehr. Jetzt habe ich vielleicht eine falsche Vorstellung davon, wie es auf den deutschen Mittelgebirgen so aussieht. Je nach dem, wie groß die Berge sind, gibt es dann normalerweise schon die Möglichkeit, dass man halbwegs vernünftig Abstand hält. Das muss sozusagen das Kriterium sein. Solange die in der Lage sind, im Freien diese berühmten eineinhalb Meter einzuhalten, dann ist es meines Erachtens in Ordnung. Ich persönlich würde da nicht hinfahren aus den Gründen, die sie nicht besprechen wollten, nämlich wegen der Fäkalien, wegen des Mülls. Weil ich nicht wüsste, wo ich meine Kinder auf die Toilette bringen soll, wenn es kalt ist, weil ich nicht wüsste, wo ich reingehen soll, um mich aufzuwärmen. Setzen Sie sich dann ins Auto und lassen alle Motor laufen, was übrigens verboten ist? Und wegen des Staus auf der Autobahn. Das wären für mich persönlich die Gründe, das nicht zu machen. Und mein Appell würde in diese Richtung gehen, kaum aber wegen einer Ansteckungsgefahr im Freien. Das muss man auch hinkriegen, dass man von anderen Leuten ein bisschen Abstand hält es, das ist doch heutzutage, nach fast einem Jahr Pandemie, doch irgendwie schon Routine.


[0:57:39]:



Camillo Schumann

:


Gut, wir wollten es auch nur einmal theoretisch besprechen, weil die Bilder ja nun die Schlagzeilen bestimmt haben und sich viele fragen: Ja, mein Gott, wenn ich da draußen ein bisschen Ski fahre, kann das doch nicht so schlimm sein. Und wir haben es im Podcast besprochen. Wir kommen damit zu den Hörerfragen.


Herr Kekulé, wir hatten in der Weihnachtsausgabe vom 2 2 . Dezember ja darüber gesprochen, was ist bei uns Heilig Abend zum Essen gibt. Was gab es bei Ihnen eigentlich? Da haben Sie sich ja noch ein bisschen bedeckt gehalten damals.


[0:58:05]:



Alexander Kekulé:


Hatte ich das? Wir haben eine Weihnachtsgans gemacht. Aber in diesem Fall nur zu viert


gegessen, das ist ziemlich viel. Da war ziemlich viel dran an dem Vieh. Aber wir hatten es auch schon vorher bestellt, bevor festgelegt wurde, dass jetzt an Weihnachten die Teilnehmerzahl so stark reduziert wird. Und da wollten wir uns dann auch brav daran halten, zumal wir auch in der Familie sowohl Kinder haben als auch ältere Menschen. Das klassische Weihnachtsfest ist bei uns im großen Stil. Das ist bei uns ausgefallen.



Camillo Schumann

:


Also es gab eine große Gans, von der Sie wahrscheinlich noch den ersten 2 . Weihnachtsfeiertag gegessen haben, könnte ich mir gut vorstellen.



Alexander Kekulé:


Nein, die ist tatsächlich weggeputzt worden. Aber das war nicht ich. Denn wenn ich sie selber gemacht habe, kann ich das Fett hinterher nicht mehr riechen. Da verstehe ich dann jeden Vegetarier, ehrlich gesagt. Und esse dann immer nur ganz, ganz wenig davon. Ach übrigens für alle, die da Spaß daran haben: Übermorgen ist auch noch eine Chance. Das ist nämlich orthodoxes Weihnachten. Da kann man vielleicht noch nachfeiern, fall noch etwas übrig geblieben ist.


[0:59:03]:



Camillo Schumann

:


Und ich hatte ja gesagt, dass es bei uns veganes Gulasch mit Knödeln und Rotkraut gibt. Und das hat unseren Hörer, Herr R., zu folgender Frage gebracht:


„Ich kann bei dem Thema veganes Gulasch nicht widerstehen. Tuberkulose kommt wohl von den Ziegen, Masern und Pocken von den Rindern, Keuchhusten von den Schweinen, Typhus von den Hühnern, Grippe von den Enten. Wäre es auch angesichts der Massentierhaltung nicht die beste PandemiePrävention, wenn sich möglichst viele Menschen vegan ernährten. Viele Grüße.“


[0:59:34]:



Alexander Kekulé:


Die Liste ist nicht ganz richtig. Zumindest zum


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Teil sind dann nur einseitig mögliche wissenschaftliche Diskussionen angesprochen worden. Ja, aber das grundsätzliche Thema: Durch die tierische Ernährung, durch die Ernährung mit Fleisch bekommt man auch Viren ab. Es gibt sogar einen Nobelpreisträger einen deutschen Nobelpreisträger, Harald zur Hausen, der hat die Spekulationen in den Raum gestellt, nachdem er seinen Nobelpreis für etwas anderes bekommen hat, dass möglicherweise durch Verzehr von rotem Fleisch, also Rindfleisch und Ähnlichem, gerade wenn es nicht ganz durchgegart ist, Viren übertragen werden, die zum Beispiel Darmkrebs auslösen könnten. Das ist nicht belegt. Das ist auch damals sehr kontrovers diskutiert worden, weil das eine Hypothese ist. Aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass wir durch die Aufnahme von Viren mit Fleisch, also tierischen Erregern, uns tendenziell krank machen. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen vor ungefähr 2 0.000 Jahren sind wir sesshaft geworden. Vorher waren es Jäger und Sammler. Und dann haben sie angefangen, Landwirtschaft zu machen. Und da haben wir dann auch angefangen, Tiere zu halten, auch um sie zu schlachten. Und dann kamen auch die Haustiere dazu, weil jemand, der in großen Getreidespeicher hat, da freuen sich die Ratten und ziehen dann unauffällig mit ein. Und diese Nähe zu den Tieren führt zu diesen ganzen Infektionskrankheiten, bis zu dem Sars-Cov-2 , was er indirekt, möglicherweise auch durch zur Schlachtung vorgesehene Tiere übertragen wurde. Also ich glaube, es ist nicht die Lösung aller Probleme. Aber ja, es ist so, dass viele Erkrankungen, die wir haben als Menschen dadurch entstanden sind, dass wir angefangen haben, Tiere uns als Haustiere zu halten. Die brüten ja auch die eine oder andere Krankheit aus da im Schweinestall und sonst wo, und wenn man das nicht machen würde, hätten wir weniger Infektionskrankheiten.


[1:01:2 8]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 134. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann an Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Ich freue mich drauf. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Dienstag, 2 2 .12 .2 02 0 #133: So wird Weihnachten sicher



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link-Tipp:


Zulassungsverfahren der Europäische Arzneimittelbehörde


https://www.ema.europa.eu/en/authorisationprocedures


Dienstag, 2 2 . Dezember 2 02 0.


Was weiß man über die neue VirusMutation aus Großbritannien? Und was weiß man nicht?


Der BioNTech/Pfizer Impfstoff hat in der EU eine bedingte Zulassung erhalten. Der Bundesgesundheitsminister spricht aber von einer regulären Zulassung. Was ist der Unterschied? Und macht es einen Unterschied?


Und Weihnachten steht vor der Tür. Macht ein Schnelltest vor dem Fest nur bei Symptomen Sinn? Ist die Bahnfahrt zur Familie ein Risiko? Birgt das Weihnachtsessen eine Gefahr? Wer sollte zum Fest eine Maske tragen?


Wir beantworten Ihre Fragen zum Fest. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Moderator, Redakteur bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Heute zum letzten Mal in diesem Jahr haben wir einen Blick auf die neusten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Kurz vor dem Jahresende gibt es gute Nachrichten vom Impfstoff: Der von BioNTech/Pfizer ist gestern in Europa zugelassen worden. Das sprechen wir ja gleich drüber. Aber die Freude über den Impfstart wird getrübt, weil es eine offenbar hochansteckende Virus-Mutation gibt. Die dazu geführt hat, dass Großbritannien vom Rest der Welt quasi abgeschnitten wurde, um die Ausbreitung dieser Variante in Kontinentaleuropa zu verhindern. Aber diese neue Mutante ist er auch schon in Italien, Holland und auch in Dänemark nachgewiesen worden. Also, konsequenterweise müsste man doch jetzt die Grenzen in Europa schließen, oder?


(01:41)



Alexander Kekulé


Nein, so ist es nicht. Wir haben in den Ländern, die Sie genannt haben, Einzelnachweise. Da ist jeweils einmal diese Mutante nachgewiesen worden. Ist es so, dass in Dänemark wohl mehrere gefunden wurden. Ich weiß jetzt nicht, ob das zehn oder 2 0 waren, in der Größenordnung. Ansonsten sind es Einzelnachweise gewesen. Wenn man verstehen will, was passiert, wenn so eine Mutante sich ausbreitet, muss man sich ein bisschen erinnern an die Situation damals, als in Norditalien der schwere Ausbruch war. Der hat ja dann zur weltweiten Verbreitung der sogenannten G-Variante geführt. Und auch damals war es so, das mutierte Virus ist eine ganze Weile zirkuliert. Also man hat diese GVariante zum Beispiel auch in Deutschland nachgewiesen. Meines Wissens gab sogar aus München eine Probe, wo mal diese G-Variante drinnen war. Auch in China ist die mal nachgewiesen worden. Aber sie hat sich nie in dem Sinne durchgesetzt, dass sie eine explosionsartige Verbreitung gemacht hat. Sofern die neue Variante tatsächlich deutlicher infektiöser ist, und das ist meine Einschätzung, an der ich bisher nichts geändert habe. Da ist es auch hier so, dass, wenn die einmal irgendwo exportiert wird, dann heißt es nicht, dass derjenige, der die Krankheit mit sich trägt, sich so unvernünftig verhält, dass er gleich ein


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Cluster bildet, ganz viele andere ansteckt und das Ganze wie in dem Durchlauferhitzer hochkocht. Das bräuchte man aber für eine echte Ausbreitung in einem weiteren Land.


(03:13)



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz, wenn diese Mutante einmal im Land ist und in denen auch genannten Ländern gehen die Zahlen hoch beziehungsweise sind sie relativ konstant. Woher weiß man denn, dass es eben nicht so ist, was Sie eben beschrieben haben?



Alexander Kekulé


Das ist natürlich nicht nachgewiesen. Aber es ist möglich, dass diese Mutante bereits sich ausbreitet. Aber von der Dynamik her wollte ich eben nur sagen, ein Fall heißt nicht, dass das sich dann quasi automatisch verbreitet. Es kommt sehr darauf ankommt, wie der eine Fall, der Infizierte, sich verhält. Gerade in Deutschland kann man davon ausgehen, wenn es Exporte gab, dass sie hier auf eine Situation getroffen sind, wo man einen partiellen oder sogar vollständigen Lockdown hatte. Und das bedeutet natürlich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zu so einer Art DurchlauferhitzerEvent kommt, noch geringer ist. Drum plädiere ich dringend dafür, ist zumindest zu versuchen. Und zu hoffen, dass wir die Möglichkeit haben, das eine Weile auf der Insel zu halten. Klar, perspektivisch, im Sinne von mehreren Monaten, wird man das nicht zurückhalten können. Aber möglicherweise kann man die Verbreitung doch eine ganze Weile ausbremsen.


(04:2 8)



Camillo Schumann



Sie waren auch sehr schnell für das Kappen von Flugverbindungen von der Insel. Die Bundesregierung hat das dann auch getan. Der Virologe Wolfgang Preiser, Leiter der Abteilung für Medizinische Virologie an der Uni Stellenbosch in Südafrika. Dort soll eine ähnliche Variante aufgetreten seien. Der hält diese ganzen Maßnahmen, also dass die Flugverbindungen gestrichen werden, für übertrieben. Im Interview mit der Deutschen Welle hat er gesagt:


„Ich verstehe, dass man etwas unternehmen möchte, bis man die Lage besser einschätzen


kann. Aber ich hoffe, dass sich das innerhalb von einer oder 2 Wochen wieder gibt. Weil ich glaube, dass noch einige Überraschungen es geben wird.“


Was meinen Sie, was er mit Überraschungen meint?


(05:08)



Alexander Kekulé


Das ist schwierig. Eine Überraschung hat es ja so an sich. Apropos Weihnachten, dass man nicht weiß, was drin ist. Wir haben Mutationen von diesen verschiedenen Mutationen ja ständig, die wir irgendwo finden. Je stärker man da sucht, desto mehr findet man. In Südafrika ist zufällig eine sogenannte Variante aufgetreten, die vielleicht so ähnlich ist wie die aus England kam. Darüber habe ich persönlich, muss ich sagen, obwohl ich dies ernsthaft versucht habe, kaum Daten.


In dieser Zoom-Konferenz, wo ich am Sonntag war, woraufhin ich auch die Empfehlung gegeben habe, die Grenzen zu schließen von Großbritannien. Da war auch jemand aus Südafrika dabei. Der hat wirklich nur sagen können, dass eine dieser Mutationen, diese N 501 Y, die ist in der südafrikanischen auch nachgewiesen. Und dann sagte er, es sei noch zehn bis 2 0 weitere Mutationen gefunden, ohne zu wissen, welche.


Also zehn bis 2 0 ist, wenn man etwas genetisch untersucht hat, schon extrem ungenau. Oder andersherum gesagt, die Daten aus Südafrika sind extrem ungenau, überhaupt nicht vergleichbar mit Großbritannien. Aber wir werden immer mal wieder Varianten finden, wo der Verdacht besteht, dass sie sich schneller verbreiten als andere Typen. Warum das? Weil das Virus sich an den Menschen anpasst und dabei die höhere Ansteckungsfähigkeit so ein typischer Mechanismus ist, der funktioniert. Wir hatten vielleicht letztes Jahr auch schon mal so eine Situation in Dänemark, als da dieser sogenannte „Cluster 5“ gefunden wurde, der von den Nerzen übertragen wurde. Bei den Nerzen gab es auch zum Beispiel eine bestimmte Veränderung im S-Gen, dieses Virus, das so ähnlich aussieht wie das, was man jetzt in England gefunden hat.



Camillo Schumann



„Cluster 5“, das klingt wie so eine Boyband.


2 



Alexander Kekulé


(lacht) Ja, „Cluster 5“. Wir nennen das Cluster, wenn quasi Häufungen von bestimmten VirusVeränderungen vorhanden sind. Die werden dann quasi als Cluster bezeichnet. Es ist dann sozusagen eine neue Untergruppe. Und wenn das Cluster sich stabilisiert, würde man es irgendwann als Variante bezeichnen. Und wenn diese Variante irgendwann andere biologische Eigenschaften hat, dann würde man vielleicht mal von so etwas wie einem Subtyp oder Ähnlichem sprechen. Das ist so ein bisschen dynamischer Sprachgebrauch, der auch unter Virologen nicht ganz einheitlich gebraucht wird.



Camillo Schumann



Dass es Mutationen gibt, Varianten, und das, was Sie eben beschrieben haben, ist ja nichts Ungewöhnliches. Das passiert bei der Influenza ja auch. Oder passiert er über einen längeren Zeitraum bei der Influenza?



Alexander Kekulé


Das Influenzavirus hat noch eine viel stärkere Tendenz, sich genetisch zu verändern. Das hat bestimmte Mechanismen, um das zu machen, die die Coronaviren gar nicht haben. Die Coronaviren sind dafür, dass es RNA-Viren sind, besonders stabil sogar eigentlich, weil das sehr große RNA-Viren sind. Die größten, die wir kennen. Daher ist es so, dass das besondere Mechanismen hat, um sein Genom zu schützen vor Veränderungen. Weil je größer das Genom ist, desto mehr musste Organismus dafür sorgen, dass nicht ständig irgendwelche Mutationen auftreten. Man kann so grob sagen, dass bei jeder zweiten Infektionsgeneration, also praktisch bei jedem dritten, der infiziert wird, eine Mutation auftritt. Das ist für so ein Virus eigentlich relativ wenig.


(08:33)



Camillo Schumann



Da kommt dann am Ende ganz schön was zusammen. Und ob diese Virusmutation von der Insel jetzt schon in Deutschland ist, darüber gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Das hat zumindest Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestern Abend im ZDF gesagt. Und der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, weiß es auch noch nicht, ob diese


Variante in Deutschland nachgewiesen wurde. Beim heutigen Pressebriefing des RKI hat er dazu folgendes gesagt:


„Wir haben in Deutschland mehr als tausend Genome bislang etwa sequenz-analysiert. Also das Erbgut entschlüsselt und in öffentliche Datenbanken gestellt. Ich weiß aber, dass es immer noch mehr Genome gibt. Ich weiß, dass es auch Labore und Forschungsinstitute gibt, die noch weitere Genome sequenz-analysiert haben. Und ich möchte das mal nutzen, um die Kolleginnen und Kollegen dringend aufzufordern, dass sie diese Sequenzen doch bitte in die öffentlichen Repositorien einstellen, damit die Analysen durchgeführt werden können. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt der sogenannten „Public health surveillance“, der Überwachung. Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir das einschätzen.


(09:43)



Camillo Schumann



Der Aufrufe und Appell von Professor Wieler. Also, wenn der Podcast läuft, könnte die VirusMutation schon nachgewiesen worden sein.



Alexander Kekulé


Ja, das ist möglich. Aber ich würde jetzt nicht immer den Teufel an die Wand malen. Ich bin einfach immer ganz pragmatisch bei diesen Dingen. Als in China der Ausbruch war, ganz am Anfang, war ich auf weiter Flur der Einzige, der gesagt hat, wir müssen sofort die Einreise aus Wuhan kontrollieren und können die Leute nicht mehr unkontrolliert einreisen lassen.


Klar ist es irgendwie so frei flottierend eine Sicherheitsmaßnahme damals gewesen. Und es hätte sein können, dass man eine Woche später gesagt hätte: „Alarm wieder zurück, war nicht nötig. Wir brauchen es doch nicht.“ Sie sehen aber in diesem Fall dass die Geschichte mir da Recht gegeben hat. Wir haben jetzt eine Situation in England, die sehr stark an den Ausbruch in Norditalien erinnert. Sie erinnern sich vielleicht auch daran, dass ich schon vorher für massives Suchen nach Covid-19 plädiert hatte. Damals, bevor der Ausbruch in Italien entdeckt wurde. Man hat es nicht gemacht. Der Vorschlag ist ja regelrecht abgelehnt worden vom RKI. Daraufhin wurde der Ausbruch in Norditalien übersehen, mit der bekannten Konsequenz, dass die G-Variante


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sich weltweit ausgebreitet hat. Weil die stärker infektiös ist als der vorherige Wuhan-Typ. So, jetzt haben wir die nächste Situation in England. Klar, kann man sagen: „Das hat sowieso alles keinen Sinn. Irgendwann kommt das Virus sowieso.“ Ich bin der Meinung, dass man ganz pragmatisch sagen muss, wenn es ein kleines Zeitfenster gibt, wo man eine gewisse Chance hat, eventuell was auszubremsen, dann muss man dieses Zeitfenster nutzen. Gerade im Hinblick auf den Impfstoff, den wir demnächst haben werden. In 14 Tagen, da würde ich sagen, dass die Daten dann genauer bekannt sind. Wenn wir in 14 Tagen dann ganz genau sagen können, das war überflüssig. Ja, wir waren alle zu nervös. Der Kekulé hat sich geirrt. Der hat am Sonntagmittag irgendwie zwar einen Sicherheitsschritt empfohlen, aber der war übertrieben. Dann ist das so ähnlich, als wenn im Kaufhaus mal die Sprinkleranlage geht und es brennt doch nicht richtig. Aber das ist längst nicht so schlimm wie der umgekehrte Fall. Wenn die Bude abgebrannt ist und Sie sich hinterher denken: „Hätte ich doch auf den Sprinkler gedrückt.“ Deshalb glaube ich, dass ist hier das kleinere Übel für 14 Tage die Insel abzugrenzen. In der Größenordnung wird es maximal sein, falls es ein Fehlalarm war. Politisch können wir aber auch darüber reden. Klar hat die EU deshalb schneller reagiert und auch Deutschland, weil man Spaß daran hatte, natürlich dem Herrn Johnson mal vorzuführen, wie das so ist, wenn die Insel abgeschnitten ist. Sie wissen, die Verhandlungen laufen gerade in der heißen Phase. Da hat sicherlich die Politik der Virologie geholfen.


(12 :2 3)



Camillo Schumann



Das ist jetzt Ihre Interpretation. Ich habe das RKI auch noch zusätzlich angefragt. Und da wurde mir geantwortet:


„Ansprechpartner für die Sequenzierung ist das Konsiliarlabor für Coronaviren an der Berliner Charité. Einen Überblick über die aktuelle Situation liefert eine Internetseite.“


Da habe ich draufgeklickt. Stand heute: 831 Sequenzen wurden da gemacht. Konsiliarlabor. Für die Hörer dieses Podcasts ist es das erste Mal, dass dieser Begriff so gefallen ist. Was macht so ein Labor?



Alexander Kekulé


Diese 831 nach Website bisher sequenziert ... Insgesamt habe ich gelesen, das ist die Zahl, die Herr Wieler in der Pressekonferenz gemeint hat. Dem RKI sind laut Website 1742  Sequenzen bekanntest. Das ist offensichtlich dann über die Hälfte von anderen Laboren, die da das zugeliefert haben.


Das ist eigentlich so ein old-fashioned System, was ganz gut funktioniert in Deutschland, außerhalb von Pandemien. Und zwar haben wir für jede Erkrankungssorte, auch für bakterielle Erkrankungen, was die Labordiagnostik betrifft, haben wir die Labore. Die sollen so ein bisschen die deutschen internen Standards liefern. Die heißen eben Konsiliarlabore des Robert Koch-Instituts. Da ist man sehr stolz, wenn man quasi diesen Titel verliehen bekommt. Und das ist auch sehr wichtig, dass wir so einzelne haben, wo man sagt, wenn es zum Beispiel um Mumpsviren geht. Und da kommt jetzt eine neue Frage, weil die Tests nicht mehr funktionieren oder sonst was. Dann wird die eben vom Robert Koch-Institut an dieses Konsiliarlabor weitergeleitet.


Beim alten Bundesgesundheitsamt, was vor vielen Jahren aufgelöst wurde und Riesenbehörde war, da war noch der Ehrgeiz, dass man für jedes dieser Themen sein eigenes Speziallabor hatte. Jetzt ist es so eine Art Netzwerksystem. Das finde ich eigentlich sehr gut, und das hat sich bewährt. Da ist selbstverständlich der Christian Drosten, Leiter des Konsiliarlabors, schon lange für Coronaviren in Berlin. Das funktioniert dann so, dass die auch in Friedenszeiten zuständig sind, hauptsächlich Fragen der Diagnostik zu behandeln. Aber das Problem sehen Sie sofort in dem Moment, wo Sie sich mal die Zahlen anschauen. Jetzt haben die auch 831 Sequenzierungen gemacht. Das ist ganz schön Holz für so einen Konsiliarlabor, die das neben ihrer normalen Forschungsund Diagnostikarbeit machen müssen. Aber das ist natürlich kein Ramping up, keine Vergrößerung der Kapazitäten im Zusammenhang mit einer Pandemie. Für eine Pandemie ist es natürlich so, dass wir jetzt eine außergewöhnliche nationale Bedrohung haben. Und dann zu sagen, also das Konsiliarlabor, das es immer gemacht hat, wird es schon richten. Das


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könnte hier möglicherweise die falsche Strategie gewesen sein.


(15:14)



Camillo Schumann



Zielt da möglicherweise auch der Aufruf von Professor Wieler heute bei einem Pressebriefing hin, dass man alle Labore, die man möglicherweise nicht permanent überwachen kann und überwachen soll, jetzt sozusagen mit ins Boot holt: „Sucht mal diese Sequenz?“



Alexander Kekulé


Herr Wieler ist mir wirklich persönlich sehr sympathisch. Ich kenne ihn schon lange. Und in dieser Lage tut er mir manchmal Leid. Der muss immer sein Gesicht hinhalten, um die Daten zu verkünden. Wir wissen ja alle, von den Gesundheitsämtern kriegt er nicht einmal am Wochenende irgendetwas geliefert. Und das ist jetzt so der nächste Fall. Wissenschaftler sequenzieren halt dann was, wenn sie wissenschaftliches Interesse daran haben. Und die paar Daten jetzt noch zusammenzukratzen, um dann vielleicht von 831 auf 1000 zu kommen, das ist natürlich ein sehr schwacher Versuch.


Wenn wir wirklich hier eine Überwachung machen wollen ... Ich glaube, das haben wir im Podcast schon vor vielen Wochen besprochen, dass es in Deutschland ja leider nicht stattfindet. Darauf gab es offensichtlich keine Reaktion. Wenn wir überwachen wollen, wieso Mutanten auftreten oder auch nicht, dann muss man das ganz systematisch im großen Stil machen. Nicht rumkleckern. sondern wirklich systematisch einen bestimmten Prozentsatz aller abgenommenen Nasenabstriche, Rachenabstriche, die gemacht werden, der muss sequenziert werden. Das heißt, es muss festgestellt werden, wie das Genom des Virus aussieht, um zu sehen, ob sich das verändert hat. Da sind die Briten führend in Europa. Und eine kleine, winzige Scheibe könnten wir uns da in Deutschland davon abschneiden.


(16:56)



Camillo Schumann



Um das mal ins Verhältnis zu setzen, weil Sie gerade auch die Tests angesprochen haben. Wir haben etwa Tests von 1,5 Millionen und haben jetzt Sequenzen, Sie haben zusammengefasst 1700 und Apfelstückchen. Und Sie


sagen jetzt, bei jedem Test auch noch das Genom sequenzieren. Also 1,5 Millionen Sequenzen durchführen?



Alexander Kekulé


Vielleicht kann ich doch sagen, warum die gerade in England schon wieder so etwas gefunden haben. Das hat folgenden Grund: Es gibt in Großbritannien ein Konsortium, schon länger. Das heißt Covid-19 Genomics UK Consortium, also das genomische CovidKonsortium im Vereinigten Königreich. Die nennen sich COG-UK. Die lieben ja immer Abkürzungen. Und dieses COG-UK macht jede Woche einen Bericht, so ähnlich wie die Lageberichte vom RKI über Covid. Sagen Sie mal eine Zahl. Was glauben Sie, in der letzten Berichtswoche, wie viele Sequenzen COG-UK ungefähr veröffentlicht hat?



Camillo Schumann



Um Gottes willen. Das ist richtig gemein, weil ich die Tests nicht kenne.



Alexander Kekulé


Schätzen Sie mal irgendetwas. Wir haben in der gesamten Pandemie 831 sequenziert und 1742  liegen vor.



Camillo Schumann



Das ist wirklich gemein. Ich würde sagen 10.000.



Alexander Kekulé


Es sind in der letzten Woche 137.540.



Camillo Schumann



Na gut, knapp daneben.



Alexander Kekulé


Das war nur von der letzten Woche. So sind die drauf. Die haben 9,7 Prozent aller eingeschickten Tests die sequenziert. In einigen Bereichen des Vereinigten Königreichs sind die besser, in anderen schlechter. Da ging die Sequenzierungs-Quote bis 2 5 Prozent. Das heißt, zum Teil haben sie ein Viertel aller vorliegenden Tests sequenziert und landesweit 9,7 Prozent. So ist quasi deren Surveillance. Die wollen wissen: Achtung, kommt da eine Mutante?


Jetzt ist das wieder interessant zu sagen, wie wäre das, wenn alle Länder der Welt das so gründlich machen würden? Dann hätten wir wahrscheinlich schon mehr solche Aufreger


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gehabt, wie jetzt aus Großbritannien. Weil es sein kann, das immer mal wieder das Virus sich verändert und dann in Clustern sich ausbildet. Und nach und nach infektiöser wird.


Auf der Insel haben sie das jetzt festgestellt. Boris Johnson hat vielleicht auch ein bisschen politisch gesagt, 70 Prozent stärker infektiös als alle anderen. Vielleicht wollte er damit ein bisschen davon ablenken, dass die CovidBekämpfung in England nicht so im guten Ruf steht. Rein von den anti-epidemischen Maßnahmen her.


Wenn er dann sagt, das Virus ist gefährlicher geworden, hat er eine super Ausrede. Dieses Ding ist ihm jetzt als Boomerang ins Gesicht geflogen, weil alle jetzt gesagt haben: „Oh, 70 Prozent. Da machen wir die Grenzen zu.“


(19:51)



Camillo Schumann



Genau. Da sind wir an dem Punkt, was wir über diese Virus-Mutation wissen und vor allem, was wir nicht wissen. Sie haben es eben angesprochen. Angeblich soll diese VirusMutation bis zu 70 Prozent ansteckender sein. Diese Zahl hat sich seit dem Wochenende verselbständig, wird von jedem nachgeplappert. Auch von mir. Aber wie kommt man eigentlich auf diese 70 Prozent? Wie gesichert ist das?



Alexander Kekulé


Ich kann Ihnen ja die Daten sagen, die ich am Sonntag mündlich bekommen habe. Und was ich mir da mitgeschrieben habe, war auch die Basis für die Empfehlung, die Grenzen zuzumachen. Die haben folgendes letztlich gemacht. Erstens ist ihnen bei der Surveillance aufgefallen, wo sie ganz viele Sequenzierungen immer machen, ein Cluster im Bereich von Kent, also im Südosten von England. Da hat man gesagt, da in dieser Region ist ein neuer Typ unterwegs. Die haben sie dann auch als „Variant of Concern“ bezeichnet, also als Variante des Virus, auf die man aufpassen muss. Die hat genetische Eigenschaften, die man als gefährlich bezeichnen kann. 2 3 Mutationen, das ist richtig viel. Und so ein ganzes Paket ist mutiert. Davon eine Mutation an einer ganz wichtigen Stelle im Spike, wo man schon weiß aus anderen Experimenten, dass dadurch die Infektiösität hochgeht. Eine andere Mutation gleich daneben, wo ein


Stückchen fehlt. Da weiß man, dass das auch bei diesen Nerzen in Dänemark passiert ist. Auch dort bestand der Verdacht, dass es infektiöser geworden ist. Also das ganze Paket sieht massiv so aus, als sei das gefährlicher geworden. Daraufhin haben sie gesagt: „Okay, jetzt schauen wir uns das mal genauer an.“ Sie haben festgestellt, dass diese eine Deletion, also ein Ausfall von insgesamt sechs Bausteinen auf der Erbinformation. Das ist einfach ausgebrochen ein kleines Stück. Das ist an einer Stelle rausgefallen, wo eine typische Nachweis-PCR, die die in England verwenden, die plötzlich das interessante Resultat liefert, dass das S-Gen nicht mehr nachweisbar ist. Also bei einer Standard-PCR. Das nennen wir dann S-Drop-out, also das S-Gen fällt raus. Dann haben sie geschaut, wie viel von diesen S-Drop-outs hatten wir landesweit in der letzten Zeit? Und wie haben die sich verteilt? Und weil die diese eine Methode zufällig ganz massiv einsetzen im Vereinigten Königreich ... Dort ist es viel stärker zentralisiert als bei uns mit den Testungen. Deshalb haben die das quasi als Surrogatmarker verwendet. Sie haben geschaut, wie oft ist das S-Drop-out vorgekommen. Sie haben gesehen, dass das ganz stark korreliert mit einer erhöhten Infektionsrate, lokal. Das wurde statistisch ganz genau durchgerechnet mit tollen Statistiken, die wir hier schon mal mit Frau Priesemann besprochen haben.


Das wurde durchgerechnet und festgestellt, dass wenn dieses S-Drop-out in einer Gegend vorhanden ist. Oder anders gesagt, ein starker Verdacht auf diese Mutante da ist, dann ist die Reproduktionszahl (R) ungefähr 0,6 Punkte höher. Heißt, wenn Sie zum Beispiel R von 0,9 hätten ... Im Normalfall haben Sie ein R von 1,5. Das haben die statistisch sauber nachgewiesen, ohne Wenn und Aber. Und wenn Sie jetzt im Kopfrechnen 0,9 bis 1,5, das ist plus 70 Prozent. Und daher kommt die Zahl.



Camillo Schumann



Also ist der Satz unterstrichen worden: Wer viel und genau sucht, der findet auch, oder?



Alexander Kekulé


Ja, aber die haben nicht gesucht nach dem Motto „Wir müssen uns irgendwie ein paar Doktorarbeiten fertig machen. Also machen


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wir ein paar Studien.“ Sondern es war umgekehrt. Die hatten diese massiven Ausbrüche in Kent, wo sie die Welt nicht verstanden haben. Weil der Ausbruch ist in Kent mitten im Lockdown passiert. Da ist im Lockdown plötzlich des R hochgegangen, also lokale R dort.


Da muss man schon fragen, wenn die Reproduktionszahl so hoch geht, obwohl alles unter Lockdown steht: Was ist denn da los? Und so rum haben sie eher von anderer Seite gefragt. Ich weiß, dass andere Kollegen in Deutschland das nicht so sehen. Für mich sind die Daten schon relativ eindeutig.


In Kent zum Beispiel ging die Inzident während des partiellen Lockdowns von 100 pro 100.000 Einwohner hoch auf 400. Der Wert hat sich vervierfacht. Die Grafschaft Kent ist im Südosten Englands.



Camillo Schumann



Nicht die Party-Hochburg.



Alexander Kekulé


(lacht) Genau. Da ist Industrie, da ist ziemlich viel Grün. Da ist dann Dover am Ende, da könnte man noch darüber reden. Dover ist der Anfang des Tunnels nach Frankreich. Aber ich sehe jetzt nicht, warum gerade dort trotz Lockdown die Zahlen so hochgehen. Das hat eben dort die Epidemiologen auch frappiert. So sind sie hinten rum, sozusagen über diesen Umweg, drauf gekommen, dass dort der Ausbruch war.


Das gleiche Schema sehen wir jetzt. Es ist verteilt. England ist in Regionen eingeteilt so wie die Bundesländer in Deutschland. South East England ist okay, wo Kent dabei ist. Es geht aber rüber bis Oxford und Surrey, also die südliche, schicke Gegend von London. Und dann nördlich von London, wo dann Cambridge ist, das sind die Koordinaten des Wissenschaftlers, da ist es auch noch. Das wäre dann East of England. Das heißt, dass alles rund um London, unten und östlich davon, ist betroffen. Wenn das so lokal begrenzt ist, ist das auch wieder ein Zeichen, dass sich hier eine Variante wirklich lokal-dynamisch durchsetzt. Meine Prognose ist, dass das sich von Südosten her kommend über ganz England ausbreiten wird, über die ganze Insel.



Camillo Schumann



Weil Sie gerade die Situation dort


angesprochen haben: Das hieße also, dass die Menschen sich zu Hause dann gegenseitig angesteckt haben?



Alexander Kekulé


Naja, trotz der Maßnahmen. Die haben in England das ein bisschen standardisierter als bei uns. So ähnlich wie bei unserer Ampel heißt esbeidenen1,2 ,3,4.BiszumLevel2  sozusagen wird da gelockdowned. Die sind jetzt in London im höchsten Level. Die sind jetzt zum Teil in 4. Ich glaube, auch in East of England und South East of England. Das heißt jetzt nicht unbedingt nur Maske zu Hause. Sondern das heißt, man darf nur noch ganz wenige Einkäufe machen. Viele Dinge sind untersagt. Das ist so ähnlich wie bei uns der sogenannte harte Lockdown. Diese ganzen Maßnahmen. Damals war es nicht ganz so hart. Ich glaube, 3. noch damals. Trotzdem heißt es, dass diese Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um einen höher infektiöses Virus zu verbreiten. Das kann man sich so vorstellen: Wir haben ja mal über diese Basisreproduktionszahl R=0 gesprochen. Dieses R=0 ist bei dem Sars-Cov-2  wohl im Bereich von drei. Das ist die Zahl, die wir alle so im Kopf haben. Bei Masern, nur mal so als Vergleich, ist es wohl über zehn. Wenn jetzt aber dass R=0 für diese neue Variante einen ganzen Punkt höher wäre, also vier statt drei, dann wäre das eine Situation, wo man schärfere Gegenmaßnahmen einleiten müsste, damit es gleich wirksam ist. Und das macht das Ganze so prekär. Das macht das Ganze so gefährlich.


(2 7:2 8)



Camillo Schumann



Genau. Gefährlich ist genau das Stichwort. Weil zum einen ansteckender und daraus resultiert dann die Gefährlichkeit? Weil bisher wird kolportiert oder es sei noch nicht nachgewiesen, dass diese Mutation auch gefährlicher sei. Aber Sie schließen, dass daraus, dass sozusagen diese schnelle Verbreitung dann auch gleichzeitig die Gefährlichkeit ist?



Alexander Kekulé


Mit gefährlicher meine ich nicht, dass wenn man es kriegt, man eine höhere Sterbenswahrscheinlichkeit hat. Da haben wir


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überhaupt keinen Hinweis darauf. Das wäre auch untypisch, weil meistens die Viren sich in der Weise anpassen, im Lauf der Zeit, dass sie stärker infektiös werden. Die Kontagiosität nimmt zu, aber eigentlich die Letalität nimmt ab. Also die Sterbenswahrscheinlichkeit nimmt ab.


Das ist so ein bisschen widersprüchlich bei den Daten aus Südafrika. Da wissen wir kaum was. Deshalb kann ich nur dafür plädieren, dort tatsächlich erst einmal abzuwarten, was das bedeutet. In Südafrika behaupten die jetzt, sie hätten mehr schwere Verläufe bei Menschen im mittleren Lebensalter. Aber da muss ich sagen, wenn man weiß, wie dort die Daten gewonnen werden, wie ungenau die Statistik ist und dass die nicht einmal genau wissen, welche Mutationen das im Einzelnen sind, würde ich mal sagen, bevor man da Alarm schreit, muss man warten. Meine Arbeitshypothese ist, wie die Briten das berichten, es überhaupt keinen Unterschied gibt bei der Gefährlichkeit dieses Virus. Im Sinne von Letalität, im Sinne von Anteil derer, die daran sterben. Aber es ist natürlich gefährlich, weil mehr Menschen sich infizieren und ein bestimmter Teil der Infizierten stirbt bekanntlich. Dadurch ist es natürlich epidemiologisch gesehen gefährlich.


(2 9:05)



Camillo Schumann



Weil wir jeder Sequenzierung so hinterherrennen und Sie das Beispiel Großbritannien gebracht haben, dass sie weiter vorne sind, was die Anzahl der Sequenzierung angeht. Aber um das Beispiel oder einen Vergleich mit der Influenza zu bringen, ist man bei der Influenza ganz weit vorn? Hat man es da immer gemacht, oder kann man es da nachweisen?



Alexander Kekulé


Bei der Influenza ist das schon Standard seit vielen Jahrzehnten. Weil da hat man eine ganz andere Motivation und noch ein ganz anderes Netzwerk dafür. Die Influenza verändert sich so schnell. Da brauchen wir diese Daten jedes Jahr, um den neuen Impfstoff festzulegen. Das macht die Weltgesundheitsorganisation in einem inzwischen sehr gut eingespielten, fast hätte ich gesagt harmonisch choreografierten Programm. Von der Nordhalbkugel, wenn dort


Winter ist, werden die ganzen Influenza-Daten gesammelt. Dann guckt man, welche Subtypen dominieren dort? Guckt dann weiter runter. Da gibt es noch weitere Varianten, die eine Rolle spielen. Und dann legt man sich fest, was in den nächsten Impfstoff rein muss. Blöderweise dauert die Impfstoff-Produktion dann ziemlich lange, sodass in der Zwischenzeit manchmal das Virus die Weltgesundheitsorganisation ausgetrickst hat.


Und das Gleiche passiert spiegelverkehrt, wenn Winter auf der Südhalbkugel ist. Da braucht man weniger Daten als bei diesem Coronavirus, weil wir ja bei der Influenza nicht davon ausgehen, dass ständig stärker infektiöse Varianten eine Rolle spielen. Sondern die Influenza ist ein Übel, mit dem wir schon lange leben. Da hat keiner die Absicht, durch antiepidemische Maßnahmen die Influenza einzudämmen. So was spielt dann eine Rolle, wenn man wie hier den Versuch unternimmt, diese Covid-19-Ausbreitung so weit wie möglich einzudämmen, bis wir einen Impfstoff haben.


(31:00)



Camillo Schumann



Impfstoff ist genau das Stichwort. Ob diese Mutation die Wirkung des gerade zugelassenen Impfstoffs, der am 2 7. Dezember auch bei uns verabreicht werden soll, beeinträchtigen wird. Diese Frage hat gestern Abend Professor Şahin in der ARD beantwortet. Er und seine Frau, Professor Özlem Türeci, haben den Impfstoff entwickelt. Das hat er gesagt:


Uğur Şahin


„Das ist sehr früh. Wir haben uns die Mutation der Virus-Variante angeschaut. Es sind mehrere Mutationen. Wir wissen, dass unser Impfstoff gegen das Virus an vielen verschiedenen Stellen attackiert. Dementsprechend sind wir zunächst einmal zuversichtlich, dass Immunantworten, die durch unseren Impfstoff bedingt werden, in der Lage sein könnten, auch dieses Virus zu neutralisieren.“


(31:45)



Camillo Schumann



Das Virus sei jetzt noch etwas stärker mutiert, hat. Professor Şahin der Deutschen PresseAgentur gesagt. „Wir müssen das jetzt experimentell testen. Das wird etwa zwei


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Wochen in Anspruch nehmen. Wir sind aber zuversichtlich, dass der Wirkungsmechanismus dadurch nicht signifikant beeinträchtigt wird.“


Wie wir ja auch gehört haben, gibt es Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Varianten von SARS-CoV-2 . Sie haben ja auch berichtet, dass auf der Insel sozusagen eine starke Veränderung nachgewiesen wurde, dass da was rausgebrochen wurde. Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Impfstoff dann wirklich wirkungsvoll ist gegen diese Mutationen?



Alexander Kekulé


Ich bin da sehr zuversichtlich. Aber man muss sagen, sicher ist es nicht. Diese neue Variante nennen wir B117. Diese B117-Variante hat insgesamt 2 3 Mutationen in vier verschiedenen Genen. Das ist schon mal total ungewöhnlich. Dass so etwas überhaupt entstanden ist, also sich durchgesetzt hat, deutet daraufhin, dass das einen besonderen Selektionsdruck gab irgendwo. Also ein Klassiker, den wir kennen, ist die Sache in Dänemark, wo es bei den Nerzen passiert ist. Da war der Selektionsdruck eben dadurch besonders, dass es dem Tier passiert ist.


Jetzt kann man hier spekulieren. Wenn man sagen will, vielleicht war das ein Patient, der ein stark gestörtes Immunsystem hatte, wo sich das Virus vermehrt hat. Wir wissen, dass einige dieser Mutationen dann bei solchen immunsupprimierten Patienten tatsächlich häufiger auftreten, weil die über viele Wochen hin krank sind und das Virus produzieren. Da hat es eine gute Chance, einen neuen Typen zu entwickeln. Aber es kann auch einen anderen Grund gehabt haben. Spekuliert wurde zum Beispiel eine Therapie mit Remdesivir oder einem anderen antiviralen Medikamente. Irgendwie ist da etwas entstanden, was nicht nur so ein paar Einzelmutationen sind, sondern was eine neue Variante ist. Eine Kombination aus einzelnen Mutationen, die dem Virus neue Eigenschaften geben. Die deuten darauf hin, dass es unter ganz anderem Selektionsdruck entstanden ist. Acht wichtige Mutationen sind im sogenannten Spike. Das ist außen dieser Ausläufer an dem Virus, der leider auch das gleiche Ziel ist, was die Impfstoffe verfolgen. Diese RNA-Impfstoffe produzieren ja ein


künstliches Spike. Vor einer Mutation haben wir besonders Angst. Mit dem Spike, einer Stelle quasi, dockt das Virus an den Rezeptor in der Lunge, an diesen sogenannten ACE2 -Rezeptor. Das sind insgesamt sechs Aminosäuren, also sechs einzelne Bausteine des Proteins. Und eine davon ist eben verändert. Gleich daneben ist eine Veränderung, wo ein Stück rausgeflogen ist, diese Deletion. Das alles zusammen kann dazu führen, dass diese dreidimensionale Form des Spikes, außen, wo die Antikörper andocken, dass die ein bisschen anders aussieht. Dann docken die Antikörper schlechter an oder nur noch ein kleiner Teil. Oder anders gesagt, es ist schon denkbar auf dem Reißbrett, dass hier es zu einer Veränderung gekommen ist. Trotzdem ist es nicht sehr wahrscheinlich. Man kann sich tausend andere Mutationen vorstellen, die viel schlimmer wären.



Camillo Schumann



Herr Wieler, Präsident des RKI, hat genau dazu heute Folgendes gesagt:


Lothar Wieler


„Was für ein bisher haben, sind Sequenzdaten. Und zwar sehr viel. Dieses Virus hat eine Reihe von Mutationen. Das ist auch einer der Gründe, warum wir da besonders vorsichtig sind und draufschauen. Es gibt unter anderem eine Mutation, von der man weiß, dass sie etwas mit Immunreaktion gegen dieses sogenanntes Spike-Protein zu tun hat, wogegen der Impfstoff wirkt. Aber nach allen Informationen, und die kann man bioinformatische auswählen ... Das heißt also, ohne dass wir das Virus in der Hand haben, können wir diese Daten bioinformatisch auswerten. Das ist keine hundertprozentige Sicherheit. Aber das gibt uns eine Reihe Informationen. Alle Daten, die wir bislang kennen, sprechen dafür, dass der Impfschutz nicht eingeschränkt ist, wenn sich diese Variante weiter ausbreitet.“


(36:00)



Camillo Schumann



Man müsste also zum Beispiel nicht für Großbritannien den Impfstoff verändern?



Alexander Kekulé


Jetzt wäre es viel zu früh dafür, das zu machen. Es ist genau, wie es Herr Wieler sagt. Die


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Vorhersage sozusagen, die man anhand dieser genetischen Daten macht. Man schmeißt die größten Computer an. Die versuchen dann zu berechnen, wie dreidimensional das Ganze aussieht. Die sprechen nicht dafür, dass der Impfstoff nicht mehr wirkt. Aber es ist relativ komplex. Dieses Spike sieht ja ein bisschen aus wie eine Blüte, so eine dreiblättrige Blüte. Und wenn das mit dem Rezeptor zusammenkommt, dann schnappt die vorne zu. Das ist also nicht nur so etwas Passives. Man sagt immer Schlüssel und Schloss. So passiv wie ein Schlüssel ist das nicht. Es ist eher wie eine fleischfressende Pflanze. Wenn das quasi sein Target erwischt hat, dann rastet es richtig ein. Für diesen Mechanismus ist eine andere Stelle auf diesem Spike verantwortlich. Und genau da gab es auch noch eine Mutation.


Und der Wirkstoff von BioNTech/Pfizer, der ist raffiniert gebaut. Wenn diese RNA dann in die Zelle kommt des Geimpften, dann generiert die Zelle ein Spike-Protein, das eben absichtlich so aussieht wie das Spike, bevor es zugeschnappt ist. Also in diesem vorherigen, quasi angespannten Zustand, wo die Mausefalle noch nicht zugegangen ist. Da wissen wir nicht genau, ob sich diese Konfirmation, dieses dreidimensionale Aussehen des Proteins, dann in Wirklichkeit verändert hat oder nicht. Die Biodaten sagen, die Simulation am Computer sagt die Veränderungen sind minimal. Aber dadurch, dass eben hier acht verschiedene Mutationen im Spike aufgetreten sind, ist es auch eine sehr hohe Anforderungen an die Bioinformatik, quasi eine Vorhersage zu machen, wie das Protein wirklich aussieht. Jetzt prüft man es experimentell nach.


(38:00)



Camillo Schumann



Und das macht ja Professor Şahin. Das wird jetzt 2 Wochen dauern. Wie genau machen die das?



Alexander Kekulé


Wenn man jemanden impft, produziert der ja Antikörper. Das ist der gewünschte Effekt bei der Impfung, unter anderem Antikörper. Diese Antikörper nennen wir polyklonal, weil das nicht nur ein Antikörper ist, sondern das Immunsystem reagiert immer mit so einer Armee von Antikörpern. Diejenigen, die am besten binden, die werden dann noch mehr


hergestellt. Vor allem später, wenn der Gegner zum zweiten Mal kommt, dann werden diejenigen vermehrt hergestellt, die am besten gebunden haben beim ersten Mal. Aus dieser Riesenschar von Antikörpern muss man jetzt gucken, sind die Antikörper, die am besten binden, die am wichtigsten für die Immunität sind ...


Wir nennen die neutralisierende Antikörper, weil die auch im Zellexperimente Virusinfektion quasi von vornherein verhindern können. Diese neutralisierenden Antikörper, das sind meistens nur ein paar wenige aus dieser Riesenarmee, sind vermindert. Also ist vielleicht ein Teil der bekannten neutralisierenden Antikörper ... Da wissen wir, dass einige genau an diese Stelle binden, wo diese Mutation bei Position 501 im Spike ist. Ist es jetzt so, dass die immer noch genauso gut binden? Ist es vielleicht so, dass nur eine ausgefallen ist? Sind mehrere ausgefallen. Und klar, die Effizienz von 95 Prozent oder was die in den Phase-dreiStudien hatten, das ist nicht auszuschließen, dass das ein bisschen runtergeht. Aber es wäre ja auch nicht schlimm, wenn es dann nur noch 90 Prozent wären. Dann ist es ja trotzdem noch ein toller Impfstoff.


(39:41)



Camillo Schumann



Das war ein Kapitel „Virologie für Feinschmecker“. Aber ganz kurz noch: Wer sich jetzt impfen lassen möchte, sollte nicht noch die 2 Wochen abwarten, bis Professor Şahin dann noch mal durchgerechnet und experimentelle Nachforschung betrieben hat, sondern man kann sich jetzt impfen lassen?



Alexander Kekulé


Nein, auf jeden Fall. Wer die Chance hat, an den Impfstoff jetzt ranzukommen und die Indikation hat, also über 70 ist oder medizinisches Personal, der soll sich das natürlich geben lassen. Das wird eher so sein, dass wir viele Menschen nicht impfen können, weil wir nicht genug Impfstoff haben.



Camillo Schumann



Gestern hat die EMA, die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde, eine bedingte Zulassung für den BioNTech/Pfizer Impfstoff erteilt, über den wir gerade gesprochen haben. Und wenig später musste dem Ganzen noch


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die EU-Kommission zustimmen. Hier für alle Hörer dieses Podcasts noch einmal die zwölf Sekunden O-Ton von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Geschichtsbücher:


(40:46)


Ursula von der Leyen


„Today we add an important chapter in our fight againt Covid-19. We took the decision to make available for European citizens the first Covid-19 vaccine.“


(40:59)



Camillo Schumann



„Ein neues Kapitel im Kampf gegen Covid-19 wurde aufgeschlagen.“ Ein Satz für die Geschichtsbücher. Herr Kekulé, wer hätte zu Beginn der Pandemie gedacht, dass wir am Ende des Jahres schon so weit sein werden? Und dann noch mit deutscher Beteiligung.



Alexander Kekulé


Ja, mit deutscher Beteiligung. Da gab es ja so ein paar Kandidaten oder mindestens zwei, die gar nicht so schlecht aussahen. Ja, das ist eine ganz tolle Leistung. Viele kennen natürlich auch den Hintergrund. Das Gründerpaar von BioNTech in Mainz sind Nachfolger türkischer Migranten. Ich finde, das ist schon etwas, das muss man sich mal klarmachen. Wir sind in Deutschland im Grunde genommen eine zusammengewachsene Gesellschaft, die aus verschiedenen Nationen besteht, zumindest aus verschiedenen Herkunftsnationen. Ich glaube, das ist gerade in der aktuellen Diskussion ganz wichtig, weil viele meinen, dass das für uns von Nachteil wäre, dass wir Ausländer haben, die wir hier aufnehmen. Ich finde, das ist so ein klassisches Beispiel, dass das sich am Schluss immer auszahlt. Klar, jeder Fußballfan weiß, dass die Tore schon lange nicht mehr von deutschstämmigen geschossen werden. Aber ich finde, hier ist aus der Wissenschaft ein ähnliches Beispiel.


(42 :17)



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz ist natürlich die Frage, dass es dieses Jahr schon so weit ist und nicht erst im nächsten, möglicherweise sogar am übernächsten. Das ist wirklich schon eine große Leistung.



Alexander Kekulé


Naja, gut, dass die erste Zulassung dieses Jahr kommen würde, das war schon sehr wahrscheinlich. Die haben ja auch extrem früh angefangen, und schon die allerersten Daten sahen gut aus. Dass ist gerade die RNA-Impfstoffe sind, die sozusagen der Proto-Prototyp waren, das hat mich persönlich wirklich überrascht.


Ich hätte gedacht, dass die klassischen Impfstoffe schneller sind. Waren sie weltweit gesehen vielleicht auch. In China hat man ja den klassischen Impfstoff schon vorher zum Einsatz gebracht. Klassisch heißt, dass einfach Viren abgetötet werden und zur Impfung verwendet werden. Aber das, was ich so faszinierend finde, ist, man hat nicht nur die Zulassung. Da ist es vielleicht nicht so überraschend, dass die vor Weihnachten gekommen ist. Sondern man hat ja zugleich die Produktion hochgefahren, dass mit Zulassung angefangen wird auszuliefern. Das ist natürlich historisch einmalig. Dass ein Unternehmen die Fabriken baut, während noch die Phase-IIIStudien laufen. Über die pharmazeutische Industrie wird viel Schlimmes gesagt (zum Teil nicht unberechtigt). Die pharmazeutische Industrie hat hier wirklich der Welt bewiesen, wie wichtig sie ist und dass sie eine ganz tolle Sache geleistet hat.


(43:41)



Camillo Schumann



Zulassung ist genau das Stichwort. Gestern hat er die EMA, die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde, eine bedingte Zulassung für den BioNTech/Pfizer Impfstoff erteilt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn twitterte kurz danach: „Die ordentliche Zulassung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus ist ein Meilenstein.“


Vor ein paar Tagen sprach er auch von einer regulären Zulassung. Bedingt ordentlich, regulär. Machen diese Begriffe einen Unterschied für jemanden, der sich impfen lassen möchte? Vermutlich nicht, oder?



Alexander Kekulé


Für jemand, der sich impfen lassen möchte, nicht. Der sich sowieso schon impfen lassen möchte, macht es keinen Unterschied. Ich hätte erwartet, dass der Bundesgesund-


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heitsminister seine Kommunikationsstrategie ändert, nachdem aufgezeigt wurde, dass er vorher das nicht ganz richtig dargestellt hat.


Die sogenannte „bedingte Zulassung“, im EUSprech heißt es „Conditional Approval“, ist in der EU das Produkt der Notfallzulassung. Eine Notfallzulassung unterscheidet sich von einer ordentlichen Zulassung in zweierlei Hinsicht. Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mehr, aber diese 2 Sachen habe ich im Kopf. Das eine ist, müssen die Daten müssen nicht vollständig sein. Das heißt, man kann eine Notfallzulassung machen oder eben bedingte Zulassung in der EU mit einem nicht vollständigen Datensatz. Wenn zugleich klar ist, dass der Hersteller innerhalb eines vernünftigen Zeitraums, sechs Monate, in der Lage ist, die Daten nachzuliefern. Also genau das, was der Bundesgesundheitsminister hier ausschließt. Er sagt, dass sozusagen mit unvollständigen Daten die Zulassung erteilt wurde, ist der Wesenskern der bedingten Zulassung. Daher kommt es nicht so aufs Wort an, ob das „bedingt“, „ordentlich“ oder „regulär“ heißt. Sondern der wichtige Unterschied ist, die reguläre Zulassung ist ein vollständiger Datensatz. Die bedingte oder auch Notfallzulassung ist ein unvollständiger Datensatz. Angesichts einer Notlage kann es den Behörden ausreichen, zu sagen: Okay, wir lassen schon mal zu und warten, bis die Daten dann vollständig sind. Unter bestimmten Auflagen. Und Auflagen heißt eben Bedingungen. Darum heißt es „Conditional“.


(46:03)



Camillo Schumann



Aber könnte die EMA die Zulassung vielleicht auch nur bedingt erteilen? Also aus formalen Gründen? Und de facto ist diese Zulassung schon eine reguläre Zulassung, weil man schon ganz viele Daten hat wie sonst erst nach einem Jahr. Man war ja permanent mit eingebunden in diese Studien.



Alexander Kekulé


Nein, das sind nicht alle Daten. Die EMA hat auch keine ordentliche Zulassung erteilt. Es wurde auch keine ordentliche Zulassung beantragt. Offensichtlich ist selbst im Bundesgesundheitsministerium entweder die Datenlage nicht genau oder man sagt absichtlich was


Falsches. Aber das würde ich niemandem unterstellen wollen. Ich weiß es so genau, weil ich selber unmittelbar beteiligt war im Nachgang zu der 2 009 Schweinegrippe. Vorher gab es eigentlich schon diese Verfahren. Die wurden im Nachgang noch einmal nachgeschärft, und zwar für die Influenza. Man hatte das eigentlich gegen die pandemische Influenza entwickelt, weil man Angst hatte, wenn die Pandemie kommt, wie kriegen wir dann schnell einen Impfstoff? Daher kommen die ganzen Konzepte. Die hat man jetzt für die Corona-Pandemie verwendet. Da gab es 2 Prozeduren. Da steht so ein bisschen Aussage gegen Aussage. Ich wäre dafür, die Website der EMA auf unserer Podcast-Seite zu verlinken. Dort kam das noch mal nachlesen. Es gibt 2 verschiedene Prozeduren, die im Rahmen der Notfallzulassung sind, die heißen auch Emergency approval oder Emergency procedure. Und die eine heißt Mock-up procedure. Wer sich 2 009 schon angehört hat, wie das mit dem Impfstoff damals war, mit der pandemischen Influenza, erinnert sich an den Ausdruck Mock-up. Das heißt, dass man einen Impfstoff hat, der universell ist, sozusagen, ohne genau zu wissen, welches Virus irgendwann mal kommt. Das ist eigentlich eine typische InfluenzaSituation. Wir wissen, die nächste Pandemie kommt. Aber wir wissen noch nicht genau, welches Virus ist es. H5N1 war so eins der Angst-Vieren, die man hatte. Darum hat man Mock-up-Impfstoffe zugelassen. Die werden als Prototyp quasi für eine Variante zugelassen. Der Hersteller kriegt die Erlaubnis, das umzusetzen mit der Variante, die wirklich die Pandemie macht. Wenn man so sagen darf die ganze Karosserie des Autos, die Räder, die Bremse. Alles miteinander hat schon eine Verkehrszulassung. Und der Hersteller darf dann einen neuen Motor einbauen, wenn es notwendig ist. Das nennt man Mock-up. Und die zweite Variante heißt auf Englisch „Emergency procedure“, Notfallprozedur. Die Emergency procedure sieht vor, dass ein sogenanntes „rolling review“ gemacht wird. Das heißt also, dass der Hersteller schon während er die Studien der Phase 3 macht, gleich die Daten durchreicht an die Europäische Arzneimittelbehörde. Sodass die das zugleich schon mal anschauen können. Das ist


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meines Wissens nach seit Juli passiert. Ich lese es auf Englisch vor, weil ich dann ganz sicher bin: „Vaccine authorized using the emergency procedure are giving conditional approval.“ Ich glaube, mehr muss man nicht sagen. Die Impfstoffe, die durch die Notfallprozedur autorisiert wurden, bekommen eine bedingte Zulassung. Das heißt, die bedingte Zulassung ist die europäische Variante der Notfallzulassungen. Bei der FDA in USA heißt sie Emergency procedure.


(49:35)



Camillo Schumann



Es muss ja irgendeinen Vorteil haben, dass Herr Spahn sagt, es ist eine reguläre Zulassung. Aber es ist eine offiziell bedingte Zulassung. Daran sind auch Haftungsfragen geknüpft, oder?



Alexander Kekulé


Ja, die Haftungsfragen sind noch mal ein anderes Thema. In Europa ist das so, dass bei der Emergency procedure und Conditional approval der EMA generell geregelt ist, dass die Haftung beim Hersteller liegt. Das war sicher ein Grund, warum die Hersteller mit der Europäischen Kommission solange verhandelt haben, weil die Hersteller eigentlich eine Haftungsbefreiung haben wollten. Das geht aber nach der gesamteuropäischen Notfallzulassung nicht. In den Vereinigten Staaten von Amerika bei der FDA, da ist genau das gleiche, spiegelverkehrte Verfahren. Was übrigens auch exakt die gleichen Daten verwendet hat. Per Dekret kann die FDA oder ein Konsortium der FDA festlegen und sagen: „Wir verzichten auf die Haftung des Herstellers und wir übernehmen die Haftung.“ Das ist sozusagen dort Wahlfreiheit, wenn ich das sagen darf. Die USA haben eben im Rahmen dieser Möglichkeit auf die Herstellerhaftung verzichtet, ganz speziell für diesen Covid-Impfstoff bei BioNTech und Moderna. Und ich meine auch bei den anderen Herstellern. Dieser Haftungsverzicht, der in den USA möglich ist, aber nicht automatisch bei der Notfallzulassung, der ist in Europa bei der Notfallzulassung, die hier bedingte Zulassung heißt, nicht möglich. Und ich glaube, dass das ein Riesenproblem war.


Wir haben natürlich in Europa noch einen anderen Mechanismus. Dieser andere


Mechanismus ist das, was Großbritannien gemacht hat, wo wir nicht so erfreut darüber waren. Die haben eine nationale Notfallzulassung gemacht. Das ist im Rahmen der europäischen Verträge und Anschlussverträge und Nebenverträge möglich. Das soll man nur dann machen, wenn nur eine Nation betroffen ist. Die nationale Zulassung wird nicht von der Europäischen Arzneimittelbehörde getragen. Deshalb ist wiederum die europäische Regelung so, dass bei der nationalen Zulassung wie es das UK gemacht hat, die Haftung nicht beim Hersteller liegt. Sondern bei dem Land, was es national zugelassen hat. Das heißt also, im UK ist der Hersteller BioNTech/Pfizer von der Haftung ausgenommen worden. Jetzt, bei der europäischen Zulassung, ist er in der Haftung. Aber die Daten sind natürlich exakt die gleichen. Und auch die Leute, die sich das anschauen, sind die gleichen.


Die Behörde im UK, die das macht, ist extrem renommiert und extrem gut und schnell. Sie war immer federführend mit dabei, wenn die europäischen Zulassungen gemacht wurden. Die haben für ihre nationalen Zulassungen genau die gleichen Daten auf dem Tisch gehabt, die bei der EMA auf dem Tisch lagen. Das ist ja klar. Wo soll Pfizer jetzt noch eine weitere Studie aus dem Ärmel zaubern? Es gibt die Studien, die da sind. Das ist eine große Phase-II/IIIStudie, die inzwischen auch in weiten Teilen publiziert ist. Genau diese Daten liegen auf dem Tisch, und zwar sowohl in London als auch in Amsterdam, wo die EMA neuerdings sitzt.


Einen Unterschied zu machen zwischen Notfallzulassung und richtiger Zulas-sung oder der bedingten Zulassung der EU, das ist nicht berechtigt. Die Daten sind die gleichen und es sind beides Notfallzulassungen. Das heißt, in beiden Fällen ist der Datensatz unvollständig und weniger vollständig als bei der richtigen Zulassung.


(53:2 3)



Camillo Schumann



Die EMA hatte ihre Zulassung an Bedingungen geknüpft. Der Hersteller ist verpflichtet, auch nach dem Start der Impfung Daten zu Langzeitwirkungen zu übermitteln. Auch Angaben zu möglichen Nebenwirkungen, allergische


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Reaktionen sind ein großes Thema. Diese bedingte Zulassung wird für ein Jahr erteilt. Sie geht dann in eine reguläre Zulassung über. Davon kann man ausgehen, oder?



Alexander Kekulé


Automatisch nicht, sondern es gibt die Möglichkeit, diese zu verlängern. Ich glaube, das kann man fünfmal machen. Der Hersteller kann eine Verlängerung der bedingten Zulassung um ein weiteres Jahr beantragen. Es ist so, dass er irgendwann mal den Antrag für eine reguläre Zulassung stellen würde, sofern die Pandemie bis dahin nicht zu Ende ist. Dann würde die reguläre Zulassung natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erteilt.


Die EMA veröffentlicht die Geschichte ihrer bisherigen bedingten Zulassungen, also Notfallzulassungen. Die wird auf der Webseite veröffentlicht. Bisher hat es noch keine Zulassung gegeben. Das gilt nicht nur für Impfstoffe. Es hat bisher noch keine Zulassung gegeben, wo es wieder zurückgepfiffen wurde, weil die Daten dann doch beunruhigend gewesen wären. Rein von der von der Datenlage her ist es keine Beunruhigung. Ich bin nur der Meinung, man muss bei so einem heiklen Thema die Bevölkerung offen, aufrichtig und richtig informieren. Eine Notfallzulassung ist eine Notfallzulassung mit den 2 Unterschieden: begrenzt und Daten auch nicht vollständig. Man darf nicht sagen, es handelt sich um eine reguläre Zulassung, bei der alle Daten gesichtet worden.


(55:02 )



Camillo Schumann



Fakt ist, am 2 7.12 . soll es mit der Impfung losgehen in Deutschland, in einem abgestuften Verfahren. Als erstes sollen die über 80Jährigen, Personal und Bewohner von Pflegeheimen, Gesundheitspersonal, auch mit sehr hohem Infektionsrisiko, geimpft werden. Das wird eine Weile dauern, bis sich dann jeder impfen lassen kann. Da gibt es ja unterschiedliche Vermutung. Was vermuten Sie, wie lange wir noch mit Einschränkungen, Abstandsund Hygieneregeln leben müssen? Das gesamte neue Jahr 2 02 1?



Alexander Kekulé


Meine Hoffnung sieht so aus, dass wir zwischen April und Juni in die Phase kommen,


wo wir epidemisch relevant impfen. Also nicht nur ein paar Risikogruppen schützen, sondern das R runterdrücken. Also eine echte antiepidemische Maßnahme durch die Impfung haben. Wo wir also Effekte sehen, epidemisch. Dann hilft uns der Sommer, es wird warm. Und dann ist meine Hoffnung, wenn es im Herbst nächstes Jahr wieder kalt wird, dass wir keine massive Covid-Welle kriegen. Zumindest keine Welle, die so ist, dass man irgendwelche Maßnahmen ergreifen muss. Ob man den nächsten Winter noch Masken zur Sicherheit braucht oder nicht ... So die einfachen Sachen... Masken, Abstand, bisschen vorsichtig sein, das wird wahrscheinlich im nächsten Winter als Empfehlung auch noch da sein. Aber es wird nicht mehr dieses Damoklesschwert der hohen Sterblichkeit über uns schweben. Gerade durch die richtige Impfung der Alten als erstes, speziell in den Altenheimen, da drücken wir die Sterblichkeit. Sicherlich wird hinterher ein Buch darüber geschrieben werden. Warum konnten wir erst durch die Impfung die Sterblichkeit in Altenheimen drücken und haben es nicht geschafft, die vorher zu schützen? Aber das ist dann eher was für die Geschichtsbücher.


(56:48)



Camillo Schumann



Herr Kekulé, in 2 Tagen ist Weihnachten.



Alexander Kekulé


Ja, wir haben auch schon ganz viele Wünsche geäußert. Meine Kinder haben schon ihre Wunschzettel wie jedes Jahr an einem Luftballon in den Himmel steigen lassen.



Camillo Schumann



Ehrlich?



Alexander Kekulé


Ja, natürlich. (lacht) Keine Aufforderung zur Nachahmung. Ich weiß gar nicht, ob das erlaubt das, ob das den Flugverkehr irgendwann mal stört. Aber wir sind auch nicht in der Nähe von einem Flughafen. Und so einen Gasballon kann ja mal verloren gehen aus Versehen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Wünsche erfüllt werden. Bis auf den einen, der immer ganz oben drauf steht. Das ist aus den Kindern nicht rauszubringen: Dieses doofe Corona soll endlich weg.


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(57:33)



Camillo Schumann



Definitiv. Aber dass der Weihnachtsmann kommt, das hat die WHO schon bestätigt. Der darf reisen durch den Luftraum. Da sind dann auch diverse Beschränkung aufgehoben worden. Also dass die Geschenke kommen, ist relativ sicher. Aber Hand aufs Herz: Wir reden ja seit März über nichts anderes. Sind Sie so in Weihnachtsstimmung? So mit allem Drum und Dran dieses Jahr?



Alexander Kekulé


Ich selber nicht. Jeder kriegt so seine kleinen Pakete vor Weihnachten. Die Briten haben dieses neue Virus gekriegt. Und es ist auch nicht so, dass ich ganz unbeschenkt geblieben wäre in den letzten Wochen vor Weihnachten. Also irgendetwas Unangenehmes kommt dann immer noch kurz vorher.


(58:13)



Camillo Schumann



Aber ich finde, Musik macht sehr viel Stimmung. Damit wir so ein bisschen Weihnachtsstimmung kommen, ein bisschen Weihnachtsmusik. Sind Sie eher so der Freund klassischer Weihnachtsmusik? Also so was hier:


(Thomanerchor: „O du fröhliche“)



Camillo Schumann



Der Leipziger Thomanerchor mit „O du fröhliche“. Oder mögen Sie es vielleicht ein bisschen moderner?


(Michael Bublé: „Jingle Bells“)



Camillo Schumann



Michael Bublé mit „Jingle Bells“. Was hört die Familie Kekulé an Weihnachten?



Alexander Kekulé


Oh weh. Also wenn, dann eher das modernere. Ehrlich gesagt, diese Weihnachtschoräle erinnern mich so ein bisschen an Kaufhausmusik beim Einkaufen. Das hat man immer überall, an jeder Ecke, in diesen Weihnachtsmärkten gehört. Deshalb ist es bei mir inzwischen falsch belegt. Ich glaube, am schönsten war es, wenn man in der Kirche an Weihnachten ist und die Leute selber singen. Ohne dass ich jetzt besonders religiös wäre, ich fand das immer beeindruckend, weil das so was von Gemeinsamkeit hat. Auch von Leuten,


die nur in der gleichen Gegend wohnen. Wenn die dann zusammen die Kirche gehen und singen. Ich weiß, das ist dieses Jahr ausgerechnet nicht erlaubt. Aber das fand ich eigentlich immer so die beeindruckendste Weihnachtsmusik. Stärker als irgendetwas, was aus dem Lautsprecher tönt.


(59:53)



Camillo Schumann



Da gebe ich Ihnen recht. Mir geht es haargenau so. Aber wenn ich an dann so Shopping Center denke, dann denke ich eher an Michael Bublé und „Jingle Bells“ und nicht an den Thomanerchor „O du fröhliche“. Der läuft übrigens bei uns an Heiligabend. Das ist ja wirklich was Schönes. Wir sind in Weihnachtsstimmung, oder?



Alexander Kekulé


Ja, auf jeden Fall. Jetzt haben wir dieses unangenehme Thema Covid abgehakt. Reden wir mal über was anderes, oder?



Camillo Schumann



Ja, auf jeden Fall. Sehr viele Fragen zum Fest von Hörern haben uns erreicht. Die wollen wir jetzt mal beantworten. Kurz vorher noch die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa, der Deutschen Presse-Agentur. Da sagen nämlich neun Prozent der Befragten, sie würden verreisen, um mit Freunden oder Verwandten Weihnachten zu feiern. Ein Prozent der Befragten plant eine Urlaubsreise. 87 Prozent wollen dagegen über die Feiertage zu Hause bleiben. Herr Wieler vom Robert Koch-Institut hat heute noch einmal eindringlich die Menschen aufgefordert: „Verreisen Sie nicht, treffen Sie möglichst nur wenig. Und wenn, dann nur immer dieselben Menschen.


(1:00:56)



Camillo Schumann



Wie würde Ihr Appell lauten?



Alexander Kekulé


Na ja, der allgemeine Appell genauso. Vor allem, wenn ich jetzt in der Lage von Herrn Wieler wäre, der muss eine einfache Message rüberbringen. Wir haben hier viele Podcasts gemacht, und es gibt auch andere Informationen, einschließlich ganz ausdrücklich der hervorragende Podcast vom Christian


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Drosten. Die Menschen in Deutschland haben inzwischen schon verstanden, was gefährlich ist und was nicht. Und sie sollen im Sinne einer persönlichen Risikoabwägung das Richtige machen. Ich glaube, wenn das Individuum sich entscheidet und klug entscheidet, das ist die beste Form von Resilienz, die man erzeugen kann für eine Gesellschaft. Das ist besser, als wenn sich alle irgendwie an so eine Scheinregel halten, die im Detail dann eben doch manchmal stimmt und manchmal nicht.


(1:01:51)



Camillo Schumann



Wie wird Weihnachten sicher? Das wollen wir jetzt klären. Die wichtigste Erkenntnis gleich zu Beginn. Für die effektivste Maßnahme, das Fest sicher zu gestalten, ist es 2 Tage vor Heiligabend zu spät. Die Selbstquarantäne eine Woche vor dem Fest, das wäre es gewesen?



Alexander Kekulé


Ich glaube aber, dass das viele gemacht haben. Muss ja nicht richtig eine Quarantäne sein, aber dass man Risiko und Kontakte vermeidet. Mit einer FFP-Maske statt mit dem OPMundschutz mal zum Einkaufen gehen und solche Dinge und nicht so viele Party-People trifft. Ich glaube, dass das haben viele schon gemacht. Und das ist schon mal eine gute Vorbereitung.


(1:02 :2 6)



Camillo Schumann



Viele Fragen haben uns erreicht. Zum Fest zum Beispiel diese. Fangen wir mit Familien und Verwandten an. Einige Familie holen ja vielleicht die Oma aus einem Pflegeheim oder andere Familienmitglieder, die sonst in Betreuung sind, zu sich. Wie diese Familie:


„Wir haben einen behinderten Sohn, der ist 34 und seit anderthalb Jahren in einer Einrichtung. Und wir haben eine Tochter, die wohnt weiter weg. Die hat ein Baby bekommen. Wir wollten eigentlich unseren Sohn holen zu Weihnachten. Wir sind 60 und 61, also am Beginn des gefährdeten Alters. Wir wollten eigentlich unseren Sohn holen und mit ihm zu unserer Tochter fahren. Unsere Tochter hat ein bisschen Angst gehabt. Jetzt haben wir es verteilt. Zuerst holen wir unseren Sohn, hinterher besuchen wir sie, nachdem wir eine Quarantänezeit abgewartet haben. Ich habe


mit ihr telefoniert. Sie sagte, sie hat Angst, dass unser Sohn uns ansteckt. Es ging nicht darum, dass wir mit ihm zu ihr fahren, sondern dass wir ihn holen. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich machen soll. Das wäre toll, wenn ich dazu eine Auskunft kriegen könnte. Vielen Dank, tschüs.“


(1:03:49)



Camillo Schumann



Das war eine ziemlich lange Schilderung. Aber sie macht eins deutlich: Dieses FamilienDilemma, was wahrscheinlich in tausenden, zehntausenden Familien ist. Was kann man dieser Dame sagen?



Alexander Kekulé


Hier ist die Befürchtung, dass offensichtlich der Sohn sich aus einem Heim das Virus geholt haben könnte. Es ist so, dass die Heime immer noch schlecht kontrollierte Orte sind in Deutschland. Da kann man vielleicht wirklich noch einmal bei der Heimleitung nachfragen, ob es irgendwelche Ausbrüche gegeben hat. Ob bekannt ist, dass es dort Fälle gab oder nicht. Es ist ja nicht so, dass es den Heimleitungen verschlossen bleibt. Ich gebe zu, ich kenne selber auch Fälle, wo dann die Nachverfolgung durch das Gesundheitsamt sehr schlecht war. Bis die das registriert haben und dann überhaupt mal anrufen und fragen, was los ist, ist der Ausbruch schon vorbei. Aber die Heimleitung selber weiß es in der Regel, sodass das der erste wichtige Schritt war. Wenn ein behinderter Sohn aus einem Heim kommt, wo es keine bekannten Ausbrüche gab und wenn man zusätzlich einen Schnelltest machen kann, kurz vor oder an Weihnachten selber, würde ich sagen, ist da kein besonderes Risiko.


(1:05:05)



Camillo Schumann



Jetzt ist ja dieses Dilemma, dass man Menschen aus einem Heim holt. Bei vielen Familien die Oma zum Beispiel. Sie haben gerade die Schnelltests angesprochen. Jetzt ist es ja mitnichten so, dass man in die Apotheke gehen kann, kurz vor Weihnachten, sich so einen Schnelltest holt für 10-15 Euro. Wenn Schnelltests keine Option sind, wie ist man da auf der sicheren Seite?



Alexander Kekulé


Den Schnelltest gibt es nicht nur in den


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Apotheken, sondern in vielen Städten, auch in Testzentren. Und wie ich gehört habe, sind die auch an den Weihnachtsfeiertagen geöffnet. Ich hoffe sehr, dass sie die Kapazitäten entsprechend vorhalten. Dass die, die sich an Heiligabend oder am ersten Feiertag testen lassen wollen, auch eine Chance haben, das zu machen. Wenn man dazu keine Option hat, vielleicht weil man in der Gegend lebt, wo das nicht vorgesehen ist ... Derjenige, der aus dem Heim geholt wird, ist meistens derjenige, der gefährdet ist. Das war hier gerade ein Sonderfall, dass die Familie Angst hat, sich bei dem behinderten Sohn anzustecken. Meistens ist es eher umgekehrt. Zum Beispiel Trisomie 2 1 ist so eine klassische Erkrankung, wo leider auch ein extrem hohes Risiko für Sterblichkeit und schwere Verläufe bei Covid-19 ist. Oder wenn man die alten Menschen aus dem Heim holt, die ja auch gefährdeter sind. Da muss man eher umgekehrt überlegen, wie man verhindern kann, dass die anderen denjenigen anstecken. Wenn die sich halbwegs vernünftig verhalten haben in der Woche oder den 2 Wochen vor Weihnachten, keine Symptome haben. Das kann ich nur noch mal betonen. Dass man jeden, der symptomatisch ist, wirklich rausnimmt. Dann ist es relativ sicher. Weil das Virus kommt nicht durch die geschlossene Wand rein in die Wohnung. Man muss sich das irgendwo geholt haben. Und es ist so, dass wir ja wissen, wie die Übertragungswege sind. Das heißt, wenn man nicht im geschlossenen Raum war, mit anderen Menschen, die man nicht kannte ... Und wenn man im geschlossenen Raum sein musste, eine FFP2 Maske getragen hat, und wenn man keine Symptome hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man gerade jetzt asymptomatisch Virusausscheider ist, gering.


Wenn man noch eins draufsetzen will, kann man Abstand halten in der Wohnung, gelegentlich lüften. Vielleicht im besten Fall dem Senior, wenn er das verträgt, dann eine FFP2 -Maske aufsetzen, außerhalb der Essenszeiten. Das muss jeder selber wissen, wie sehr er seine Feierlichkeiten von diesem Virus, was unser ganzes Jahr schon bestimmt hat, dann auch noch dominieren lassen will. Das ist eine Güterabwägung. Das muss jeder für sich treffen.


(1:07:46)



Camillo Schumann



Sie haben gerade den Schnelltest angesprochen. Es gibt sicherlich Familien, die sich einen besorgt haben oder in so ein Testzentrum gehen. Diese Dame hat sich Schnelltests besorgt, will damit das Weihnachtsfest sicher gestalten. Doch dann hat sie was gelesen und angerufen:


„Mich verunsichern 2 Berichte, die ich kürzlich gelesen habe. Darin heißt es, dass der Schnelltest nur Aussagekraft hat, wenn derjenige Symptome hat. Bisher habe ich gedacht, dass es mit der Viruslast zusammenhängt. Das kann ja ein asymptomatischer Positiver sein als auch jemand, der vielleicht noch vor seinen Symptomen ist und ansteckend ist. Ich dachte bisher, dass man vor der Symptomatik ansteckender ist als bei der Symptomatik. Das wäre gut, dass wir das klarstellen. Ich glaube, es gibt mehrere Leute, die zu Hause Schnelltests haben und vielleicht verunsichert sind. Machen oder nicht machen und wie sicher das ist? Vielen lieben Dank.“



Alexander Kekulé


Die Schnelltests können immer nur eine zusätzliche Sicherheitsebene einbauen. Die dürfen niemals der Ersatz dafür seien, um die klassischen Dinge zu berücksichtigen. Das heißt, Nummer eins, jemand, der Symptome hat, ist immer verdächtig. Auch wenn der Schnelltest negativ ist. Da rate ich dringend davon ab, jemanden an den Weihnachtstisch zu setzen, der covid-artige Symptome hat und zu sagen, der Schnelltest war negativ. Das wäre sicherlich falsch. Symptome schlagen sozusagen Schnelltest.


Wenn man vorher absolut keine Quarantäne machen konnte, man hatte vielleicht einen gefährlichen Kontakt. Da wäre eigentlich jemand, der in Quarantäne gehen müsste, weil man einen Typ-1-Kontakt hatte nach Robert Koch-Institut. Also einen unmittelbaren Kontakt mit jemandem, der bekanntermaßen infiziert ist. Da würde ich mich auch nicht an Weihnachten auf so einen Schnelltest verlassen.


Aber die Hörerin hat das völlig richtig gesagt. Menschen, die asymptomatisch sind, die können das Virus ausscheiden, das wissen wir leider. Wir wissen nicht, wie häufig das ist,


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aber es kommt vor. In solchen Fällen würde bei einer starken Virusausscheidung natürlich der Schnelltest auch positiv werden. Deshalb hat man ihn. Weil jemand, der sowieso Symptome hat, der soll nicht mit am Tisch sitzen. Es geht eigentlich genau um diejenigen, die keine Symptome haben, aber trotzdem in einer Phase diese Erkrankung sind, wo die Virusausscheidung schon beginnt. Das ist meistens am Tag vor Auftreten der Symptome, also einen Tag vor symptomatisch werden. Da beginnt die Virusausscheidung schon. Und da sind viele im Schnelltest schon positiv. Ist aber individuell so ein bisschen unterschiedlich. Es gibt auch Fälle, wo Leute sagen: „An dem Tag hatte ich schon richtig Kopfschmerzen, habe mich so komisch krank gefühlt. Ich habe gemerkt, da zieht jetzt richtig was an.“ Die würden sagen: symptomatisch, erster Tag. An dem Tag war der Schnelltest negativ. Am nächsten Tag wurden die Symptome noch schlimmer. Und dann wurde der Schnelltest positiv. Das gibt es auch.


Da kann man aber nur hoffen, dass das gilt, was wir aus den wissenschaftlichen Daten wissen. Dass immer dann, wenn die Virusausscheidung richtig hoch geht, PCR-technisch gesprochen dieser CT-Wert deutlich unter 30 fällt. Das heißt, die PCR ein sehr stark positives Signal dann zeigt. Damit korreliert ein Positivwerden des Schnelltests. Das ist relativ eindeutig. Das hängt natürlich davon ab, dass man den Test richtig macht. Wenn Leute das selber machen wollen: Es ist extrem wichtig, dass man wirklich an die hintere Rachenwand drankommt. Also wenn man das durch den Mund macht, an den Mandeln vorne rumrubbeln oder gar nur von der Zunge oder von der Backe was abnehmen. Sondern man muss wirklich mit einer kleinen Lampe reinleuchten und dann durch den Gaumenbogen durch, hinten an die hintere Rachenwand. Da, wo man dieses Brechgefühl kriegt, wenn man mit dem Tupfer hinkommt. Dann war man richtig und am besten zweimal machen, weil dadurch ist dann sicherer, dass was dranklebt an dem Tupfer. Und zwar Schleim von der hinteren Rachenwand. Oder, wer das kann, durch die Nase.



Camillo Schumann



Es ist es furchtbar.



Alexander Kekulé


Nein, finde ich überhaupt nicht. Wenn es jemand gut macht, finde ich durch die Nase angenehmer, weil man da kein Würgereiz hat. Man hat halt stattdessen Niesreiz hinterher. Das hängt aber sehr von der Qualität des Abnehmers ab. Wenn da einer solange rumfummelt und rumdreht und bohrt, wie man das zum Teil im Fernsehen sieht, da tut es mir schon weh, wenn ich zuschaue.


Wenn man das kann, und es kein Kind ist mit einem engen Nasengang, dann kann man das relativ flott machen. Das ist ja so ein ganz dünnes Ding. Da kann man nicht viel kaputt machen. Wenn man da einmal flott hinten rangeht, einmal dreht und wieder zurückzieht, dann ist normalerweise so, dass man danach zwei-, dreimal kräftig niesen muss. Das ist eher normal.


Wer lieber niest als würgt, der soll es durch die Nase haben. Wer lieber würgt als niest, kann es durch den Mund machen. Wenn man hinterher weder Niesreiz hat noch ein Würgereiz, dann ist es nicht richtig abgenommen worden.



Camillo Schumann



Da hatte ich wirklich einen sehr schlechten Abnehmer. Der hatte in meiner Nase herumgestochert. Da geht man automatisch mit hoch. Und man möchte einfach nur, dass es vorbei ist. Aber egal. Der Test war negativ. Um noch abschließend diese Frage zu beantworten: ja, auch bei asymptomatischen machen?



Alexander Kekulé


Ja, ja, natürlich, gerade bei asymptomatischen. Und bitte keine symptomatischen freitesten, wenn die Symptome ganz eindeutig sind. Aber wir wollten ja über weihnachtliche Dinge und nicht über niesen und würgen sprechen.



Camillo Schumann



Na gut, ab und zu liegt es dicht beieinander. Herr W. hat seine Weihnachtsfrage per Mail geschrieben:


„Kann man sich mit Freunden, die eine CoronaInfektion überstanden haben, ohne Masken in der Wohnung treffen? Wenn ja, dann könnte man mit denen doch zum Beispiel Weihnachten ganz unbeschwert feiern. Viele Grüße, Herr W.“


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(1:14:04)



Alexander Kekulé


Leute, die die Corona-Infektion überstanden haben, das sind ja nicht wenige inzwischen in Deutschland. Und es werden wohl auch noch mehr werden.



Camillo Schumann



1,4 Millionen hat Herr Wieler heute noch einmal gesagt.



Alexander Kekulé


Ja, das sind die registriert berechneten. Die Dunkelziffer ist da mindestens zehnmal so hoch. Die haben natürlich den Jackpot. Die können sich nicht mehr anstecken und die können auch niemanden anstecken. Das wird sowieso in den nächsten Monaten die interessante Diskussion sein, weil die Zahl dieser Menschen immer größer wird. Man wird ihnen aber sagen: Ihr müsst weiter einen Mundschutz tragen. Ihr müsst euch an die Regeln halten, Händewaschen bis ihr schrumpelig werdet und so weiter. Die werden natürlich dann die Ersten sein, die irgendwann sagen: Was soll das eigentlich? Ich bin doch jetzt immun dagegen. Können wir da nicht eine Extrawurst für mich braten?


Da werden Diskussionen wie eben Ausweis für Überstandene/Geimpfte rauskommen. Da wird die Frage aufkommen, wie ist das eigentlich, wenn einer die Infektion durchgemacht hat, aber das nur mit einem Schnelltest belegt wurde? Und gar nicht mit der PCR bestätigt wurde? Darf der dann alles machen? Oder ist er immer noch riskant?


Das wird noch interessant. Aber unterm Strich ja. Das ist meine bekannte Auffassung dazu, dass jemand, der die Infektion durchgemacht hat, ist nach allem, was wir wissen, nicht mehr ansteckend und auch geschützt vor einer Neuinfektion mit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit. Um zu sagen, das reicht, dass der sich wieder normal verhalten kann. Die Frage ist, ob man ihn lässt.


(1:15:43)



Camillo Schumann



Weitere Frage per Mail:


„Lieber Herr Kekulé, ich möchte zu Weihnachten meine Eltern über 70 besuchen. Ich


arbeite seit Monaten im Homeoffice, bin allgemein sehr vorsichtig und werde 14 Tage lang vor der Abreise in Selbstquarantäne sein. Aber ich muss mit der Bahn von Düsseldorf an die Mosel. Vier Etappen à 80 Minuten in den Zügen, erste Klasse im ICE für 80 Minuten an einem Einzelplatz. Außerdem habe ich für die Fahrt eine FFP2 -Maske. Meine Frage: Kann ich es wirklich wagen, meine Eltern zu besuchen? Wir würden allein daheim feiern. Ich plane sechs Tage Aufenthalt bei ihnen. Aber die Hinfahrt mit der Bahn und Bus beunruhigt mich doch sehr. Über einen Rat würde ich mich sehr freuen. Viele Grüße, Frau B.“



Alexander Kekulé


Eine FFP2 -Maske, die man während der Bahnfahrt durchgängig aufhatte, die schützt tatsächlich. Die muss aber auch dicht sitzen. Wenn das Abteil voll sein sollte, was ich schon befürchte für die Weihnachtszeit, dann sollte man die Maske wirklich ständig im Gesicht haben. Das wäre dann die sichere Variante. Gerade wenn man danach Menschen begegnet, die ein hohes Risiko haben.


Jetzt nehmen wir mal an, bei der Bahnfahrt an Weihnachten zu den Großeltern oder Ähnliches, im Falle einer Ansteckung ist man nicht sofort am nächsten Tag selber infektiös. Sondern das dauert in der Regel schon drei Tage. Ich würde sagen, das ist schon eine sehr kurze Zeit. Eher so etwas wie vier Tage, bis man dann ansteckend wird. Also am gleichen Tag ist man nicht ansteckend und am nächsten Tag auch noch nicht.


Wenn man zum Beispiel an Heiligabend wohin fährt und an Heiligabend oder gleich am nächsten Tag die Veranstaltung an Weihnachten hat. Also am dem Tag wäre man noch nicht ansteckend, selbst wenn man sich auf der Hinfahrt infiziert haben sollte. Und wie gesagt, eine FFP2 -Maske ist wirklich eine sichere Sache. Dass man mit den Händen nicht in den Mund fasst, nachdem man irgendwelche Griffe in der Bahn angefasst hat, ist ja auch klar. Oder sich nicht in die Augen fasst oder so.


Ich glaube, mit diesen allgemeinen Schutzmaßnahmen kann man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Covid-Infektion verhindern.


(1:18:02 )



Camillo Schumann



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Das Wichtigste zum Schluss: Neben den Geschenken zu Weihnachten ist das Weihnachtsessen. Diese Dame, die angerufen hat, schildert, was es bei ihrer Familie gibt. Und dazu hat sie eine Frage:


„Guten Tag. Ich hätte gerne gewusst, ob man Käsefondue miteinander an Weihnachten essen darf. Ob da eine Ansteckungsgefahr besteht? Abstand ist wohl gewährleistet. Aber wie ist das mit der Gabel. Danke schön, tschüs.“



Camillo Schumann



Am Anfang dachte ich: Käsefondue? Aber es ging sozusagen um das Weiterreichen der Gabel.



Alexander Kekulé


Die Gabel reicht man, glaube ich, nicht weiter beim Käsefondue. Also wenn wir das machen, haben wir den wahnsinnigen Luxus, dass jeder sein eigenes Gäbelchen hat. Die haben hinten verschiedene Farben. Man sollte schon ein bisschen drauf achten, dass man diese Gabeln nicht vom Nachbarn nimmt. Das ist bei Fondue sowieso eine Unsitte, beim Fleischfondue ja auch, dass lecker gegrillte Stück vom Nachbarn rauszunehmen und nicht zu warten, bis das eigene fertig ist. Darum gibt es diese Farbtupfer hinten auf den Fonduegabeln.


Beim Käsefondue hat man ja auch einen gemeinsamen Topf, wo jeder seine Gabel reinsteckt. Aber eigentlich ist die Idee der Fonduegabel nicht, dass man das Ding dann mit dem Brotstück zusammen in den Mund steckt. Das soll man auch deshalb nicht machen, weil die ganz schön scharf vorne sind. Sondern man nimmt von der Fonduegabel mit einer normalen Essgabel das Brotstück mit dem Käse ab. Streift sich das auf den Teller, nimmt ein neues Brotstück auf die Fonduegabel und steckt die in den Fonduetopf.


Wenn man das so macht, wie das zumindest in der Schweiz guter Stil ist, dann kann man sich definitiv nicht infizieren. Und wenn einer aus Versehen mal die falsche Form Gabel erwischt? Ich würde jetzt nicht sagen, dass in so einem blubbernden Käsetopf das Virus eine Überlebenschance hat. Also falls mal irgendetwas schiefgehen sollte dabei, weil man zu viel Kirschwasser getrunken hat, dann ist das Fondue trotzdem sicher.


(1:2 0:08)



Camillo Schumann



Und die Gabel? Wenn man die leere Gabel genommen hat vom Nachbarn am Tisch und der vielleicht die vorher in den Mund gesteckt hat, könnte das ein Problem werden?



Alexander Kekulé


Eine Gabel, sofern die zwischendurch nicht im Käse desinfiziert wurde, da ist normalerweise ein gehöriger Schuss Kirschwasser noch mit drin, und die Temperatur macht es natürlich aus. Also die Gabel selber sollte man dann nicht in den Mund nehmen, wenn der andere sie vorher im Mund hatte.



Camillo Schumann



Gut, damit sind wir natürlich beim Thema Essen. Was gibt es bei Kekulés zu Hause zu essen? Was Traditionelles oder immer etwas anderes?



Alexander Kekulé


Bei uns gibt es normalerweise immer eine Gans. Die muss eigentlich ich immer fabrizieren, seitdem früher meine Mutter die gemacht hat und davor meine Großmutter. Dieses Jahr fällt tatsächlich das Gans-Essen aus wegen Covid, weil wir es nicht hingekriegt haben, irgendwie zu entscheiden, wer wo wann kommt. Dann hat der Erste schon gesagt: „Ich komme auf gar keinen Fall.“ Wahrscheinlich ist es so, wenn man so einen Virologen in der Familie hat, dann ist es besonders schwierig, zu improvisieren. Deshalb ist bei uns dieses Jahr nur eine ganz kleine Runde. Da haben wir noch gar nicht bestimmt, was wir essen.



Camillo Schumann



Eine Tiefkühlpizza wird es ja nicht, oder?



Alexander Kekulé


Nein, ich bin begeisterter Hobbykoch. Da wird schon irgendetwas bei rauskommen, was man verzehren kann. So wird es schon funktionierenden. Mir graut es vor allem vorm Einkaufen vorher. Das wird noch recht fürchterlich, weil die Menschen halten sich nicht an die Empfehlungen. Und diese berühmte Empfehlungen, man soll an Weihnachten nicht erst alles im letzten Moment kaufen, die wird diesmal auch nicht funktionieren.


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Camillo Schumann



Es kommt ja auch immer so überraschend.



Alexander Kekulé


Ja, aber es ist irgendwie trotzdem so. Ich glaube, es ist eher die Aversion, in diese vollgestopften Geschäfte zu gehen. Die hatte ich sowieso schon immer. Und dieses Jahr aus gutem Grund noch mal. Und das schiebt man so lange vor sich her, bis dann doch der 2 3.12 . ist.


(1:2 2 :00)



Camillo Schumann



Kleiner Tipp, wenn Sie nicht wissen, was Sie kochen wollen: Bei uns gibt es veganes Gulasch, dazu Klöße und Sauerkraut. Und als Nachtisch Crème brûlée.



Alexander Kekulé


Wie macht man denn veganes Gulasch? Tofu?



Camillo Schumann



Genau, Tofu. Räuchertofu wäre ganz wichtig. Räuchertofu. Da kann ich Sie ja vielleicht noch überzeugen.



Alexander Kekulé


(lacht) Da kann man bei uns noch die Rezepte abgeben.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 133. Wir sollten unbedingt mit einer positiven Nachricht zum Schluss unsere Hörer in die Weihnachtsfeiertage verabschieden. Die positivste Nachricht haben wir eigentlich schon genannt in dieser Ausgabe, oder? Die Impfung?


(1:2 2 :36)



Alexander Kekulé


Ja. Ich glaube, dass das Ende in Sicht ist. Die positive Nachricht ist, die Rettung wird kommen. Das klingt ja schon so ein bisschen nach Weihnachten. Also ich sage jetzt nicht der Erlöser, aber die Rettung wird kommen. Da gibt es schon so eine Weihnachtsbotschaft, die was damit zu tun hat: Dass nicht alles hoffnungslos ist. Und die Idee des Weihnachtsfests ist ja irgendwie schon immer gewesen, dass in die Hoffnungslosigkeit der Menschen ein Lichtstrahl hineinfällt. Ich glaube, dieser Lichtstrahl ist in dem Fall mal so skurril. Das ist von der pharmazeutischen Industrie generiert worden, nicht von


irgendeinem Stern von Bethlehem. Aber das ist in der Tat so, dass wir dadurch ein Licht am Ende des Tunnels haben.


(1:2 3:2 5)



Camillo Schumann



Herr Kekulé, besser hätte man es gar nicht beenden können. Vielen Dank für 133 Sendungen in diesem Jahr. Werden und bleiben Sie gesund. Ihnen und Ihrer Familie alles Gute und kommen Sie gut ins neue Jahr.



Alexander Kekulé


Gerne, das wünsche ich Ihnen natürlich auch, Herr Schumann. Ich freue mich, wenn es im neuen Jahr wieder losgeht.



Camillo Schumann



Ihnen, liebe Hörer, wünschen wir natürlich dasselbe. Versuchen Sie, soweit es geht, sich ein paar schöne Tage zu machen. Wir hören uns dann am 5. Januar wieder. Und an dieser Stelle rufe ich ja immer auf, wenn Sie Fragen haben, uns zu schreiben, an mdraktuellpodcast@mdr.de oder uns auch anzurufen, kostenlos unter 0800 32 2  00.


Wissen Sie was? Machen Sie es nicht. Lassen Sie es einfach mal. Rufen Sie nicht an, entspannen Sie sich, schalten Sie mal ab. Corona muss auch mal ein paar Tage Ruhe geben. Machen Sie es gut.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Samstag, 18.12 .2 02 0 #132 : Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Wird Corona immer bleiben? Sind schlecht sitzende Masken ein Grund für die hohen Infektionszahlen?


Ist ein Antigen-Schnelltest bei asymptomatischen Virusträgern fast nutzlos?


Wie endete die Spanische Grippe?  Gibt es negativ geladene Viren?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen, SPEZIAL, nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr H. aus Pfaffenhofen hat uns gemailt:


„Mein Vater ist 78 und hat sich bei einer geriatrischen Behandlung im Krankenhaus mit COVID-19 infiziert. Er hat glücklicherweise keine Symptome, wurde aber auf eine COVID-19Station verlegt, wo er jetzt mit 2 anderen COVID-Patienten mit Symptomen, Husten und Atemwegsprobleme auf einem Zimmer liegt. Der Arzt meinte das wäre kein Problem, da er ja COVID-19-positiv sei. Ich kann mir das irgendwie nicht so recht vorstellen. Mich würde da mal die Meinung von Herrn Kekulé interessieren. Sollte man symptomfreie und Patienten mit Symptomen zum Schutz nicht lieber trennen? Ich mache mir große Sorgen, dass mein Vater sich die Krankheit jetzt erst richtig einfängt. Viele Grüße.“


01:19



Alexander Kekulé


Ja, also wenn tatsächlich alle Patienten in diesem Zimmer COVID-19-positiv getestet wurden, dann haben sie alle COVID-19. Und dann muss auch keiner Angst haben, dass er sich von einem anderen ansteckt. Das ist tatsächlich so, dass ja eben ein erheblicher Anteil symptomfrei ist. Manche haben sehr schwere Symptome, manche nicht so schwere. Aber solange man jetzt keinen, sage ich mal Intensivpatienten mit reinlegt, der ständig Unmengen von Viren ausspuckt, zum Beispiel bei den intensivmedizinischen Maßnahmen, oder manchmal der Beatmungsschlauch irgendwie abgesaugt werden muss und Ähnliches, da entstehen wirklich große Mengen von Aerosolen. Aber so ein ganz normaler Patient, der mit im Zimmer liegt, den kann man natürlich gemeinsam isolieren. Also das ist da spricht nichts dagegen, weil COVID ist COVID, ob Sie jetzt wenig oder viel Symptome haben, ist egal, Ihr Immunsystem ist dann einfach damit beschäftigt, sich mit diesem Virus auseinanderzusetzen.


02 :13



Camillo Schumann



Okay, also mehr H. Befürchtung, dass sich sein Vater die Krankheit nicht so richtig einfängt, ist dann leicht übertrieben.


02 :2 1



Alexander Kekulé


Nein, man kann sich das nicht viel oder wenig einholen, sondern man holt es sich oder man holt es sich nicht. Was tatsächlich wohl hier der Fall ist, also zumindest gibt es ja viele Hinweise darauf, bei COVID-19, dass es auf die anfängliche Infektionsdosis ankommt. Also es kann schon sein, ganz sicher bewiesen ist das nicht, aber es kann sein, dass Menschen, die ganz wenig Virus abgekriegt haben, damit besser klarkommen als jemand, der auf einmal eine sehr hohe Konzentration bekommen hat, vor allem wenn er es dann tief in die Lunge inhaliert hat. Aber das würde dann trotzdem nichts daran ändern, dass in dem Zustand, wo jetzt die Patienten auf einem Zimmer sind, jeder ja schon das Virus hat, und die Erkrankung in einem bestimmten Stadium ist individuell. Und da würde es dann keine große Rolle mehr spielen, ob der dann gelegentlich von


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einem Nachbarn noch was abgekriegt oder nicht. Ich nehme auch an, das wäre zumindest gute Praxis, dass die ja sowieso dann zusätzlich auch so ein OP-Mundschutz oder Ähnliches tragen und nicht völlig ungeschützt voreinander sind. Und in dem Fall ist es dann wirklich vernachlässigbar, ob da ein Zusatzrisiko entsteht oder nicht.


03:2 5



Camillo Schumann



Also er wird sozusagen aus einem Symptomfreien durch die Anwesenheit der Patienten mit Symptomen jetzt kein Patient mit Symptomen. Wissen Sie, was ich meine?



Alexander Kekulé


Genau so ist es, ja, ja. Also man kann jemanden, der schon angesteckt, nicht durch ein Virus noch mal zusätzlich eine verpassen, dass es ihm schlechter geht. Das geht nicht, sofern die Infektion schon richtig entwickelt ist. Sicher ganz am Anfang, in einer reinen Ansteckungsphase, kommt es auf die Dosis an. Aber wenn man dann erst mal sage ich mal zwei, drei, vier Tage mit der Krankheit unterwegs ist, dann ist das Immunsystem insgesamt so hochgefahren, dass es sich gerade damit auseinandersetzt, dass der Erreger bekämpft wird. Also da müsste der jetzt wirklich extrem hohe in VirusDosen noch einmal vom Nachbarn abbekommen, um irgendeinen Effekt irgendwie sich vorzustellen. Aber ich muss sagen, da gibt es keine Hinweise darauf. Und wie gesagt, die werden sicherlich einen normalen, zumindest normalen OP-Mundschutz, aufhaben in diesem Zimmer. Und dadurch ist dieses Risiko wirklich vernachlässigbar.


04:2 6



Camillo Schumann



Eine Dame hat uns gemailt, sie will anonym bleiben. Sie will wissen:


„... gibt es andere Übertragungswege durch negativ geladene Viren?“


Sie hat auch ein Foto mitgeschickt von einem UVC-Luftreiniger, der für Zahnarztpraxen vertrieben wird und im Text steht zu diesem Gerät:


‚Dieser verbindet sich sofort mit negativ geladenen Virenproteinen oder -fetten.‘ Gibt es negativ geladene Viren? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Es ist so, dass die Viren tatsächlich Proteine auf der Oberfläche haben, wobei typischerweise bei den klassischen Standard-Viren, sage ich mal, sind diese Oberflächenproteine so, dass eine Seite dieser Aminosäuren-Kette dieses Proteins, die nach außen ragt, eher negativ geladen ist. Wir nennen das den AminoTerminus, das Amino-Ende. Und das ist typischerweise nicht immer deutlich negativ geladen. Aber ob das jetzt für das gesamte Viruspartikel eine Rolle spielt, dass jetzt die Aminosäure außen eher negativ geladen ist, das ist schon mal fraglich. Also man kann nicht davon ausgehen, dass jetzt das ganze Partikel irgendwie eine Ladung hätte, so in dem Sinn wie elektrostatisch, was positiv oder negativ aufgeladen ist. Wir haben das ja manchmal, dass einzelne Teilchen elektrostatisch geladen sind, dass die wirklich eine komplette Ladung haben, positiv oder negativ, und die kann man dann theoretisch sogar ablenken oder einfangen oder Ähnliches. Also, das funktioniert bei Viren nicht, also in der Summe in der Bilanz haben die keine Ladung. Es ist eher so ein Teileffekt an irgendwelchen Proteinen, den wir manchmal sehen. Und das gibt es relativ häufig. Also dass der Amino-Terminus draußen ist und tendenziell negativ geladen ist, das kommt vor.



Camillo Schumann



Also gibt es. Dann hat diese Dame aus Dresden angerufen und folgende Frage:


„Ich finde leider in unserem schlauen Internet nichts dazu, was wirklich etwas dazu aussagt. Wissen Sie zufällig, oder kriegen Sie es raus, wodurch hat eigentlich die Spanische Grippe, die Welle, dann aufgehört? Einfach weil genügend Leute gestorben waren oder hat man da irgendwelche Mittel gefunden? War das dann einfach abgeklungen? Mich interessiert es einfach, weil ja das eine ähnliche Sache war, wie jetzt mit Corona. Da wäre es mal interessant, dazu zu wissen, wie sich das dann aufgelöst hat. Dankeschön.“


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06:50



Alexander Kekulé


Also die spanische Grippe, die hat ja drei große Wellen gehabt, beziehungsweise 2 Wellen, die fast überall aufgetreten waren. Die 2 . Welle war die schwerste, das war die sogenannte Herbstwelle, die die allermeisten Toten weltweit gefordert hat. Und natürlich dann in die normalen Grippesaison letztlich mit reingefallen ist. Die verschwand dann wieder. Danach hat man, wie das damals wie heute immer so ist, hat man gesagt, okay, jetzt ist es vorbei, jetzt müssen wir die ganzen Schutzmaßnahmen nicht mehr einhalten. Man hat die Gaststätten wieder geöffnet. Zum Teil wurde sogar Werbung dafür gemacht, dass man jetzt wieder in die Kneipen gehen soll, und so weiter. Da gibt es also berühmte Schilderungen aus San Francisco, wo die dann die Wirtschaft ankurbeln wollten. Und dann kam dann so ungefähr im Ende Januar, Anfang Februar 1919 kam dann die dritte Welle. Die hat nicht alle Bereiche ergriffen. Nach der dritten Welle war es dann so, dass letztlich 2 Effekte zusammenkamen, nämlich zum einen, dass wirklich extrem viele Menschen sich angesteckt hatten. Man nimmt an, dass ein Drittel der damaligen Erdbevölkerung sich infiziert hat mit dem Virus der Spanischen Grippe. Das waren damals 1,8 Milliarden Menschen auf der Erde, also 600. Millionen ungefähr haben sich infiziert. Und das reichte eben aus, um zusammen mit der dann beginnenden wärmeren Jahreszeit, die Epidemie auslaufen zu lassen. Natürlich gab es die Jahre darauf immer wieder weitere Infektionen mit genau dem gleichen Virus, also dieses H1N1 von 1918, dieser bestimmte Typ, der ist noch viele, viele Jahre vorhanden gewesen, aber eben nicht mehr in dem Ausmaß, dass es eine schwere Pandemie verursacht hat, sondern da sind dann immer weniger Leute daran gestorben, weil es immer stärkere Immunität gab. Bis dann die Menschen, die immun waren, langsam älter wurden und neue nachkamen. Und deshalb ist es ganz typisch, dass wir bei einer Grippe, ungefähr nach 30 Jahren dann ein Ausklingen der Immunität haben. Und dann hat eben typischerweise das nächste Virus seine Chance, sich durchzusetzen und die nächste Pandemie auszulösen. Aber dass das dauert, ziemlich lange. Also, wenn man die Spanische Grippe sich als Beispiel nimmt, muss


man sagen, das hat noch Jahrzehnte danach gedauert, bis das Virus sozusagen durch allgemeine Immunisierung der Bevölkerung verschwunden ist.


09:13



Camillo Schumann



Frau B. hat eine Mail mit gleich drei Fragen geschrieben. Ich habe mir eine ausgewählt:


„Kann ich mich durch Aerosole in einem kleinen Raum auch noch anstecken, wenn vorher ein Infizierter viele Viren ausgestoßen hat, aber nicht mehr im Raum ist? Kann man sich theoretisch anstecken, wenn man dem Infizierten gar nicht mehr begegnet? Viele Grüße, Frau B.“


09:32 



Alexander Kekulé


Ein klares Ja. Ja, das ist möglich. Das ist ja das Thema bei Aufzügen zum Beispiel. Ganz ehrlich gesagt fahre ich deshalb nicht mehr Aufzug. Seit Beginn dieser Pandemie bin ich ein einziges Mal im Aufzug gewesen, ganz am Anfang. Da war das Ganze noch nicht so bekannt. Da gab es auch nur die Fälle in Wuhan, und da bin ich tatsächlich in einem Flughafenhotel gewesen und fuhr also vom 6. Stock oder so, da wollte ich nicht die Treppe gehen, bin ich in einen Aufzug gestiegen und habe auf Erdgeschoss gedrückt. Und „Peng!“, ein Stock drunter hält der Lift an und es steigen wirklich sechs oder sieben Chinesen ein mit ihren Koffern, drängen sich so rein quasseln laut. Und damals wusste man ja, dass diese Pandemie irgendwie aus China kommt. Ich wollte mich nicht auch nicht panisch zeigen, aber habe schon versucht, irgendwie an diesen Koffern ab zu lesen, ob da vielleicht Wuhan draufsteht. Also bei so einer Panikreaktion habe ich mich dann auch erwischt damals. Aber seitdem bin ich überhaupt nicht mehr Aufzug gefahren, weil Sie nie wissen, wer im nächsten Stockwerk noch mit einsteigt.


10:33



Camillo Schumann



Aber es ist in der Tat möglich. Dann ist natürlich die Frage des zeitlichen Verlaufs. Wie groß ist der Raum? Läuft man unmittelbar danach rein oder eine halbe Stunde später?



Alexander Kekulé


Einer, der im Aufzug unmittelbar vor Ihnen


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gefahren ist, also, ich würde mal sagen, eine halbe Stunde – nach einer halben Stunde ist es wahrscheinlich sicher – aber wenn Sie wirklich kurz vorher jemandem hatten, der einmal kräftig gehustet hat und sie steigen die gleiche Kabine ein, dann haben sie eine faire Chance, sich zu infizieren.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie diskutiert ab und zu mit ihren Bekannten und würde sich gern noch einmal rückversichern:


„Wenn einer positiv war, wurde mir gesagt, dann ist er auf jeden Fall immun. Da habe ich gesagt, nein, das stimmt nicht. Und der hat Antikörper. Und man weiß nicht wie lang. Das muss man erst mal prüfen, aber eigentlich nicht, sonst wäre es ja einfach. Aber das haben die mir nicht geglaubt. Ich würde das gerne von Herrn Kekulé persönlich noch mal gesagt bekommen: Wenn jemand Corona hatte, wie die Wahrscheinlichkeit ist, dass er es noch mal bekommt?“


11:32 



Alexander Kekulé


Also das ist eine Frage, die wissenschaftlich noch nicht abschließend beantwortet ist. Aber als Arbeitshypothese würde ich sagen, gehen wir erst mal davon aus, dass man es nicht noch einmal bekommt. Vor allem nicht in der Weise, dass es sich beim 2 . Mal wieder um eine lebensbedrohliche Erkrankung handeln würde. Das ist ja ein Riesenunterschied, ob sie irgendwie Corona kriegen, und das hat irgendwie den Charakter einer Erkältung. Oder ob sie Angst haben müssen, auf der Intensivstation zu landen oder sogar daran zu sterben. Und das wäre nun wirklich die allererste Erkrankung, wo eine durchgemachte natürliche Infektion nicht einen massiven protektiven Effekt hätte, einen massiven Schutzeffekt hätte. Und deshalb bin ich immer dagegen, hier so den Teufel an die Wand zu malen. Natürlich ist jemand, der das durchgemacht hat, erst mal für eine Weile immun. Wir wissen nicht, was mit dem Virus passiert. Ja, das Virus wird jetzt, wenn wir anfangen zu impfen, wenn es zunehmend auch auf natürlich immunisierte Personen trifft, wird das Virus sich auch überlegen, was mache ich nun? Will ich jetzt aussterben, verschwinden von diesem Planeten? Oder lasse ich mir was


einfallen? Also wird das Virus anfangen, sich genetisch zu verändern. Wir sehen das auch an verschiedenen Stellen. Es ist gerade in SüdostEngland eine neue Mutante aufgetreten, wo wir nicht genau wissen, was sie bedeutet. Aber das könnte damit zu tun haben, dass eben dann schon die ersten Immunisierten, durch natürliche Infektion Immunisierten, ein Problem für die Virusverbreitung darstellen. Und dann mendelt sich einfach dann irgendwann mal einen Typ raus, der dagegen, der sich dagegen durchsetzen kann, also der eben dann auch bei Immunen nochmal Infektion macht. Das sieht aber nicht so aus, dass man quasi völlig schutzlos ist. Sondern wir nennen das dann Teil-Immunität oder auch Kreuz-Immunität, das heißt dann, dass quasi dass das sehr, sehr ähnliche Originalvirus einen Schutz verleitet auch gegen die Mutanten. Und wie gesagt also, ich würde davon ausgehen, dass wir entweder gar nicht mehr krank wird oder in der Regel dann eine leichte Infektion, die also keinen Grund zu besonderer Sorge ist.


13:39



Camillo Schumann



Frau K. vom Niederrhein hat geschrieben:


„Derzeit wundern sich ja alle über die hohen Infektionszahlen, und wie diese wohl zustande kommen. Beim Einkaufen sehe ich sehr viele Menschen mit schlecht sitzenden Masken. Meist schließen diese weder am Nasenrücken ab, noch an den Seiten. Eigentlich wird dann doch an der Maske vorbei einund ausgeatmet, sodass sich die Schutzwirkung ja verringert. Könnte dies eine Mitursache für die hohen Fallzahlen sein? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Ich glaube nicht, dass das ein wesentlicher Grund ist, aber Mitursache, hm. Es ist so, dass letztlich die Maske verhindert ja, dass in größerer Menge Tröpfchen quasi auf direktem Wege irgendwo ausgeatmet werden, sei es große oder kleine Tröpfchen. Ich würde davon ausgehen, dass die Maske, auch wenn sie nicht besonders gut sitzt, sofern sie überhaupt Mund und Nasen bedeckt, wird es so sein, dass die Maske ein echtes Superspreading-Event verhindert. Also wenn alle in einem Raum Masken anhaben, glaube ich nicht, dass es zum Superspreading kommen kann. Klar, links und


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rechts kommt bisschen was vorbei. Also, wenn Sie im Flugzeug neben jemandem sitzen, der so eine einfache OP-Maske aufhat. Bei jedem Ausatmen kommt natürlich links und rechts ziemlich viel Luft raus. Dadurch ist es so, dass Sie dann ein Restrisiko haben, dass, wenn der Sie eine Stunde lang annebelt so seitlich, dass Sie sich dann doch infizieren, weil sie auch beim Einatmen durch die eigene Maske keinen hundertprozentigen Schutz haben, weil die nie ganz dicht sind. Wir müssen, glaube ich, bei dieser Pandemie immer überlegen, wo sind die Effekte, die vor dem Komma sozusagen zu bemessen sind? Und welche machen nur Nach-Komma-Effekte? Und dieser Seitenstrom-Effekt, wenn die Masken überhaupt getragen werden, der ist sicher nach dem Koma relevant. Und deshalb würde ich sagen, ja, perfekt sitzen ... Eine FFP2 -Maske ist natürlich besser, aber das wäre für mich kein Grund, das als anti-epidemische Maßnahme für alle in der Bevölkerung anzuordnen.


15:41



Camillo Schumann



Herr K. hat eine Mail auch mit mehreren Fragen geschickt. Ich habe mir jetzt diese herausgesucht:


„Ist die Aussage korrekt, dass die Antigen-Tests bei Asymptomatischen eine Trefferquote von nur 40 Prozent haben und daher eigentlich nur von Nutzen sind, um zwischen einer Erkältung und einer symptomatischen Corona-Erkrankung zu unterscheiden? Wenn ja, wieso werden sie dann als Zugangskontrolle, zum Beispiel für Altenheime, genutzt? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Die Idee hinter den Antigen-Tests ist: Ja man erwischt nicht alle, die Virusträger sind. Es werden einige, sage ich mal, nicht erkannt, die man in der PCR erkennen würde. Wieviel das genau ist, kommt jetzt darauf an, wie auch das Ganze durchgeführt wird Aber ich würde mal so grob sagen, dass man wahrscheinlich 10 bis 2 0 Prozent derjenigen, die infiziert sind, mit dem Antigen-Schnelltest nicht erkennt und zwar von denen, die man mit der PCR erkennen würde. Andererseits ist es so, dass die PCR so empfindlich ist, dass sie viele Leute positiv meldet, die nicht mehr oder noch nicht anste-


ckend sind. Also, die haben zwar das Virus auf der Schleimhaut, aber keine ausreichende Konzentration, um jetzt in halbwegs vernünftigem Umfang ihrer Umwelt anzustecken. Da rede ich jetzt nicht von Heavy Kissing. Ja, so ein intensiver Kuss kann natürlich auch bei wenig Viren zu einer Übertragung führen. Aber so, dass bei normalem sozialen Kontakt, eine Ansteckung setzt einfach eine hohe Viruskonzentration auf den Schleimhäuten im Rachen voraus. Und diese hohe Viruskonzentration führt dann dazu, dass auch der Antigen-Schnelltests in der Regel positiv wird. Das heißt, sie können damit eigentlich nur feststellen, ob einer in dem Moment, wo Sie den Test machen, wenn sie in sorgfältig durchführen, vor allem den Abstrich gut machen, ob einer in dem Moment ansteckend ist. Sie können nichts darüber sagen, ob er krank ist oder COVID hat sozusagen. Darum ist der Test meines Erachtens fürs Krankenhaus ungeeignet. Also wenn der Arzt wissen will, ist das jetzt ein Patient, den ich behandeln muss – ja oder nein? Dann braucht er eine PCR. Aber der Test ist sehr gut geeignet, wenn sie nur am gleichen Tag natürlich, den müssten sie sonst täglich wiederholen wissen wollen, ist der Besucher des Altenheimes im Moment wahrscheinlich ansteckend. Und was man natürlich dringend dazu sagen, muss: es ist immer nur additiv. Also ich würde jetzt nicht andere Vorsichtsmaßnahmen deshalb weglassen, weil ich sage, ich habe ja getestet, da kann gar nichts mehr passieren, sondern als zusätzliche Sicherheitsebene. Und da finde ich diesen Test sehr, sehr gut, weil er eben gerade die rausfischt, die gerade ansteckend sind. Vielleicht noch ein letztes Wort dazu: Um festzustellen, ob jemand wirklich vermehrungsfähige Viren in der Schleimhaut hat, da haben wir in der Virologie ein Verfahren, das nennen wir Virus-Anzucht. Das heißt, da nehmen wir dann den Abstrich und bringen das, was da drin ist, auf Zellen, die quasi in so einer Petrischale gezüchtet werden, und gucken, ob dieser Abstrich, ob dieser Schleim, den man da vom Patienten genommen hat, in der Lage ist, diese Zellen im Labor zu infizieren. Das ist ein extrem empfindlicher Nachweis, wenn der gut gemacht ist. Und da sehen wir eben, nicht wie bei der PCR nur, ob quasi totes genetisches Material da ist, sondern wir sehen wirklich, ob das ein vermehrungsfähiges sozu-


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sagen in Anführungszeichen „lebendiges“ Virus ist. Und das korreliert extrem gut mit den Antigen-Schnelltests. Und das heißt also, wenn die Antigen-Schnellteste positiv ist, dann ist das Virus meistens auch anzüchtbar und umgekehrt. Sodass wir schon drauf sagen können, zumindest nach jetzigem Stand der Dinge, hat der Test aus genau dem Grund seine Berechtigung.


19:2 5



Camillo Schumann



Okay, und da spielt jetzt auch keine Rolle, ob man jetzt symptomatisch oder asymptomatisch ist? Darauf zielte ja die Frage von eben. Naja, das ist eine sehr umstrittene Frage. Da steckt ja so ein bisschen die Frage dahinter: Haben symptomatische Patienten eine höhere Virusausscheidung – ja oder nein? Ich selber vermute, dass es so ist, dass jemand, der also schwer symptomatisch ist, vor allem ganz am Anfang der Erkrankung, deutlich höhere Virusausscheidung hat, als einer der asymptomatisch ist. Und zwar deshalb, weil es bei den allermeisten Erkrankungen so ist, auch anderen Viruserkrankungen. Und weil es ja ganz klar ist, wenn das Immunsystem mit dem Virus nicht zurechtkommt, also die Symptome sehr schwer werden, dass dadurch das Virus nicht unter Kontrolle gehalten wird, also sich unkontrolliert vermehren kann und die Virusausscheidung höher ist. Also das ist sozusagen, dogmatisch gesprochen, wie die Virologie so was sieht. Andererseits ist es so, dass wir bei diesem COVID19 tatsächlich so epidemiologische Berichte mehr haben von Leuten, die offensichtlich komplett asymptomatisch waren oder präsymptomatisch, wie wir sagen, also kurz bevor sie die Erkrankung bekommen haben, die definitiv andere angesteckt haben. Das ist ohne Wenn und Aber gar nicht so selten. Und warum wissen wir es in dem Fall nicht. Es gibt einige meiner internationalen Kollegen. Die sind da meiner Meinung, dass sie sagen, höchstwahrscheinlich sind symptomatische stärker ansteckend, also gefährlicher als asymptomatische. Und es gibt andere, die sagen das macht überhaupt keinen Unterschied. Also da kann ich das nur so zu zur Auswahl stellen, dass wir uns da noch nicht abschließend geeinigt haben.



Camillo Schumann



Und beenden wollen wir diese Ausgabe mit dieser Dame aus Bayern. Sie hat angerufen, keine richtige Frage. Sie schildert eher, wie sie sich aktuell fühlt. Und vielleicht können wir ihr ja helfen. Also strengen Sie sich an.


„Also ich bin gerade ... Ich rufe ... Also einen kleinen Bericht aus Nürnberg: Ich gehe gerade nach Hause, Straßen leer, U-Bahn so gut wie leer, alle sind brav. Aber ich persönlich habe die Sorge, dass das nie mehr weg geht und dass wir nie wirklich dagegen was machen können. Also das beklemmt einen richtig.“


So, jetzt aber.



Alexander Kekulé


Wir haben jetzt hier mit den 2 Impfstoffen, die mehr oder minder zugelassen sind, haben wir in kürzester Zeit quasi die schärfste Waffe, die die Medizin in der gesamten Medizingeschichte entwickelt hat, in Stellung gebracht. Es gibt kein medizinisches Instrument, was so wirksam ist wie Impfungen. Und hier haben wir eine Impfung, und zusätzlich tun uns ja auch einige Teile der Bevölkerung den Gefallen, dass sie sich auf natürlichem Weg durch durchseuchen – das ist natürlich ironisch gemeint. Aber in der Tat ist es ja so, dass diejenigen, die gar nichts von den Maßnahmen halten, auf die Weise sich mal schön durchimmunisieren. Das wird weggehen. Klar, wir werden mit diesem Virus noch ein paar Jahre zu tun haben. Aber es wird nicht diese bleierne Zeit, wie ich das nenne, die wird zu Ende gehen. Das ist halt dann eine unserer Alltagsgefahren, mit denen wir halt weiter leben müssen. Einige werden sich dagegen impfen lassen. Einige werden sagen, nein, Impfung will ich nicht. Aber, so, dass wir jetzt Lockdowns haben und so ganz drastische Maßnahmen ergreifen, das ist hoffentlich jetzt Schluss damit.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 132  Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 2 . Dezember wieder.


Bis dahin, bleiben Sie gesund.


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Alexander Kekulé


Bis dann, Sie auch, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00. Alle SPEZIALAusgaben und alle Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Donnerstag, 17.12 .2 02 0 #131: Das schwarze Dreieck des Impfstoffs



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Donnerstag 17. Dezember 2 02 0.


Rekord-Inzidenz-Werte in Sachsen: Die Landesregierung denkt darüber nach, ganze Orte von der Außenwelt abzuriegeln. Wie muss so eine Maßnahme umgesetzt werden, damit sie auch wirkungsvoll ist?


Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet mit einer schrittweisen Normalisierung ab dem Sommer. Wie hoch muss die Impfquote dafür sein?


Wieder gab es Probleme nach der Impfung mit dem BioNTech/Pfizer Impfstoff. Was ist darüber bekannt?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Na, man hört's raus. So richtig fit und auf dem Dampfer sind sie noch nicht.


01:02 



Alexander Kekulé


Natürlich bin ich auf dem Dampfer. Nein, ich bin ich bin immer noch krank. Aber ich rede so


gerne mit Ihnen, dass ich das trotzdem gerne mache.



Camillo Schumann



Haben Sie wenigstens ein Tässchen Tee da? Da können Sie ruhig noch einen Schluck nehmen.



Alexander Kekulé


Ich habe extra Tee besorgt hier, ja.



Camillo Schumann



Sehr schön, was denn für einen Tee eigentlich?



Alexander Kekulé


Das ist in dem Fall ganz trivial Earl Grey Tee, den ich meistens trinke. Für einen Spezialaufguss hat die Zeit nicht gereicht.


01:2 6



Camillo Schumann



Gut. Dann hoffen wir, dass die Stimme durchhält. Herr Kekulé, heute wurden fast 700 Tote im Zusammenhang mit COVID-19 gemeldet, gestern fast 1.000. Und gestern wurde auch über ein Krankenhaus in Sachsen berichtet, an dem es schon Triage-Fälle gegeben haben soll. Also wo geschaut werden musste, wer zuerst Sauerstoff bekommt und wer nicht. Die Landesregierung wollte nicht von Triage sprechen, sondern nannte die Aussagen eines Arztes in Zittau einen Hilferuf. Aber immer mehr Klinikchefs sprechen davon, sehr bald an die Grenzen des Machbaren zu kommen. Wie bewerten Sie die aktuelle Gesamtlage?


01:58



Alexander Kekulé


Naja, ich glaube schon, dass wir Gefahr laufen, dass einige Krankenhäuser demnächst überlastet werden in den Intensivstationen. Ob man das jetzt dann schon Triage nennen muss? Wir hatten ja da schon letztes Mal darüber gesprochen. Es gibt Chefärzte, die das berichten. Der, mit dem ich gesprochen hatte, war nicht der Kollege aus Zittau. Es gibt also noch mindestens einen weiteren, der auch ganz offen sagt, wir machen hier Triage. Natürlich ist der Begriff so ein bisschen drastisch. Und das, was man jetzt im Krankenhaus macht, ist eher, dass man merkt die Kapazitäten sind überlastet. Wir müssen aus der Intensivstation jemanden verlegen, weil wir nicht weiterkommen. Und dann kommt eben der Rettungswagen oder der


Hubschrauber und bringt ein, 2 Patienten woanders hin. In so eine Luxussituation hätte man sich in Norditalien oder in Frankreich zum Teil wirklich hinein gewünscht. Wir sind weit weg davon, dass unsere Gesamtkapazitäten überlastet werden. Es kommt halt dann letztlich zu Verlegungen. Und was da vorhin gesagt wurde, also dass der Sauerstoff irgendwo ausgegangen ist, das kann ich mir kaum vorstellen. Also, wir haben keinen Lieferengpass bei Sauerstoff, und der wird ja bekanntlich flüssig gelagert. Das heißt also, diese Krankenhäuser haben riesige Tanks hinterm Haus, die man auch manchmal sieht als Besucher, diese riesigen weißen Silos, die da stehen, da ist der Sauerstoff drinnen. Also dass der jetzt ausgehen könnte, das kann ich mir kaum vorstellen. Wir haben 2 riesengroße Hersteller allein in Deutschland, also, das halte ich für ein Gerücht, dass da der Sauerstoff alle war.


03:30



Camillo Schumann



Es ist ja auch berichtet worden, dass dann einige Patienten nicht transportfähig seien, im Krankenhaus verbleiben müssen. Und wenn dann neue Fälle kommen, steht der Arzt natürlich dann vor einem Riesenproblem.



Alexander Kekulé


Ja, das ist das Management, was man in den Intensivstationen aber auch sonst manchmal hat. Wenn man sich das vorstellt: Früher waren es die schweren Verkehrsunfälle auf der Autobahn, die sind dann typischerweise nicht neben der nächsten Großstadt, sondern irgendwo JWD. Und dann haben sie irgendein Kreiskrankenhaus, wo die alle hingebracht werden. Dann kommt es zu solchen, sage ich mal, Krisenmanagement-Situationen. Ich will das jetzt nicht kleinreden. Aber das ist nichts, was unser Gesundheitssystem insgesamt überlasten würde. Aber perspektivisch sind wir natürlich schon in der Gefahr, dass es zu solchen Überlastungen kommt, wenn die Zahl der schweren Fälle weiterhin so ansteigt.


04:2 0:



Camillo Schumann



Wir sind bei fast 5.000 Patienten, COVID-19Fällen, aktuell in Behandlung auf Intensivstationen. 2 .700 aktuell beatmet, Tendenz nach oben. Wir haben noch


Intensivbetten, aktuell frei 3.700. Wenn das jetzt aber so stetig weitergeht, könnte es wirklich ein Problem geben. Oder?



Alexander Kekulé


Man muss auch bei den sogenannten freien Betten, das ist, glaube ich, auch schon in den Medien bekannt, man muss da immerhin hinsehen. Bett ist eine Sache, aber meistens ist ja heutzutage der limitierende Faktor die Zahl der Pflegekräfte. Und man hat ja am Anfang dieser Pandemie auch nachgerüstet, was die Beatmungsgeräte und Ähnliches betrifft. Da ist man spät draufgekommen. Aber dann immerhin ist das passiert in Deutschland, sodass ich glaube, dass wir rein technisch gesehen weiter sind, als wir es personell sind. Der Engpass wird dann das Personal irgendwann sein. Man müsste fast mal sagen, dass die Intensivbetten möglicherweise korrigiert werden müssten, danach, dass man reinschreibt, wie viele Betten sind tatsächlich zu betreiben aufgrund des vorhandenen Personals. Und da ist natürlich der Krankenstand auch wegen COVID auch unter dem medizinischen Personal auch ein ganz wesentlicher Faktor.



Camillo Schumann



Eigentlich müsste man die Statistik verändern und aktualisieren, also die dann auch tatsächlich genutzt werden können, gerade wenn es um Verlegung geht.



Alexander Kekulé


Also das ist genau das. Also diese Zahl auf dem Papier ist eine Sache. Aber bei den konkreten Verlegungen, da ist es ja so: Da gibt es Leitstellen, die so etwas organisieren, Leitstellen für den Rettungsdienst. Die sind meistens regional, aber inzwischen sehr gut in ganz Deutschland miteinander vernetzt. Und wenn dann ein Bett irgendwo gebraucht wird, dann organisiert die Leitstelle quasi diese Betten. Und fast überall in Deutschland haben wir das mit einem elektronischen System inzwischen, dass die das online wirklich sehen, wie viele Betten wo frei sind, damit jetzt der Rettungswagen nicht ins falsche Krankenhaus fährt, das ist ja ganz klar. Da sind wir also wirklich gut in Deutschland. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders. Aber wenn man diese Zahlen ansieht, die sich jetzt sozusagen


wirklich auf dem Display der Leitstellen zeigen, die sind natürlich geringer als die offizielle theoretische Bettenzahl in Deutschland. Weil da die Krankenhäuser wirklich das melden, wo sie sagen okay, Station sowieso kann noch 2 Patienten aufnehmen, und diese 2 werden dann als freie Betten eingetragen. Ich glaube, das wäre eine interessantere Zahl als die rein theoretische Kapazität, vor allem, wenn es um so kurzfristige Verfügbarkeit geht. Das ist ja hier wichtig.


06:50



Camillo Schumann



Wir müssen über Sachsen sprechen. Das Bundesland hat mit Abstand die meisten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Sieben Landkreise, Stand heute, sogar mit einer Inzidenz von über 500. Der Landkreis Bautzen aktuell über 600, der Landkreis Sächsische Schweiz Osterzgebirge, ebenfalls der Landkreis Zwickau, kurz davor. Laut Sozialministerium gibt es sogar Orte im Erzgebirgskreis mit einer Inzidenz auf 100.000 Einwohner von über 1.000, in Stolberg zum Beispiel über 1.2 00, Breitenbrunn, knapp 1.100. Laut Ministerium seien in diesen Daten auch Nachläufer mehrerer Tage dabei. Davon mal abgesehen: Wie bewerten Sie eigentlich aktuell die Lage in Sachsen?


07:32 



Alexander Kekulé


Na in Sachsen sehen wir natürlich das, was vorherzusehen war. Gerade die sächsische Landesregierung gehört er zu denen, die lange Zeit geglaubt haben, dass die niedrigen Fallzahlen ein Hinweis darauf seien, dass man weniger rigide sich schützen muss vor COVID19. Und was dann eintritt, ist, dass das Virus auf eine Bevölkerung trifft, die wenig geübt ist in Schutzmaßnahmen und die sich auch irgendwie in Sicherheit wiegt, letztlich auch durch die Ansagen in der eigenen Regierung. Und dort kommt es dann besonders schnell zu Ausbrüchen. Möglicherweise auch deshalb, weil bisher wenig Menschen immun sind. Dieser letzte Faktor ist extrem ungenau. Ich bin nicht ganz sicher, ob das eine Auswirkungen hat oder nicht. Aber dieses Element der Vorbereitung ist bekannt. Wir haben das ja auch in Italien gesehen. Da gab es zuerst diese fürchterlichen Ausbrüche in Norditalien. Die


Süditaliener dachten, der Blitz hat nebenan eingeschlagen. Und jetzt im Moment ist es so, dass Süditalien stärker betroffen ist und die Norditaliener so ganz gut über die Runden kommen. So sehen wir es in Deutschland auch. Und deshalb kann ich wirklich nur noch mal warnen: Alle, die glauben, mich betrifft das nicht. Das ist ein Problem anderer Bundesländer oder andere Regionen, die werden eben hier eines Besseren belehrt. Für Sachsen hat man ja jetzt die Farbe Lila eingeführt, auf der auf der Grafik des Robert Koch-Instituts. Also weil rot-dunkelrot, noch dunkelröter, da gab es dann nichts mehr. Da hat man jetzt stattdessen für über 500 Fälle pro 100.000 Einwohner hat man dann gesagt, das ist lila. Übrigens, die Zone lila, das habe ich gesehen, geht interessanterweise von 500 bis 1.000. Das ist also ein Riesensprung. Die anderen Zonen sind eher so in 50er oder 100er-Schritten. Das ist so ein bisschen „der Bereich ist eh schon wurscht“, würde man fast sagen. Und das, was Sie gerade genannt haben, über 1.000, dafür gibt es noch gar keine Farbe. Also wir sind jetzt wirklich in so einem Bereich das hat man sonst nur in Frankreich gesehen. Da gab es mal teilweise Erfassungen, wo das so nah an die 2 .000 Fälle pro 100.000 ranging.


09:31



Camillo Schumann



Fairerweise muss man natürlich dazu sagen, dass der Landkreis Regen in Bayern, Altenburger Land in Thüringen dieselbe Farbe haben. Aber in Sachsen ist es geballt.



Alexander Kekulé


Das weiß ich natürlich. Das ist keine Entschuldigung für keinen von den beiden. Aber es gibt tatsächlich in Bayern auch ein Landkreis der lila ist inzwischen auf der Karte. Ja, wir müssen nicht damit rechnen, aus meiner Sicht, das ist eine klassische Triage geben wird, auch in Sachsen nicht. Das glaube ich nicht. Das werden wir vermeiden können. Aber wir müssen einfach das jetzt als Hinweis darauf sehen, dass wirklich diese rigiden Maßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, leider notwendig waren. Anders kann man es nicht sagen. Und mein Eindruck ist, dass in einigen Teilen Deutschlands, das weiß ich jetzt gar nicht, ob das in den Landkreisen in Sachsen


besonders verbreitet ist, man einfach irgendwie auch so ein bisschen eine Resistenz der Bevölkerung gegen die öffentlichen Maßnahmen verzeichnet. Also, dass die eigentlich gar keine Lust mehr haben, das alles mitzumachen und diese hohen Infektionszahlen schicksalsergeben über sich ergehen lassen.


10:38



Camillo Schumann



Weil Sie gerade die harten Maßnahmen angesprochen haben. Die werden in Sachsen möglicherweise noch härter. Denn die sächsische Landesregierung plant angeblich, Kommunen mit einer besonders angespannten Corona-Lage abzuriegeln. Unter anderem die Freie Presse berichtet das. Dann würde die Polizei alle Zufahrtsstraßen und auch Zufahrtswege in die betroffenen Kommunen sperren. Einwohner dürften nur noch während eines festgelegten Zeitfensters und auf kürzestem Weg einkaufen gehen. Ministerpräsident Kretschmer hatte ja gestern im Landtag schärfere Corona-Maßnahmen angekündigt, sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Beschlossen sei noch nichts, sagt sein Sprecher. Herr Kekulé, abriegeln als Ultima Ratio.



Alexander Kekulé


Naja, das ist der klassische Cordon Sanitaire. Das hat man bei der Pest im Mittelalter erfunden, und es hat schon dort nichts gebracht, war aber sehr, sehr gefürchtet. Damals wurden die Soldaten außerhalb der Stadtmauern aufgestellt, um zu verhindern, dass jemand raus oder reinkam. Sie hatten den Befehl, jeden zu töten, der sich nicht daran hält an die Regelungen. Ich glaube, das gibt es ganz selten, wir hatten diese Diskussion ja schon in Italien, wo das mal angeordnet wurde, die sogenannte Zona rossa, die dort eröffnet wurde, die rote Zone. Es gibt ganz selten Situationen, wo das sinnvoll sein kann. Und das wäre dann, wenn sie einen genau definierten Ausbruch in einer konkreten Region haben und wissen, es ist wirklich nur dort, nirgendwo anders. Und Sie haben eine Chance durch eine Abriegelung, frühzeitige Abriegelung – die darf dann auch durchaus hart und konsequent sein – um eine echte Eindämmung, ein Containment der Epidemie


zu erreichen. Das wäre zum Beispiel bei Ebola in Westafrika sinnvoll gewesen. Da hat man es teilweise versucht und ohne Erfolg. Das war in Italien selbstverständlich nicht sinnvoll, weil das Virus schon längst über die Stadtgrenzen dieser Dörfer da in der Lombardei hinaus sich verbreitet hatte. Und ich sehe jetzt in Sachsen nicht genau, wo wollen sie denn die Grenze ziehen? Also, wo ist denn da innen und außen bei diesem Codon Sanitaire? Also es hat keinen Sinn, sozusagen die dunkelroten von den etwas weniger dunkelroten Zonen abzutrennen. Die psychologischen Effekte sind normalerweise verheerend von so etwas. Und Sie haben natürlich dann auch erhebliche logistische Probleme, weil sie die Leute ja versorgen müssen.


12 :57



Camillo Schumann



Ende März wurden ja schon mal in SachsenAnhalt Teile der Stadt Jessen abgeriegelt. Das damalige Jessen-Cluster, so hat man es genannt, umfasste 67 Personen und die Infektionsketten, die konnte man auch noch gut nachvollziehen. Rückkehrer eines Skiurlaubs zum Beispiel haben das Virus in die Stadt gebracht. Ein Fußballfan, der in Leipzig beim Spiel RB gegen Tottenham war, konnte auch als Quelle ausfindig gemacht werden. Ist in den betroffenen sächsischen Kommunen das Erkennen und Auswerten dieser Cluster überhaupt noch möglich?



Alexander Kekulé


Der Jessen-Cluster ist ein gutes Beispiel. Da hatten wir ja mehrere am Anfang der Pandemie. Das war die große Zeit, wo wir Deutschen beneidet wurden, ja, unsere Gesundheitssysteme haben mit einer, würde man fast sagen, deutschen Gründlichkeit die Fälle nachverfolgt, jeden untersucht. In diesen Clustern wurden dann massenweise, für damalige Verhältnisse, massenweise Tests gemacht. Und man hat das wirklich akribisch, wie ein Spürhund hat man einen Fall nach dem anderen aufgegriffen gesagt okay, du kommst in Quarantäne. Mein Lieblingsbeispiel ist der eine, (...) [dass] die Münchner Gesundheitsbehörden irgendwo auf Mallorca oder einer kanarischen Insel, ich weiß nicht mehr welche es war, damals dinghaft gemacht haben und dort in Quarantäne gegeben. Da


sind wir ja so völlig davon entfernt. Also es werden ja heutzutage nicht einmal mehr einzelne Fälle in Schulklassen nachverfolgt, sondern man gibt die ganze Klasse in so einer Art Halbquarantäne. Und deshalb sehe ich jetzt auch nicht, wie man ähnlich erfolgreich wie damals am Anfang der Pandemie, wenn man so einen Cordon Sanitaire macht, in diesem abgeschlossenen Bereich sozusagen eine Eliminierung der Infektionen machen könnte. Rein theoretisch, nehmen wir mal an, es würde gelingen, also hier würde der Freistaat Sachsen seine ganzen Ressourcen darauf verwenden, ein, 2 Kommunen wirklich clean zu bekommen durch radikale Maßnahmen. Was ist denn dann danach? Dann müsste man diese Leute, die dort wohnen, ja eigentlich vom Rest Deutschlands schützen und dann sozusagen den Cordon gleich mal stehen lassen, aber mit umgekehrten Vorzeichen, weil die da drinnen dann alle die Insel der Glückseligen wären. Also ich sehe da sozusagen strategisch kein Kriegsziel, wenn ich das mal so sagen darf. Und ich glaube, dass muss man sich immer als Erstes überlegen, bevor man zu so drastischen Maßnahmen greift.


15:09



Camillo Schumann



Wenn jetzt bei Ihnen das Telefon schellen würde und jemand aus Sachsen riefe an und wollte wissen, wir machen jetzt diese Abriegelung, welche Strategie schlagen Sie uns vor, damit das dann zum Ziel führt? Oder würden Sie dann erbost auflegen und sagen, er macht diese Abriegelung nicht, sondern wir halten uns jetzt einfach mal alle an diesen harten Lockdown-Maßnahmen?


15:31



Alexander Kekulé


Also, das ist sehr, sehr hypothetisch. Also grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man in Krisenzeiten schon das Primat der Exekutive einhalten sollte. Das heißt, es gilt dann in diesen Krisenzeiten einfach was angeordnet ist. Da bin ich schon dafür. Wenn's angeordnet wird, muss man sich daran halten, weil sonst das ganze System ja noch mehr außer Kontrolle gerät. Aber wie gesagt, wenn mich einer fragen würde, wie sollen wir das machen mit dieser Abriegelung, hätte ich keinen Vorschlag, eine sinnvolle Grenze zu ziehen.


Und ich wüsste auch nicht, wann man sie beenden soll, weil, wie gesagt, wenn man innerhalb des abgeriegelten Bereichs, wie damals in Jessen, alles sozusagen sauber hätte, dann müssten sie ja weiterhin abriegeln, um die sauberen vor den vor dem Dunkelroten außenrum zu schützen. Dann haben sie sozusagen einen weißen Fleck in der Mitte von Purple. Und ich weiß nicht, ob das so eine wahnsinnig gute Idee wäre.


16:2 2 



Camillo Schumann



Also Strich drunter, eine wenig zielführende Idee, die da in Sachsen diskutiert wird. Beschlossen ist ja noch nichts.



Alexander Kekulé


Ist es nur eine Idee, und ich glaube, dass die sächsische Landesregierung, die haben ja hervorragende Berater, ich glaube schon, dass die genau solche Überlegungen anstellen werden. Und ich bin relativ zuversichtlich, dass die dann zu dem Ergebnis kommen, dass das keinen Sinn hat, einen Landkreis von einem anderen abzugrenzen, wenn man sich die Karte anschaut, weiß man nicht, wo man anfangen soll und wie sie schon gesagt haben, es ist ja nicht nur Sachsen, wir haben ja in Bayern auch einen ähnlich schlimmen Fall. Und schon allein die Tatsache, dass wir über 500 nicht mehr weiter diskriminieren, sondern sagen, alles, was über 500 ist, ist lila das sagt ja schon so ein bisschen, wie die Behörden das sehen. Ja, die werfen da die Hände über den Kopf.


17:12 



Camillo Schumann



Deutschland befindet sich ja im harten Lockdown. Möglicherweise in Sachsen wird er vielleicht noch härter. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herr Gassen, der rechnet mit einem Scheitern das harten Lockdowns, also ein „positiver“ Zeitgenosse. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, er gehe nicht davon aus, dass wir bis zum 10. Januar eine relevante Absenkung der Infektionsraten und schon gar nicht der Todesfälle erreichen werden. Er glaube nicht, dass mit Hilfe der harten Beschränkungen der Grenzwert von 50 Neuinfektionen dauerhaft unterschritten werde, egal ob der Lockdown


nun drei oder zehn Wochen dauert. Würden Sie sich dieser extremen pessimistischen Prognose anschließen oder das Ganze jetzt ein bisschen relativieren.


17:54



Alexander Kekulé


Also, ich bin ja immer Optimist, auch wenn man das manchmal nicht raushört, wenn ich genervt bin von aktuellen Beschlüssen. Also ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass dieser harte Lockdown plus die Zeit – die stade Zeit an Weihnachten, wie man in Bayern sagt, also die ruhige Zeit – das führt dazu, dass die Menschen sich schon zurückfahren in den sozialen Kontakten. Und ich glaube, das wird ein Effekt haben. Das Hauptproblem ist tatsächlich diese (...) Seitwärtsbewegung, dass wir halt einfach so eine Art Nachbrenneffekt haben. Wenn Sie im Haushalt einen Infizierten haben und der eine Infizierte nicht in Isolation kommt, das ist ja das Konzept, was die Chinesen hatten, dass sie die Leute rausgeholt haben, sofort, wenn sie isoliert werden mussten, in diese sogenannten Arche-NoahKliniken, das chinesische Wort dafür habe ich jetzt gerade wieder vergessen, aber übersetzt hieß die Arche-Noah-Kliniken. Und das entspricht ungefähr dem, was die Schutzkommission vor Jahrzehnten vorgeschlagen hat. Das waren die sogenannten Fieber-Kliniken, dass wir gesagt haben, in so einem Ereignis braucht man Kliniken, wo Leute, die infektiös sind und die nicht unbedingt schwer krank sein müssen, aber die eben isoliert werden müssen, wo die rein können, weil die sollen nicht in der Familie bleiben. Und da haben wir eben vorgeschlagen, dass man Fieber-Kliniken einrichtet. Dieses Konzept ist in Deutschland nicht verfolgt worden und deshalb haben wir jetzt die Situation, dass im gleichen Haushalt dann immer ein Infizierter ist und zwei, drei, die in Quarantäne sind, noch dazu, je nachdem, wie groß der Haushalt ist. Und die Quarantänisierten stecken sich natürlich zum Teil an. Das ist von Privatpersonen nicht zu erwarten, selbst von Virologen wahrscheinlich nicht am Ende des Tages, dass sie in der kleinen Wohnung das hinkriegen, alle zu schützen, wenn ein Infizierter im Haushalt ist. Und dadurch gibt es so eine Nachholbegegnung. Einer für jeden, der krank


ist, werden eben noch ein, 2 im Haushalt angesteckt. Und dieser Effekt, das ist sicherlich der, ich weiß, nicht, ob Herr Gassen den gemeint hat, das ist der, der jetzt noch so einen Nachbrenner erzeugen wird bei den Fallzahlen. Ich glaube nicht, dass es dadurch zu einer besonderen Sterblichkeit kommt, weil das doch tendenziell eher dann ist, wenn jetzt keine besonderen Risikopersonen im Haus leben, weil die Leute schon ungefähr wissen, was riskant ist und was nicht. Aber abgesehen davon bin ich sehr zuversichtlich, dass dieser harte Lockdown einen Erfolg zeigt. Ob wir jetzt am 10. Januar unter 50 kommen im Bundesdurchschnitt, glaube ich irgendwie auch nicht. Aber das ist das ist, glaube ich, nicht so wichtig. Dann wird es halt noch ein bisschen verlängert, muss sehen, ob man irgendwo nachkorrigiert. Die interessantere Frage ist, was machen wir danach? Oder wann steigen wir um auf ein anderes Konzept? Und da kann ich nur noch mal sagen, ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie wir weitermachen sollten im nächsten Jahr. Und kann nur dringend plädieren, dass wir ein alternatives Konzept dann haben, statt zu warten, bis wir bei 50 sind, dann wieder aufzumachen und dann irgendwann im April oder März vielleicht schon den nächsten Lockdown zu haben.


2 0:51



Camillo Schumann



Das Prinzip, wie es dann weitergeht, hört sich für uns jetzt so an, als würde man auf die Impfung setzen oder möglicherweise ausschließlich auf die Impfung setzen. Herr Gassen, von dem wir gerade gesprochen haben, der plädiert auch für eine Aufhebung aller Corona-Schutzmaßnahmen, wenn alle impfbereiten Menschen eine Impfung erhalten haben. Und wer sich eben nicht impfen lassen möchte, müsse dann mit dem Risiko leben, an COVID-19 zu erkranken oder gar daran zu sterben. Es kann nicht sein, dass der Rest der Gesellschaft dauerhaft auf Impfverweigerer Rücksichten nehmen muss. Würden Sie diesen Satz zu unterstreichen oder ist das zu kurz gegriffen?



Alexander Kekulé


Ich verstehe nicht ganz den Satz. Also, der meint ja wohl nicht im Ernst, dass man die


anderen dann sterben lässt und nicht behandelt oder Ähnliches. Ich kann es mir nicht vorstellen. (...)



Camillo Schumann



So hat er es auch gesagt.



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube nicht, dass er das so gemeint hat. Also er hat (...) sich auch in der Vergangenheit schon ein, zweimal mit relativ spektakulären Äußerungen hervorgetan, zum Teil zusammen mit Virologen. Ich glaube aber nicht... ich glaube, das darf man nicht so polarisieren. Letztlich ist ja die Idee von den Leuten, die sagen, das kann so nicht weitergehen, ist ja letztlich, dass man sagt, wir können nicht irgendwie immer nur Lockdown machen. Und das ist ja im Ansatz richtig, es ist sowieso ein Wunder, dass so viele Menschen da immer brav mitmachen, obwohl die Alternativen ja schon lange auf dem Tisch liegen. Und dass der Herr Gassen da jetzt langsam ungeduldig wird – gerade aus der Perspektive der Krankenhäuser – ist es natürlich verständlich, wenn die Intensivstationen voll laufen, dass man da dass man da relativ drastische Ansagen macht. Ich glaube, da wäre lange vorher zu überlegen, ob man eine Pflicht-Impfung macht, wo ich auch dagegen wäre. Und ich glaube deshalb jetzt sozusagen die, die sich nicht impfen lassen wollen, kriegen keine Behandlung – ich glaube auch nicht, dass er das so gemeint hat.


2 2 :44



Camillo Schumann



Bundesgesundheitsminister Spahn hat auch gesagt, wie hoch die Impfquote sein muss, um dann wieder ein normales Leben führen zu können. Wir haben mal kurz rein:


„Wir brauchen etwa 55 bis 65 Prozent der Bevölkerung, die immun sind, die geimpft sind, um bei diesem Virus auch die Ausbreitung zum Erliegen zu bringen, sodass man wie bei anderen Viren wären auch vielleicht noch mal lokal Infektionen hat, aber eben nicht mehr eine solche Infektion.“


Die Kanzlerin hat das dann gestern auch ein bisschen anders formuliert, wir hören auch mal da rein:


„Wir streben eine Herdenimmunität an. Die muss allerdings eines Tages, damit die Pandemie verschwunden ist, weltweit gelten. Und da sagen uns die Wissenschaftler, dass 65 bis 70 Prozent der zu impfenden geimpft werden müssen. Dann kann immer noch individuell jemand erkranken, aber das Virus wird sich nicht mehr so ausbreiten, wie es das zurzeit tut.“


Also 55 bis 65 Prozent bei uns in Deutschland oder 70 Prozent weltweit. Was stimmt denn nun?


2 3:38



Alexander Kekulé


Also, der die Kanzlerin wiederholt die Zahlen, die sie im Frühjahr schon gebracht hat. Und das ist ja bekannt, dass der Christian Drosten das bei der Maybrit Illner mal vorgerechnet hat, auch mit den Toten, die damit in Zusammenhang stehen würden. Diese Zahl wird ja so berechnet – wieviel braucht man für eine sogenannte Herdenimmunität? Das wird so berechnet, dass man sagt, dass R die Maximalgeschwindigkeit der Virusausbreitung, das heißt dann R0. Und das ist in diesem Fall ungefähr 3. Ganz genau wissen wir es nicht, aber wir rechnen mal mit einem R0 = 3. R0 von 3 heißt, jeder Infizierte steckt drei weitere an. Damit Sie sozusagen dann auf einen R1 kommen, das heißt also, die Epidemie unter Kontrolle haben müssen Sie 2 von drei Infektionen verhindern. Weil dann haben sie nicht mehr drei, sondern nur noch einen, der angesteckt wird. 2 von drei verhindern Zweidrittel ist bekanntlich 66,6667 Prozent. Und das ist das, was die Kanzlerin hier vorrechnet, die will jetzt der Bevölkerung nicht irgendetwas mit Komma zumuten, obwohl ich sicher bin, dass sie das im Kopf hat. Darum sagt sie das so in diesem Bereich. Diese ganze Rechnung, das habe ich auch schon lange angemerkt, die ist falsch. Und zwar aus folgendem Grund: Das Prinzip der Herdenimmunität, das ist ja ganz interessant. Das hat man irgendwann mal bei Schafen entwickelt übrigens, das hat dort auch nicht so richtig funktioniert. Und bei den Schafen ist es das so, da kann man davon ausgehen, dass die sich homogen vermischen. Und nur, wenn sie eine homogene Vermischung haben, das heißt also, wenn jedes Schaf mit jedem anderen


Schaf gleich viel Kontakt hat, dann (...) stimmt diese Rechnung. Weil dann haben sie tatsächlich, wenn sie 2 Drittel durch immunisiert haben, bei einem R0 = 3. Da haben Sie tatsächlich dann diesen herdenprotektiven Effekt rein statistisch gesehen. Bei den Menschen ist es so: die vermischen sich nicht homogen. Auch nicht innerhalb von Deutschland. Das gibt ganz, ganz viele unterschiedliche Gruppen. Sie wissen, die Bayern reden nicht mit den Preußen, die Juden nicht mit den Arabern und so weiter und so weiter. Ja, und dann gibt es ganz viele andere Trennungen in unserer sozialen Gesellschaft.



Camillo Schumann



An dieser Stelle kurz der Hinweis und unsere Podcasthörer, das war jetzt ein Spaß. Sie müssen jetzt keine bösen Mails schreiben.



Alexander Kekulé


Das war ein Spaß.



Camillo Schumann



Der Virologe hat einen Spaß gemacht.



Alexander Kekulé


Ganz wichtig, da vielleicht noch die Griechen nicht mit den Türken muss man noch dazu sagen. Aber ich glaube, Sie verstehen, was ich meine. Wir haben einfach in unserer Gesellschaft keine homogene Vermischung. Das ist einfach so. Und deshalb ist es so, dass sie immer gucken müssen, wie ist es innerhalb einer sozialen Blase? Wie ist dort die Immunität? Und dann gibt es eben bestimmte soziale Blasen, wenn ich die mal so nennen darf, die besonders sozial aktiv sind, die das Infektionsgeschehen typischerweise vorantreiben. Das sind nicht nur die jungen Leute in den Großstädten, was man immer so denkt. Aber es gibt bestimmte Bereiche, da werden einfach diese Infektionen eher in Kauf genommen. Und diese Bereiche, die müssen Sie als Erstes immunisieren. Wenn Sie in diesen Bereichen die Zweidrittel-Immunität herbekommen, übrigens entweder durch Impfung oder durch natürliche Infektion ist dann egal, dann haben Sie einen herdenprotektiven Effekt auch für alle anderen. Weil die anderen ja wesentlich weniger sozial aktiv sind und zu denen auch weniger Durchlässigkeit ist, aufgrund dieses Blaseneffekts. Deshalb ist es so, dass sie lange


bevor diese Zweidrittel da sind, kriegen sie natürlich eine deutliche Herdenimmunisierung, sprich das R für Gesamtdeutschland geht dann deutlich unter 1. Und Sie haben nur noch einzelne Ausbrüche und nicht mehr die Situation, dass wir so ein bundesweites Geschehen haben. Möglicherweise hat der Jens Spahn daran gedacht, weil ihm jemand möglicherweise das erklärt hat, indem er da jetzt von 55 Prozent redet. Also, es gibt so Berechnungen, die sagen, dass, wenn man diese Subpopulationen betrachtet, dass man dann erste Effekte schon ab 40 Prozent sehen müsste, vielleicht auch erst ab 50 Prozent. Also dann merken sie schon da wird die Zahl kleiner. Das heißt natürlich nicht, dass es dann überhaupt keine Ausbrüche mehr gibt. Natürlich wird es dann immer noch einzelne Ausbrüche geben, aber es ist dann kein bundesweites endemisches Infektionsgeschehen mehr. Übrigens häufiger Irrglaube unter Laien zumindest: Selbst wenn sie diese Zweidrittel hätten, dann hätten sie ja immer noch ein Drittel Ungeimpfte und oder nicht Immune. Und Sie hätten ja auch Personen, die weiterhin einreisen nach Deutschland, Kinder, die neu geboren werden und so weiter. Das heißt, da werden wir trotzdem in beiden Fällen davon entfernt, dass die Infektionskrankheit aus dem Land ist. Eine komplette Eliminierung kriegen wir dadurch nicht. Wir haben nur dadurch die Chance, das deutlich abzubremsen. Und wenn es eben nicht um die Eliminierung, sondern nur um diesen starken Bremseffekt geht, dann ist es richtiger, die Zahl von Herrn Spahn zu nehmen in dem Fall. Weil, das natürlich schon bei einer kleineren Immunitätsquote passiert, wenn die richtigen Leute immunisiert sind.


2 8:44



Camillo Schumann



Und das ist genau der Punkt. Man kann es sich ja nicht aussuchen. Man kann die Leute ja nicht anschreiben und dann verpflichten, bitte jetzt die jungen Wilden und die Alten, ihr beiden ihr seid sozusagen jetzt die wichtigen Gruppen in dieser Pandemie, lasst euch mal impfen. Sondern man hat es ja nicht in der Hand. Und die Impfung-Willigkeit nimmt auch immer ab. Es ist sehr, sehr diffus.



Alexander Kekulé


Ja, das ist sehr klug, was Sie da sagen. Das diskutieren wir genau – ich bin ja ständig in irgendwelchen internationalen Konferenzen, wo wir heutzutage nur noch per Zoom – aber wir diskutieren genau diese Fragen. Es ist ja so, dass wir bei dem Impfstoff jetzt wissen, dass er wohl, das ist zumindest die Hoffnung, tatsächlich die Alten vor Erkrankung schützen kann. Deshalb ist eigentlich international Konsens, dass man priorisiert die Risikogruppen impfen soll. Wir wissen nicht ganz so sicher, ob die Infektion auch verhindert wird. Aber meine persönliche Auffassung ist, dass es auch hier einen sehr deutlichen Effekt haben wird. Aber um die Epidemie in den Griff zu bekommen, also eine anti-epidemische Wirkung zu haben, müssen sie eigentlich ganz andere Leute impfen oder eben abwarten, bis die sich natürlich selbst durchimmunisieren. Und das sind eher die Jüngeren, da sind dann vor allem auch die Kinder dabei, wo wir bei diesem Impfstoff ja überhaupt keine Erfahrungen haben, wieder der da wirkt. Wo wir auch Gründe haben, anzunehmen, dass bei Kindern die Wirkung von Impfstoffen ganz generell anders ist. Und das ist ganz schwierig. Da ist noch viel Diskussionsstoff für unseren Podcast, sage ich mal, wenn da neue Erkenntnisse kommen. Im Moment haben wir da keine klare Antwort, weil genau, wie Sie sagen es wird dann der Effekt eintreten, dass weniger „gestorben“ wird, dadurch, dass die Alten geimpft sind. Dadurch wird die Impfbereitschaft gerade bei denen, die sowieso sozialer aktiv sind, weiter zurückgehen. Und das ist ja dieses sogenannte Präventions-Paradox, was schon lange bekannt ist und dadurch wird es noch schwieriger sein, die eigentlich epidemiologisch wichtigen Gruppen zur Impfung zu bringen.


30:44



Camillo Schumann



Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die plädierte er für einen gemeinsamen Tag, an dem die Impfung in Europa beginnen, also zeitgleicher Impfstart. Würde das vielleicht aus epidemiologischer Sicht irgendwie Sinn machen, Einfluss haben?



Alexander Kekulé


Nö, epidemiologische hat es überhaupt keinen


Sinn. Das ist völlig egal. Weil nicht so viel Impfstoff haben, dass das sofort an eine epidemische Wirkung hätte. Also wir haben erstmal so wenig, dass wir nur anfangen können, die Risikogruppen ein bisschen zu schützen und das auch nicht vollständig. Ich glaube, das wäre ein starkes politisches Zeichen. Und das ist ja auch so ein bisschen die Idee von der EU gewesen: Wir bestellen gemeinsam, wir lassen gemeinsam zu, und wir impfen gemeinsam. Darum finde ich das jetzt konsequent. Und die Briten sind zwar eigentlich noch in der EU, aber die sind ja sowieso bisschen Spielverderber und gefallen sich in der Rolle, wie man weiß. Und ich glaube, da tut man Boris Johnson nichts an, indem man das so konstatiert. Daher ist das mehr so der Aufruf gewesen, dass jetzt zumindest die anderen zusammenhalten sollen.


31:43



Camillo Schumann



Zulassung in der EU ist genau das Stichwort. Ende des Jahres wird angepeilt, und vorhin kam noch die Eilmeldung, dass die CoronaSchutzimpfungen am 2 7. Dezember beginnen können. Zumindest in Nordrhein Westfalen. Das hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in Düsseldorf angekündigt. Es hatten sich zuvor Spitzenvertreter der Landesregierung sowie Ärzteverbände und Kommunen bei einem Impfgipfel über die Vorbereitung beraten. Also am 2 7. Dezember sollen die Impfungen beginnen. Und das, obwohl die Zulassung ja noch gar nicht da ist. Die EMA, die Europäische Arzneimittelbehörde, hatte ja bisher erst angekündigt, am 2 1., Dezember, also nächste Woche Montag, ihr Gutachten für die Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs vorlegen zu wollen. In den USA und Großbritannien zum Beispiel wird bereits durch eine Notfallzulassung geimpft. Das soll in der EU aber alles ein bisschen anders sein. Noch einmal Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:


„Die anderen Länder haben bis jetzt eine Notzulassung gemacht. Diese ordentliche Zulassung heißt auch intensivere Prüfung. Es wird sozusagen tiefer auch die Daten eingestiegen. Es sind auch 2 7 nationale Behörden beteiligt, und das wird dann die weltweit erste reguläre, ordentliche Zulassung


und die ist aus meiner Sicht wichtig, auch um Vertrauen in diesen Impfstoff zu gewinnen.“


Genau, Herr Spahn spricht von einer regulären Zulassung. Ich habe vorhin noch mal geguckt. Noch im Oktober sprach die WHO davon, dass sie mit einem Impf-Start Mitte 2 02 1 rechne, weil erst Anfang nächsten Jahres die Daten aus den abschließenden Phase-3-Studien vorliegen. Und danach könnte die Entscheidung dann erst zum Impfstart fallen. Jetzt also alles wesentlich schneller und für Europa eine reguläre Zulassung? Wie bewerten Sie das?


33:2 7



Alexander Kekulé


Ja, ich war sehr überrascht darüber, muss ich sagen, ich habe Herrn Spahn da schon öfters in dem Zusammenhang gehört. Er sagt ja so sinngemäß schon länger, wir machen das in Europa besser. Wir machen das gründlicher, bei uns wird komplett geprüft. Und deshalb machen wir eine reguläre Zulassung und nicht wie die FDA so eine Notfallzulassung oder auch wie Großbritannien eine Notfallzulassung oder auch Kanada. Also ich glaube, wir haben im Podcast schon mal darüber gesprochen. Es ist ja so, dass das, was in den USA Notfallzulassung heißt, also Emergency Authorisation, das heißt der bei der EMA nicht Notfallzulassung, sondern bedingte Marktzulassung, also Conditional Marketing Authorisation ist sozusagen der technische Ausdruck für die bedingte Markt-Autorisierung. Das ist aber der europäische Ausdruck für die letztlich für die Notfallzulassung.Eine bedingte Marktzulassung ist rein nach den Statuten der EMA und der Europäischen Union so, dass eben zugelassen wird, obwohl man nicht alle Daten zusammen hat. Also genau das Gegenteil von dem, was der Bundesgesundheitsminister gerade erklärt hat. Da wird eben zugelassen aufgrund vorläufiger Daten, weil man noch nicht vollständige Zulassungsdaten hat. Und das darf nur dann passieren, wenn eine ernsthaft lebensgefährliche Erkrankung im Raum steht: zum Beispiel eine pandemische Erkrankung, die muss lebensgefährlich sein. Und es muss so sein, dass der Hersteller glaubhaft machen kann, dass er die restlichen Daten, die man noch braucht, innerhalb einer vernünftigen


Zeit – normalerweise sagt man, so ein halbes Jahr oder so – nachliefert, also genau, wie Sie sagen. Jetzt ist es ja so, wir sprechen ja jetzt mal konkret vom vom BioNTech-Impfstoff, das Gleiche gilt aber auch für den ModernaImpfstoff. Das ist ja der andere RNA-Impfstoff. Diese beiden Hersteller haben, ich habe es extra nochmal nachgeguckt, laut Webseite der EMA, der Europäischen Arzneimittelbehörde, nur eine sogenannte bedingte Zulassung beantragt, das ist diese Notfallzulassung, über die wir hier auch schon gesprochen haben. Jetzt sagt der Bundesgesundheitsminister, Sie kriegen sozusagen trotzdem eine richtige Zulassung. Der Bundesgesundheitsminister ist der Bundesgesundheitsminister, dann hat er wahrscheinlich neuere Informationen, und ihm ist es ja auch sehr wichtig zu sagen, dass hier 100 Prozent geprüft wurde und nicht 80 Prozent, wie bei der bedingten Zulassung.


35:52 



Camillo Schumann



Jetzt ist natürlich die Frage, auf der Website der EMA steht, eine bedingte Zulassung wurde beantragt. Der Bundesgesundheitsminister sagt, es wird eine reguläre Zulassung. Wenn dann der Impfstoff da ist, kann man das irgendwie rausfinden, was denn nun stimmt?



Alexander Kekulé


Ja, das ist tatsächlich ein Riesenunterschied, weil der Arzt muss ja wissen, dass der Impfstoff oder das Medikament – das gibt es auch bei anderen Medikamenten, das wurde in der Vergangenheit auch schon gemacht – bei so Notfallmedikamenten muss er wissen, Achtung, das ist jetzt ein Medikament, das darf ich nicht einfach irgendwie geben, sondern da muss ich ganz strenge Regeln beachten, vor allem Nebenwirkungen melden. Und deshalb haben die ein kleines schwarzes Dreieck auf jeder Packung drauf. Und da kann dann jeder selber gucken – wahrscheinlich werden die Fotos der ersten Impfung durch die Welt gehen oder zumindest in Deutschland in der Presse sein – ob das kleine schwarze Dreieck da drauf ist oder nicht. Das ist üblicherweise der Hinweis darauf, innerhalb der Europäischen Union, dass die EMA eine bedingte Zulassung vergeben hat. Und da schreibt sie eben, das haben wir, glaube ich, schon besprochen, schreibt sie dann rein, auf


das und das müssen Sie achten. Da wird ganz sicherlich jetzt auch das Thema allergische Reaktionen mit draufstehen. Da sind genaue Vorschriften, welche Daten nachgeliefert werden müssen, auch vom Hersteller innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, um eben danach dann die reguläre Zulassung auszusprechen. Aber wie gesagt, ich gehe davon aus, dass unser Bundesgesundheitsminister über diese Basisdinge des Zulassungsverfahrens gut informiert ist, und deshalb ist er wahrscheinlich kurzfristig, ohne dass das auf der Webseite der EMA korrigiert wurde, vielleicht eine Änderung erfolgt. Und man hat tatsächlich jetzt die vollständige Zulassung. Da muss ich allerdings sagen, ich kenne ja sehr gut die Daten, die sind ja veröffentlicht worden, das muss man auch den Herstellern hier wirklich zugute halten, die BioNTech/PfizerDaten sind sehr, sehr umfangreich im New England Journal of Medicine, einem sehr renommierten Magazin, publiziert worden gerade. Und wir haben uns natürlich alle draufgestürzt und das im Detail nachgeschaut. Es ist relativ offensichtlich, dass dann natürlich noch bestimmte Daten fehlen. Ja, und das heißt nicht, dass der Impfstoff nicht sicher wäre, überhaupt nicht. Aber das heißt, dass aus meiner Sicht. Also ich bin jetzt kein Mitglied des CHMP, dieses Komitees, was das macht. Aber wenn ich da dabei wäre, und ich bin in ähnlichen Komitees schon gesessen, dann würde ich für die endgültige Zulassung den Daumen senken und würde sagen, nein, wir wollen das erstmal noch eine Weile anschauen. Nicht, weil ich jetzt irgendwelche Hinweise darauf sehe, dass was nicht funktionieren könnte. Aber da gibt es den berühmten Spruch von den unknown unknowns, also, es gibt die known unknowns, die bekannten Unbekannten, und die unbekannten Unbekannten, die unknown unknowns. Weil, immer Dinge, die völlig überraschend sind, auftreten können, wenn man Millionen und Milliarden von Menschen impft, wäre ich sehr für die bedingte Zulassung und ich bin jetzt sehr gespannt darauf, wie die Begründung der EMA ist, wenn sie die vollständige Zulassung dann erteilt.


38:52 



Camillo Schumann



Wir sind gespannt. Nächste Woche ist es dann so weit, und Herr Spahn sagte auch, jeder Tag, der früher geimpft werde, könne Leid lindern. Er warnte aber auch vor übereiltem Handeln. Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen in die Impfung zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. Vertrauen ist genau das Stichwort. Wir haben es schon mal ein bisschen besprochen. Gerade die Ständige Impfkommission hatte kürzlich auf eine Umfrage verwiesen, wonach die Impfbereitschaft in Deutschland seit dem Frühjahr stetig gesunken ist und beim medizinischen Personal sogar geringer ist als beim Rest der Bevölkerung und Meldungen über Nebenwirkungen, es klang er schon an, tragen jetzt auch nicht unbedingt dazu bei, dass das Vertrauen wächst. Der Impfstoff von BioNTEch/Pfizer, über den wir hier sprechen, hat in Großbritannien bei 2 Menschen schwere allergische Reaktion ausgelöst. Die zuständige Behörde, die hat ja dann auch Allergiker vor der Impfung gewarnt. Nun gab es 2 ähnlich gelagerte Fälle in Alaska. Auch bei diesen beiden Personen gab es schwere allergische. Was ist darüber bekannt?


39:48



Alexander Kekulé


Ja, das ist tatsächlich so, dass war auch aus dem medizinischen Personal. Und die haben dann kurz nach der Impfung doch sehr deutlich reagiert. Der eine hat richtig einen anaphylaktischen Schock bekommen. Das ist so eine Situation, das mag man eigentlich nicht gerne im Impfzentrum haben. Also ich war früher mal im Münchner Max von PettenkoferInstitut hatte ich diese sogenannte Impfsprechstunde zu halten. Da haben wir Leute geimpft mit ganz exotischen Sachen, so Gelbfieber und so etwas, das waren SpezialImpfungen für Leute, die in die Tropen reisen. Und da wusste man einfach da kommt es manchmal zu Problemen. Dafür hatten wir immer so Notfallkoffer in der Ecke stehen, wo wir dann notfalls Sauerstoff hatten, Adrenalin und Möglichkeiten, Wiederbelebung zu machen, falls einer so einen echten anaphylaktischen Schock hat, wie wir sagen. Also so eine super allergische Reaktion. Ich habe diesen Koffer nie rausholen müssen unter


dem Bett, wo der stand. Aber es ist natürlich so, in Alaska haben sie das offensichtlich machen müssen. Also wenn die Berichte aus der New York Times, wo das jetzt steht, stimmen, dann musste dem sogar Adrenalin gespritzt werden, dem einen Patienten. Die kommen dann regelhaft auf die Intensivstation danach, das ist schon eine ernste Nebenwirkung. Das wollen Sie jetzt nicht in so einer Turnhalle in so einem Allerwelts-Impfzentrum haben. Deshalb muss man einfach sagen, das ist wirklich blöd für den Hersteller, dass in der ganzen Studie mit über 2 0.000 Geimpften – das waren ja so 2 3.000, die den Impfstoff wirklich bekommen haben, die andere Hälfte das Placebo – da ist angeblich nie so was passiert. Und jetzt sind es schon vier Fälle kurz nach den Zulassungen. Was soll ich sagen? Ehrlich gesagt, als ich die Fälle aus UK von denen gehört habe, habe ich gedacht, diese 2 Mitarbeiter von National Health, die waren halt besonders sensibel irgendwie oder besonders, sag ich mal, willig jedes Symptom sofort zu melden. In USA hört man jetzt eher, dass die Betroffenen betonen, ja, das war eine Ausnahme, ich will niemanden davon abhalten, sich impfen zu lassen. Also diese Dinge müssen einfach genau untersucht werden jetzt. Unter normalen Bedingungen würde man sogar überlegen, ob man eine vorläufige Zulassung, bedingte Zulassung, ob man die jetzt zurückhält oder ob es ausreicht, zu sagen: Wir empfehlen erstmal, alle Personen mit allergischer Geschichte auszunehmen. Aber das sind eben dann wahnsinnig viele, wenn sie die ganzen Asthmatiker rausnehmen.


42 :18



Camillo Schumann



Ich wollte gerade sagen und bei denen muss man auch erst prüfen, ob sie überhaupt Allergiker waren, wenn ich das richtig gelesen habe. Es ist ja auch nicht hundertprozentig klar, oder?



Alexander Kekulé


Das ist echt schwer. Wissen Sie, diese Diagnose Heuschnupfen ja, was ist denn das?



Camillo Schumann



Ich zum Beispiel.



Alexander Kekulé


Aber es gibt Leute, die haben so richtig schlimmen Heuschnupfen. Die wissen immer genau, wenn die die und die Blüte kommt, können sie quasi die Uhr danach stellen, dann kriegen die Atemnot auf der Straße. Oder richtig schlimme Allergiker. Ich hatte mal einen Fall als Notarzt. Das war ein Junge, der (...) war auf Pferde allergisch. Und weil bayrische Buams halt frech sind, haben seine Freunde ihm eine Pferdedecke übergestülpt auf der Straße. Daraufhin mussten wir den echt im Hubschrauber abtransportieren. Das nenne ich mal eine richtige Allergie. Und es ist so, dass das Spektrum aber weit ist. Wenn ich jetzt an Asthma zum Beispiel denke. Bei Kindern wissen wir, dass ich glaube, die aktuelle Zahl ist bei fünf Prozent aller Kinder, die haben vorübergehend so eine Episode, wo sie das haben, was, was eigentlich gute Kinderärzte als hyperreagibles Bronchialsystem bezeichnen, also ein besonders empfindliches Atemsystem. Und das gibt sich aber meistens. Das renkt sich wieder ein bis zum Schuleintritt, meistens. Aber andere sagen halt, es ist Asthma. Und daher wissen Sie halt nicht, hatte der Asthma, hatte der es nicht. Ist es eine Kindheitsgeschichte mit einem hyperreagiblem Bronchialsystem schon ein Grund, die Impfung nicht zu geben. Also mir wäre unwohl, wenn man diese Einschränkung hätte und dann quasi irgendwelchen Impfärzten, die sich hier freiwillig zur Verfügung gestellt haben, in diesen vielen, vielen Impfzentren auszuhelfen, jetzt überlassen würde, da die Entscheidung im Einzelfall zu treffen.


44:05



Camillo Schumann



Wenn ich mir überlege, dass bereits in den USA, wir haben ja schon Bahrain, Großbritannien etc., das sind ja in Summe schon mehrere 10.000 Menschen geimpft worden. Und wir haben jetzt hier vier, also 2 in Großbritannien, 2 in Alaska besprochen, die allergische Reaktionen haben. Unterm Strich könnte man noch sagen ist es doch im Promillebereich, eigentlich kein Problem, oder?



Alexander Kekulé


Ja, Promille reicht nicht aus. Also Sie müssen bei so einem Impfstoff deutlich unter die


10.000 kommen, also 1/10 Promille müssen sie erreichen, mindestens, am besten noch weniger an Nebenwirkungen dieser Art. Ja, also das ist genau der Punkt. Also das wird ja jetzt weiter geimpft. Es gibt ja die Zulassungen. Es wird natürlich auch in Europa zugelassen werden. Ich nehme an, dass spätestens nach den 2 Ereignissen, die heute bekannt wurden, man bei der EMA auch diese Einschränkung machen wird, dass man Allergikern erstmal keine Impfung empfiehlt. Und dann wird man sehen, wie sich das weiter entwickelt. Das Problem ist nur, es ist ja nur einfach Folgendes: Wenn sie bei Allergikern das nicht empfehlen, dann werden Sie natürlich, wenn alles rechtens zugeht, werden Sie natürlich nicht rauskriegen, ob Allergiker schwerere Nebenwirkungen haben, weil sie ja die da nicht impfen. Und was ist dann, wer lässt sich da testen? Also das ist dann so ein wahnsinnig unangenehmer selbstverstärkender Effekt. Dann haben Sie einen großen Teil der Bevölkerung, die sagen ne, ich will da nicht hin. Viele Allergiker sind, wenn Sie sagen, Sie haben Heuschnupfen, sind ja eh schon genervt davon, dass sie mit so einem genetischen Faktor geschlagen sind und die anderen immer schön auf der Wiese sitzen beim Picknick. Und sie selber können nicht dabei sein. Das ist ja auch für viele zumindest in der Jugend traumatisch. Und darum ist es dann oft so, dass solche Menschen zu Recht irgendwie vorsichtiger sind. Und ich weiß nicht, ob man die Impfbereitschaft dann erhöht mit sowas. Also schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Also, Sie haben völlig Recht, vier ist erst einmal fast nichts. Und auf der anderen Seite sind wir jetzt auch noch nicht bei vier Millionen Geimpften. Aber wenn wir vier Millionen Leute geimpft haben oder zehn Millionen, das wird es ja in wenigen Wochen so weit sein, dann werden wir die Zahlen haben. Vor allem, wenn eine wirklich nur vorläufige, bedingte Zulassung erteilt wird, weil da ja dann mit drin entsteht, dass man solche Nebenwirkungen immer melden und registrieren muss.


46:32 



Camillo Schumann



Und vielleicht ein Hinweis, wie dann unserer rund 400 Impfzentren in Deutschland damit umgehen sollen. In Alaska war es ja so, dass


die beiden, die geimpft wurden, wie übrigens alle anderen eine Viertelstunde noch in dem Behandlungsraum sitzen bleiben mussten an Ort und Stelle, um dann zu schauen, wie es den danach geht. Und in dieser Viertelstunde sind dann diese Wirkung eingetreten. Wenn die nach fünf Minuten gegangen wären, wären die möglicherweise auf der Straße zusammengebrochen, hätte man das gar nicht gemerkt. Also quasi Punkt eins, eine Viertelstunde sitzen bleiben. Und Punkt zwei, möglicherweise so ein Notfallköfferchen mit Adrenalin, der eine hat auch Steroide bekommen. Also dass man das quasi im Impfzentrum immer damit dabei hat?



Alexander Kekulé


Das haben die. Also ich weiß jetzt nicht, ich sage das mal, weil ich an die Professionalität der Kollegen glaube. Das ist Standard bei Impfungen. Und hier kommt es eben auch noch einmal darauf an, ob sie eine bedingte Zulassung oder eine normale Zulassung haben. Aber bei Wirkstoffen, die nur die dieses kleine schwarze Dreieck drauf haben, jetzt mal vorausgesetzt, ich weiß jetzt nicht wissen, Europa sein wird, aber in USA ist es ja klar eine bedingte Zulassung. Und in Kanada auch und in United Kingdom auch und überall dort ist es so, dass man gerade in solchen Situationen eben dann so extra Protokolle hat, wo man aufschreibt, genau wie Sie sagen: Viertelstunde beobachten hinterher und solche Dinge. Ich nehme mal an, dass das für die Impfzentren auch so geplant ist. Das müsste man vielleicht mal nachfragen, könnte man vielleicht mal recherchieren. Aber es wäre eigentlich naheliegend, dass man nicht die Absicht hat, die Leute nach der Impfung einfach rauszuschubsen in die Kälte.



Camillo Schumann



Oder die Ärzte melden sich bei uns und schreiben uns mal was im Detail geplant ist. Herr Kekulé, in Sachsen gilt eine Maskenpflicht auch im öffentlichen Raum. Teil dieses harten Lockdowns, also auf allen Straßen und Plätzen muss eine Maske getragen werden, verkürzt. Was halten Sie davon? Kurz zusammengefasst.


48:2 6



Alexander Kekulé


Ja, im Freien ist es so, dass es nur um die


Tröpfcheninfektionen geht. Diese feinverteilten Aerosole, die sich über längeren Raum verteilen, die gibt es nicht. Die entstehen aus physikalischen Gründen auch nicht. Und wenn sie entstehen, dann sind sie sehr schnell eben verdünnt. Und deshalb glaube ich, eine Maske wäre nur dann sinnvoll, wenn wirklich 2 Menschen direkt gegenüberstehen und miteinander sprechen in einem sehr kurzen Abstand. Generelle Maskenpflicht im Freien halte ich dann für sinnlos, wenn man irgendwie so einen halbwegs vernünftigen Abstand face-to-face Abstand wahren kann.


48:58



Camillo Schumann



Und wie sich Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf das Aerosol-Verhalten auswirkt, das wollte Prof. Dr. Detlef Lohse von der Uni Twente in den Niederlanden wissen und hat das in einem Experiment, wie ich finde, sehr eindrucksvoll nachgestellt. Er wollte nämlich wissen, wie sich Aerosole bei verschiedenen Temperaturen und Luftfeuchtigkeitsverhältnissen verhalten. Da muss man dazu sagen, er ist jetzt nicht rausgegangen und hat sich beim Niesen fotografiert.



Alexander Kekulé


Ja, solche Fotos gibt es ja sehr, sehr viele. Das ist zurzeit sehr beliebt. Übrigens, diese Fotos, wenn man immer oder man sieht, oft zu Bilder im Fernsehen von Leuten, die niesen und husten mit irgendwelchen angeblichen Aerosolen, die da entstehen. Es gibt auch Leute, die dann Werbung für ihre Absaugsysteme damit machen. Da muss man immer vorsichtig sein, ob sich die Aerosole, die da in diesen Experimenten generiert wurden, ob sich die ähnlich verhalten wie infektiöse Aerosole. Das ist häufig überhaupt nicht gegeben. Diese Studie ist ganz witzig. Da war auch das MPI für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen beteiligt. Das sind so echte Superrechner. Das ist gerade als Preprint herausgekommen, und die haben letztlich ein Dogma überprüft. Das ist ja in der Wissenschaft immer ganz gut, wenn man mal an die Dogmen rangeht. Und zwar haben wir hier immer gesagt, übrigens auch in diesem Podcast früher mal, wenn man so Tröpfchen ausatmet, dass die dann bei trockener Luft und


Kälte am liebsten, dass die dann oder vor allem bei trockener Luft, dass die dann verdunsten. Und am Schluss bleiben so kleine Tröpfchenkerne übrig. Und die tragen sich besonders weit, wie Zigarettenrauch und machen eine echte aerogene Infektionen. Dieses Verdunsten der Tröpfchen. Und dann haben die jetzt das Umgekehrte quasi mathematisch simuliert. Ein Experiment haben sie keins gemacht, aber mathematisch aufwendig simuliert. Die haben gesagt, wenn ist das eigentlich, wenn die Luft so richtig viel Feuchtigkeit enthält, also fast gesättigt ist, also die relative Luftfeuchtigkeit bei 100 Prozent ist oder vielleicht sogar übersättigt: Nehmen die Tröpfchen dann auch ab oder bleiben die gleich? Und das haben sie eben mit verschiedenen mathematischen Methoden untersucht.



Camillo Schumann



Und was wurde rausgefunden? Beziehungsweise welches naturnahe Setting könnte man denn da zugrunde legen?



Alexander Kekulé


Das kann man sich so vorstellen naturnahe, wenn Sie sagen, im Winter kommt man doch manchmal morgens zum Auto und obwohl kein Schnee liegt, ist Reif auf der Windschutzscheibe. Und das liegt daran, dass kalte Luft deutlich weniger Wasser halten kann als warme. Das heißt, die absolute Feuchtigkeit in kalter Luft ist immer geringer, und die ist dann schneller gesättigt. Das heißt die relative Feuchtigkeit ist hoch, die ist bei 100 Prozent. Und da kommt es eben dann, wenn man nachts so eine Abkühlung hat von der Windschutzscheibe, die wird ja sehr kalt in der Nacht, dann kommt das quasi zu dem Effekt, dass die übersättigte Feuchtigkeit auf der Scheibe sich niederschlägt, wie Tau und dann einfriert. Und dadurch haben sie morgens den Reif im Winter auf den Scheiben. Das ist quasi ein Übersättigungseffekt. Und die haben genau das Gleiche simuliert, quasi mit so einem Tröpfchen, Sprühregen haben Sie da simuliert. Das ist extrem schwierig, so etwas mathematisch zu simulieren, und haben festgestellt, dass tatsächlich die Tröpfchen im übersättigten, wenn die relative Luftfeuchtigkeit im Bereich von 100 Prozent


oder sogar mehr ist, dass dann die Tröpfchen nicht kleiner werden, sondern wachsen. Also das ist echt spektakulär. Die werden also sozusagen, während die wegfliegen – da ist sogar eine Abbildung in dieser Studie drin – da sieht man, wie die Tröpfchen größer werden beim Wegfliegen, weil sie eben zusätzliche Feuchtigkeit ansetzen, zusätzliche Kondensation stattfindet. Und das führt natürlich dazu, dass sie dann schneller absenken und auf den Boden fallen.


52 :43



Camillo Schumann



Genau. Und ich dachte, das wäre doch ein schönes Argument dafür, das Tragen der Masken draußen im Winter macht gerade Sinn, aber das ist eher das Gegenteil der Fall, oder?



Alexander Kekulé


Die Tröpfchen werden größer, und dadurch stürzen sie natürlich zu Boden. Und deshalb bleibt es bei der Tröpfcheninfektion. Also man muss unterscheiden zwischen den echten Aerosolen. Das sind also die, die in der Luft schweben und die diese SuperspreadingEreignisse machen, die die aerogene Infektion machen und der ganze Grund sind, warum wir mit diesem Virus so viel Probleme haben. Und es gibt die face-to-face-Übertragung durch Tröpfchen, indem man sich sozusagen gegenseitig anspuckt. Und letztere funktioniert so oder so. Aber was dieses Experiment eigentlich noch mal belegt, und da gab es vorher tatsächlich noch keine Studien dazu, ist, dass, wenn man sich jetzt das mal praktisch im Winter vorstellt: Im geschlossenen Raum haben Sie eine sehr trockene Luft üblicherweise im Winter, die aber von einer relativen Luftfeuchtigkeit her nicht gesättigt ist. Das heißt also, Sie würden dann in einem geschlossenen Raum bei der sehr trockenen Luft, weil die wärmer ist, würden Sie, wenn Sie ausatmen oder husten, hätten Sie Tröpchen, die, wie wir es eigentlich immer schon angenommen haben – seit den 1930er-Jahren war das die Theorie – würden die immer kleiner und immer kleiner werden, und dann am Schluss haben Sie diese Aerosole, diese gefährlichen Aerosole. Wenn Sie die gleiche Situation im Winter haben draußen, da sind sie in der Situation, dass die relative Luftfeuchtigkeit häufig bei 100 Prozent liegt.


Das heißt also, Sie haben jetzt diese wachsenden Tröpfchen. Dadurch passiert genau das Gegenteil. Es entstehen eben draußen keine Aerosole. Es werden im Gegenteil die Tröpfchen immer dicker, immer dicker und fallen umso mehr zu Boden. Das heißt ein weiteres knallhartes Argument in dem Fall aus einer mathematischen Simulation gegen das Maskentragen im Freien.


54:2 8



Camillo Schumann



Prima. Wir kommen zu den Hörerfragen, zum Ende, die Zeit muss noch sein. Herr R. hat gemailt:


„Meine Schwiegermutter ist 93, lebt in einem Seniorenheim. Sie hat vor circa drei Wochen sich mit Corona infiziert wie auch mindestens die Hälfte aller Heiminsassen, hatte aber zum Glück einen milden Verlauf und wurde vor circa einer Woche nach überstandener Infektion negativ getestet. Jetzt sind wir nach bangen Tagen natürlich sehr froh, dass alles glimpflich ausgegangen ist und haben uns darauf gefreut, sie an Weihnachten zu uns nach Hause holen zu können, da sie unserer Meinung nach nicht mehr gefährdet ist. Allerdings stellt sich nun das Heim quer und möchte nicht erlauben, dass die Schwiegermutter das Heim verlassen kann. Und auch der zuständige Arzt rät dringend davon ab, da noch völlig unklar sei, ob nicht auch nach einer überstandenen Infektion noch ein Ansteckungsrisiko besteht. Hierzu würden wir gern die Meinung von Professor Kekulé hören. Denn das würde zukünftig auch bedeuten, dass alle geimpften Senioren weiterhin isoliert und abgeschottet werden müssen. Oder? Vielen Dank und viele Grüße.“


55:2 7



Alexander Kekulé


Also, ich würde die Großmutter jetzt nicht einteilen zum Dienst auf der Intensivstation mit COVID-19-Patienten. So ein krasses Risiko würde ich hier nicht eingehen. Aus dem Grund der da genannt wurde, wir wissen es nicht ganz sicher. Aber hier geht es ja um Risiken des Alltags und nicht um berufliche Exposition, wie wir das dann technisch nennen. Und für die Frage des Alltags schon allein, dass die Hörerin da überhaupt sich Gedanken darüber macht und hier eine Frage stellt, bedeutet ja, das ist offensichtlich eine Familie, die jetzt nicht völlig


ignorant dem Thema gegenübersteht. Und wenn die halbwegs vernünftig leben und halt niemanden mit an den Weihnachtstisch setzen, der gerade einen Fieberausbruch hat oder der gerade seit gestern anfängt zu husten oder Ähnliches, dann würde ich sagen, ist das Risiko, dass sich jemand dann zum 2 . Mal infiziert, mit COVID-19, wo er es gerade durchgemacht hat, dermaßen marginal, dass ich finde, es steht in keinem Verhältnis zu der Einschränkung der persönlichen Freiheit, wenn sich jetzt die Großmutter dafür entscheidet, hier bei der Familie sein zu wollen. Das heißt also, infektiologisch gesehen, gibt es überhaupt keinen Grund, die nicht rauszulassen. Ja, es gibt einige ganz wenige Fälle, wo belegt ist, dass Menschen, die COVID-19 hatten, hinterher noch mal die gleiche Erkrankung durchgemacht haben. Da hat man auch gesehen, dass das Virus sich deutlich verändert hatte zwischendurch, aber da lagen viele Monate dazwischen. Und hier, wenn ich es richtig verstanden habe, ist die ja gerade genesen, PCR negativ. Also, das ist die beste Situation, um rauszugehen. Ob sie in einem Jahr immer noch einen Immunschutz hat, das würde ich jetzt nicht unterschreiben. Aber jetzt würde ich sagen, abgesehen vom Einsatz auf der Intensivstation ist für einen Hausbesuch, zuhause bei ihren Verwandten, ist sie auf jeden Fall geschützt.


57:13



Camillo Schumann



Also Podcast 131. Vielleicht können Sie ja der Heimleitung das Ganze vorspielen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 131. Vielen Dank, Herr Kekule. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne, bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das eine oder andere Thema noch mal


vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




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Donnerstag, 30.07.2 02 0 


#130: Neues zur Viruslast bei Kindern



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass




Donnerstag, 30.07.2 02 0 #130: Neues zur Viruslast bei Kindern





Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio




Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle




Dienstag, 15. Dezember 2 02 0.




Deutschland steht vor dem 2 . harten Lockdown und das kurz vor Weihnachten.




Werden die Maßnahmen dieses Mal wirken?




Sollte der BioNTech/Pfizer Impfstoff in Europa eine Notfallzulassung erhalten?




Fließen positive Schnelltest-Ergebnisse in die Gesamtzahl der Neuinfizierten mit ein?




Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.





Alexander Kekulé




Hallo, Herr Schumann.









Camillo Schumann





Willkommen zurück, muss ich an dieser Stelle ja sagen. Der Podcast musste letzte Woche ja ausfallen. Sie waren krank, aber so richtig fit sind Sie immer noch nicht. Man hört es ja so ein bisschen.





Alexander Kekulé




Leicht belegt, aber das ist ja nicht so schlimm, wie eine schlechte Telefonleitung, das hatten wir ja auch schon.





Camillo Schumann





Die natürlich alles entscheidende Frage, was haben Sie denn gehabt? Erkältung, oder?





Alexander Kekulé




Das ist offensichtlich eine Halsentzündung, die nicht weggehen möchte. Ich habe schon Antibiotika genommen, aber jetzt habe ich sie wieder abgesetzt, weil das auch nichts gebracht hat. Ich bin nach wie vor heiser.





Camillo Schumann





Toi, toi, toi. Wir schauen mal, wie weit wir kommen. Schauen wir auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Die Zahl der Todesfälle und der Neuinfektionen mit dem Coronavirus bleibt auf einem sehr hohen Niveau, 14.432  neue Fälle und 500 Todesfälle binnen eines Tages wurden übermittelt. Am Dienstag vor einer Woche waren es 14.000 Neuinfektionen und 42 3 Todesfälle. Die Todesfälle nehmen weiter stark zu, und das, obwohl die Zahlen seit Wochen relativ stabil bleiben. Wie ist das erklärbar?





Alexander Kekulé




Die Todeszahlen hinken immer den Fallzahlen hinterher. Das ist glaube ich schon bei der ersten Welle ziemlich deutlich so gewesen. Egal, was man macht, nehmen die jetzt natürlich zu. Weil wir das jetzt sozusagen abarbeiten, was an Infektionen die letzten Wochen passiert ist. Was man auch sagen muss, dass natürlich der Schutz der Alten in den Altenheimen nach wie vor nicht funktioniert in Deutschland. Das ist eines der schlimmsten Trauerspiele, die wir hier beobachten. Deshalb nehmen auch die Todeszahlen so dramatisch zu. Weil sehr viele alte Menschen betroffen sind.





Camillo Schumann





Insgesamt sind Stand heute 2 2 .475 CoronaTodesfälle registriert worden. Seit dem 1. November sind damit 12 .000 Menschen in Deutschland an und mit Covid-19 verstorben. Damit sind rund 54 % der gesamten Covid-19Toten in der Zeit seit Anfang November verstorben, also in den letzten Wochen. Das ist doch Wahnsinn, oder?




02 :46





Alexander Kekulé




Naja, das ist diese 2 . Welle. Dass das Virus




1




im Herbst mit einem ganz anderen Gesicht wiederkommen würde, haben eigentlich die meisten Virologen vorhergesagt. Ich habe bis vor kurzem immer gesagt, alle Virologen hätten das vorhergesagt, weil ich tatsächlich niemanden kannte, der es wagte, davon abzuweichen. Aber ich lerne inzwischen, dass es tatsächlich einzelne Kollegen offensichtlich gegeben hat, die auch dann Politiker beraten haben, die gesagt haben, lass mal stecken. Die Herbstwelle wird nicht so schlimm, wie angekündigt. Das ist ein Teil des Problems, das hier Politiker sich in der Vergangenheit immer sozusagen das Orakel ausgesucht haben, was am besten gepasst hat.





Camillo Schumann





Aber kann man sagen, dass sie Herbstwelle durchaus drastischer zuschlägt als erwartet?





Alexander Kekulé




Nö, das kann man so eigentlich nicht sagen. Es ist so, dass das Virus im Herbst einfach aus verschiedenen Gründen eine wesentlich höhere Übertragbarkeit hat. Dann sind bei Kälte gerade ältere Menschen auch insgesamt eher geschwächt. Wir kennen das schon lange, dass beispielsweise an Allerheiligen auf den Friedhöfen immer mal wieder jemand stirbt, weil die dann in die Kälte rausgehen und vielleicht auch emotional möglicherweise belastet sind. Und man weiß, dass im Winter insgesamt – jetzt auch ganz unabhängig von den Infektionskrankheiten die Sterblichkeiten höher sind. Wenn das jetzt sich überlagert mit einem hier bei einigen Menschen jedenfalls sehr gefährlichen Atemwegserreger, dann ist es vorhersehbar und völlig klar gewesen, dass wir hier erstens eine massive Welle kriegen. Die sehen wir jetzt. Und zweitens natürlich dann auch eine höhere Sterblichkeit. Die Frage, die man eher stellen muss es, warum man sich darauf nicht vorbereitet hat. Aber das ist ja zurzeit




gar nicht so gewünscht, dass man diese Frage stellt.




04:2 7





Camillo Schumann





Und wie massiv diese Welle zuschlägt, bildet sich auch in den Krankenhäusern ab. Rund 4.700 Menschen werden aktuell mit COVID-19 auf Intensivstationen behandelt, davon rund 2 .700 mit künstlicher Beatmung. Mal nur mal zum Vergleich: Vor genau drei Monaten, am 15. September wurden lediglich 336 Menschen intensivmedizinisch versorgt, und davon mussten nur 12 9 Menschen künstlich beatmet werden. Da ärgert man sich ja doppelt und dreifach, dass man diese Zahlen nicht halten konnte. Oder?





Alexander Kekulé




Ja, also ich persönlich muss Ihnen ganz ehrlich sagen also, ich bin emotional auch massiv belastet zurzeit, dadurch, weil, wenn Sie jetzt als jemand, der jetzt zumindest in dem Zusammenhang bisher, glaube ich, schon geeignete Empfehlungen gegeben hat, wenn Sie dazu sehen, wie die Politik aus Gründen, die schwer nachvollziehbar sind, teilweise wegen schlechter Beratung, teilweise aber auch aus politischem Kalkül, sich einfach da nicht dran hält, dann ist man als Naturwissenschaftler natürlich einfach ziemlich verzweifelt, das ist klar. Das erinnert an amerikanische Verhältnisse, wo Donald Trump gesagt hat, dieses Virus sei nicht so schlimm. Und wo die Diskussion in den USA lange war, ob die Masken überhaupt gebraucht werden und Ähnliches. Und so ähnliche Diskussionen haben wir ja jetzt wieder, wenn es zum Beispiel immer noch um die Masken zum einen geht, wann und wo man die braucht. Aber auch ganz konkret bei den Schnelltests, ob die sinnvoll sind oder nicht. Da streiten sich tatsächlich die Fachleute. Also ich war kürzlich in einem Beratungsgespräch mit einer Landesregierung gesessen, und da war es dann tatsächlich so, dass Kollegen von mir, die also Fachkollegen aus der Gesellschaft für Virologie sind, darauf hingewiesen haben, dass diese Tests gefährlich seien. Das erinnerte mich so ein bisschen an die Maske. Und wenn natürlich der eine Fachmann dann sagt, die Tests sind gefährlich, und der andere sagt, ne, ich bin aber dringend dafür, die einzuführen, dann ist es wahnsinnig schwierig, weil dann die Politiker sich immer das heraussuchen, was sie für sinnvoll erachten. Aus dieser Sitzung habe ich sogar mitgenommen, dass unsere Fachgesellschaft, also die Gesellschaft für Virologie, angeblich im Moment eine Stellungnahme plant, die in Kürze herausgegeben werden soll, das kann ich jetzt nur so wiedergegeben von dem Kollegen, wo also auf die Gefährlichkeit dieser Schnelltests hingewiesen wird und von diesen abgeraten wird. Und dann, das muss man sagen, dann rauft man sich natürlich dann irgendwann mal die Haare.





Camillo Schumann





Aber da kann man sich ja fragen, dann in ihrer Funktion, ob man aus dieser Gesellschaft austritt oder nicht mit unterschreibt.





Alexander Kekulé




Naja, das ist von vornherein so, dass das dann immer nur so ein paar Leute formulieren, so was. Ich bin ziemlich sicher, dass die mich nicht fragen werden, ob ich da mit unterschreiben will, weil die genau wissen, was meine Position ist. Ich habe ja seit Februar wirklich dringend für diese Testungen plädiert und im März dann eine nationale Anstrengung dafür gefordert. Im März! Und ich kann nur noch einmal betonen, dass dieser Schnelltest von Roche, der jetzt auf dem Markt ist, von BD Bionsciences aus Südkorea seit März verfügbar wäre. Und zwar genau dieser Test. Da gibt es dann auch, wissen Sie, das ist dann so in irgendwelchen Sitzungen,




(dann) sagte der Kollege ja, das ist aber die dritte Generation. Damals waren die Tests so schlecht, was einfach sachlich falsch ist. Und da ist es wahnsinnig schwierig. Ich bin inzwischen der Meinung, dass wir Wissenschaftler in dieser ganzen Pandemie keine gute Arbeit geleistet haben.




07:43





Camillo Schumann





Man muss auch sagen, dass die Antigenen Schnelltests, die Sie gerade angesprochen haben, ja auch zu einer nationalen Teststrategie mittlerweile gehört. Sie sind verpflichtend, nun auch nach dem neuen Papier von Bund und Ländern, auch verpflichtend für das Altenheimpersonal. Also es ist ja sozusagen jetzt auch breiter Konsens in der Politik, auf diese Schnelltests zu setzen. Da fragt man sich, warum streiten sich die Wissenschaftler eigentlich noch?





Alexander Kekulé




In der Politik ist es Konsens. Aber, da gibt es noch eine kleine Feinheit da drinnen, auch wenn ich im jetzt Ihren Optimismus vielleicht Bremse an der Stelle. Also ich bin ja nicht dafür, das Personal mit den Schnelltests zu untersuchen, weil Sie in der Tat bei den Schnelltests manchmal falschnegative haben. Gerade so, wie das dann ja auch gemacht wird, das häufig dann das Pflegepersonal selber sich gegenseitig testen soll und solche Dinge, womit die zeitlich dann auch überfordert sind. Da kann man erstens von der Abnahmetechnik einiges falsch machen. Und zweitens sind die Tests einfach nicht so perfekt. Und deshalb finde ich in der Situation, wo ein einziger, dem man übersieht, möglicherweise einen schweren Ausbruch im Altersheim verursachen kann, da bin ich tatsächlich dafür, sich auf die zuverlässigere Methode PCR zu verlassen, statt zu sagen, wir ordnen jetzt einmal die Woche Schnelltests an. Diese Schnelltests müssten eigentlich einmal am Tag durchgeführt werden, übrigens auch da wieder interessant: Ich habe die aktuelle Empfehlung der Leopoldina gelesen. Die haben ja sehr, sehr konkrete Maßnahmen empfohlen, aber interessanterweise an keiner einzigen Stelle eine wissenschaftliche Begründung dazu gegeben. Das hätte ich jetzt aber eigentlich von so einer Gesellschaft durchaus, also von der Nationalen Akademie der Wissenschaft, durchaus erwartet. Aber an einer Stelle steht immerhin drinnen, dass die Schnelltests für einen Tag lang halbwegs Sicherheit geben können. Jetzt ist die Frage also, die Leopoldina sagt es, sie begründet es aber nicht. Die Politik setzt offensichtlich nicht da drauf, weil sie in Altersheimen sagt, einmal die Woche testen reicht, und zwar mit dem Schnelltest. Und die Fachgesellschaft sieht es wieder anders. Also, das ist schon ein ziemliches Chaos, was da entstanden ist. Ich sehne mich fast an die gute alte Zeit zurück, wo dann nur der Christian Drosten und ich in Details unterschiedliche Meinungen hatten. Irgendwie so ungefähr an der dritten Stelle hinter dem Komma. Und das gleich ein Aufreger für so manche Zeitung war. Also, da ist das Meinungsbild unter den Fachkollegen doch sehr viel vielseitiger und vielfältiger geworden inzwischen.




10:09





Camillo Schumann





Am Ende bleibt ein verwirrter Mitarbeiter eines Altenheims und auch normale Person, die vielleicht in die Apotheke geht und natürlich permanenten fragt, wo bleibt denn da der Schnelltest für zu Hause? Weil das ist ja auch noch ein Thema, was unbeackert geblieben ist.





Alexander Kekulé




Ja, zu Hause muss man sagen, dass die Situation ja eine ganz andere ist. Da werden ja Leute getestet, die jetzt nicht so einen massiven Ausbruch verursachen können aus beruflichen Gründen, wenn sie




etwas falsch machen. Und es ist eigentlich so eine private, sage ich mal, extra Sicherheit, die man sich holen kann. Mein Plädoyer für die privaten Tests heißt nicht, lasst alles andere stehen und liegen, vergesst die Masken und so weiter und testet euch stattdessen. Sondern einfach, dass man zum Beispiel an Weihnachten damit eine zusätzliche Ebene von Sicherheit hätte einziehen können. Das ist eine andere Situation als im Altenheim. Und naja, und an Weihnachten muss ich auch sagen, dass unsere Bevölkerung da so entspannt ist, dass sie sich das jetzt vorsetzen lässt von der Politik oder wegnehmen lässt von der Politik, wo man natürlich mit besserer Vorbereitung FFP2 Masken und Schnelltests und vielleicht im Vorfeld etwas bessere, schnellere Reaktion auf die Herbstwelle, da hätte man natürlich diesen Lockdown schon verhindern können.




11:19





Camillo Schumann





Das wäre jetzt meine Frage gewesen. FFP2 Masken werden ab heute an über 60Jährige und Risikopatienten kostenlos in Apotheken verteilt. So ist es zumindest der Plan. Es gibt es schon einige Apotheken, die große Fragezeichen haben und überhaupt über keine FFP2 -Masken kostenlos verfügen für die Bevölkerung. Grundsätzlich: Dass man jetzt beginnt, damit die Masken zu verteilen, gute Idee? Nützt es noch was?





Alexander Kekulé




Ja, das ist auf jeden Fall eine sehr, sehr gute Idee. Und es wird auch noch etwas nützen. Es ist ja nicht so, dass dieser Lockdown jetzt quasi das Ende der ganzen Pandemie in Deutschland sein wird. Man kann natürlich wieder nörgeln und sagen warum ist das so spät? Sie wissen, dass schon im März die Diskussionen waren, warum wir so wenig FFP2 -Masken haben. Ich kann mich an mehrere Gespräche erinnern, wo der Bundesfinanzminister und Vizekanzler mit dabei war und der jeweils die deutsche Industrie gelobt hat. Und gesagt hat, die Maschinen, die diese Masken herstellen, die würden ja alle made in Germany sein. Und man wäre ja unmittelbar davor, hier die Großproduktion zu starten. Also so, wie ich das letzte Woche gehört habe, wird in Deutschland noch überhaupt nichts produziert an diesen Masken. Wir hängen nach wie vor am Tropf von China dran in dieser Hinsicht. Ich weiß nicht, ob es wieder Engpässe geben wird. Die Chinesen brauchen ja im eigenen Land keine Masken mehr, weil die es besser gemacht haben als wir. Demokratisch gesehen natürlich nicht besser, aber epidemiologisch besser gemacht als wir. Daher ist es so, dass ich jetzt nicht beurteilen kann, ob diese Masken noch mal knapp werden. Aber ich kann nur betonen, wir hängen nach wie vor an den Importen dran. Und auch diese Antigen-Schnelltests, der wird aus Südkorea importiert. Da hatte ich mir gewünscht, dass wir eine europäische Produktion aufbauen, sodass wir eigentlich die Risiken an der Stelle nicht minimiert haben.




13:04





Camillo Schumann





Kommen wir auf die aktuelle Situation in Deutschland. Bundespräsident Steinmeier hat die Situation in seiner Videobotschaft gestern so beschrieben:




„Die Lage ist bitterernst. Tausende Todesfälle in einer Woche und ein Infektionsgeschehen, das außer Kontrolle zu geraten droht. Wir kommen an einschneidenden Maßnahmen nicht vorbei.“




Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geht sogar noch einen Schritt weiter. „Corona ist außer Kontrolle geraten. Wenn wir nicht aufpassen, wird Deutschland schnell das Sorgenkind in ganz Europa.“ Ist Corona nun außer Kontrolle geraten?





Alexander Kekulé




Es ist halt die Frage, wie Sie Kontrolle definieren. Es gibt die eine Definition, die man so früher mal hatte, das war diese Idee von Hammer und Dance, dass man gesagt hat, wir müssen da die Kurve flach machen, flatten the curve hieß es auch, damit die Intensivstationen nicht überlastet werden. Das war leider, meines Erachtens, eine Fehlentwicklung, die monatelang gelaufen ist, dass man gesagt hat, wir können die Fallzahlen sowieso nicht verändern. Es wird sowieso dann die daraus errechenbaren Toten geben. Die Frage ist nur, kommt es in kurzer Zeit, dass die Intensivstation überlastet sind? Oder können wir es auf einen längeren Zeitraum verteilen? Also Stichwort flatten the curve? Von daher würde ich sagen, ist es noch nicht außer Kontrolle, weil unsere Intensivstation noch nicht so überlastet sind, dass wir eine allgemeine Triage haben. Ich muss aber auch sagen, dass mir der Leiter einer Intensivstation einer sehr, sehr großen Universitätsklinik in Deutschland kürzlich gesagt hat, sie würden intern tatsächlich schon beginnen, Triage zu machen. Also sie würden schon entscheiden, wer kriegt die bessere Therapie, weil er eine bessere Überlebenschance hat. Nicht so krass, wie es in Norditalien oder auch in Frankreich zum Teil gemacht werden musste, aber wir sind so an der Grenze, wo solche Entscheidungen im Kleinen laufen. Das beginnt Ja nicht dort, wo der Intensivmediziner sagt, okay, du kriegst keinen Beatmungsplatz, du stirbst jetzt auf dem Gang oder ähnlich schreckliches. Oder in Italien wurden die auch nach Hause geschickt, zum Teil in Altersheime geschickt, wo es dann fürchterliche Ausbrüche wiederum gab. Aber Triage beginnt ja schon vorher, wenn man jetzt zum Beispiel an einer sehr gut ausgestatteten Station die Möglichkeit hat, jemanden optimal zu behandeln. Man muss aber jemanden von dem Patienten wegverlegen, weil man einfach nicht genug Kapazitäten hat. Dann wird hier natürlich die Entscheidung danach getroffen, wer hat die beste Überlebenschance, und das nennen wir einfach dann, in der Notfallmedizin, Triage. Noch ein Hinweis. In Augsburg sind die Intensivstationen nach Meldung letzter Woche komplett voll gewesen. Es gab in Augsburg keine Beatmungsplätze mehr für COVIDPatienten. Und aus München, die nicht wenig Krankenhausbetten haben, fliegen täglich die Rettungshubschrauber mit COVID-Patienten heraus ins Umland, um Patienten in die kleineren Krankenhäuser zu verlegen, weil in der Stadt keine Beatmungsplätze mehr sind. Also das ist schon an der Grenze (...). Und dann gibt es die andere Form von Kontrolle. Das ist die, die ich eigentlich bevorzuge, die ist lange vor diesem katastrophalen Zustand. Und das ist die Frage, wann können die Gesundheitsämter die Fälle noch nachverfolgen? Und da muss ich sagen, ist es schon lange außer Kontrolle. Also, da hat Markus Söder in dem Fall recht. Ich glaube auch, dass der Bundespräsident das genauso formulieren würde, wenn er diesen Parameter nimmt und nicht die Sterblichkeit auf den Intensivstationen. Und ich glaube, das ist wirklich so: Kein Land der Welt hat jemals ohne konsequente Nachverfolgung diese Pandemie lokal unter Kontrolle gebracht. Das Einzige, was wir schaffen, was uns helfen könnte, ist tatsächlich, wenn wir wieder in dem Bereich kommen, wo die Gesundheitsämter die Nachverfolgung machen können. Alles andere wird nicht funktionieren. Und deshalb, ja, ist es außer Kontrolle.




16:47





Camillo Schumann





Die Bundesländer, die haben sich ja nur mit der Kanzlerin auf einen harten Lockdown verständigt, damit dann eben irgendwann die Zahlen wieder so gedrückt werden, dass man eben Infektionsketten nachvollziehen kann. Oder wie es Markus Söder ausdrückt:


„Die Lage ist eigentlich wieder fünf vor zwölf. Deswegen wollen wir keine halben Sachen mehr machen, sondern konsequent handeln.“


Die Frage, die sich bei so einer Aussage unweigerlich aufdrängt, warum wurden denn bisher halbe Sachen gemacht? Mal ganz ketzerisch.





Alexander Kekulé




Das ist natürlich, was soll ich sagen? Ich habe Virologie und Epidemiologie gelernt und noch ein paar andere Sachen, aber so natürlich als über 60-jähriger Staatsbürger auch den Politikersprech im Lauf der Zeit so ein bisschen mitverfolgt. Ich finde es keine so tolle Entwicklung, dass Politiker einfach nicht sagen können, was sie denken. Dass sie nicht einfach sagen können, passt mal auf Liebe Leute, wir haben das unterschätzt. Ich ärgere mich total, dass ich nicht vor einem Monat schon das und das gemacht habe. Und es ging halt irgendwie nicht. Ich konnte mich mit dem und dem nicht einigen. Dann nennt man dann auch Ross und Reiter nicht. Es wird dann immer so Laschet versus Söder ins Feld geführt. Das war ja so im September die große Frage: der eine für verschärfte Maßnahmen, der andere dagegen. Aber ich glaube, das müsste man offener ausdiskutieren, weil der Wähler will ja auch wissen, bei wem man dann später mal sein Kreuzchen machen muss. Aber die schonen sich gegenseitig und sagen dann immer so Sachen. Es gibt ja immer nur so Sachen wie, Ja, wir müssen Maßnahmen treffen, um die Nachverfolgung noch besser zu machen, als die sowieso schon ist und solchen Politikersprech. Ich weiß nicht, scheinbar will die Bevölkerung das, weil die die wissenschaftliche Herangehensweise, dass man sagt, das war ein Fehler, jetzt müssen wir es anders machen, die ist scheinbar nicht gesellschaftsfähig,




18:35





Camillo Schumann





Um bei Politikersprech zu bleiben. Jetzt sind wir schon beim harten Lockdown. Es wurden ja harte Maßnahmen beschlossen, die wir jetzt gleich durchdeklinieren wollen und erinnern an dieser Stelle mal an den 02 . September dieses Jahres und an die Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Wir können ja mal kurz reinhören:




„Und gleichzeitig ist es eben so, und das ist doch das Gute in dieser Krise, dass wir jeden Tag dazu lernen. Zum Beispiel dazulernen, in welchen Bereichen es besonders große Infektionsrisiken gibt. Leider besonders da, wo wir gesellig miteinander sind, wo wir feiern, wo wir im geschlossenen Raum eng beieinander sind. Das haben die letzten Monate noch mal sehr eindrucksvoll gezeigt. Wenn wir schauen, wo hat es Ausbruchsgeschehen gegeben, und wir haben gesehen, wo wir in anderen Bereichen die Dinge gut unter Kontrolle haben, wenn wir Abstand, Hygiene, Alltagsmasken einhalten. In den letzten Wochen hat es ja keine Ausbrüche oder Infektionsgeschehen im Einzelhandel beim Einkaufen gegeben. Wir sehen, dass mit den erarbeiteten Konzepten für den Besuch in den Pflegeeinrichtungen zur Minimierung des Eintrags des Virus dorthin, wo es oft am brutalsten zuschlägt, dass wir da, Stand heute, die Dinge auch in der Pflege gut im Griff haben, eben mit dem, was wir in der letzten Zeit miteinander gelernt haben.“




Mit dem harten Lockdown werden wieder die Geschäfte geschlossen und das RKI unterrichtet über zunehmend massive Ausbrüche in Altenheimen. Also, es stimmt ja beides nicht, was Herr Spahn da gesagt hat.





Alexander Kekulé




Er hat, glaube ich, damals auch noch gesagt, man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, keine Frisöre mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Also mit dem Wissen heute damals im September. Das Problem ist halt muss man schon, klar Politiker haben einfach so einen Reflex, dass sie immer das so zu formulieren, dass sie selber dabei gut wegkommen. Und wenn man die Zustimmungsquoten anschaut, will das Volk das ja auch so hören. Auf der anderen Seite muss man schon sagen es ist ja, dass wir, die die wichtigsten Fragen gar nicht beantwortet haben oder zumindest keine Arbeitshypothese haben. Sie wissen, ich bin immer total dafür, in Krisensituationen mit einer Arbeitshypothese, die Notärzte sagen, Arbeitsdiagnose vorzugehen. 




Wie funktioniert es dann? 




Und das fehlt mir so ein bisschen, dass man sagt okay, das ist unser Konzept, davon gehen wir aus. 




Und da muss man aufgrund dieser Basisannahmen Maßnahmen einleiten. Und dann eben die wirklich beobachten, wie die wirken. Das ist aber nicht geschehen. Und deshalb eiert das sozusagen so rum. 




Und mein Eindruck ist, dass dieser Lockdown jetzt im Grunde genommen eine Verzweiflungstat ist, die eher so eine Mischung ist, eine Mischkalkulation, dass man sagt 




2 6:56





Camillo Schumann





Verzweiflungstat nennen Sie den Lockdown, den harten Lockdown. Er sieht im Einzelnen so aus und die Maßnahmen, die kennen wir ja eigentlich schon: Kontaktbeschränkungen, also maximal 2 Haushalte dürfen sich mit maximal fünf Personen treffen. Rausgehen darf nur, wer einen triftigen Grund hat. Schulen und Kitas dicht. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte bleiben zu, Gesangsverbot in der Kirche. In einigen Bundesländern gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre, das Ganze bis zum 10. Januar. Was sagen Sie zu diesen Maßnahmen? Werden die dafür sorgen, dass die Zahlen so stark sinken, dass wir dann wieder über einen in Anführungszeichen einigermaßen „normales Leben“ nachdenken können?





Alexander Kekulé




Die Zahlen werden auf jeden Fall sinken. Ein harter Lockdown, das hat ja schon Wuhan belegt, funktioniert tatsächlich. Vor allem die Ausgangssperren und das wird natürlich einen Effekt haben. Ja, die Frage ist, kommt man in diesem Bereich von 50? Und die Frage ist auch, wie schnell kommt man in diesem Bereich, wo die Gesundheitsämter wieder nachverfolgen können? Also, 50 Neuinfektionen als Mittelwert über sieben Tage pro 100.000 Einwohner. Ich bin da nicht so sicher, ob das bis zum 10. Januar funktionieren wird, wegen dieser Seitwärtsbewegung. Diesen schönen Ausdruck hat man ja da aus der Börse übernommen. Diese Seitwärtsbewegung erkläre ich mir, wie gesagt, dadurch, dass es jetzt nicht zu richtigen Ausbrüchen kommt, wo man dann Superspreading hat mit sehr, sehr vielen Infizierten. Ich glaube, dass das insgesamt nur noch ganz selten ist, weil die Menschen vorsichtig sind. 






2 9:19





Camillo Schumann





Möglicherweise auch wegen der Ausnahme zu Weihnachten. Die sieht ja so aus: Ein Hausstand darf sich mit vier weiteren Personen treffen und diese vier weiteren Personen, die müssen laut Beschluss aus dem engsten Familienkreis kommen, Ehegatte, Lebenspartner, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Verwandte et cetera, Geschwister, Geschwisterkinder, und Kinder bis 14 Jahren spielen da ja keine Rolle. Also so eine feste PersonenObergrenze gibt es ja für die Feiertage nicht. Also werden die Zahlen nach Weihnachten dann nicht wieder hochgehen?





Alexander Kekulé




Ich bin da jetzt nicht so pessimistisch wie das, was man aus den USA sieht. Also ein USA mit Thanksgiving war ja ein großes Problem. 





Camillo Schumann





Berlin.





Alexander Kekulé




Aber auch sicher in anderen Städten. Das finde ich eine sehr vernünftige Einrichtung, dass man das zur Verfügung stellt. Jetzt nicht als Appell, dann unvernünftig zu sein, sondern wirklich in dem Sinn, dass man, das könnte eine zusätzliche Sicherheitsebene einziehen, wenn man für diejenigen, die es halt wirklich ernst nehmen, bis hin zu der Möglichkeit, dass, wenn man weiß, okay, jemand aus der Familie hatte einfach ein Risiko. Dass man dann FFP2 -Masken trägt und zumindest, wenn man nicht isst, vielleicht die Senioren diese Masken tragen lässt oder alle das machen, je nachdem oder mit Abstand arbeitet. Das funktioniert schon halbwegs. Übrigens auch ein normaler OPMundschutz ist viel besser, als gar nichts. Das ist vielleicht ein bisschen ulkig an Heiligabend. Aber ich glaube, dass es Leute gibt, die so nachdenken, die auch solche Konzepte sich überlegen und überlegen, wie mache ich das in meiner Familie? Und bei denen, glaube ich, macht es keinen Unterschied, ob Sie da jetzt eine Obergrenze von fünf oder zehn haben. Im Gegenteil, ich finde das ein bisschen familienfeindlich, dieses Konzept, was auf dem Tisch steht das, dass man Kinder bis 14 Jahre in unbegrenzter Zahl, das ist ja ganz nett. Aber was machen Sie denn, wenn Sie fünf Kinder haben, von denen drei über 14 sind? Und dann haben sie die interessante Situation, dass sie nicht alle ihre Kinder einladen können, sofern die nicht zufällig im gleichen Haushalt vorher leben. Das finde ich schon ein bisschen schräg, dass man nicht einmal mit den eigenen Kindern Weihnachten feiern darf.





Camillo Schumann





Spricht da jemand aus persönlicher Betroffenheit, womöglich?





Alexander Kekulé




Ich habe natürlich fünf Kinder, das kann man bei Wikipedia nachlesen. Und dass davon drei über 14 sind, ist glaube ich auch bekannt. Klar, das ist es ist eine interessante Konstellation. Aber und es ist natürlich dann so, dass man dann gerade bei denen, die so sehr familienbewusst leben, und da versteht man es dann gar nicht mehr, warum die Festivitäten quasi so kontrolliert werden müssen.




33:13





Camillo Schumann





Wir machen mal einen Strich unter die Maßnahmen, die ab morgen dann deutschlandweit gelten. Und wir machen diesen Strich mal mit einer jungen Frau, die uns angerufen hat. Die hat jetzt nicht direkt eine Frage, sondern sie wollte mal ihren Frust von der Seele sprechen. Wir hören mal kurz rein:




„Wir sind eine Familie mit 2 schulpflichtigen Kindern, immer wird nur auf die Schulen geguckt und auf die Kitas. Es gibt nichts mehr. Es gibt keinen Sport mehr, gibt keine Vereine mehr. Selbst ich darf meinen Sport nicht draußen auf dem Sportplatz ausüben, weil der gesperrt ist. Und dann sterben Leute in den Altersheimen, und die Politik versucht, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, indem sie Vergleiche wie von abstürzenden Flugzeugen und Tote alle vier Minuten gibt. Und statt die Altersheime und die Pflegeeinrichtungen zu sichern. Und im Gegensatz zu Schweden, wo ja oft hämisch hingeguckt wurde wegen der vielen Toten in den Altersheimen, haben die sich wenigstens dafür entschuldigt. Der ChefEpidemiologe hat sich öffentlich entschuldigt für die vielen Toten in den Altersheimen. Davon habe ich hier noch nichts gehört. Niemand entschuldigt sich dafür, dass da die Politik versagt hat. Stattdessen wird auf uns geguckt und auf die jungen Leute. Und ich finde das absolut unmöglich. Und ja, da hat man einfach auch langsam keine Lust mehr.“




Tja, da spricht unheimlich viel Frust aus dieser jungen Frau.





Alexander Kekulé




Es ist ja fast so, als hätte sie den Podcast bis hierhin gehört. Ich kann nur zu den Sportplätzen vielleicht konkret Folgendes sagen: Es ist so, dass tatsächlich Sportplätze auch im Freien gesperrt sind. Und das heißt, es dürfen junge Leute zum Beispiel nicht mehr im Freien, da gibt es ja manchmal so Körbe, wo man Basketball spielen kann mit. Und das ist auch gesperrt worden. Da dürfen die im Freien nicht mehr alleine oder zu zweit an so einen Basketballkorb das Einwerfen trainieren. Ich glaube, das Problem ist, dass die Politik so dieses Grundprinzip hat. 


Wir müssen jede Art von Kontakt verhindern. 


Das wäre es. Das nächste wissenschaftliche interessante Thema. 





Camillo Schumann





Und noch eine Zahl hinterherzuschieben. 





Alexander Kekulé




Ja, da wäre die ganze Entwicklung komplett anders gelaufen. Wir hätten viel weniger Tote. 




Übrigens, muss man dazusagen, Sie haben gerade die Zahlen genannt. Wichtig ist noch dazu zu sagen, die allermeisten sterben ja in Altersheimen. Das ist bei uns nicht so wie wir am Anfang auch in Italien hatten, dass die in den Wohnungen sterben, die alten Leute, oder sich zuhause infiziert haben. Was sieht man daran? Da sieht man, wenn sich der Bürger selbst schützt, ist es besser, als wenn der Staat es für ihn macht oder als wenn Dritte es für ihn machen. Also, die Leute, die zu Hause wohnen, die haben sich längst die FFP2 -Masken gekauft oder haben jemanden, der ihnen hilft und Familien, die sie unterstützen. 




Das das Hauptproblem sind die Altersheime tatsächlich bei der Sterblichkeit. Und ich glaube aber nicht, das ist vielleicht eine wichtige Sache. Ich weiß, dass 2 meiner Virologen-Kollegen wieder so ein Beispiel, wo wir auseinandergedriftet sind in der Debatte, 




Aber mit dieser Einschränkung haben Sie recht. Wenn man die Alten sehr gut schützen würde, wäre das Problem längst nicht so groß. Letztlich ist doch nicht schlimm, das, was uns plagt, sind doch nicht die Infektionen. Was uns plagt, sind die Todesfälle unterm Strich oder vielleicht auch Long-COVIDDauerschäden. Aber da scheint es so zu sein, das ist im Vergleich zu den Todesfällen ein im Moment nicht so zentrales Problem.




38:50





Camillo Schumann





Gut, dann warten wir ab, wie sich das Ganze entwickelt wird. Am 05. Januar wollen sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten erneut unterhalten. Dann wird es darum gehen, was dann ab dem 11. Januar gelten soll. Die Frage ist nur, ob es rein rechnerisch überhaupt möglich ist, bis dahin die Zahl auf 50 zu drücken. Sie hatten es ja schon so ein bisschen angekündigt. Schwierig, oder?





Alexander Kekulé




Naja, rein theoretisch kommt darauf an, wie sie rechnen. Bei Rechnungen haben wir immer den Charme, dass sie immer das rauskommt, was man, dass man dadurch, was man von vorne die richtigen Zahlen reinfüttert, beeinflussen kann, was hinten rauskommt. Und da ist es letztlich so. Also wenn Sie mitberücksichtigen, was ich eben vermute, dass wir viele Infektionen in häusliche Gemeinschaften haben. Die Leute, die zusammenwohnen, infizieren sich gegenseitig, weil der Staat ihnen auch zu wenig hilft bei der Quarantänisierung oder Isolation. Dann wird es so schnell nicht gehen. Sondern da wird es länger dauern, weil Sie wissen ja, 


Und hier wird es auch so sein. Ich glaube, ich glaube schon, dass es einen deutlichen Effekt gibt. Aber je nachdem, wie viele Infektionen wir in den Haushalten bekommen, kann es noch eine Weile dauern, bis sozusagen dieser Seitwärtsbewegung abgeschlossen ist.




41:2 7





Camillo Schumann





Und wir wieder bei 50 liegen. Inzidenz von 50 ja, wir sind gespannt. Also nächste Woche Donnerstag, das wäre dann ungefähr über eine Woche, knapp eine Woche nach dem harten Lockdown, dann sind wir dann gespannt, über welche Zahlen wir dann hier im Podcast berichten werden. 




Wir kommen zum Thema Impfung: ist auch das entscheidende Thema jetzt, in den letzten Tagen des Jahres. In der vergangenen Woche begann schon in Großbritannien eine großangelegte Massenimpfung, und als erster Mensch der Welt seit der Zulassung des Impfstoffs wurde die 90-jährige Britin Margaret Kenan geimpft. Sie bekam die Spritze in einem Krankenhaus in Coventry und danach rief sie ihre Landsleute auf, sich auch impfen zu lassen. Wir hören mal kurz rein:




„Do, please, go for it. That’s all I say, you know. If I can do it, well, so can you.”




Tja, wenn ich sie mit 90 bekommen kann, dann können sie es auch. Margaret Kenan hatte die Impfung gut vertragen, allerdings nicht 2 Mitarbeiter des staatlichen National Health Service. Sie hatten nach der Impfung schwere allergische Reaktionen. Und die britischen Aufsichtsbehörden, die riefen daraufhin eine Warnung für die Corona-Impfung von BioNTech und Pfizer aus. Jetzt ist natürlich die große Frage: Ist der zugelassene COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer wirklich sicher?





Alexander Kekulé




Naja, das ist an der Stelle bisschen dumm gelaufen, das muss man schon sagen. Die haben da für das Zulassungsverfahren, das ist ja bekannt, in der Größenordnung von etwas über 2 0.000 Personen geimpft und haben da die Nebenwirkungen genau beobachtet und haben ja berichtet, dass da keine wesentlichen Nebenwirkungen, also keine gravierenden Nebenwirkungen, aufgetreten sind. 




Da könnte man jetzt ein bisschen darüber erzählen, was überhaupt gravierende Nebenwirkungen sind, das wären schon sehr schwere Nebenwirkungen, die da drunter erfasst würden. Und von Allergien im größeren Umfang war also überhaupt nicht die Rede. Und dann fangen haben die also im UK, im Vereinigten Königreich, die als erstes die Zulassung ausgesprochen. Da kann man lange diskutieren, ob das jetzt nett von den Briten war oder nicht. Aber sie haben das einfach gemacht, den Impfstoff besorgt und losgelegt. 




Und da wurden am Anfang, wie man das halt so macht, haben sich wahrscheinlich ein paar im medizinischen Bereich impfen lassen von diesem National Health System dort. Und ausgerechnet unter den allerersten waren dann zwei, die diese allergischen Reaktionen gezeigt haben. Das ist ein bisschen dumm gelaufen, weil dadurch sieht es irgendwie so aus: Was haben die denn vorher für Studien gemacht, wo sie das nicht bemerkt haben, mit über 2 0.000 Leuten. Wenn dann bei den ersten zwei, so ungefähr, dann gleichsam eine Nebenwirkung auftritt. 




Man muss aber da ein bisschen genauer hinschauen. 


Wir unterscheiden ja bei den Impfungen zwischen der sogenannten Impfreaktion und den echten Nebenwirkungen. 




Und ich muss sagen, mir ist nicht ganz klar, ich kenne die Berichte, ob wir jetzt diese 2 Mitarbeiter von der National Health in Großbritannien, ob die jetzt nicht vielleicht einfach nur eine besonders starke Impfreaktion hatten. Also ob das eine echte Allergie war, das ist immer so schwierig, bei dem einen ist überhaupt nichts. Das kennt man ja bei den Kindern. Auch die eine wird geimpft, und man sieht fast nichts. Und dann kommt das nächste Kind, hat dann drei Tage einen riesigen, dicken, aufgeblähten Arm. Und man denkt was ist denn da passiert? Das hängt einfach mit der individuellen genetischen Veranlagung zusammen. Der eine reagiert da stärker, der andere schwächer. Und mein Eindruck ist, dass das einfach 2 Personen waren, die besonders starke Impfreaktionen hatten, aber nicht, dass es jetzt ein lebensgefährlicher allergischer Schock oder sowas gewesen sei.




45:50





Camillo Schumann





Man muss auch dazu sagen, den beiden ging es dann relativ schnell wieder gut . Die allergische Reaktion hat sich dann auch relativ schnell abgebaut. Und wenn man sich anschaut, die Studien dazu, dass Nebenwirkungen, also allergische Reaktionen bei 0,1 Prozent der Impfgruppe aufgetreten sind, ist das so ein normales Maß?





Alexander Kekulé




Das liegt im oberen Normalbereich, das ist nicht wenig. Es wäre ja jeder tausendste ungefähr. Das ist jetzt nicht gerade wenig. Man muss dazu sagen, also diese Impfreaktion, wenn die ausgelöst wird und häufig ausgelöst wird, dann sagen wir: Der Impfstoff hat eine hohe Reaktogenität, also der löst eine starke Impfreaktion aus. Und obwohl jetzt hier keine Wirkverstärker mit drinnen sind, also keine sogenannten Adjuvantien, haben diese RNA-Impfstoffe eine erstaunlich hohe Reaktogenität, also, die sind jetzt schon so, dass sie bei der Impfreaktion, kann ich schon mal so sagen, ganz schön reinhauen, dafür, dass da überhaupt kein Adjuvans mit dabei ist. 




Sie erinnern sich an die Adjuvans-Debatte. Das war bei dem Schweinegrippe-Impfstoff so, dass da so ein Wirkverstärker drinnen war, der sicher keine gute Idee war. Und es gibt aber andere Adjuvantien, die sind zum Beispiel durchaus den Impfstoffen, die auch Kinder kriegen, mit drinnen. Weil in anderen Situationen, wo man nur so ein bisschen Protein mit reingibt in den Impfstoff, da braucht man diesen Verstärker, damit überhaupt was passiert, sage ich mal, damit das Immunsystem überhaupt anspringt. 




Und deshalb ist es so, dass diese RNA-Impfstoffe erstaunlich reaktogen sind. Dieser ganz konkret von Pfizer/BioNTech wurde meines Wissens sogar extra so gemacht, dass er nicht zu reaktogen ist, weil wir andere kennen, wo die Impfreaktionen stärker waren. Deshalb ist es jetzt für mich zunächst mal nicht so schlimm. Ich meine, wir haben es hier mit einer potenziell tödlichen Erkrankung zu tun. Da kann man auch mal drei Tage mit einem dicken Arm rumlaufen nach der Impfung. Und es geht ja normalerweise weg.




47:51





Camillo Schumann





Nicht nur in Großbritannien, auch in den USA, Kanada, Israel, Bahrain sind ja die Impfungen schon angelaufen. Deutschland wartet dann noch ab. Hier soll erst geimpft werden, wenn die europäische Arzneimittelbehörde den Impfstoff freigibt, also eine ordentliche Zulassung vorliegt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisiert das. Sie fordert eine Notfallzulassung für den Corona Impfstoff von BioNTech/Pfizer, über den wir gerade gesprochen haben. Der Präsident der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der appelliert, möglichst früh mit dem Impfen zu beginnen. Und er hat gesagt ich frage mich, ob wir wirklich bis zum 2 9. Dezember brauchen, um in Europa eine Zulassung des Impfstoffs zu erreichen. Europa sollte auch versuchen, schon vorher eine Notfallzulassung zu schaffen. Sehen Sie das auch so, braucht es eine Notfallzulassung?





Alexander Kekulé




Naja, also da, ich kenne diese Meldung, bin ich etwas irritiert davon. Also, 




Und die Forderung, jetzt eine normale Zulassung oder diese Idee, dass es eine normale Zulassung geben wird von der Europäischen Arzneimittelbehörde, die ist von vornherein, glaube ich, falsch, das ist gar nicht der Gedanke. Was die EMA hier macht, diese europäische Behörde ist Folgendes. 




Das haben wir jetzt so ein bisschen entgegen dem ursprünglichen Geist des Gesetzes, die Briten einfach gezogen, diesen Paragrafen, und gesagt jetzt machen wir eine nationale britische Zulassung. Boris Johnson guckt hier natürlich auch auf den 31.12 ., wo das Vereinigte Königreich sowieso raus ist aus der EU. Und wenn die Scheidung schon beschlossen ist, dann ist man halt zu dem Ex nicht mehr so freundlich wie vorher. Außerdem ist es ja so, die haben natürlich einen kleinen strategischen Vorteil gehabt, taktischen Vorteil gehabt. Und zwar hat Großbritannien einen bilateralen Vertrag mit Pfizer/BioNTech geschlossen. Also die hatten einen Privatvertrag sozusagen, vielleicht auch im Hinblick auf den geplanten Austritt. 




Und wir alle anderen hängen an dem EU-Vertrag dran, 




53:46





Camillo Schumann





Heute hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch einmal Druck aufgebaut über die Medien auf einer Pressekonferenz zusammen auch mit RKI-Chef Wieler hat er gesagt, dass er mit einer Zulassung noch vor Weihnachten rechnet.





Alexander Kekulé




Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass die Politik sich da zurückhält, und vor allem den Eindruck vermeidet, dass Politiker die Zulassungsbehörden unter Druck setzen würden. Klar, intern wissen wir alle, nachdem die britische Behörde das zugelassen hat, und das ist innerhalb des europäischen Verbunds immer eine von denen gewesen, die galten als eine der besten und auch als eine der schnellsten, das muss man dazu sagen. Die haben jetzt sicher nicht den Boris Johnson einen Gefallen getan, indem sie das so schnell zugelassen haben. Klar, dadurch, dass die das gemacht haben, ist für die anderen irgendwie ja logisch, wie sollte die EMA jetzt begründen, die europäische Behörde, dass sie das irgendwie nicht zulässt? Und in den USA, in Kanada, in Bahrain und in Großbritannien ist es zugelassen. 




Allerdings geht es natürlich auch um Feinheiten, zum Beispiel: 




Und so gibt es ebenso ein paar Randbedingungen, die wichtig sind, die in den Empfehlungen dann auch drin stehen. Und ich bin ziemlich sicher, dass das CHMP, dieses Komitee genau darüber diskutiert, was da im Detail, in der in der Zulassung drinnen steht und wie gesagt es ist eigentlich so eine Art Notfallzulassung. Eine reguläre Zulassung ist hier sowieso nicht geplant. Weil, nach der Zulassung werden die Daten ganz akribisch weiterhin erhoben. Auch das steht übrigens in der Zulassung, dann immer mit drinnen, welche Daten zu erheben sind und worauf man besonders achtet. Oder auch jetzt die aktuelle Sache. Sie haben es vorhin gesagt, bei National Health in Großbritannien gab es 2 Fälle von Allergien, sogenannten Allergien. Soll man das jetzt in den Beipackzettel schreiben, soll man empfehlen, dass es für Allergiker nicht geeignet ist? Da würde aber eine Riesenliste von Personen jetzt plötzlich dabei sein, jeder, der irgendwie mal Asthma hatte, Heuschnupfen, was weiß ich alles, Leute, die dann unsicher werden, ob sie es nehmen sollen. Ich glaube, das ist eine Frage, die sicherlich auch diskutiert wird. Und darum finde ich gut, dass die Fachleute des erstmal ausdiskutieren. Und man muss ja auch dazu sagen, wir haben ja so spät den Vertrag geschlossen. Ich glaube gar nicht, wenn jetzt die Zulassung nächste Woche käme, dass wir dann übernächste Woche hier ausliefern würden in Europa.




56:58





Camillo Schumann





Man muss ja auch dazu sagen, dass auch die Impfstoffe in der Gesamtzahl auch gar nicht so vorrätig sind. Sachsen-Anhalt, zum Beispiel, hat mit 12 0.000 Dosen fürs Erste gerechnet, bekommt nur 65.000. Kann also gar nicht alle impfen, die es impfen möchte. Also da beginnen ja schon die Probleme, obwohl der Impfstoff noch gar nicht da ist.





Alexander Kekulé 




Naja, das ist wieder so etwas nett politisch, diese Bilder von den Impfzentren. Da sehen wir riesige Turnhallen, irgendwelche Minister, die sich da ablichten lassen, wie das Rote Kreuz nebenbei trainiert die Impfungen und Leute sagen dann in die Kamera wir können hier 5.000 bis 10.000 Impfungen am Tag machen. Das hieße, bei der Zahl, die Sie gerade genannt haben, dass man nach einer Woche eigentlich das Impfzentrum schon wieder zumachen könnte. Und das wäre ja nur für eins noch. Außerdem muss man daran erinnern, völlig berechtigterweise sollen ja zuerst insbesondere in Altersheimen ältere Menschen geimpft werden. Das ist ganz, ganz wichtig. Und da brauchen Sie kein Impfzentrum, das machen mobile Teams.




57:57





Camillo Schumann





Da haben wir uns wieder verquatscht, Herr Kekulé. Und das mit belegter Stimme. Wir kommen aber noch zu den Hörerfragen. Eine schaffen wir auf jeden Fall. Herr D. hat eine Mail geschrieben:




„Wenn meine Frau ihre Mutter im Pflegeheim besucht, muss sie sich dort zuvor einem Schnelltest unterziehen. Angenommen, sie wäre dabei COVIDpositiv, würde dadurch die Zahl der Neuinfektionen in Berlin um eins steigen? Also werden diese Schnelltest-Ergebnisse mit draufgerechnet auf die positiven Gesamtzahlen-Ergebnisse?“





Alexander Kekulé




Ja, wenn es nach dem Gesetz zugeht, ja, das ist meldepflichtig. Und zwar, da diese Tests ja letztlich im weitesten Sinne von Ärzten gemacht werden müssen, die sind ja nicht freigegeben für die Allgemeinbevölkerung, ist dann immer der Arzt, der den Test gemacht hat oder auch das Fachpersonal, was den Test gemacht hat zur Meldung verpflichtet. Und damit wird es auch. Das Schnelltest-Ergebnis wird dann auch gemeldet.




58:47





Camillo Schumann





Damit sind wir am Ende von Ausgabe 130, und es gibt es mal wieder eine gute Nachricht zum Schluss. Und weil Sie die belegte Stimme haben, würde ich jetzt die positive Meldung zum Schluss mal verkünden, wenn sich nichts dagegen haben.





Alexander Kekulé




Ja, aber Sie müssen dann singen.





Camillo Schumann





Nein, das ist auch verboten jetzt. Die Weltgesundheitsorganisation hat eine sehr beruhigende Weihnachtsbotschaft an alle Kinder ausgesandt. Der Weihnachtsmann kann trotz der Corona-Pandemie um den Globus reisen, um seine Geschenke zu verteilen. Die für die Bekämpfung der Pandemie zuständige WHO-Expertin Maria van Kerkhove hat gestern bei einer Pressekonferenz in Genf gesagt, der Weihnachtsmann sei immun gegen das neuartige Virus. Sie und ihre WHO-Kollegen hätten kurz mit dem Weihnachtsmann gesprochen. Ihm und seiner Frau gehe es gut. Sie hätten natürlich derzeit viel zu tun. Auch berichtet




sie, dass die WHO von zahlreichen Regierungen erfahren habe, dass diese ihre wegen der Pandemie verhängten Einreiseund Quarantäne-Regeln speziell für den Weihnachtsmann gelockert hätten. Also, der Weihnachtsmann kann die Geschenke bringen. Das sind doch beruhigende Nachrichten, oder?





Alexander Kekulé




Das ist super, und außerdem bin ich ganz sicher, dass er nicht im Altersheim lebt.





Camillo Schumann





Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.





Alexander Kekulé




Bis dann, tschüss, Herr Schumann.





Camillo Schumann





Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00. Kekulés CoronaKompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.




MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Samstag, 05. Dezember 2 02 0
#12 9 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial


Jan Kröger, Moderator
MDR aktuell – Das Nachrichtenradio



Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle




MDR Aktuell „Kekulés Corona-Kompass“




Jan Kröger


Damit herzlich willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Höhrerfragen Spezial, nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.




Alexander S. Kekulé


Guten Tag.




Jan Kröger


Herr Kekulé, wenn ich mir so einen Überblick verschaffe über das, was unsere Hörerinnen und Hörer interessiert. Dann schaue ich auch immer so nach dem Top-Thema. Und in dieser Woche gab es viele Fragen zum Thema Schnelltests. Da spielt Weihnachten schon eine Rolle. Da geht es natürlich um die Frage, wie komme ich an diese Schnelltests heran, wenn ich meine Familie noch mal vor dem Fest rund um durchchecken will, sozusagen. Da sagen einige schon, es ist gar nicht so leicht. Selbst wenn man einen befreundeten Arzt hat. Haben Sie da weitere Tipps?




Alexander S. Kekulé


Das kommt, glaube ich, auf die lokale Verteilungssituation an. Natürlich ist es so, dass jetzt die ganzen Altenheime angefangen haben, im großen Stil Schnelltests einzukaufen. Auch die Betreiber von Altenheimen haben das gemacht. Da gehen natürlich große Mengen weg. Es ist so, dass auch Leute, die Veranstaltungen betreuen, inzwischen so einen Service anbieten, wenn sie eine größere Veranstaltung haben. Da können sie jemanden buchen, der dann kommt und die Tests macht. Die haben sich natürlich auch eingedeckt. 




Und ich schätze auch, dass viele Ärzte für sich und man möchte es ja nicht unterstellen, aber möglicherweise für ihren Bekanntenkreis die Tests gekauft haben. Offiziell ist es aber so, es gibt keine Lieferengpässe. Weil die Großhändler für die Tests sind ja bundesweit mehr oder minder die gleichen. Dass ist in der Hand von einigen wenigen Unternehmen. Und die Apotheken können das meines Wissens, zumindest Stand vorgestern, bei Großhändlern noch ordern. Das heißt also, wenn man wirklich will, muss man diese Schnelltests bekommen. Ich weiß, dass es einzelne, glaube ich sogar im Hörer-Bereich mal Leute gab, die gesagt haben: „Ja, bei mir in der Apotheke funktioniert es aber nicht.“ Das ist aber dann glaube ich eher ein lokales Problem. Bundesweit sind die im Moment noch nicht ausverkauft.




Jan Kröger


Antigen-Tests haben Sie schon angesprochen. Sie sollen zum Einsatz kommen in den verschiedensten Einrichtungen. Passend dazu hat uns eine Frage erreicht von Herrn V. aus Heidenheim. Er arbeitet in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen und schreibt: „Wir freuen uns schon ungeheuer auf die lange versprochenen Antigen-Tests. Falls die wirklich mal bei uns ankommen. Wir überlegen uns, wie wir die für Rückkehrer aus Wochenend-Beurlaubung einsetzen können, um die Mitbewohner einer Wohngruppe zu schützen. Wann und wie oft sollte man mit solchen Rückkehrern Antigen-Tests einsetzen?“


Alexander S. Kekulé


Die Antigen-Tests – das kann man ganz pauschal sagen – das ist meine persönliche Einschätzung, da glaube ich, wird es sich bei den Virologen ein bisschen unterscheiden. Aber nicht groß. Die sind einen Tag lang gültig. Also wenn Sie morgens einen Test machen, dann können Sie davon ausgehen, dass Sie an diesem Tag nicht infektiös sind. Das ist keine Garantie. Das reicht aber aus für den Alltag, wie es gerade beschrieben wurde. Bei einer PCR würde ich sagen, falls man mit der wesentlich empfindlicher PCR-Methode arbeitet, kann man sicherlich sagen, 48 Stunden, also 2 Tage lang. Dann müsste es wirklich ganz dumm gelaufen sein, wenn man doch noch positiv wird. Also das sind so die 2 Fenster, einen Tag oder 2 Tage. Und da muss man halt überlegen, in welcher Lage man ist. Also wenn man jemanden hat, der dann als nächstes im Heim arbeitet und wirklich ganz gefährdete Personen … Schwerbehinderte oder vor allem Alte dann betreut. Und so eng mit denen sein muss, dass er Infektionen nicht verhindern kann. Dann müsste man so jemand im Anti-Gentest rein theoretisch täglich testen. Und darum plädiere ich dafür, für solche Personen, die also ganz kritisch sind, weil sie andere wirklich in übelster Weise so infizieren können, dass es gesundheitliche Schäden nach sich zieht. Dass man die nicht mit Antigen testet, sondern vielleicht zweimal die Woche mit PCR testet. So ist so das Spektrum. Und das muss man dann im Einzelfall entscheiden, was das Beste ist.




Jan Kröger


Das war dieses Beispiel eben eines Wohnheims für psychisch kranke Menschen. Nun gibt es ein weiteres Beispiel, das jetzt auch diese Schnelltests massenhaft in Kitas und Schulen eingesetzt werden sollen. Was halten Sie davon?




Alexander S. Kekulé


Natürlich halte ich da sehr viel von. Das habe ich ja nicht nur in meinem Buch, sondern auch in diesem Podcast schon seit Monaten dringend gefordert. Vielen Dank, dass das jetzt kommt. Weil ich eben der Meinung bin, dass Kitas und Grundschulen in einer Situation sind, wo man eigentlich dieses Maskentragen nicht ernsthaft durchsetzen oder auch erwarten kann. Die Pädagogen sagen auch, dass es gerade dort besonders viele nachteilige Effekte hat. Das ist für mich deshalb eine Ausnahmesituation. Sonst finde ich, müssen wir einfach überall Maske tragen. Dann können wir dieses Problem in den Griff bekommen. Aber das ist eine Ausnahmesituation, wo ich sagen würde, da ist eben der Schnelltest statt der Maske sinnvoll und selbstverständlich. Klar, dass die Tests dort zur Verfügung gestellt werden, ist richtig und war dringend notwendig. Man muss sicherlich bisschen ein erklären, wie das gemacht wird. Weil nicht jeder so auf Anhieb sagt: „Das kann ich hier.“ Aber ich bin der Meinung, dass das wirklich jeder, der jetzt sage ich mal da keine Hemmungen hat, jemand anderen einen Rachenabstrich zu machen. Dass das  jeder lernen kann und das genauso gut machen kann, wie medizinisches Personal.




Jan Kröger


Das Thema Schnelltest wird uns in den nächsten Wochen noch begleiten. Das gilt auch für das nächste große Thema. Es gibt weiterhin viele Fragen zum Thema Impfung. Zum Beispiel hat uns dieser Anruf hier erreicht.




Zuhörerin


Was passiert, wenn ich zum Zeitpunkt der Impfung unerkannt oder symptomlos an Covid akut erkrankt bin? Gibt es da irgendeine Gefahr bzw. müsste das vor einer Impfung getestet, geprüft werden?




Alexander S. Kekulé


Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen das nicht. Also grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass geimpft wird. Ich bin auch von den Daten, die bis jetzt veröffentlicht sind … das sind ja noch nicht so viele. Habe ich überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Impfstoffe wirksam und sicher sind. Aber man muss fairerweise sagen, sie wurden an bestimmten Gruppen noch nicht ausprobiert. Dazu gehören Kinder, Schwangere und stillende Mütter. Und es wurde auch in keiner Weise ausprobiert, jetzt praktisch ausprobiert: Was passiert eigentlich, wenn ich jemanden impfe, der unerkannt Covid-19 durchgemacht hat? Und das ist ja nicht so selten, weil wir wissen, dass diese Erkrankung – Schätzungen liegen da bei 50 Prozent – komplett asymptomatisch verlaufen kann, ohne Symptome. Da ist es natürlich so jemand, der das durchgemacht hat. Der hat natürlich Antikörper im Blut. Der hat Zellen im Blut, die können Viren erkennen und dann auch andere Zellen fressen und zerstören, in denen dieses Virus drinnen ist. Und dadurch ist zu erwarten, dass, wenn jetzt hier so ein Virusprotein produziert wird. Das ist also bei diesen RNA-Impfstoffen ja so. Man gibt da so ein kleines Stück Erbinformation des Virus in die Spritze und spritzt es in den Muskel. Daraufhin fangen die körpereigenen Zellen an, mit dieser Gebrauchsanweisung quasi so ein Stück von dem Spike dieses Coronavirus zu produzieren. Also diese Stachel, die da herausstehen und dem Virus auch seinen Namen gegeben haben. Und jetzt sieht das Immunsystem: Hoppla, da ist ja so ein Teil von dem Virus, das muss weg. Und wenn das Immunsystem natürlich schon vorher mal aktiviert war gegen dieses Virus durch eine unerkannte Corona-Infektion, dann wird diese Reaktion stärker ausfallen. Und wir wissen, dass RNA-Impfstoffe sowieso relativ stark reaktogen sind, wie wir sagen. Also die Reakto-Genität von so einem Impfstoff bedeutet nicht, dass es eine klassische Nebenwirkung hat. Sondern dass die Impfreaktion stark ist. Also diese Rötung an der Stelle, die so eine Entzündung ist. Manchmal tut es auch weh. Bis hin vielleicht sogar zu so einem fiebrigen Gefühl nach der Impfung. Das ist ja tatsächlich eine gewünschte Wirkung, weil das ja bedeutet, der Körper reagiert auf den Impfstoff und baut diese Abwehrkräfte auf. Wir nennen das eben daher nicht Nebenwirkungen in dem Fall. Sondern da unterscheidet man dann sauber eine Impfreaktion von einer unerwünschten Nebenwirkung. Wenn man es genau macht. Also die Schwellung am Arm ist eine Impfreaktion zunächst mal und noch keine unerwünschte Nebenwirkung. Klar, wenn sie zu stark wird, ist es natürlich dann auch unerwünscht. Und wir wissen, die RNA-Impfstoffe sind gut. Die brauchen zum Beispiel keinen zusätzlichen Wirkverstärker, diese sogenannten Adjuvanzien, die wir früher mal hatten, zum Beispiel bei der Schweinegrippe-Impfung. Die werden hier nicht gebraucht, weil die sowieso sehr stark reaktogen sind. Und jetzt ist natürlich die Frage, was passiert bei jemand, wenn man so einen reaktogenen Impfstoff gibt und der hat schon eine Immunantwort dagegen? Das ist noch nicht ausprobiert ausprobiert worden. Das muss man offen sagen. Das wird man jetzt in der sogenannten … In der Vigilanz-Phase, das heißt dann Pharmakovigilanz oder auch Post-Marketing-Phase. Da wird dann eben analysiert, wie oft sowas dann auftritt. Reagieren die wirklich stärker? Wie ist es zum Beispiel bei Kindern, die sowieso stärker reaktogen reagieren oder reagieren? Das muss man offen sagen. Das wird man dann beobachten, wenn angefangen wird zu impfen.




an Kröger


Dann haben uns Fragen erreicht über den Zusammenhang oder ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Grippeschutzimpfung und der Corona-Impfung. Ich mache es mal konkret: „Sehr geehrter Herr Kekulé, ich bin 63 Jahre alt und wurde am 30. November gegen Influenza geimpft. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit habe ich die Chance, eventuell in Kürze priorisiert gegen Covid-19 geimpft zu werden. Gibt es Erkenntnisse zum zeitlichen Abstand?“




Alexander S. Kekulé


Nein, da gibt es keine Erkenntnisse, weil die Covid-19-Impfung ja komplett neu ist. Und man hat bei den Phase-drei-Studien, die gelaufen sind, nicht so eine Kombination von Impfungen mit ausprobiert. Da ist eigentlich nur ganz simpel gemacht worden: Die Menschen wurden geimpft. Vier Wochen später noch mal. Und dann hat man bei denen, die geimpft wurden, und einer anderen Gruppe, die ein Placebo bekommen hat, das unwirksam ist… hat man verglichen, wie häufig bekommen die Symptome. Also man hat nicht einmal mit der RNA-Testung nachgeschaut, sondern einfach nur: Bekommen die Symptome, oder nicht. Alles andere zum Beispiel Kombination mit der Influenza-Impfung und andere Einflüsse, die es ja auch noch geben kann. Das wird jetzt im Nachgang noch untersucht. Deshalb sind es ja vorläufige Zulassungen oder auch Notfallzulassungen. Wo eben Auflagen bestehen, noch bestimmte Dinge weiter zu beobachten und zu analysieren. Da wird das mit diesen weiteren Impfungen, ob es jetzt Influenza oder was anderes ist, selbstverständlich mit dabei sein. Aber jetzt mal so praktisch gesehen ist es so. Der Influenza-Impfstoff ist einer der sichersten, den wir überhaupt haben. Deshalb würde ich sagen, sofern man es jetzt nicht genau am gleichen Tag macht, davon würde ich abraten. Es ist es kein Thema, die Influenza-Impfung und die Covid-19-Impfung sage ich mal in relativ nahem Zusammenhang zu bringen. Mein Vorschlag wäre … weil wir wissen, dass die Influenza-Impfung weniger reaktogen ist. Der Impfstoff ist weniger reaktogen als der Covid-19-Impfstoff. Erst Influenza zu machen, dann vielleicht, wenn man kann, fünf Tage oder eine Woche zu warten und dann Covid-19. Das basiert jetzt überhaupt nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die gibt es, wie gesagt, nicht. Aber ich sag mal so als jemand, der viele Jahre so Impfungen gemacht hat. Das wäre es so meine Daumenpeilung, mein Bauchgefühl, dass man es in dieser Richtung machen sollte.




 Jan Kröger


Da ist also sozusagen die Querverbindung zur Grippe. Eine weitere Querverbindung, jedenfalls aus der eigenen medizinischen Geschichte, hat diese Hörerin. Hier ihre Frage:




Zuhörerin


Ich habe vor 2 0 Jahren Brustkrebs gehabt und habe demzufolge auch eine Chemotherapie durchgeführt. Da ich weiß, dass die Chemotherapie das Blutbild angreift, besonders die Gedächtniszellen, die Killerzellen. Frage ich mich, ob ich jetzt, wenn ich eine Impfung bekomme, dadurch in irgendeiner Weise stärker gefährdet bin zu erkranken?




Alexander S. Kekulé


Ja, das könnte man in 2 Richtungen die Frage stellen. Ist es vielleicht so, dass die Impfung weniger gut wirkt bei jemandem, der eine Chemotherapie hinter sich hat? Und die andere wäre: Ist zu erwarten, dass es mehr Nebenwirkungen geben könnte? 




Für beides haben wir überhaupt keine Hinweise. Also es ist ja ganz viele Menschen, die Chemotherapie schon mal durchgemacht haben in ihrem Leben und die dann eigentlich glücklicherweise quasi geheilt sind. Die Medizin ist ja manchmal auch erfolgreich. Und wir haben bei diesen Personen jetzt bei keiner Impfung festgestellt, dass die dann grundsätzlich weniger gut schützt oder weniger wirkt, wenn ich mal so sagen darf. Und das Gleiche gilt für die Nebenwirkungen. Da ist jetzt also nicht bekannt, dass eine vor langer Zeit durchgemachte Chemotherapie irgendwie einen Einfluss darauf hätte, ob es mehr Nebenwirkungen gibt oder nicht. 




Was man natürlich nicht empfehlen würde, jemand, der gerade unter Chemotherapie steht, jetzt einen stark reaktogenen Impfstoff zu geben. Da würde man sicher das mit dem Arzt absprechen. Und dann auch unter ehr strenger ärztlicher Aufsicht machen, wenn es dafür eine Indikation gibt. Aber zurückliegende Chemotherapien sind überhaupt keine Kontraindikationen.




Jan Kröger


Dann hat er uns Frau G. aus Leipzig angerufen. Sie hat eine Frage, die angesichts steigender Todesfälle sicherlich für viele Menschen von Bedeutung ist.




Hörerin


Eine Freundin hat berichtet, dass die Schwiegermutter sich im Krankenhaus mit Corona infiziert habe und gestorben sei. Und jetzt soll die Beerdigung außerhalb der Stadt stattfinden. Also nicht auf dem städtischen Friedhof. Und die fragt jetzt, ob Corona-Kranke Verstorbene noch ansteckend sind oder ob es möglich wäre, die Schwiegermutter auch noch mal zu berühren. Und ob das überhaupt notwendig ist, Corona-Verstorbene außerhalb von normalen Friedhöfen zu bestatten.




Alexander S. Kekulé


Also, das ist natürlich so, wir in Deutschland haben bei diesen Vorschriften einen Flickenteppich. Und da kann letztlich die Gemeinde das meines Wissens entscheiden. Möglicherweise sogar der Friedhof-Betreiber selbst. Das wäre dann unter Umständen die Kirche. Rein virologisch ist es so: Ja, eine Leiche ist natürlich, wenn sie jetzt an Covid-19 verstorben ist, eine Zeitlang potenziell ansteckend. Aber diese Viren... wenn der Organismus tot ist, in dem die Viren drinnen sind. Dann sterben die Viren auch. Also, die bleiben nicht beliebig lange ansteckend. Und es ist natürlich auch die Frage, wie geht man mit einem Verstorbenen dann um? Selbstverständlich kann man auch jemanden so in den Sarg bringen, dass es hier nicht zur Ansteckung kommt, weder des Personals noch zu irgendwelchen Personen bei der Beerdigung.




Und wenn derjenige dann unter der Erde ist, dann ist sowieso eigentlich das Thema erledigt, weil die Zeit, die dann das, was dann danach eintritt in den nächsten Tagen und Wochen auch dazu führt, dass das Virus inaktiviert wird. Daher gibt es Prozeduren, das zu machen. Ich sehe auch spontan keinen Unterschied, warum jetzt der Friedhof im Ort anders sein sollte als der außerhalb des Ortes. Das erinnert mich ein bisschen an die Pest, wo man ja bekanntlich die Pesttoten auch immer außerhalb der Stadtmauern verbrannt hat. Das halte ich jetzt spontan für ein bisschen übertrieben. Ich kann aber nicht die ganz konkreten Gründe nachvollziehen. Es kann natürlich sein, dass das irgendetwas damit zu tun hat, dass vielleicht in dem einen Bestattungsinstitut, was für die Stadt zuständig ist, bestimmte Möglichkeiten nicht gegeben sind, die in einem anderen vorhanden sind. Weil natürlich so einfach, so völlig unbedarft, darf man eine Leiche nicht unter die Erde bringen, wenn sie infektiös ist. Berühren? Aus meiner Sicht ja. Man muss halt nur wissen, dass es dann eben so ist, dass man möglicherweise die Viren hinterher an der Hand hat. Das heißt, es wäre zu empfehlen, sich dann nicht ins Gesicht zu fassen oder jemand anderen die Hand zu geben als nächstes. Sondern man sollte, wenn man jetzt einen Corona-Patienten, egal, ob er lebt oder verstorben ist, berührt hat, sich tatsächlich dann konsequent, bevor man irgendetwas anderes anfasst, die Hände waschen. Und zwar in dem Fall doch mal gründlich. Und wenn keine Seife und Wasser zur Verfügung steht. Das wäre das einer der seltenen Fälle, wo Desinfektionsmittel sinnvoll wären.


Jan Kröger


Frau W. hat uns geschrieben. Sie fragt: „Haben Sie weitere Infos zur Ansteckung im Flugzeug?“ Sie bezieht sich auf einen konkreten Fall bei einem Flug von Dubai nach Neuseeland. Da hat ein Schweizer Passagier sieben andere infiziert. Bevor er an Bord gegangen war, hatte er einen negativen Test vorgelegt. Frau Wichmann fragt sich nun, ob der negative Tests ein Schnelltest oder die PCR war? Und welche Masken die Leute trugen. Sicherlich keine FFP2 -Masken, oder?




Alexander S. Kekulé


Das ist tatsächlich das Problem im Flugzeug. Man sitzt da ja doch ziemlich lange zusammen. Das ist ja eine ganz lange Strecke, um die es hier ging. Und da muss man jetzt sagen, wenn man jetzt irgendwo in Dubai so einen Schnelltest sich besorgt und dann einen Zettel vorlegt. Dann ist natürlich schon die Frage, ist es jetzt nach den Kriterien des Robert-Koch-Instituts gemacht worden? In Deutschland heißt es immer: diese Tests, die da vorgelegt werden. Die Testergebnisse, die müssen nach den Maßgaben des RKI gemacht werden. Und selbst wenn man das ordentlich macht, muss man einfach dazu sagen. Das ist ja ganz klar. So ein Test ist kein echter, sicherer Test, wie vielleicht der Lackmustest, den man immer noch aus der Schule kennt. Wenn es da rot wird, dann ist es einfach eine Säure gewesen und sonst eine Base. So klar ist das hier nicht. Wir haben halt einfach tatsächlich falsch-negative. Darum würde ich mich niemals im Flugzeug darauf verlassen, dass die anderen getestet sind und nichts passieren kann. Sondern bei so einer Langstrecke, wenn es unbedingt sein muss. Besser ist es ja, das zurzeit zu vermeiden. Ich würde definitiv mindestens eine FFP2 -Maske aufhaben und zwar durchgehend. 




Ich kann vielleicht an der Stelle noch sagen, es gibt leider das Problem. Ich finde es ziemlich unsinnig, das verboten wurde, dass Masken mit Ausatem-Ventil im Flugzeug genommen werden. Meines Wissens nach hat American Airlines damit angefangen und inzwischen haben das andere übernommen. Auch die Deutsche Lufthansa. Es gibt wenige Regelungen, die ähnlich unsinnig sind wie diese. Weil ja natürlich eine FFP2  oder FFP3-Maske mit Ausatem-Ventil einen ähnlichen Schutz bietet wie ein normaler Mund-Nasen-Schutz. Weil bei einem Mund-Nasen-Schutz oder sogar einer selbstgebastelten Maske geht natürlich häufig sehr viel Luft an der Seite vorbei, wenn nicht sogar zum Teil alles. Wenn ich mir so die Konstruktionen so mancher Nähkräfte anschaue, Hobbynäher anschaue. Das darf man aufsetzen. Und ganz konkret, wenn dann die Getränke ausgeteilt werden, dann dürfen Sie sowieso die Maske absetzten zum Trinken. 




Und kürzlich saß ich mal im Flugzeug, weil ich unbedingt fliegen musste. Da haben dann 2 Herren vor mir kurz nach dem Start sofort was zu trinken bekommen und haben dann wirklich bis ganz kurz vor der Landung sich durchgehend unterhalten mit abgenommener Maske, weil sie ja ein Glas Wasser vor sich stehen hatten. Aber wenn Sie eine FFP3-Maske aufhaben, dann müssen Sie die absetzen. Sie werden vom Personal genötigt, die abzusetzen, wenn die ein Aus-Atemventil hat. Also das ist verbesserungsfähig. Aber ich würde trotzdem dringend dazu raten. Wenn Sie die Möglichkeit haben, setzen Sie so eine Maske auf. Es gibt 2 Möglichkeiten: Entweder eine ohne Ventil. Wenn man damit gut klarkommt. Oder was auch akzeptiert ist, dass man tatsächlich eine mit Ventil aufsetzt, Das ist bei so einer Langstrecke angenehmer, weil man dann weniger Atem-Widerstand hat. Aber dafür über diese Maske drüber, so lächerlich das klingt noch mal den OP-Mundschutz. Den darf man beliebig locker drüber machen. Ich glaube, man dürfte theoretisch wahrscheinlich auch einen Nylonstrumpf darüber ziehen, sobald da irgendetwas drüber ist. Da ist das dann wieder in Ordnung. Das wäre die Methode, so lange eine Langstrecke durchzustehen. Und dann wirklich nur ganz kurz die Maske absetzen, zum Wasser trinken und wieder aufsetzen. Dann sind Sie im Flugzeug sicher.




Jan Kröger


In dem Fall mit dem Flugzeug. Da ging es um einen Schweizer Passagier. Jetzt schauen wir zum Abschluss noch einmal auf die Schweiz als Ganzes. Könnte man sagen: Peter M. hat unter anderem die Bild-Zeitung gelesen in dieser Woche mit der Überschrift „Das Corona-Wunder von Bern“. Er beschreibt es folgendermaßen: „Anders als in Deutschland halbieren sich seit den letzten nationalen Anpassungen der Maßnahmen die Fallzahlen in der Schweiz alle 2 Wochen. In Deutschland stagnieren sie. Einigkeit über den Kurs gibt es in der Schweiz auch nicht. Und wie in Deutschland gibt es ein föderales Durcheinander. Disziplinierter und obrigkeitsgläubiger dürften die freiheitsliebenden Schweizer auch kaum sein. Was also macht den Unterschied? Können wir daraus schon etwas lernen?




Alexander S. Kekulé


Das wüsste ich auch gerne. Man darf ja auch mal bei einer Frage sagen, dass man die Antwort nicht genau weiß. Meine Hypothese ist, wir wissen es nicht wirklich. Meine Hypothese ist, dass das wirklich sozusagen im Mikrokosmos stattfindet. Was passiert ganz konkret zwischen den Menschen? Und da scheint es so zu sein, dass die Schweizer eher einen Weg gefunden haben, damit umzugehen. Man muss einfach im Alltag beachten, wo man sich infizieren kann. Das ist ja ganz einfach im geschlossenen Raum. Wenn ich jemand gegenüber bin, habe ich mindestens einen OP-Mundschutz oder eine ähnliche einfache Maske auf. Wenn ich in die Verlegenheit komme, das nicht haben zu können und trotzdem in den Raum muss, dann lasse ich mich testen oder versuche, zumindest die Zeit zu verkürzen. Und wenn die Bevölkerung das verstanden hat und sich im Kleinen daran hält, dann kann man das nicht messen. Das sehen sie nicht auf den Fernsehbildern der Fußgängerzone, die da immer gezeigt werden, was die zu Hause machen. Und da ist mein Verdacht einfach, dass irgendwie in der Schweiz bei der Bevölkerung mehrheitlich der Groschen einfach gefallen ist und die sich halbwegs an diese Regeln halten. Anders kann es eigentlich nicht sein. Das heißt aber umgekehrt …  ist es ja auch eigentlich der Fingerzeig in die Richtung, wie wir mit dieser Krankheit umgehen können. Das heißt, wir müssen eigentlich so ein paar einfache Regeln in unserem Alltag beherrschen und drauf haben. So wie wir seit der Kindheit die Regel haben, wenn du auf der Toilette warst, wäscht du dir als nächstes mal die Hände. Da sind wir auch irgendwann mal darauf trainiert worden. Und ich glaube, wenn wir das so machen, dann kommen wir da ganz gut durch. Das ist mein Verdacht, warum das in der Schweiz gerade ganz gut läuft. Weil es ist ja in der Tat so. Das wissen vielleicht nicht alle. Es sind ja tatsächlich die Kneipen noch offen in der Schweiz. Sie können noch in die Gaststätte gehen. Ich glaube Discos nicht. Aber Gaststätten und so sind noch offen. Und das ist ja in der Tat erstaunlich, dass die in dieser Situation zumindest keine steigenden Fallzahlen haben.




Jan Kröger


Das war Ausgabe 12 9 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. In der nächsten Ausgabe am Dienstag wird dann mein Kollege Carmelo Schumann wieder Ihr Gesprächspartner sein. Mich hat es sehr gefreut, in dieser Woche mit Ihnen zu sprechen. Noch mal Danke und bis bald.




Alexander S. Kekulé


Gerne. Vielen Dank auch an Sie, Herr Kröger. 




Jan Kröger


Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören auf MDRAktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und die kompletten Sendungen zum Nachlesen finden Sie auf MDRAktuell.De


 




MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 3. Dezember 2 02 0 #12 8.


Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle




Links zu Studien: 1. Chinesische Wissenschaftler sehen den


Ursprung des SARS-CoV-2  in Indien. Von dieser Studie ist nur noch das einleitende Abstract einsehbar: https://europepmc.org/article/ppr/ppr2 41 540


2 . 2 Studien über die Wirkung von Mundwasser gegen Coronaviren im Rachenraum: eine aus Cardiff (https://academic.oup.com/function/articl e/1/1/zqaa002 /5836301) und aus Bochum (https://academic.oup.com/jid/article/2 2 2  /8/12 89/5878067).




Jan Kröger


Donnerstag, 3. Dezember 2 02 0. Die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland werden bis zum 10. Januar verlängert. Darauf haben sich die Kanzlerin und die Länderchefs gestern geeinigt. Angela Merkel sagt zwar, im Grundsatz bleibt der Zustand, wie er jetzt ist, doch einzelne Ministerpräsidenten denken zunehmend über Verschärfungen nach. Vor ziemlich genau einem Jahr wurde bei einem älteren Mann in Wuhan erstmals das festgestellt, was wir inzwischen COVID-19-Symptome nennen. Rund um diesen Jahrestag bemüht sich China offenbar wieder verstärkt darum, den Ursprung der Pandemie trotzdem woanders zu suchen. Das wollen wir heute noch einmal thematisieren. Und wir schauen auf die Frage, wie sicher es denn tatsächlich ist, in diesem Winter Skifahren zu gehen.


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator im


Nachrichtenradio MDR Aktuell. In dieser Woche vertrete ich Camilo Schumann, den Sie sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, gestern Abend hat die Politik, also die Bundeskanzlerin und die Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz mitgeteilt, die gegenwärtigen Ausgangsbeschränkungen werden bis zum 10. Januar verlängert. Ich muss zugeben, mich als politischen Journalisten hat es ein bisschen überrascht. Der Zeitpunkt der Ankündigung, ich habe auch noch mal geschaut in der Terminübersicht, da war vorgesehen, zum Beispiel über Betreuung von Grundschülern zu sprechen bei dem Treffen gestern, über Bürokratieabbau, auch über Corona-Pandemie. Aber waren Sie überrascht, dass gestern schon diese Einigung kommen ist?


01:48



Alexander Kekulé


Ja, das war ich tatsächlich. Also vorher war ich überrascht, dass man für Weihnachten so bereits einen Monat vorher kommt, quasi gesagt hat, dass es da Lockerungen geben soll. Das war ja relativ sportlich. Und jetzt geht man also noch weit über Weihnachten hinaus mit einer Prognose, die eigentlich in die andere Richtung schlägt, nämlich, dass man diese Maßnahmen weiter aufrechterhalten will.


Das Problem ist: letztlich jede Maßnahme, die man ergreift, ist antipandemisch. Also zum Beispiel, dass man sagt, wir schließen jetzt mal die Gaststätten. Das hat in dem Moment, wo man es macht, einen gewissen Effekt. Dieser Effekt ist immer am stärksten in dem Moment, wo es eingeführt wird, weil da sich die Leute noch am konsequentesten daran halten. Wir sehen ja zum Teil sogar die Effekte schon bevor es beschlossene Sache von der Politik ist. Und dann passiert Folgendes: Nach einer Weile


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ist es so, dass diese Maßnahme ihre Wirkung gezeigt hat. Dann ist, wenn man so will, dieser Böller verpufft, wenn man das so nennen darf, aber das war es dann auch. Also da wird man durch weiteres Aufrechterhalten genau der gleichen Maßnahme keine stärkere Bremsung hinkriegen, sondern die Bremsung bleibt dann, wenn es gut läuft, auf der gleichen Intensität. Wenn es schlecht läuft, ist es so – was wir in der Praxis häufig sehen – dass die Menschen sich dann nach und nach immer weniger daran halten. Der Mensch ist halt einfach so. Im ersten Moment gibt er sich Mühe und nach einem Monat oder so ist er es dann auch irgendwie leid. Und viele sind dann nicht mehr ganz so strikt bei den Maßnahmen. Sodass ich nicht verstanden habe, ganz ehrlich gesagt, für mich hätte es jetzt eigentlich 2 Interpretationen gegeben. Entweder hätte man gesagt okay, wir sind auf dem richtigen Weg. Dann hätte ich mal alles so laufen lassen, vielleicht bis kurz nach Silvester. Oder man hätte gesagt, wir müssen dringend nachjustieren, was ja einige Ministerpräsidenten wohl auch wollten. Dann muss man aber jetzt schärfere Maßnahmen ergreifen, noch nicht bis 11. Januar warten.


03:39


Jan Kröger


Das deutet sich schon so ein bisschen an, dass es wieder losgeht in diese Spaltung, je nach Infektionsgeschehen in dem jeweiligen Bundesland. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg Vorpommern, Manuela Schwesig, sagt zum Beispiel, sie könne sich auch vorstellen, bei ihr schon wieder vor dem 10. Januar zu lockern. Und dann haben wir zum Beispiel Michael Kretschmer in Sachsen, der wiederum mit einer Verschärfung zumindest ja, ich will nicht sagen, droht, aber sie ja zumindest für möglich erachtet. Schauen wir mal kurz rein in das, was er heute gesagt hat:


„Wir denken in der Tat darüber nach, wenn wir in 10 bis 14 Tagen keine Verbesserung sehen, was wir sehr, sehr stark erhoffen, und wenn ich mich draußen auch umschaue, merkt man schon, dass sehr viele Menschen sich sehr solidarisch verhalten. Die Straßen sind wesentlich leerer als noch vor einigen Tagen.


Aber wir müssen vorausdenken, was man tun kann. Und da geht es dann um das Thema Kindergarten und Schule. Da geht es dann um die Frage, ob die Geschäfte im Januar mal für eine gewisse Zeit lang zu bleiben sollen.“


Soweit Michael Kretschmer heute. Das Ganze ist natürlich erst einmal nur eine Möglichkeit. Aber, ich kann zumindest persönlich für den Bereich Kindergarten sprechen. Das ist psychologisch jetzt nicht so motivierend, wenn man schon weiß, man tut im Moment eigentlich alles, was gerade möglich ist als Privatperson.


04:58



Alexander Kekulé


Ja, also, da kann man wirklich nur sagen, die Politik scheint da wirklich extrem im Nebel zu stochern; und nicht nur nicht nur weit entfernt von dem Konzept zu sein, sondern auch noch weit entfernt von irgendeiner Synergie oder irgendeinem Konsens zwischen den Bundesländern. Also beim Thema Kindergarten hat man ja lange gesagt Kindergarten und Grundschule fassen wir erst mal nicht an, weil wir den Blick darauf haben, dass es bisher zumindest von dort keine massiven Ausbreitungen gab. Das ist auch noch wissenschaftlich Stand der Dinge. Da verstehe ich nicht, wieso man jetzt dann öffentlich darüber nachdenkt, das zu ändern. Bei anderen Themen wie zum Beispiel Geschäftsschließungen ist es so, dass ja überhaupt nicht erwiesen ist, dass die Geschäftsschließung, sofern man natürlich die Geschäfte unter den Bedingungen aufhat, wie es jetzt ist, also mit Maske mit maximaler Personenzahl und so weiter, dass dann eine Schließung einen weiteren Vorteil bringt. Und was der Herr Ministerpräsident hier gerade geäußert hat, dass er sagt: Ich beobachte auf der Straße weniger Menschen. Also darauf kommt es nun überhaupt nicht an, ob die Menschen auf der Straße sind. Klar, die Fernsehkameras baut man immer dort auf und sagt dann uh, in der Fußgängerzone waren aber wieder viele Leute unterwegs. Aber erstens steckt sich da keiner an. Und zweitens, wenn man das Ganze dann mal ordentlich aus der Vogelperspektive analysieren würde, würde man ganz sicher merken – ich kenne es


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in allen Fußgängerzonen, wo ich unterwegs bin – dass die Menschen in der Fußgängerzone natürlich halbwegs Abstand einhalten. Die gehen da nicht Schulter an Schulter mit Fremden oder rempeln sich ständig an. Das heißt also, das geht völlig am Thema vorbei. Also die eigentlichen Infektionen finden statt hauptsächlich zu Hause. Weil wir, dadurch, dass wir dieses fein verteilte Infektionsgeschehen haben, so viele Einzelfälle in der Republik, die sich irgendwo das Virus geholt haben, geben die das dann gerne mal in der Familie weiter. Weil dann eben einer aus der Familie positiv wird und zu Hause, selbst wenn die Leute in Quarantäne sind, sind sie ja dann zu Hause. Wenn sie dann positiv werden, haben sie häufig schon ein Familienmitglied angesteckt. Also diese Situation, dass wir zu Hause Übertragungen haben, ist ein Problem. Dass wir auch an Arbeitsplätzen keine einheitlichen Regelungen haben. Da gibt es nur Empfehlungen. Und bis heute immer noch – jetzt haben wir Dezember – keine bundeseinheitlichen Regelungen. Und das Riesenproblem, was nach wie vor offen ist, was natürlich jetzt den Arzt am meisten bedrückt, ist, dass wir immer noch nicht die Altersheime geschützt haben und da weiterhin Ausbrüche haben. Und auch diese ganze Situation, dass die an die Schnelltests nur rankommen, wenn Sie irgendwelche Konzepte vorlegen, die dann wiederum mit dem lokalen Gesundheitsamt abgesprochen werden müssen. Und jedes Gesundheitsamt hat eine andere Vorstellung. Ich habe da gerade gestern Gelegenheit gehabt, mit einem Betreiber von Altenheimen lange zu sprechen. Die sind also ziemlich verzweifelt. Weil in jeder Region, wo die ein Altenheim haben, hat das Gesundheitsamt andere Vorstellungen. Und da werden sie einfach wahnsinnig. Und aber nur, wenn sie mit denen sich geeinigt haben, kriegen sie die Schnelltests. Und dann weiß keiner, wer die Schnelltests machen soll, weil dafür gibt es gar keine Konzepte. Und dass es in diesen Häusern kein Personal gibt, ist ja bekannt. Also ich habe das Gefühl, da sind so ganz viele Baustellen, die man eigentlich mit einer präzisen, intelligenten Lösung angehen müsste. Und weil man keine hat oder sich auf keine einigen kann, wird dann so mit dem großen Hammer


über alles drüber gegangen. Nach dem Motto: Irgendwann muss das Virus ja mal weggehen.


08:2 1


Jan Kröger


Wenn wir mal auf diesen Zeitraum bis zum 10. Januar schauen, dann fällt natürlich auf, dass da die Weihnachtszeit drin liegt, in der es ja nun immer noch andere Bedingungen geben soll als im restlichen Zeitraum. Ist da schon das letzte Wort gesprochen, was Weihnachten angeht, oder ist da abzusehen, dass da auch noch was kommt?


08:39



Alexander Kekulé


Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil, wenn jemand völlig erratisch vorgeht, wie dass die Politik hier macht, dann ist es für einen Wissenschaftler wahnsinnig schwer vorherzusagen, was sie als Nächstes tun wird. Wenn ich raten müsste, aber das wäre dann wirklich raten, dann wollte man eigentlich jetzt einen Befreiungsschlag machen, nach dem Motto: Jetzt erst mal Ruhe in der Kiste. Und wir wollen aus politischen und psychologischen Gründen nicht jede Woche erneut die Diskussion vor Weihnachten. Und man wird dann an Weihnachten keine Vorschrift erlassen in dem Sinn, sondern eine dringende Empfehlung. Da wird es dann so eine Art Weihnachtsansprache geben, nach dem Motto, wir hoffen jetzt doch sehr, dass ihr euch alle daran haltet. Ihr dürft zwar mehr, aber wir empfehlen euch das und das.


09:2 0


Jan Kröger


Der Hintergrund, oder was zur Begründung dieses Beschlusses gestern herangezogen wurde, das sind ja auch wiederum die jüngsten Zahlen in den Berichten des Robert KochInstituts. Schauen wir mal für heute drauf: Rund 2 2 .000 gemeldete neue Fälle, das ist fast genauso viel wieder wie am Donnerstag vor einer Woche. Die Todeszahlen, das ist im Moment das, worauf sich die Politik besonders richtet, da hat es gestern einen Höchststand gegeben mit 487 Todesfällen, heute mit 479 kaum weniger. Ist es gerade richtig, auf diese Todeszahlen zu schauen und daran


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festzumachen, welche Schritte man unternimmt?



Alexander Kekulé


Nein. Die die Sterblichkeit ist nur so eine Art Langzeitparameter. Das ist quasi ein Qualitätsindikator für die Gesamtpolitik. Wenn ein Land insgesamt wenig Tote hat, dann würde ich schon mal sagen – da muss man auch über eine Bilanz von Monaten ziehen oder vielleicht über die ganze Pandemie – dann hat sie es insgesamt gut gemacht. Und da muss ich leider daran erinnern, dass wir in Deutschland jetzt im weltweiten Ranking mit den Toten pro Einwohner nicht so gut dastehen. Auf der Johns Hopkins University kann man sich das jeden Tag aktuell anschauen, auf welchem Platz wird er gerade sind. Also wir sind immer auf der ersten Seite, die man aufruft. Ja, das kann man dann runterblättern zu den Ländern, die richtig gut sind. Und wir kommen immer so unter den ersten Positionen vor, weil wir eben doch auch, wie alle in Europa, da sind wir keine Ausnahme, eine hohe Sterblichkeit letztlich haben, viel höher als die Länder, die da die Best Cases sind und die das richtig gut gemacht haben.


Nein, das, wo man drauf schauen muss, ist tatsächlich die aktuellen Neuinfektionen. Weil, das ist ja das Einzige, was einen Hinweis darauf gibt, was die aktuellen Maßnahmen bringen. Und dafür interessieren sich ja alle: Müssen jetzt diese Maßnahmen sein oder nicht? Das Robert Koch-Institut hat ja dieses sogenannte Nowcasting, über das wir am Dienstag gesprochen haben. Und da sieht es eigentlich schon so aus, als würde die Kurve wieder nach unten gehen. Aber das ist ja eine statistische Vorhersagemethode, weil man ja nicht weiß, wie es wirklich jetzt ist, weil die Daten immer 2 Wochen alt sind. Offensichtlich vertraut die Politik, sonst setzte gestern diese Entscheidung nicht getroffen, dem Nowcasting des Robert Koch-Instituts nicht. Also, das ist etwas, was mich jetzt einfach wissenschaftlich ein bisschen wundert, weil da macht jetzt die obere Bundesbehörde so eine Methode, wo sie auch sehr, sehr groß angekündigt haben und genau erklärt haben, warum das jetzt toll und wichtig ist, und die Politik sagt nö, dass das bei euch jetzt langsam wieder runter geht,


reicht uns nicht. Wir verlängern jetzt. Aus meiner Sicht könnte man, wenn man jetzt sagt, okay, das Nowcasting ist also nicht zuverlässig. Wir glauben, dass das Plateau immer noch Plateau ist und wir haben keine Verbesserung bei den Neuinfektionen. Dann müsste man ja eigentlich, wenn man jetzt wissenschaftlich an die Sache rangeht, müsste man sagen okay, dann haben also unsere Maßnahmen so in dieser Weise eigentlich nichts gebracht oder nicht das Gewünschte. Da müsste man eigentlich die Maßnahmen dann ändern, weil etwas, was nicht wirkt – also so vor dem Patienten stehe, ich habe mit dem Antibiotikum gegeben und sehe das Fieber geht nicht runter, dann gebe ich ja nicht das Gleiche Antibiotikum noch einmal bis zum 11. Januar weiter, sondern dann sage ich, okay, mal gucken, ob etwas anderes besser wirkt. Aber diesen Schritt geht man auch nicht. Also man sagt, es hat nicht richtig gewirkt. Aber es war trotzdem das Richtige. Die Dosis wird nicht erhöht. Man gibt die gleiche Therapie weiter. Ich sehe sozusagen, wenn ich mal so sagen darf, das therapeutische Konzept nicht. (schmunzelt) Also bei der Visite, wenn ich da jetzt als Oberarzt oder Chefarzt dabei wäre, würde ich meinen Assistenzarzt mal fragen wir, was er eigentlich genau vorhat bei der ganzen Sache.


12 :51


Jan Kröger


Ich würde gern eigentlich noch ein zweites Argument für das, was sie gerade vorgebracht haben, einbringen hier in die Diskussion. Der Blick geht ja einerseits auf die Todeszahlen, andererseits aber auch auf die Belegung der Intensivstationen. Die ist weiterhin auf einem Höchststand, keine Frage. Allerdings hat sich gestern auch Uwe Janssens geäußert. Das ist der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin und er hat sich vorsichtig optimistisch geäußert:


„Wir hoffen sehr stark, und wir sehen es in den letzten Tagen auch, dass wir in eine sehr hohe Stabilisierungsphase auf deutschen Intensivstationen eintreten. Also, die Zuwächse sind nicht mehr in dem Umfang da. Das heißt, wir kommen auf ein Plateau und das bedeutet


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irgendwann mal in 14, in 2 0 Tagen, wenn das so bleiben würde, dass wir dann einen leichten Rückgang der Belastung zu verzeichnen haben.“


13:41



Alexander Kekulé


Ja, das ist genau der Punkt. Also, die die wissenschaftlichen Daten, das ist jetzt sozusagen die Belegung der Intensivstation, das, was das Robert Koch-Institut sagt, klar sind die nie hundertprozentig. Also kein Wissenschaftler würde sagen, ich bin mir absolut sicher, und das muss jetzt genau so sein. Aber das sieht alles so aus, als würden wir jetzt so von der Gesamtkurve irgendwie die Biege machen, halt nicht sehr schnell. Das biegt sich sozusagen nach unten, aber nicht so schnell. Und jetzt muss man sagen entweder, das reicht uns. Dann dauert es jetzt noch Monate, bis wir in dem Bereich kommen, wo die Gesundheitsämter hinterherkommen. Wir sind aber in dem Bereich, wo die Intensivstationen nicht überlastet sind. Oder man sagt, es reicht nicht, dann müsste man sofort verschärfen. Aber da scheinen so viele Interessen zusammenzukommen in unserem föderalen System, dass man da keine einheitliche Linie hat. Vorhin haben wir den Ministerpräsidenten von Sachsen im O-Ton gehabt. Ich kann mich gut daran erinnern, wo Sachsen eines der Bundesländer war, die überhaupt nicht eingesehen haben, dass man hier irgendwas tun soll. Jetzt sind sie scheinbar die Chef-Bremser geworden oder gehören zumindest in das Feld der Chef-Bremser. Deshalb ist ja mein dringendes Plädoyer schon lange, dass man eine einheitliche, kontinuierliche Linie festlegt, die jetzt bundesweit gilt. Zum Beispiel, dass wirklich immer wenn 2 Personen oder mehr, die nicht zusammenwohnen, in einem geschlossenen Raum zusammen sind, dann hat man einfach eine Maske auf, Punkt. Dass diese Schnelltests für bestimmte Verfahren zur Verfügung stehen, und so weiter. Und dass man mit dieser einheitlichen Linie das einfach durchzieht und nicht jede Woche sich trifft, um wieder auseinander zu gehen, dass das eine Bundesland das so macht und das andere so.


15:18


Jan Kröger


Sprich auch Maßnahmen, die dann aber auch noch so sind, dass Länder wie MecklenburgVorpommern oder Schleswig-Holstein, wo das Infektionsgeschehen jetzt schon wieder klar am Absinken ist, das immer noch mittragen können.



Alexander Kekulé


Ja, das ist ja dieses Smart-Konzept, was ich jetzt aktuell sogar in dem Buch besprochen habe und das erste Mal in einem Rohentwurf im März schon vorgestellt habe. Das sieht natürlich schon vor, dass auch in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern, die dann ein niedriges Infektionsgeschehen haben, die Maske natürlich trotzdem Vorschrift wäre. Weil ich einfach der Meinung bin, dass das etwas ist, was man der Gesamtbevölkerung zumuten kann. Und es hat ja dann was Präventives: Wir verhindern ja den nächsten Ausbruch in Meck-Pomm damit, weil, die Leute sozusagen schonmal in vorauseilendem Gehorsam sich an so ein paar Regeln halten, die ich für absolut zumutbar halte. Das ist ja, da haben wir schon oft darüber gesprochen, das ist ja ein kleines Paket. Das ist so ähnlich wie eine Impfung (...) für ein Bundesland. Sie impfen sich ja auch nicht erst, wenn sie krank sind, sondern vorher und durch solche antiepidemische Maßnahmen, wie dieses Maskentragen oder auch das Registrieren, was ich ja vorgeschlagen habe von Veranstaltungen über 2 0 Personen, die eigentlich niemandem wehtun, haben wir eine Resilienz, wie man das nennt, also eine Art Immunität der Bevölkerung im Umgang mit dieser Krankheit, die eben gerade die Bundesländer schützen kann, wo es jetzt gerade nicht losgeht. Sonst ist dann Meck-Pomm in kurzer Zeit das Bundesland, wo die Verhältnisse dann sich so umkehren, wie im Moment gerade in Sachsen.


16:52 


Jan Kröger


Apropos Impfung: Das Thema ist ja auch naheliegenderweise jetzt regelmäßig bei uns anzusprechen. Die Neuigkeit rund um den BioNTech-Pfizer-Impfstoff in den letzten 2 Tagen, das war die Notfallzulassung für diesen Impfstoff, die es gestern in Großbritannien


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gegeben hat. Da sah sich zumindest die deutsche Politik genötigt zu sagen ja, wir wollen es auch bald machen, aber eben nicht so schnell wie die Briten. Wie beurteilen Sie denn diese Notfallzulassung, die dort jetzt eingeführt worden ist?



Alexander Kekulé


Also, das ist schon wieder etwas, was ich politisch beantworten muss. Also das ist ein politisches Statement. Wir wissen alle, dass Boris Johnson, der britische Premier, massiv unter Druck steht für seine am Anfang extrem relaxte Corona-Politik, und Großbritannien ist ja nun wirklich hart geschlagen worden. Denen ging es ja viel schlechter als uns und bis heute haben die schlechtere Verhältnisse. Das hängt auch damit zusammen, dass das Gesundheitssystem dort schneller an die Belastungsgrenzen kommt. Das National Health System in Großbritannien hat nicht so viel Redundanz wie das deutsche System. Und deshalb musste er jetzt einfach aus politischen Gründen ein Zeichen setzen. Es ist ja so, also rein formal ich – vielleicht wissen das nicht alle – bis Ende des Jahres gehört ja das Vereinigte Königreich noch zur EU. Und danach könnten sie theoretisch, also ab 01. Januar, könnten sie kraft eigener Wassersuppe oder müssten sie kraft eigener Wassersuppe zulassen, weil danach die gemeinsame EU-Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA eben nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt. Aber jetzt aktuell ist dieser Akt, der jetzt hier am 02 .12 . vollzogen wurde, ja noch während der Mitgliedschaft. Und das heißt, die haben dort etwas genommen, das ist in den EU-Regularien schon immer drin gewesen, dass ein Land auch unabhängig von der Europäischen Arzneimittelbehörde eine Art Notfallkarte ziehen kann, wenn eine außergewöhnliche Gesundheitsbedrohung da ist. Da hat man eher gedacht naja, falls in Süditalien die Malaria ausbricht oder so, ja. In dieser Art hat man sich das überlegt. Und dann haben halt die Italiener ein Sonderproblem, müssen schnell handeln, und die sollen dann nicht warten müssen, bis die Europäische Agentur irgendetwas entschieden hat. Und diese Karte oder diesen Paragrafen hat jetzt Boris Johnson gezogen für die Notfallzulassung. Und das ist insofern so ein


bisschen, sage ich mal, unsolidarisch würde ich es fast nennen. Da war eigentlich die Idee von Brüssel und auch von den ganzen Staatsund Regierungschefs, dass man gesagt hat, wir sind hier solidarisch. Wir zeigen hier Solidarität. Wir streiten uns mal nicht um Masken und Schürzen, wie es am Anfang war. Wenn der Impfstoff da ist, dann wollen wir wirklich, dass es eine gemeinsame Zulassung gibt und nicht einer sich zuerst bedient. Jetzt hat das Vereinigte Königreich noch die kleine Sondersituation, dass die ja tatsächlich, muss man auch sagen, das haben die einfach gemacht, bevor die EU Verträge geschlossen hat, die UK schon bilateral bestellt hat bei diversen Firmen, u.a. eben bei Pfizer und BioNTech. Und dadurch waren die in der Sonderposition, da die ja alleine bestellt hatten, konnten sie durch diese Sonderzulassung, die sie jetzt gemacht haben, ihr bestelltes Kontingent einfach abrufen. Und das wollten die jetzt machen. Vielleicht haben sie auch gedacht, na ja, wenn dann für die ganze EU bestellt wird, wird es vielleicht nicht geliefert. Ja, der Hersteller sagt zwar, jeder kriegt sein Share, was er bestellt hat, da wird nicht geschummelt, und wir können liefern. Aber Sie wissen ja, wie das ist, wenn dann alle losrennen. Uns heißt es gibt noch 2 0 iPhone im Laden und dann kommen Sie als 19., und plötzlich ist keins mehr da. Das gibt es einfach. Und ich glaube so ein bisschen First come, first serve, so hat so ein bisschen der Boris Johnson gedacht. Und er hat sich natürlich profiliert.


2 0:38


Jan Kröger


Unsolidarisch, sagen Sie, auf der politischen Ebene. Zumindest auf der wissenschaftlichen Ebene ist das insofern solidarisch, dass wir jetzt von Großbritannien schon ein paar erste Erkenntnisse darüber gewinnen werden in den nächsten Wochen, wie das läuft mit den Impfungen?



Alexander Kekulé


Nein, das werden wir nicht. Weil, in den ersten Wochen wird da nichts Besonderes passieren. Die Verteilung, also die Logistik, ist sehr schwierig. Das ist ja dieser Impfstoff, der bei minus 70 Grad gelagert werden muss. Und dann gibt es genaue Protokolle. Der muss auch


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verdünnt werden, bevor er angewendet wird. Das ist ziemlich schwierig. Das war ja auch schon bei den klinischen Studien so, dass Pfizer-BioNTech sehr viel Wert darauf gelegt haben, dass das akribisch, richtig und genau gemacht wird. Das wird jetzt hier auch so sein. Und ich habe sogar ein bisschen Zweifel, ob das Vereinigte Königreich so viel schneller sein wird, wie der Rest der EU, weil die von der Logistik natürlich jetzt auch nicht das vorbereitet haben. Die stehen also ähnlich da wie wir. Klar, haben, den der einen oder anderen Turnhalle schon irgendwelche Impfzentren da vorgeführt. Aber die, die am perfektesten eigentlich sind mit diesem Rollout, wie man dann auf Englisch sagen würde, das sind die Amerikaner. Da hat tatsächlich der Präsident der scheidende Präsident der Vereinigten Staaten ja das Militär beauftragt, das zu machen. Und da muss man sagen das US-Militär ist in Sachen Logistik echt top. Ja, da steht kein Soldat an der Front und hat keine Munition mehr. Und die, die machen das jetzt im Moment dort, die bereiten die Verteilung des Impfstoffs dort vor. Also ich glaube, das bringt nicht viel. Wir haben ja am 11.12 . haben wir ja jetzt die Sitzung von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Da ist alles so in den Startlöchern, die Ampullen sind tatsächlich schon im Land verteilt sogar, in den USA. Und die sind fertig für die Auslieferung. Sodass man wirklich 2 Tage später anfangen kann, zu impfen. Und ich habe jetzt gehört, dass die Europäische Arzneimittelkommission am 12 . Dezember sich zusammensetzen will. Und die werden da jetzt dann schon zeigen, dass sie auch schnell sind. Rein fachlich gesehen, kann man vielleicht noch Folgendes sagen, das wissen vielleicht nicht alle: Also innerhalb der EU gibt es diesen gemeinsamen Mechanismus, dass man Zulassungen macht, diese Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Aber da gibt es natürlich ein paar Länder, die so immer so einfach traditionell mehr Personal haben, mehr Erfahrung haben und besonders gut sind, sage ich mal in dem. Und da würde ich jetzt ausnahmsweise sagen es tatsächlich die Nummer eins gewesen in der EU, die britische Behörde, die sind tatsächlich top. Die haben das sehr, sehr gut gemacht, das ist diese Madisons in Health Care Products Regulatory Agency (MHRA). Und die haben eigentlich


schon immer ich, würde mal sagen – das PaulEhrlich-Institut in Deutschland gehört sicherlich auch zu den Top-Behörden – aber da gibt es so zwei, drei in Europa, die das eigentlich immer ausgemauschelt haben und den Daumen gehoben oder gesenkt haben. Und weil das eben jetzt nicht so eine Abteilung dort in Großbritannien ist, wo man weiß, dass die schummeln oder Ähnliches oder dass die schlampig sind, sondern im Gegenteil, die gelten als besonders gut. Und bisher war es auch so: Wenn MHRA den Daumen gehoben hat, dann haben die anderen eigentlich auch immer automatisch genickt, weil die wussten es ist gut gemacht. Sodass ich jetzt eher annehme, dass das so ein Katalysator sein wird, dass die EMA, die Europäische Behörde, jetzt sehr, sehr schnell nachziehen wird.


2 3:52 


Jan Kröger


Und damit dann Deutschland auch. In den nächsten Wochen wird ja noch ausgearbeitet werden müssen, wie genau das dann losgehen soll in Deutschland. Der jetzt genannte Zeitpunkt wäre Anfang Januar durch das Bundesgesundheitsministerium. Was ich mich gefragt habe, welchen Einfluss hat eigentlich noch das Infektionsgeschehen darauf, wie diese Impfungen starten können. Also nehmen wir jetzt mal an, zum Beispiel durch die Familienzusammenkünfte rund um Weihnachten gibt es wieder einen Anstieg der Fallzahlen. Zu Beginn Januar wirkt sich das aus, auch auf den Start der Impfung?



Alexander Kekulé


Das glaube ich nicht. Klar, es kann sein, selbst im schlimmsten Fall, haben wir natürlich medizinisches Personal, was krank ist. Aber der Start der Impfung wird jetzt sich nicht groß verzögern. Was ich eher interessant finde, ist: Ich glaube, wir werden, wenn jetzt dann irgendwann mal angefangen wird, zu impfen merken, dass das überhaupt nicht das Ende der Pandemie ist, sondern das ist jetzt eigentlich der Anfang eines einer neuen Phase, das kann man schon sagen. Wir werden hier munter weiter diskutieren. Ich sag mal so ein paar Sachen, die offen sind. Es gibt ja immer, man sagt ja immer so es gibt diese knowns unknowns, also die bekannten Unbekannten.


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Und dann gibt es auch noch die unknowns unknowns. Also die bekannten unbekannten Größen sind ja Folgendes: In Großbritannien ist der Impfstoff jetzt zugelassen ab 16 Jahre, ein ganz wichtiger Punkt. Bis 15 Jahre einschließlich darf auch in Großbritannien nicht geimpft werden. Warum? Weil die Studien eigentlich nur mit Erwachsenen ab 18 gemacht wurden. Und man hat dann relativ spät dazu genommen die Altersgruppe 12  bis 18. Das ist aber nur in den USA zugelassen gewesen. Aber dafür gab es nicht so viele Daten, weil man das relativ spät dazu genommen hat (...). Bisher ist es ja auch sehr schnell gegangen. Jetzt aber (zu) diesem Anlass die britische Zulassungsbehörde gesagt hat, na gut, ab 18 ist es getestet. Wir haben ganz gute Daten von 12  bis 18, die reichen uns aber nicht für eine Zulassung ab zwölf. Das stellen wir noch mal zurück, aber ab 16 können wir verantworten. So war sicherlich, dass man gesagt hat, gut auf die 2 Jahre kommt es jetzt nicht an. Aber unter 16 kommt an den Bereich, wo man ja echt Kindermedizin hat. Und da ist dieser berühmte Satz, den jeder Kindermedizinstudent schon als Erstes lernt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das ist so ein Standardspruch für Ärzte. Das heißt, Kinder sind wirklich anders in vielerlei Hinsicht. Und da muss man ja daran erinnern. Und unsere Hörer werden das vielleicht noch wissen, dass es ja diese unangenehme Krankheit gibt, die ganz selten auftritt bei Kindern, aber die uns allen wirklich Sorgen gemacht hat. Das ist dieses MultiorganInfektionssyndrom bei Kindern. Also, die haben dann (...) so einen Infektionszustand der Gefäße, was so ein bisschen an das KawasakiSyndrom, was wir besprochen haben, erinnert. Ganz seltene Sache, aber hängt damit zusammen, dass das Immunsystem überschießend reagiert. Und jetzt wissen wir, dass dieser Impfstoff, den wir da haben, dieser RNA-basierte, der ist, wie wir sagen, sehr stark reaktogen. Das heißt also der macht keine Nebenwirkung, sondern so eine Impfwirkung eigentlich. Der ist, der provoziert das Immunsystem sehr stark, so kann man es vielleicht sagen. Und da ist natürlich schon jetzt das Fragezeichen: Wird es möglicherweise bei RNA-Impfstoffen solche überschießenden Reaktionen bei Kindern häufiger geben als bei


anderen Impfstoffen, die jetzt ja auch demnächst auf den Markt kommen, die dann eben nicht RNA-basiert sind. Und das wird dann eine ganz interessante Frage: Was ist eigentlich der beste Impfstoff für Kinder? Und da ist es dann eigentlich üblich, mehrere miteinander zu vergleichen. Aber wenn man mehrere Impfstoffe vergleichen will, braucht man weder eine neue Studie, und das dauert wieder. Und dann brauchen Sie wieder einen Vergleichsimpfstoff. Und da brauchen Sie sehr, sehr viele Patienten. Ich sag mal 50.000100.000 in der Größenordnung, wenn sie 2 verschiedene Impfstoffe vergleichen wollen. Da braucht man mehr als wenn man einen Impfstoff gegen gar nix vergleicht, so wie es jetzt passiert ist. Und das finde ich sehr interessant. Das wird dann die Frage, wie machen wir die Studien? Können wir die überhaupt machen? Ist es zu verantworten, Leuten in einer Studie dann Placebo oder den schlechteren Impfstoff zu spritzen? Da ist noch ein ganz, ganz langer Weg vor uns.


2 8:00


Jan Kröger


Wie Sie sagten, der Anfang einer neuen Phase in der Pandemie. Schauen wir jetzt mal aus gegebenem Anlass zurück ganz an den Anfang der Pandemie. Zumindest zu dem, den wir kennen. 1. Dezember 2 019, das gilt als das Datum, an dem der erste, heute noch bekannte Fall einer COVID-19-Erkrankung in Wuhan festgestellt worden ist. Rund um diesen Jahrestag scheinen so aus China die Versuche wieder zuzunehmen, diesen Ursprung der Pandemie woanders hin zu verlagern. Da haben Sie auch in den letzten Tagen einige Erfahrungen gemacht, dass man mit manchen Aussagen Freunde gewinnen kann, von denen man niemals dachte, dass man sie hätte. Deswegen bevor wir jetzt ausführlich darauf eingehen über diese jüngsten Berichte und auch Studien aus China noch einmal vielleicht zum Klarstellen – vorweg die Frage: Der Ursprung der Pandemie liegt wo?



Alexander Kekulé


Naja, das wissen wir nicht ganz genau. Aber klar ist, dass (ist) die wissenschaftliche Theorie und das einzige Schema, was er im Kopf haben,


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ist Folgendes: Es gibt Fledermäuse, die im Süden Chinas Leben, sogenannte Hufeisennasen heißen die auf Deutsch, weil die so eine lustige Nase haben, mit der sie auch Echosignale empfangen können. Besonders hübschen sind sie nicht im Gesicht, aber sind auch fliegende, nette Säugetiere. Und die haben eben Viren, die extrem ähnlich aussehen wie das Virus, was jetzt zirkuliert. Und warum glauben wir, dass von diesen Tieren ein Virus wahrscheinlich auf einen Zwischenwirt übergegangen ist. Das ist irgendein anderes Säugetier gewesen, was wir suchen dringend, und was wir nicht kennen und von dort auf den Menschen gesprungen ist. Und das ist die Theorie, wo jetzt, sage ich mal, 99 Prozent aller Wissenschaftler außerhalb Chinas daran glauben. Es gibt überhaupt kein Hinweis anzunehmen, dass es irgendwie anders gelaufen ist. Aber die Chinesen haben Gründe, sag ich mal, sich da im Moment das Problem vom Leib zu schaffen.


2 9:57


Jan Kröger


Schauen wir mal, Sie sagen schon 99 Prozent der Wissenschaftler außerhalb Chinas – gucken wir mal auf die Wissenschaftler in China. Nun gab es vor einigen Wochen, das waren wiederum italienische Wissenschaftler, die schon COVID-19, beziehungsweise SARS-CoV-2  im Abwasser und im Herbst 2 019 gefunden haben wollten. Das wurde wiederum in China sehr intensiv aufgenommen, diese Forschung. Nun gibt es neueste Forschungen, die laut den Chinesen darauf hindeuten, dass sich das Virus schon im Sommer 2 019 unter anderem in acht Ländern auf vier Kontinenten aufgehalten haben soll. Was ist von diesen Untersuchungen zu halten?



Alexander Kekulé


Ja, das wird jetzt viel zitiert. Seit gestern hat sich das haben die hochgespielt, weil auch die chinesischen Staatsmedien das publizieren. Das sind wahrscheinlich 2 Publikationen. Eine von beiden ist wirklich erschienen in so einem Journal, was ganz in Ordnung ist. Das heißt „Molecular Phylogenetics and Evolution“. Das ist ein international akzeptiertes Journal, eine Publikation aus dem November. Das ist eine chinesische Arbeitsgruppe, also


hauptsächlich die Chinese Academy of Sciences (CAS) und zusammen mit der Universität in Shanghai und einem Kollegen aus Houston, Texas USA. Die da eigentlich was entwickelt, das ist so eine neue Methode, wie sie meinen, neue Methode, wie man Abstammung von Viren untersuchen kann. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert zu erklären, wie das genau funktioniert. Aber im Prinzip macht man es so: Man nimmt alle festgestellten Sequenzen, also diese RNASequenzen von den Viren, die man so auf der Welt gefunden hat. Die haben doch einfach ein paar Tausend genommen, die sie aus der Genbank hatten. Und dann versucht man, die so übereinander zu legen, dass man guckt, an welcher Stelle hat es denn eine genetische Veränderung gegebene, eine Mutation. Das ist so, als wenn Sie so Bücher haben, wo immer nur ein Buchstabe falsch ist, eigentlich sonst die gleiche Ausgabe. Und Sie legen dann die Texte übereinander und schauen, an welchen Stellen sind die Buchstaben nicht identisch. Dann haben die gesagt: Okay, jetzt schauen wir mal, was die wenigsten Mutationen hat, also die wenigsten Abweichungen, wenn man alles übereinander legt. Und dann haben die einfach behauptet, okay, das, was die wenigsten Abweichungen hat, muss ja logischerweise der älteste Stamm gewesen sein. Und dieser älteste, der ist nicht in China gewesen. Da haben sie gesagt, das war eins von eben diversen, ich glaube acht oder neun anderen Ländern. Da muss es gewesen sein. Und jetzt im Moment eins von diesen Ländern, wo sie es behaupten, dass es dieser älteste Stamm gewesen sein könnte, war Indien. Jetzt sagen sie ganz aktuell eben, ja in Indien, wahrscheinlich ist da das Virus hochgekocht. Das wird zumindest über die Medien verbreitet. Es gibt da auch eine ominöse Publikation, die wir ja nicht gefunden haben im Vorfeld zu diesem Gespräch. Da haben wir echt gesucht. Da gibt es nur noch eine Kurzfassung. Und chinesische Medien verweisen darauf, dass das angeblich in dem Topjournal „Lancet“ eingereicht werden sollte oder eingereicht worden ist. Aber man findet nichts mehr davon. Also diese Methode, über die man in den nächsten Tagen wahrscheinlich öfter was lesen wird, die einfach so die Sequenzen übereinanderzulegen, die ist


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erstens neu, das macht man nicht so. Und zweitens ist es extrem fehleranfällig, weil man ja, anders als bei so einem Buch, nicht weiß, wo das Virus die Virus-Sequenz ganz genau anfängt und aufhört. Und man hat immer in allen in allen Analysen, die gemacht werden, also diese Sequenzierungen, wie wir sagen, wo also der genetische Fingerabdruck genommen wird, da haben wir immer Fehler drinnen: dass mal ein Baustein fehlt, ein Buchstabe fehlt, oder ein Paar sind vertauscht oder passen nicht zusammen. Und das muss man erst abgleichen. Dadurch ist sozusagen eine Mutation keine Mutation. Weil Sie immer bei diesem Abgleichen mal einen Fehler machen können. Kommt hinzu, dass die dann schreiben – ich habe das also genau durchgelesen, wie sie das gemacht haben – da schreiben Sie dieses wichtige Abgleichen, bevor man überhaupt anfängt, diesen Stammbaum zu entwickeln, da haben die sich selber mit einem Programm, mit einem PEARL-Programm haben die sich da selber einen Algorithmus zusammengeschrieben, mit dem sie diesen Abgleich gemacht haben. Aber keiner weiß genau wie. Und dann gibt es ganz viele genetische Gründe, warum so etwas, selbst wenn man es richtig machen würde, nicht so perfekt ist. Ein Mechanismus heißt Rekombination, dass Viren manchmal sogar Stückchen untereinander austauschen können. Ein anderes Prinzip ist, das es genetische Veränderungen, also Mutationen gibt, die auch im Lauf der Zeit wieder revidiert werden können. Also da verändert sich was, und nach einer Weile springt es wieder zurück, weil es vielleicht keinen Selektionsvorteil hatte. Und es kann auch sein, dass so ein Virus dann parallel, sag ich mal mehrere parallele Veränderungen macht, die man nicht festgestellt, weil einem der der Zwischenwirt fehlt. Man hat nur Stichproben von einzelnen Blutproben, von irgendwelchen Menschen. Und da macht man eine Analyse. Und wenn's dazwischen so eine ganz lange Entwicklung gegeben hat, dann kann einem die entgehen. Also es gibt ganz viele Gründe, warum so was fehleranfällig ist. Und wenn die dann sagen ja, wir pfeifen auf die ganzen Fehler, und wir sagen aber trotzdem der mit den wenigsten Mutationen ist also ganz klar der älteste und der muss in


Indien gewesen sein. Dann haben die da wissenschaftlich echt was abgekürzt, was also keinem Doktoranden durchgehen würde bei uns. Und deshalb kann man zusammengefasst sagen: das klingt alles wissenschaftlich, was die machen. Aber das ist nicht State of the Art, wie wir sagen. Also so macht man das nicht.


35:37


Jan Kröger


Dann würde ich an dieser Stelle, wäre der Studie aufhören. Wir bleiben aber noch ein bisschen in Asien, wechseln aber das Land. Ich will noch ein bisschen weiter nach Osten schauen, nach Japan. Wir blicken dort auf die aktuelle Situation. Japan gilt ja immer als ein Vorbild dafür, wie man als demokratisches Land mit der Pandemie umgehen kann. Und auch einer Hörerin von uns ist nicht verborgen geblieben, allerdings, dass sich in Japan im Moment gerade etwas zu ändern scheint. Simone aus Freiberg hat uns angerufen:


„Was mir aufgefallen ist, dass dort die sehr guten, niedrigen Zahlen von Japan unter anderem angepriesen worden sind, wo aber doch jetzt in den letzten Wochen feststellbar ist, dass in Japan wieder eine dritte Welle im Laufen ist, sogar, weil dort die Zahlen hochgeschossene sind. Und dort doch die Bevölkerung, eigentlich so Masken tragen für die, was selbstverständlich ist. Wo ich mich dann frage, wo im asiatischen Bereich doch die Menschen auch schon eher mal so eine Epidemie erlebt habenin welchem Zusammenhang das dann dort steht, dass da jetzt wieder eine dritte Welle aufgeflammt ist. Das verunsichert mich insgesamt.“


Also es gibt tatsächlich einen Anstieg der Fallzahlen in Japan in den letzten Wochen. Wie lässt sich das erklären?


36:52 



Alexander Kekulé


Ja, da muss man ein bisschen ausholen. Also, es ist tatsächlich so, dass bei uns in Deutschland ja irgendwie in den letzten Wochen so ein Japan-Hype losgetreten wurde. Da haben verschiedene Wissenschaftler gesagt, in Japan sei alles ganz toll – die sogenannte Cluster-Strategie, die dort verfolgt


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wird. Und das ist dann auch in die Politik getragen worden und hat letztlich dabei geendet, dass man gesagt hat wir verkürzen jetzt in Deutschland die Quarantänezeit für Schüler auf fünf Tage, wenn sie sich frei testen. Nur so zum Vergleich: Die CDC, die USGesundheitsbehörde, hat bis gestern noch 14 Tage vertreten. Und die hat jetzt unter ganz bestimmten Bedingungen zugestimmt, dass man die Quarantäne auf zehn Tage reduzieren kann, unter bestimmten Bedingungen, zufällig genau das Gleiche, was wir hier im Podcast mal besprochen haben, aber das auf fünf Tage zu reduzieren, wie das in Deutschland jetzt ja wohl schon Standard sein soll, ohne wissenschaftliche Basisdas habe ich damals kritisiert – und da verstehe ich wirklich nicht, warum nicht, da mal die Diskussion offen geführt wird, ob man das denn so machen kann oder warum man das vielleicht dann doch so machen kann.


So, wie ist es in Japan? Die haben natürlich nicht wegen der Cluster-Strategie dort gemacht wird, solche Erfolge gehabt. ClusterStrategie heißt, dass man die Nachverfolgung sozusagen aufgibt, außer es handelt sich um ein vermutetes Superspreading-Event, also ein Cluster, wenn mehrere Leute auf einmal infiziert wurden. Und wenn die auftreten, dann macht man auch keine Tests oder sowas, sondern man sperrt den ganzen Cluster weg. Also zum Beispiel die ganze Schulklasse für 2 Wochen. Oder kann man dann vielleicht auch nur zehn Tage machen oder in Deutschland soll es eben jetzt fünf Tage sein, und sagt es mir egal, ob da jemand infiziert ist oder nicht. Das ist dann entweder eine Isolierung oder eine Quarantäne, je nachdem. Da kann man dann auch einen anderen Ausdruck dafür erfinden, wenn man will. Und es ist so, dass gesagt wird, das machen wir jetzt in Deutschland, weil Japan war so erfolgreich, und wir wollen ja auch erfolgreich sein. Das Problem ist, wenn ich jetzt zynisch wäre, würde ich sagen, da könnte man genauso gut sagen, wir fangen jetzt an, mit chinesischen Stäbchen zu essen, weil Japan war, so erfolgreich und an irgendetwas muss es ja liegen. Also an dieser Cluster-Strategie liegt es definitiv nicht. Weil, die hat man nur erfunden, weil man einerseits eine ganz starke Priorisierung der Wirtschaft hatte, dass man


gesagt hat wir wollen nicht, dass die Wirtschaft hier die in die Knie geht. In der Hinsicht war man weniger opferbereit als die Deutschen. Das hängt auch mit der mit der finanziellen Situation des Landes zusammen. Und der Hauptgrund war: Man hatte einfach nicht die Testkapazitäten und darum haben die aus Verzweiflung gesagt, wenn wir nicht genug Testkapazitäten haben, sperren wir halt einfach alle weg, egal ob sie in Quarantäne oder Isolierung sind, also ob sie positiv waren oder nicht. Das hat nichts mit dem Erfolg in Japan zu tun. Und noch einmal zur Erinnerung: 




41:58


Jan Kröger


Ganz kurz zur Einordnung dieser dritten Welle noch: Was Sie jetzt gesagt hatten mit der hohen Positivenrate bei den Tests, ich habe mir natürlich auch die aktuellen Fallzahlen für Japan angeschaut. Die liegen am Tag immer so zwischen 2 .000 und 3.000 bei einer Bevölkerung, die deutlich größer ist als die in der Bundesrepublik. Aber durch die Positivenrate können wir davon ausgehen, die Dunkelziffer ist deutlich höher.



Alexander Kekulé


Ja, genau, darum habe ich nur diese Zahl genannt, weil ich weiß auch, dass manche Leute, die jetzt auch dieses japanische Modell so toll finden, Sie wissen, dass meine Kollegen das zum Teil propagieren. Da darf man ruhig mal sagen, sind die Virologen in Deutschland an der Stelle sich nicht ganz einig, ob man sozusagen die japanische Methode hier einführen soll. Die verweisen auf genau das, was Sie gerade gesagt haben, die niedrigen Fallzahlen. Aber darum geht es ja gar nicht, wenn Sie fast nicht testen, weil sie keine Kapazitäten haben und weil auch die ganze Strategie darauf ausgelegt ist, die Leute einzukassieren und erstmal quasi in seiner Art Quarantän/Isolierung zu bringen, dann haben sie natürlich keine Positiven. Das, was wirklich zählt, ist das, was ich vorhin gesagt habe, dass ist die Positivenrate, und die deutet ganz klar auf eine Riesendunkelziffer hin, das sagen sie richtig.


43:08


Jan Kröger


Kommen wir zu den Hörerfragen. Cornelia H. hat uns geschrieben:


„Lieber Herr Professor Kekulé, Sie haben bisher geschwiegen zu dem inzwischen häufig auch von der New York Times beschriebenen Faktum, dass engmaschiges Gurgeln mit einigen gängigen desinfizierenden Mundwässern das Eindringen des Virus in die Rachenschleimhaut verhindern kann. Regelmäßiges Gurgeln könnte doch bei den maskenfreien Zusammenkünften erlaubter Personengröße eine sinnvolle zusätzliche Prävention sein.“


Oder nicht. Das ist die Frage. Vielleicht als Journalist eins vorausgeschickt, den Bericht der New York Times habe ich mir angesehen. Der hat die Überschrift allerdings: Nein, Mundspülung wird Sie nicht vor dem Coronavirus schützen. Danach wird die Diskussion durchaus noch einmal aufgenommen. Sie haben es auch gelesen. Zu welchem Schluss kommen Sie?


43:54



Alexander Kekulé


Ja, das ist der Status idem. Für unsere Hörer, die regelmäßig zuhören, das haben wir schon öfters besprochen. Status idem dem sagen die Ärzte, wenn sie meinen, es ist noch das Gleiche wie vorher. Also das ist so. Wir haben die Situation, dass wir haben bestimmte Desinfektionsmittel, denen man auch Gurgeln kann, Listerine ist ja so was, das, was weltweit vertrieben wird. Die werden angepriesen als Mittel gegen COVID-19, auch vom Hersteller. Leider. Und es ist aber tatsächlich Fakt, die können auf der Schleimhaut ganz kurzzeitig natürlich die Viren abtöten. Das können Sie auch durch Zähneputzen oder durch Seifenwasser, weil das ja Viren sind mit einer Fetthülle, die zerplatzt, wenn sie da in Seife drinnen sind. Aber das Problem ist immer: Dann warten sie eine halbe Stunde oder eine Stunde, und dann haben eben die Zellen, die


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infiziert sind, und das Virus ist ja in der Zelle drin, die haben eben dann mannigfaltig neue Viren produziert. Die produzieren ja ständig nach, sodass sie jetzt in diesem Konzept bei der Zusammenkunft quasi Gurgel-Konzerte machen könnten. Da können Sie dann nicht mehr miteinander sprechen, sondern sich gegenseitig, was vorgurgeln, es gibt der Kinder, die können das Alphabet rülpsen. Und so ähnlich können Sie es schon einmal versuchen. Ich wäre jetzt nicht ganz sicher, das hat noch keiner gemessen, wie die Viruskonzentration dann in dem Tröpfchennebel ist, den man beim Gurgeln fabriziert. Aber Spaß beiseite. Es gibt eine Ausnahme, wo es vielleicht Sinn macht, das ist tatsächlich beim Zahnarzt, weil der ja ganz kurzzeitig einen Eingriff macht. Normalerweise bohrt der nicht stundenlang, sondern ein paar Minuten. Und wenn man da kurz vorher zum Beispiel mit Wasserstoffperoxid oder irgendeinem anderen guten Desinfektionsmittel spült, ich würde meine jetzt nicht gerade den Arzt angurgeln, aber wenn man spült vorher gründlich, dann würde ich sagen, setzt man sicherlich für einen Moment die Viruskonzentration runter. Und das ist immer von Vorteil, weil ja so ein Bohrer, sie wissen ja, die schnellen Bohrer, die sogenannten Turbinen, die sind wassergekühlt. Und da entsteht da immer so ein schöner, feiner Nebel. Und da will natürlich auch der Arzt nicht, dass da Unmengen von Viren in seinem Behandlungszimmer verbreitet werden. Also so ein ganz spezieller Fall, wenn ich weiß, ich will jetzt für zehn Minuten das Herabsetzen, da hat es einen Sinn. Ich weiß jetzt nicht, ob jetzt junge Leute sich überlegen okay, wenn ich die Frau meines Lebens getroffen habe und will sie küssen, ob beide dann vorher mal gurgeln. Also es hilft jedenfalls nur ganz kurz.


Jan Kröger


Also, es wäre nur in Ausnahmefällen sinnvoll, immer seine Mundwasser dabei zu haben.



Alexander Kekulé


Das brauchen Sie nicht. Aber was ich schon immer dabei habe, das ist, glaube ich, bekannt, ganz kleines Fläschchen mit Desinfektionsmittel. Manchmal haben sie einfach irgendetwas angefasst, was, was


vielleicht eklig sein könnte, irgendeinen Türgriff oder so was. Und dann wollen sie aber jetzt partout eine Stulle aus der Hand essen hinterher. Und das ist der Moment. Wenn dann kein Waschbecken da ist, dann muss man entweder hungern oder ein bisschen Desinfektionsmittel dabei haben.


46:41


Jan Kröger


Ich muss gerade dann Autobahnparkplätze denken. Ich weiß nicht, warum. Unsere 2 . Hörerfrage, die befasst sich auch mit dem Wegfahren. Und zwar ist Skifahren ja zum Politikum geworden durch die CoronaPandemie in den letzten Wochen. Hier die Frage von Frau M.


„Wie kritisch sehen Sie den Skiurlaub zum Beispiel in Österreich, in der Schweiz in diesem Winter? Ist es riskant, in eine Gondel zu steigen, wenn alle eine Maske anhaben? Reichen FFP2 -Masken vielleicht in einer Gondel, wobei die ja schon feucht werden durch Schneefall und so weiter und so fort. Ist es überhaupt möglich, sicher in einer Gondel zu fahren im Winter?“



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein wichtiges Thema, weil es jetzt natürlich diskutiert wird. Es ist ja bekannt, dass Österreich gerne seine Skigebiete offenhalten möchte und der Rest der Europäer drängelt, zuzumachen, einschließlich Deutschland mit Bayern, die ja da auch einen erheblichen Tourismusvorteil davon hätten. Und auch mit Frankreich, die auch wunderbare Skigebiete haben. Und auch mit Italien. Ja, also es ist so rein, wenn man das ganz aus der Brille des mit Scheuklappen des Virologen anschaut: Klar kann man total sicher in der Gondel fahren. Also vor allem muss man unterscheiden zwischen Gondel und Sessellift. Also Sessellift ist völlig sicher. Bei der Gondel kommt es einfach darauf an. Wie viele Personen sind da drinnen? Und wie gut ist die belüftet. Und man kann natürlich in diesen Gondeln alle Fenster aufreißen, die fahren zum Teil ja nicht sehr lange. Also auf die Zugspitze geht es, glaube ich, in elf Minuten rauf. Und viel länger sind die anderen auch nicht. Wenn man dann sagen, okay, man besitzt die nur zu einem Viertel,


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dann könnte man das Gondel Problem natürlich lösen. Meines Erachtens bräuchte man da gar nicht die FFP2 -Masken, sondern wenn der jeder Mund-Nasen-Schutz hat, und wenn es notfalls das Vlies ist, was man sowieso über im Gesicht hat beim Skifahren, dann wird das wahrscheinlich verhindern, dass es einen Ausbruch gibt. Also ich denke immer in der Dimension entweder Ausbruch oder Einzelinfektion. Und da muss man natürlich fairerweise sagen, mit so einer Maßnahme sind jetzt Einzelinfektionen nicht sicher auszuschließen. Wenn einer direkt neben einem steht und hustet in seine Maske rein und kommt um die Ecke einem dann doch irgendwie was in die Lunge. Dann kann mal so eine Einzelinfektion stattfinden. Frage ist nur, soll man wegen Einzelinfektionen die ganzen Skigebiete zumachen. Oder wäre es nicht vielleicht vernünftig, dass die Leute, die sagen, dass es mir aber zu unsicher, dann entweder nicht mit der Gondel fahren oder eben genau diese FFP2 -Maske in der Gondel anziehen. Letzteres würde ich wahrscheinlich machen. Ich bin ja schon über 60. Aber ja, es ist möglich, ein Skigebiet, wenn man nicht die volle Besetzung hat, natürlich sicher zu betreiben.


Jan Kröger


Ich weiß jetzt nicht, ob sie Skifahrer sind. Aber würden Sie diesen Winter fahren gehen?



Alexander Kekulé


Ich habe Skier und ich fahre Ski. Meine Freunde, die mich auf Skiern sehen würden, würden nicht sagen, dass ich Skifahrer bin. Weil das nicht wirklich das ist, womit ich irgendwie reüssieren kann. Ich würde dann Skifahren gehen, wenn ich das Gefühl habe, dass der Skiort ein gutes Sicherheitskonzept hat. Die Skiorte haben ja auch den Vorteil, dass die zum Teil oder meistens so sind, dass man nur durch das eine oder andere Tal dorthin kommt. Das heißt, man könnte sogar so weit gehen, so für so einen Skiort Voraussetzungen für den Zutritt zu schaffen. Zum Beispiel zu sagen, wer hier Urlaub machen will, der braucht einen negativen PCR-Test. Und wer den nicht dabei hat, kriegt quasi am Ortseingang im Tourismuszentrum ein Schnelltest verpasst. Und da kann man relativ


sag ich, mal, strenge Regelungen treffen, weil die ja so gut abgrenzbar sind. Das ist ja nicht wie die Fußgängerzone in der Großstadt. Und man müsste natürlich auf jeden Fall die Zahl der Touristen deutlich reduzieren von dem, was Maximalkapazität ist. Man müsste auch das Après-Ski, da sind ja die Infektionen zustande gekommen, mehr oder minder abschaffen. Zumindest alles, was Indoors ist. Ich persönlich, um da ins Detail zu gehen, ich bin der Meinung, draußen Glühwein trinken, solange nicht alle besoffen sind, ist eigentlich gar kein Thema. Warum sollte es nachteilig sein? Und wir müssen uns jetzt nicht von diesem Virus komplett die gute Laune verderben lassen. Aber klar, man müsste irgendwie so ausartende Festivitäten wie Jodelmusik in den Kellern natürlich weglassen. Und es ist auch so, dass man rechnen muss, ob sich das für die Skiorte dann noch lohnt. Also wenn da so ein fieser Virologe und Epidemiologe mal mit dem Rotstrich durchgegangen ist, dann müssen die halt hinterher sagen okay, also, jetzt wollen wir es dann doch nicht mehr machen. Weil das lohnt sich für uns finanziell nicht. Das gilt ja auch für die Hotels. Die müssen dann ähnlich strenge Auflagen erfüllen wie die, die jetzt noch offen haben. Es gibt auch jetzt Hotels, die offen haben, und da kann es natürlich sein, dass dann so ein Touristenhotel sagt, ne da machen wir lieber gleich zu.


51:2 2 


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 8. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wieder zu einem Hörferfragen SPEZIAL. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne, Herr Kröger, bis dann.


Jan Kröger


Und wenn sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das Ganze vertiefen möchte, alle wichtigen


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Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf mdraktuell.de


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 01.12 .2 02 0 #12 7: Die Impfstoffe. Was wissen wir und was nicht


Jan Krüger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link-Tipp: Die Studie aus Argentinien zu einer Blutplasma-Therapie bei Covid-19 ist in englischer Sprache hier abzurufen:


https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2 031304?query=TOC


[0:00:11] Jan Krüger 

Alexander Kekulé Dienstag, 1. Dezember 2 02 0.


Die Europäische Arzneimittelagentur hat gut zu tun in diesen Tagen. Sowohl Biontech und Pfizer als auch das US-Unternehmen Moderna haben für ihre Impfstoffe eine sogenannte bedingte Marktzulassung in der EU beantragt. Was heißt das? Welche Schritte sind noch nötig, bis sie zum Einsatz kommen werden. Darauf wollen wir schauen.


Wenn es um die Behandlung von Covid-19 geht, dann liegt so manche Hoffnung auf einer Blutplasma-Therapie. Eine neue Studie dazu hat nun Ergebnisse vorgelegt, die nicht wirklich ermutigend sind. Wir schauen uns die Studie näher an.


Und außerdem geht es um die Frage, wie gut lässt sich das Weihnachtsfest in der Familie absichern, wenn man kurz zuvor Schnelltests macht?


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Krüger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR aktuell. In dieser Woche vertrete ich 

Camillo Schumann

, den Sie ja sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Krüger.


Jan Krüger


Herr Kekulé, in gewohnter Weise schauen wir zu Beginn der Woche in unserer ersten Ausgabe auf die aktuellen Fallzahlen. Heute haben die Gesundheitsämter dem Robert KochInstitut 13.604 neue Corona-Infektionen gemeldet. Das sind genau 50 mehr als am Dienstag vor einer Woche. Und binnen eines Tages sind 388 neue Todesfälle gemeldet worden, also ungefähr in dem Bereich vom dem Höchststand mit 410 Todesfällen, der am vergangenen Mittwoch erreicht wurde. Wenn man jetzt die ganzen Schicksale, die dahinter stehen natürlich außer Acht lässt, und nur auf die Zahlen schaut. Das sieht aus wie der beste Beleg für reine Stagnation?


[0:01:55] 

Alexander Kekulé Ja, bei den Todesfällen gibt es eine Stagnation. Das ist quasi das Plateau, was wir vorher bei den Neuinfektionen gesehen haben. Meine Hoffnung ist natürlich, dass das demnächst runtergehen wird. Genauso wie die Neuinfektionen ja langsam die Biege nach unten machen. Dafür macht das Robert Koch-Institut ja immer das sogenannte Now Casting, quasi eine Wettervorhersage für heute. In dem Sinn, dass man aus den in der Vergangenheit aufgenommenen Daten, die sind ja immer etwa zehn bis 14 Tage alt, quasi hochrechnet, welchen Status heute die Neuinfektionen hätten. Das Verfahren ist eigentlich ganz gut. Das hat sich im Lauf der Zeit auch weiter optimiert. Da ist mein Eindruck, dass man da schon ein bisschen glauben kann, was dort veröffentlicht wird.


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Und da sieht man relativ deutlich im Now Casting des Robert Koch-Instituts, dass die Kurve wieder nach unten geht. Also nicht nur auf einer Höhe stagniert. Sondern dass die Neuinfektionen täglich nach unten gehen jetzt langsam. Wir sehen da sicherlich auch schon vor Effekte zu dem aktuellen Lockdown, der jetzt in Kraft getreten ist.


Jan Krüger


Also wenn man etwas genauer hinschaut, schon durchaus ein positiver Effekt, sagen Sie.



Alexander Kekulé


Ja, das würde ich schon sagen. Also ich bin da optimistisch, natürlich immer optimistisch. In der Lage kann man es gar nicht anders sein. Aber ich bin hier auch begründet optimistisch, dass wir hier diese Welle wirklich einfangen können. Ich gucke auch so ein bisschen auf die anderen Länder, die zum Teil schneller mit einem etwas konsequenteren Lockdown reagiert haben. Hier hat man in Deutschland ein bisschen später nachgesteuert aus verschiedenen Gründen. Und ich gehe davon aus, dass das, was woanders gelungen ist, auch bei uns funktionieren wird. Nämlich dass wir Richtung Weihnachten doch eine deutliche Senkung der Infektionszahlen hinbekommen.


[0:03:42 ] Jan Krüger Das große Thema an diesem Tag, das sind die Beantragungen, die bei der EU eingegangen sind. Also einmal Biontech und Pfizer und auf der anderen Seite Moderna. Beide haben einen Impfstoff vorgelegt und legen den nun vor zur bedingten Markt-Zulassung in Europa. Was genau kann man davon erwarten?


[0:04:02 ] 

Alexander Kekulé Ja, das ist das angekündigte Verfahren. In den USA ist ja schon die sogenannte Notfallzulassung beantragt worden von diesen beiden Firmen. Dort heißt es Notfallzulassung. Bei uns ist es dann die bedingte Zulassung. Aber das ist technisch eigentlich das Gleiche. Wir sagen da auch in Europa Rolling Review dazu. Das heißt, es werden von den Herstellern ständig die Daten aus den klinischen Studien schon mal parallel der Zulassungsbehörde ... Das ist diese


europäische Behörde EMA immer zugespielt. Und die werfen einen kontinuierlichen Blick drauf, sodass man dann, wenn die Daten vollständig sind und formal der Antrag gestellt wurde, wie es jetzt passiert ist. Dass man dann sagen kann: Okay, jetzt trommeln wir die Entscheidungskomitees zusammen. Die geben eine formale Einschätzung ab, und danach kann man relativ schnell zulassen. In Europa funktioniert es dann so, dass dieses Komitee so habe ich das jetzt gerade aktuell auch nur gehört in den Nachrichten – dass sich das Komitee am 11. treffen will. In Amerika ist es ja am 10. Dezember schon angesagt worden. Normalerweise bedeutet es dann, dass man entweder am gleichen Tag oder am nächsten Tag eine Entscheidung hat. Wenn die, was hier praktisch mit Sicherheit zu erwarten ist, den Daumen hoch halten. Dann muss in Europa allerdings erst die Europäische Kommission formal die Zulassung aussprechen. Das ist etwas komplizierter als in USA. Aber ich habe gehört, dass die auch schon quasi in den Startlöchern stehen, sodass wir dann tatsächlich wahrscheinlich Ende der 2 . Dezemberwoche schon eine Zulassung in Europa haben könnten.


[0:05:40] Jan Krüger Und das ist dann alles auch sozusagen mit rechten Dingen zugegangen. Dass es so schnell gegangen ist. Da gibt es ja doch durchaus immer wieder Kritik daran, dass es gerade so schnell geht und da eventuell die Sorgfalt darunter leidet.


[0:05:51] 

Alexander Kekulé Man muss hier besonders sorgfältig sein. Einfach, weil das experimentelle Impfstoffe sind. Nicht das übliche, was unsere Kinder so bei den regelmäßigen empfohlenen Impfungen bekommen. Das ist ja komplett neuartig. Diese RNA-Impfstoffe. Das wissen aber die Zulassungsbehörden auch. Deshalb hat man ja auch eine relativ große Zahl von Studienteilnehmern gehabt. Das waren also bei der bei der Biontech-Pfizer Studie etwa 45.000 insgesamt. Davon hat allerdings nur die Hälfte natürlich den Wirkstoff bekommen und die andere Hälfte ein Placebo. Und bei der Moderna Studie


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war es etwas weniger. Um die 30.000 Teilnehmer. Aber zusammengenommen haben wir dann so 30-35.000 Menschen auf der Welt, die diese Messenger RNA-Impfstoffe, diese ganz neuen Impfstoffe schon bekommen haben. Die nehmen sich nicht viel. Also zwischen Biontech und Moderna. Da ist kein großer Unterschied von der Formulierung des Stoffs, der da drin ist. Und man lässt ja eben jetzt notfallmäßig zu in den USA. Oder bei uns eben mit Auflagen. Und das bedeutet eigentlich genau das Gleiche. Dass eine Verpflichtung besteht, dass jeder, der geimpft wurde, registriert wird. Und dass auf jeden Fall eine hohe Vigilanz erzeugt wird, wie wir sagen. Also das genau beobachtet wird, was passiert eigentlich mit den Geimpften? Und wenn die irgendwelche Nebenwirkungen zeigen, wird es sofort gemeldet und ausgewertet. Und man ist sozusagen parat mit dem roten Knopf oder in heutigen Medienzeiten würde man sagen mit dem Buzzer, um bereit zu sein, um alles wieder zu stoppen für den Fall, dass irgendwo mal was ganz Heftiges auftritt. Ich glaube das nicht. Also es ist von der Biologie her ist nicht zu erwarten, dass wir irgendeine total gruselige Nebenwirkung bekommen. Sonst hätte man die wahrscheinlich schon in diesen ersten Studien, die relativ gründlich waren, gesehen.


[0:07:45] Jan Krüger Beide haben ja eine Wirksamkeit vorgelegt von deutlich über 90% in ihren bisherigen Studien. Beides RNA Impfstoffe. Das haben Sie auch schon gesagt. Der wesentliche Unterschied war bisher, dass Biontech das ist dieser Impfstoff mit den riesigen Kühlschränken.


[0:08:01] 

Alexander Kekulé Ja, dabei bleibt es wahrscheinlich. Der muss im Prinzip bei minus 70 Grad gelagert werden. Ehrlich gesagt verstehe ich es biologisch nicht so ganz, weil die ja sehr, sehr ähnlich sind. Es kann sein, dass die einfach, sage ich mal strategisch, am Anfang den Fehler gemacht haben, dass die das gemacht haben, was man bei RNA ganz allgemein im Labor macht. Da sagt man einfach, das muss bei -70 bis -80 gelagert werden, weil es eine empfindliche Substanz ist. Und die nicht schnell genug umgestellt haben


auf einen anderen Prozess. Und man darf natürlich hier den Prozess nicht ändern. Also wenn man das bisher so gemacht hat und vor allem in den Studien immer so gemacht hat, dann wäre das relativ aufwendig, das zu ändern. Es kann aber auch sein, dass es tatsächlich an der Struktur der RNA selber liegt. Das ist ja so ein Molekül, was man sich so als Faden vorstellen kann. Und da ist ja die genetische Information darauf programmiert, aus der die Zelle dann dieses Spikes-Protein produzieren kann. Also diese herausstehenden ProteinenAusläufer, die an diesem Virus dran sind. Das Virus hat kleine Stachel außen. Darum heißt es ja auch Corona Virus. Und dieses Spikes werden quasi künstlich von der Zelle hergestellt. Von den menschlichen Zellen nach der Impfung. Und diese RNA, dieser lange Faden, der kann sich je nachdem, wie der dann im Einzelnen zusammengebaut wurde und das ist natürlich Staatsgeheimnis der beiden Hersteller -. der kann sich ein bisschen anders falten. Und je nach Faltungsstruktur dieser RNA ist die dann auch unterschiedlich stabil. Andere Variante wäre, dass dieses kleine Lipid-Bläschen, dieses Fett-Bläschen, in das das eingeschlossen wird, damit man es besser verabreichen kann und in die Zellen bringen kann. Dass das von der Formel ein Unterschied hat und dadurch die Temperaturabhängigkeit kommt. Das halte ich aber für weniger wahrscheinlich. Also wahrscheinlich liegt es tatsächlich an der RNA selber. Falls da überhaupt tatsächlich unterschiedliche Haltbarkeiten des Wirkstoffs selber sein sollten.


Jan Krüger


Aber wir so einen richtigen Rückschluss, dass Sie jetzt sagen, dieser hier ist besser als der andere, der lässt sich aus den vorhandenen Daten nicht ziehen?



Alexander Kekulé


Nein, das kann man so auf gar keinen Fall sagen. Das wird sicher so sein, dass im Lauf der Studie dann rauskommt ... Bei dem einen werden irgendwelche Nebenwirkungen schneller gemeldet als beim anderen. Da kann ich nur davor warnen, dann übervorsichtig zu sein. Was da so gemeldet wird. Das kann ganz viele Gründe haben. Wenn wir dann erst mal 100.000 und Millionen von Probanden oder


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dann nicht mehr Probanden, sondern von Personen haben, die geimpft wurden. Da kommt dann immer so alles Mögliche zusammen. Der eine hätte an dem Tag sowieso plötzlich eine Lähmung gehabt und hätte ins Krankenhaus gemusst. Es gab es aber eine Woche vorher eine Impfung. Dann wird es natürlich sofort in den Zusammenhang gesetzt. Da müssen wir uns darauf einstellen, dass das auch bei dem einen oder anderen Revolverblatt auch Schlagzeilen produzieren wird, wenn irgendwelche verdächtigen Zusammenhänge erzeugt werden. Das Problem, ich sehe eher ein anderes Problem. Wir wissen nicht ganz genau, wie gut das wirkt. Erstens bei Kindern bisher. Da gab es ja noch keine .. In den Studien wurden die unter 12  Jahren ja bisher nicht eingeschlossen. Wir wissen auch nicht. Das wird ja oft zitiert. Wie lange der die der Impfschutz anhält. Da bin ich eigentlich entspannt, weil ... Ich sag mal so, drei Monate wird es auf jeden Fall halten und wird dann langsam schwächer. Das reicht auf jeden Fall, um diese Pandemie erst mal zu unterbrechen. Und was im nächsten Jahr ist, mein Gott, da wird man im schlimmsten Fall noch einmal neu impfen müssen. Ich glaube es gar nicht wirklich. Also dann im übernächsten Jahr 2 02 2 . Aber die entscheidende Frage, die im Raum steht an der Stelle, ist tatsächlich, ob die Menschen, die geimpft wurden, ob die hinterher das Virus noch weitergeben können. Klar ist bei den Studien bisher, dass auf jeden Fall jeder, der geimpft wurde, keine Symptome mehr zeigt. Aber man hat nicht festgestellt oder untersucht bei den Studien, ob auch diese RNA des Virus noch da ist. Das heißt also, es wäre rein theoretisch möglich, dass jemand, der geimpft wurde, zwar selbst nicht mehr krank geworden ist, aber irgendwie das Virus noch ausscheidet. Sodass wir nicht genau wissen, wie stark quasi die Impfung dann die Epidemie dämpft. Weil es kann sein, dass die Menschen weniger krank werden, aber es trotzdem noch eine Weiterverbreitung gibt. Das ist ein theoretisches Risiko. Das wird von verschiedenen Fachleuten, auch dem Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission in den Raum gestellt. Hat ein Kollege von der Harvard-Universität vor einigen Wochen schon mal in einem Artikel sehr prominent besprochen. Ich selber glaube, dass das extrem unwahrscheinlich ist. Da malt man sehr den Teu-


fel an die Wand, wenn man sagt, die Leute werden zwar nicht mehr krank, aber sie können eventuell das Virus weitergeben. Das hieße ja, dass das Virus sich irgendwie auf der Schleimhaut vermehrt, abgegeben werden kann, aber trotzdem keine großen Symptome macht. Das halte ich für eine theoretische Diskussion. Aber die ganze Welt spricht über diese Möglichkeit. Und deshalb wissen wir formal noch nicht genau, ob wir mit diesen Impfstoffen tatsächlich die Epidemie dann unterbrechen können.


[0:12 :59] Jan Krüger Das ist also alles etwas, was wir noch sehen müssen. Was ja durchaus beeindruckend sind, erst mal auf den ersten Blick. Das sind die Zahlen. In welchem Umfang da die Impfdosen von der EU-Kommission schon bestellt worden sind. Bei Biontech sind es 300 Millionen Dosen. Bei Moderna waren es 160 Millionen Dosen. Aber wie lange dauert es noch, bis die alle zur Verfügung stehen?


[0:13:2 2 ] 

Alexander Kekulé Das wüsste ich auch gerne. Es ist auf jeden Fall so, dass wir hier in Europa mal davon ausgehen können, dass nur der Pfizer-Biontech-Impfstoff zur Verfügung steht. Moderna muss man sagen. Zum Vergleich noch mal was das überhaupt für Firmen sind. Das ist eine kleine Butze, wie man sagen würde, bis vor kurzem gewesen sind. Biotech-Firma ist eine von vielen, die in der Nähe von Boston im Zusammenhang mit den dortigen Universitäten gegründet wurde und die eben diese Methode hat. Die dann sehr, sehr viel Geld bekommen hat von der Operation Warp Speed in den USA, diesem Förderprogramm für Impfstoffe, insbesondere um das zu entwickeln. Und hat das also ganz toll geschafft, das auf die Beine zu stellen. Aber das ist eine Firma, die tatsächlich hier angewiesen ist auf Contracters, also auf Leute, mit denen sie Verträge gemacht haben, die dann die Herstellung machen, die Distribution machen, die Qualitätskontrolle machen und all das. Und das ist schon eine enorme Leistung für Leute, die so etwas noch nie gemacht haben und wohl auch im Management nur teilweise Erfahrung damit haben. Das heißt, hier


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ist ein ganzes Netzwerk sozusagen, was am Laufen sein muss, damit das Ergebnis rauskommt. Und ja, die haben natürlich mehrere Fabriken in den USA, mit denen sie das jetzt zusammen machen. Das ist eine Firma, die liegt eigentlich in der Schweiz, die macht das als Service für Moderna. Und die hat eine riesen Einrichtungen in Boulder Colorado, wo dann der Hauptstadt dieser Herstellung des Impfstoffs passieren soll. Das heißt aber letztlich wird der Moderna-Impfstoff, ist meine Vermutung, wird in den USA erstmals zur Verfügung stehen. Und dieses Jahr werden wir da höchstwahrscheinlich nichts bekommen. Dann der andere eben. Pfizer-Biontech. Da ist es so. Die haben ja eben, weil Biontech in Deutschland insgesamt 2 Werke hat. Die haben in Mainz, da ist die zentrale Niederlassung, vor kurzem auch in Marburg was gekauft. Da weiß niemand genau, wann die am Start sind hier. Pfizer hat auch noch eine Fabrik in Belgien, die die eher traditionell haben. Damit sind es dann drei in Europa. Und die sollen den europäischen Markt bedienen. Wie weit die in der Herstellung sind. Also ob die im Prozess schon so weit sind, dass da wirklich überhaupt was in großer Menge produziert werden kann, so in Millionen-Maßstab. Das ist bisher nicht bekannt gewesen. Man kann nur dazu sagen diese Scaling up, wie man das in der Pharmaindustrie nennt. Also quasi vom Labormaßstab über den Maßstab, den man braucht, um so eine klinische Studie mit ein paar zigtausenden Leuten zu bedienen. Bis hin zu dem Maßstab, dass man Millionen und Milliarden von Dosen herstellt ... Das ist eine eigene Wissenschaft für sich. Das ist wahnsinnig kompliziert. Da braucht man Experten für. Da kann viel schiefgehen auf der Strecke. Und in den USA hat sich Pfizer dazu entschieden, von seinen insgesamt vier Fabriken, die sie da haben, drei dafür einzusetzen. Dass ist dann so, dass der erste Schritt bei dieser Messenger RNA Produktion. Da braucht man ja immer eine DNA-Vorlage. Die wird dann kopiert und aus der Kopie .... Diese Kopie ist dann der eigentliche Impfstoff. Das teilen die so ganz witzig auf. Die fangen erst mal an mit ihrer Fabrik in St. Louis, in Missouri machen die das erste Produkt, diese lineare DNA. Dann verfrachten sie alles weiter nach Endeavour. Das ist nördlich von Boston in Massachusetts. Sie machen da diese Messen-


ger-RNA, den eigentlichen Impfstoff, die aktive Substanz daraus. Und dann wird es wieder nach Michigan transportiert. Irgendwo zu den Großen Seen im Mittleren Westen. Da wird es dann in diese Mini-Lipid-Partikels verpackt, in diese kleinen Fett-Bläschen und dann in Ampullen abgefüllt, sterilisiert und versandt. Das heißt, sie haben sich so eine Art Fließbandprinzip ihrer großen Fabriken in USA überlegt. Wie das in Deutschland und Belgien dann funktionieren soll, ist völlig unbekannter. Da bis jetzt nichts da. Und ich habe keine Ahnung, ob die Impfstoffe, die hier für Deutschland angekündigt werden von unseren Politikern. Ob die tatsächlich made in Europa sein werden oder ob die vielleicht aus den USA importiert werden. Das müsste man dort mal nachfragen.


[0:17:37] Jan Krüger Sie haben ja schon viel davon geredet, dass Pfizer für diese ganze Entwicklungen in den USA verantwortlich ist. Welchen Anteil hat dann Biontech gerade im Hinblick darauf, dass das eben der europäische Teil dieser Zusammenarbeit ist?


[0:17:51] 

Alexander Kekulé Biontech hat es eigentlich entwickelt. Also die haben ja überhaupt das Prinzip entwickelt. Es sind, wenn man so will, die Erfinder. Nicht des grundsätzlichen Impfprinzips, aber dieses konkreten Impfstoffs. Und Pfizer ist letztlich der sehr starke Partner. Das war eine der schlausten Entscheidungen dort von dem Ugur Sahin. Das ist ja der Chef von Biontech. Dass der ... Das ist ja inzwischen allgemein bekannt. ... den Albert Bourla, den Pfizer-Chef, frühzeitig angerufen hat und gesagt: Lass uns was zusammen machen. Alle die, die da später dran waren und nicht so einen Riesen wie Pfizer im Rücken haben. Die haben es natürlich in der jetzigen Phase ein bisschen schwerer. Das muss man ganz klar sagen. Und trotzdem ist eben dann umgekehrt für uns die Frage, wieviel Produktion macht Pfizer-Biontech dann am Schluss in Europa? Weil der Erfindungsteil ist sozusagen erledigt. Da kann man einen Haken dahinter machen. Die klinischen Studien sind zumindest als Pre-Marketing, also bis die Zulassung kommt, auch abgeschlossen. Da gibt es dann


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weitere Studien, die später laufen. Aber das wird Biontech nicht selber machen. Und der Hersteller hatte gesagt, dass sie bis Jahresende 50 Millionen herstellen wollen. Weltweit 50 Millionen Dosen. Heißt, das genügt für 2 5 Millionen Personen. In den USA wird kontinuierlich gesagt, dass etwa 2 0 Millionen Dosen nach Amerika gehen. Sogar 2 5 liest man zum Teil. Das heißt, die andere Hälfte wäre für den Rest der Welt. Und da sind da eben viele, die schon Verträge geschlossen haben. Ich habe es glaube ich schon mal gesagt zum Beispiel das Vereinigte Königreich hat Verträge. Japan, Kanada, die haben einzelne Verträge. Und dann kam die EU mit ihrer Unterschrift. Sodass ich jetzt mal davon ausgehen. Naja, wenn wir raten müsste, würde man sagen, also mehr als 2 0-bis 30 Millionen Dosen haben wir auf keinen Fall in der EU in diesem Jahr. Eher darunter. Und das heißt. Es wird hier eher, wenn man es dann wieder runterbricht auf Europa und dann auch den Anteil abzieht, den die EU ja versprochen hat, der COVAX-Initiative. Das soll weltweit 2 0 Prozent an die Entwicklungsländer gehen. Da bleibt dann nicht mehr so viel übrig, was wir in Deutschland machen. Trotzdem wird es natürlich eine wichtige Maßnahme für die Altenheime sein, weil wird dort ganz gezielt ältere Menschen in besonders hohes Risiko haben. Und die erstmal schützen können.


[0:2 0:14] Jan Krüger Sie haben eben schon den Ball so ein bisschen weitergegeben. Natürlich an die handelnde Politik. Wenn es dann um die Frage geht, wie dieser Impfstoff dann verteilt wird. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich heute dazu geäußert. Er rechnet damit, dass es im Januar mit Impfungen losgeht und auch über den weiteren Verlauf hat er ein bisschen einen Einblick gewährt im Interview mit dem Deutschlandfunk.


[0:2 0:35] Jens Spahn Wir werden zu Beginn ja vor allem in den Impfzentren und mit mobilen Teams auch impfen müssen. Deswegen, weil wir erstens priorisieren müssen. Wir haben am Anfang nicht für alle gleichzeitig einen Impfstoff. Und weil insbesondere bei Biontech bei minus 70 Grad be-


sondere Anforderungen an die Logistik, an die Lagerung kommen. Da ist mein Ziel gleichwohl. Wenn Zug um Zug weitere Impfstoffe kommen, die auch von der Lagerung und der Menge her geeignet sind für die Arztpraxen. Das wir dann ab Frühjahr, Frühsommer auch in den Arztpraxen impfen. Die Ärzte unter Stress. Aber schaffen es alle in den Praxen, über 2 0 Millionen Menschen Grippe zu impfen. Das heißt also, wenn es einmal da drin ist im normalen System sozusagen, dann schaffen wir auch große Zahlen. Und da wollen wir dann auch Richtung Frühsommer hin.


[0:2 1:2 0] Jan Krüger Sagt der Bundesgesundheitsminister. Der 2 . Teil lässt fast noch ein bisschen mehr aufhorchen, als die Impfzentren, von denen er zu Beginn spricht. Nämlich die Verteidigung der Arztpraxen, die er so gleichsetzt mit der Grippeschutzimpfung, die parallel immer noch in manchen Praxen stattfinde. Ist dieser Vergleich tauglich?


[0:2 1:37] 

Alexander Kekulé Naja, es ist eine andere Jahreszeit. Wenn er sagt Frühsommer. Da muss man daran erinnern, dass der Sommer am 2 0. Juni beginnt. Also Frühsommer wäre dann die 2 . Junihälfte von der er gesprochen hat. Das passt natürlich im Blick des Beobachters nicht so unbedingt dazu, dass überall in Deutschland diese riesigen Impfzentren hochgezogen werden. Wo jeweils mehrere Tausend Personen am Tag geimpft werden sollen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das funktionieren wird. Weil es ist ja ganz klar, man sagt, die Risikogruppen zuerst. Aus meiner Sicht wäre da die allererste Priorität ... Das hat der Minister aber auch in einem Nebensatz gesagt. Dass es mobile Einsatzgruppen gibt, die in die Altersheime fahren. Wo wir einfach wissen, alt sein Plus im Altersheim ist das höchste Risiko, was man überhaupt haben kann. Und noch mal zur Erinnerung. Wir haben in Deutschland nach wie vor ... Aktueller Stand von RKI-Bericht gestern. ... weiterhin massive Ausbrüche in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Das heißt, da müssen wir ran. Da müssen wir ans Personal ran. Da müssen wir vor allem die Insassen ... Und da sehe ich


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jetzt nicht, wie die alle im Rollstuhl in diese Impfzentren gefahren werden. Sondern ich würde wirklich sagen, das sollen die mobilen Einsatz-Truppen dort machen, wenn man die mal so nennen darf. Da kann dann das nächste, was geplant ist. Das tatsächlich Personen angeschrieben werden sollen, die dann, aus welchen Gründen auch immer, zu diesen Zuerstzu-Impfenden gehören. Also dann stelle ich mir vor, dass zum Beispiel medizinisches Personal angeschrieben wird. Da ist überhaupt nicht transparent bisher, wer diese Briefe schreibt, wie das ausgesucht wird, wer dazugehört. Wie ist es zum Beispiel bei jemandem wie mir? Ich bin ja hauptsächlich im Labor tätig. Ich muss nur relativ selten auf die Station und da Visiten mitmachen. Bin ich dann sozusagen schon jemand, den man anschreiben würde? Oder würde man überhaupt alle Ärzte anschreiben? Alle Pfleger, alles Pflegepersonal. Dafür wird der Impfstoff auf keinen Fall reichen. Und wenn man aber umgekehrt nur die Leute auf den Intensivstationen impft, die tatsächlich Patienten mit Covid-19 behandeln bzw. Pfleger impft, die im Altenheim pflegen. Dann weiß ich nicht genau, ob das sinnvoll ist, solche Zentren dafür einzurichten. Weil das Personal im Krankenhaus. Das ist ja das Einfachste von der Welt, den zum Betriebsarzt einzubestellen, der ja im Krankenhaus vorhanden ist. Und auch bei den Pflegeheimen gibt es üblicherweise eine gesundheitliche Überwachung der Bediensteten. Die müssen aus verschiedenen Gründen natürlich überwacht werden. Das ist ja ganz klar. Und über diesen Weg könnte man die natürlich auch impfen, statt die da irgendwo antreten zu lassen bei Schneesturm in irgendeinem Zelt, was vor der Stadt aufgebaut wurde. Daher verstehe ich noch nicht ganz, wie es funktionieren soll. Aber ich gehe davon aus, dass wir definitiv die Sterblichkeit wahrscheinlich ab Januar-Februar schon senken werden, weil es einfach weniger Todesfälle gibt. Dadurch, dass die Hochrisikopatienten dann hoffentlich langsam durchimmunisiert werden. Und alle anderen, das wird einfach noch eine Weile dauern. Da müssen wir uns in Geduld üben. Und natürlich auch, weil wir nicht wirklich wissen, ob es dann weiter infektiös ist und auch politisch das nicht unterscheiden können. Wir müssen alle weiter die Maske tragen und weiter diese Schutzmaßnahmen ergreifen,


auch wenn ein Teil der Bevölkerung geimpft ist. Das wird dann besonders interessant, wie man das kommuniziert, wenn sich dann vielleicht der eine oder andere Corona-Gegner heimlich hat impfen lassen. Und dann sagt er jetzt will ich nur, er will wirklich keine Maske mehr aufsetzen. Das ist dann besonders interessant, wenn man so eine heterogene Population hat. Ein Teil ist geimpft und sagt, ich habe es aber doch schon gehabt. Die Dritten wollen sowieso keine Masken aufziehen. Aber alle miteinander müssen sich weiterhin schützen. Das wird dann noch sportlich, und ich hoffe, dass der Sommer uns dann rettet.


[0:2 5:2 7] Jan Krüger Was Corona-Gegner jetzt tatsächlich geplant haben, da habe ich jetzt noch mit keinem gesprochen. Ich habe mit meiner Frau gesprochen. Die ist Ärztin. Da sind 2 Vorbehalte spürbar. Das eine ist: Wer drängelt sich jetzt sozusagen aus der Ärzteschaft wirklich darum, diesen Impfstoff als erster zu bekommen. Sie hatten ja auch schon ein gewisser Reservierungen vorgetragen nach einer der letzten Folgen. Und die andere ist, wer sind wiederum diejenigen Ärzte, die den Impfstoff verabreichen?


[0:2 5:57] 

Alexander Kekulé Ja, das sind 2 verschiedene Sachen. Also erstens habe ich, das muss ich vielleicht noch einmal richtig stellen. Ich habe natürlich gesagt, ich will nicht unter den ersten 100.000 sein. Einfach, wenn Sie eine Nebenwirkung 1: 10.000 haben. Dann haben Sie bei 100.000 das noch nicht festgestellt, ob die Nebenwirkung auftritt oder nicht. Ich habe aber auch kein ... Und das ist vielleicht ganz wichtig für die Hörer, sich das auch selber mal zu überlegen. Ich habe einfach auch kein Risikoprofil. Also, da muss jeder selber wissen, was ist schlimmer. Oder, wo gehe ich das größere Risiko ein? Kann ich mich in meinem Alltag vor Covid-19 gut schützen, wenn man einen Beruf hat, wo man sagt, das kann ich machen. In meinem Fall ist es so, dass ich persönlich sowieso seit Februar maximale Sicherheitsmaßnahmen ergreife mit meiner ganzen Familie. Wenn man sagt, das mache ich jetzt noch 2 Monate länger,


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dann muss man sich auch nicht in der Schlange vordringen. Wenn man sagt ich bin Risikopatient, weil ich vielleicht irgendwelche Grunderkrankungen habe oder aufgrund des Alters oder, was aus meiner Sicht genauso wichtig sein kann, ich kann mich einfach nicht perfekt schützen, weil ich als Pfleger im Krankenhaus vielleicht unmittelbar mit Risikopatienten oder mit Personen, die infiziert sein könnten, zu tun habe. Dann ist natürlich die Entscheidung ganz klar. Da muss man versuchen, so früh wie möglich den Impfstoff zu bekommen.


Ich höre dann manchmal von Wissenschaftsjournalisten. Die sagen dann in irgendwelche Kameras, ja, ich würde auf jeden Fall versuchen, mich zuerst impfen zu lassen. Da bin ich jetzt eher der Meinung, dass man denen den Vortritt lassen sollte, die jetzt tatsächlich die genannten Risikogruppen sind.


Wer macht die Impfung? Ja, das ist die große Frage. Wer es in diesen Impfzentren macht? Da gibt es natürlich schon Aufrufe. Und es wurden auch schon ... Es haben sich auch schon ganz viele Ärzte gemeldet, bereiterklärt, in diesen Impfzentren da mitzuwirken. Klar ist, dass auch dort natürlich irgendwie das von Ärzten gemacht werden muss. Und die fehlen dann unter Umständen in den Praxen oder im Krankenhaus. Ich habe auch schon Berichte gehört von Krankenhäusern. Die haben also einen Impfzentrum aufgezogen. Und dann hat er Leiter dort aber gesagt, jetzt haben wir das Impfzentrum. Aber wer da impfen wird, wissen wir nicht genau, weil wir unser Personal eigentlich dringend an anderer Stelle brauchen. Ich glaube aber insgesamt ... Das wird natürlich irgendwie eine improvisierte Aktion ... Da werden wir die Kühlschränke beibringen müssen. Dann müssen wir dieses Trockeneis irgendwie haben. Da wird auch viel mal schiefgehen und vielleicht in dem einen oder anderen Impfzentrum mittags um 2 Schluss sein, weil plötzlich keinen Arzt mehr da ist. Aber insgesamt glaube ich, kriegen wir das in Deutschland hervorragend hin. Das ist ja eine leichte Übung. Und da hat der Bundesgesundheitsminister was Wichtiges gesagt. Jedes Jahr werden um die 2 0 Millionen Menschen gegen Grippe geimpft. Wenn wir dieses Jahr 40 Millionen gegen Covid-19 impfen, dann sind wir schon weit


im grünen Bereich für die Pandemiebekämpfung. Natürlich haben wir dann noch nicht diese formale mathematisch-theoretische Herden-Immunität. Dafür bräuchten wir Zweidrittel Immunisierte. Aber wenn die Hälfte der Bevölkerung ungefähr geimpft wäre. Dann ist das Virus schachmatt. Das kriegen wir hin. Ja, das wird bis zum nächsten Sommer. Der einzige Faktor, den ich sehe. Wo wir wirklich uns auf Überraschungen gefasst machen müssen, ist, dass wir nicht wissen, wie schnell die Hersteller nachkommen. Es gab gerade bei Impfstoffen immer wieder in den letzten Jahren auch Engpässe. Bei denen, die die Kinder ja bekommen, regelmäßig. Dass dann plötzlich ein Hersteller ausgefallen ist, in einer Fabrik hat was nicht funktioniert, die Chargen waren nicht steril. Dann gab es plötzlich wirklich einen weltweiten Impfstoffmangel. Und hier ist es natürlich auch möglich. Aber wenn man sich bei diesem Produktionsprozess ... Ich hab's ja vorher mal kurz vorstellt. Da werden also Millionen von Dosen in so einer Fabrik hergestellt. Und da muss jetzt zum Beispiel diese RNA, die da hergestellt wird als Impfstoff. Die muss von dem Zwischenprodukt DNA, was man eben unterwegs mal hat und von diversen Proteinen aufgereinigt werden. Da gibt es Reinigungsschritte zwischendurch. In diesen Reinigungsanlagen. Das sind meistens so chromatografische Säulen, durch die man das laufen lässt. Also so quasi eine Art Riesenfilter. Da kann einfach mal was schiefgehen. Da leuchtet eine rote Lampe auf. Da muss die Apparatur abgeschaltet werden. Es dauert eine Woche, bis man sie wieder richtig gestartet hat. Und in der Zeit wird nichts produziert. Darauf müssen wir uns einfach einstellen und ein bisschen Geduld haben. Wenn das wie am Schnürchen klappt sowie die Entwicklung des Impfstoffs. Dann hat die Welt wirklich etwas ganz Großartiges geleistet. Aber gerade bei Moderna, was ja auch auf so ein Netzwerk angewiesen ist. Da würde ich sagen, das wäre fast ein Wunder, wenn da nicht irgendwo an der einen oder anderen Stelle mal was quietscht.


[0:30:45] Jan Krüger Nehmen wir mal an auf. Mehr als gequietscht hat es bei einem anderen potenziellen Impfstoffhersteller, nämlich bei AstraZeneca. Auch


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die hatten ja in den letzten Wochen ihre Studie vorgelegt, mit einer gut 70-prozentigen Wirksamkeit. Im Hinterkopf behalten habe ich natürlich noch, das ist ein anderer Impfstoff, nicht diese RNA Basis. Nun musste AstraZeneca zu geben. Da gab es einen mittelschweren Rechenfehler bei dieser Studie. Den möchte ich jetzt gerne nochmal genau mit Ihnen aufdröseln. Was genau haben die da falsch gemacht?


[0:31:15] 

Alexander Kekulé Ja, das hat mich ziemlich frustriert. Wie es gelaufen ist und auch, was passiert ist. Erstens das muss man vorwegschicken, dass ist technisch gesehen, ein anderer Impfstoff in sogenannter Vektor-Impfstoff. Der hat ein anderes Risikoprofil. Da muss man vielleicht noch einen Ticken genauer auf die Nebenwirkungen schauen. Leider ist die Studie von AstraZeneca ja auch mal angehalten worden. Zwischendurch, weil man eine Nebenwirkung hat, die man nicht einordnen konnte und ist aber dann wieder gestartet. So dass AstraZeneca einfach ein bisschen hinterher war hinter den Wettbewerbern, die wir gerade besprochen haben. Und offensichtlich haben sie sich da besonders bemüßigt gefühlt, als dann die Erfolgsmeldungen kamen, eben von Biontech und Moderna. Dann zu sagen, wir sind aber auch so weit. Und haben dann letzte Woche Montag bekanntgegeben, dass sie eine 70prozentige Wirkung haben. Das haben Sie gerade schon gesagt. Das wurde aber folgendermaßen zusammengerechnet. Das hat man dort auch gesagt. Ein Teil der Studienteilnehmer hatte eine 90prozentige Wirkung bei einer anderen Dosierung. Und kam bei einer etwas schlechter funktionierenden Dosierung waren es 62  Prozent. Und daraus haben die, das ist so weit okay. Sie haben einen statistischen Mittelwert von 70 gemacht. Es ist nur so, dass dann nach und nach rauskam, das da das folgendermaßen war. Die, wo es besser gewirkt hat, die haben zuerst eine halbe Dosis bekommen und einen Monat später die volle Dosis. Und die, die, wo es schlechter gewirkt hat. Die haben zweimal eine volle Dosis bekommen. Das heißt also weniger hilft hier mehr. Das käme sonst nur aus der Homöopathie. Und da haben natürlich die ganzen Fachleute gesagt, was soll denn das


jetzt? AstraZeneca hat es zuerst gar nicht erklärt. Und erst am nächsten oder übernächsten Tag kam raus, dass sich echt krass jemand verrechnet hatte bei dem Zusammenmixen der Ampullen für diese Studie. Da sag ich jetzt mal, also mir gefällt es gar nicht, wenn sich bei einem großen Pharmakonzern Leute verrechnen und dann die falsche Konzentration in der Ampulle ist. Wie auch immer. Zum Glück war es nicht zu viel, sondern zu wenig in dem Fall. Und dann aber auch noch, das zu verschweigen, um nicht zu sagen zu verheimlichen, das war schon mal ziemlich krass. Dann hat dann erst nochmal einen Tag später der Chef von dieser Operation Warp Speed in den USA. Der heißt Moncef Slaoui, das ist quasi ein unabhängiger Beobachter der Angelegenheit. Der hat dann damit rausgerückt, dass er gehört hat, dass bei der besser wirksamen Dosis, wo es angeblich 90 Prozent wirksam war, also genauso gut wie die Konkurrenz ungefähr. Da waren keine Leute über 50 dabei. Also, das wurde an Menschen bis zu 50 Jahren gemacht. Und die entscheidende Altersgruppe sind natürlich die Alten, wo wir wissen wollen, ob es da auch wirkt. Das heißt also, auch das hatte AstraZeneca und Oxford, das ist ja mit der University of Oxford gemeinsam, muss man sagen unterschlagen, einfach diese Information. Und wenn man dann auf die harten Zahlen guckt, sieht es auch nicht so toll aus. Nämlich diese 0,5 plus 1 Dosierung, also diese Optimale, wie sie das nennen, mit der angeblichen 90prozentigen Wirksamkeit. Das haben etwas weniger als 2 800 Probanden gekriegt. Wir haben jetzt vorhin die Zahlen bei den anderen gehört. Also 2 800 ist echt wenig. Und da ist dann auch noch rausgekommen, dass es hier ... Das für diese Zahlen gepoolt wurde, also zusammengelegt wurden: Studien, die in Großbritannien und in Brasilien gemacht wurden. Das ist soweit normal, dass man mehrere Studienzentren hatte. Aber dann kam eben raus, dass die unterschiedliche Studienprotokolle hatten. Also in Brasilien und dem Vereinigten Königreich wurden nicht exakt die gleichen Studienprotokolle verwendet. Und das ist eigentlich extrem unüblich, um es mal vorsichtig zu sagen. Weil wenn man so Mittelwerte macht. Auch diesen Mittelwert aus den 62  und 90. Für die, die jetzt damit rechnen und sagen, der Mittelwert ist doch gar nicht 70. Das liegt


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an der Zahl der Teilnehmer. Bei den 62  Prozent waren es mehr Teilnehmer. Und deshalb kommt dann tatsächlich der richtige Wert bei 70. Das ist so etwas, das kann man schon mal machen. Aber dann müssen exakt die Protokolle und die Bedingungen gleich sein. Sie können ja nicht sagen, ich vergleiche jetzt mal das Einkommen von Bankern und Leuten, die Lehrern und sage, der Mittelwert ist so und so. Sondern der Mittelwert hat dann keine Aussagekraft, wenn man verschiedene Populationen vergleicht. Und hier ist es bei den Studien auch so. Und dann haben die Leute natürlich gesagt: Nein, das stinkt alles zum Himmel. So geht es nicht. Und erst nach der öffentlichen Kritik, auch von vielen meiner Kollegen in den USA. In Deutschland komischerweise hat sich keiner so recht gerührt. Da haben die jetzt angekündigt, dass sie die Studie erweitern wollen bzw. noch eine weitere Studie mit dieser angeblich optimalen Dosierung machen wollen. Ich habe so ein bisschen Angst. Das ist ja ein britisches ... Nationalstolz ist hier getroffen. University of Oxford. Es gingen Gerüchte um, dass das Downing Street Ten, also der Regierungssitz des Premierministers in London, dass die schon dafür plädiert haben, dass der Union Jack, also die britische Nationalflagge, auf die Ampullen gedruckt wird. Kein Witz. Das war das war wohl. Die Absicht. Haben uns mehrere Zeitungen bestätigt. Und jetzt ist es ja so. Wir alle wissen, dass das Vereinigte Königreich zum 31.12 . aus der EU austritt. Und die haben die Möglichkeit, bei besonderen gesundheitlichen Notlagen eine Sonder-Zulassung zu machen, die dann nur für UK gilt. Das könnten sie ab sofort machen. Und so ein bisschen besteht jetzt die Befürchtung, dass jetzt Boris Johnson, der ja auch auf der Suche nach Erfolgen ist, der britische Premier. Dass der jetzt eine britische Sonderzulassung macht für diese nationale Großleistung und dadurch im Grunde genommen AstraZeneca hier bisschen aus der Pflicht lässt. Ich finde, man muss denen jetzt wirklich sagen. Passt mal auf Leute, ihr müsst, wenn ihr diese 90 Prozent Wirksamkeit in den Raum stellt, müsst ihr einfach auch eine weitere Studie machen. Und das wird schwierig, weil natürlich keiner bei so einer echten, kontrollierten Studie jetzt Placebo haben will. Wenn es, wenn was zugelassen ist.


[0:37:2 1] Jan Krüger Würden Sie im Nachhinein sagen, da hat ein großes Pharmaunternehmen einfach so gearbeitet wie jetzt die Biochemie AG an der Schule um die Ecke. Oder ist da irgendwie schlechter Absicht dahinter?


[0:37:32 ] 

Alexander Kekulé Nein, schlechte Absicht nicht. So krass ist es nicht. Es ist so. Man muss dazu sagen, AstraZeneca ist ja kein Profi bei der Impfstoffherstellung. Also, die machen das nicht so. Da ist keiner so der Big Player in dem Bereich. Und die haben sich zusammengetan mit dem Jenner Institut, was zur Oxford University gehört. Adrian Hill ist dort ein sehr eloquenter, superintelligenter, aber genauso ehrgeiziger Mann, der das Projekt leitet. Und die sind halt einfach beseelt gewesen davon, dass sie hier so ein tolles Produkt haben. Die wurden auch, muss man zur Erinnerung sagen, am Anfang gehyped. Also in der Historie war es so, dass dieser Oxford-Impfstoff eigentlich immer als große Nummer eins gehandelt wurde. Der hat übrigens auch Vorteile. Erstens wird so ein Impfstoff schneller sehr großer Menge produziert, weil das ja quasi ein Virus ist, was sich vermehrt in der in der Zellkultur, um diesen Impfstoff herzustellen. Das geht schneller. Und zweitens ist es viel billiger als diese RNAImpfstoffe. Das heißt also, wahrscheinlich kostet er nur ein paar Dollar pro Schuss und ist damit höchstens ein Fünftel so teuer wie die Konkurrenz. Und es ist auch so, dass man den tatsächlich ziemlich lange im Kühlschrank lagern kann. Also mehrere Wochen auf jeden Fall. Und das ist für die Entwicklungsländer wichtig. Jetzt hab ich so ein bisschen die Befürchtung, dass es dann so eine zweigeteilte Welt wieder geben wird. Also hier in Europa. Wenn Sie die Wahl haben, wollen Sie jetzt was haben, was 62  Prozent wirkt oder was, was 95 Prozent wirkt. Da ist die Antwort einfach. Und dann wissen wir auch alle, dass es diese Konflikte gab oder diese dicken Fragezeichen bei AstraZeneca. Das heißt, sie produzieren eigentlich jetzt vielleicht fürs Großbritannien, aber eben dann letztlich für die Dritte Welt, für die noch nicht so weit entwickelten Länder. Und das ist eigentlich schade, wenn man dann sagt,


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ihr kriegt das, was zu 60 Prozent wirkt. Und wir nehmen das, was 95 Prozent wirkt. Es hängt natürlich auch mit der Lagerung im Kühlschrank zusammen und den Preis. Aber ich glaube, so eine Entwicklung wäre traurig, wenn es in diese Richtung gehen würde.


[0:39:31] Jan Krüger Nun haben wir viel über den Impfstoff gesprochen, natürlich heraus guten aktuellen gründen oder auch aus schlechten Gründen wie im Fall von AstraZeneca. Was so ein bisschen in den letzten Wochen unter dem Radar läuft, neben der Impfstoffentwicklung, ist die Behandlung der Krankheit Covid-19 selber. Da wurde in den letzten Monaten immer auch mal wieder Hoffnung gelegt in die Therapie mit Rekonvaleszenten-Plasma, sprich Antikörper aus dem Blut von jemandem, der Corona überstanden hat. Das geht an jemanden, der jetzt erkrankt ist. Und da gibt es nun eine neue Studie aus Argentinien, die bei einem Vergleich zwischen einer Gruppe oder einer Kontrollgruppe, sagt man ja, glaube ich, und einer Placebo-Gruppe, da keinen signifikanten Unterschied festgemacht hat. Was heißt das nun für diese Hoffnung?


[0:40:17] 

Alexander Kekulé Ja, dieses Convaleszenten-Plasma. Das ist eigentlich eine Sache, auf die ich auch einmal stand. Ich finde, das ist so naheliegend. Das hat man ja schon bei der Pest gemacht, nicht im Mittelalter sondern dann in der Neuzeit. Da gab es auch noch Pest. Dass man Blut genommen hat von Menschen, die wieder gesund geworden waren und dann das infundiert hat in Personen, die aktuell krank waren. Weil man gesagt hat, da muss irgendetwas drinnen sein. Heute würde man sagen Antikörper, was schützt und heilt. Das ist so frustrierend. Das funktioniert praktisch nie. Wir haben das bei Ebola versucht und in tausend anderen Situationen. Hier ist es ein weiterer Versuch, wo viele daran geglaubt haben, auch in Deutschland. Aber komischerweise, wenn man jemanden, der gesund ist, der massenweise Antikörper gegen dieses Virus hat. Und wenn man dessen Plasma als Infusion jemanden gibt, der gerade akut krank ist. Hier noch einmal weiter bewie-


sen, ist es so, dass man keinen Unterschied sieht. Die haben in Buenos Aires gerade 2 2 8 Personen gehabt, diese behandelt haben, und da haben sie 105 Personen, ungefähr der Hälfte, ein Placebo gegeben, um das zu vergleichen. Das nennt man dann eben kontrollierte Studien. Und da ist rausgekommen kein Unterschied.


Es gibt so eine ähnliche Studie, die gemacht wurde schon vor einiger Zeit. Eine kontrollierte Studie war in Indien. Da hat man auch ungefähr 2 30 Personen behandelt und genauso viele mit Placebo. Das ist im Oktober veröffentlicht worden. Da war auch kein Unterschied zu sehen.


Und es gibt 2 größere, wie wir sagen: Beobachtungsstudien. Also, die nicht von vornherein kontrolliert werden. Nach dem Motto: Du kriegst Placebo. Du kriegst den echten Wirkstoff. Sondern wo man einfach anschaut, wie therapiert wurde und versucht, statistisch auszuwerten. Gab es da irgendeinen Unterschied? Je nachdem zum Beispiel, wie viele Antikörper vorhanden waren in diesem Plasma. Das ist individuell unterschiedlich. Der eine hat mehr, der andere weniger. Und auch bei diesen vorherigen sogenannten Beobachtungsstudien mit vielen tausend Teilnehmern ist nichts rausgekommen. Sodass wir eigentlich sagen müssen, unterm Strich super tolle Idee. Ich war wahrscheinlich nicht der einzige, der dran geglaubt hat. Aber irgendwie. Aus Gründen, die wir nicht kennen, funktioniert es nicht. Wenn man jemanden der Covid19 hat, das Plasma von jemandem infundiert, auch wenn da noch so viele Antikörper drinnen sind von einem Geheilten, dann wird er nicht schneller gesund. Und auch die Sterblichkeit ist genau die gleiche.


[0:42 :45] Jan Krüger Das heißt, Ihre Hoffnung ist jetzt ganz weg. Es gibt ja auch noch Studien dazu, die in Deutschland laufen. Oder sagen Sie jetzt mal beobachten, was da rauskommt.


[0:42 :54] 

Alexander Kekulé


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Also, ich muss sagen. Also ich kenne jetzt vier Studien: 2 Beobachtungsstudien und 2 kontrollierte Studien. Da ist jeweils der Effekt null. Ich sage mal ein Beispiel: Sterblichkeit bei der einen, die gemacht wurde. 10,96 Prozent mit der Behandlung gegen 11,43 Prozent beim Placebo. Das ist kein Unterschied. Und da sage ich, das lohnt sich eigentlich nicht mehr. Klar werden die Studien noch gemacht. Es gibt ja auch noch Studien mit Remdesivir weiterhin. Es gibt Studien massenweise mit Hydroxychloroquin, wo wir auch wissen, das wirkt nicht. Solche Studien werden abgeschlossen, weil es natürlich wichtig ist, die wissenschaftliche Evidenz wirklich sauber zu haben für die Bücher und für die Ewigkeit. Aber ich würde jetzt sagen, das Instrumentarium der Intensivmedizin, um die Menschen zu retten. Und leider brauchen wir das ja in Deutschland weiterhin. Dieses Instrumentarium ist jetzt nicht durch diese Plasmatherapie bereichert worden.


[0:43:52 ] Jan Krüger Kommen wir zu den Hörer-Fragen. Da wirft so langsam tatsächlich Weihnachten seine Schatten voraus. Also die Politiker, die ja schon seit Wochen von Weihnachten gesprochen haben, haben da durchaus einen Nerv getroffen. Da geht es häufig um die Frage: Wie können wir richtig ein Weihnachtsfest abhalten? Die erste Mail dazu, die kommt von Herrn K. Der schreibt das folgendermaßen: „Ab und zu treffen wir ein Paar aus einem anderen Haushalt, aus Sicherheitsgründen immer in Decken eingepackt und mit Heiß-Getränk auf der überdachten Terrasse. Nun hat uns etwas verunsichert. Ist das überhaupt so sicher? Wenn man sich in der derzeitigen Wetterlage ähnlich kühl wie in einem Schlachtbetrieb draußen in 1,5 m Abstand ohne Maske trifft. Ist derzeit gegebenenfalls auch draußen eine Ansteckung möglich? Auch in Hinsicht auf Weihnachten? Die Frage, da wir uns auch so mit den Schwiegereltern treffen wollten. Da ist sicherlich noch die Erinnerung an den Ausbruch bei Tönnies da.


[0:44:45] 

Alexander Kekulé Da hat jemand gut mitgedacht. Also erstens muss man sagen, es ist so, dass es einfach bis heute keinen Cluster gibt oder keinen Super-


spreading-Ereignis mit Influenzaviren oder auch mit anderen Erkältungsviren oder aktuell mit diesem Covid19 im Sars-Cov-2 -Virus. Da gibt kein Ereignis, wo einer es geschafft hat, so wie bei Tönnies in der Kühlkammer mehrere andere anzustecken. Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass diese Methode die da gewählt wurde. Ich hab was von 1,5 Meter Abstand auch noch gehört. Und dann auch noch im Freien. Dass das extrem sicher ist. Biologisch muss man dazu sagen: Es ist ja so, dass das sehr, sehr schnell, was man ausatmet, gerade in der kalten Luft draußen extrem schnell sich verdünnt. Das liegt auch an der Konvektion. Also erstens atmet man das aus. Es verteilt sich. Aber dann ist es ja bekanntlich so, dass warme Luft aufsteigt. Das heißt also, es kommt sofort zu einer Durchmischung, sodass ich nicht davon ausgehe, dass irgendwie eine infektiöse Wolke es schafft in hoher Konzentration bis zum nächsten zu gehen. Daher würde ich sagen, erst einmal Entwarnung.


Andererseits ist es so. Der Gedanke ist natürlich jetzt für einen Wissenschaftler. Die haben ja immer Spaß, sich Worst-Case-Szenarien zu überlegen. Ganz interessant dass man sagt: Ja, Kühlkammer. Moment mal, die Kälte könnte schon dem Virus irgendwie nutzen. Und es wäre ja nicht auszuschließen, dass je nachdem, wie gerade die Luftfeuchtigkeit in der Gegend ist. Dass man irgendwie Bedingungen schafft, die jetzt schon ähnlich sind wie eine Kühlkammer. Bei Tönnies zum Beispiel. Da würde ich sagen, das wäre mal eine echt nette Doktorarbeit das nachzuforschen. Da gibt es keine Daten darüber. Es ist einfach nicht bekannt. Das hat bisher keiner gemacht. Ich kann da noch einmal sagen, dass bis hier so das Paradigma ist, was wir alle haben. Von der Grippe noch, dass wir sagen, das Optimale für eine Virusverbreitung ist eine vor allem trockene Luft, weil man kleine Tröpfchen ausatmet. Und nach einem Ausatmen verdunstet die Feuchtigkeit. Wenn die Luft sehr trocken ist, also wenn die absolute Luftfeuchtigkeit ... Auf die kommt es an. Antrocknen, gering ist. Und dann hat man solche Infektions-Kerne oder Tröpfchenkerne sagen wir dazu, die dann besonders weit fliegen können und noch ansteckend sind. So was bildet sich rein physikalisch theoretisch jetzt unter den Bedingungen im Freien eher nicht,


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sondern dass ist der Klassiker im geschlossenen Raum im Winter mit der trockenen Raumluft. Aber bei Tönnies wissen wir nicht genau, wie trocken die Luft wirklich war. Und daher: Ja, das wäre mal eine interessante Untersuchung. Aber bitte wegen so einer extrem hypothetischen Möglichkeit, die wissenschaftlich, akademisch interessant ist. Da würde ich jetzt nicht die Empfehlung ändern, weil die Epidemiologie eindeutig ist. Es gab bisher keine Ausbrüche unter diesen Bedingungen


[0:47:37] Jan Krüger Also eine ausführliche Antwort für Herrn K. und eine Anregung für alle, die demnächst an der Uni Halle-Wittenberg eine Doktorarbeit einreichen. Auch die 2 . Frage die beschäftigt sich mit Weihnachten bzw. der Frage: Wie kann man Weihnachten sicher machen? Da hat uns der Anruf von Frau M. aus München erreicht.


[0:47:55] Zuhörerin Es wird jetzt immer wieder gesagt wenn man an einen Schnelltest kommt und am 2 3.12 . testet, dann wäre die Gefahr, seine Großeltern in den Weihnachtstagen anstecken, nicht mehr gegeben. Aber es ist doch wohl richtig, dass der Schnelltest nur für einige Stunden, höchstens zehn Stunden aussagekräftig ist und danach ebenfalls man frisch infiziert ist, sich dann doch das Virus repliziert und man wieder ansteckend ist. Ich meine, das sollte noch mal geradegerückt werden, denn ich höre, dass jetzt überall: Dass ein Test am 2 3. grünes Licht für Weihnachten gibt.


[0:48:35] 

Alexander Kekulé Die Schnelltests sind tatsächlich nicht so empfindlich wie die PCR. Das hat Vorteile, weil man Leute nicht falsch positiv testet, die gar nicht mehr infektiös sind. Aber die Hörerin hat vollkommen recht, der ich würde eigentlich empfehlen, wenn man es machen kann, den Schnelltest am gleichen Tag zu machen und so meine Empfehlung. Das werde ich natürlich öfters auch gefragt im professionellen Umfeld. Die heißt, dass man einem negativen PCR Test 48 Stunden vertrauen kann. Das entspricht


auch sehr genau den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und dass man einem Antigen-Schnelltest am gleichen Tag vertrauen kann. Also wenn man da einmal drüber schläft, kann es tatsächlich sein, das am nächsten Tag dann jemand, der sich schon angesteckt hatte und vorher negativ war im Schnelltest, dass der dann positiv wird. Aber das Wichtigste ist ja eigentlich was anderes. Wir haben es ja hier nicht mit anonymen Personen zu tun, wie bei einer Sitzung in einem in dem Unternehmen oder so. Sondern wir wissen wirklich, das sind unsere Verwandten. Das sind Leute, die auch eine hohe Verantwortung für ihre Familienmitglieder haben. Und deshalb ist das Verhalten vor Weihnachten das Entscheidende. Wenn ich mich die letzten sieben Tage, sage ich mal, vor dem 2 4.12 . so verhalten habe, dass ich versuche, wirklich Infektionsquellen zu meiden. Das heißt im schlimmsten Fall sogar, wenn ich zum Einkaufen mit FFP2 -Maske gehe, wenn der Laden wirklich voll ist. Und wenn ich das Gleiche in der U-Bahn mache. Und wenn ich natürlich keine Leute treffe, von denen ich weiß, dass sie Party-People sind und sich nicht an die Regeln halten. Dann würde ich sagen, das ist eigentlich die allerwichtigste Maßnahme, dann brauche ich schon fast keinen Schnelltest. Plus natürlich, dass jemand, der irgendetwas wie Symptome verspürt, zu dem Zeitpunkt oder kurz vorher. Dass der natürlich bitte nicht kommen soll. So tragisch das ist und so lecker dann das Weihnachtsessen sein mag, was man verpasst. Wer also Halsschmerzen am Morgen hat oder am Tag vorher irgendwie gehustet hat und geschnupft hat, der soll irgendwie lieber gar nicht kommen. Da würde ich mich dann vielleicht auch gar nicht mehr auf diesen Schnelltest verlassen. Wenn jemand Krankheitssymptome zeigt, dann schlägt das sozusagen das negative Testergebnis. Und das heißt dann, zuhause bleiben und Weihnachten per Zoom feiern. Vielleicht kann man ja noch eine Keule von der Gans vorbeibringen bei dem Armen. Aber so würde ich da eher verfahren. Der Schnelltest ist nur noch so eine zusätzliche Sicherheit. Am Tag vorher ist besser als gar nicht. Klar am 2 4.12 . das von einem Arzt gemacht zu bekommen, ist natürlich nicht so einfach. Und 2 3.12 . ist auch gut. Aber heißt eben eigentlich nur, dass man an diesem einen


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Tag dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht Covid-ansteckend ist.


[0:51:16] Jan Krüger Also, es kommt sehr auf den Einzelfall an. Und wenn ich mir eins zu Weihnachten wünschen darf, dann bitte nicht Zoom einschalten an diesem Tag nach dem Ablauf in diesem Jahr. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 7. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dahin, Herr Krüger.


Jan Krüger


Und wenn Sie eine Frage haben. Dann schreiben Sie uns. Die Adresse dafür ist MDRAktuell-Podcast/mdr.de oder rufen Sie uns an: Kostenlos unter 0800 32 2  00..


Kekulés Corona-Kompass gibt es auch als ausführlichen Podcast auf MDRAktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte. Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf MDRAktuell.de.


MDR Aktuell: Kekulés Corona-Kompass


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 8. November 2 02 0 #12 6 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Wie groß ist die Infektionsgefahr im Schlafwagen der Bahn?


Könnte sich das Sars-CoV-2  Virus mit dem Vogelgrippe-Virus kreuzen und so noch gefährlicher werden?


Wird vor einer Impfung auf Antikörper getestet?


Wann können wir wieder ein normales Leben führen?


Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr Müller hat geschrieben: „Die Politik behauptet, die Durchimpfung der 80 Millionen Einwohner Deutschlands würde logistisch gesehen ein bis 2 Jahre dauern. Bei der diesjährigen Grippeschutzimpfung wurden mehr als 2 0 Millionen Dosen hierzulande in knapp drei Monaten verbraucht. Wenn man den Meldungen glauben darf, dass der Grippeschutz-Impfstoff jetzt knapp ist. Wo also ist das Problem? Viele Grüße, Herr Müller.“


[0:01:02 ]



Alexander Kekulé


Ich glaube nicht, dass es so lange dauert. Und ich muss auch sagen, dass die Politik in


Deutschland im Gegenteil sagt, dass die ... 83 Millionen ist aktuell die Zahl Bundesbürger. ... dass die im Prinzip demnächst Schlange stehen können mit hochgekrempelten Ärmeln. Ich bin jetzt eher der Meinung, dass die Politik das Ganze zu sportlich darstellt. Weil jetzt werden schon Impfzentren aufgebaut. Das Rote Kreuz übt, wie man eine Spritze hält und so was. Da muss man sich vor Augen halten. Dieses Jahr werden die erstmal wenige Dosen verimpft, und zwar an die Risikogruppen, die hauptsächlich im Altersheim sind. Da braucht man keine Impfzentren für. Und dann wird es nächstes Jahr irgendwie losgehen. Und ich glaube schon, dass ... Wir brauchen ja so eine Immunität von etwa 50 Prozent, damit wir einen deutlichen Effekt haben bei den Infektionszahlen. Ich glaube schon, dass wir das bis nächsten Sommer schaffen werden. Vielleicht wird es Juli oder so was. Aber ich glaube schon, dass wir nächsten Sommer soweit sind, sofern der Impfstoff fließt, dass wir einen deutlichen Effekt bei den Infektionsraten sehen.


[0:02 :02 ]



Camillo Schumann



Man muss ja auch dazu sagen das ist ja, dass das ein abgestumpftes im Verfahren ist, wie Sie es gerade eben angesprochen haben. Zuerst die alten Risikogruppen, möglicherweise auch medizinisches Personal. Das hat der Ethikrat ja festgelegt. Man muss dazu sagen, dass sie Impfdosen ja dann auch vorhanden sein werden. Sind Sie denn optimistisch, dass dann ausreichend dasein werden bis nächsten Sommer?


[0:02 :2 2 ]



Alexander Kekulé


Ja, Sie sprechen es genau an. Das ist so ein bisschen meine Frage. Das weiß keiner. Die Hersteller haben sich nicht geoutet, und ich kenne ich kenne natürlich die Leute auch von der Herstellerseite ein bisschen selbst. Wenn man die fragt, sagen die nicht: „Jawohl, ihr kriegt so und so viel Dosen.“ Deshalb würde ich dafür plädieren, sich natürlich darauf vorzubereiten. Wenn der Impfstoff kommt, ist es toll. Dann muss der verimpft werden. Aber sicherlich werden die ersten Millionen in den


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Altersheimen und Pflegeheimen verimpft, dann kommt das medizinische Personal, und erst dann braucht man diese riesigen Impfzentren mit Massendurchsatz 5000 pro Tag, was da gesagt wurde und Ähnliches. Sodass man eigentlich da jetzt nicht so auf die Tube drücken müsste. Aber politisch. Das ist gar nicht kritisch gemeint, ist doch klar. Die Politik verlangt jetzt der Bevölkerung in einem weiteren Lockdown einiges ab. Und da will man natürlich das Licht am Ende des Horizonts möglichst plastisch darstellen. Und deshalb gibt es diese Fotos von Politikern oder diese Aufnahmen von Politikern in diesen Impfzentren.


[0:03:2 2 ]



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen, ihre Familie hat Covid19 durchgemacht. Und nun möchte sie wissen, wer von ihren Kindern das Virus in die Familie eingeschleppt hat. Sie hat sich die Testergebnisse ihrer beiden Söhne und ihres Mannes und ihre eigenen sehr genau angesehen. Deshalb hat sie folgende Frage:


[0:03:40]


Zuhörerin


Wir haben aus dem Labor die CT-Werte erhalten. Und da ist zu erkennen, dass mein Großer die höchsten CT-Werte somit die geringste Viruslast hatte. Und danach mein kleiner, dann ich und dann mein Mann. Kann ich denn jetzt anhand dieser ableiten, dass tatsächlich mein Großer die Erkrankung mitgebracht hat aus der Schule wahrscheinlich? Oder passt das überhaupt nicht zusammen?


[0:04:03]




Amplifikationszyklen CT



Alexander Kekulé


Man kann bei sowas natürlich schon ein bisschen Kaffeesatz lesen machen. Aber dazu müsste ich jetzt ganz genau wissen, an welchem Datum was gewesen ist und wie der Kontakt untereinander war. Weil die CT-Werte, die steigen ja an. Also wenn ich jetzt ... Rein theoretisch ... Der Idealfall ist: Ich werde infiziert und am Tag fünf, das ist sozusagen der typische Tag dafür, bekomme ich Symptome. Merke irgendetwas. Kratzen im Hals oder so was. Und dann ist man typischerweise an diesem ersten Tag und vielleicht noch einen halben Tag vorher am stärksten ansteckend. Das ist ja das Gemeine hier, dass das Maximum der Ansteckungsfähigkeit, Also auch der kleinste CT-Wert heißt dann die höchste Viruskonzentration im Hals. Das hat man ganz am Beginn und vielleicht noch kurz vor Beginn der Symptome. Und wenn man das bei der ganzen Familie hat, vielleicht über verschiedene Tage. Dann kann man das schon übereinander legen und überlegen, wer wahrscheinlich der erste war. So ganz perfekt ist es natürlich nicht vergleichbar. Aber man kann so eine Daumenpeilung machen. Aber ohne Datum und ohne genau zu wissen, wer mit wem Kontakt hatte, ist es von hier aus nicht möglich.





Camillo Schumann



Vielleicht noch ein, 2 Worte zum CT-Wert. Wer das so noch nie gehört hat.





Alexander Kekulé


[0:06:47]



Camillo Schumann



Zumindest ist das ein Indiz. Und jeder, der sein Testergebnis hat, kann einmal auf diesen Wert schauen und dann selber für sich einschätzen, wie gefährlich in Anführungszeichen die Aussagekraft dieses Tests wirklich ist?


[0:06:59]





Alexander Kekulé


Ich glaube schon, dass man das bisschen nachvollziehen kann. Weil das wissen übrigens die Gesundheitsbehörden auch nicht. Genau das ist so, was vielleicht eine ganz interessante Umfrage wäre, die man starten könnte. Weil die Menschen wissen zum Teil ganz genau, wo sie sich infiziert haben. Die haben oft eine ganz konkrete Vorstellung. Ich treffe natürlich sehr oft Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben oder gerade durchmachen. Und ich frage immer: „Wo haben Sie sich angesteckt?“ Weil mich das einfach interessiert, ob man das weiß. Und die meisten sagen: „Entweder da oder da.“ Die haben relativ konkrete Vorstellungen, wo es wohl gewesen sein sollte. Und wenn man das natürlich jetzt rein theoretisch mit dem CT-Wert irgendwie korrelieren könnte. Also der Einzelfall, sagt gar nichts. Aber wenn Sie tausend Werte hätten, 





Camillo Schumann



Gibt es denn so ein System hat, wo man eindeutig sagen kann, ab diesem Wert ist man infektiös?





Alexander Kekulé


[0:09:06]



Camillo Schumann



Herrn N. aus Österreich, aktuell in Rumänien, hat eine Mail geschrieben. „Wie schätzt Herr Kekulé das Reisen mit dem Schlafwagen ein? Ich habe in Rumänien einen Zweitwohnsitz, würde aber gern wieder einmal nach Hause, nach Wien, fahren. Ich nehme mir natürlich einen Schlafwagen, Einzelabteil. Allerdings ist die Lüftung nicht abstellbar. Ich vermute, dass bei den alten rumänischen Wagen die Luft ungefiltert zwischen allen Abteilen verteilt wird. Das Fenster kann man nur 2 Fingerbreit kippen. Und FFP2  Maske für 17 Stunden inklusive schlafen ist nicht wirklich eine Option? Ich nehme an, das ist keine gute Option mit dem Schlafwagen. Schöne Grüße aus Rumänien.“


8 [0:09:40]:


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Alexander Kekulé


Na also jetzt muss ich ganz ehrlich sagen. Also mit der Lüftungstechnik rumänischer Schlafwagen bin ich nicht vertraut. Ich habe mich lange mit Lüftung von Flugzeugen ... Also wenn Sie mich von europäischen Flugzeugbau könnte ich Ihnen einiges erzählen. Aber von Schlafwagen und dann auch noch rumänisch. Das würde ich versuchen, wenn ich jetzt selber reisen wollte und müsste. Das kann man schon rauskriegen. Das ist meistens im Internet irgendwo dokumentiert. Oder man müsste halt dann mal gucken, wer der Hersteller ist. Das sind gar nicht so viele. Und einfach fragen, ob das stimmt, dass die Lüftung von Abteil zu Abteil geleitet wird. Mein persönlicher Verdacht ist, dass selbst in Rumänien die Schlafwägen so gebaut sind, das man eigentlich schon Abteilweise einen Luftansauger hat. Sonst würden Sie ja immer die Abluft vom Vorabteil bekommen. Und da gäbe es dann irgendwann mal Beschwerden. Je nachdem wer im Nachbarabteil ist.





Camillo Schumann



Das stinkt ja irgendwann.





Alexander Kekulé


Da gibt es ja auch Leute, die haben dann ihren Campingkocher dabei und so etwas. Die machen sich eine leckere Bohnensuppe oder so. Nicht nur in Rumänien. Das gibt es mitten in Deutschland natürlich auch. Und spätestens, wenn so etwas passiert, dann beschwert sich der Nachbar. Und ich weiß das. Früher ... Ich bin ehrlich gesagt, lange nicht mehr Schlafwagen gefahren. Aber früher habe ich mich so als kleiner Junge ... Da hatte ich diese Eisenbahnanlage, wo man die so richtig in Miniatur hatte. Und der Schlafwagen, den ich hatte. Der hatte wirklich über jedem Abteil oben einen Ansaugstutzen für die Lüftung. Aber ich weiß nicht, ob das in Rumänien jetzt aktuell auch noch so ist.


[0:11:06]



Camillo Schumann



Wir haben eine Mail erhalten von einem Herrn, der seinen Namen hier im Podcast nicht hören möchte. Kein Problem. Seine Frage: „Besteht die Möglichkeit einer Kreuzung des Sars-CoV-2  Virus mit dem humanen Influenzavirus? Oder mit dem aktuell in Deutschland auftretenden Vogelgrippe-Virus H5N1? Und bestünde dann auch die Gefahr einer erneuten bzw. anders gearteten Epidemie, Pandemie, bei der die neuen Impfstoffe gegen Sars-CoV-2  bzw. gegen die saisonalen Influenzaviren versagen würden. Viele Grüße.“




[0:11:38]


Alexander S. Kekulé


Wir haben ja erstens Influenzaviren, die ... Das ist eine eigene Virusart sozusagen. Und bei den Influenzaviren unterscheiden wir wieder solche, die typischerweise bei Menschen vorkommen. Das können Pandemie-Viren sein. Oder aktuell haben wir ja nur saisonale Viren. Und dann gibt es welche, die typischerweise bei Vögeln vorkommen. Die heißen dann eben Vogelviren oder aviäre Influenzaviren. Die alle können sich untereinander kreuzen. Also die Influenzaviren haben die Besonderheit, dass sie ihr genetisches Material austauschen können. Weil das quasi so in einzelnen Kassetten in diesem Virus drinnen ist. Und die können diese Kassetten untereinander tauschen. Aber dieses ganze Programm gilt nur für Influenzaviren. Das können die nicht mit dem Coronavirus machen. Das ist davon völlig unabhängig.


Worauf man achten muss, ist, dass natürlich eine Doppelinfektion. 2 Viren auf einmal. Das ist selten eher. Aber wenn man sowas hat, da wissen wir, dass Doppelinfektion zwischen Corona und Influenza dann zu besonders schweren Erkrankungen führen. Aber dass die sich dann kreuzen untereinande, das geht nicht. Das ist so wie, was weiß ich, Pferd und Katze oder so. Das sind verschiedene Tierarten. Die können sich nicht miteinander kreuzen.


Und konkret muss man noch einmal sagen das Vogelgrippe-Virus H5N1, was da angesprochen wurde. Das ist zurzeit in Deutschland, zumindest nach dem, was ich weiß, nicht unterwegs. Also auch nicht bei Vögeln. Es gibt immer wieder Ausbrüche. In Asien natürlich. Und auch leider ein Überspringen immer mal wieder sogar auf den Menschen. Und auch in anderen Ländern. In Nordafrika haben wir das


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manchmal. Aber zurzeit müssen wir in Deutschland davor keine Angst haben.


[0:13:15]



Camillo Schumann



Herr N. hat gemailt. „In einer australischen Studie konnte gezeigt werden, dass Sars-CoV-2  auf glatten Oberflächen bis zu 2 8 Tage lang infektiös bleibt. Damit hatten wir nach den bisherigen Informationen ja nicht gerechnet. Wie es das einzuordnen? Wirft das nicht einige Annahmen und Aussagen über den Haufen? Oder ist das überhaupt nicht schlimm? Vielen Dank für die Informationen. Herr N.“


[0:13:38]



Alexander Kekulé


Ja, das ist tatsächlich so eine Diskussion, an der sich auch Fachleute beteiligen. Einige sagen, wenn man so ein Virus unter Laborbedingungen sehr, sehr lange auf einer glatten Oberfläche ... Muss dann die Luftfeuchtigkeit auch stimmen und so. Wenn man das sehr lange halten kann. Dass das ein Gefahrensignal sei. Vor allem werden solche Zahlen natürlich publiziert und verbreitet dann immer von den Herstellern von Desinfektionsmitteln. Die dann sagen: „Schaut mal her. Ihr müsst also unsere Produkte kaufen.“ Praktisch gesehen ist es so, dass wir einfach wissen, dass diese Schmierinfektion über Oberflächen bei dem aktuellen Covid19 eine ganz geringe und nachgeordnete Rolle spielt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass unter normalen Umständen ... Was jetzt außerhalb des Labors passiert. Da ist immer irgendetwas dabei ist, was das Virus inaktiviert. Das Virus wird inaktiviert zum Beispiel durch sehr raue Oberfläche oder durch Chemikalien, die auf der Oberfläche sind oder irgendwelche biologischen Substanzen. Ich sage mal zum Beispiel: Auf Tierhaaren hält sich das nur ganz kurz. Oder Sonneneinstrahlung oder Licht aller Art. Das ist ein Killer für das Virus. Austrocknung und wenn die Luftfeuchtigkeit nicht stimmt. Und klar im Labor, wenn man das ganz optimal macht. Ohne Licht, richtige Luftfeuchte, richtige Temperatur und glatte Oberfläche. Ohne Störfaktoren. Dann kann man so ein Tröpfchen mit einem Virus eine ganze Weile halten. In der realen Situation


müsste das, sage ich immer, schon ein ganz schön massives Projektil sein, was jemand ausgehustet hat und was dann irgendwo gelandet ist, damit sich das zwei-drei Tage lang hält. Der normale winzige Tropfen, der beim Sprechen und Husten auch entsteht. Der ist in kürzester Zeit nicht mehr infektiös. Jedenfalls ist die Dosis nicht mehr so hoch, dass man damit im realen praktischen epidemiologischen Zusammenhang eine Infektion auslöst.


[0:15:30]



Camillo Schumann



Schulen sind eines der großen Themen in der Pandemie. Einige Eltern halten von der Maskenpflicht im Unterricht nichts und besorgen für ihre Kinder ein ärztliches Attest, um sich von der Maskenpflicht zu befreien. Möglicherweise auch aus gesundheitlichen Gründen, wie auch immer. Diese Lehrerin hat deshalb folgende Frage:


[0:15:45]


Zuhörerin


Ich bin Lehrerin an einer privaten Schule. Ich bin tätig in unterschiedlichen Klassen als Fachlehrerin. Und ich habe mit mindestens fünf Schülern pro Klasse zu tun, die eine MaskenBefreiung haben mit einem ärztlichen Attest. Wie gehe ich damit um? Zum Beispiel im Fachunterricht „Kochen, Soziales“. Danke,


[0:16:10]



Camillo Schumann



Also fünf pro Klasse ist eine ganze Menge.



Alexander Kekulé


Ja, das ist natürlich ideologisch. Das muss man sagen, ohne jetzt den einzelnen anzugreifen. Wir kennen ja auch alle die Bilder, von der Demonstration von Maskengegnern, die vor einigen Tagen starten sollte. Die dann abgeblasen wurde, weil der Anführer der Demonstration ... Ich habe jetzt den Namen vergessen. Der hatte selbst keine Maske auf und kam mit einem ärztlichen Attest daher. Und da hat dann die Polizei gesagt: „Nichts. Das erkennen wir nicht an.“ Und daraufhin ist


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die ganze Demonstration nicht zustande gekommen. Das ist leider so, dass ärztliche Kollegen ... Da ärgere ich mich natürlich schon drüber, weil das ja meinen Stand letztlich betrifft. Dass die sich für solche Gefälligkeitsatteste hinreißen lassen. Das ist ganz selten, dass man wirklich einen medizinischen Grund hat. Das muss man ganz klar sagen. Selbst Asthmatiker vertragen diese Masken. Und wir haben ja im Krankenhaus schon seit vielen, vielen Jahren die Situation, dass das Personal in allen möglichen Situationen nicht nur beim Operieren diese einfachen OP-Masken im Gesicht hat. Und im beim medizinischen Personal gibt es ja auch Leute, die Asthma haben. Die Ausschläge haben, Akne, Allergien. Was es so alles gibt. Und die Fälle, wo einer wirklich sagt: „Ich kann die Maske medizinisch nicht tragen.“ Das ist so wahnsinnig selten. Ich selber habe noch nie so eine Situation erlebt. Dass es sich jetzt plötzlich so häuft. Dass so ganz viele Schüler plötzlich diese knallharten Indikationen haben, wie wir sagen. Das riecht natürlich sehr stark nach Gefälligkeitsgutachten. Da meine ich ist der Lehrer einfach hilflos. Oder die Lehrerin in dem Fall. Das muss die Schulleitungen und muss das Kultusministerium bestimmen. Wir haben bei Sportveranstaltungen zum Beispiel die Situation, dass dann in den Statuten zum Teil knallhart drinnen steht: „Wer keine Maske tragen kann aus medizinischen Gründen, der darf halt nicht kommen.“ Das ist natürlich bei der Schulpflicht schwieriger. Da muss man vielleicht einführen die Regel ... Wenn man merkt, dass überbordet. Dass diese Masken, die ärztlichen Atteste ... Dass die dann zum Beispiel vom Schularzt oder vom Amtsarzt regelmäßig überprüft werden. Da kann man ja schon einen Teil wieder aus dem Verkehr ziehen. Und jetzt kann ich mal so sagen, wenn der Arzt weiß, der Hausarzt weiß: „Was ich da aufschreibe, wird hinterher vom Amtsarzt überprüft.“ Dann überlegt er sich das zweimal, ob er das jetzt wirklich jedem Schüler in die Hand drückt.


[0:18:33]



Camillo Schumann



Was die Perspektive auch der Lehrerin ... Was sie machen kann. Wie sie damit umgehen soll. Das war das eine, dass man das vielleicht auch


noch mal an der Schulleitung bespricht. Und was kann sie für sich ganz persönlich machen neben der Maske?


[0:18:44]



Alexander Kekulé


Für sich persönlich kann sie nur selber eine Maske anziehen. Und wenn sie ganz auf Nummer sicher gehen will. Dann muss man natürlich sein eigenes Risiko so ein bisschen im Auge haben. Da plädiere ich ja immer dafür, dass jeder selber so ein bisschen überlegt, was er in die Waagschale wirft. Also wenn diese Lehrerin jetzt mit ihrer schwerkranken Mutter zusammenlebt oder ähnliches, hat sie eine andere Situation, als wenn sie selber jung und fit ist und niemanden anstecken kann. Aber im Extremfall würde man dann empfehlen, in solchen Klassen selbst eine FFP2 -Maske zu tragen.


[0:19:13]



Camillo Schumann



Weil wir gerade an den Schulen sind. Diese Lehrerin hat auch angerufen. Und sie berichtet, dass an ihrer Schule CO2 Messgeräte in den Klassenräumen aufgestellt werden. Und dazu hat sie folgende Frage:


[0:19:2 4]


Zuhörerin


Was korreliert da miteinander? Schlagen CO2 Messgeräte, also ungünstige CO2 Konzentrationen für das Wohlbefinden, die Konzentration usw. Also die Konzentrationsfähigkeit. Korreliert das mit dem, wo wir aufmerksam sein müssen über die Infektionsgefahr? Korreliert das überhaupt? Oder ist das nicht so?


[0:19:44]



Camillo Schumann



Also hängt die schlechte Luft unmittelbar mit der Infektiosität zusammen?



Alexander Kekulé


Ja, da geht es bei dieser ... An dieser Stelle geht es ja nur um die aerogenen Infektionen. Also um das, was die Basis für Superspreading ist.


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Das sind diese Infektionen, die dadurch entstehen, dass jemand beim Ausatmen, Sprechen, Singen so einen feinen Nebel erzeugt, den man nicht sieht. Wo diese Viren mit drin sind. Und der steht quasi im Raum wie Nebel oder Zigarettenrauch und verteilt sich langsam. Er wird auch durch die Luftzirkulation im Raum verteilt. Und dann kann der eben die anderen Schüler oder den Lehrer anstecken auf diese Weise. Vor allem, wenn jemand keine Masken hat natürlich. Das korreliert tatsächlich. Also die Wahrscheinlichkeit, dass sich sowas bildet. Das ist jetzt nicht 1:1. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bildet. Das korreliert einfach mit der Länge der Zeit, die die Menschen im Raum waren. Also man könnte auch sagen, so und soviel Personen waren über so und soviel Stunden in einem Raum mit so und soviel Kubikmeter. Da könnte man eigentlich einen ganz einfachen Dreisatz draus machen und ausrechnen, wie viele Minuten man konsequent lüften muss. Statt dieses Dreisatzes haben schlaue Hersteller gesagt: „Na gut. Vielleicht kann der Lehrer nicht so richtig rechnen, verdienen wir ein bisschen Geld und verkaufen ihm ein CO2 Messgerät.“ Das macht eigentlich nichts anderes als Nachmessen, wieviel Luft schon verbraucht wurde. Weil wir ja beim Einatmen bekanntlich Sauerstoff verbrauchen und beim Ausatmen CO2 , Kohlendioxid erzeugen. Und wenn das angestiegen ist, das heißt dann, dass eine bestimmte Zahl von Personen über eine bestimmte Zeit in einem begrenzten Volumen einfach einund ausgeatmet hat. Könnte man ganz genauso über die Personenzahl, über die Zeit und die Kubikmeter Raum machen. Aber so ein Messgerät. Na gut, es ist eine schöne Ampel. Die geht dann auf Rot. Und dann weiß man, dass man wieder die Fenster aufmachen muss. Und ja, das korreliert bis zum gewissen Grad mit der Infektionsgefahr. Ob das jetzt das Gelbe vom Ei ist? Also aus meiner Sicht ist diese Installation in den Schulen ... Es ist auch so ein bisschen was, was zur Beruhigung gemacht wird. Weil, wie gesagt, die Lehrer wissen doch inzwischen wann die Luft schlecht ist und man die Fenster aufmachen muss, weil sich keiner mehr konzentrieren kann. Da wären meines Erachtens regelmäßige Luftwechsel, die quasi nach der Uhr gestellt werden, sogar zuverlässiger als diese CO2 -Ampeln.


[0:2 1:57]



Camillo Schumann



Frau H. aus Leipzig hat geschrieben: „Wird vor einer Impfung getestet, ob der jeweilige Patient schon Antikörper gegen Sars-CoV2  hat. Wenn ja: wird bei positiven Tests die Menge des Impfstoffs dann angepasst oder gegebenenfalls überhaupt nicht geimpft? Wenn nein: wäre es schädlich, wenn ein Patient, der Antikörper aus einer gegebenenfalls unbemerkten Infektion hat, geimpft wird? Viele Grüße.“


[0:2 2 :2 2 ]



Alexander Kekulé


Das ist eine sehr kluge Frage. Interessanterweise, dass das jemand aus unserer Hörerschaft stellt, aber im politischen Raum nicht so diskutiert wird. Da müssen wir vielleicht noch einmal ausführlich über die möglichen Nebenwirkungen von Impfungen sprechen. Es ist in der Tat so, dass die bisherigen Studien mit den Impfstoffen natürlich mit Leuten gemacht wurden, die fast ausnahmslos keine Antikörper hatten. Einfach weil man das in Regionen gemacht hat, wo die Menschen sich gerade noch frisch infiziert haben mit dem Virus. Da war quasi so eine exponentielle Funktion im Gange. Deshalb sind die getestet an Personen, die noch keinen Kontakt hatten zum größten Teil mit diesem Virus. Und was passiert jetzt, wenn man Leute impft, die schon Kontakt hatten? Die also tatsächlich dann aktive Antikörper im Blut haben. Und die Immunzellen haben in kürzester Zeit eine von so einem Impfstoff quasi befallene Zelle oder von so einem Impfstoff angesprochene Zelle, die das dann vernichten würden, weil die ja schon voraktiv sind. Das ist ein wenig wie Hunde, wie eine Rotte scharfe Hunde, die schon auf die Witterung gesetzt wurden. Und wenn man dann natürlich wieder kommt mit dem gleichen Lumpen, mit dem man sie scharf gemacht hat. Dann springen die sofort los. Und da weiß man nicht, was passiert. Ganz ehrlich gesagt, das ist eine der Richtungen, wo man einfach die Frage stellen muss ... Ohne da den Teufel an die Wand zu malen. Man muss die Frage stellen: Wird es da in Zukunft


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möglicherweise Nebenwirkungen geben? Oder wird es die nicht geben? Rein medizinisch gesehen? Aus den bisherigen Erfahrungen ist es nicht so wahrscheinlich, dass es die geben wird. Aber das muss eben jetzt erst in den nächsten Monaten beobachtet und genau untersucht werden. Und da wird man dann entscheiden ... Genau die Frage, die hergestellt wird. Ist es notwendig, vorher ein Antikörpertest zu machen? Ich hoffe natürlich sehr, dass es nicht notwendig ist. Das würde man nur dann machen, wenn man vorher sieht, ob es da tatsächlich Nebenwirkungen gibt. Oder häufigere Nebenwirkungen bei solchen, die schon mal die Infektion durchgemacht hat. Man würde damit die Sache viel, viel komplizierter machen. Ist die Frage, ob es logistisch dann alles irgendwie so über die Runde geht, wie es soll. Wenn man sagen müsste wir, wir impfen nur Personen, die mit Sicherheit noch keinen Kontakt hatten mit Sars-CoV-2 .


[0:2 4:33]



Camillo Schumann



Frau B. aus Regensburg hat gemailt: „Es würde mich interessieren, ob die Impfung das Alleinglückselig-Machende ist. Wie lange denken Sie, Herr Kekulé, wird es dauern, bis wir in Deutschland wieder ein normales Leben führen können?“ Das ist doch eine schöne Ausstiegsfrage.


[0:2 4:51]



Alexander Kekulé


Ja. Wie lange? Darf ich die Frage umformulieren in: Wie lange, glauben Sie, dass wir noch brauchen? Es weiß ja keiner wirklich. Ich habe jetzt gerade zum Beispiel ein Beispiel gesagt, wo noch was schiefgehen könnte bei den Impfungen. Ich glaube nicht daran, dass etwas schiefgeht. Aber also mein optimistisches Szenario sieht so aus: Wir fangen jetzt erst mal an. Wahrscheinlich dieses Jahr noch. ... mit vielen Kameras außen rum den Ersten in Deutschland zu impfen. Und das wird aber dann Anfang Januar weitergehen in den Altenheimen und in den Risikogruppen und in dem medizinischen Personal hauptsächlich und in dem Pflegepersonal. Und dann


werden wir wahrscheinlich, realistisch gesehen, so im ganz großen Stil impfen so ab April, schätze ich mal. Kann sein, dass das bisschen früher ist. Aber es muss ja auch der Impfstoff dann da sein, dass es sich lohnt, in diesen Riesenzentren zu arbeiten. Und dann würde ich sagen, impfen wir munter auf vollen Touren bis in den Sommer hinein. Wir überzeugen parallel in riesigen PR-Aktionen die ganzen Kritiker, dass die Impfung wirklich gut ist. Und dann wird es so sein, dass uns ja auch der Sommer hilft. Das heißt also, die warme Jahreszeit wird dazu führen, dass das Virus wieder verschwindet, wie es dieses Jahr im Sommer auch weitgehend zurückgegangen ist. Und parallel haben wir ja die Impfungen, die weiterlaufen. Und wenn man das dann über den Sommer weitermacht und dann munter bis zum Herbst impft, also nächsten Oktober, sage ich mal. Dann wäre meine Hoffnung und auch meine Vermutung, dass wir im nächsten Herbst keine weitere Covid-19-Welle mehr haben werden. Also dass es dann keine neue, schwere Welle gibt. Klar werden wir einzelne eingeschleppte Infektionen haben. Ausbrüche bei irgendwelchen Impfkritikern, die keine Lust hatten, sich zu impfen. Oder bei Leuten, die aus dem Ausland vielleicht gekommen sind, wo es keine Impfmöglichkeit gibt. Aber ich glaube, dass wir nächsten Herbst, das ist meine Hoffnung, nicht noch einmal über Lockdowns oder Ähnliches diskutieren müssen.


[0:2 6:39]



Camillo Schumann



Wir sind gespannt. Ihr Wort in den Impfhersteller-Ohren. Wir sind gespannt.



Alexander Kekulé


Das war jetzt optimistisches Szenario. Wir müssen es uns doch auf irgendwas freuen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Selbstverständlich. Jetzt kommt erst einmal Weihnachten.



Alexander Kekulé


Und wir überlegen uns dann, was wir als nächstes für einen Podcast machen. Das ist ganz wichtig. Weil dann will er uns keiner mehr hören.


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Camillo Schumann



Vermutlich. Das war Ausgabe 12 6 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Ihren Fragen. Herr Kekulé, vielen Dank. Nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag, den 1. Dezember. Bis dahin bleiben: Sie gesund. Und Ihnen und unseren Hörern einen schönen ersten Advent.



Alexander Kekulé


Gern. Bis dann. Tschüs.



Camillo Schumann



Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben „Kekulés Corona-Kompass“ zum Nachhören auf MDRAktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen auf MDRAktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 6.11.2 02 0 #12 5: Zweifel an den neuen Corona-Regeln



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Studien-Hinweis:: SARS-CoV-2 -Übertragung zwischen amerikanischen Rekruten während der Quarantäne: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2 02 9717?query=WB



Camillo Schumann



Donnerstag, 2 6. November 2 02 0. Die neuen Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern im Realitätscheck. Dann: Noch nie sind so viele Menschen an einem Tag im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Zieht der Sturm am Horizont erst auf? Und: Kann ich nach einer Impfung auf die Maske verzichten?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Und wie Sie schon hören, liebe Hörer, wir sind per Telefon verbunden. Aufgrund von technischen Problemen machen wir das Ganze am Telefon. Aber das soll uns ja nicht aufhalten. Herr Kekulé, ein kurzer Blick aufs Infektionsge-


schehen in Deutschland. Die Gesundheitsämter haben 2 2 .2 68 neue Corona-Infektionen innerhalb von 2 4-Stunden gemeldet. Das sind 300 weniger als am Donnerstag vor einer Woche, aber rund 400 mehr als vor 2 Wochen. Der Abwärtstrend scheint nach diesen Zahlen jetzt noch nicht eingesetzt zu haben. Schaut man sich aber R-Werte, die 4und 7-Tage-RWert an, gibt es zumindest einen leichten Hoffnungsschimmer. Was meinen Sie?


[0:01:2 1]



Alexander Kekulé


Ja, das ist das Phänomen, das man in der Situation ist, dass man eine Maßnahme, die man einmal ergriffen hat, einen bestimmten Effekt hat. Das habe ich mal verglichen mit dem Steuern von einem Schiff, wo man eine bestimmte Position einschlägt, und dann bekommt man einen bestimmten Kurvenradius. Und wenn man eine engere Kurve fahren will, dann muss man noch einmal steuern. Sie haben den Effekt der Maßnahmen, die durch den Lockdown light eingetreten ist. Den haben wir jetzt erreicht. Mehr ist sozusagen nicht. Um mehr zu erreichen, müsste man stärker bremsen. Wir haben jetzt eine Situation, wo eine bestimmte Zahl von Personen die Krankheit immer weiterträgt. Und das wird sich, wenn man jetzt keine Maßnahmen ergreift, nicht ändern. Das würde auf diesem Niveau einfach bleiben. Das heißt jetzt neuerdings „Seitwärtstrend“. Und diesen Seitwärtstrend, oder Stagnation, kann man nur durchbrechen, wenn man neue Maßnahmen ergreift.


[0:02 :2 3]



Camillo Schumann



Aber wenn man sich die R-Werte anschaut, die ja tendenziell in den letzten Tagen so nach unten gehen, ist das ein Fingerzeig?


[0:02 :44]



Alexander Kekulé


Das ist ganz normal, dass das R langsam sinkt. Das kann man sich so vorstellen, als wenn man bei einem Auto leicht auf die Bremse tritt. Dann wird das Auto auch langsamer. Das ist ja


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klar. Oder auch wenn es einfach nur vom Gas runtergeht, dann wird das Auto ja auch langsamer. Und da könnte man wahrscheinlich dann, wenn man ganz gut in Physik war, irgendwie ausrechnen, an welcher Stelle das Auto irgendwann zum Stehen kommen würde eines Tages. Aber, das weiß wahrscheinlich jeder, dass das sehr, sehr lange dauert. Und wir haben es ja nicht mit einem Auto zu tun, sondern eher mit so einer Art Hochseetanker. Das heißt, es dauert lange, bis es dann zum Stehen kommt. Ich würde sagen, wenn man so weitermacht, wahrscheinlich April oder so was, mal so grob geschätzt. Und um einen früheren Punkt unter diese Marke zu stellen, das wäre in diesem Fall unter 50 pro 100.000 Menschen, müssen wir stärker bremsen. Das würde dann sozusagen eine schnellere Verringerung von R bedeuten.


[0:03:32 ]



Camillo Schumann



Gestern gab es mal wieder einen traurigen Rekord: 410 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus innerhalb von 2 4Stunden. Der bislang höchste Stand war Mitte April mit 315 Toten, von gestern zu heute, Donnerstag, fast 390 gemeldete Tote. Der Leiter der Intensivmedizin am Uniklinikum Leipzig, Sebastian Stehr, hält die Coronalage in Sachsen für sehr besorgniserregend. Von den zehn Landkreisen mit der höchsten Inzidenz bundesweit liegen vier in Sachsen. Das sei aus intensivmedizinischer Sicht als sähe man am Horizont einen Sturm aufziehen. Und der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft vermutet, dass wir im Laufe des Dezembers voraussichtlich 5.000 bis 6.000 Intensivpatienten haben. Herr Kekulé, wenn man das so hört, schließen Sie sich der Einschätzung an: Der Sturm zieht erst noch auf?


[0:05:00]



Alexander Kekulé


Das ist immer die Frage, aus welcher Perspektive man sich das ansieht. Wenn Sie an einer bestimmten Stelle stehen und sehen die dunk-


len Wolken anziehen, dann sagen Sie, da zieht ein Sturm auf. Meteorologen machen es deshalb so dass sie nicht von dem Punkt aus eine Vorhersage machen wollen. Sondern von vielen Punkten, die weiter weg liegen das Wettergeschehen beobachten. Da muss man sagen, die vorgelagerte Entwicklung ist das Thema: Wie viele Neuinfektionen haben wir. Das ist ein trivialer Effekt, dass man sagt: Die Neuinfektionen, die wir jetzt hatte und wo es jetzt zu einem Anstieg kam, ziehen zeitverzögert auch Todesfälle nach sich oder schwere Erkrankungen, vor allem weil wir nach wie vor das Thema Ausbrüche in Altenheimen nicht im Griff haben. Deshalb ist es so: Man sieht jetzt die nachgelagerte Welle der schwere Erkrankungen, die immer hinterherläuft hinter den Neuinfektionen. Da wird es zeitverzögert genau zu diesem Effekt kommen. Das wird jetzt noch einmal ansteigen. Auf welche Werte das kommt, kann ich nicht sagen. Aber dadurch, dass wir mit den neuen Maßnahmen ab sofort noch einmal stärker bremsen, wird diese Welle von Schwererkrankungen wieder abflachen.


[0:05:41]



Camillo Schumann



Trotzdem müssen wir uns dann in den kommenden Tagen und Wochen möglicherweise auf noch höhere Todeszahlen als die 410 einstellen.


[0:05:47]



Alexander Kekulé


Ja, das glaube ich schon. Ich glaube nicht, dass damit schon der Gipfel erreicht ist, weil das dank der guten Intensivmedizin sehr verzögert ist. Und es ist so, dass auch die Sterblichkeit, wenn man Covid19 bekommt, seit dem Sommer ungefähr deutlich gesunken ist durch verbesserte intensivmedizinische Maßnahmen.


[0:06:10]



Camillo Schumann



Damit der Sturm dann nicht so heftig wird, haben Bund und Länder gestern spätabends nun Beschlüsse gefasst, wie es nach 30. No-


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vember weitergeht. Wir hören mal kurz die Kanzlerin:


[0:06:2 1]


„Wir brauchen noch einmal eine Kraftanstrengung. Geduld, Solidarität, Disziplin werden noch einmal auf eine harte Probe gestellt.“


[0:06:31]



Camillo Schumann



Diese Kraftanstrengung sieht folgendermaßen aus wenig überraschend: Die aktuellen Maßnahmen werden bis zum 2 0. Dezember verlängert und dabei auch verschärft. Restaurants, Theater und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen. Private Zusammenkünfte sind nur zwischen 2 Haushalten und maximal fünf Personen erlaubt. Weihnachten und Silvester wird, wie auch erwartet wurde, eine Ausnahme gemacht. Dann sollen Treffen im engsten Familien oder Freundeskreis möglich sein bis maximal zehn Personen Kinder bis 14 Jahren sind ausgenommen. Für wie gefährlich halten Sie die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr? Könnte uns diese Lockerung bei den Infektionszahlen stark zurückwerfen, oder ist dieser Zeitraum von zehn Tagen kalkulierbar?


[0:07:50]



Alexander Kekulé


Das letzte Wort war das entscheidende. Wie kalkulierbar ist es? Ich habe mich ehrlich gesagt gestern auch gefragt. Ich bin ja sehr dafür – und das fehlt ja leider hier – eine Langzeitstrategie zu haben, oder eine mittelfristige, bis die Impfstoffe halt halbwegs wirken. Ob man am 2 5.11. schon so eine gravierende Lockerung erlauben kann, und dann auch kalkulieren kann, daran habe ich Zweifel. Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Wäre ich in der Lage gewesen wäre,, wüsste ich als Politiker ehrlich gesagt nicht, wie stark der 2 . Bremseffekt dann sein wird, weil es einfach ganz extrem davon abhängt, ob die Bevölkerung mitmacht. Und wenn die Bevölkerung mitmacht und wenn das alles so funktioniert, wie man sich das vorstellt, dann sind die Maßnahmen sind – mit einer Ausnahme bei den Schulen – da sollten wir


gleich noch mal drüber sprechen – adäquat und richtig. Und da waren sie auch notwendig. Aber jetzt zu sagen: zehn Haushalte dürfen sich treffen, heißt ja zehn Personen von den Haushalten her unbegrenzt, plus noch Kinder in beliebiger Zahl, da muss ich einfach sagen: Das ist schon mutig, jetzt schon zu sagen, wir werden bis dahin diese Bremse haben. Das Bild vom Tanker, der abgebremst wird, hat einen gravierenden Unterschied zur epidemischen Lage. Da hinkt das Bild sozusagen, nämlich insofern, als die epidemische Lage nicht mit den einfachen physikalischen Formeln vorhersagen kann, weil das Verhalten der Menschen hier entscheidend ist.


[0:09:09]



Camillo Schumann



Es gibt ja jetzt 2 auch Informationen, die ich persönlich auch noch nicht richtig einschätzen kann. Zum einen wird diese Ausnahme an Weihnachten und Silvester gemacht oder in dem Zeitraum dazwischen. Auf der anderen Seite sagen Bund und Länder wir wollen uns am 14. Dezember noch mal treffen, um möglicherweise über Verschärfungen zu sprechen. Meinen Sie, ob dann Weihnachten ins Wasser fällt oder ob man das kategorisch ausschließt?


[0:09:32 ]



Alexander Kekulé


Ich würde sagen, am 14. Dezember droht der Grinch noch einmal vorbeizukommen. Es ist schon mal das gesagt worden, und das ist eine große Schwäche – politisch gesehen – an dem gestrigen Beschluss, dass die Länder viele Optionen weiterhin haben, das in die eine oder andere Richtung auszulegen. Es ist in vielen Teilen einen Plan für einen Plan, den man verabschiedet hat. Und die Hoheit bleibt bei den einzelnen Bundesländern. Und da ist ein gewisses Zerfallen der Vorschriften in den Bundesländern vorprogrammiert. Ich bin ziemlich sicher, dass es so sein wird, dass einige Bundesländer sagen, diese Ausnahmeregeln nutzen, wenn sie denn gehalten werden bis Weihnachten. Ich hoffe mal, dass sich die Deutschen vernünftig verhalten. Dann wird es dabei blei-


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ben, dass man Weihnachten feiern kann wie geplant, also mit diesen zehn Haushalten, zehn Personen. Und das ist schon gravierend. Das ist sehr mutig. Und theoretisch könnten Sie das bei den Familienfeiern unterschiedlich machen. Wenn ich mich jetzt an meine Familie erinnere, wie wir das früher gemacht haben, da hatten wir am 2 4.12 . einen Teil der Familie eingeladen, am 2 5.12 . einen anderen Teil und am 2 6.12 . wieder einen anderen Teil. Das machen wir dieses Jahr nicht so. Aber rein theoretisch könnten sie ja quasi an jedem Weihnachtsfeiertag zehn Personen aus zehn Haushalten einladen. Das heißt, dass es trotzdem bei der Weihnachtsregelung bleibt, aus psychologischen Gründen. Aber ich bin zum Beispiel sicher, dass der bayerische Ministerpräsident sagen wird, dass nach Weihnachten Schluss damit ist. Spätestens am 2 7.12 . zieht dann wieder das alte Regimen an. Und man wird auf keinen Fall in den Hotspots, da gehört ja Bayern dazu, an Silvester so eine ähnliche Lösung laufen lassen.


[0:11:30]



Camillo Schumann



Kurz noch nachgefragt: Sachsen-Anhalt, weil es gerade angesprochen haben will, will da ausscheren. Ministerpräsident Reiner Haseloff hat kurz nach der Videokonferenz der Regierungschef angekündigt, auf die Einschränkung auf maximal 2 Haushalte verzichten zu wollen. Er findet, das entspräche nicht der Lebensrealität vieler Menschen. Ist das berechtigt oder grob fahrlässig?


[0:11:55]



Alexander Kekulé


Die Einschränkung zweier Haushalte, die jetzt auf fünf Personen reduziert wurde, gilt ja zunächst mal bis Weihnachten, soll dann an Weihnachten kurz eine Ausnahme geben und dann in den meisten Bundesländern wieder anziehen. Ich glaube, wenn man diese Pandemie mit einem halbwegs einheitlichen Konzept bekämpfen will – und das ist ja hier die Idee gewesen dieser ganzen Veranstaltung gestern –, dann müssen sich eben alle Bundesländer


daran halten. Es ist sinnvoll ist zu sagen, wir wollen auch diejenigen, die im Moment noch nicht so hohe Fallzahlen haben, unter das Schutzschild stellen, weil wir wissen, dass gerade die Menschen oder die Regionen, wo momentan wenig los ist, am meisten gefährdet sind für einen völlig neuen und unvorhergesehenen Ausbruch. Das haben wir in Italien gesehen. Nachdem zunächst Norditalien so schwer betroffen war, hat es in der 2 . Welle eben Süditalien erwischt, weil die die strikten Maßnahmen auch gar nicht gewohnt waren in der Bevölkerung. Daher bin ich schon dafür, dass man eine einheitliche Lösung hat. Da bin ich nicht der einzige. Das war ja die Ansage der Ministerpräsidenten, dass sie gesagt haben, wir einigen uns jetzt auf ein bundesweites Konzept. Das sollte sogar, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, so etwas wie eine mittelfristige Strategie beinhalten. Und jetzt zerfällt es schon, wie ich mitbekomme, an der Zeit bis Weihnachten.


[0:13:33]



Camillo Schumann



Da wird möglicherweise jeder sein eigenes Süppchen kochen in den Bundesländern. Was auch noch eingeführt wurde, war eine 2 . rote Linie. Wir kennen ja schon die Inzidenz-Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Für Gebiete mit besonders hohen Corona-Infektionszahlen sollen nun zusätzliche Beschränkungen gelten, ab einer Inzidenz von über 2 00 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Dieser Punkt wurde heftig diskutiert gestern. Z.B. gilt diese neue Grenze für weitere Maßnahmen an den Schulen. Was halten Sie von dieser neuen Grenze?


[0:14:10]



Alexander Kekulé


Es gibt ja diese Corona-Ampel. Zuletzt wurde gesagt: Ab 50 steht die Ampel auf Rot. Das war eine Ampel für die Ministerpräsidenten und nicht für die Bevölkerung. Und die sind ja dann munter bei Rot drübergefahren, sobald die Ampel da war. Das erinnert mich an meine Jugend, wo meine Mutter manchmal gesagt


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hat, wenn ich auf dem Beifahrersitz saß und sie ist dann bei Rot über die Ampel gerauscht, im letzten Moment. Dann habe ich als Sohn gesagt, Mami, das war aber rot. Und dann hat sie gesagt, ja, aber noch nicht dunkelrot. Und jetzt hat man eben so eine Art Dunkelrot eingeführt, weil man sowieso dauernd bei Rot drüberfährt. Das ist 1.vom Konzept nicht überzeugend. Und 2 . meine ich auch rein epidemiologisch ist 50 schon hoch, so dass die Gesundheit Ämter wirklich am Anschlag sind. Der Kanzleramtsminister Braun hatte es mal ausgerechnet, dass man eigentlich in der Größenordnung von 30 pro 100.00 die Belastungsgrenze der Gesundheitsämter hat. Das ist dann politisch hochgesetzt worden auf 50. Und wenn man jetzt sagt 2 00, da weiß ich gar nicht mehr, was das für eine Grenze sein soll. Da ist man in dem Bereich, wo die Gesundheitsämter, wenn man dann die 2 00 wieder erreicht hat, eigentlich gar nichts davon haben. Man hat dann sozusagen Chaos A gegen Chaos B getauscht. Das heißt, man muss weiterreichende Maßnahmen machen. Das wurde ja von vornherein mal im Sommer so beschlossen. Man muss die spätestens bei diesem 50 wirklich zünden und sagen, wir machen die dann so konsequent, bis wir wieder unter 50 sind, oder das Gesamtkonzept stürzen und sagen, okay, dann geht es eben nicht mehr um die Nachverfolgung.


Vielleicht sehe ich das auch zu wissenschaftlich. Aber ein Wissenschaftler will immer ein Konzept sehen. Aber aus meiner Perspektive ist es so: Es fehlt einfach jemand, der mal sagt, Folgendes ist unser Ziel und so wollen wir es erreichen. Das sind unsere Grundannahmen: zum Beispiel ab wie viel Abstand gibt es wirklich eine Infektion, oder wie viele Personen dürfen in Raum zusammen, oder wie oft müssen die Luftwechsel sein. All diese BasisParameter kennt man nicht im Detail, klar. Aber ich würde mir wünschen, dass man sagt, das ist unsere Arbeitskonzept, so ist unser Arbeitshypothese, und auf der machen wir jetzt folgende Regeln. Dann hätte das Ganze Hand und Fuß. Aber ich hier sehe das nicht,


dass da irgendwie ein wissenschaftliches Konzept als Grundlage vorhanden wäre.


[0:16:54]



Camillo Schumann



Das Ziel hat die Kanzlerin und Ministerpräsidenten Jahr ausgegeben: einen Inzidenzwert von 50 in Deutschland. Aktuell wind wir bei 140. Das sind ja, wenn wir mal ehrlich sind, Notfallmaßnahmen, um jetzt durch eine sehr heiße Zeit und wahrscheinlich die angespannteste Zeit, den Winter, zu kommen und danach dann sozusagen das langfristige und mittelund langfristige Konzepte umzusetzen. Geht es im Moment vielleicht auch gar nicht anders?


[0:17:2 1]



Alexander Kekulé


Ich glaube, dass es schon anders ginge, wenn ich jetzt vom Konzept her anschaue. Wir werden nicht bis Weihnachten oder Neujahr auf die 50 kommen. Und es ist ja mein Vorschlag, dass wir ab nächstem Jahr mit einem kontinuierlichen Konzept weitermachen. Da habe ich einen konkreten Vorschlag gemacht, der übrigens fachlich basiert ist, wo man nachlesen kann, auf welchen Annahmen er beruht.


Wir haben jetzt die Situation, dass wir irgendwie über die Runden kommen müssen. Trotzdem ist die Frage, was man strategisch oder vom Mechanismus her einsetzt oder implementiert. Das erinnert mich so ein bisschen an die 2 °C bei der Klimaerwärmung. Wenn Sie merken, Sie kommen nicht richtig hin, dann haben Sie plötzlich ein 3°C-Ziel. 4°C kommt dann vielleicht als nächstes.


In der Zeit der saufen trotzdem ganze Inselgruppen und halbe Länder deswegen ab. Das muss man meines Erachtens sagen, wenn man jetzt die diese Schwelle reißt von 50. Da muss man entweder sagen, wir haben uns geirrt. Die Gesundheitsämter können doch 2 00 nachverfolgen. Das wäre kompletter Unsinn. Oder man muss sagen, es kommt uns jetzt doch nicht mehr so auf die Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter an. Oder man muss erklären, warum man erst ab 2 00 eigentlich eingreifen


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muss, um dann irgendwann mal im Februar oder März vielleicht die 50 zu erreichen.


Aber ich sehe da kein Konzept. Und ich muss sagen, es ist jetzt extremes Fahren nicht einmal mehr auf Sicht, sondern mit geschlossenen Augen.


[0:18:52 ]



Camillo Schumann



Thema Schulen, weil Sie es angesprochen haben: Die Schulen sollen offen bleiben, und weitgehende Maßnahmen für die Unterrichtsgestaltung sollen bei einem Infektionsgeschehen mit einer Inzidenz oberhalb von 2 00 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche schulspezifisch umgesetzt werden. Genauso heißt es in dem Beschluss. Ein sogenannter Hybrid-Unterricht wird auch nicht verpflichtend, sondern nur als Beispiel für mögliche Zusatzmaßnahmen genannt. Und außerdem sollen solche Maßnahmen auf Schüler ab der 8. Klassen – ausgenommene Abschlussklassen – beschränkt bleiben. Wie hört sich das für Sie an?


[0:19:2 5]



Alexander Kekulé


Das ist meines Erachtens als Generalansage zu wenig. Das kommt jetzt sehr darauf an, wie die Bundesländer das umsetzen. Und meine große Hoffnung ist, dass in den Bundesländern, wo das Infektionsgeschehen aktuell bedrohlich ist, das mit dem Hybrid-Unterricht konsequent umsetzen. Ab der 8. Klasse ist auch ein bisschen spät, meines Erachtens. Wir wissen nicht, was im Alter zwischen zehn und 14 passiert. Das hätte man möglicherweise so machen sollen, dass man gleich nach der Grundschule mit dem Hybrid-Unterricht anfängt. Und das andere war ja noch völlig offen, nämlich die Frage, wann die Weihnachtsferien beginnen sollen. Da hört man ganz unterschiedliche Dinge. Eine Woche wäre sinnvoll gewesen, also eine Woche vor Weihnachten wirklich Schluss zu machen in den Schulen.


[0:2 0:14]



Camillo Schumann



Die Weihnachtsferien sollen in diesem Jahr fast überall gleichzeitig am 19. Dezember beginnen. Bis auf Bremen und Thüringen sollen die Ferien überall an diesem Tag beginnen. Die beiden Länder haben sich eine länderindividuelle Regelung hinsichtlich des Ferienbeginns vorbehalten. Mit dieser Maßnahme soll dann die Zahl der Kontakte direkt vor den Feiertagen und damit er auch der Ansteckungsgefahr im Familienkreis verringert werden. Also der 19.12 . ist schon ziemlich in Stein gemeißelt.


[0:2 0:40]



Alexander Kekulé


Das sind fünf Tage. Das ist einfach die Frage, was man die Zeit vorher macht. Ich würde den Appell loswerden wollen an dieser Stelle, dass jeder, der irgendwie die Möglichkeit dazu hat, bereits vorher in eine private Quarantäne geht. Also eine Woche sollte man sich irgendwie ermöglichen, sofern man jetzt die ältere Generation an Weihnachten mit dabei haben will. Da reichen die fünf Tage nicht aus, wenn ich mir vorstelle, dass da noch Abschiedsrituale in der Schule stattfinden und ähnliches.


Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, warum man den Hybrid-Unterricht nicht ab sofort einfach macht und umgekehrt sagt, wir haben Hybrid-Unterricht als Empfehlung vom Bund. Und dort, wo es an bestimmten Brennpunktschulen aus pädagogischen Gründen oder aus technischen Gründen nicht geht, dort macht man es halt dann nicht. Denn was nicht geht, das geht nicht. Aber warum man in den Bereichen, wo der Hybrid-Unterricht möglich wäre – und das sind ja häufig einzelne Schulen, wo das geht –, warum man dort sagt, das soll erst ab einer Inzidenz von 2 00 überlegt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Das wäre eine zusätzliche Maßnahme gewesen, die nicht vielen wehgetan hätte und die viel gebracht hätte.


[0:2 2 :02 ]


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Camillo Schumann



Sie haben die Selbstquarantäne angesprochen: Es gibt neue Quarantäneregelung für Schüler. Positiv getestete Schüler sollen gemeinsam mit ihren Mitschülern – in der Regel ist es die gesamte Klasse – sofort in eine fünftägige Quarantäne geschickt werden. Die Tage am Wochenende zählen auch mit. Und die betroffenen Schüler sollen nach fünf Tagen Quarantäne einen Schnelltest machen. Wer negativ ist, darf wieder in die Schule. Wer positiv ist, soll alle drei Tage erneut getestet werden, bis der Test negativ ist. Lehrer sollen dem Beschluss zufolge wegen des zeitlich befristeten und anders strukturierten Kontakts nicht in diese ClusterIsolation einbezogen werden. Und offen ist auch noch, ob sie überhaupt genügend Schnelltest für dieses Vorgehen ergibt. Wie bewerten Sie diese Quarantäneregelung?


[0:2 3:32 ]



Alexander Kekulé


Wenn es bei den ganzen Maßnahmen, die ich im Großen und Ganzen für richtig halte, bleibt, ist das gut. Das ist ja alles richtig, hat nur zu viele Schlupflöcher. Wenn es eine Maßnahme gibt, die mir epidemiologisch Angst macht, dann ist es genau das. Da haben sich Fachleute durchgesetzt, die das vor einiger Zeit vorgeschlagen haben. Ich habe mit den Protagonisten, die die 5 Tage vorgeschlagen haben, eine allgemeine Quarantäne, die auch mal Abklingzeit genannt wurde in Anlehnung an einen Kernreaktor und danach Antigen-Schnelltests. Ich habe mit den Leuten auch telefoniert, aber wir sind da fachlich überhaupt nicht zu einer Einigung gekommen, denn es ist letztlich so: Man kann sagen, die Inkubationszeit dieser Erkrankung, also die Zeit zwischen Ansteckung und dem ersten Auftauchen von Symptomen oder auch Positiv-werden des Tests – das ist ja fast der gleiche Tag – beträgt bis zu 14 Tage. Der Median, also der mittlere Wert, sind fünf Tage, plus/minus zwei. D.h., im Zeitraum zwischen drei und sieben Tagen nach der Infektion infiziert sich nur die Hälfte allerCovid19Patienten. Alle anderen infizieren sich entweder vorher – das ist aber nur ein ganz kleiner


Teil – und die meisten eben nach diesen fünf Tagen. Und wenn man sich vorstellt, dass Kinder, wenn es einen positiven Fall gibt, für fünf Tage zu Hause sind, und dann werden sie auch nur durch einen Schnelltest, der ja wiederum geringe Konzentrationen des Virus übersieht, überprüft, dann verlieren Sie ja noch mal Fälle. Das heißt, wir kommen in eine Lage, wo wir eine gefährliche Situation haben: Dass Kinder nach fünf Tagen getestet werden, sind negativ, kommen wieder zurück und haben erst nach sieben Tage ihre erste positive PCR, oder dann eben nach neun Tagen den positiven Schnelltest vielleicht. Und die sitzen einfach munter in der Schule. Klar ist, dass das nicht für die ganz Kleinen gilt, sondern wir sprechen von einer Altersgruppe von zwölf Jahren, wo wir wissen, dass die genauso infektiös wie Erwachsene sind und vom Sozialverhalten besonders riskant. Dass man da diese Maßnahme ergriffen hat, kann ich wissenschaftlich absolut nicht nachvollziehen.


[0:2 5:2 6]



Camillo Schumann



Und was halten Sie davon, dass die Lehrer nicht in dieser Cluster-Isolation einbezogen werden?


[0:2 6:2 0]



Alexander Kekulé


Ich sehe da ganz klar den politischen Grund: Wenn Sie die Lehrer auch mit nach Hause schicken, ist die Schule ruckzuck zu. Es gibt epidemiologisch nur folgende Überlegung. Und da fehlt völlig die Struktur. Entweder ich sage, es kann in der Schule zu Superspreading kommen. Und wenn ein Superspreading da ist, muss ich die ganze Klasse nach Hause schicken. Da darf ich nicht mehr fragen, wer rechts und links von dem infizierten Fall war und sich angesteckt hat. Da gilt das für die ganze Klasse. Da kann sich trotz Maskentragens in der letzten Ecke jemand infiziert haben. Wenn das so ist, das ist ja die Annahme, schicke ich die ganze Klasse heim. Das ist ja hier die Basis. Warum soll dann der Lehrer, der vorne steht, den alle face-to-face anschauen – die Schüler schauen


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sich ja nicht die ganze Zeit gegenseitig an, aber hoffentlich auf den Lehrer. Schaut mal alle her, sagtauchderLehrergernewarumsollausgerechnet der nicht infiziert werden, bloß weil er einen Meter weiter weg steht? Dann reden wir aber von Tröpfcheninfektionen. Sie merken schon: Für einen Fachmann ist es so: Ich will wissen, was da das Konzept dahinter ist, wieso den Lehrer rauslassen, wenn ich von einer Art aerogenen Infektion ausgehe. Da fällt mir nur ein: Na gut, wir wollten halt nicht alle Schulen zu machen, also gilt es nicht für den Lehrer.


Ich kann vielleicht noch einmal etwas zu diesen fünf Tagen sagen. Es gibt eine ganz aktuelle Studie, die gerade veröffentlicht wurde in einem der renommiertesten Journale, die wir haben. im New England Journal of Medicine. Die ist am 11.11. veröffentlicht worden. Da hat man bei einigen tausend Rekruten im amerikanischen Militär ein Experiment gemacht. Man hat die erst 2 Wochen lang in eine häusliche Quarantäne geschickt und dann 2 Wochen lang unter Aufsicht in so einem MarineCollege beaufsichtigt. Die haben versucht, ein bisschen Social Distancing zu machen, Masken zu tragen und so weiter. Aber klar, junge Rekruten sind nicht perfekt darin. Dann hat man die systematisch alle paar Tage mit der PCR untersucht und geguckt, wie stecken die sich gegenseitig an? Man wusste, wie viele vorher infiziert waren. Ein paar haben da Infektionen reingetragen. Und dann hat man genau verfolgt, wie die Ansteckungen waren und was dabei herausgekommen ist. Das ist die bisher am besten kontrollierte Studie. Weil niemand so genau kontrolliert wird wie Rekruten beim Militär. Was dabei herausgekommen ist, ist, dass ein Teil erst am 14 Tag überhaupt positiv geworden ist. Das Ergebnis dieser Studie war, dass man gesagt hat, passt mal auf, selbst die 14 Tage könnten nicht ausreichen als Quarantänemaßnahme, weil einige eben erst nach 2 Wochen noch positiv werden und dann andere anstecken können. So ist die wissenschaftliche Faktenlage. Und vor diesem Hintergrund zu sagen wir verkürzt das in Deutschland als einziges Land der Welt auf fünf Tage und


danach einen antigenen Schnelltest. Da würde ich gerne mal die wissenschaftliche Datenlage sehen und das Papier sehen, wo einer es gewagt hat, als Fachmann das aufzuschreiben. Und das muss man doch da mal diskutieren. Da kann es doch nicht sein, dass zwei/drei Leute den Ministerpräsidenten so als Hintertür anbieten und das dann politisch beschlossen wird.


[0:2 8:58]



Camillo Schumann



Aber ist es denn auf Kinder und Jugendliche anwendbar?


[0:2 9:03]



Alexander Kekulé


In dem Fall waren das Jugendliche, also Rekruten. Na ja, sagen wir, junge Menschen, das sind junge Menschen, keine Schüler. Aber es gibt absolut keinen Anlass anzunehmen, dass zwischen 2 2 -jährigen bis 2 5-jährigen MarineRekruten und 17-jährigen oder 15-jährigen Schülern an einer weiterführenden Schule epidemiologisch ein Unterschied wäre. Das einzige, wo wir ein bisschen den Verdacht haben, dass es anders sein könnte, sind Grundschüler und Kita-Kinder, weil es da merkwürdigerweise kaum zu Ausbrüchen kommt. Aber bei weiterführenden Schulen haben wir auf der ganzen Welt Ausbrüche. Und da gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass es bei uns nicht so ist.


[0:2 9:47]



Camillo Schumann



Kommen wir noch kurz zum Einzelhandel. Dort gelten die Maskenpflicht vor und im Laden und eine Beschränkung der Fläche je Kunde bis 800 Quadratmeter. Die die Zahlen kennen. Das kommt einem bekannt vor. Bis 800 Quadratmetern Verkaufsfläche je zehn Quadratmeter pro Kunde und bei Geschäften ab 800 Quadratmetern müssen 2 5 Quadratmeter je Kunde zur Verfügung gestellt werden. Der Handelsverband HDE kritisiert das Ganze. Es gäbe keinen sachlichen Grund, diese 800-Quadratmeter-Regel zu erlassen und befürchtet auch


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der Warteschlangen vor den Geschäften und in den Innenstädten. Wie sehen Sie diese Regelung?


[0:30:2 8]



Alexander Kekulé


Das war dringend überfällig, dass man das begrenzt. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich wusste gar nicht, dass es da noch Schlupflöcher gibt. Ich habe mir aber wirklich Sorgen gemacht wegen Black Friday. Das ist ja schon morgen. Wenn ich mich erinnere, wie Black Friday in vielen Kaufhäusern aussieht – die machen die Türen auf und die Menschenmassen stürmen das Kaufhaus, weil dann die Billigangebote zur Verfügung gestellt werden. Dass das bis morgen hoffentlich schon implementiert wird, dass morgen die Leute nicht im Kaufrausch in die Kaufhäuser kommen. Das war der allerletzte Moment, um so etwas einzuziehen. Ich verstehe natürlich den Einzelhandel, dass die gerne viele Kunden im Laden haben, und sie es nicht abschreckt, wenn sie im Nieselregen vor der Tür stehen. Klar, das ist für die schlecht. Aber hier kann man sagen, das war untragbar. Auch wenn man die Situation der letzten Tage in den Kaufhäusern gesehen hat. Und darauf stellen ja die 800 Quadratmeter ab. Die haben – damals wie heute – den Hintergrund, dass man Shoppingmalls und Kaufhäuser mit abgreifen will. Die haben ja viele Flure außen. Die haben ja viele Bereiche, wo gar nicht verkauft wird. Und deshalb drängt sich die Kundschaft vor dem Wühltisch. Und wenn Sie das Ganze auf die Grundfläche verrechnen würden, da würden Sie ja viel zu viele Leute hereinlassen. Die drängen sich ja nicht auf dem Flur. Andererseits dann zu sagen ja, gut, wir nehmen nur die Fläche bis zu fünf Meter Abstand von allen Verkaufsregalen, wäre wahrscheinlich die akademisch richtige Lösung gewesen. Das ist etwas, was die Geschäfte natürlich ohne Gutachten auf die Schnelle nicht hinbekommen hätten. Darum hat man jetzt gesagt, okay, wir wollen, dass in großen Geschäften, weil die viele Leerflächen


haben, sich das nicht drängt. Da nahm man diese 800 Quadratmeter.


Der andere Punkt: Diese Shoppingmalls oder auch größeren Kaufhäuser haben erfahrungsgemäß Kundschaft, die von weiter weg kommt. Da wissen wir, dass der Einzugsbereich dann größer ist als beim Tante-Emma-Laden nebenan, sofern so etwas noch gibt. Und da ist es so, dass der große Einzugsbereich epidemiologisch bedenklich ist, weil die Leute dann die Infektion über größere Strecke hinund hertragen.


[0:33:03]



Camillo Schumann



Also Daumen nach oben für diese Regelung Mitte Dezember treffen sich Bund und Länder wieder. Dann könnte der Teil-Lockdown erneut verlängert werden, wenn die Fallzahlen nicht deutlich sinken. Das ist leider nicht absehbar. Die Kanzlerin hat ja auch gesagt: der Status quo bleibt bestehen, vermutlich auch deutlich nach Weihnachten und über Neujahr hinaus. Also das Konzept, das wir gerade eben besprochen haben, könnte die MittelfristLösung sein, oder?


[0:33:30]



Alexander Kekulé


Ja, das ist letztlich eine Art weiterer Lockdown, das ist jetzt nicht mehr light, sondern semilight oder so, deutlich verschärft. Was besonders abstrus ist, darf ich zum Schluss noch sagen, ist, dass das Maskentragen im Freien auch angeordnet wird. Das ist jetzt nun eine Anordnung, wo man am allerwenigsten elf wissenschaftliche Daten für hat? Und ja, diese Lösung, die jetzt ausgehandelt wurde, bleibt uns noch eine Weile erhalten. Gestern bei diesem Meeting sah man ja: Obwohl der Druck enorm hoch war, sich zu einigen – es gab ja noch nie so eine MPK, also Ministerpräsidentenkonferenz, wo so ein hoher Druck im Vorfeld aufgebaut wurde –, und selbst da ist es eigentlich nur zu so einer Lösung gekommen, wo jeder weiterhin irgendwie machen kann, was er will. Ich glaube nicht, dass die sich vor Weihnachten dann auf plötzlich auf ein mittel-


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fristiges Konzept einigen werden. Das wird jetzt erstmal so weitergehen, sofern man nicht ganz grundsätzlich die Strategie umstellt. Das ist meines Erachtens erforderlich.


[0:34:37]



Camillo Schumann



Da kommen wir noch zu einer Hörerfrage. Herr W. hat uns eine Mail geschrieben:


„Hallo, Herr Kekulé, sehe ich es richtig: Wer sich impfen lässt, wird dann ohne Maske durch die Straßen gehen können, der ohne Impfung weiter mit? Ich sehe darin ein großes Problem im Alltag. Wie wird das dann in Büros zum Beispiel gehandelt? Da könnte ja jeder sagen, er ist geimpft und braucht keine Masken mehr. Viele Grüße.“


[0:35:00]



Alexander Kekulé


Das ist eine gemeine Hörerfrage. Die Hörer werden immer schlauer. Es ist klar, das ist ein Riesenproblem. Wie fädeln wir eigentlich diese Impfungen ein? Wir haben da verschiedene Populationen. Und wir haben Leute, die sind immun durch die Durchseuchung. Und es gibt solche, die sind geimpft. Da kann man es schön dokumentieren. Und es gibt die armen Menschen, die noch gar nichts haben oder es gar nicht wissen. Da braucht man ein gutes Konzept dafür. Da müssen wir noch einmal ausführlicher drüber sprechen. Meines wäre, dass man letztlich sagen muss, bis die Herdenimmunität in dem Bereich ist, dass wir sagen: Wir sehen, dass die Fallzahlen so in den Keller fallen, dass das ist wirklich absurd wird, weiterhin Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Bis dahin müssen wir eigentlich für alle die epidemischen Maßnahmen gelten lassen. Aber diese Diskussion, die muss erst noch geführt werden. Das ist vollkommen richtig.


10 [0:35:54]:



Camillo Schumann



Aber wir haben damit heute den Auftakt gemacht. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 5. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wie gewohnt zu einem „Hörerfragen Spezial“.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 4.11.2 02 0 #12 4: Impfstoff und Situation



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag, 2 4. November 2 02 0. Der Plan der Bundesländer für die Festtage steht. Wie ist er zu bewerten? Dann: Infektionen und Schnelltests. Wie ist die Lage in den Pflegeheimen wirklich? Außerdem: Sollten Menschen mit Corona auf das Mülltrennen verzichten? Und: Reicht für ein sicheres Testergebnis nur ein Rachenabstrich? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wie immer zu Beginn der Sendung ein Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen stand. Heute wurden 13.554 neue Corona-Fälle gemeldet, rund 900 weniger als letzten Dienstag und rund 1.800 weniger als am Dienstag vor 2 Wochen. In der Beschlussvorlage der Länder für das Treffen mit der Kanzlerin morgen steht: Das Helmholtz-Institut hat aus den ermittelten


Daten feststellen können, dass durch die Maßnahmen die Kontakte um 40 Prozent reduziert worden sind. Dies hat das exponentielle Wachstum gebremst. Die erhoffte Trendwende konnte im November aber noch nicht erreicht werden. Bisher ist lediglich ein Seitwärtstrend zu beobachten. Beobachten Sie den auch?


[0:01:34]



Alexander Kekulé


Ja, wenn man das so nennen möchte. Seitwärtstrend ist ein lustiger Ausdruck, den Sie da verwenden. Das heißt, es stagniert eigentlich. Das Wort Stagnation ist an der Börse nicht beliebt, und deshalb sagt man dort wohl eher Seitwärtstrend. Wir haben die Situation, dass es einfach nicht gereicht hat. Und man muss sich das quantitativ vor Augen führen: Wenn wir jetzt 15.000 Fälle pro Tag haben, die entdeckt werden mit einer fünffachen oder zehnfachen Dunkelziffer. Irgendwo in dem Bereich wird die liegen, eher bei zehnfach. Dann haben wir also ungefähr 100.000 Personen, die jeden Tag neu entdeckt werden. Und die stecken alle munter weitere Menschen an, und zwar wenn R bei 1 liegt, genauso viele wie vorhanden sind. Das heißt also, wir haben pro Tag 100.000 Neuinfizierte. Und das ist schon sehr vorsichtig gerechnet. Daher würde ich davon ausgehen, dass das lange nicht reicht, um die Epidemie abzubremsen. Unser Ziel muss ja sein, dass es noch Menschen gibt, wo sie es lohnt zu impfen, wenn ich das mal so zynisch sagen darf, bevor der Impfstoff kommt. Und nicht, dass wir uns hier munter selbst durchimmunisieren.


[0:02 :50]



Camillo Schumann



Die 7-Tage-Inzidenz ist seit einigen Tagen konstant bei rund 140. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bewertet die Situation so:


„Der Anstieg ist gebrochen, aber nicht zum Stillstand gekommen komplett, beziehungsweise ein einen Rückkehren auf Inzidenzzahlen von 50 pro 100.000 über 7 Tage ist in den nächsten Monaten ganz schwer zu erreichen. Und deswegen müssen wir auch sehen, wie wir mit


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diesem Level, was wir jeweils erreicht haben, so umgehen, dass wir vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Intensivkapazitäten das System nicht überfordern.“


[0:03:2 7]



Camillo Schumann



Herr Haseloff sagt sinngemäß: Mit diesem Stand der Neuinfektionen müssen wir jetzt erst einmal leben, für weitere Monate sogar. Sehen Sie das auch so? Sind über den Daumen gepeilt zwischen 10.000 und 2 0.000 täglichen Neuinfektionen. Ist das jetzt das neue „Normale“?


[0:03:41]



Alexander Kekulé


Ich war jetzt da gerade überrascht, was ich gehört habe. Und ich glaube, 1:1 hatte er das so nicht gemeint. Es wäre ja nicht sinnvoll, jetzt vor Weihnachten noch einmal richtig auf die Bremse zu treten das haben die Länder ja vor -, wenn man zugleich der Meinung ist, man kann es sowieso nicht ändern. Ich glaube schon, dass das Ziel sein muss, innerhalb von Wochen in einen Korridor zu kommen, wo die Zahl der Neuinfektionen deutlich gesenkt wird. Alles andere wird nicht funktionieren, weil wir nicht nur den einen Faktor haben, den der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt gerade genannt hat, nämlich die Überlastung der Intensivkapazitäten. Das ist nur die letzte Linie der Verteidigung, die nicht gebrochen werden darf. Sondern weiter vorgelagert haben wir noch die Linie, dass die Gesundheitsämter irgendwie wieder mit der Nachverfolgung zurechtkommen sollen. Und dafür ist ja diese Inzidenzschwelle von 50 pro 100.000 Menschen mal erfunden worden ist. Ich glaube, wir müssen in einen Bereich kommen, wo die Nachverfolgung irgendwie noch einen Sinn macht. Wir können nicht und sozusagen ganz mit dem Rücken an die Wand stellen und sagen, jetzt geht es nur noch um die Intensivkapazitäten. Das wäre mir zu passiv in der Situation.


[0:04:56]



Camillo Schumann



Morgen ist es dann soweit, morgen entscheiden die Länder zusammen mit der Kanzlerin, wie es nun weitergehen soll. Noch einmal Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff:


„Entscheidend sind die nächsten drei Wochen nach dem30.11.2 02 0, wo die Verordnungen ja überall auslaufen. Dann wird es noch mal ein Regime geben für die Weihnachtstage, inklusive möglicherweise für Silvester und Neujahr. Das muss dann noch mal abgeglichen werden mit den dann anstehenden Zahlen. Und dann müssen wir sehen, wie wir dann in den Januar hineingehen und das Ganze korrespondieren lassen. Auch mit den Ferienregelungen.“


[0:05:2 8]



Camillo Schumann



Die Vorschläge der Länder sind jetzt bekannt. Die Maßnahmen, die jetzt schon gelten, die werden bis 2 0. Dezember verlängert, also Hotels und Gaststätten bleiben geschlossen. Und die Maskenpflicht wird erweitert, sie gilt künftig auch vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen. Und die Bevölkerung wird außerdem noch aufgerufen, die Weihnachtseinkäufe möglichst unter der Woche zu tätigen. Bis zum 2 0. Dezember bleibt also erst einmal alles wie gehabt: keine Lockerung, nur einzelne Verschärfungen. Ist das ein richtiger Plan?


[0:05:59]



Alexander Kekulé


Man konnte jetzt nichts lockern in der Situation, das ist ganz klar. Ich bin ja bekanntlich nicht dafür gewesen, die Gaststätten so pauschal zu schließen und die Hotels. Man hätte das auch anders machen können. Ich war für eine selektive Variante. Aber in der jetzigen Situation sie wieder zu öffnen und zu sagen: Jetzt machen wir quasi doch den anderen Plan, wäre jetzt psychologisch das falsche Signal. Deshalb kann man in der Situation jetzt nicht sagen, wir machen wieder auf. Das wäre zu kompliziert zu erklären. Das muss man in dem


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Fall fairerweise sagen. Daher müssen wir weitermachen. Aber zum Beispiel der Vorschlag, jetzt im Freien vor den Geschäften Masken vorzuschreiben ist wieder so ein Ding. Da schreibt man wieder Sachen vor, wo viele Menschen wissen, dass sie keinen Effekt haben und nicht sinnvoll sind. Außer man würde dazuschreiben, ihr dürft im Freien jetzt wieder auf Tuchfühlung zueinander geben. Aber es gibt ja noch die Regel, dass man 1,50 m Abstand hält. Und daher meine ich, dass da die Konsistenz fehlt, die klare Linie, wo ich sehe: Das und das wissenschaftliche Konzept haben die zugrunde gelegt und auf der Basis als Arbeitsgrundlage wird entschieden. Und im Freien noch einmal die Maskenpflicht zu erweitern, halte ich für weder medizinisch angezeigt noch für psychologisch sinnvoll. Wenn ich mir das vorstelle, wenn es da schneit oder regnet, man muss ja wahrscheinlich bei uns eher mit Regen rechnen im Winter, dann stehe ich mit meiner Maske draußen und die wird vollgeregnet. Dann habe ich diesen Podcast gehört und weiß deshalb, sobald die Maske nass ist, muss ich sie wechseln. Da ist jetzt die Frage: Wechsle ich sie nach einer Sekunde oder alle vier Sekunden? Je nachdem, wann ich sie als nass bezeichne, wahrscheinlich reichen schon fünf Wassertropfen. Da hat jemand nicht sehr weit gedacht. Und das ist Aktionismus. An anderen Stellen sind die Vorschläge vernünftig. Aber mit den Masken im Freien, da gehe ich absolut nicht mit.


[0:08:03]



Camillo Schumann



Da gehen wir jetzt mal die Vorschläge der Länder für die Festtage durch. Vom 2 3. Dezember bis 1. Januar können Treffen eines Haushaltes mit haushaltsfremden, Familienmitgliedern oder haushaltsfremden Menschen bis maximal zehn Personen möglich sein, sonst nur fünf. Weihnachten und Silvester dürfen sich zehn Personen treffen. Was sagen Sie dazu?


[0:08:2 9]



Alexander Kekulé


Na ja, das kommt halt auf die Familiengrößen an. Ich glaube, der allgemeine Appell wäre ich hier genauso gut gewesen, wenn man gesagt hätte, möglichst wenige. Und wenn es geht, auch darauf verzichten, mehrere Generationen einzuladen. Also die die Kinder, die ins Gymnasium gehen oder die Studenten zusammen mit den sehr alten Großeltern. Das ist ja nicht in jeder Familie so, dass man das ganze Spektrum hat. Und nicht alle Familien treffen sich so vollständig. Das über einen Kamm zu scheren, ich weiß nicht, ob das viel bringt. Denn für die eine Familie sind zehn Personen schon viel, die sagen, das schaffen wir sowieso nicht. Die andere Familie hat vielleicht viele Kinder für deutsche Verhältnisse. In meinem Fall zum Beispiel ist ja bekannt, dass ich fünf Kinder habe. Ich schaffe es dann allein mit den Kindern mit 2 anderen Familienangehörigen würde es vielleicht dann auch schon auf zehn schaffen. Da ist es aber unkritisch, weil so viele Kinder dabei sind. Das hätte ich eher differenziert und als Empfehlung herausgegeben, zumal ich glaube, dass man sich bei Weihnachten sowieso nicht so viel reinreden lassen wird. Grundsätzlich ist es so, dass es sinnvoll ist, vor Weihnachten noch mal zu bremsen. Das wird ja jetzt gemacht, um dann an Weihnachten ein bisschen mehr Freiheiten zu haben.


[0:09:58]



Camillo Schumann



Wie ist es denn aus epidemiologischer Sicht? Spielen Werte unter zehn Personen überhaupt eine Rolle? Sind es unter 15 oder unter 2 0 Menschen? In Ihrem Konzept waren es bis zu 2 0 Menschen.


[0:10:10]



Alexander Kekulé


Es ist so das Konzept, wovon ich spreche, darf man nicht durcheinander bringen mit anderen Empfehlungen. Es ist das, was hier auch übrigens wieder fehlt und was ich jetzt in einem Buch veröffentlicht habe. Ein Konzept, was man langfristig angehen kann, wo man wirklich sagt, das ist jetzt ein steady state, ein kontinu-


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ierlicher Zustand, bis dann irgendwann mal die Impfstoffe kommen. Das ist nicht das Konzept, um jetzt eine Welle zu brechen.


Jetzt im Moment brauchen wir tatsächlich erst einmal den Lockdown. Da ist es sinnvoll, kleinere Zahlen zu machen. Ich hatte vorher schon angeregt, dass man von zehn auf fünf Kontakten pro 2 Haushalte heruntergeht in der Normalsituation. Und dem ist ja jetzt auch gefolgt worden. Aber ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, konkret für Heiligabend Vorschriften zu machen. Da hätte ich keine Zahl reingeschrieben.


Epidemiologisch gesehen muss man sagen: Wir haben 2 Dinge, die wir verhindern wollen. Dass eine ist individuell auf der familiären Basis. Wenn alte Menschen dabeisitzen oder andere mit besonders hohem Risiko, will man deren Infektion verhindern. Das kann man aber auch anders machen. Wenn ich einen 17Jährigen habe, wo ich weiß, der hat sich die letzten Wochen mit seinen Kumpels getroffen und da ist ein hohes Infektionsrisiko. Und weil wir in der Großstadt leben, muss ich die Großmutter oder den Großvater an Heiligabend ein bisschen abseits setzen. Und die sollen sich nicht gerade eng umarmen an dem Tag und notfalls kann man ja auch einen Teil des Weihnachtsgeschehens mit Maske betreiben. Ich glaube, da gibt es viele individuelle Lösungen, die besser sind, als zu sagen: 2 0 Personen. Das Zweite, was wir verhindern wollen, ist immer das Superspreading. Und da ist es so, dass man sagen muss, wenn es zum Superspreading bei so einem Familienfest käme, dann ist eine Personenzahl von zehn bis 2 0 rein epidemiologisch für die Gesamtbevölkerung zunächst einmal kein Problem, sofern nicht alle Deutschen zugleich an Weihnachten das machen. Dann wäre es eine Riesenkatastrophe. Aber deshalb gibt es in der Tat – und ich glaube, das liegt dem zugrunde – eine gewisse Anzahl von Personen, wo man sagen kann, da drunter ist das Risiko epidemiologisch nicht so relevant. Und das war eben immer im Dauerkonzept diese Zahl von 2 0. – Jetzt hat man hier die Zahl


von zehn genommen. Da gibt es ja diese Secondary-attack-Rate, also die Frage: Wie viel Personen steckt einer bei so einem Superspreading in der Situation an? Und da wissen wir, dass das selten über 50 Prozent geht. Das wäre eine krasse Ausnahme. Wenn es mehr als 50 Prozent sind. Bei den zehn Leuten an Weihnachten, wenn ein Superspreader dabeisitzt, würde der wahrscheinlich dann fünf anstecken im Höchstfall. Und da „sagt“ die Statistik, die da in Braunschweig gemacht wurde: Okay, das können wir noch verkraften.


[0:13:06]



Camillo Schumann



Und damit dann die Oma etwas näher bei der Familie sitzen kann, sollen sich die Menschen vor den Feiertagen in eine möglichst mehrtägige häusliche Selbstquarantäne begeben. Dies kann – das steht dann auch in der Beschlussvorlage – durch gegebenenfalls vorzuziehende Weihnachtsschulferien ab dem 19.12 .2 02 0 unterstützt werden. Was sagen Sie dazu?


[0:13:37]



Alexander Kekulé


Kommt Ihnen wahrscheinlich bekannt vor, nehme ich doch mal an. Ich hatte ja gefordert, die Ferien sieben Tage vor Weihnachten beginnen zu lassen. Der 19.12 . ist jetzt hier vorgeschlagen.Dasist wenigeralsdieWoche. Aber das ist besser als nichts, muss man ganz klar sagen. Man sieht also, wie Politik dann agiert. Der Epidemiologe sagt: Wir brauchen eine Woche. Die Politik sagt: Der 19.12 . ist der Samstag. Da lassen wir uns dann einfach da fangen wir an, wo es organisch ist. Es ist weniger wirksam, als wenn man es länger gemacht hätte. Und ich habe so ein bisschen das Problem, dass das ja jetzt erst mal so der Appell an die Bundesländer ist. Für die Eltern ist es viel einfacher, wenn offiziell Ferien sind und man nicht sagen muss, das Kind ist krank und kommt deshalb nicht in die Schule. Das wird man dann sehen, wie der endgültige Beschluss aussieht. Mir wäre sehr daran gelegen, dass das einheitlich ist. Denn das ist ein sehr wirksames Instrument. Für die Familien, die über-


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haupt die Situation haben, dass sie jemand in der Familie schützen müssen, ist das ein Glück. Das hat nicht jeder, dass da alle Generationen zusammen sind.


Und was mir fehlt, ist die Empfehlung, dann auch noch Tests zu machen. Das ist ja eine weitere Stufe, die man einziehen kann, zumindest in den Familien, wo ältere Menschen mit am Tisch sitzen, dass man solche Schnelltests an dem Tag macht. Da muss man sagen: Wieso ist der Tisch leer, obwohl die Tests ja seit März zur Verfügung stehen?


[0:15:14]



Camillo Schumann



Aber wenn wir jetzt mal die fünf Tage nehmen und wir uns am Samstag alle brav in Selbstquarantäne begeben, keinen treffen und nur noch das Nötigste tun, und ich keine Symptome habe kurz vor dem 2 4.12 ., dann kann ich doch am 2 4. zu meiner Familie fahren?


[0:15:34]



Alexander Kekulé


Da ist jetzt das Stichwort Inkubationszeit gefragt. Da gibt es leider zwischen den Fachleuten, die sich öffentlich äußern in Deutschland offensichtlich unterschiedliche Positionen. Ich lese es dann auch in den Vorschlägen der Ministerpräsidenten, dass man dem einen oder dem anderen gefolgt ist. Die grundsätzliche Inkubationszeit, die normale Inkubationszeit, wenn ich es mal so sagen darf, sind fünf normale Tage.


Aber was heißt fünf Tage normalerweise? Das heißt, dass man mathematisch gesehen von allen in Inkubationszeiten, die man gesehen hat, also die Zeiten zwischen Ansteckung und Auftreten der Symptome, dass man den mittleren Wert nimmt, also nicht den Mittelwert, sondern den mittleren Wert, den Median. Der Median ist fünf Tage, aber plus/minus 2 Tage, also ein Zeitraum zwischen drei und sieben Tagen. Da sind wir jetzt schon mehr als fünf. Zwischen 3 und 7 Tagen zeigen 50 Prozent der Infizierten, also die Hälfte von allen, die ersten Symptome. Das ist damit gemeint.


Das heißt also, die andere Hälfte zeigt die Symptome tendenziell später, denn viel schneller als drei Tage geht es eigentlich kaum, gibt es schon mal, aber selten. Also die meistenzeigen sie später. Was heißt das? Das heißt, wenn Sie 14 Tage Inkubationszeit nehmen – und das ist ja der Grund, warum die Quarantäne 14 Tage ist, die Quarantäne-Anordnung – dann haben Sie die Situation, dass noch welche durch die Lappen gehen, die noch ein bisschen länger als 14 Tage brauchen. Wenn Sie das verkürzen auf zehn Tage – und diesen Vorschlag gab es ja von einigen meiner Kollegen, wo ich nicht mitgehen, dass man das einfach so verkürzt –, dann haben Sie in der Größenordnung von fünf bis zehn Prozent, die Ihnen durch die Lappen gehen. Also Leute, die später noch positiv werden. Wenn Sie das jetzt auf fünf Tage verkürzten – wie das hier offensichtlich gedacht ist und wo ich auch weiß, dass einige so argumentieren und die Quarantänezeit auf fünf Tage verkürzt werden soll –, dann kommen Sie in eine Situation, wo Sie rein statistisch gesehen über die Hälfte der Fälle eben nicht mehr erwischen. Deshalb stimmt es eben nicht, dass man fünf Tage in Heimquarantäne macht und dann entspannt Weihnachten feiert. Selbst bei denen, die dann noch symptomatisch werden hinterher, hat man über die Hälfte gar nicht erfasst, also über die Hälfte werden dann doch noch positiv. Und wir wissen ja auch, dass ein erheblicher Teil der Menschen gar keine Symptome kriegt oder so schwach, dass das nicht bemerkt. Das heißt also, es könnte auch ein Asymptomatischer dann an Weihnachten mit dabei sein. Die würden sie nur entdecken, wenn Sie den Test machen.



Camillo Schumann



Aber in dem Fall könnte der Appell von diesem Podcast ausgehen: fünf Tage Minimum! Aber wenn Sie es können, dann machen Sie es doch ein paar Tage länger vorher.


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Alexander Kekulé


Unbedingt. Ja, das ist immer schwierig, wenn man eine Schulpflicht hat. Das ist ja ein Rechtsbruch. Und wir wissen, dass einige Bundesländer sich nicht zu schade waren, in den Sommerferien – jetzt nicht diesen Sommer, sondern in den letzten Sommern – sogar die Polizei an die Flughäfen zu schicken, um zu gucken, wer wegen eines billigeren Fluges die Kinder einen Tag vorher aus der Schule genommen hat. Da gab es dann Strafen für so was. Offensichtlich haben wir viele Polizeibeamte extra in Deutschland. Und wenn man so etwas in Erinnerung hat, muss man auf keinen Fall empfehlen, ein Kind früher aus der Schule zu nehmen. Aber bei denen, die keine schulpflichtigen Kinder haben, ist es so, dass man sagen muss: Kinder, Kita oder ähnliches mindestens auf die sieben Tage vorher zu schließen. Diese Empfehlung, die ich ja gegeben hatte, war schon ein Kompromiss zwischen dem, was virologisch sinnvoll ist und dem, was für die Bevölkerung zumutbar ist.


[0:19:2 7]



Camillo Schumann



Das muss dann jeder für sich selber entscheiden. Das ist er nur ein Appell, einen Hinweis, wie sich jeder verhalten kann. Wie die Gestaltung am Ende aussieht, kann ja jeder für sich persönlich entscheiden.


Die Firmen sollen, wo es geht, vom 2 3. Dezember bis 1. Januar geschlossen bleiben. Die Länder bitten die Arbeitgeber um Betriebsferien oder um weitreichende HomeofficeLösungen. Das ist ein relativ langer Zeitraum direkt zwischen den Jahren und in der Weihnachtszeit. Ist das eine gute Lösung?



Alexander Kekulé


Ich glaube, das machen die Firmen sowieso nach dem Motto: Was können wir noch empfehlen, was keinem so richtig weh tut und was nach Aktion aussieht. Also die Firmen machen das doch sowieso, weil zwischen Weihnachten und Neujahr vielerorts runtergefahren wird. Und die Homeoffices sind jetzt in den letzten Monaten schon maximal ausgereizt. Man


könnte sagen: die Zitrone ist da ausgequetscht mit dem Homeoffice. Ich glaube, das jetzt noch weiter auszureizen, wird nicht richtig funktionieren. Ich glaube, es ist eher notwendig und da fehlt es eigentlich schon länger, dass wir über die Arbeitgeber-Aufgaben – der Arbeitgeber hat ja eine Schutzverpflichtung seinen Arbeitnehmern gegenüber – dass er klare Vorgaben macht, wie die Infektionen zu verhindern sind am Arbeitsplatz, sofern eben kein Homeoffice möglich ist. Und ich glaube, da ist noch sehr viel Luft. Ja, es gibt ja viele Arbeitsplätze, wo die Leute einfach keine Masken tragen. Und ich glaube, da könnte man noch einiges nachschärfen und auch klarere Regeln schaffen. Dass die Arbeitgeber wissen, das und das muss ich machen und das und das brauche ich nicht.


[0:2 1:18]



Camillo Schumann



Thema Silvester: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen Silvesterfeuerwerk auf belebten öffentlichen Plätzen und Straßen untersagen, um größere Gruppenbildung zu vermeiden und die örtlich zuständigen Behörden bestimmen dann die Betroffenen, Plätze und Straßen. Ein Verkaufsverbot soll es aber nicht geben.


[0:2 1:36]



Alexander Kekulé


Okay, also mit dem Böllerverbot provozieren Sie mich jetzt. Ich versuche es mal ganz vorsichtig. Ich bin gegen das Böllerverbot. Wenn man das Böllern verbietet, muss man klare Fakten dafür haben. Entweder muss man sagen, die Stickoxide sind so hoch, dass das Gesundheitsschäden hat. So eine kurzzeitige Belastung ist zwar echt ekelhaft, das kann ich bestätigen, wenn man da drinnen steht. Aber das ist für Leute, die sonst gesund sind, keine, kein gesundheitliches Problem. Oder man muss sagen, man findet die Geldverschwendung fürchterlich. Ich finde es sinnvoller, wenn die reichen Staaten das Geld anderweitig ausgeben. Das würde ich irgendwie noch verstehen. Und ich glaube, dass viele Leute aus dem


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Grundaussagen: Wir böllern lieber nicht, weil das so eine offensichtliche Verschwendung ist, die man da macht. Aber dass man dann sagt: jetzt haben wir wieder ein neues Argument. Jetzt ist es Covid19, weswegen nicht geböllert werden darf, und dass sich dann auch noch die Ministerpräsidenten sich dieser Diskussion annehmen und die großen Parteien – da sind wir in Deutschland so dermaßen auf dem falschen Dampfer. Wir müssen bei diesem Thema müssen wir einfach sachlich bleiben. Und da muss man sagen, weil jemand im Park oder vom Balkon Böller verschießt, ist das nun definitiv keine Covid19-Infektionsgefahr. Auf den Plätzen, gut, wenn die sich wirklich drängeln, da mögen die Aufsichtsbehörden zum Teil Erfahrungen gemacht haben. Ich weiß aber, dass in den letzten Jahren in den Großstädten, Wo ich einen Überblick habe – das wäre Berlin, München und Halle an der Saale – da ist es so, dass man die Orte, wo bekannt war, dass sich Leute betrunken treffen und dann gegenseitig mit Raketen beschießen, zum Teil über die Straße, da hat man das doch längst verboten. Das ist alles schon gesperrt und unter Kontrolle. Dass jetzt diese Böller Diskussion damit reingemischt wurde und dass das keiner frühzeitig gestoppt hat, zeigt, wie sehr man im Nebel stochert. Das muss ein Ende haben. Wir müssen sachlich bleiben.


[0:2 3:57]



Camillo Schumann



Apropos sachlich: Ich glaube, der Hintergrund ist jetzt weniger die Infektionsgefahr, sondern dass man durch Verletzungen, die durch Silvesterraketen, Böller etc. entsteht, auch die Krankenhäuser und das medizinische Personal nicht noch zusätzlich belasten möchte.


[0:2 4:11]



Alexander Kekulé


Jedes absurde Argument braucht eine Scheinbegründung, und das ist nun wirklich lange genug Notarzt. Und in der Zeit, wo ich noch keine Familie hatte, immer verdonnert, an Silvester zu fahren und an Weihnachten auch.


Klar gibt es mal den einen oder anderen, der sich mit dem Böller verletzt hat. Aber ich würde mal so sagen, da sollte man mal eine Umfrage bei den Nothilfen machen. Das geht ja noch bis dahin. Ich würde mal sagen aus dem Bauch heraus: 98 Prozent sind Alkohol. Und auf jeden Fall unter 2 Prozent sind die klassischen Böller-Verletzungen, wo sich einer wehgetan hat. Und wenn jetzt an Silvester – das wird ja leider kommen – die ganzen Silvester-Partys ausfallen, dann sind die Nothilfen und die Rettungssanitäter, die in den Großstädten früher doppelt und dreifach besetzt waren an Silvester, weil man wusste, die werden Däumchen drehen und sich freuen, wenn sie mal ausrücken dürfen für irgendetwas. Ich sehe jetzt überhaupt nicht, warum man zur Schonung in dieser Nacht voraussichtlich im historisch niedrig genutzten Kapazitäten der der Sanitäter und der Nothilfen jetzt, auch noch die Leute, die sich irgendwie die Finger verkokelt haben, die nicht mehr einliefern darf. Und die Sanitäter machen das ja seit Monaten. Und die wissen, wie man Patienten transportiert. Da hätten wir ja schon längst Covid-19Ausbrüche unter den Rettungssanitätern und in den Nothilfen. Das ist ja nicht der Fall.


[0:2 5:49]



Camillo Schumann



Tja, also sehr kritisch gesehen, das Böllerverbot an einigen belebten Straßen und Plätzen gesehen von Professor Kekulé. Morgen also die Entscheidung der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Noch einmal kurz nachgefragt: Was würden sich von dem Treffen noch wünschen?


[0:2 6:05]



Alexander Kekulé


Toll wäre es, wenn die Kanzlerin Einheitlichkeit in das Entwurfspapier reinbringen könnte. Das ist auch ein bisschen ihrer Aufgabe, das dann zu dirigieren, damit nicht jedes Bundesland die Dinge so auslegt, wie es will. Wir waren ja schon bei der roten Ampel für die Ministerpräsidenten, die eigentlich den Zweck hatte, die die Ministerpräsidenten bei bestimmten Schwellenwerten bei Rot zum Stoppen zu brin-


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gen. Die fahren jetzt alle munter über die Ampeln rüber. Wenn ich Herrn Hasselhoff vorhin richtig verstanden habe, sagt er, dass er auch die nächsten Monate über die rote Ampel fahren will. Da wäre es gut, wenn im Winter eine Einheitlichkeit einkehrt. Das wäre ein tolles, starkes Signal, wenn man sagt, wir haben jetzt wissenschaftliche Fakten. Und wo ich am meisten Bauchschmerzen habe, ist, wenn irgendwelche Leute sagen, Quarantäne verkürzen auf fünf Tage. Und das in dem Fall sogar ohne Test. Das ist ein Signal in die falsche Richtung. Diese Erkrankung hat einfach bis zu 14 Tage Inkubationszeit. Und das kann man nicht politisch wegdiskutieren.



Camillo Schumann



Haben Sie noch Lust auf Weihnachten?



Alexander Kekulé


Ich schon. Also ich persönlich muss ja sagen, ich habe ja glücklicherweise die Situation, dass ich eine Riesenfamilie habe. Wenn wir alle zusammen sind, kommen wir in diesen ZehnerBereich rein. Es gibt auch schon Familienmitglieder, die angekündigt haben, sie wollen nicht kommen, weil sie so viel Angst haben. Hoffentlich nicht, weil sie diesen Podcast gehört haben. Aber die haben so viel Befürchtung, dass sie überhaupt nicht kommen wollen. Und wir haben ja die Schnelltests. Und wenn sie diese ganze Kombination haben, also vorweihnachtliche, wenn ich sagen darf, so eine Art Selbstquarantäne – also das ist keine echte Quarantäne, aber Vermeidung gefährlicher Kontakte: dass man da bewusster ist, zum Beispiel, dass man beim Einkaufen, wenn es jetzt voll wird, wirklich eine FFP2 -Maske aufzieht und nicht mehr so eine normale, die vielleicht schief im Gesicht sitzt, plus die Schnelltest, plus unter zehn Personen –, dann kann man das wirklich entspannt und sicher gestalten. Und ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht alle verrückt machen lassen und alles kaputtmachen lassen von diesem Virus. Irgendwo


muss man auch mit der ganzen Situation leben können.


[0:2 8:11]



Camillo Schumann



Jetzt gehören sie ja zu einer privilegierten Kaste in diesem Land. Weil sie die Schnelltests angesprochen haben: die gibt es ja nicht für die breite Masse, ohne dass man das dann genauso durchführen kann wie Familie Kekulé beispielsweise.


[0:2 8:2 3]



Alexander Kekulé


Ja, das können alle Ärzte kaufen. Und das kennt ja jeder. Wahrscheinlich hat jeder ein Arzt, der das einem besorgt. Das gibt es in der Apotheke, wenn man den Arztausweis auf den Tisch legt. Der einzige Nachteil ist: Man muss es selbst bezahlen. Ja, das kostet pro Test elf Euro zurzeit. Ob man das investieren will, muss jeder selber wissen. Das hängt auch ein bisschen davon ab, wie die familiäre Situation ist, ob man überhaupt Risikopersonen am Tisch sitzen hat. Aber wie gesagt, also alle Ärzte sind privilegiert, und wir haben ja sehr viele Ärzte in Deutschland, die einem da helfen können,


[0:2 9:01]



Camillo Schumann



Kommen wir zum nächsten Thema. Und das ist ein Thema, über das wir sehr häufig gesprochen haben: die Situation in den Pflegeheimen und wie wir mit der Pandemie zurechtkommen, das entscheidet sich ja vor allem auch in den Pflegeheimen. Und dort leben ja die Menschen, die das höchste Risiko haben, nach einer Sars-CoV-2 -Infektion auch zu sterben. Schaut man sich die Lageberichte des RobertKoch-Instituts an, dann stellt man ziemlich schnell fest, dass die Ausbrüche in den Altenheimen nach wie vor sehr häufig sind und auch weiter zunehmen. Allerdings gibt es keine offizielle Statistik. Die Kollegen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung haben lange recherchiert und viele Zahlen zusammengetragen. Wirklich


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eine hervorragende Recherche! Und da wollen wir mal kurz darauf eingehen. Rund 12 .000, Altenund Pflegeheim

Alexander Kekulée gibt es in Deutschland. In weit mehr als 1.000 Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen bundesweit gibt es ab Corona-Fälle. Demnach ist etwa jedes fünfte Heim in Rheinland-Pfalz und Hamburg etwa jedes sechste in Nordrhein Westfalen und etwa jedes zehnte in Brandenburg betroffen. In Hessen haben 2 00 von gut 800 Pflegeeinrichtung CoronaInfektionen gemeldet, also jedes vierte Heim. Und die tatsächliche Gesamtzahl der Betroffenen Heime liegt wahrscheinlich noch wesentlich höher. Länder wie Berlin und Bayern haben überhaupt keine Angaben gemacht. Wenn Sie diese Zahlen zu hören, was sagen Sie dazu?


[0:30:19]



Alexander Kekulé


Das ist schockierend. Das kann man nicht anders sagen. Wir haben ja schon ein paar Mal darüber gesprochen über die Situation. Aber dass es so krass ist, wie es jetzt dort offensichtlich recherchiert wurde, hätte ich auch nicht geahnt. Das Problem ist, dass wir hier eine bekannte Situation haben. Ich kann es nur noch einmal sagen, wenn sie die Altersgruppe über 70 nehmen – gerade bei Heimbewohnern ist es noch schlimmer, aus verschiedenen Gründen –, dann haben sie eine Sterblichkeit, die im Bereich von über zehn Prozent liegt. Und in den meisten Ländern ist es so, dass der Anteil der 80 plus-Menschen mehr als 90 Prozent der Todesfälle ausmacht. Und jetzt wurde offensichtlich die Verantwortung zwischen Bund und Ländern hinund hergeschoben. Es liegen noch einmal die Zahlen auf dem Tisch, es gibt immer noch kein Konzept und die Tests sind nicht da. Also ich habe zum Glück kein Angehörigen im Heim. Aber sonst würde ich da wirklich verzweifeln in der jetzigen Situation.


[0:31:2 2 ]



Camillo Schumann



Statistik ist genau das Stichwort. Obwohl es ja so aussieht in den Pflegeheimen, gibt es bis heute keine ständig aktualisierte Übersicht


über das Infektionsgeschehen in Alten und Pflegeheimen. Auch das Gesundheitsministerium und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung verfügen offenbar nicht über ein genaues Lagebild. Was sagt es eigentlich aus?


[0:31:44]



Alexander Kekulé


Das geht ja sogar einen Schritt weiter als kleine Ergänzung: Es ist so, dass auf den Berichten des Robert-Koch-Instituts immer dabeisteht, dass nur über einen Teil der Infektionen überhaupt berichtet wird. Ob das im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunterkünften im weitesten Sinne passiert ist. Ich meine, es war ein Drittel ungefähr. Davon wird es ja letztlich ausgerechnet. 2 Drittel der gemeldeten Fälle sind so, dass das Robert-Koch-Institut gar nicht reingucken kann, ob das in einer Gemeinschaftsunterkunft ist. Und dann ist ein Riesenunterschied, ob sie ein Asylbewerberheim haben, wo es fast keine schweren Erkrankungen gibt oder ob sie ein Altersheim haben.


Ja, was sagt das über die Situation aus? Ich habe vor vielen Jahren mal einen Vortrag gehalten, was wir für eine Pandemie brauchen: Vier C. Diese vier C sind: Wir brauchen ein Konzept, das war auf Englisch, da schreibt man Konzept mit C. Wir brauchen Kommunikation über dieses Konzept. Das heißt, die Bevölkerung muss verstehen, auf welcher Basis Entscheidungen getroffen werden. Und dann brauchen wir2  Cs, die ich aus dem Militär geklaut habe. Das ist Command and Control, das heißt, wir müssen Anordnungen treffen. Die müssen bis ins letzte Glied funktionieren, also im Bund sozusagen von am besten von Berlin bis zu den Gesundheitsämtern und den Gemeinden. Und Control ist der Punkt, worauf es hier ankommt. Das heißt, ich brauche Instrumente, um zu überprüfen, ob das funktioniert, was ich da gemacht habe. Beispiel: ein Soldat – Entschuldigung, der Vergleich mit dem Krieg ist immer billig aber ein Soldat, der eine ein Geschütz abfeuert und keine Kontrolle hat, ob er getroffen hat oder nicht, wird nie weiterkommen. Und hier ist es ebenso. Wir feuern


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irgendwie blind im Nebel. Es werden ja auch immer gerne das Bilder vom Navigieren im Nebel oder dem Fahren auf Sicht gebraucht. Und wir wissen überhaupt nicht, ob die Maßnahmen greifen und ergreifen dann ständig neue Maßnahmen, weil wir das Ergebnis nicht überprüft haben. Dafür ist es eben absolut notwendig. Da bin ich sicher, dass die Verzweiflung ähnlich beim Robert-Koch-Institut ist, weil die ja die Daten nicht bekommen. Es ist absolut notwendig, dass wir uns einen Überblick über die Lage verschaffen und zwar möglichst in Echtzeit. Und dann müssen wir möglichst genau sehen, welche unserer Maßnahmen hat welchen Effekt gehabt. Das Robert-Koch-Institut ist in der Hinsicht ein Tiger, dem man die Zähne gezogen hat, weil es nicht sieht, welche Empfehlungen welchen Effekt hatten.


[0:34:14]



Camillo Schumann



Gut, dass es Journalisten gibt, die zum Hörer greifen und recherchieren und sich mit vielen Menschen unterhalten. Zum Beispiel hatte das Gesundheitsministerium Mitte Oktober versprochen, dass Altenund Pflegeheim

Alexander Kekulée die sogenannten Schnelltests mit bis zu 2 0 Tests pro Bewohner und Monat großzügig nutzen könnten. Tatsächlich aber zeigen sich bislang erhebliche Mängel in der Umsetzung dieser Strategie. Bevor die Tests eingesetzt werden dürfen, müssen die Pflegeheime Testkonzepte erarbeiten. Und die wiederum muss das lokale Gesundheitsamt genehmigen, damit die Tests später von den Krankenkassen auch erstattet werden. So ist dann der bürokratische Weg. Und genau auf diesem Weg kommt es eben nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung oftmals zu erheblichen Verzögerungen. Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen befragt aktuell Einrichtungs-Mitarbeiter in ganz Deutschland, ob sie die Schnelltests auch schon einsetzen. Ein erstes Zwischenfazit lautet: Keine fünf Prozent der Einrichtungen, die geantwortet haben, gaben an, diese Schnell-


tests bereits anzuwenden. Die Schnelltests scheinen echt zu verpuffen im Moment.


[0:35:19]



Alexander Kekulé


Die kam ja viel zu spät. Wie gesagt, die waren seit März verfügbar, und man hat im Oktober eben jetzt gesagt, dass man die bezahlen möchte. Mitte Oktober wurde es vom Bundesgesundheitsministerium gesagt. Weil man aber weiß, dass die Heime mit so etwas überfordert sind – die sind ja vom Personal her knapp und so ein Pflegeheim kann jetzt nicht ein CoronaKonzept erarbeiten – man sieht ja, dass selbst die Ministerpräsidentenkonferenz es nicht ganz einfach hat mit dem Thema. Und deshalb war es nach meiner Erinnerung doch der Vorschlag oder die Ankündigung, dass das Bundesgesundheitsministerium eine Art Rahmenkonzept vorlegen wollte, nach dem sich dann alle richten können. Wenn ich jetzt im Zusammenhang mit dieser Studie, die sie gerade erwähnt haben, vom gleichen Ministerium höre, dass die auf Ansprache mitgeteilt haben, sie seien gar nicht zuständig, sondern das sei Zuständigkeit der Länder, dann beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich glaube, wir brauchen bei solchen Fragen ein gutes Rahmenkonzept, das mit den Bundesfachleuten abgesprochen ist und wo auf der Ebene einfach das meiste Know-how zusammengezogen werden kann. Und dieser Rahmen muss dann als Vorschlag – klar, wir haben ein föderales System, d.h. für die Gesundheit sind bekanntlich die Länder zuständig – an die Länder gehen. Das hätte man von Anfang an sehen können, dass es von den vier Cs das allererste und 2 te C sind, die man braucht: Konzept und Kommunikation, das braucht man von Anfang an. Und da kann man jetzt nicht sagen, wir haben im Oktober zwar angekündigt, dass wir ein Konzept machen. Jetzt haben wir es wohl nicht gemacht. Und deshalb bekommen die da nicht klar und kriegen ihre Anträge nicht durch. Aber wir sind ja gar nicht zuständig. Man muss in der Phase schon mal fragen. Wir haben 14.112  Verstorbene, Stand gestern, kann man in der Lage


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eigentlich als Politiker ständig sagen: Wir haben es so toll gemacht?


[0:37:18]



Camillo Schumann



Diese Frage können wir Herrn Spahn auch mal weitergeben. Vielleicht hat er ja mal Lust, sich im Podcast dazu zu äußern, wie das alles so gelaufen ist. Und wir bleiben bei Jens Spahn und kommen zum nächsten Thema: Impfungen. Und da hat Herr Spahn gestern Folgendes gesagt:


„Wenn wir gemeinsam diesen harten, schwierigen Corona-Winter hinter uns gebracht haben, wird auch die Bereitschaft steigen, eben dieses Impfangebot anzunehmen und sich impfen zu lassen. Wir jedenfalls wollen zügig, sobald ein Impfstoff verfügbar ist, mit diesem Impfangebot beginnen. Es gibt begründeten Anlass, auch dort dafür anzunehmen, dass wir spätestens Anfang nächsten Jahres mit dem Impfen beginnen können. Vielleicht sogar schon Ende diesen Jahres, sodass insgesamt aus meiner Sicht eben die wichtige Botschaft in diesen schwierigen Tagen ist: Es gibt einen Weg raus, und wir sind bei diesem Weg auf einem guten Weg.“


[0:38:14]



Camillo Schumann



Und es gibt ja auch begründeten Anlass, dass die Impfung auch bei älteren Menschen gut wirkt.



Alexander Kekulé


Richtig, das ist eigentlich eine der positiven Nachrichten. Also die eine ist, dass diese RNAImpfstoffe, die ja wirklich experimentell sind oder experimentell waren, dass die tatsächlich eindeutig wirken. Das ist ja schon mal toll, dass sich das die Leute quasi am Reißbrett ausgedacht haben und funktioniert. Das ist ja überhaupt nicht trivial. Und Nummer 2 ist, dass man dort schon relativ umfangreich alte Menschen mit reingenommen hat in die Studien. Kinder übrigens nicht unter zwölf Jahre, aber alte Menschen. Und bei den Alten ist es ein-


fach so, dass es keine Unterschiede in der Wirksamkeit gibt. Gut, das sind jetzt nicht so viele Fälle, die man hat. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass wir da bei allen Studien zusammen vielleicht 50.000 Menschen in den Studien drinnen hatten. In der Größenordnung, die Zahlen sind inzwischen vielleicht bei 60.000, und ich spreche jetzt von den Messenger-RNA-Impfstoffen. Und die Hälfte davon hat den Impfstoff bekommen. Aber nur einige hundert sind ja krank geworden oder haben sich infiziert in diesen Studien, und davon dann wiederum in der Größenordnung von 90 Prozent. Eben von den nicht Geimpften, sodass man diese Wirksamkeit von 90-95 Prozent errechnen konnte. Aber diese wenigen, die erkrankt sind, bedeuten auch umgekehrt, dass man diese Schutzwirkung, wenn man die jetzt auf eine Untergruppe berechnet, also nur die Personen, sage ich mal über 60 oder 70, dann wird die Aussagekraft rein statistisch gesehen, schwächer, aber trotzdem, auch wenn es jetzt noch nicht in Stein gemeißelt ist. Es sieht so aus, als gäbe es keinen Unterschied bei den Alten. Das ist die wichtige Informationen, sodass die Möglichkeiten, das hier Probleme mit der Wirksamkeit auf auftreten bei den Impfstoffen aus meiner Sicht sehr gering sind.



Camillo Schumann



Möglicherweise ist der Impfstoff dann die Lösung für die älteren Menschen auch in den Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Also ist die Impfung schneller als das Rahmenkonzept.



Alexander Kekulé


Das wäre so ähnlich wie bei der Corona-App. Ich erinnere mich, was der Bundesgesundheitsminister gerade im O-Ton gesagt hat. Das erinnerte so ein bisschen daran, wie er die App damals angekündigt hat. Nach dem Motto: Wir müssen jetzt ein paar von unseren individuellen Informationsrechten abgeben. Dafür kriegen wir mehr Freiheiten. Und jetzt heißt es: Wir müssen an Weihnachten einen harten Winter überstehen, dann werden wir verstehen, warum der Impfstoff so wichtig ist. Das


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war ein Seitenhieb auf die Impfkritiker. Hoffen wir, dass das alles so funktioniert. Ich warne aber davor, jetzt zu glauben, dass wir im Januar jetzt schon munter anfangen zu impfen. Und dass es jetzt nur noch darum geht, Silvester zu überstehen. Es werden Impfungen beginnen, vielleicht schon dieses Jahr. Die Impfzentren werden ja schon munter aufgebaut. Das ist auch ein psychologisches Signal, was hier gesendet wird. Aber bei 50 Millionen Impfdosen, die zum Beispiel Pfizer mit Biontech zusammen herstellt weltweit, damit kann man 2 50 Millionen impfen. Und wenn die amerikanische Presse richtig liegt – in der Washington Post steht, dass die Hälfte davon reserviert ist für die USA – macht also dann noch 12 5 Millionen. Dann gibt es mehrere Länder, die schon lange Zeit Verträge haben, zum Beispiel das Vereinigte Königreich Kanada und meines Wissens noch 2 oder drei andere. Die werden auch dann erstmal bedient, und danach hat der erst die EU geordert. Und das würde wiederum auf alle EU-Staaten verteilt. Dann kommt noch die grundsätzliche Frage, wie ist es mit Entwicklungsländern? Dürfen sich jetzt die Reichen einfach so bedienen, weil sie das Geld gerade haben? Die EU ist ja auch bei einer internationalen Kampagne beteiligt, wo alle Länder, die da mitmachen, gesagt haben: Wir schmeißen die Impfstoffe in einen großen Topf, und es wird ein bestimmter Anteil davon auch an die Entwicklungsländer verteilt. Und durch dieses Verteilungssystem wird also das, was da zur Verfügung steht, noch mal kleiner. Und jetzt gehe ich noch einmal zurück. Der eine Hersteller, Pfizer, der als erster jetzt rauskommen wird, hat mit der Produktion begonnen und gesagt, 50 Millionen schafft er dieses Jahr noch, wenn es gut geht, das ist schon eine Reduktion. Früher war ja mal von 100 Millionen die Rede, jetzt hat man es auf 50 Millionen reduziert. Und ich hoffe, dass das stimmt. Also der Albert Bourla, der Pfizer-Chef, hat es jetzt noch einmal bestätigt, dass er das wohl hinkriegt. D.h. aber nicht, dass wir uns alle in Deutschland dann munter Ende des Jahres mit hochgekrempelten Ärmeln schon irgendwo anstellen dürfen, sondern da werden ganz


selektiv wahrscheinlich in Altersheimen, Risikogruppen geimpft. Und das ist sehr, sehr gut. Das ist sehr wichtig. Das wird auch schnell die Sterblichkeit beeinflussen. Davon gehe ich aus. Aber es wird die Infektionszahlen nicht beeinflussen. Und dann werden wir in der interessanten Situation sein, dass wir wissen, es könne nicht mehr so viele Menschen sterben, weil wir nach und nach die Risikogruppen immunisiert haben. Aber wir fangen ja nicht mit den Personen an, die das höchste Übertragungsrisiko haben. Ich sag mal so: die Jungen, die Party machen, Entschuldigung, ist ein Vorurteil, aber ein Teil davon ist in dieser Gruppe. Aber diejenigen, wie auch immer wir diese sozial besonders aktiven Teile der Gesellschaft nennen, die werden wir nicht als erstes impfen. Und deshalb wird es weiterhin hohe Infektionszahlen geben. Und da ist dann eine interessante Frage, wie wir damit gesellschaftlich umgehen. Wenn wir weiterhin 15.000 Fälle oder ähnliches am Tag haben, aber eigentlich wissen, dass die Risikogruppen besser geschützt sind, auch dafür brauchen wir einen Plan. Und das ist ein Teil dieser mittelfristigen Strategie, die meines Wissens für Morgen angekündigt wurde. Aber ich habe jetzt in diesem Papier, was seit kurzem zirkuliert, als Entwurf noch nichts gesehen, was jetzt über Silvester deutlich hinausgeht.


[0:44:19]



Camillo Schumann



Wir sprechen ja gerade über Impfstoffe. Und eine Firma, die möglicherweise gar nicht so viele Menschen auf dem Zettel haben, ist IDT Biologika aus Dessau in Sachsen-Anhalt. Diese Firma forscht auch an einem Corona-Impfstoff. Gestern gab es hohen Besuch von Ministerpräsident Reiner Haseloff und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er setzt auf IDT und hat schon mal 5 Millionen Dosen geordert. Wir hören mal rein:


„Dessau ist ein Ort, den viele kennen auf der Welt, vielleicht manchmal sogar mehr, als wir alle in Deutschland ahnen. Und auch die Firma


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IDT hat so eine Lösung gefunden für uns, für diese Krise, für den Umgang damit. Sie forscht an einem Impfstoff, zusammen mit Partnern aus der Forschung, der, wenn alles gut geht, im nächsten Jahr zur Zulassung und auf den Markt kommt. IDT steht damit in einer Reihe von dann insgesamt gleich drei deutschen Firmen, die aussichtsreich Corona-Impfstoffe entwickeln Curevac, Biontech und eben IDT.“


[0:45:19]



Camillo Schumann



Aber IDT forscht ja nicht an derselben Art Impfstoff wie Biontech und Curevac? Was macht IDT anders?



Alexander Kekulé


Das ist ein Vektor-Impfstoff offensichtlich. Der geht dann eher in die Richtung des Impfstoffs, der vom Oxford Jenner Institut gemacht wird zusammen mit Astra Zeneca. Auch so ähnlich wie der russische Impfstoff, der schon seit einiger Zeit zugelassen ist in Russland. IDT ist einer von vielen Playern, die mit vielen Mitteln, in dem Fall Steuermitteln, finanziert wurden, auch zusammen mit vielen virologischen Instituten in Deutschland sehr viel Geld bekommen haben. Es ist ein bisschen tragisch dadurch, dass die großen Firmen einfach so weit sein. Ja, es gibt jetzt die Pfizer-Leute und dann auch noch AstraZeneca zusammen mit Oxford. Die sind einfach weit, von den Chinesen ganz zu schweigen. Die haben schon länger ihre Impfstoffe unterwegs. Das ist jetzt eine fast verlorene schwierige Lage, weil die neuen Studien neue Phase-drei-Studien auflegen. In der jetzigen Lage ist problematisch. Da müssen Sie noch einmal über 40.000 Leute rekrutieren, von denen die Hälfte keinen Impfstoff bekommt, sondern Placebo. Und wir sehen jetzt schon in den USA, wo die Pfizer und ModernaStudien gelaufen sind, das Problem, dass die Leute, die in den Studien sind, sagen, sobald es jetzt zugelassen wird – und das wird Mitte nächsten Monats sein in den USA –, wollen wir nicht mehr Studie sein. Wir wollen jetzt das richtige Zeug haben und nicht irgendwie ein


Placebo kriegen. Und das Gleiche gilt, wenn jetzt dann IDT oder an eine andere Firma sagt Anfang nächsten Jahres ja, jetzt werden wir so weit mal eine Phase-drei-Studie zu machen. Ehrlich gesagt war es auf jeden Fall gut, dass das auch der Bund große Investitionen getätigt hat. Er hat auf jeden Fall die deutsche Virologie toll gefördert. Und es ist so, dass wir hier wissenschaftlich auf jeden Fall etwas von hatten. Es wird aber auch so sein, das nicht alle, die irgendwie am Start waren, dann auch über die Ziellinie laufen.


[0:47:2 6]



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz das eine sind ja die mRNA-Impfstoffe. Und das ist ja jetzt ein Vektor-Impfstoff, an dem IDT Biologika forscht und dann möglicherweise auch liefern kann. Aber ist es nicht gut, noch auf eine Alternative zu setzen?


[0:47:43]



Alexander Kekulé


Ich war immer dafür, dass man das parallel macht. Wir haben ja letztlich fünf verschiedene Methoden, wie man Impfstoffe herstellen kann. Da gehe ich jetzt nicht noch einmal darauf ein. Und hier ist ein Vektor-Impfstoff. Das ist also das Gleiche, wie das wo AstraZeneca mit Jenner gerade letzte Woche die Daten veröffentlicht hat, die auch sehr vielversprechend aussehen. Die Studie ist ja zwischendurch unterbrochen worden, und deshalb sind die nicht ganz so schnell wie Moderna und Pfizer. Es ist ja auch so, dass der GamalejaImpfstoff aus Moskau ein Vektor-Impfstoff ist. Und auch in China gibt es einen von den vielen, die sie gemacht haben, das ist auch ein VektorImpfstoff. Das heißt also, es gibt jetzt schon einen richtig zugelassenen Impfstoff aus Russland. Es gibt einen, der ganz kurz vor der Zulassung steht aus Oxford. Es gibt einen in China, der dort verwendet wird. Ob da die Zulassung offiziell erteilt wurde, weiß ich gar nicht genau. Und jetzt kommt der nächste Vektor-Impfstoff. Ich glaube, das ist ein ganz gemeines Rennen. Aber hier ist es ja so: The winner takes it all.


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Wenn man als erster oder als einer der ersten drei über die Ziellinie ist, dann stehen die ganzen weltweiten Produktionskapazitäten auf stand-by. Und das ist auch richtig so gemacht worden, dass man einmalig in der Menschheitsgeschichte gesagt hat, wir machen Entwicklung, und parallel bauen wir schon die Fabriken für die Herstellung. Und parallel bereiten wir die Zulassung so vor, sodass sich am Schluss ein Komitee trifft und das am nächsten Tag ausgeliefert werden kann. Das ist ja unglaublich, diese Vorbereitung. Aber das heißt zugleich, wenn jetzt drei Firmen, sage ich mal, und damit rechne ich einfach mal RNA und einmal AstraZeneca mit dem Vektor-Impfstoff, wenn die sozusagen da durchbrechen, wird alle Produktionskapazitäten da drauf gesetzt, dann werden die Zulassungskapazitäten aufgebraucht. Das ist ja auch eine irre Arbeit für die Behörden das dann weiter zu verfolgen. Das muss ja nach der Zulassung weiter kontrolliert werden, nach der Notfallzulassung oder vorläufigen Zulassung weiter kontrolliert werden. Und in so einer Situation sagen: Hallo, ich hätte da auch noch was, ich glaube, das wird schwierig, um es mal diplomatisch auszudrücken. Aber trotzdem, wie gesagt, wissenschaftlich war das ein Gewinn. Und es war auch richtig, dass das sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern mal einfach gesagt hat, wir setzen einfach auf jedes Pferd. Und dass diese mRNA-Impfstoffe jetzt so erfolgreich waren, da muss man sagen, das hat ja keiner vorher unterschreiben können. Es hätte sein können, dass das komplett schiefgeht und wir diese Alternativen alle brauchen.


[0:50:07]



Camillo Schumann



Wir sind gespannt, wie IDT Biologika in diesem Rennen abschneiden wird. Aber es ist vielleicht auch ganz gut, dass man auch noch Nachschub hat für vielleicht für andere Bevölkerungsgruppen. Man weiß ja nicht, wie sie sich entwickelt, dass sozusagen die gesamte Bevölkerung zu impfen hat. Möglicherweise gibt es auch noch Nebenwirkungen. Also, vielleicht gibt es noch einen Knick bei den mRNA-Impfstoffen.


[0:50:37]



Alexander Kekulé


Ich würde nicht sagen, dass es ausgeschlossen ist, dass bei dem mRNA-Impfstoff noch etwas schiefgeht. Und das wäre die Stunde der Alternativen. Schiefgehen ist aber inzwischen nur noch ein ganz schmaler Horizont. Jetzt rede ich schon wie ein Analyst an der Börse. Das Szenario, was man sich vorstellen könnte, halte ich für unwahrscheinlich. Aber das sieht folgendermaßen aus: Wir haben bei den Studien bisher Menschen immunisiert, die zum allergrößten Teil vorher kein Covid19 hatten. Das liegt einfach an der Epidemiologie. Jetzt wird es so sein: Wenn man Massenimpfungen veranstaltet, dass man auch Leute impft, die, ohne es zu wissen, in dem Fall in der Regel wahrscheinlich vorher schon mal Covid19 hatten, die also schon infiziert waren. Und da wissen wir nicht ganz genau, wie diese Impfstoffe dann wirken. Rein theoretisch dürfte es kein großes Problem machen. Aber weil es eben experimentell ist, muss man das ganz genau beobachten, was passiert. Wenn ich eine große Zahl von Menschen impfe, die eigentlich schon Antikörper und Immunzellen gegen das Virus haben, da ist die Reaktion definitiv eine andere. Und wenn ich so einen mRNAImpfstoff habe, ist es noch nie ausprobiert worden. Und deshalb wird es die nächste interessante Phase sein, die man beobachten muss. Aber die Chance, dass das so dermaßen schiefgeht, dass man sagt, wir müssen die mRNA-Impfstoffe doch einstampfen, sehe ich als extrem gering an.


[0:52 :04]



Camillo Schumann



Da machen wir an dieser Stelle einen Cut und kommen zum nächsten Thema. Wenn wir Deutsche etwas gut können, dann ist es ja Müll trennen. Das machen Sie hoffentlich auch.



Alexander Kekulé


Selbstverständlich. Und wenn ich mal aus Versehen einen Joghurtbecher in die falsche Ton-


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ne werfen würde, würde ich es niemandem sagen.



Camillo Schumann



Aha, so einer sind Sie. Und ausspülen muss man einen Joghurtbecher auch.



Alexander Kekulé


Das ist die Frage, ob das ökologisch sinnvoll ist, wenn ich da wieder Seife reinmache.



Camillo Schumann



Aber jedenfalls in Zeiten von Corona soll auf dieses Mülltrennen verzichtet werden. Warum? Susanne Zoll von der Stadtreinigung Leipzig erklärt es:


„Also private Haushalte, die wirklich mit dem Coronavirus infiziert sind. Sie nehmen einfach eine verschließbare Tüte. Und dort kommt Papier, Pappe, Plastik und dann normale Restabfall in diese Tüte hinein. Nehmen Sie bitte eine reißfeste Tüte und stopfen sie das in den Restmüll. Das ist einfach zum Schutz vor für die anderen Nutzer, die ebenfalls die gleiche Restmülltonnebenutzen.Und auch,umunsere Müllwerker nicht zu gefährden.“


[0:53:07]



Camillo Schumann



Ist das aus virologischer und epidemiologischer Sicht eine sinnvolle Maßnahme, Müll jetzt nicht mehr zu trennen für Corona Haushalte?



Alexander Kekulé


Da kommt es darauf an, ob man in Quarantäne hat oder Isolierung ist. Der wichtige Unterschied ist hier. Die Dame hat gerade gesprochen von Personen, die infiziert sind. Das wäre eine Isolierung. Da ist es in der Tat so. Wenn jemand nun wirklich infiziert ist, sollte man alle Ausscheidungen, alles, was irgendwie am Joghurtbecher oder sonst so hinterlassen hat, schon eher in der Plastiktüte lassen und dann nicht noch mal händisch irgendwie umsortieren. Da ist die Empfehlung richtig.


Bei Quarantäne ist man viel großzügiger, zum Teil sind halbe Schulen in Quarantäne, weil irgendwo ein Kind infiziert war. Und jetzt ist die Frage: Muss man bei Quarantäne auch so streng sein? Wir wissen ja, dass über Schmierinfektionen wenig übertragen wird. Und das heißt also, das ist dort so eine Kann-Regelung aus meiner Sicht. Insgesamt muss man aufpassen, dass wir nicht jetzt anfangen zu überregulieren aufgrund von fiktiven Übertragungswegen, die in der Praxis keine große Rolle spielen. Wir wissen ja auch: Leute, die den Müll abtransportieren, mit diesen Tonnen dann umgehen. Also in der Regel werden die jetzt nicht händisch darin herumwühlen und sich die möglichen Viren auf die Schleimhäute bringen. Und dann ist es grundsätzlich so, dass es meines Wissens eine Regelung, die in Sachsen vorgeschlagen wurde, so etwas wäre schon gut, wenn da vom Bund einfach und vom Robert-Koch-Institut einfach eine klare Empfehlung wäre, die bundesweit gilt. Dann hätte man die auch gut wissenschaftlich begründet.



Camillo Schumann



Wir kommen an dieser Stelle zu den HörerFragen. Dieser Herr hat angerufen und will Folgendes wissen:


„Ich hätte gern gewusst, auf welcher Basis eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt wird. Zumal ja für die Fallzahlen der PCR-Test zugrunde gelegt wird, und der keine Infektionen feststellen kann, wie wir alle wissen. Zumal dieser PCR-Test einen CT-Wert zugrunde legt von über 40, was völlig unsinnig ist, wie wir auch alle wissen. Was rechtfertigt dann überhaupt noch die Maßnahmen?“



Alexander Kekulé


Das war offensichtlich ein Corona-Kritiker, der sich da unter die Hörer hier gemischt hat.


Das ist nicht richtig, dass der PCR-Test keine Infektion feststellen kann. Das steht immer auf den Flugblättern der Corona-Kritiker drauf. Und es ist auch nicht richtig, dass der PCR-Test unsinnig wäre, weil er besonders empfindlich ist. Es ist eine lange Diskussion, die wir geführt haben, dass also mehrere Falschbehauptungen in diesem kurzen Statement gewesen.




Die Frage dann, wie die wird die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Das ist ja ein Thema, was politisch extrem im Bundestag diskutiert wurde. Die AfD hat ja auch gesagt, und darauf spielt ja ein bisschen diese Frage an, dass das so eine Art Ermächtigungsgesetz wäre. In dem Moment, wo diese Lage festgestellt wurde, gibt es Ermächtigungen, die ein bisschen an die Situation zu Beginn des dritten Reiches erinnern.




Es ist so, dass die epidemiologische Lage von nationaler Tragweite einfach bedeutet, dass man eine gefährliche Erkrankung hat, die sich über die Bundesländer hinaus ausbreitet und wo eine Zusammenarbeit auf Bundesebene notwendig ist. Um dieser Situation Herr zu werden. Wie das im Einzelnen dann definiert ist, hat man absichtlich relativ offen gelassen, weil wir nicht wissen, wie das nächste Virus oder das nächste Bakterium aussehen wird. Aber ich bin da ganz zuversichtlich, dass die doch sehr zahlreichen Mitglieder des Deutschen Bundestags – und sieht ja auch nicht so aus, als würden das viel weniger werden in Zukunft -, dass die dann irgendwie zu einem Ergebnis kommen, was vernünftig und im Sinne des Volkes ist. In gewisser Weise ist das angelehnt an den Public Health Emergency of International Concern, also den internationalen Gesundheitsnotfall der WHO. Und so etwas Ähnliches wird dann in Deutschland festgestellt. Ich glaube, das kann man schon machen. Und das ist durchaus sinnvoll, so eine Sperre einzubauen, bevor die Exekutive irgendwelche Maßnahmen anordnen kann.


[0:57:17]



Camillo Schumann



Wir haben eine Mail von Herrn B. erhalten:


„Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mich in Augsburg bei einem offiziellen Corona Testzentrum auf Corona testen lassen. Es wurde aber nur ein Rachenabstrich gemacht. In den Medien wird für ein sicheres Testergebnis immer der Nasen-Rachen-Abstrich empfohlen. Hat der Betreiber der Teststation nur Kosten sparen wollen? Oder kann ich mich auf das Negative Testergebnis verlassen? Mit freundlichen Grüßen, Herr B.“


[0:57:43]



Alexander Kekulé


Wenn man den Rachenabstrich richtig macht, dann ist das ähnlich zuverlässig wie der NasenRachen-Abstrich. Man kommt in beiden Fällen ja in den Rachen. Einmal durch die Nase, einmal durch den Mund. Aber in der Tat kann man, wenn man durch den Mund reingeht, irgendwie an der Zunge vorbei. Und dann muss man ganz hinten an der hinteren Rachenwand möglichst viel Secret an den Tupfer bekommen. Das hängt dort eher davon ab, dass der Proband wirklich mitmacht. Bei der Nase kann man sich schlecht wehren. Wenn dann ein Tupfer drinnen ist, dann kommt er an sein Ziel. Und deshalb ist es mit der Nase sozusagen in der Gesamtstatistik zuverlässiger. Und im Einzelfall kann man beides machen. Ich weiß, dass an den Teststationen ganz ehrlich gesagt, auch aus eigener Erfahrung. Ich habe das auch schon mal machen müssen, dass da zum Teil ein bisschen husch-husch geht. Und es ist halt wichtig beim Rachenabstrich, dass man bei Leuten mit einem starken Würgereflex, da hinten rankommt. Und wenn man hinten nicht rankommt, dann muss man einfach dann so konsequent sein und sagen okay, dann machen wir es durch die Nase. Dass das bei diesen Stationen nicht überall perfekt gemacht wird, ist klar. Wir haben hier ein epidemiologisches Instrument und keines, was vergleichbar ist mit der Situation, in der Klinik oder Arzt einfach wissen muss und wissen will, ist der Patient positiv, ja oder nein. Der macht es dann gründlicher.


[0:59:01]



Camillo Schumann



Aber das Testcenter hat sich an alle Vorgaben gehalten. Das ist eine offizielle Variante, den Test durchzuführen. Also man hat da jetzt nicht irgendwie Schmalhans gemacht, um sich vielleicht noch etwas dazuzuverdienen.



Alexander Kekulé


Nein, damit hat das gar nichts zu tun. Das ist mehr so Psychologie, wissen Sie, denn viele mögen das komischerweise auch nicht durch die Nase. Deshalb bin ich dafür, dass nicht so päpstlich zu sehen bei den epidemiologischen Tests. Also wie gesagt, bei den Tests von Personen, die kein konkretes Risiko haben und die auch keine Symptome haben, in diesem Fall, glaube ich, ist es besser, dass durch den Rachen zu machen, als jetzt viele Probanden zu verlieren, weil sie sich weigern, Nasenabstriche zu machen.


[0:59:43]



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 4.


An dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an die vielen Hörer, die wegen des neuen Buches von Professor Kekulé eine Mail geschrieben haben.


In der Ausgabe 12 2  haben wir Sie aufgerufen, sich bei uns zu melden, wenn Sie eines haben wollen. An die fünf schnellsten geht in diesen Tagen ein Buch von Professor Kekulé auf die Reise.


Dann sage ich an dieser Stelle vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Gerne, ich danke Ihnen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 1. November 2 02 0 #12 3 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann



Sollten Risikogruppen auch Schutzbrillen tragen?


Was bringt ein Rauchverbot in der Öffentlichkeit?


Woher weiß man, dass sich Kinder infizieren?


Wieso finden Demos statt, wenn sich nur Personen aus 2 Hausständen treffen dürfen?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem „Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial“ nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander S. Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Frau B. hat uns eine Mail geschrieben. „Wir im Kollegenkreis fragen uns, woher bekannt ist, dass so viele Kinder infiziert sind, obwohl die meist ja keine Symptome zeigen. Außerdem, woher die Ergebnisse kommen, dass so viele Jugendliche und junge Erwachsene Covid haben, aber symptomlos sind. Werden diese Gruppen durch Massentest identifiziert? Oder sind das Hochrechnungen? Zumal für breit gestreute Tests Mittel und Kapazitäten, fehlen. Viele Grüße.“


Alexander S. Kekulé


Ja, das erste. Woher weiß man es bei den Kindern? Das sind serologische Untersuchungen. Das heißt also, man merkt es tatsächlich nicht, wenn Ausbrüche in Schulen, also Grundschulen und Kitas sind. Da reden wir jetzt von Kindern, die unter zehn Jahre alt sind. Sondern man macht dann hinterher Blutuntersuchungen. Man nimmt Blut ab von den Kindern und von anderen im Haushalt, die sich infiziert haben, zum Teil aufgrund von Ausbrüchen, dass dahinter das Gesundheitsamt kommt und das macht. Zum Teil aber auch in der Weise, dass man es richtig als Überwachungs-Studie macht. Also dass man mal sehen will, was in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe los ist. Und da hat man eben festgestellt, dass Kinder durchaus auch infiziert werden. Da gibt's jetzt keinen Hinweis darauf, dass Kinder weniger oft infiziert werden als Erwachsene aufgrund dieser Blutuntersuchungen, wo man Antikörper testet.



Camillo Schumann



Also Blutuntersuchung. Und da gibt es ja auch manchmal die eine oder andere Überraschung. Hat ja die Studie in München auch bewiesen.


Alexander S. Kekulé


Ja, da hat sich in München die Studie ... Ich fand die wirklich sehr interessant. Und da haben die eben das Testverfahren verfeinert und haben festgestellt, dass bei diesen Kindern und zwar einschließlich der Grundschüler sechsmal so viele infiziert waren, wie eigentlich offiziell bekannt war. Das heißt natürlich nicht, dass Kinder sechsmal so infektiös wären wie Erwachsenen. Das muss man noch mal sagen. Da gibt es einfach die Dunkelziffer, mit der wir ja alle gerechnet haben. Ist doch klar, dass wir mit diesen PCRTests nicht hundert Prozent erfassen. Und wenn man eben das mal richtig statistisch durcharbeitet und so mehrere Schulen untersucht, dann sieht man eben, dass eben die Kinder durchaus infiziert werden. Erstaunlicherweise, das ist ja virologisch super spannend. Da wird sicher in Zukunft mal ein dickes Kapitel in den Lehrbüchern stehen, aber


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sie erstaunlicherweise epidemiologisch keine große Rolle spielen.


Bei den jungen Erwachsenen ist das so. Die haben ja durchaus Symptome, häufig leichte Symptome. Aber das wird ja dann festgestellt. Und da ist es anders als bei den Grundschülern und Kita-Kindern. Da wissen wir einfach positiv weltweit, dass die ganz massive Treiber von Ausbrüchen sind. Das ist ja der Grund, warum ich sage, wir müssen ab der Sekundarstufe vor Weihnachten zu machen. Die sind wirklich Treiber von Ausbrüchen. Und da ist es dann einfach, dass festzustellen. Wenn man sieht, dass jetzt im amerikanischen College oder so plötzlich ganz viele krank sind. Ja klar, dann testet man alle durch. Und dann stellt man fest, dass zum Teil 80 Prozent infiziert sind. Und solche Zahlen kommen da raus. Darum wissen wir das einfach ganz konkret von Ausbrüchen bei den Älteren. Bei den Jüngeren habe ich es gerade gesagt, da ist es eher so indirekt.



Camillo Schumann



Herr U. hat angerufen.


Herr U.


Man darf sich ja nur mit maximal zehn Leuten treffen. Mit 2 verschiedenen Haushalten. Wie können dann die Gerichte Demonstrationen genehmigen, wo sich Hunderte von Leuten treffen? Die sind weder nur zehn Personen und auch nicht aus nur 2 Haushalten. Ich kann da schon verstehen, dass sich da ein Teil der Bevölkerung verarscht fühlt.


Alexander S. Kekulé


Das wird man wahrscheinlich nicht nur im Saarland so formulieren. Das ist, glaube ich, bundesweit übliche Formulierung, wenn man etwas nun gar nicht mehr versteht. Das hängt natürlich mit dem Demonstrationsrecht zusammen. Das ist ja eine juristische Frage an der Stelle. Es gibt so ein paar Säulen des Rechtsstaatsprinzips und eine Säule ist, dass der Bürger seine Meinung sagen darf. So ähnlich wie Pressefreiheit oder Meinungsfreiheit ist das. Hier müssen die Gerichte dann letztlich abwägen. Wie groß ist die Infektionsgefahr, wenn sich Leute sich im


Freien treffen? Da werden ja nach dem Versammlungsrecht, was wir sowieso haben, da werden Auflagen gemacht. Solche Auflagen für Versammlungen im Freien. Die sind zum Beispiel deshalb wichtig, weil große Menschenmengen unter Umständen dann ein Sicherheitsrisiko darstellen können. Dass jemand zusammengedrückt wird. Da gibt es zum Beispiel dann auch Regeln, dass man keine Messer dabei haben darf. Und so gibt es die Regel, dass man bei großen Versammlungen, auch bei Demonstrationen, Masken aufsetzen muss. Sofern das lokal angeordnet wird. Und 1,5 Meter Abstand. Das kann man auch anordnen. Ja, und mit der Vorgabe wäre die Versammlung ja dann sicher im Freien. Und zwar mehr als sicher. Ich glaube, dass selbst ohne Maske die Leute sich, wenn sie den Abstand halten, nicht anstecken würden. Sodass aus Sicht des Juristen die Arbeit getan ist und alles in Ordnung ist. Dass die Leute sich natürlich dann, und das meint der Hörer natürlich, dass die sich nicht daran halten. Dass die da kuscheln und auf Tuchfühlung miteinander gehen. Das ist ein Punkt. Da sagt der Jurist, ja, ich habe es ja anders angeordnet. Wenn es dann anders passiert, da muss die Polizei eben die Versammlung auflösen. So funktioniert es einfach. Aber von vornherein so pauschal zu verbieten, wenn es darum geht, sozusagen die Meinung zu äußern und es ja möglich ist, wenn man Abstand einhält und vielleicht sogar zusätzlich die Maske auf hat. Das würde unserem Rechtsstaatsprinzip zuwider laufen.



Camillo Schumann



Frau O. hat uns geschrieben. „Ich hatte im Frühjahr im Verwandtenkreis folgenden Fall. Die über 90-jährige Mutter wurde ins Krankenhaus eingewiesen und wurde auf der Intensivstation behandelt. Nach ein paar Tagen wurde ihre Tochter darüber informiert, dass sie sich auf das Ableben ihrer Mutter einstellen muss. Es wurde ihr aber nicht gestattet, die Mutter zu besuchen und ihr Beistand in den letzten Stunden zu leisten. Begründet mit Corona-Regelung. Weder Mutter noch Tochter waren Corona-infiziert. Erst ein Anruf bei einer höheren Instanz ermöglichte es der Tochter, die Mutter in den letzten Lebensstunden zu begleiten. Wie schätzen Sie aus Virologen-Sicht


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eine solche Situation ein? Gibt es für derartige Situationen rechtliche Rahmenbedingungen? Welche Optionen haben Angehörige in einer solchen Konfliktsituation? Viele Grüße, Frau O.“


Alexander S. Kekulé


Und das ist wirklich schwierig. Leider treiben die Infektionsschutzmaßnahmen auch Blüten. Das muss man so sagen. Das ist aber übrigens nicht nur in Deutschland so. Wir haben ja hier in diesem Podcast auch gesagt, wir werden demnächst mal die schlimmsten Auflagen prämieren jede Woche. Und es ist tatsächlich so, dass es sehr großen Unsinn gibt. Und in diesem Fall ist es natürlich nicht nur ein Unsinn, sondern wirklich menschlich tragisch, was da passiert. Ich weiß, dass das kein Einzelfall ist. Ähnliche Situationen gibt es im Krankenhaus, im Altenheim und sonst wo. Man könnte selbstverständlich, dass virologisch sicher gestalten durch eine Schutzmaske, FFP2 Maske, durch Schnelltests und diese Maßnahmen. Und am Ende des Tages ist es ja auch so ein bisschen eine private Entscheidung, wenn jetzt ein Familienangehöriger im Sterben liegt. Den zu infizieren ist ja nun völlig ungefährlich. Also das würde ich mal sagen, soll nicht zynisch klingen. Aber das wäre ja irrelevant, jemanden, der im Sterben liegt, zu infizieren. Und andersherum meine ich, muss ein jüngerer Mensch dann auch sagen können, das nehme ich in Kauf dafür, dass ich mich von meiner Mutter zum Beispiel verabschieden kann. Dieses Risiko. Sodass ich sagen würde, wenn man jemanden ins Krankenhaus hineinlässt mit einer FFP2 Maske. In dem Fall ausdrücklich ohne Ausatem-Ventil. Und dann quasi, ohne dass er irgendetwas anfasst. In einer Art Babbel dann zu dem Krankenzimmer bringt, wo der Angehörige ist. Dort sich verabschieden lässt und dann dafür sorgt, dass der auf dem Rückweg auch nicht Kontakt zu anderen Patienten hat oder irgendwelche Türklinke anfasst. Dann ist das infektiologisch absolut sicher. Und ich finde es eigentlich schade, dass es da noch keine Präzedenzurteile gibt. Aber das liegt eben daran, dass jedes Gericht einen anderen Sachverständigen hat. Und wenn Sie dann einen anderen Sachverständigen haben. Der sagt dann nein. Jemand, der Covid-19-


Verdacht haben könnte, der darf auf keinen Fall ins Krankenhaus. Und ob diese allgemeinen Regelungen, die in manchen Krankenhäusern und auch in Altenheimen bestehen, ob die sinnvoll sind oder nicht, das ist noch nicht gerichtlich überprüft. Und es wird auch ein längerer Weg. Wahrscheinlich ist die Epidemie zu Ende, bevor das endrichterlich sozusagen ausgeurteilt ist.



Camillo Schumann



Die Antwort auf die Frage, welche Optionen Angehörige in so einer Konfliktsituation haben ich würde vorschlagen, einfach diesen Podcast 12 3 der Heimleitung vorspielen.


Alexander S. Kekulé


Ich meine, jetzt kann man schon ganz konkret werden. Es ist so, dass im privaten Bereich ... das kommt darauf an, wer der Träger ist des Heims. Man kann natürlich beim Gericht versuchen, eine einstweilige Verfügung oder eine einstweilige Anordnung zu bekommen. Je nachdem, ob es ein öffentlich-rechtlicher oder ein privater Träger ist. Aber da ist eben das Problem, dass das auf den Richter ankommt. Wenn der Richter regelmäßiger Hörer dieses Podcasts ist. Vielleicht versteht er das vielleicht auf Anhieb oder wenn er sich anderweitig schlau gemacht hat. Und wenn der Richter jetzt sagt, da habe ich gar keine Ahnung von, wie soll ich da innerhalb von 2 4-Stunden eine Einstweilige raushauen? Außerdem habe ich sonst so viel zu tun. Dann wird man eben abgeschmettert. Das ist leider so. Das ist auch in ganz vielen anderen Bereichen so. Die Gerichte sind sowieso schon überfordert, dass sie alle möglichen Dinge in Deutschland klären müssen, weil die Menschen untereinander scheinbar das kaum noch hinkriegen, sich zu einigen.



Camillo Schumann



Diese Dame aus Berlin hat angerufen, es geht um das Thema Rauchen und Corona.


Zuhörerin


Nun habe ich gelesen, dass in der Türkei auf öffentlichen Plätzen und an Bushaltestellen, auf Straßen nicht mehr geraucht werden darf. Wegen Corona. Da frage ich mich, weshalb


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darf man in Deutschland noch überall rauchen?



Camillo Schumann



Und die anschließende Frage, ist es überhaupt sinnvoll?


Alexander S. Kekulé


Rauchen ist nicht sinnvoll. Aber das wollten Sie nicht wissen. Rauchen ist nicht sinnvoll, sag ich mal als Mediziner. Und das kann man nicht oft genug unterstreichen. Rauchen ist volksgesundheitlich gefährlicher als Corona.



Camillo Schumann



Ich konkretisiere. Wie sinnvoll ist Rauchverbot wegen Corona.


Alexander S. Kekulé


Aber andererseits hat natürlich der Arzt immer ein Herz mit seinen Patienten. Wenn einer nun mal Raucher ist, dann ist er nun mal Raucher. Das ist so wie ein schwer Übergewichtiger. Was sollen Sie den Leuten da sagen? Und da würde ich sagen, lassen Sie den einfach rauchen, wenn er im Freien steht. Also es gibt keinen Grund, im Freien wegen Corona das Rauchen zu verbieten. Indirekt ist es natürlich so, Leute, die jetzt chronische Raucherschäden haben COPD ist da diese chronische Lungenerkrankung um die dann immer geht. Die ist natürlich ein Risiko, ein stark erhöhtes Risiko für Covid-19. Also die Menschen, die das bekommen, die könnten dann eher daran sterben. Aber dieser Weg ist so indirekt, dass ich ganz sicher bin, dass die in der Türkei da nicht dran gedacht haben. Sondern die meinen wahrscheinlich, dass man irgendwie durch die Berührung der Zigarette oder keine Ahnung, ob die die Zigaretten untereinander austauschen oder so. Also vom GegenseitigFeuer-geben steckt man sich jedenfalls nicht an. Die Maßnahme kommt in unser Kuriositätenkabinett.



Camillo Schumann



Sehr schön. Die Sammlung wird immer größer. Diese Dame hat angerufen. Sie hat Freunde in Frankreich, und dort wurden ja die


Infektionszahlen erst einmal reduziert. Deshalb hat sie folgende Frage:


Zuhörerin


Man sieht eben in Frankreich, wenn man sich die Neuinfektionen anguckt, tatsächlich einen ganz, ganz klaren Cut um den 9. November, also so von vor einer Woche. Wäre das nicht eine Lockdown-Option für Deutschland, die effizienter wäre, als das, was wir jetzt haben und eben auch klarer. Also einfach wer zur Schule muss und wer zur Arbeit muss, darf das Haus verlassen und alle anderen eben nur eine Stunde im Umkreis von einem Kilometer um das eigene Haus herum wurde. Würde man damit nicht effizienter Risikogruppen schützen?



Camillo Schumann



Aber inzwischen sind die Zahlen in Frankreich wieder spürbar angestiegen. Bars und Restaurants dürfen frühestens am 15. Januar 2 02 1 wieder öffnen. Also die französischen Maßnahmen sind eher wenig zielführend, oder doch?


Alexander S. Kekulé


Naja, das ist die grundsätzliche Frage, die man sich in Frankreich und in Deutschland stellen muss. Vor allem wenn jetzt nächste Woche die Ministerpräsidenten wieder überlegen, wie es weitergehen soll. Soll der Staat, wenn es nicht funktioniert, wenn die Bürger sich nicht so recht daran halten und das ist ja unser Problem hier und ganz massiv übrigens auch in Frankreich, die sind noch renitenter als die Deutschen soll der Staat dann, wenn die Bürger sich im Einzelnen nicht daran halten, die Daumenschrauben anziehen oder soll er auf Vernunft setzen? Was wir kontrollieren können oder was der Staat kontrollieren kann, ist doch letztlich immer nur der öffentliche Bereich. Darum gibt es ja so wahnsinnig viele absurde Regeln, irgendwo Masken im Freien zu tragen und Ähnliches, weil man das da halt anordnen und überwachen kann. Die Infektionen finden aber im Privaten statt. Mal abgesehen von den ganzen Ausbrüchen in Heimen die, die wir natürlich in Frankreich wie in Deutschland haben, wo der Staat zuständig wäre. Und deshalb glaube ich, es bringt nichts, so radikale Maßnahmen zu ergreifen. Außer


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man macht es eben dann total. Das ist dann die Methode Wuhan, das chinesische Verfahren. In Frankreich haben die das versucht. Dass man sagt, okay, dann verbieten wir überhaupt aus der Wohnung zu gehen. Dann können die sich ja auch nicht immer heimlich privat treffen. Das ist so ein bisschen wie die Idee, wir verbieten alle Gaststätten. Dann ist das Nachtleben auch auf Null heruntergefahren. Also sozusagen so eine Art echter klassischer Lockdown im Sinne von Zuhause-bleiben. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland das ... wir müssten versuchen, das irgendwie zu verhindern. Natürlich gibt es solche Ultima Ratio Ideen. Aber das wäre eine derartige Bankrotterklärung, dass wir ein Jahr nach Beginn dieser Pandemie immer noch keine Alternativen haben zu dem WuhanModell. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das nicht machen müssen. Und Frankreich, wie Sie es richtig sagen, hat es irgendwie versucht. Aber die Bürger halten sich nicht daran. Das erhöht nur den Widerstand.



Camillo Schumann



Frau H. hat eine Mail geschrieben. „Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, der Bremer Senat hat kostenlos Masken an alle über 65Jährige verteilen lassen und öffentlich versichert, alle Masken seien geprüft und sicher, auch wenn sie kein CE-Zeichen mit einer vierstelligen Nummer tragen. Ich hatte bisher KN95-Masken in der Apotheke gekauft, die laut Aufdruck auf der Verpackung CEgeprüft waren. Ich möchte den Aussagen unserer Gesundheitssenatorin gern Glauben schenken. Jedoch bin ich irritiert über den Aufdruck „non medical“ auf der Verpackung meiner jetzt erhaltenen Maske. Weder der Sprecher der Senatspressestelle noch meine Apothekerin oder ein Arzt konnten mir erklären, was es mit diesem Vermerk auf sich hat. Vielleicht haben Sie eine Erklärung. Ich bedanke mich. Viele Grüße. Frau H.“


Alexander S. Kekulé


Das ist so, dass wir für medizinische Masken in Europa eine Norm haben. Da gibt es so eine DIN ISO nach der die geprüft werden. Und wenn die ganz genau nach dieser Norm geprüft wurden, dann kosten sie einfach mehr, weil der Hersteller dann hohe Kosten für die


Qualitätssicherung hat. Und deshalb sind zum Beispiel Masken, die im Grunde genommen ganz genauso FFP2 -Masken oder auch N95Masken sind, das ist das Gleiche, die man im Baumarkt kauft, gegen Staub. Die sind wesentlich billiger. Ich weiß nicht, ob sie noch billiger sind. Aber die waren vor der Pandemie wesentlich billiger. ... als wenn Sie das gleiche Produkt medizinisch kaufen. Zum Teil sind die vom gleichen Fließband gekommen. Nur eben die Qualitätssicherung war in einem Fall nach DIN ISO und im anderen Fall irgendwie. Ich glaube, wenn der Senat sagt, sie haben das hier sichergestellt, und ich nehme an, die sagen das nicht so ins Blaue, dann wird man dem schon glauben dürfen. Weil das ist eben genau so. Wenn die zum Beispiel wissen, es kommt aus der gleichen Maschine, wo auch die medizinischen Masken produziert werden, dann würde ich mal davon ausgehen, dass das zu verantworten ist, solche Masken im Alltag zu benutzen. Und ja, da steht „non medical“ drauf, weil eben diese Norm nicht erfüllt ist.



Camillo Schumann



Die Antwort auf die jetzt kommende Frage, die fiel schon. Aber diese Frage haben viele.


Zuhörerin


Ich würde erstens gerne wissen, ob FFP2  und KN95 identisch ist. Wenn man manchmal das und manchmal das drauf liest. Und zweitens, wie lange darf man eine Maske tragen? Beide Sorten. Sowohl FFP2  als auch diese ganz normalen. Mit wie lange meine ich nicht, wie viele Tage, sondern wie viele Stunden oder wie oft, wenn es nur viertelstundenweise ist?


Alexander S. Kekulé


Ja also N95, ist das Gleiche wie FFP2  oder KN95. Das heißt letztlich, dass von einer bestimmten Partikelgröße, 95 Prozent im Versuch abgehalten werden. Und die FFP3Maske geht dann, glaube ich, 99 Prozent. Das sind so Standards, mit denen das getestet wird. Da nimmt man Partikel einer ganz bestimmten Größe und guckt, wie viel geht dadurch? Wie viel wird da abgehalten? Daher ist es die gleiche Maske. International sagt man N95 und in Europa FFP-2 . Das ist der Standard.


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Das andere ist die Frage, wie lange kann ich eine Maske tragen? Ja, da muss man ein bisschen unterscheiden. Also die, die echte filtrierende Masken sind. Eben diese FFPMasken. Da ist es so, dass die, wenn man die eine Weile trägt, dicht werden, weil einfach die Partikel da drinnen hängen bleiben in diesem engen Gewebe. Und das merkt man dann, dass die durch Feuchtigkeit oder auch durch trockene Partikel im Laufe der Zeit immer schwergängiger werden. Da gibt es 2 verschiedene Effekte. Das eine ist, dass es mit dem Atmen unangenehmer wird. Und das andere ist, dass man merkt, dass zunehmend vor allem beim Ausatmen die Luft nicht mehr durch die Maske rausgeht, sondern an der Backe oder neben der Nase vorbei. Dass man quasi neben die Maske bläst. In dem Moment, wo man merkt, man atmet quasi teilweise einer Maske vorbei oder man kann nicht mehr richtig schnaufen damit, in dem Moment muss man die Maske wechseln. Also bei mir persönlich kann ich sagen, so eine FFP2 -Maske nach zwölf bis 2 4-Stunden. Irgendwo in dem Bereich kann man die tragen. Insgesamt. Dann ist bei mir jedenfalls Schluss. Dann merke ich, dass ich mit denen nicht mehr richtig atmen kann.


Das andere ist dieser normale Mund-NasenSchutzalso das, was man gemeinhin als OPMasken bezeichnet. Da ist es so, die kann man im Prinzip beliebig lang tragen, weil da bleibt nicht so viel Zeug hängen. Die wird keiner so schmutzig kriegen, dass man nicht mehr durchatmen kann. Da ist es dann eher ein hygienisches Thema, weil man ja beim Ausatmen ständig auch kleine Speichelpartikel hat, die dran hängen bleiben, sodass die Maske irgendwann mal unappetitlich wird. Und alle Masken müssen natürlich gewechselt werden, wenn sie feucht sind. Das ist ganz klar. Sodass ich sagen würde, eine OP-Maske kann man auf jeden Fall auch einen ganzen Tag oder 2 Tage tragen. Und danach, wenn man will, natürlich auch waschen. Wenn man nicht genug hat, kann man die waschen. Und medizinisch gibt es keine Begrenzung. Also, das muss man selber sehen. Wenn man anfängt, Pickel davon zu kriegen oder Luftnot oder sonst was. Ehrlich gesagt, Ärzte im Krankenhaus, die können sich da nicht


beschweren. Die müssen es zum Teil den ganzen Dienst über anhaben. Da ist man Kummer gewöhnt mit der Maske. Ich fürchte, das wird in der allgemeinen Bevölkerung auch so sein, dass wir uns ein bisschen dran gewöhnen müssen.



Camillo Schumann



Herr R. hat geschrieben. „Sehr geehrter Herr Kekulé. Im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen gibt es gelegentlich auf Videos zu sehen, das Ärzte und Personal bei der Betreuung von Patienten nicht nur Gesichtsmasken tragen, sondern überdies auch Schutzbrillen. Dazu 2 Fragen. Erstens: Was weiß oder vermutete man über die Übertragung des Virus Sars-CoV-2  über die Augen? Und ist es daher für jemanden aus der Risikogruppe, dem sie mittlerweile auch schon bei Einkäufen FFP2 -Masken empfohlen haben, zusätzlich zu empfehlen, auch die Augen gegen das Übertragungsrisiko zu schützen? Vielen Dank für Ihre Antwort. Viele Grüße Herr R.“


Alexander S. Kekulé


Dieser zusätzliche Schutz der Augen für eine Risiko-Gruppe, so im Alltag. Beim Einkauf zum Beispiel. Das würde ich jetzt nicht für notwendig erachten. Ich weiß, dass es manche machen. Man sieht manchmal tatsächlich ältere Herrschaften beim Einkaufen, die zusätzlich zur Maske noch ein Gesichtsschild tragen. Warum braucht man das dort nicht? Und warum braucht man es im Krankenhaus? Im Krankenhaus hat man ja so Prozeduren mit dem Patienten, wo wirklich das Virus einem ins Gesicht gesprüht wird regelrecht. Ich sag mal zum Beispiel, wenn man bei so einem Beatmungsgerät die Schläuche sauber macht oder so. Wenn Sie da diesen Sauger rausziehen, dann kommt Ihnen eine Ladung Sekret quasi entgegengesprüht. Das verteilt sich im Raum, und das kriegt man auch sozusagen direkt ab. Da ist es so, dass wir davon ausgehen, dass ein Treffer auf den Schleimhäuten der Augen zur Infektion führen könnte. Meines Wissens ist das, obwohl diese Pandemie nun schon länger besteht, noch nicht eins zu eins wirklich klar bewiesen worden. Aber wir kennen das von so vielen anderen Viren, dass die auch über die Augenschleimhaut eindringen können, dass


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das unsere Arbeitshypothese ist, dass es hier auch so ist. Ich weiß nicht, ob es endgültig bewiesen wurde. Ich habe zumindest keine Studie gesehen. Ein ähnlicher Effekt ist, wenn man das kennt vom Zahnarzt. Der bohrt mit seiner Turbine und wie wir alle wissen, das ist ein wassergekühlter Bohrer ist und die Assistentin saugt das überflüssige Wasser ab. Aber es gibt doch immer so einen Sprühnebel, der da entsteht. Und beim Ausatmen transportiert man den Richtung Gesicht des Arztes. Und natürlich hat er deshalb ein Schild noch einmal zusätzlich vor dem Gesicht. In so eine Situation begibt sich ja keine normale Risikoperson. Die wird jetzt nicht face-to-face mit einem infektiösen, der quasi spuckt, auf einen Meter Abstand stehen und da auch noch verharren. Also, das würde ich nicht empfehlen. Und wenn man das irgendwie vermeiden kann, braucht man keinen Gesichtsschutzschild im Alltag.



Camillo Schumann



Das war Ausgabe 12 3 Kekulés Corona-Kompass Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Herr Kekulé, vielen Dank. Die nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag, 2 4. November. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.


Alexander S. Kekulé


Sie auch, Herr Schumann! Vielen Dank.



Camillo Schumann



Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 19.11.2 02 0 #12 2 : Der Plan für ein normales Leben



Camillo Schumann

, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Linktipp:


Aktueller RKI-Bericht


https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt. html


Nachtrag zum Podcast #12 1


Studie: Was Handydaten über die Ausbreitung des Virus verraten: https://www.nature.com/articles/s41586-02 02 92 3-3


Covid-19 Mobility Monitor:


https://www.covid-19mobility.org/de/mobility-monitor/



Camillo Schumann



Donnerstag, 19. November 2 02 0.  Trotz des Lockdowns steigt die Zahl


der Neuinfektionen leicht. Wie kann


das sein?  Der Bundestag hat Änderungen des


Infektionsschutzgesetzes beschlossen.


Ist das Gesetz damit pandemie-sicher?  Ende des Monats beginnt die Weih-


nachtszeit. Wie kann Weihnachten trotz Corona einigermaßen normal stattfinden?


Die Politik erarbeitet derzeit eine Langfriststrategie. Wie kann ein normales Leben unter Pandemiebedingungen aussehen? Ein Vorschlag aus dem neuen Buch von Professor Kekulé.


Sollten Unternehmen zur Pandemiebekämpfung stärker in die Pflicht genommen werden?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Mittlerweile Tag 18 des Lockdown light in Deutschland. Wir schauen uns wieder die aktuellen Zahlen an. 2 2 .609 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden, Stand heute. Zum Vergleich: Vor einer Woche am Donnerstag waren es 2 1.866. Also rund 1000 weniger. Die Woche davor 19.990, und die Woche davor 16.774. Herr Kekulé, schaut man sich nur diese Zahlen an, dann könnte man zu dem Schluss kommen, der Lockdown wirkt sich fast nicht aus.



Alexander Kekulé


Ja, das sieht so aus. Aber man muss eben sehen, dass so ein Anstieg um 1000-2 000 Fälle pro Woche bei den Neuerkrankungen keine so dramatische Situation ist, wie wir es vorher hatten. Vorher haben sich die Neuerkrankungen ja nahezu verdoppelt alle paar Wochen. Es ist nach wie vor ein deutlicher Effekt zu sehen. Man sieht es auch im aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts, wo sie sich ja immer die Mühe machen, dieses Nowcasting zu machen. Also zu gucken, wie ist wohl bis zum heutigen Tage die Entwicklung zu erwarten, wenn alles eingetrudelt ist, was an Fällen noch im Meldeprozess ist. Da sieht man sehr deutlich, dass es eine Bremse gibt. Der Lockdown hat deutlich abgebremst. Die Beschleunigung, wenn man so sagen will, ist weniger geworden. Aber es gibt immer noch einen leichten Anstieg.


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[0:02 :38]



Camillo Schumann



Professor Wieler, Präsident des Robert KochInstituts, hat zur Entwicklung der Zahl der Neuinfektionen heute Folgendes gesagt:


"Ich bin Rheinländer, von daher bin ich sowieso prinzipiell Optimist. Tatsache ist ja, dass die Maßnahmen wirken. Das sehen wir daran, dass die Fallzahlen nicht mehr steigen. Wir sehen ein Plateau. Das heißt also, sie steigen nicht mehr. Das ist einfach schon mal ein guter Trend, eine gute Beobachtung. Ich gehe davon aus, dass sie demnächst auch noch fallen. Aber diese Trendwende sehen wir noch nicht momentan. Wir sehen das immer mit einer Verzögerung von etwa 2 Wochen. Ich bin sehr optimistisch, dass wenn wir nächste Woche hier sitzen, die Zahlen runter gegangen sind. Aber versprechen kann ich das niemandem. Ich bin aber optimistisch, dass es so ist."


[0:03:2 2 ]



Camillo Schumann



Herr Kekulé, nach 18 Tagen freuen wir uns über ein Plateau. Geben wir uns da mit wenig zufrieden?



Alexander Kekulé


Wenn man wenig bremst, dann dauert es einfach länger, bis was passiert. Das ist ganz klar. Wenn Sie beim Auto die Bremse voll reinhauen, merken Sie sofort einen Effekt, die negative Beschleunigung sozusagen. Und hier ist dieser Effekt etwas sanfter. Ich sehe es genauso wie Herr Wieler, abgesehen davon, dass ich kein Rheinländer bin. Ich wusste das bei ihm nicht, obwohl ich ihn schon sehr lange kenne. Aber ich glaube, in seiner Lage muss man wirklich Optimist sein. Anders geht es nicht. Wir alle in Deutschland müssen da dran glauben, dass das einen Effekt hat. Und das ist nicht nur ein Land dran glauben. Es ist logisch. Wenn man sieht, anhand der Zahlen, dass die Beschleunigung zurückgeht, dann ist es klar, dass die Geschwindigkeit abnimmt. Oder andersherum gesagt, wenn die zweite Ableitung der Funktion quasi gegen Null geht, ist es völlig klar, dass die Zahlen wieder sinken müssen. Das ist mathematisch vorhersehbar. Das Einzige, was das jetzt konterkarieren könnte, ist, wenn wir uns in der nächsten Zeit


anders verhalten. Also wenn die Bevölkerung mit Blick Richtung Weihnachten eben trotz Lockdown das Ganze lockerer sieht. Oder der Lockdown aufgehoben wird und dadurch die Fallzahlen wieder hochgehen.


[0:04:39]



Camillo Schumann



Auch über Weihnachten und die Zeit danach wollen wir dann noch sprechen, hier im Podcast. Die Lage in den Krankenhäusern scheint sich nicht weiter zu verschärfen. Seit einigen Tagen hat sich die Zahl der Menschen, die mit Covid-19 auf Intensiv liegen, nicht stark verändert. Aktuell liegt die Zahl bei rund 3590. Davon rund 2 000 Menschen, die beatmet werden müssen. Dort scheint ebenfalls so ein Plateau erreicht worden zu sein. Ist das die eigentlich gute Nachtricht?



Alexander Kekulé


Das kann ich so nicht bestätigen. Die Fälle auf der Intensivstation hinken immer deutlich hinterher. Vor allem, wenn man es mit vielen leichten Infektionen zu tun hat, dann verlaufen die typischerweise so, dass man in den allermeisten Fällen keine Probleme hat. In manchen Fällen sind die Leute eine Woche oder 2 Wochen lang krank. Aber in den wenigen Fällen, um die wir uns Sorgen machen müssen, ist es so, dass die sich in der ersten Woche ganz wohlfühlen. Nach einer Woche ungefähr bekommen sie plötzlich so eine zweite Phase von der Erkrankung, wo es ihnen deutlich schlechter geht. Wegen dieser Verzögerungseffekte würde ich jetzt bei den Intensivstationen keine Entwarnung geben. Wir haben seit Mitte Oktober bis jetzt, also im letzten Monat, einen Anstieg von 655 auf die genannten 3561. Das ist ein Anstieg um das 5,5-fache. Das ist als solches schon beunruhigend. Also da muss man hoffen, dass wir rechtzeitig und stark genug gebremst haben. Ich würde sagen, ja, wir haben rechtzeitig gebremst. Und ich würde auch sagen, für die Intensivstationen war das fürs Erste ausreichend, dass wir keine Überlastung bekommen. Solche Situationen, wie sie in Italien am Anfang beobachtet wurden, aber zuletzt auch in einigen Regionen Frankreichs und übrigens ganz aktuell auch in den USA. Solche Situationen werden wir wohl durch den


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Lockdown jetzt abgebogen haben für Deutschland.


[0:06:36]



Camillo Schumann



Wenn ich es richtig verstanden habe, vermuten Sie, dass sich auf den Intensivstationen die Lage noch ein wenig verschlimmern wird.



Alexander Kekulé


Ja, ich glaube, das zieht jetzt nach. Durch die Verzögerung ist damit zu rechnen, dass die Intensivbelastungen noch ein bisschen ansteigen oder zumindest auf dem hohen Niveau eine Weile bleiben. Es ist jetzt schon so, dass die Krankenhäuser zum Teil wieder Pläne entwickeln, wie man Operationen verschieben kann und Ähnliches. Das ist nicht auszuschließen, dass wir so was in den nächsten Wochen noch mal machen müssen. Aber wir werden nicht in diese klassische Situation kommen, die wir vermeiden wollen, was für Triage nennen. Dass ein Teil der Patienten dann nicht adäquat behandelt werden kann. Da sind wir in Deutschland auf einem guten Weg. Auch deshalb, weil wir am Ende des Tages ziemlich große Überkapazitäten im Krankenhausbereich haben.


[0:07:2 6]



Camillo Schumann



Im Lagebericht des Robert Koch-Instituts von gestern steht auch, dass sich der Rückstau an PCR-Proben in KW 46, also letzte Woche, im Vergleich zu den 2 vorangegangenen Wochen deutlich reduziert hat. Rund 100.000 Proben standen im Stau. Die sind jetzt größtenteils ausgewertet. Hat das irgendeinen Einfluss auf die Fallzahlen?



Alexander Kekulé


Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Zumindest nicht in der Weise, dass man daraus lesen könnte, dass die Lage gefährlicher oder weniger gefährlich geworden wäre. Die meisten Labor, die die Möglichkeit dazu haben, zum Beispiel Universitätslabore, die machen das so: Wenn sie nicht alle Proben abarbeiten können, dann schauen die, wer ist der Einsender. Das heißt zum Beispiel, von Intensivstation eingesandte Proben oder auch von der


Notaufnahme oder solche Dinge werden tendenziell bevorzugt behandelt und kriegen schneller das Ergebnis. Und so eine Drive-InStation, die also im Prinzip symptomlose Menschen untersucht, da wird man eher sagen: "Das legen wir zur Seite, wenn wir überlastet sind." Ich weiß nicht, ob alle das so machen wie die Universitätskliniken. Aber dann wären das, wenn überhaupt eher Proben, wo wir keine schweren Fälle erwarten würden.


[0:08:55]



Camillo Schumann



Also es wird priorisiert. Da wo es salopp gesagt um Leben und Tod geht, das wird eher abgearbeitet, als wenn jemand testen will, ob er sicher in den Urlaub fahren kann.



Alexander Kekulé


Genau so, sofern es möglich ist. Das weiß man ja oft als Labor leider nicht. Das ist so eine Krankheit der Einsender, über die wir uns alle Jahre wieder als Laborärzte aufregen müssen. Unsere Einsender kreuzen an, was sie haben wollen. Das gilt nicht nur für Covid-19. Aber sie schreiben nicht dazu, was der Patient genau hat. Da sind immer auf diesen Zettel, die man da ausfüllen soll, schöne Felder, wo man Angaben zur Klinik machen soll und was der für Symptome hat und solche Sachen. Damit der Laborarzt ein bisschen mitdenken kann. Das wird aber in der Eile oft unterlassen. Da macht man nur das Kreuzchen, sodass die Laborärzte oft nicht wissen, wie eilig es ist. Aber man kann so ein bisschen nach den Einsendern sortieren, weil man weiß schon, von wo die Probe kommt. Wir zum Beispiel in Halle, wenn wir natürlich eine Probe aus unserem eigenen Klinikum geschickt bekommen, wo wir wissen, es ist eine Station, die typischerweise Lungenkranke behandelt, dann würden wir das vorziehen, wenn wir einen Engpass hätten.


[0:10:02 ]



Camillo Schumann



Schauen wir uns die Tests noch ein bisschen detailliert an. Die Anzahl hat in der vergangenen Woche im Vergleich zur Vorwoche um über 2 00.000 abgenommen. Es wurde also deutlich weniger getestet. Insgesamt wurden in Kalenderwoche 46 1,38 Millionen Tests gemacht. Und jetzt kommt es: Die Positiven-


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quote ist von 7,9 auf 9 Prozent gestiegen. Jetzt hat das Robert Koch-Institut wegen der Überlastung der Labore am 11. November, also Mitte der vergangenen Woche, die Teststrategie geändert. Es sollen nur noch Menschen mit eindeutigen Symptomen getestet werden. Nur ein Schnupfen oder Halsschmerzen, das reicht nicht mehr aus, um getestet zu werden. Ist durch diese veränderte Teststrategie der Anstieg der Positivenquote zu erklären. Was meinen Sie?



Alexander Kekulé


Das ist sicher ein Teil des Grundes. Ich glaube, das liegt schon zum Teil daran. Man muss sagen, eindeutige Symptome ist das eine, und das andere ist, wenn jemand Kontakt zu einem Covid-Patienten hatte. Das gehört auch noch zur Strategie dazu. Aber auch dann ist natürlich die Wahrscheinlichkeit höher als bei der Durchschnittsbevölkerung, dass die Probe positiv wird. Trotzdem muss man unterm Strich sagen, auch wenn dieser Effekt eine Rolle spielt, eine Positivenquote von 9 Prozent ist wirklich absolut alarmierend. In den Vereinigten Staaten ist heute rausgekommen, dass New York City jetzt die Grundschulen schließen wird, also alle Schulen schließen wird. In anderen Bundesstaaten der USA sind sie ja schon zu. Und zwar deshalb, weil dort die Positivenquote aktuell über 3 Prozent gestiegen ist. Bei denen ist auch die Teststrategie so, dass man nicht lauter Symptomlose testet. Da haben die gar nicht die Kapazitäten dafür. 9 Prozent ist schon satt, das muss man klar sagen. Fast jeder Zehnte, der zum Test geht, ist positiv. Das lässt einfach auf eine hohe Dunkelziffer schließen. Man hat die anderen nicht mehr getestet aus Kapazitätsgründen. Da kann man lange noch mal drüber reden, warum die Kapazitäten so gering sind. Aber man hat sie eben nicht getestet. Das heißt nicht, dass die deswegen alle negativ sind. Sondern wir müssen davon ausgehen, dass wir eine vielleicht nicht so hohe Prozentquote, aber vielleicht fünf Prozent hätten in der Gesamtbevölkerung, wenn wir anfangen würden zu testen. Das ist viel zu hoch. In diesem Bereich ist man sich sozusagen nicht mehr sicher. Da kann man damit rechnen, dass vielleicht jeder Fünfhundertste, der einem begegnet auf der Straße, infiziert ist oder noch


häufiger. Für die USA wurden solche Zahlen gerade gemacht. Da gibt es Regionen in der USA, da hat man ausgerechnet, wenn sich zehn Leute treffen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Infektion kommt, inzwischen schon in der Größenordnung von 10 bis 30 Prozent. Also richtig satt. Wir steuern auf einen ähnlichen Zustand zu.



Camillo Schumann



Aber das wäre dann die Vorstufe zur Durchseuchung, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das dauert natürlich dann noch länger. Richtig. Wenn man jetzt zynisch wäre, könnte man sagen, wir müssen aufpassen, dass wir nicht bevor der Impfstoff kommt, in die Durchseuchungslage kommen. Dann können wir den Impfstoff uns sparen. Übrigens, für die Vereinigten Staaten gilt das tatsächlich. Das wird dort noch nicht so offen diskutiert. Aber wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut, ist es so, dass fast 40 Prozent der Amerikaner in einer aktuellen Umfrage gesagt haben, sie wollen trotzdem Thanksgiving feiern. Mit den Zahlen, die ich gerade genannt habe, der Wahrscheinlichkeit, dass es bei solchen Feiern – und das sind nicht 4-5 sondern eher 2 0 Leute, zu Ausbrüchen kommt, haben die eine faire Chance, bis Januar irgendwann mal so eine Durchseuchung zu haben. Da muss man sich fragen, wie man überhaupt noch impft. Da würde man vielleicht die Impfstrategie dahingehend ändern, dass man vorher einen Antikörpertest macht und erst einmal schaut, wer die Impfung noch braucht. Da sind wir in Deutschland zum Glück weit davon entfernt. Zum Glück, es hat gute und schlechte Seiten. Das ist halt so. Wenn wir wenig immune Personen in Deutschland haben, müssen wir weiter vorsichtig sein. Das wäre auch immer mein Appell, sich nicht bequem zurückzulehnen, sondern das gerade in der jetzigen Phase weiter ernst zu nehmen.


[0:14:05]



Camillo Schumann



Wegen der veränderten Teststrategie: Eine Tierärztin hat uns geschrieben. Sie schreibt: "Warum wird ein Zwölfjähriger mit massiver Bronchitis und Schnupfen von 2 Ärzten


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nicht auf Corona getestet? Mit der Aussage, das sei nur eine Erkältung. Der Junge geht damit nicht in die Schule, sondern zu den Großeltern. Meines Wissens kann ich äußerlich eine Erkältung nicht von Corona unterscheiden. Schon gar nicht bei Kindern. Wo ist da der Sinn?"


Die Frage können Sie nach der Sinnhaftigkeit schwer beantworten. Aber bewerten können Sie es.



Alexander Kekulé


Solche Sachen hören wir ständig und an allen Ecken Deutschlands. Das Kind hatte hier Schnupfen und Bronchitis. Bei einem Kind, was nur Schnupfen hat, da muss man überlegen, was man macht, wenn es sonst völlig gesund ist. Dann muss man fairerweise sagen, ein Kind mit Schnupfen könnte innerhalb der nächsten Tage durchaus auch Covid-19 entwickeln. Das wissen die Eltern vorher nicht. Ohne Test schon gleich gar nicht. Aber wenn es hier so ist, dass man Bronchitis und Schnupfen hat, dann hat man von vornherein eigentlich alle Kriterien für Covid-19-Verdacht zusammen. Man kann so ein Kind sowieso nicht mehr in die Kita schicken. Da kann man nur noch einmal appellieren, dass das wirklich alle ernst nehmen. Ja, ich wäre dafür, das zu testen.


Die Frage ist letztlich, wie geht man als Staat mit diesem Thema um? Es gibt zu wenig Tests. Diese PCR werden von Laboren gemacht, die ökonomisch denken müssen. Das kann man keinem Labor übel nehmen, dass die sagen: "Wir können nicht einfach zehn mehr Leute einstellen dafür. Wo wir nicht wissen, wie lange wir die dann halten können." Und wo wir im Moment in einer Situation sind, dass die Preise ganz massiv eingebrochen sind für die PCR. Das waren früher mal über 2 00 Euro. Jetzt werden da 40 Euro oder so was in der Größenordnung aufgerufen. Von Großabnehmern jedenfalls. Das ist an der Grenze, wo es sich nicht mehr rentiert, weil die Reagenzien ja sehr teuer sind. Die sind nach wie vor teuer, weil da ist der Bedarf groß. Die Hersteller haben kein Interesse, jetzt, wo viel gebraucht wird, die Preise zu senken. Das heißt, marktwirtschaftlich funktioniert es aus meiner Sicht nicht. Da müsste der Staat ein bisschen dirigistisch eingreifen und sagen: "Wir müssen den Laboren unter die Arme greifen, dass sie Geld


kriegen." Damit sie Personal einstellen, dass sie diese Tests machen und dass wir wirklich als Staat dafür sorgen, dass die PCR-Kapazitäten hochgefahren werden. Also nicht nur zuschauen, wie es jetzt ist. Aktueller RKI-Bericht: Wir hätten theoretisch 2  Millionen pro Woche. Gemacht wurden 1,38. Da muss man natürlich fragen, da sind 0,62  nicht gemacht worden. 62 0.000 Tests hätte man mehr machen können. Das steht im Kontrast zu diesen 100.000, die da im Rückstau waren. Das heißt, es ist im Grunde genommen offensichtlich ein logistisches Problem gewesen.


Vielleicht noch eins hinterher. Das steht auch im RKI-Bericht und die Journalisten schreiben das ab. Es wird so oft gesagt, dass das Verbrauchsmaterial knapp wäre. Also für diese PCR-Tests. Da muss man 2 Sachen dazu sagen. Das eine ist, da steht: "Selbst Pipettenspitzen sind knapp." Es ist so, dass sind ganz spezielle Spitzen, die in den Vollautomaten gebraucht werden. Weil die Vollautomaten zum Beispiel von der Firma Roche so gebaut sind, dass man nur deren eigene Pipettenspitzen verwenden kann und nichts Fremdes. Das ist sogar mit Barcodes gemacht, dass man auf keinen Fall auf die Idee kommt, irgendetwas von einem Wettbewerber zu kaufen. Diese Pakete, die man da einkauft, da ist von Herstellerseite das Problem: Einerseits liefern sie diese Sachen. Sie wollen, dass man nur von diesem Hersteller abhängig wird. Andererseits ist es so, dass da diese speziellen Spitzen, die in der Maschine drinnen sind, zurzeit Lieferschwierigkeiten haben. Die normale AllerweltsLabor-Pipettenspitze hat natürlich keine Lieferschwierigkeiten.


Oder ein anderes Thema, und da wird immer geschrieben ... Ich zitiere das, weil ich das jede Woche im RKI-Bericht lese. "Verbrauchsmaterialien und Reagenzien werden in Laboren nur für kurze Zeit bevorratet (unter anderem wegen begrenzter Haltbarkeit bestimmter Reagenzien)." Da entschuldigt das RKI so ein bisschen die Labore. Aber Fakt ist, dass diese Sachen ein halbes Jahr haltbar sind. Mindestens. Einige länger. Und bevorratet wird, das kann man aus den gleichen Berichten entnehmen, in der Größenordnung von vier bis sechs Wochen maximal. Das ist nicht der Grund. Man könnte für ein halbes Jahr theoretisch sich Vorräte einlagern. Sicherlich


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gibt es dann Rückfragen bei der Firma, weil die nicht für ein halbes Jahr auf Anhieb liefern können. Aber diese Begründung, die da wie gebetsmühlenartig jede Woche wieder drin steht in den Berichten, dass die Pipetten alle sind und dass die Reagenzien nicht haltbar seien, das kann nur bei einem Teil der Labore die Sache beantworten. Man könnte durch eine konzertierte bundesweite Aktion auf jeden Fall diese Kapazitäten weiter hochfahren. Ich erinnere noch mal daran, dass Herr Streeck und andere schon im April gesagt haben, wir müssen auf 500.000 am Tag kommen. Jetzt sind wir bei 2  Millionen die Woche. Da ist noch deutlich Luft nach oben.


[0:19:49]



Camillo Schumann



Diese Teststrategien, die wir jetzt haben, die hatten wir schon mal zu Beginn der Pandemie. Also wirklich nur Symptome, Verdachtsfälle und wenn man Kontakt hatte. Wie müssen wir künftig die Zahlen der Neuinfektionen lesen und interpretieren? Die waren in den vergangenen Monaten ein bisschen anders.



Alexander Kekulé


Wir müssen künftig eine Riesendunkelziffer obendrauf schlagen. Wie groß die genau ist, wissen wir nicht. Wir haben aus der Anfangszeit Berichte gehört. Zum Beispiel diese eine Studie in München, wo bei den Kindern noch mal nachgetestet wurde. Man hat festgestellt, es waren in Wirklichkeit sechsmal so viele Kinder infiziert, wie damals gemeldet wurden. Das war irgendwann im Frühjahr, auf was sich das bezogen hat. Da hatte ich immer vermutet, das ist zehnmal so viel. Jetzt kam in der Studie sechsmal so viel raus kam. Ich schätze, wir müssen in der Größenordnung denken. Ob das jetzt sechsmal oder zehnmal oder zwölfmal ist. Aber so ist ungefähr der Faktor zwischen den Infektionen, die als Neuinfektionen gemeldet werden, und denen, die tatsächlich stattfinden. Das muss man dann auf die sozial aktiven Bevölkerungsgruppen runterrechnen. Es sind nicht 83 Millionen, die betroffen sind. Sondern ganz viele Menschen halten sich zurück und nehmen letztlich zurzeit ganz bewusst nicht so intensiv am sozialen Lebenteil. Aber die, die munter die Viren austauschen, sind eine Teilpopulation. Und in dieser Teilpopulation


haben Sie dann eine echt faire Chance, sich zu infizieren, wenn Sie mit denen Kontakt haben. Und deshalb glaube ich, müssen wir mit diesem Bewusstsein rausgehen, dass wir eine epidemische Lage haben. Das hat sich insofern vom Sommer verändert. Wo jeder einzelne, wenn er Kontakt mit anderen hat, inzwischen ein reales Infektionsrisiko hat. Das war im Frühjahr vielleicht gar nicht mal so sehr, weil wir da nicht so viele fein verteilt Infektionen hatten, sondern da war es eher so in Clustern. Heute ist es so, dass wir zumindest in den Großstädten, in der U-Bahn oder so damit rechnen müssen, dass in jeder vollbesetzten U-Bahn paar Leute sind, die infektiös sind im Moment.


[0:2 1:51]



Camillo Schumann



Womit wir bei den Maßnahmen wären. Der Bundestag hat gestern Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. Vorangegangen war eine ziemlich heftige Diskussion im Parlament und vor dem Reichstagsgebäude. Da gab es eine Demonstration. Anlass war, dass immer mehr Gerichte die Maßnahmen der Bundesländer kassiert hatten. Dass die Gerichte die gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz nicht gesehen haben. Das wurde jetzt nachgebessert, konkretisiert. Also vom Abstandsgebot über Maskenpflicht bis zur Untersagung von Kulturund Sportveranstaltungen gibt es nun in § 2 8a 17 Punkte, die schon allgemein bekannt sind, jetzt aber auf sauberen juristischen Füßen stehen. Die Maßnahme sind jetzt juristisch wasserdicht einigermaßen. Ist das ein richtiger Schritt?



Alexander Kekulé


Ja, das war lange überfällig. Und es ist auch gut, dass das gemacht wurde. Es gab auch Kritik, dass es so lange nicht gemacht wurde. Ich möchte an der Stelle tatsächlich die Politik in Schutz nehmen. Es ist so, diese Liste zusammenzustellen ist nicht trivial. Man macht eine gesetzlich vorgegebene Liste. So was wollen Verwaltungsgerichte haben, weil sie sich dann leichter daran abarbeiten können. Aber diese Liste soll natürlich gerade deshalb halbwegs vollständig sein.


Und das hat sich erst im Lauf der Zeit gezeigt,


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welche Maßnahmen man zusätzlich noch anordnen sollte, was sinnvoll ist. Und deshalb ist das Projekt jetzt erst so weit gereift gewesen, dass man das in einem Bundesgesetz gießen kann. Da ist dieser §2 8a Infektionsschutzgesetz entstanden. Ich glaube, es ist sehr sinnvoll, dass das so ist. Wir hatten es schon mal besprochen. Das Problem ist: Wenn sich Virologen und Epidemiologen Gedanken machen, dann sich das RKI Gedanken macht, am Schluss die Politik sich wirklich den Kopf zerbricht, was die beste Maßnahme ist und dass dann erlässt. Und am Schluss kassiert das ein Verwaltungsrichter, der naturgemäß nicht diesen ganzen Apparat hat, um seine Entscheidung zu begründen. Dann ist es einfach schade, weil man von der Qualität der Entscheidung einen Schritt zurück macht. Das ist hier ausgebessert worden. Ich glaube, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich mal glücklich darüber sind, dass sie hier was Konkreteres an der Hand haben.


[0:2 4:11]



Camillo Schumann



Aber wenn man sich die Maßnahmen im Detail anguckt, die jetzt im Gesetz stehen, dann ist es ein sehr auf Corona zugeschnittenes Gesetz. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein auf Corona zugeschnittenes Gesetz. Das ist meines Wissens auch erst im letzten Moment noch einmal geändert worden. Der §2 8a hat jetzt die neue Überschrift bekommen "Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SarsCoV-2 ". Das ist jetzt ein extra CoronaParagraph, eine Lex Corona sozusagen. So finde ich das auch in Ordnung, weil der sozusagen nur für diese eine Pandemie gemacht wurde. Deshalb ist er so besonders speziell im Moment. Man kann ein paar juristische Sachen noch einwerfen. Das ist nicht so typisch unser Podcast. Aber es ist ein gewisses Problem aus meiner Sicht an dieser Struktur, die man da gewählt hat, dass das alte Konzept, das ist immer noch so im Infektionsschutzgesetz drinnen ... Da gibt es diesen berühmten Paragraph 5 Absatz 1. Da wird festgestellt: eine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Diese Feststellung macht


der Deutsche Bundestag. Und er kann auch irgendwann sagen: "Die Lage ist zu Ende". Dann ist der Spuk vorbei. Während diese Lage vorhanden ist, gibt es sehr, sehr weitgehende Vollmachten für die Exekutive. Da hätte ich mir gewünscht, dass dazwischen sozusagen zwischen On and Off irgendwo noch eine weitere Eingriffsmöglichkeit des Gesetzgebers ist. Es war letztlich der Souverän in unserem Staat die Entscheidungen treffen soll. Und das quasi zwischen Beginn der Epidemie und Ende der Epidemie der Bundestag oder auch die Landesparlamente zunächst mal nichts mitzubestimmen haben, das sehe ich als juristisch und auch staatstheoretisch eher wackelig an. Da bin ich gespannt, ob das hält vor den Gerichten. Aber das ist jetzt keine epidemiologische Frage. Für einen Virologen ist einfach nur wichtig, dass die richtige Entscheidung getroffen wird. Da kann ich vielleicht sagen, die Exekutive tendiert immer so ein bisschen dazu ein, 2 Experten sich zur Hand zu nehmen und auf Basis derer Empfehlungen zu entscheiden. Sobald man die Legislative mit drinnen hat, wird der Prozess aufwendiger. Aber natürlich werden dann mehr Stimmen von Fachleuten gehört. Das hätte ganz sicher am Anfang dieser Epidemie große Vorteile gebracht. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass es eine Art Zwischenstopps gibt. Dass das Parlament auch mal sagen kann: "Okay, jetzt habt ihr das und das beschlossen. Ihr seid zwar dazu ermächtigt. Das sind Verordnungsermächtigungen. Aber wir finden, das geht doch zu weit, und wir wollen noch mal so eine Art Vetorecht haben."


Das hätte ich wahrscheinlich aus demokratischen Gründen mit eingebaut. Das hätte epidemiologisch den Vorteil gehabt, dass letztlich auch Leute, die keine Fachleute sind, konkret Leute außerhalb des RKI, haben nach dem neuen Gesetz nichts mehr zu sagen.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz vergeht da wertvolle Zeit.



Alexander Kekulé


Na ja, nicht, wenn sie es als Vetofunktion einführenden. Ich hoffe, dass die Volksvertreter klug sind. Die würden sich schon überlegen, wann sie dann dieses Veto ziehen.


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Man muss sich auch überlegen, ob das dann sozusagen aufschiebende Wirkung hat oder nicht. Man könnte sagen, es gibt eine Nachprüfungsmöglichkeit ohne aufschiebende Wirkung. Dann könnte die Exekutive, wenn Gefahr im Verzug ist, die Verordnungen erlassen. Und die Parlamente könnten trotzdem sich das im Prozess noch einmal anschauen. So eine epidemische Lage von nationaler Tragweite ... Jetzt geht es hier konkret um diese Pandemie. Die kann 2 Jahre dauern. Dann hat in der ganzen Zeit das Parlaments nichts mehr zu melden. Das ist für mich von Nachteil. Gerade dadurch, dass es jetzt in ein Gesetz gegossen ist, ist es umgekehrt. Sodass die Verwaltungsrichter sich diese Frage nicht mehr stellen müssen, ob da mehr Beteiligung notwendig gewesen wäre. Weil Gesetz ist Gesetz. Die Richter haben nicht den Auftrag, das Gesetz neu zu schreiben, sondern sie legen es aus.


[0:2 8:2 6]



Camillo Schumann



Noch kurz nachgefragt, weil Sie gesagt haben "Lex Corona". Vielleicht kommt Sars-CoV 3 oder irgendein anderes Virus. Da müsste man ja wieder ans Infektionsschutzgesetz ran, wenn man sich mit dieser Überschrift so festlegt und mit den Maßnahmen.



Alexander Kekulé


Ja, das ist so. Aber ich finde es ganz gut, dass sie sich jetzt festgelegt haben, weil dadurch die Gefahr weg ist. Es gab viel Kritik. Es gab Leute, die völlig absurd von einem Ermächtigungsgesetz gesprochen haben. Das ist völlig abwegig. Das Gegenteil ist der Fall. Die Exekutive wird eher an die Kandare gelegt. Aber ja, für die Zeit danach bringt es nicht viel. Ich würde mir sehr wünschen, dass man, wenn das alles vorbei ist, sich noch mal zusammensetzen und sagt: In dem speziellen Fall brauchten wir das jetzt genau so. Können wir nicht generisch, also sozusagen unabhängig von dem konkreten Fall, das Infektionsschutzgesetz so machen, dass es auch für die nächste Pandemie oder für den nächsten Infektionsnotfall, der ganz anders aussehen könnte, auch gewappnet ist. Nicht, dass man dann wieder in die gleiche Schleife kommt wie diesmal und den


Ereignissen hinterherläuft. Ich denke da ganz praktisch. Beim nächsten Mal ist es ein Durchfallerreger. Dann haben Sie ganz andere, der vielleicht fäkal-oral übertragen wird. Dann müssen Sie über Trinkwasser, Kontrolle und sowas nachdenken. Dann wird plötzlich das Handy desinfizieren wirklich wichtig. Oder dann darf man sich wirklich nicht mehr die Hände geben, weil es extrem gefährlich ist, dabei Übertragungen zu machen.


Vielleicht noch eine Sache, die ich ganz gut finde. Da hat es mal jemanden gegeben, der in diesem Podcast die Frage gestellt hat, warum tierärztliche Labor nicht diese Untersuchungen machen dürfen. Und scheinbar hat man im Bundestag das erhört. Eine Hörerin hatte das damals gefragt. Das wurde von den Medien wenig publiziert, aber es ist so, das jetzt auch der Arztvorbehalt fällt. Das heißt, Tierärzte dürfen ab sofort, wenn Not am Mann ist, diese Untersuchungen machen. Und es gilt auch für die MTAs, also Tiermedizinisch ausgebildete Veterinäre. MTAs dürfen jetzt auch diese Untersuchungen machen. Das ist mehr als sinnvoll. Eben auch im Sinne von Kapazitäten rekrutieren für die Labore. Was ich jetzt ein bisschen schade finde, ist, dass man die Antigen-Schnelltests in den Apotheken überhaupt nicht auf dem Schirm hat. Wenn man jetzt schon den Bundestag und den Bundesrat zusammenruft und dem Bundespräsidenten quasi einen Eiltermin abverlangt, hätte man sagen können, dass man die Abgabe der Antigen-Schnelltest an jedermann in Apotheken bei der Gelegenheit auch gleich regelt. So weit wollte man nicht gehen.



Camillo Schumann



Ein Abwasch, wenn er schon mal da sitzt.



Alexander Kekulé


Wenn er schon mal da sitzt, ja. Das sehe ich aber ganz pragmatisch. Vor Weihnachten werden die nicht noch mal so ein großes Ding durchziehen.


[0:31:07]



Camillo Schumann



Möglicherweise nicht. Mit diesem konkretisierten Infektionsschutzgesetz will die Politik vermeiden, dass Gerichte die Maßnahmen wieder kassieren. Auch die Akzeptanz


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der Maßnahmen in der Bevölkerung nimmt weiter ab. Denn man muss es sagen, an der Sinnhaftigkeit der aktuellen Maßnahmen zweifeln zunehmend mehr Menschen. Das hat eine Allensbach-Umfrage im Auftrag der FAZ ergeben. 63 Prozent der Befragten gaben an, die Arbeit der Koalition in Berlin ist gut oder sogar sehr gut. Im August lag der Wert noch bei 78 Prozent. Die Zahl der Kritiker der Corona-Maßnahmen hat deutlich zugenommen. Im vergangenen Vierteljahr stieg der Anteil von 15 auf 2 8 Prozent. Die Menschen zeigen immer weniger Verständnis, auch für regionale Unterschiede. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Es sind ja die Menschen, die für den Erfolg der Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sind. An welchem zeitlichen Punkt in der Pandemie stehen wir jetzt?



Alexander Kekulé


Ich glaube, das ist jetzt der Knackpunkt schlechthin. Wir sind einerseits von der Epidemiologie in der Situation, dass es ein diffuses Geschehen ist, wie das Robert KochInstitut das nennt. Das heißt, wir haben eine Art Hintergrundrauschen. In dieser Lage kommt es darauf an, wie der Einzelne sich verhält. Es geht nicht mehr so sehr um die TopDown staatlichen Maßnahmen. Zweitens ist es so, dass wir aus der Psychologie wissen, dass staatliche Maßnahmen eben eher einmalig wirken. Kurzfristig wirken. Sozusagen der Zwang wirkt einmal, wenn man schnell macht. Wie auch am Anfang. Aber dann muss sozusagen in der Etappe nachfolgen, auch im Verständnis der Bevölkerung. Das heißt, wir brauchen die Menschen aus virologischen Gründen, weil es eben fein verteilt ist. Da kann sich jeder selber schützen. Wir wissen aber auch psychologisch, dass die reine Anordnung, ohne dass Verständnis dabei ist, nicht mehr reicht. Mit der bevorstehenden Kälteperiode und mit Weihnachten noch dazu gibt es jetzt sozusagen ein Doppel-Whopper an Belastung für das ganze System.


Virologisch ist es so, im Winter, wenn es kalt wird, blüht dieses Virus erst mal so richtig auf. Das heißt, wir haben es fast mit dem anderen Erreger zu tun, der gefährlicher ist. Und ich glaube, dass für die deutsche Bevölkerung, ob man jetzt religiös ist oder nicht, Weihnachts-


zeit, dann hinterher Silvesterpartys und so weiter, die wichtigsten Ereignisse im Jahr sind. Da habe ich die Befürchtung, dass das noch weiter auseinander driftet, wenn die Konferenz der Ministerpräsidenten nächste Woche nicht zu einem ganz deutlich nachvollziehbaren, klaren Konzept führt. Dass der Wildwuchs, der entstanden ist, der kleiner und großer Unsinn, den die Maßnahmen so mitgebracht haben, dass der mal abgebaut wird. Sondern dass jeder versteht: Das ist jetzt sinnvoll. Das ist der Kern, um den es geht. Und das müssen wir jetzt machen, obwohl Weihnachten und Silvester vor der Tür stehen.


[0:34:09]



Camillo Schumann



Sie haben es schon angesprochen. Ende des Monats, am 2 9. November, geht es los. Erster Advent, die Weihnachtszeit. Für die meisten Menschen die wichtigste und schönste Zeit im Jahr.


Wir haben eine sehr bewegende Mail von Frau V. bekommen:


"Weihnachten rückt näher. Die ganze Familie, wir sind mittlerweile über zehn Leute mit meinen Geschwistern und deren Partnern und Kindern, trauert jetzt schon, weil wir uns dieses Jahr nicht treffen werden. Ich habe in einem Beitrag gesehen, dass es in Barcelona eine Schnelltest-Strategie gibt, die ein nahezu normales Beisammensein ermöglicht. Könnte man mit den aktuell verfügbaren Schnelltests ein Familientreffen aus Ihrer Sicht verantworten? Immer vorausgesetzt, man kommt an diese Tests irgendwie als Privatperson heran. Was kann man tun, um die Politik zu bewegen, der Gesellschaft diese Möglichkeit zugänglich zu machen? Wir sind verzweifelt! Herzliche Grüße, Frau V."



Alexander Kekulé


Das Weihnachtsthema ist schwierig. Ich glaube, die Politiker haben das vor Augen. Keiner will der Grinch sein, der Weihnachten der Bevölkerung verdirbt. Zumindest nicht zugeben, dass er der Grinch ist. Aber wenn es verdorben wird, dann deshalb, genau wie die Hörerin gesagt hat, weil man möglicherweise die Schnelltests nicht schnell genug beigebracht hat. Da ist ja sehr, sehr spät der


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Groschen gefallen, dass die wichtig sind. Ich glaube, es ist schon noch möglich. Nach der jetzigen Lage sind diese Schnelltests zumindest in den Apotheken noch nicht knapp. Ich habe so gerüchteweise gehört, dass drüber nachgedacht wird, dass die Bundesregierung die Schnelltest aufkaufen will, weil sie nicht genug PCRs für die Altenheime und die Krankenhäuser haben. Das ist aber nur ein Gerücht. Wenn das so sein sollte, könnte es sein, dass sich die Bundesregierung zuerst bedient und dann die Vorräte in den Apotheken nicht mehr vorhanden sind. Ich habe das von einem Apotheker gehört. Im Moment können Ärzte durch Vorlage des Arztausweises sich eine Kiste Schnelltests von Roche kaufen. Da kostet einer 11 Euro. Es gibt natürlich auch andere Wettbewerber. Ich mache jetzt keine Werbung für eine Firma. Das geht ratzfatz und hat die bekannten Nachteile. Den Schnelltest wird man sicherlich nicht anwenden wollen, wenn man im Krankenhaus jemanden untersucht. Und den halte ich für bedenklich, wenn das jemand ist, der dann dadurch vielleicht für eine Woche lang freigegeben wird als Pfleger im Altersheim. Man muss bei dem Schnelltest immer dazu sagen, der ist zuverlässig oder ausreichend zuverlässig, wenn man auf den gleichen Tag sieht. Also ganz konkret bei der Weihnachtsfeier: Alle, die kommen, müssen eben am Anfang erst mal in ein separates Zimmer und jeder kriegt einen Abstrich, bevor es weitergeht. Wenn man das so macht, quasi unmittelbar, dann fängt man schon die allermeisten möglichen Infizierten ab. Ich empfehle zusätzlich so eine Art freiwillige Quarantäne vorher zu machen. Ich würde es nicht als Quarantäne bezeichnen. Aber dass man sich einfach zurückhält mit Risikokontakten in der Woche vor Weihnachten. Mit dieser Kombination machen wir das übrigens in meiner Familie auch. So kann man sich natürlich halbwegs absichern. Ich bin jetzt gespannt, wenn die Leute versuchen, die Schnelltest zu bekommen über ihre Ärzte, ob die dann reichen oder nicht. Das ist die Frage. Das kann ich nicht beantworten.


[0:37:33]



Camillo Schumann



Es sieht ja erst mal nicht danach aus, als würde es bis Weihnachten die Schnelltests für jeder-


mann in der Apotheke geben. Deswegen die Frage: Wie können wir Weihnachten retten? Wie könnte so eine kurzfristige Strategie aussehen, die vielleicht nicht besonders schön, aber dafür wirkungsvoll wäre?



Alexander Kekulé


Das eine ist, was die Menschen machen können. Das andere ist die Frage, was die Politik machen kann. Dann muss man erst einmal mit der Politik anfangen. Weil Sie vorhin erwähnt haben, wie die nächsten Wochen weitergehen ... Ich gucke noch auf ein ganz anderes Ereignis, was vielleicht für Sie und mich nicht so das wichtigste im Jahr ist. Das ist der Black Friday nächste Woche. Da ist großer Showdown beim Shopping. Ich weiß aus gut informierten Kreisen, dass es da drunter und drüber geht in den Einkaufsläden. Ohne dem Einzelhandel den Spaß nehmen zu wollen und all denen, die schon auf die Schnäppchen für Weihnachten schielen. Man wird das nicht machen können, dass man jetzt Millionen von Menschen alle an einem Tag in den Kaufhäusern rumturnen lässt, um sich die billigen Angebot zu holen. Ich glaube, das ist etwas, wo die Politik mal drüber nachdenken sollte. Selbst mit Masken ist das eine Sache, die aufgrund der Personendichte gefährlich wird. Man müsste mindestens Vorschriften machen, dass die Personenzahlen in den Kaufhäusern begrenzt werden. Wenn ich auf die Bilder vom letzten Jahr gucke. Aber das mal außen vor. Was könnte man machen von der politischen Seite? Erstens bin ich definitiv dafür, dass wir die Schulen, die Sekundarstufe, ab sofort in den Wechselunterricht schicken. Ich hoffe, dass das nächste Woche passiert. Damit eben diese vorweihnachtliche "Quarantäne" funktioniert, würde ich eine Woche vor Weihnachten die Sekundarstufen schließen. Ich würde die Grundschulen und Kitas sehr schweren Herzens offen lassen. Und zwar deshalb, weil die Epidemiologie hier anders aussieht als die Virologie. Virologisch wissen wir, die Kinder sind im Prinzip empfänglich und müssten irgendwie auch infektiös sein. Aber wir haben bisher keine Hinweise auf massive Ausbrüche durch Kita-Kinder und Grundschulkinder. Später natürlich schon. Deshalb würde ich sagen, das Risiko gehen wir jetzt als Gesellschaft mal ein, dass wir das


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offen lassen bis Weihnachten. Ich würde sagen unter strengsten Auflagen in dieser Situation die Grundschulen und Kitas bis Weihnachten offen lassen, sofern wir nicht irgendetwas anderes plötzlich bemerken.



Camillo Schumann



Strengste Überwachung. Was kann ich mir darunter vorstellen?



Alexander Kekulé


Erstens muss es so sein, dass alle Eltern wissen, wenn ein Kind irgendwie Erkältungssymptome hat, wenn es auch noch so ärgerlich ist, muss es zu Hause bleiben. Da gibt es kein Wenn und Aber. Das müssen auch die Kitabetreuer und Grundschullehrer wissen. Das Zweite ist, dass wir mehrere Grundschulen und Kitas nehmen müssen und die als Kanarienvögel quasi kontinuierlich überwachen müssen. Da müssen wir gucken, wie es in bestimmten Brennpunktschulen eben ist. Haben wir dort einen Anstieg von Infektionen? Ja oder nein? Dann müssen die Kinder in so einer Grundschule exemplarisch abgestrichen werden, einmal die Woche. Um zu sehen, ob es dann Infektionsgeschehen gibt oder nicht. Es kann sein, dass es das, aus welchen Gründen auch immer, immunologisch bei Kindern vielleicht doch so ist, dass das eine Überraschung ist. Dass sie das Virus zwar abkriegen, aber nicht im großen Stil weitergeben. Bei Kindern ist es jetzt so, die scheiden besonders stark dieses Virus auch im Stuhl aus. Das machen Erwachsene auch. Aber bei Kindern ist dieser Effekt bei diesen Viren besonders deutlich. Das heißt nicht, dass der Stuhl super infektiös wäre. Das ist kein wichtiger Infektionsweg. Aber das ist eine Möglichkeit, das nachzuweisen. Wir haben diese tollen Studien in Italien gehabt. Das haben die festgestellt, dass schon im September 2 019 im Abwasser von Großstädten in Norditalien zum Beispiel dieses Virus vorhanden war. Genauso kann man das auch mit Schulen machen. Da nimmt man die Abwasserleitung der Grundschule. Dann nimmt man bundesweit 50 Grundschulen als Kanarienvögel und schaut sich einmal die Woche die Abwasser an. Wenn wir da feststellen, da ist massenweise das Virus im Abwasser, dann wissen wir, da laufen infizierte Kinder rum.


Das kann man machen, also offen lassen aufgrund des sekundären Schadens, der entsteht. Wenn kleine Kinder zu Hause sind, müssen die Eltern sie betreuen. Im Gegensatz zu Älteren. Und auch pädagogisch ist es schlechter bei Kindern. Aber mit dieser strengen Kontrolle, würde ich sagen, lassen wir die Grundschulen und Kitas bis Weihnachten offen. Ich sage es ganz ehrlich, ich habe ein bisschen kalte Füße dabei. Aber ich würde das an der Stelle als Kompromiss sehen.



Camillo Schumann



Sie haben jetzt über die Schulen und Kitas gesprochen. Aber wie wäre sozusagen das Konzept für den Rest der Bevölkerung?



Alexander Kekulé


Sonst ist es so, dass wir bis Weihnachten die Möglichkeit haben müssen, erstens die Maskenpflicht wirklich konsequent am Arbeitsplatz und in Situationen, wo wenn mehr als 2 Haushalte zusammen sind oder ab 2 Haushalte in geschlossenen Räumen. Da müssen wir konsequent Masken haben in allen Situationen.


Das Robert Koch-Institut berichtet auch weiterhin von Ausbrüchen am Arbeitsplatz, in häuslichen Situationen, aber eben weiterhin auch in Altersheimen und sogar Krankenhäuser. Da müssen wir einen Ticken, nachlegen, um da konsequent die Fallzahlen runterzufahren. Das andere wird wahrscheinlich nächste Woche beschlossen. Es gibt die Empfehlung, dass man sich im Moment maximal zu zehnt mit Personen aus 2 Haushalten trifft. Es ist leider auch sinnvoll, dass wir diese Gruppengröße auf fünf Personen runterfahren. Reduktion der Gruppengrößen, die sich treffen können, also eine kleine Verschärfung des Lockdowns an der Stelle. Da muss man immer dazu sagen, die allermeisten, ich schätze 80 Prozent plus, halten sich sowieso schon da dran. Die machen das auch konsequent und würden nicht auf die Idee kommen, sich zu zehn zu treffen. Und die wenigen, die sich nicht daran halten, denen ist es auch egal, wenn die Bundesregierung sagt, ab jetzt gilt fünf Personen statt zehn. Das heißt, es wird einen schwachen Effekt haben, weil man einen Teil der Bevölkerung


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nicht mehr erreicht mit so was. Aber wo wir was tun können, ist immer am Arbeitsplatz. Dass die Boten, die Pakete bringen an Weihnachten, konsequent die Masken aufhaben. Diese Dinge, wo man als Staat was machen kann, dann muss man eingreifen. Und einfach die Ansage: Wir bauen ab sofort die PCR-Kapazitäten aus und wir bauen auch die Antigentest-Möglichkeiten aus, wie es halt geht, was wir halt kriegen. Und dann müssen wir sehen, wie viel wir bis Weihnachten haben. Vielleicht können die meisten Haushalte dann halbwegs normal feiern.



Camillo Schumann



Was heißt dann "halbwegs normal"?



Alexander Kekulé


Halbwegs normal heißt für mich, wenn man vorher eine private Quarantäne gemacht hat, Risikokontakte reduziert hat, dass man dann ab dem Zeitpunkt mit einer reduzierten Personenzahl trotzdem Weihnachten feiern kann. Und wenn man Glück hat, hat man auch noch einen Test vorher.


Ich sag mal ein Beispiel. Ich habe einen 19-jährigen Sohn, der studiert im Ausland. Der ist an einer Universität, wo er eine relativ hohe Infektionsgefahr hat. Da kann man sagen, was man will. Ein 19-Jähriger bzw. jemand an der Uni ist in einer anderen Situation als jemand, der irgendwo im Homeoffice sitzt. Da wird es dann so sein, der kommt eine Woche vor Weihnachten zurück und hat eben keine Kontakte mehr mit seinen Kommilitonen vorher. Wenn man in der Familie sich so in der Weise abspricht, dann kann man das Risiko deutlich reduzieren. Das Problem ist bei den Kindern und das muss man noch mal wiederholen. Jemand unter zwölf, da dürfen wir nicht damit rechnen, dass die symptomatisch werden, wenn sie positiv sind. Ein 2 0-Jähriger wird schon irgendetwas merken, höchstwahrscheinlich, wenn er Covid kriegt. Wir wissen, einige sind asymptomatisch, aber die meisten haben doch irgendwie Symptome. Und bei Kindern müssen wir damit rechnen, dass die komplett asymptomatisch sind. Wir wissen nicht, wie infektiös kleinere Kinder sind.


[0:45:53]



Camillo Schumann



Also eine Woche vor Weihnachten PrivatQuarantäne. Und dann kann man zumindest am 2 4. ...



Alexander Kekulé


In einer normalen Besetzung, die unter Umständen reduziert ist. Das muss jeder selber wissen. Zusätzlich würde ich die Antigen-Tests empfehlen, wenn man einen kriegt.


[0:46:11]



Camillo Schumann



Wie aber eine mittelund langfristige Strategie aussehen könnte, also für die Zeit nach Weihnachten und Silvester, das beschreiben Sie in Ihrem neuen Buch: "Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus lernen können", so der Titel. Kurz zusammengefasst, der Staat bekommt seine Bereiche, für die er verantwortlich ist und der Bürger auch. Und in diesem Zusammenspiel könnte ein normales Leben wieder möglich sein, ohne dass das öffentliche Leben ständig runterund hochgefahren werden muss.



Alexander Kekulé


Ich habe mich mal hingesetzt und überlegt, wie kann man von diesem Bremsen und Beschleunigen wegkommen? Immer Lockdown, dann wieder Lockerung und zurück in einen kontinuierlichen Dauerzustand, der Modus Vivendi. Da ist die Idee, im Kern eine Gruppe besonders zu schützen. Es sind die Altenheime und die Menschen, die privat leben und ein besonders hohes Risiko haben, also besonders die Alten. Dann in der nächsten Ebene öffentliche Bereiche zu definieren, die quasi essenziell sind. Essenzielle Lebensbereiche. Dazu zählt natürlich, wenn man zum Einkaufen geht, wenn man zum Arzt geht, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, in die Kirche und solche Dinge. Da bin ich der Meinung, dass der Staat dafür sorgen muss, dass das sicher ist. Er muss allen Menschen, auch wenn sie sich nicht besonders schützen wollen, die Möglichkeit zur Teilhabe an diesen Dingen geben. Das heißt, da muss es Regeln dafür geben.


Und dann habe ich auch einen großen äußeren Bereich, wo ich der Meinung bin, da müssen


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sich die Bürger selber kümmern. Da bin ich sehr dafür, die Verantwortung dem Bürger zurückzugeben. Ab einer Grenze, die nicht mehr gefährlich ist für SuperspreadingEreignisse, wo sich relativ wenige Leute treffen, vielleicht sogar im Freien. Das soll sich der Staat mit Maßnahmen möglichst zurückhalten. Sodass man auch sieht, diejenigen, die vielleicht jünger sind und nicht besonders viel Angst vor Covid-19 haben, die werden nicht genötigt, sich über alle Maßen zu schützen.



Camillo Schumann



Wie könnte so ein normaler Alltag für den normalen Bürger in Selbstverantwortung aussehen?



Alexander Kekulé


Die Regelung wäre dann so, dass immer dann wenn es diese essenziellen Bereiche sind, muss man eine Maske tragen. Das ist die schlechte Nachricht für die Masken-Gegner. Es wäre so, dass wir immer, wenn wir in öffentlichen Bereichen sind, also Verkehrsmittel, Behörden, Kirche oder so, da ist Maskenpflicht. Das sind die wichtigsten Ausbrüche, wo man sich nicht dagegen wehren kann. Es wäre so, dass alle Veranstaltungen, die mehr als 2 0 Personen haben ... Ich habe 2 0 einfach mal so geschätzt, epidemiologisch gerechnet. Das ist eine vernünftige Zahl, kann man aber rauf oder runter setzen. Aber ab einer Schwelle von ungefähr 2 0 Personen wäre es so, dass folgendes gilt: Wenn man solche Veranstaltungen macht, muss der Veranstalter die Personen erstens registrieren. Also auf einen Zettel schreiben, wen er da eingeladen hat, am liebsten mit einer kleinen App, wenn es so etwas gäbe. Zweitens muss er sich entscheiden, ob er die Leute unmittelbar vorher testet oder PCR-Tests verlangt oder Schnelltests macht. Oder wenn er nicht testet oder nicht testen kann, muss er Masken verordnen den Leuten. Dann muss man bei der Veranstaltung Masken haben. In den meisten Fällen wird natürlich ein Antigen-Test das bessere Mittel sein. Das heißt ganz praktisch: Wenn ich ins Restaurant gehe und in einem Raum mehr als 2 0 Personen sitzen, dann muss ich einen Antigen-Test haben. Weil die Maske kann ich nicht aufsetzen. Und es wird registriert, dass ich da bin. Wenn der


Restaurantbesitzer sagt, da mache ich nur 19 pro Saal und mache sozusagen die Gruppengröße kleiner. Vielleicht auch, weil ich eine kleine Gaststätte habe. Dann fällt er in diesem Konzept komplett aus dem Radar raus. Dann kann er das machen, wie er will.


Und weil ich sage, wir konzentrieren uns bei den staatlichen Eingriffen, wo der Staat zu einer Art Wächteramt hat, eben auf den Bereich, wo Superspreading infrage kommt. Also diese Ansteckung ganz vieler Personen auf einmal. Das ist bei unter 2 0 Personen, vor allem, wenn es vielleicht nicht im geschlossenen Raum ist, keine Gefahr. Da können Sie einen anstecken oder zwei. Aber da verursachen Sie kein Superspreading.



Camillo Schumann



Setzt aber eine gewisses Maß an Neuinfektionen auch voraus. In der jetzigen Situation schwierig.



Alexander Kekulé


Ich habe das mal gerechnet mit täglichen Neuinfektionen unter 10.000. Jetzt, wo wir deutlich darüber sind, müssten wir erst mal reinbremsen in dem Bereich, Deshalb ist das ganz bewusst zum Beispiel ab Januar eine Möglichkeit. Dafür müsste auch die Strategie der Bundesregierung mal ganz offen gesagt werden. Dass die sagen: "Wir wollen die Schnelltests für jedermann und wir wollen die PCR-Kapazitäten hochfahren." Das müsste erst mal gesagt werden. Dann dauert es auch ein bisschen, bis das umgesetzt ist. Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass wir bei der Strategie, die ich da vorschlage, zurückgehen auf so eine persönliche Resilienz. Die Menschen sind als Schwarm quasi selber intelligent sind und entscheiden selber nach ihrem eigenen Risiko, was sie machen. Jemand, der ein besonderes Risiko hat, weil er alt ist oder weil er vielleicht stark übergewichtig ist und sagt, ich will mich jetzt besonders schützen. Da ist die Sterblichkeit ja hoch bei Covid-19. Der wird sich FFP2 -Masken zulegen und auf diesem Weg sich besonders schützen. Das Gleiche gilt natürlich für Altersheime. Jemand, der jünger ist, wird dazu nicht genötigt. Wenn jemand aber sagt: "Ich habe ein Risiko und habe trotzdem absolut keine Lust, eine FFP2 -Maske aufzusetzen, das ist mir zu unbequem. Ich will


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mit einem normalen Mund-Nasen-Schutz einkaufen gehen." Dann muss der Staat diese Leute auch teilhaben lassen und dort schützen. Deshalb ist die Idee, dass man die Bereiche, wo jeder hin muss, und wo man es auch als Staat ermöglichen muss, diese essenziellen Bereiche, da gibt es klare Vorschriften, sofern es im Innenbereich ist. Bei den anderen Bereichen gibt es dann sicherlich so eine marktwirtschaftliche Steuerung nach einer Weile. Wenn Sie jetzt eine Gaststätte haben ... Sagt einer wirklich: "Wir haben nur 19 Leute und wir machen alles ohne Kontrolle." Dann werden bestimmte Leute da nicht mehr hingehen. Ganz klar. Das wird so ähnlich sein wie eine Raucherkneipe. Da geht auch nicht jeder hin. Da werden die sagen: "Nö, da gibt es keine Kontrolle, da gibt es keine Testpflicht. Da gehe ich nicht hin." Ähnlich vielleicht auch bei Fitnessstudios. So wird sich das herausmendeln, dass die die Bereiche, wo der Bürger selbst entscheidet, wahrscheinlich so laufen werden, dass es Qualitätskriterium sein wird, wenn man guten Infektionsschutz hat. Und die Bereiche, wo es 2 0+ ist, da schreibt der Staat das dann richtig vor.



Camillo Schumann



Und wie sieht es mit der Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten aus? Spielt das eine Rolle in Ihrer Strategie?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ganz entscheidend. Wir müssen die Möglichkeit haben, viel schneller zu sein, als es bisher ist. Sie ahnen es, das ist das SmartKonzept in neuer Version. Da ist die schnelle Reaktionszeit der Nachverfolgung ganz wichtig. Die funktioniert jetzt auf der Basis, dass wenn sich 2 0+ treffen ... Der Veranstalter macht eine Liste oder nimmt so eine App, wie man die auch benutzt, um sich in Kneipen anzumelden. Da gibt es auch schon Registrierungspflicht und eine ganz simple App, wo man auf einen Knopf drückt, dann ist registriert, dass man da in der Gaststätte war. So was kann man natürlich auch privat nutzen. Und dadurch, dass es diese Liste gibt, würden dann die Teilnehmer, wenn sie hinterher positiv sind, die Gruppe warnen, in der sie waren vorher. Der große Vorteil ist, dass das letztlich eine private Warnung ist. Ja, ich war auf einer Hochzeit, da kenne ich doch


das Brautpaar und die Leute dort. Natürlich will ich die warnen. Ich war jetzt irgendwo als junger Mensch, vielleicht im Fitnessstudio. Da kenne ich auch die anderen, die sich da fit machen. Und natürlich habe ich Interesse daran, meine Freunde oder die anderen, die in einem Fitnessclub sind, zu warnen. Das Gleiche gilt für Sportvereine. Selbstverständlich wäre das gleiche Prinzip auch für Vorlesungen und so. Wo der Lehrer oder der Professor quasi zuständig wäre für diese Listen. Aber die Warnung funktioniert da auf der privaten Ebene, wenn Sie so wollen. Das heißt, es ist eine Warnung an Leute, die ich irgendwie indirekt kenne. Dadurch geht es viel schneller. Und ich glaube, das hat eine viel höhere Compliance. Da werden viel mehr Leute mitmachen, weil man zu diesen Leuten einen Bezug hat und das nicht so was Anonymes ist, als wenn das Gesundheitsamt anruft und irgendwelche Fragen stellen.


[0:54:56]



Camillo Schumann



Also eine Strategie mit einer hohen Eigenverantwortung. Und wenn Sie, liebe Hörer dieses Podcasts, Ihre persönliche Corona-Strategie entwickeln und dazu im neuen Buch von Professor Kekulé nachlesen wollen, dann schreiben Sie uns einfach. Fünf Exemplare gibt es für die Hörer dieses Podcasts. Schicken Sie uns einfach eine Mail mit dem Betreff "Buch" und Ihre Adresse an: mdraktuell-podcast@mdr.de


Die fünf schnellsten Hörer bekommen ein Exemplar. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Herr M. aus Frankenberg hat angerufen:


"Bei einer normalen Grippe, Influenza sterben jährlich bis zu 2 5.000 Menschen. Obwohl es da eine fast kostenlose Vierfach-Impfung gibt. Also ohne diesen Impfstoff wie bei Corona, würden weit über 30.000 Menschen bei der normalen Grippe sterben. Warum gibt es da nicht diese Panikmache und Hysterie wie bei Corona?"



Alexander Kekulé


Das ist eine der Gretchenfragen der ganzen Pandemie gewesen. Genau die Position hatte der Leiter des Robert Koch-Instituts am Anfang. Er hat gesagt: "Die normale Grippe ist


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schlimmer." Das Problem ist, man muss das im Verhältnis sehen. An der normalen Influenza infizieren sich sehr, sehr, sehr viele Menschen. Damals, als es diese über 2 5.000 Todesfälle gab, gab es nach meiner Erinnerung über 10 Millionen Infektionen. Im Verhältnis zur Zahl der Infektionen ist es so, dass die Grippe mindestens um den Faktor zehn weniger tödlich ist. Vor allem bei den älteren Menschen, es geht um die älteren Altersgruppen. Sodass wir definitiv sagen müssen, und das ist weltweit die Diskussion gewesen, dieses Covid-19 ist, wenn man das einfach laufen lässt, eine sehr, sehr tödliche Erkrankung. Wesentlich tödlicher als die normale Grippe.


[0:56:55]



Camillo Schumann



Herr H. hat geschrieben:


"Die Bundesregierung diskutiert über neue Restriktionen, unter anderem im privaten Bereich. Tagtäglich nehme ich wahr, wie Menschen mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit pendeln, Ingenieure auf Dienstreisen sind, Angestellte in vollen Büros sitzen oder Beamte in vollen Zügen durch die Republik fahren. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft eben. Deshalb meine Frage: Da wir 75 Prozent unserer Infektionen nicht nachverfolgen können, wäre es nicht denkbar, dass die Wirtschaft maßgeblich zum Infektionsgeschehen beiträgt? Und ist es nicht viel wirkungsvoller, die Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen? Viele Grüße."



Alexander Kekulé


Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Unternehmen muss man in die Pflicht nehmen. Da ist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Terra Incognita sozusagen. Weil wir nicht genau wissen, wie das in den verschiedenen Betrieben gehandhabt wird. Es gibt Betriebe, die ganz, ganz streng sind und wo Sie, wenn Sie reinkommen, sich die Hände desinfizieren. Dann müssen Sie Masken aufsetzen. Dann sind die Mitarbeiter kohortiert, dass man weiß, wenn man Ausbruch ist, wer mit wem Kontakt hatte. Da wird die Kantine im Schichtbetrieb belegt und Ähnliches. Da haben sich viele


Betriebe im öffentlichen Bereich und auch im privaten Bereich extrem viele Gedanken gemacht, auch viel Geld ausgegeben. Da glaube ich, geht es auch sicher zu. Und dann gibt es eben andere. Da sehen Sie drei Handwerker nebeneinander in irgendeinem Bus fahren oder irgendwelche Maler, die zu fünft im Raum stehen und die Wände streichen. Das habe ich kürzlich mal gesehen. Da hat natürlich keiner einen Mundschutz auf. Ich bin mir ganz sicher, dass sie nicht alle im gleichen Haushalt wohnen. Das heißt also, da könnte man in vielen Bereichen noch einiges nachschärfen. Ich glaube, da ist es vom Verordnungsgeber auch noch Luft drin, dass man das nachzieht. Im beruflichen Umfeld, wo der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, das zu kontrollieren, das ist eigentlich eine komfortable Situation, dass man dort sich wenigstens an die Regeln hält.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 2 . Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem HörerfragenSpezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann. Tschüss.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 17.11.2 02 0 #12 1: Weihnachtsferien eine Woche vorziehen



Camillo Schumann

, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag, 17. November 2 02 0. Ja, es bleibt erst einmal alles, wie es ist. Der Corona-Gipfel im Kanzleramt ohne Ergebnisse, dafür nur mit Empfehlungen. Entscheidung soll es erst nächste Woche geben.


Aber haben wir die Zeit? Wie könnte eine langfristige Lösung für die Schulen aussehen?


Dann: Was Standortdaten von Handys über die Akzeptanz der Maßnahmen und die Ausbreitung des Virus verraten.


Kurz nach der deutschen Firma Biontech hat das US-Unternehmen Moderna offenbar einen hochwirksamen Impfstoff entwickelt. Welcher ist besser?


Und: Wären Massentests wie in der Slowakei in Deutschland eine geeignete Maßnahme?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann, willkommen zurück.



Camillo Schumann



Wir werfen einen Blick auf die aktuellen Zahlen. Stand heute 14.419 Neuinfektionen laut RKI. Zum Vergleich: Vor einer Woche am Dienstag waren es 15.332 . Die 7-Tage-Inzidenz so um die 140. Aber wir wollen uns ja wieder bei 50 nähern. Herr Kekulé, 2 Wochen Lockdown light sind rum und ja, so kaum spürbare Veränderungen. Sie hatten vermutet, dass die Maßnahmen recht schnell zu sinkenden Zahlen führen werden. Tun sie aber offenbar nicht. Oder?



Alexander Kekulé


Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis der Maßnahmen. Ich hatte vermutet, dass der Effekt schnell zu sehen ist. Und das meine ich, ist jetzt das, was es ist. Mehr werden wir nicht herausquetschen können. Das ist manchmal ein Missverständnis. Man denkt, je länger man die gleichen Maßnahmen durchhält, desto stärker wird der Effekt. Davon ist eigentlich epidemiologisch kaum auszugehen. Da gibt es sicherlich irgendwelche Nachzügler. Aber letztlich ergreift man Maßnahmen. Die reduzieren die Infektionsquote, wenn man so will, pro Tag, pro Stunde, pro Woche. Mit dieser Reduktion hat man ein anderes Bild, etwa 14 Tage später. Und das ist das Bild, was wir jetzt haben mit diesen Maßnahmen. Das wird sich jetzt vielleicht noch geringfügig nach unten bewegen. Aber nicht groß verändern, wenn wir weiter nichts tun.


[0:02 :32 ]



Camillo Schumann



Also 1000, 2 000 weniger pro Woche im Vergleich zum Tag der Vorwoche ist dann okay?



Alexander Kekulé


Nein, das ist einfach der Effekt, der eingetreten ist. Wahrscheinlich wird es noch ein bisschen mehr werden, die nächsten Tage. Aber wie leider schon vermutet, ist dieser Lockdown light nicht besonders effektiv. Im Vergleich zu dem, was im Frühjahr passiert ist, kann man das jetzt nicht als Lockdown bezeichnen. Es ist


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ein zartes Treten auf die Bremse gewesen. Und das Ergebnis sieht man jetzt.


[0:03:04]



Camillo Schumann



Gestern Abend hat sich die Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder getroffen. Per Videokonferenz. Ziel war, so eine Bilanz der ersten 2 Wochen zu ziehen. Wegen der kaum sinkenden Infektionszahlen hatte das Kanzleramt weitere und auch wesentlich striktere Maßnahmen vorgelegt. Die Länder waren vehement dagegen. Es gab Streit, so war zu hören. Und so hörte sich das nach dem Treffen an:


Angela Merkel


"Darüber gab es durchaus auch ein bisschen unterschiedliche Vorstellungen. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass wir im Bereich der Kontakte heute schon Beschlüsse gefasst hätten, die dann auch rechtlich umgesetzt werden."


Manuela Schwesig


"Ich bin gegen eine Salamitaktik, sondern für ein Gesamtkonzept, das den Bürgerinnen und Bürgern, auch der Wirtschaft eine Perspektive für Dezember und Januar gibt."


[0:03:50]



Camillo Schumann



Die Kanzlerin hätte gern die Daumenschrauben jetzt schon angezogen. Die Länder in Form von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wollen noch eine Woche warten und erst am 2 5. November einen Plan für Dezember und Januar besprechen. Bis dahin vergehen dann wieder fast zehn Tage. Wie bewerten Sie das aus epidemiologischer Sicht? Noch mal zehn Tage, um den Menschen dann die bittere Pille zu verabreichen? Haben wir diese Zeit?



Alexander Kekulé


Die Epidemie verläuft eben exponentiell. Das ist ein altes Thema. Ich nehme an, dass die Bundeskanzlerin des vor Augen hat. Aus virologischer Sicht kann man nur ganz trocken sagen, das Virus wartet nicht auf die Politik. Das macht einfach weiter. Und das ist hier eine


politische Entscheidung gewesen. Ich habe von außen den Eindruck, dass im Moment die Politik das macht, was ja Wissenschaftler immer gefordert haben im Frühjahr. Dass wir gesagt haben: "Letztlich müsst ihr die Entscheidungen treffen. Wir können nur die Daten liefern."


Jetzt ist das Pendel so ein bisschen in die andere Richtung ausgeschlagen. Offensichtlich hält sich die Wissenschaft doch deutlich zurück bei konkreten Empfehlungen, auch bei der Interpretation der Daten. Und jetzt, wenn man einen Abend Nachrichten hört oder fernsieht, kriegt man zehn verschiedene Interpretationen der gleichen Daten durch verschiedene Politiker. Je nachdem, wie es ihnen am besten in den Kram passt. Das tut natürlich einem Naturwissenschaftler irgendwo weh. Und ich vermisse die Rolle des Robert Koch-Instituts. Das hätte genau die Aufgabe, die Pandemie zu erklären. Zu erklären, was jetzt los ist. Die Fragen zu beantworten, die wir uns hier letztlich stellen. Und damit dann eine relativ klare Ansage, zumindest von einer Faktenlage, an die Politik zu machen.


[0:05:33]



Camillo Schumann



Diese 2 Wochen, da wollte man Bilanz ziehen. Die Möglichkeiten: verschärfen, lockern oder gar nichts machen. Man hat sich jetzt für gar nichts machen entschieden. Wofür hätten Sie sich entschieden?



Alexander Kekulé


Auf jeden Fall für verschärfen. Das muss ich so sagen. Ich hoffe, ich werde nicht gesteinigt dafür. Aber wir müssen erstens sehen: Eine Woche Unterschied macht enorm viel.


Wenn wir im Frühjahr eine Woche früher den Lockdown gemacht hätten, hätte das weltweit wahrscheinlich Zehntausende von Toten verhindern können. So sind die Dimensionen. Und jetzt ist eine Woche auf jeden Fall einige Zehntausend Infektionen mehr oder weniger. Das andere ist, dass die Stimmungslage auch nicht besser wird in der Woche. Sondern wir haben weiterhin das Problem, dass wir nicht genau wissen, was wir mit den Schulen machen sollen. Wir haben weiterhin die Situation, dass die Gaststätten geschlossen sind. Obwohl es zumindest bei einem Teil der


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Gaststätten keine klare Evidenz dafür gibt. Und dann kommt ja ... Fast hätte ich gesagt, dann droht noch Weihnachten und Neujahr. Da haben wir auch kein Konzept.


Wenn ich mich wiederhole, muss ich mich entschuldigen. Aber wir brauchen ein kontinuierliches Konzept der Politik, was so eine Art Steady State, also etwas Dauerhaftes mit bewirkt, quasi eine Art Modus Vivendi, mit dem Virus. Und nicht auf und ab, und mal bremsen und dann wieder locker lassen, wie es politisch opportun ist.


[0:06:58]



Camillo Schumann



Da wären wir vertiefend auch noch darauf eingehen. In diesem und auch im kommenden Podcast. Es gab ja keine rechtsverbindlichen Beschlüsse, wie es die Kanzlerin gern gehabt hätte. Es gab Appelle, wie sich die Menschen ab sofort verhalten sollen.


Angela Merkel


"Auf private Feiern ist gänzlich zu verzichten. Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf einen festen, also immer den gleichen, weiteren Hausstand beschränkt werden. Und das schließt auch Kinder und Jugendliche in den Familien ein."


[0:07:2 9]



Camillo Schumann



Wie gesagt, das ist ein Appell, nicht rechtsverbindlich. Aber was meinen Sie? Nähert man sich mit diesem Appell nicht auch so langsam der Wurzel des Übels? Also diesen privaten Zusammenkünften in privaten Feiern?



Alexander Kekulé


Ja, sicher, der Appell geht in die richtige Richtung. Ich nehme an, dass die Bundeskanzlerin das eher in Gesetz gießen wollte, und es eben dann als Appell losgeworden ist. Daran können die Ministerpräsidenten sie nicht hindern. Das mit den privaten Feiern und einem weiteren Haushalt ist ein Modell aus Kanada. Das heißt dort Double Bubble, Doppel-Blase. Auf der Atlantikseite Kanadas hat man sich für dieses Modell entschieden. Das funktioniert dort eigentlich ganz gut, zumindest in ländlichen


Regionen. Trotzdem ist es so, dass es enorme Probleme macht. Das haben die dort schon länger. Stellen Sie sich eine Familie vor mit 2 Kindern. Die sind dann typischerweise in unterschiedlichen Schulklassen, wenn es nicht Zwillinge sind. Die haben unterschiedliche Freunde. Jetzt ist die Frage, wessen Kindes Freundeskreis könnte jetzt in die Double Bubble rein? Oder eher die Freunde von Papa oder die von der Mama? Und so weiter.


Das ist echt schwierig, einen weiteren Haushalt für alle zusammen auszuwählen und deshalb eine sehr theoretische Idee. Rein epidemiologisch nimmt man jemand anders quasi in seine Risikogemeinschaft mit auf. Man sagt okay, wir teilen uns jetzt das Risiko. Wenn einer von uns was falsch macht, dann schlägt es unter Umständen auf alle durch. Ich glaube, das ist theoretisch und praktisch nicht so richtig umsetzbar bei uns.


[0:09:08]



Camillo Schumann



Hat wahrscheinlich auch den Charakter, dass sich jeder jetzt ein bisschen am Riemen reißen soll und dreimal überlegen, mit wem man sich trifft oder nicht. Sozusagen an das Gewissen der Menschen wird da ein bisschen appelliert?



Alexander Kekulé


Die Treffen sind eins. Und ich glaube, die Politik hat noch viele andere Dinge, die sie im Grunde genommen ... Wenn man das ein bisschen systematisch aufdröselt, die Politik müsste kurzfristig und langfristig was tun. Kurzfristig bin ich der Meinung, dass man in Sachen Schulen was tun müsste. Aber auf jeden Fall hätte man bei der Maskenpflicht noch einmal ganz konkret ein paar Hinweise geben können. Wenn man heutzutage in verschiedenen Städten Deutschlands Taxi fährt, dann hat mal der Taxifahrer eine Maske auf, mal nicht. Mal muss der Gast eine aufhaben, mal nicht. Wenn Sie in Geschäften sind, beim Einkaufen, haben manchmal alle Verkäufer Masken auf dem Gesicht haben. Und in anderen Geschäften ist es so, dass die hinter einer Plexiglasscheibe stehen und sich da offensichtlich sicher fühlen. Obwohl der Raum klein genug ist, um Aerosole zu generieren. Ich glaube, da gibt es noch ganz viel, was man


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machen kann. Bis hin zu der Frage, was ist eigentlich mit diesen Zustellern, die diese Unmengen von Päckchen bringen? Vor Weihnachten werden es wohl noch mehr sein. Die laufen erfahrungsgemäß ohne Maske in den Hausgängen rum. Wenn einer mal infiziert wäre, sind das prädestinierte Superspreader. Da hätte man ganz viel machen können, wo ich glaube, dass die Ministerpräsidenten eigentlich keine Bauchschmerzen dabei gehabt hätten. Um so ein bisschen zumindest nachzuschärfen.


[0:10:32 ]



Camillo Schumann



Keine Bauchschmerzen haben die Ministerpräsidenten auch, wenn der Bund das Portemonnaie aufmacht und das will er aufmachen. Der Bund will nämlich das besonders gefährdete Menschen wie Alte, Kranke oder Personen mit Vorerkrankungen von Dezember an vergünstigte FFP2 -Masken erhalten. Der Bund will auf seine Kosten für diese Bevölkerungsgruppe die Abgabe von je 15 dieser Masken gegen eine geringe Eigenbeteiligung ermöglichen. Das ergebe dann rechnerisch eine Maske pro Winterwoche. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Oder?



Alexander Kekulé


Kommt mir sogar bekannt vor. Ich weiß nicht genau, wo ich das schon mal gehört habe. Das ist auf jeden Fall eine gute Idee. Es ist ganz dringend notwendig, den Risikogruppen in dieser jetzigen Situation die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu schützen. Letztlich muss man es ganz brutal sagen: Der Staat hat beim Schutz der Bevölkerung nicht optimal agiert. Jetzt zum zweiten Mal. Das war im Frühjahr schon mal so. Jetzt ist es leider zum zweiten Mal so. Und deshalb muss sich jeder selber helfen. Dass der Staat dann zumindest denen, die privat wohnen und Risikopersonen sind, diese Möglichkeit an die Hand gibt, sich über FFP2 -Masken endlich zu schützen, das ist sinnvoll.


Noch besser wäre es, wenn man gesagt hätte: "Und wir werden den zweiten KekuléVorschlag auch umsetzen. Nämlich Antigentests in den Apotheken ab sofort für einen Euro abgeben." Dann hätten wir sozusagen zumindest der Bevölkerung das Instrumentarium an die Hand gegeben, sich


selbst zu schützen. Es sind noch viele To-dos. Über den Schutz der Altenheime, Menschen in Altenheimen, die das nicht selber bestimmen können, möchte ich jetzt nicht sprechen. Aber auch das Thema Ausbau der PCR-Kapazitäten. Wir überlassen das den Laboren auf wirtschaftlicher Basis zu entscheiden, wie viel Per-sonal sie einstellen. Und für wie viele Monate sie Reagenzien vorhalten für PCR-Tests. Das ist im Grunde genommen der limitierende Faktor, den wir haben bei diesen Labortestungen. Natürlich haben alle Labore in Krankenhäusern und auch privat wirtschaftliche Zwänge. Aber da hätte eine dirigistische Einstellung des Staates, verbunden mit finanziellen Hilfen einiges bewirken können, dass man die Kapazitäten hochgefahren hätte.


[0:12 :53]



Camillo Schumann



Weil das Stichwort Antigen-Schnelltests fiel: Es gibt ja die veränderte Teststrategie, im Oktober beschlossen, dass diese AntigenSchnelltests jetzt auch verstärkt vor allem in den Pflegeund Altenheimen eingesetzt werden. Beziehungsweise da gibt es jetzt so ein gewisses Umdenken. Zum einen die Masken und zum anderen die AntigenSchnelltests. Was lange währt, wird gut. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, aber die Frage ist, ob es rechtzeitig war. Wir haben eben diese Zeitachse. Es nützt nichts, wenn sich ein Minister hinstellt und sagt: "Ich habe es mir jetzt anders überlegt und habe meine Meinung 180 Grad geändert bezüglich der Antigen-Schnelltests. Jetzt sind sie gut, und jetzt will ich sie in Altenheimen einsetzen, solange dort noch keine Konzepte dafür bestehen."


Man muss auch sagen, im Altenheim, ja, für die Besucher ist das eine tolle Sache. Aber es ist so: Ein Antigen-Schnelltest hat den Vorteil, dass man ihn sehr schnell und selbst machen könnte. Rein theoretisch. Dazu müsste er abgegeben werden in der Apotheke. Aber er hat natürlich den Nachteil, dass er manchmal falsch negativ ist. Also dass er manche Personen, die im Prinzip das Virus in sich tragen, übersieht. Das ist in der Epidemiologie nicht so schlimm, weil ich bin dann trotzdem höchstwahrscheinlich an dem Tag nicht ansteckend. Da gibt es diverse Studien schon drüber. Eine ist kürzlich von Christian Drosten in Berlin gemacht worden. Die zeigen, wenn diese Schnelltests negativ sind, und jemand aber trotzdem positiv ist, was ja ein klassischer Fehler ist, der dort stattfindet. Dann heißt das, dass er wahrscheinlich in den allermeisten Fällen nicht infektiös zu dem Zeitpunkt ist. Das ist also ausreichend für die Frage, die wir haben: Sind wir gerade sicher oder nicht, wenn wir die Oma besuchen oder ins Altersheim gehen als Besucher?


Es kann aber bei dieser Viruskonzentration im Rachen so sein, dass die innerhalb von zwölf Stunden, 2 4 Stunden plötzlich über die Positivschwelle hinwegschießt. Wenn so ein Virus anfängt sich zu replizieren, dann geht das ruckzuck, dass auch hohe Konzentrationen entstehen. Das heißt, wenn jemand nach dem Antigen-Schnelltest 2 Tage wartet, kann er eigentlich ohne weiteres plötzlich positiv sein. Auch wenn er vorher negativ war. Sodass ich ein bisschen skeptisch bin, das Personal damit zu überprüfen. Das können Sie machen, wenn Sie als Besucher machen, am gleichen Tag oder am Abend vorher. Aber als Personal, das einmal oder zweimal die Woche. Da würde ich mir eher, wenn es von der Kapazität her irgendwie reicht, die PCR wünschen.


Man muss auch sagen, wenn der Groschen spät gefallen ist, besser spät als gar nicht. Dann ist jetzt die Chance für die Politik, diese Erkenntnis auch ratzfatz umzusetzen und zu sagen: "Jawohl, wir haben verstanden, dass der sinnvoll und wichtig ist." In Frankreich gibt es die Antigen-Schnelltests in den Apotheken für jedermann. Da kann man sich auf den Weg zur Arbeit mal schnell testen lassen. Also wollen wir doch dem französischen Nachbarn jetzt nicht nachstehen in Effizienz der Entscheidungsstrukturen. Und jetzt machen wir das hier auch. Nachdem man es verstanden hat, könnte man es jetzt auf den Weg bringen und zeigen, dass die Politik bei uns, wenn sie etwas verstanden hat, auch schnell ist.


[0:16:04]



Camillo Schumann



Genau. Noch einmal kurz auf den Punkt der einschränkenden Kontakte. Zur Senkung der Gefahr sollen Kinder und Jugendliche auch


angehalten werden, sich nur noch mit einem festen Freund in der Freizeit zu treffen. Die Bubble. Wie sinnvoll ist das eigentlich, wenn man sich in der Schule sowieso mit viel, viel mehr Freunden trifft? Das schließlich sich doch dann völlig aus?



Alexander Kekulé


Das mit der Schule ist einfach heikel. Ich unterscheide da inzwischen nach Grundschule, Kita auf der einen Seite. Und der Sekundarstufe. Ich gehe davon aus, dass wir in allen Stufen im Prinzip vom Alter her gleiche Empfänglichkeit für das Virus haben. In einen Fall sieht man es nicht. Im anderen Fall sieht man es unter Umständen, dass es zu einer Infektion gekommen ist. Es ist aber möglich, dass jüngere Kinder, obwohl sie genauso im Prinzip empfänglich sind, mit diesem Virus sehr, sehr schnell fertig werden. Das heißt, sie haben vielleicht eine Teilimmunität dadurch, dass sie ständig andere Coronavirus-Infektionen haben in dem Alter. Vielleicht auch andere Virusinfektionen. Dadurch ist das Immunsystem so ein bisschen vorstimuliert. Oder man hat eine Situation, dass bei Kindern auch diese sogenannte angeborene Immunantwort, eine höhere Grundaktivität hat. Vielleicht ist das der Grund. Wir wissen nicht, warum. Am Verhalten liegt sicher nicht bei den ganz Kleinen. Aber aus irgendwelchen Gründen beobachten wir keine gehäuften Infektionen in diesem geringen Alter. Deshalb wäre ich dafür, zu sagen, bei Grundschülern schauen wir uns das sehr, sehr streng an, mit einem ganz genauen Blick darauf. Auch wissenschaftlich begleitet. Wir schauen, was passiert und lassen das jetzt aber mal so laufen, wie es ist.. Dann haben wir die Sekundarstufe, also die etwas Älteren. Ich sage mal ab zehn, zwölf Jahre. Da ist es völlig klar, dass die genauso ansteckend sind wie Erwachsene und vor allem ein echter Motor der Infektionen sind. Das haben wir im Ausland in diversen Studien gezeigt. Und auch in Deutschland gab es zum Beispiel an Gymnasien richtige Ausbrüche. Da gibt es 2 verschiedene Situationen. Das eine ist: in der Schule zusammensitzen. Da glaube ich, dass je nachdem, wie die Schüler so drauf sind und wie gut die Lehrer das vermitteln können, dass man schon in einer Klasse zusammensitzen


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kann, relativ nah zusammen. Wenn alle Mundschutz auf haben, die meisten Infektionen verhindert werden. Im Einzelfall wird mal der Nachbar was abkriegen, aber es wird kein Superspreading-Ereignis zustande kommen. Mein Problem bei diesen Sekundarschülern ist eher: Was machen die, wenn die Schule zu Ende ist? Die werden nicht mehr von den Eltern gebracht in dem Alter. Dann haben die natürlich ein Sozialleben nach der Schule. Vor der Schule wahrscheinlich nicht, wenn es so früh anfängt. Aber nach der Schule haben die auch ein Sozialleben. Die Studie in den USA, die Ausbrüche in USA haben das sehr deutlich dort gezeigt, dass dieses soziale Leben am Rande der Schule das Hauptproblem ist, wo es zu den Übertragungen kommt. Das ist für mich ehrlich gesagt ein Argument, die Sekundarstufen zumindest erst mal zu halbieren, wie es vorgeschlagen wurde. Die Hälfte in den Heimunterricht und dann unter Umständen auch frühzeitig vor Weihnachten zuzumachen. Also wirklich diese Sekundarstufen zu schließen, um Weihnachten zu schützen.


[0:19:2 5]



Camillo Schumann



Aber die Kultusminister und Kultusministerinnen der Länder wollen unbedingt am Präsenzunterricht festhalten. Also geteilte Lerngruppen, wie Sie es eben beschrieben haben, die eine Gruppe in der Schule, die andere daheim am iPad, die soll es nicht geben. Hier die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Yvonne Gebauer:


Yvonne Gebauer


"Noch nie waren sich alle Kultusministerinnen und Kultusminister so einig, dass kein flächendeckendes Wechselmodell eingeführt werden darf."



Camillo Schumann



Und NRW-Familienminister Joachim Stamp hat im "heute-journal" mit Claus Kleber das folgendermaßen begründet:


Joachim Stamp


"Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht funktionieren, dass eine einzelne Schule


solche Entscheidung in Absprache mit dem Schulträger dann auch treffen kann. Aber das kann eben nicht flächendeckend sein. Es geht uns um die Bildungschancen derjenigen, die dann nicht zu Hause die Unterstützung haben, wenn sie da alleine vor dem Gerät sitzen. Dann kommen gerade diejenigen, die vielleicht nicht aus bildungsbürgerlichen Familien kommen, die vielleicht nicht aus der Familie Kleber oder der Familie Stamp sind, die, wo die Eltern vielleicht durch die Berufstätigkeit nicht unterstützen können. Die kommen dann unter die Räder."


[0:2 0:40]



Camillo Schumann



Auch ein gutes Argument. Die Klassenteilung wird aus politischer Sicht vermutlich so gar nicht kommen. Obwohl sie vielleicht sinnvoll wäre.



Alexander Kekulé


Beide betonen das "flächendeckend". An einigen Schulen ist es leichter möglich, sowohl von einer digitalen elektronischen Ausstattung her als auch vom elterlichen Umfeld. Und in anderen Schulen, die eher an Brennpunkten sind, kann es diese verheerenden Folgen haben, die der Herr Stamp gerade geschildert hat. Es gibt inzwischen viele Studien, die zeigen, dass selbst wenn man nur einige Wochen die Kinder aus der Schule nimmt, man einen Rückfall in verschiedenen Bereichen bis hin zur sozialen Dingen bekommt. Bei Jüngeren ist der Effekt deutlich, aber auch bei Älteren. Also Schule ist ganz wichtig für die Kinder. Aber es wäre natürlich in einem Staat eine offene Tür, die man da lassen würde, wenn man die Schulen einfach weiterlaufen lässt um jeden Preis. Und trotzdem wissend, dass dort Infektionen stattfinden. Das heißt, man kann die Schulen nur dann weiterlaufen lassen, wenn man ein Konzept hat. Es gibt durchaus Möglichkeiten, Infektionen zu verhindern. Mein Lieblingsthema dazu ist, die Schüler regelmäßig zu testen und Masken zu haben. Dann wäre man einen deutlichen Schritt weiter. Die zweite Variante, die man hat, ist, dass man sagt, die Kinder dürfen in die Schule. Aber man muss dann verhindern, dass die außerschulische Kontakte mit ihren Klassenkameraden haben. Ich weiß, dass ist gar nicht so einfach bei einem 16-Jährigen. Wenn


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man so was hinkriegt, dann ist es im Grunde genommen auch eine Art von Quarantäne. Wir haben ähnliche Sonderlösungen zum Beispiel für Menschen, die im Krankenhaus arbeiten. Da ist ja zum Teil für Pflegepersonal sogar vorgesehen, dass die, wenn sie Covid-19 positiv sind, also infiziert sind, oder wenn sie in Quarantäne sind, unter bestimmten Umständen im Krankenhaus weiter arbeiten dürfen. Wenn das dort dringend notwendig ist. So eine dringende Notwendigkeit höre ich da raus bei den Lehrern und bei den Kultusministern. Das heißt, man müsste sich so ein Spezialkonzept überlegen. Dass man diese außerschulischen Kontakte, wo die Schüler nicht mehr unter Kontrolle sind, auf ein absolutes Minimum reduziert.


[0:2 2 :59]



Camillo Schumann



Eine Verschärfung der Maskenpflicht wurde auch diskutiert, aber von den Ländern abgeschmettert. Eine Woche haben die Länder jetzt Zeit, sich eine eigene Strategie zu überlegen, wie es an den Schulen weitergehen soll. Für Dezember, für Januar. Was wären denn so Ihre Hinweise, Ihre Strategie?



Alexander Kekulé


Ich sehe noch nicht genug Belege an den Grundschulen, wirklich die Maskenpflicht überall einzuführen. Es ist schade, dass wir noch nicht genug Daten haben, aber die haben wir einfach noch nicht. Meines Wissens ist es so, dass in Bayern die Grundschulen Maskenpflicht haben seit neuerdings. Es sind nicht alle Länder, die das abgeschmettert haben. Sondern andere Länder, die es nicht haben wollten. Ich glaube, dass es das Beste wäre in der jetzigen Situation, dass man ab der Sekundarstufe diesen halbzeitigen Unterricht ab sofort macht. Besser als nichts. Das ist nicht mehr lang bis Weihnachten. Das heißt, dann ging es quasi um paar Wochen, in denen also alternierend unterrichtet wird. Ich weiß, dass das technisch schwierig ist. Vor allem, wenn die EDV-Ausstattung nicht so ist, dass man in der Schulklasse direkt eine Videokamera aufstellen kann. Weil sonst muss der Lehrer über eine Zoom-Konferenz oder so zweimal unterrichten. Und da schätze ich mal, ist schnell das Lehrpersonal alle.


Das Zweite, was ich dringend vorschlagen würde, im Hinblick auf Weihnachten, sich etwas zu überlegen wie eine Quarantäne vor der Weihnachtszeit. Ich würde die Schulen eine Woche vor Weihnachten einfach insgesamt zumachen. Am 17.12 . Schule zu. Mit dem Hintergedanken, dass wir eher Schüler daran hindern, in die Schule zu gehen. Das wird wohl gleich funktionieren. Als die deutsche Wohnbevölkerung daran zu hindern, Weihnachten und Silvester zu feiern. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, da mit irgendwelchen Appellen selbst von der Bundeskanzlerin die Menschen daran zu hindern, sich zu treffen. Deshalb hätte ich gerne als strategisches Ziel, taktisches Ziel hier kurz vor Weihnachten eine möglichst niedrige Durchseuchung, einen möglichst niedrigen Infektionsdruck in der Bevölkerung. Damit dann über die Feiertage nicht zu viel passiert.


[0:2 5:05]



Camillo Schumann



Das Vorziehen der Weihnachtsferien wird ganz offen diskutiert in NRW, in Niedersachsen zum Beispiel. Also vom 2 3. auf den 19. Dezember. Das sind ja nur ein paar Tage. Würde das schon reichen?



Alexander Kekulé


Eine Woche wäre optimal. Das war der ursprüngliche Vorschlag, den ich gemacht habe. Wenn das politisch verkürzt wird, dann soll es eben so sein. Das ist das Wesen der Politik, dass man viele Interessen berücksichtigen muss und auch nicht nur so infektiologisch denken darf.


Eine Woche. Warum das? Naja, wegen der Inkubationszeit von typischerweise fünf plus, minus 2 Tage. Das heißt, nach einer Woche würde man die meisten Infektionen irgendwie bemerken, sofern es keine asymptomatischen sind. Mir wäre auch ganz wichtig zu sagen in der jetzigen Lage, wo wir letztlich von der Politik noch einmal zehn Tage im virologischen Regen stehen gelassen werden, dass jeder selber überlegen muss: Wie kann ich mich davor schützen?


Da ist das Wichtigste, darauf zu achten. Wenn man selber irgendwie Symptome hat, die Richtung Erkältung gehen, dann müssen wir uns selbst gegenüber und auch unsere Umwelt


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gegenüber so eine Art Null-Toleranz-Politik angewöhnen. Kinder mit Erkältung in die Kita oder in die Schule. Das geht in der jetzigen Lage nicht.


Mit Tests hätte man das machen können. Aber solange die Tests nicht da sind, geht es nicht. Das heißt, wer hustet oder schnupft oder sich schlecht fühlt oder wenn es nur Kopfschmerzen, so ein Kratzen im Hals ist, dann muss man mal einen Tag zuhause bleiben und erst mal gucken, wie sich das entwickelt. Wenn das alle machen würden, hätten wir schon einen ganz großen Teil der Infektionen abgefangen. Es ist nicht so, dass fast alle Infektionen durch asymptomatische zustande kommen. Sondern die typische Infektion geht aus von Menschen, die Symptome haben. Und die asymptomatischen sind mit Sicherheit eine Minderheit. Wenn jetzt jeder selber auf seine Symptome sensibel achtet, hätten wir ganz viel gewonnen.


Die FFP2 -Masken wurden schon genannt für die Risikopersonen. Man kann auch selber überlegen, wenn es nicht vorgeschrieben ist, kann man trotzdem im Taxi oder im Treppenhaus eine Maske anziehen. Oder auch mal den Kurier darauf hinweisen, dass er eine tragen sollte. Bei Familienfeiern gilt eben so eine Art freiwillige Quarantäne. Dass Familienmitglieder, die unmittelbar vorher in der Schule waren als 15-, 16-Jährige oder die berufliche Kontakte mit anderen hatten, die müssen an dem Tag, zu Hause bleiben oder irgendwie Abstand halten. Wenn es nicht gerade Weihnachten ist. Ich weiß es nicht, je nachdem, wie lange der Tisch bei der Familienfeier ist. Ich glaube schon, dass man da im privaten Bereich sehr viel machen kann. Wenn man sich Mühe gibt, um Infektionen zu verhindern.


[0:2 7:51]



Camillo Schumann



Am Ende wird eine Langfriststrategie für alle Bereiche des Lebens gesucht. MecklenburgVorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat es ja schon gesagt. Und mit einer Langfriststrategie haben Sie sich auch in Ihrem neuen Buch beschäftigt.



Alexander Kekulé


Ja, ich habe die Sommerpause leider nicht zum


Urlaub genutzt. Es ging nicht. Sondern stattdessen ein Buch geschrieben. Zum Thema Langfriststrategie habe ich vor vielen, vielen Jahren mal einen Vortrag gehalten, wie man sich sozusagen gegen Pandemien wert. Da habe ich das 3-C-Konzept aufgeschrieben. Das nicht so ganz genial. Command, Control und Concept. "Command and Control" ist aus dem militärischen Bereich. Dass das, was man anordnet, umgesetzt wird. Da fehlt beides bei uns in der Politik. Und das Dritte ist, dass man ein gutes Konzept braucht, was funktioniert. Das ist nicht militärisch, sondern mehr so epidemiologisch. Und so ein Konzept, wie man langfristig einen Modus Vivendi mit diesem Virus hinkriegt, habe ich versucht, mir zu überlegen und als Diskussionsvorschlag aufgeschrieben. Nächste Woche kommt es als Buch aus. Aber da werden wir vielleicht noch mal drüber sprechen.


[0:2 8:56]



Camillo Schumann



Genau. Wie so eine Langfriststrategie aussehen könnte, darüber sprechen wir dann am Donnerstag hier im Podcast. Aber mal ehrlich: Auch die beste Strategie, die wird nichts bringen, wenn die Menschen nicht mitmachen. Das viel zitierte Compliance ist wichtig.



Alexander Kekulé


Was ich vorgeschlagen habe oder aufgeschrieben habe, das ist ja nur eine Diskussionsgrundlage als erster Wurf. Das geht davon aus, dass das Wichtigste ist, dass wir die Menschen selber mitnehmen. Es gibt Soziologen, die sagen, staatlich angeordneten Maßnahmen funktionieren immer nur über einen begrenzten Zeitraum. Das ist dieser HalloWach-Effekt. Wenn Sie sagen "Halt, nicht weiter!", dann bleibt jeder reflexartig stehen, ohne nachzudenken. Aber wenn er dann sieht, da ist gar kein Abgrund und ich weiß nicht, wovor ich gewarnt wurde, dann geht er eben weiter. Da müssen Sie dann erklären, warum Sie "Halt" gerufen haben und warum das dringend notwendig war. Und so einen Effekt sehen wir zurzeit. Dass die Menschen selber von der Compliance her, vom Mitmacheffekt her nachlassen. Das ist übrigens nicht in allen Bevölkerungsgruppen gleich, weil sich das nicht jeder gleich leisten kann. Aber


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das Konzept, was ich da aufgeschrieben habe, das geht sehr stark von der Mitbestimmung aus. Wenn man so will es das auch die Schwachstelle des Konzepts. Wenn die Leute nicht mitmachen, wird es bei keinem antiepidemischen Konzept funktionieren. Egal, ob Sie das anordnen, ob Sie das als Bundeskanzlerin empfehlen. Die Menschen müssen es entweder wirklich verstehen und deshalb machen. Das ist so mein Ansatz. Oder man muss es machen wie in China: totalitär. Aber das funktioniert bei uns in unserem Staat zum Glück nicht.


[0:30:35]



Camillo Schumann



Hallo-wach-Effekt, das ist das Stichwort, um auf die Akzeptanz der Maßnahmen zu schauen und wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt. Auch die Frage mal zu klären, warum die Zahlen eigentlich nicht so spürbar sinken, wie man es vielleicht erwartet hätte. Das lässt sich vielleicht auch mit dem Mobilitätsverhalten der Menschen erklären. Dazu werden regelmäßig Standortdaten der Handys ausgewertet. Zum Beispiel hat die Projektgruppe "Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten" am RKI in Zusammenarbeit mit dem Institut für Theoretische Biologie an der Humboldt-Uni einen Mobility Monitor entwickelt. Da kann man sehr genau sehen, wie sich das Mobilitätsverhalten der Menschen seit dem 11. März entwickelt hat. Also kurz vor dem ersten Lockdown bis zum heutigen Tag. Das ist wirklich extrem spannend. Denn schon Tage vor dem ersten Lockdown am 2 2 . März gab es über 2 0 Prozent weniger Reisen. Die Menschen haben sich also schon mal selber eingeschränkt, weil sie möglicherweise auch Angst hatten vor dem, was da noch kommt. Am Tag des Lockdowns waren es 44 Prozent weniger reisen und in den Tagen danach bis zu 60 Prozent. Zum Vergleich am Wochenende jetzt vor dem zweiten Lockdown light gab es in Deutschland sogar acht Prozent mehr Reisen. Am Lockdown-Tag selbst, am 2 . November, nur fünf Prozent weniger. Jetzt ist das keine abschließende Erklärung, Herr Kekulé. Es könnte aber ein Indiz für die sinkende Bereitschaft der Bevölkerung sein, sich einzuschränken. Oder?



Alexander Kekulé


Ich glaube, ja. Also so wie Sie das gesagt haben, kann man es durchaus interpretieren. Es ist eben ein Lockdown light. Viele Dinge, die im Frühjahr untersagt waren, sind jetzt weiterhin möglich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Reiseaktivität nicht so stark abgenommen hat. Aber ja, vor allem dieser vorauseilende Gehorsam, den wir im Frühjahr gesehen haben ... Wir haben vor einiger Zeit mit der Viola Priesemann gesprochen. Die hat uns das statistisch sehr sauber aufgezeigt, dass tatsächlich sogar dieses R, dieser Gesamtindex der Infektionstätigkeit in Deutschland, deutlich unter eins gesunken ist, noch bevor die Maßnahmen ergriffen wurden im Frühjahr. Das wird jetzt nicht mehr so sein. Wir haben eher das Problem einer großen Dunkelziffer durch Fälle, die gar nicht mehr registriert werden. Weil die Leute nicht mehr zum Arzt oder zum Testen gehen und auch einer schlechteren Compliance. Das ist ganz klar im Herbst der Fall. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass man auch hier kritisch prüfen muss: Was bringt eigentlich das Verbot von Reisen? Innerhalb Deutschlands sind wir schon länger in der Situation, dass wir kommunizierende Gefäße haben. Dass man also nicht mehr sagen kann, jemand, der von Bayern nach Hamburg oder Berlin reist, bringt das Virus mit und schleppt das Virus ein oder Ähnliches. So wie Columbus die Masern irgendwo eingeschleppt hat, sondern das Virus ist überall da. Und es hängt hauptsächlich vom Verhalten der lokalen Bevölkerung ab, ob sich es dort ausbreitet oder nicht. Das spricht also nicht gegen reisen. Zweitens ist es so, dass eigentlich, auch nach Statements der Regierung, das Reisen im Zug angeblich sicher sein soll. Gleiches gilt auch im Flugzeug. Obwohl sich da die Leute nicht so trauen, es so ganz laut zu sagen. Ich meine, wenn man eine FFP2 -Maske aufhat, und die konsequent, die ganze Zeit im Gesicht lässt und vielleicht nur mal ganz kurz absetzt zum Wasser trinken, wenn keiner in der Nähe ist, dann ist man in der Tat in Bus und Bahn und auch im Flugzeug sicher. Aber wer macht das schon? Muss man sehr diszipliniert sein, auch über viele Stunden hinweg. Aber insgesamt meine ich, das Reisen als solches, wenn man es richtig macht, wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Schutz-


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maske aufhat und alle anderen natürlich auch ... Wenn man besonders gefährdet ist, eine FFP2 -Maske aufhat. Viele fahren ja auch mal mit dem Auto oder mit dem Fahrrad irgendwohin. Das gibt ja auch alles Mobilitätsdaten in diesen Handy-Tracking-Modellen. Dann glaube ich, dass das Reisen selber nicht das Problem ist. Das Problem ist die Zahl der ungeschützten Kontakte. Das können wir selber bestimmen, wenn wir irgendwo hinfahren, um einzukaufen zum Beispiel. Wie wir uns dort verhalten, ob wir die Maske aufhaben, ja oder nein. Das ist in diesen Mobilitätsdaten nicht erfasst.


[0:34:50]



Camillo Schumann



Genau. Und man müsste mal herausfinden, wo genau sich die Menschen aufhalten. Genau das wurde er an einer Studie in den USA getan, mit Stichwort Superspreading-Ereignisse. Um sozusagen Rückschlüsse zu ziehen, wo passiert das eigentlich? Das ist auch ganz spannend.



Alexander Kekulé


Ja, die ist super. Das ist eine Studie, die es in "Nature" gerade erschienen. Also so dem besten Magazin, was wir haben in den Wissenschaften. Von der Universität Stanford, den Informatikern dort und ganz vielen anderen in den USA, die zusammengearbeitet haben. Das ist so eine Studie, so was lieben Epidemiologen. Die haben von den zehn größten Städten in den USA, Metropolitan Areas, im Zeitraum 01.03. bis 02 .05. die Handydaten untersucht. Die werden dort genauso wie bei uns anonymisiert gespeichert. Es gibt Firmen, die diese Daten dann auswerten. Das ist deshalb ein interessanter Zeitraum, weil da war ein Teil am Anfang keinen Lockdown. Und dann war zwischendurch in den USA, in diesen Städten eben Lockdown. Die haben letztlich Bewegungen nur zwischen 2 verschiedenen Punkten analysiert. Sie haben einerseits so Häuserblocks genommen, die bei der Volkszählung eine Rolle spielen. Die heißen in den USA "Census Block"-Gruppen und diese Census Blocks, das sind immer so zwischen 603.000 Menschen, die da in seinem Bereich leben. Die werden bei der Volkszählung, beim Zensus in den USA zusammengefasst. Zwischen solchen Häuserblocks, wo man natürlich auch das


Einkommen zum Beispiel kennt und ähnliche Dinge ... Und dann haben sie auf der anderen Seite als zweite Station "Points of Interest", also wichtige Punkte genommen. Da haben sie Restaurants, Fitnessstudios, Theater, was es alles gibt, genommen und einfach nur analysiert, wie oft fahren die Menschen pro Stunde hin und her. Die haben also 57.000 solche Häuserblocks letztlich genommen, 353.000 Points of Interest in diesen Städten ausgewertet und das auf Stundenbasis. Sie hatten dann insgesamt 98 Millionen Menschen ausgewertet mit 5,4 Milliarden Bewegungen.



Camillo Schumann



(lacht) Da tropft der Zahn des Epidemiologen.



Alexander Kekulé


Das ist ein Spaß für Leute, die ein Großrechner haben. Dann haben die über jeden von diesen Häuserblocks, wo die Leute wohnen, auch noch dieses SEIR-Modell gelegt. Darüber haben wir auch schon ein paarmal gesprochen. S für "susceptible", also empfängliche Personen. E für "exposed", also die, die möglicherweise ein Virus abkriegen könnten. I sind die "infected", also die, die infiziert sind. Und R sind die, die "recovered", also wieder gesund sind.


Mit diesem Vier-Töpfe-Modell, angewendet auf jeden der Häuserblocks, kann man dann sehr, sehr gut simulieren, wer infiziert sich wie. Und das Interessante ist, die haben das Modell entwickelt und haben es auf alle zehn Areas, also Chicago, paar andere große Städte drübergelegt. Das passt überall wie die Faust aufs Auge zu den tatsächlichen Entwicklungen der Infektionen. Die haben also mit ihrem Modell die wirklichen Infektionen vorhergesagt. Das ist immer ein Zeichen, dass das Modell einfach super ist.



Camillo Schumann



Das Entscheidende ist ja, was ist dabei herausgekommen? Also was kann man möglicherweise für die Zukunft anwenden?



Alexander Kekulé


Fast hätte man gesagt, das ist das Erwartete. Aber diesmal eben gut berechnet. Es kommt eben nicht so sehr auf die Bewegung an. Die


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reine Einschränkung von Mobilität hat einen ganz, ganz geringen Effekt im Vergleich zu der Einschränkung bestimmter Orte, wo Superspreading auftritt. Das waren in den USA insbesondere Gaststätten, wo Menschen länger sitzen, also so richtige Restaurants. Wohlgemerkt in der Zeit, als es noch keine Abstandregeln und keine Masken gab. Wenn man da länger an so einem Ort war, dann hat das einen enormen Effekt gehabt. Also ein ganz kleiner Teil dieser Points of Interest hat zu einem großen Teil der Infektionen beigetragen. Oder andersherum gesagt, das ist letztlich diese Beobachtung, die wir schon öfters hatten, dass ein Großteil der Infektionen eigentlich durch Superspreading-Events passiert und nur ein kleiner Teil durch einzelne Infektionen. Das kann man vielleicht so 80:2 0 schätzen. Das ist hier deutlich gezeigt worden. Das heißt, die Zahl der Personen im Restaurant zu reduzieren, das Maskentragen im Restaurant anzuordnen, wenn man nicht am Tisch sitzt, die Belüftung zu machen. Genau das, was wir in Deutschland ja letztlich machen, und was in USA interessanterweise viel umstrittener ist als bei uns, das ist das, was wirkt. Und das allgemeine Verbieten von Reisetätigkeit im weitesten Sinn hat nur einen ganz geringen Effekt. Aber natürlich enorme Nebeneffekte. Weil man dann auch solche Reisen verbietet, die epidemiologisch eigentlich gar nicht schaden.



Camillo Schumann



Kann man denn aus dieser Studie Rückschlüsse auf die Maßnahmen hier in Deutschland ziehen?



Alexander Kekulé


Ja, das meine ich schon. Man kann sagen, dass es sinnvoll ist, selektiv bei den Restaurants einzugreifen. Es ist nicht so sinnvoll, alle Restaurants einfach zuzumachen. Es ist ganz wichtig, auch als Ergebnis bei dieser Studie rausgekommen, dass es unterschiedliche Points of Interest gibt. Restaurant ist nicht gleich Restaurant. Bistro ist nicht gleich Bistro. Sondern es kommt darauf an, welche Menschen gehen dahin. In den USA war es so, dass ist dort immer das Problem, dass das mit Gruppen, die wenig Einkommen haben und auch die aus ethnischen Minderheiten


kommen, die sozial benachteiligt sind. Dort gab es besonders viele Infektionen. Die Studie empfiehlt deshalb dort, selektiv solche Orte ins Auge zu nehmen und dort auch Auflagen zu machen, wo man weiß, dass solche Superspreading-Ereignisse vorkommen können. Auf Deutschland übersetzt heißt es zum Beispiel im Kiez in irgendwo in Neukölln, wo man weiß, dass sind Leute, die halten sich nicht an die Auflagen, selektiv vorzugehen und nicht alle Restaurants auf einmal zuzumachen.


[0:40:2 9]



Camillo Schumann



In der Theorie. Wir wollen noch über Impfstoffe sprechen, Herr Kekulé. Vor genau einer Woche ging es hier im Podcast um sehr vielversprechende Zwischenergebnisse des Impfstoffes der deutschen Firma Biontech. Jetzt hat das amerikanische Unternehmen Moderna vermeldet, dass sein Impfstoff noch wirksamer sei. Der USImmunologe und Corona-Experte Anthony Fauci ist völlig außer sich vor Begeisterung. "Besser wird es nicht", hat er gesagt. Die Aktie von Bayer und Biontech brach nach dieser Meldung um 16 Prozent ein. Aber unterm Strich für die Menschen, die sich impfen lassen wollen, ist das noch eine gute Nachricht. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, da ist jetzt zum zweiten Mal gezeigt, dass dieses wirklich experimentelle Prinzip, wo ich auch gesagt habe, das schaue ich mir erst mal an, ob es überhaupt geht, dass das wirklich funktioniert. Dieses experimentelle Prinzip mit RNA zu impfen, ganz neue Sache.


Da darf man jetzt wirklich dran glauben. Ander gesagt: Es läuft bezüglich der Impfstoffentwicklung insgesamt wie am Schnürchen, wie geplant. Das ist in so einer Situation ganz toll. Da hätte so viel schiefgehen können bisher. Das heißt natürlich nicht, dass wir am Ziel sind. Aber bisher sieht es wirklich gut aus. Es hätte auch sein können, dass diese RNA-Impfstoffe totale Rohrkrepierer werden. Das kann man aber inzwischen mit diesem zweiten Beispiel verneinen, wo gezeigt wurde, dass das Prinzip funktioniert.


Die Moderna-Studie ist jetzt auch wieder eine Zwischenauswertung. Das heißt also, so ähnlich wie wir es bei Pfizer-Biontech hatten.


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Anthony Fauci ist natürlich eine Ikone international. Aber er ist auch Chef der Einrichtung, in der der Impfstoff zusammen mit Moderna entwickelt wurde. Also in dem Fall spricht er ein bisschen für seinen eigenen Laden, wenn er das lobt. Ich bin ganz sicher, dass er das ausblenden kann. Aber man muss es vielleicht der Korrektheit dazusagen. Dort wird jetzt gesagt 94,5 Prozent Wirksamkeit. Gegenüber etwas über 90 bei Pfizer-Biontech, das ist nix, das kann man nicht so sagen. Man hat bisher in den USA insgesamt bei der Moderna-Studie knapp 30.000 Menschen in der Studie drin gehabt. Die Hälfte davon ist geimpft worden. Die andere Hälfte hat ein Placebo gekriegt. Davon haben sich 95 infiziert, bisher in dem ganzen Experiment. Und von den 95, die sich infiziert hatten, wo ja keiner wusste, ob er Impfstoff oder Placebo bekommen hat, sind nur fünf in der Geimpften-Gruppe gewesen. 90 waren unter den Nicht-Geimpften, die also Placebo hatten. Und damit rechnet man diese 94,5 Prozent Effektivität. Aber man sieht schon, 95 Personen, aus denen ist es gerechnet. Letztlich, die Wirksamkeit wird aus fünf Personen gerechnet. Als wir reden hier von fünf Fällen, die geimpft sind und die krank wurden. Und daraus hat man das gerechnet. Wenn das nur sieben wären, würde sich die Zahl wieder deutlich ändern. Da muss man also vorsichtig sein. Auch wenn es hier in dem Fall angeblich statistisch signifikant ist. Es ist ja auch noch nicht publiziert, sondern eine Mitteilung des Konzerns.


[0:43:36]



Camillo Schumann



Genau. Man muss vergleichen. Biontech hat seinen Impfstoff an 30.000 Probanden getestet und ist auf 90 Prozent gekommen. Moderna an 95, kommt auf 94 Prozent. Da vergleicht man ein bisschen Äpfel mit Birnen, oder?



Alexander Kekulé


Die Zahl der Probanden, des wechselt auch immer. Man muss sagen, das ist im laufenden Prozess. Die großen Konzerne haben in dem Fall ausnahmsweise ihre Protokolle offengelegt. Man kann also nachlesen, was geplant war. Da haben wir einen interessanten Effekt. Das ist natürlich für Insider wieder witzig. Bei Pfizer haben wir ja schon darüber gesprochen.


Die hatten eigentlich die Daten schon zusammen, bevor die Wahl in den USA war. Das sieht man an den Zahlen. Aus irgendwelchen Gründen haben sie es erst danach publiziert. Bei Moderna gibt es jetzt einen anderen interessanten Effekt. Die wollten eigentlich die nächste Auswertung machen, wenn sie 106 Infizierte haben, laut Protokoll. Und jetzt haben sie aber die Auswertung vorgezogen mit 95 Infizierten. Das kann man statistisch machen. Da gibt man ein bisschen andere Zahlen in die Software ein. Und dann kommt das Ergebnis genauso raus. Nur warum haben die das jetzt gemacht und vorgezogen, so wie die anderen bisschen gewartet haben? Dann wäre man natürlich ein Schelm, wenn man nicht erkennen würde, dass die jetzt nachziehen mussten. Die Aktie von Pfizer ist ja in den Himmel geschossen. Jetzt war Moderna unter Zugzwang. Ganz offensichtlich haben sie jetzt schon bei 95 das Buch aufgemacht und gesagt, schauen wir mal, was rausgekommen ist. Statt zu warten, bis es 106 sind. All diesen Studien spielt in die Hände, dass in den USA die Lage so katastrophal ist. Ich sage es mal ein bisschen dramatisch. Der Erfolg dieser Impfstoffe ist auf Leichen gebaut. Ja, es ist so, dass die deshalb so früh fertig werden, weil sie unwahrscheinlich viele Infektionen in den USA haben. Ich glaube, 1 Million zusätzliche Infektionen war es in der letzten Woche. Moderna hat ausschließlich in den USA die klinischen Studien gemacht. Übrigens mit sehr viel Geld von der Regierung. Wir haben fast 1 Milliarde Dollar gekriegt, im Gegensatz zu Pfizer und Biontech, die das aus der Portokasse selber gezahlt haben. Für uns ist es ja egal. Die Impfstoffe werden irgendwann im nächsten Jahr kommen. Und ob das jetzt Moderna, Pfizer oder irgendein anderer ist. In Deutschland werden wir sicherlich im April, Mai die Möglichkeit haben, im größeren Stil zu impfen.


[0:45:55]



Camillo Schumann



Apropos, nach Biontech und Moderna vermuten die Analysten, dass die deutsche Firma Curevac aus Tübingen die nächste sein könnte. Auch Curevac forscht an einem mRNA-Impfstoff. Und da sieht es auch nicht so schlecht aus.


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Alexander Kekulé


Ja, der Impfstoff sieht genauso aus. Ich bin jetzt hier nicht als Aktienanalyst im Einsatz. Aber Curevac hat natürlich einen strategischen Nachteil. 2 Große, die nächstes Jahr Milliarden von Dosen produzieren können. Und das ist völlig ohne Frage. Der eine mit Riesenunterstützung von Warp Speed, Geld aus den USA. Der andere mit einem der größten Pharmakonzerne der Welt, ich glaube sogar den größten, Pfizer, im Rücken. Die werden Unmengen, Milliarden von Impfstoffen nächstes Jahr auf den Markt werfen.


Übrigens noch mal ganz interessant: Der Impfstoff von Moderna hat den Vorteil, dass er im Tiefkühler bei -2 0°C transportiert und gelagert werden kann. Das ist eine Temperatur, die in jedem Gesundheitsamt zur Verfügung steht. Und dann 30 Tage, also einen Monat lang, im normalen Kühlschrank bei etwa 4°C und dann noch einmal zwölf Stunden bei Raumtemperatur. Das ist natürlich für die Verteilung in Riesenvorteil. Ich schätze mal, dass die Leute vom Biontech fieberhaft daran forschen, wie sie ihren eigenen Impfstoff so umbauen können, dass er vielleicht auch besser zu transportieren und zu lagern ist. Curevac ist da ein bisschen hinterher. Sie müssen ja auch was sagen. So ist das leider im Leben, wo alles um die Aktienwerte geht. Die haben gesagt: Unser Impfstoff hat auch den Vorteil, dass man ihn nicht so tief kühlen muss. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass die RNAMenge, die injiziert werden muss, bei Curevac angeblich deutlich geringer ist. Bei denen sind es nur zwölf Mikrogramm. Bei Pfizer sind es 30 Mikrogramm, bei Moderna wohl 100 Mikrogramm. Aber Curevac hat den Nachteil den anderen beiden gegenüber, dass es keinen starken Partner hat. Und sie brauchen, wenn sie dann in die Phase 3 gehen ... Die haben die Phase-3-Studie noch nicht einmal begonnen. Gerade haben wir über Ergebnisse der Phase 3 gesprochen, von den anderen. Da brauchen die einen starken Partner an der Seite. Der auch wirklich das Geld hat so wie Pfizer oder ein ähnlicher oder AstraZeneca im Beispiel vom Oxford-Impfstoff. Da müssen sie sich jetzt sputen, dass sie jemanden kriegen, mit dem sie das machen. Sonst werden sie da hinten runterfallen, weil die anderen einfach sagen: "1 Milliarde mehr oder weniger Dosen, das


produzieren wir einfach, wenn es sein muss." Da bin ich gespannt, wie sich die Firma von Herrn Hopp wohl positioniert. Das ist der Dietmar Hopp von SAP, der das gegründet hat. Auch interessant, wie die Bundesregierung bei Curevac ihr Investment von 300 Millionen Euro begründen wird. Ich kenne da keine Hintergründe. Aber das ist schon die Frage, warum die das in die eigene Firma investiert haben und nicht in die andere. Aber da müsste man vielleicht mal recherchieren, was da die Gründe waren.


[0:48:52 ]



Camillo Schumann



Und nach so einem großen Partner schaut sich die Firma gerade um, konnte man zuletzt lesen. Wir kommen zu den Hörerfragen, Herr Kekulé.


Dieser Herr hat angerufen. Er verfolgt, wie andere Staaten mit der Corona-Pandemie umgehen. Besonders interessant fand er die Maßnahme in der Slowakei und deshalb seine Frage:


Anrufer


"Guten Tag, mich würde interessieren, was Professor Kekulé von den Massentests, wie sie in der Slowakei durchgeführt werden, hält. Und ob das nicht ein Vorbild für Deutschland wäre."



Camillo Schumann



Kurz zu den Massentest in der Slowakei. Von den über 5 Millionen Einwohnern wurden zeitlich gestreckt ein Großteil getestet. Nicht mit PCR, sondern mit Antigen-Schnelltests. In der ersten Runde 3,6 Millionen, fast 40.000 positiv Getestete. Auch Österreich plant Massentests. Österreich 9 Millionen, Slowakei 5 Millionen, Deutschland hat 80 Millionen Einwohner. Wären solche Massentest hierzulande wirklich eine Möglichkeit?



Alexander Kekulé


Nein, ich halte die nicht für sinnvoll. Man macht da einen Schnappschuss letztlich. Das kann man so vergleichen, ob Sie filmen oder ein Foto machen. Der Massentest, also zu einem Zeitpunkt, ist quasi ein Foto und bildet die Dynamik überhaupt nicht ab. Und was man dann hat hinterher, sind mehr Positive. Auch mit diesem Schnelltest gewinnt man natürlich


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Positive. Die wird man da finden. Man wird ein Teil übersehen, die dann erst ein paar Tage später positiv werden. Aber man hat im Grunde genommen bei der Seuchenbekämpfung nur dann was gewonnen, wenn man irgendwie glaubt, dass man auf diese Weise den Laden wieder sauber kriegt. Zum Beispiel, wenn Sie ein Kreuzfahrtschiff hätten mit 4000 Passagieren, nach außen begrenzte Umgebung. Und Sie machen einen Massentest, dann hat das natürlich schon einen Sinn. Da können Sie 2 Tage später noch mal einen machen, dann werden sie wahrscheinlich die meisten infizierten Passagiere herausfinden.


Aber so ein Staat ist ja ein offenes System, auch nach außen. Daher haben Sie dann eine Woche später wieder eine komplett neue Situation und durch den Massentest eigentlich nichts gewonnen. Eine Situation, wo das was gebracht hat und sinnvoll war, ist zum Beispiel Hongkong. Die fahren eine ganz andere Strategie. Die haben ja den Komfort, dass sie früh reagiert haben und deshalb eine Elimination-Strategie fahren. In Hongkong sind zehn neue Fälle eine kleine Katastrophe. Und als die mal so einen MiniAusbruch hatten in einem Teil ihrer Community, dann haben die im ganzen Umfeld in kürzester Zeit vor einigen Wochen Massentests gemacht. Sie haben alle Infektionen, die mit diesem Ausbruch irgendwie zusammenhängen, dingfest gemacht. Die sind jetzt wieder auf diesem niedrigen Level. Dann hat es einen Sinn. Oder in Neuseeland würde man das vielleicht sinnvollerweise machen. Aber ich glaube, eben in der Slowakei hat es keinen Sinn. In Österreich wird es auch nichts bringen. Außer Sie machen die Grenzen zu und versuchen, wirklich komplett sauber zu halten im eigenen Stall. Und in Deutschland muss ich nichts sagen. Da sind wir chancenlos, auch bei den jetzigen Infektionszahlen, damit was zu bewirken.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 12 1. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Sehr gerne, Herr Schumann. Bis dann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, kein Problem. Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 14. November 2 02 0 #12 0 SPEZIAL:


Jan Christian Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Jan Christian Kröger


Risikogruppen zuerst: Ist das beim Impfen wirklich richtig?


Wird eine Studie zur Wirksamkeit von Masken bewusst nicht veröffentlicht?


Wie kann man das Infektionsrisiko verringern, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben?


Wie verhalte ich mich, wenn mein Chef ein Corona-Leugner ist?


Damit herzlich willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL, nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


Jan Christian Kröger


Das große Thema dieser Woche, der mögliche Impfstoff, der beschäftigt auch viele unserer Hörer. Damit haben wir gleich einige Fragen, die wir an Sie richten möchten. Den Anfang macht Peter M. aus Tübingen.


„Hallo, Herr Kekulé, ich wüsste gerne, ob geimpft Menschen das Virus trotzdem an andere Menschen weitergeben können. Ich könnte mir vorstellen, dass Geimpft dann keine Maske mehr tragen und dadurch eventuell andere gefährden.“


01:02 



Alexander Kekulé


Sofern die Impfung so funktioniert, wie wir das hoffen, wird ein Geimpfter nicht in der Lage sein, das Virus weiterzugeben. Das wäre nur dann rein theoretisch denkbar, wenn sich das Virus im Lauf von Monaten und Jahren verändert und dann ein anderer Typ quasi entsteht. Das würden die Geimpften aber dann auch daran bemerken, dass sie selber wieder krank werden. Die würden dann Krankheitssymptome bekommen und dann wären sie natürlich auch wieder ansteckend.


Jan Christian Kröger


Dann haben wir die Frage von Ruth O., die beschäftigt sich damit, wer zuerst geimpft werden soll. Sie sagt. Klar für sie ist:


„... dass Risikogruppen geschützt werden müssen. Wenn die Produktion des Impfstoffes aber einen Engpass darstellt, könnte es doch sinnvoller sein, er mehr jüngere Personen mit der gleichen Menge an Impfstoff zu impfen, um so schneller eine höhere Immunität in der Bevölkerung zu erreichen. Auch ich gehöre vom Alter und wegen Vorerkrankungen eher zu den Risikopersonen. Ich möchte deswegen aber nicht bei Impfungen bevorzugt werden.“


01:56



Alexander Kekulé


Ja, das ist eine schwierige Frage. Da haben wir eigentlich weltweit immer wieder die Diskussion. Es gab ja auch Katastrophenpläne für den Fall eines Ausbruchs mit dem VogelgrippeVirus H5N1 vor längerer Zeit. Wir hatten das Thema bei der Schweinegrippe 2 009. Eigentlich ist immer die Idee gewesen, in diesen Gremien, dass man gesagt hat, das Ergebnis, was wir erzielen wollen, ist zuallererst die Sterblichkeit zu reduzieren. Also wir wollen das nicht so viele Menschen daran sterben. Weil wir einfach gesagt haben: Tod ist schlimmer als Krankheit. So trivial ist es letztlich. Und wenn man wenig Impfstoff hat, ist man am effektivsten beim Verhindern von Todesfällen, indem man direkt die Risikogruppen impft. Also dieser indirekte Effekt – das ist intelligent gedacht von der Hörerin – aber es ist so, dass wir dafür mehr Impfstoff bräuchten. Weil, dann müssten Sie quasi das Umfeld des jeweiligen Risikopatienten, der Risikoperson, das müssten sie effektiv


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abschirmen, um die Risikopersonen am Sterben zu hindern, um es mal so formal zu sagen. Und daher ist der effektivere Weg, wenn sie wenig Impfstoff haben, einfach direkt die Risikoperson zu impfen. Dann haben wir ein, 2 Fragen dazu, wo dann diese Impfung stattfinden würde. Zum Beispiel hat uns Dirk U. angerufen.


„Ich selbst bin stark übergewichtig, schwerbehindert und gehbehindert. Wie komme ich an das Zentrum dann hin? Und die älteren Leute im Altenheim oder in Pflegeeinrichtungen, die kaum ihr Zimmer verlassen? Wie kommen diese Leute an diese Impfzentren?“


03:31



Alexander Kekulé


Jetzt muss ich zugeben ich weiß nicht, wie das jetzt, wie weit da die Planung gediehen ist. Wir haben ja hier verschiedene Komponenten. Das eine ist der Impfstoff, um den es ab geht, der jetzt in der Presse so gehypt wurde, wenn ich es mal so sagen darf, ist ja ein RNA-basierter Impfstoff. Also einer, den man bei minus 80 Grad kühlen muss und wo auch die Handhabung des Impfstoffs strenge Vorschriften hat. Da darf man nichts falsch machen. Dafür ist es so, dass, meines Wissens, schon die Tiefkühlschränke besorgt werden oder die Menschen zumindest also die Behörden, zumindest überlegen, wo sie herkommen bekommen können. Das ist nicht ganz einfach, weil so ein normaler, stehender -80°C-Schrank unter Umständen nicht geeignet ist. Ich glaube, da ist noch viel Hirnarbeit notwendig, um sich zu überlegen, wie man das von der Logistik macht. Ich halte das Problem aber für lösbar. Und dann ist die nächste Stufe, dass man natürlich Personen hatte, ihn diese Impfzentren nicht kommen können, wo ja dann auch die -80°C-Schränke stehen würden. Da wird man sich etwas überlegen müssen. Dass einfach dann einen Fahrdienst, zum Beispiel, in die Altenheime fährt oder auch zu den Personen, die zu Hause wohnen und nicht weg können. Man muss ja auch dazu sagen der RNA-Impfstoff ist ja nur einer von mehreren. Und ich bin ziemlich sicher, dass es nicht der Einzige sein wird, der zur Verfügung steht. Das heißt, da werden dann noch ein, 2 weitere


Impfstoffe zur Verfügung stehen, die vielleicht von den Lagerbedingungen nicht ganz so streng sind.


Jan Christian Kröger


Da hakt gleich die zweite Frage zu Impfzentren ein. Die kommt von Dr. Helmut E. aus Mannheim:


„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, wie sind die geplanten Impfzentren bezüglich der potenziellen Ansteckungsgefahr im Zentrum und bei Anund Abreise zu beurteilen? Als Argument für die Impfzentren werden ja die Lagerungstemperatur des Impfstoffs angeführt. Ich habe aber jetzt im Interview mit dem Biontech-Chef Ugur Sahin gehört, dass der Impfstoff nach dem Auftauen noch mindestens fünf Tage bei normalen Kühlschranktemperaturen haltbar ist.“


Das sind so ein bisschen 2 Fragen in einer. Vielleicht machen wir erst mal die mit den Temperaturen.


05:2 9



Alexander Kekulé


Das ist eben genau der Punkt. Man muss beim Transport diese Ultra-Tiefkühlung haben. Man muss es bei der Lagerung also in dem Zentrum oder wo auch immer man es benutzt, die Ultra-Tiefkühlung haben. Aber man kann eben – das ist genau das – bevor man es zum Einsatz bringt, natürlich ein paar Tage aus der UltraTiefkühlung rausgehen. Und das ist genau der Grund, warum man von diesen Zentren aus, wenn ich das mal so sagen darf, problemlos ausschwärmen kann. Es müssen eben dann Fahrzeuge von dort losfahren und beispielsweise ein Altenheim bedienen.


Die andere Frage, wo es um die Ansteckungsfähigkeit geht ja, das ist eine logistische Herausforderung. Ganz klar. Und das wird dann die „Kapazität“ der Impfungen beschränken. Weil, wenn Sie davon ausgehen müssen, dass die Personen, die da durchgeschleust werden im großen Stil, dass die infektiös sein können und sich gegenseitig nicht anstecken dürfen. Dann wird es letztlich so enden, dass sie nicht besonders viele pro Stunde durchschleusen können. Oder ganz besondere Maßnahmen treffen müssen mit Parallelversorgung, damit


2 


die sich nicht gegenseitig infizieren. Da bin ich jetzt nicht involviert in diese Planungen. Ich meine, das machen auch die Gesundheitsämter. Das ist aber ganz sicher ein Thema, was die ganz vorne auf der Tagesordnung haben. Und auch da glaube ich, das wird lösbar sein.


06:47


Jan Christian Kröger


Kommen wir mal zu einem latent umstrittenen Thema in der ganzen Diskussion rund um das Coronavirus, nämlich die Masken oder der Mund-Nasen-Schutz. Da hat uns dieser Anruf erreicht.


„Ich habe gehört, es gibt eine neue dänische Studie zur Wirksamkeit der Masken. Da habe ich gehört, dass diese Studie jetzt abgeschlossen ist. Aber die Autoren Probleme haben, diese Studie zu veröffentlichen, also, dass aus politischen Gründen die einschlägigen Fachzeitschriften ablehnen, diese Studie zu veröffentlichen.“



Alexander Kekulé


Ja, es gibt immer wieder Studien, und die aus Dänemark habe ich nicht gesehen. Die wird so von den Medien zitiert, die darauf hinweisen, dass möglicherweise die das Tragen von Masken nicht so effektiv ist. Bisher ist das immer so gelaufen, wenn man dann diese Studien genauer untersucht. Und wenn man schaut, wie die das gemacht haben, war es eigentlich immer so, dass die Studien, die gesagt haben, die Masken taugen nix, um es mal so kurz zu sagen ganz, grobe methodische Fehler hatten. Und weil das so ist, das auch aus politischen Gründen natürlich Studien initiiert werden, das muss man ja auch sagen, dass auch Wissenschaftler, die so etwas machen, manchmal eine Intention haben, ist es so, dass man Meta-Analysen macht. Also man guckt sich alle Studien, die es gibt zu einem Thema, zu einem bestimmten Zeitpunkt an, wertet die dann nach einem genau vorgegebenen Schema aus, dass man sagt welche Studien dürfen aufgenommen werden in die weitere Bewertung und welche fliegen raus – das wird sozusagen ein Qualitätskriterium eingezogen – und dann macht man eine Auswertung über mehrere Studien und guckt, was ist dann sozusagen das Gesamtbild. Das nennt man


eben Meta-Analyse. Ganz aktuell haben die CDC, die amerikanische Gesundheitsbehörde, das Ganze nochmal überprüft. Und jetzt gerade habe ich, glaube ich, gestern gelesen, nochmal herausgegeben, dass also bei einer weiteren Überprüfung aller vorliegenden Studien man zu dem Ergebnis kommt, dass die Maske nicht nur die anderen schützt vor Ansteckung, sondern auch bis zum gewissen Grad denjenigen, der sie aufhat. Hörer dieses Podcasts werden sagen, das sind ja eingeschlafene Füße, das wissen wir seit Monaten. Aber die CDC hat das eben gestern oder vorgestern noch mal ganz offiziell bekanntgegeben. Und rein biologisch ist es ja völlig klar, wenn Sie Tröpfchen haben, Feuchtigkeit, in denen die Viren sind. Und sie atmen die aus durch einen Stoff hindurch, der trocken sein muss – das ist ja ganz wichtig – dann bleiben die feuchten Tröpfchen einfach an dem trockenen Stoff hängen: Das nennt man Adhäsion in der Physik. Und das geht bis zum gewissen Grad natürlich in beiden Richtungen. Die Luft ist innerhalb von einem Stoff für man durch einen Stoff durchatmet, einfach trockener als außen. Das kann man ausprobieren, wenn man mal im Nebel steht, mit einem Vlies vorm Gesicht oder Ähnlichem. Und dieser ganz simple physikalische Effekt, der die Feuchtigkeit quasi abfängt, das ist der Hauptgrund, warum diese Masken Effekt haben, Wirkung haben. Und man muss immer wieder dazu sagen, wenn wir eine echte Superspreading Situation haben, in einem geschlossenen Raum ein Aerosol sich bildet, dann ist eben das Problem, dass die einfachen OP-Masken und auch die selbstgebastelten, häufig an der Seite nicht ganz dicht sind, sodass man durch diese seitlich vorbei.strömende viel Luft quasi dann doch ein Teil dieses Aerosols inhalieren kann. Und das ist die ganze Physik. Mehr ist es nicht. Das ist ganz simpel. Und da braucht man eigentlich gar keine weiteren Studien, weil das rein theoretisch eigentlich nicht anders sein kann. Und wir haben schon sehr viele Studien und auch Meta-Analysen.


Jan Christian Kröger


Soweit die Maske in der wissenschaftlichen Beurteilung.


3


Noch eine weitere Frage. Da geht es eher um die Maske in der Alltagspraxis.


„Ist schon einmal untersucht worden, wie viele Viren in der Luft sind, die durch die Nase bei geschlossenem Mund ausgeatmet wird? Wenn es wesentlich weniger sind, als beim Sprechen, Singen oder Husten freigesetzt werden, vielleicht würde dann in den Schulen, besonders für die unteren Klassen ein Mundschutz genügen.“


10:46



Alexander Kekulé


Das ist so, als rein theoretisch, muss man sagen es ist gut möglich, dass die Theorie der Anruferin stimmt. Das könnte sein, dass wir beim Ausatmen durch die Nase deutlich weniger Aerosole freisetzen als durch den Mund. Mein persönlicher Privatverdacht, aber der ist wissenschaftlich nicht begründet, ist sogar tatsächlich der, dass jemand, der schweigt und seine Stimmbänder nicht bedient, sondern ganz normal atmet und auch jetzt nicht forciert atmet, weil er vielleicht erschöpft ist oder ähnliches, dass so jemand ganz selten nur große Mengen von Aerosol produziert. Aber das ist wirklich nur eine Vermutung, weil die physikalisch naheliegend wäre. Das ist aber eben alles nicht überprüft. Und dann ist es so, dass wir natürlich auch irgendwelche Viren durch die Nase freisetzen, und die Nase hat ja den Nachteil, dass sie ziemlich genau nach unten ausatmet. Und dann haben wir häufig diese Situationen, die kennt wahrscheinlich jeder von uns, dass wir in irgendeinem Geschäft einkaufen. Da steht jemand hinterm Tresen und bedient und hat dort entweder die Nase frei, weil er eben den ganzen Tag da steht und meint, er möchte sich das nicht zumuten. Oder so ein Plastikschild vor dem Gesicht, wo dann auch alles aus der Nase nach unten abgeatmet wird. In diesem Fall kann man sich anhand der „Schussrichtung“ sozusagen überlegen, dass das alles dann auf dem Kuchen, auf der Wurst und sonstwo, je nachdem, was der so austeilt, dann landet, sodass man jetzt wahnsinnig genau differenzieren muss. Es müsste der Ordnungsgeber sagen, okay, also in der Bedienungssituation muss die Nase zu sein, das ist ganz klar, aber in einer anderen


Situation wäre es wieder erlaubt. Und dann gibt es wieder andere Leute, die sagen ja, ich kann ja durch die Nase einatmen und durch den Mund ausatmen, dann ist doch alles in Ordnung. Und diese Riesendiskussion, die können sie nicht führen. Es muss ja etwas Einfaches sein, wie ein Parkverbotsschild auf der Straße: Wenn da ein Auto steht, dann kriegt es einfach einen Zettel und fertig. Und so einfach muss es ja auch sein, sonst ist es nicht kontrollierbar.


12 :42 


Jan Christian Kröger


Elisabeth R., Ärztin aus Puchheim, hat geschrieben:


„Lieber Herr Professor Kekulé , seit vielen Wochen beschäftigt mich eine Frage, die jetzt angesichts der steigenden Zahlen zunehmend dringlicher wird. Es ist inzwischen allgemein bekannt“, sagt sie, „dass die Anzahl der Amplifikation-Zyklen beim PCR-Test bis zum Auftreten eines positiven Signals entscheidend ist für die Anzahl der positiven Tests. Auch Herr Drosten bestätigt, dass zu hohe AmplifikationsZyklen dazu führen, dass eigentlich gesunde Personen als positiv getestet werden. Angesichts der zunehmenden Überlastung der Gesundheitsämter sollte doch eine Fokussierung auf die wirklich problematische Personengruppe vorgenommen werden. Warum gibt es deshalb nicht schon längst einen Beschluss, entweder die Zahl der Amplifikations-Zyklen generell zu reduzieren oder aber die Anzahl dem Gesundheitsamt mitzuteilen, um diesen selbst die Möglichkeit der Priorisierung zu geben?“




Erstmal die technische Klärung: die Amplifikations-Zyklen (CT).


13:35



Alexander Kekulé


Bei dieser PCR wird ja die Erbinformation des Virus, die RNA des Virus, sofern sie irgendwo auf der Schleimhaut rumgelegen hat, verdoppelt. Und dann noch mal das Produkt verdoppelt und noch einmal verdoppelt. Das ist so eine Funktion, eine exponentielle Funktion, die berühmt geworden ist durch das berühmte Beispiel mit dem Schachbrett, wo


man auf das erste Feld ein Reiskorn legt, auf das zweite 2 Reiskörner, dann vier, dann acht und so weiter. Und wir wissen alle, dass, wenn man das mit den 64 Feldern eines Schachbretts macht, dass man dann einen Güterzug hat, der, ich weiß nicht mehr wie oft, um den Äquator rumgeht. Das heißt also, das wird sehr, sehr viel. Und dieses Prinzip nutzt die PCR, dass es aus ganz winzigen Mengen enorm große Mengen von Kopien produzieren kann. Und wenn es sehr viele sind, dann kann man eben auch nachweisen, was da drinnen war. Dann sieht man: Hoppla, da war ein Virus dabei. 




Und jetzt ist die Frage, ab welcher Menge will man da überhaupt sagen, es war ein Virus da. Weil rein theoretisch die PCR, wenn Sie jetzt maximal rausgekitzelt ist, so empfindlich wäre, dass sie ein einziges Viruspartikel nachweisen könnte. Das sind allerdings mehr so wissenschaftliche Ansätze. Die PCR, die wir so für die Routinediagnostik benutzen, da würde ich jetzt mal sagen, da ist die Grenze so im Bereich von 100 Viruspartikeln. Und da ist eben jetzt die Problematik. 




Und dann natürlich so ganz praktisch kann sich jeder selber überlegen. Sie haben so einen Tupfer und nehmen da irgendetwas ab. Da


kriegen Sie natürlich mal mehr und mal weniger, je nachdem, wie die Abnahme gelaufen ist. Auch eine Person, die Virus ausscheidet, kann durchaus je nach Tageszeit oder auch je nach Tag mal mehr und mal weniger ausscheiden, je nachdem, wie gut das Immunsystem gerade drauf war. 


Das ist so etwas, das kann durchaus schwanken. Sodass man jetzt nicht pauschal sagen kann, ab einem CT-Wert von soundsoviel – diese Zyklen werden in CT gezählt – gilt es nicht mehr als infektiös. Da gibt's keine Schwelle. Und die hat auch noch niemand, auch Herr Christian Drosten noch nicht, vorgeschlagen. Eine Schwelle, die irgendwie wissenschaftlich begründet wäre, wo man sagt ab der Schwelle ist jemand nicht mehr infektiös – das wissen wir nicht.




Jan Christian Kröger


Frau N. aus Greifswald hat uns angerufen mit der Situation zu Hause und dem Infektionsrisiko, das beschäftigte sie sehr.


„Was raten Sie Familien im Mehrgenerationenhaushalten, die auch wohnlich sehr beengt miteinander leben. Die Großeltern sind alt und krank, die Kinder gehen in die Schule. Die Großeltern können zu Hause auch kaum, eine Maske tragen. Wie kann man da das Zusammenleben erleichtern?“


Das klingt schon sehr, als würden sie sich um alles bemühen, das irgendwie geht. Gibt es da noch mehr, was sie tun könnte?



Alexander Kekulé


Das Stichwort beengt ist hier, darf ich so sagen, einfach Mist. Das macht es einfach schwierig. Wir wissen aus Ausbruchsgeschehen, zum Beispiel in Norditalien, inzwischen, dass genau das das Problem war, wenn mehrere Generationen im gleichen Haushalt zusammen wohnen und es dann beengt ist; und man vielleicht auch gar nicht wusste am Anfang, dass das Virus da ist. Dann kommt es eben zur Infektion der älteren Mitbewohner. Was man letztlich empfiehlt ist ja – es gibt sogar inzwischen, glaube ich, Empfehlungen des Robert Koch-Instituts dazu – wenn möglich,


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sollen die Personen die wirklich erhöhtes Risiko haben, ich sage mal Ü70, die sollen eben nicht zusammen mit den anderen essen, also am Tisch sitzen. Die sollen, wenn es irgendwie geht, in einem eigenen Zimmer schlafen, was natürlich dann entsprechend am besten nach außen gelüftet wird und nicht Richtung Flur. Das Wichtigste ist, dass man eben nicht zusammen länger in einem geschlossenen Raum ist. Und wenn, wenn die Risikoperson selber keine Maske tragen kann, dann müssen eben die anderen Masken tragen. Und da würde ich dann, wenn ich jetzt wirklich weiß, das ist jemand mit einem extrem hohen Risiko und man ist auf sehr engem Raum, da würde ich dann sagen, dann sollen die eben dann, wenn sie mit dem Opa oder der Oma zusammen sind, wirklich FFP2 -Masken tragen. Aber in der Tat, es wird Situationen geben, wenn man jetzt nur wenig Zimmer hat und dann sagt, man kann also für die Risikoperson gar kein eigenes Zimmer abstellen, zum Beispiel, dann ist es in der Tat schwierig. Da kann man keine perfekte Lösung machen und muss halt einfach improvisieren in der der Situation. Am Ende des Tages, ist es doch letztlich so, dass Familien, die zusammenwohnen, auch irgendwie Risikogemeinschaften sind. Und so ist es auch irgendwie eine Risikogemeinschaft, da zusammenzuwohnen. Und im schlimmsten Fall ist es halt einfach so, dass die alten Leute ein höheres Risiko haben, weil die Jüngeren nicht eingesperrt werden sollen. Ich glaube, dass keine Großeltern wollen, dass die Enkel jetzt nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Da würde ich mal sagen das sind so die Dinge des Lebens, die wir halt nicht perfekt machen können.


19:2 1


Jan Christian Kröger


Eine E-Mail hat uns noch erreicht. Der Schreiber möchte aus Gründen der Sicherheit anonym bleiben. Es erschließt sich auch gleich, warum. Die Frage lautet nämlich:


„Wie verhalte ich mich als Angestellter, wenn mein Chef ein Corona-Leugner ist? Besonders brisant, wenn dieser Geschäftsführer eines privat geführten Pflegeheims ist, speziell, noch, wenn dieser bereits aufgetretene Covid19-Fälle verunglimpft, die Kollegen, welche als


Kontaktpersonen direkt betroffen sind, massiv unter Druck setzt, falls sie erwägen, zuhause zu bleiben und dem Gesundheitsamt keine Meldung macht. Welche Handhabe hat man da?“



Alexander Kekulé


Da gibt es ja jetzt mehrere Aspekte. Also das eine ist Corona-Leugner als Chef im Allgemeinen. Da kann man sich gegenseitig letztlich nicht bekehren. Das ist so etwas Ähnliches wie: Homöopathie, funktioniert das: ja oder nein? Da können Sie letztlich nicht drüber streiten. Es ist wie eine Glaubensfrage. Ein ganz anderer Aspekt ist natürlich, wenn jemand als Leiter eines Altenheims seine gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nicht erfüllt. Das ist ja meldepflichtig. Und da gibt es ganz klare Richtlinien, was man machen muss, wenn Fälle auftreten und was mit den Kontaktpersonen geschehen muss. Und da ist es dann so, dass man letztlich, wenn man Kenntnis von so einer Ordnungswidrigkeit hat, dass man die dann selbstverständlich eigentlich zur Anzeige bringen muss. Egal, wer das ist. Ob das jetzt der eigene Chef ist. Oder ob das der Chef vom Altenheim nebenan ist, das sollte man dann schon den Behörden mitteilen, dass diese mal genauer hinschauen. Sie haben die Verpflichtung nur dann nicht, wenn das ein Familienmitglied wäre. Die die darf man ja bekanntlich auch bei Strafsachen gegenseitig schützen. Aber wenn das nicht so ist, dann ist der Chef eine Person wie jeder andere Dritte.


2 0:59


Jan Christian Kröger


Letzte Frage für heute. In einigen Wetterberichten wird seit kurzem eine CoronaZerfallszeit angegeben. Die Werte beziehen sich auf draußen, aber was genau hat das zu bedeuten?



Alexander Kekulé


Ich habe mir das angeschaut. Das ist irgendwie Unsinn. Ja, da versuchen Leute letztlich irgendwie, sich wichtig zu machen oder Geld zu verdienen mit so einem Wert. Ja, es ist so, dass natürlich die Stabilität von Viren abhängt von der UV-Einstrahlung, von der Luftfeuchtigkeit, von der Temperatur. Aber von diesem


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Makrogeschehen, also von dem, was das Wetter sozusagen im weiteren Sinn ausmacht, zu schließen darauf, was auf irgendeiner konkreten Oberfläche passiert, und darum ginge es ja letztlich – das geht nicht. Sie können nicht von diesem allgemeinen Parametern des Wetters darauf schließen, ob jetzt die Türklinke, die sie irgendwo Anfassen möglicherweise infektiöser ist an diesem Tag oder an jedem Tag oder auch ob eine Infektionsgefahr im Freien besteht oder nicht. Man muss ja auch überlegen was ist die Konsequenz? Wenn Sie wissen, es regnet draußen, dann bleiben sie vielleicht zu Hause oder nehmen Regenschirm mit. Aber was sollen Sie mit der Information anfangen, das heute gefährliches Corona-Wetter ist? Da kann ja keiner im Ernst fordern, dass man wegen so einer spekulativen Behauptung irgendwie zuhause bleibt oder 2 Mundschutz übereinander anzieht. Oder was auch immer. Also das ist Unsinn, da versucht jemand, Geschäfte zu machen.


2 2 :19


Jan Christian Kröger


Das war Ausgabe 12 0 Kekulés Corona-Kompass SPEZIAL nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. In der nächsten Ausgabe am Dienstag wird dann mein Kollege Camilo Schumann wieder Ihr Gesprächspartner sein. Mich hat es sehr gefreut, in dieser Woche mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Noch mal Danke und bis bald.



Alexander Kekulé


Vielen Dank, hat mich auch sehr gefreut, Herr Kröger. Bis dann.


Jan Christian Kröger


Alle SPEZIAL-Folgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 12 .11.2 02 0 #119: Fixierung auf 50er-Wert greift zu kurz


Jan Kröger, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Jan Kröger


Donnerstag, 12 . November 2 02 0. Wieder ein Tag mit mehr als 2 0.000 gemeldeten Neuinfektionen in Deutschland. Nun ist die Frage, wie man die Zahl interpretiert. Auf der einen Seite ist sie nicht weit weg vom bisherigen Höchststand. Auf der anderen Seite steigen die Zahlen in dieser Woche nicht mehr so stark wie in den vorherigen.


Können wir daraus ablesen, ob der Lockdown wirkt? Haben die Einschränkungen was gebracht?


Oder sind sie "tödlich", wie die BildZeitung gestern getitelt hat. Wir schauen uns die Zahlen und die Aussagen an, die hinter dieser Schlagzeile stehen.


Außerdem geht es um die Frage: Wenn tatsächlich bald geimpft werden sollte, wie lange würde man danach immun sein?


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Corona-Virus. Wir beantworten Ihre Fragen. In dieser Woche mit mir. Unverändert mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, schauen wir uns die Zahlen an. Heute 2 1.866 gemeldete Neuinfektionen. Das ist nicht mehr so weit weg vom Höchststand, den wir letzten Samstag hatten mit mehr als 2 3.000. Wenn wir die Steigerung betrachten, ist das in dieser Woche, wenn wir das mit dem letzten Donnerstag vergleichen, gar nicht mehr so drastisch. Da waren es so ziemlich genau 2 0.000. Wie sollen wir diese Zahlen interpretieren?



Alexander Kekulé


Wenn man sich die Zahl anschaut, würde man sagen, der Anstieg ist gestoppt. Also sozusagen die Beschleunigung der Vermehrung der Fälle ist gestoppt. Das wäre eigentlich ein gutes Zeichen. Das kann man sich als Kurve vorstellen, die auf ein Maximum zufährt und dann wieder runtergeht. So gesehen glaube ich, dass wir hier einen Effekt des Lockdowns schon sehen. Der muss ja jetzt auch kommen. Das ist vom Zeitpunkt der Moment, wo man das sehen muss nach 14 Tagen. Andererseits ist es so, dass das Robert Koch-Institut generell die Teststrategie geändert hat. Das heißt, seit Kurzem ist es so, dass vorrangig Menschen getestet werden sollen, die Symptome haben. Oder auch auf Anordnung des Gesundheitsamtes untersucht werden sollen. Aber nicht mehr so viel ins Blaue hinein, prophylaktisch, bei Menschen, die kein besonderes Risiko haben. Ausnahme ist hier Bayern. Die wollen weiterhin ihre offene Teststrategie fahren. Das hat dann zur Folge, dass man natürlich eine andere Stichprobe hat. Es könnte auch sein, dass wir deshalb nicht viel mehr Fälle als vorher haben, weil weniger in die Breite getestet wird. Sondern spezifischer getestet wird. Wenn man sich rein die Zahl anschaut, kann man nicht 1: 1 sagen, liegt es daran, dass weniger getestet wurde? Oder ist es ein Bremseffekt vom Lockdown. Ich würde sagen, ein Bremseffekt ist dabei.


Jan Kröger


Das Robert Koch-Institut veröffentlicht jeden Mittwoch die Zahlen rund um die Testkapazitäten und rund um die


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durchgeführten Tests. Die haben sich nicht groß verändert im Vergleich zur Vorwoche. Sie sagen, es wird spezifischer getestet.



Alexander Kekulé


Das Robert Koch-Institut veröffentlicht auch die Positivenquote. Also, wie viel Prozent der Tests positiv sind. Die ist von 7,2 6 bis auf 7,8 gestiegen. Sie hat also einen Anstieg gehabt. Das könnte mit der veränderten Teststrategie zusammenhängen. Dass man jetzt speziell Leute testet, die Symptome haben. Nicht mehr so viele Personen testet, die ohne Symptome sind. Falls es darauf zurückzuführen ist, wäre das eher ein schlechtes Zeichen. Weil es sein könnte, dass relativ viele Menschen übersehen werden, die eigentlich positiv sind. Da man sie nicht testet, weil sie keine oder schwache Symptome haben. Oder andersrum gesagt, wir müssen davon ausgehen, dass durch die geänderte Teststrategie, die etwas mit Kapazitäten zu tun hat, die Dunkelziffer gestiegen ist. Sodass wir auf den ersten Blick dieses optimistische Signal vorsichtig sehen müssen. Wir müssen gucken, wie es sich weiterentwickelt. Es könnte auch sein, dass diese leichte Veränderung, die wir sehen, mit der Teststrategie zusammenhängt.


Jan Kröger


Das Ganze wird auch politisch seinen Einschlag finden. Am Montag wollen sich die Kanzlerin und die Länderchefs wieder treffen, um nach 2 Wochen zu beraten, was aus dem Lockdown geworden ist. Die ersten politischen Beurteilungen gibt es schon in dieser Woche. Stellvertretend habe ich mir Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer rausgesucht:


Michael Kretschmer


"Die Zahlen, die wir jetzt haben, reichen bei weitem nicht aus. Wir haben eine leichte Seitwärtsbewegung erreicht. Wenn es uns nicht gelingt, tatsächlich wieder substantiell nach unten zu kommen ... Das heißt, 50 Infizierte je 100.000 Einwohner über sieben Tage Inzidenz, dann werden das schwierige Monate, die vor uns liegen."


Jan Kröger


Ich fand interessant an der Aussage, die 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Das war vor ein paar Wochen noch die Horrorvorstellung für Deutschland. Jetzt ist es das Ziel. Wie weit sind wir gekommen in diesen Wochen?



Alexander Kekulé


Wir sind jetzt in einer schwierigen Lage. Politiker sagen immer gerne, dass das total überraschend wäre. Man muss vorsichtig sein mit der Interpretation. Stellen Sie sich das vor, wie einen Hochseetanker. Wenn Sie da den Motor ausschalten, das ist die Situation, dass es keine weitere Infektion gibt. Oder dass die Infektionen nicht mehr ansteigen. Dann hat der immer noch einen ganz, ganz langen Bremsweg. Jeder, der Schiffe steuert, weiß, dass man an der Stelle eine ruhige Hand und Geduld braucht. Es hat keinen Sinn, hektisch das nächste Manöver einzuleiten. Man muss warten, was passiert. Hier ist es so, dass wir die Steuerbewegung gemacht haben durch diesen Teil-Lockdown. Der Effekt dieses TeilLockdowns wird sich verzögert zeigen. Ich glaube nicht, dass man sagen kann: "Wenn an dem und dem Tag die Fallzahlen noch nicht in einem bestimmten Bereich sind, dann müssen wir den Lockdown verlängern." Sondern die Frage ist nur: Brauchen wir eventuell mehr Maßnahmen, weil es insgesamt als Eingriff nicht gereicht hat? Oder sind wir jetzt, mittelfristig auf einem Korridor, der wieder in die 50 pro 100.000 führen könnte? Das ist die schwierige Frage. Die müssen Epidemiologen anhand der Daten beantworten. Da haben wir in Deutschland leider das Problem, dass erstens die Daten enorm zeitversetzt beim Robert Koch-Institut ankommen. Wir wissen, dass die Johns Hopkins Universität die bessere und schnellere Daten hat als unsere eigenen Behörden. Das andere ist, dass es unvollständige Daten sind. Wir wissen oft nicht, wo sich die Menschen infiziert haben. Selbst die Angabe, ob es eine berufliche Exposition war. Ob sich jemand im Krankenhaus angesteckt hat als Pfleger oder


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Ähnliches. Selbst da fehlen zum Teil die Angaben, wie das Robert Koch-Institut sagt. Sodass das ein Stück weit Kaffeesatz lesen sein wird. Man wird 80/2 0-Schätzungen machen und der Politik eine Empfehlung geben.


Jan Kröger


Was halten Sie davon, dass die politische Debatte sich auf die Zahl 50 Neuinfektionen einengt? Das spielt durchaus eine Rolle bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, wo genau diese Schwelle eingefügt werden soll.



Alexander Kekulé


Ich glaube, das ist zu kurz gegriffen. Das war ein improvisierter Wert. Der ist sehr improvisiert zustande gekommen. Da haben wir schon ein paarmal drüber gesprochen. Er wurde letztlich politisch ausverhandelt. Der war für diese konkrete Pandemie, für diese Situation in Deutschland einfach eine Arbeitsmarke. Mit der kann man agieren. Ich glaube nicht, dass das Sinn hat, den in Stein zu meißeln. Und den für alle künftigen Pandemien festlegen oder den sogar ins Gesetz zu gießen. Ich glaube, dass es hier sinnvoller ist, flexibel sich das Geschehen anzusehen. Und zu gucken, was ist unser limitierender Faktor? Da kann man erinnern, am Anfang der Pandemie war es so, dass gesagt wurde, wir müssen


das R unter eins drücken. Das sei das Ziel. So wurde das kommuniziert. Damals hieß die Strategie, die man gefahren hat: Hammer und Tanz Hammer und and Dance. Die wurde nicht von einem Wissenschaftler, sondern von einem Marketingexperten aus den USA entwickelt. Das war meines Erachtens ein Irrweg, komplett auf das R abzusehen.


In der nächsten Stufe hat man die Überlastung der Gesundheitsbehörden einbezogen. Das war auf jeden Fall der richtige Schritt, dass man nicht nur geguckt hat, werden unsere Intensivstationen voll und wie viel Tote haben wir? Kriegen wir italienische Verhältnisse? Sondern sind die Gesundheitsbehörden in der Lage, die Nachverfolgung zu machen? Das war richtig, dass man das umgestellt hat. In dem Zusammenhang sind die 50 pro 100.000 ins


Feld geführt worden. Das ist auch schon sehr grob, weil die eine Gesundheitsbehörde kommt mit 50 pro 100.000 hervorragend klar. Andere sind damit bereits überfordert. Das hängt stark davon ab, wo sie sind. Sind Sie in einer Großstadt oder auf dem Land? Wie viel Personal haben Sie? Und was sind das für Fälle? Wenn Sie 50 Fälle in einem Cluster haben. Zum Beispiel in drei Schulklassen einer Schule können auch 50 zusammen sein. Dann ist das für die Gesundheitsbehörden ein leichtes Spiel. Wenn Sie 50 Einzelfälle verteilt auf einen großen Landkreis haben und nicht wissen, wo sich die Leute das geholt haben, dann ist es schwierig, die nachzuvollziehen. Was wichtiger ist, als auf die Zahlen zu starren: Wir haben jetzt im Herbst die besondere Situation, dass ein Teil der Bevölkerung nicht mehr so einsieht, das alles zu machen. Viele sind wirtschaftlich am Ende. Viele vollziehen die Maßnahmen nicht mehr nach. Ich glaube, dass das unser Hauptproblem ist, dass viele das gar nicht mehr melden. Sie haben irgendeine Erkrankung, die Covid-19 sein könnte. Sie lassen sich nicht untersuchen. Oder wenn sie einen positiven Test haben, verfolgen sie es nicht nach. Oder sie machen die Angaben bei der Gesundheitsbehörde nicht, weil sie auf einer Party waren, wo sie ihre Freunde nicht kompromittieren wollen. Wir haben jetzt eher einen sozialen Effekt dabei. Dieser sture Blick auf die Zahlen, dann vielleicht gegossen in ein Gesetz, das halte ich für zu verkürzt.


Jan Kröger


Am Montag werden Bund und Länder wieder beraten, wie es weitergeht. Erwarten Sie da große Schritte?



Alexander Kekulé


Das ist spannend. Wir werden sehen müssen, wie die Entwicklung in den nächsten Tagen ist. Ich hoffe, und ich glaube, dass man einen deutlichen Bremseffekt sieht. Wenn in den nächsten Tagen die Neuerkrankungen zurückgehen, da kann man nicht erwarten, dass es bis Montag auf einen bestimmten Wert fällt. Es geht darum, dass die Tendenz nach


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unten geht. Auch dieses R, was bundesweit berechnet wurde, das ist deutlich unter eins. Das sagt nicht so viel aus über einzelne Herde, die irgendwo in einer Großstadt bestehen. Aber insgesamt kann ich mir vorstellen, dass man bei diesen vier Wochen bleibt.


Was dann wichtig sein wird, ist die Frage, wie gehen wir Richtung Weihnachten weiter? Da sind Familienfeste Tradition. Da müssen wir uns was überlegen, wie wir das für die Bevölkerung möglich machen können.


Auch für den Einzelhandel ist das Vorweihnachtsgeschäft extrem wichtig. Dass man jetzt Weihnachten cancelt wegen der Pandemie bzw. nicht nur wegen der Pandemie, sondern weil man sich seit dem Sommer zu schlecht auf den Winter vorbereitet hat. Das ist eigentlich das Kritische daran. Das wäre etwas, was eine enorme politische Brisanz hätte.


Jan Kröger


Enorme Brisanz konnte man gestern auch ablesen am Titel der Bild-Zeitung. Die Schlagzeile lautete: "So tödlich ist der Lockdown".


Der Hintergrund war eine Studie, die haben Ärzte am Klinikum Hochrhein durchgeführt, in ihrem eigenen Landkreis. Im Landkreis Waldshut-Tiengen an der Grenze zur Schweiz. Dort haben sie im April untersucht, wie die Übersterblichkeit gewesen ist. Also wie viele Menschen sind im Jahr 2 02 0 mehr gestorben als im Vergleich zu den Vorjahren. Sie haben einen Effekt gemerkt, dass sowohl wegen Corona als auch wegen des Lockdowns eine Übersterblichkeit bestanden haben muss. Sie haben sich die Zahlen auch durchgelesen. Wie ist Ihre Beurteilung? Vor allem auch der Schlagzeile?



Alexander Kekulé


Das mit der Übersterblichkeit, das funktioniert ja. Sie haben es gesagt. Man weiß, dass in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Zahl von Personen in einer Region normalerweise stirbt. Dann nimmt man den Mittelwert aus den letzten Jahren. Dann hat man irgendeinen Faktor, den man da drüber legt. Man weiß aber nicht, ob der kausal ist.


Typischerweise macht man das mit Influenzawellen. Die kann man ganz gut beschreiben. Da weiß man, dann und dann war die Influenza. Bei Covid-19 weiß man, wann die Infektionswellen waren. Das Problem ist: Man kann nicht sagen, wenn diese Übersterblichkeit größer ist als die Zahl der Covid-19-Fälle, das wurde hier festgestellt, dann muss die Ursache für die zusätzlichen Toten der Lockdown gewesen sein. Also diese Schlussfolgerung ist absolut nicht richtig. Das kann man nur so kurz sagen. Wir haben mehrere Studien in diesem Podcast besprochen, die Übersterblichkeiten untersucht haben. Beispielsweise in Italien gab es eine große Studie. Da hat man am Anfang des Lockdowns festgestellt, dass die Übersterblichkeit wesentlich größer war als die Zahl der gemeldeten Covid-Fälle. Da hat man festgestellt, dass ein erheblicher Teil, etwa


30 % der Todesfälle, gar nicht als Covid-19 gemeldet waren. Aber genau in dem Zeitraum, wo die Welle gelaufen ist, sind sie gestorben. Da haben die eine ganz andere Schlussfolgerung draus gezogen. Die haben nicht gesagt, das lag am Lockdown. Sie haben gesagt, das waren wahrscheinlich Covid-19-Fälle, die nicht erkannt wurden. Weil sie trotzdem die Übersterblichkeit von alten Menschen haben. Die sind zum Beispiel in Italien zu Hause gestorben. Keiner wusste genau, warum. Niemand hatte eine Covid-19-Diagnostik gemacht. Deshalb wurde eher gesagt, es war ein Problem, dass man sie nicht registriert hat. Eine ähnliche Studie gab es in den Vereinigten Staaten. Etwas später, zeitversetzt. Die kam zu dem gleichen Ergebnis. Es wurde zu wenig über Covid-19 berichtet. Man hat gesagt Covid-19 ist gefährlicher als es ursprünglich aussah. Es hat mehr Tote gefordert als vermutet. Wenn wir das auf den deutschen Landkreis übertragen, müsste man diese Variante ausschließen. Ich habe den BildZeitungsbericht überflogen und gesehen, da stand was drin von älteren Menschen, die zu Hause gestorben sind. Woher wissen die Leute, die die Studie gemacht haben, dass das keine Covid-19-Fälle waren, die nicht erkannt


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wurden? Das ist das Entscheidende, das man klären muss. Ist es eine auf Covid-19, auf den Erreger zurückzuführende Übersterblichkeit, die nicht erkannt wurde? Oder ist es auf etwas anderes zurückzuführen? Dann kann man etwas spekulieren. Dann kann man sagen, vielleicht ist die Oma nicht zum Arzt gegangen, weil sie Angst hatte. Sie hatte einem Herzinfarkt, hat es nicht bemerkt und ist deshalb gestorben. Dann darf man als nächsten Schritt solche Überlegungen machen. Aber in der Medizin sagt man immer, das Häufige ist häufig und das Seltene ist selten. Deshalb, wenn jetzt gerade eine Welle ist von so einem Infektionserreger, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Infektionserreger mit der Übersterblichkeit etwas zu tun haben, das Erste, was man prüfen muss.


Jan Kröger


Sie sprechen es an. Das ist der Kern, an den sich die Autoren der Studie halten. Stefan Kortüm ist einer der Mitautoren. Er ist Intensivmediziner in dem erwähnten Klinikum. Er hat in dem Interview mit MDR Aktuell gestern seine Schlussfolgerung und letzten Endes seine Kritik so zusammengefasst:


Stefan Kortüm


"Aus meiner Sicht wäre es ganz wichtig, dass die Berichterstattung und die Risikokommunikation etwas ausgewogener gestalten wird als im Frühjahr. Wir hatten im Frühjahr in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch ein einziges Thema. Das war Corona. Obwohl bekanntermaßen chronische Krankheiten keine Coronapause machen. Hinzu kamen auch Aufrufe im Rahmen der Risikokommunikation seitens der Politik, die Krankenhäuser freizuhalten für CoronaPatienten. Auch das wird sicherlich den einen oder anderen veranlasst haben, zu sagen: "Dann gehe ich lieber später zum Arzt." Und dann kam es nicht mehr dazu."


Jan Kröger


Noch mal zusammengefasst: Der Kern ist, die


Leute mit chronischen Erkrankungen sind nicht mehr zum Arzt gegangen. Die Kritik besteht in der Risikokommunikation und in der medialen Berichterstattung. Können Sie das nachvollziehen?



Alexander Kekulé


Ich gehe davon aus, dass es diesen Effekt gab. Ganz klar. Es gibt Studien, die in diese Richtung Untersuchungen gemacht haben. Das bezeichne ich als sekundäre Kollateralschäden. Ein Kollateralschaden ist sozusagen einer, der neben der eigentlichen Gefahrenquelle entsteht. In dem Fall nicht durch das Virus selber, sondern indirekt. Es gibt primäre Kollateralschäden. Die entstehen dadurch, dass jemand zum Beispiel krank ist, der eine wichtige Funktion hat. Wenn ein Polizist krank ist und deshalb kann der Verkehr nicht mehr geregelt werden und es kommt deshalb zu einem Unfall, dann haben sie einen primären Kollateralschaden. Ein sekundärer entsteht durch die Gegenmaßnahmen. Es ist so, dass sekundäre Kollateralschäden auf jeden Fall vorhanden sind. Es wird hinterher eine schmerzliche Bilanz sein. In der ganzen Pandemie muss man sich ansehen, was haben die Gegenmaßnahmen in der Summe gebracht? Und wie viel haben sie geschadet? Wie das hier gesagt wurde. Sie haben Schäden, weil chronisch Erkrankte nicht behandelt wurden. Es gibt Untersuchungen über wichtige Operationen, die verschoben wurden. Über Krebstherapie, die suboptimal gelaufen ist. Chemotherapie-Patienten müssen regelmäßig zum Arzt gehen. Da gibt es eine lange Liste. Bis hin zur AIDS-Therapie. Menschen, die HIVpositiv sind, müssen regelmäßig Medikamente nehmen. Das muss immer wieder untersucht werden, ob die Medikamente stimmen. Wenn so jemand einen Monat zu spät zum Arzt geht, kann das erhebliche Schäden nach sich ziehen. Ich gehe einen Schritt weiter. Ich glaube, wir müssen auch Dinge wie Depressionen, häusliche Gewalt, Dinge, die sekundär entstehen durch die Gegenmaßnahmen, durch den Lockdown oder Ähnliches. Die müssen wir irgendwann in eine Liste schreiben. Und dann


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gucken, wie viele Todesfälle haben wir vermieden dadurch? Und wie viele Erkrankungen und Todesfälle haben wir zusätzlich erzeugt.


Ich weiß nicht, was am Schluss rauskommt. Das weiß keiner. Sie können nicht zu Beginn einer Gefahr sagen, ich mache nichts, weil die Gegenmaßnahmen sind möglicherweise schlimmer als das, was ich verhindern will. Das ist erst retrospektiv möglich.


Jan Kröger


Also, eine Schlagzeile wie "So tödlich ist der Lockdown" ist definitiv verfrüht?



Alexander Kekulé


Das ist verfrüht, weil die Quantifizierung über die Übersterblichkeit nicht stimmt. Das kann man nicht zuordnen. Das muss man sich praktisch so vorstellen: Wenn Sie irgendeinen Effekt sehen, dann wissen Sie nicht, auf was der zurückzuführen ist. Die Kausalität ist nicht klar. Wir sehen eine Übersterblichkeit. Es könnte aber auch Covid-19 selbst sein. Da das Virus zu dem Zeitpunkt vorhanden war, ist das die wahrscheinlichere Erklärung aus meiner Sicht. Andere Fachleute, die ähnliche Sachen in Italien und den USA untersucht haben, kamen zu dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich dann Covid-Tote waren, die nicht erkannt wurden.


Jan Kröger


Wir schauen auf die Situation in den deutschen Schulen. Die bewusst in diesem November, im Gegensatz zu vielen Unternehmen, offen gehalten worden sind. Da hat sich gestern der Deutsche Lehrerverband zu Wort gemeldet mit einer Art Zwischenstand. Mindestens 300.000 Schüler sollen sich in Quarantäne befinden. Ebenfalls etwa 30.000 Lehrerinnen und Lehrer. Der Vorwurf geht in Richtung Politik. In fast allen Bundesländern wurden die Hygienestufenpläne des Robert Koch-Instituts, die in den Corona-Hot-Spots auf halbierte Klassen setzen, außer Kraft gesetzt. Schulen sollen auf Biegen und Brechen offen bleiben. Die bewerten Sie die aktuelle Lage?



Alexander Kekulé


Die Lage ist undurchsichtig. Das war jetzt nur


eine Mitteilung einer Vereinigung. Das ist nicht so, dass das eine offizielle Einrichtung ist, die die Zahlen von 300.000 quarantänisierten Schülern genannt hat. Wir haben in der Tat Anweisungen der Bundesländer an die Schulen, die erstens ganz unterschiedlich sind. Und zweitens so nicht machbar sind. Wenn man sagt, ihr müsst alle so und so viele Minuten lüften, im Sinne von einem kompletten Luftwechsel. Das geht in der Praxis nicht. Auch die aktuellen Bestrebungen, irgendwelche Luftwäscher aufzustellen, das halte ich nicht für zielführend. Wir haben das mal besprochen. Man muss viermal so viele Kapazitäten aufstellen, wie es nominal vom Hersteller angegeben wird. Wenn Sie einen Luftwäscher für 50 m2  haben und das Klassenzimmer ist 50 m2 , dann müssen Sie vier davon aufstellen. Ich bin absolut sicher, dass das in dieser Weise nicht beschafft wird. So viele gibt es auch nicht. Meines Wissens sind die bis in den Februar ausverkauft.


Hier werden im Grunde genommen die Probleme auf die unterste Ebene abgeschoben, auf die Lehrer, auf die Schüler auch. Statt dass man direkte Lösungen nimmt und die Leute testet. Wenn sie zweimal pro Woche getestet werden, dann haben Sie das Problem nicht komplett aus der Welt. Die Schnelltests würden einen Teil der Schüler falsch testen. Dann hätten Sie immer noch gelegentliche Ausbrüche. Dann ist das Problem epidemiologisch aber nicht mehr relevant. Da kann man lange schimpfen. Das scheibchenweise Schließen im Rahmen der Quarantäneanordnung ... was ist da passiert? Da hat es einzelne Infektionen in der Schule gegeben. Die Politik hat gesagt, die Schulen sind sicher. Das ist schlecht, so was als Politiker zu sagen, wenn dann hinterher Ausbrüche stattfinden. Da ist der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen.


Was man von der Sache her machen muss und was wichtig ist, man sollte nach Altersgruppen unterscheiden. Wir wissen aus anderen Ländern, auch zum Teil Ergebnisse aus Deutschland. Aber das wurde sehr genau in den USA untersucht. Ab 14 Jahre aufwärts sind


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die Schüler ein erhebliches Risiko. Da ist es dringend notwendig, die konsequent zu schützen. Da bin ich auch nicht so sicher, ob es reicht, wenn sie in einer vollbesetzten Klasse mit geschlossenen Fenstern mit Masken sitzen. Sie kriegen Superspreading unter Umständen mit Maske, wenn sie lange genug zusammensitzen und die Maske nicht richtig getragen wird, zwischendurch abgesetzt wird zum Trinken und Ähnliches. Ich glaube, da muss man überlegen für die älteren Schüler, wenn man da keine Tests machen will oder kann, wie man anderweitig zum sicheren Konzept kommt.


Wo wir nicht wissen, was der Stand ist, sind die unter 14-Jährigen. Also Grundschüler insbesondere. Da ist es unklar, ob es dort zu Infektionen kommt oder nicht. Wir sehen keine Hinweise auf Infektionen. Aber das kann auch bedeuten, dass die sich infizieren, aber so gut mit dem Virus klarkommen, dass sie nach kürzester Zeit das Virus abgewehrt haben, ohne viel Virus auszuscheiden. Das kann alles unter dem Radar stattfinden, solange man das nicht genau untersucht.


Bei den aktuellen Zahlen und wenn man hört, 300.000 sind in Quarantäne, da ist nicht mit angegeben, ob das Grundschüler oder Schüler von weiterführenden Schulen sind. Das wäre eine ganz wichtige Information. Bei den Grundschülern sind wir unsicher, ob wir die weiterhin zum großen Teil ohne Maske in den Unterricht lassen können.


Jan Kröger


Kommen wir zu einem Thema, dass wir Dienstag kurz besprochen hatten. Nämlich die Frage einer Hörerin. Da ging es um das erhöhte Risiko für Schwangere, schwer an Covid-19 zu erkranken oder auch zu sterben. Wir haben uns zwischenzeitlich die Zahlen angesehen, auf die auch unsere Hörerin sich bezogen hat, von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde. Die haben von Ende Januar bis Anfang Oktober rund 400.000 Schwangere untersucht und das Ergebnis festgestellt. Die Frage war: Brauchen wir eine


neue Bewertung von Schwangeren als Risikogruppe?



Alexander Kekulé


Diese aktuelle Studie hat weitergeführt, was wir im Podcast schon mal besprochen haben. Es ist so, dass die erste Auswertung in den USA im Juli gelaufen ist. Jetzt hat man fünfmal so viele Fälle untersucht. Man hat das noch mal bestätigt. Das ist klar, dass das Risiko für eine Altersgruppe von 35-44 Jahren, die älteren Schwangeren, dass dort das Risiko beatmet zu werden als Covid-Patient viermal so hoch ist wie bei anderen Covid-Patienten. Das Risiko zu sterben an Covid ist ungefähr doppelt so hoch wie bei nicht schwangeren Patienten. Das heißt also, das ist ein deutlich erhöhtes Risiko. Aber diese Studie hat ein paar Nachteile. Einer ist, da gab es nur: schwanger, ja oder nein. Aber nicht, schwanger in welchem Monat.


Es könnten alles Patientinnen gewesen sein, die das erhöhte Risiko hatten, die gegen Ende der Schwangerschaft auf die Station kamen. Weil in der frühen Schwangerschaft gibt es keinen Hinweis darauf, dass solche Risiken bestehen. Und man muss es vergleichen mit dem Risiko, was eine Fettleibigkeit hat. Oder dem Risiko, das COPD hat, die Lungenkrankheit, die Raucher auch bekommen.


Im Vergleich dazu ist eine Schwangerschaft, selbst bei denen, die am Ende der Schwangerschaft sind und die in der kritischen Altersgruppe sind, sogar bei denen ist es absolut gesehen bei Covid-19 ein kleines Risiko. Andersrum gesagt: Jemand, der stark übergewichtig ist, ohne schwanger zu sein, der hat ein viel höheres Risiko an Covid-19 zu sterben. Im Vergleich mit anderen Lebensrisiken ist die Schwangerschaft nichts, was wahnsinnig rausschlägt. Ich sage mal ein Beispiel. Genauso gefährlich schwanger zu sein ist in den USA Latino zu sein. Dann haben Sie auch die gleichen Faktoren. Dann werden Sie viermal so häufig beatmet und sterben doppelt so häufig wie die anderen.


Die Schwangerschaft ist also kein Riesenalarmzeichen. Aber ich würde daraus


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ableiten, sicher ist sicher. Wer gegen Ende der Schwangerschaft ist, sollte sich konsequent schützen wie die Leute über 70.


Mit einer FFP2 -Maske zum Einkaufen gehen und solche Dinge.


Jan Kröger


Kommen wir abschließend weiteren Hörerfragen.


Silke hat uns geschrieben. Sie arbeitet in einer Beratungsstelle und hat sich entschieden, eine FFP2 -Maske zu tragen. Nun kam die Frage:


"Wie lange darf ich die FFP2 -Maske tragen? Ich weiß von anderen Diensten, wo es die Anweisung gibt höchstens anderthalb Stunden und dann 30 Minuten Pause. Meine Beratungszeit umfasst insgesamt vier Stunden, aber nicht am Stück, mit Maske. Muss ich längere Maskenpausen machen oder geht das durch die Lüftungsunterbrechungen auch so?"



Alexander Kekulé


Da gibt es keine objektive Vorschrift. Das ist subjektiv. Der eine verträgt es besser, der andere muss etwa jede halbe Stunde die Maske abnehmen. Ich würde davon abraten, in der Situation, wo man gefährdet ist, die Maske abzunehmen. Da sollte man rausgehen an die frische Luft. Ich sehe das manchmal beim Zug fahren, da muss man die Maske tragen. Leute erholen sich, indem sie die Maske abnehmen. Das ist nicht so sinnvoll. Aber sonst kann man ohne weiteres eine FFP2 -Maske vier Stunden lang tragen. Es gibt Leute im Labor, die so lange die Maske aufhaben. Es hängt auch damit zusammen, ob man sprechen muss. Beratungstätigkeit klang jetzt so, als müsste man reden. Da kann die Maske nass werden. Wenn man durch das ständige Sprechen irgendwann die Maske angefeuchtet hat, dann ist sie nicht mehr so gut durchlässig. Das Atmen fällt schwerer. Oder die Luft geht außen vorbei. Zweitens ist es so, dass eine feuchte Maske ein Boden für Keime ist und die Effektivität nachlässt. Wenn die ganz durchnässt wäre, könnte beim Ausatmen so ein kleiner Nebel entstehen von der Maske


weg. Deshalb würde ich sagen, sobald die Maske feucht ist, muss man sie auf jeden Fall wechseln.


Jan Kröger


Dieser Anruf hat uns erreicht. Da geht es noch mal um den Impfstoff:


"Wenn jemand geimpft wird, ist bekannt, wie lange dann die Immunität anhält? Oder ist es wie bei anderen Impfungen, wo die Wirkung schon nach Monaten vorbei ist?"



Alexander Kekulé


Erstens die Impfung hält wahrscheinlich nicht ewig an. Wir haben einen bestimmten Covid-19-Erreger, dieses Sars-CoV-2 , in der jetzigen Situation. In der jetzigen Situation wird die Impfung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Epidemie durchbrechen in Deutschland. Ob das weltweit die Pandemie stoppt, ist fraglich. Es kann sein, dass irgendwo auf der Welt sich das Virus weiterentwickelt und Varianten entstehen, die genau mit diesem Impfstoff nicht zu stoppen sind. Da müsste man ein Jahr später den Impfstoff ein bisschen modifizieren und unter Umständen nachimpfen. Ich halte für wahrscheinlich, dass jeder, der geimpft ist, den Schutz hat, dass er in dieser Pandemie keine tödliche Erkrankung mehr kriegt.


Dann haben Sie eine Erkältung und das Immunsystem kommt damit klar, ohne dass es so eine schwere Erkrankung wird. Das wäre das Ziel der Impfung. Nicht die komplette Eradikation des Virus.


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 119. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder. Dann wieder zu einem Hörerfragen-Spezial. Bis dahin, auf Wiederhören.



Alexander Kekulé


Wiederhören, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns.


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Die Adresse: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 2 2  00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 10.11.2 02 0 #118: Biontech-Impfstoff Durchbruch oder Hype?


Jan Kröger, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Jan Kröger


In den letzten Tagen ist viel von Impfungen die Rede gewesen. Sogar von einem Durchbruch beim Impfstoff. Aber wie weit sind wir wirklich?


Die mutierte Variante des Coronavirus in Dänemark. Wie gefährlich ist es?


Sind Schwangere nach neuesten Erkenntnissen auch als Risikogruppe zu betrachten und sollten folglich besonders vorsichtig sein zu arbeiten?


Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. In dieser Woche bin ich Ihr Ansprechpartner für die vielen Fragen, die Sie uns zuschicken. 

Camillo Schumann

 hat ein paar Tage Urlaub und ist dann ab kommendem Dienstag wieder für Sie da. Nichts geändert hat sich aber bei der Hauptperson unseres Podcasts, dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Kröger.


Jan Kröger


Herr Kekulé, das war gestern eine Meldung, auf die vielleicht viele gewartet haben. Manche haben von einem Durchbruch gesprochen. Das Pharmaunternehmen Biontech meldet eine 90%ige Wirksamkeit bei seinem Impfstoff. Was


genau bedeutet das, was die jetzt vorgelegt haben?


[0:01:31]



Alexander Kekulé


Das war der lange erwartete Zwischenbericht aus der Studie, die die schon länger offengelegt haben. Das ist ja eine von elf Phase-III-Studien, die weltweit laufen. Und man muss sagen, dass Pfizer und Biontech jetzt mit der Studie die Spitzenposition von den elf Studien eingenommen haben. Das sieht tatsächlich sehr gut aus. Das ist ein experimenteller Impfstoff. Die haben ein RNA-Molekül genommen und das zum Impfstoff umfunktioniert in gewisser Weise. Man spritzt es einem Menschen und der produziert dann selber ein Protein, was so ähnlich aussieht wie die Oberfläche von diesem Sars-CoV-2 -Virus. Das Immunsystem reagiert darauf. Das ist ein ganz moderner Ansatz, hat es noch nie gegeben und gibt auch keinen einzigen Impfstoff, der jemals so funktioniert hat. Deshalb war das sehr spannend, ob das überhaupt halbwegs funktioniert. Und jetzt mit 90% Schutz, das sieht also sehr, sehr gut aus.


Jan Kröger


Nun haben Sie auch gesagt und auch das Unternehmen hat gesagt, es handelt sich um ein Zwischenergebnis. Was bedeutet das genau?



Alexander Kekulé


Man rechnet bei solchen Studien erst mal aus, wie viele positive Fälle brauche ich, um in Effekt zu sehen? Man muss sich das so vorstellen: Da werden einige Zehntausend Menschen geimpft. Die Hälfte davon mit einem richtigen Impfstoff und die andere Hälfte mit einem Placebo. In dem Fall hatte man mal angefangen mit einer Idee von 30.000. Das war das Minimum, was man brauchte, aus statistischen Gründen, um einen Effekt gut zeigen zu können. Aber da hat dem Unternehmen erst mal in die Hände gespielt, dass die Pandemie einfach so schlimm weitergeht. Vor allem in den USA, wo dieser Impfstoff hauptsächlich getestet wurde. Sodass man jetzt sogar bei etwas über 43.000 ist. Man hat also relativ viele Kandidaten.


Da werden dann immer so Zwischen-


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auswertungen gemacht. In dem Fall ganz interessant: die erste Zwischenauswertung. Da sollte eigentlich ausgewertet werden, wenn man die ersten 32  Infizierten hat in der ganzen Population. Das hat man einfach übersprungen, aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich weil Kritiker gesagt haben, das Ergebnis sei dann noch zu unsicher. Die nächste Stufe, die dann eigentlich geplant war, war bei 62  Fällen. Also doch relativ viele Fälle. So kann man statistisch schon mal irgendetwas sagen. Und aktuell hat am Sonntag das Komitee, was diese Daten dann feierlich öffnet und sich anschaut, sogar auf 94 Fälle blicken können. Auf Basis dieser 94 Infizierten in der Gesamtpopulation der Geimpften kann man also feststellen, welcher Anteil war geimpft und welche Anteil war nicht geimpft. Anhand dieser Zahlen kann man relativ klar sagen, wenn es 90% Wirksamkeit ist, dann können von diesen 64 höchstens sechs oder sieben geimpft gewesen sein. Das ist schon toll, dass in der Gruppe, die geimpft war, nur ein Zehntel der Menschen sich infiziert haben als in der Gruppe, die nicht geimpft war. Das ist ein sehr, sehr deutlicher Hinweis darauf, dass das funktioniert.


[0:04:41]


Jan Kröger


Was halten Sie von diesen teils schon euphorischen Bewertungen wie "Durchbruch"? Oder ein Virologe aus New York wurde da zitiert mit der Äußerung, das sei die beste Nachricht seit dem 10. Januar.


[0:04:52 ]



Alexander Kekulé


(lacht) Pfizer hat das ja schon lange angekündigt, das ist klar. Und die Daten dieser Studien waren offen gelegt. Das wurde immer gesagt, Ende Oktober gibt es die Ergebnisse. Und das sind jetzt die Ergebnisse. Man könnte sagen, es läuft wie am Schnürchen. Es ist nichts schiefgegangen soweit. Ich vergleiche so was immer mit einem Autorennen. Wenn überhaupt noch jemand im Rennen ist und nicht irgendwo aus der Kurve geflogen ist, dann freue ich mich schon. Das heißt aber noch lange nicht, dass einer durchs Ziel gefahren ist. So sind wir hier in der Situation, dass also Pfizer und Biontech wirklich 100 % im


Plan liegen. Das ist nicht ganz trivial. Weil das so ein experimenteller Impfstoff ist. Und dass der vor allem so gut wirkt. 90 %, das ist wirklich viel und wäre völlig ausreichend.


Wenn jetzt schon so ein Hype gestartet wird, muss man leider auch sagen, das ist ja ein Zwischenergebnis. Das wird dann noch einmal nachjustiert, wenn die endgültigen Daten vorliegen. Das wird so ungefähr noch drei Wochen dauern. Weil es so wahnsinnig viele Infektionen in den USA gibt, wird man relativ bald so weit sein, dass man an die volle Zahl für diese Studie zusammen hat. Das sollten 164 Fälle sein insgesamt. Und was man auch noch nicht hat, ist die abschließende Sicherheitsbewertung. Da ist gesagt worden von der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA, dass man mindestens 2 Monate nach der letzten Impfung die Patienten oder die Probanden in dem Fall beobachtet haben muss, um zu sagen, wie viel Nebenwirkungen dieser Impfstoff hat. Bis jetzt wurden angeblich keine Nebenwirkungen beobachtet oder keine relevanten. Das ist ein gutes Zeichen. Man muss auch sagen, das ist eine Mitteilung des Herstellers. Das ist noch keine wissenschaftlich überprüfte Publikation. Ich bin da aber sehr optimistisch, dass sie die Wahrheit sagen. Das wäre politisch extrem ungeschickt, jetzt Hoffnungen zu wecken, zuzusehen, wie die Aktienkurse hochgehen und hinterher sich widerlegen zu lassen von irgendwelchen Fachleuten. Das halte ich in dem Fall für unwahrscheinlich, dass das Ergebnis noch mal sehr stark verändert wird.


[0:07:05]


Jan Kröger


Über die Politik sprechen wir gleich noch einmal. Noch zum Nachfragen: Sie sprechen von einem experimentellen Impfstoff. Wir haben auch schon im Verlauf dieses Podcasts öfter über diese RNA-Technik dort gesprochen. Wie genau soll dieser Impfstoff dann im Körper wirken?


[0:07:2 0]



Alexander Kekulé


Ein normaler Impfstoff funktioniert ja so, dass man ein Virus hat, was man abtötet oder irgendwie inaktiv macht, dass es keine schwere Krankheit mehr machen kann. Und dann spritzt


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man das als Impfung. So haben die Impfstoffe eigentlich klassisch immer funktioniert früher. Das Immunsystem sieht dann dieses halbtote Virus und reagiert aber so ähnlich, als wenn ein echtes Virus oder ein funktionierendes Virus da wäre. Es reagiert dann mit Antikörpern und mit sogenannten zytotoxischen T-Zellen. Die können dann Zellen angreifen, in denen sich das Virus versteckt hält.


Diesen klassischen Prozess hat man jetzt um eine Stufe erweitert. Man hat gesagt, wir geben da gar nicht das tote Virus oder auch Bestandteile von dem Virus rein. Sondern quasi nur die Gebrauchsanweisung, wie man das Virus herstellt, in Form einer sogenannten RNA. Diese Gebrauchsanweisung wird durch kleine Fetttröpfchen, in denen das eingepackt ist, sogenannte Lipid-Nanopartikel, aufgenommen von den Zellen an der Stelle, wo man das gespritzt hat. Also irgendwelche Immunzellen, die dort unterwegs sind hauptsächlich. Die fangen an, nach der Gebrauchsanweisung Bestandteile des Virus zu produzieren. Dann kommen die Immunzellen vorbei und sagen: "Hoppla, da sind ja Virusbestandteile." Also dieses Spike-Protein, dieses Oberflächenproteinen des Virus. "Da müssen wir etwas tun." Die fangen an, Antikörper zu produzieren, giftige Zellen zu laden, quasi, dass die sich dagegen wehren können. Das nennen wir Immunantwort. Etwas verzögert kriegt man sozusagen die Antwort. Warum ist das so wichtig oder so interessant, das so um die Ecke zu machen? Aus 2 Gründen. Der eine ist, diese RNA-Impfstoffe, da kann man Unmengen in kurzer Zeit herstellen. Das war der Grund, warum man das hier gemacht hat. Wenn man quasi tote Viren spritzen will, muss man die erst mal anzüchten, da muss man sie sicher abtöten und solche Dinge. Man muss auch prüfen, dass der Impfstoff wirklich sicher ist. Bei diesen RNAImpfstoffen kann man sehr, sehr große Mengen in kurzer Zeit produzieren. Der andere Vorteil ist, falls das Virus sich im Lauf der Strecke verändern sollte. Wenn wir jetzt irgendwann anfangen zu impfen, ist damit zu rechnen, dass das Virus sich genetisch verändert. Weil die Weichen quasi dann aus, wenn die Population teilweise immun ist. Dann gibt es mehr Veränderungen bei dem Virus. Dann kann man so einen RNA-Impfstoff viel


schneller nachjustieren. Da kann man ein bisschen was ändern, damit es dann doch wieder passt auf das mutierte Virus. Das sind so die Vorteile. Der Nachteil ist, dieses Material muss auf minus 80°C gekühlt werden beim Transport. Das ist natürlich eine logistische Herausforderung. Das kann man nicht einfach so als Päckchen verschicken, sondern im großen Stil. Falls dass der Impfstoff sein sollte, mit dem man arbeitet ... Es gibt eben noch zehn andere. Aber falls man den im großen Stil einsetzt, wäre es so, dass man bei minus 80°C ultra-tiefgekühlt die Impfstoffdosen transportieren muss.


Das ist nicht von Pappe. Das ist ein schwieriges Unterfangen.


[0:10:2 9]


Jan Kröger


Über Impfstoffverteilung ist auch in Deutschland in den letzten Tag viel geredet worden. Kommen wir gleich dazu. Was mich noch interessiert hatte: Die Zulassung in den USA könnte in wenigen Wochen erfolgen. In Europa wird es länger dauern. Worin liegt der Unterschied?


[0:10:42 ]



Alexander Kekulé


In den USA haben sie diese Notfallzulassung. Die ist aber noch gar nicht beantragt. Das macht man normalerweise nicht so, dass man da wartet, bis man fertig ist und das wie Kai aus der Kiste holt. Sondern da sind die Leute in engem Kontakt mit der Zulassungsbehörde, sowohl in den USA als auch natürlich in Deutschland. Biontech ist ein Unternehmen in Mainz. Es ist so, dass in den USA quasi abgesprochen wurde mit der FDA, dass man gesagt hat, man will diese 2 Monate Sicherheitsdaten sehen. In Deutschland ist es eine europäische Zulassung, die man braucht. Da sind die Behörden einfach insgesamt gründlicher und brauchen ein bisschen länger. Das wird sich aber nicht wesentlich unterscheiden. Es kann sogar sein, dass es am Ende des Tages dann im mehr oder minder zugleich zum Einsatz kommt. Hier ist eher ein Nachteil, dass die USA unter dem ehemaligen Präsidenten Trump schon im Juli einen Vertrag geschlossen haben mit Pfizer. Dafür, dass sie 100 Millionen Dosen kriegen. Man muss


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zweimal spritzen. Das wäre für 50 Millionen Menschen. Für diesen Vertrag haben sie, stand zumindest in den Zeitungen, fast 2  Milliarden US-Dollar gezahlt. Der Deal ist unterschrieben. Im Gegensatz dazu hat Europa eigentlich noch keinen Vertrag und verhandelt immer noch. Das könnte eher ein Problem werden. Diese Studie ist hauptsächlich an Probanden in den USA gemacht worden. Das liegt nicht daran, dass wir hier keine Fälle hätten, sondern da gibt es verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wahrscheinlich, in den USA ist es zulässig, solche Studien auch bei Jugendlichen zu machen, bis zu einem Alter von zwölf Jahren. Unter zwölf Jahre ist da bis jetzt noch gar nichts gemacht worden.


Auch ein wichtiger Punkt bei dieser Studie: Man hat das nicht mit Kindern gemacht. In Europa ist die Grenze für solche Studien aber 18 Jahre. Das heißt also, man hat das ganz bewusst in den USA gemacht, weil man da auch jüngere Menschen mit testen kann. Ich nehme an, dass dort, wo die Studie gemacht wurde, wahrscheinlich auch die ersten Dosen ausgeteilt werden. Zumal die Amerikaner schon einen Distributionsvertrag mit Pfizer haben.


[0:12 :59]


Jan Kröger


Noch ist Donald Trump übrigens nicht ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten. Bis zum 2 0. Januar ist er es noch. Freudscher Versprecher oder wovon kann ich jetzt ausgehen?


[0:13:08]



Alexander Kekulé


Ja, da haben Sie einen Wissenschaftler bei der Arbeit erwischt. In der Forscherszene ist Donald Trump jemand, der knallharte Fakten negiert und der auch die amerikanische Wissenschaftler stark an die Kandare genommen hat. Jetzt muss man offen sagen, nicht der beliebteste. Das ist ein Fakt. In dem Zusammenhang ist ganz interessant, Pfizer und Biontech haben eigentlich angekündigt, Ende Oktober diese Daten herauszugeben. Hier wurde im Sinne eines Vertrauensbeweises etwas Ungewöhnliches gemacht, nämlich dass man das Studienprotokoll veröffentlicht hat. Das ist nicht üblich. Ich wüsste nicht, wann es


jemals bei einer Impfstoff-Studie im Voraus gemacht wurde so detailliert. Da stand drin, dass man Ende Oktober die Zwischenergebnisse haben wird. So wie es jetzt mitgeteilt wurde, hatte man die auch, und zwar zumindest mit diesen ersten 32  Fällen beziehungsweise 62  Fällen. Jetzt, nachdem die Wahlen in den USA entschieden wurden, hat man sich doch das Ergebnis angeschaut. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


Jan Kröger


Sprich, dem ungeliebten Präsidenten keine Wahlkampfmunition zu liefern.



Alexander Kekulé


Genau. Trump hatte sich im ersten Streitgespräch mit beiden konkret auf dieses Pfizer-Projekt berufen. Er hatte gesagt: "Wir werden vor dem Wahltermin einen Impfstoff haben." Da wusste er offensichtlich, was da veröffentlicht worden war. Und wie durch ein Wunder wurde das eben erst kurz nach dem Wahltermin bekannt, obwohl man anhand der Zahlen zurückrechnen kann. Man hätte diese Pressekonferenz auch eine Woche vorher machen können.


Jan Kröger


Versuchen wir es mal neutral zu halten. Sie wollten sich aus dem Wahlkampf heraushalten.



Alexander Kekulé


Selbstverständlich, das würde ich auch so sehen. Die haben sich sicherlich auch missbraucht gefühlt. Da gibt es diese Operation Warp Speed. Da hat Trump immer so getan, als seien es alles seine Leute, die da die Forschung machen.


In der Tat ist es so: In den USA gibt es ein Unternehmen, das heißt Moderna in der Bay Area bei San Francisco. Die machen ganz was Ähnliches. Das ist quasi der direkte Wettbewerber von Biontech. Die machen auch einen RNA-Impfstoff. Die haben sehr viele Mittel von der US-Bundesregierung bekommen bei dieser Operation Warp Speed. Pfizer und Biontech haben am Montag ganz dringend noch einmal darauf hingewiesen, dass sie für Forschung und Entwicklung keinen Cent von den USA bekommen haben. Sie haben lediglich


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diesen Auslieferungsvertrag. Das ist ein Unterschied, ob man Fördermittel vom Staat kriegt oder ob man nur einen Vertrag geschlossen hat.


Man sieht deutlich, sie gehen auf Distanz. Und es war ihnen sicherlich auch unangenehm, dass sie so für den Wahlkampf eingespannt werden sollten.


[0:16:01]


Jan Kröger


Dann blicken wir mal auf die deutsche Situation. Gestern gab es diese Meldung von Pfizer und Biontech. Aber auch in den Tagen zuvor wurde schon viel über Impfungen, über Impfstoffe geredet. Das lag daran, dass die Gesundheitsminister von Bund und Ländern sich auf eine Impfstrategie geeinigt hatten. Dann hat sich auch noch die Bundeskanzlerin am Sonntag folgendermaßen geäußert:


[0:16:19]


Angela Merkel


"Die Vorbereitungen für die Impfung laufen. Auch die Länder planen jetzt Impfzentren. So werden wir dann schauen, wie viel Impfstoff wir zur Verfügung haben, wie lange dieser Impfstoff immunisiert. Das ist die zentrale Aufgabe, dass wir sozusagen die Bevölkerung insgesamt immun gegen das Virus machen wollen."


[0:16:37]


Jan Kröger


Nun wissen wir aus der politischen Berichterstattung, allzu oft äußert sich Angela Merkel nicht ungefragt zu solchen Themen. Das war auch nicht ungefragt. Das war der Tag der offenen Tür der Bundesregierung, virtuell. Aber das Ganze in den letzten Tagen vermittelte ein Gefühl von: Geht es jetzt doch bald los?


[0:16:56]



Alexander Kekulé


Die werden dieses Jahr, wenn es gut läuft, 30 bis 40 Millionen Dosen produzieren. Das heißt, man kann dann 15 bis 2 0 Millionen Menschen dieses Jahr impfen. Das ist die Zahl weltweit. Wobei es auch Staaten wie die USA gibt, die klare Verträge schon haben. Bei anderen weiß ich es nicht genau. Ich nehme jetzt nicht an,


dass in Deutschland dieses Jahr schon die Impfungen losgehen. Nächstes Jahr werden wir sicherlich irgendwann dran sein. Da muss man sich klar darüber unterhalten, wann wer die ersten Dosen bekommt. Meine Prognose war, dass im April angefangen wird zu impfen im größerem Stil. Außerhalb von Studien bei uns. Ich gehe davon aus, dass es dabei bleibt. Es muss ja noch produziert werden. Das muss zugelassen werden. Die Europäische Arzneimittelbehörde muss sich die Daten genauer ansehen. Wenn die im April anfangen zu impfen, dann ist das schon gut. Das wird bei diesem Zeitplan bleiben. Dann wird man sehen, wie gut der Impfstoff wirkt. Ich glaube, man wird ihn auf jeden Fall einsetzen. Weil auch ein Impfstoff, der möglicherweise keine besonders lang anhaltende Immunisierung hat, trotzdem toll ist in dieser Phase. Weil wir überhaupt damit das Infektionsgeschehen erst mal unterbrechen können. Selbst wenn die Impfung nicht sehr lange anhält. Die Kanzlerin hat es angesprochen. Wir haben das sehr genau beobachtet, was dort gemacht wurde. Da gab es schon die Phase-II-Studie vorher. Ich glaube, aufgrund der bisherigen Daten gibt es keinen Hinweis darauf, dass das irgendwie ein kurzzeitiger Effekt sein sollte. So eine Art SilvesterraketenEffekt. Ich glaube, dass man zumindest für einige Monate, bis das Virus sich dann verändert, eine Schutzwirkung hat. Wir haben ein paar andere Fragezeichen. Wir wissen nicht, ob es überhaupt bei Kindern wirkt. Wahrscheinlich schon. Aber wie gut, wissen wir nicht, weil es da nicht getestet ist. Die Frage, wie es dann mit der Zulassung bei Menschen unter 18 in der EU ist, beziehungsweise unter zwölf. Das ist nicht so einfach. Wenn es dann auch nicht getestet wird, ob man es da überhaupt zulassen kann. Und ist rein formal noch nicht gezeigt, das wird immer von meinen US-Kollegen betont, ob das auch schwerste Erkrankungen und Todesfälle verhindern würde. Ja, das ist in der Studie nicht gezeigt. Aber das sage ich ganz pragmatisch: Ein Impfstoff, der eine Infektion verhindert, verhindert indirekt immer auch schwere Erkrankungen. Sodass ich eigentlich ganz optimistisch bin. Außer dass wir bei den Kindern noch nicht genau wissen. Wir wissen nicht, wie lange es wirkt. Aber es wird auf


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jeden Fall ein Impfstoff sein, den wir brauchen können. Sofern nicht plötzlich massive Nebenwirkungen auftreten.


[0:19:40]


Jan Kröger


Das sind viele Fragen, die da noch im Raum stehen. Eine Frage wurde gestern auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Und zwar, wer ist oder wer wäre zuerst dran, wenn es dann tatsächlich losgehen sollte mit der Impfung? Da haben sich wissenschaftliche Berater der Bundesregierung zu geäußert. Sprich die Leopoldina war dabei, der Deutsche Ethikrat und auch die ständige Impfkommission. Mit der Reihenfolge: erst Risikogruppen, dann die Angehörigen in medizinischen und pflegenden Berufen und als drittes weitere systemrelevante Berufe. Eine logische Einordnung?


[0:2 0:14]



Alexander Kekulé


Ja, was hätten Sie gemacht? (lacht) Ich meine, das haben wir in diesem Podcast sogar schon mal so gesagt, dass selbstverständlich die Leute, die alt sind und in den Heimen leben, zuerst geimpft werden. Und das Frontpersonal dann zugleich. Solche Überlegungen hatte man ganz genau so schon mal 2 009 bei der Schweinegrippe angestellt. Jetzt hat sich eine große Kommission noch mal richtig Gedanken drüber gemacht und kommt zu dem sehr naheliegenden Ergebnis. Sie haben zugleich die ganzen heißen Eisen nicht angefasst. Man sagt, alte Leute in Heimen, insbesondere "Risikopersonen in Heimen" steht da drin. Weil man jetzt doch einräumt, dass auch in Deutschland eben diese Situation in den Heimen besonders gefährlich ist. Immer noch sehr gefährlich ist. Das hätte natürlich jeder so gemacht. Zweitens sagen Sie: Pflegepersonal. Und dann, um es noch einmal akademisch ganz genau zu machen, schließen Sie ein, insbesondere dann, wenn das Pflegepersonal Risikopersonen betreut oder selbst Risikoperson ist. Also sozusagen der über 70-jährige Pfleger. Und daran sieht man schon, dass ist sehr akademisch. Da hat die Politik noch einiges zu tun. Und dann kommt dieser Satz, den möchte ich vorlesen.


"Darüber hinaus sind Personen zu schützen,


die für das Gemeinwesen besonders relevante Funktionen erfüllen und nicht ohne Probleme ersetzbar sind." Ich bin sehr gespannt, wie man feststellt, welche Menschen ohne Probleme ersetzbar sind. Da hat die Politik sozusagen noch viel zu tun, zu entscheiden, wer ohne Probleme nicht ersetzbar ist. Oder den anderen zu zertifizieren, dass sie problemlos ersetzbar wären und deshalb nicht geimpft werden. Da ist noch viel zu tun, um das auszuarbeiten. Das ist aber auch bei der Pressekonferenz gesagt worden, dass man erst mal sozusagen die akademischen Leitplanken einziehen wollte. Die hätte man wahrscheinlich an jedem Mittagstisch so formulieren können, wie der Bundesgesundheitsminister das sich wünscht, dass die Diskussion läuft. Ich schätze, da kommt keiner zu einem anderen Ergebnis. Als dass man die Risikopersonen und die Ersthelfer zunächst impft.


Jan Kröger


Läuft bei Ihnen die Diskussion schon? Falls es noch einen Mittagstisch bei Ihnen gibt.



Alexander Kekulé


(lacht) Seit gestern Abend hatten wir noch keinen Mittagstisch. In der Tat läuft da überhaupt keine Diskussion. Weil das so völlig klar ist, dass man das nur so machen kann. Bis auf die eine Einschränkung, dass ich irgendwie finde, die Menschen nach unproblematischer Ersetzbarkeit sozusagen einzuteilen. Das finde ich jetzt auch ethisch interessant. Aber sonst ist es doch völlig klar. Sie müssen dafür sorgen, dass die Ersthelfer nicht abspringen. Das ist ja sowieso ein unzumutbarer Zustand, dass man Krankenpflegepersonal und Ärzte in den Einsatz schickt. Am Anfang hatte man nicht einmal die geeigneten Masken für die. Es kam dann zu vielen, vielen Infektionen, auch Todesfällen. Und das ist ein Glück, dass sie nicht gesagt haben: Nein, wir machen nicht mehr.


Bei der Pest sind die ja reihenweise davongelaufen, als sie gemerkt haben, die Ärzte sterben. Das waren die ersten, die die Stadt verlassen haben. Es gibt Berichte aus Venedig, wo das so war. Bei uns sind die also tapfer an der Front geblieben. Man muss natürlich die impfen, oder auch Sanitäter, die


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jetzt häufig unvermittelt in so eine Situation geraten. Die sollten natürlich das Angebot haben, geimpft zu werden. Interessant wird dann eher die nächste Stufe. Wenn man also die Altersheime durchgeimpft hat und das First Line Responder, also das Erste-Linien-Personal quasi. Was macht man dann? Es wird davon gesprochen, es gibt ja so viele andere Risikogruppen. Da werden sich die melden, die einen hohen Blutdruck haben, die übergewichtig sind. Dann ist die Frage, ab wie viel Übergewicht bist du Risikoperson? Unter Umständen wird da eine Auseinandersetzung stattfinden. Wieso darf der mit seinem hohen Blutdruck jetzt geimpft werden? Und ich, ich habe doch Asthma, und ich nicht.


Ich kann mir auch andersrum leider auch das Gegenteil vorstellen. Die Akzeptanz für diese Impfung ist deutlich gesunken seit Anfang des Ausbruchs. Man muss sehen, wie dann die epidemische Lage ist. Der Impfstoff kommt wohl dann, wenn es wieder wärmer wird. Dann werden wieder die Fallzahlen zurückgehen. Alle werden sich wohler fühlen. Ich kann mir auch vorstellen, dass da gar nicht so die langen Schlangen sind beim Impfen.


[0:2 4:51]


Jan Kröger


Die Probleme, die Sie schon erwähnt haben, die hat auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, gestern angesprochene in dieser Pressekonferenz. Wir hören mal kurz rein:


[0:2 5:01]


Thomas Mertens


"Das hängt davon ab, wie viel Impfstoff zur Verfügung steht. Wie viele Ärzte letztendlich in diesen Impfzentren wirklich impfen können. Wie Transport und Logistik funktionieren werden. Es gibt also derartig viele Unbekannte in dieser Rechnung, dass Sie jetzt kein vernünftiges Ergebnis errechnen können."


[0:2 5:18]


Jan Kröger


Da ging es um die Frage, wie schnell es denn losgehen könnte. Also die Frage, wie viel Impfstoff steht zur Verfügung? Wie viel Personal vor allem? Thema Transport und Logistik mit dem zu kühlenden Impfstoff


hatten wir eben auch besprochen. Das sind alles Fragen, die jetzt noch nicht geklärt sind.


[0:2 5:34]



Alexander Kekulé


Das ist nicht geklärt. Man muss auch dazu sagen, die RNA-Impfstoffe müssen auf minus 80°C gekühlt werden. Das schafft ein normaler Kühlschrank im Gesundheitsamt nicht. Das gilt aber nicht für alle. Und ich gehe davon aus, die anderen sind auch mehr oder minder im Zeitplan. Also AstraZeneca mit Oxford ist auch im Zeitplan. Die werden auch die nächsten Wochen mit den Zwischenergebnissen kommen, sodass wir wahrscheinlich im nächsten Jahr schon mehrere Impfstoffe zur Auswahl haben. Falls es aber dieser sein sollte, das hat Herr Mertens wahrscheinlich im Kopf gehabt, muss man überlegen, wie man den vernünftig an den Mann bringt. Weil das nicht ganz einfach ist mit dieser Ultratiefkühlung. Dazu ein Hinweis, dass man sich das vorstellen kann. Es ist eigentlich eisernes Gesetz bei solchen sogenannten Doppelblindstudien, dass derjenige, der impft, nicht weiß, was er impft. Also, man gibt dem das in die Hand, und der sollte es verimpfen. Der soll es eigentlich nicht wissen, ob er gerade den Impfstoff oder ein Placebo vergibt. Jedes Protokoll hat hier eine Ausnahme gemacht und gesagt nein, wir wollen, dass der, der impft, wirklich weiß, was er gibt. Der Hauptgrund ist gewesen, dass diese Applikation, die Verabreichung so kompliziert ist, dass da keine Fehler passieren sollen. Da sieht man schon, die wollten also nicht einmal doppelblind arbeiten. Aus Angst, dass die Leute, wenn sie bei diesem Prozedere mit dem Tiefkühlschrank einen Fehler machen, möglicherweise das Ergebnis der Studie vermasseln. Daran sieht man, das ist so was, da muss das Personal extra trainiert werden. Wie gesagt, ich wüsste nicht, wo die die Kühlschränke alle hernehmen sollten. Forschungsinstitute haben so was natürlich. Aber so eine normale Impfstation, einen Minus-80°C-Kühler. Das hat kaum jemand. Aber das wird man irgendwie hinkriegen. Und wie gesagt, das wird nicht der einzige Impfstoff sein, der nächstes Jahr zur Verfügung steht. Die werden so nach und nach kommen. Wenn man hoffen kann, wird es so sein, dass man die Auswahl hat. Es


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gibt noch einen anderen interessanten Aspekt. Natürlich werden dann die Sicherheitsdaten irgendwann alle bekannt sein und die Effektivitätsdaten. Jetzt wird von 90% gesprochen. Schauen wir mal, was am Schluss wirklich rauskommt. Es ist etwa die Hälfte der positiven Fälle jetzt ausgewertet worden. Es könnte sich die Zahl noch ein bisschen ändern. Aber jetzt stellen Sie sich vor, Sie wissen, der Impfstoff A hat weniger Nebenwirkungen und ist wirksamer. Und der Impfstoff B hat ein bisschen mehr Nebenwirkungen, ist ein bisschen weniger wirksam. Dann wollen natürlich alle den einen und nicht den anderen Impfstoff haben. So wird es aber nicht laufen. Sondern man wird nehmen müssen, was da ist. Das wird noch eine interessante Diskussion, wenn dann gefragt wird: "Und was hast du so für einen Impfstoff gekriegt? Wie geht es dir? Wie viel Prozent wirkt deiner denn?" Schauen wir mal.


[0:2 8:2 1]


Jan Kröger


Wir haben uns noch nicht das letzte Mal über das Thema unterhalten, nehme ich an. Wir machen an dieser Stelle einen Schnitt, schauen von Deutschland nach Dänemark. Denn dort sind Nachrichten in den letzten Tagen aufgetaucht, die auch vielen unserer Hörerinnen und Hörer Sorgen machen. Stellvertretend möchte ich diese Rückmeldung hier einspielen:


[0:2 8:37]


Anruferin


"Herr Professor Kekulé, ich habe eine Frage zu dem mutierten Coronavirus, was in Dänemark auf den Nerzfarm aufgetreten ist. Ist es sehr gefährlich, beziehungsweise macht es unsere Impfstoffe nicht mehr wirksam? Für wie gefährlich halten Sie dieses Virus, diese Mutation? Und müsste man nicht die Grenze schließen zu Dänemark oder zumindest die Lkw wieder desinfizieren? Irgendwie kommt es mir vor, als würde wieder nicht rechtzeitig gehandelt werden."


[0:2 9:16]


Jan Kröger


Den letzten Punkt können wir vielleicht noch am schnellsten abarbeiten. Dänemark hat von


sich aus bereits die Grenze zu Deutschland geschlossen. Aber diese Frage: Wie gefährlich ist das, was dort passiert ist, im Zusammenhang mit den Nerzfarmen in Dänemark? Die Frage bleibt natürlich im Raum.


[0:2 9:31]



Alexander Kekulé


Nerze sind kleine Bodenräuber und beliebt als Pelzlieferanten. Es gab immer wieder schon Ausbrüche auf Nerzfarmen. Ich glaube, im Juni war das, da gab es schon einen großen Ausbruch in Holland. Es gibt mit Sicherheit auch welche in China, von denen wir nichts hören. Der weltweite Top-Nerzproduzenten ist übrigens Dänemark, die Nummer eins. Das wusste ich früher auch nicht. Dann gehört zu den größten tatsächlich Holland, Polen und China.


Man hat die Situation: Das Virus, das bei diesen Nerzen auftritt, das ist quasi eine Infektion vom Menschen auf das Tier. Einer der Tierpfleger hat das Virus, überträgt es auf das Tier. Diese Nerze sind hervorragende VirusÜberträger. Die können es untereinander verbreiten. Das breitet sich aus wie eine Lawine. Es mutiert bei diesen Tieren stark. Die geben es irgendwann im Ping-Pong-Verfahren wieder zurück an ihre Pfleger oder an den Menschen im weitesten Sinne. Das ist deshalb so gefährlich, weil das ein Riesenreservoir ist. Sie können in der dänischen Bevölkerung lange rummachen, die Infektionen zu eliminieren. Wenn Sie da ein paar Millionen Nerze leben haben ... Ich habe gelesen, das waren


17 Millionen, die sie da hatten. Wenn die zum großen Teil infiziert sind, dann haben Sie quasi in Virusreservoir im Land, von dem immer wieder das Virus überspringen kann auf den Menschen. Das ist die Hauptgefahr.


Das Virus, was von den Nerzen gekommen ist, ist zunächst mal nicht gefährlicher. Es ist weder infektiöser noch macht es schwerer Krankheiten als der Originaltyp. Aber die Hörerin hat völlig recht. Dadurch, dass das so viele Tiere sind, die sich an keine Hygieneregeln halten und keine Masken auf haben, da kann sich dieses Virus perfekt anpassen, verbessern, ändern. Und es ist tatsächlich so von 2 14 Fällen, die in Dänemark beim Menschen registriert wurden, seit Juni allerdings schon, haben zwölf von diesen Fällen


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nach aktuellem Stand eine genetische Veränderung. Das nennen wir "Cluster 5". Das ist also ein neues Cluster, was da aufgetreten ist. Genetisch eine neue Variante. Die ist so weit weg von dem sonst zirkulierenden Covid-19-Virus, dass die klassischen Antikörper-Essays anzeigen, dass das nicht mehr perfekt passt. Wir können neutralisierende Antikörper im Blut von Patienten feststellen, die Covid-19 durchgemacht haben. Man sieht schon, das Virus ist ein bisschen dem Immunsystem ausgewichen. Wenn es jetzt noch weitermacht bei diesen Nerzen, dann würde sich möglicherweise dort ein Typ herausmendeln, der dann selbst Geimpfte noch einmal infizieren könnte. Oder Personen, die die Krankheit durchgemacht haben, noch mal infizieren könnte. Aus dem Grund hat man sich sowohl in Holland als auch in Dänemark dazu entschlossen, die Nerze alle zu töten. Das ist natürlich ein relativ radikaler Schritt. Ich muss sagen, ich finde es richtig. Die Frage ist, warum braucht man solche Nerzfarmen überhaupt in dieser Dimension? Vielleicht kann ich noch dazu sagen, Holland ist einen Schritt weiter gegangen und hat gesagt, Ende des Jahres wird die Nerzzucht insgesamt im Land verboten. Es gibt noch andere Gründe, die dafür sprechen. Ich würde mir sehr wünschen, dass Dänemark darüber nachdenkt, das vielleicht auch zu machen. Oder Polen. Es gibt für mich keinen Grund, diese Tiere in riesengroßer Menge hier zu halten und sich damit immer wieder auch das Risiko von Infektionskrankheiten reinzufahren. Nerze sind einfach biologisch gesehen perfekte Imitate unseres Immunsystems. Man nimmt Verwandte dieser Nerze. Die heißen Frettchen. Die sind nicht ganz so bekannt. Die nimmt man schon ewig als Versuchstiere für Influenzaviren. Weil wir wissen, dass die sich so ähnlich verhalten und immunologisch wie Menschen sind. Das ist ein Risiko, die zu halten. Und natürlich auch vom Tierschutz her nicht das Beste, was wir machen.


[0:33:40]


Jan Kröger


Wenn ich zurückkomme zu der Frage, die sich daran noch anschließt. Ein Impfstoff wäre dann tatsächlich nicht mehr wirksam in jedem Fall?


[0:33:47]



Alexander Kekulé


Das wäre möglich, ja. Also bis jetzt ist es nicht so. Auch dieses "Cluster 5" ist bis jetzt nicht so weit entfernt, dass man sagen muss, da wird der Impfstoff nicht mehr wirken. Aber ja, das ist immer die Gefahr, die man hat. Dann auch der Grund, warum wir übrigens in China so intensiv suchen oder suchen sollten nach dem unbekannten Überträger dieses Virus. Da hatte ich schon mal die Hypothese in den Raum gestellt, dass das auch Nerzfarmen gewesen sein könnten. Oder andere Pelzfarmen in China. Weil wir wissen, dass in solchen Farmen die Tiere zusammengedrängt sind. Von dort kann so etwas immer wieder überspringen. Das heißt, aus China, wo das Virus hergekommen ist, könnte durchaus eine Variante noch mal auf den Menschen überspringen. Eine Variante, wo der Impfstoff nicht wirkt. Das Gleiche würde auch für die Nerze in Dänemark gelten. Aber wenn ich jetzt lese "Zwölf Fälle hat man in Dänemark". Das ist nicht viel. Ich hoffe doch sehr, dass die das unter Kontrolle gebracht haben. Wenn die diesen "Cluster 5" unter Kontrolle haben, ist es sowieso gegessen. Wenn nicht, dann muss man als nächstes ausnahmsweise mal proaktiv schauen und nicht sagen: "Huch, da ist ein Ausbruch. Jetzt müssen wir reagieren." Sondern man muss vorausschauend sagen, die nächsten Nerzfarmen sind gleich um die Ecke in Polen. Die sind noch voll in Betrieb. Und es gibt noch sehr viele in China und auch in anderen Ländern. Da muss man sehr, sehr konsequent jetzt gucken: Sind da auch Virusinfektionen? Ich vermute ja. Das kann kaum anders sein, weil man die Nerze sträflicherweise nicht vor den Menschen geschützt hat. Obwohl man wusste, dass dieses Sars-CoV-2  extrem infektiös für Nerze ist. Dann wird man dort auch die Tiere leider keulen müssen, bevor es zu irgendwelchen Mutationen kommt.


[0:35:31]


Jan Kröger


Ein Thema, das uns hier in Leipzig sehr beschäftigt hat in den letzten Tagen, das war die große Demonstration der QuerdenkenBewegung am Samstag. Jenseits der politischen Debatte hat sich da wieder die Formulierung eingebrannt, dass das ein


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Superspreader-Event mit Ansage gewesen sei. Stimmt's?


[0:35:48]



Alexander Kekulé


Bis jetzt wissen wir davon nichts. Superspreader-Events gibt es definitiv bisher nur in geschlossenen Räumen. Das liegt einfach an der Physik dieser kleinsten Tröpfchen, die man ausatmet und aushustet. Die können in geschlossenen Räumen so einen Nebel bilden, der eine Weile steht. So was ist schon rein physikalisch draußen kaum möglich. Da käme höchstens Tröpfcheninfektionen infrage. Und die sind dann eher so 1:1. Da muss man dann mehr als 2 Meter sich gegenüberstehen und sich laut anbrüllen, ansingen oder Ähnliches. So etwas kann natürlich bei so einer Demo passieren oder wenn die sich umarmen. Aber deswegen ist es kein Superspreader. Dann haben Sie ja nur 1:1Infektionen. Ein Superspreader-Event ist dadurch definiert, dass eine Person es schafft, 50 oder so auf einmal zu infizieren. Da sehe ich jetzt eigentlich keine Hinweise darauf. Das wäre übrigens auch weltweit das erste OpenAir-Superspreader-Event. Ausgerechnet auf dem Augustusplatz in Leipzig. Ich glaube das eher nicht.


[0:36:56]


Jan Kröger


Für uns als Leipziger hat sich natürlich die Frage gestellt, bei dem, was alles gerade verboten ist. Das hingegen ist wiederum erlaubt. Droht da eine Schieflage bei der Akzeptanz der Maßnahmen?


[0:37:08]



Alexander Kekulé


Ja, politisch ist es eher die Frage, warum das Oberverwaltungsgericht des erlaubt hat. Es war ja klar, dass die sich nicht an die Regeln halten. Ich glaube, dass das ein schlechtes Signal war. Einen Schritt weiter gedacht haben wir in Deutschland zurzeit das Problem, dass die Verwaltungsgerichte überall die Entscheidungen der Behörden nachprüfen müssen. Nachdem sich die Wissenschaftler nicht immer hundertprozentig einig waren und mit der Politik irgendwie einen Modus gefunden haben, sitzen dann am Schluss


gelernte Juristen da. Sie sollen entscheiden, wie gefährlich in welcher Situation des Virus ist. Und das auch noch in Eilverfahren. Das wird zu einer Schieflage führen. Das sieht man jetzt auch schon. Das eigene Verwaltungsgericht entscheidet so, dass andere entscheidet so. Aber je nachdem, wen die sich das schnell als Sachverständigen holen. Ich kann auch sagen, dass die renommierteren Fachleute bei so etwas natürlich nicht als Sachverständige zur Verfügung stehen. Weil das können Sie nicht ruckzuck bei 30 Verfahren, die irgendwo bundesweit laufen, überall Gutachten schreiben. Das heißt, es ist qualitativ eigentlich so ein Knick in der ganzen Schiene. Am Anfang versucht man sich Mühe zu geben. Das Robert Koch-Institut gibt sich Mühe, da gute Empfehlungen zu machen. Die Politik bemüht sich, einen Kompromiss zu finden. Und dann sitzen am Schluss Richter, die es wieder anders sehen.


[0:38:34]


Jan Kröger


Kommen wir abschließend zu den Hörerfragen. Da fange ich mal an. Kommt auch aus Leipzig. Frau S., eine Tierärztin, hat uns geschrieben:


"Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, in einem Beitrag in der letzten Woche sagten Sie, dass die Testlabore am Limit sind. Warum werden die veterinärmedizinischen Labore dafür nichts genutzt? Es gibt genügend Labore, die erstens, große Erfahrungen beim Massentests haben. Zweitens, die technischen Voraussetzungen und zuletzt auch die Nachtarbeit zur Routine gehört. Die Labore haben mehrfach ihre Mitarbeit angeboten. Mit freundlichen Grüßen."


[0:39:04]



Alexander Kekulé


Das ist kompliziert. Erstens brauchen veterinärmedizinische Labore dann eine spezielle Zulassung. Das geht in beiden Richtungen. Man muss als humanmedizinisches Labor eine Sonderzulassung haben, wenn man veterinäre Untersuchungen machen will und umgekehrt. Da könnte man als Laborarzt sagen, ist doch irgendwie das Gleiche. Ob das Blut jetzt vom Menschen oder vom Tier kommt oder die Probe. Aber so ist es in Deutschland, dass das


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unterschiedliche Zulassungen sind. Außerdem ist es meines Wissens nach nicht so, dass diese speziellen Maschinen und die speziellen Tests für das Sars-CoV-2 -Virus, diese PCR-Tests, dass die in ganz großem Stil in den Veterinärlaboren laufen. Das ist dort eher ungewöhnlich, weil die Fragestellungen einfach anders sind. Klar, ich glaube, dass man irgendwo schon Kapazitäten noch heben könnte. Rein theoretisch. Das naheliegendere wäre, die Annahmezeiten der Labore, die es schon gibt im humanmedizinischen Bereich, zu erweitern. Da hatte ich übrigens letztes Mal ein bisschen ungeschickt gesagt: "Um vier lassen die MTAs die Pipette fallen." Oder so. Da gab es eine Hörerin, die sich beschwert hatte, zu recht.


Jan Kröger


Mehrere muss ich sagen.



Alexander Kekulé


Da möchte ich mich entschuldigen. Das ging natürlich überhaupt nicht gegen die Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen. Sondern die Annahmezeiten dieser Labore sind, sage ich mal, ökonomischen Faktoren geschuldet. Und auch dem Personalschlüssel, den man nun mal hat. Deshalb hören die häufig nachmittags auf, wenn sie nicht gerade an der Uni sind. Und sie haben häufig am Wochenende keine Annahmezeiten. Ich würde eher dazu tendieren, bevor man jetzt neue Labor, die dann die Tests auch wieder etablieren müssen, die dann auch wieder Ringversuche machen müssen und Qualitätssicherung machen müssen, dass die Tests richtig laufen. Bevor man sozusagen da aufbohrt, wäre es eher naheliegend, dass man aus anderen Laboren Personal rekrutiert. So machen wir das übrigens an der Uni in Halle auch. Meine Erfahrung ist, dass die da sehr bereitwillig auch Unterstützung leisten. Und dass man sagt, in den Laboren, wo das sowieso stattfindet, wo die Maschinen stehen, um das zu machen, da fährt man eine Extraschicht und arbeitet abends mal länger. Die Maschinen tut es nicht weh, wenn sie Tag und Nacht oder auch mal am Wochenende arbeiten. Ich glaube, dass man damit die Kapazitäten in Deutschland erheblich erweitern könnte, wenn man die Maschinen voll auslasten würde. Der nächste Engpass, der nach dem Personal kommen würde, wäre nicht die Maschinen.


Sondern der nächste Engpass wäre, ob die Reagenzien, also die Chemikalien reichen, die man dafür braucht. Das würde ich aber zunächst mal drauf ankommen lassen. Mein Credo ist, dass ich sage, wir müssen diese Kapazitäten dramatisch weiter ausweiten, um durch den Winter zu kommen.


[0:41:55]


Jan Kröger


Eine Antwort an Frau S. und eine Entschuldigung an viele andere unserer Hörerinnen und Hörer. Dann hören wir uns mal an, was S. gefragt hat. Sie hat nämlich ein Problem, weil sie mit einer Fahrgemeinschaft zur Arbeit kommen muss.


[0:42 :08]


Anruferin


"Nach einer beruflichen Versetzung müsste ich mehrere Stunden mit einem Kollegen bei der Heimfahrt im Auto zusammen sitzen. Ich trage eine FFP-Maske, er eine einfache Maske. Ich bin Risikopatientin und um meine Gesundheit besorgt. Ich überlege, die Fahrt abzulehnen, könnte allerdings mit einem Arbeitgeber Probleme bekommen. Ist aus Sicht des Herrn Kekulé meine Sorge unberechtigt?"



Alexander Kekulé


Da kann man grundsätzlich sagen, wenn jemand eine richtig sitzende FFP2 -Maske hat in dem öffentlichen Verkehrsmittel und die währenddessen nicht absetzt, dann ist es sehr sicher. Das reicht aus, auch für jemanden, der Risikoperson oder Risikopatient ist. Da kann man sich kaum infizieren. Das hat ja 95% Wirksamkeit, so eine Maske. 95% der Partikel werden aufgehalten. Das heißt also, man reduziert das Infektionsrisiko um den Faktor 2 0 ungefähr. Das ist völlig ausreichend in so einer Situation. FFP2 -Masken werden auch vom medizinischen Personal getragen, wenn sie hochinfektiöse, schwerstkranke CovidPatienten vor sich haben, die wirklich große Mengen von Viren ausscheiden. Auch in diesen Situationen verlässt man sich da drauf. Darum würde ich sagen, für die öffentlichen Verkehrsmittel reicht es allemal.


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[0:43:2 8]


Jan Kröger


Eine Hörerfrage schaffen wir noch. Und zwar hat uns die hier erreicht:


"Schwangere gelten laut einer jüngsten Studie nun doch als Risikogruppe, auch wenn das RKI dies im Gegensatz zum CDC, also der amerikanischen Seuchenschutzbehörde, nicht angibt. Wie Sie, Herr Kekulé, in einer der letzten Sendungen bestätigen, ist das Infektionsgeschehen an weiterführenden Schulen bislang sicher unterschätzt. Jeder Lehrer wird bestätigen, dass trotz vorgeschriebener Lüftung und Masken in jeder Schule aber auch der Kontakt zwischen Schülern und Lehrern eine Infektionsquelle darstellt. Nun die Frage: Sollten Schwangere nach diesem neuesten Studienergebnissen zurzeit an weiterführenden Schulen oder in vergleichbaren beruflichen Situation arbeiten?"


[0:44:07]



Alexander Kekulé


Wir haben das Thema schon ein paarmal besprochen. Schwangere in den letzten Monaten der Schwangerschaft haben ein erhöhtes Risiko für Thrombosen. Das ist, glaube ich, jeder Schwangeren bekannt. Die beliebten Stützstrümpfe sind vielen Damen ein Gräuel. Diese Thromboseneigung ist das Hauptproblem. Weil wir wissen, dass diese Blutgerinnungsneigung ein ganz wichtiger Risikofaktor bei Covid-19 ist. Darum würde ich sagen, eine Schwangere, die im dritten Schwangerschaftsdrittel ist, ist definitiv als Risikopersonen zu betrachten. Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Die eine Möglichkeit ist, dass man sagt, die kriegt eine FFP2 -Maske und hält Abstand. Wenn die weiß, wie man diese Maske bedient. Wenn das mit dem Lehrerberuf, mit der Lehrtätigkeit vereinbar ist, dann wäre das eine Lösung. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass das in der Praxis nicht so richtig funktioniert, da vor 2 0 plus X Kindern zu stehen oder Jugendlichen und dann laut sprechen zu müssen durch so eine FFP2 -Maske durch. Wenn das aus praktischen Gründen nicht funktioniert mit der Maske, dann würde ich die Schwangere im letzten Schwanger-


schaftsdrittel tatsächlich aus dem Unterricht rausnehmen.


[0:45:32 ]


Jan Kröger


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 118. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin, auf Wiederhören.



Alexander Kekulé


Wiederhören, Herr Kröger.


Jan Kröger


Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 3002 2  00. "Kekulés Corona-Kompass" gibt es als ausführlichen Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 07.11.2 02 0 #117 Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


1 [0:00:03]: MDR aktuell Kekulés Corona-Kompass


2  [0:00:10]: 

Camillo Schumann



Was gibt's Neues vom russischen Impfstoff?


Gibt es neue Erkenntnisse zur Übertragung im Freien?


Könnten durch das häufige Desinfizieren multiresistente Keime bald ein Problem werden?


Wäre eine CO2 -Ampel für Gaststätten die Lösung?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Frau S. aus Darmstadt hat geschrieben: „Kann man sich wirklich sicher sein, dass es nicht noch einen weiteren Übertragungsweg gibt? Zum Beispiel über Hausstaub oder Milben? Bei der Pest hat es ja auch eine Weile gedauert, bis man entdeckt hat, dass es die Ratten und Flöhe sind. Und bei der Cholera nicht die schlechten Gerüche sondern das Wasser. Gibt


es weitere Untersuchungen und Forschungen dazu? Viele Grüße.“


3 [0:01:02 ]: 

Alexander Kekulé Wir machen im Gegensatz zu den Zeiten, wo die Pest aufgetreten ist. Das war ja die große Epidemie im frühen Mittelalter, die erste Epidemie im frühen Mittelalter. Und im Gegensatz zur Cholera sind wir ja viel weiter, was die epidemiologische Beobachtung betrifft. Schon allein durch die elektronischen Medien können wir ja sehr gut erfassen, wer krank wird und wo man krank wird. Und wenn es da einen epidemiologisch relevanten Übertragungsweg gäbe, den wir übersehen hätten. Dann wüssten wir zumindest, dass wir noch eine Lücke haben. Aber alles, was wir jetzt beobachten an Epidemiologie, können wir mit dem bekannten Übertragungswegen erklären. Wir wissen nicht genau, welcher Anteil was spielt. Also zum Beispiel, wie viel wirklich durch Schmierinfektion übertragen wird, wie viele Menschen sich überhaupt seit Beginn der ganzen Pandemie durch Händeschütteln infiziert haben. Solche Sachen wissen wir nicht. Aber wir wissen schon, dass diese drei Übertragungswege, die wir hier haben, die einzigen sind, die epidemiologisch eine Rolle spielen. Also in dem Sinn, dass sie für die auf Bevölkerungsebene irgendeinen Effekt haben


[0:02 :04]



Camillo Schumann



Gab ja dann auch Massenuntersuchungen etc. Das wird sich erst im Nachhinein rausstellen und untersucht werden, ob es möglicherweise noch andere Wege gab.


[0:02 :14]



Alexander Kekulé


Wir wissen zum Beispiel, dass das Virus definitiv im Stuhl auch auftritt. Es ist so, dass zumindest mit der PCR man das dort regelmäßig nachweisen kann. Ist auch gar nicht ungewöhnlich für diese Art von Erkrankungen. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass wir eine sogenannte fäkal-orale Übertragung haben, wie es bei anderen Durchfallerkrankungen der Fall ist. Also dass man quasi vom Stuhl von jemand anders sich


1


infizieren könnte. Es mag schon sein, dass im Einzelfall, wenn da jetzt besonders viele lebendige Viren noch im Stuhl hinten rauskommen. Normalerweise sind die mehr oder minder perdu, wenn die den Verdauungstrakt passiert haben. Aber im Einzelfall kann es schon mal sein, dass es zu einer Infektion kommt. Da würde ich aber viele andere Erkrankungen, die durch Stuhl übertragen werden, vorne ran schreiben. Es gibt viele Gründe, das nicht anzufassen. Da kommt es auf Covid19 nicht mehr so an.


[0:03:09]



Camillo Schumann



Meine Hündin atmet jetzt auf, wenn sie das hört.



Alexander Kekulé


Sie müssen da auch immer mit dem Schäufelchen hinterher rennen und einsammeln?



Camillo Schumann



Sie nimmt auch gern mal andere Sachen in den Mund, die wir nie in den Mund nehmen würden.



Alexander Kekulé


Ach, ja.



Camillo Schumann



Ziel der Lockdown-Maßnahmen ist es ja, dass das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen kommt und dass alle Patienten auch versorgt werden können. Und diese Dame hat angerufen und wollte wissen, was passiert, wenn nicht ausreichend Beatmungs-Betten vorhanden sind. Deshalb hat sie folgende Frage:


[0:03:37]


Zuhörerin


Falls Intensivbett nicht vorhanden und man bräuchte eines. Man wäre beatmungspflichtig. Gibt es aber nicht. Muss man dann den grausamen Erstickungstod durchleiden? Oder gibt es ein Medikament, das das einem nimmt? Oder würde das jetzt schon wieder in Richtung Sterbehilfe gehen? Das wäre mal meine Frage. Und ich finde, die Frage ist sehr wichtig.


[0:03:58]



Alexander Kekulé


Im Moment sind wir in Deutschland in der Lage, dass wir definitiv genug Intensivbetten haben, auch genug Beatmungsgeräte. Das würde ich jetzt mal sagen. Im Moment sieht es nicht so aus, als würden wir in die Lage kommen, wo das die Grenze wäre. Unser Flaschenhals in Deutschland ist tatsächlich das Personal auf den Intensivstationen. Weil wenn Sie nur noch eine Intensivschwester oder einen Intensiv-Pfleger haben. Für drei, vier Patienten. Normal wäre gut eins zu eins. Dann sind Sie in einer Situation, wo die überfordert werden. Wenn jetzt 2 zugleich schweres HerzKreislauf-Problem bekommen, oder Medikamente bekommen müssen oder Ähnliches. Dann ist das einfach die Grenze.


Wenn es so wäre, dass wir da eine Überlastung hätten. Ja, was würde man machen? Man würde wahrscheinlich trotzdem das dann ... Halt einfach den Schlüssel erweitern. Dann würde man Pflegepersonal von den allgemeinen Stationen abziehen auf die Intensivstationen. Anders geht es letztlich nicht und das dazu setzen. Und irgendwie hoffen, die Patienten durch die Beatmungszeit durchzubringen. Dass einer quasi auf dem Gang liegt und stirbt und erstickt. Das würde ich in Deutschland ehrlich gesagt für ausgeschlossen halten.



Camillo Schumann



Die Dame sprach auch ein Medikament an, was diese Zeit vielleicht überbrücken könnte, bis wieder ein Bett für die Beatmung frei ist.



Alexander Kekulé


Nein, das haben wir nicht. Das wäre ja toll. Also ich war ja lange Notarzt. Das wäre klasse, wenn man irgendetwas spritzen könnte und damit quasi die Sauerstoffsättigung im Blut vorübergehend verbessern könnte. Es gibt tatsächlich so Maschinen. ECMO heißen die. Da kann man Sauerstoff quasi durch eine Kanüle ins Blut pressen, ohne Beatmung. Die sind aber noch viel, viel knapper als die Beatmungsplätze. Und sie sind echt schwer zu bedienen. Da braucht man dann einen extra Techniker, der allein dieses Gerät bedient. Und ja, die helfen einem Teil der Covid-Patienten


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tatsächlich, wenn die in schwerster Atemnot sind, weil die Lunge so kaputt ist, dass man selbst mit der normalen Beatmung keine Luft mehr reinbringt. Dann kann man die eben ins Blut pressen quasi mit dieser Maschine. Die funktionieren. Letztlich kann man so ähnlich sagen, wie so ein Sodastream-Gerät, mit dem man Kohlensäure in Wasser reinpumpt. So ähnlich macht man das durch eine Membran, dann ins Blut. Aber das ist kein Ersatz. Sondern da ist es noch schwieriger, so einen Platz zu kriegen. Die sind noch wesentlich knapper und wesentlich aufwendiger in der Bedienung.


[0:06:2 7]



Camillo Schumann



Frau F. hat geschrieben: „Es wird immer mal wieder erwähnt, dass das Virus durch Mutationen oder Anpassung an den Wirt inzwischen leichter übertragbar geworden sein könnte. Was aber bedeutet genau leichter übertragbar? Viele Grüße.“


[0:06:42 ]



Alexander Kekulé


Leichter übertragbar heißt jetzt in der virologischen Praxis, dass weniger Viruspartikel für eine Infektion ausreichen, weil sich das Virus besser an den Rezeptor bindet. Das ist sozusagen der Klassiker für leichter übertragbar. Und die zweite Seite ist auf der Seite dessen, der das Virus ausscheidet: Eine höhere Menge von Viren auf den Schleimhäuten, die dann bei dem entsprechenden Singen, Atmen, Jodeln usw. abgegeben wird. Das heißt also auf der Überträger-Seite mehr Virus-Abgabe. Auf der Empfängerseite Infektion schon bei kleinerer Virusmenge. In dem Moment hat man ein leichter übertragbares Virus.


Ein weiterer Faktor ist. Dass die Übertragbarkeit immer was damit zu tun hat, wie viele Personen einer anstecken kann. Es kommt als weiteren Faktor auch darauf an, über wie viele Tage man infektiös ist. Also die Masern zum Beispiel sind deshalb so wahnsinnig leicht übertragbar, weil man auch relativ lange ansteckend ist, also lange hohe Virusmengen ausstößt. Also die Menge und die Dauer, die man ausstößt, spielt auch noch eine Rolle. Und die Viren können sich da optimieren. Das machen die. Und dieses Sars-CoV-2  hat es


höchstwahrscheinlich ... Das war am Anfang umstritten. Aber es sieht so aus, als wäre es jetzt Fakt. Das hat sich wohl in Italien angepasst. Und dieser neue Typ, den wir jetzt weltweit haben, der ist einfach leichter übertragbar als der, der vorher da war.



Camillo Schumann



Frau G. hat angerufen. Und sie hat eine ganz kurze Frage.


[0:08:12 ]


Zuhörerin


Hallo, ich wüsste gern was Neues über diesen Sputnik-Impfstoff, mit dem der Herr Putin seine Tochter hat impfen lassen.


[0:08:19]



Alexander Kekulé


Also das weiß ich nicht. Das Sputnik 5. Das war ja eine kleine Gemeinheit, dass er da den Sputnik-Schock sozusagen für die Amerikaner noch einmal wiederholen wollte.


Es ist so, dass ein zweiter Impfstoff zugelassen wurde vor kurzem. Das liest man zumindest in der Presse. Der heißt EpiVacCorona. Der Sputnik 5 war ja so ein Vektor-Impfstoff, der also basiert auf Adenovirus-Vektor. 2 verschiedene Typen, die dann nacheinander gegeben werden. Und der neue ist ein Untereinheiten-Impfstoff. Der funktioniert so, dass man gentechnisch Teile dieses Spike-Proteins, was da außen aus den Viren rausragt. Teile davon nimmt man und stellt die künstlich her im Labor. Und diese Proteine oder Proteinfragmente. Die spritzt man als Impfstoff, weil man dann hofft, dass das Immunsystem denkt: „Ups, da ist ja ein Virus.“ Weil es ein Teil von diesem Virus ist. Dass das Immunsystem dann dagegen Antikörper und aggressive T-Zellen, zytotoxischen T-Zellen produziert. Aber ob diese Impfstoffe wirklich funktionieren? In welcher Menge, die produziert werden? Ob es da jetzt die angekündigten riesen Impfkampagnen wirklich gibt? Das sind so Dinge. Da müsste man ... Weiß ich nicht, ob da vielleicht der Bundesnachrichtendienst irgendwelche geheimdienstlichen Erkenntnisse darüber hat. Aber so richtig sauber sind die Angaben, die da aus solchen Ländern kommen, natürlich nicht.


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[0:09:43]



Camillo Schumann



Herrn Z. aus Herdecke hat uns geschrieben. Seit einigen Tagen herrscht in vielen Städten auch draußen Maskenpflicht. So auch in der gesamten Innenstadt von Witten. Und dies Tag und Nacht. Für die Fußgängerzone kann ich dies am Tag ja noch nachvollziehen. Aber in den Seitenstraßen sieht man nur wenige Passanten, sodass die Infektionsgefahr doch sehr gering ist. Und am Abend ist die Stadt fast so tot wie der Zentralfriedhof von Chicago. Auch in anderen Städten scheint dieses Problem zu existieren. Es wäre doch sinnvoller, das Tragen der Masken nur für bestimmte Zeiten anzuordnen. Dies würden die Menschen ja auch eher akzeptieren. Ihre Meinung dazu interessiert mich sehr. Viele Grüße.


[0:10:19]



Alexander Kekulé


Das ist wieder so eine politische Frage. Also epidemiologisch oder virologisch. Völlig klar. Masken im Freien gibt es nur in extremen Ausnahmen, wo die sinnvoll sind. Und das wäre jetzt ein wahnsinnig gedrängter Weihnachtsmarkt oder so was. Aber den würde man sowieso nicht haben wollen, weil man da doch lieber mit der Begrenzung der, wie sagt man, der Besucherzahlen arbeiten sollte. Dass man sagt: „Okay, wir lassen nur so und so viele Leute rein.“ Das ist einfach politisch. Da muss ich vielleicht die Verantwortlichen auch in Schutz nehmen. Das ist einfach schwierig zu sagen, an den Stellen, wo wir eine echte Überfüllung sehen, die so schlimm ist, dass man face-to-face 2 Meter und Schulter zu Schulter ein Meter nicht mehr einhalten kann. Wo es also so eng wird, dass wir die Mindestabstände nicht mehr hinkriegen. Da wollen wir die Masken. Da müssten dann in dem Fall die Gesundheitsämter vor Ort von Fall zu Fall, von Veranstaltung zu Veranstaltung entscheiden, wie es ist. Und die würden wahrscheinlich viel differenzierter vorgehen. Ganz klar. Die würden dann wahrscheinlich sagen, gut auf dem Markt von um die und die Uhrzeit verbieten wir das und sonst nicht. Ich könnte solche Beispiele massenweise nennen auch aus anderen Bereichen der Republik. Ich war selbst kürzlich mal irgendwo Salat kaufen auf einem Viktualienmarkt. Und da war es dann auch so:


Ich glaube, war mit meinem Sohn zusammen der einzige Kunde dort. Weit und breit niemand da. Und wir mussten aber Maske tragen, weil da so ein Schild stand: „Ab hier Maskenpflicht.“ Und ich glaube, das kostet 50 Euro Strafe, wenn man es nicht tut. Ich hätte mir diese Konsequenz eher gewünscht beim Durchgreifen bei den Gaststätten, die sich nicht an die Regeln gehalten haben.


[0:12 :02 ]: 

Camillo Schumann

 Frau A. aus Aalen hat uns geschrieben. „Meine Frage betrifft eine besondere Problematik. Bei der Abstrich-Entnahme für den PCR Coronavirus Test. Wie kann ein Abstrich gemacht werden bei besonderen Menschen, wie zum Beispiel geistig Behinderten, bei Personen mit einer Störung im Autismus-Spektrum oder auch bei Demenzkranken, bei denen eine Kooperation bei der Probenentnahme nicht möglich ist? Gäbe es für diese Person Alternativen? Das würde mich sehr interessieren, da wir diese Problematik mit unserem Sohn erwarten können, wenn er mal zum Testen aufgerufen wird. Da mache ich mir schon echt Sorgen. Ich weiß, dass es nur ein Nischenproblem ist. Aber es ist für Angehörige der zu Pflegenden, der Schwerbehinderten oder Alten bestimmt eine wichtige Frage. Vielen Dank im voraus.


[0:12 :47]



Alexander Kekulé


So eine Nische ist das gar nicht. Wir haben schon ganz schön viele Menschen, die einen Pflegebedarf haben in Deutschland. Schwerbehinderte oder auch alte Menschen aus verschiedenen Gründen. Aus meiner Vorstellung ist so: Die erste Priorität muss immer haben, das Umfeld dieser Menschen sicher zu machen. Weil die ja wirklich abhängig davon sind, dass man sorgt, dass sie in Sicherheit sind. Also dass man so jemanden testet prophylaktisch, um zu verhindern, dass er jemand anders ansteckt. Da sehe ich eigentlich nur extreme Ausnahme-Indikationen. Sondern man muss verhindern, dass diese Leute angesteckt werden durch wirklich konsequente gute Konzepte an der Stelle. Das heißt die gesamte Umwelt testen. Und diese Personen würde man nur dann testen, wenn man


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wirklich einen Krankheitsverdacht hat. Wenn es dazu gekommen ist, dass sich jemand möglicherweise infiziert hat. Was man da macht als Arzt, das ist ja dann eine diagnostische Maßnahme. Die wird von Ärzten gemacht ist. Dass man diesen Nasen-RachenAbstrich macht. Der funktioniert so, dass man einen ganz dünnen Tupfer durch die Nase einführt. Also nicht mit Mund auf wie bei den Kindern, was dort unbeliebt ist. Sondern durch die Nase. Und das geht eigentlich immer, weil die Nase kann man nicht richtig zu halten. Da muss im schlimmsten Fall jemand anders den Kopf festhalten. Und daran sehen Sie dann schon, warum ich dafür bin, das wirklich nur im äußersten Ausnahmefall zu machen. Einer fixiert den Kopf und der andere schiebt dann so einen dünnen Tupfer durch die Nase. Aber klar ist, dass Menschen, die nicht verstehen, was mit ihnen da passiert, das als viel schlimmer empfinden als jemand, dem man das erklären kann. Eigentlich ist es nichts Schlimmes mit diesem Tupfer in der Nase. Das haben wir Medizinstudenten uns gegenseitig gemacht im HNO-Kurs zum Üben. Aber wenn man nicht weiß, was passiert, dann hat man da wahnsinnige Panik. Und deshalb finde ich: die Umwelt schützen und die Pflegebedürftigen oder die Bedürftigen in Ruhe lassen.



Camillo Schumann



Der P. aus Augsburg hatte angerufen.


[0:14:47]


Zuhörer


Wir tun fleißig Flächen desinfizieren. In Supermärkten, in Geschäften, in Firmen. Die Frage lautet: Tun wir uns da nicht ein weiteres Problem damit holen ins Haus? Nämlich die multiresistenten Bakterien? Haben wir dann nicht in einem Jahr oder so was ein vielleicht noch weniger noch schwieriger lösbares Problem damit?


[0:15:07]



Alexander Kekulé


Es stimmt, dass wir durch die Anwendung von Desinfektionsmitteln, wenn Sie regelmäßig immer am gleichen Platz angewendet werden, tatsächlich resistente Bakterien züchten können. So etwas gibt es im Krankenhaus. Übrigens bei resistenten Viren ist das nicht so.


Zumindest gibt es keine Studien, die ich kennen würde, wo es jetzt so ist, dass man wirklich zeigt, dass man auch resistente Viren durch Desinfektionsmittel züchten kann. Das ist eher was, was bei Bakterien und Pilzen eine Rolle spielt. Aber das sind Situationen, die eigentlich bisher nur im Krankenhaus aufgetreten sind. Wo man wirklich jeden Tag immer wieder mit dem gleichen Desinfektionsmittel die gleichen Flächen immer wieder bearbeitet. Da gibt es solche Effekte. Ich weiß nicht. Das wäre jetzt echt Spekulation zu sagen, wenn man, was weiß ich, die Griffe von den Einkaufswagen in den Supermärkten jetzt immer desinfiziert, ob sich dort jetzt resistente Keime bilden würden. Ich würde mal sagen, das Risiko ist nicht besonders hoch. Mag schon sein, dass dann irgendwann mal eine Studie kommt, die das irgendwo gezeigt hat. Aber ich gehe jetzt nicht davon aus, dass das für die Volksgesundheit ein relevantes Problem in diesem Bereich wird.


[0:16:10]



Camillo Schumann



Herr H. hat uns eine Mail geschrieben. „Warum gibt es in China keine zweite Welle? Was machen die Chinesen anders als wir? Oder kommunizieren sie einfach nichts. Mit freundlichen Grüßen, Herr H.“


[0:16:2 3]



Alexander Kekulé


Ich dachte am Anfang auch immer, die kommunizieren nicht. Inzwischen haben sich da ... Es ist eigentlich relativ klar, die haben tatsächlich im Moment keine zweite Welle. Die sagen die Wahrheit. Deshalb muss man vielleicht zur Erläuterung sagen, weil China ... Dadurch, dass diese Region Hongkong zu China gehört inzwischen. Und auch eng verbunden ist mit Mainland China, also Festlandchina. Dadurch ist es so, dass die kaum noch etwas verheimlichen können. Weil die Leute aus Hongkong sind notorische Whistleblower. Die sind ja bekanntlich ziemlich genervt von Peking. Und die kriegen das mit, wenn da was verheimlicht wird. Und darum gehe ich davon aus, dass wir tatsächlich erstaunlicherweise diesmal anders als bei Sars 2 003 eine relativ gute Datenlage aus China haben. Für die droht ständig die zweite Welle. Also das Damokles-


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schwert der zweiten Welle schwebt über China, weil die die erste so hervorragend pariert haben. In Indien wird es nicht so bald eine zweite Welle geben. Aber die Chinesen haben es ja tatsächlich geschafft, in relativ kurzer Zeit durch, muss man sagen, absolut drakonische Maßnahmen, die man hier nie empfehlen würde, diesen Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Und deshalb sind ganz wenig Chinesen immun und infiziert. Und was die eben machen, da gibt es immer wieder Ausbrüche. Die rücken dann wirklich mit ganz großen Kanonen an, um das zu stoppen. Sobald irgendwo ein Ausbruch ist, wird das ganze Revier abgeriegelt. Da rückt das Militär an, da rückt die Polizei an. Da müssen alle zuhause bleiben. Und dann machen die schon mal so locker, dass die innerhalb von ein paar Wochen mal schnell 6 Millionen Einwohner von Peking vor einiger Zeit im Juni getestet haben. Das ist so diese Methode: Haben wir nicht, geht nicht. Och, die Röhrchen sind alle. Och, die Pipetten auch noch alle. Also so was hört man bei denen nicht. Sondern die ziehen das einfach knallhart durch und sind damit auch erfolgreich. Diese Strategie heißt im Grunde genommen eigentlich ... Es ist so eine abgewandelte Eliminations-Strategie, die die da fahren. Stamping out sagt man dazu. Das heißt also, sobald irgendwo quasi die glimmende Zigarette liegt, rückt der Panzer an und tritt die aus. Für die Bevölkerung ist es auch nicht so lustig. Aber man muss vielleicht auch dazu sagen, das ist nichts, was wir hier übernehmen können. Ich bin ja auch dagegen. Diese Lockdowns sind ja im Grunde genommen auch übernommen worden aus Wuhan. Selbst das Wort stammt von dort. Ich glaube, dass wir das in Europa nicht leisten können, dass das auch nicht unserer demokratischen, freien Gesellschaft entspricht, so mit den Menschen umzuspringen, auch mit ihren Daten. Und wir haben aber auch kulturell ... Die, die öfters mal in Asien sind, wissen das. Die haben ein anderes Verständnis. Dort ist es einfach so. Dieses Prinzip, dass das Individuum sich der Gemeinschaft unterordnet, ist wahnsinnig tief in der Erziehung drin. Zumindest im Großteil der Bevölkerung. Und darum machen die so was mit. Und bei uns sieht man ja schon, wenn es um das Maskentragen geht, dass dann sofort Demos kommen. Dass die sagen: „Nö,


das will ich nicht.“ Das ist halt unsere freie westliche Gesellschaft. Da brauchen wir andere Konzepte als wie die das in China verfolgen.


[0:19:2 5]



Camillo Schumann



Mit Blick auf die Uhr. 2 Fragen wollen wir noch schaffen. Die M. hat angerufen. Ihrer Meinung nach hört man wenig über Infektionen in der Schule. Und sie hat ihre Vermutung.


[0:19:35]


Zuhörerin


Kann es nicht sein, dass in den Schulen zurzeit viel Infektionsgeschehen verdeckt oder versteckt abläuft? Dadurch, dass Kinder und Jugendliche symptomlos oft sind bei SARS 2 ? Ich habe es selber erlebt bei einem 19-jährigen Gymnasiast. Wir hätten nie erfahren, dass er positiv Covid19 war, wenn wir nicht bei der Rückreise im August vom Urlaub am Flughafen freiwillig getestet hätten. Wir waren nicht in einem Risikogebiet.


[0:2 0:05]



Alexander Kekulé


Ich gehe fest davon aus, dass wir in den Schulen, vor allem an den höheren Schulen, also Kinder ab 14 oder so. Dass wir in diesem Bereich ganz massives Infektionsgeschehen haben. Auch von dem, was ich höre. Es ist ja so, dass in dieser Altersgruppe sich nicht überall an allen Schulen alle an die Regeln halten. Die sitzen im Unterricht zum Teil mit Maske. Die haben diese Masken auf dem Flur an. Zum Teil müssen sie die sogar im Hof tragen, im Schulhof. Aber alles, was außerhalb des kontrollierten Bereichs der Schule selber passiert ... Schüler treffen sich ja auch sonst mal. Das ist eben ... Da weiß man nicht, was los ist. Und da kommt es meines Erachtens zu ganz massiven Infektionen. Das ist keine Frage. Wir haben das in den USA ja auch gesehen. In Amerika ist das ja ein bisschen anders als bei uns, dass viele Schüler von diesen Highschools auf so einem Campus zusammenwohnen. Dadurch hat man das dann besser im Blick, was die so machen. Und da ist klar gewesen: da gab es ganz massive Ausbrüche. Und es wäre ein Wunder, wenn wir das in Deutschland nicht hätten. Der


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einzige Bereich, wo wir das irgendwie mit Interesse beobachten, dass es nicht zu Ausbrüchen zu kommen scheint. Das sind die Grundschulen und Kitas. Das ist ein interessantes Phänomen, was wir im Moment noch beobachten und nicht richtig verstehen. Aber bei den älteren Kindern. Ich sag mal so 14 plus. Da müssen wir davon ausgehen, dass das eine Gruppe ist, die sozial aktiv ist und die das Virus relativ stark verbreitet.


[0:2 1:30]



Camillo Schumann



Eine Frage schaffen wir noch. Herr S. hat gemailt: „Warum werden in geschlossenen Räumen, Restaurants, Bars etc. eigentlich keine verbindlichen Luftwerte festgelegt? CO2 Ampeln sind einfach zu installieren und könnten akustisch warnen, wenn die Luftqualität zu schlecht wird. Viele Grüße.“


[0:2 1:49



Alexander Kekulé


Das könnte man so machen. Den Vorschlag gibt es ja schon. Das ist eigentlich ganz vernünftig, das mit dem CO2  zu machen als Richtwert. Andererseits glaube ich auch gar nicht, dass man in jedem Restaurant eine Ampel aufstellen muss, also ein Messgerät aufstellen muss. Weil man weiß ja, wie viele Luftwechsel ungefähr die Klimaanlage bringt. Man weiß, wie viele Personen da drinnen sind. Und dann kann man anhand dessen natürlich schon abschätzen, wie sich die ... Da gibt es Standard-Richtwerte. ... wie sich das CO2  verhalten wird. Die Menschen sind nicht so unterschiedlich. Also rein biologisch verstoffwechselt ein 71 Kilo schwerer Mensch eine relativ klar definierte Menge CO2  oder atmet die aus. Und deshalb kann man das auch ohne konkrete Messung, sofern die Zahl der Personen konstant ist, im vornherein sagen. Dass man überhaupt solche Luftwerte oder Schätzungen von solchen Luftwerten mit in die Überlegung, was gefährlich ist und was nicht, mit einbringt. Das ist meines Erachtens sehr, sehr sinnvoll. Das müsste man eigentlich dringend machen und wird meines Wissens noch viel zu wenig in die Überlegungen mit eingespielt.


[0:2 2 :53]



Camillo Schumann



Das war Ausgabe 117 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Ihren Fragen, liebe Hörer. Herr Kekulé, vielen Dank. Nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag 10. November. Dann dürfen Sie sich über meinen Kollegen Jan Kröger freuen. Ich mache eine Woche Pause. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Dann wünsche ich Ihnen auch eine schöne Pause, eine gute Woche. Und kommen Sie vor allem wieder gesund zurück.



Camillo Schumann



Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 05.11.2 02 0 #116



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Donnerstag, 5. November 2 02 0. Fast 2 0.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden: Rekord. Die Labore am Limit. Das Robert-Koch-Institut hat nun seine Testkriterien geändert. Ist das ein sinnvoller Schritt? Dann: Sars-CoV-2  wurde noch nie nachgewiesen und die Tests sind überhaupt nicht zugelassen. Die Aussagen der Querdenker-Bewegung im Fakten-Check. Außerdem: Künstliche Intelligenz kann asymptomatische Virusträger am Husten erkennen. Wie funktioniert das? Und: Mit Maske auf den Spielplatz. Ist das ein sinnvoller Schritt oder eine völlig übertriebene Maßnahme?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Fast 2 0.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden, so viel wie noch nie. Zum Vergleich:


Am Donnerstag vor einer Woche lag die Zahl bei rund 16.700, und die sogenannte PositivenQuote hat sich in den vergangenen 2 Monaten ungefähr verzehnfacht. In der vergangenen Woche lag sie laut RKI bei etwa 7,3 Prozent, also 7,3 Prozent der Tests waren positiv. Das ist der höchste Wert seit der ersten Aprilhälfte. Was meinen Sie, haben wir den Peak, also das Maximum erreicht, oder kommt da noch etwas?



Alexander Kekulé


Es kommt darauf an, welche Abstände Sie nehmen. Von heute auf morgen haben wir das Maximum wahrscheinlich noch nicht erreicht. Der Bremsweg ist länger, zumal wir ja dieses Mal keine Vollbremsung hingelegt haben. Aber ich bin optimistisch, dass wir am nächsten Donnerstag, wenn dann wieder dieser größere Bericht rauskommt, wir nicht mehr bei 2 0.000 liegen werden. Sonst hätte der Lockdown nicht funktioniert.



Camillo Schumann



Können Sie unseren Hörern vielleicht noch einmal die unterschiedlichen Geschwindigkeiten erklären?



Alexander Kekulé


Wir haben die Situation, dass die Maßnahmen immer eine gewisse Zeit brauchen, bis sie greifen. Es gab ja eine Vereinbarung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Das musste aber dann auf Landesebene erst umgesetzt werden. Und dann müssen die Betroffenen erst mal verstanden haben, was sie machen dürfen und was nicht. Das ist ja von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, sodass es sozusagen eine Verzögerung gibt von einigen Tagen, bis überhaupt die Maßnahme greift. Ich befürchte auch, dass diesmal der Effekt eintritt, den wir sonst haben: Dass die Bevölkerung in vorauseilendem Gehorsam schon anfängt, diese Maßnahmen einzuhalten, bevor es Anordnungen gibt ich glaube, dass das sicher diesmal auch zu beobachten ist, aber nicht mehr so drastisch wie beim letzten Mal. Beim ersten Lockdown war das ja ein massiver Effekt, dass die Menschen freiwillig etwas gemacht haben. Also das ist das erste.


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Das zweite ist dann natürlich, dass wir immer eine Verzögerung haben bei den Fällen. Jemand muss ja, wenn er Symptome hat, sich erst mal testen lassen. Wenn er getestet ist, dann muss das Ergebnis ans Robert-KochInstitut gemeldet werden. Und das insgesamt, würde ich mal sagen, hat letztlich noch mal eine Verzögerung von etwa 10-14 Tagen, bis man so einen Effekt wirklich klar erwarten kann.



Camillo Schumann



Weil Sie die Tests angesprochen haben: Über 1,5 Millionen Tests wurden in der vergangenen Woche durchgeführt, so viel wie noch nie. Aber fast 100.000 Tests sind noch gar nicht ausgewertet. Das ist der höchste ProbenRückstau, den es bisher gab. Gerade bei Testergebnissen kommt es ja auf Schnelligkeit an. Es gibt außerdem noch Lieferschwierigkeiten bei Reagenzien, hört man. Plastik-Verbrauchsmaterialien fehlen, auch Pipettenspitzen sogar. Die Labore scheinender wirklich am Limit zu sein. Das Robert-Koch-Institut hat nun deshalb seine nationale Teststrategie überarbeitet. Ab sofort sollen wieder nur noch Menschen mit Symptomen getestet werden und diejenigen, die mit einem Positiven Kontakt hatten. Die Länder haben da noch ein bisschen Spielraum. Herr Kekulé, ist das jetzt ein Schritt der Verzweiflung oder ein Schritt der Vernunft angesichts der Situation?



Alexander Kekulé


Manchmal liegt das nah beieinander. Es ist in gewisser Weise ein Schritt der Verzweiflung. Auch das Robert-Koch-Institut sieht inzwischen, dass es epidemiologisch viel bringt, Menschen zu testen, die zum Beispiel Kontakt hatten oder die ein anderweitiges Risiko hatten. Menschen ohne Symptome zu testen, da war das RKI am Anfang aus fachlichen Gründen dagegen. Dann hat es seine Meinung geändert und gesagt: Okay, wir halten es jetzt fachlich für notwendig. Und jetzt wird eher der Not gefolgt, indem man mit Blick auf die knappen Kapazitäten sagt: Wir müssen wieder


mehr oder minder zu den alten Regelungen zurück.



Camillo Schumann



Auf der einen Seite gibt es mit 1,5, Millionen Tests so viele Tests wie noch nie. Auf der anderen Seite melden die Labore immer wieder vorausschauend für die kommende Woche, wie viel Tests sie theoretisch anbieten könnten. Da liegen wir bei ungefähr 2  Millionen. Wir hätten also noch 500.000 drüber theoretisch. Wieso sind die Labore jetzt schon Limit?



Alexander Kekulé


Naja, das muss man sich ein bisschen mehrstufiges sich anschauen. Erst einmal vorausgeschickt: Es gab im April mal die Forderung, dass wir eine halbe Million Tests am Tag machen müssen. Da hab ich damals auch gesagt, dass das eine sinnvolle Größenordnung ist. Die Forderung kam aber meines Erachtens aus einer Arbeitsgruppe , wo der Herr Streeck mit beteiligt gewesen war. Das weiß ich nicht mehr ganz genau. Jetzt haben wir 1,5 Millionen pro Woche. Ich rechne sieben Tage die Woche. Da sehen Sie, dass da noch eine riesen Lücke klafft zwischen dem, was einige Fachleute gesagt haben, und dem, was jetzt an Kapazität da ist. Da muss man die Frage stellen, warum sind die Kapazitäten nicht erhöht worden in der Weise, wie das damals gefordert wurde mit Blick auf die Sicherung der Altenheime zum Beispiel. Und auch auf die Möglichkeit der vollständigen Nachverfolgung und auch Testung von Kontakten. Das Testinstrument ist ja wichtig geworden, seit wir die Quarantäne damit abkürzen können. Das hat einen enorm wichtigen psychologischen Effekt. Wenn wir jetzt die Menschen wieder 14 Tage in Quarantäne schicken müssen, weil nicht genug Tests da sind, da muss die Bundesregierung dann schon mal erklären, warum im letzten halben Jahr die Zahl der Tests nicht wesentlich erhöht wurde. Sie wurde zwar erhöht, aber längst nicht auf den Bereich, wo es gefordert war. Woran liegt das? Man macht das halt in einem marktwirtschaftlich orientierten System so,


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dass man die Frage stellt ja, wie viel könnt ihr denn so liefern? Und das ist das, was Sie gerade angesprochen haben. Etwa 2 00 Labore sind an einem völlig freiwilligen ReportingSystem beteiligt und werden halt gefragt: Na, wie viel habt ihr denn so die nächsten Woche auf Lager? Dann sagen die, das hängt davon ab, wie viel Personal sie gerade haben, wie viele Leute gerade krank sind, was gerade geliefert wurde von den Lieferanten und solche Dinge. Und man muss dazusagen: Diese Labors machen das ja kraft ihrer Wassersuppe und auch aus wirtschaftlichen Überlegungen. Die Preise sind massiv gesunken. Was man verdient mit so einer PCR. So richtig lohnen tut sich das nicht mehr wie am Anfang. Und die meisten arbeiten Samstag/Sonntag schon mal gar nicht, hören nachmittags um vier oder fünf auf, da können sie dann keine Proben mehr annehmen. An Nachtschichten ist überhaupt nicht zu denken in diesem Bereich. Wer in Laboren arbeitet, arbeitet ja auch deshalb gerne im Labor und nicht zum Beispiel im Krankenhaus auf der Intensivstation, weil es im Labor nur für wenige Bedienstete überhaupt Nachtschichten gibt. Vor diesem ganzen Hintergrund trifft hier sozusagen ein staatlicher Notfall auf die allgemeinen Gesetze des Marktes. Und wenn man da fragt na, wie viel könnte so anbieten, wie viel wollt ihr letztlich anbieten? Dann kriegt man so eine Zahl. Ich glaube, man hätte viel frühzeitiger hier umschalten müssen auf staatliche Steuerung, auch wenn ich sonst Marktwirtschaft für sinnvoll halte. Aber hier in dieser Notlage hätte man sagen müssen: Wir brauchen so und so viel Tests. Wie besorgen wird die, wie beschaffen wir die? Wer bringt die ran? Und ich wiederhole es noch einmal: Ich hätte wahrscheinlich im April schon eine Turnhalle mit Medizinstudenten voll gemacht und denen eine Pipette in die Hand gedrückt, falls die Maschine nicht ausreichend arbeitet. Es gibt ja viele Möglichkeiten, so etwas dann übers Knie zu brechen, wenn man die Kapazitäten haben will. Das betrifft bis jetzt nur die PCRs. Und dann gibt es natürlich die nächste Stufe, dass diese Antigen-Schnelltests


viel zu spät gekommen sind. Deshalb sind wir jetzt in dieser Notlage. Wenn die Labore sagen, wir machen nicht mehr und der Staat sagt, gut, wir hören uns das an und wenn ihr nicht mehr macht, dann haben wir halt nicht mehr. Schade. Dann testen wir eben nicht mehr. So gewinnt man keine Schlacht.



Camillo Schumann



Auf die Antigen-Schnelltests kommen wir gleich noch einmal. Um bei den Tests zu bleiben, weil Sie es angesprochen haben: Ja, das ist ein freiwilliges Meldesystem. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, Nachtschicht sowieso nicht. Was wäre denn der Vorteil, wenn man am Wochenende arbeiten würde? Und wenn man quasi rund um die Uhr auch 2 4-Stunden am Tag testen und Ergebnisse liefern würde? Was würde unterm Strich in der Bewertung dabei rumkommen?



Alexander Kekulé


Die die Maschinen, die das machen, haben ja eine gewisse Kapazität. Es gibt so einen typischen Zyklus von sechs bis acht Stunden von so einem großen Roboter, der diese PCRTests macht. Und da gibt es verschiedene Modelle. Die besten und schnellsten Modelle schaffen in der Zeit tausend Tests. Und da gibt es andere, die schaffen 400 Tests. Das sind dann so die 2 klassischen Kategorien. Und die meisten Labore haben einen oder 2 von diesen Kisten da stehen. Da entsteht schon die Frage, ob man dann nachmittags um fünf alles abschaltet oder ob man die Maschine Tag und Nacht laufenlässt, um die Kapazitäten voll auszulasten.


Und auch die Lagerung der Reagenzien: Da habe ich gelesen, die Labore würden aus Haltbarkeitsgründen nur für 2 Monate Reagenzien einlagern. Wenn ich so etwas lese, das tut mir schon richtig weh. Ich habe noch einmal nachschauen lassen. Diese ganzen Reagenzien haben laut Hersteller sechs Monate Haltbarkeitsdatum. Und wenn dann die offizielle Stellungnahme heißt: die haben nur 2 Monate eingelagert wegen der


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Haltbarkeit, sehen Sie so ein bisschen, wie das funktioniert. Natürlich lagern die nur 2 Monate ein, weil die wahrscheinlich nicht genug Platz haben, weil die vielleicht nicht mehr kriegen im Moment vom Hersteller und solche Dinge. Aber das sind Sachen, die man im Grunde genommen lösen kann, da muss der Hersteller eben seine Kapazitäten hochfahren. Auch dass jetzt diese Plastikteile, diese Pipettenspitzen, alle sind, erinnert mich an die Diskussion mit den Masken. Da sagte man doch auch, ich hätte nie gedacht, dass Masken mal zum Problem werden könnten. Und jetzt kommt wahrscheinlich als nächstes das Pipettenspitzen ein Problem sein könnten, hätten wir uns nie gedacht. Aber jeder, der im Labor arbeitet, weiß, dass man so etwas bevorraten muss. Und die Labore machen das, weil sie eben natürlich auch wirtschaftlich getrieben sind. Ich rede jetzt nicht von den Uni-Laboren, aber die meisten sind ja sehr stark wirtschaftlich getrieben. Und die machen das natürlich nicht so, dass sie sich für ein irres Geld für alle Fälle mal Pipettenspitzen zurücklegen. Vielmehr hätte man das staatlich des organisieren müssen.



Camillo Schumann



Noch einmal gefragt: Was würde es in der Bewertung für einen Unterschied machen, wenn ich jetzt 2 4-Stunden lang die Maschine laufen lasse: Habe ich dann vielleicht konstantere Ergebnisse, was die Infektionszahlen betrifft?



Alexander Kekulé


Naja, das hätte mehrere Konsequenzen. Die eine ist: Sie hätten dann dreimal so viel Kapazität, ja 3 mal 8 sind 2 4. Vielleicht nicht ganz dreimal so viel, aber verdoppeln könnte man es auf jeden Fall. Und in dieser Situation kämen die Testergebnisse schneller. Dann wäre auch diese Verzögerung, die wir haben, bei der Beurteilung der gesamten epidemischen Lage, nicht so lange.


Es gibt noch ein anderes Problem: Wenn jetzt die die Einschränkung des Robert-KochInstituts der Not folgen und sagen: Na gut,


wenn wir nicht so viel haben, dann machen wir halt die ganzen Quarantänen nicht mehr. Dann kriegen wir auch keinen konkreten Eindruck davon, was außerhalb der schweren Erkrankungen passiert. Wenn dann nur noch wirklich Erkrankte, mehr oder minder schwer Erkrankte, getestet werden, dann ist ein Problem bis hin zum Schutz der Risikogruppen. Da geht es ja auch um die Altenheime. Da muss man Menschen testen, die keine Erkrankung und keine Symptome haben, weil man sie prophylaktisch testen muss. Wenn das jetzt alles runtergefahren wird, hat es meines Erachtens schon negative Konsequenzen. Erstens bzgl. der Ausbreitung des Virus in Deutschland und zweitens bzgl. dessen, was man davon sieht.



Camillo Schumann



Weil Sie es gerade ansprachen: Die Bundesregierung hatte ihre Teststrategie überarbeitet. In den Altenheimen sollen jetzt verstärkt die Antigen-Schnelltests eingesetzt werden. Wir haben hier im Podcast ja schon relativ früh, schon zu den Anfangszeiten, über diese Schnelltest brauchen. Nun sollen diese Schnelltests quasi Teil der Lösung in den Altenheimen sein. Zu spät, noch rechtzeitig, oder was meinen Sie?



Alexander Kekulé


Nun, wenn man die ab morgen wirklich konsequent einsetzen würde, wäre es nicht zu spät. Das ist ganz klar. Und ein AntigenSchnelltest ist besser als gar kein Test. In dem ursprünglichen Konzept, über das wir schon lange gesprochen haben, wären diese AntigenSchnelltests Jedermann-Tests gewesen, die man sozusagen zur Herstellung eines normalen Lebens gebraucht hätte, um Kontakte im privaten Bereich abzusichern und mit dem Sportverein sicherzustellen, dass sich die Leute nicht gegenseitig anstecken, bis hin zu anderen Veranstaltungen, wo man unter Umständen nicht überall Masken tragen kann. Das wäre sozusagen hier der Schlüssel zu einem vernünftigen Leben mit diesem Virus gewesen.


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Jetzt muss man die da wohl abziehen und sagen, die brauchen wir, weil wir nicht genug PCRs haben für die Sicherung im Altenheim. Wie gesagt: Im Altenheim gilt, ein Antigentest ist besser als keiner. Aber es ist natürlich trotzdem so, dass sich im Altersheim ein Pfleger, der jetzt Covid-positiv ist aber unterhalb der Nachweisgrenze eines AntigenSchnelltests liegt, den würde ich da eigentlich auch ungern jeden Tag im Einsatz sehen, weil die Menschen, die da sind, extrem gefährdet sind. Weil jemand, der einmal negativ war, ein paar Tage später mehr Virus ausscheiden kann. Wenn Sie das irgendwo für eine private Feier machen, kann man sagen: Na ja, gut, dann ist es ist halt im schlimmsten Fall bei einer privaten Feier mit 2 0 Leuten zu einer Infektion gekommen, aber es kommt nicht einem Superspreading gleich. Wenn natürlich ein jetzt jemand im Pflegebereich im Altersheim infektiös ist und es nicht gemerkt hat, weil er nur so ein Antigentest zur Verfügung hatte, dann ist das ein höheres Risiko, das man eingeht. Besser als nichts ist es. Aber optimal wäre es gewesen, man hätte von der Klassifizierung her gesagt: Nummer eins sind immer die diagnostischen Tests. Das ist wichtig, wenn man möglicherweise therapieren muss. Nummer 2 ist das Personal in Krankenhäusern. Da gilt das Gleiche, was ich gerade für das Altersheim gesagt habe.


Aber wenn dann noch Tests übrig gewesen wären –, da sind wir ja nicht, wer aber gut gewesen, wenn man zumindest das Personal im Altersheim auch noch mit der PCR überprüfen hätten können. Jetzt wird man es mit den Antigen-Tests machen. Aber da ist meines Wissens das Problem, dass wir in den meisten Altersheim noch kein abschließendes Hygienekonzept, was diese Tests einbezieht, haben. Und es wurde angekündigt, dass das im Dezember kommen soll, wenn ich es richtig verstanden habe. Kurz vor Weihnachten soll es da sein. Das ist, wenn man die Dynamik der jetzigen epidemischen Situation in Deutschland ansieht – das Robert-Koch-Instituts spricht


aktuell weiterhin von einer zunehmenden Beschleunigung, also dritte Ableitung, dann sozusagen –, dann ist vor Weihnachten ein bisschen spät.


16:2 6:



Camillo Schumann



Kleine private Beobachtung von meiner Gassirunde. Mit unserem Hund komme ich immer an einem Altenheim vorbei. Das war gestern Abend auch wieder der Fall. Da habe ich in das Souterrain geschaut. Da war der Pausenraum der Pflegerinnen. Da saßen 3-4 Pflegerinnen relativ eng zusammen, ohne Maske. Sie unterhielten sich und lachten. Fenster waren nicht offen. Ich habe mir dann so gedacht, ob die wohl getestet sind. Daran merkt man ja auch, dass möglicherweise auch das Problembewusstsein gar nicht so richtig da ist.



Alexander Kekulé


Das ist ja ein ganz wichtiger Baustein. Das ist erschreckend, dass wir jede Woche wieder konstatieren müssen, dass die Ausbrüche in den Altenheimen zugenommen haben, sagt das RKI. In Bremen zum Beispiel, um das noch zu verraten, ist ja bundesweit die traurige Nummer eins bei der Inzidenz, also bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die liegen in Bremen über 2 00. 50 ist die Alarmgrenze, da ist es so, dass es eine ganze Reihe von Ausbrüchen in Altersheimen gibt. Ich glaube, die haben fünf Ausbrüche in Altersheimen plus zehn einzelne Infektionen in den Altersheimen, in Bremen allein.


Und deshalb ist es ganz wichtig, dass der zweite Pfeiler das Personal ist. Das sind ja Leute, die viel schlechter bezahlt werden als im Krankenhaus. Denen muss man dringend eine Fortbildung in dem Bereich anbieten, damit sie das wirklich verstehen, worum es geht. Man muss sie auch privat absichern. Ich plädiere dafür, dass man die Familien dieser Menschen genauso ernst nimmt wie die Mitarbeiter selber. Und dass man dafür sorgt, dass auch die Kinder einer Altenpflegerin genauso mitgetestet werden. Denn es hat ja keinen


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Sinn, dass wenn diese Frau in der Familie einen positiven Fall hat und es nicht merkt, dann (das Virus) ruckzuck ins Altenheim schleppt. Deshalb müssen wir in dieser Notlage als Gesellschaft einfach solidarischer sein. Und die Leute, die wir vielleicht bis jetzt nicht so toll behandelt haben, denen müssen wir den roten Teppich ausrollen. Anders wird es nicht gehen.



Camillo Schumann



Weil sie Bremen angesprochen haben und wer sich aktuell ansteckt: Das sind eben die alten Menschen. Kurzer Blick deswegen auf die demografische Entwicklung. Wir haben schon in den letzten Wochen darüber gesprochen, dass die Personen immer älter werden. Und das hat jetzt auch noch einmal zugenommen. Die Menschen, die sich infizieren, sind die Jungen, also bis 40, und eben dann die Alten und die ganz Alten. Und da wird es dann gefährlich.



Alexander Kekulé


Es darf eben einfach auch nicht sein nach so langer Zeit. Die Zahlen sind ja bundesweit. Das kann man jeden Tag in den Nachrichten hören. Aktuell im RKI-Bericht von vorgestern waren es 12 4 Neuerkrankungen im Mittelwert pro Woche und 100.000 Einwohner. Aber bei den Personen, die 60 oder älter sind, waren es auch 81 von100.000. Das ist die Inzidenz zurzeit pro Woche als Mittelwert pro Woche, also tägliche Inzidenz auf die Woche gerechnet. Das ist einfach der Wahnsinn. Das kann doch nicht sein, dass die Älteren jetzt wieder so geschlagen werden. Wir wissen es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass alte Menschen, die sich mit Covid infizieren, eine hohe Chance haben, daran zu sterben. Das ist eine ganz andere Spielklasse, als wenn sich ein 40-Jähriger infiziert.



Camillo Schumann



Man muss ja auch dazu sagen, dass Deutschland nach Japan die älteste Bevölkerung der Welt hat, viele Menschen über 65. Deutschland ist eine sehr alte Gesellschaft. Und gerade deshalb ist diese Erkrankung für diesen Teil der Gesellschaft


auch so gefährlich. Und es ist auch so wichtig, dass man dann die Vorsichtsmaßnahmen einhält. Darauf hat auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch einmal hingewiesen. Es gibt also sehr viele ältere Menschen, die dann möglicherweise dann auch ja betroffen sein könnten.



Alexander Kekulé


Das ist genau der Punkt. Aber eben was ist ein älterer Mensch? Wenn Sie sagen über 60 ist man ein älterer Mensch ... Ich werde demnächst 62 , dann müsste ich mir ernsthaft Sorgen machen. Aber wenn man eben 60 ist und keine schweren Grunderkrankungen hat, kein massives Übergewicht und sonst keine großen Risikofaktoren, dann ist man weniger gefährdet. Natürlich würde ich niemandem empfehlen, ins Risiko zu gehen freiwillig. Aber es ist ein Unterschied, ob sie wissen: Wenn es mich erwischt, wird es echt ernst. Oder ob sie sagen: Na gut, wenn wir ich auf eine gute Intensivstation komme, habe ich noch 95 Prozent Chance zu überleben. Das ist eine ganz andere Perspektive. Das machen wir doch sonst im Leben auch. Sie würden sicher nicht auf dem Motorrad setzen, wenn Sie wüssten, sie haben zu 90 Prozent die Chance, dabei zu sterben. Das macht ja keiner.



Camillo Schumann



Apropos Robert-Koch-Institut. Das hat nicht nur die Test-Hinweise überarbeitet, sondern auch seinen Steckbrief über Covid19 ergänzt und zwar mit Langzeitfolgen der Krankheit. Und wenn man diesen Steckbrief liest, spätestens dann muss einem ziemlich klar werden: Covid19 ist mit einer InfluenzaErkrankung nicht zu vergleichen und wesentlich komplexer. Das wird nun richtig deutlich, oder?


2 1:39:



Alexander Kekulé


Ja, das betrifft vor allem diejenigen, die schwere Verläufe haben. Man muss immer dazusagen, die allermeisten Covid19oder Sars-CoV-2 -Infektionen verlaufen ja mit wenigen oder keinen Symptomen. In dem


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Bereich würde ich sagen, ist es nicht weit weg von der Influenza, wahrscheinlich sogar schwächer als die Influenza. Eine richtige Influenza ist eine ernsthafte Erkrankung. Aber wir sehen, dass sich die Hinweise jetzt zunehmend mehren, dass es einfach ein Problem ist, dass fast die Hälfte der Hospitalisierten eine ganze Weile in die Ambulanzen muss und es hinterher nicht so schnell wieder gut geht. Und von denen, die wenige Symptome haben, gibt es auch Statistiken. Die Statistiken sind aber nicht so gut. Die geben aber Hinweise darauf, dass man in der Größenordnung von zehn Prozent länger als vier Wochen lang irgendeine Art von Betreuung braucht. Man muss allerdings auch dazusagen, das ist jetzt eine neue Krankheit. Vor der haben alle Angst, über die wird wahnsinnig viel geredet. Da wird wahnsinnig viel gemeldet, wird dokumentiert. Da wird aufgeschrieben, da wird nachgefragt, wird geforscht. Wenn man das so gründlich noch einmal bei der Influenza aufrollen würde, würden Sie auch feststellen, dass fast die Hälfte derer, die wegen Influenza im Krankenhaus waren, sich nicht so schnell wieder besser fühlen. Ich kann mich selber erinnern, mal eine schwere Influenza gehabt zu haben. Da ging es mir gefühlt mindestens einen Monat lang schlecht hinterher. Und ich hatte auch noch einmal eine andere Gelegenheit als Arzt, ich habe ich mir im Krankenhaus mal eine Lungenentzündung geholt, so eine bakterielle, ernsthafte Lungenentzündung. Ich würde mal sagen, da war ich auf jeden Fall ein halbes Jahr deutlich eingeschränkt hinterher. Und das weiß auch jeder Pulmologe, dass das so ist. Und wenn jetzt die Leute erwarten: Ist ja nur Covid, warum geht es mir nicht sofort wieder gut, dann ist es vielleicht ein bisschen auch die Erwartungshaltung auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite gibt sicherlich auch viele, die sagen, ja, jetzt hab ich noch Symptome, das muss ich unbedingt berichten, weil das ja für die Forschung wichtig ist und für die Erkenntnis der Krankheit also. Da hat man eben auch so eine Störung der Statistik,


dadurch, dass man sehr selektiv Informationen weitergibt.



Camillo Schumann



Aber es ist doch damit zu rechnen, dass die Erkenntnisse oder die Methoden, wie die Erkenntnisse gewonnen werden, jetzt bei Covid angewendet werden können. Oder dass man dann einfach noch ein bisschen genauer nachschaut bei der einen oder anderen Krankheit, die man vielleicht noch nicht so tief erforscht hat, um dort auch neue Erkenntnisse zu bekommen?



Alexander Kekulé


Ja, das glaube ich auch. Ich glaube, das ist schon so ein bisschen so Man-to-the-MoonProjekt. Dieses Covid19, was da erforscht wurde, wird uns für viele Infektionskrankheiten und auch für die Epidemiologie und andere Ausbrüche wird uns das enorm viel helfen. Und wir werden wahrscheinlich auch auf andere Lungenerkrankungen noch einmal genauer schauen und dann vielleicht feststellen, dass die eine oder andere Lungenerkrankung auch, was wir bei Covid sehen, in anderen Organen Effekte zeigt.


Aber man muss schon sagen, dieses Virus, das Sars-CoV-2 -Virus, das ist ja erst kürzlich aus dem Tierreich übergesprungen. Und das hat wie die meisten Viren, die, wenn sie aus der Fledermaus kamen, diese Besonderheit, dass es sehr viele Organe befallen kann. Und es gibt diese Rezeptoren, wo dieses Sars-Cov-2  andocken können. Die gibt es eben auch auf der in der Niere. Die gibt es in allen möglichen Blutgefäßen. Es gibt Herzerkrankungen und eine lange Liste von Organen, die mitbefallen werden können. Und das ist schon eine Besonderheit. So deutlich sehen wir das sonst eigentlich nur bei anderen Erkrankungen, die gerade kurz aus dem Tierreich übergesprungen sind. Sars von 2 003 war in der Hinsicht identisch, das ist das gleiche Krankheitsbild. Aber sonst sehen wir das eigentlich nicht so oft, bei Influenza jedenfalls nicht.


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Camillo Schumann



Trotzdem die Fakten, die wir jetzt noch einmal besprochen haben, doch sehr offensichtlich sind, gibt es ja auch zunehmend Menschen, die das Virus verharmlosen, alles nicht so ernst nehmen, die Maßnahmen stark kritisieren. Und darum soll es jetzt gehen. Und zu Beginn bekommt eine Kollegin von Ihnen, die Virologin Frau Professor Dr. Melanie Brinkmann, kurz das Wort


„Ich bin es, ehrlich gesagt, etwas leid. Wir haben den Sommer damit verschwendet, darüber zu diskutieren, wie gefährlich ist das eigentlich? Funktionieren eigentlich die PCRTests? Ich erzähle doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor an dem Auto ist, das er reparieren soll.“


2 6:18:



Camillo Schumann



Können Sie den Frust Ihrer Kollegin verstehen?



Alexander Kekulé


Ja, aber ... ich kann das im Prinzip verstehen. Aber, mein Gott, also ich hab ja gerade gesagt, wie alt ich bin. Und ich weiß jetzt nicht ... der erste mediale Aufreger, an die ich mich erinnere, war der Rinderwahn. Da ging es irgendwie um die Frage, ob, ob das eine Erkrankung ist, ob man tatsächlich von Rinderfleisch eine schwere neurologische Erkrankung bekommen kann. Die Diskussion laufen immer so. Und sie müssen immer alles 100-mal sagen. Das ist das, was Virologen, glaube ich, lernen müssen, wenn sie Kontakt mit den Medien haben. Beobachten Sie mal, wie oft Politiker den gleichen Satz in verschiedene Kameras sagen. Die überlegen sich am Montag, was sie die Woche über loswerden wollen. Und dann können sie das vom Montag bis Freitag auf allen Fernsehkanälen immer den gleichen Satz hören. Das gleiche Statement. So funktionieren halt Medien. Scheinbar muss man die Dinge sehr oft wiederholen, damit sie überall verdaut werden. Wie das im Detail ist, können Sie wahrscheinlich besser erklären. Aber die Frau Brinkmann nimmt da ein Phänomen wahr, das


wahrscheinlich auch Politikern am Anfang so aufgeht. Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere am Anfang seiner Laufbahn sagt: Das habe ich doch vor 2 Monaten, am Dienstagnachmittag um zwölf schon einmal und um 2 noch einmal gesagt. Wieso soll ich es zum vierten Male wiederholen? Die gleiche Frage noch einmal, so funktionieren halt leider Medien, die erfordern eine enorme Redundanz in der Übertragung. Das hat nichts mit der Dummheit der Bevölkerung zu tun, was bei diesem Statement vorhin so ein bisschen durchgeklungen ist, und auch nichts mit Arroganz zu tun, dass man den Virologen reinreden will. Sondern das ist der schlechte Transmissionsriemen zwischen dem gesprochenen Wort und dem, was auf der anderen Seite wirklich am Schluss ankommt.



Camillo Schumann



Das ist genau das Stichwort. Wir wollen diese Informationen wiederholen. Redundanz war genau das Stichwort, was Sie gerade genannt haben. Am kommenden Wochenende zum Beispiel. Ich nenne sie mal Corona-Leugner. Die haben zu einer Demo in Leipzig aufgerufen. Auf einem Flyer wird mit vermeintlichen Fakten Stimmung gemacht. Herr oder Frau Vogt hat uns diesen Flyer geschickt und wollte nun wissen, was stimmt nun und was stimmt nicht. Greifen wir mal ein paar Punkte heraus. Und zwar die Seite mit der Überschrift „das Leben mit Corona“. Da sind mehrere Absätze. Wir wollen mal so ein paar Punkte nehmen und sie kurz erklären. Wir fangen direkt mit dem ersten Satz an: „Das Covid-19-Virus konnte weltweit bisher nicht isoliert und nachgewiesen werden.“ Da geht es schon los. Covid-19-Virus, das ist es ja gar nicht. Schon die Begrifflichkeit hapert. Es ist das Sars-CoV-2 Virus. Das machen aber auch viele Politiker falsch in der Wahrnehmung.



Alexander Kekulé


Die Krankheit und das Virus zu verwechseln finde ich jetzt nicht so schlimm. Es ist ja klar, was gemeint ist. Covid-19 ist die Erkrankung und Sars-Cov-2  heißt das Virus. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es ein


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bisschen unglücklich von der Benennung gelaufen ist, aber so ist es halt jetzt.


Was aber wichtig ist, dass hier behauptet wird, dieser Erreger wurde noch nicht isoliert. Isolieren heißt, dass man so einen Krankheitserreger in einer Petrischale hat und alleine dort anzüchten kann. Da kann ich berichten: Die ersten Fälle sind aufgetreten, nach offizieller Lesart um Weihnachten herum in Wuhan. Am 2 9. Dezember letzten Jahres ist in dem virologischen Labor in Wuhan sind die ersten Proben angekommen, mehrere von mehreren Patienten. Spätestens am 7. Januar, anderen Berichten zufolge schon am 4. Januar, wurde dieses Virus isoliert. Das heißt also, man hat von Menschen Material genommen, die Erkrankungen hatten. Das war in dem Fall übrigens ein älteres Ehepaar, was sich dort gemeldet hatte. Es hatte übrigens keinen Kontakt mit dem berühmten Seafood-Market dort. Aus deren Zellmaterial hat man auf Affenzellen – da nimmt man gezüchtete Zellen und muss keinen Affen dafür töteten –, hat man das Virus dann vermehrt. Und dann haben sie gesehen: Ups, da ist ein neues Virus, ein Coronavirus, was sich vermehrt, was wir noch nicht kennen bisher. Und dann haben sie aus diesem Coronavirus aus der ErbInformationen dieses Coronavirus ein kleines Stück rausgenommen und daraus eine sogenannte PCR, also diese PCR-Diagnostik Methode, entwickelt. Die wurde in China entwickelt, das muss man klipp und klar sagen, vom chinesischen CDC und dem virologischen Labor in Wuhan. Und die haben dann am 10. Januar diese PCR funktionstüchtig gemacht. Angeblich wurden die Daten auch der WHO geschickt, wie man das genau macht. Und diese PCR Reaktionen haben die genommen, um dann bei weiteren Patienten, die dort im Umfeld dieses Marktes in Wuhan ähnliche Symptome hatten, zu gucken, ob das Virus drin ist. Und Bingo, bei allen 15 war dieses Virus nachweisbar und keines der anderen bekannten Atemwegs-Viren. Das, finde ich, ist ein sauberer Test. Sie haben das Virus, Sie machen aus dem Virus, was sie in Reinkultur


isoliert haben, eine PCR, und mit dieser PCR gucken sie bei anderen Patienten, ob die auch dieses Virus haben. Und das ist die berühmte Publikation, wo das Virus und die PCR zum ersten Mal veröffentlicht wurde.


31:53:



Camillo Schumann



Also wurde das Virus isoliert und kann mit der PCR-Testung nachgewiesen werden. Und die Antwort auf die nächste, oder die Richtigstellung auf die nächste Behauptung war da schon mit dabei, denn die steht nämlich auf dem Flyer: „Herr Drosten hat den Test am Computer zusammengebastelt.“



Alexander Kekulé


Naja, ganz entfernt ist da was Richtig dran. Aber es ist trotzdem nicht schlecht, dass er das gemacht hat. Dann haben Sie die Sequenz, das heißt die genetische Informationen des Virus. Die wurde dann am 10. und 11. Januar weltweit publiziert. Alle konnten in der Datenbank nachschauen, welche Sequenz das ist. Und dann war es so, dass das Berliner Labor an dem Tag noch keine Probe hatte. Und da hat man in der Tat anhand dieser Gensequenz überlegt, wie könnte man das am besten nachweisen. Wie man diese PCR genau macht, ist eine Kochanleitung. Wir nennen so etwas ein Protokoll. Das können Sie sich so vorstellen: Sie haben eine Idee, wie man Spaghetti Carbonara macht. Aber wenn sie es richtig gut machen wollen, dann nehmen Sie ein Rezept dazu. Und so machen das manche Labors, dass sie sagen: Ich schaue lieber mal im Rezept, was jemand anders aufgeschrieben hat nach. Und dieses erste Rezeptes wurde von der Weltgesundheitsorganisation ein paar Tage später auf der Webseite veröffentlicht. Das ist aber trotzdem nicht irgendwie komisch zusammengebastelt, sondern da muss man sagen: Christian Drosten ist wirklich einer der weltweiten Experten für dieses Virus und für diese Art von Viren. Das kannte er natürlich noch nicht. Aber wenn er dann sagt, ich würde das jetzt so und so machen. Und er hat das damals auch abgecheckt. Das steht zumindest


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in der Publikation drinnen, die Drosten mit Malik Paris zusammen in Hongkong schrieb. Der war da als Ratgeber beteiligt und hatte das erste Sars Virus entdeckt, das Sars von 2 003. Darum sage ich, er hat es schon hochprofessionell gemacht. Und der Test funktionierte auch. Es besteht kein Zweifel daran, dass der in Berlin entwickelte Test funktioniert. Und inzwischen muss man auch sagen: Wenn jetzt von der Firma Roche zum Beispiel ein Test da ist, ist das längst nicht mehr der alte erste Test, der damals gemacht wurde, der war auch von der Empfindlichkeit zu niedrig. Der war um Faktor 100 weniger empfindlich als andere. Und deshalb ist der längst weiterentwickelt worden. Man kann jetzt nicht mehr behaupten, dass die aktuellen Tests von irgendjemandem in Berlin am Computer zusammengeflickt worden wären. Das das stimmt einfach nicht.



Camillo Schumann



So, die nächste Behauptung: der Test sei nicht zugelassen und nicht geeignet für den Nachweis von Covid-19.



Alexander Kekulé


Über das geeignet haben wir, glaube ich, gerade besprochen. Das mit der Zulassung ist in der Tat in Europa ein bisschen lustig. Das sind die Medizinprodukte, rechtlich gesprochen. Und Medizinprodukte müssen in Europa noch nicht zugelassen werden. Das ist wirklich eine Schwäche. Die ist aber längst erkannt. Da war die berühmte Diskussion vor ein paar Jahren um Brustimplantate, die geplatzt sind, wo die Frauen fürchterliche Nebenwirkungen hatten. Ich meine, es gab sogar Todesfälle. Daraufhin hat man gesagt: Das ist ja eigentlich komisch, dass man jedes Arzneimittel zulassen muss. Aber wenn etwas in den Körper eingepflanzt wird nicht – und das gilt eben auch für die Labortests. Die haben in Deutschland keine oder in Europa keine echte Zulassung wie in Amerika. Sie brauchen dann ein sogenanntes CE-Zertifikat. Das können sich aber die Firmen selber erteilen. Dann müssen sie nur mitteilen, wie sie das gemacht haben. Das wird dann hinterlegt in so einer


Datenbank. Aber es gibt jetzt keine formale Zulassung, noch nicht. Ich weiß nicht genau, wie die Übergangsfristen sind. Ich meine, irgendwann ab nächstem Jahr wird das verpflichtend. Aber das Gesetz ist schon erlassen. Die Änderung ist schon beschlossen, weil das ein Unding ist. Oder andersherum gesagt: Keiner der Tests, die wir so machen, ist in dem Sinn in Deutschland zugelassen. Aber es gibt genau die gleichen Tests. Es sind ja zum großen Teil weltweite Konzerne, die das anbieten. Diese PCR-Tests sind genau die gleichen Tests wie in Amerika. Sie werden dort gemacht. Und da muss die FDP jeden einzelnen Test zulassen. Das sind dann Notfallzulassungen, und deshalb kann man sich schon darauf verlassen, dass die funktionieren.



Camillo Schumann



Und es gibt Institute, die die Teste testen, sonst würde das ja auch gar nicht funktionieren.



Alexander Kekulé


Ja, wir machen auch so Ringversuche. Das ist dann eine Art Qualitätssicherung. Alle Labore, die so etwas machen, kriegen regelmäßig so ein paar Proben geschickt von RingversuchsEinrichtungen. Da gibt es mehrere, wo man sich beteiligen kann. Und es gibt auch die Verpflichtung, da mitzumachen. Das kann man sich nicht freiwillig aussuchen. Da kriegen Sie so 2 0 Proben zugeschickt und müssen dann sagen, wo was drinnen war und wo nicht. Und wenn Sie da öfters mal falsch liegen, wird Ihnen irgendwann die Zertifizierung entzogen. Dann haben sie kein offizielles Zertifikat mehr, dass sie Labordiagnostik machen dürfen. Deshalb geben sich alle Mühe, bei diesen Ringversuchen nicht zu schlecht dazustehen.



Camillo Schumann



Zertifizierung ist noch ein separates Thema, aber das kommt ja sozusagen als Stempel noch obendrauf, den man da im Labor noch bekommt. Man läuft nicht so völlig unterm Radar, was man ja sozusagen implizit mit dieser mit dieser Behauptung ja sagt.


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Alexander Kekulé


Nein, wir laufen nicht unterm Radar. Wir reden ja jetzt nicht über Gesetzgebung für Labore. Aber klar, gibt es immer noch irgendwelche Nischen. Es gibt zum Beispiel kein Gesetz, was sagt, dass man ohne Zertifizierung nicht arbeiten dürfte und solche Sachen. Es gibt jetzt natürlich noch Lücken. Aber diese Lücken spielen hier bei Covid-19 absolut keine Rolle, weil das ja Massentests sind, die von Riesenlaboren gemacht werden. Und die sind alle auf dem Radar. Und die versuchen, sich alle Mühe zu geben, es richtig zu machen. Klar liest man auch in der Zeitung, dass der eine oder das andere schwarze Schaf mal geschlampert haben soll. Aber ich glaube, das wäre überall so, wenn man nicht so in der Beobachtung der Öffentlichkeit stehen würde.



Camillo Schumann



So eine machen wir noch. Wir haben noch ein paar andere Themen auf einem Zettel, und zwar die Behauptung auf dem Flyer. „Außerdem ist der PCR-Test nicht spezifisch, sondern erfasst auch die im Herbst üblichen, aber harmlosen Erkältungsviren.“ Die Behauptung impliziert also, dass alle positiven Corona-Test Erkältungstests seien und daher positiv zu sein nicht so schlimm ist.



Alexander Kekulé


Ganz konkret: Die PCR ist superspezifisch. Aber es gibt insgesamt vier harmlose Coronaviren, von denen drei, würde ich sagen, noch zurzeit zirkulieren. Es ist so, dass diese harmlosen Coronaviren, wenn man die PCL schlecht machen würde, Falsch-Positive mitkriegen könnte. Es ist überhaupt so, dass die PCR, wenn man das richtig macht, in 2 Stufen gemacht wird. Man guckt, ob ein ganz bestimmtes Stück der Erbinformation dieses Sars-Cov-2 -Virus in der Speichelprobe vorhanden ist. Und wenn dieses Stück da ist, guckt man noch mal nach einem ganz anderen Stück. Es ist so ähnlich, als würde man bei jemandem Fingerabdrücke von 2 verschiedenen Fingern nehmen, weil man sagt: Na gut, bei einem, das könnte vielleicht mal falsch-positiv sein, deswegen nehme ich dann


noch von einer anderen Hand einen Fingerabdruck. Und wenn der auch noch stimmt, dann glaube ich einfach, dass das Virus da war. Das nennen wir Doppelt-Targetoder Dual-Target-Strategie, dass man also 2 verschiedene Targets nimmt, das 2 . zur Nachprüfung, ob das erste wirklich richtig war? Wenn man diese Dual-Target-Strategie fährt, dann kommt man auf eine Spezifität von etwa 100-Prozent. Das ist dann im dem Bereich, wo man dem Ergebnis wirklich vertrauen kann bei der PCR.



Camillo Schumann



Und nach dieser Methode arbeiten ja die meisten, oder?



Alexander Kekulé


Das weiß ich nicht. Ich sage ich Ihnen ehrlich, Universitätslabor ja. Aber man liest auch in der Zeitung, es habe Labore gegeben, da gab es Vorwürfe, z.B. gegen das Schottdorf-Labor in Augsburg. Das war eines der größten Privatlabor in Deutschland. Die haben wohl nur mit Single Target getestet, wohl um Zeit zu sparen, Geld zu sparen, weil die Reagenzien alle waren. Und dann haben sie die Befunde positiv herausgegeben haben. Das kann ich nicht überprüfen. Das wäre eine Frage, die das Robert-Koch-Institut beantworten müsste.


40:2 7:



Camillo Schumann



Wir haben ein paar Fakten geklärt. Wenn Sie auch mal etwas geklärt haben wollen, irgendwo einen Flyer finden oder irgendeine Publikation, wo Sie sagen, das verstehe ich nicht, dann schreiben Sie uns. Die E-MailAdresse kommt wie immer am Ende der Sendung.


Damit kommen wir zu den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft, der auch immer ein Schwerpunktthema im Podcast ist. An dieser Stelle würde ich gern ein kleines Quiz mit Ihnen machen, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Ich bin gerne bereit. Quiz liebe ich.


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Camillo Schumann



Okay, ich mache jetzt den Pilawa hier im Podcast. Das wollte ich schon immer mal machen.


Ich spiele ihnen jetzt gleich drei Huster vor, also Menschen, die husten. Und sie müssen erkennen, wer sich mit Sars-CoV-2  infiziert hat, aber keine Symptome zeigt. Also ein asymptomatischer Virusträger.



Alexander Kekulé


Würden Sie mir noch verraten, ob die anderen beiden auch infiziert sind.



Camillo Schumann



Das sage ich Ihnen nicht.


Ich spiele Ihnen die Huster der Reihe nach vor. Am Ende müssen Sie sich festlegen. Liebe Hörer, Sie können gern mal mitmachen. Hier kommt Huster Nummer 1.


*Husten*


Das war Huster Nummer 1. Jetzt kommt Huster Nummer 2 .


*Husten* So, und jetzt kommt Huster Nummer 3. *Husten*


Jetzt die Frage: Wer dieser drei Huster war ein asymptomatischer Virusträger? Was meinen Sie also?



Alexander Kekulé


Der dritte war schon mal richtig krank. Der hat wahrscheinlich gar keinen Virus gehabt. Und Nummer 1 und Nummer 2  müssen Sie mir noch einmal vorspielen.



Camillo Schumann



Dann mache ich jetzt Nummer 1 noch mal. *Husten* Das war der erste. Und jetzt kommt der 2 . *Husten*



Alexander Kekulé


Hm, also das erste war der asymptomatische.



Camillo Schumann



Nein.


Mist, zum Glück gibt es bei Pilawa nicht so viel zu gewinnen. Wenn Sie gesagt hätten, wer wird Millionär, wäre ich jetzt echt frustiert.



Camillo Schumann



In diesem Podcast gibt es noch weniger zu gewinnen. Es war Nummer 2 . Tatsächlich. Aber wir können ja noch mal reinhören. So hört sich ein asymptomatischer Huster an.


*Husten*


Einen asymptomatischen Huster zu erkennen ist gar nicht so einfach. Eigentlich fast unmöglich. Da sind wahrscheinlich Frequenzbereiche, die unser natürliches Ohr nicht hört, aber künstliche Intelligenz. Und darum soll es jetzt gehen, (KI) kann das unterscheiden. Das haben jetzt Wissenschaftler bewiesen. Sie haben tausende Sprachund auch Husten-Aufnahmen ausgewertet und tatsächlich zu 100 Prozent asymptomatische herausfiltern können. Asymptomatische Virusträger verändern sich ja dann doch, aber wir merken es eigentlich gar nicht.



Alexander Kekulé


Ich gehe eigentlich schon davon aus, dass man viel mehr merken könnte, wenn man sensibel in sich hineinhört. Und ich glaube, dass das gerade in der jetzigen Pandemielage oder der Lage in Deutschland eine wichtige Sache wird, dass wir die Menschen auch dazu aufrufen sollten, etwas sensibler damit umzugehen, wie sie sich fühlen, denn so wie der Huster Nummer 2  war, hat man doch schon gehört, dass es da etwas belegt war in der Lunge.


Die waren alle drei symptomatisch. Der dritte hat wahrscheinlich eine bakterielle Infektion gehabt und relativ deutlich keine Luft mehr gekriegt, weil er schon eine schwere Bronchitis hatte. Und der 1. und der 2 . hatten beide Symptome. Der erste war stark übersteuert und hat offensichtlich in sein Smartphone sehr laut reingehustet. Aber es ist so: Wenn man so was hat wie dieser Huster Nummer 2 , muss


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man morgens, wenn man aufwacht, merken, irgendetwas stimmt mit meiner Lunge nicht. Ich glaube, dass man, wenn man da sensibel in sich hineinhört, merkt man, dass man da ein bisschen besser aufpasst. Wir sprechen ja immer davon, dass asymptomatische auch infektiös sind. Ja, es gibt diesen einen Tag vor Ausbruch der Krankheit, wo die Menschen bei Virusinfektionen ganz allgemein infektiös sind. Aber mein Verdacht ist, dass ein Großteil der Infektionen vermeidbar wäre, wenn wirklich jeder merkt, er hat irgendwas, vor allem an der Lunge, jetzt nicht nur eine leichte laufende Nase. Wenn jeder von denen wirklich sensibel in sich hineinhört und sagt, nein, ich warte jetzt erst einmal ab, wie sich das entwickelt. Ich glaube, dass das in Deutschland in der jetzigen Phase ein wertvoller Hinweis sein kann.



Camillo Schumann



Der erste Huster war übrigens gesund.


Sie haben sich die Studie angeschaut. Und die Berichterstattung darüber. Die Wissenschaftler wollen jetzt daraus auch so eine App entwickeln. Wäre das vielleicht eine Möglichkeit? Sie haben sich das angeschaut. Wie finden Sie das?



Alexander Kekulé


Ich finde es sehr interessant. Hier wurden mit künstlicher Intelligenz sehr viele Huster eingespielt wurden. Die haben über so ein Crowdsourcing übers Internet haben die irgendwie die Informationen gesammelt, ein paar hunderttausend Huster eingesammelt und dann dort am MIT, das ist das Massachusetts Institute of Technology, die stark auf künstliche Intelligenz ausgerichtet sind, dieses Deep Learning auf die Fahne geschrieben. Die können zum Beispiel schon länger einen Hinweis auf AlzheimerErkrankung allein an der Sprache erkennen, weil sie sagen, diese Menschen haben eine gewisse Schwäche der Stimmbänder. Die atmen auch nicht mehr so tief durch. Die haben so etwas Fahriges, weicheres wie eine Muskelschwäche. Und diese Muster, diese


Erkennungsmuster, die sie ihrem Computer beigebracht haben bei Alzheimer, haben sie einfach genommen und jetzt auf diese neue Erkrankung gesetzt. Es entstanden ähnliche Muster, die man zusammenbauen konnte, um hier ganz gut zu sein. Laut der Studie erkennen sie 98,5 Prozent aller Covid-19 Erkrankungen. Und bei den asymptomatischen waren sie bei 100-Prozent. Was eben für mich eher im Umkehrschluss heißt, dass die gar nicht so asymptomatisch sind, wie sie glauben.


Die Idee hat folgenden Nachteil: Sie haben das quasi immer nur auf Covid oder Nicht-Covid differenziert. Das normale Leben des Arztes ist aber nicht die Frage danach, hustet der wegen Covid oder hustet er nicht wegen Covid, sondern könnte auch ein anderes Virus sein. Und da wird es nämlich schwierig, denn wenn ich jetzt vorhin sportlich versucht habe, da mit sehr schlechtem Erfolg auch was zu hören. Dann habe ich mich darauf konzentriert, ob so jemand überhaupt Hinweise auf einen nicht produktiven Husten hat. Und so ein nicht produktiver Husten oder auch dann im schlimmsten Fall eine atypische Lungenentzündung, die durch Viren ausgelöst wird, das kann ja ganz viel sein, das können Mykoplasmen sein. Das wären dann sogar Bakterien. Das können Viren seien, alle möglichen Viren, Influenza natürlich auch. Und ich glaube, da wird die Software nie und nimmer an der Stimme einen Unterschied finden.



Camillo Schumann



Aber wenn sie es bei Covid macht, ist das sage ich mal schon die halbe Miete oder?



Alexander Kekulé


Sie würden dann im Grunde genommen das Gleiche machen, was man durch eine bessere Introspektion, also in sich hineinhorchen, auch machen könnte, dass man einfach merkt, wie heute beim Treppensteigen. Ich atme irgendwie anders. Oder morgens beim Aufwachen. Die Lunge ist ja nun mal krank bei dieser Infektion. Und die Frage ist nur, haben wir die Sensibilität, das auch zu bemerken?


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Oder reden wir uns selbst einfach gesund nach dem Motto: ach, komm, das ist nichts. Im Winter bin ich immer so. Das war schon immer so, dass ich mit so etwas rausgegangen bin. Jetzt mache ich das auch. Und schwups steckt man dann jemand anders an, ohne es zu wollen.



Camillo Schumann



Aber so eine App auf dem Handy ist ja auch was Feindes. Mittlerweile gibt es für alles Apps.



Alexander Kekulé


Ich finde das super, eine mehr oder weniger kommt es auch nicht drauf. Ein Grund mehr, zu Hause zu bleiben. Ist doch toll für Schulkinder: Mama, bring mal das Handy! Früher musste man noch mühsam das Thermometer an die Lampe halten und Fieber vortäuschen, damit man irgendwie zuhause bleiben konnte. Und jetzt kann man sich einen speziellen Huster antrainieren.



Camillo Schumann



Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese Dame hat angerufen:


49:05:


„Schönen guten Tag. Wir hätten gerne gewusst, wie das in engen Treppenhäusern aussieht. Wir sind in einem Mehrfamilienhaus 15 Haushalte, und das Haus ist fünf Stockwerke hoch und hat leider nur ein Dachfenster. Und jetzt in der schlechten Jahreszeit und alle tragen teilweise eben keinen Mundschutz. Danke.“



Alexander Kekulé


Wenn Sie Ihre Nachbarn nicht kennen oder den Verdacht haben, dass ihre Nachbarn einen Lebenswandel führen, wo sie sich eben nicht an diese ganzen Regeln halten, dann würde ich empfehlen, im Treppenhaus OP-Mundschutz zu tragen. Gerade wenn die Fenster nicht zu öffnen sind. Gut ist es, wenn man einfach in den Treppenhäusern, grundsätzlich die Fenster offenlässt. Dann ist es halt kühl dort. Und noch besser ist es natürlich, wenn man weiß, wer im Haus wohnt. Und dann kann man das ein bisschen besser einschätzen, ob die Leute


vernünftig sind oder nicht. Übrigens bin ich interessiert daran, wie am Ende des Winters die Heiz-Bilanz sein wird, weil viele jetzt dauernd irgendwo die Fenster aufmachen. Und wenn sie im Treppenhaus ständig die Fenster aufhaben oder auf irgendwelchen Fluren, führt das natürlich auch in den Wohnungen zu erhöhten Heizkosten. Ich glaube, das wird noch einmal den sowieso schon teuren Preiszettel, der an dieser Pandemie dran ist, erhöhen, dass wir alle im Winter mehr Heizkosten haben werden.



Camillo Schumann



Herr S. aus Nordrhein Westfalen hat uns geschrieben: „NRW verpflichtet jetzt, Mundund Nasenschutz auf Spielplätzen im Freien ab dem Grundschulalter. Welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Schutz von Masken im Freien, die eine Maskenpflicht im Spielplatz rechtfertigen würde?


Wenn es Hinweise auf ein ernstes Infektionsgeschehen auf Spielplätze im Freien gibt, möchte ich natürlich dazu beitragen, dieses zu reduzieren. Wenn nicht, befürchte ich, dass eine solche Maßnahme dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen insgesamt anzutasten, insbesondere bei Familien wie der unseren, die die Corona-Pandemie sehr ernst nimmt und auch in den ruhigen Sommermonaten sehr aufgepasst hat. Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Da rennen Sie bei mir eine offene Tür ein. Auf einem Spielplatz gibt es das Risiko, wenn Kinder miteinander spielen und direkt face-toface stehen und sich anbrüllen. Sie streiten sich um einen Förmchen oder sonst was, oder wer zuerst auf die Leiter darf. In so einer Situation kann es zu einer Tröpfcheninfektion kommen. Das ist auch nicht selten. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass diese Tröpfcheninfektion, also face-to-face unter 2 Meter, für einen hohen Teil der Infektionen verantwortlich sind. Aber so wie die Frage formuliert war, deutet es in Richtung von Superspreading oder echter aerogener


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Infektion hin. Und das gibt es im Freien definitiv nicht. Dafür gibt es bisher keinen Beleg. Und es ist auch physikalisch ziemlich unwahrscheinlich, dass das stattfindet. Das heißt, aus meiner Sicht ist auf einem Spielplatz, wenn die Eltern es schaffen, die Kinder aus verschiedenen Haushalten ein bisschen auseinanderzuhalten und zu verhindern, dass die jetzt unmittelbar dauernd mit Fremden spielen, dann ist eine Maskenpflicht überflüssig.



Camillo Schumann



Herr S. aus NRW hatte noch die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen angesprochen, gerade bei Familien, die das bisher sehr ernst genommen haben. Möglicherweise konterkarieren ja solche übertriebenen Maßnahmen, dann die eigentlich wichtigen Maßnahmen und auch die Glaubwürdigkeit.



Alexander Kekulé


Das ist immer das Problem. Man muss halt immer das richtige Maß finden. Wenn man zu viel tut als Gesetzgeber, ist es unter Umständen in dieser Lage auch nicht richtig. Bei der Anordnung von Masken im Freien, deren Notwendigkeit sehe ich nur in Extremsituationen, in einer ganz engen Gasse, in irgendeinem Einkaufszentrum oder einer Einkaufsstraße, wo es zwar im Freien ist, aber einfach die Leute so gedrängt sind, dass sie die Tröpfcheninfektion nicht vermeiden können, weil dauernd einer gegenüber ist, der quasselt oder Ähnliches. Solche Situation kann man sich vorstellen oder eine Demonstration von CovidGegnern, wo man von vornherein weiß, die werden sich absichtlich so verhalten für die Kameras, dass es zu Infektionen kommen könnte. Da kann man ja im Sinne des Versammlungsrechts natürlich Maskenpflicht anordnen. Sonst ist es eine der Maßnahme, die ich für sinnlos halte. Genauso wie die Wildparks geschlossen wurden. Warum darf man nicht mehr in den Wildpark gehen, wo die Kinder im Park spazieren gehen und irgendwelche Rehe auf der Wiese sehen? Da kann man sich nun wirklich nicht anstecken,


zumal es in den Wildparks normalerweise kalt und windig ist. Da gibt es viele Maßnahmen, wo man darüber sprechen kann. Aber die Politik hat ja hier, wie die Kanzlerin erklärt, nach wirtschaftlichen Kriterien und nicht nach epidemiologischen entschieden. Deshalb muss man sich dann auch nicht wundern, wenn nach epidemiologischen Kriterien hier und da ein bisschen unsauber entschieden wurde.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 116. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen – Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.


Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 32 2  00.


Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 02 .11.2 02 0 #115 Lockdown light, Studien, Schutz



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Link zu in der Sendung genannten Studie: München: Wohl sechsmal mehr Kinder und Jugendliche mit Corona infiziert als bekannt https://www.cell.com/med/fulltext/S2 6666340%2 82 0%2 93002 0-9



Camillo Schumann



Dienstag 3. November 2 02 0. Tag 2  der November-Notbremse. Wann werden wir erste Effekte spüren? Außerdem: Die Kanzlerin erklärt den Lockdown light. Sind ihre Argumente schlüssig? Dann: Offenbar haben sich weit mehr Kinder und Jugendliche mit Corona infiziert als bisher bekannt. Wie überraschend sind diese Studienergebnisse? Außerdem: Nimmt die Zahl der Infektionen nur zu, weil mehr getestet wird? Ein konkreter Blick auf die Zahlen der vergangenen Wochen. Und: Was ist gefährlicher: im Hotspot leben oder aus einem Hotspot fliehen?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio.


Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir starten ja wie gewohnt mit einem kurzen Blick auf die Zahlen. Stand heute wurden laut Robert-Koch-Institut 15.352  Neuinfektionen innerhalb von 2 4-Stunden gemeldet. Zum Vergleich: Letzte Woche Dienstag waren es rund 11.000, und am Samstag gab es mit 19.000 einen neuen Höchststand. Der Trend ist also ungebrochen.


Jetzt haben wir Tag 2  der NovemberNotbremse. Werden wir uns vielleicht schon am Wochenende über sinkende Zahlen freuen dürfen?



Alexander KekuléIch glaube, dass es nicht so schnell gehen wird. Aber im Lauf der nächsten Woche werden die Zahlen wieder sinken. Zumindest die neuen Erkrankungen werden nicht in diesem massiven Maße ansteigen wie bisher. Das kann eigentlich gar nicht anders sein, weil sie Lockdown-Maßnahmen doch relativ schnell greifen.



Camillo Schumann



Also nächste Woche. Die Maßnahmen greifen dann schnell. Was meinen Sie, wie schnell es dann gehen könnte?



Alexander Kekulé


Ich glaube schon, dass der Teil der Bevölkerung, die er sich an diese Dinge hält, jetzt versteht, worum es geht. Die Kanzlerin hat sich auch noch einmal bemüht. Und deshalb ist es immer so gewesen, dass nach 1 Woche – rein technisch gesehen – der Effekt erzielt ist, bis man es dann nachweisen kann. Aufgrund des Meldeverzugs dauert es vielleicht noch mal eine Woche. Aber in dem Zeitraum werden wir auf jeden Fall deutliche Rückgänge sehen. Wahrscheinlich wird auch dieses R – rein mathematisch gesehen – wieder unter 1 sinken.



Camillo Schumann



Im Frühjahr hatten wir einen harten Lockdown. Jetzt ist ein Lockdown light oder NovemberNotbremse oder wie man es auch immer


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nennen will. Er ist also deutlich durchlässiger, dieser Lockdown. Sie erwarten trotzdem spürbare Effekte?



Alexander Kekulé


Ja, das glaube ich schon. Das Wichtigste von den Maßnahmen ist ja wieder das Kontaktverbot oder die KontaktEinschränkung. Da greifen diese Lockdowns. Die greifen immer dort, wo sich Menschen aus verschiedenen Haushalten sich nicht mehr treffen oder weniger treffen. Das ist der Kern des ganzen Geschehens. Auch im Arbeitsumfeld geht man eben davon aus. Dort ist ja nicht so viel eingeschränkt worden. Da geht man zu Recht davon aus, dass es jetzt eine kontrolliertere Situation gibt. Die Arbeitgeber haben schon längst Konzepte entwickelt, wie die Menschen in getrennten Schichten zum Mittagessen Masken aufhaben. Man gibt sich nicht mehr so oft die Hand, all diese Dinge, das greift weiterhin. Deshalb glaube ich, dass es richtig war, den Arbeitsbereich offen zu haben. Dort ist es ja auch so: Wenn man wirklich mal ein Ausbruch hat – zum Beispiel bei Verpackungsdienstleistern, Logistikunternehmen oder in der Fleischindustrie –, dann ist das etwas, was man durch organisatorische Maßnahmen beheben kann. Und der Bereich, wo man es nicht unter Kontrolle hat, ist der private Bereich. Und den hat man jetzt eingeschränkt. Da gehe ich jetzt vom Bauchgefühl her davon aus, dass sich 80 Prozent der Bevölkerung daran halten werden. Und das gibt einen deutlichen Effekt.



Camillo Schumann



Auf die einzelnen Punkte gehen wir dann noch mal ein, weil sich die Kanzlerin gestern vor der Bundespressekonferenz der Hauptstadtpresse gestellt hat. Übrigens das dritte Mal in dieser Pandemie.


Wir haben über die Neuinfektionen gesprochen. Häufig kommt dann das Argument: Es wird ja auch viel mehr getestet. Ist ja auch logisch, dass die Zahlen dann auch steigen müssen. Dann wird den Medien


vorgeworfen, die Zahl der Tests bewusst zu verschweigen, um mit den Neuinfektionen Panik zu verbreiten.


Wir wollen uns das mal wieder konkret anschauen. Das kann auch jeder nachlesen. Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht auf seinen Seiten jeden Tag einen umfassenden Lagebericht. Und immer am Mittwoch gibt es die neuen Test-Zahlen. Die werden dann immer wochenweise angegeben. Wer die Anzahl der Tests mit der Anzahl der Neuinfektionen vergleicht, wird etwas sehr Interessantes feststellen: Die Anzahl der Tests steigt deutlich langsamer an als die Zahl der Neuinfektionen, sogar sehr deutlich.



Alexander Kekulé


Es ist tatsächlich so: Wenn man sich die Zahlen vom RKI ansieht, denn die veröffentlichen das ja auch in einer gnadenlosen Geduld. Es ist bewundernswert, dass sie immer wieder das Gleiche erklären, weil es immer wieder Leute gibt, die es nicht glauben wollen. Ich habe die Tabelle jetzt gerade mal vor mir, aus dem Bericht, den Sie erwähnt haben. Da sieht man zum Beispiel, dass sich die Zahl der Tests, die durchgeführt wurden, von der 39. auf die 40. Kalenderwoche geringfügig verringert hat. Das kann mal vorkommen. Aus welchen Gründen auch immer ist da weniger angefordert worden. Aber im gleichen Zeitraum ist die Zahl der positiven Tests angestiegen. Und schon an dem einen Beispiel sieht man: Wenn von einer Woche auf die nächste die Tests weniger werden, aber die Positiven – absolut gesehen – steigen, dass das nicht daran liegen kann, was manche Kritiker sagen, dass zu viel getestet wurde. Deshalb macht das RKI diese PositivenQuote immer. Die berechnen, wie viel Prozent der Getesteten waren positiv. Und die Positiven-Quote ist in den letzten Wochen kontinuierlich gestiegen: von 1,16, dann 2 Wochen später waren es 1,66, wieder 2  Wochen später 3,62 . Und die letzte Zahl ist über fünf Prozent: 5,62  Prozent der bundesweit getesteten Corona-Tests waren positiv. Das ist die Schwelle, die übrigens in New York City auch zu einem Lockdown führen


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würde. Amerikanische Staaten haben zum Teil das Prinzip, dass sie nicht den Lockdown anordnen, wenn sie so eine Schwelle pro 100.000 Menschen erreicht wird wie in Deutschland. Sondern die sagen: Wenn fünf Prozent der Tests positiv werden. Wir wären jetzt bundesweit im Grunde genommen ein Fall für einen Total-Lockdown, wenn die Regeln von New York City bei uns gelten würden.



Camillo Schumann



Machen wir es noch einmal konkret für die 43. Kalenderwoche. Das sind die Zahlen, auf die wir uns hier berufen können, weil die Zahlen immer am Mittwoch kommen. Und da sind die Zahlen von vergangener Woche, die wieder rückblickend, dann auf die Wochen davor: Also 43. Kalenderwoche: 1,36, Millionen Tests, positiv Getestete: 76.000 und die von Ihnen angesprochene Quote von 5,6 Prozent. Wenn man jetzt die Wochen zurückblickt. In der 34. Kalenderwoche waren wir bei einer Positivquote von 0,84 Prozent. Da sind ja Lichtjahre dazwischen. Wir befinden uns schon in einer ernsten Situation, oder?



Alexander Kekulé


Das kann man nicht oft genug sagen. Das ist ja fast schon schlimm, dass man das so oft wiederholen muss und dass sich die Bundeskanzlerin immer wieder hinsetzen muss und immer wieder das Gleiche erklären muss. Das Virus kommt jetzt mit geballter Brutalität zurück im Herbst. Da gibt es kein Wenn und Aber. Das sind wirklich ein Anstieg der Fallzahlen und ein merkbarer Anstieg der Belegungszahlen in den Intensivstationen. Da braucht man nicht rumdiskutieren. Das hat nichts zu tun mit einem mehr oder weniger testen.



Camillo Schumann



Die Informationen, um das abschließend noch dazu zu sagen, sind für jeden frei zugänglich. Die Seiten des Robert-Koch-Instituts, der Lagebericht, auch schön detailliert: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, jeweils mit einem anderen Schwerpunkt. Da kann man sich das zu Gemüte führen.


Aber möglicherweise hakt es auch daran, die Zahlen zu interpretieren, das ist ein Wust an Informationen und man kennt sich möglicherweise nicht richtig aus, kann die Zahlen nicht interpretieren. Da entsteht vielleicht Verunsicherung. Es fehlt demzufolge am Übersetzen der Informationen, oder?



Alexander Kekulé


Das ist in Deutschland dieses KommunikationsThema. Da könnte man lange drüber reden. Das ist letztlich nicht so optimal gelaufen. Im Moment haben wir aus der Sicht dessen, der sich das Ganze nur als Zuschauer anschaut, die Situation, dass sich ein großer Teil der Virologen einig ist. Da gibt es jetzt aber auch 2 bekannte Virologen, die ausgeschert sind aus dem Pulk. Die haben andere Vorschläge gemacht, zusammen mit einigen Kinderärzten. Da stellt man fest, dass es einige ExtremWissenschaftler gibt. Den Herrn Wodarg haben wir hier schon mal besprochen, auch den Kollegen Bhakti, der früher in Mainz war. Das sind gestandene Fachleute, die eine ganz andere Meinung haben. Und wenn man sich das so neutral anschaut, kommt man irgendwann zu der Meinung, dass man nicht mehr weiß, was man wirklich glauben soll. Das ist leider so. Aber das ist ein Kommunikationsproblem. Ehrlich gesagt, auch ein bisschen verstärkt dadurch, dass auch das Robert-Koch-Institut und die Offiziellen ihre Einschätzungen ein paarmal um 180 Grad gedreht haben: 1. bei den Masken und 2 . bei den Schnelltests, wo sie am Anfang massiv dagegen waren. Und das macht es für jemanden, der das alles zu verstehen und nachzuvollziehen versucht, nicht einfach.



Camillo Schumann



So, machen wir einen Haken dran, wir haben das mal durchdekliniert, wie die Zahl der Testung und die Zahl der Neuinfektionen zusammenhängen.


Hauptgesprächsthema heute ist definitiv die Wahl in den USA. Da wird ein neuer Präsident gewählt. Joe Biden, der demokratische Kandidat, liegt in den Umfragen vorn. Wie wir


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wissen, werden nur ein paar wenige Staaten am Ende darüber entscheiden, ob Donald Trump abgelöst wird oder nicht. US-Präsident Trump war hier im Podcast, und deswegen sprechen wir darüber immer mal wieder. Ein Thema zum Beispiel sein Streit mit der Weltgesundheitsorganisation. Dann haben wir darüber berichtet, dass er das Malariamittel Hydroxychloroquin eingenommen hatte, deren Wirksamkeit von bisher keiner Studie bescheinigt wurde usw. Es gab noch mehrere Beispiele. Aber mal so grundsätzlich: Sie haben ja sehr gute Verbindungen in die USA zu ihren Wissenschaftskollegen. Wie blickt die Wissenschaft auf diese Wahl?



Alexander Kekulé


Das ist eine Frage, die immer mal wieder gestellt wird, auch in den USA. Das ist ganz interessant: Fast die Hälfte der Wähler in USA gehen ins republikanische Lager. Ich würde gar nicht sagen, dass das alles Trump-Anhänger sind, aber Republikaner. Unter den Wissenschaftlern – ich spreche jetzt von Naturwissenschaftlern, aber nicht nur Biochemiker und Ärzte, sondern auch Physiker, Chemiker, das ganze Spektrum –, ist absolut niemand für Trump. Das ist ganz erstaunlich, es ist fast wie eine Gegenreligion oder so. Das ist fast so, als wäre er katholisch während die anderen evangelisch sind oder so etwas Ähnliches. Das hängt meines Erachtens damit zusammen, dass er etwas macht, was in der Naturwissenschaft richtig weh tut: Und das ist Fakten klittern. Also Fakten sind für Naturwissenschaftler heilig. Die Zahlen sind heilig. Über die Interpretation kann man sich streiten. Aber wenn etwas so ist, dann ist es so! Und er greift natürlich auch schon seit Monaten konkret Wissenschaftler an, beseitigt auch aus seinem Beraterteam immer wieder Leute, die Meinungen vertreten haben, die ihm nicht gepasst haben. Und ich glaube, das tut niemandem so sehr weh wie einem Naturwissenschaftler. Und darum sind die alle gegen ihn. Ob sie jetzt für Biden sind, kann ich nicht sagen.


Da kann man vielleicht an der Stelle auch sagen, dass es bei aller Liebe zu den Demokraten in den USA schon häufig die Stimme gibt: Haben wir denn kein besseres Personal als Joe Biden aufzubieten? Aber das ist jetzt einfach mal so, dass der der NichtTrump-Kandidat ist. Und wenn er gewählt wird, dann deshalb, weil er nicht Trump ist.



Camillo Schumann



Sie können das ja auch aus virologischer Sicht betrachten, sein Handeln, sein Agieren während der Corona-Pandemie, so von außen betrachtet und mit den Stimmen ihrer Kollegen aus den USA. Ich spitze jetzt mal ein bisschen zu: Hat Donald Trump das Leben von Millionen Amerikanern unnötig gefährdet?



Alexander Kekulé


Ja, das kann man so sagen, aber das gilt weltweit. Es sind aufgrund politischer suboptimaler epidemiologischer Entscheidungen ich möchte es nicht Fehlentscheidung nennen – Zehntausende von Menschen gestorben. Das muss man ganz klar sagen. In den USA war ein gewisser zeitlicher Vorlauf – die ersten Fälle in den USA sind ja noch gut abgefedert worden, aber dann hat man die 2 te Welle relativ unkontrolliert reingelassen. Die hätten wirklich eine Chance gehabt, es besser zu machen. Dort ist die Gemengelage natürlich komplexer. Wenn bei uns der Gesundheitsminister relativ spät reagiert hat und dann aber die Kliniken schnell aufgerüstet haben, dann liegt es daran, dass wir einfach die Kapazitäten hatten. Oder auch bei den Labors: In Deutschland haben wir einfach so viele Privatlabore und Uni-Labore, die die Kunden locker mal schnell über 1 Million Tests pro Woche von diesem Covid19 auflegen. In den USA haben sie diese Möglichkeiten nicht, weder im Laborbereich noch im in der praktischen Krankenversorgung, wo es um Intensivkapazitäten geht. Und auch wenn Trump jetzt sagen würde, jetzt schützt mal schön die Altersheime – das hat ja schon in Deutschland nicht richtig geklappt, wir haben ja dort bis heute noch Ausbrüche –, dann ist das in den USA aber noch Lichtjahre von den


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Möglichkeiten entfernt, die wir haben. Wir haben in Deutschland mit unserer im weitesten Sinn guten medizinischen Infrastruktur gewisse Planungsschwächen und Entscheidungsschwächen in der Politik abgefangen. In USA gab es diese Möglichkeit nicht. Darum hat das voll durchgeschlagen, dass Trump hier Unsinn gemacht hat. Und ich habe ein bisschen die Hoffnung, dass ein Virus der Bevölkerung und seinen Anhängern vor Augen führt, dass er Fehler gemacht hat. Der Reality-Check durch das Virus ist einfach knallhart. Und da endet letztlich die Politik, die sich vieles immer schönredet. Fakten sind Fakten und Tote sind Tote.



Camillo Schumann



Weil Sie gerade die Missstände angesprochen haben, hat er nicht das einzig Richtige getan, seine Bevölkerung beruhigt? Er sagt, es ist alles gar nicht so schlimm. Das hat er Anfang des Jahres in einem Interview mal gesagt.



Alexander Kekulé


Das ist jetzt eine interessante Variante. Das ist so die Titanic-Hypothese, die sie aufmachen. War es richtig, dass er auf der Titanic bis zuletzt die Kapelle gespielt hat?


Ich glaube, er hat es nicht so gemeint. Wenn sie ihm jetzt unterstellen würden, dass er so smart erkannt hat, was übrigens auch der Klaus Stöhr, ein von mir sehr geschätzter Freund und Epidemiologe, früher Chef vom Influenza-Programms der WHO, gesagt hat kürzlich im Fernsehen letzte Woche bei Markus Lanz. Da hat er sinngemäß gesagt: Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, wir werden es nicht mehr vermeiden können, dass sich 2 /3 der Bevölkerung infiziert. Es kommt jetzt sozusagen nur noch auf die Zeit an. Wenn Trump das so gemeint hat, nach dem Motto: Wir können uns sowieso nicht dagegen stemmen, unser System in den USA ist so lückenhaft, dass wir gar keine andere Option haben – was so ähnlich Beispiel für Indien oder Brasilien wohl zutrifft –, dann wäre das von ihm ein kluger politischer Schachzug gewesen. Aber ich bezweifele, dass er das so gemeint


hat. Ich glaube, man hätte in den USA schon etwas machen können. Es war nicht hoffnungslos. Man hätte, wenn man früh und selektiv losgelegt hätte, es besser machen können, als so, wie es jetzt gelaufen ist.



Camillo Schumann



Die Frage muss ich jetzt stellen, obwohl man, das jetzt schon so ein bisschen heraushört: Welcher Präsident wäre jetzt für die Wissenschaft besser: Trump oder Biden?



Alexander Kekulé


Das ist ganz offensichtlich: die Demokraten, Joe Biden wäre da besser. Trump hat ja viele wichtige Programme abgesägt. Man muss aber auch dazusagen: Die Naturwissenschaftler lesen auch die Berichte zum Beispiel der Umwelt-Forscher mit, selbst wenn sie nicht auf den Bereich arbeiten. Da gibt es niemanden, der Klima-Leugner sein kann. Wenn man sich die Daten anschaut, dann ist es so, dass die ganze Klimapolitik vom Trump noch viel Schlimmere ist. Im Vergleich zu dem, was uns mit der Klimakatastrophe und der Umweltverschmutzung bevorsteht, ist das, was wir im virologischen Bereich jetzt sehen noch eine kleine Vorübung. Das wissen die Naturwissenschaftler natürlich. Darum sind alle dafür und sehen das als dringend notwendig, dass Donald Trump abgewählt wird. Ob es passieren wird, wissen wir nicht. Ich glaube, wir haben in Europa einen optimistischen Blick. Aber wenn sie außerhalb der Naturwissenschaften in den USA nachfragen, gibt es viele Leute, die sagen, dass der ganz tolle Dinge gemacht hat. Und viele sehen selber nicht ein, dass zum Beispiel Masken zu tragen sind. Man hätte in den USA ganz am Anfang eine große Informationskampagne machen müssen für die Vermeidung der Infektion, für das Maskentragen. Und jetzt ist der Präsident, der nicht mehr der jüngste ist, elegant durch die Krankheit getänzelt und hat scheinbar gar keine Probleme gehabt, außer dass er ein paar Tage lang stärker geschminkt wurde. Jair Bolsonaro in Brasilien ganz genauso. Dem geht es blendend. Und da sagen die Leute: Mensch, denen geht es gut. Wieso soll ich jetzt hier


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mein Geschäft zumachen, meine Existenzgrundlage verlieren? All diese Dinge hätte man viel früher ganz anders kommunizieren müssen und anders abfedern müssen in den USA.



Camillo Schumann



Kommen wir von den politischen Entscheidungen in den USA zu politischen Entscheidung hier bei uns in Deutschland: Tag 2  des Lockdowns light. Kneipen, Gaststätten, Kinos, Kultur wurden heruntergefahren, das Wirtschaftsleben, Geschäfte, Autohäuser etc. Schulen und Kitas sind aber offen. Die Kanzlerin hat das gestern in der Bundespressekonferenz folgendermaßen erklärt:


„Und in der Abwägung Schule oder Kita oder Kontakt im Konzert oder in der Gaststätte haben wir uns dafür entschieden: Wirtschaftskreislauf so weit wie möglich. Restaurants sind ja auch Teil des Wirtschaftskreislaufs. Den Wirtschaftskreislaufs so weit wie möglich und Kitas und Schulen. Und natürlich Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und die Infrastruktur. Diese Entscheidung ist eine politische. Wenn ich mir sonst aufmale, wo sind überall Kontaktpunkte in einer Gesellschaft, kann ich ja auch andere Bereiche herausgreifen. Aber ob wir dann wirtschaftlich so durchkommen, dass wir allen auch noch helfen können, und ob das die richtigen gesellschaftlichen Prioritäten sind, das muss man diskutieren. Nur, wer sagt, jetzt habt ihr an der falschen Stelle geschlossen, der muss mir genau sagen, an welcher Stelle wir es denn sonst machen sollen.“



Camillo Schumann



Ich vermute mal: Die Logik des Virologen endet, wenn die Politik Entscheidungen trifft.



Alexander Kekulé


Wir wissen ja alle, dass die Frau Merkel ihr halbes Leben lang Physikerin war. Und wenn die sagt, das war eine politische Entscheidung, glaube ich, dass in ihrer Stimme ein bisschen Wehmut mitschwingt, weil sie selber weiß, dass die Naturwissenschaftler, die sie ebenso


gut versteht, das anders sehen. Ich möchte auch kein Politiker sein.


Aber aus meiner Sicht ist es so: Die Logik, die dahintersteckt, ist Folgende: Man sagt, wie kommen wir wirtschaftlich am besten durch. Wir setzen das Primat der Wirtschaft, das hat sie gerade ganz klar begründet. Und dafür setzen wir naturwissenschaftliche Regeln außer Kraft oder berücksichtigen sie nicht. Sie hören schon durch, dass da irgendwie ein Widerspruch drin sein muss. Und der ist eben folgender: Wenn sie die wirtschaftlichen Auswirkungen sind ja nur die Konsequenzen des naturwissenschaftlichen Problems. Das naturwissenschaftliche Problem ist die Ursache. Solange sie nur an den Konsequenzen herumdoktern – und das hat sie gerade klipp und klar gesagt und nicht nach den Ursachen geht, sondern nach der Frage, was ist wirtschaftlich zu verkraften, dann wird das Problem ihr immer wieder auf die Füße fallen, dann eben in einem Monat, wenn sie wieder aufmachen will. Man kann es nicht anders machen, als ursächlich betrachten. Und da sagt der Epidemiologe: Mir ist es erst mal egal, wo das Geld hinfließt und was es kostet, sondern ich schaue, wo sind die Übertragungen. Und da hat das Robert-Koch-Institut in dem Bericht, den wir vorhin besprochen haben, schwarz auf weiß geschrieben – Ich muss an der Stelle vorlesen: „Der bundesweite Anstieg wird durch Ausbrüche, welche insbesondere im Zusammenhang mit privaten Treffen und Feiern sowie Gruppenveranstaltungen stehen, verursacht. Auch werden wieder vermehrt Fälle in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen gemeldet.“ So, da haben wir es also: private Feiern, Gruppenveranstaltung, Altenund Pflegeheim

Alexander Kekulée und die Partys, die irgendwie heimlich oder mehr oder minder unter Duldung der der Gesundheitsämter in den Großstädten laufen. Das ist der Haupttreiber. Auch wenn man die meisten Infektionen nicht mehr nachvollziehen kann, wissen wir, das ist im Moment das Problem. Da widerspricht niemand. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass man dort stärker eingreift. Das hat man aber nicht gemacht,


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stattdessen alle bedacht. Das ist so ähnlich, als wenn sie sagen, ich will ein Parkproblem in der Innenstadt lösen. Es gibt zu viele Autos. Und jetzt stellen Sie sich aber nicht die Frage, wer ist der Falschparker? Wo sind die Leute, die falsch parken? Die sollen erst mal Zettelchen kriegen, weil sie immer auf dem Bürgersteig oder sonst wo alles zupacken. Sie sagen aber stattdessen: Ich sperre erst mal die ganze Innenstadt. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Falschparker abschleppt und die Strafzettel konsequenter verteilt und dann mal sieht, ob das nicht vielleicht schon reicht, um das Problem zu beheben.



Camillo Schumann



Weil wir vorhin bei Kommunikation waren und Kommunikationsproblemen. Die offenbaren sich jetzt. Dieser Umstand zeigt sich auch in dem, was Sie gerade eben vorgelesen haben aus dem Lagebericht des Robert-KochInstituts, wo sich die Menschen anstecken und auf der anderen Seite der Antwort der Kanzlerin, die gestern vor der Bundespressekonferenz dann Folgendes gesagt hat:


„Und weil dieser Entwicklung so gelaufen ist, weil viele Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung nicht mehr schaffen, haben wir jetzt eine Situation, bei der in 75 Prozent der Fälle, also 3/4 der Fälle die Infektion nicht mehr zugeordnet werden kann. Das heißt, man kann nicht mehr sagen, wo diese Infektion stattgefunden hat.“



Camillo Schumann



Also wir wissen es doch eigentlich gar nicht, oder?



Alexander Kekulé


Nein, das muss man anders verstehen: Wenn Sie 1⁄4 der Fälle nachverfolgen, und das ist ja offensichtlich das, was hier die Kanzlerin meint, und 3⁄4 nicht mehr schaffen, dann ist klar, dass bei diesen Fallzahlen an Neuerkrankungen die Gesundheitsämter überlastet sind. Dann entsteht eine Situation, wo sie das haben, was die Statistiker eine Stichprobe nennen würde. Sie haben 1/4, und


aufgrund dieser Stichprobe macht das RKI die Aussage, die wir gerade besprochen haben. Dass Sie dann trotzdem 3⁄4 nicht nachverfolgen, ist deshalb schlimm, weil ihnen die Leute durch die Lappen gehen und die Infektionsketten nicht durchbrochen werden. Aber trotzdem können sie aufgrund der Stichprobe, die sie gemacht haben, auf die Grundgesamtheit zurückschließen. Das heißt, es ist nicht zu erwarten, dass sich die 3⁄4 komplett anders verhalten als die Stichprobe, die das RobertKoch-Institut analysiert hat.



Camillo Schumann



Die 2 5 Prozent reichen also aus, um eine Aussage zu treffen.



Alexander Kekulé


Ja, und das wissen wir doch alle. Wir leben ja in einer Republik. Und ich glaube, wir sind in gewisser Weise mit diesem Virus auch ein bisschen zusammengewachsen. Wir wissen doch, wo das Problem ist. Wir wissen, dass es Leute gibt, die aufpassen und Leute gibt, die eben nicht aufpassen. Und als Virologe kann ich noch hinzufügen: Wenn jemand ein gutes Konzept hat für ein Hotel, wenn jemand ein gutes Konzept hat für einen Sportverein oder wenn in der Bahn FFP-Masken getragen werden, selbst im Flugzeug, wenn sie konsequent FFP-Masken tragen, dann gibt es keine Epidemiologische relevanten Ansteckungen. Das dem einen oder anderen mal etwas Blödes passiert, zum Beispiel der Mensch am Nebentisch ist ein massiver Ausscheider, hustet den ganzen Abend in seine Maske und dann kommt doch irgendwie an der Seite was raus, wo man sich mal auf 2 ,10 m ansteckt. So etwas kommt vor, wird immer vorkommen. Aber da ist epidemiologisch nicht relevant bei fast 2 0.000 Fällen, die wir kürzlich hatten. Solche Einzelfälle sind kein Grund, politische Maßnahmen zu ergreifen und Grundrechte einzuschränken.



Camillo Schumann



Es war aber auch wichtig, dass wir die 2 5 Prozent und die 75 Prozent jetzt noch einmal erklärt haben, weil mit den 75 Prozent ja dann


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auch im Internet Stimmung gemacht wird und so etwas aus dem Zusammenhang gerissen wird. Und damit wird ja analog zu dem, was wir vorher schon besprochen haben mit der Zahl der Testungen und der Zahl der Neuinfektionen, Ähnliches gemacht wird.



Alexander Kekulé


Das ist vielleicht noch wichtig zur Beruhigung dazuzusagen. Ich bin absolut sicher, dass die Kanzlerin das nicht gemeint hat, 75 Prozent ist das Reich des Bösen, wo wir überhaupt keine eine Ahnung haben, wo es herkommt. Wir müssen nicht damit rechnen, dass das Virus wie das Miasma im 18. Jahrhundert aus den Sümpfen kommt oder dass uns das irgendwo beim Einkaufen erwischt, obwohl wir alle brav die Masken aufhaben und die Abstände einhalten. Diese epidemiologischen Regeln, die wir haben, also die Masken, der Abstand, unter Umständen mal FFP2 -Masken und die Testungen noch als massives Instrument eingeführt. Die funktionieren ja nach wie vor. Wo das gemacht wird, gibt es ja keine Fälle. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe jetzt gerade heute eine E-Mail bekommen von Bekannten, die ein großes Hotel führen. Die haben mir gesagt, sie haben jeden Gast, bevor er gekommen ist, genötigt, Tests mitzubringen und ein negatives Testergebnis. Sie haben Leute, die sich geweigert haben, Masken aufzusetzen, rausgeschmissen aus dem Hotel, die kommen nie wieder. Das macht echt schlechte Stimmung, auch auf deren Webseite. Wir hatten die ganze Zeit nicht einen einzigen positiven Fall in ihrem Hotel. Sie haben das wirklich cleangehalten durch massiven Aufwand. Da muss ich einfach sagen: Solche Fakten stimmen ja nach wie vor. Es ist ja nicht so, dass da 75 Prozent übersehen wurden, sondern das sind einfach nur 75 Prozent, die wir aufgrund der hohen Fallzahlen nicht erfasst haben.



Camillo Schumann



Das ist ein Argument dafür, die Hotels und auch möglicherweise die Restaurants, wo es vielleicht genauso gelaufen ist oder genauso läuft, nicht zu schließen. Und die Kanzlerin


kann die Klagen der Kulturen auch der Gastronomie sehr verstehen, erklärt aber, worauf es aus ihrer Sicht jetzt ankommt in den kommenden vier Wochen:


„Es geht also nicht um das für jene Konzept für diese oder jeder Einrichtung, sondern es geht darum, dass wir für die Gesamtheit aller Kontakte in unserer Gesellschaft eine Reduktion hinbekommen. Die Wissenschaftler sagen uns: eigentlich von 75 Prozent aller Kontakte Abstand zu nehmen. Und das ist sehr, sehr viel: von vier Kontakten, die wir in normalen Zeiten haben, drei vermeiden und einen möglich machen.“



Camillo Schumann



Erst einmal 4 Leute kennen. (Lacht) Ist die 75 Prozent-Reduzierung, die die Kanzlerin gerade angesprochen hat, in ihren Augen auch ein gutes Mittel, um die Zahlen wieder in ein normales Fahrwasser zu bekommen?



Alexander Kekulé


Wir sind ja hier ein Erklärungs-Podcast. Wir gehen bei diesen ganzen Überlegungen davon aus, dass das R-0 von dieser Erkrankung ungefähr bei 3 liegt. Das heißt, wenn man das laufen lassen würde in so einer normalen Gesellschaft jeder Infizierte ca. weitere 3 Personen anstecken würde. D.h., dass Sie 2 /3 der Infektionen vermeiden müssen, damit Sie auf R=1 kommen. Das ist Dreisatzrechnung. 2 /3, also 66 Prozent müssten sie vermeiden. Die Kanzlerin hat ein bisschen draufgelegt, weil sie sagt: wahrscheinlich ist ein Teil dabei, den wir gar nicht erwischen oder die nicht mitmachen. Und um die zu kompensieren, die nicht mitmachen, legen wir ein bisschen drauf, bei denen, die mitmachen. Oder sie geht vielleicht von einem neuen R=4 aus. Da gibt es neue Schätzungen, die in diese Richtung gehen. Wie auch immer ist diese Überlegung als Hausfrauen-Rechnung richtig. Aber man muss jetzt Folgendes dazu sagen: Es geht ja nicht um die Vermeidung von 3 von 4 Kontakten. Das hat sie ein bisschen missverständlich ausgedrückt. Es geht darum: Wir müssen 3 von 4 Infektionen vermeiden.


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Das ist ein Riesenunterschied, wenn Sie zum Beispiel in der Arztpraxis einen Kontakt haben, wo der Arzt eine FFP2 -Maske aufhat, vielleicht noch eine Plexiglasscheibe. Die haben sich etwas Gutes überlegt, ein Hygienekonzept, und der behandelt am Tag hundert Patienten. Dann heißt es nicht, dass der ab morgen, weil die Kanzlerin das gesagt hat, nur noch 2 5 behandeln soll, weil das ja komplett ein sicheres Setting ist. Das Gleiche gilt unter Umständen für ein Restaurant, was ein gutes Hygienekonzept hat. Und das heißt, wir müssen 3/4 der gefährlichen Kontakte vermeiden. Da beißt sich im Grunde genommen das Argument in den Schwanz, denn Sie müssen 3⁄4 der möglichen Infektionen vermeiden. Und das ist etwas ganz anderes als 3⁄4 aller Kontakte zu vermeiden. Denn die Kontakte, die sicher sind, die müssen Sie nicht vermeiden.



Camillo Schumann



Völlig klar. Da spricht der Virologe. Da sprach die Kanzlerin für das gesamte Volk, um ein gesamtes Volk mitzunehmen. Wenn man die drei gefährlichen Kontakte versucht auszuschließen, würde man nur eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe ansprechen. Und ob die sich dann angesprochen fühlt, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.



Alexander Kekulé


Jetzt kommen wir zu einem interessanten Punkt. Das ist jetzt eher so psychologisch. Ich formuliere sie deshalb nur als Frage, weil ich auf so etwas nicht so gern antworten will. Aber es ist doch letztlich die Frage: Wenn wir eine Maßnahme haben, die nicht so hart durchgreift und die die Menschen verstehen, wo man sagt, aha, klar, das musste man jetzt so machen. Kriegt man dann möglicherweise von den Zweiflern mehr mit ins Boot geholt oder kriegt man mehr mit ins Boot geholt, wenn man die Maßnahmen relativ hart verschärft, wenn man Leuten, die sich Hygienekonzepte ausgedacht hat, sagt nein, jetzt müsste trotzdem zumachen? Möglicherweise springen durch diese härtere Maßnahme mehr Leute ab. Und ich glaube,


dass das oberste Ziel in der jetzigen Lage sein muss, diejenigen, die sich bisher – aus welchen Gründen auch immer – nicht richtig an die Regeln halten, wieder ins Boot zu holen. Das Problem ist kein makroskopisches, es ist in dem Fall ein mikroskopisches. Nicht, weil Mikrobiologen immer durch das Mikroskop gucken. Vielmehr ist es von der Situation der Bevölkerung her nicht mehr so, dass wir sagen können, jetzt machen wir alle Gaststätten zu. Es sind eben einzelne, die das Problem haben. Es sollen auch nicht alle Hotels zu sein, einzelne und auch nicht alle Familienfeiern verboten werden. Da gibt es sicherlich welche, die haben sich schon die Schnelltests irgendwie besorgt. Oder die gehen sogar vorher zum Arzt, lassen sich testen, bevor sie ihren Geburtstag feiern und haben Masken zu Hause an. Manche haben in der Wohngemeinschaft schon irgendwelche Regeln entwickelt. Es sind eben ganz bestimmte. Ich glaube, dass man die, die jetzt auf der Kippe sind und die dabei sind, diese Regeln abzulehnen, das Problem sind, dass man die wieder mitnimmt, wenn man sehr transparent und nachvollziehbar, auch wissenschaftlich begründete Regeln hat.



Camillo Schumann



Aber wie gesagt, die Kanzlerin und der Blick fürs große Ganze. Ist da möglicherweise das Vertrauen vielleicht nicht mehr da?



Alexander Kekulé


Sie meinen das Vertrauen der Politik in die Bevölkerung? Das ist aber eben immer gegenseitig. Ich gucke da immer gerne nach Neuseeland. Der weltweite Star dort, die Jucinda Ardern, hat quasi so eine Art Vertrauen gegen Vertrauen-Politik in Neuseeland. Und sie hat den Vorteil, dass sie am Ende der Welt sitzt und die Grenzen zugemacht hat. Und jetzt muss jeder, der reinkommt, 2 Wochen in Quarantäne und getestet werden. Aber dieses Prinzip, dass man sagt, die Bevölkerung vertraut den Regierenden und umgekehrt, funktioniert nur gegenseitig. Ich glaube, je schärfer die Maßnahmen werden, desto eher kommt es zu Widerstand. In Deutschland


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sehen wir diese Anfänge, die Wissenschaftler kann man beim Namen nennen: Da ist der Herr Streeck und der Herr Schmidt-Chanasit dieses Jahr ausgeschert und jetzt sozusagen auf der Gegenseite. Und dann haben wir auch in der politischen Landschaft durchaus Stimmen aus der FDP. Der Herr Kubicki hat sich da relativ deutlich geäußert. Da haben wir auch schon Leute, die sagen: So richtig toll ist das alles nicht, wie es gemacht wird. Also kommt es zu so einer Art Spaltung. Und ich weiß nicht, ob man in der Lage ausgerechnet die Leute, die eh keine Lust mehr haben mitzumachen, jetzt besser überzeugen kann.


Als Virologe kann man immer schlau daherreden. Man muss einfach sagen, Politik zu machen, ist ein schwieriges Geschäft. Der Willy Brandt hat sich immer darüber beschwert. Er hat gesagt, Politik wäre super, wenn man wirklich hauptsächlich Entscheidungen treffen müsste. Aber 70 Prozent unserer Arbeit, sagt er, ist Legitimationsarbeit, und darüber hat er sich beschwert. Aber so ist es halt in der Demokratie, dass man die anderen alle mitnehmen muss.



Camillo Schumann



Um noch kurz zu Frau Ardern in Neuseeland zu kommen: Mit ihrer Politik hat sie es ja jetzt nach der Wahl geschafft, eine LabourAlleinregierung zu führen. Und sie hat eine Corona-Ministerin benannt.



Alexander Kekulé


Die Frau hat eine absolute Mehrheit errungen. Aber sie hat trotzdem 2 Ministerien an die Grünen vergeben. Das fand ich ganz erstaunlich. Das gäbe es, glaube ich, in anderen Ländern der Welt nicht.



Camillo Schumann



Die große Frage ist: Wie geht es weiter nach dem Lockdown? Kann es nicht sein, wenn die Zahlen wieder hoch gehen, dass es wieder einen Lockdown gibt? Diese Hörerin hat sich Gedanken gemacht und folgende Idee geäußert:


„Das Virus stirbt anscheinend nicht durch die Lockdowns, sondern es gibt nur weniger Infizierte. Mich würde interessieren, warum es keine Untersuchungen gibt oder Bestrebungen, das Virus zu eliminieren, also nicht durchzuimpfen oder so. Sondern dass man Bedingungen schafft, wo das Virus nicht leben kann und wo die Möglichkeit gegeben ist, nicht dauernd einen Lockdown zu veranstalten. Ich nehme an, dass nach dem nächsten Lockdown die Zahlen wieder ansteigen werden und dann kommt wieder ein Lockdown. Das kann ja nicht Sinn der Sache sein.



Camillo Schumann



Das kann es wirklich nicht. Also eliminieren, statt Lockdown?



Alexander Kekulé


Der Sinn der Sache ist beschleunigen und bremsen. Das will ich nur noch einmal wiederholen, weil das der Bundesgesundheitsminister ganz klar angesagt hat schon vor Monaten. Und das wird jetzt so durchgezogen. Immer Gas geben, bremsen. Wenn sie wieder hoch geht, wird wieder gebremst werden, es wieder runter geht, werden wieder die Grundrechte in den Vordergrund gestellt. Ich halte dieses Auf und Ab für nicht sinnvoll. Aber die Eliminationsstrategie heißt ja, dass man es hinkriegt, dass in einem Land praktisch keine Fälle mehr sind. Eine komplette Elimination hat Neuseeland geschafft. Und einige Staaten im Pazifik, so Inselstaaten, haben das hingekriegt. Kein Wunder. Wer es aber auch fast geschafft hat, ist zum Beispiel Südkorea. Oder auch Taiwan hat im Grunde genommen eine Elimination hingekriegt. Die haben immer wieder kleine Ausbrüche, aber die können sie sehr schnell nachverfolgen und stoppen. Das funktioniert dann, wenn man frühzeitig eingreift. Davon können wir in Deutschland zurzeit nur träumen. Ich hatte das ja im Februar für Europa dringend empfohlen, dass wir versuchen, die Eliminationsstrategie zu machen. Das hätte bedeutet, dass man die Einreisen aus China gestoppt hätte. Dass man


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die Einreisen aus Teheran damals gestoppt hätte, was ein brutales Risikogebiet war. Wenn man jetzt in so einer Situation ist, dass man europaweit extrem viele Fälle hat – im Ausland ist es ja noch schlimmer als in Deutschland –, dass man da von so etwas nicht mehr träumen kann. Das ist es zu spät. Der Zug ist abgefahren, da brauchen wir im Moment nicht mehr darüber reden.


Die nächste Eliminationsstrategie, die wir machen werden, ist, wenn angefangen wird zu impfen. Das ist ja letztlich eine Eliminierungsstrategie. Das hätte man machen können am Anfang. Ich habe mich massiv dafür eingesetzt. Aber da gab es eben Stimmen, die damals schon gesagt hatten, das hat sowieso keinen Sinn, das schaffen wir nicht, deshalb machen wir es nicht. Jetzt ist es natürlich doof. Jetzt haben einige Länder wie Südkorea bewiesen, dass es doch geht. Aber das ist eben jetzt zu spät. Diese Erkenntnis ist einfach zu spät. Das geht nicht mehr.


Eliminieren ist keine Option mehr. Die Kanzlerin hat die langfristige Strategie der Bundesregierung gestern so zusammengefasst:


„Die Langfriststrategie heißt einfach: solange wir keine Herdenimmunität haben, also solange wir noch anfällig für dieses Virus sind, müssen wir mit diesem Virus leben und müssen wir nicht sagen: Wir wollen gar keine Infizierten mehr, das wird man nicht schaffen. Aber wir wollen sie so niedrig halten, das wir das nachverfolgen können und nicht in dieses exponentielle Wachstum hineingehen.“


Das ist ja schon seit März offizielle Regierungsstrategie, dass das Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben hat bei einigen Wissenschaftlern, wo das RKI auch mitgearbeitet hat. Da wurde diese Flatten-the-Curve-Strategie zum ersten Mal richtig ausgearbeitet. Da wurde übrigens auch ausgerechnet, wie viel Tote man sozusagen angeblich unausweichlich dann haben wird bis zum Ende der Pandemie. Die Zahl will ich jetzt gar nicht wiederholen. Aber das ist das ceterum censeo.



Camillo Schumann



Mit Blick auf die selbst auferlegte Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb 1 Woche, das ist ja auch das Ziel dieses Lockdowns, das hat die Kanzlerin gestern auch gesagt. War diese Grenze von Anfang an nicht möglicherweise auch viel zu hoch? Die haben wir ja relativ schnell gerissen. Und alle Maßnahmen kamen dann wesentlich später.



Alexander Kekulé


Ich glaube, wenn man hätte das schon einhalten können. Ich halte nichts von so einer Grenze. Das ist ja auch nie so gemeint gewesen, dass das jetzt so eine knallharte, wahnsinnig wichtige naturgegebene Grenze ist, sondern pragmatisch gesetzt. Helge Braun, der Kanzleramtsminister, hat das ja schon mehrmals erklärt. Da hat man ganz simpel gesagt: ein Gesundheitsamt arbeitet fünf Tage die Woche. So geht es schon los. Samstag, Sonntag haben die Deutschen ihr deutsches Wochenende und Montag bis Freitag können sie pro Tag fünf neue Fälle nachvollziehen. Macht dann 5 mal 5 sind 2 5. Und dann hat man gesagt, na ja, da geben wir noch ein bisschen politische Reserve drauf. Da war die erste Zahl 30. Das war die erste Diskussion. 30 pro 100.000 war anfangs die Grenze. Dann ging das Ganze in die Länder zur Diskussion. Und dann haben die Bundesländer, die sowieso schon viele Fälle gehabt haben, gesagt, nein, das ist zu niedrig. Da müssen wir gleich morgen anfangen zuzumachen. Und dann wurde das politisch hochverhandelt auf 50. So ist diese Zahl entstanden, was Helge Braun so erklärt hat. Das finde ich jetzt vom politischen Prozess her völlig in Ordnung soweit, dass man einfach sagt, dann nehmen wir mal die Grenze.


Das Problem war Ende des Sommers, als ziemlich klar war, wie Sie richtig sagen, dass das in vielen Regionen diese Marke gerissen wurde, die Politiker, die das gerade ausgehandelt hatten, gesagt haben: Jetzt gilt es aber nicht. Was wir gesagt haben, warten wir erst einmal ab. Und wieso? Jetzt ist erst


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einmal so gemütlich im Sommer. Wieso sollen wir jetzt anfangen, uns wieder unbeliebt zu machen bei den Bürgern. Und das ist halt ein Problem des demokratischen Systems. Wenn Sie Leute haben, die sie wiederwählen sollen, müssen sie Entscheidungen treffen, wo die Wahl-Mehrheit verstanden hat, dass sie jetzt unbedingt nötig sind. Wenn sie es vorher machen, machen sie sich unbeliebt und werden vielleicht abgewählt. Deshalb können demokratisch gewählte Politiker letztlich nicht beliebig vorausschauend entscheiden. Selbst wenn er es verstehen würde, müsste er noch ein bisschen warten, bis es dem Volk wehtut, bis man sieht, die Fallzahlen gehen wirklich wieder hoch und dann entscheiden und eben nicht zu dem Zeitpunkt, wo es epidemiologisch rechtzeitig gewesen wäre.



Camillo Schumann



Wir besprechen hier auch immer interessante Studien. Jetzt geht es um eine Studie des Helmholtz-Zentrums in München, die in vielerlei Hinsicht sehr interessant ist. Zum einen war das Ergebnis eher ein Zufallsprodukt. Und zum anderen war die Methode sehr gründlich. Fangen wir mal mit dem „Zufallsfund“ an. Eigentlich sollte es in dieser Münchner Studie ja um Diabetes bei Kindern gehen. Richtig?



Alexander Kekulé


Das wurde federführend von einer Abteilung gemacht, die sich um Diabetesforschung, um Zuckerkrankheit bei Kindern kümmert. Das gibt es bundesweit, dass bei den Neugeborenen ja immer ein paar Blutstropfen abgenommen werden, um so einen Diabetes-Screening zu machen, auf Diabetes-Typ-eins weiteruntersucht, damit man das früher erkennt. Und auch bei den Kindern im weiteren Verlauf gibt es immer so kleine Blutabnahmen. Das ist dieses Kapillarblut, wo man so in den Finger oder in die Ferse pikst und paar Tropfen braucht. Und diese Proben, sind im Lauf der Zeit gesammelt worden. Die hat man behalten. Und dann haben sie gesagt: Jetzt schauen wir in diesen Proben nach, wie viele da Antikörper haben.


Aber das Schöne, was die gemacht haben, ist, dass die jetzt nicht – so wie fast alle anderen Studien – den Standardtest genommen haben, den jeder nimmt. In Deutschland gibt es den von der Firma Euroimmun. Der hat als erstes einen zertifizierten Test auf den Markt gebracht, damit ist zum Beispiel die HeinsbergStudie gemacht worden. Es gibt natürlich noch ein paar andere Hersteller. Diese Tests funktionieren aber so, dass man eigentlich einen Antikörper gegen einen bestimmten Teil des Virustest testet, meistens ein Oberflächenteil von dem Virus, also an den Spikes, die diese Coronaviren da außen drauf haben. Da nimmt man irgendeinen Teil und schaut, welche Antikörper haben die daran gebunden? Oder anders gesagt: Welche Patienten haben Antikörper, die da binden. Bei dieser Studie hatte die Münchner Virologie auch mitgemacht. Das ist die Leiterin der Virologie, Frau Protzer. Die haben einen zweistufigen Test entwickelt. Das hat eine Reihe von Vorteilen. Und zwar ist der Test, so dass man in einer ersten Stufe nach Antikörpern sucht mit einer möglichst hohen Empfindlichkeit. Also nach dem Motto: Ich will alle erwischen, die die Sensitivität, wie wir sagen soll, soll möglichst hoch sein. Und weil man da auch falsch-positive dazwischen hat, wenn man so einen empfindlichen Tests hat, wird in der 2 . Stufe ein hochspezifischer Test nachgeschoben oder einer mit einer höheren Spezifität. Durch dieses zweistufige Verfahren kriegt man dann am Schluss eine hohe Empfindlichkeit, vom Nachweis her, aber trotzdem eine hohe Sicherheit. Dass die Positiven auch positiv sind. Das ist extrem wichtig, weil bei epidemiologischen Studien. Denn man muss sich vorstellen, man untersucht ja quasi vor dem Hintergrund die Gesamtbevölkerung ohne irgendeinen Risikofaktor. Das heißt also, da werden die allerallermeisten negativ sein. Hoffentlich. Und wenn man wenige Positive aus vielen Negativen herausziehen will, ist ein Test, der ein paar Falsch-Positive hat, katastrophal. Wenn 99 Prozent richtig sind, und nur ein Prozent falsch, aber sie testen 1 Million Leute,


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dann kriegen sie irrsinnig viele, die falschpositiv sind. Und deshalb sind diese Bevölkerungsstudien immer darauf angewiesen, dass der Test eine ganz hohe Spezifität hat. Und dieser Test mit diesem Doppeltest, der hat eben jetzt etwa 100 Prozent Spezifität nach der Studie. Und das ist super interessant, denn dadurch kann man viel besser als bisher Bevölkerungsuntersuchungen machen, zum Beispiel auch bei der Frage: Wer hatte nun Antikörper gegen Covid-19 entwickelt und wer nicht?



Camillo Schumann



Jetzt war es so, dass bei dieser Studie in der Altersgruppe der 1bis 18-Jährigen der Anteil der Antikörper 6-mal höher war als die Zahl der tatsächlich Infizierten laut Statistik. Hat Sie das überrascht oder ist das normal?



Alexander Kekulé


Das hat mich nicht überrascht. Aber es ist wichtig, dass man es mal schwarz auf weiß hat. Das geht letztlich darauf hinaus. Wir haben ja immer gesagt, da werden irgendwelche Meldezahlen geliefert. Das hier war eine rückwirkende Studie. Da haben wir die Proben untersucht, die wir schon im Kühlschrank hatten sozusagen. Das ging rückwirkend von Januar bis Juli dieses Jahres. Da ist es dann so: Wenn Sie in diesem Zeitraum bestimmte Meldungen hatten, zum Beispiel im April gab es ja viele Neuerkrankungen. Da wurde dann dazugesagt, so und so viel Prozent sind Kinder. Und das war ja immer extrem wenig. Und jetzt ist der Anteil der Kinder durch diese Nachuntersuchung gestiegen. Wir haben jetzt 0,87 Prozent der Kinder, die positiv sind. Das heißt also, das ist mal so grob gesagt, fast ein Prozent. Fast jedes 100. Kind war positiv in dieser Nachuntersuchung. Das ist immer noch nicht in dem Bereich, wo man jetzt sagen müsste: Wir müssen unser ganzes Konzept für Schulen und Kitas aufgrund dieser Studie überdenken. Aber das heißt, auch bei Kindern gibt es eine ganz wichtige, große Dunkelziffer. Und eben jetzt bei dieser ersten Studie, die so gründlich gemacht wurde mit dem neuen Test liegt der Schnitt bei 1:6. Wir haben in diesem


Podcast oft auch immer so eine Zahl von 1:10 als Dunkelziffer ins Spiel gebracht. Es ist so, dass 1:10 auch bei Studien in den USA und in China herausgekommen ist. Wenn die jetzt sozusagen nur 1:6 als Dunkelziffer haben, könnte man schon fast sagen, das ist eine gute Nachricht, denn das heißt, es sind also nicht zehnmal so viele Menschen infiziert, wie man gedacht hat, sondern nur sechsmal so viele, zumindest in der Altersgruppe.



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten: Keine Handlungsempfehlung. Interessant zu wissen, aber man muss jetzt nicht die Kitas schließen oder noch um das eigene Konzept überarbeiten oder anderen Schwerpunkt drauflegen.



Alexander Kekulé


So schnell nicht. Handlungsempfehlungen auf keinen Fall. Aber ich glaube, das ist schon wichtig. dieses zweistufige Verfahren hat sich in diesem Test einfach bewährt. Und das muss man dazusagen. Es gibt es auch für andere Erreger. Ja, wir machen das für andere Viren, auch mit diesem zweistufigen Test. Das gibt es auch für verschiedene sonstige Parameter, die man im Blut testen kann. In Spanien gab es mal eine ähnliche Untersuchung. Die hatten auch schon den zweistufigen Test eingesetzt. Das ist nichtgleich nobelpreisverdächtig. Es ist auch kein Neuland. Aber das beweist, dass man damit wesentlich besser nachweisen kann, welcher Teil der Bevölkerung immun ist. Und es geht ja um die Begleitstudien, die wir jetzt dringend machen müssen bei den jetzt angeordneten Öffnungen oder dem Offenlassen der Schulen und Kitas. Weil das ein Experiment und ein gewisses Risiko sind, was man in Kauf nimmt, müssen wir begleiten, gucken, was passiert dort, wenn wir die offen lassen. Es dauert ja immer eine Weile, bis sich so Antikörper bilden. Das heißt, man kann das nicht zur gleichen Zeit machen. Aber dass man zeitversetzt dann nochmal so eine Studie macht an solchen Schulen, die offen geblieben sind und guckt, hat es da Infektionen gegeben oder nicht, da muss man eben diese Methode


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nehmen, weil die wesentlich besser ist. Die kann man auch woanders anwenden. Man muss dazu sagen, sie ist auch wesentlich aufwendiger fürs Labor.


Was ich noch interessant fand, ist: Bei der Epidemiologie hat sich gezeigt, von den 2 /3 der Kinder, bei denen ein Familienmitglied klassisch positiv getestet wurde, war negativ. Also 2 /3 der Kinder hatten sich nicht angesteckt. Insgesamt haben Sie daraus geschätzt, dass diese Secondary-Attacke-Rate, also der Teil der Menschen, die sich innerhalb eines Haushalts anstecken, die liegt bei Kindern in der Größenordnung von 50 Prozent. Also nur jedes 2 . Kind steckt sich im Haushalt an, wo ein Positiver lebt. Das ist deshalb ein etwas beunruhigender Befund, weil man früher davon ausgegangen ist, bei anderen Studien, dass diese Rate unter 2 0 Prozent liegt. Auch in Heinsberg war es ja so, dass herauskam, dass 15 bis 2 0 Prozent der Haushaltsmitglieder sich nur angesteckt hatten. Aber bei den Kindern sind es eben jetzt doch 50 Prozent. Das liegt daran, dass wirklich, und das ist ja auch noch einmal gezeigt worden, mindestens die Hälfte der Kinder einfach keine Symptome hat. Wenn die keine Symptome haben und man es überhaupt nicht bemerkt, dann ist kein Wunder, dass man in so klassischen Studien denkt, die Kinder hat es ja nicht erwischt, nur Erwachsene werden krank. Dann müssen wir eben noch genauer hinschauen in Zukunft, damit wir nicht der Politik falsche Zahlen an die Hand geben, wenn sie so Fragen beantworten muss wie: Soll ich jetzt die Kitas offenlassen? Soll ich die Grundschulen offenlassen?



Camillo Schumann



Kinder und Corona sind ein Dauerthema im Podcast. Das wird uns sicherlich mal wieder beschäftigen.


Kommen wir an dieser Stelle zu den Hörern? Fragen dieser Herr hat angerufen. Er und seine Frau haben zugegeben, ein kleines LuxusProblem. Aber warum sollten wir nicht darüber sprechen?


„Ich und meine Frau sind Risiko-Patienten, also 78 und 73, leben in Offenbach, haben aber auch ein Haus in Fuerteventura. Das ist ja jetzt nun risikofrei. Empfiehlt es sich also, einem Hotspot zu entfliehen und lieber nach Portugal zu fliegen. Oder ist es auch zu gefährlich?“



Alexander Kekulé


In Fuerteventura sind dafür die Krankenhäuser nicht so gut, wenn es ein wirklich erwischt. Ich würde jetzt nicht wegen der Krankheit wegfliegen. Ich weiß, dass es viele ältere Herrschaften gemacht haben. Ich kenne auch schon Leute, die waren in Kanada, die sind inzwischen wieder da. Sie dachten, sie verschanzen sich da, bis die Pandemie vorbei ist. Die sind inzwischen alle wieder zurück, weil ihnen das zu langweilig geworden ist. Ich glaube, dass es möglich ist. Und das ist mir ganz wichtig zu sagen: Es ist möglich, hier zu leben und sich mit 99 Prozent Sicherheit vor dieser Krankheit zu schützen. Und wenn man das einhält, wenn man das vernünftig macht, auch wenn man Risikopersonen ist, dann muss man aus Deutschland nicht weg, sondern im Gegenteil. Im Zweifelsfall, wenn das eine Prozent eintritt, dass es doch schiefgeht, dann hat man hier einfach die bessere Krankenversorgung. Auch die Informationen sind in Deutschland bei aller Kritik viel besser. Wenn es in Spanien, in Fuerteventura, einen Ausbruch gibt, erfahren Sie es hier erst 2 Wochen später. Ich glaube nicht, dass Sie dort besser bedient sind.



Camillo Schumann



Aber die Sonne scheint bei 2 3°C. Ich habe gerade mal nachgeguckt.



Alexander Kekulé


Das war jetzt nicht die Frage. Geht es zum Windsurfen, ist Fuerteventura natürlich nicht schlecht. Da wüsste ich auch den einen oder anderen Strand, wo man das machen kann. Aber vielleicht um die Jahreszeit nicht die beste Jahreszeit dafür. Aber wenn es jetzt wirklich nur um Corona geht, würde ich mal sagen: lieber hierbleiben.


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Camillo Schumann



Und weil Sie gesagt haben, man kann auch in Deutschland sich zu fast 100 Prozent vor Corona schützen: Frau Schröder hat uns geschrieben. Sie schreibt:


„Ich wollte gerne so viel wie möglich erfahren über den Umgang mit Corona, gezielt in der häuslichen Gemeinschaft. Wohlgemerkt, nicht Familie, sondern Wohngemeinschaft. Sprich: Ich wohne in einer 2 -Generationen-WG mit Untermieter und möchte hier alles richtig machen. Es vergiftet derzeit unseren Umgang sehr, sich ständig aus dem Weg zu gehen, nicht mehr an einem Tisch zu essen etc. Wenn dies sowieso egal wäre, da es in häuslicher Gemeinschaft mit geteilter Küche und Bad sowieso kaum vermeidbar ist, falls das Virus her eindringt, dann können wir den Irrsinn mit gegenseitiger Angst voreinander unterlassen. Viele Grüße.“


So geht es wahrscheinlich ganz.



Alexander Kekulé


Ja, das ist schwierig, weil eben diese Secondary Attacke-Rate, also die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anders im Haushalt angesteckt wird, noch nicht klar ist. Wenn die bei 15 bis 2 0 Prozent läge, wie es am Anfang mal vermutet wurde, würde man sagen: Jawohl, es lohnt sich auf jeden Fall, Sicherheitsmaßnahmen zu Hause zu treffen. Wenn es bei 50 Prozent liegt, was jetzt die letzte Studie für Kinder suggeriert, dann geht es schon so an die Grenze. Ich würde mal sagen, unter Eheleuten, die jetzt nicht völlig platonisch leben, wird es wahrscheinlich so sein, dass man eine Ansteckungsquote bis zu hundert Prozent kriegt. Ich glaube, man muss sich überlegen, mit wem man da zusammen wohnt und wie nah man den Leuten steht. Es gibt ja Wohngemeinschaften, die den Charakter einer Familie haben. Und wenn man da auch gegenseitiges Vertrauen hat, dann kommt es ja nicht so sehr darauf an, ob ich eine Risikogruppe bin. Sondern es kommt auf die Frage an, wie verhalten sich die Leute sonst außerhalb der Wohnung? Und wenn ich weiß,


ich wohne mit Leuten zusammen, die vernünftig sind, die nicht auf irgendwelche Partys gehen, wo ohne Mundschutz gefeiert wird, die, wenn sie zum Einkaufen gehen, das Gedränge meiden und sich hinterher vielleicht die Hände desinfizieren, immer die Masken aufhaben. Also wenn ich mit solchen Leuten zusammen bin, wo ich weiß, die sind vernünftig, dann glaube ich, brauche ich im Haushalt keine Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Dann bin ich sozusagen in der Stadt an der Stelle eine Risikogemeinschaft mit den anderen. Das wäre vielleicht das richtige Wort dafür. Man muss da Risikogemeinschaft bilden, die dann auch so sind, das man eben darauf vertraut. Und dann muss man auch offen darüber sprechen, wie man untereinander mit dem Thema umgeht.


Um mal etwas ganz anderes zu strapazieren: So etwas Ähnliches gibt es ja auch in der Ehe, was die HIV-Infektion betriff. Wenn Sie im ehelichen Bereich oder in der Partnerschaft möglicherweise auf Kondome verzichten, dann haben sie das gegenseitige Vertrauen, dass der andere nicht irgendwo anderswo ihnen das Virus oder eine andere Krankheit einschleppt. Es gibt da noch ein paar andere Geschlechtskrankheiten. Im übertragenen Sinn ist es hier auch so, wenn Sie in so einer Wohngemeinschaft sind. Wenn Sie glauben, dass sich alle auch außerhalb dieser Gemeinschaft an die Regeln halten, dann werden sie keine Infektionen bekommen. Und wenn eine kommt, dann war es eben ein vergemeinschaftetes Risiko.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 115, vielen Dank.


Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Bis Donnerstag, Herr Schumann.


Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 32 2  00.


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Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 31. Oktober 2 02 0 #114 SPEZIAL: Fragen zu Öffnungszeiten, Sperrstunden und feuchten Masken



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



 Brauchen ältere Menschen eigene Öffnungszeiten im Supermarkt?


 Hilft eine Maske auch gegen Influenza?  Sind geimpfte Menschen noch eine Gefahr


für andere?  Warum nur die Alten schützen?  Wieso werden schon Impfstoffe produziert,


obwohl es noch keine Zulassung gibt?


Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL, nur mit ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Frau M. hat eine Mail geschrieben, gleich mehrere Fragen. Ich habe mir mal diese herausgepickt, weil die sicherlich viele Menschen interessiert. Sie schreibt:


„Hamburgs Oberbürgermeister hat zu einer der wichtigsten Maßnahmen die Sperrstunde in Kneipen genannt. Ist diese Maßnahme tatsächlich so effektiv? Wieviel Ansteckungen lassen sich durch den Kneipenbesuch nach 2 2  Uhr zurückführen? Viele Grüße.“


Tja, das ist die Gretchenfrage, oder?



Alexander Kekulé


Ja, es gibt so viele Gretchenfragen. Es ist so, dass es hier wirklich darauf ankommt, was das für eine Kneipe ist. Ich bin ganz sicher, dass es in Berlin Kneipen gibt, wo man sagen muss, das geht gar nicht, was sie da veranstalten. Und ich schätze mal, die sind, wenn man das abzählen würde, unter 5 %. Bei denen ist es gut, dass es die Sperrstunde gibt. Und da ist es richtig, dass die dann irgendwann zumachen müssen. Alle anderen werden das wahrscheinlich genauso wenig verstehen, wie ich.



Camillo Schumann



Aber grundsätzlich kann man sagen, gibt es noch keine Erhebung. Und man hat sozusagen noch nicht ins Detail geschaut, wann und zu welcher Uhrzeit in welcher Kneipe wer sich wie angesteckt hat.



Alexander Kekulé


Ja, das stimmt. Ich bin da immer so für ein 80/2 0-Prinzip. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, ist ja sehr hoch bei den Kneipen. Und wir wissen, dass zum Beispiel in Frankreich, nachdem die in Paris dann die ganzen Gaststätten wieder zugemacht haben vor einigen Wochen, dass es zu einer deutlichen Beruhigung der Neuinfektionen beigetragen hat. Da würde ich jetzt nicht fordern, dass man einen wissenschaftlichen Beweis vorlegt. Aber dafür, dass ein normales Restaurant überhaupt irgendeinen Einfluss hat auf das Seuchengeschehen, dafür gibt es ja weder Belege noch wäre es irgendwie plausibel auf den ersten Blick.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen, die ist ziemlich sauer. Sie schildert mal die Situation der Gymnasiallehrer in Bayern. „Kein Hygienekonzept im Prinzip, mindestens 2 5 Schüler in einem Raum, keine Schnelltests stehen zur Verfügung, keine Pooltests, es werden den Lehrkräften keine FFP2 -Masken gestellt. Man muss also selber gucken, wie man die sich aus der Apotheke irgendwie zusammen holt. Warum legt die Gesellschaft da keinen Fokus darauf, um Lehrkräfte zu schützen? Weil, wenn die krank werden, bricht ein systemrelevanter Zweig zusammen. Es ist ja so


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wichtig, die Schulen offenzuhalten. Und genauso gut Polizeibeamte, die müssten wir auch viel besser schützen. Und schützenswert finde ich ehrlich gesagt jeden, und nicht nur die Alten im Pflegeheim.“


Ein deutliches Statement dieser Dame. Das spricht sich vielen Hörerinnen und Hörern aus dem Herzen. Wir bekommen sehr, sehr viele Zuschriften von Lehrerinnen und Lehrern. Man möchte ja gar nicht die Alten gegen die Lehrer ausspielen, aber sollte es da nicht eine Priorisierung geben?



Alexander Kekulé


Die Priorisierung ist natürlich die, dass man sagen muss, dass Menschen über 70 ein Sterberisiko haben, was im Bereich von 10 % liegt bei dieser Erkrankung. In manchen Regionen war es sogar höher. Das ist natürlich ein Mittelwert. Das sind auch die, die sowieso schon sehr krank waren, mitgerechnet. Aber, das ist natürlich ganz etwas anderes, als bei jemandem, der 50 ist. Da ist das Risiko auf jeden Fall um den Faktor 10-30 niedriger. Darum ist es schon richtig, die besonders gefährdet sind besonders zu schützen. Mit den Schulen und den Kitas wird jetzt zu einer Art Experiment gemacht, das meine ich nicht negativ. Wissenschaftler finden ja Experimente immer interessant. Und zwar an der Weise, dass man die offenlässt, während sonst so eine Art Lockdown verhängt wurde. Das kann gut gehen, aber es ist völlig richtig, je besser man so etwas absichert, so ein Risiko, das absichtlich in Kauf genommen wird, desto leichter ist es auch kommunizierbar an Lehrpersonen. Ich denke da vor allem an die Wirkung, dass wir wissen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer sich tatsächlich krankschreiben lassen aus Angst, sie könnten sich in der Schule anstecken. Die Krankschreibungsquote bei den Lehrern ist gestiegen. Und das ist natürlich eine Abstimmung mit Füßen, so ein bisschen. Es ist ganz wichtig, allen, das gilt auch für die Schüler und die Eltern der Schüler und der Kita Kinder, allen das Gefühl zu geben, wir machen hier bei diesem Experiment alles, was wir tun können, damit es so sicher wie möglich abläuft.



Camillo Schumann



Apropos Maßnahmen, Frau R. aus Bayern schreibt:


„Ich bin Grundschullehrerin. In Bayern gilt ab einem Inzidenzwert von 50 eine Maskenpflicht für Grundschüler. Aus pädagogischer didaktischer Sicht ist das natürlich besonders in dieser Altersgruppe sehr schwierig. In der Grundschule sind Klassen in feste Gruppen mit festem Lehrer eingeteilt. Vermischung von Gruppen werden Krone bedingt möglichst vermieden. Eine Nachverfolgung von Fällen bei einem Coronaausbruch wäre demnach gut machbar. Die Lehrkräfte lüften regelmäßig und leiten die Kinder zur regelmäßigen Hygiene und zum Tragen der Masken außerhalb der Klassenzimmer an. Ist da ein Tragen der Maske während der Unterrichtssituation in dieser Altersgruppe wirklich notwendig? Viele Grüße, Frau R.“



Alexander Kekulé


Wenn man davon ausgehen würde, dass viele Kinder statistisch ein großes Risiko haben, sich zu Hause anzustecken, dann wäre man wirklich in der Lage, dass man sagen muss, jawohl, da kommt man um Tests – den gibt es leider nicht – oder Maske nicht drumherum. Was ich nicht ganz plausibel finde ist, leider, weil man nichts anderes hat, dass man diese Schwelle von 50 Erkrankungen, Neuerkrankungen in sieben Tagen auf 100.000 Einwohnern nimmt. Weil das nichts darüber aussagt, welche Kinder ganz konkret in einer Klasse von 2 0-2 5 Kindern drinsitzen. Ich glaube, darauf sollte man eher abstimmen, ob ganz konkret mit der Zusammensetzung der Klasse ein Risiko befürchtet wird oder nicht. Das kann letztlich nicht der Ministerpräsident anordnen, dass müssten dann die Kreise machen, die Schulen, das müssen die von Fall zu Fall entscheiden. Und ich möchte kein Politiker sein, der das im Einzelfall entscheiden muss. Darum hat man das so pauschal gemacht. Dass man letztlich eine stumpfe Waffe letztlich, relativ primitiv, wie man das macht. Aber feiner bekommen das Erscheinen von oben nach unten nicht hin.


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Camillo Schumann



Bleiben wir bei den Masken im Unterricht. Dazu kommt eine Frage von Herrn S. aus Halle. Er hat angerufen.


„Es wird die häufig in dem Tun bei den Kindern mittlerweile oder Jugendlichen erwartet, dass sie die Maske tragen auch im Unterricht. Was bedeutet, dass diese ja den ganzen Tag über Stunden hinweg dieselbe Maske tragen. Und es mit Sicherheit auch zur Durchfeuchtung einer Maske kommt. Ist das dann nicht sogar eine größere Gefahr, weil sich durch diese Durchfeuchtung der Maske Erreger, Viren ansammeln könnten, und diese sogar noch verstärkt eingeatmet bzw. abgegeben werden können. Ja, das wäre eine Frage. Vielen Dank für die Beantwortung.“



Alexander Kekulé


Also erst einmal Hallo Herr S. nach Halle. Das ist ja meine Arbeitsheimat. Es ist genauso, wie er es beschrieben hat, wenn da Feuchtigkeit drin ist, man atmet stark aus, dann erzeugt man vorne an der Maske vom Stoff weg so eine Art Nebel. Und das ist natürlich genau das, was wir nicht wollen. Eine feuchte Maske, das geht nicht.



Camillo Schumann



Also 2 mitnehmen?



Alexander Kekulé


Zwei, drei oder vier, je nachdem wie feucht die Aussprache ist, wie oft man sich meldet. Die Einser-Schüler, die sich andauernd melden und etwas sagen müssen, müssen halt ein paar mehr mitnehmen.



Camillo Schumann



Herr H. hat uns eine Mail geschrieben. Er schreibt:


„Bundesgesundheitsmister Jens Spahn wurde vor einigen Wochen gegen Influenzaviren geimpft. Dabei sagte er, sinngemäß, folgendes: mit der Impfung schütze ich nicht nur mich, sondern auch ein Umfeld. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass eine gegen Influenzaviren geimpft andere Person, die mit ihm Kontakt haben, unabhängig davon, ob sie


geimpft sind, infiziert. Der Geimpfte selbst erkrankt aber milder. Ich vermute, dass dies auch für Corona-Geimpfte gilt. Daraus folgt, dass die Corona Pandemie durch eine Impfung nicht gestoppt wird. Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Jetzt wird es immunologisch. Da muss man unterscheiden. Grundsätzlich, der Hörer hat recht. Man muss unterscheiden zwischen der sogenannten sterilisierenden Immunisierung und der partiellen, der teilweisen Immunisierung. Wenn Menschen vollständig immun sind, wir nennen das sterilisierende Immunisierung. Dann ist das so, dass ein Erreger überhaupt keine Chance mehr hat, sich zu vermehren. Der wird sozusagen auf der Schleimhaut, wenn er angeflogen kommt, abgefangen. Und das war es. Und bei der teilweisen Immunität, das ist eher die Regel, sodass der Erreger anfängt, sich zu vermehren in der Schleimhaut, begrenzt. Und das Immunsystem wird aktiviert, fängt ihn weg, bevor die Krankheit ausbricht oder schwer wird. Der könnte rein theoretisch in der Phase, wo sich das Virus vermehrt andere anstecken. Man muss aber auch sagen, da ist schon die Viruslast, also die Konzentration der Viren auf den Schleimhäuten, deutlich herabgesetzt – auch bei einer partiellen Immunität. Sodass die Wahrscheinlichkeit, dass so jemand jetzt andere ansteckt, obwohl er eigentlich teilweise immun ist, doch sehr gering ist. Mag sein, dass das bei der Influenza da mal vorkommt – ausnahmsweise. Generell würde ich sagen, ja, die Impfung, auch wenn es eine partielle Immunisierung ist, die schützt zum großen Teil auch vor Ansteckung von anderen.



Camillo Schumann



Er schreibt weiter:


„Um die Coronapandemie zu stoppen bedarf es deshalb eines Medikaments, dass die Virenkonzentration unmittelbar nach der Infektion reduziert. Ist dieser Gedankengang richtig?



Alexander Kekulé


Ähm, ja. Das wäre ein antivirales Medikament. Das einzige, was da noch im Rennen ist, ist das Remdesivir. Offiziell soll das wirken. Aber ich habe meine persönlichen Bedenken da schon


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ein paarmal angemeldet. Damit kann man vielleicht die Viruskonzentration ein bisschen herabsetzen, aber ich würde nicht empfehlen, dass bei jedem zu geben, damit der nicht mehr ansteckend ist. Die interessante Frage ist tatsächlich, was machen wir dann, wenn die Impfung kommt? Und da muss man eben vorsichtig sein. Nur, weil wir einen Impfstoff haben, heißt das nicht, dass das Virus mit einem Schlag weg ist. Man kann Risikogruppen, wenn der Impfstoff dort wirkt, natürlich besser schützen. Aber es wird in der Tat so sein, dass die Viren sich weiterverbreiten. Nicht nur wegen dieser partiellen Immunisierung, was wir gerade besprochen haben. Sondern auch deshalb, weil sich das Virus ja verändert. Diese Coronaviren haben es leider drauf, dass sie alle Jahre wieder in einem etwas anderen Gewand daherkommen und neue Infektionen machen. Sonst würden wir auch nicht so oft Erkältungen kriegen. Das ist natürlich die Befürchtung, die im Raum steht, dass man bei der Hälfte der Impfungen durch ist. Und dass man dann für die andere Hälfte der Leute schon einen etwas abgeänderten Impfstoff braucht, weil der erste schon nicht mehr richtig wirkt. Also, in diesem Zusammenhang ist die Überlegung wichtig, ob jemand, der geimpft ist noch ansteckend ist. Und wir müssen damit rechnen, dass auch Geimpfte eine Weile diese Krankheit in einer Population, in einer Bevölkerung, halten können.



Camillo Schumann



Frau M. hat uns geschrieben:


„Wie kann es bitteschön sein, dass ein PharmaUnternehmen in Sachsen-Anhalt anscheinend bereits Impfstoffe abgefüllt, die noch gar nicht zugelassen sind? Mit freundliche Grüßen, Frau M.“



Alexander Kekulé


Also das ist ja hier eine Besonderheit. Normalerweise ist es genauso, man muss das erst entwickeln, da muss man ganz viel Papier unterschreiben. Dann macht man diese Tests der klinischen Phase 1-3, und irgendwann, wenn man genug Patienten in den klinischen Versuchen untersucht hat – die heißen dann nicht Patienten, sondern Probanden – kann


man mit dem ganzen Papierkram zur Zulassungsstelle gehen und bekommt dann irgendwann mal die Zulassung. Das dauert heutzutage, selbst bei einer flotten Entwicklung, noch etwa acht Jahre oder so etwas, für einen Impfstoff. So ist die Dimension. Und jetzt wollen wir das hier viel schneller und ganz besonders machen und deshalb hat man eben ganz bewusst gesagt, wir machen Entwicklung, Zulassungsvorbereitung und Produktionsvorbereitung parallel. D. h. aber nicht, dass die Sachen, die dort abgefüllt werden – ich weiß es nicht, welche Firma die Hörerin meint – jetzt morgen gleich in der Apotheke zu kaufen sind. Sondern die werden sicherlich für Zulassungsstudien abgefüllt, wo man ja auch viele Medikamente braucht, weil einige 10.000 Probanden braucht man auf jeden Fall für eine Phase-3-Studie bei einem Impfstoff. Und das muss er dann auch irgendwie produziert werden.


13:12 



Camillo Schumann



Und einige Unternehmen produzieren ja schon einmal Millionen Dosen auf Halde. Mit der Hoffnung, dass dann ihr Medikament, ihr Impfstoff das Rennen macht.



Alexander Kekulé


Es ist ungewöhnlich, aber es ist vorgesehen für diese Pandemie. Und es gibt auch Abnahmegarantien. Es ist ja so, dass die großen Regierungen, auch die EU, haben ja tatsächlich von den Herstellern schon sozusagen Kontingente gekauft von den Impfstoffen. Und dadurch haben die das Geld in der Kasse, um die Produktion an zu werfen.



Camillo Schumann



Genau, alle Welt wartete auf einen Coronaimpfstoff. Mittlerweile wird ja selbst der Grippeimpfstoff knapp, kann man lesen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mittlerweile beruhigt, es gibt noch ausreichend Grippeimpfdosen. Laut Gesundheitsministerien kann damit die Nachfrage in dieser Saison definitiv bedient werden. Diese Dame, die angerufen hat, hat noch eine Dosis in der Apotheke bekommen. Sie ist sich aber nun sehr unsicher, ob sie wirklich zum Arzt gehen soll. Deshalb hat sie jetzt diese Frage:


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„Aber die Maske müsste doch auch vor Influenza schützen. Weil, bei mir ist das Problem, ich habe wahnsinnige Angst, in die Arztpraxis zu gehen. Nachher bin ich gegen Influenza geimpft und kriege trotzdem Corona. Also kann man nicht aufgrund der Maske, ist man nicht auch deshalb vor Influenza geschützt? Muss man wirklich die Impfung unbedingt haben?“



Alexander Kekulé


Das kommt ein bisschen auf die Arztpraxis an. Am Anfang war es in der Tat so, da haben wir hier ja auch empfohlen, wirklich Arztbesuche nur zu machen, wenn es dringend notwendig ist. Jetzt hoffe ich doch sehr, dass die Arztpraxen sich Konzepte überlegt haben, wie sie Infektionen in ihren Räumen verhindern können. Man kann auch eine Maske, eine FFPMaske auch in der Arztpraxis durchaus einziehen, wenn man da reingeht. Man muss die noch nicht einmal zu Impfung in den Oberarm abnehmen. Deshalb würde ich schon sagen, in dem Fall zum Arzt zu gehen ist in Ordnung.


Ja, schützt die Maske auch vor Influenza? Es ist so, dass Influenza nach meiner Überzeugung, da sind sich die Virologen nicht ganz einig, noch mal deutlich ansteckender ist als COVID19. Daher ist es so, dass alle Unsicherheiten, die Masken haben, vor allem wenn man solche OP-Masken oder Alltagsmasken nimmt, bei COVID-19, die gelten noch stärker bei der Influenza. Dadurch, dass das Virus einfach infektiöser ist und in kleinerer Dosis schon zu Ansteckung führt, würde ich mal sagen, ein nicht mehr ganz gut sitzende FFP2 -Maske kann schon der Grund sein, dass man sich die Influenza holt. Darum würde ich jetzt sagen, bei einer sehr ansteckenden Erkrankung, wie Influenza, wenn man sie wirklich vermeiden will, ist die Impfung schon das Richtige. Zumal, wenn man in einem Alter ist, wo die Impfungen noch gut funktionieren. Und die Stimme klang so, als wäre die Dame durchaus noch in einem Alter, wo man hoffen kann, dass der Impfstoff anschlägt.



Camillo Schumann



Herr B. aus Böblingen hat gemailt:


„Bei der Diskussion um weitere Aktionen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie fehlt mir eine Maßnahme, die schon in anderen EULändern, zum Beispiel Ungarn, praktiziert wird. Die Schaffung von Ladenöffnungszeiten landesweit, die ausschließlich für ältere Menschen über 60 bestimmt ist. Würde das nicht helfen, die älteren Personengruppen mit niedriger Inzidenz von den jüngeren Personengruppen mit höherer Inzidenz zu separieren? Warum ist diese Regelung in Deutschland noch nicht diskutiert worden? Viele Grüße, Herr B.“



Alexander Kekulé


Ich bin ich der Meinung, dass man das für eine Gesellschaft so durchziehen soll, dass man sagt, jetzt dürfen nur die Alten rein und dann die anderen in dem Moment. Da hat man so einen Ausgrenzungseffekt. Zumal wir jetzt epidemiologisch da nicht den Bedarf haben. Weil wir haben ja erstens die Situation, dass meine ich zumindest, dass in den meisten Supermärkten und Geschäften es auch Zeiten gibt, wo es nicht so voll ist. Und zweitens, können die alten Leute, wenn sie wirklich meinen, sie haben ein Risiko, eine FFP2 -Maske aufziehen. Die stehen ja zur Verfügung. Und ich persönlich gehe davon aus, bei einer richtig sitzenden FFP2 -Maske die Infektionsgefahr gegen null geht, wenn man das vernünftig macht.


17:2 0



Camillo Schumann



Familie H. aus dem Ruhrgebiet hat uns geschrieben. Die Eltern, die sind über 50, ihre Kinder sind 16, 12  und 9. Sie schreiben:


„Unsere große Sorge besteht darin, dass eines der Kinder aufgrund des lückenhaften Schutzes in der Schule die Infektion nach Hause tragen könnte und die anderen Familienmitglieder anstecken könnte und diese Schwerkranken könnten. Welche Maßnahmen halten Sie für angezeigt? Sollte man sich möglichst in verschiedenen Räumen aufhalten? Sollte man auch zu Hause alle 2 0 Minuten lüften? Sollte man die Mahlzeiten getrennt voneinander einnehmen? Dürfen Kinder bei der Zubereitung von Mahlzeiten noch mithelfen? Sollte man Bäder und Kontaktflächen regelmäßig


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desinfizieren? Wenn ja, wie häufig? Für eine Beantwortung wären wir sehr dankbar.“


Da ist eine Familie, die sich sehr viele Gedanken macht.


18:05



Alexander Kekulé


Also, ich bin der Meinung, in der Familie ist man eine Schicksalsgemeinschaft. Wenn so eine Familie dann getroffen ist, dann wird es über die Kinder eingeschleppt und das war es eben dann. Dann kann man bei der nächsten Bundestagswahl eine andere Regierung wählen, oder man beschwert sich beim Gesundheitsamt. Aber das ist dann im klassischen Sinne höhere Gewalt. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, das innerhalb der Familie abzufedern und anzufangen, die Kinder zu desinfizieren und dann einen Extratisch setzen und sich nicht mehr zu umarmen o. ä. Das Risiko haben wir alle, das habe ich ganz persönlich auch. Ich mache mir natürlich auch Gedanken, dass mich als Virologe wahrscheinlich das Virus wenig Chancen hat zu erwischen – im normalen Alltag. Meine offene Flanke sind meine Kinder. Und das ist einfach so. Damit muss man aber letztlich leben, mit so einem Restrisiko. Für mich persönlich wäre es so, ich beobachte schon sehr genau die Situation in Deutschland und international. Wenn sich durch die überall ja geöffneten Schulen, das hat man auch in den USA gemacht, wenn sich dann wirklich in Studien zeigen würde, dass es Ausbrüche über die Kinder gibt. Das wird im Moment interessanterweise nicht beobachtet oder nur ganz selten. Dann würde ich möglicherweise noch mal beim Gesundheitsamt anrufen und sagen, jetzt schicke ich mein Kind nur noch in die Schule, wenn ihr da ein anderes Hygienekonzept habt. Aber im Moment gilt: Man kann einfach hoffen, dass man jetzt nicht der Erste ist, oder dass die Schule, wo die eigenen Kinder sind, nicht die erste ist, wo‘s eben trotz der Situation und der Daten, die wir haben, plötzlich zu einem riesigen Ausbruch kommt. Und sobald sich die Ausbrüche häufen würden, müsste man natürlich reagieren. Dann könnte man nicht mehr sagen, das ist höhere Gewalt. Dann ist es vermeidbares Risiko und dann müsse der Staat auch etwas tun.



Camillo Schumann



Und wie machen Sie es zu Hause ganz persönlich? Es ist kein Geheimnis, Sie haben ein kleines Kind. Und sie sind über 60. Da macht man sich ja gerade Gedanken.


2 0:10



Alexander Kekulé


Ja, ich habe eine Tochter im Kindergarten und einen Sohn, der in der Grundschule ist. Und drei andere, die schon raus aus dem Gemüse sind. Das ist ganz ehrlich gesagt bedenklich. Weil, es ist auch so, dass ich ja auch als Virologe als erstes gesagt habe, naja, ich zahle die Tests und wir lassen die ganze Klasse durchtesten. Das wollten interessanterweise weder die Eltern noch die Lehrer. Weil, die wollen da jetzt auch dann glauben, dass ihre Hygienekonzepte funktionieren. Wenn Sie natürlich sagen, da wird eine Klasse irgendwie besonders gecheckt, dann fragen sofort alle andere: Ja, was ist denn mit dem Hygienekonzept für den Rest.


Dieses Risiko gehen wir letztlich als Gesellschaft alle miteinander ein. Es ist so, dass hier die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten gemeinsam beschlossen hat, die Kitas und Schulen bleiben offen trotz der extrem bedrohlichen Infektionslage, die wir in Deutschland haben. Das ist ein Risiko. Das nimmt man ganz bewusst in Kauf, weil man sagt, die Kehrseite, das jetzt wieder zuzumachen mit allen Konsequenzen – auch pädagogisch für die Kinder – das ist schlimmer, als wenn hoffentlich nichts passiert. Aber das Risiko in Kauf nehmen, dass es in Schulen zu Ausbrüchen kommt. Man guckt sich das an und ist ja natürlich Gewehr bei Fuß, um diese nächste Maßnahme auch noch zu ziehen. In Bayern ist es ja so, dass sogar die Maskenpflicht dann angeordnet wird, weil man gesagt hat, das Risiko wollen wir dann doch nicht so ganz mit offener Tür eingehen. Und andere Bundesländer haben das nicht. Im Prinzip ist es da gleiche Konzept: Wir schauen uns das an. Wenn es dann zu Ausbrüchen kommen sollte, müssen wir die Schulen auch zumachen oder zumindest Masken anordnen.


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Camillo Schumann



Aber bei Kekulés zu Hause wird nicht in unterschiedlichen Zeitabständen gegessen?



Alexander Kekulé


Nein, überhaupt nicht. Das kann ich ja schon sagen. Die Kinder müssen sich schon immer die Hände waschen, wenn sie nach Hause kommen. Sie müssen immer ihre Straßenschuhe ausziehen, weil ich nicht weiß, wo die reingetreten sind. Aber Sie ahnen schon, da denke ich weniger an Coronaviren als an andere übel stinkende Dinge, die Kinder mit nach Hause bringen können.



Camillo Schumann



Aber das war es dann, oder?



Alexander Kekulé


Das war es, mehr ist es nicht. Das war schon immer so. Und wir machen das auch nicht so, dass wir z.B. unterwegs was essen. Man sieht ja Leute auf der Straße, die haben sich irgendwo im Laden mal gerade einen Hamburger geholt und essen den dann so beim Gehen. Erstens, glaube ich, dass der Genussfaktor dann so ein bisschen hinten runterfällt. Aber zweitens ist das so, dass ich als Mikrobiologe das nicht machen würde, weil ich da keine Chance habe, mir vorher die Hände zu waschen, wo ich zuvor irgendwie die Türklinke angefasst habe. Deshalb, glaube ich, ist das so ein ganz gutes Prinzip: Wo man was isst, bevor man sich ins Gesicht fasst, wäscht man sich die Hände, wenn man draußen war und nach Hause kommt. Das war es eigentlich schon.



Camillo Schumann



Das war der Blick durchs Schlüsselloch der Familie Kekulé.


Das war Ausgabe 114 von Kekulés CoronaKompass Spezial mit Hörerfragen. Herr Kekulé, wir hören uns dann am Dienstag, dem 03.11. wieder. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Sie auch, wunderbar. Bis zum Dienstag.



Camillo Schumann



Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 9. Oktober 2 02 0 #113: Die Inkonsequenz der Entscheidungen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Die wichtigsten Links zur Folge #113.


 Studie: Neue SARS-CoV-2 -Variante 2 0A.EU1 hat sich in Europa verbreitet: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2  02 0.10.2 5.2 02 19063v1


Studie: Lehren aus Schweden: Wohnsituation entscheidend für COVID-19-Mortalität älterer Menschen: https://www.thelancet.com/journals/lanhl/a rticle/PIIS2 666-7568(2 0)30035-0/fulltext



Camillo Schumann



 Am Tag der höchsten Neuinfektionen muss Deutschland die Beschlüsse zum erneuten Lockdown verdauen. Wie wirkungsvoll können die Maßnahmen sein? Und werden 4 Wochen reichen?


 Ärzte und einige Wissenschaftler halten vom Lockdown überhaupt nichts und fordern eine neue Strategie. Was ist davon zu halten?


 Das Virus verändert sich. Was bedeutet das für Herbst und Winter?


 Sollte der PCR-Test nachgebessert werden?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



16.774, das ist die Zahl des Tages, das ist die höchste bisher in der Pandemie in Deutschland gezählte Zahl an Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Das sind Zahlen vom Robert KochInstitut. Über 1.600 Menschen müssen, stand heute, intensivmedizinisch betreut werden, davon rund 800 an den Beatmungsgeräten. Auf der anderen Seite ist die Hospitalisierungsquote auf fünf Prozent gesunken und der Anteil der Verstorbenen mit 0,13 Prozent so gering wie noch nie. Also auf der einen Seite sehr dramatische und auf der anderen Seite eigentlich sehr erfreuliche Zahlen. Wie bewerten Sie diese Zahlenlage?



Alexander Kekulé


Da muss man sehr aufpassen, weil, es ist ja eine zeitliche Abfolge. Zuerst werden die Leute infiziert, dann werden sie krank. Und dann gehen sie ins Krankenhaus Ganz zum Schluss sterben sie. Also, wenn man die zu einem Zeitpunkt quasi den Quotienten macht, dann stimmen diese Zahlen nicht.


Und das andere ist, dass wir ja jetzt auch noch einen Effekt haben, dass die meisten Infektionen doch eher bei Menschen ohne persönliches Risiko aufgetreten sind. Und das hatten wir im Frühjahr auch – die berühmten Skifahrer waren das. Und das dringt dann so nach und nach eben in die Population der Älteren ein. „Population“ sagen Epidemiologen quasi zu Menschengruppen, und die Älteren werden dann irgendwann betroffen. Das ist, wenn man keine entsprechenden Maßnahmen ergreift, unausweichlich. Dann würden auch die Fallzahlen, die Sterblichkeiten wieder ansteigen.



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten: Die Statistik wird sich dann in den kommenden Tagen und Wochen auch wieder ändern diesbezüglich?



Alexander Kekulé


Also keiner weiß natürlich genau, was in der Zukunft passiert. Aber man darf sich jetzt auf keinen Fall entspannen. Und das hat die


Bundesregierung ja auch nicht getan und sagen: Na ja, bei uns ist die Sterblichkeit so niedrig, das können wir jetzt einfach durchrauschen lassen.



Camillo Schumann



Genau. Kommen wir zum Top-Thema, den gestern beschlossenen Lockdown.


„Deshalb ist das heute ein schwerer Tag auch für politische Entscheidungsträger. Ich will das ausdrücklich sagen, weil wir wissen, was wir den Menschen zumuten. Aber wir müssen den Weg finden, wie wir sozusagen Gesundheit sicherstellen können, in eine nationale Gesundheitsnotlage nicht hineingeraten und auf der anderen Seite weitestmöglich auch das wirtschaftliche Leben aufrechterhalten.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel)


Also leicht gemacht haben sich Kanzlerin und die Ministerpräsidenten die Beschlüsse gestern nicht. Das hat man auch ihren Mienen angesehen. Es wäre ja so ein kleines „Novum“, dass man Maßnahmen quasi deutschlandweit beschlossen hat. Ist das doch schon mal ein gutes Signal?



Alexander Kekulé


Ja, das ist sicher positiv, dass es hier einheitlich zugeht. Diesmal gab es keine besonderen Vorankündigungen einzelner Ministerpräsidenten, wie beim ersten Mal, die dann am Tag vorher schon was verkündet haben. Andererseits muss man natürlich schon sagen, so schlecht ist unser Gedächtnis ja auch nicht. Diese Minen, die ganze Erklärung dazu – wir wollen, dass die Wirtschaft nicht eingeschränkt wird und so weiter – das ist im Grunde genommen der gleiche Sprechzettel wie im Frühjahr. Das wird jetzt das Gleiche noch mal gemacht und was aber dahinter steht, ist, dass man doch einige Monate später scheinbar keine neuen Instrumente entwickelt hat, keine neuen Ideen entwickelt hat, nichts vor allem implementiert hat, was jetzt anwendbar wäre und deshalb eigentlich der Lage genauso hilflos gegenübersteht wie damals. Das ist jetzt schon ein bisschen schade, weil wir ja jetzt wissen, dass es im Herbst wohl ernster wird als beim ersten Mal.



Camillo Schumann



Auf die einzelnen Ideen wollen wir gleich eingehen. Losgehen soll es der nächste Woche Montag, 2 . November. Und der Lockdown light, so nennen wir das jetzt mal, soll insgesamt vier Wochen gehen. Bevor wir auf die einzelnen Punkte eingehen. Erst einmal der Zeitraum – vier Wochen – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dazu:


„Wir verordnen eine Vier-Wochen-Therapie, wenn man das sagen kann. Wir hoffen, dass die Dosis richtig ist, dass es erfolgreich ist. Wir bitten auch herzlich, diese vier Wochen gemeinschaftlich durchzustehen. Wir evaluieren in 2 Wochen, aber wie bei jeder Therapie nicht zu früh abbrechen. Sie muss wirken.“


Der harte Lockdown im März, der ging auch vier Wochen, und auch damals wurde nach 2 Wochen geschaut, wo man steht. Erst einmal: Macht dieser Zeitraum – vier Wochen – aus epidemiologischer Sicht überhaupt Sinn?


0:05:17



Alexander Kekulé


Naja, es ist die Frage, wie man sieht. Also eigentlich würden rein technisch gesehen ein bis 2 Wochen natürlich reichen, weil wenn sich alle daran halten würden, dann wäre am Ende dieser Zeit die Inkubationszeit abgelaufen. Niemand könnte mehr infektiös sein. Und dann hätte man einen Reset gemacht. Das war ja das Konzept dieser sogenannten Corona-Ferien, was mal im Raum stand. Wenn man das jetzt länger macht, dann ist wohl dahinter der Gedanke, dass sich eben doch nicht alle daran halten, dass man quasi nicht richtig mit der Hauptbremse bremst, sondern eher so mit der Handbremse, so leicht zaghaft. Weil man ja doch viele Sachen offen lässt. Die Schulen bleiben offen, im wirtschaftlichen Bereich wird vieles noch erlaubt, und da ist sozusagen so über den Daumen gepeilt worden offensichtlich, dass man dadurch eben doch weitere Infektionen bekommt und deshalb einfach einen längeren Bremsweg hat.


6:06



Camillo Schumann



Und dieser Bremsweg von vier Wochen mit den Maßnahmen, die wir gleich besprechen werden, ist jetzt so ein Zeitraum, mit dem sie auch in Anführungszeichen leben könnten. Also wo man dann auch signifikant was Spürbares auch messen kann?



Alexander Kekulé


Ganz ehrlich gesagt, wenn ich es jetzt geplant hätte – aber ich bin froh, dass ich diese Dinge nicht machen muss, weil da viele politische Entscheidungen natürlich einfließen und die nicht sehr epidemiologisch sind – ich hätte das auf 2 Wochen begrenzt. Weil, wenn man nach 2 Wochen keinen ganz klaren Effekt sieht, dann kommt nach vier Wochen auch nicht mehr so viel. Da gibt es das ParetoPrinzip 80/2 0. Die 80 Prozent Effekt, die sieht man sicher nach 2 Wochen schon. Wir hatten ja auch die Auswertung des Lockdowns im Frühjahr bei uns in Deutschland. Da haben wir im Podcast mit der Frau Priesemann mal gesprochen. Es gibt ganz ähnliche Untersuchungen, aber auch weltweit, die alle gezeigt haben, dass die Effekte der Lockdowns unmittelbar eingetreten sind. Also innerhalb weniger Tage war der Effekt schon da. Man kann das natürlich erst hinterher nachweisen, weil immer diese Verzögerung ist, bis die Daten dann bekannt sind. Aber mit dem Blick auf die vergangenen Lockdowns ist klar, wenn das Volk sich daran hält, tritt der Effekt innerhalb weniger Tage ein. Darum wäre ich wahrscheinlich da im Sinne des Kollateralschadens etwas konservativer gewesen, hätte das kürzer gemacht. Vielleicht kann ich das eine auch noch sagen: Die Hoffnung stirbt ja immer zuletzt. Aber wenn jetzt der bayrische Ministerpräsident sagt, nach vier Wochen Therapie wird dann alles gut. Was fällt mir dazu ein? Also entweder können sie vier Wochen Diät machen, dann machen sie eine richtig strenge Diät. Da ist bekannt, dass man dann am Schluss doch Heißhunger typischerweise wieder bekommt. Und ich glaube, das kennt jeder, dass man dann zum typischerweise nach acht Wochen das alte Gewicht wieder drauf hat. Also zumindest war das bei mir immer so. Wir kennen so was das mit der Diät kann man


spaßig sehen. Wir kennen aber ähnliche Dinge auch in der Krebstherapie. Wenn sie eine Chemotherapie machen, vier Wochen lang, und dann alles wieder absetzen, dann können sie zuschauen, wie die Krebszellen wiederkommen. Und der Vergleich ist gar nicht so schlecht, weil die Metastasen beim Krebs sind sozusagen die Streuherde bei der Epidemie. Dass es gibt eigentlich keinen epidemiologischen Grund, warum das danach nicht genauso munter wie vorher losgehen sollte. Ich hatte ja im Frühjahr sehr stark auch den Lockdown unterstützt, obwohl ich der Meinung war und nach wie vor bin, dass man das im Frühjahr hätte verhindern können durch bessere Maßnahmen. Aber als es dann so weit war, musste man den Lockdown machen. Aber da war natürlich die Blickrichtung eine andere. Da haben wir vom Frühjahr und den Sommer gesehen, und es bestand die Hoffnung, die sich ja auch erfüllt hat, dass die warme Jahreszeit uns hilft am Schluss. Jetzt sehe ich in vier Wochen ab heute irgendwie den tiefsten Winter beziehungsweise End-Herbst und Winter. Da sehe ich keinen epidemiologischen Grund, warum uns das Virus dann sozusagen ein fröhliches Weihnachten bescheren sollte.



Camillo Schumann



Also ich höre so raus zu diesen vier Wochen Lockdown light, wie man es finden will, hätte man gleichzeitig noch einen Beipackzettel für die Zeit danach mit liefern sollen?



Alexander Kekulé


Es ist letztlich die Frage man braucht ja immer eine Strategie. Nicht ein Lockdown ist so ein bisschen – diese martialischen Bilder sind natürlich immer übertrieben –, als wenn man in eine Schlacht zieht. Und das kennen wir aus vielen internationalen Schlachten, wenn irgendwo die Amerikaner einmarschiert sind und auch andere, war immer das Problem, dass man sich sozusagen keine Strategie für den Exit überlegt hatte, die Beispiele sind ja die Legion Afghanistan, das kennt ja jeder – oder Irak oder Ähnliches. Und hier ist es auch so. Man muss ja wissen wo will ich hin? Man kann ich nur sagen ich will einfach mal die Zahlen drücken und Wellen brechen. Ja, wenn Sie die Wellen brechen am Ufer, der Name ist ja


gestern ein paarmal genannt worden, dieses Wort des „Wellenbrechers“ – wenn sie die Wellen brechen und dann nehmen Sie den Wellenbrecher weg, was passiert dann? Dann kommt halt die nächste Welle, und es geht wieder los. Wir haben im Frühjahr schon mal den Fehler gemacht. Da war ein Lockdown, und es gab ja ganz zu Beginn des Lockdowns gleich Vorschläge, wie man aus diesem Lockdown dann wieder rauskommt, was man machen muss, welche Hausaufgaben machen muss bis zum Ende des Lockdowns. Und damals haben wir diese etwa vier Wochen nicht genutzt dafür. Und jetzt haben wir die ganzen Monate bis jetzt nicht genutzt, zum Beispiel, um diese Tests beizubringen, die wir dringend bräuchten, um die Strategie zu ändern. Immerhin sind wir jetzt in einer Lage – am Anfang war es immer so, dass alle gesagt haben, die Tests sind Unsinn – jetzt wird, glaube ich, schon mehrheitlich gesagt: Die Tests brauchen wir. Aber man stellt fest Hoppla, wenn wir uns nicht gekümmert haben, fallen die eben nicht vom Himmel. Das heißt, sie werden auch am Ende des Lockdowns nicht millionenfach zur Verfügung stehen, um die Strategie zu ändern. Also, es geht eher darum, wie ändern wir die Strategie? Was machen wir mittelfristig? Weil doch wohl jetzt inzwischen jedem klar ist, dass diese Pandemie noch eine Weile dauert. Wir werden jetzt nicht im Frühjahr gleich Impfstoffe haben. Auch die Herbst-Impfung, die ein Ministerpräsident in Deutschland mal vorhergesagt hat, findet offensichtlich nicht statt. Das heißt, wir brauchen eine Strategie, um damit noch das ganze nächste Jahr irgendwie klarzukommen und nicht die nächsten vier Wochen was zu machen.



Camillo Schumann



Wollen wir uns erst einmal auf die nächsten vier Wochen kaprizieren und uns mal erst einmal anschauen, was ab Montag nicht mehr geht. Man muss dazu sagen, dass jetzt die einzelnen Bundesländer gerade ihre Verordnung überarbeiten. Da wird es dann unterschiedliche Auslegungen geben et cetera. Aber grundsätzlich gilt für ganz Deutschland die Kontakte werden stark beschränkt, es dürfen sich nur noch Angehörige zweier


Haushalte treffen und insgesamt maximal zehn Personen. Wie bewerten Sie das?


11:54



Alexander Kekulé


Ja, das ist das Kernelement des Lockdowns. Das ist grundsätzlich gesehen, auch wenn das brutal klingt, die richtige Maßnahme. Also, wenn man einen Lockdown machen will, dann ist das der Kern des Ganzen, weil wir wissen die Einschränkung der persönlichen sozialen Kontakt, der ist das A und O, alles andere ist Beiwerk. Das könnte man eigentlich rein theoretisch auch durch erklären und gutes Zureden erreichen. Wir haben solche Effekte ja gesehen. Auch bei dem Lockdown im Frühjahr war es ja so, dass kurz bevor die Maßnahmen gesetzt wurden schon die dieses R, diese Reproduktionszahl unter 1 gesunken ist, wie man hinterher dann festgestellt hat: weil die Menschen schon ein, 2 Wochen vorher angefangen haben, sich einfach selbständig, sozial zu distanzieren und richtig zu verhalten. Also, das ist der Kern, und das ist von der Ansage her richtig. Da muss man nur zusehen, dass es dann auch diejenigen, die diejenigen erreicht, die sich zuletzt an solche Dinge nicht mehr gehalten haben.



Camillo Schumann



Genau Herr Lauterbach schlägt daher vor, Kontaktbeschränkungen auch in privaten Räumen zu kontrollieren. Er sagt: „Die Unverletzbarkeit der Wohnung dürfe der öffentlichen Gesundheit nicht länger im Wege stehen“.


Jetzt ist das ja auch eine halb persönliche, halb politische Äußerung. Wollen Sie etwas dazu sagen? Also hat er auch eine Reaktion bei Ihnen hervorgerufen.


(Beide schmunzeln)



Alexander Kekulé


Ja, also. Erstens ich schätze Herrn Lauterbach sehr und auch alle anderen Protagonisten. Es ist ja so, dass wir alle uns extrem viel Mühe geben.


Wie soll ich das sagen, er wäre ja um ein Haar Gesundheitsminister gewesen. Und ich weiß nicht, bei wem er jetzt zuhause kontrollieren will, ob der sich an die Regeln gehalten hat? Es gibt ja durchaus auch Politiker, die sich infiziert


haben, weil sie aus irgendeinem Grund nicht aufgepasst haben. Deshalb weiß ich nicht genau, in welche Richtung diese Fragestellung ging. Ich glaube, es hat keinen Sinn zu drohen hier damit, dass man die Bürger zu Hause verfolgt. Weil wir ja eigentlich sowieso die Lage haben ... Das ist jetzt aber ehrlich gesagt, nicht so sehr eine epidemiologische virologische Einschätzung, aber vielleicht kann ich das mal so sagen. Ich habe so das Gefühl, es gibt einfach eine zunehmende Zahl von Menschen, die aus diesem ganzen Anti-Corona Programm aus verschiedenen Gründen aussteigt: Wenn man ausgerechnet denen, die jetzt im Grunde genommen schon nicht mehr genau wissen, ob sie da mitmachen wollen, wenn man denen jetzt zusätzlich droht – Die Polizei kommt als Nächstes zu euch nach Hause. – und dann auch so ein bisschen Bürger gegen Bürger damit aufbringt, weil es natürlich dann Nachbarn geben wird, die rufen die Polizei und sagen dabei mehr nebenan sind so viele Leute in der Wohnung. Kontrollieren Sie doch mal, da stimmt was nicht. – Uff, ich weiß nicht, ob das, ob man damit nicht was verspielt. Aber das ist etwas, da müssen eigentlich Psychologen und Soziologen ran, um die Frage zu beantworten.



Camillo Schumann



Weil Sie gesagt haben, die Kontaktbeschränkungen sind der Kernpunkt dieses Lockdowns und auch das schärfste Schwert und wirkungsvollste. Und den Rest haben Sie so ein bisschen Beiwerk genannt. Größer Kritikpunkt ist ja, dass Restaurants geschlossen werden sollen. Das hatten sie ja auch im letzten Podcast kritisiert. Außerdem sollen Bars geschlossen werden, Diskotheken, Kneipen. Wäre das auch Beiwerk, würden Sie das auch darunter subsumieren?



Alexander Kekulé


Naja, da haben wir nun ganz konkrete Erfahrungen gemacht. Das Problem in der Situation, das hat man auch gestern den Politikern angesehen, ist, dass wir nicht ganz genau wissen, wo wirklich die schlimmen Infektionen auftreten, die für diese enormen hohen Fallzahlen jetzt verantwortlich sind. Aber es ist doch sehr offensichtlich, dass das zum einen der ganz private Bereiche ist, also wirklich zu Hause sozusagen die Party hinter


verschlossener Tür. Und zum anderen sind es wohl auch so schwarze Schafe im weitesten Sinn aus dem Gastronomiebereich. Das heißt in den Großstädten gibt es sicherlich irgendwelche Kneipen, die einfach sich nicht an die Abstandsregeln halten, die schlechte Lüftung haben, wo viele Leute drinnen sind. Da gibt es aber schon Regeln für, und da müsste man eigentlich sagen okay, entweder war meine Regel schlecht, dann muss ich eben die Regeln verschärfen. Oder die Leute haben sich nicht an die Regeln gehalten. Dann muss ich diesen Laden irgendwann zumachen. Dann muss ich eben mit den üblichen Maßnahmen drohen. Das ist ja auch das, was man sonst macht. Ich glaube, dass, wenn man das sozusagen gezielter machen würde, also sozusagen statt mit dem Hammer mit der Pinzette vorgehen würde, dann könnte man wesentlich mehr gewähren lassen. Die meisten Restaurants, das hatte ich schon mal gesagt, sind meines Erachtens überhaupt keine Hotspots. Das gleiche gilt für Hotels. Es gibt hervorragende Hotels, die auch touristisch genutzt werden, die hervorragende Hygienekonzept haben. Die müssen jetzt alle mehr oder minder wieder zumachen. Die nächste Frage ist, warum wird in Deutschland zum Beispiel von Reisen jetzt abgeraten oder warum werden die mehr oder minder untersagt, wenn sie nicht dienstlich sind? Das würde ja heißen, dass man jetzt dem Hygienekonzept der Bundesbahn zum Beispiel nicht mehr vertraut, obwohl immer gesagt wurde, das ist richtig, wie die das machen. Und man kann ja wohl nicht mehr sagen, dass es jetzt ein epidemiologisch relevanter Faktor ist, ob jemand von München nach Berlin oder von Köln nach Berlin oder sonst wohin fährt. Wir haben kommunizierende Gefäße in Deutschland. Die Regionen gleichen sich aus, selbst in Thüringen – wo der Ministerpräsident bis vor kurzem der Meinung war, dass die Thüringer gegen alles immun sind offensichtlich – ist da also eine Einsicht eingekehrt. Sogar in Sachsen-Anhalt, wo wir zuletzt sehr, sehr gut gestellt waren mit den Fallzahlen, ging es zuletzt hoch, in Halle an der Saale auf jeden Fall. Das heißt also wir erkennen, dass sind kommunizierende Gefäße, alle hängen zusammen. Warum sollen dann Reisen, sozusagen von einem Ausbruchsgebiet


ins andere plötzlich gefährlich sein, sofern das Transportmittel in Ordnung ist. Also da haben wir so eine lange Liste von Sachen, wo man so einfach so mit dem Rasenmäher drüber gegangen ist. Auch im Unterhaltungsbereich gibt es ja Kinos mit hervorragender Lüftung, die nur noch jeden dritten Platz besetzen. Wenn man dann Mundschutz aufhat, da würde ich sagen, da gibt es überhaupt keine epidemiologische Evidenz, warum das gefährlich sein soll. Ich hätte mir gewünscht, dass man da selektiver vorgeht und vielleicht sich mehr Gedanken macht, wen man schließen muss.


18:02 



Camillo Schumann



Genau: Kinos, Theater, Opern, Konzerthäuser messen, Freizeitparks, Schwimmhallen, Spielhallen, all das bleibt jetzt vier Wochen zu. Sie haben es ja schon so ein bisschen angedeutet. Mit der Pinzette hätte man rangehen sollen oder wollte man möglicherweise nicht: Was beim einen nicht geht, darf beim anderen auch nicht gehen. Also sozusagen dass da nicht so eine gewisse Unzufriedenheit kommt. Oder wie erklären Sie sich das?



Alexander Kekulé


Das ist schwierig, weil ich bei diesen Sitzungen nicht dabei war. Ich glaube, vorher war man eigentlich schon einmal auf dem richtigen Weg, dass man gesagt hat: Es ist ganz wichtig, dass diese Differenzierung am Schluss von den Gesundheitsämtern lokal gemacht wird. Das ist ja ein Vorteil des föderalen Systems, da kann man viel dagegen sagen, aber in dieser Krise hat es auch deutliche Vorteile gezeigt, dass eben die Behörden vor Ort – wenn das jetzt eine Ortschaft ist, die halbwegs übersichtlich ist – die wissen natürlich schon, wer die schwarzen Schafe sind. Die wissen, dieses Hallenbad ist sowieso immer halb leer. Da sind nur ältere Herrschaften, die da mal ihre Runden ziehen und die sich akribisch an die Vorschriften halten, die vielleicht sogar eher zu viel Angst vor dem Virus haben. Und jenes Vergnügungsbad ist so, dass da Hunderte von Leuten eng zusammen gedrängelt sind und vielleicht auch in den Garderoben zu eng sind. Ich glaube schon, dass die Behörden in der


Lage wären, da differenzierter vorzugehen und zu sagen, das müssen wir zumachen. Da müssen wir die Besucherzahl begrenzen. Dort ordnen wir eine Maskenpflicht an und so weiter. Und das hat man ja auch gemacht die letzten Monate. Und ich glaube schon, dass sich der vernünftig mitdenkende Bürger – ich rede jetzt nicht von den Corona-Verweigerern – fragt sich natürlich, warum haben die Gesundheitsämter das angeordnet? Warum gab es sogar Strafen, wenn man sich nicht daran gehalten hat, wenn es sowieso alles nicht funktioniert hat oder jetzt man nicht mehr daran glaubt, dass es weiter funktionieren könnte? Da ist schon eine deutliche Inkonsistenz zu erkennen. Und diese Inkonsistenz ist eins von mehreren Problemen, warum ich befürchte, dass wir die Zustimmung zu diesen Maßnahmen in insgesamt verlieren könnten.


2 0:12 



Camillo Schumann



Betroffen von denen Corona-Maßnahmen sind auch der Profisport: Fußball-Bundesliga. Für die nächsten Partien sind keine Zuschauer mehr in den Stadien erlaubt. Für das Wochenende ist schon für einige Spieler beider Ligen eine drastische Herabsetzung oder der Ausschluss von Fans verfügt worden. Nun muss man auch dazu sagen, dass in einem Stadion von 2 0.000 zuletzt vielleicht 8.000 waren oder so. Das hat man mit einem hervorragenden Hygienekonzept auch umsetzen können. Es gibt auch schwarze Schafe – da müssen wir nicht drüber reden, da gibt es auch Bilder – in einigen Ligen. Nichtsdestotrotz hat man es dort ja eigentlich sehr, sehr gut umsetzen können. Und der Fußball spielte eigentlich immer auch so eine kleine Ausnahmerolle. Hier hat man jetzt diese Ausnahmerolle nicht gewähren lassen. Gut oder schlecht?


2 0:55



Alexander Kekulé


Also die Ausnahmerolle des Fußballs hatte sich sozusagen jetzt etabliert. Das will ich jetzt gar nicht kommentieren. Fußball ist nicht so mein Sport. Beim Versuch, mit meinen Söhnen mal Fußball zu spielen, habe ich mir halb den Fuß gebrochen und mehrfach einen Bänderriss zugezogen. Das ist nicht so mein Ding. Aber ich


verstehe, dass das Volk braucht ja auch Brot und Spiele. Und da hat man eben gesagt okay, das mit dem Fußball unter ganz strengen Auflagen genehmigen wir. Mir fehlt da als Wissenschaftler einfach die Stringenz. Wenn jetzt gesagt würde okay, wir haben von 50 Spielen zehn analysiert, um bei sechs ist rausgekommen, man hat sich nicht an die Vorschriften gehalten, und deshalb kam es zu vermehrten Infektionen. Also wenn irgendwie so was auch nur mit einer sage ich mal schlecht gemachten Pi-mal-Daumen-Studie auf dem Tisch liegen würde da würde ich sagen okay, es gibt einen Anhaltspunkt dafür, dann lieber auf Nummer sicher. Aber es gibt ja keinen Anhaltspunkt dafür, weil die meisten Stadien so eingerichtet sind, dass man sowieso mehr oder minder im Freien ist durchgehend. Auch diese Gänge in den Stadien sind ja so dermaßen belüftet, da zieht es ja regelrecht, dass da eigentlich die Gefahr von Infektionen nicht so groß ist. Und jetzt müsste man sagen, okay, die Fans haben sich einfach nicht an die Abstandsregeln gehalten, sondern sind Sie sich da alle um den Hals gefallen. Das weiß ich jetzt nicht so genau, habe ich nicht beobachtet. So etwas gab es natürlich zum Teil. Ja, solche Fälle gab es; im Rosengarten des Weißen Hauses; das gab es bei einer Frauendemonstration in Madrid vor einigen Monaten; aber ich weiß jetzt nicht, dass das die Fußballstadien gewesen wären. Und das ist wieder so ein Beispiel, da kommt es auch auf die Fans ein bisschen an. Wir wissen ja auch, dass die Hooligans je nach in nach Club ein bisschen unterschiedlich scharf sind, wenn ich mal so sagen darf. Und da wissen die lokalen Behörden doch ziemlich genau, bei welchem Spiel sie aufpassen müssen oder auch nicht. Die wissen ja auch genau, wann sie mehr Polizei anfordern müssen und wann nicht. Und in dieser Art hätte ich jetzt den Behörden schon zugetraut, dass die sagen, bei diesem Spiel lassen wir soundsoviel Zuschauer zu, bei jenem Spiel soundsoviele und bei so sogenannten Problemspielen oder Risikospielen, da muss man dann unter Umständen drüber nachdenken, das ohne Publikum zu machen.


2 3:07



Camillo Schumann



Aber bei diesen ganzen Einschränkungen, die man dann macht und wenn man das jetzt offen gelassen hätte, zum Beispiel, die Zuschauer zugelassen hätte, Opernhäuser et cetera, hätte man doch die Kontaktbeschränkungen auch nicht umsetzen können. Oder geht nicht das Eine nur mit dem Anderen?



Alexander Kekulé


Also was wir unter Kontakt verstehen, ist ja sozusagen der enge Kontakt. Das Robert KochInstitut hatte auch auf der Webseite extra Definitionen dafür veröffentlicht. Damit meint man ja so Stichwort 15 Minuten face-to-face miteinander sprechen oder umarmen, küssen und Ähnliches, also dieser enge Kontakt, wo eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Übertragung ist. Oder auch, das ist jetzt endlich neu dazugekommen, auch beim Robert Koch-Institut, dass man sagt, in einem geschlossenen Raum, wenn die Lüftung schlecht ist und viele Leute länger zusammen sind, dann kann es über die Aerosole auch zu einem Kontakt kommen, selbst wenn diese 1,5 Meter mal 15 Minuten nicht erreicht werden. Also, das ist sozusagen der enge Kontakt, und dafür gilt die Kontaktbeschränkung. Und das ist durchaus auch sinnvoll. Aber wenn natürlich irgendwo anders in einem Fußballstadion jemand auf seinem Platz sitzt, dann habe ich nicht so eine Art von Kontakt. Und das Gleiche gilt natürlich auch für eine Theatervorstellung, wenn die Leute weit auseinander sind und alle Masken aufhaben.


2 4:2 6



Camillo Schumann



Apropos schlechte Belüftung: Schulen und Kindergärten, die sollen in den kommenden Wochen verlässlich geöffnet bleiben. Gute Entscheidung?



Alexander Kekulé


Ich glaube, in der jetzigen Datenlage hätte ich dazu auch empfohlen. Man muss einfach wirklich dort, wenn ich mal so sagen darf, möglichst viele Alarmanlagen einbauen, Sensoren einbauen. Das heißt, man müsste eigentlich, ich weiß, dass das leider nicht


ausreichend gemacht wird. Man müsste an ganz vielen Schulen auch in Brennpunktbereichen im Sinne von Begleitstudien parallel testen. Es wird wenig gemacht, dass solche Paralleltests gemacht werden. Aber wir brauchen quasi eine Alarmanlage, dass wir sofort sehen: Hoppla, da passiert doch was bei den Schulen. Weil das wissenschaftlich einfach überraschend ist. Da ist ganz klar, sodass man ausgehend von anderen Infektionskrankheiten eigentlich gedacht hat, da schließe ich mich ein, dass die Schüler besonders gefährlich sein könnten, dass das Treiber der Infektion sein könnten. Und die aktuellen Daten, soweit man sie hat, deuten nicht darauf hin. Aber das ist so ähnlich, als wenn sie einen Tiger haben und merken, der ist ja ganz zahm, der will doch nur spielen. Da sind sie trotzdem erst mal eine Weile vorsichtig und haben für alle Fälle noch eine Peitsche hinterm Rücken. Und so würde ich das auch machen, weil einfach das ein bisschen der Theorie widerspricht. Auch den Daten, die der Christian Drosten im Frühjahr erhoben hat, dass er gesagt hat, Jugend und Kinder sind genauso infektiös oder höchstwahrscheinlich genauso infektiös wie Erwachsene. Das widerspricht all diesen Dingen. Und deshalb muss man sich das sehr, sehr genau anschauen. Wir wissen noch nicht genau, wo die Grenze ist. Wir wissen definitiv, dass ab 14 ungefähr die Kinder genauso ansteckend sind wie wir Erwachsene, aber vom Verhalten her gefährlicher, sodass sie dann durchaus Treiber der Infektion sein können. Es gibt auch durchaus Ausbrüche, schon in Deutschland in Gymnasien und Ähnliches. Frage ist, wie ist es in Grundschulen? Wie ist es in der Kita? Da müsste man eben genau hinschauen, dass man das nicht zu spät bemerkt.


2 6:30



Camillo Schumann



Oder die Schülerinnen und Schüler sind einfach mal extrem diszipliniert, haben ihre Maske auf, und vielleicht sind ja Kinder in dem Moment wesentlicher empfänglicher und wissen, worauf es ankommt. Und die Erwachsenen schlagen über die Strenge.



Alexander Kekulé


Also ich muss auch sagen, die meisten, die ich so kenne, die sagen, Mei, die blöde Maske, dann setze sie halt auf. Kinder werden mit so viel genervt als Schüler. Ja, die müssen irgendwelche Schulaufgaben schreiben, müssen pünktlich sein, morgens den Wecker stellen. Das ist ja alles ganz fürchterlich. Und dann sage ich mal, da gibt es doch viele, die sagen, das mit der Maske, das mache ich jetzt halt einfach mal. Deshalb haben Sie völlig Recht. Ich glaube, dass, wenn man gerade dadurch, dass die Schulsituation ja auch eine Situation ist, wo der Lehrer letztlich die Regeln vorgibt. Da kommt es auf diese eine Regel mehr oder weniger, dann auch nicht an, die kann man eigentlich durchhalten. Das ist meine persönliche Theorie, warum wir in Deutschland an den Schulen relativ wenig gesehen haben bisher, weil da eigentlich die Hygienekonzepte ganz gut sind. Aber das führt natürlich irgendwie auch wieder zum Anfang zurück, wenn man sagt, die Hygienekonzepte in den Restaurants waren doch nichts. Wenn man sagt, reisen wird jetzt doch nicht empfohlen, obwohl das Hygienekonzept der Bundesbahn in Ordnung war. Das Gleiche gilt für Fußballspiele und so weiter. Warum ist dann das Hygienekonzept in der Schule jetzt plötzlich ausreichend? Also, das ist so eine Inkonsequenz da drinnen, wo ich ziemlich sicher bin, dass die der Politik auf die Füße fallen kann.


2 7:54



Camillo Schumann



Thema Konsequenz: Die Geschäfte bleiben offen, der Einzelhandel nahm. Das ist ja zumindest eine Maßnahme, die nachvollziehbar ist, weil dort keine Übertragung so gut wie keine Übertragung stattfinden, nachgewiesenermaßen.



Alexander Kekulé


Aber trotzdem. Warum hat man dann die Quadratmeterzahl verändert? Bei den Geschäften ist es ja so, dass pro Besucher, pro Kunde zehn Quadratmeter da sein müssen. Das wird dann schon so sein, dass der eine oder andere sich vor einem Laden stellen muss und die Leute dann im Winter draußen im Schnee warten müssen, sofern einer kommt,


zumindest bei Kälte warten müssen. Ich weiß nicht, ob es dann Erkältungen stattdessen gibt statt ...



Camillo Schumann



Erfrierungen.



Alexander Kekulé


... Erfrierungen. Aber so toll ist das auch nicht. Und da würde ich natürlich sofort mitmachen. Würde ja jeder mitmachen, wenn wir wüssten: jawohl, in den Geschäften hat's Ausbrüche gegeben, weil zu viele Leute da waren. Deshalb ist es reduziert worden. Und deshalb machen wir das jetzt so. Aber genau diese Daten gibt es ja nicht.


2 8:59



Camillo Schumann



Die Politik, die will mit diesen ganzen Maßnahmen, das exponentielle Wachstum stoppen, die Kurve wieder abflachen, wie sie selber sagt, legt sich aber nicht auf konkrete Zahlen fest, bei denen man dann am Ende der vier Wochen landen will. Bisher galt der immer die Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet spielen Zielmarken irgendwie keine Rolle mehr.


„Man muss keine Zahl haben. Man muss die Gesundheitsämter auch weiter ausstatten. Unser liberaler Koalitionspartner hat beispielsweise auch noch mal ein Modell entwickelt, wie man stärker auf digitalen Austausch (setzt), dass man nicht hinter jedem telefonieren muss. Also wir werden über neue Konzepte nachdenken. Es gibt viele Ideen. Was die Ärzte heute vorgetragen haben, ist auch ein wichtiger Grundgedanke. Aber das Wichtigste ist, wir müssen die Zahlen zum Stoppen bringen und wieder reduzieren. Und wenn das gelungen ist, dann ist die Kurve verflacht. Und dann können wir weiter überlegen, wie wir auch im Dezember, im Januar, im Februar in den nächsten Monaten mit dem Virus leben.“


Und ich als Journalist weiß: Wenn sich Politiker nicht auf Zahlen festlegen, dann kann man sie auch nicht daran messen. Und wenn sie was versprechen, zum Beispiel die digitale Ausstattung von Gesundheitsämtern, weiß ich


auch, dass in den sechs Monaten bisher das nicht geklappt hat. Und in vier Wochen wird es auch nicht klappen. Ist Ihnen persönlich klar, welches Ziel in vier Wochen eigentlich erreicht werden soll?



Alexander Kekulé


Mir nicht. Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Ich kommentiere es ja nur. Ich muss es ja zum Glück nicht begründen. Vielleicht für unsere Hörer noch, falls Sie sich da die Frage stellen: Es wird ja immer gesagt, wir müssen das exponentielle Wachstum stoppen. Wahrscheinlich habe ich das selber auch schon mal gesagt. Das ist natürlich eine Vereinfachung. Weil immer, wenn er die Reproduktionszahl über 1 ist, hat man natürlich eine Exponentialfunktion, die wächst, also ein exponentielles Wachstum. Was man letztlich stoppen will es ein starkes exponentielles Wachstum oder eben, das fand ich früher eigentlich besser, wenn man gesagt hat, wir wollen die täglichen Neuerkrankungen in einem Bereich bringen, dass das Gesundheitsamt hinterherkommt. Das war, das war eher etwas handfester, sonst ist ja alles, wenn R > 1, dann hat man sofort eine Exponentialfunktion, die wächst. Nur die wachsen natürlich entweder sehr schnell oder sehr langsam. Das ist letztlich, was der Herr Laschet da gerade gesagt hat, ist eine Umschreibung dessen, was wir im Frühjahr hatten. Das ist immer dieser Ausdruck: Wir fahren jetzt auf Sicht. Da sagen die Politiker dann immer ja, ständig kommen neue Erkenntnisse. Ich wüsste nicht, was seit Februar groß neu waren, dass man epidemiologisch die Strategie ändern müsste. Und sie sagen wir navigieren hier auf Sicht. In der Seefahrt sagt man das dann, wenn man nichts mehr sieht, weil Nebel ist und wenn zusätzlich das Navigationssystem ausgefallen ist. Das heißt, man weiß nun gar nicht mehr, wo man hinfährt und passt nur auf, dass man nicht irgendwo gegen einen Felsen rempelt. Das ist ja ich glaube, wir brauchen halt wirklich eine Strategie, wie wir da langfristig mit umgehen. Und die müsste man mal formulieren. Dann müssten viele Fachleute sich zusammentun und ein Optimum finden. Der Prozess ist ja im Gange. Die Diskussion hat ja jetzt auch gerade angefangen. Herr Laschet


hat ja auch darauf angespielt, dass die Wissenschaftler jetzt anfangen, darüber zu diskutieren. Ich finde das besser als im Frühjahr, wo dann einfach nur immer ein 2 gesagt haben, wo es langgeht. Aber diesen Prozess muss man (sich) halt jetzt entwickeln lassen.


32 :2 4



Camillo Schumann



Genau, denn ein dritter Lockdown würde dann ich, sage mal, die betroffenen Unternehmen, Solo-Selbständigen et cetera ja komplett das Genick brechen und den Staat dann möglicherweise auch vor finanzielle Schwierigkeiten stellen. Herr Laschet hat es ja angesprochen, es gab Vorschläge der Ärzte. „Vorschläge der Ärzte“, das ist eine ziemlich nette Umschreibung für das Positionspapier, das einige Wissenschaftler, Ärzte und Verbände gestern am Tag des Beschlusses des Lockdowns fast parallel vorgestellt haben. Und dieses Positionspapier beinhaltet nicht weniger als eine Abkehr von der bisherigen Strategie. Unterzeichner ist auch der in den letzten Monaten sehr bekannt gewordene Virologe Hendrik Streeck, der ja auch die Politik in Nordrhein-Westfalen berät, also Herrn Laschet. Erst einmal grundsätzlich Herr Kekulé, offenbar brodelt es in der Ärzteschaft und auch in der Wissenschaft gewaltig. Wie nehmen Sie das wahr?



Alexander Kekulé


Na, das war ja von Anfang an so. Also die Kinderärzte waren, glaube ich, die ersten aus meiner Erinnerung – Ich muss mich entschuldigen, wenn ich jetzt jemanden übersehen habe – die haben sehr früh gesagt, so können wir nicht weitermachen und haben sich da auch richtig vom Verein her dagegen gestellt. Inzwischen ist es so, dass es eigentlich 2 Fronten gibt. Das eine ist die Front, die sagt, wir können so nicht weitermachen. Wir müssen jetzt, so steht es in dem Positionspapier drin, die Nachverfolgungen aufgeben und stattdessen die Risikogruppen gezielt schützen. Das ist letztlich das Konzept, was weltweit diskutiert wird, wo man sagen kann, das haben so ein bisschen die Schweden versucht. Die haben das handwerklich am Anfang nicht so gut gemacht. Was in den USA


natürlich riesengroß diskutiert wird, das ist diese Great Barrington Declaration, die Anfang Oktober rausgekommen ist, wo also ganz genauso wie in Deutschland eigentlich eine Gruppe von Wissenschaftlern, angeführt von so ein paar Star-Epidemiologen aus Harvard, ein Papier gemacht hat und gesagt haben, wir wollen jetzt die Alten schützen und sonst Schluss mit Nachverfolgung und für den Rest so Richtung Herden-Immunität gehen. Die Diskussion ist weltweit. Also das ist jetzt in Deutschland auch angekommen. Und wir sind nicht das einzige Land, wo sich die Wissenschaftler in 2 Lager trennen.



Camillo Schumann



Man muss aber auch sagen die Ärzte oder viele Ärzteverbände haben das Papier unterschrieben. Wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaften finden sich kaum unter den Unterzeichnern. Spielen da so ein bisschen Theoretiker gegen Praktiker und andersrum?



Alexander Kekulé


Nein, das kann man so nicht sagen. Ich würde fast sagen, es hat ein bisschen was mit Nähe zum Robert Koch-Institut zu tun. Die Gesellschaft für Virologie, die da ganz nah auf Schulterschluss ist, die ja auch ein Star-Berater in der Berliner Szene hat, da passt kein Blatt Papier zwischen Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsministerium und diese Leute. Dann ist es so, dass es die gibt, die so eher aus der Praxis kommen, die sagen so geht es nicht weiter. Die dann auch kein Problem damit haben, die Politik zu kritisieren. Das spielen ganz viele Dinge, eine Rolle. Wissenschaftler sind einfach extrem angewiesen natürlich auch immer auf Fördermittel und solche Sachen. Dann gibt es noch eine andere Gruppe, die ist meines Erachtens wichtig: das sind die Intensivmediziner. Das sind die, die wirklich zugucken, wie die Leute sterben oder wie zuerst mal ihre Intensivstationen vollaufen. Und die haben jetzt dieses „Streeck-Papier“, wenn ich es mal so nennen darf, nicht mit unterschrieben. Und der Hendrik Streeck, den ich sehr schätze, weil ich es auch wirklich ganz wichtig finde, dass ich Leute, die von außen dazu kommen, einfach mal neue Gedanken machen, der hat es ja schon sehr früh gesagt.


Das ist nicht ganz neu, das sagt er schon länger, dass wir da bisschen zu panisch sind, auch mit Blick auf die Fallzahlen. Sondern der sagt, wir sollten die Alten schützen, dann würden wir das schon irgendwie in Griff bekommen. Ich hoffe, ich habe ihn so richtig wiedergegeben. Das ist einfach eine Strategie, die kann man durchaus diskutieren. Und meistens sind es die Intensivmediziner und die Behörden, die das nicht wollen. Auch in den USA übrigens.


36:19



Camillo Schumann



Genau. Weg von Kontaktverfolgung steht ja im Positionspapier. Und stattdessen, sie haben es ja schon gesagt, konsequenter Schutz der Risikogruppen, vor allem der älteren Menschen. Genau dort, in die Altenheime sollen die Schnelltests. Das sind ja auch Worte, die auch aus ihrem Mund in den vergangenen Wochen Monaten gekommen sind.



Alexander Kekulé


Ja, das ist ja, das ist klar. Also das SmartKonzept, was wir hier ja rauf und runter diskutiert haben. Ich weiß gar nicht, wie alt es ist. Das erste Mal habe ich, glaube ich, im Februar aufgeschrieben, im ersten Entwurf. Das hat als ein ganz zentrales Element. Und man muss schon der Politik die Frage stellen, warum sie jetzt auch auch gestern wieder so tun, als wäre es eine neue Idee, die Alten zu schützen. Das andere ist, wenn ich das so sagen darf, meine Position ist tatsächlich nicht die von Herrn Kollegen Streeck und den Leuten, die das aktuelle Papier unterschrieben haben, genauso wenig wie der Great Barrington Declaration in den USA und ähnlicher Strömungen. In Großbritannien gibt es das ganz genauso. Aus folgendem Grund: Ich glaube ja, natürlich muss man die Risikogruppen schützen. Das ist ja, dass „S“ von Smart. Aber die anderen Buchstaben haben auch noch eine wichtige Funktion. Und zwar ist das so, wenn man nur die Risikogruppen schützt, dann ist die ist die Infektion im restlichen Teil der Bevölkerung in kürzester Zeit völlig außer Kontrolle. Das heißt, wenn sie die Nachverfolgung aufgeben, einmal aufgeben, ist das eine Ansage für immer. Das ist sozusagen einen Point of no return. Sie


machen in dem Moment die Büchse der Pandora auf, und da kommt einfach alles Unheil dann sozusagen raus. Und sie können es auf keinen Fall wieder einfangen. Das ist das Problem, wenn man sozusagen nur die Alten schützt und die Nachverfolgung aufgibt. Ich bin der Meinung, dass die Nachverfolgung und die Dämpfung des Infektionsgeschehens in der gesamten Gesellschaft extrem wichtig sind, aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass wir tatsächlich den Infektionsdruck auf die Alten nicht beliebig erhöhen können, weil man sich auch mit den Schutzmaßnahmen, Sie wissen ich sage da immer FFP2 -Masken, testen und so weiter, für ein vernünftiges Verhalten. Auch das ist ja nie 100 Prozent. Und da können Sie nicht gegen einen wahnsinnig hohen Infektionsdruck ankommen. Das heißt, wenn ganz viele Menschen infiziert sind, wenn wirklich auf jedem Handgriff das Virus klebt, dann sind Sie auch da überfordert an der Stelle. Da gibt es übrigens eine Studie, die das untersucht hat. Genau diesen Punkt, die ist im August mal rausgekommen, die haben wir nicht besprochen, weil dann Podcast-Pause war. Aber die hat gesagt: Wenn man nur die Alten schützt und sonst die Infektion laufen lässt, dann wird der Infektionsdruck so groß, dass man das mit normalen Hygienemaßnahmen nicht mehr hinkriegt und den Masken. Also, das ist der eine Grund.


Der zweite Grund, warum das extrem wichtig ist, zusätzlich zum Schutz der Alten trotzdem noch eine Bremse drinnen zu haben, ist der: Die Nachverfolgung gebt uns enorm wichtige Erkenntnisse. Wir verstehen ja dann, wie überhaupt die Infektion sich ausbreitet. Sonst hätten wir nie rausgekriegt, dass diese aerogene Übertragung hier wieder genauso wichtig ist wie bei SARS von 2 003, oder die Ausbrüche in den Fleischfabriken und Ähnliches. Das wüssten wir ja alles nicht. Deshalb ist es extrem wichtig, dass die Gesundheitsämter, die sind sozusagen die Augen und Ohren des Gesetzgebers an der Stelle, dass die weiter tätig sind. Und die sind auch in der Lage, eben Erkenntnisse zu gewinnen und das dann auch zu machen. Die schaffen das ja auch wieder, wenn man die Fallzahlen unter Kontrolle bringt. Und das Dritte ist eben, dass man, wenn man es entschieden hat, kein Zurück mehr gibt. Und


da wäre ich extrem vorsichtig. Wir wissen ja, dass bei COVID es durchaus auch Langzeiterkrankungen mal selten gibt. Aber wir wissen nicht, wie häufig. Dieses Long COVID ist ja ein wichtiges Thema. Und bevor wir wissen, wie häufig das wirklich ist, würde ich nicht riskieren, das einfach so völlig unkontrolliert durch die Bevölkerung laufen zu lassen. Deshalb ist mein Vorschlag ein bisschen zwischen dem, was hier jetzt die Streeck-Leute unterschrieben haben und dem, was die Bundesregierung gemeinsam – man kann es ja beim Namen nennen – mit Christian Drosten und dem Robert Koch-Institut als Gegenposition so vorschlägt.


40:2 3



Camillo Schumann



Im Positionspapier wird ja oder wird er so der pädagogische Ansatz gewählt. Also die Menschen sollen motiviert werden, sich verantwortungsvoll zu verhalten, nicht mit Panik und Verboten, sondern eher mit Aufzeigen von Alternativen. Also die Menschen mitnehmen und es sozusagen positiv besetzen. Das ist doch auch eine Variante, weil alle Politiker und auch Wissenschaftler sagen, wir müssen noch Jahre mit dem Virus leben. Das wir viel besser ist und unseren Alltag integrieren sollten.



Alexander Kekulé


Völlig richtig, genau, was sie sagen. Das kann man da nur unterschreiben. Das ist das machen. Wir brauchen einen Modus Vivendi mit dem Virus. Ja, das ich vergleiche das immer gerne mit der Situation in Afrika, wo die mit der Malaria leben. Das kann man sich hier nicht vorstellen, weil wir uns nie einen so einem gemütlichen Umfeld sind, wo es keine Erdbeben gibt, keine schweren Krankheiten, relativ wenig Gewalt und solche Dinge. Kein Krieg, kein Hunger. Aber in Afrika ist es so, der leben die Menschen mit der Malaria, und die müssen natürlich der Maßnahmen ergreifen, die die haben Moskitonetze, die wahnsinnig nerven, wenn die abends da drunter liegen müssen. Die schmieren sich mit stinkenden Repellents ein mit diesen Anti-Malaria-Mitteln. Da gibt es nicht nur die teuren, wie bei uns in der Apotheke, sondern auch das Zeug in den Entwicklungsländern. Das machen die alles


brav, bis dahin, dass man zum Teil bei Sonnenuntergang und Sonnenaufgang eben nicht mehr raus geht, weil die Mücken da stechen. So, wie man in Afrika mit der Malaria lebt, müssen wir jetzt eine Weile hier mit dieser Seuche leben. Die ist nun einfach da. Die ist gekommen, um zu bleiben.


0:41:58



Camillo Schumann



Passend zum Schutz der Alten gibt es ja auch eine Studie, und zwar zur Situation der alten Menschen in Schweden. Die ist im The Lancet erschienen, bzw. ist im The Lancet kommentiert worden. Was ist für Sie da die wichtigste Quintessenz?



Alexander Kekulé


Da hat man ausgewertet und schwedische Wissenschaftler, die haben die Zeit ausgewertet zwischen Mitte März und Anfang Mai, also schon eine Weile her, und zwar nur in Stockholm und (bei den) über 70-Jährigen. Und die haben Folgendes gesehen: Die haben gesehen, die Wahrscheinlichkeit zu sterben für diese Gruppe, die ist natürlich insgesamt hoch, aber am allerhöchsten in Altersheimen gewesen. Am zweithöchsten ist die Wahrscheinlichkeit gewesen, dann, wenn alte Leute mit jüngeren in einem Haushalt gelebt haben, weil die Jüngeren dann sozial aktiv waren und das Virus eingeschleppt haben. Und am sichersten waren witzigerweise sozusagen die Alten-WGs, da, wo ältere Pärchen zusammengewohnt haben oder eben alte Leute mal so aus welchem Grund auch immer zusammenlebten. Da waren sie am sichersten oder haben am seltensten schwere Erkrankungen bekommen.



Camillo Schumann



Genau. Also ein Plädoyer dafür, also noch einmal schwarz auf weiß, die Altenheime zu schützen.



Alexander Kekulé


Ja, die Altenheime zu schützen und auch dann eben die Alten Zuhause. Ja, jeder von uns hat ja Menschen, die er besucht, die vielleicht alleine wohnen oder die zumindest in eigenen Wohnungen wohnen und die älter sind. Da muss einem klar sein, dass das immer mit


einem Risiko verbunden ist. Und das ist eben dieser Effekt, dass zeitverzögert die Infektionen dann doch irgendwie durchschlagen in die älteren Altersgruppen. Das hat man dort gesehen. Was eben ganz interessant ist, ist, dass diese Studie, auch da ist eine statistische Auswertung dabei gewesen, die hat auch noch einmal gezeigt, dass man eben bei einem sehr hohen Infektionsdruck mit den ganz normalen Maßnahmen, die zumindest in Schweden da zur Verfügung stehen, nicht mehr effektiv die Alten schützen kann. Diese Studie hat auch noch einmal belegt, dass man die Kombination braucht: Schutz der Alten plus Dämpfung der Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung. Nicht nur, weil die Allgemeinbevölkerung vielleicht Schaden haben könnte davon, sondern vor allem, weil sonst dieser Dämpfungseffekt nicht funktioniert. Sonst müssten sie die Alten wirklich wegsperren, was keiner will.



Camillo Schumann



Also ein weiteres Beispiel dafür, dass der schwedische Weg, wie er eingeschlagen wurde, dann am Ende nicht zielführend war.



Alexander Kekulé


Nein, so nicht. Die haben es ja inzwischen korrigiert. Das muss man dazusagen, dass diese Studie wird tatsächlich, wie sie sagen, so zitiert, dass man sagt da schaut mal her, dass es noch ein Beleg dafür, dass es in Schweden nicht funktioniert hat. Aber die haben eben nur die Zeit zwischen März und Mai ausgewertet. Und inzwischen haben sich eigentlich Deutschland und Schweden in vieler Hinsicht angenähert. Jetzt okay, mit dem aktuellen Lockdown natürlich nicht. Aber sonst war das, was wir zuletzt gemacht haben, eigentlich nah am schwedischen Modell dran.


0:44:39



Camillo Schumann



Und dass man die Risikogruppen schützen sollte, ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich das Virus, also der unsichtbare Feind verändert, ständig an den Menschen anpasst. Und damit sind wir bei einem Jahr noch ganz warmen Preprint aus der Schweiz. Eine Studie vor dem Begutachtungsverfahren. Preprint,


wer das für sich nochmal braucht. Die Wissenschaftler, die haben eine Virus-Variante identifiziert, die ursprünglich aus Spanien stammt, wenn man so will, und dann auf Wanderschaft gegangen ist. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ganz interessant, denn das konnte man eigentlich nur deshalb untersuchen, jetzt im Sommer. Die haben das über den Sommer untersucht, dass sind Wissenschaftler aus Basel und aus Spanien, die das gemeinsam gemacht haben. Das konnte man nur über den Sommer untersuchen, weil da weniger geflogen wurde. Also, diese ganzen Einschränkungen des Reiseverkehrs haben geholfen, weil, vor allem transkontinental nicht so viel geflogen wurde. Und dadurch konnte, konnten sich einzelne Virusvarianten dann in Europa ausbreiten. Und wir haben jetzt tatsächlich so eine europäische neue Variante. Wir haben ja schon mal darüber gesprochen, dass sich in Norditalien schon im Februar/März diese neue Variante D614G, diese Mutation gebildet hat, die höchstwahrscheinlich stärker infektiös ist, nicht stärker krankmachend, aber stärker infektiös. Und die sich deshalb in Windeseile weltweit verbreitet hat. Von der wiederum gibt es jetzt eine Variante, die in Spanien zum ersten Mal beobachtet wurde, im Juni/Ende Juni bei irgendwelchen Feldarbeitern. Und dann hat man gesehen, dass sie sich dann in der Region ausgebreitet hat, dann in ganz Spanien. Und jetzt haben Sie das genauer untersucht und gesehen, das ist von Spanien über die Touristen am Ende des Sommers dann hauptsächlich nach Großbritannien gegangen. Da gab es ja auch eine irrsinnige Welle von Einschleppungen im Vereinigten Königreich, wo die ja dann auch damals, nach meiner Erinnerung, glaube ich, sogar die Spanienreisen verboten haben als erstes. Und von dort ging es aber dann munter weiter. Also, wir haben wenige Fälle in Deutschland. Da ist wohl auch nicht so viel untersucht worden. Aber in vielen anderen europäischen Ländern bis hin nach Hongkong, da haben sie es auch schon gefunden. Das heißt also, man sieht jetzt, es gibt neue Virusvarianten. Wir wissen bei dieser Variante überhaupt nicht, ob sie gefährlicher ist. Es gibt keinen Hinweis darauf, es gibt auch keinen


Hinweis in dem Fall, dass die infektiöser wäre. Aber sie hat sich ebenso enorm ausgebreitet und irgendwie schon große Teile, jetzt in Spanien haben wir ungefähr die Hälfte der Fälle, die mit dieser Variante betroffen sind. Das Virus ist also dabei, sich an den neuen Wirt anzupassen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass es bei so einer neuen Variante dann leichter möglich ist, zum Beispiel Reinfektionen zu bekommen, wenn man schon mal krank war; oder, dass, wenn man geimpft ist, dass der Impfstoff dann gegen die neue Variante möglicherweise nicht hundertprozentig hilft. Das ist ein weiterer Grund dafür, bei den Impfungen wirklich Gas zu geben. Weil, ich sage immer, wenn der Impfstoff erst in 2 Jahren kommt, da ist relativ sicher, dass bis dahin sich die zirkulierenden Coronaviren so weit verändert haben, dass bei einem Teil der Geimpften die Impfung dann nicht mehr vollständig ist.



Camillo Schumann



Und wir wissen laut dieser Studie ja auch nicht, ob diese Virus-Variante jetzt auch tatsächlich für diese zweite Welle in Europa, die ja so heftig zuschlägt, auch verantwortlich ist.



Alexander Kekulé


Nein, das ist (es) nicht. Das hat damit erst einmal nichts zu tun. In Großbritannien ist es nachgewiesen, dass es ein großer Teil ist. In Deutschland weiß man es nicht. Das sind nur ganz wenige von diesem Typ gefunden worden, so eine Handvoll und die letzten auch im September erst. Was ich da aus der Studie gelernt habe – ich weiß jetzt nicht, ob das stimmt – aber die schreiben, dass Deutschland ziemlich wenige Sequenzierungen macht. Also, dass wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht besonders viel genetische Untersuchungen machen würden von diesem Virus und weisen darauf hin, dass es ganz wichtig wäre, ganz regelmäßig die Viren, die Genome dieser Viren sich ganz genau anzuschauen, also eine Sequenzierung des Genoms zu machen, um eben zu sehen, wie das Virus sich verändert. Und um zu sehen, wie sozusagen die Seuchenzüge dieses Virus sind. Dadurch kann man die nachverfolgen, weil diese Gensequenz ist ja wie ein Fingerabdruck oder wie ein Familienkennzeichen solcher


Viren. Ich weiß nicht, ob das stimmt, das müsste man vielleicht mal nachfragen. Aber die haben sich da so durch die Blume beschwert, dass die Deutschen nicht so viele Daten liefern würden. Sonst kennt man uns eigentlich mit besonderer Gründlichkeit in der Sache.



Camillo Schumann



Damit kommen wir an dieser Stelle zu unseren Hörerfragen. Diese Dame hat eine ganz spezielle Frage an Sie ganz persönlich auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen.


„Ist es denn nun absehbar, hoffentlich, dass eine Impfung demnächst zugelassen wird, und hoffnungsvolle sagen eine schon dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres wäre es möglich, anzufangen, teils der Bevölkerung durchzuimpfen. Meine ganz ehrliche Frage an Professor Kekulé lautet: Lassen Sie sich und ihre Familie gleich impfen? Vielen Dank für die Beantwortung und weiterhin alles Gute?“


Und diese Info noch: Die STIKO, die Ständige Impfkommission hat ja jetzt mitgeteilt, dass eine Durchimpfung der Bevölkerung erst für 2 02 2  anvisiert ist. Also haben wir noch ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken. Aber wollen sie der Dame vielleicht antworten?


0:49:52 



Alexander Kekulé


Ja, sie war ja so frei zu fragen, ob ich mich gleich impfen lasse. Natürlich kann man als Wissenschaftler sich immer in die erste Reihe stellen und sagen ich will da gleich mal was ausprobieren. Viele machen das ja so, dass sie sogar im Labor erst einmal selbst ihre ganzen Kollegen durchimpfen. Da bin ich bei solchen Impfstoffen vorsichtig. Also ich würde mich jetzt selber bei einem RNA-Impfstoff oder bei einem vektorbasierten Impfstoff, das sind diese neuen, wo es bisher noch überhaupt kein Modell gibt, dass es jemals funktioniert hat und die aber hauptsächlich verfolgt werden, zum Beispiel AstraZeneca ist es eine berühmte mit Oxford zusammen oder das andere von Pfizer, die zusammen mit der deutschen Firma in Mainz das machen. Den würde ich dann nehmen, wenn die Sicherheitsdaten wirklich


eindeutig sind. Ich würde das wahrscheinlich nicht bevorzugen, mich als Erster an die Reihe zu stellen an der Stelle, sondern eher hinten im Schlachtfeld mich aufhalten. Ich persönlich hätte weniger Hemmungen, um das so offen zu sagen, witzigerweise bei den chinesischen Impfstoffen. Da gibt es 2 Impfstoffe, die sind ganz klassisch hergestellt mit der alten Methode. Da werden Viren einfach inaktiviert, wie man das schon immer gemacht hat. Der alte Pockenimpfstoff vom Edward Jenner hat auch so funktioniert Viren werden inaktiviert, und dann gibt man das kaputte Virus quasi, was sich nicht mehr vermehren kann, als Impfung. Da kann es gut sein, dass die Impfung nicht funktioniert. Das kann sein, dass das nicht perfekt ist. Aber die Nebenwirkungen sind dafür auch extrem überschaubar. Das wäre wahrscheinlich das, wenn ich das jetzt nun direkt in der Hand hätte, was ich am ehesten an mir selber ausprobieren würde, bis ich dann meine Familie, meine diversen Kinder und so weiter einem Risiko der Impfung aussetze, da würde ich dann wirklich die ganz großen Studien sehen wollen mit mindestens 100.000 Probanden.



Camillo Schumann



Und das wird er auch gemacht, muss man dazu sagen.



Alexander Kekulé


Diese Studien werden gemacht. Aber es ist so, dass natürlich jetzt die ersten Impfungen werden sozusagen im Verlauf dieser Studien stattfinden. Also da wird es sicherlich Impfprogramme geben, die im Rahmen von Studien sind. Und da wäre ich jetzt schon dafür. Das wird natürlich auch dann so gemacht, dass da tendenziell Leute hingehen, die sonst gesund sind und die auch mal ein paar Nebenwirkungen verkraften können. Da würde man jetzt nicht mit Kindern oder mit Personen über 60, das letzte, da wäre ich dann betroffen, mit solchen würde man nicht anfangen.


52 :2 1



Camillo Schumann



Herr M. hat uns eine Mail geschrieben.


„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, wäre es angesichts der steigenden positiv Getesteten


nicht sinnvoll, eine Differenzierung nach der Ansteckungsgefahr also dem CT-Wert vorzunehmen, die kritische Marke bei 30 festzulegen und höhere Werte nicht als infektiös einzustufen, sie also nicht mehr in die Statistik einfließen zu lassen, die dann ja als Grundlage für die Maßnahmen genommen wird. Vielen Dank und freundliche Grüße.“ Also, es geht um die PCR-Testung und der CTWert. Vielleicht erst mal ein paar Worte zum CT-Wert.



Alexander Kekulé


Ja, also, die PCR-Testung funktioniert ja so, dass man letztlich guckt, ob ein bestimmtes Gen von dem Virus in einer Probe enthalten ist. Und das macht man so, dass man durch eine chemische Reaktion dieses Gen verdoppelt. Dann hat man erst einmal aus einem zwei, dann aus zweien vier und dieser Verdopplungsreaktionen, die laufen immer wieder. Das sind so Zyklen, wie man das nennt. Nach soundsoviel Verdoppelungen hat es sich so stark vermehrt, dieses genetische Material, das man es nachweisen kann. Das ist eine explosionsartige Vermehrung. Das ist dieses berühmte Beispiel mit dem Schachbrett, wo auf dem ersten Feld ein Reiskorn liegt, dann auf dem zweiten 2 und so weiter. Und da wissen wir alle, wenn man das mit einem ganzen Schachbrett machen würde, dann würde der Zug, der Güterzug mit dem Reis, den man da beladen müsste, einmal um den Äquator rumgehen. Mindestens einmal. Ich weiß nicht mehr genau wie oft. Und so ähnlich ist es bei der PCR. Und da zählt man eben diese Zyklen. Und diese Zyklen, wenn es 30 Zyklen sind, dann hat man eben 30-mal die RNA da drin verdoppelt. Das ist schon verdammt viel, das ist 2  hoch 30. Wenn man das so stark verdoppelt, so sagen die Wissenschaftler zum Teil, dann gilt es eigentlich nicht mehr, weil man so einen starken Verstärkereffekt hat, dass der Mensch gar nicht infektiös ist, sondern der hat nur ganz wenige Reste von einem Virus noch auf der Schleimhaut gehabt. Das kann man ja konkret sagen. Der Christian Drosten hat deshalb gesagt, man sollte diesen CT-Wert als Grenze nehmen. Ab einer bestimmten Grenze – da hat er auch einen Vorschlag gemacht, ich meine, es war 2 5 – da soll man dann sagen, das ist


dann zwar positiv, aber nicht mehr infektiös. Ich bin da ein bisschen skeptisch. Und zwar deshalb, weil methodisch gesehen die PCR nicht darauf ausgerichtet ist, so wie sie zumindest in der Diagnostik immer gemacht wird, dass man das quantitativ macht. Das ist er auch darauf ausgerichtet – qualitativ. Wir wollen eigentlich nur wissen ja/nein, hat er nun COVID-19 oder hat er es nicht? Wieviel Virus da genau drinnen ist, das kann man schon nachweisen, aber da muss man die ganze Untersuchung anders machen. Da muss man zum einen sicherstellen, dass man ungefähr immer gleich viel Material abnimmt. Das ist schon mal das Hauptproblem. Wenn Sie bei jemandem mit so einem Tupfer in den Hals gehen. Der eine hält richtig still, und da können sie Unmengen von Schleim rausholen, der andere zappelt rum, und dann kriegen sie fast nichts. Das ist die größte Fehlerquelle überhaupt bei der Abnahme. Aber dann ist es auch so, dass je nach momentaner Situation, also diese Virusausscheidung ist nicht einmal innerhalb von 2 4 Stunden konstant und auch nicht an allen Stellen des Rachens konstant. Sodass dann wirklich je nach der Frage, wo Sie das genau abgenommen haben und wann das extrem schwanken kann. Und dann auch von der Methode her, müsste man so eine Art Standard mitlaufen lassen, um das quantifizieren zu können. Also man gibt dann was rein so als Maßstab quasi, so wie ein Zollstock, der da mitgemessen wird. Und all diese Dinge macht man aber nicht bei der Routine-PCR. Und deshalb bin ich nicht der Meinung, dass man sozusagen diese Daten aus diesem CT-Wert rausmelken kann. Sondern der CT-Wert ist ein rein intern technisches Ding, was die Labore-Leute brauchen, um ihre Geräte so einzustellen, dass man sauber JaNein-Entscheidungen treffen kann.


56:11



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 113. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Wer das eine oder andere Thema noch mal vertiefen möchte, kein Problem: alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 6.10.2 02 0 #112 : Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Die wichtigsten Links zur Folge #112 


Vorzeitige Tätigkeitsaufnahme von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern bei relevantem Personalmangel https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/HCW.html


Studie: HEPA-Filterlösung für Schulen https://www.medrxiv.org/content/10. 1101/2 02 0.10.02 .2 02 05633v2 .full.pdf


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann



Dienstag 2 7. Oktober 2 02 0.  Die Zahlen steigen die Politik unter


Druck? Wie könnte ein wirkungsvoller Lockdown light aussehen? Und brauchen wir ihn überhaupt?


 Außerdem Corona-positiv und trotzdem zur Arbeit? Eine Handlungsempfehlung des Robert Koch-Instituts wird diskutiert.


 Außerdem: wie Klassenräume auch ohne Lüften virenfrei bleiben.


Und gibt es Impfschäden, die erst Jahre später auftreten?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent-


wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé,



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



In dieser Phase der Pandemie macht es ja durchaus Sinn, zu Beginn einer Sendung die aktuellen Zahlen zu liefern. Quasi als Service für unsere Hörer. Fangen wir an: über 11.400 Neuinfektionen innerhalb von 2 4-Stunden, laut Robert Koch-Institut vor einer Woche. Zum Vergleich: am Dienstag waren es 6.900. Der Blick in die Krankenhäuser. Laut Intensivregister müssen fast 1.500 Menschen mit Covid-19 intensivmedizinisch betreut werden. Das ist ein Plus von 500 gegenüber letzten Dienstag. Und knapp 650 Menschen müssen davon künstlich beatmet werden. Das ist ein Plus von 2 40 gegenüber letzter Woche. Herr Kekulé, das Hochwasser steigt weiter deutlich, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das würde ich schon sagen. Vor allem ist es natürlich beunruhigend, dass wir jetzt auf den Intensivstationen und bei den beatmeten Menschen schon einen Anstieg sehen. Das ist ja immer so der Teil, den man quasi als Qualitätsmerkmal für das Gesamtsystem sich anschauen kann. Bei jedem anderen könnte man sagen: Na gut, die Fälle. Das heißt ja nicht immer, dass das auch Risikogruppen sind. Aber dass wir hier einen Anstieg bei den Beatmeten haben. Das heißt ja auch im Klartext, dass mehr Menschen sterben werden. Deshalb ist die Lage ernst.



Camillo Schumann



Am Anfang der Pandemie ist man von einer Sterblichkeit bei beatmeten Personen von um die 50 Prozent ausgegangen. Ist es dabei geblieben?



Alexander Kekulé


Das ist lokal sehr unterschiedlich, wenn Sie auf ein sehr routiniertes Team treffen auf der Intensivstation. Und dann kann man davon ausgehen, dass es deutlich gesenkt wurde. Ich würde sagen, gerade speziell mit der Kortison-


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behandlung, also Dexamethason-Behandlung, wo das Immunsystem gedämpft wird. Das hat sich allgemein durchgesetzt. Und viele andere Dinge, die nicht funktioniert haben, lässt man weg. Dadurch kann man relativ straight therapieren. Ich würde sagen, wenn es gut läuft, naja, vielleicht ein Drittel stirbt dann noch von den beatmeten Patienten. Aber auf jeden Fall nicht mehr die Hälfte.



Camillo Schumann



Also es hat sich professionalisiert. Mehr Menschen können gerettet werden. Demgegenüber auch eine Vergleichszahl. Rund 7.700 Intensivbetten, die noch frei sind und 12 .000 in der Reserve. Und schaut man sich bei unseren europäischen Nachbarn um. Dort sieht es nicht so gut aus. Die Gesundheitssysteme zum Beispiel Belgien, Spanien, den Niederlanden, Tschechien, die stoßen an ihre Grenzen. Wichtige OPs werden da teilweise verschoben. Also die Geschichte wiederholt sich. Das könnte auch sein, dass Deutschland wieder Nachbarschaftshilfe anbietet. NRW und Niedersachsen tun das. Die Bilder wiederholen sich aus dem Frühjahr. Ist doch verrückt, oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist verrückt. Vor allem, weil ich glaube, es gab ja nun überhaupt keinen Virologen, der nicht gesagt hat, dass im Herbst die Fallzahlen wieder ansteigen. Es gab viele Dinge, wo wir unterschiedliche Meinungen hatten. Aber an der Stelle war es, glaube ich, ganz eindeutig. Und das sagt auch der gesunde Menschenverstand. Darum ist es erschreckend, dass wir vor allem bei den alten Menschen nach wie vor so viele Infektionen haben.



Camillo Schumann



Kommen wir zurück nach Deutschland. Alle Blicke ruhen jetzt auf der Kanzlerin.


Bundeskanzlerin Angela Merkel (Original-Ton)


Der vergleichsweise entspannte Sommer ist vorbei. Jetzt stehen uns schwierige Monate bevor. Wie der Winter wird, wie unser Weihnachten wird. Das entscheidet sich in diesen kommenden Tagen und Wochen. Das entscheiden wir alle durch unser Handeln.



Camillo Schumann



Tja, das war ein Auszug aus dem letzten Podcast der Kanzlerin. Jeder Tag zähle, hat gestern Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt. Und deshalb hat die Kanzlerin die Ministerpräsidentenkonferenz von Freitag auf den morgigen Mittwoch vorgezogen. Erwartet wird, dass so eine Art Lockdown light beschlossen wird. Schreiben zumindest mehrere Medien. Also die Kanzlerin macht jetzt richtig Druck. Ist das richtig?



Alexander Kekulé


Ja, man muss jetzt etwas tun. Man kann ja nicht zusehen, bis wir spanische oder französische Verhältnisse hier bekommen. Das Robert Koch-Institut sagte im aktuellen Lagebericht ich hab da mal reingeguckt. Da steht drin: Wir haben eine zunehmende Beschleunigung. Weil die Bundeskanzlerin hat ja die berühmte Gleichung aufgemacht hat, wo sie die Exponentialfunktion erklärt hat, mit diesen Verdopplungszeiten. Eine zunehmende Beschleunigung heißt aber, dass die Beschleunigung sich beschleunigt. So sieht es das Robert Koch-Institut. Das wäre dann so in der Physik der Ruck gewesen. Da geht es dann nicht mehr um die quadratische Funktion, sondern um die dritte Potenz. Also, es ist die quasi die dritte Ableitung nach der Zeit. Und da kommt es einfach ganz entscheidend auf die Zeit an. Die Zeit steht in der dritten Potenz. In diesen berühmten Formeln heißt es dann hoch drei. Es kommt sozusagen auf jede Sekunde und nicht auf jeden Tag an. Und deshalb muss man dringend was tun. Was heißt so ein Ruck? Eine dritte Potenz in so einer Exponentialfunktion? Das kann man sich so vorstellen: Wenn ein Auto los fährt, dann ruckt das natürlich. Dieses Anfahren ist die eine Beschleunigung der Beschleunigung. Aber viel interessanter ist einfach, sich das umgekehrt vorzustellen. Wenn ich mit 100 Sachen gegen die Mauer fahre, das ist ein klassischer Ruck, das Auto bleibt sehr schnell stehen. Die Beschleunigung beschleunigt sich enorm. So ein Effekt ist das also. Wir fahren hier gerade mathematisch gesehen gegen die Mauer.



Camillo Schumann



Wirtschaftsminister Peter Altmaier vermutet, dass die von der Kanzlerin prognostizierten um die 2 0.000 Neuinfektionen pro Tag, die sie


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Weihnachten prognostiziert hatte, diese Woche schon eintreten werden. Und zwar Ende der Woche, Freitag, Samstag. Er malt ein ziemlich düsteres Bild. Malen Sie das auch?



Alexander Kekulé


Es ist ganz offensichtlich. Die Beschleunigung hat sich beschleunigt. Die Frau Bundeskanzlerin ist eben von einer gleichmäßigen Beschleunigung ausgegangen. Wenn man noch mehr Gas gibt, dann wird es eben noch schneller. Das ist ein sich selbst verstärkendes System. Das ist so ähnlich, als wenn man sein Aquarium eine Weile nicht geputzt hat. Dann kommen irgendwann die Algen. Und dann gibt es so einen Moment, wenn es schön warm ist. Wo wirklich von einem Tag auf den nächsten alles grün ist. Dass man die Fische nicht mehr sieht. Weil das in kurzer Zeit in so eine Phase gekommen ist. Ich benutze dann eben immer noch den Ausdruck: Dass es wie eine Explosion abläuft. Da laufen wir gerade hin. Das heißt, wenn wir was tun wollen von staatlicher Seite, müssen wir es wirklich jetzt machen. Die Frage ist natürlich: was soll man machen? Wie soll man das machen? All diese Dinge. Wo hapert es eigentlich? Es ist nicht so einfach, nur zu sagen: hey, wir machen jetzt mal Lockdown. Dann ist alles wieder gut. Sondern man muss jetzt viel differenzierter arbeiten. Weil der gleiche Lockdown wie im Frühjahr, der wäre erstens sinnlos und zweitens können wir den nicht beliebig oft wiederholen.



Camillo Schumann



Genau darüber wird jetzt diskutiert. Morgen bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Und was schon so durchgesickert ist, es soll keinen großen Lockdown wie im Frühjahr geben, sondern einen sogenannten Lockdown light. Mehrere Medien berichten und berufen sich auf sogenannte gut informierte Kreise. Zum Beispiel, dass die Schließung von Bars und Restaurants diskutiert werden soll. Außerdem sollen auch Veranstaltungen verboten werden.


Schulen und Kindergärten. Die sollten dagegen geöffnet bleiben, außer in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen. Und auch Geschäfte sollten unter Auflagen geöffnet bleiben. Das schreibt zumindest die Bild. Objektiv, und da sprechen wir nicht über das Leid


der Wirte. Es würde ja aktuell die Orte treffen, in denen dann auch das meiste Infektionsgeschehen auszumachen wäre.



Alexander Kekulé


Naja, es ist offensichtlich, dass wir jetzt eine Situation haben, die bisschen anders als im Frühjahr ist. Schon seit einiger Zeit ist es so, dass das Verhalten eines Teils der Bevölkerung ist, was das Problem ist. Wir kennen das Problem viel besser als früher und einige Leute halten sich einfach nicht an die Spielregeln, wenn ich mal so sagen darf. Diese Regeln sind ja etwas, was im ganz privaten Bereich passiert. Die Bilder, die man von der Straße sieht, sind völlig nebensächlich. Wichtig ist, was hinter geschlossenen Türen passiert. Ja, und da ist es schon mal richtig, dass man nicht mehr daran denkt, die Geschäfte zu schließen. Damals war es ja noch, sodass es nur ganz wenige Leute gab, die für die Maske plädiert haben. Und die große Mehrheit der Fachleute, in Deutschland zumindest, hat dagegen gearbeitet. Wir haben ja damals diese Maßnahmen, Masken zu tragen. Und die anderen Dinge haben wir noch gar nicht gehabt. Das heißt, heute haben wir Instrumente, um Geschäfte zu sichern. Deshalb ist es gut, das nicht zuzumachen. Das andere Extrem sind Nachtclubs, die einfach so durchfeiern, als gäbe es kein Morgen. Die muss man natürlich zumachen, sofern sie sich nicht an die Abstandsregeln halten. Und das wird leider häufiger mal der Fall sein. Dazwischen gibt es die Restaurants. Also ich denke jetzt so ein klassisches Restaurant, wo man einfach so zum Essen sitzt. Da bin ich eigentlich der Meinung, das ist ein ziemlicher Unsinn, die zu schließen oder selbst auch nur mit Sperrstunden zu versehen. Ich kenne also kein normales Restaurant, wo die Leute ab elf Uhr plötzlich aufstehen und auf den Tischen tanzen oder Ähnliches. Oder ich gehe immer in die falschen Restaurants. Das weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich lassen die mich dann nicht mehr rein. Aber so grundsätzlich. Mein Vorschlag wäre eigentlich ein anderer. Ich würde sagen, man hat ja Regeln. Es gibt Abstandsregeln, es gibt Bewegungsregeln, die sind ja eigentlich gut und relativ einheitlich in den meisten Bundesländern. Was man noch nicht gemacht hat, ist, das klar durchzuziehen. Dass Regelverstöße auch geahndet werden. Wenn Berlin natürlich


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ewig lang zulässt, dass da weiter gefeiert wird in einigen Stadtteilen und eben nicht die Kneipen zumacht. Daran gewöhnt sich die Bevölkerung und denkt, das ist ja alles in Ordnung. Und das ist der Effekt, den man man eigentlich verhindern muss. Das heißt, ich wäre dafür, zu sagen: klare Regeln, die kann man noch mal nachschärfen, wenn es nötig ist. Und dann wirklich konsequent die Gaststätten zumachen, die sich nicht daran halten. Aber ich sehe überhaupt nicht ein, warum jetzt ein Gastwirt, der sich seit inzwischen Monaten wirklich Hygienekonzepte ausgedacht hat, der Listen am Eingang hat, der irgendwelche Desinfektionsmittel überall aufstellt und die Tische auseinandergestellt hat, die Hälfte vom Personal in Kurzarbeit geschickt hat. Wieso sollte der jetzt zumachen? Das sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich würde mir wünschen, dass die Runde morgen da einen differenzierten Blick drauf hat.



Camillo Schumann



Also klare Regeln statt Lockdown light, wenn ich Sie richtig verstanden habe?



Alexander Kekulé


Ich bin eigentlich dafür, dass wir statt immer dieses Auf und Ab ... Der Bundesgesundheitsminister hat das ja Bremsen und Beschleunigen genannt. Das ist ein Konzept, wo ich nichts von halte, immer Gas geben und bremsen. Da werden ja alle wuschig im Kopf. Und die Wirtschaft funktioniert nicht mehr. Wir brauchen eine kontinuierliche, klare Ansage. Und die muss man dann auch einhalten. Es soll nicht so sein, dass einige Bundesländer sagen: bei uns ist es nicht so schlimm, wenn man die Maske nicht trägt. Oder bei uns dürfen die Tische dann doch wieder näher zusammen und Ähnliches. Wir brauchen da eine bundeseinheitliche Regelung. Es war ja auch gut, dass die Ampel eingeführt wurde an der Stelle. Die hatte ja weniger den Zweck, den Bürgern irgendetwas zu signalisieren, sondern ich habe den Eindruck, das war eher so, dass die Kanzlerin mit der Ampel ihre Ministerpräsidenten unter einen Hut bringen wollte. Aber auch das hat nicht geklappt. Tja, da gab es Regionen, wo die Ampel auf Rot war und die Maßnahmen nicht beschlossen wurden. Das heißt einheitliche Regeln, die kontinuierlich durchgezogen werden und nicht, dass man immer wieder zu-


macht aufmacht, je nach Infektionszahlen. Ich glaube, das wäre das, wo wir als Gesellschaft am besten mit leben könnten und was auch von der Epidemiologie her die beste Möglichkeit ist, das zu kontrollieren.



Camillo Schumann



Es ist immer so, wenn man ein Virologen fragt, kriegt mein eine virologische Antwortet. Das setzt aber voraus: Ihr Plan und Ihr Konzept, dass die Menschen sich verdammt noch mal am Riemen reißen und dass es genügend Ordnungsamtsmitarbeiter gibt, die das Ganze kontrollieren. Und eine Verwaltung, die so auf Zack ist, den Laden dann auch gleich zu schließen.



Alexander Kekulé


Natürlich, das muss man so sehen. Die jetzige Lage ist ja die, dass wir nicht ein Problem haben mit irgendwelchen Übertragungen, die auf der Straße stattfinden, wo die Polizei hinterher laufen kann. Auch nicht in den Parks, wo die Polizei dann zum Teil ja schon die Maskenpflicht kontrollieren muss. Sondern die Probleme sind tatsächlich im privaten Bereich. Das ist ein Bereich, in dem wir mit den Ordnungsmaßnahmen sowieso nicht hinterherkommen. Wenn die Leute zu Hause feiern, dann feiern sie eben. Und deshalb sehe ich es eigentlich so, dass der Staat aus meiner Sicht 2 Aufgaben hat.


Das eine ist wirklich seine Königsaufgabe, die wichtigste Aufgabe, dass er die Risikogruppen schützt. Auch das hat immer noch nicht funktioniert. Wir haben zunehmende Ausbrüche in Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Das geht überhaupt nicht. Darauf muss sich der Staat fokussieren, weil das sind Leute, die auf die staatliche Hilfe angewiesen sind.


Und das Zweite sind die, die zu Hause im Moment die Probleme machen. Ich weiß nicht, ob man die kriegt, indem man ihnen die Kneipen zumacht. Es ist so, dann feiern die woanders weiter. Sondern ich würde eher sagen, dass das wirklich der Bereich ist, wo wir nur mit einem sauberen und vernünftigen und nachvollziehbaren Konzept reagieren können. Dass die Leute wirklich sehen: aha, so und so wird's gemacht. So wird es überall gemacht, da sind


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sich alle einig. Und die Ministerpräsidenten streiten sich nicht. Die Virologen streiten sich nicht. Sondern das scheint hier die Regel zu sein. Und ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, Leute zu überzeugen.



Camillo Schumann



Aber wie will ich denn in Anführungszeichen ... Ich übertreibe es mal ein bisschen. Wie will ich das Saufgelage von zehn Kumpels in der Nachbarwohnung, wie kann ich das denn unterbinden?



Alexander Kekulé


Das können Sie nie unterbinden. Das ist ja der Witz. Aber das ist im Moment unser Problem. Also unser Problem ist ja nicht, dass Leute, im öffentlichen Raum über die Regeln schlagen. Wenn sie das tun, wenn es jetzt eine Kneipe ist, dann bin ich wirklich der Meinung. Da gibt es eben solche und solche. Denen muss man dann eben für eine Zeit die Lizenz entziehen. Und wenn die das wissen, dass dann die Lizenz weg ist... . Ich glaube, dann wird zumindest von der Seite, von der Seite der Gastwirte wird sich das disziplinieren.



Camillo Schumann



Und das Denunziantentum wird dann wieder auf dem Plan kommen?



Alexander Kekulé


Ja, das ist immer das Problem. Wir haben eine Bedrohung, die den Menschen unmittelbar bedroht. Nicht so irgendetwas Generelles, wo der Staat mit seinen groben Instrumenten viel machen kann, als wenn zum Beispiel eine feindliche Militärmacht anrücken würde oder Ähnliches. Dann brauchen Sie Panzer an der Grenze. Aber hier haben Sie ja sozusagen Feinde, die automatisch sofort beim Individuum angreifen. Und deshalb muss die Abwehr auch auf der individuellen Ebene sein. Und ja, das ist natürlich so. Am Ende des Tages kommen dann wieder solche Dinge ins Spiel wie Kontaktnachverfolgung, Tracking-App und solche Dinge. Da hat der Philosoph Nida-Rümelin am Sonntag noch mal versucht, ein Plädoyer zu halten. Dass er sagt, man muss sich überlegen, wie viel die persönliche Freiheit wert ist in so einer Zeit, wo man eigentlich nur durch Nachverfolgung von Kontakten feststellen kann, wer sich


wo infiziert hat. Also will ich jetzt keine Position zu beziehen. Aber es geht letztlich um diese fein-granulären Gegenmaßnahmen.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz wird dann auf der Ministerpräsidentenkonferenz die eine oder andere Maßnahme dann möglicherweise doch beschlossen werden. Und möglicherweise wird die Schließung von Bars und Restaurants beschlossen, zumindest diskutiert und in Erwägung gezogen. Auf der anderen Seite könnten ja Schulen und Kindergärten offen bleiben. Da würde man bei Ihnen offene Türen einrennen, oder?



Alexander Kekulé


Also das sehe ich mit sehr großer Vorsicht. Wir haben medizinisch gesehen kein wirklich gutes Modell, wie wir erklären können, warum es angeblich so wenige Infektionen in Schulen und Kitas gibt. E ist ja völlig klar, dass Jugendliche ab 14/15 ganz klar Treiber der Infektionen sind. Also in den Gymnasien. In Amerika in den High-Schools haben sie enorme Ausbrüche. Zum Teil sind dort die Regeln nicht eingehalten worden. Das heißt, es kann gut sein, dass wir im Moment nur deshalb so wenige Ausbrüche sehen, weil sich die Gymnasiasten offensichtlich gut an die Abstandsund Maskenregeln halten. Weil die Schulen sich auch enorm Mühe gegeben haben, im Sommer Konzepte mit Lüftung und Ausdünnung der Schüler zu machen. Und wir wissen nicht, wie das im Winter weitergeht, weil es ist einfach so.... Man kann sich das so vorstellen. Wir haben es fast mit 2 verschiedenen Viren zu tun. Ein Virus, das über die Luft übertragen wird, hat im Sommer einfach eine echt harte Zeit. Das geht ihm echt schlecht im Sommer. Das hat sich hier nur deshalb so lange über den Sommer schleppen können, weil die Menschen so unvernünftig waren. Es war halt von vornherein (so), dass die Zahl der Infizierten so enorm groß war. Normalerweise machen Erkältungskrankheiten im Sommer schlapp, und dann kommt der Winter, und dann freuen sich die Viren. Dann geht es ihnen wieder richtig gut, weil dann können sie wesentlich effizienter Infektionen machen. Und die gleiche Maßnahme, die im Sommer geholfen hatte. Ich sag jetzt mal so als Stichwort: 1,5 m Abstand halten in geschlosse-


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nen Räumen. Das war ja so eine Standardformel. Das war quasi schon ein Freibrief den ganzen Sommer für alle möglichen Hygienekonzepte, die von den Gesundheitsämtern abgesegnet wurden. Es kann sein, dass das im Winter einfach nicht mehr funktioniert. Deshalb sind wir dann in der Lage, dass sich das Virus besser verbreitet, wo es letztlich eine höhere R-Null hat, also diese Basisreproduktionszahl. Also wie schnell vermehrt sich das Virus, wenn man es einfach so lässt. Die ist letztlich im Winter höher. Und deshalb muss man einfach sagen, da wissen wir nicht, ob die Schulen dann wirklich sicher sind. Also zumindest bei den Älteren habe ich Bedenken. Und bei den Jüngeren müssen wir wirklich ganz akribisch gucken. Das Verfolgen wird ja auch gemacht. Dass man an einzelnen Schulen exemplarisch das nachverfolgt. Und da muss man wirklich bereit sein, sofort auf den Alarmknopf zu drücken, wenn irgendwo ein Ausbruch ist. Also wenn sich herausstellt, dass dann doch an Grundschulen und Kitas es Ausbrüche gibt, dann sind die halt genauso wie die Erwachsenen.



Camillo Schumann



Wenn Sie als Virologe und Epidemiologe über einen Umstand berichten, wie gerade eben aus den Schulen und aus den Kitas. Ein Umstand, der recht positiv ist. Dann hört sich das immer so an, als wäre das etwas Negatives. Aber eigentlich können wir uns darüber freuen, oder?



Alexander Kekulé


Ja, wir freuen uns. Ich habe es gerade aus der Sicht des Virus geschildert. Das Virus hat natürlich ein Problem in der Zeit. Ich glaube, dass wir im Moment in der Lage sind, dass bei den Jüngeren und Grundschülern dass da noch keine Probleme aufgetreten ist. Das ist überraschend. Da bin so ein bisschen, sage ich mal misstrauisch, wenn ich das so sagen darf. Aber ich lasse mich dann im Lauf der Zeit auch gern vom Gegenteil überzeugen. Ich glaube, so geht es auch vielen meiner Kollegen. Da bin ich ja nicht der einzige, der am Anfang der Meinung war, dass die Schulen, die Schüler und KitaKinder genauso infektiös sein könnten wie die Erwachsenen. Das müssen wir uns ansehen, ob die Epidemiologie uns da tatsächlich eines Besseren belehrt wird. Das wäre ja super,


wenn es so ist. Ich würde da nur nicht drauf wetten, ehrlich gesagt.



Camillo Schumann



Man muss natürlich der Vollständigkeit halber mit sagen: es gibt auch geschlossene Schulen. Es gibt auch Schüler, die zu Hause im Homeshooling betreut werden, Schulen zum Beispiel im Landkreis Rottal-Inn. Da ist der Lockdown verhängt worden. Und da sind die Schüler ja auch davon betroffen. Also es gibt vereinzelt das grundsätzliche Phänomen, dass die Schulen, die Treiber der Pandemie im Herbst sind. Das kann man so erst mal noch nicht feststellen.



Alexander Kekulé


Es gibt es keinen Hinweis darauf. Man muss auch sagen, dass in Rottal-Inn nicht klar ist, wie sich die Schüler infiziert haben. Also die Frage ist ja immer: Gibt es innerhalb der Klasse Infektionen? Das ist hier nicht geklärt. Es kann sein, dass die sich außerhalb was geholt haben, wenn der ganze Ort eine hohe Inzidenz hat, viele Fälle hat. Dann sind natürlich Kinder auch betroffen. Die könnten sich zuhause infiziert haben.



Camillo Schumann



Also Lockdown light ist möglicherweise Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch. Und wissenschaftlich werden ja unterschiedliche Formen auch Zeiträume des Lockdowns diskutiert, aktuell zum Beispiel auch ein Preprint aus England. In dieser Studie geht es um die Wirksamkeit von precautionary breaks, Vorsorge-Pausen, also kurze Pausen, um die Epidemie wieder unter Kontrolle zu bringen. Das wird auch von vielen Ihrer Kollegen in Deutschland diskutiert. Was halten Sie von dieser Idee?



Alexander Kekulé


Grundsätzlich ist eine precautionary break, eine vorsorgliche Unterbrechung der Infektionen. Das ist natürlich was Sinnvolles. Die nennen das ja interessanterweise auch Reset in der Studie selber, die habe ich mir noch mal genauer angesehen. Das erinnert mich an den Reset, den ich irgendwann mal im Frühjahr empfohlen habe, der dann später CoronaFerien hieß. Die Arbeit ist im Grunde genom-


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men ehrlich gesagt, nicht besonders erhellend. Ich kann ein bisschen erzählen, was sie gemacht haben. Das ist von der Universität in Warwick. Die ist eine neue Universität, neu gegründet im Hinterland, bei Coventry. Für die Fußballfans in der Nähe von Birmingham. Das kennt man dann vielleicht. (....) Die haben Folgendes gemacht. Die haben gesagt: okay, wir rechnen einfach mal durch, was passiert, wenn man so einen Lockdown macht. Und dann haben sie tatsächlich erst mal in einer ersten Näherung festgestellt, das je länger man den Lockdown macht, und je härter der ist, desto wirksamer ist das. Sie schreiben natürlich dann gleich dahinter: naja, war ja auch zu erwarten. Und dann haben sie das mathematisch ziemlich aufwendig runter differenziert. Genau das gleiche Grundprinzip. Sie haben aus diesen einfachen Modellen etwas Komplexeres gemacht. Das haben wir schon mal besprochen, als die Frau Priesemann bei uns war, im Podcast. Da gibt es dieses SEIR-Modell. Also es gibt eine Gruppe von Personen, die sind überhaupt empfänglich, das ist s wie septible. Dann gibt es eine Gruppe von Personen, die sind exponiert. Also die könnten das Virus bekommen, expost. Dann gibt es eine Gruppe, die ansteckend ist, die ist infektiös, infections. Und die letzte, das R. Die ist die recovert, also die geheilte Gruppe. Also die sind nicht mehr infektiös. Die sind dann in diesem Modell auch nicht mehr infizierbar. Und dann hat man sozusagen, wenn man so will, vier Töpfe. Und jede Person aus der Population geht immer von einem Topf in den nächsten. Und dafür braucht man eine Formel, wie das ineinander übergeht. Das sind ja quasi zusammenhängende Formeln mit einer gemeinsamen Variablen. Und so was nennt man dann bekanntlich Differentialgleichung. Das ist eine einfache Differentialgleichung, gewöhnliche Differentialgleichung, die die draus gemacht haben. Und damit haben sie ein Simulationsprogramm geschrieben. Und dann haben sie gesagt: okay, was simulieren wir jetzt? Jetzt nehmen wir doch mal 2 Wochen Lockdown, weil während der Schulferien. Dann wären die Kollateralschäden möglichst gering. Sie erinnern sich. Das erinnert verdammt an Corona-Ferien. Sie haben gefragt: was passiert dann? Da haben sie fünf verschiedene Intensitäten von Lockdowns einfach definiert. Vom Faktor fünf ge-


hen die quasi rauf und runter. Und was kommt am Schluss raus? Genau das Gleiche wie bei dem einfachen Modell. Schreiben Sie auch selber. Der Reset wird umso besser, je länger und je härter die Maßnahmen. Na gut, das hätte wahrscheinlich jeder sich denken können, auch ohne, dass er viel Mathematik macht. Darum habe ich das so ausführlich erzählt. Aber da sieht man mal, womit sich Mathematiker beschäftigt. Die wollen es dann bewiesen haben, dass es so ist, was man sich so vorstellt.



Camillo Schumann



Und die Frage nach dem richtigen Zeit-Punkt, habe ich gelesen.



Alexander Kekulé


Der richtige Zeitpunkt ist je schneller, desto besser. Die haben im Grunde genommen ... Die Ergebnisse waren im Grunde genommen wieder die gleichen. Je härter, je schneller. Je härter, je länger und je früher ist am besten. Die haben aber drei wichtige Fragen offen gelassen. Und das ist die erste: Wie lang soll ich den Lockdown machen? Soll ich es eine Woche machen? Oder zwei, die sie da genommen haben wegen der Inkubationszeit. Wie oft muss ich das machen, wenn ich das mache? Also wenn ich jetzt so einen gezielten geplanten Lockdown mache, muss ich das in 2 Monaten wieder machen, oder in vier?


Und wie hart ist denn optimal? Die haben verschiedene Härten, eins bis fünf, mathematisch durchdekliniert. Aber was das praktisch heißt. Heißt das, dass alle zuhause bleiben. Oder heißt das, nur noch, was weiß ich, im Taucheranzug herumlaufen oder sonst was. Also, wie hart ist hart? Oder wie weich ist weich? Das haben sie auch nicht definiert.



Camillo Schumann



Zumindest wurde eine gute Grundlage geliefert, es dann anzuwenden. Oder könnte man die Berechnungen nicht anwenden auf Deutschland. Und da vielleicht (...) auf 2 Wochen kommen mit den und den Maßnahmen?


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Alexander Kekulé


Ich glaube nicht. Dieses Modell bringt es nicht. Ja, das ist dafür nicht geeignet. Das ist auch sehr stark abgeglichen. Wenn man so eine Differentialgleichung macht. Wenn Sie sich erinnern in der Schule. Da müssen Sie bei jedem einzelnen Glied, wenn Sie den dann auseinandernehmen, haben Sie so eine Art Fakturierung in jedem Glied. Und diese Fakturierung, das heißt dann technisch Kalibrierung von der Gleichung. Das haben die nach den britischen Maßstäben genommen. Also da haben die quasi die Belegungszahlen der Intensivstationen genommen. Wieviel Todesfälle. Was man mit dem Modell schon machen kann: durchrechnen, wenn wir den Lockdown so und so gestalten. Wie schnell werden die Intensivstation verlaufen? So was kann man simulieren. Aber bei diesen Simulationen ist es einfach so, wenn Sie irgendeinen Parameter ändern, dann ändert sich das Ergebnis dramatisch. Sodass ich eigentlich dagegen bin, solche Sachen mathematisch zu machen. Sondern das muss man ganz praktisch machen, wie Sie es am Anfang vorgelesen haben. Wir haben jetzt so und so viel Beatmungspatienten, so und so viele Plätze sind noch frei. Und wir wissen, wie lange der Vorlauf ungefähr ist. Wenn wir merken, da wird es langsam brenzlig, dann müssen wir etwas tun. Das ist meines Erachtens besser, als so was mit einer Differentialgleichung versuchen anzunähern


2 7:2 0



Camillo Schumann



Kommen wir zu einem anderen Thema, das einige unserer Hörer sehr umtreibt. Es geht um Menschen, die trotz eines positiven CoronaTestergebnisses wieder arbeiten gehen. Hört sich erstmal verrückt an. Denn jeder, der einen positiven Test hat, der muss offiziell sich isolieren und alle Kontakt-Personen müssen in Quarantäne. Nun gibt es aber Menschen, die trotz eines positiven Corona-Tests arbeiten gehen und das auch sollen. Und davon gibt es offenbar gar nicht so wenige. Diese Dame hat uns die Situation auf unserem Anrufbeantworter so geschildert.


Zuhörerin


Ich höre von immer mehr Mitarbeitern im Altenpflegeheim und auch in den Krankenhäu-


sern, dass sie die Anweisung haben, wenn sie positiv auf Corona getestet wurden und keine Symptome aufweisen, dass sie dennoch arbeiten müssen. Krankenpfleger und auch Pfleger im Altenheim, Seniorenwohnheim müssen arbeiten, wenn sie positiv sind und keine Symptome haben. Ist das bekannt? Es macht dann doch keinen Sinn Patienten und Besucher zu testen, wenn die Mitarbeiter positiv sein können. Kann das auch mal von Ihnen diskutiert werden? Vielen Dank. Auf Wiederhören.



Camillo Schumann



Tja, und das werden wir diskutieren, gleich vertiefen. Ihre erste Reaktion auf diesen Anruf unserer Hörerin.



Alexander Kekulé


In einem Wort unglaublich.



Camillo Schumann



Nur ganz kurz. Ich habe das Robert KochInstitut diesbezüglich auch angefragt. Die Antwort war folgendermaßen: Wir können hier nur auf die Optionen zur vorzeitigen Tätigkeitsaufnahme von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern bei relevantem Personalmangel verweisen. Dann wurde ein Link mitgeschickt, mit einem sehr langen Text und diversen Kategorien von Kontakten, Personen. (Den Link finden Sie hier am Anfang des Transkriptes.)


Auf einer Unterseite steht: Ist die adäquate Versorgung der Patientinnen und Patienten durch Personalengpässe nicht mehr möglich. Dann kann es notwendig sein, die bestehenden Empfehlungen zum Umgang mit KontaktPersonen. und jetzt kommt es und mit positiv auf Sars-CoV-2  getesteten Person für medizinisches Personal anzupassen. Sie kennen die Information. Was sagen Sie dazu?



Alexander Kekulé


Dahinten steht so ein Satz dran, der eigentlich für den nächsten Krieg ist. Ja, wir sind im Moment in so einer Phase, wo wir nicht genau wissen, wie es weitergeht. Rein theoretisch – Katastrophenforscher machen sich gerne solche Gedanken. Theoretisch kann es natürlich sein, dass wir in so eine Extremlage kommen


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bei der Pandemie-Abwehr. Dass die Kollateralschäden, die sekundären Kollateralschäden, die dadurch entstehen, dass die Pandemiebekämpfung schlimmer ist als die Pandemie selbst. Das heißt zum Beispiel das Personal dann weg ist, um Unfallverletzte zu behandeln, weil die alle krank zu Hause sind. Das wäre der Extremfall, wo man einfach nicht mehr anders kann. Das war bei der Pest im Mittelalter genauso. Wenn Sie da jeden Pestkranken aus dem Verkehr gezogen hätten. Was man damals natürlich auch versucht hat. So dumm waren die Menschen ja nicht. Dann hätten sie einfach überhaupt keine Funktionen mehr gehabt und die Gesellschaft wäre zusammengebrochen. Ich glaube, da sind wir noch Lichtjahre von entfernt. (...) Also ich weiß nicht, ob man jeden Teufel so öffentlich an die Wand malen muss. Aber da sind wir weit von entfernt. Im Moment ist es einfach so. Die Regularien heißen klipp und klar, ich habe das auch noch einmal angeschaut, auch vom Robert Koch-Institut. Wenn jemand aus dem medizinischen Bereich positiv getestet wird, also wenn er ein Fall ist, dann wird er isoliert. Das ist etwas anderes als Quarantäne für die Kontaktperson. Und das gilt erst mal ausnahmslos. Das heißt: jemand, der krank ist mit Covid19 oder positiv ist mit dem Virus, der hat in der medizinischen Versorgung nichts zu suchen. Und das zieht das Robert Koch-Institut auch so.



Camillo Schumann



Papier ist geduldig. Da steht es auch schwarz auf weiß. Nur häufen sich die Zuschauerreaktionen sowohl per Mail als auch auf unserem Anrufbeantworter, die genau das schildern. Dass positiv getestetes medizinisches Personal eingesetzt wird. Also nicht im absoluten Notfall so wie es da auch steht. Ich zitiere: In absoluten Ausnahmefällen ist die Versorgung NUR – großgeschrieben von Covid19-Patientinnen und -Patienten denkbar. Also Corona-positive Pflegerinnen und Pfleger behandeln Covid19Patienten. Das wäre der absolute worst case, wo diese Positiven auch tatsächlich eingesetzt werden, wenn ich das richtig verstanden habe. Und da wäre es dann o.k.?



Alexander Kekulé


Wenn wir in so einer Situation wären. Da bin ich schon wieder bei der Pest. Da war das auch


so. Da hat man Pest-kranke Ärzte genommen, um die Pestkranken zu behandeln. Also das ist so was. Ich kann es nur noch einmal sagen. Ich bin immer dafür, dass Experten in irgendwelchen Krisenstäben auch die Super-GAUSzenarien diskutieren, damit man für diesen Fall einen Plan auf dem Tisch hat. Aber wir haben es in Deutschland nicht einmal geschafft, für die Stufe eins der ganzen Gaus, die es da so gibt von vielleicht einem zehnstufigen Szenario ... die richtig zu managen. Und da sollten wir uns erst einmal darauf konzentrieren, dass man die einfachen Hausaufgaben macht. Dazu gehört eben insbesondere Patienten zu schützen, Ausbrüche im Krankenhaus zu verhindern. Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht, muss man sagen. Wir sind in Deutschland in der Lage, dass wir, anders als in den Ländern um uns herum, tatsächlich im Moment keine Ausbrüche mehr in Krankenhäusern zu haben. Das war ja mal ganz anders. Und weltweit ist es so, dass medizinisches Personal auf den Todesstatistiken überall ganz oben steht (...). Und das ist in Deutschland eben nicht so. Und darum finde ich, das ist eine Leistung. Und das müssen wir aufrechterhalten, dass wir im medizinischen Bereich keine Ausbrüche beim Personal bekommen. Und dass wir natürlich, und das ist die Aufgabe, die noch abzuhaken ist, die Altenund Pflegeheim

Alexander Kekulée sichern.



Camillo Schumann



Jetzt frage ich noch einmal den Virologen und Epidemiologen ganz konkret. Wenn die Hinweise unserer Hörer zu hundert Prozent stimmen, dass es zunehmend vorkommt, dass Pflegerinnen und Pfleger, auch Rettungssanitäter, die positiv getestet sind, wieder in ihrer Arbeit eingesetzt werden. Was würde das bedeuten, wenn das tatsächlich gängige Praxis wäre?



Alexander Kekulé


Da hätten Leute dieses zugegeben etwas schwierig verklausuliert formulierte Papier des Robert Koch-Instituts meines Erachtens falsch interpretiert. Das ist eben das Problem. Bundesinstitute geben eine Empfehlung. Und die wollen dann auch niemanden vor den Kopf stoßen. Darum haben die immer so Nebensätze, wo dann drinnen steht: Im Einzelfall darf das Gesundheitsamt eigene Entscheidungen


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treffen. Aber ich kann nur sagen, es widerspricht absolut dem gesunden Menschenverstand. Leute, die besondere Risikopersonen sind (müssen geschützt werden). Und das gilt doch immer für die Insassen von Altenund Pflegeheim

Alexander Kekuléen. Und es gilt immer für Patienten, die im Krankenhaus stationär sind. Das sind immer Risikopersonen. Da weiter zu differenzieren, das würde das System völlig überfordern. Und deren Behandlung kann meines Erachtens nur durch Menschen erfolgen, die gesichert Covid19 negativ sind, Sars-CoV-2  negativ sind. Die Ausnahme im Extremfall (wäre), wenn man so viele Patienten hat, dass es sich lohnt, infiziertes Personal für die Behandlung einzusetzen. Aber das ist der Fall, den wir noch nicht haben. Wo ich einfach davon ausgehe, dass wir das in Deutschland nicht erreichen werden.



Camillo Schumann



Wir werden an der Sache dran bleiben. Vielleicht werden sich die Zuschriften ja noch weiter häufen. Und vielleicht gibt es ja dann auch anderweitige Reaktionen. Wir werden im Podcast hier dranbleiben an diesem Thema.


Wir wollen das Thema verlassen und machen noch einen kleinen Sprung zurück. Von einem möglichen Lockdown light, ich habe es ja schon gesagt, sollen die Schulen möglicherweise nicht betroffen sein. Da wird mit Masken, Abstand gehalten und mit mehr KlassenSeparierung alles getan, um die Infektionsgefahr zu minimieren. Dazu gehört auch das regelmäßige Lüften im Herbst und im Winter. Da sitzen die Kinder dann mit dicker Jacke oder mit dicken Pulli im Unterricht. Es wird ziemlich kalt und frisch. Es gibt eine wenn auch sehr, sehr teure Möglichkeit, die Luft im Klassenraum auch ohne Lüften virenfrei zu bekommen mit sogenannten Hepa-Filtern. Herr Kekulé, wir haben es ab und zu schon mal kurz thematisiert. Wie genau funktionieren die eigentlich?


35:47



Alexander Kekulé


Das sind diese sogenannten Luftreiniger. Da gibt es verschiedene Methoden, entweder mit einem Filter drinnen. Manche haben auch eine UV-Lampe drinnen, die die Viren abtöten kann oder Bakterien. Auch das ist so ein Gerät, das


steht irgendwo im Raum. Es ist ungefähr so groß wie ein Stuhl und surrt mehr oder minder leise vor sich hin. Es saugt Luft an, filtert einen großen Teil der Krankheitserreger raus und bläst sie auf der anderen Seite wieder raus. Das sind Geräte, die man kaufen kann. Kosten so 400 Euro. Die sind natürlich im Moment ausverkauft, weil ganz viele schon daran glauben, dass die funktionieren könnten.



Camillo Schumann



Und es gibt eine Studie der Uni Frankfurt, die die Wirkung von Hepa-Filteranlagen speziell in Klassenzimmern getestet hat. Und die Ergebnisse, die sind, wie ich finde, sehr eindrucksvoll. Finden Sie auch?



Alexander Kekulé


Ja, also ich glaube nach der Studie, dass das funktionieren kann. Tatsächlich. Die Studie hat Schwächen. Es ist wieder ein sogenanntes Preprint. Wir reden ja meistens über Dinge, die noch nicht von Fachleuten gegengeprüft wurden. Das ist aber im Prinzip so. Man hat solche Geräte aufgestellt in einem normalen Klassenzimmer ... Das war 50 Quadratmeter groß, in Wiesbaden an einer Schule. Das ist übrigens die Standardgröße, die man auch vorsieht. 50 Quadratmeter, 2 5 Schüler, 3-Meter Raumhöhe ist der Standard für Schulen. Hier ist der Raum 3,6 Meter hoch. Also bisschen größer. Aber jetzt hat man Folgendes gemacht. Jetzt hat man da vier solcher Luftreiniger reingestellt. Also diese Dinge, wo man im Büro vielleicht mal einen stehen hat. Da hat man vier in den Raum gestellt und die auf einer relativ hohen Leistungen laufen lassen. Die haben dann auch ganz gut Lärm produziert. Und dann hat man gesagt: okay, nach der Nennleistung des Herstellers machen die ungefähr alle vier zusammen tausend Kubikmeter Luft pro Stunde, die sie durchreinigen. Tausend Kubikmeter. Das hat man auf das Gesamtvolumen des Raums umgerechnet. Da hat man gesagt: das macht ungefähr 5,5 komplette Luftwechsel pro Stunde. An der Stelle habe ich ein bisschen Bauchweh, weil Sie wissen ja nicht, ob diese Luftreiniger wirklich die ganze Luft durchgezogen haben oder ob die teilweise so eine Art Luft mehrmals durchgezogen haben, weil das einfach nicht optimal durchmischt war. Also einfach zu sagen, das sind 5,5 komplette Luft-


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wechsel, bloß weil jedes Gerät so eine Leistung hat. Das ist schon mal ein Fragezeichen dran. Es wurde auch nur an 2 Punkten des Raums gemessen, sodass man jetzt nicht ganz sicher sagen kann, ob jetzt wirklich überall die Luft in dieser Weise entkeimt wurde. Aber es ist tatsächlich so, dass die da, wo man es gemessen hat, die Infektionsdosis ungefähr auf ein Sechstel reduziert wurde durch diese vier Geräte. Also ein hypothetischer Superspreader. Der würde dann nur noch ein Sechstel so viele Leute anstecken. Jetzt nehme ich mal so eine Klasse mit sagen wir mal 2 5 Schülern. Da wären vielleicht theoretisch von denen zehn angesteckt. Dann würde er nur noch ein bis 2 anstecken, so in der Größenordnung vielleicht.


Das ist sicherlich, wenn man das Geld hat, wenn man sich so viele Geräte reinstellen will. Und wenn man die Fenster nicht aufmachen kann, was ja oft der Fall ist. Dann ist das eine Option. Aber praktisch gesehen weiß ich nicht, wie viele Schulen das Geld haben.



Camillo Schumann



Keine, wenn Wlan noch nicht mal möglich ist, das wird es nicht für Hepa-Filter vorhanden sein. Dann wird es sicher an einer HepaFilteranlage scheitern. Aber nichtsdestotrotz ist es ja schön, dass es mal in der Theorie durchdekliniert wurde. Dass es theoretisch möglich wäre, Luft zu tauschen, Viren zu waschen, herauszuwaschen, wenn man so will oder rauszufiltern. Aber anwendbar ist das wahrscheinlich nicht.



Alexander Kekulé


Wir hatten ja die Problematik schon mal diskutiert in einem früheren Podcast. Es ist immer das Problem bei diesen Filtern. An sich funktionieren die ganz gut. Was da wirklich reinkommt, wird auch halbwegs für diesen Zweck hier ausreichend gereinigt. Die Frage ist nur, wie viel Prozent der gesamten Luft kriege ich in welcher Zeit ausgetauscht. Und das ist auf jeden Fall das Problem, wenn man sich so ein Gerät in so einen Raum reinstellt. So ein Gerät ist vom Hersteller für 80 Quadratmeter-Räume angesagt gewesen. Die haben jetzt vier solche Geräte für 50 Quadratmeter reingestellt. Und das heißt also quasi achtfach mehr aufgestellt, als überhaupt von der Nennleistung erforder-


lich ist. Dann kriegt man natürlich sage ich mal, halbwegs effizient die Luft durchgewaschen. Ich weiß nicht, ob das in der Praxis überall möglich ist, so einen Aufwand zu betreiben.



Camillo Schumann



Dann lieber das Fenster auf. Wir kommen zu den Hörer-Fragen. Die Parole, die Politik und die Experten, Sie eingeschlossen, ausgerufen haben lautet: auf jeden Einzelnen kommt es an im Verlauf der Pandemie. Die Frage ist nur, was kann jeder Einzelne tun? Diese Dame hat angerufen.


40:32 


Zuhörerin


Wenn es jetzt heißt, dass quasi die Verantwortung beim Einzelnen liegt im Umgang – da würde ich gern durchgespielt haben: der Gebrauch der Maske. Wie oft wechseln? Wie oft ... Gerade für jemanden, der sich wegen der Gesundheit nicht infizieren sollte. Der sollte mit FFP2 -Maske rausgehen. Kann man mal an einem Tag durchspielen, wie so ein Tag verlaufen müsste. Also ich gehe raus, muss einkaufen, muss zur Post gehen, gehe ins Auto zurück, habe einen Termin auf der Bank und so weiter.



Camillo Schumann



Einen Tagesablauf durchspielen ist gar nicht so einfach. Aber die Beispiele der Dame sprechen ja sehr viele an und sind wahrscheinlich sehr, sehr leicht zu beantworten.



Alexander Kekulé


Das kann man schon ein bisschen sagen. Also, wenn man aus dem Haus geht, ist es schon mal so, dass man keine Maske braucht auf der Straße. Der Meinung, bin ich ja schon sehr, sehr lange. Inzwischen gibt es tatsächlich Leute, die so etwas fordern. Dann ist es so, wenn man als normale Person, die jetzt kein besonders hohes Risiko hat, ich sage mal, eine Person, die unter 70 Jahre alt ist und keine schwerste Grunderkrankung hat. Da würde ich sagen, kann man bedenkenlos in die Bäckerei, in einen Supermarkt oder Ähnliches gehen mit einem ganz normalen Mund-Nasen-Schutz. Den würde man sich vorher aufsetzen und beim Verlassen wieder absetzen. Wenn man dort vorsichtig sein will und besonders viele


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Sachen angefasst hat, die Griffe von diesen Wägelchen und sonst irgendetwas, dann würde ich sagen, kann man mit einer Flasche Desinfektionsmittel, die man vielleicht dabei hat, wenn man rauskommt, sich die Hände kurz desinfizieren. Das ist aber schon fast leicht übertrieben. Aber wenn man es perfekt machen will, kann man das machen.


Jemand, der selber zu einer Risikogruppe gehört also kann ich ja offen sagen. Meine Mutter zum Beispiel, die entsprechend älter ist, die hat für den gleichen Zweck eine FFP2 -Maske, weil ich finde, da sollte man doch das Risiko gegen Null reduzieren. Und das andere ist, wenn jetzt der Laden richtig voll ist. Das gibt es ja auch mal. Also ich persönlich meide Zeiten, wo solche Geschäfte voll sind. Aber manche können es ja nicht vermeiden. Wenn man da rein muss, dann würde ich sagen, ist es auch für jemanden, der kein besonderes Risiko hat, kein Fehler, eine FFP2 -Maske aufzusetzen. Wenn man halt sagt, ich will diese Gefährdung möglichst weitgehend ausschließen.


Das Gleiche gilt für Straßenbahnen, Busse und so weiter. Wenn die weitgehend leer sind, reicht sicherlich ein normaler Mund-NasenSchutz in der Zeit, wo man drinnen ist. Ob das jetzt ein OP-Schutz ist oder so eine selbstgemachte. Wichtig ist, dass die einfach zu ist, dass die Nase mit drinnen ist. Das funktioniert. Da würde ich auch wieder sagen, Risikopersonen lieber eine FFP2 -Maske aufsetzen. Zum normalen Alltag gehört natürlich das Fliegen nicht unbedingt dazu. Und auch das Fahren mit der Bahn über lange Strecken nicht. Aber ich sage es trotzdem an der Stelle: ich bin der Meinung, wenn jemand mehrere Stunden in einem geschlossenen Raum mit vielen anderen Leuten sitzt sei es im Zug oder sei es im Flugzeug der sollte sich definitiv in der jetzigen Lage eine FFP2 -Maske aufsetzen. Das würde ich tatsächlich sagen. Das gilt für alle, nicht nur für Risikopersonen. Wir haben jetzt so einen Infektionsdruck durch die hohen Fallzahlen, dass ich meine, dass das Risiko damit doch richtig angegangen wird. Und vielmehr ist es nicht. War sonst noch etwas?



Camillo Schumann



Und reicht es, wenn ich morgens aus dem Haus gehe und mir eine FFP2 -Maske oder einen Mund-Nasen-Schutz in die Gesäßtasche stecke? Oder soll ich 2 mitnehmen?



Alexander Kekulé


Nein, eine reicht auf jeden Fall. Außer Sie verlieren die ständig. Das kann man relativ entspannt nehmen. Die kann man so lange benutzen, bis sie irgendwie unappetitlich werden. Meistens merkt man dann schon, wenn das nicht mehr so ist, dass man die gerne aufsetzt. Fussel im Mund und sonst was. Bei den FFPMasken merkt man, dass sie ihr Leben ausgehaucht haben, wenn sie nicht mehr zu gebrauchen sind. Dann kann man nicht mehr atmen. Der Luftwiderstand wird im Lauf der Zeit immer höher. Und irgendwann geht es dann einfach nicht mehr so richtig. Natürlich muss man bei beiden Masken immer darauf achten, dass die vernünftig sitzen. Das ist ja klar. Leider müssen sich FFP-Masken-Träger, wenn sie einen Vollbart haben, rein theoretisch den abrasieren. Ganz hartes, heißes Thema. Schwierig für ältere Herren, die auf ihren Bart stolz sind. Aber so eine Maske ist nicht dicht an der Seite vom Bart. Wer den Bart anbehalten, will, dem würde ich eher raten, dass er die rush hours in den Einkaufsläden doch eher meidet. Dass er danach hingeht.



Camillo Schumann



Style geht vor.



Alexander Kekulé


Ich versteh das vollkommen. Es gibt ja auch religiöse Gründe, den Bart anzulassen. Für manche Menschen, das würde ich sagen. Wenn es wichtig ist, muss man vermeiden, dass man irgendwo gedrängt mit anderen Leuten zusammen in einem Raum gestopft wird.



Camillo Schumann



Herr M. aus Ingolstadt hat uns eine Mail geschrieben. Er macht sich Gedanken um die Gefährlichkeit der Impfstoffe. Er schreibt: Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, bis jetzt haben Sie in dem Podcast über die Nebenwirkungen einer Impfung entweder gleich nach der Gabe der Impfung oder Stunden bzw. Tage danach gesprochen. Gibt es aber auch schon Neben-


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wirkungen bzw. Impfschäden, die erst Monate bzw. Jahre danach sichtbar bzw. bemerkbar werden? Wenn sich Milliarden Menschen in sehr kurzer Zeit impfen lassen und erst Monate oder Jahre später ein bestimmter Prozentsatz der Geimpften schwere Nebenwirkungen oder Schäden entwickeln. Das wäre doch eine Katastrophe. Viele Grüße.



Alexander Kekulé


Das Thema Nebenwirkungen im weitesten Sinne bei Impfungen ist natürlich heikel. Das ist klar. Aber da gibt's dicke Bücher darüber. Ich sag mal so ganz kurz: wir unterscheiden da zwischen der Impfreaktion. Das ist das, was passiert durch den Einstich und was zum Teil auch gewollt ist. Dass das Gewebe gereizt wird. Das heißt das Immunsystem kommt in Schwung und arbeitet dann hoffentlich an der Produktion von Antikörpern und Ähnlichem. Diese Impfreaktionen sind eben Schwellung, Schmerzen, Rötungen an der Einstichstelle, vielleicht aber auch zusätzlich allgemeines Unwohlgefühl, Schwächegefühl oder Ähnliches. Das ist in dem Sinne keine Nebenwirkung. Und dann gibt es eben echte Impfschäden. Das wären so Dinge, wo man was anderes hat. Zum Beispiel Nervenerkrankungen kommen da manchmal vor, weil bei bestimmten Impfstoffen, aus Gründen, die wir noch nicht so ganz genau verstehen, das Immunsystem anfängt, die eigenen Nerven anzugreifen und solche Dinge. Da ist eigentlich bekannt, dass die relativ zeitnah auftreten. Wir haben ja schon so viele Impfstoffe. Impfung ist ja seit Edward Jenner und der Pockenimpfung aus dem 18. Jahrhundert bekannt. Und seitdem hat man im Grunde genommen verschiedene Impfstoffe immer weiterentwickelt. Man weiß letztlich, nach welcher Zeit Probleme auftreten. Solche echten Dauerprobleme. Da kann man sagen, wenn nach einem Jahr nichts kommt, dann war es das. Für diese richtigen Langzeiteffekte, die der Hörer so im Auge hat, gibt es 2 Varianten. Das eine ist, dass die so genannten Verstärkersubstanzen, Adjuvanzien, die dabei sind bei manchen Impfstoffen, dass die Langzeitschäden machen. Da ist zum Beispiel Aluminium mit drin und solche Dinge, wo dann immer diskutiert wird: Wie ist das, wenn man das jahrelang im Körper hat und vielleicht auch von vielen Impfungen? Da gibt es viele


Untersuchungen dazu. Aber im Grunde genommen nichts, was so stark gegen die Adjuvanzien sprechen würde, dass man sagt, man soll das nicht mehr machen. Das andere sind indirekte Effekte. Wir wissen natürlich nicht, wenn wir heute zum Beispiel gegen Covid-19 impfen, ob nicht in fünf Jahren vielleicht ein ähnliches Virus kommt, rein theoretisch. Wo die Antikörper, die wir bei der Impfung entwickelt haben, bei der Zweitinfektion mit diesem anderen Virus vielleicht schädlich sind. Das gibt es durchaus. Das nennt man Immunverstärkung, immun enhancement. Dass manchmal Antikörper, die schon da sind, für so ein ähnliches Virus gar nicht so günstig sind. Aber das ist sehr, sehr spekulativ. Und da wir ja hier gerade eine Pandemie haben, die wir bekämpfen müssen und wirklich ein gefährliches Virus vor uns haben. Da sollte man, glaube ich, nicht bei der heutigen Impfung so rein hypothetische Risiken bei späteren Viren mit berücksichtigen. Das wäre das Einzige, was man sich noch so als Langzeiteffekt vorstellen könnte.



Camillo Schumann



Und damit sind wir wieder am Ende, diesmal von Ausgabe 112 . Die treuen Hörer und Hörerinnen dieses Podcasts wissen, es gab mal eine Zeit lang die positive Nachricht zum Schluss. Die ist uns dann aber ein bisschen abhanden gekommen.



Alexander Kekulé


Doch, ich habe positive Nachrichten. Aber um ganz ehrlich zu sein, die sind im privaten Bereich, dass ich immer denke, die will keiner hören.



Camillo Schumann



Das stimmt. Nun wollen wir an dieser Stelle immer einmal pro Woche ein CoronaFundstück präsentieren. Wir haben jetzt noch keinen richtigen Namen für diese Rubrik. Vielleicht haben Sie, liebe Hörer und Hörerinnen, eine Idee. Schreiben Sie uns. Es soll um Meldungen rund um Corona gehen, bei denen man sich, ich sag mal, verwundert die Augen reibt. Habe ich das so gut zusammengefasst?



Alexander Kekulé


Ja, bestimmt, sehr gut. Oder wo man sich den Kopf kratzt.


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Camillo Schumann



Genau. Der Anlass dieses Mal ist die Verwaltung in Berlin. Seit Samstag gilt in zehn Berliner Einkaufsstraßen Maskenpflicht. So weit, so möglicherweise sinnvoll. In der Bergmannstraße gilt die Maskenpflicht aber auch für Radfahrer. Und diese Maskenpflicht für Radfahrer wurde am Samstag von der Polizei auch kontrolliert. Da gab es auch ein Video, das im Netz viral gegangen ist. Wer keine Maske trug, der wurde angehalten und gebeten, sich eine aufzusetzen. Herr Kekulé, warum ist das Ihr Corona-Fundstück der Woche?



Alexander Kekulé


Das ist natürlich völlig absurd. Ich habe mir das Video angesehen. Das waren vereinzelte Fahrradfahrer, die wirklich allein auf der Straße waren. Da gab es sonst vielleicht noch ein paar Autos. Und die Wahrscheinlichkeit, sich da während der Fahrt anzustecken, ist so dermaßen null. Ich würde sogar sagen, wenn man von so einem Polizisten zum Anhalten genötigt wird. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir vielleicht bei der Interaktion mit dem Polizisten doch was abkriegen. Aber sonst ist diese Maßnahme aus folgendem Grund massiv, Spaß beiseite, kontraproduktiv. Die Menschen verstehen alle. Das sieht man den Gesichtern der angehaltenen Radfahrer interessanterweise an. Die verstehen alle, dass das jetzt totaler Unsinn ist. Und die denken sich: Jetzt sind die völlig durchgeknallt. Und die setzen trotzdem die Maske auf, weil sie natürlich sich nicht mit der Staatsgewalt anlegen wollen. So macht sich der Staat, der das Gewaltmonopol bei uns hat, unglaubwürdig. Das ist, wenn man das pädagogisch sieht, das Schlimmste, was man machen kann. Auf die Weise sozusagen das Vertrauen der Bürger zu verlieren. Zumal es ja eine Zwangsmaßnahme ist. Also ich glaube, da ist dem einen oder anderen schon das Messer in der Tasche aufgegangen. Das halte ich für ganz, ganz schlecht. Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir das Vertrauen der Bürger in den Staat, an dieser Stelle nicht durch sinnlose Maßnahmen verspielen.



Camillo Schumann



Wenn Sie auch ein Corona-Fundstück haben. Oder wenn Sie eine viel bessere Idee haben,


wie man diese Rubrik nennen kann, dann schreiben Sie uns. Die E-Mail Adresse gibt es gleich. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns kostenlos an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast


- auf MDR-Aktuell.de, - in der ARD Audiothek, - bei YouTube - und überall wo es Podcasts gibt.


Wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf MDR-Aktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 2 2 . September 2 02 0


#111: Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator Stefanie Markert, Moderatorin MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Stefanie Markert:


Er ist einer der erfolgreichsten Podcast Deutschlands: Kekulés Corona-Kompass von MDR Aktuell mit Professor 

Alexander Kekulé. Ohne Unterbrechung seit dem 16. März 2 02 0 informiert der Virologe und Epidemiologe mehrmals in der Woche gemeinsam mit meinem Kollegen 

Camillo Schumann

 über die neuesten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und er beantwortet Ihre Fragen.


Nun macht Kekulés Corona-Kompass eine Pause.


Frage an 

Camillo Schumann

: Warum eigentlich?



Camillo Schumann

:


Sie haben den Grund eigentlich schon genannt: Seit dem 16. März haben wir ohne Unterbrechung in 110 Folgen alle Entwicklungen rund um das Coronavirus begleitet, eingeordnet, haben unzählige Studien gelesen, sie bewertet und Hörerfragen beantwortet. Das ist eine schöne, aufregende Arbeit, die auch ein bisschen kräftezehrend ist. Das muss ich zugeben. Wir hatten dann überlegt, ob wir durchziehen, haben uns dann aber gesagt, wir legen lieber eine kurze Pause ein, um dann im Herbst mit neuen Kräften und vielleicht auch mit einem neuen Blick auf die Corona-Situation bei uns und in der Welt zu schauen. Denn wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen weiter steigen. Wir werden aber mit der Situation anders umgehen müssen, aber auch können, als noch am Anfang des Jahres.


Stefanie Markert:


Ich habe es eingangs gesagt, dass „Kekulés Corona-Kompass“ zu den erfolgreichsten Po-


dcasts in Deutschland gehört. Haben Sie ein paar Zahlen für uns?



Camillo Schumann

:


Alle 110 Folgen wurden auf www.mdr.de in der ARD-Audiothek, bei Apple-Podcasts etc. fast 18 Millionen Mal abgerufen. Dazu kommen 850.000 Streams bei Spotify, rund 5 Millionen Abrufe bei YouTube. An dieser Stelle muss man wirklich mal ein ganz großes Dankeschön an alle Hörer dieses Podcasts aussprechen, egal ob in Deutschland, in den USA, in China, in Mexiko oder in Schweden. Wir haben weltweit Hörer, die uns regelmäßig schreiben, und ganz, ganz viele, die seit Folge 1 dabei sind. Also noch mal vielen Dank.


Stefanie Markert:


Was machen diese Hörer und Hörerinnen nun, wenn sie eine Frage haben?



Camillo Schumann

:


Dann können sie uns weiterhin sehr gerne schreiben oder anrufen. Natürlich mit dem Wissen, dass wir die Fragenden erst ein bisschen später beantworten können. Oder – kleiner Tipp – hören Sie doch einfach zum Beispiel in alle Spezialausgaben rein. Das sind Sondersendungen, in denen nur Fragen der Hörer beantwortet wurden. Zum Beispiel wurden Fragen geklärt wie: Wann sind die Coronaviren eigentlich auf den Menschen übergesprungen? Wie war das noch mal mit der Inkubationszeit, 3 oder 5 Tage? Sind Neuinfizierte möglicherweise nur falsch Positive? Welche Nebenwirkungen könnte es bei einem möglichen Impfstoff geben? Alle Spezialausgaben überall da, wo es Podcasts gibt.


Stefanie Markert:


Da bleibt die große Frage: Wie lange dauert denn die Pause?



Camillo Schumann

:


Das ist ganz einfach zu merken: Die Pause geht bis zum Ende der Sommerzeit. Konkret werden die Uhren am 2 5. Oktober umgestellt. Wir werden dann am Dienstag darauf, am 2 7. Oktober, wieder starten. Also wenn die Winterzeit beginnt, dann gibt es „Kekulés CoronaKompass“ auch wieder.


Stefanie Markert:


Vielen Dank an 

Camillo Schumann

. Er ist der Moderator von „Kekulés Corona-Kompass“. Der Podcast macht also Pause bis zum 2 7. Oktober.


Ihre Fragen können Sie aber weiterhin gerne stellen, und zwar schriftlich unter mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie an unter 0800 3002 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 19.09.2 02 0 #110: Hörerfragen SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Sind Genesene wirklich wieder gesund?  Stimmt es, dass der Mensch grundsätzlich


voller Viren ist?  SolltemaninbestimmtenSituationen


2 Masken übereinander tragen?


Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL. Die Fragen, die kommen von Ihnen und die Antworten von Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen. Sie macht sich Gedanken um Patienten, die wegen Covid-19 auf der Intensivstation gelandet sind und denen es nach der Behandlung noch nicht gut geht.


„Geht es den Patienten aufgrund der Nachwirkungen von Covid-19 so schlecht, oder weil er sich zusätzlich noch einen Krankenhauskeim geholt hat? Und wie kann man das überhaupt testen? Und ist es sinnvoll, überhaupt zu testen und zu differenzieren, warum es einen Patienten schlecht geht?“


Nachwirkung oder Krankenhauskeim?



Alexander Kekulé


Also ich würde davon ausgehen, dass in jedem halbwegs vernünftigen Krankenhaus die Ärzte merken, wenn ein Krankenhauskeim den Patienten befallen hat und ihn nicht einfach nach Hause lassen, ohne den zu therapieren. Das heißt, ich würde fast ausschließen, dass in einem deutschen Krankenhaus jemand einfach so entlassen wird und dann hinterher wirklich schwer krank wird, weil der Krankenhauskeim nicht bemerkt wurde. Das wäre eine extreme Ausnahme.


01:30



Camillo Schumann



Frau R. aus Chemnitz hat uns eine ziemlich lange Mail geschrieben. Die lese ich jetzt mal vor. Ihre Geschichte ist wirklich sehr, sehr interessant. Sie schreibt:


„Ende Januar 2 02 0 erkrankte ich für meine Verhältnisse recht heftig. Viele Personen in meinem Umkreis ebenfalls. Einige wurden auf Influenza getestet, aber niemand war Influenza positiv. Auch insgesamt war der Krankenstand zu dieser Zeit in Chemnitz ziemlich hoch. Damals dachte noch niemand an Corona. Den ersten offiziellen Fall gab es in Sachsen wohl erst im März. Ich wurde und werde von vielen belächelt, weil ich der Überzeugung bin, dass es damals bereits Covid-19-Symptome waren. Am 15. Juni ließ sich in einem Labor einen IgGAntikörpertest machen. Der war positiv. Drei weitere Personen im unmittelbaren Umfeld ließen sich ebenfalls testen. Deren Ergebnisse waren allerdings alle negativ. So stand es jedenfalls im Befund, obwohl der Wert nicht gleich Null war. Bei meinem Test wurde auch irgendwie noch weiter getestet. Was genau kann ich leider nicht sagen. Mein Wert 1,5 positiv. Die anderen Werte: 0,8; 0,5; 0,3 negativ. Kann das denn sein? Entweder man hat Antikörper oder nicht. Oder sehe ich das falsch?“


02 :39



Alexander Kekulé


Also dazu muss man 2 Sachen sagen. Erstens ist es so, dass tatsächlich bei diesen Tests es immer so einen cut-off gibt, wie wir das nennen. Also es gibt einen Grenzwert, über dem wird der Test als positiv dann ausgewertet. Das machen die Hersteller so, dass sie ganz viele positive und ganz viele negative Patien-


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tenproben nehmen und dann noch ein paar, die so an der Grenze sind. Und dann schaut man einfach ab welcher Schwelle typischerweise die positiven sicher erkannt werden. Es kann durchaus sein, dass jemand unter diese Grenze gerutscht ist, wenn er vor einigen Monaten – in dem Fall ist es wohl fünf Monate her ungefähr – wenn das schon einige Monate her ist, dass er diese Covid-19-Infektion hatte. Also ich würde aufgrund dieses Ergebnisses nicht ausschließen, dass die anderen auch Covid-19 damals hatten. Und wir wissen ja inzwischen, dass es einzelne Fälle, einzelne Eintragungen nach Europa durchaus schon Ende Januar gab.


03:36



Camillo Schumann



Und die Frau R. aus Chemnitz schreibt weiter:


„Man wundert sich, dass es im Osten so wenige Fälle gibt. Aber wenn man nicht richtig zählt, beziehungsweise die Möglichkeit nicht in Erwägung zieht, dass Corona schon viel, viel eher seine „Opfer“ fordert, ist das auch kein Wunder. Das wäre dann so ein bisschen deckungsgleich, nicht?“



Alexander Kekulé


Ja, das geht in die Richtung. Auf der anderen Seite muss man immer überlegen, was ist denn epidemiologisch relevant. Also epidemiologisch relevant ist, wenn man einen Ausbruch hat – viele Fälle. Ein Fall oder 2 oder wie in diesem Fall, wo sich ein paar Freunde gegenseitig angesteckt haben. Keiner ist auf die Intensivstation gekommen. Die Infektionskette hat sich selbst sozusagen totgelaufen. Das ist eine Situation, wo man jetzt epidemiologisch eigentlich keine kalten Füße bekommen muss. Ich bin sicher, dass so was ganz oft in Europa passiert ist. Da waren sich einzelne Reisende aus China am Anfang, aus Wuhan, irgendwelche Geschäftsreisenden, die haben vielleicht ein, 2 Leute infiziert. Und es ist da noch ein, 2 Generationen vielleicht weitergelaufen und war wieder vorbei. Bevor es diesen Initialzündungs-Effekt in Norditalien gab, war das eben ein Problem, was epidemiologisch nicht besonders relevant war. Das hätte man natürlich auch in den Griff bekommen können, damals. Ich kenne viele solche Beispiele von Leuten, die auch beim Skifahren waren, in Italien


oder in Österreich, und dann so ganz merkwürdige Krankheiten mitgebracht haben.


05:00



Camillo Schumann



Herr B. aus Kassel hat geschrieben:


„Meine Frage dreht sich um das eher selten betrachtende Thema Genesene, deren Zahl vom Robert Koch-Institut nur geschätzt wird (wie eigentlich?); Infizierte von vor 14 Tagen, die seither nicht hospitalisiert wurden oder gestorben sind. Und ist angesichts der immer häufiger berichteten und längst nicht vollkommen klaren Langzeitfolgen der Begriff genesen da nicht etwas irreführend? Wäre nicht mehr infektiös wissenschaftlich korrekter? Viele Grüße, Herr B. aus Kassel.“



Alexander Kekulé


Also, das ist richtig. Also, die Überlegungen sind alle richtig. Ist es so? Das Robert KochInstitut macht einfach eine Subtraktion. Die schauen sich an, nach einer gewissen Zeit, wer ist sozusagen nicht gestorben, und der gilt dann als genesen. Wie viele Menschen dort Langzeiteffekte haben oder vielleicht immer noch krank sind – es gibt ja durchaus auch Krankheit ohne Virusausscheidung – das ist etwas, was da überhaupt nicht erfasst wird. Epidemiologisch ist es wichtig, dass man diese sogenannten Genesenen erfasst und unterscheidet von denen, die infektiös sind, weil man daraus schätzen kann, wie der weitere Krankheitsverlauf ist. Wenn man insbesondere eine Vorhersage machen möchte, wie diese Kurve sich weiter verhält, ob es weiter nach oben oder nach unten geht, dann muss man eigentlich immer die Zahl der im Moment infektiösen Personen in der Population schätzen. Und dafür brauchen die quasi diesen Abzug der Genesenen. Das ist der einzige Grund, warum das gemacht wird. Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute jetzt wieder echt gesund werden oder nicht.


06:32 



Camillo Schumann



Herbert B. hat gemailt:


„Um mich mit Corona zu infizieren, bedarf es einer mehr oder minder bestimmten Menge an Viren, sei es über Aerosole beziehungsweise


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größere Tröpfchen. Wenn ich jedoch mir nur eine sehr geringe Anzahl an Coronaviren im Alltag einfange, welche unter der infektiösen Dosis bleibt, dann werde ich nicht erkranken. Aber mein Immunsystem baut doch dann bereits eine gewisse Immunität gegen das Virus auf. Und ich bin dann in Zukunft beim nächsten Viruskontakt geschützt? Das ist jetzt die Frage. Viele Grüße, Herr B..“


Er hat unseren vorletzten Podcast vom Dienstag nicht gehört, da haben wir es schon mal vertieft, aber gerne noch mal die Antwort.



Alexander Kekulé


Ja, es ist tatsächlich so, dass es die Theorie gibt, dass eine kleine Dosis von Virus immunisierend wirken könnte. Man muss nur sagen, aus aktuellem Stand ist natürlich die Frage, was man früher immer so infektiöse Dosis genannt hat? Das ist im Grunde genommen ein Konzept, was heutzutage nicht mehr so funktioniert. Weil, klar, man kann ganz wenig Viren nehmen, die funktionieren dann vielleicht nicht. Die führen nicht zu einer Infektion, vor allem, weil Viren die Eigenschaft haben, dass sie oft kaputt sind; die sind mutiert. Da sind ganz viele Partikel so, dass die eigentlich von vornherein nicht ansteckend sein können. Und deshalb braucht man eine gewisse Menge, damit eben die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass einer davon wenigstens funktioniert, also eine Infektion in Gang bringen kann. Und dann ist aber die Immunantwort ja durchaus mehrstufig. Also die allererste Stufe ist einfach, dass die Haut, auch die Schleimhaut, eine mechanische Barriere bildet. Da kommt das Virus nicht unbedingt rein, erstmal. Und wenn es irgendwo reinkommt, dann gibt es Substanzen, die schon in der Oberfläche drinnen sind, im Speichel zum Beispiel, die solche Viren inaktivieren oder zersetzen können. Die gehören dann zum Beispiel zum Komplementsystem des Organismus dazu. Wenn die aktiv werden, sofort, dann baut sich eigentlich in dem Sinn gar keine Immunität auf. Das Gleiche gilt, wenn so ein Virus auf der Schleimhaut sofort aus Versehen einem Antikörper in die Arme läuft. Da gibt es Antikörper, die noch da sind von anderen Infektionen, vielleicht andere CoronavirusInfektionen, die da auf der Schleimhaut sind. Das sind die sogenannten IgA-Antikörper. Und


wenn so ein Virus von dem gleich weggefangen wird, passiert auch immunologisch nichts. Sodass man jetzt sagen muss, nur wenn die es wirklich zu einer Infektion von einzelnen Zellen in der Schleimhaut kommt, also das Virus sich dann ein bisschen lokal vermehrt, nur dann springt die richtige Immunantwort an, und nur dann kommt es zu dieser Immunisierung. Oder andersherum gesagt: Nicht jeder Kontakt mit dem Virus, auch wenn er harmlos verlaufen ist, führt zur Immunität hinterher.



Camillo Schumann



Deswegen wäre so ein, was er dann auch noch fragt, so ein Antikörpertest, jetzt auch wenig aussagekräftig?



Alexander Kekulé


Also der Antikörpertest würde dann positiv werden, wenn er wirklich eine kleine Infektion hatte, die so war das zumindest in der Schleimhaut an der Stelle, wo das Virus zum ersten Mal eingetroffen ist, es zu einer Vermehrung des Virus gekommen ist. Und dann springt in mehreren Stufen eben die Immunantwort an. Und als Reaktion werden dann Antikörper gebildet, die man zumindest eine Zeitlang, ich sag mal mindestens 2 Monate lang oder so, im Blut nachweisen kann.


09:40



Camillo Schumann



Frau S. hat gemailt. Sie beschäftigt eine Frage seit der Demo am 2 9. August in Berlin. Sie schreibt:


„Da wurden am Rande der Demo Menschen interviewt, und eine Dame hat so ähnlich geantwortet: Ach, was soll das mit dem Virus? Ist doch alles nicht so schlimm. Unser ganzer Körper ist voll mit Viren.


Nun weiß ich, dass unser Körper mit Bakterien besiedelt ist und wir die auch brauchen. Aber es ist tatsächlich so, dass wir voll Viren sind. Vielen Dank für die Antwort. Bleiben Sie gesund, Frau S.“



Alexander Kekulé


Also bei den Bakterien ist es wirklich so. Wir haben also Kiloweise Bakterien dabei, sowohl im damals auch auf der Haut leben die. Und wir brauchen die, das ist richtig. Und massen-


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mäßig sind die Viren natürlich damit überhaupt nicht zu vergleichen, weil die ja viel, viel kleiner sind. Zahlenmäßig ist es sicherlich so, dass wir eine ganze Menge von Viren im Körper haben – vor allem deshalb, weil wir die genetische Information von Viren in unserem Genom haben, also in unserer Erbinformation. In der Zelle ist die genetische Information von Viren noch enthalten, die unsere Vorfahren vor Tausenden, Zehntausenden und Millionen von Jahren infiziert haben. Das heißt, ein Großteil unseres Genoms, der menschlichen Erbinformation, ist so eine Art Müll, der übrig geblieben ist von alten Virusinfekten. So gesehen stimmt es, dass wir auch ständig Virusreste in uns rumschleppen. Wir wissen auch – das ist so ein Konzept, was eigentlich gar nicht so alt ist – dass viele Virusinfektionen in dem Sinn gar nicht ausheilen. Man hat eine Weile gedacht, es sei so, dass man so ein Virus hat, so wie Masern oder so Kinderkrankheit. Und dann ist es vorbei. Das Virus ist weg, die Krankheit ist weg. Natürlich hat das Immunsystem das Virus besiegt, hat man gedacht, und das Virus ist verschwunden. Bis man solche Methoden hatte, die so superempfindlich sind, wie eben diese PCR, dass die einzelne Viruspartikel oder sogar Teile davon nachweisen können. Da ist es eben so, dass man gefunden hat: Hoppla, bei Menschen, die, die vor Jahrzehnten Masern hatten, ist das Virus immer noch in manchen Fällen vorhanden. Oder bei jemand, der eine Leberentzündung (Hepatitis) hatte, sind die Hepatitis-Viren noch in der Leber, obwohl der längst wieder gesund ist. Und deshalb glauben wir inzwischen, dass bei vielen Virusinfektionen eigentlich das Virus nur verschwunden ist. Dass es sich irgendwo versteckt im Körper und es wird vom Immunsystem in Schach gehalten und kann deshalb nicht mehr raus. Sodass es eine Art Balance gibt zwischen dem Virus, was da eingesperrt ist, und den Wachhunden, die draußen aufpassen, dass es nicht zu einem erneuten Ausbruch kommt. Das ist bei viel mehr Virusinfektionen der Fall, als wir früher gedacht haben. Das heißt vielleicht schleppen wir die einen oder anderen Viren, die zum Beispiel bei einer Impfung im Kindesalter uns beigebracht wurden, nach wie vor irgendwo mit und rum.


12 :2 7



Camillo Schumann



Also mit anderen Worten: Dieses Argument der Körper ist voller Viren, stimmt zum Teil. Und Frau S. wollte jetzt sicherlich wissen, ob dann diese Aussage auch stimmt, „naja, wir sind ja voller Viren“, wie diese Dame da bei dieser Demo in Berlin gesagt hat. „Deswegen ist das mit dem Coronavirus alles nicht so schlimm“. Also kann man diese Rechnung so aufmachen?



Alexander Kekulé


Nein, das sind ja lauter Viren, die sozusagen schon inaktiviert sind. Also die haben wir alle unter Kontrolle. Was man bei einer Neuinfektion vom Coronavirus nicht sagen kann. Das ist natürlich ein Riesenunterschied, ob man jetzt die Pfeile betrachtet, die hinter einem schon irgendwo danebengegangen sind oder einen neuen Pfeil, der gerade auf einen zufliegt. Der könnte dann durchaus noch mal treffen.


13:08



Camillo Schumann



Frau S. möchte anonym bleiben. Sie hat geschrieben:


„Ich arbeite in einer Zahnarztpraxis in Bayern, die sich aktuell in einem Corona-Hotspot befindet. Seit ungefähr Mai läuft wieder alles soweit normal mit Lüften, wenig Leuten im Wartezimmer et cetera. Wir führen auch wieder professionelle Zahnreinigung durch. Dazu meine Frage: Bei dieser Behandlung wird normalerweise ein sogenanntes Airflow-Gerät verwendet. Das ist so ein Pulver-Wasser-Gerät, das sozusagen wie ein Sandstrahler funktioniert. Dabei werden natürlich extreme Aerosole freigesetzt, die eigentlich fast bei allen Behandlungen bei uns, die mit Wasser führenden Geräten ausgeführt werden, da sind. Reichen da eine FFP2 -Maske und Schild oder sollten wir lieber auf eine FFP3-Maske umsteigen? Eine mit Ventil ist wahrscheinlich nicht so geeignet, weil wir dann damit den Patienten wieder alles ins Gesicht pusten. Ich habe auch schon von Bekannten gehört, die ebenfalls beim Zahnarzt arbeiten, dass die auf der FFP3-Maske noch einen normalen, einfachen Mundschutz davor tragen, um die FFP3-Maske zu schützen. Macht das Sinn? Viele Grüße.“


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Alexander Kekulé


Also, erstens, das Airflow-Gerät ist tatsächlich riskant. Das weiß man von anderen Infektionskrankheiten. Da hat es auch bei anderen Viruskrankheiten Ausbrüche in Zahnarztpraxen gegeben. Darum wissen die Zahnärzte normalerweise, zumindest in Deutschland, sehr viel über Hygiene und Mikrobiologie Bescheid. Weil man diese Risiken kennt. Der Unterschied zwischen FFP2  und FFP3 ist wirklich minimal. Also da würde ich sagen das Wichtigste ist, dass die dicht sitzt und dass sie vernünftig getragen wird und konsequent getragen wird. Ob das dann eine FFP2  oder FFP3 ist, finde ich persönlich jetzt nicht so wichtig. Klar, wenn man beides in der Schublade hat, würde man wahrscheinlich eher zur FFP3 greifen in so einer Situation, vor allem dann, wenn man vielleicht vermutet, dass der Patient positiv sein könnte. Das ist ja noch die Frage. Ist es sinnvoll, ein Ausatemventil zu haben? Ich persönlich finde diese Ausatemventile angenehm, muss ich sagen. Wenn man längere Zeit arbeitet und körperlich angestrengt arbeitet, dann ist es einfach ein Unterschied, ob man ein Ausatemventil hat oder nicht – ob man die Ausatemluft quasi konsequent immer aus der Maske rausblasen muss. Das müssen natürlich die Mitarbeiter der Zahnarztpraxis dann selber entscheiden, wie das bei Ihnen funktioniert. Eine Alternative zu dem, was dort gemacht wird, wäre ja, dass man Masken mit Ventil nimmt, vielleicht sogar FFP3 mit Ventil. Und dass man zusätzlich die Mitarbeiter einmal die Woche testet. Dann ist die Gefahr, dass die Patienten infiziert werden, wirklich extrem gering. Und wenn sich Mitarbeiter in Arztpraxen hoffentlich dann auch halbwegs vernünftig verhalten. Dann kann man das durchaus verantworten, dass die ein Ausatemventil haben.



Camillo Schumann



Aber so einfach einen Mundschutz noch über die FFP3 Maske zu stülpen wäre dann ein bisschen zu früh zu übervorsichtig?



Alexander Kekulé


Naja, ich habe nicht den Eindruck, dass das sozusagen als weitere Sicherheitsstufe dort gemacht wird. Sondern, es ist ja in der Tat so, dass diese Masken schnell schmutzig werden durch die Aerosole, dieser Nebel aus dem aus


dem Airflow-Gerät, der da manchmal im Raum steht. Ich schätze, das hat mehr den Grund, dass man die FFP2 -Maske schützen will und nicht, dass man einen zusätzlichen Schutz einziehen will. Sonst hätte das keinen Sinn. Also, ich kenne ehrlich gesagt nur eine Situation, vielleicht kann ich das an der Stelle sagen, wo es sinnvoll ist, tatsächlich einen Mundschutz über eine FFP2 oder FFP3-Maske drüber zu ziehen. Sie dürfen einmal raten, welche das sein kann.



Camillo Schumann



Keine Ahnung, tut mir leid.



Alexander Kekulé


Da kommen Sie nie drauf. Wenn Sie heutzutage mit dem Flugzeug und haben ein Ausatemventil, dann sagt die Stewardess – das ist neuerdings bei der Lufthansa auch so, aber American Airlines hat das, glaube ich, zuerst eingeführt – dann sagt die Stewardess: Ausatemventil geht bei uns nicht, Sie brauchen einen Mundschutz. Und sie gibt Ihnen einen normalen Mundschutz in die Hand. Dann müssen Sie Ihre Luxus-Maske ablegen. Und in dieser Situation wäre es möglich, über die Maske mit Ausatemventil den Mundschutz drüber zu ziehen. Dann ist das Personal glücklich, und Sie haben Ihren erhöhten Schutz, den Sie den Sie auch haben wollen, wenn Sie diesen Podcast regelmäßig hören.



Camillo Schumann



Und noch eine Zahnarzt-Frage, die kommt von dieser Dame:


„Hallo, ich habe eine Frage. Ich vermeide ja im Herbst jetzt zum Zahnarzt zu gehen, wenn jetzt die Corona-Zahlen wieder so ansteigen. Aber ich weiß, dass mein Zahnarzt drei Wochen im Urlaub ist. Falls ich zum Zahnarzt müssen, würden Sie das für unangemessen halten, wenn ich ihn ganz direkt frage, wo er im Urlaub war und ob er sich und die Mitarbeitenden getestet hat? Oder finden Sie, dass das einfach zu weit geht? Das würde ich mich einfach mal interessieren, weil ich von einer Zahnarztpraxis weiß, dass die Mitarbeitenden nicht getestet sind.“


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Tja, wenn jetzt ein Patient zu ihnen kommt, Herr Kekulé, und fragt: Wo waren Sie im Urlaub?



Alexander Kekulé


Ich würde das immer sagen. Also ich finde, Ärzte sollen mit ihren Patienten ein offenes Verhältnis haben. Und da würde ich jetzt nicht um den heißen Brei reden, sondern einfach fragen. Das kann man ja höflich und geschickt machen. Reden Sie sich auf diesen Podcast raus, sagen sie: „Der Kekulé macht mir so viel Angst vor dem Virus. Jetzt wollte ich doch mal fragen an dieser Stelle“. Das, glaube ich, wird Ihnen kein Arzt übelnehmen.



Camillo Schumann



Eine Dame hat geschrieben, die möchte anonym bleiben, hat folgende Frage:


„Ich bin Risikopatientin, NTX 2 019, also Nierentransplantation letztes Jahr. Und ich habe jetzt einen Minijob als Taxi-Begleitung für Kindergartenkinder angenommen, sitze dort im vollbesetzten Bulli mit einer FFP3-Maske, lüfte den Bulli immer da, wo es geht. Die gesamte Fahrtzeit beträgt, wenn das letzte Kind abgeholt wird circa zehn Minuten im vollbesetzten Bus. Kann ich dieses Risiko eingehen? Viele Grüße.“


19:02 



Alexander Kekulé


Ja, das würde ich eingehen. Das ist eines der Restrisiken, die man im Leben immer hat. Ich finde in einem geschlossenen Raum mit Kindern zusammen, die wahrscheinlich dann keine Maske aufhaben, ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich selber zu schützen. Ganz klar und da würde ich Risikopersonen immer empfehlen, eine FFP2 oder FFP3-Maske aufzusetzen. Und wenn die Dame das hier macht, und das auch insbesondere dann richtig sitzt – das ist immer ganz wichtig, dass die Maske dicht ist – dann bestehen da aus meiner Sicht keine Bedenken. Wenn wir anfangen würden, an der Stelle noch Restrisiken sozusagen auch noch zu vermeiden, dann kämen wir den Bereich, wo wir keine Lehrer mehr in die Schule schicken können, wo wir fragen müssen, ob Krankenschwestern einen Beruf haben, der zu gefährlich ist, der nicht mehr zumutbar ist und so weiter und so weiter. Virologen dürften auch nicht mehr


arbeiten. Also es gibt ein gewisses Restrisiko, das hat man einfach im Leben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Verkehrsunfall ums Leben kommt, ist auch nicht gerade null. Sodass ich sagen würde, irgendwo muss man dann aufhören mit der Risikovermeidung.


2 0:03



Camillo Schumann



Frau R. aus Wiesbaden hat geschrieben:


„Ich habe in diesem Sommer eine Hyposensibilisierung begonnen. Vor und nach jeder Spritze wird bei mir eine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dafür muss ich mehrfach tief über ein Mundstück und einen Schlauch an eine Maschine einund ausatmen. Das Mundstück wird zwar bei jedem Patienten erneuert, der Schlauch aber nicht. Ich frage mich, ob ich mich über diese Lungenfunktionsprüfung mit Corona anstecken kann. Von jedem Patienten verbleiben sicherlich Aerosole, Tröpfchen, gegebenenfalls mit Viren im Schlauch beziehungsweise im Gerät. Die Lungenfunktionsprüfungen werden in dieser Praxis wie am Fließband durchgeführt. Wie schätzen Sie dieses Risiko ein? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Darüber haben sich natürlich schon viele Leute Gedanken gemacht, weil das häufig Asthmatiker sind, die so eine „LuFu“ machen müssen und deshalb sind die Geräte, wenn sie richtig bedient und gewartet werden, sicher. Das ist ganz klar, weil, es gibt ja ganz viele Infektionskrankheiten, die über die Atemwege übertragen werden. Stellen Sie sich vor, man holt sich da die Masern oder die Influenza oder Ähnliches. Das ist, wenn das richtig vernünftig gemacht wird, ist das Gerät sicher. Aber ich würde der Patientin empfehlen, sich von dem technischen Assistenten oder der technischen Assistentin, die dieses Gerät bedient, einfach mal erklären zu lassen, welche Filter da drinnen sind und warum man sich dann nicht infizieren kann.



Camillo Schumann



Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL.


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Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Sie auch, Herr Schumann. Ihnen ein schönes Wochenende.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 17.09.2 02 0 #109: Die Schwachstelle bei den Daten



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Donnerstag 17. September 2 02 0.


1. Große Schwankungen der Infiziertenzahlen in Frankreich und Spanien. Woran liegt das? 2 . Wie man schwere Krankheitsverläufe vorhersagen kann?


3. Vitamin D und Covid-19. Gibt es einen Zusammenhang? 4. Was passiert, wenn man sich während der Covid-19-Inkubationszeit gegen Grippe impfen lässt?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir starten mal mit einem Hinweis zur Sendung vom Dienstag, den 15. September. Folge 108 war das. Am Anfang der Sendung ging es um die Zahl der Neuinfektionen, unter anderem in Frankreich und Spanien. Ich nannte die Zahl der Neuinfizierten innerhalb von 2 4Stunden und bezog sich dabei auf Zahlen der Johns Hopkins University, wonach es in Frankreich, Stand 14. September: 2 3.000 Neuinfektionen und in Spanien rund 2 7.000 Neuinfekti-


onen gegeben hätte. Die Zahlen, die waren sehr hoch – möglicherweise „zu hoch“? Denn schon einen Tag später, am 15. September, wurden dreimal weniger ausgewiesen, sowohl in Frankreich als auch in Spanien. Ja und woran es lag, dass die Zahlen für diese beiden Länder an diesem einen Tag laut Johns Hopkins so hoch angegeben wurden, diesem Phänomen wollen wir uns ein wenig nähern. Herr Kekulé, erst einmal grundsätzlich: Die Johns Hopkins University war und ist jetzt während der Pandemie eigentlich eine verlässliche Quelle gewesen, oder?


01:54



Alexander Kekulé


Ja, das kann man schon sagen; zumindest verlässlicher als die meisten lokalen Quellen. Weil die einfach ein neutrales und von, sage ich mal, auch politischen Ambitionen unabhängiges Verfahren haben, ihre Zahlen zu generieren. Man muss ja daran erinnern, dass die bereits am 2 0. Januar erkannt haben, dass das hier ein Riesenthema und ein Problem ist, was Richtung Pandemie geht. Die JHU hat ja seit mehreren Jahrzehnten Tradition in Pandemieplanung gehabt und dadurch sozusagen einen intellektuellen Vorsprung. Und die haben damals schon diese Seite aufgesetzt, auf die sich eigentlich die Medien aus der ganzen Welt jetzt beziehen. Das ist interessant für mich, weil nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt die Leute offensichtlich einer Universität in den USA mehr Vertrauen schenken als ihren eigenen Behörden.



Camillo Schumann



Ganz kurz die Arbeitsweise der Johns Hopkins, damit das ein bisschen deutlich wird: Die Johns Hopkins University in den USA hat keine offiziellen Stellen, auf deren Meldung sie täglich warten müsste. Die Forscher die suchen selbständig im Internet nach öffentlich zugänglichen Quellen und schöpfen dann dort die neuesten Zahlen ab. Das sind Internetseiten von Behörden, aber auch Twitter-Accounts von Behörden und auch Organisation. Aber eben auch Zahlen, die eine Internet-Community von Medizinern in China ermittelt oder auch Berichte lokaler Medien. Deshalb sind die Johns-Hopkins-Zahlen in der Regel den Zahlen der Gesundheitsbehörden ein wenig voraus.


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Denn, und Sie haben es schon angesprochen, die offizielle Datenübermittlung war und ist ja ein großes Problem. Oder?


03:2 6



Alexander Kekulé


Naja, da muss man genau hinsehen. Es gibt in Deutschland zum Beispiel einige Gesundheitsbehörden, bei denen geht es fast in Echtzeit nach Berlin. Und es gibt eben andere, die bis heute – so hört man zumindest, man will es kaum glauben – noch Telefax-Geräte verwenden. Und wir haben ja doch diesen deutlichen Wochenend-Effekt, den man jede Woche wieder sieht, dass ab Freitagnachmittag eigentlich kaum noch was übermittelt wird. Das ist immer dann in Ordnung, wenn man, sage ich mal, Entscheidungen treffen muss, die langfristig sind. Und das ist ja meistens auch der Fall, wenn es um die Frage geht, wann fangen wir zum Beispiel an mit der Grippe-Impfung oder Ähnliches? Dann ist es nicht so wichtig, ob jetzt die Zahl der Grippe-Infektionen an diesem Montag am nächsten Tag ansteigt. Aber bei dieser Pandemie müssen wir häufig sehr, sehr kurzfristig entscheiden und vor allem Trends sehr früh erkennen, ob es rauf oder runter geht. Und da hätte ich mir schon gewünscht, dass sich das im Laufe der letzten Monate etwas verbessert hätte.



Camillo Schumann



Und dass die Datenübermittlung offenbar ein riesiges Problem ist, zeigt das Beispiel Spanien. Nach Schätzung der Johns Hopkins gab es, Stand Mittwoch, 16. September, rund 11.000 Neuinfektionen. Und schaut man sich die offiziellen Behördenzahlen an, stehen dort nur rund 4.700 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Und über den Zahlen steht der Hinweis:


„Die Unstimmigkeiten, die in Bezug auf die Daten aller gemeldeten Fälle auftreten können, sind das Ergebnis ihrer Validierung durch die Autonomen Gemeinden und des Übergangs zur neuen Überwachungsstrategie. Seit Mai müssen alle Autonomen Gemeinden bestätigte Fälle einzeln uns täglich melden.“ Mein Kollege im ARD-Studio in Madrid er sagte mir auch das nicht immer alle Gemeinden melden. Also es gibt welche, die überhaupt keine Zahlen übermitteln. Und wenn sie das tun, kann das ziem-


lich fehlerbehaftet sein. Das wiederum zeigt das Beispiel Mallorca. Die balearische Ministerpräsidentin hat offiziell eingeräumt, dass die 7-Tage-Inzidenz auf den Balearen deutlich höher liegt, als bisher kommuniziert. Sie liege jetzt bei 12 0-170 Infektionen pro 100.000 Einwohner, statt nur 40, wie bisher angegeben, also rund viermal so hoch. Als Grund wurde ein Informatikfehler genannt. Für mich hört sich das nach absolutem Chaos an.


05:39



Alexander Kekulé


Ja, das ist, glaube ich, ein Grundproblem bei der ganzen Pandemie, dass wir bei den Daten insgesamt nach wie vor eine Schwachstelle haben. Das ist interessanterweise auch in den Vereinigten Staaten so, dort ein ganz großes Problem und auch dort erkannt – dass man einfach auch gar nicht weiß, welche Personen genau betroffen sind. Das ist ja fast noch die wichtigere Information. Ich hätte mir schon länger gewünscht, dass sie übergehen könnten von der der Zahl der täglichen Neuinfektionen auf ein Maß, was sich darauf abgestellt, wie viele Initialfälle es gibt, also wie viele der Neuinfektionen keinen bekannten Cluster zuzuordnen sind. Ich kann mir eigentlich vorstellen, dass die Kollegen beim Robert Koch-Institut solche Wünsche auch hegen würden, weil das epidemiologisch sehr naheliegend ist. Nur werden die wahrscheinlich mit den Achseln zucken und sagen, wir haben die Daten einfach nicht für so was. Und das glaube ich, das wäre schon für die nächste Pandemie dann etwas, was man hier gelernt hat, dass man die Daten viel präziser und in Echtzeit wirklich übermitteln muss. Das ist, glaube ich, etwas, wo wir frühzeitig mehr besser hätten, steuern können. Zum Beispiel am Anfang, als es darum ging, ob wir einen kompletten Lockdown brauchen oder nicht. Oder wann wir den Lockdown brauchen und solche Dinge.


07:00



Camillo Schumann



Genau. Noch der kurze Blick nach Frankreich dort gibt es, berichtet unser Korrespondent, teilweise ein Testchaos: Schlangen vor den Teststationen und manche bekommen ihr Testergebnis auch erst nach ungefähr einer Woche. Und dementsprechend groß ist dann


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auch der Meldeverzug. Das könnte auch die enormen Sprünge der Zahl in Frankreich erklären. Beispiel: Am 7. September gab es von offizieller Seite rund 4.2 00 Neuinfizierte und drei Tage später schon über 10.000. Auch hier ein eklatanter Meldungsverzug. Können wir den offiziellen Zahlen, egal ob Spanien oder Frankreich überhaupt trauen?


0:07:33



Alexander Kekulé


Naja, mit diesen Einschränkungen schon. Wir haben halt nur diese Zahlen. Das ist eben immer so ein bisschen Kaffeesatzlesen. Auf der anderen Seite natürlich schon ein Hinweis auf das Geschehen, was da passiert. Ich glaube, man muss sich das andersherum überlegen. Jetzt ist gerade gestern, am Mittwoch von Deutschland aus eine weitere Region Frankreichs zum Risikogebiet erklärt worden, die Haut de France, im Norden bei Lille die Gegend. Ich weiß nicht, wie viele der Verwaltungsregionen jetzt schon Risikogebiete sind. Wir haben ja die ganze Cote d'Azur, auf jeden Fall Korsika, die Auvergne und nach außen rum ist, ich glaube, Provence Occitanie ist auch Risikogebiet. Das heißt, da wird das jetzt aus Deutschland quasi so gemacht, dann sagt man okay, wenn du in der Auvergne warst, dann ist es ein Risikogebiet. Dann gibt, wenn man zurückkommt, fünf Tage abwarten und dann testen. Und wenn man 300 Meter nebenan war, in einer anderen Verwaltungsregion, dann ist es kein Risikogebiet mehr. Und ich glaube, gerade weil die Daten ebenso ungenau sind, und wir das natürlich auch wissen, dass die Daten ungenau sind, ist es ein Fehler, das so nach Regionen scheibchenweise zu machen. Wir wiederholen da letztlich den Fehler, der schon mal mit Norditalien gemacht wurde, als man gesagt hat, die Lombardei ist Risikogebiet und was daran angrenzt nicht. Und dann hat man den Veneto als Risikogebiet erklärt und was daran angrenzt, nicht und so weiter. Und wir erinnern uns, dass dann das Virus natürlich längst schon in Südtirol und in Tirol war – und wahrscheinlich schon in Bayern zu dem Zeitpunkt. Und ich glaube, da muss man eher einen unscharfen Blick auf die Landkarte werfen und sagen, wir haben in Frankreich so viele Risikogebiete in den 13 Verwaltungsregionen, die also auf dem Festland sind, ich weiß nicht


wie viele, aber ein Großteil, auf jeden Fall auch aus französischer Sicht, schon in der Warnstufe. Das heißt für mich, wer aus Frankreich zurückkommt, wenn man das ernst nimmt, müsste eigentlich in Quarantäne gehen für fünf Tage. Das wiederum hätte politisch wahnsinnigen Sprengstoff, weil es ja Pendler gibt an der Grenze. Und deshalb ist natürlich die Region direkt an der deutschen Grenze jetzt in Anführungszeichen „kein Risikogebiet“. Sonst gäbe es ein Riesenproblem, den ganzen Pendlern zu sagen, eure Sonderregelung, die wir für Euch erlassen haben, dass für Euch die ganze Quarantäne nicht gilt, die müssen wir jetzt kippen. Also, ich habe schon deutlich den Eindruck, gerade wenn man jetzt diese Pendler mit dem Auge hat, dass da politische Faktoren eine Rolle spielen.


10:06



Camillo Schumann



Genau. Sie haben gesagt, dass Frankreich oder bzw., dass Deutschland für mehrere Regionen von Frankreich die Reisewarnung ausgeweitet hat. Gleiches gilt für einige Regionen in Österreich, in Ungarn, Kroatien – es wird vor Reisen nach Prag gewarnt. Reisewarnungen gibt es auch für Regionen in den Niederlanden und der Schweiz. Bleiben Sie bei Ihrer Einschätzung, das Virus in Europa ist außer Kontrolle?


10:30



Alexander Kekulé


Das eine ist die Frage: Wie breitet sich das Virus selbst aus? Also nicht die Sterbefälle, nicht die schweren Erkrankungen, sondern einfach die Verbreitung des Virus. Da glaube ich, dass in vielen Ländern – Deutschland ist da noch nicht dabei – die Chancen, das wieder einzufangen, extrem gering sind. Also für Frankreich sehe ich da für die nächsten Wochen und Monate eigentlich keine Chance. Die haben in Frankreich im Moment so viele Ausbruchsherde, dass die mit der Nachverfolgung de facto nicht mehr nachkommen. Das heißt, wir werden jetzt eine Zunahme der Fälle haben in Europa in vielen Ländern. Die entscheidende Frage ist jetzt: Zieht dann die Zahl der Schwerkranken und die Zahl der Sterbefälle auch mit an? Das ist noch nicht ganz klar. In Frankreich sieht es nicht so gut aus. Die hatten jetzt in den letzten 2 4 Stunden 100 weitere Patienten, die


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an die Beatmung mussten. Die sind im Moment bei über 500 beatmeten Patienten in Frankreich. Die haben im Moment 80 Schulen geschlossen, allerdings von über 60.000, die sie insgesamt im Land haben – 2 .100 Klassen habe ich gelesen. Das heißt also in Frankreich ist man in einer Situation, wo man eigentlich so eine Art Notprogramm verfolgt. Aber ich glaube nicht, dass man das Infektionsniveau wieder so drücken können wird, dass man in der Situation kommt, dass die Gesundheitsbehörden quasi durch Nachverfolgung der Fälle die Epidemie in den Griff bekommen.


11:48



Camillo Schumann



Ganz kurzer Blick nach Deutschland. Stand heute, 17. September: Laut Robert KochInstitut knapp 2 .2 00 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden und drei weitere Todesfälle. Die Lage auf der Intensivstation – sehr stabil. Die steigende Infektionszahlen der letzten Wochen sorgen bei uns also nicht für eine Zunahme der Hospitalisierung und Todesfälle. Das Virus ist offenbar nicht oder noch nicht in die besonders zu schützenden Bereiche, also Altenheime, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen vorgedrungen. Also wir haben Glück, oder?


12 :18



Alexander Kekulé


Ja, ich würde das noch nicht als Glück bezeichnen. Das ist der berühmte Mann, der aus dem Hochhaus gefallen ist und bei jedem Stockwerk wo er vorbeifliegt sagt, bis jetzt ist alles gut gegangen. Ich kann nicht wirklich sagen, ob jetzt wir in Deutschland in die Situation kommen werden, dass das Virus in die Risikobereiche wieder einbricht, wie es im Frühjahr schon mal war. Im Moment sehen die Berichte des Robert Koch-Instituts so aus, als hätten wir zumindest keine Zunahme von Ausbrüchen in Altersheimen. Und ich hoffe doch sehr, dass die Krankenhäuser inzwischen in einer Situation sind, dass wir im Krankenhaus keine Ausbrüche mehr bekommen, obwohl es bis vor kurzem noch Berichte gab. Wenn man sich also da optimistisch bezüglich der Leistungsfähigkeit der Behörden zeigt, dann kann man sagen ja, wir haben eine faire Chance, dass die Fälle steigen in Deutschland, aber die schweren


Erkrankungen und die Todesfälle nicht proportional dazu ansteigen werden. Andererseits habe ich natürlich auch gehört, was Herr Lauterbach kürzlich gesagt hat. Der ist der Meinung, dass definitiv die Todesfälle im Herbst jetzt nachziehen werden und dass das wie im Frühjahr eine reine zeitliche Komponente ist, dass das sozusagen verzögert kommen wird. Ich bin nicht ganz so pessimistisch, aber man kann es nicht ausschließen. Es hat keinen Sinn, da sozusagen Kaffeesatzlesen zu machen.


13:36



Camillo Schumann



Was sollte der Gradmesser künftig sein? Die Lage auf der Intensivstation in den Krankenhäusern oder die Zahl der Neuinfektionen?



Alexander Kekulé


Naja, am Anfang war ja immer die Ansage, wenn wir uns da mal erinnern, dass man die Kurve flach machen soll, flatten the curve hieß das ja immer. Ich gebe mal so wieder, was da damals so die politische Linie war. Von einem amerikanischen Manager, der in der Werbebranche arbeitet, hat man gelesen, so ein Schema, wo es darum ging, die Kurve flach zu machen: flatten the curve. Dieses Schema hat man zum politischen Ziel erhoben und gesagt: Wir machen die Kurve flach, damit die Intensivstationen nicht überlastet sind. Das war ja mal ganz am Anfang die Idee. Da war ja sozusagen die Ansage 70 Prozent der Bevölkerung werden sich infizieren müssen. Man wusste nicht genau, wie hoch die Sterblichkeit ist. Aber damals ging man noch von ein bis 2 Prozent aus. Und dann hat man gesagt gut, wenn schon so viele Leute sterben oder wenn so viele schwer krank werden, dann wollen wir das über einen längeren Zeitraum verteilen, damit die wenigstens dann optimal behandelt werden können. Und wir nicht, wie in Italien dazu kommen, Triage zu machen, also Leute nicht mehr behandeln zu können. Da sind wir völlig von weg. Da sind wir Lichtjahre von entfernt. Das war sicherlich auch nicht die beste Strategie damals. Jetzt ist es so, dass wir eigentlich so weit überhaupt nicht kommen wollen. Wir wollen, da hat Herr Lauterbach vollkommen recht, nicht abwarten, bis die Krankenhäuser wieder voll werden, wie wir es in Südfrankreich im Moment sehen. Sondern wir


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wollen lange, lange vorher schon an dem Profil der Infizierten vorhersagen, wie unser Risiko ist. Sofern wir Menschen haben, die unter 40 sind, in der Regel infiziert sind, die es vielleicht auch ein bisschen haben darauf ankommen lassen, ist es zwar epidemiologisch riskant, weil die andere anstecken, ist es aber bezüglich der Überlastung der Intensivstationen kein Thema. Da werden zwar manche krank – klar, auch nicht so selten, wie man vielleicht glaubt, manche sterben auch – aber das wird unsere Intensivstationen nicht überlasten. Die werden dann überlastet, wenn es wieder in die Alten reinbricht und in besondere Risikopopulationen. Menschen über 65, vielleicht 70, sind extrem gefährdet, auch in Deutschland. Und Menschen mit bestimmten Risikofaktoren, also die Blutgerinnungsstörungen zum Beispiel haben, die stark übergewichtig sind. Wenn die Leute, die diese Risikogruppen sind, das wissen und sich vernünftig verhalten, und auch die Kontakte zu den anderen, die möglicherweise weiter Party machen wollen und nicht zu belehren sind, wenn sie die Kontakte zu denen nicht unbedingt reduzieren, aber eben sicher gestalten – also mit Mundschutz und Abstand und so weiter – ich glaube, dann können wir tatsächlich eine relativ hohe Infektionszahl in Deutschland verkraften. Weil das dann Infektionen von Menschen sind, die normalerweise wenig Symptome haben. Das ist der Schutz der Risikogruppen. Das ist jetzt das ganz Entscheidende. Und dafür müssen wir wirklich alles aufbieten. Und dazu gehört eben nicht nur, dass man das Personal in solchen Heimen wirklich konsequent überwacht und dafür sorgt, dass die keine Infektion einschleppten können. Sondern auch, dass man verhindert, dass so etwas in Familien passiert. Und da ist eben jetzt die Frage wie wird es in den Schulen, in den Kindergärten seien? Die jungen Menschen, wie oft werden die krank werden? Und was passiert, wenn die Kontakt mit den Alten haben?


17:03



Camillo Schumann



Weil sie das Thema Risikogruppen jetzt noch mal angesprochen haben? Ja, wenn man sich so die Volkskrankheiten anschaut, gehört ja jeder in irgendeiner Form zu einer Risikogruppe. Sollte man diese Risikogruppen nochmal


ausdifferenzieren und da noch mal Genauigkeit walten lassen?



Alexander Kekulé


Da legen sie den Finger in eine Wunde. Ich diskutiere das mit sehr, sehr qualifizierten Kollegen. Und es gibt wirklich Leute, die gehören zu den Top-Virologen in den USA. Und die sagen genau: Nein, die Risikogruppen sind die Risikogruppen, da nehmen wir keine weitere Differenzierung vor. Wenn Sie das machen, dass sie jeden mit Bluthochdruck und jeden mit Herz-Kreislauf-Erkrankung und mit Übergewicht und mit Diabetes und die ganze lange Liste nehmen, dann sind sie irgendwie bei 60 Prozent der Bevölkerung, wahrscheinlich in Deutschland und bei 75 Prozent in den USA. Meines Erachtens ist das nicht der richtige Weg. Aber da sind wir eben uns tatsächlich nicht alle einig. Meines Erachtens ist es so, dass wir nur einen ganz kleinen Teil der Menschen, die solche Diagnosen haben, wirklich als echte Covid-19-Risikopersonen ansehen müssen. Und zwar geht es da eben hauptsächlich um chronische Entzündungen. Weil wir wissen, dass chronische Entzündung im Körper eben auch zu diesen Mikrothrombosen-Neigungen führt. Und da geht es eben um Thromboseneigung im weitesten Sinne. Und das sind letztlich die 2 wichtigen Gruppen. Und wenn Sie diese Überschriften aufmachen, dann haben Sie mit chronischer Entzündung und Thromboseneigung auf jeden Fall Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen dabei. Dann haben Sie natürlich Leute, die unter Chemotherapie stehen. Dann haben sie stark Übergewichtige. Aber im Grunde genommen ist es keine so lange Liste. Da kommen sie nicht auf 70 Prozent oder 60 Prozent der Bevölkerung. Sondern ich glaube, das ist dann eine kurze Liste. Das heißt kurz gefasst ist die Antwort auf Ihre Frage: Ja, aus meiner Sicht sollten wir diese Liste deutlich straffen, sonst würde ja praktisch jeder dritte Lehrer einen Grund haben, zuhause zu bleiben. Und dann funktioniert die Schule nicht mehr. Und bei den Polizisten sehe ich, zumindest bei denen die, die die Strafzettel verteilen, auch den einen oder anderen, der jetzt von seinem Gewicht nicht gerade im Optimalbereich ist.


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Camillo Schumann



Also Risikogruppen differenzieren, weil Sie sagen, da würden dann auch ganz viele rausfallen. Tut man denen dann nicht auch ein bisschen Unrecht? Also bisher waren sie eine Risikogruppe und haben sich geschützt und hatten Angst. Oder ist das sozusagen Teil einer Strategieänderung mit dem Wissen, was man sich jetzt über sechs Monate angeeignet hat?



Alexander Kekulé


Ich war noch nie dafür, dass wir hier übertrieben ängstlich sind an der Stelle. Wir haben immer ein Restrisiko. Jemand, der einen hohen Blutdruck hat, der hat ein enorm hohes Risiko, zum Beispiel an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Jemand, der viel raucht – COPD ist ja eines der Risiken, also diese Lungenerkrankung, die bei Rauchern häufig ist – hat ganz viele Risiken, an denen er sterben könnte. Und der nimmt dann zusätzlich ein erhöhtes Risiko für den Fall einer Covid-19-Infektion in Kauf. Wenn er sagt, er möchte das nicht machen und sozusagen an dieser Stelle plötzlich eine große Vernunft walten lässt, die ja vielleicht sonst nicht so hat im Leben, dann ist das ja völlig in Ordnung. Vielleicht ist es für den einen oder anderen tatsächlich der Anstoß zu sagen, jetzt höre ich auf zu rauchen oder jetzt reduziere ich mein Übergewicht oder Ähnliches. Das heißt, ich will das niemanden ausreden. Man muss nur sagen, als Gesellschaft insgesamt, ist letztlich die Frage, wie viel Prozent unserer Bevölkerung wollen oder können wir ganz besonders schützen? Und da ist einfach der Unterschied, ob Sie sagen wir schützen alle Ü-70, oder wir gucken auf die riesige Gruppe von Leuten mit zu weichen Kriterien. Da ist der Unterschied in der Effektivität der Schutzmaßnahme einfach enorm, wenn sie die Ü70-Leute, die haben ja statistisch gesehen in Sterbensrisiko, was bei zehn Prozent liegt. Wenn sie die schützen, schlägt das wirklich unmittelbar auf die Todeszahlen durch. Und bei den anderen ist es eben nicht so. Also; es ist mehr ein epidemiologisches Argument. Das heißt nicht, dass der Einzelne, wenn er sagt ich will hier vorsichtig sein, nicht mehr vorsichtig sein soll. Also, das würde ich jedem empfehlen, wenn er Covid-19 vermeiden kann, soll er es


lieber vermeiden. Lieber gesund bleiben als krank werden.


2 1:34



Camillo Schumann



Definitiv. Und schön wär's ja, wenn man schwere Krankheitsverläufe vorhersagen könnte. Der Blick in die Glaskugel und genau das kann man ja tun. Wissenschaftler der Yale University, also einer der renommiertesten Universitäten der Welt, die haben jetzt ein Verfahren entwickelt, wie man quasi von verschiedenen Komponenten ausrechnen kann, ob jemand schwer an Covid-19 erkranken wird oder eben nicht. Und bevor wir zum Ergebnis kommen, ist ja das Verfahren wie das rausgefunden wurde sehr spannend.



Alexander Kekulé


Ja, die Leute da in Yale, die lieben irgendwie Computer und Statistik und so etwas. Die sind ja auch in der Wirtschaftsmathematik ziemlich gut. Das Verfahren, wie die des rausgefunden haben – ja, also die haben mir gesagt, wir wissen nicht, welche Kriterien dem Intensivmediziner oder dem Arzt sagen können, ob jemand später auf der Intensivstation kommt oder nicht. Also haben sie da über 3.000 Covid-19positive Patienten genommen. Das ist eine große Zahl. Die hatten Sie da mal schnell im Krankenhaus zur Verfügung. Da haben die gesamten Labordaten von denen durch den Computer laufen lassen und den Computer letztlich die Frage gestellt, in so einem selbst lernenden System: Was erkennst du an diesen Labordaten? Woran kannst du erkennen, dass jemand später auf der Intensivstation landet? Und zwar haben sie die Labordaten vom Aufnahmetag genommen und dann verglichen damit, wer nach sieben Tagen auf der Intensiv war. Also bei der Aufnahme waren die aber alle gleich krank oder gleich gesund, da war nicht zu erkennen, wer später sich stark verschlechtert.



Camillo Schumann



Wie genau funktioniert denn dieses Programm? Wie ist man denn auf diese vier Werte gekommen?


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Alexander Kekulé


Das ist ein Verfahren, das ist ganz lustig. Das heißt Random Forest, also der „zufällige Wald“. Und dieses Random-Forest-Learning, das ist jetzt total in eben in der Wirtschaftsmathematik, insbesondere. Darum habe ich den Verdacht, dass die in Yale doch ein bisschen über den Zaun geguckt haben bei ihren Kollegen. Da macht man letztlich Folgendes: Normalerweise, wenn Sie etwas entscheiden wollen in ihrem Leben, haben sie einen Entscheidungsbaum, würde ein Mathematiker sagen. Zum Beispiel, wenn sich ein Mädchen die Frage stellt: Soll ich heute auf die Party gehen? Dann spielt es eine Rolle, dass morgen keine Schule ist. Und wenn keine Schule ist, geht sie hin, dann ist die Antwort ja. Und wenn Schule ist das vielleicht die Antwort nein. So et was ist eine Entscheidung. Dann kommt als Nächstes in dem Baum der nächste Ast: Ziehe ich jetzt mein hübsches Kleid an? Die Gastgeberin hat auch ein hübsches Kleid an, also ja. Ups, der Papa von der Gastgeberin ist aber auch da, und der ist ziemlich streng und spießig, also lieber doch nicht. So gibt es also Entscheidungsbäume, die wir ständig machen, die auf Ja und Nein laufen. Wenn man ganz viele solche Entscheidungsbäume zusammenstellen würde, dann wäre das ja ein Wald – rein theoretisch. Was die Mathematiker machen, ist, dass sie quasi so einen ganzen Wald von Entscheidungsbäumen simulieren im Computer. Jeder einzelne Baum läuft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch. Und das Interessante ist: Wenn man ganz viele Parallelentscheidung laufen lässt, dann gibt es so eine Art Schwarmintelligenz. Da kann der Computer Tausende, Zehntausende, Millionen zugleich laufen lassen, dass dann so eine Art Mehrheitsentscheidung dabei rauskommt, die eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür hat, richtig zu sein. Also so ähnlich, als wenn das Mädchen, bevor es auf die Party geht, alle ihre Freundinnen anrufen würde. Jeder sagt was, und am Schluss macht sie das, was die meisten empfehlen. Dann hat sie eine bessere Entscheidung getroffen, als wenn sie es nur ganz alleine macht. Es gibt diese berühmten Sachen bei der Schwarmintelligenz. Man lässt hundert Leute schätzen, wie viele Bonbons in einer Glaskugel drinnen sind. Und erstaunlicherweise ist der Wert, den die dann rauskriegen, relativ nah am wahren


Wert, weil sich mathematisch gesehen diejenigen, die Fehler machen, die werden immer geschützt durch die Mehrheit, die den Fehler nicht gemacht hat. Also so mit diesem Verfahren der Entscheidungsbäume, darum heißt es eben dann eben Random Forest, der zufällige Wald, haben die das gemacht und haben eben angeschaut, welche Faktoren im Blut könnten eine Rolle spielen. Und da haben sich unten diese vier Faktoren herausgemendelt.


2 5:2 7



Camillo Schumann



Wenn ich jetzt als Junge zur Party gehe, stellt sich nur eine Frage: Habe ich eine saubere Hose?



Alexander Kekulé


Genau, oder habe ich keine saubere. Aber das ist genau das Gleiche. Habe ich keine saubere Hose, will ich eigentlich nicht hingehen. Wenn Sie Ihre Freunde anrufen und auch alle schmutzige Hosen anhaben, dann können sie vielleicht doch hingehen.



Camillo Schumann



Um nicht die Hörer dieses Podcasts unnötig auf die Folter zu spannen. Was ist das Ergebnis? Auf welchen Wert sollte man achten?



Alexander Kekulé


Das ist tatsächlich so, dass das niemand selber mal schnell bestimmen kann. Aber es gibt vier Werte, die eine Rolle spielen dabei. Das eine ist das Resistin. Das zweite ist Interleukin-8. Das dritte ist der GCSF, das ist der Granulozytenstimulierende Faktor. Und Lipocalin-2 . Das sind vier Blutwerte, sagen wir mal. Und diese vier Blutwerte, da haben die eben gesagt, wenn die im Konzert auftreten, dann ist es ein ganz klares Zeichen dafür, dass jemand später intensivpflichtig wird als Covid-Patient. Und das Interessante ist, das sind die Parameter, an denen man erkennen kann, dass sich eine bestimmte Gruppe von weißen Blutzellen aktiviert hat, die sogenannten Neutrophilen Granulozyten. Das ist ein Teil der weißen Blutzellen. Die meisten von den weißen Blutzellen sind Neutrophile Granulozyten. Und wenn die überaktiviert sind, schon beim Anfang bei der Aufnahme im Krankenhaus, dann ist die Chan-


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ce, dass der Patient später einen schweren Verlauf nimmt, hoch.



Camillo Schumann



Also die Intensivmediziner oder die Krankenhäuser sollten jetzt ganz gezielt auf die weißen Blutkörperchen schauen?



Alexander Kekulé


Ja. Auf die weißen Blutkörperchen hat man schon immer geschaut. Aber jetzt gibt es eben bestimmte Faktoren im Blut, die man messen kann, um zu sehen, ob die ganz frühzeitig schon überaktiviert sind. Das hängt zusammen mit diesem angeborenen Immunsystems. Diese angeborene Immunantwort ist ja wahrscheinlich, das wissen wir nicht ganz genau, aber es sieht so aus, als wäre es bei dem Patienten, die einen schweren Verlauf nehmen so, dass diese angeborene Immunantwort verspätet anspringt und dadurch erst dann anspringt, wenn das Virus sich schon in sehr großer Menge repliziert. Dann sind sozusagen diese weißen Blutkörperchen am Anfang nicht tätig geworden, nicht alarmiert worden. Und jetzt merken sie: Da ist ja ein Virus, und das ist in irgendwelchen Zellen drin, das müssen wir jetzt ganz schnell plattmachen. Also kommen massenweise diese Neutrophilen Granulozyten eben angeschwärmt und zerstören, in einem Fresswahn sozusagen, alle Zellen, die solche Viren enthalten, und dabei machen sie mehr kaputt, als sie eigentlich sollten. Also die Balance sozusagen zwischen Abwehr des fremden Organismus und Stabilisierung des eigenen Körpers ist dann gestört, sodass man anfängt, sich selbst kaputt zu machen. Und das ist das, was wir bei diesem Zytokinsturm beobachten. Und der wird eben getragen letztlich von einer Überaktivität dieser weißen Blutzellen, die Neutrophile Granulozyten heißen. Und dazu passt auch das Spektrum, was sie da sehen. Die sehen also ganz früh, dass hier schon sozusagen diese Hyperaktivierung sich vorbereitet.


2 8:2 7



Camillo Schumann



An dieser Stelle kommen wir zu einem Thema, zudem uns sehr, sehr viel Hörerpost erreicht, aber auch Anrufer. Und dieser Anrufer fast das Thema mit seiner Frage gut zusammen.


„Ich wollte fragen, warum im Zusammenhang mit der Schwere der Krankheitsverläufe so wenig über Vitamin-D-Mangel-Thema im Winter, bzw. am Ende des Winters, gesprochen wird? Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich am Ende des Winters eine Atemwegserkrankung hatte, dass da sehr geholfen hat, wenn die Sonne dann mal geschrieben hat, dass man dort eine Weile in die Sauna gegangen ist, bzw. wenn das nicht möglich war, einmal ins Solarium gegangen ist. Dann war es üblicherweise nach einem Tag oder 2 Tagen weg. Auch wenn es eine schwere Infektion war, die schon recht lange, also teilweise 2 Wochen, angehalten hat.“


Also das Thema Vitamin D ist quasi ein Dauerbrenner. Was kann man so grundsätzlich dazu sagen? Also welche Studien geben welche Hinweise? Ist man sich da auch einig, was die Studienlage angeht? Oder gibt es da er widersprüchliche Studien?


2 9:35



Alexander Kekulé


Also ganz klar ist das nicht, was das Vitamin D bei Covid-19 macht. Aber man kann so allgemein sagen, Vitamin D, das weiß natürlich jeder, hat was mit dem Knochen zu tun. Es ist sinnvoll, kein Vitamin D-Mangel zu haben, auch für den Kalziumstoffwechsel schon von vornherein, also für den Knochenaufbau und abbau. Es ist zweitens so, dass Menschen, die wenig in der Sonne sind – da hat der Hörer völlig recht gehabt – dass solche Menschen typischerweise Vitamin D-Mangel entwickeln. Wir haben in Industrieländern sogar Kinder mit Vitamin D-Mangel seit neuerdings. Früher war das eine Erkrankung von Erwachsenen und Älteren. Und ist es natürlich so, dass im Alter tendenziell der Vitamin D-Mangel häufiger ist. Deshalb hat der Hörer das völlig richtig gemacht. Ich habe so durchgehört, dass er kein Teenager mehr war, dass er da in die Sonne geht. Dadurch baut sich das Vitamin D auf. Übrigens leider im Alter nicht mehr so gut wie bei jungen Leuten. Oder man kann eben auch Vitamin-D-Kapseln tatsächlich nehmen, also Vitamin D als Vitamin ergänzen. Es ist auch klar, dass Menschen mit Vitamin-D-Mangel zu Infektionen neigen. Es gibt auch ein paar Studien, die gezeigt haben, dass bei Covid-19 die


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Verläufe wohl schwerer sind, wenn Leute wirklich einen Vitamin-D-Mangel hatten. Also das ist relativ klar, also auch nicht überraschend, weil, das Vitamin D wird gebraucht, um das Immunsystem anzuschubsen. Insbesondere dieses angeborene Immunsystem wird davon aktiviert. Der Schritt, wo diese T-Zellen quasi lernen, auf diese auf den neuen Erreger, auf das Virus zu reagieren, an der Stelle gibt es mehrere Schritte, wo das Vitamin D gebraucht wird, um die, um die zu aktivieren. Also alles klar, so weit. Das heißt also Vitamin-D-Mangel sollte man nicht haben.


Die Frage ist jetzt nur bringt es echt etwas, Vitamin D zu supplementieren? Also wenn man keinen Mangel hat, zusätzlich etwas zu nehmen. Und da ist das große Fragezeichen dran.



Camillo Schumann



Also ist das Depot einmal voll, und man packt noch was rein, hat jetzt keinen positiven Effekt. Also, da gibt es sozusagen jetzt auch keine Grundlage für diese Aussage?



Alexander Kekulé


Ja genau, da gibt es keine saubere Studie. Man muss dazu sagen, dass Vitamin D ist, auch wenn man es überdosiert, gesundheitsschädlich – sogar verschreibungspflichtig, wenn man hochdosierte Präparate haben will. Es gibt jetzt eine aktuelle Studie, die ich deshalb ganz interessant fand, die ist aus Córdoba in Spanien. Dort haben die eine kleine Gruppe, 76 Personen, sich angeschaut und haben die einfach mal mit Vitamin D pauschal therapiert. Die haben zusätzlich zur normalen Therapie, die sie dort gemacht haben, Vitamin D gegeben. Das ist nicht basiert gewesen auf einer vorherigen Messung eines Mangels oder so, sondern einfach mal blind. In dieser einen Studie ist tatsächlich rausgekommen, dass von 50 Patienten, die Vitamin D bekommen haben, ist nur einer schwer krank geworden, musste auf die Intensivstation und keiner gestorben. Und von 2 6 Patienten, die kein Vitamin D bekommen haben, war es so, dass 13, also die Hälfte auf die Intensivstation mussten und 2 gestorben sind. Dieser Effekt ist echt krass, dafür, dass die nur einmal ein halbes Gramm Vitamin D, ein halbes Gramm ist ziemlich viel, aber nur eine Kapsel Vitamin D letztlich bekommen


haben. Das ist ein sehr starker Effekt. Einer aus 50 versus 13 aus 2 6, das sind ja 2 5 Prozent. Deshalb bei so ganz extremen Ergebnissen bin ich immer höchst skeptisch, weil, dann wäre ja Vitamin D ein Wundermittel. Und deshalb bin ich da ein bisschen vorsichtig. Die gleichen Autoren haben auch alle Patienten immer mit Hydroxychloroquin behandelt. Das DonaldTrump-Mittel, von dem wir definitiv wissen, dass es nicht funktioniert. Das heißt, offensichtlich sind die therapeutisch, jetzt nicht zumindest zu dem Zeitpunkt, wo sie die Studie gemacht haben, nicht auf der Höhe der Zeit gewesen. Man muss das jetzt mal abwarten. Also, wir haben jetzt eine so eine Studie. Die wird natürlich auch viel diskutiert von Leuten, die Vitamine verkaufen wollen, da muss man mal weiter sehen, ob das was bringt. Aber man kann vielleicht zu pauschal sagen: Zu CoronaZeiten sollte man auf jeden Fall vermeiden, dass man einen Vitamin-D-Mangel hat.


33:50



Camillo Schumann



An dieser Stelle kommen wir zu den Hörerfragen, vertiefend. Diese Dame macht sich Sorgen um Covid-19-Patienten, die beatmet werden müssen.


„Wenn ein Patient doch einen schweren Covid19-Verlauf hat und doch beatmet werden muss, muss er ja sowieso meistens länger an der Beatmung bleiben. Wie kann man jetzt vermeiden, zum Beispiel als Angehöriger, dass der Patient länger als nötig beatmet wird. Weil man ja oft auch schon gehört hat, dass Krankenhäuser aus ihrem ökonomischen Vorteil heraus sowieso Patienten länger an der Beatmung halten, als es eigentlich nötig wäre. Also Stichwort Fallpauschale, DRGs und so weiter.“



Alexander Kekulé


Also, ich habe das noch nicht gehört. Die Fallpauschale funktioniert ja so: Der Patient hat Covid-19, dafür gibt's den Betrag XY. Wenn er auf der Intensivstation musste, gibt es noch einmal das und das obendrauf. Ob da jetzt einen Tag länger oder kürzer dort war, macht eben gerade kein Unterschied mehr. Früher wurde da immer so alles schön einzeln abgerechnet, jeder einzelne Tag und vielleicht jedes Gerät und so weiter. Aber jetzt ist es so, dass


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es eben eine Pauschale gibt, sodass die Krankenhäuser eher die Tendenz haben, die Leute so früh wie möglich wieder loszuwerden, weil sie dann den nächsten Patienten haben und für den können sehr wieder neu abrechnen. Bei der Beatmung ist es auch so: Das ist echt mühsam für das Personal. Also, so ein beatmeter Patient, das ist ja nicht so, dass man da die Maschine einschaltet und dann zum Fernseher rübergeht. Sondern da ist man echt mit beschäftigt, immer dafür zu sorgen, dass er den richtigen Sauerstoffdruck hat, dass der nicht zu viel oder zu wenig kriegt. Dann ist der Kreislauf zwischendurch gefährdet und so weiter. Und der sagt einem auch nicht, was ihm wehtut, weil er eben nicht sprechen kann. Die sind normalerweise dann in so einem künstlichen Schlaf. Ich war ja früher Notarzt, aber ich kenne keinen Intensivmediziner, der freiwillig so einen beatmeten Patienten auch nur einen Tag länger an der Maschine hängt, als es unbedingt nötig ist.



Camillo Schumann



Dieser Hausarzt hat angerufen und eine praktische Frage für seinen Praxisalltag.


„Ab September werden wir wieder umfangreich gegen Grippe impfen. Welches Risiko würde entstehen, wenn eine Grippe-Impfung in die symptomlose Inkubationszeit bei einer Covid-19-Infektion fallen würde? Vielen Dank.“


Eine Frage aus dem Praxisalltag eines Hausarztes.



Alexander Kekulé


Also ich würde davon ausgehen, dass kein Risiko besteht. Es ist so, dass der Grippe-Impfstoff, den wir verwenden, natürlich ein Tot-Impfstoff ist? Der macht ja keine Virusinfektion und ist einer, der wirklich seit Jahrzehnten am besten erprobten Impfstoffe, die wir überhaupt haben, mit den niedrigsten Nebenwirkungen, die wir überhaupt kennen bei Impfstoffen. Und deshalb würde ich sagen, das müsste wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn da irgendetwas völlig Unerwartetes passiert bei einer Infektion mit Covid-19. Was man aber ganz sicher sagen kann, ist, dass eine Doppelinfektion von dem echten Influenzavirus mit einem SARS-CoV-2 , das wäre auf jeden Fall eine Situation, wo der


Patient in Lebensgefahr kommen kann. Deshalb ist es für diejenigen, die sich impfen lassen wollen, sinnvoll das zu machen – und zwar möglichst bald.



Camillo Schumann



Und sich vorher testen lassen?



Alexander Kekulé


Nein, das würde ich nicht machen. Ich würde einfach die Impfung machen, bevor der Impfstoff aus ist. Es könnte sein, dass dieses Jahr mehr Menschen als sonst Interesse an einer Grippe-Impfung haben. Sonst muss man da ja immer große Werbung dafür machen. Alle Jahre wieder klappern das Robert Koch-Institut und die Landesgesundheitsämter für die Grippe-Impfung zum Teil mit mäßigem Erfolg. Ich kann mir vorstellen, dass diesmal der Andrang größer sein wird.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 109. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuellpodcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 15. September 2 02 0 #108: Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Redaktioneller Hinweis:


Die im Podcast #108 genannten Zahlen der Neuinfektionen für Frankreich und Spanien waren offenbar nicht korrekt und viel zu hoch. Unsere Quelle war die Johns Hopkins University, die zum Zeitpunkt der Aufzeichnung der Sendung diese Zahlen verbreitete.


0:00:03 MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.



Camillo Schumann

:


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.


0:00:10



Camillo Schumann

:


Dienstag, der 15. September 2 02 0.  Der Blick aufs Infektionsgeschehen in


Deutschland und bei unserem Nachbarn Österreich hat die Corona-Ampel eingeführt. Was sind die Vorund was die Nachteile dieser Maßnahme?


Außerdem: die Pharmafirma Astra Seneca hat ihre Studie für ihren Corona-Impfstoff nach heftigen Nebenwirkungen einer Probandin wieder aufgenommen. Was ist über diesen Fall bekannt?


Dann: In der Diskussion: Können Masken für Immunität sorgen?


Und am Ende der Sendung 2 Beispiele dafür, wie man es nicht machen sollte.


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Corona-Virus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Immer neue Rekord-Infektionszahlen werden bei unseren Nachbarn in Frankreich gemeldet. Fast 2 3.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4Stunden. Spanien meldet über 2 7.000. Da ist Deutschland mit seinen rund 1409 Neuinfektionen, Stand heute, richtig gut dran, oder?


0:01:2 4



Alexander Kekulé:


Ja, kann man so sagen. Aber in Europa ist das Virus außer Kontrolle. Das ist ganz offensichtlich. Ich glaube, dass weder Frankreich noch Spanien kurzfristig das wieder eingefangen bekommen.


0:01:34



Camillo Schumann

:


In Frankreich soll es Ende der Woche AntigenSchnelltests in den Apotheken zu kaufen geben. Da kann dann jeder zuhause den Test machen. Dann muss man sich nicht mehr anstellen, wie das jetzt der Fall ist. Das jedenfalls hat unser ARD-Studio in Paris mir mitgeteilt. aber an Tests an sich mangelt es in Frankreich nicht. Jeder kann sich kostenlos testen lassen. Aufs Ergebnis wartet man unter Umständen bis zu einer Woche. Also leichtes Testchaos in Frankreich. Was können diese AntigenSchnelltest denn da bewirken? Braucht man die dann noch?


0:02 :02 



Alexander Kekulé:


Na, das Wichtigste ist bei diesen Tests, dass man sehr schnell das Ergebnis hat. Hier geht


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wirklich Schnelligkeit vor Qualität und Flexibilität vor Qualität. Und das können eben die Antigen-Tests leisten, weil man praktisch sofort sieht, ob man positiv ist oder nicht. Deshalb braucht man die in Frankreich ganz dringend, insbesondere wenn die so lange Testzeiten haben. Das könnte dort noch, sage ich mal, so halbwegs die Lage verbessern. Was ich persönlich nicht verstehe, ist, dass es diese Testmöglichkeit gibt für Antigen-Tests. Die Publikation ist von März. Das ist also schon wirklich lange bekannt. Und es ist kein schwieriges Verfahren. Das ist technisch gesehen viel einfacher als die PCRs. Ich verstehe nicht, warum Europa das nicht früher angepackt hat. Dass man jetzt wartet, bis die großen Unternehmen da was liefern, statt zu ähnlich wie beim Impfstoff zu sagen, dass schieben wir an.


0:02 :54



Camillo Schumann

:


Wenn man sich das Infektionsgeschehen in Europa anschaut. Wir haben die Zahlen ja gerade gehört. Wenn man die AntigenSchnelltests vor 2 -3 Monaten schon gehabt hätte, hätte man diese Zahlen möglicherweise jetzt nicht präsent bekommen.



Alexander Kekulé:


Ich gehe fest davon aus. Wir haben ja praktisch alle Maßnahmen, wenn man so will, epidemiologisch zu spät ergriffen. Zu spät, ist immer vorsichtig zu bewerten, weil natürlich Politik in Demokratien seine Zeit braucht. Aber hier muss man schon klar sagen, die ganzen neu aufgetretenen Fälle, die haben jetzt zu tun mit den Urlaubern, die zurückgekommen sind. In Frankreich eine ähnliche Situation. Zusätzlich mit dem Reiseverkehr. Frankreich ist ja auch stark ein Urlaubsland. Der größte Teil der Infektion ist an der Cote d'Azur unten im Süden. In Marseille habe ich jetzt gerade gehört, sind die Krankenhausbetten inzwischen voll. Die müssen jetzt ihre Notbetten aktivieren. Das heißt also, das hat schon mit der Reiseaktivität zu tun. Innerhalb Frankreichs, aber auch von Frankreich nach Frankreich. Und wenn man da vernünftig an gezielten Stellen Schnelltests gehabt hätte, hätte man natürlich vieles verhindern können. Ich kann auch sagen, dass der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Europäischen Parlaments, das ist der Herr Lies-


ke. Das ist ein Deutscher ein reiner Zufall. Reiner Zufall. Der ist ganz frühzeitig mit mir zusammen hinterher gewesen, dass die Europäische Union die Kommission hier etwas tut, um eben diese Schnelltests verfügbar zu machen. Das ist aber offensichtlich auch nicht erfolgreich gewesen.



Camillo Schumann

:


Woran kann es gescheitert sein?



Alexander Kekulé:


Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Der eine ist der, dass wir in Europa wie überhaupt im Westen eigentlich so die Tendenz haben, der Wirtschaft das Heft nicht aus der Hand zu nehmen. Man sagt dann: Naja, wir warten, bis die Wirtschaft diese Tests entwickelt. Die großen Unternehmen, die dann natürlich am schnellsten sind und am besten aufgestellt sind. Die haben aber alle das Problem, dass sie zugleich sehr viel Geld an den PCR-Tests verdienen. Viel mehr als man jemals an so einem Schnelltest verdienen könnte. So dass in dem Fall eine schlechte Idee war. Weil die natürlich erstmal sehr viel Geld mit den PCRs gemacht haben. Auch mit anderen Methoden. Diese sogenannten Lamp-Tests, die entwickelt wurden. Das sind auch welche, wo man Maschinen dazu braucht. Und da war es eben einfach nicht attraktiv für so ein Unternehmen, sich dann selber Konkurrenz zu machen. Und dass man dann sagt: Wir als Staat nehmen das in die Hand. Das ist etwas, wo eben China überhaupt keine Sekunde zögert. Auch in Russland wird bei so was nicht gezögert. Aber in Europa und den USA in den westlichen Demokratien ist es eben unüblich. Und da hat man zu lange gewartet oder vielleicht auch zu wenig erkannt, wie wichtig dieses Thema Testen ist.


0:05:42 



Camillo Schumann

:


Zur Rolle der Europäischen Union in der Corona-Krise. Da kommen wir später noch mal dazu beim Beispiel Österreich. Schauen wir noch mal kurz nach Spanien. Spanien führt die Infektionszahlen in Europa ja mit Abstand an. Und dort öffnen seit einem halben Jahr an diesen Tagen wieder die Schulen. Und wenn man bedenkt, es gibt 100.000 Tests pro Tag und die Positivquote liegt aktuell laut Gesundheitsministerium bei rund 12  Prozent. Könnte


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die Öffnung der Schulen das Problem sogar noch einmal verschärfen. Was meinen Sie?


0:06:12 



Alexander Kekulé:


Ja, das ist einfach ein ganz krasses Experiment. Anders kann man das nicht sagen. In den Vereinigten Staaten gibt es ja je nach Bundesstaat. Die sind ja auch nicht besser als wir. Aber da ist es je nach Bundesstaat so, dass es unterschiedliche Schwellen gibt, ab denen empfohlen wird, die Schulen zuzulassen. Also so klassisch ist: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. So manchem Deutschen kommt es vielleicht bekannt vor. Das ist bei uns auch die Alarmschwelle. Übrigens auch in Frankreich und in vielen Bundesstaaten ist das die Schwelle in den USA. Wo man sagt, dann müssen die Schulen geschlossen bleiben. Es gibt auch welche, wo das bei 100 Neuinfektionen, der Durchschnittswert pro 100.000 Einwohner ist. In den USA machen die das nicht so wie wir mit dem 7-Tagesmittel, sondern ein 14-Tagesmittel. Wer sie da beraten hat, weiß ich auch nicht. Weil das natürlich klar ist. Beim 14-TageMittelwert. Da warten Sie ziemlich lange, bis der überschritten ist. Aber wie auch immer, die machen das halt so. Manche haben auch eine Grenze, wo sie sagen, wir gucken auf den Anteil der Positiven, wie hoch ist denn der von den Tests. Da ist üblicherweise 5 Prozent die Schwelle. Nach allem, was in den amerikanischen Bundesstaaten so üblich ist. Da wäre es mit der Situation in Spanien da, wo man sagen müsste, die Schulen müssen geschlossen bleiben.


0:07:2 4



Camillo Schumann

:


Können Sie uns erklären, warum in Spanien die Positivquote bei sagenhaften 12  Prozent liegt und in Deutschland irgendetwas bei 1 Prozent?


0:07:34



Alexander Kekulé:


Naja, wir testen die Negativen. Der Grund ist der. Die Spanier haben natürlich zunächst mal noch ganz stark das Testen auf Symptome. Das heißt also, das prophylaktisches Testen, was bei uns in den Krankenhäusern passiert. Wo bei uns wahrscheinlich auch Menschen mehrfach getestet werden, ohne dass das registriert


wird, also Negative mehrfach getestet werden. Das führt dazu, dass man eine geringe positive Quote bekommt. Das wäre wahrscheinlich in Spanien auch ein besseres Bild, wenn die so konsequent testen würden wie wir. Also das ist nicht so, dass die dann einen so viel höheren Faktor von Infizierten im Land rumlaufen haben. Es gibt natürlich auf der anderen Seite noch den anderen Effekt, wenn jetzt viele Menschen positiv sind und die Lage sich zuspitzt. Dann hat man Kontaktpersonen, die man testet. Und Kontaktpersonen, die sind von der Wahrscheinlichkeit her eher positiv als jemand, den man zufällig aus der Bevölkerung greift. So dass sich mit der Zunahme der Infektionen im Land die Positivquote nicht linear erhöht, sondern die kriegt dann so einen exponentiellen also so einen Verstärkungseffekt. Und das ist das, was wir in Spanien gerade beobachten.


0:08:51



Camillo Schumann

:


Weil Sie die Situation in den Krankenhäusern in Frankreich, in Marseille angesprochen haben. Wie entwickelt sich diese Situation auch in Spanien? Also gibt es da sozusagen einen unmittelbaren Zusammenhang?


0:09:04



Alexander Kekulé:


Wir sind in ganz Europa in der Lage, dass wir die Zahl der Positiven ein bisschen entkoppelt haben von den Sterbefällen. Das war ja am Anfang so, wenn man sich erinnert, in allen Ländern, die zunächst betroffen waren. Da gab es zuerst positive Fälle und nach einer gewissen Verzögerung kamen die Toten. Das ist biologisch ganz klar zu erklären. Jetzt ist es so, dass der Anteil an Todesfällen an dieser positiven Rate, die getestet wird, wahrscheinlich in ganz Europa geringer sein wird. Auch in Spanien oder Frankreich. Das liegt eben daran, dass wir inzwischen wissen, dass ganz viele Menschen asymptomatisch oder schwach symptomatisch sind. Die wurden ja am Anfang nicht getestet, wenn man sich erinnert. Die allerersten Empfehlungen waren eigentlich europaweit in Deutschland, speziell vom Robert KochInstitut. Dass nur Personen getestet werden, die Symptome haben und Kontakte nach China hatten. So ging es ja mal los. Und dann hieß es


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Symptome und Kontakt in ein anderes Risikogebiet, die Lombardei in Italien zum Beispiel. Und wenn man natürlich so eine enge Auswahl hat, dann ist die Zahl der Patienten, die dann schwer krank werden, natürlich höher. Jetzt haben wir ein ganz anderes Infektionsgeschehen. Das hat sich ja auch so weiterentwickelt, dass wir viele Menschen haben, die einfach als Reiserückkehrer die Krankheit mitgebracht haben. Und das sind typischerweise nicht die Risikogruppen. Klar gibt es auch ältere Menschen, die reisen. Aber die großen Probleme kriegen wir ja immer dann, wenn wir solche Cluster-Ausbrüche in Altersheimen oder in Krankenhäusern haben oder auch manchmal im beruflich veranlasster Umgebung. Aber wenn es junge Menschen sind, führt es eben nicht zu einer großen Sterbens-Rate. Sodass man sagen muss: Wenn wir die Altersheime und die Krankenhäuser unter Kontrolle haben. Dann werden wir auf jeden Fall eine bessere, und eine bessere Intensivmedizin natürlich inzwischen, dann werden wir auf jeden Fall eine niedrigere Sterblichkeitsquote bekommen als im Frühjahr.


0:11:04



Camillo Schumann

:


Auch bei unseren Nachbarn in Österreich. Da steigen die Zahlen wieder rasant an. Aber natürlich ins Verhältnis gesetzt nicht ganz so extrem wie jetzt in Frankreich oder in Spanien. Am Montag über 700 Neuinfektionen. Belgien hat jetzt schon eine Reisewarnung verhängt. Auch die Schweiz warnt vor Reisen in das besonders betroffene Wien. Österreich hat als eine Maßnahme eine sogenannte CoronaAmpel eingeführt. Also je nach Regionen und Bezirken werden die Farben Rot, Orange, Gelb, Grün Mindestmaßnahmen vorgeschlagen. Allerdings wird, wenn die Ampel dann umspringt, zum Beispiel von Gelb auf Orange, in einigen Gebieten keine verschärften Maßnahmen verhängt. Man möchte an das Bewusstsein appellieren. Was bringt dann so eine Ampel?


0:11:50



Alexander Kekulé:


Ja, gute Frage. Im Prinzip ist die Ampel etwas Sinnvolles. Das hatte ich ja auch vorgeschlagen, dass man so etwas in Deutschland ma-


chen sollte. Warum braucht man die Ampel? Weil man unterschiedliches regionales Geschehen hat und wir in der Lage, wo jetzt nicht mehr das ganze Land, also ganz Deutschland oder ganz Österreich, von einer einheitlichen Corona-Welle sozusagen erfasst wird, sondern wo man einzelne Ausbrüche hat, die lokal unterschiedlich sind. Oder wo man Ausbruchsgeschehen hat, was unterschiedlich ist, wie jetzt mit den jungen Menschen in den Großstädten. Dann ist es sinnvoll, dass man dort, wo das, wo der Infektionsdruck groß ist, also der Anteil der Übertragungen in der Allgemeinbevölkerung hoch ist, dass man dort strengere Maßnahmen hat. Dass man zum Beispiel in Wien die Gaststätten früh schließt oder ganz zumacht. Im Gegensatz zu Schließzeiten auf dem Land draußen in Niederösterreich oder so. Das ist sinnvoll. Und diese Idee gilt ja überall. Deshalb glaube ich, das Ampelschema hat Vorteile. Der andere große Vorteil ist, bevor jetzt jeder Kreisrat selber entscheidet und dann Österreich, die Landes-Obmänner von den neun Bundesländern. Wenn dann jeder selber entscheidet, wie er es macht. Dann kriegt man wieder so einen Flickenteppich. Dann führt das dazu, dass die Menschen von A nach B fahren, in ein anderes Bundesland und plötzlich ganz andere Regeln gelten. Und auch, dass man den Unterschied zwischen dem, was die Behörden anordnen, also was sozusagen im offiziellen Bereich ist, im öffentlichen Bereich ist und dem, was die Unternehmen machen. Die darf man ja auch nicht vergessen. Die haben ihre eigenen Pläne. Deshalb hat eine Ampel den Vorteil, dass sich alle danach richten. Die Unternehmen in dieser Region, alle Gemeinden und so weiter. Und dass man einfach weiß, was passiert. Bei Gelb wird das und das gemacht. Bei Grün wird das und das gemacht. Bei Rot sind folgende Maßnahmen angezeigt. Aber genau, wie Sie richtig sagen, das geht nur dann, wenn das Schema klar ist. Wenn das Schema jeder auf dem Tisch hat und man sich 100-Prozent dran hält, wenn es eintritt. Und nicht die Politiker dann wieder sozusagen ihre private Entscheidungen treffen.



Camillo Schumann

:


Also was bringt dann so eine Ampel, wenn man es so umsetzt wie Österreich?


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Alexander Kekulé:


Ich glaube, das kann man jetzt noch nicht beurteilen. Das ist ja ganz neu. Die war, glaube ich im Probebetrieb letzten Monat schon. Und jetzt geht es mal allgemein los. Das Problem in Österreich ist: Das ist eine Krisenkommission. Diese Ampel-Kommission, wie sie die genannt haben, die festlegt, auf welcher Farbe die jetzt nun stehen soll in den einzelnen Bundesländern. Da sitzt also aus jedem Bundesland jemand drinnen. Aus der Bundesregierung, glaube ich, fünf Leute und dann noch fünf Wissenschaftler. Und was dann am Schluss rauskommt, kann eine ganze Weile dauern, bis sich das umsetzt. Das andere, was man berücksichtigen muss. Die haben natürlich auch nur die Daten auf dem Tisch, die 1-2  Wochen alt sind. Weil die ganzen Meldezeit natürlich Meldeverzögerung und so weiter dazu führt, dass wir nie einen ganz aktuellen Stand haben. Andererseits wenn die was empfehlen, dann glaube ich schon, dass sich das einspielt. Dann kann das sein, dass dann die Politiker nach und nach in Erklärungsnot kommen, wenn sie sich nicht daran halten. Und deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass dieses Ampel-Modell, wenn es dann mal eingelaufen ist, tatsächlich etwas bringt und so ein bisschen die Politiker in den einzelnen Gebieten des Landes zur Disziplin ruft.


0:15:08



Camillo Schumann

:


Okay, also der Ampel in Österreich jetzt einfach mal ein bisschen Zeit geben. Man muss sich da so ein bisschen reinfinden. Das muss sich alles zurechtruckeln. Und weil auch gerade das Thema Daten gefallen ist. Wäre dann so eine Ampel vielleicht für ganz Europa mit einheitlichen Daten, einheitlichen Maßnahmen vielleicht auch eine Idee, jetzt aktuell für die Corona-Krise? Aber vielleicht auch für andere Krankheiten, andere Pandemien?


0:15:33



Alexander Kekulé:


Ja, also ich halte es auf jeden Fall für sinnvoll, solche Ampel-Schemata. Ich glaube, wir haben hier auch schon mal drüber gesprochen. Die haben wir ja vor Jahrzehnten schon in unsere Pandemiepläne reingemacht. Das ist einfach sinnvoll. Wenn man verschiedene Entschei-


dungsträger auf verschiedenen Ebenen hat. Dann hat man eine Fachkommission, die legt sozusagen mal das Schema fest. Und da ist es ganz wichtig, dass man natürlich flexibel ist. Und das könnte man klar europaweit machen. Und man entbindet dann in gewisser Weise das Gesundheitsamt in der letzten Provinz davon, von Fall zu Fall zu entscheiden, was jetzt nun sinnvoll ist und was nicht, während gerade der Landrat ihm im Nacken sitzt. Deshalb hätte ich mir eine stärkere europäische Führung und auch Steuerung des ganzen Covid-19 Problems von Anfang an gewünscht. Es ist wirklich sehr sehr schade, dass von der Europäischen Kommission aus Brüssel da eigentlich praktisch nichts gekommen ist.



Camillo Schumann

:


Und sehen Sie denn Anzeichen, dass da ein Umdenken stattfindet? Wie wird das auch mit Kollegen diskutiert?



Alexander Kekulé:


Also kaum einer weiß ja, dass es tatsächlich bei der Europäischen Kommission eine CoronaKommission gibt, so eine Berater-Kommission von sechs Personen, wo also 2 sogar aus Deutschland kommen. Frau von der Leyen hat das dann irgendwann eingerichtet. Ich habe bis jetzt noch nie gehört, was die für Empfehlungen abgegeben haben. Ich glaube auch nicht, dass das sehr weit führt. Also wenn man sich jetzt so die medizinischen Seiten der Europäischen Kommission anschaut. Da stehen so ein paar „Schmunzler“ drauf. Die möchte ich jetzt gar nicht zitieren. Das ist so. Das Thema ist für die offensichtlich nicht im Fokus oder vielleicht sogar abgefahren, weil sie das Gefühl haben: Wenn wir jetzt den Mitgliedsstaaten auch noch reinreden, was sie zu tun haben, wo die Probleme haben, ihre eigenen Bundesländer sofern Bundesstaaten sind, unter Kontrolle zu bekommen oder in Frankreich die Departements. Ich glaube, da hat Europa so viele Probleme, dass es im Moment überzogen wäre, von Brüssel aus gesehen, das sich auch noch auf die Tagesordnung zu setzen.


0:17:43



Camillo Schumann

:


Aber gut Probleme hin oder her. Die sind ja zum Lösen gedacht die Probleme. Was kann es


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einen besseren Anlass geben als eine weltweite Pandemie? Würden Sie sich denn wünschen, dass man sich gerade mit Blick in die Zukunft. Das muss ja nicht der Herbst sein. Aber das kann ja vielleicht nächstes Jahr sein, dass man sich, was solche Ampelpläne beispielsweise angeht, noch mal zusammensetzt?


0:18:06



Alexander Kekulé:


Ja, das wäre dringend notwendig. Wir hatten die Diskussion in Europa zuletzt, wir hatten sie mehrmals, aber zuletzt nach dem EbolaAusbruch in Westafrika. Damals war es so, dass ich wirklich mehrfach in Brüssel war und wir beraten haben, damals noch von der Schutzkommission aus, die die Bundesregierung damals beraten hat. Was man machen kann, um bei künftigen Ausbrüchen sowohl in Europa als auch außerhalb schneller zu reagieren. Konzertierter zu reagieren, besser aufgestellt zu sein. Ich möchte nicht wissen, wie viele Pläne in den Schubladen liegen. Es gibt auch ein europäisches Krisen-Reaktionszentrum. Von dem habe ich bis jetzt auch noch gar nichts gehört. Das ist eingerichtet. Die haben da so ein ganz tolles Lagezentrum tatsächlich dort in Brüssel im Untergeschoss. Aber das sind alles Pläne, die sich jetzt in dieser Krise noch nicht umgesetzt haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das für die Zukunft hätten. Jetzt mal so ganz praktisch gesehen. Es gibt ja auch Länder, die haben Schwierigkeiten, so viel zu testen wie wir in Deutschland. Und am Anfang eines Ausbruchs ist es ja immer so, dass man ein großes Labor dafür braucht. Schnelltests kommen dann irgendwann. Aber die haben sie nicht am ersten Tag. Und diese Laborkapazitäten schnell dahin zu bringen, wo vielleicht ein Mitgliedsstaat in Not ist. Selbst das ist ja noch nicht vorgesehen. Wir haben ein paar Laborcontainer, die wir hier und da mal in ärmere Länder der Welt gebracht haben, wenn dort Ausbrüche waren. Aber es gibt keinen konzertierten, keinen Plan, wie sich Europa zum Beispiel gegenseitig hilft bei einem solchen Ausbruch. Wenn das jetzt in einem Land passieren würde, wo man weniger Möglichkeiten als in Italien, Spanien oder Deutschland hat.


0:19:47



Camillo Schumann

:


Gut, wir sind gespannt, welche europäische Antwort es auf die Corona-Krise und künftige Krisen geben wird. Wir müssen noch einen kurzen Blick nach Israel wagen. 4000 Fälle pro Tag. Auch dort wieder extrem hohe Zahlen. Und Israel hat wieder einen Lockdown verhängt. Drei Wochen soll er gelten. Die Maßnahmen sehen die Schließung von nicht lebensnotwendigen Geschäften wie auch Schulen vor. Außerdem sei der Eintritt zu Synagogen und anderen Gotteshäusern stark eingeschränkt oder auch ganz untersagt worden. Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Menschen dürfen sich nicht weiter als 500 Meter von ihren Wohnungen entfernen. Da bekommen wir das Gefühl eines Déjà-vu‘s. In Israel passiert das, wovor wir uns fürchten. Was hat Israel falsch gemacht?


0:2 0:33



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube, das kann man nicht deutlicher formulieren. Es ist so, dass das quasi das Mahnmal ist. Das ist das Menetekel, was wir uns ansehen müssen. Das kann uns auch passieren. Israel hat eben keine klare Steuerung. Dort ist es sehr stark politisch entschieden. Benjamin Netanjahu hat aus politischen, wirtschaftlichen Gründen alles wieder aufgemacht. Dann gab es fürchterliche Ausbrüche in mehreren Schulen. Insgesamt hat die Bevölkerung dadurch das falsche Signal bekommen. Nach dem Motto die Krise ist jetzt vorbei. Das wird ganz, ganz schwer, wenn jetzt in dieser Situation wieder zugemacht wird. Weil die Akzeptanz für diese Maßnahmen ist bei dem Großteil der israelischen Bevölkerung überhaupt nicht mehr da. Dieser Lockdown ist so ein bisschen Lockdown light. Das muss man vielleicht dazu erklären. Es ist nämlich so, am Freitag ist ein jüdisches Fest: Rosch Haschana, also das Neujahrsfest. Und da wird sowieso alles zugemacht. Und ich glaube, die haben 14. Tage normalerweise Schulferien da. Diese Veranstaltung geht quasi am Freitagabend los und jetzt wird also am Mittwoch zugemacht. Es ist nicht ganz so krass, wie es klingt mit dem Lockdown. Aber trotzdem haben die Schulferien vorgezogen. Und sie haben vor allem überhaupt keinen Plan, wie es danach weitergeht. Es ist sozusa-


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gen ein Lockdown ohne Exit-Strategie. Und da haben Sie völlig Recht. Da muss man wirklich ein Déjà-vu haben. Das war ja in ganz Europa so ähnlich.


0:2 2 :03



Camillo Schumann

:


Und warum? Weil Sie eingangs gesagt haben, das könnte uns auch drohen. Warum?


0:2 2 :09



Alexander Kekulé:


Das würde uns drohen, wenn die Lage völlig außer Kontrolle geht. Schauen wir uns Frankreich und Spanien an. Die versuchen mit den Methoden, mit denen man halbwegs begrenzte Ausbrüche unter Kontrolle bekommen kann, das wieder einzufangen. Das heißt also, sie versuchen, kleinere Schließungen zu machen. Sie versuchen, Kontakt abends in Südfrankreich zu reduzieren. Es geht um die Maske und den Abstand. Aber letztlich sind das alles Methoden, die funktionieren nur dann, wenn die Zahl der Infizierten im Land ein gewisses Maximum nicht überschreitet. Sonst kriegen Sie einfach immer, egal, was Sie machen ... Durch die Reste, die Rest-Infektionen, die bei jeder Maßnahme letztlich möglich sind, kriegen Sie trotzdem eine explosionsartige Vermehrung der Fälle. Also alles, was kein Lockdown ist, ist ja, wenn man so will, ein durchlässiges System. Das ist ein Kessel mit Löchern. Und wenn der Kessel wahnsinnig viele Löcher hat und wahnsinnig viel Wasser in dem Kessel drin ist, dann funktioniert diese Methode nicht mehr. Ich habe mal ... Am Anfang haben wir das mal erklärt. Für Deutschland waren wir auch kurz in der Lage. Das ist quasi diese exponentielle Phase drei einer Pandemie, wo das wie so ein Hockeystick wie ein Hockeyschläger, wo plötzlich schlagartig die Fälle steigen. Von da muss man zurück in diese Phase kommen, wo die Gesundheitsämter eine Chance haben, nachzuverfolgen. Also diese Phase II. Da sind wir in Deutschland noch. Aber wenn das komplett aus dem Ruder gerät, dann haben wir natürlich auch keine andere Möglichkeit. Oder wir schauen einfach zu, wie die Leute infiziert werden. Aber ich glaube nicht, dass das politisch akzeptiert werden wird.


0:2 3:59



Camillo Schumann

:


Die Alltagsmasken müssen uns schützen. Dass sie vor einer Infektion schützen. In diesem Punkt sind sich die Mediziner weltweit einigermaßen einig. Und jetzt gibt es eine neue Theorie von amerikanischen Wissenschaftlern, die den Masken noch ein ganz anderes Potenzial attestieren. Ihrer Theorie zufolge können sich andere Menschen durch eine Maske zwar anstecken, ihr Immunsystem könnte die wenigen Erreger, die dann durch diese Maske kommen aber so gut bekämpfen, dass die Betroffenen nichts von der Infektion merken. Und die Hoffnung ist natürlich die Reaktion des Immunsystems reicht aus, um eine Immunität gegen das Virus aufzubauen. Also Masken sorgen für Immunität. Also eigentlich ist es ja die Theorie, die wir schon im Podcast mal besprochen haben. Die Virusmenge ist entscheidend, oder?


0:2 4:45



Alexander Kekulé:


Ja, das ist dieses Thema mit der Viruslast, also die Größe, die Menge der Viren. Wir wissen bei vielen Viruserkrankungen, so perfekt erforscht ist es nicht. Wenn kleine Mengen von Viren auf die Haut oder auf die Schleimhaut kommen. Dass dann der Körper in der Lage ist, dagegen zu reagieren in der Weise, dass er vor Ort das Virus einfach sofort plattmacht, bevor es zu einer systemischen Infektion kommt. Und das hat so eine Art Immunisierungs-Effekt. Ob da jetzt die Menschen vielleicht krank werden, ob sie es merken oder nicht, das kann man nicht so sagen. Aber es werden zumindest leichtere Erkrankungen. Also nach dem Motto viel Virus auf einmal. Wir haben das mal diskutiert im Zusammenhang mit der Inhalation von Viren in die Lunge. Das macht schwer krank. Und ein paar Viren, die da irgendwo auf der Nasenschleimhaut rumliegen. Die werden eben vom Immunsystem eliminiert mit der Folge, dass dann, wenn alles sauber läuft im Körper sich trotzdem diese Gedächtniszellen bilden, die dann eine Immunität verleihen. Das war ja das Prinzip der Variolation, die man früher gegen die Pocken auch verwendet hat.


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0:2 5:53



Camillo Schumann

:


Aber was mich bei dieser Theorie als erstes so ein bisschen gestört hat war, lassen Masken denn tatsächlich genügend durch?



Alexander Kekulé:


Naja, das wissen wir nicht. Also das mit den Masken, das würde ich jetzt nicht unterschreiben. Ob das jetzt so stimmt. Aber ganz allgemein kann man schon vermuten, dass Menschen, die nur ganz wenig Virus abgekriegt haben, eine leichtere Erkrankung haben. Das würden wir im engeren Sinn dann nicht Immunisierung nennen, weil es ja doch eine kleine Erkrankung dann ist. Aber es führt wahrscheinlich dazu, dass, falls das Virus noch mal kommt in höherer Dosis, dass es da nicht zu einem tödlichen Verlauf kommt. Also das, was wir eigentlich haben wollen in dieser Pandemie. Und natürlich ja, wenn man immer eine Maske im Gesicht hat oder wenn alle Beteiligten eine Maske im Gesicht haben in so einem geschlossenen Raum. Und wir stellen uns vor, es wäre dort ein Superspreader dabei, der große Mengen von Viren ausscheidet, sodass wir eigentlich luftgetragene Infektionen vermuten müssten. Dann wäre es natürlich so, wenn alle eine Maske einschließlich dem Superspreader aufhaben. Dann würde auch dieser Superspreader leider links und rechts durch die Luft, die da immer raus geht, natürlich auch Viren ausstoßen. Nicht mehr so viele. Aber ein paar kommen da schon raus. Und die anderen haben jetzt eine Maske und einen Teil atmen sie durch den Stoff aus und einen Teil außen vorbei. Aber das würde ganz klar die Dosis reduzieren. Das würde wohl verhindern, dass mehrere Menschen in einem Raum, wie wir es ja bei diesen Superspreading-Ereignissen haben, auf einen Schlag tief inhalieren und dann unten in der Lunge das Virus haben. Sondern man könnte eben hoffen, dass mehr so eine Art Schleimhaut-Immunität entwickeln. Und das würde ins Bild passen. Also man muss dazu sagen, dass sind virologisch wilde Spekulationen. Aber es wäre zumindest plausibel. Ich war bis jetzt immer etwas vorsichtig, das ausführlich zu formulieren. Aber da hat ja kein Geringerer als Toni Fauci, der berühmte amerikanische Immunologe und Regierungsberater. Der hat das auf den Plan gebracht, diese Idee. Da-


rum reden jetzt, glaube ich, viele Menschen auf der Welt darüber.


0:2 7:56



Camillo Schumann

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Die Wissenschaftler schränken auch ein: „Um unsere Hypothese zu überprüfen, brauchen wir weitere Studien, die den Anteil der asymptomatisch Infizierten in Gegenden mit und ohne Alltagsmasken vergleichen.“ Das muss man dem schon gegenüberstellen.


0:2 8:13



Alexander Kekulé:


Das könnte man machen. Ich glaube, dass wird man so nicht rauskriegen. Also solche Studien wird es nicht geben, die das wirklich sauber wissenschaftlich belegen, weil die Alltagsmasken, haben Sie gesagt, die sind ja nun wiederum andere, als der klassische Mund-NasenSchutz, den man im OP aufhat. Und jede Maske ist ein bisschen anders. Selbst bei dem OPMundschutz ist es so, dass manche qualitativ besser sind oder besser sitzen und solche Dinge. Ich glaube, da kommt man nicht weit. Man muss auch eine Warnung aussprechen. Es ist ja so, diese Variolation, das ist ja die ursprüngliche Idee. Das kennen wir ja aus der Biologie in der Schule. Da hat man in China im 15. Jahrhundert schon damit angefangen, dass man getrocknete Pocken-Krusten also Variola. Da hat man Krusten von Pockenpatienten genommen, die aber so ausgesucht, dass man nur leichte Fälle genommen hat. Bei Pocken sterben nicht alle. Also im schlimmsten Fall vielleicht 30 Prozent, eher weniger. Hat man leichte Fälle genommen. Die Kruste genommen, gemörsert und dann entweder in Wunden aufgetragen oder in die Nase eingesprüht. Und das führte zum Teil dazu, dass die Menschen immun waren. Übrigens waren die schon so schlau damals in China, nach dieser Prozedur die Leute zu isolieren, also in Quarantäne zu bringen, weil die wussten, die könnten ansteckend sein. Aber ein erheblicher Teil ist natürlich daran gestorben. Da gab es immer wieder mal Tote, wenn die da vor allem das Militär geimpft haben. Inokuliert haben sie das damals genannt. Da gab es natürlich immer mal wieder Tote. Und als man in England, wo man ja wissenschaftlich meinte, man sei besser


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als der Osten, dann davon gehört hat, irgendwie ganz früh im 18. Jahrhundert, dass es sowas gibt in China. Da hat man das komplett abgelehnt. Also die Royal Society, die wissenschaftliche Gesellschaft in England, hat gesagt: Das machen wir nicht, weil da sterben ja die Menschen. Das ist irgendwie so VoodooMedizin aus China. Das machen wir nicht. Und es war eigentlich dann witziger Weise so ähnlich wie bei uns mit den Masken. Das war so eine Art Basisbewegung von Menschen aus England. Die Pocken waren ja da. Und die Menschen haben gesagt: Nein, wir wollen das machen. Und die haben dann selber angefangen, quasi illegal gegen die Empfehlung der obersten Wissenschaftlichen Gesellschaft, mit diesen Variationen. Und als man das erste Mal gesehen hat, dass das wirklich funktioniert, da hat sich das nach und nach ausgebreitet.



Camillo Schumann

:


So dass wir quasi die von der ersten Impfung der Welt in der Virologie sprechen?



Alexander Kekulé:


In der Virologie sprechen wir über den Effekt der Attenuierung, das Abschwächen eines Virus. Solche attenuierten, abgeschwächten Viren, die man zum Beispiel erhitzt hat, die kann man als Impfstoff verwenden. Das wurde auch später viel gemacht. Die Frage ist jetzt nur, ist so eine Verdünnung eigentlich eine echte Abschwächung, weil ein paar wenige wirklich voll aggressive, voll funktionsfähige Viren ausreichen, um krank zu machen. Und das ist wissenschaftlich, obwohl das uralt ist, ist das nicht besonders gut erforscht. Also Louis Pasteur hat in Paris ja bekanntlich einen jungen, diesen Wilhelm Meister geimpft, nachdem er von dem tollwütigen Hund gebissen wurde. Der hat auch nichts anderes gemacht, als Viren zu nehmen, Tollwutviren zu nehmen und zu trocknen und unterschiedlich lange zu trocknen und je länger getrocknet, da hat er gedacht: Na ja, da ist es dann abgeschwächt. Aber war es wirklich abgeschwächt oder war es nur weniger Virus? Das heißt also, das ist ein Riesengebiet, wo wir noch ganz viele Fragezeichen haben. Und deshalb möchte ich nicht dazu raten, es darauf ankommen zu lassen. Weil ich sehe schon wieder Leute, die dann so eine Art Masern-Party mit Masken


veranstalten und meinen, dass sie auf die Weise sich gegen Covid-19 impfen könnten.


0:31:48



Camillo Schumann

:


Das Stichwort Impfung ist schon gefallen. Das soll uns jetzt auch beim nächsten Thema noch beschäftigen. Denn wir müssen auch über AstraZeneca sprechen kam. Vergangene Woche hatte die britisch-schwedische Pharmafirma die Phase-3-Studie für ihren Corona-Impfstoff unterbrechen müssen. Mindestens eine Patientin hatte eine schwere Erkrankung entwickelt, die man nicht auf Anhieb erklären konnte. So wurde es mitgeteilt. AstraZeneca stoppte daraufhin alle weiteren Impfung, damit dann unabhängige Experten überprüfen konnten, ob die Beschwerden auf den Impfstoff zurückzuführen sind. Nun wurde geprüft. Die Tests können wieder aufgenommen werden. In den USA aber noch nicht. Trotzdem bleiben sehr, sehr viele Fragen offen, weil auch nicht alle Informationen an die Öffentlichkeit gekommen sind. Zum Beispiel die Frage: Welche Erkrankung hatte die Patientin eigentlich? Was lesen Sie darüber?


0:32 :42 



Alexander Kekulé:


Da gibt es das Gerücht, dass die eine sogenannte Myelitis hatte, also eine Entzündung des Rückenmarks. Das ist eine Entzündung des Nervenstrangs im Rückenmark. Da kriegt man Muskelschwäche der Arme und Beine unter Umständen bis hin zu schweren Lähmungen. Und das ist leider eine Nebenwirkung, die man bei Impfungen aber auch bei Virusinfektionen sehen kann. Und dieser Impfstoff aus Oxford, der hat ja ein Virus mit drin. Das ist zwar eigentlich nicht vermehrungsfähig, aber das ist eben dieses Adenovirus von einem Schimpansen, wo man die Vermutung haben könnte, dass das so eine Autoimmunreaktion ausgelöst hat. Solche Effekte sieht man. Es gibt eine autoimmune Myelitis, also diese Erkrankung gibt es als Autoimmunerkrankung. Und falls das stimmt, und es nicht nur ein Gerücht ist, dann ist es ganz klar das Richtige gewesen, dass die Studie erst mal gestoppt wurde.


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0:33:37



Camillo Schumann

:


Weil Sie noch einmal gesagt haben, Gerücht. Es gibt keine offiziellen Stellungnahmen, keine offiziellen Paper, in die man schauen kann, was ihr tatsächlich widerfahren ist und zu welcher Gruppe sie eigentlich gehörte. Möglicherweise gehörte sie auch zur Kontrollgruppe, die nur ein Placebo bekommen hat. Das ist völlig unklar.


0:33:54



Alexander Kekulé:


Ja, das ist ganz wichtig, was Sie sagen. Also wir wissen nicht, ob das die war, die überhaupt den Impfstoff bekommen hat. Ähm, das klingt so ein bisschen absurd. Aber man muss sich klarmachen, dass ist eine strenge Studie, wie wir es immer gefordert haben. Wir haben ja schon ein paar Mal geschimpft auf die russische Methode oder auf manche chinesische Ideen, wie Impfstoffe ganz schnell entwickelt werden können, wo man quasi die Ecken abkürzt. Und hier hat man gesagt: Wir machen eine klassische Doppelblindstudie, eine randomisierte Studie. Doppelblind heißt weder der Arzt noch der Patient weiß, ob er ein Placebo bekommen hat, einen Nicht-Wirkstoff, oder ob er einen echten Impfstoff bekommen hat. Und das wird ganz streng überwacht von einem Kontrollkomitee, so ein Studien-Komitee. Die müssen sich exakt an die Regeln halten. Da steht eben in der Regel genau drinnen, unter welchen Umständen es zum Studienabbruch kommen muss. Solche Fälle, die typischerweise bei Autoimmunreaktionen vorkommen, sind eben Klassiker, wo man einen Abbruch macht. Aber die Kategorie, dass man die Studie entbindet, also quasi aufdeckt, wer in welcher Gruppe war. Diese Kategorie ist noch mal eine andere. Weil man muss sich vorstellen, sobald man aufgedeckt hat, wer in der Kontrollgruppe war und wer geimpft wurde, ist die Studie quasi nutzlos und zu Ende. Und hier ist es extrem wichtig, weiterzumachen und zu sehen, ob das ein Schutzeffekt bringt oder nicht. Und deshalb hat man sich entschieden, und das ist in dem Fall sicher vorher schon im Protokoll gestanden, dass man bei dieser Nebenwirkung konkret nicht die Studie abbricht und quasi aufdeckt, ob die Teilnehmerin hier in welcher Gruppe drin war. Und das andere, was man


immer so ein bisschen im Auge haben muss. In dem Moment, wo man jetzt sagen würde, welche Symptome die hat. Wir vermuten, dass ist irgendwie durchgesickert, dass es Myelitis war. Wo man das sagen würde. Naja, stellen Sie sich vor, Sie sind Teilnehmer bei dem Ganzen. Und man sagt Ihnen da hat jemand eine Lähmung gehabt im rechten Arm. Und dann gehen Sie am gleichen Nachmittag Tennis spielen und verlieren. Da haben Sie das Gefühl, irgendwie war mein rechter Arm heute schlecht, schlechter als sonst. Sie sagen das Ihrem Studienarzt. Sagen das Ihrem Arzt. Und dann muss der das melden. Und dann heißt es Nebenwirkung Nummer zwei. Weil dieser psychologische Herdeneffekt ganz großen ist. Grad bei so Impfstoffstudien, wo die Leute ja emotional auch beteiligt sind. Und man muss sich klarmachen. Diese Studien werden ja gemacht....also ganz konkret die AstraZeneca. Meines Wissens haben die hauptsächlich Brasilien und Südafrika. Und in den USA haben sie auch noch ein Study Center. Das heißt also, die sind in Ländern, wo sie es jetzt nicht Leute haben, die medizinisch wahnsinnig aufgeklärt sind. Und die machen an dieser Studie mit. Und die haben vielleicht sonst alle möglichen Erkrankungen, weil sie sonst medizinisch nicht besonders gut versorgt werden, mal USA ausgenommen. Aber in Südamerika ist es eben so. Da haben sie viele Menschen, die in einer schlechten Gesundheitsversorgung sind. Dann machen die bei so einer Studie mit. Und dann werden natürlich alle möglichen Wehwehchen, die sie vorher schon gehabt haben, plötzlich festgestellt. Und das ist ein ganz bekannter Effekt bei solchen Studien, die man in ärmeren Ländern macht. Deshalb würde ich von einem einen Fall erst mal gar nichts schließen. Also einmal ist keinmal. Wenn es natürlich jetzt mehrmals auftreten sollte, dann stinkt da was.


0:37:2 0



Camillo Schumann

:


Man muss das ja ins Verhältnis zu setzen. Es sind mehrere 10.000 Probanden, die diesen Impfstoff bekommen. Und wenn es dort einer Probandin mal nicht so gut geht, offenbar auch richtig schlecht geht, dann ist das ja eigentlich ein fast normaler Verlauf.


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Alexander Kekulé:


Es wäre fast merkwürdig, wenn man bei so vielen Probanden nicht irgendwann so einen Effekt hätte. Dass irgendeiner der Probanden bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt im Lauf der Studie. Dass irgendjemand einen Herzinfarkt bekommt oder sonst was in den Ländern, die da betroffen sind, vielleicht auch Opfer eines Gewaltverbrechens wird und Ähnliches. Das hat alles eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Und jetzt ist die Myelitis keine häufige Erkrankung. Das muss man schon sagen. Es ist eine sehr, sehr seltene Erkrankung. Aber man hätte die wahrscheinlich nicht zum Studienabbruch als Anlass genommen, wenn es nicht so wäre, dass wir wüssten, dass so eine Erkrankung typischerweise eben autoimmun sein kann.


0:38:14



Camillo Schumann

:


Und noch kurz der Hinweis darauf, weil die ganze Welt auf den Impfstoff wartet und natürlich jeden einzelnen Schritt überwacht. Auch die Medien haben ein Auge drauf. Der Firma wird ja mangelnde Transparenz vorgeworfen. Zurecht?


0:38:32 



Alexander Kekulé:


Ich finde das nicht. Aber das ist eine sehr politische, schwierige Frage. Ich persönlich finde, man muss hier auch in dieser angespannten Situation, wo viele Leute einfach mit den Nerven am Ende sind. Da muss man trotzdem sagen: Wir machen das kaltblütig, professionell wie immer. Und professionell heißt einfach, dass die Studie nicht entblindet wird wegen eines Falls. Und das heißt natürlich, dass die Einzelheiten solcher Nebenwirkungen nicht bekanntgegeben werden, weil eben alle Probanden die Zeitung lesen und soziale Medien benutzen und so weiter und sonst am nächsten Tag wüssten, was die Nebenwirkung war.


0:39:13



Camillo Schumann

:


Noch abschließend dieses Statement dazu, das von den Corona-Skeptikern benutzt wird, um auch Stimmung zu machen. Zu sagen, da wird uns was verschwiegen. Das ist alles nicht so sicher. Da gibt es starke Nebenwirkungen. Das


wird uns sozusagen nicht übermittelt. Diese Information kann nicht so richtig sicher sein. Also dieses Argument wäre das dann sozusagen mit Ihrer Argumentation entkräftet?


0:39:41



Alexander Kekulé:


Was heißt entkräftet. Man muss einfach sagen: Es ist ein ganz neuer Impfstoff. Es ist ein ganz neues Wirkprinzip. Von Anfang an ist klar gewesen, dass bei dieser Art, mit einem viralen Vektor zu impfen, dass bei dieser speziellen Art damit zu rechnen ist, dass es Autoimmunreaktionen gibt. Das war sozusagen ganz oben auf der möglichen Liste von Nebenwirkungen. Und jetzt ist es keinmal. Aber wenn sich das natürlich herausstellen sollte, dass sowas öfters vorkommt, dann kann man sagen, dann hätten Leute, die vielleicht Skeptiker sind und die sagen: Naja, einen vektorbasierten Impfstoff, den will ich eigentlich gar nicht haben. Oder so ein RNA-basierte Impfstoff ist mir auch zu gefährlich. Solche Menschen hätten dann auch ein gewisses wissenschaftliches Argument. Weil man muss ganz klar sagen, es sind ja früher mal in der Krebstherapie auch schon mit diesen Adenoviren Versuche gemacht worden. Und da gab es durchaus üble Nebenwirkungen. Und jetzt muss man deshalb genau gucken, ob das mit diesem neuen System nicht der Fall ist. Also ich bin schon dafür, dass man Menschen, die sagen: Wir wollen, dass das sehr genau geprüft wird... Dass man die ernst nimmt. Und dann gibt es die ganze kleine Gruppe von Skeptikern, ja sozusagen die Corona-Leugner, wie die inzwischen schon heißen. Ich glaube, die können Sie gar nicht überzeugen. Also, es ist nicht so... Diese Art von Debatte liegt so weit auseinander, dass sie nicht mehr rationalen Argumenten zugänglich ist. Die hätten auch ein Argument gegen den Impfstoff gefunden, wenn es überhaupt keine Nebenwirkungen gibt.


0:41:19



Camillo Schumann

:


Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese besorgte Mutter hat angerufen.


Zuhörerin:


Wir haben eine schwer herzkranke Tochter. Inwieweit ist es für die ganz Kleinen, unsere


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Tochter ist drei. Inwieweit ist es gefährlich, dass sie sich mit dem Coronavirus anstecken, wenn man eine solche Vorbelastung mitbringen. Weil die Ärzte sind sich doch da auch nicht du ganz einig. Vielen Dank.


0:41:37



Camillo Schumann

:


Tja, viele Fragezeichen auch bei dieser Mutter.



Alexander Kekulé:


Das ist schwierig. Also kleine Kinder haben normalerweise keine schweren Herzkrankheiten. Also bei angeborenen Herzfehlern wird dann typischerweise nach der Geburt und danach mehrmals operiert. Bei Herzkrankheiten, die nicht angeboren sondern erworben sind. Und bei so einem kleinen Kind muss man halt ein bisschen unterscheiden, was es ist. Was wir jetzt nicht wissen für diesen speziellen Fall. Ich würde ganz allgemein ... Darüber gibt es natürlich keine Statistik. Also, das muss man ganz klar sagen für seltene Sachen, dass ein kleines Kind schwer herzkrank ist. Da gibt es für Covid19 keine Statistik. Deshalb würde ich einfach nach einem gesunden Menschenverstand vorgehen. Und der heißt hier: Da ist ein Gesundheitsrisiko vorhanden, was im Falle einer Intensivtherapie auf jeden Fall ein Problem wäre. Und deshalb würde ich sagen: Dieses Kind hat auf jeden Fall ein erhöhtes Risiko, wenn es Covid-19 kriegt, erhöht im Vergleich zu anderen Kindern. Wobei man natürlich sagen muss, andere Kinder haben praktisch überhaupt kein Problem damit, ob das jetzt 0 + 0,1 ist oder ob das ein wichtiger Faktor ist. Das kann man von hier aus nicht sagen. Also wenn ich, wenn ich so ein Kind hätte, würde ich einfach versuchen, wirklich zu verhindern, dass es die Infektion bekommt und an der Stelle nichts riskieren.


0:42 :55



Camillo Schumann

:


Diese Dame hat angerufen. Sie hatte eine Nano Silbermaske und da haben wir auch schon darüber gesprochen. Nach der Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung wird diese Art von Masken nicht unbedingt empfohlen. Dadurch ist sie ein wenig verunsichert.


0:43:08


Zuhörerin:


Ich hatte nicht gewusst, dass das nicht ganz so ohne ist, ob man die in warmes Wasser legen kann und die Nanoteilchen sich dann aussondern. Das war meine Frage. Ob ich die dann loswerde oder die Maske einfach nicht benutze.


0:43:2 1



Alexander Kekulé:


Ich würde die Maske wegtun. Ob sich das im warmen Wasser herauslöst. Wahrscheinlich ein Teil ja. Aber unser Bundesamt für Risikobewertung, die sind ja nicht so, dass sie ständig Alarm schreien. Sondern die sind eigentlich sehr gründlich, weil die sonst Ärger mit der Industrie bekommen würden. Und wenn die sich einmal so deutlich positionieren, dass sie sagen, das Inhalieren solcher Mikro Nano Silberpartikel könnte gefährlich sein, dann würde ich das mal ernst nehmen. Das sind ja die gleichen Leute, die zum Beispiel festgestellt haben, dass diese Weichmacher in Babyflaschen schädlich sind und dass man das nicht behalten soll. Und die werden ja normalerweise auch nicht mehr benutzt. Darum glaube ich, ist das sicherlich ein vernünftiger Ratschlag. Und er ist auch plausibel.


0:44:08



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 108. Und ich habe eingangs schon gesagt, am Ende gibt es 2 Beispiele dafür, wie man es nicht machen sollte. Das erste Beispiel ist, dass eine mutmaßliche Superspreaderin in GarmischPartenkirchen, eine 2 6-jährige Amerikanerin. Die soll dem zuständigen Landratsamt zufolge wegen Erkältungssymptomen einen CoronaTest gemacht haben. Noch bevor sie das Ergebnis erhielt und trotz QuarantäneAnordnung soll sie mehrere Kneipen besucht und dabei auch zahlreiche weitere Menschen angesteckt haben. Einen Musterfall von Unvernunft hat das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder genannt. Und Herr Kekulé. Unvernunft ist auch das Stichwort für den Fall an einer Uni in den USA. Dabei hatte man sich doch so große Mühe gegeben.


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0:44:56



Alexander Kekulé:


Das ist ganz Klasse. Wir vergeben jetzt einmal im Monat die Corona-Krone. Das ist so, dass an der Uni von Illinois. Da haben die was ganz Tolles gemacht. Und zwar haben die ein ganz Supersystem. Ich bin richtig neidisch darauf. Sie haben etwas entwickelt, wie sie dort alle ihre Studenten testen. Die haben Testzelte aufgestellt. Die Studenten müssen da regelmäßig durch. Und die kriegen in kürzester Zeit ihre Resultate. Die haben so einen Spucke-Test entwickelt, der den Vorteil hat, dass es viel weniger Material verbraucht und auch sehr schnell geht. Die haben da 2 5 Labortechniker ständig im Einsatz gehabt, hatten 2 0 Zelte mit 2 00 Helfern. Und wenn die Studenten nicht beim Testen waren, dann war das so geschaltet, dass sie mit ihrer Karte, mit der sie auf dem Campus in die Häuser rein kommen, einfach nicht mehr reinkamen. Diese elektronischen Karten, ID-Karten wurden blockiert. Und dieses Supersystem hat trotzdem dazu geführt, dass am 31.08. jetzt vor gut 2 Wochen an einem Tag 2 30 Infektionen waren. 2 30. Raten Sie mal, warum.



Camillo Schumann

:


Ich weiß es ja. Es gab ein paar Studenten, die sich nicht um ihr Ergebnis geschert haben und feiern gegangen sind.



Alexander Kekulé:


Genau. Die waren positiv. Das ging auch noch auf die App. Die haben es aufs Handy geschickt bekommen. Haben gemeldet bekommen, dass sie positiv sind und sich in Quarantäne begeben sollen. Dann kamen sie natürlich von dem Tag an nicht mehr in die Universitätsgebäude. Sie waren sofort gesperrt. Aber in die Kneipen und auf die Partys konnten sie noch gehen. Und da haben sie das Virus verteilt.


0:46:2 9



Camillo Schumann

:


So unterhaltsam das auch klingt, was da in Garmisch-Partenkirchen passiert ist und an dieser Universität. Aber so einen ernsten Hintergrund hat es ja auch. Weil es kann am Ende dazu führen, dass Menschen im Krankenhaus landen


0:46:42 



Alexander Kekulé:


Nein, man muss natürlich immer klar dazu sagen, das ist nett mal einen Spaß zu machen. Vor allem, wenn der emotionale Druck im Lauf der Zeit dieser Pandemie natürlich gestiegen ist. Aber wir haben es immer noch mit einer tödlichen Erkrankung, mit einer potenziell tödlichen Erkrankung zu tun. Und ich kann wirklich nur immer an alle appellieren, die damit zu tun haben, dass das weiterhin ernst genommen wird.


0:47:01



Camillo Schumann

:


Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage an uns, dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 12 . September 2 02 0


#107: Kekulés Corona-Kompass 

Camillo Schumann

, Moderator


MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.



Camillo Schumann

:


Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr im Hallenbad? Welche Luftfilter sind gegen das Virus geeignet? Hilft viel trinken, um schwere Krankheitsverläufe zu verhindern?


Damit herzlich willkommen zu einem „Kekulés Corona-Kompass HÖRERFRAGEN SPEZIAL“. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Lena aus Dresden hat gemailt: „Soweit ich verstanden habe, kann eine Covid-19Erkrankung schwerer ausfallen, je mehr Viren man anfangs ausgesetzt ist. Gibt es Studien dazu oder eine Einschätzung von Herrn Kekulé, dass Eltern infizierter Kinder oder Kita-Erzieher besonders schwer erkranken? Wenn ich mit meinem zweijährigen Sohn Zähne putze oder er mir abends ins Gesicht gähnt, sehe ich die Tröpfchen und Aerosole förmlich vor mir. Falls er irgendwann infiziert wäre, kann ich mir nicht vorstellen, wie wir Eltern uns vor großen Mengen Virus schützen können. Viele Grüße Lena aus Dresden.“



Alexander Kekulé:


Da gibt es keine Studien darüber. Aber das ist ein Thema, was mich zurzeit wissenschaftlich interessiert. Sie können sicher sein, sobald es eine Studie gibt, hören Sie das hier. Es gibt die Vermutung, die ist von Anthony Fauci, dem amerikanischen Berater der Regierung aufgestellt wurde. Der hat gesagt, es könnte gut sein, dass die Dosis eine Rolle spielt. Wir kennen das von anderen Viruserkrankungen, dass die schwerer verlaufen, wenn man viel Virus auf einmal abkriegt. Und bei dem Covid-19 sag ich jetzt mal so als Theorie. Das hat jetzt der Fauci nicht so gesagt. Aber man könnte sich natürlich schon vorstellen, dass Menschen, die eine große Menge Virus auf einmal inhalieren, also gleich sofort in der Lunge unten drinnen haben, dass die schwerer erkranken. Das würde einen Teil unserer Phänomene erklären, dass wir immer diese schweren Ausbrüche in den Altersheimen und in den Krankenhäusern haben. Aber das ist nur eine reine Theorie, Spekulation ohne Daten. Wenn diese Spekulation stimmen würde, dann hätten Eltern eigentlich ein kleineres Problem. Aus folgendem Grund: So ein Kind wird ja nicht sofort zum massenhaften Virusausscheider, sondern das geht so nach und nach los. Das Kind ist irgendwann angesteckt und hat erst mal eine kleine Menge Virus, die es ausscheidet. Und im Lauf von 1-2  Tagen geht es dann hoch.


Eltern sind aber so eng mit ihren Kindern zusammen, dass sie schon diese kleine Menge abkriegen würden. Und die Hoffnung ist, dass sie – weil wenig Virus auf der Nasenschleimhaut zum Beispiel landet – eine Immunität aufbauen, bevor das Virus unten in der Lunge landet, sodass, wenn das Virus später in größerer Menge in der Lunge ankommt, die Antikörper dort schon stehen und Hallo winken.


Das ist sogar einer der Gründe, warum man Faucis Theorie verfolgt: Weil man gesagt hat: Es ist doch erstaunlich, dass es so wenig schwere Infektionen bei Übertragungen im privaten Bereich gab. Also sind es vielleicht die kleinen Dosen, die da eine Rolle spielen.


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Camillo Schumann

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Herr B. aus Bremerhaven hat geschrieben: „In meiner Patientenverfügung habe ich die künstliche Beatmung abgelehnt. Zählt dieses auch bei einer Covid-Erkrankung? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Ja, im Prinzip schon. Wenn es pauschal da drin steht, zählt das. Ich würde bei Covid-19 davon abraten, die künstliche Beatmung kategorisch abzulehnen. Etwa die Hälfte der künstlich Beatmeten stirbt, so sind noch die Daten – wahrscheinlich wird es jetzt besser –, aber die andere Hälfte überlebt. Und die meistern das ohne bleibende Schäden. Man hat also nicht notwendigerweise schwere mentale Schäden oder Ähnliches. Darum kann man sagen, dass es eine der Indikationen ist, wo die Atmung sinnvoll ist und die auch eine Chance auf eine Komplettheilung bietet. Es ist allerdings so, dass jetzt kaum einer ins Krankenhaus kommt und die Ärzte dann entscheiden müssen, ob er künstlich beatmet wird, weil man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn die Atmung immer schlechter wird und die Sauerstoffwerte im Blut schlechter werden, diskutiert man mit dem Patienten, dass man jetzt eine künstliche Beatmung machen möchte. Mann gibt dafür extra Medikamente, die eine Art künstliches Koma erzeugen. Stichwort: Nawalny, dem russischen Oppositionspolitiker, der in Berlin liegt, da ist es auch so gemacht worden. So ähnlich ist das hier auch. Das wird diskutiert. Da wird man sagen: Wir müssen sie jetzt beatmen. Zu diesem Zeitpunkt kann man sein Einverständnis geben, auch wenn man in der Patientenverfügung etwas anderes stehen hat.



Camillo Schumann

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Diese Dame hört aufmerksam zu, hat angerufen und eine Frage zu Medikamenten.


„Guten Tag. Kekulé hat neulich erklärt, dass man auch Interferon und Cortison anwenden kann. Aber mir ist der Unterschied noch nicht klar. Vor allem kenne ich Interferon als ein Medikament aus den 80er-Jahren. Da hat man zum Beispiel Krebs oder auch Hepatitis C be-


handelt. Und ich habe gelesen: Interferon hat fürchterliche Nebenwirkungen gehabt. Wenn Sie vielleicht noch mal den Unterschied erklären könnten und warum man jetzt Interferon bei Corona-Patienten einsetzen sollte.“



Alexander Kekulé:


Cortison, Dexamethason ist also das klassische Medikament, wird eingesetzt in der Spätphase, wenn es zu diesem Zytokinsturm kommt. Das ist nicht ganz am Anfang der Erkrankung, sondern im späteren Verlauf. Da sind inzwischen die Daten knallhart. Es gibt inzwischen 2 Hände voll Studien, die zeigen, dass das das Leben verlängern kann und etwas bringt. Das ist unser wichtigstes Medikament in einer Intensivtherapie bei schweren Verläufen. Das Interferon, dass ist eher experimentell. Und zwar ist die Idee die, dass man vermutet, dass Menschen, die in der Anfangsphase der Covid19-Infektion wenig Interferon-Antwort produzieren – wo quasi die frühe Antwort auf diese Infektion nicht richtig deutlich ausfällt –, (Die gehört zu dem Teil des Immunsystems, den wir angeborene Immunität nennen.), dass diese Menschen später mal einen schweren Verlauf kriegen. Und da ist die Idee, dass man das am Anfang gibt, solange noch kein schwerer Verlauf eingetreten ist, um den zu verhindern. Ob das funktioniert, ist klinisch noch nicht gezeigt. Da gibt es einige Studien, die darauf hindeuten. Und ja, Interferon zu geben hat Nebenwirkungen. Man gibt das aber nur eine relativ kurze Zeit. Man gibt das Interferon Alpha/Beta. Was hier eine Rolle spielt, das sind die sogenannten Typ-1-Interferone, andere als in der Krebstherapie. Das gibt man hier über einen kurzen Zeitraum, ich würde mal sagen, 2 -3 Tage vielleicht. Und in der Hepatitis-Therapie, wo ma früher viel Interferon eingesetzt hat, da wurden mehrere Zyklen gemacht über einen längeren Zeitraum, da sind die Nebenwirkungen ziemlich unangenehm gewesen. Ich gehe nicht davon aus, dass das hier eine große Rolle spielt mit den Nebenwirkungen.



Camillo Schumann

:


Herr B. hat gemailt: „In Folge 102  wurde über den Vorteil von Blutverdünnern gesprochen.


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Viel trinken verdünnt ja auch das Blut. Würde eine ausreichende Wasserzufuhr eventuell vor einer Infektion schützen. Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Die Blutverdünnung schützt nicht vor der Infektion, sondern wenn man sich infiziert, führen die Veränderungen, die das Virus im Blut macht, dazu, dass es zu Thrombosen kommt. Das sind im Wesentlichen Entzündungen an der Gefäßinnenwand. Dem kann man unter Umständen durch Blutverdünner, durch blutverdünnende Medikamente entgegenwirken. Wir wissen, dass viel trinken grundsätzlich gut ist, um bei einer Thrombose-Neigung Thrombosen zu verhindern. Rein statistisch bei Menschen, die zu Thrombose neigen, aus biologischen Gründen, angeborenen Gründen, weil sie Erkrankungen haben oder auch Frauen, die schwanger sind, die sollen im Flugzeug ja besonders viel trinken, weil die Luft so trocken ist und weil man auch so lange auf seinem Platz sitzen muss.


Das ist bei Covid-19 kein Tipp, der viel bringen wird, weil dieser Effekt, dass es dann zu dieser Entzündung kommt, so schlagartig ist und auch so massiv ist, dass es auf die Frage, ob man ein bisschen mehr oder weniger Wasser trinkt, in dem Moment nicht mehr ankommen.



Camillo Schumann

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Herr F. hat uns eine Mail geschrieben: „Wie schätzen Sie die Ansteckungsgefahr in Hallenbädern ein, die nun fast überall wieder geöffnet sind? In Berlin werden relativ viele Besucher und Besucherinnen pro Badezeit zugelassen, für begrenzte 2 Stunden-Zeiträume. Dass im Wasser fast keine Infektionsgefahr besteht, ist bekannt. Wie ist es aber in Duschräumen, Umkleiden und auch in den Hallen selbst? Sind das nicht ähnliche Bedingungen: Wärme, hohe Luftfeuchtigkeit, viele Menschen wie in Discos und Clubs. Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Das kommt auf die Größe des Hallenbads an. Es geht darum, wie viel Luftaustausch stattfindet. Hallenbäder sind gerade im Herbst beheizt. Das heißt, man macht nicht einfach fünf


Luftwechsel pro Stunde oder noch mehr. Das wäre viel zu teuer. Deshalb würde ich sagen: Wenn sehr viele Menschen in so einem Hallenbad sind, der Raum nicht besonders groß ist – es gibt ja Nebenräume, wo dann so Ruheräume sind, oder es gibt Hallenbäder mit Sauna nebenan und Ähnlichem. Da ist man schon in einer Situation, wo man an so SuperSpreader-Ereignisse denken muss. Ich plädiere dringend dafür, dass man gerade Hallenbäder, dass man da eine Analyse macht und schaut, in welchem Bereich ist die Gefahr, dass sich infektiöse Aerosole bilden und es zu SuperSpreader-Ereignissen kommt. Das ist, das ist sicher ein wichtiger Punkt. Das Hauptschwimmbad, wo jetzt ein großes Becken ist und die Decke 10-15 m hoch ist, würde ich aufgrund des Luft-Volumens nicht als große Infektionsgefahr sehen.


Aber warten wir mal ab, bis der erste Bericht aus einem Hallenbad kommt. Da gab es bis jetzt noch keinen Ausbruch.



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz ist die Untersuchung des Hallenbades wissenschaftlich noch nicht validiert, oder?



Alexander Kekulé:


Nein, es ist einfach eine Tatsache, dass wir in Schwimmbädern keine Infektionen haben. Es ist übrigens auch eine Tatsache, dass wir keinen Ausbruch haben im Freien. Es gibt keinen Ausbruch im Freien, der dokumentiert wäre, wo man eine große Zahl von Infektionen hat im Sinne eines Super-Spreader-Ereignisses. Es geht es ja in diese Richtung. Wir müssen einfach abwarten, wie die Daten dann aussehen, ob wir eine Art Algorithmus entwickeln können, nachdem wir die Raumgröße bestimmen können, die und die Zahl von Personen und eine bestimmte Zahl von Luftwechseln pro Stunde sind einfach das, was wir brauchen, um Infektionen zu formen.



Camillo Schumann

:


Jetzt ein kleiner Schlenker: Eine Maskenpflicht unter freiem Himmel, wie sie seit Mittwoch in Bayern gilt, ist doch eigentlich Quatsch, oder?


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Alexander Kekulé:


Ich werde natürlich nie sagen, dass ein Politiker Quatsch anordnet. Es ist in der Tat so, dass es aus meiner Sicht keine medizinische Begründung dafür gibt. In Deutschland sind wir relativ entspannt diesbezüglich. Wenn jetzt nicht gerade ein paar Verrückte anfangen, Fahnen vor dem Deutschen Bundestag zu hissen, dann sind wir meistens tolerant, auch Andersdenkenden gegenüber. Aber man muss sich das anschauen: In den USA zum Beispiel ist das eine riesige Auseinandersetzung, auch in anderen Ländern der Erde. Was machen wir mit Demonstranten, die gegen Auflagen demonstrieren und selbst keine Masken im Freien aufhaben?


Da bin ich der Meinung: Wenn die unter sich versuchen, im Freien halbwegs den Abstand einzuhalten, ist das kein Problem. An der frischen Luft: 1 m, dass die jetzt sich zumindest nicht in den Arm fallen. Da ist das Risiko, was selbst von einer größeren Demonstration ausgeht, relativ gering. Das ist ähnlich wie bei Fußballspielen: Da kommt es darauf an, dass sich die Menschen nicht umarmen sollen, dass sie in den Toilettenbereichen aufpassen müssen, was sicherlich nicht einfach ist und dass wir Super-Spreader-Ereignisse in den Nebenräumen verhindern müssen.


Aber die Infektionsgefahr im Freien halte ich persönlich für gering. Und bis jetzt gibt es kein einziges Beispiel. Und wir schauen uns jetzt schon eine ganze Weile an, wo tatsächlich so eine Infektion in großem Stil stattgefunden hätte.



Camillo Schumann

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Herr M. hat eine sehr gute Nase, und er hat angerufen.


„Ganz oft ist es so: Wenn ich auf der Straße laufe, meine Maske aufsetze, eine ganz normale Alltags-Community-Maske und Leute mit viel Parfüm laufen an mir vorbei, dann rieche ich das. Dann frage ich mich immer: Wie ist das eigentlich, wenn ich das jetzt rieche, also einen


Geruch habe, kommen dann nicht auch alle anderen Partikel und gegebenenfalls Viren von diesen Menschen durch meine Maske? Und das ist ganz oft im Alltag, dass man durch die Maske durch etwas riecht. Aber eigentlich sollte sie ja schützen. Das wäre meine Frage. Ist das vergleichbar: Sind Geruchsstoffe vergleichbar mit Aerosolen und besteht darin vielleicht auch eine Gefahr?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist eine interessante Frage. Die wird auch von Virologen unterschiedlich beantwortet. Es ist tatsächlich so, dass Geruchsstoffe wesentlich feiner sind. Die liegen im molekularen Bereich. Dass man etwas riecht, heißt eben noch lange nicht, dass Viren durchkämen. Wenn man eine richtige FFP3-Maske hat, die professionellen Masken und mit der in die Wurstabteilung geht, dann riecht man, dass da Wurst draußen ist. Ich würde mal sagen, es riecht anders als ohne Maske, eher unangenehmer. Aber man erkennt, dass es Wurst ist, obwohl man diese Maske aufhat. Das liegt daran, dass ein Teil der Geruchspartikel sicherlich abgefangen werden. Aber grundsätzlich ist das, was unsere Geruchsnerven feststellen im molekularen Bereich und viel kleiner als das, was von so einer Maske abgehalten wird. Deshalb sind so Vergleiche, dass man, wenn man nichts mehr riecht, die Maske sicher wäre – das haben auch Virologen so geäußert – nicht richtig.



Camillo Schumann

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Frau K. hat eine Mail geschrieben, eine theoretische Frage: „Wenn man davon ausgeht, dass es eine Kreuzimmunität zwischen den alten, bisher schon bekannten Corona-Viren und dem neu auftretenden Sars-CoV-2  gibt, müssten dann nicht eigentlich ältere Leute eher immun sein gegen das neue Sars-CoV-2  als jüngere, weil die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Leute im Laufe ihres Lebens an den alten bekannten Corona-Viren bereits erkrankt waren als jüngere, höher ist? Da in der Realität aber jüngere Leute besser mit Sars-CoV-2  zurechtkommen als ältere, würde nicht schon


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allein diese Tatsache gegen eine Kreuzimmunität sprechen. Mit freundlichen Grüßen.“



Alexander Kekulé:


Ja, das war klug gedacht. Da ist eine Virologin uns verloren gegangen. Man macht sich in der Wissenschaft genau solche Gedanken: Wir wissen nämlich, dass bei Grippe-Epidemien zum Teil die alten Menschen besser geschützt waren. 1918 wissen wir, dass hauptsächlich Menschen so im mittleren und jüngeren Lebensalter gestorben sind an der großen Pandemie und die alten wurden verschont, weil die im Lauf des Lebens irgendwann im 19. Jahrhundert eine andere Grippe durchgemacht hatten, wo sie immun waren gegen die neue Grippe durch Kreuzimmunität. Bei den CoronaViren besteht nun die Gemeinheit, dass die Immunität, so sehen wir das, zumindest im Moment nicht lange anhält.


Man kann ja auch sich praktisch jedes Jahr wieder, oder typischerweise alle 2 Jahre eine Corona-Infektion holen, und zwar immer wieder mit dem gleichen Typ. Es gibt ja nur vier Subtypen. Und da kann man mit dem gleichen Subtyp noch einmal krank werden, weil sich das Virus nur geringfügig verändert und die Immunität nicht lang anhaltend ist. Deshalb gilt das, was bei der Influenza von 1918 dokumentiert ist, bei Corona nicht: Die Alten haben, weil es bei Ihnen schon so lange her ist, keine kürzlich durchgemachte Infektion und daher keinen Immunschutz gegen Covid-19. Man könnte es sogar noch einen Schritt weiter denken, wenn man Spaß daran hat: Es ist natürlich Spekulation. Dass die jungen Menschen geschützter sind, das könnte auch damit zusammenhängen, dass sie einfach häufiger normale Corona-Virus-Infektionen durchmachen. Und wenn man gerade vor einem halben Jahr eine hatte, dann ist vielleicht die Kreuzimmunität besser, als wenn es 2 0 Jahre zurückliegt.



Camillo Schumann

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Herr D. hat eine Mail geschrieben: „Welche Luftfilter helfen gegen das Virus? Ich habe zum Beispiel immunsupprimierte Mitbewohner, zu


denen auch Pflegepersonal kommt. Und ich bin selber auch eine Risikoperson, weil ich Asthma habe. Welche Luftfilter bzw. FilterKlassen können Sie empfehlen? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Filter-Klassen, mit denen man die Raumluft filtert, sind diese sog. HEPA-Filter. Da gibt es verschiedene Hersteller. Wenn das die feinen Hochleistungs-Schwebstofffilter sind, funktionieren die im Prinzip alle. Das sind die Gleichen, die auch im Flugzeug zum Beispiel eingesetzt werden, um die Luft zu rezirkulieren.


Man muss nur dazusagen: Das Problem bei all diesen Anlagen ist immer, dass nur ein Teil der Raumluft durch dieses Filtergerät geht. Und man kann sich vielleicht mal so als Größenordnung (vorstellen) – das wäre mein Vorschlag: Wenn man 6-10 Luftwechsel pro Stunde hat, dann ist man wahrscheinlich bei Covid-19 bezüglich Super-Spreader-Ereignissen auf der sicheren Seite. Aber eine Anlage, die im Raum steht und wirklich sechsmal pro Stunde die gesamte Luft des Raumes durch den Filter durchdrückt – das ist auch ein gewisser Luftwiderstand, der zu überwinden ist, weil so ein feiner Filter natürlich einen Widerstand bietet –,eine solche Anlage ist erfahrungsgemäß teuer und muss von Spezialisten installiert werden.



Camillo Schumann

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Also HEPA-Filter. Wenn man den jetzt für den Hausgebrauch braucht, ist das eher unwahrscheinlich, oder?



Alexander Kekulé:


Auch bei HEPA-Filtern gibt es verschiedene. Die gibt es welche mit UV Strahlung, oder mit anderen Methoden werden die Viren inaktiviert oder weggehalten. Das ist im Prinzip eine gute Sache. Ich es wird auch diskutiert, ob man damit vielleicht unser Leben im Herbst sicherer machen kann. Ich glaube, bevor wir jetzt wegen dieser einen Pandemie quasi Operationssaal-Technik in jeder Bar installieren, ist der andere Weg mit dem Heizpilz draußen vor der Tür irgendwie entspannter.


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Camillo Schumann

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Dieser Herr hat angerufen und an eine Frage zur Desinfektion seiner Maske. Und er beschreibt, wie er das macht und will nun wissen, ob das ausreicht.


„Ich desinfiziere meine normalen Mundmasken so: Ich sprühe die ein. Und ich habe eine Heißluftpistole. Und mit 300-600°C blase ich die innen und außen ab. Reicht das schon?“



Alexander Kekulé:


Ja, das ist mehr als genug. Ich würde das gar nicht machen. Wieso soll man die desinfizieren? Der einzige Grund, die zu desinfizieren wäre, wenn man Angst hat, dass die eigenen Bakterien, die man ausatmet, sich auf dieser Maske vermehren würden und dann bei der Einatmungs-Luft eine kontaminierte Atmosphäre bieten? Solche Überlegungen gibt es. Lungenärzte machen sich solche Gedanken. Aber ich meine, da würde es eigentlich reichen, die Masken gelegentlich zu wechseln. Man kann sie ja auch mal ganz normal waschen in der Waschmaschine. Die allermeisten halten das aus. Und wenn sie dann irgendwann kaputtgewaschen sind, muss man eine neue kaufen. Wir sind ja zum Glück nicht mehr in der Lage, dass wir Knappheit vom Nachschub her haben.


Ich würde deshalb davon abraten, so HightechDesinfektionsverfahren anzuwenden. Das sind so Rituale, die nicht viel bringen. Ausnahme: Wer im Krankenhaus arbeitet und mit hochinfektiösen Patienten, die Unmengen von Viren ausscheiden, zu tun hat, muss natürlich sicherstellen, dass auf seiner Maske keine Viren drauf sind. Aber ich glaube, auch an den Krankenhäusern, wo man am Anfang gesagt hat, man soll die Maske mit nach Hause mitnehmen und in der Mikrowelle backen, auch in den Krankenhäusern ist inzwischen der Nachschub gesichert. Und es sind nicht mehr so viele Patienten, sodass das eigentlich der Vergangenheit angehören sollte.



Camillo Schumann

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Letzte Frage für diese Ausgabe: Herr oder Frau W. hat eine Mail geschrieben: „Nach Proble-


men mit feinem Staub am Arbeitsplatz wurde bei mir eine kaputte Nasenschleimhaut diagnostiziert. Nachts brannte und kratzte meine Lunge, und ich hustete den schwarzen Staub mit Schleim aus. Keiner meiner Kollegen hatte dieses Problem. Kann es sein, dass ich, 59, dadurch zur Risikogruppe gehöre? Schließlich könnte das Virus, ohne von der Nasenschleimhaut aufgehalten zu werden, direkt in die Lunge gelangen. Soweit ich weiß, repliziert das Virus bereits in der Nase. Somit werden ab diesem Zeitpunkt bereits Antikörper gebildet. Gelangt es jedoch sofort in die Lunge, könne dies zu einem schweren Verlauf der Erkrankung führen. Liege ich mit meiner Vermutung richtig? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé:


Dass die Nasenschleimhaut so kaputt ist, dass sie das Virus nicht mehr auffällt, glaube ich nicht. Das wird in der Regel so sein, dass ein Teil der Nasenschleimhaut nicht mehr so gut funktioniert. Aber das darf man sich dann trotzdem nicht wie ein PVC-Rohr vorstellen, wo die Luft einfach nur durchgeht. Sondern da sind relativ viele Flimmerhärchen drinnen. Da gibt es viele Stufen der Abwehr in der Nasenschleimhaut. Und auch weiter unten in den Bronchien und in der Lunge wird verhindert, dass die Partikel weiter runter getragen werden. Ich glaube nicht, dass das alles kaputt ist, bloß weil man mal eine Verunreinigung durch Staub am Arbeitsplatz hatte.



Camillo Schumann

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Das war das Kekulés Corona-Kompass HÖRERFRAGE SPEZIAL.


Herr Kekulé, vielen Dank.


Wir hören uns dann am Dienstag, den 15. September, wieder.



Alexander Kekulé:


Ich danke Ihnen. Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass auf mdraktuell-


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podcast@mdr.de. Haben Sie Fragen, rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 10. September 2 02 0


#106: Kekulés Corona-Kompass 

Camillo Schumann

, Moderator


MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.



Camillo Schumann

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Donnerstag, 10. September 2 02 0: Der Pharmakonzern Roche möchte noch im September in Deutschland einen CoronaSchnelltest auf den Markt bringen. Ist das der Schnelltest für jedermann? Außerdem: Warum Sars-CoV-2  gekommen ist, um zu bleiben und welche Rolle eine Maus dabei spielen könnte. Dann: 50-mal tödlicher als Autofahren für wen Covid19 besonders gefährlich ist. Und: Was eigentlich aus dem schwedischen Sonderweg geworden ist.


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur/Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.



Camillo Schumann

: Ich grüße Sie, Herr Kekulé. 

Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

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Wir starten mal mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Veranstaltung in der Fußgängerzone von Bottrop. Achtung, es wird laut.


„Wir können mit dem Wissen von heute – das kann ich Ihnen sagen – keinen Friseur mehr schließen. Das mit dem Einzelhandel wird nicht noch einmal passieren. Wir werden nicht noch einmal Besuchsverbote brauchen in den Pflegeeinrichtungen. Wir haben noch etwas dazugelernt in den letzten Monaten, wie wir uns schützen können, ohne dass es diese Maßnahmen braucht. Dafür braucht es aber vor allem eben zum Beispiel die Maske.“


Jens Spahn versuchte, die Menschen zu beruhigen, denn seine Tour durch NRW wurde begleitet von Buh-Rufen, angespuckt wurde Jens Spahn auch. Einige Menschen haben ihrem Frust über die Corona-Maßnahmen Luft gemacht. Spahn ließ sich in dieser aufgeheizten Stimmung zu der Aussage hinreißen, mit dem Wissen von heute würde man keine Friseure mehr schließen, keinen Einzelhandel, keine Besuchsverbote in den Pflegeheimen, den Lockdown würde man so nicht mehr durchführen.


Herr Kekulé würden Sie sich dieser Aussage anschließen?



Alexander Kekulé:


Ja, im Prinzip schon. Es ist so, dass man den Lockdown aber an dem Tag, an dem er angeordnet wurde, auch mit dem Wissen von heute nicht verhindern hätte können. Das war eine Situation, bei der wir eine exponentielle massive Vermehrung des Virus an allen Ecken hatten. Und man hatte ja auch damals die epidemiologischen Daten nicht so, wie wir sie heute auch nicht haben: Wo genau das stattfindet, wer genau sich infiziert, wie die Infektionswege im Einzelnen sind. Deshalb würde ich sagen: Wenn man 2 Wochen vorher mit dem Wissen von heute oder vielleicht sogar mit dem Wissen von damals angefangen hätte, hätte man den Lockdown auf jeden Fall verhindern können. Insofern finde ich das gut, dass der Bundesgesundheitsminister hier eine späte Einsicht hat.



Camillo Schumann

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Aber nichtsdestotrotz: Zum Zeitpunkt des an-


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geordneten Lockdowns war dieser alternativlos.



Alexander Kekulé:


Das ging nicht anders. Wie sollte das gehen? Ein Stichwort habe ich herausgehört: Besuchsverbote in Altersheimen. Es war so, dass die Menschen – übertrieben gesprochen – fast wie die Fliegen gestorben sind in einzelnen Altersheimen. Wir sahen die Situation in Italien vor Augen. Und wir hatten ad hoc nicht die Möglichkeit, die Leute dort zu schützen. Es ging darum, dass die Masken nicht vorhanden waren, weil sie nicht bestellt und nicht eingelagert waren, obwohl das in den Pandemieplänen stand. Es ging darum, dass die Politik viele Wochen lang gesagt hat, dass die Masken Unsinn sind, und auch diejenigen kritisiert hat, die für die Masken waren usw. Es war ja u.a. mein Vorschlag, diejenigen besonders zu schützenden Gruppen in den Altersheimen abzusichern. Da wurde als erste Reaktion gesagt, dass sei eine Patronisierung dieser Leute. Man darf die nicht so unterdrücken wegen der Seuche. Und besonderer Schutz für Risikogruppen? Nein, danke. Das heißt, hier hätte man zum damaligen Zeitpunkt aus dem Stand keine andere Möglichkeit gehabt.



Camillo Schumann

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Und mit Blick auf den Herbst? Herr Spahn hat es angekündigt, dass alles, was er auch aufgezählt hat, nicht mehr so umgesetzt werden wird: die Isolierung in den Altenheimen z.B. Er nennt als Freibrief die Maske dort. Geht diese Rechnung auf?



Alexander Kekulé:


Naja, so einfach die Maske ist es natürlich nicht. In Altersheimen geht es ja darum, Menschen zuverlässiger zu schützen als sonstwo. Da darf man sich kein großes Restrisiko erlauben. Aber die Plexiglasscheiben, die überall aufgebaut wurden, weil das Robert-KochInstitut gesagt hat, Scheibe oder 1,5 Meter, sind zu hinterfragen an der ein oder anderen Stelle. Vor allem wo wir wissen, wie es bei Sars 2 003 war. Dass nämlich die Aerosole für diese clusterartigen Ausbreitungen verantwortlich


sind, also die sogenannten SuperspreaderEreignisse. Das heißt, die Instrumente haben sich ein bisschen geändert. Aber es bleibt letztlich bei den fünf Dingen: Schutz der Alten, Masken, Aufklärung der Infektionswege, schnelle Nachverfolgung und Testen. Und ich glaube, wenn Herr Spahn in seine Liste dieses Schnelltesten mit hineinnimmt, dann kann man mit diesen fünf Maßnahmen einen weiteren Lockdown verhindern, und zwar relativ zuverlässig.


Es gibt vielleicht noch einen weiteren Aspekt, der immer so ein bisschen wenig diskutiert wurde: Falls wir es schaffen, in Deutschland die Verhältnisse unter Kontrolle zu halten – von mir aus auch auf dem Niveau von 1.500 bis 2 .000 Fälle täglich –, aber auf hohem Niveau unter Kontrolle im Herbst, dann müssten wir trotzdem verhindern, dass die Infektionen in großem Stil aus den Nachbarländern wieder zu uns kommen. Das heißt also, die Abschottung nach außen ist leider seit jeher – und das galt auch schon im Mittelalter, als man bei der Pest die Zugbrücken hochgefahren hat – als ein Element der Epidemiebekämpfung.



Camillo Schumann

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Wenn man Virologen fragt, dann kriegt man auch eine virologische Antwort.



Alexander Kekulé:


Ich weiß, die Fernfahrer sind jetzt traurig, aber für die wäre ja vielleicht die Tracking-App nicht so schlecht.


6:2 0



Camillo Schumann

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Das Stichwort Schnelltest ist gerade gefallen. Noch in diesem Monat soll es losgehen. Der Pharmakonzern Roche möchte noch im September einen Sars-CoV-2 -Schnelltest in Deutschland auf den Markt bringen. Das Mainzer Start-up Digital Diagnostik hat die Erlaubnis erhalten, einen Antigen-Schnelltest klinisch erproben zu dürfen. Es tut sich etwas in Sachen Schnelltest, oder?



Alexander Kekulé:


Das ist ganz gut. Wir haben schon einige Tests,


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die in Deutschland angeboten werden. Nicht in der Apotheke, da gibt es juristische Hürden, aber im Prinzip kann man die Tests besorgen. Wir haben ja die Komfortsituation, dass wir eigentlich keine echte Zulassung für diese Schnelltests brauchen. Zumindest ist es der Stand, den ich jetzt noch habe von vor einigen Wochen, wenn sich nichts geändert hat. Wir können in Deutschland – anders als in den USA – solche Tests verwenden, ohne dass wir eine formale Zulassung brauchen. Man braucht dieses CE-Zertifikat, das ist ein europäisches Zertifikat. Aber es gibt nur wenige Tests, bei denen eine Zulassung der Arzneimittelbehörde erforderlich ist. Das sind Ausnahme-Tests, wo ein Fehler in kurzer Zeit zum Tod des Patienten führen könnte.



Camillo Schumann

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Der Roche-Test soll eine Spezifität von 99,68 Prozent und eine Sensitivität von 96,52  Prozent aufweisen, basierend auf 42 6 Proben von 2 unabhängigen Studienzentren. 42 6 Proben hören sich für mich jetzt nicht so viel an.



Alexander Kekulé:


Doch das ist für so einen Test eigentlich in Ordnung. Die haben in Indien und Brasilien, wo es noch viele Fälle gibt, diesen Test überprüft. Und die Überprüfung läuft weiter. Das ist quasi das Material, was die erst einmal zusammenstellen müssen. Ich sagte gerade, der Hersteller braucht nicht unbedingt eine Zulassung der Arzneimittelbehörde in diesem Fall. Aber es ist so, dass der Hersteller selber strenge Kriterien erfüllen muss. Das ist eine Regelung, die 2 017 europaweit erneuert und verschärft wurde. Und da muss er eine Liste von Unterlagen haben, warum er der Meinung ist, dass er alles richtig macht und dass der Test zuverlässig ist. Da werden Studien, die man einfach abgeschlossen hat, reingenommen. Parallel machen die natürlich weiter, denn sobald die Tests ausgeliefert werden, gibt es sofort viele Leute, die sagen: Jetzt lassen wir mal eine PCR parallel laufen. Das ist ja unser Goldstandard.


Jetzt muss man sagen, diese Sensitivität, um die es hier geht (die Antigen-Tests sind weni-


ger sensitiv) weisen nicht 100 Prozent der Infektionen nach. In dem Fall, in Anführungszeichen, nur 96,5 Prozent. Das wird gemessen gegen die PCR. Die ist da sozusagen der Goldstandard. Jetzt wissen wir aber, dass die PCR viele Personen als positiv identifiziert, die epidemiologisch auf jeden Fall komplett irrelevant sind, weil sie nicht ansteckend sind, weil das Reste von Viren sind, die im Speichel sind, die aber nicht infektionsfähig sind. So muss man sagen, bezogen auf die klinisch Kranken oder bezogen auf die, die infektiös sind, liegt möglicherweise die Sensitivität sogar bei fast 100 Prozent.



Camillo Schumann

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Ein positiver Schnelltest, den man bald möglicherweise bei seinem Arzt anwenden kann.



Alexander Kekulé:


Nicht nur beim Arzt. Das ist eine kleine Kassette. Da gibt es viele Wettbewerber, die so etwas Ähnliches anbieten in den USA. Donald Trump hat gerade 150 Millionen Stück vom Konkurrenten bestellt. Das ist immer das Gleiche: kleine Plastikkarten, auf die man vom Nasenabstrich etwas draufmacht. Wir wissen ja seit einiger Zeit, dass der Nasenabstrich genauso zuverlässig ist wie dieser Gurgel-Test. Speichel kann man auch nehmen. Damit kann man das im Prinzip selber machen. Ich sehe nicht, warum das der Arzt machen soll. Sich selber eine Probe vorm Spiegel zu entnehmen, muss in Pandemie-Zeiten geübt werden wie Zähneputzen im Kindergarten.



Camillo Schumann

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Was sich viele Hörer fragen: Kann ich diesen Tests in der Apotheke kaufen und mit nach Hause nehmen? Die Antwort klang schon durch: Leider nein. Die Probe kann nur von medizinisch geschultem Personal entnommen werden, das heißt vom Arzt oder in einer Klinik. Grund dafür ist die MedizinprodukteAbgabeverordnung, die die Abgabe an medizinische Laien verbietet. Außerdem liegt bei Sars-CoV-2  eine nach Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Infektion vor. Selbst wenn es Antigen-Schnelltest gibt, dürfen die nicht in der


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Apotheke verkauft werden. Ein Importeur von Schnelltests umgeht das Ganze, indem es in der Apotheke so Gutscheine gibt, die man dann beim Arzt einlösen kann. In Ausgabe 97 haben wir ausführlich darüber gesprochen. Herr Kekulé, wären sie für eine Gesetzesänderung, damit es die Antigenen-Schnelltests in der Apotheke zu kaufen gibt?



Alexander Kekulé:


Ja, das ist für mich völlig außer Frage. Wir sind ja nun wirklich in einer besonderen Situation. Allein in der Bundesrepublik sind wir gerade dabei, dass uns Covid-19 knapp eine Billion Euro Schaden verursacht. Von den psychischen und gesundheitlichen Schäden ganz zu schweigen. Da ist es für mich komplett nebensächlich, was das Gesetz vorschreibt. Sondern da muss man wirklich sagen, was medizinisch sinnvoll ist und was politisch auch gewollt sein muss, da wird das Gesetz dann passend gemacht.



Camillo Schumann

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Gäbe es denn einen epidemiologischen Nachteil, wenn sich die Menschen daheim selbst testen würden.



Alexander Kekulé:


Es gibt 2 Dinge, die man berücksichtigen muss: Das eine ist, wenn der Test wirklich mal falsch-negativ ist, muss man wissen: Ich habe mich getestet, aber das ist kein Beweis dafür, dass ich 100 Prozent negativ bin. Und ich muss mich deshalb trotzdem weiterhin vorsichtig verhalten. Ich glaube, das haben die Menschen verstanden. Es könnte ja auch sein, dass ich am nächsten Tag positiv werde, wenn ich gerade in der Inkubationszeit war.


Und das andere ist– das ist natürlich extrem selten bei diesen Antigen-Tests, denn die sind auch im Bereich von 99 Prozent plus zuverlässig – die Spezifität. Das heißt, es könnte auch mal sein, dass ein Test positiv anzeigt, aber der Patient gar nicht positiv ist. Naja, das ist nicht Ebola. Das heißt, der Patient wird nicht aus dem Fenster springen, wenn er denkt, er hat jetzt Sars-CoV-2 . Das heißt, praktisch gesehen wird es so laufen, dass die, die im Schnelltest positiv sind, wenn sie sich vernünftig verhalten,


hinterher noch mal ein Bestätigungstest im Labor machen, vielleicht mit einem Arzt sprechen, was sie jetzt machen sollen, da sie nun nachgewiesenermaßen dieses Virus haben. Und dann ist meines Erachtens keine schlechte Maßnahme, wenn man sagt, dass bei der Bestätigung die formale Meldung stattfindet. Dadurch würde man vielleicht auch vermeiden, dass Doppelmeldungen und Ähnliches stattfinden.



Camillo Schumann

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Haben Sie den Eindruck, dass auf politischer Ebene Druck entsteht, dass man da möglicherweise im Gesetzgebungsverfahren noch mal nachjustiert?



Alexander Kekulé:


Ich glaube schon, denn das ist leider in der modernen Welt so: Es muss immer Leute geben, die ein Interesse daran haben. Bis jetzt war es so, dass die großen Hersteller viel mit der PCR an den großen Maschinen verdient haben und deshalb wohl auch kein großes Interesse daran hatten, so einen Schnelltest auf den Markt zu werfen, der ja relativ leicht zu entwickeln war.


Warum hat sich das möglicherweise geändert? Jetzt sind die Preise für diese PCRs massiv gedrückt, und man kommt auch mit der Lieferung zum Teil nicht nach, weil man ja nur die eigenen Reagenzien auf diesen Maschinen haben will. Dadurch ist es jetzt ein interessantes zusätzliches Geschäftsfeld für die Großen Hersteller, diese Schnelltests anzubieten. Zumal die Maschinen in den weniger entwickelten Ländern nicht vorhanden sind und man deshalb auf diese speziellen Schnelltests angewiesen ist. Übrigens sind die Tests auch haltbar bei schwierigen klimatischen Bedingungen. Und das heißt, jetzt wird eine Phase entstehen, in der erstens die Hersteller Interesse haben und Lobbyarbeit betreiben und zweitens die Apotheker ein Interesse daran haben. Denn für die ist das interessant, jetzt zusätzlich zu den Blutdruckund BlutzuckerTests, die sie anbieten, auch diesen Schnelltest anbieten zu dürfen. Deshalb gibt es jetzt eine


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stärkere Lobby, als wenn ein 2 Wissenschaftler sagen wir brauchen den Test.


14:51



Camillo Schumann

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Wir sind gespannt, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln werden, ob wir vielleicht dieses Jahr noch den AntigenSchnelltest vielleicht unter den Weihnachtsbaum legen können. Mal gucken, wie sich das entwickelt.


Herr Kekulé, wir wollen mal so ein bisschen grundsätzlich über das Virus reden. Wo kommt es her? Und wo geht es hin? Und wie lange wird es uns noch erhalten bleiben? Wo es herkommt, wissen wir einigermaßen genau. Möglicherweise wurde es von HufeisenFledermäusen auf einen Zwischenwirt übertragen, bevor es dann auf den Menschen übergesprungen ist. An dieser Kette hat sich erst einmal nichts geändert, oder?



Alexander Kekulé:


Es ist so, dass bei diesen HufeisenFledermäusen, die so heißen, weil sie im Gesicht eine Struktur haben, die aussieht wie ein Hufeisen vom Pferd. Die haben Viren, die ganz ähnlich sind wie Sars-CoV-2 -Viren. Da gibt es eigentlich keine andere Erklärung, als dass das ursprünglich der natürliche Wirt ist. Was dazwischen passiert ist, ob da vielleicht ein Hund dazwischen war oder ein Schwein, oder ob das direkt vor einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen ist und möglicherweise in China eine ganze Weile zirkulierte, bevor es dann zu dem Ausbruch in Wuhan kam (Achtung: neue Theorie), das ist unklar. Das ist alles möglich und wird wohl irgendwann mal rauszubekommen sein.


Aber klar ist, dass dieses Virus leider auch Tiere infizieren kann.



Camillo Schumann

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Damit sind wir sozusagen beim Ausblick und der Frage: Wie oft wird uns Sars-CoV-2  noch in den nächsten Jahren begegnen? Und da spielt


auch ein Tier, nämlich ein winziges, eine Rolle. Es ist sogar ein süßes Tier, eine Maus. Warum und welche Rolle hat die Maus?


16:41



Alexander Kekulé:


Das ist interessant. Es gibt eine kleine Studie. Die ist schon vor einer Weile erschienen, am 7. August, auch nur als Preprint. Bis jetzt ist noch nicht überprüft worden von anderen Forschern. Sie stammt von einer tierärztlichen Fakultät in Colorado in den USA, also im Südwesten an den Rocky Mountains. Die haben die Hirschmaus untersucht, eine amerikanische Maus. Die gibt es da sehr häufig, ist eine Art Feldmaus und sieht vielleicht optisch so ein bisschen aus wie ein Zwischending zwischen einer Maus und einem Siebenschläfer und ist deshalb ein knuffiges Tier. Sie ist in den Nordstaaten der USA verbreitet. Diese Maus, so ist im Labor gezeigt worden, kann man nicht nur hervorragend mit dem Virus infizieren, sie kriegt auch eine Virusvermehrung in allen möglichen Organen, also in der Lunge, in den oberen Atemwegen und im Darm. Sogar im Gehirn hat sie das Virus gehabt. Aber diese Maus bleibt im Wesentlichen gesund. Sie hat keine Symptome. Damit ist sie eigentlich ein ideales Reservoir für das Virus, also ein Bereich, wo das Virus, wenn es dann mal reinkäme, tatsächlich bleiben könnte.



Camillo Schumann

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Das ist sozusagen in der Theorie jetzt nachgewiesen. In der Praxis müsste die Maus in irgendeiner Form mit dem Virus in Kontakt treten, so wie sie es gerade eben gesagt haben. Das ist aber eher unwahrscheinlich, oder?



Alexander Kekulé:


So unwahrscheinlich ist das nicht, weil wir wissen, dass Mäuse, die im Haus leben – das kennen wir von ganz vielen Erkrankungen – holen sich früher oder später die Krankheiten des Menschen und umgekehrt. In den Gegenden, wo man Ratten und Mäuse im Haus hat oder auch andere Haustiere im Haus hat, breiten


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sich die Viren in beiden Richtungen aus, sofern sie das können. Berühmt ist das ja bei der Pest zum Beispiel. Da ist es bekannt. Oder auch andere Erkrankungen, die häufig von Nagetieren, die im Haus leben, auf Nagetiere, die im Wald leben, übertragen werden. Und dann ist irgendwann das natürliche Reservoir im Wald.


Das Problem ist nur: Wenn einmal bei diesen Wald-Nagetieren so ein Erreger angekommen ist, bleibt er da. Wir haben in Deutschland Regionen wo Hantaviren auf der Schwäbischen Alb bei den Nagetieren vorhanden sind und sich gelegentlich Menschen infizieren.


Das heißt, wenn es dieses Virus schaffen würde, auf diese Mäuse oder andere Nagetiere überspringen und dort bleiben, da kann man grob sagen: Die werden wir nie wieder los. Denn Krankheiten, die sich in Wildtieren eingenistet haben und dort ein zweites Reservoir haben, sind in der Geschichte noch nie auszurotten gewesen beim Menschen. Wir können nur Krankheiten ausrotten, wo der Mensch das einzige Reservoir.



Camillo Schumann

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Sie zeichnen ja ein düsteres Bild.



Alexander Kekulé:


Das muss nicht sein. Es kann sein, dass das Virus dann schwächer wird und wir damit klarkommen. Vielleicht wird man sogar herausfinden, dass die anderen Coronaviren, die wir haben, also diese vier Typen, die zirkulieren, nicht die einzigen sind. Vielleicht zirkulieren auch noch mehr, die man noch nicht gefunden hat. Vielleicht sind die auch gelegentlich in anderen Wildtieren vorhanden.


Es ist bei dem Sars-CoV-2  schon zeigt worden, dass es in Katzen tatsächlich vorkommen. Ich glaube sogar, irgendwelche Tiger im Zoo sind mal infiziert gewesen. Und aktuell ist eine Studie herausgekommen, in der man gezeigt hat, dass in einer Tierfarm ein Mensch von einem Frettchen mit Sars-CoV-2  infiziert worden ist. Das hat dann so funktioniert, dass offensichtlich irgendwann die Tierpfleger diese Frettchen, die da gezüchtet wurden, infiziert haben.


Und irgendwann hat das Frettchen dann jemand anders infizierte. Das heißt, der Pingpongball ist schon einmal hinund hergespielt worden. Und solche Sachen werden jetzt in der nächsten Zeit immer wieder vorkommen. Wir wissen zum Beispiel auch, dass die berühmt berüchtigte Spanische Grippe von 1918, die viele Tote gefordert hat, über Schweine ging. Damals haben die Menschen die Schweine infiziert, und das Virus ist bei den Schweinen geblieben über viele Jahre. Es hat sich dort genetisch verändert, hat aber dann 2 009 die Schweinegrippe ausgelöst. Es war also die späte Rache der Schweine dafür, dass ihnen 1918 der Ball in die Schweineställe gespielt wurde. So was Ähnliches sehen wir ständig und überall. Das könnte man jetzt lange drüber reden. Das ist die ganze Geschichte der Menschheit hat damit zu tun, dass wir irgendwann angefangen haben vor 2 0.000 Jahren, Haustiere in unser Heim zu nehmen, sesshaft zu werden und damit uns auch Krankheiten in Kauf zu nehmen, die von diesen Haustieren kommen und die wir an diese Haustiere weitergeben.



Camillo Schumann

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In der Tat kann das eine Situation für die kommenden Jahre sein, dass möglicherweise eine Maus oder welches Tier auch immer für eine weitere Pandemie verantwortlich ist bzw. eine Wiederkehr eines Virus. Dann stellt sich die große Frage: Wer ist von diesem Virus am stärksten betroffen? Und dass das Virus jetzt in diesem Jahr gerade für ältere Menschen besonders gefährlich ist, das zeigen auch die Zahlen. Die Alten machen am Gesamtinfektionsgeschehen einen eher geringen Anteil aus. Aber bei den Sterbefällen über 80 Prozent. Nun wurden mehrere Studien ausgewertet, und es wurde detailliert zusammengefasst, um die Frage zu klären, wer genau das größte Risiko trägt. Wurde das schon mal so detailliert gemacht?



Alexander Kekulé:


Es ist gerade in dieser Woche zusammengetragen worden. Das ist interessant, weil man, um wirklich zu sagen, wie hoch die Sterblichkeit bezogen auf die Infektion ist, also nicht auf die


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Ausprägung der Fälle, Serum-Prävalenz Daten braucht. Das heißt, man muss wissen, wieviel Prozent der Bevölkerung sind infiziert. Dann nimmt man Blut ab und schaut, ob da Antikörper drin sind. Und im Serum ist schon der Antikörper da. Wenn es schon vorher da war, ist es die Serum-Prävalenz. Und da sind ja viele Daten im Gange. Heinsberg war eine der ersten, die überhaupt weltweit gemacht worden als Studien. Das Robert Koch-Institut mehrere Studien begonnen, in denen Ende des Jahres die Auswertung kommen soll. Da sind einige aussagekräftig. Es gibt eine kleinere Studie aus Genf und 2 größer aus Spanien und eine aus dem Vereinigten Königreich. Wenn man die zusammenfasst – das ist gerade in wichtigen Wissenschaftsmagazinen dargestellt worden –, dann sieht man deutlich, wie gefährlich Sars-CoV-2  für ältere Menschen ist. Also das, was wir von Anfang an eigentlich so vermutet haben, was ja auch bei Sars 2 003 der Trend war es, dass das Alter mit Abstand der wichtigste Faktor ist, der vorhersagt, ob man daran stirbt oder nicht. Der zweitwichtigste ist interessanterweise das Geschlecht.



Camillo Schumann

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Und welche Daten haben Sie da am meisten überrascht? Also wie hat sich das verteilen? Mich hat eigentlich überrascht, dass, wie genauer man da rein schaut, desto weniger relevant werden die Dinge, die wir Komorbiditäten. Also das heißt Risiko-Erkrankungen.


Wir wissen ja, dass in Europa viele Menschen Herzkrankheiten haben. Wir wissen, dass viele Menschen hohen Blutdruck haben oder übergewichtig sind. Und ja, es ist so, dass man, wenn man das einzelnen rausrechnet, all diese Gruppen ein erhöhtes Risiko haben. Vor allem kristallisiert sich im Moment heraus, dass diejenigen, die eine Thrombose-Neigung haben oder chronische Entzündungen haben. Übergewichtige Menschen haben chronische Entzündungen an den kleinen Gefäßen und auch eine erhöhte Thromboseneigung. Das sind die, die tatsächlich bei Covid-19 gefährdet sind.


Aber davon abgesehen ist der ganz große Faktor eben das Alter. Wenn man sich jetzt die aktuellen Zahlen anschaut: Über 75-Jährige haben ein Sterberisiko in der Größenordnung von 12  Prozent, und zwar bezogen auf die Infektion. Das ist jetzt nicht bezogen auf die Erkrankung, sondern auf die, die überhaupt infiziert sind.


Und es geht dann in Stufen runter: Die Menschen, die zwischen 50 und 65 sind, so meine Altersklasse, die haben 0,5 Prozent, also 1:2 00. Wenn ich jetzt morgen positiv wäre, wäre mein statistisches Risiko 1:2 00, in Wirklichkeit natürlich viel höher, weil sich die Viren an Virologen natürlich ganz selektiv rächen wollen wenn sie können.


Und dann zwischen 0 und 2 0 Jahre. Da denke ich an meine diversen Kinder. Die haben 0 Prozent. Das kann man überhaupt nicht mehr rechnen, das ist irgendwo hinterm Komma. Und dazwischen ist es dann bei so 0,03 Prozent, also drei von tausend.


Das heißt, wir sind in der interessanten Situation, in der wir noch mal darüber nachdenken dürfen, wie die Risikoverteilung in der Bevölkerung ist. Und wie schlimm wäre es eigentlich, wenn jüngere Menschen Immunität aufbauen würden? Natürlich nicht unkontrolliert. Aber wäre das wirklich etwas, was man mit allen Mitteln verhindern muss? Oder kann man da etwas großzügiger sein, wenn jetzt die eine oder andere Party an der Uni steigt? Sie wissen, in den USA ist es so, dass die jungen Leute auf dem College und in einer Uni gnadenlos der Universität verwiesen werden. Die werden richtig rausgeschmissen, wenn sie erwischt werden, wenn sie zu Hause mit zehn Leuten eine Party gefeiert haben.



Camillo Schumann

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Wie würden Sie die Risikobewertung jetzt verändern? Würden Sie es tun?



Alexander Kekulé


Ich glaube, wir haben in Deutschland – und das ist vielleicht ein Grund, warum unsere Sterblichkeit so gering ist –: Wir haben den Vorteil, dass wir zwischen den Generationen


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keine so enge Bindungen haben, was eigentlich traurig ist. Mehrgenerationenhaushalt gibt es nicht so häufig. Die Eltern werden nicht jeden Tag besucht, und die Familienfeiern sind auch nicht so groß. (Wir haben ja in den Nachrichten gehört, irgendwo gab es eine kleinere Familienfeier mit 2 00 Leuten.) Das ist keine typisch deutsche Familie. Kürzlich habe ich einen deutschen Ministerpräsidenten sagen hören, wir Deutschen sind eigentlich glücklich, weil wir die Verwandtschaft nicht sehen müssen. Das ist natürlich auch übertrieben. Aber unterm Strich ist es so: Wir haben die Möglichkeit, unsere besonders gefährdeten Alten zu schützen, indem wir ihnen FFP-Masken geben, wenn sie rausgehen wollen, indem wir in den Altersheimen das Personal erstklassig überwachen und indem wir insgesamt Risikosituationen vermeiden. Und ich glaube, dass die stärkste Waffe ist, die wir haben, dass wir Ausbrüche in Altersheimen, Ausbrüche auch in Krankenhäusern vermeiden können. Nämlich an Orten, wo es die vielen Toten gibt. So können wir relativ viel als Gesellschaft bei den jüngeren Menschen als Infektionen in Kauf nehmen.



Camillo Schumann

:


Ich habe eingangs gesagt: Für einen Personenkreis ist die Erkrankung 50-mal tödlicher als Autofahren. Für welche für welchen Personenkreis trifft das zu?



Alexander Kekulé:


Der Personenkreis, das hat einer der Wissenschaftler gesagt, die beteiligt waren, sind die Männer. Für eine Person, die 60 Jahre alt ist, ist die Gefahr, an Covid-19 zu sterben, mehr als 50-mal höher als beim Autofahren. Wobei natürlich die Frage ist, wie fährt der Alte? Wie oft fährt er, wie viele Autofahrten sind zusammengezählt? Bezieht sich das auf sein ganzes Leben? Ich glaube, so ein Risiko von 5-10 Prozent Sterblichkeit, die hat man beim Autofahren eigentlich nicht.



Camillo Schumann

:


Kommen wir an dieser Stelle zu den Hörerfra-


gen. Diese Dame hat angerufen und folgende Frage:


„Was ist jetzt eigentlich in Schweden, was ist aus deren Vorgehensweise geworden?“


2 8:46


Der schwedische Weg in der Pandemie wurde am Anfang stark kritisiert, dann war er kaum noch in den Schlagzeilen.



Alexander Kekulé:


Im Moment ist es so, dass die sich bei 300 Fällen pro Tag eingependelt haben. Die Kurve sieht es ähnlich aus wie bei uns. Die hatten viele Infektionen und die sind deutlich zurückgegangen. Aber man muss sagen: Es gibt so um die 10 Millionen Schweden. Das heißt, das würde dann 2 .400 Fällen am Tag ungefähr bei uns entsprechen. Das wollten wir hier in Deutschland nicht haben. Andererseits muss man sagen: Die schwedische Strategie heißt ja nicht Infektionen, um alles andere zu vermeiden. Die testen auch viel weniger als wir, sodass die Dunkelziffer wahrscheinlich noch viel höher ist. Sondern die wollen ja Todesfälle vermeiden. Die wollen schwere Erkrankungen vermeiden. Und das gelingt wohl ganz gut. Also die Zahlen der Johns Hopkins jetzt rausgibt sehen so aus, dass die Todesfälle in Schweden deutlich zurückgegangen sind. Nicht so weit wie bei uns. Aber in dem Bereich sind, wo man sagen muss, die haben offensichtlich verstanden, dass es eben wichtig ist, die Hochaltrigen zu schützen, vor allem Ausbrüche in Krankenhäusern und Altersheimen zu verhindern.


Man kann vielleicht an der Stelle doch dazu sagen, dass ist schon erstaunlich ist, dass wir immer dann diese hohen Sterblichkeitszahlen bei Covid-19 hatten, wenn es Ausbrüche in Krankenhäusern und Altersheimen gab. Wir hatten ja auch Super-Spreading-Ereignisse in der fleischverarbeitenden Industrie auf der ganzen Welt. Aber da gab es eine geringe Sterblichkeit. Wir hatten die auch in Flüchtlingsheimen in Deutschland, wo dann überhaupt niemand erkennbar krank geworden ist,


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sodass man schon die Frage stellen muss: Ist vielleicht diese Kombination, dass einige besonders viel Virus ausscheiden, dass besonders effektiv durch die Luft übertragen wird und dann vielleicht von vornherein tief inhaliert wird, also in der Lunge bei den anderen ankommt, gibt es da vielleicht so einen DosisEffekt? Denn es ist schon erstaunlich: Sobald man diese Ausbrüche in Altersheimen und Krankenhäusern unter Kontrolle hat, wird die Sterblichkeit auch moderater. Den Effekt haben wir jetzt gerade in Schweden, das muss man sich jetzt eine Weile anschauen.


Das große Fragezeichen, was darüber steht bei dem schwedischen Modell, ist nach wie vor: Die sagen ja, sie wollen eine Durchseuchung erreichen, die uns schützt. Die gehen davon aus, dass die Menschen unter 60 zum kleinen Teil nur chronische Schäden haben von der Erkrankung. Das wird man erst in 2 -3 Jahren sehen, was übrig bleibt, ob dann in Schweden überproportional viele Menschen chronische Schäden an der Lunge oder anderswo durch Covid-19 haben oder nicht. Das werden wir hier im Podcast wahrscheinlich nicht mehr beantworten können. Aber man muss auch sagen: Es gibt bis jetzt keine Hinweise auf solche echten chronischen Schäden, zumindest, dass sie häufig wären. Es gibt Einzelberichte, wo berichtet wird, dass die Lunge stärker geschädigt ist als bei einer normalen Influenza. Aber ob das jetzt bleibt oder ob sich das regeneriert, wissen wir noch nicht.



Camillo Schumann

:


Aber dieser Sonderweg, der jetzt möglicherweise in einem relativ guten Fahrwasser ist, den mussten auch viele Schweden mit dem Leben zahlen. Das konnte man ja vorab nicht absehen, dass es so endet.



Alexander Kekulé:


Das war eben ein Risiko. Die sind am Anfang einfach knallhart ins Risiko gegangen.


Ich sag ja immer: Wir nähern uns dem schwedischen Weg von der anderen Seite an. Wir haben vorsichtig begonnen. Und jetzt gibt es immer mehr Politiker und Virologen, die for-


dern, dass man mehr ins Risiko gehen soll. Das ist sicherlich sinnvoller, es von der Seite zu machen, wie wir das gemacht haben. Ich bin nicht ganz zuversichtlich, dass wir in Deutschland jetzt schon die Schleusen hochmachen dürfen wie in Schweden, weil wir sowohl in Altersheimen als auch in Krankenhäusern noch viele Ausbrüche haben, nach wie vor, berichtet das Robert-Koch-Institut. Und erst wenn hier die Lage unter Kontrolle ist, was ich eigentlich finde, das muss in einem Land wie Deutschland doch möglich sein, dass man in Krankenhäusern und Altersheimen die Ausbrüche wirklich gegen Null bringt. In dem Moment könnte man darüber nachdenken, ob man hier langsam entspannter mit dem Thema umgeht. Ich glaube, das ist ein interessanter Weg in Schweden. Klar, die haben ihren Preis bezahlt. Aber man kann daran erinnern. Viele klopfen sich hier in Deutschland selbst auf die Schultern, wenn die ersten Ausbrüche, die in Norditalien stattgefunden haben, wenn die tatsächlich in Deutschland gewesen wären. Ich sag jetzt mal Super-Gau Oktoberfest, dann wären wir einfach Italien gewesen. Dann wäre Bayern Norditalien gewesen. Daher hat es jetzt nicht so viel mit der Strategie zu tun, sondern damit, dass, als wir dann reagiert haben, es noch nicht zu spät war.



Camillo Schumann

:


Frau H. hat gemailt: „Ich bin Lehrerin in Bayern, und unsre Schulleitung hat uns jetzt über eine neue Maske informiert. Ich würde nun gerne wissen, wie sinnvoll diese Masken im Vergleich eines normalen Mund-Nasen-Schutzes aus Baumwolle ist. Viele Grüße, Christine H.“


Frau H. hat auch einen Link mitgeschickt. Es handelt sich um durchsichtige Plastikmasken. Wahrscheinlich für viele Schwerhörige. Gut, dass man sozusagen dann auch die Lippen lesen kann. Was halten Sie von dieser Plastikmaske?



Alexander Kekulé:


Wir haben mehrere Studien, die normale Gesichtsschilde untersucht haben im Gegensatz


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MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


zu Masken. Es ist so, dass der Schutz der Umgebung durch denjenigen, der die Maske aufhat, in dem Fall, wo derjenige ein SuperSpreader wäre, relativ gering ist. Man atmet zwar mehr seitlich und nach unten die Luft weg, aber es kommt doch eine ganze Menge. Da gibt es jetzt Untersuchungen, die das toll in Bildern gezeigt haben. Es kommt eine ganze Menge von dem Nebel, den man ausatmet, in die Umwelt. Ich würde davon ausgehen, dass das bei solchen Plastikmasken auch der Fall ist, weil die ja in dem Sinne keine Filterfunktion haben, sondern nur die ausgeatmete Luft um die Ecke leiten. Deshalb würde ich sagen, die sollte man nur dann verwenden, wenn man wirklich aus medizinischen Gründen eine normale Stoffmaske nicht tragen kann. Da wäre ich also dagegen, das zu machen. Ich weiß aber, dass solche Plastikmasken in großer Menge gemacht werden. Wenn sie irgendwo in Cafés sind oder im Biergarten, sehen Sie auf die Bedienungen mit diesen Masken, weil scheinbar jetzt von Seiten der Gesundheitsämter dort ein Auge zugedrückt wird. Aber medizinisch gesehen ist der Schutz der Umgebung durch diese Maske kaum gegeben, also wesentlich geringer als bei einer Stoffmaske. Und Eigenschutz haben sie fast gar keinen.



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 106. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial bis dahin.



Alexander Kekulé:


Bis dann, Herr Schumann, bis Samstag.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 08. September 2 02 0


#105: Kekulés Corona-Kompass 

Camillo Schumann

, Moderator


MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.



Camillo Schumann

:


Dienstag 8. September 2 02 0: Der Lagebericht zum Infektionsgeschehen in Deutschland: Zahl der Neuinfizierten, Hospitalisierungsquote, Belegung von Intensivbetten. Der Lagebericht zum Infektionsgeschehen in Deutschland. Dann: Wie sicher und wirksam ist der russische Impfstoff? Eine Studie gibt erste Hinweise. Außerdem: Diskussion um Isolierung und Quarantäne. Worum geht es eigentlich? Und welcher Zeitraum ist jeweils sinnvoll?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen.


Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Schon fast traditionell am Dienstag werfen wir einen Blick aufs aktuelle Infektionsgeschehen.


Heute mal ein bisschen detaillierter. Fangen wir mit der Basiszahl an, die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Laut RobertKoch-Institut liegt diese Zahl heute bei 1.499. Was sagt uns diese Zahl?



Alexander Kekulé:


Es ist ein relativ konstantes Einpendeln auf einem mittleren bis hohen Niveau. Wenn es so bleibt und im Herbst nicht steigt, kommen wir damit gut über die Runden.



Camillo Schumann

:


Aber was sagt aber diese Zahl – losgelöst von allen anderen Parametern – eigentlich aus?



Alexander Kekulé:


Die Zahl der Neuinfektionen ist vor allem wichtig, um die Kapazitäten der Gesundheitsämter abzuschätzen. Eine Neuinfektion bedeutet immer, dass das Gesundheitsamt die Fälle nachverfolgen muss und welche Kontaktmenschen sie in Quarantäne bringen muss. So kann man anhand dieser Zahl sehen, wie viel „Fieber“ das Gesundheitssystems hat. Das ist quasi die Temperaturmessung des Gesundheitssystems. Es sagt nichts darüber aus, wie schwer die Pandemie in Deutschland insgesamt verläuft. Denn durch die neue Teststrategie sind viele der Neuinfizierten jung und gesund und deshalb die Kliniken gar nicht zu belasten.



Camillo Schumann

:


Darauf kommen wir gleich. Wir wollen bei diesem Lagebericht heute mehr Fakten und Zahlen bringen. Wir fangen mit den Tests an. Wir beziehen uns auf die Kalenderwoche 35, also die Woche vom 2 4. bis 30. August. Dazu liegen Daten vor. Insgesamt wurden in Kalenderwoche 35, mit 1,1 Millionen Tests so viele Tests wie noch nie durchgeführt. 8.178-mal gab es ein Sars-CoV-2 -positives Ergebnis. Das macht eine Positivquote von 0,74 Prozent. Was sagt dieser Wert aus?



Alexander Kekulé:


Die Positiven-Quote ist immer eine guter Hinweis darauf, ob sich das Testen in der jeweiligen Gruppe lohnt. Wir hatten ja schon mal deutlich höhere Werte. Das lag daran, dass


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man speziell Menschen getestet hat, die Symptome hatten, wo der Verdacht bestand oder wo unmittelbarer Kontakt zu einem positiv Getesteten bestand.


Jetzt wird vermehrt getestet als Zufallsstichprobe in der Gesamtbevölkerung. Es geht mehr und mehr in diese Richtung. Dadurch sinkt auch die Positiven-Quote. Das ist ein normaler Effekt. 0,75 Prozent ist ein guter Wert. Wenn man die Gesamtbevölkerung blind durchtesten würde, wäre er sicherlich noch wesentlich geringer.



Camillo Schumann

:


Es ist also wichtig, wen man testet, um das ins Gesamtbild der Bewertung der Zahlen mit einfließen zu lassen.



Alexander Kekulé:


Das ist extrem wichtig. Das ist deshalb wichtig, denn wenn man keine Auswahl trifft, wird die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man sog. Falsch-Positive erwischt, höher. Das ist vielleicht nicht so offensichtlich, aber dieser positive Vorhersagewert, dass also der Positive auch wirklich positiv ist, ist davon abhängig, welche Stichprobe man sich anschaut. Deshalb bin ich dafür, bei diesen Tests schon eine Vorauswahl zu treffen und nicht völlig blind zu testen. Das wurde ja auch mal vorgeschlagen wurde: 82  Millionen Deutsche durchzutesten. Vielmehr muss man gucken, wen man sich anschaut und vorselektieren.



Camillo Schumann

:


Welche zum Beispiel?



Alexander Kekulé:


Sinnvoll ist die Testung von Rückkehrern aus Risikogebieten. Bei denen hat man gesehen, dass die Quote bei 2 Prozent lag. Dann lohnt sich das auf jeden Fall nachzutesten. Sinnvoll ist es auch, medizinisches Personal zu testen und alle diejenigen, die Kontakte mit einem Fall hatten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kontaktperson positiv ist, viel höher ist, als bei irgendjemandem, den man zufällig aus der Bevölkerung herausgreift.


5:04



Camillo Schumann

:


Wir haben über die positiven Tests gesprochen. Micha aus Köln hat angerufen und eine Frage gestellt:


„Ich habe in letzter Zeit öfter mal versucht, ehrlicherweise jetzt nicht so intensiv, aber immerhin gegoogelt, herauszufinden, wie viel Covid-19-Tests, die gemacht werden, negativ ausfallen. Und ich habe Schwierigkeiten, da irgendeine eine Zahl zu finden.“



Alexander Kekulé:


Ich glaube, dass man das einfach durch Subtraktion feststellen kann. Wenn man weiß, wie viele Tests insgesamt gemacht wurden, die positiven abzieht, dann sind logischerweise die anderen negativ geworden. Das ist eine große Zahl. Das ist klar, wenn man nur bei 0,75 Prozent Positiven liegt. Es gibt noch einen anderen Faktor, der dabei interessant ist. Wir haben keine guten Daten darüber, wie viele Leute sich mehrfach haben testen ließen. Man muss davon ausgehen, dass es besorgte Bürger gibt, die sich regelmäßig testen lassen. Oder auch Ärzte, die häufiger den Test verschreiben und andere, die eigentlich vielleicht ein Risiko hätten, aber kein Interesse daran haben, sich zu testen.



Camillo Schumann

:


Sollte man das rausrechnen, sollte man die Zahlen bereinigen?



Alexander Kekulé:


Es wäre wunderbar, wenn wir mehr Daten hätten. Das gilt seit Anfang der Epidemie in Deutschland, dass die Datenlage nicht zufriedenstellend ist. Wir sind da weltweit nicht alleine. Auch in den USA wird geschimpft darüber, dass die Daten unvollständig sind. Denn wir wissen zum Beispiel nicht, in welcher Altersgruppe die Negativen waren. Wir wissen bei den Positiven nur zum Teil, wie sie sich infiziert haben, zum Beispiel welcher ethnischen Gruppe sie angehören, ob das Leute sind die sich beim Sport infiziert haben, die sich im


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Urlaub infiziert haben usw. Das sind alles grobe Schätzungen, weil die Daten unvollständig sind.


Das wird in dieser Pandemie in Deutschland auch nicht besser werden. Wir hatten die Diskussion 2 009 bei der Schweinegrippe. Da wurde Besserung gelobt. Aber letztlich ist es nach wie vor so, dass die Bundesländer auch unterschiedliche Auffassungen vertreten, welche Daten nach Berlin gemeldet werden sollen. Und das Robert-Koch-Institut hat die Informationen, die es hat. Das ist ein bekanntes Problem, das jetzt wieder deutlich zutage tritt.



Camillo Schumann

:


Da hat sich ja die Kanzlerin mit den Gesundheitsämtern der Länder zusammengeschaltet, um sich über diese Probleme auszusprechen. Möglicherweise passierte da auch was in dieser Richtung.


Herr Kekulé, kommen wir zu einem Problem: Laut Robert-Koch-Institut hat der Rückstau an PCR-Proben seit Kalenderwoche 32  stark zugenommen. In Kalenderwoche 35 gaben 76 Labore einen Rückstau von rund 37.000 abzuarbeitenden Proben an. 49 Labore nannten Lieferschwierigkeiten, zum Beispiel für Reagenzien. Wie ist dieser Umstand einzuschätzen? Ist das aus Ihrer Sicht ein größeres Problem oder für die Gesamtlage ein zu vernachlässigender Umstand?



Alexander Kekulé:


Ich glaube, das ist wichtig, wenn man strategisch oder mittelfristig in die Zukunft guckt. Bei diesen Umfragen ist nicht genau definiert, wann ist ein Lieferengpass vorhanden. Der eine hat eine größere Menge an Reagenzien im Labor, der andere hat nur eine kleine. Der eine hat drei oder vier verschiedene Methoden, mit denen er diesen Test machen kann, der andere vielleicht nur ein oder zwei. Das heißt, es ist nur ein ungefährer Gradmesser.


Aber man hört es von vielen Laboren – das ist bei den Besprechungen der großen Labor, die diese Covid-Tests machen, eigentlich schon sehr deutlich –, dass die sich sorgen, dass wir in eine Situation kommen könnten, in denen


für die klassischen PCR-Tests mal die Reagenzien knapp werden. Das muss man sich so vorstellen: Das ist eine Handvoll Hersteller, eigentlich sind es nur 2 oder drei große Hersteller, die diese riesigen Maschinen liefern, mit denen die Massentests gemacht werden. Und dann muss man für diese Maschine auch die Reagenzien dieses Herstellers benutzen. Da ist man verhaftet. Das ist schlimmer als beim Tuner im Drucker, wo man vielleicht mal ein NoName ein Produkt einbauen kann. Da gibt es also quasi ein Monopol. Die sorgen sogar durch spezielle Barcodes auf den einzelnen Reagenzien-Fläschchen dafür, die von der Maschine gelesen werden, dass man da nicht schummeln kann. Klar, das hat auch was mit Qualitätskontrolle zu tun. Jemand, der andere selbstgemachte Reagenzien einfüllt, kann auch Fehler machen. Und dann fällt es auf den Hersteller zurück. Das heißt, es gibt schon Gründe dafür.


Aber in der Praxis heißt es: Selbst Universitätslabore kriegen rationierte Zuteilungen an TestReagenzien. Das wird dann so gemacht. Man schaut, wie viel habt ihr die letzten vier Wochen verbraucht? Und dann kriegt ihr das, was ihr da verbraucht habt, alle 2 Wochen geliefert. Jemand, der dann sagt, ich hätte gern mal einen Vorrat für 2 Monate, der wird dann schon schräg angesehen. Das heißt also, wenn jetzt schlagartig die Fall-Zahl der Patienten steigen würde – im Moment machen wir ja viele Tests prophylaktisch –, könnten wir in den Engpass hineinkommen.



Camillo Schumann

:


Und die Zahl der 37.000 Proben, die noch nicht ausgewertet werden konnten? Gemessen an der Gesamtzahl der Testung 1,1 Millionen, ist dieser Wert zu vernachlässigen?



Alexander Kekulé:


Ich gehe davon aus, dass das einige Labore sind. Wissen Sie, das machen heute große Maschinen fast vollautomatisch. Da hängt eine EDV hinten dran, und das Ergebnis wird automatisch ausgespuckt. Ich würde nicht sagen, dass bei einem normalen Laborbetrieb ein großer Rückstau entsteht. Es kann sein, dass


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mal Wochenende ist oder dass nachts Proben reinkommen oder dass einfach die Mitarbeiter zeitweise überlastet sind. Man muss sich klarmachen, dass auch in den Laboren zumindest in Kliniken tatsächlich schon lange der Rotstift unterwegs war und man alle möglichen Einrichtungen oder Puffer, die man bei den Geräten oder beim Personal hatte, weggestrichen wurden. Die sind jetzt alle verschlankt, auf Effizienz getrimmt. Und wenn dann so ein Covid-19-Problem dazukommt, ist klar, dass es da hier und da mal knapp wird.



Camillo Schumann

:


Schauen wir uns abschließend die Hospitalisierungs-Quote an. Das ist ja auch ein wichtiger Parameter, um das Pandemiegeschehen einzuordnen. Diese Quote in Kalenderwoche 35, über die wir hier sprechen, lag bei vier Prozent, und war damit so niedrig wie noch nie. Zu Hochzeiten lag sie bei 2 1 Prozent. Insgesamt mussten in Kalenderwoche 35 2 75 Menschen ins Krankenhaus, im Schnitt also rund 40 Patienten jeden Tag. Auf der Intensivstation sieht es laut Intensivregister aktuell folgendermaßen aus. Wir haben frische Zahlen, weil die fast stündlich aktualisiert werden. Der Stand 8. September, 12  Uhr: 2 2 8 Covid19-Fälle auf Intensivstationen, und davon werden 130 invasiv beatmet. Wie bewerten Sie diese Daten aus der Hospitalisierungs-Quote und der aktuellen Belegung der Intensivbetten und Beatmung im Verhältnis zum Infektions-Niveau der letzten 2 bis drei Wochen?



Alexander Kekulé:


Zuerst muss man sagen: 130 Beatmete sind 130 Beatmete, von denen es wahrscheinlich die Hälfte nicht überleben wird. Es ist auf jeden Fall eine ernstzunehmende Zahl. Wenn man sich erinnert an die Diskussion mit der Masernpflichtimpfung: Da ging es um die Frage, ob im Jahr fünf bis zehn Menschen in Deutschland sterben. Das heißt also: Hier haben wir ein ernstes Geschehen. Aber die Zahl der Hospitalisierung ist extrem gering. Wir werden weltweit dafür beneidet und bewundert. Man muss natürlich sagen, das sind mehrere Effekte, die


da eine Rolle spielen. Erstens war es am Anfang so, dass man die Patienten, wenn sie positiv waren, sofort ins Krankenhaus gebracht hat, um sie zu isolieren. Es gab ja noch keine andere Isolierung. Aber auch, weil man unsicher war, wie der weitere Verlauf ist. Man hatte Angst, dass es ganz schlimm werden könnte.


Da ist man jetzt sicher großzügiger. Und es wird auch viele Menschen geben, die von vornherein sagen: Ich habe da zwar ein bisschen Husten, ich bin jetzt Covid-19 positiv, aber ich bleibe zu Hause. Wozu brauche ich ein Krankenhaus? Das heißt, da hat man jetzt ein besseres Gefühl dafür, in welcher Situation man sich befindet. Dadurch wird es sicherlich weniger Hospitalisierungen geben. Das Gleiche gilt dann auch für die Verlagerung auf die Intensivstation. Da war man am Anfang großzügiger, weil man Angst hatte, dass die Menschen schnell dekompensieren, dass die Atmung plötzlich nicht mehr funktioniert und Ähnliches. Heute hat man Erfahrungen mit dem Krankheitsbild. Ein wichtiger weiterer Faktor ist – das hängt mit der Testung zusammen –, dass wir jetzt die Quote bezogen auf die wirklichen Infektionen nach und nach sehen und nicht mehr die Quote bezogen auf die klassischen klinischen Fälle. Man unterscheidet ja sonst eigentlich in der Epidemiologie Fälle und Infektionen. Ein Fall ist jemand, der irgendwelche Symptome zeigt. Heute sind wir aber eigentlich da, wo jede Infektion als Fall gezählt wird. Und da sind diese ganzen berühmten Asymptomatischen auch dabei. Leute, die vielleicht das Virus mal hatten, kurzzeitig sofort wieder eliminiert haben, möglicherweise die Immunität auf der Schleimhaut schon dazu geführt hat, dass die VirusAusbreitung im Körper gar nicht massiv war. Solche werden ja jetzt zum Teil mitgetestet, sodass wir jetzt ein Bild haben, bezogen auf die Infektionen. Und am Anfang hatten wir ein Bild bezogen auf die klinisch relevanten Fälle.



Camillo Schumann

:


Sicherlich spielt der Altersmeridian noch eine große Rolle. Wir sind jetzt im Durchschnitt bei 33 Jahren. Noch vor Wochen, Monaten lag


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dieser Altersmeridian deutlich höher, um die 50. Das ist auch ein wichtiger Faktor.



Alexander Kekulé:


Das ist natürlich ein wichtiger Faktor, und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens werden die positiven Festgestellten immer jünger. Aber zweitens sind auch die, die wir überhaupt testen, immer jünger. Das heißt, es wurden am Anfang überhaupt keine Kinder getestet, weil man sich erst einmal nur Kranke angesehen hat und die Kinder sowieso nicht mehr in der Schule oder Kita waren. Das heißt also, wir haben jetzt eher ein Abbild, das die Gesamtbevölkerung, einschließlich der Jüngeren, betrifft. Und da ist die Lage eindeutig, das ist in diesem Podcast auch oft angesprochen worden: dass es ein Thema für ältere Menschen ist. Ältere Menschen haben ein extrem hohes Risiko, und die Jungen haben ein minimales Risiko. Und das bildet sich hier in den Zahlen ab.


16:13



Camillo Schumann

:


Zahlen ist genau das Stichwort: Viele Menschen machen sich Sorgen, wenn sie jeden Tag die Zahl der Neuinfizierten hören. Und auch wenn sie vielleicht ins Ausland schauen und dann wieder zu uns, wie zum Beispiel diese Dame:


„Ich habe gerade in den Nachrichten gehört, dass es in Frankreich inzwischen in 2 4-Stunden 7.000 Neuinfektionen mit Corona gibt. Kann das bei uns auch passieren? Was meint Professor Kekulé dazu?“



Camillo Schumann

:


Was können Sie dieser Dame sagen? Jetzt haben wir so viele Zahlen und Einordnungen gehört...



Alexander Kekulé:


Wenn wir halbwegs vernünftig weitermachen und in den nächsten Wochen nicht die wirtschaftlichen Interessen vor die medizinischen Stellen, werden wir solche Siebentausenderzahlen vermeiden können, wie wir sie im April schon mal hatten. Das wird nicht noch einmal


passieren, sonst hätten viele Leute etwas falsch gemacht.



Camillo Schumann

:


Wenn es einen Impfstoff gäbe, müssten wir uns keine Sorgen mehr machen. Interessant ist, wie viele Impfstoffe aktuell in der Testphase sind. Das kann man sich prima auf einer Internetseite anschauen: covidvax.org. Dort sieht man auch, dass aktuell über 300.000 Menschen weltweit Impfstoff-Kandidaten am eigenen Leib austesten lassen, quasi für uns alle. Hoffen wir mal, dass sich die Nebenwirkungen auch in Grenzen halten. Was vermuten Sie, was die gängigsten Nebenwirkungen sein werden?



Alexander Kekulé:


Wir müssen bei allen Impfstoff-Tests zwischen zweierlei unterscheiden: erstens den Impfstoffkandidaten im weitesten Sinne. Das sind hohe Zahlen, weil für viele Unternehmen und Universitäten plötzlich viel Geld auf der Straße lag für das Thema. Und die haben gesagt, wir machen so was jetzt. Die, die am Schluss in der Phase drei sind und klinisch erprobt werden, wo man also nachsieht, ob es wirkt, als ob es eine Schutzwirkung hat, das ist im Moment knapp mehr als eine Handvoll Impfstoffe. Und nur die muss man sich im Grunde genauer ansehen.


Bei den so genannten Nebenwirkungen unterscheiden wir bei den Impfstoffen – anders als bei anderen Medikamenten – 2 Arten. Das eine ist das, was wir Impfreaktion nennen. Wenn Sie einen Impfstoff geben, der wirksam ist, haben Sie bei vielen Menschen – das ist einfach biologisch so – als Tatsache, dass das Immunsystem sich damit auseinandersetzen, Rötungen der Einstichstelle oder Schwellungen oder auch mal Schmerzen da, wo gepikst wurde bis hin zu erhöhter Temperatur. Manche Leute haben auch ein bisschen Muskelund Gelenkschmerzen. Das kann alles die sogenannten Impfreaktionen sein, also ein Beleg dafür, dass der Körper die Immunität aufbaut, also ein gewünschte Effekt.


Und dann gibt es noch die echten Nebenwirkungen. Die sind außerhalb dieser Impfreaktion. Wenn zum Beispiel Menschen durch so


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eine Impfung einen epileptischen Anfall kriegen oder Langzeitschäden haben – was fraglich ist, weil man viele Fälle hat, wo man solche Langzeitschäden dann beurteilen kann. Das sind dann die richtigen Nebenwirkungen. Die sind es auch, worauf wir achten müssen und weswegen diese umfangreichen Studien gemacht werden.


Ob es jetzt an der Einstichstelle mehr oder weniger wehtut, das ist sicherlich wichtig. Zum Beispiel auch für Unternehmen, die jetzt Kinder-Impfstoffe herstellen, das ist für die Markteinführung natürlich ein Riesenunterschied, wenn es beim einen häufiger Schmerzen gibt als beim anderen. Aber ich glaube, hier bei Covid-19 wird es auf solche Kleinigkeiten nicht so sehr ankommen.



Camillo Schumann

:


Aber widersprechen nicht gerade diese Langzeitnebenwirkungen der Hektik, die wir gerade machen, dass wir das dann auch wirklich ausschließen können?



Alexander Kekulé:


Ich habe das Gefühl, dass wir in Europa mit Augenmaß machen. Es gab zwar so einzelne, die dann gesagt haben: Im Herbst fangen wir zu impfen an, auch in Deutschland. Aber das hat sich beruhigt. Die Menschen haben inzwischen verstanden, dass es ein Erfolg ist, wenn wir also auf breiterer Ebene nächstes Jahr im Juni anfangen. Und anfangen heißt noch lange nicht, dass wir die Risikogruppen oder die First Responders durchgeimpft haben.


Die Diskussion ist in den USA massiv. Da ist das jeden Tag mehrmals in den Nachrichten, weil der amerikanische Präsident – Sie wissen, am 2 . November sind Wahlen – versprochen hat, dass bis dahin die Impfung beginnt. Und er hat auch schon seine Behörden angewiesen das kann er ja machen sich darauf vorzubereiten, dass jetzt Massenimpfungen noch vor der Wahl stattfinden. Und wenn Wissenschaftler in den USA jetzt sagen: Naja, so schnell geht es aber nicht. Wir müssen da vorher noch ein paar Prüfungen machen, dann beschimpfte er


die ja richtig aktiv und sagt, sie wollten seinen Wahlerfolg torpedieren.


Das ist eine Dynamik, die es in den USA oder auch in Ländern wie China oder Russland hat, wo man sich als Regime beweisen will und zeigen will: wir sind genauso gut wie der Westen. Diese Dynamik hat es bei uns nicht. Und ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass bei uns das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt den Riegel davor hat und den Impfstoff zulassen wird, wenn er wirklich nach den klassischen Kriterien zugelassen werden kann.



Camillo Schumann

:


Das sind wichtige Stichworte, die gefallen sind. Ein Impfstoff ist weiter als alle anderen, zumindest auf dem Papier. Denn er wurde ja schon zugelassen. Es ist der russische Impfstoff. Der wurde auch schon an Menschen getestet in seiner Wirksamkeit und seinen Nebenwirkungen. Die wurden jetzt in einer Studie dokumentiert und im Wissenschaftsjournal „The Lancet“ veröffentlicht. Bevor wir jetzt auf die Daten eingehen: von wegen die Russen würden keine Daten preisgeben ... Dieser Vorwurf wurde ja regelmäßig erhoben.



Alexander Kekulé:


In diesem Fall finde nicht, ich habe das Paper. Das ist ja jetzt am Freitag rausgekommen, ich habe es gesehen. Ich finde, in dem Fall ist es ordentlich dargestellt. Die Daten sind natürlich nicht üppig. Die sind ähnlich wie das, was wir schon vermutet und hier besprochen hatten, als die ersten Gerüchte durchgesickert waren. Aber ich finde, die haben das ordentlich gemacht. Das ist nicht so, dass diese russische Studie schlampig oder schlecht wäre. Es ist halt einfach eine Phase eins Phase II, also die Wirksamkeitsnachweis, der da steht noch aus.


2 2 :49



Camillo Schumann

:


Aber was getestet wurde, war die Verträglichkeit. Und welche Aussage kann man dazu treffen?


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Alexander Kekulé:


Die haben 2 Sachen gemacht. Die haben quasi Phase I/II gemacht, das heißt, sie haben die Phase I, wo nur die Verträglichkeit geprüft wird, zusammengefasst mit der Phase II, wo man konkret bei Impfstoffen nachsieht, ob Antikörper gebildet werden, also ob eine Wirkung plausibel ist. Das wurde an 2 Krankenhäusern in Moskau gemacht. Das ist der Impfstoff vom Gamaleja Institut, übrigens kein so schlechtes Institut. Die haben früher auch mal so etwas Ähnliches bei Mers entwickelt, das ist ein ähnliches Virus wie Sars, das hat meines Wissens bei Dromedaren gut funktioniert. Und das heißt: Die wissen schon ungefähr, was sie machen. Das ist ja so ein Impfstoff, der gemacht wurde mit Adenoviren. Das heißt, das ist ein ausgehöhltes Virus, wo nur die Hülle des Virus da ist, letztlich ein bisschen Erbinformationen von dem Virus. Das Ganze spritzt man in die Schultermuskulatur wie andere Impfstoffe auch. Der Unterschied ist, dass dann die eigenen Muskelzellen dort, also der Körper selbst, anfängt, solche Spike-Proteine zu produzieren, also den Teil von dem Corona-Virus, den das Immunsystem erkennen kann. Da stürzen sich natürlich die Immunzellen drauf, und es kommt dann zu einer Immunisierung. Die haben ja da 2 verschiedene Adenoviren genommen. Denn das Problem bei den Adenoviren ist: Wenn es menschliche Viren sind, die gibt es ja auch, machen die Erkältungen, hauptsächlich im Kindesalter. Und da haben sie jetzt 2 verschiedene Typen genommen. Adeno 5, der ist relativ häufig und Adeno 2 6, der kommt seltener vor. Aber trotzdem ist es so, dass man auch gegen dieses Vehikel, wenn ich mal so sagen darf, immun sein kann. Und dann wirkt der Impfstoff nicht. Stellen Sie sich vor, Sie haben mit einem Adeno 5 als Kind mal eine Infektion durchgemacht, haben dagegen Antikörper. Es kommt einer mit einem Adeno 5, was so verändert ist, dass das eine Immunisierung gegen Covid herbeiführen soll. Dann wird es sofort vom Immunsystem weggefangen. Dieses Verfahren heißt auf Englisch Prime boost, d.h. man macht so eine erste Impfung und hinterher so eine Booster-Impfung, eine


Verstärkung. So ähnlich macht man das bei Kindheitsimpfungen auch, dass man zweimal impft, eben weil man weiß, da gibt es einen stärkeren Effekt. Aber bei dem Adenovirus, also bei den viralen Vektoren, ist eben wieder das Problem: Mit dem gleichen Impfstoff kann man da nicht noch mal impfen, weil der Körper bei der ersten Impfung eine Immunität gegen diesen Vehikel entwickelt. Deswegen haben sie diese 2 verschiedenen geben, erst mal dieses Adeno 2 6 und drei Wochen später des Adeno 5. Das hat gut funktioniert.


Die haben Nebenwirkungen wie bei den anderen auch. Es gibt vom Jenner Institut in Oxford so einen ähnlichen Impfstoff, der auf Schimpansen-Adenoviren aufgebaut ist. Eben deshalb Schimpansen, weil der beim Menschen nicht vorkommt. Und auch der hat eine relativ starke Impfreaktion, also häufige Schmerzen bei der Hälfte der Menschen, erhöhte Temperatur, auch die Hälfte, so bis 38°C, Kopfschmerzen bei ungefähr 40 Prozent. Das ist jetzt nicht von Pappe, wenn man sich das in der Kinderarztpraxis so vorstellt.


Aber diese Messenger RNA-Impfstoffe, die da sehr weit sind, haben auch so hohe Nebenwirkungen. Also sieht es so aus, als wären diese ganzen Covid-19-Impfstoffe nicht von der sanften Sorte. Und man hat eben bei diesen Patienten gesehen, dass die alle Antikörper entwickelt haben, also die Antikörper-Reaktion war da in Russland.



Camillo Schumann

:


Also Antikörper, Schmerzen, dann auch Kopfschmerzen waren mit dabei. Was mir aufgefallen ist: Die Probanden, die waren verhältnismäßig jung, so um die 30. Sind die Probanden in dieser Phase der Impfstoff-Testung immer so jung. Und was sagt das über Ergebnis aus?



Alexander Kekulé:


Da nimmt man immer junge, gesunde. In dem Fall hat man sogar nur Männer genommen. Das scheinen die gewesen zu sein, die zuerst „Hier“ gerufen haben. Ein Teil kam vom Militär, wo Teile im Militärkrankenhaus gemacht wurde. Man braucht nur wenige Probanden. Und


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wenn man nur so wenige braucht, das waren 76 Probanden, die man in 2 große Gruppen eingeteilt hat, nimmt man meistens Mitarbeiter oder irgendwelche Wissenschaftler, die Spaß haben, mitzumachen.


Ja, das ist eben das typische in so einer Phase I/II-Studien. Da geht nur darum zu zeigen, dass das Prinzip wirkt. Man will nur beweisen, dass das Prinzip funktioniert. Und das sollte man mit solchen Probanden machen. Nicht, dass dann gleich der erste auf der Intensivstation liegt, wenn was schiefgeht. Und bei dieser Gruppe ist nichts schief gegangen, hätte ich auch nicht erwartet. Es ist ja so, dass man mit solchen Adenovektoren schon seit vielen Jahren Erfahrungen hat. Auch Langzeiterfahrungen gibt es: bestimmte Probleme, was das Immunsystem betrifft, was die vor Immunisierung betrifft. Ein Teil der Bevölkerung könnte von vornherein gegen den Vektor immun sein. Aber dass jetzt die Leute tot umfallen, wenn man da ausprobiert, ob der Impfstoff wirkt, war in dem Fall überhaupt nicht zu erwarten.



Camillo Schumann

:


Was würden Sie abschließend zum russischen Impfstoff sagen?



Alexander Kekulé:


Wir haben jetzt mehrere große Fragezeichen. Es waren keine Alten dabei, es waren keine Kinder dabei. Und ich glaube, wenn ich die Daten so sehe, waren die von den Antikörpern, die gebildet wurden, etwas schlechter, als die beiden Konkurrenzprodukte, die es gibt. Die Dosis, die man verwenden musste, war aber auch hoch. Man musste fast doppelt so viele Adeno-Vektoren spritzen wie bei dem JennerInstitute-Vektor. Aber trotzdem glaube ich: Irgendwie funktionieren wird der schon bei einem Teil der Bevölkerung. Die Frage ist nur: Wird man die Risikogruppen damit immunisieren können, speziell die Älteren. Und welcher Teil der Bevölkerung hat dann vielleicht doch vorexistierende Antikörper? Da kann es dann einerseits zu Impfversagern kommen, andererseits auch zu erheblichen Unverträglichkeiten. Wenn also da Antikörper da sind, dann kann es


auch zu so einer Art Immun-Enhancement, eine Art Verstärkereffekt, geben. Das ist dann wirklich eine unerwünschte Nebenwirkung. Das wird man sehen. Die Russen wollen jetzt 3.000 Probanden als nächstes testen. Und ob zugelassen oder nicht ... das ist, glaube ich, mehr so ein Coup von Präsident Putin gewesen, dass er das zugelassen hat. Es heißt ja trotzdem noch nicht, dass es in ganz Russland verwendet wird. Sie wissen ja, der Sputnik fünf, der Impfstoff, das ist natürlich hat alles einen politischen Aspekt.



Camillo Schumann

:


Wir werden im Podcast weiter einen Blick auf den russischen Impfstoff haben. Das war jetzt quasi der erste Aufschlag beziehungsweise der zweite nach der Ankündigung. Und wie dann die weitere Testphase verlaufen wird, wenn es Ergebnisse gibt, erfahren Sie im Podcast.


Da gibt es Bedarf auch hier bei uns in Deutschland, um den Bogen mal zu spannen. Es gibt nicht nur einen Test-Bedarf, sondern einen großer Redebedarf.


Es wird nämlich gerade viel diskutiert, wie man mit dem Coronavirus umgehen soll. Vor allem, welche Maßnahmen sinnvoll sind, welche man vielleicht auch ein bisschen nachjustieren sollte. Unter anderem geht es um die Frage der Quarantäneund Isolierungszeit. Einige Politiker haben eine Kürzung der Quarantäne gefordert. Ihr Kollege, der Virologe Christian Drosten, schlägt eine Mischung aus Quarantäne und Isolierung vor, nennt das Ganze dann „Abkling-Zeit“. Bevor wir in diese Diskussion einsteigen, sollten wir einordnen, was eine Quarantäne und was eine Isolierung ist. Denn es gibt da einen kleinen, aber feinen Unterschied. In dem Fall ist es ein großer Unterschied.


30:50



Alexander Kekulé:


Die regelmäßigen Hörer dieses Podcasts wissen das: Wenn wir jemanden haben, der krank ist, Symptome hat, dann wird der isoliert. Das ist der Terminus technicus aus der Klinik.


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Und dann gibt es etwas, was die Gesundheitsbehörden machen: Wenn sie Kontaktpersonen haben, von denen man noch nicht weiß, ob sie krank sind, also jemand, der nur in Kontakt war mit einem Erkrankten, aber keine Symptome hat, der ist in Quarantäne.


Das Wort kommt aus uralter Zeit, als die Pestilenz in Europa bekämpft wurde, allen voran natürlich die Pest und andere Krankheiten, die man dafür gehalten hat.


Da wusste man, wenn man jemanden 40 Tage lang einsperrt und er bekommt Symptome, irgendwelche Beulen zum Beispiel, dann ist er offensichtlich krank gewesen. Darum gab es diese Quarantänelager, also Quarantäne. Das kommt von den 40 Tagen von dem italienischen Wort für 40. Das ist hier aber natürlich schon mal das erste Problem. Weil wir bei Covid-19 die Situation haben, dass die Leute zum Teil keine Symptome bekommen. Da können sie sie ein Jahr lang einsperren. Also viele Erkrankungen, die relevant sind, die auch ansteckend sind, haben ja keine Symptome. Das ist das Besondere hier. Oder sie sind sogar ansteckend, bevor sie Symptome bekommen. Sodass diese klassische Idee mit der Quarantäne hier nur dann funktioniert, wenn man am Ende der Quarantäne entweder eine PCR macht – also guckt: ist der positiv mit Labormethoden – oder die Quarantäne so lang macht, dass man sagt: Okay, jetzt kann er absolut nicht mehr krank werden. Jetzt haben wir ihn quasi da solange gebrütet, das Schluss ist mit der Möglichkeit, dass er Covid-19 hat.



Camillo Schumann

:


So zum grundsätzlichen Verständnis bei der Isolierung: Gibt es einen positiven Tests, und man isoliert diese Person, und bei der Quarantäne hat man den eben nicht und man schaut, was draus wird?



Alexander Kekulé:


Es gibt ja viele Positive, die isoliert werden und auch keine Symptome haben. Da verwischt sich ein bisschen die Grenze. Ich glaube deshalb, weil das eben häufig sowohl als auch Menschen sind, die keine Symptome haben,


hat Christian Drosten gesagt: Lasst uns hier den gemeinsamen Begriff „Abklingzeit“ verwenden. Ich weiß nicht, ob der so glücklich ist. Der Begriff kommt ja aus der Kernenergie und impliziert so ein bisschen, dass alle gefährlich werden. Wobei ja die allermeisten Leute, die in diesem Abklingbecken wären, gar nicht infektiös sind, die sind ja in Quarantäne.


Ich bin jetzt epidemiologisch dafür, sauber zu trennen zwischen Quarantäne und Isolierung. Weil auch die wissenschaftlichen Überlegungen und die Grundlagen ganz andere sind,



Camillo Schumann

:


Kommen wir zu dem Vorschlag ihres Kollegen. Er hatte in der „Zeit“ geschrieben, wie man einen zweiten Lockdown verhindern könnte. Er kapriziert sich da auf so genannte Clusterbildung und schreibt: „Schaut man sich neuere Daten zur Ausscheidung des Virus an, reicht eine Isolierung der Cluster-Mitglieder von fünf Tagen. Dabei darf das Wochenende mitgezählt werden. Ich würde diese Mischung aus Quarantäne und Isolierung Abklingzeit nennen, um die Begrifflichkeiten nicht zu verwässern. Am Ende dieser fünf Tage – und nicht vorher – testet man die Mitglieder des Clusters. Solch eine pauschale Regelung für Cluster ist zu verkraften und allemal besser als ein ungezielter Lockdown.“


Mit Clustern sind Gruppen gemeint, in denen es zu einer Virusverbreitung gekommen ist. Es kann ja eine Hochzeit, Geburtstagsfeier oder ein Fleischbetrieb sein, oder?



Alexander Kekulé:


Der Gedanke ist absolut richtig. Das kann man nur unterstreichen. Wir wissen von dieser Erkrankung übrigens genauso wie von Sars 2 003 eigentlich von Anfang an, dass es eine Ausbreitung in Clustern gibt. Ich habe das immer verglichen mit diesen Hornissennestern, die weiterfliegen. Und wenn man die unter Kontrolle kriegt, ist schon viel gewonnen.


Es gibt die eine Strategie, die wir hier vorgestellt haben, dass man Cluster proaktiv verhin-


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dert, indem man Situationen vorher identifiziert, in denen sie entstehen könnten.


Aber es gibt auch die Strategie, quasi reaktiv, dann zu sagen, wenn ein Cluster aufgetreten ist, was mache ich damit? Und das ist hier ganz sicher ein wichtiger Hinweis, dass die Gesundheitsbehörden sich speziell auf diese ClusterNachverfolgung konzentrieren sollen. Ich glaube, er hat auch selber geschrieben, dass die Behörden das machen.



Camillo Schumann

:


Jetzt die Frage: Ist das eine gute Idee: Erst einmal alle fünf Tage daheim lassen und danach testen.



Alexander Kekulé:


Da muss man wirklich unterscheiden zwischen Quarantäne und Isolierung. Also diejenigen, die in Quarantäne sind, haben nicht immer, aber typischerweise nach fünf Tagen ungefähr die Symptome. Das ist diese Inkubationszeit. Am Anfang war so die Idee, dass die Inkubationszeit 14 Tage oder länger sein könnte. Darum hatte man diese 14-tägige Quarantäne am Anfang. Aber ich glaube, auch in diesem Podcast haben wir doch sehr frühzeitig immer gesagt, dass ein typische Inkubationszeit fünf Tage sind. Aber typisch heißt ja, das ist das häufigste Ereignis. Das heißt, dass es genauso sechs Tage ist und etwas seltener sieben oder acht Tage sein können. Dass da einer noch Symptome kriegt, ist noch seltener. Dabei bezieht sich „typischerweise“ auf diejenigen, die Symptome haben. Jetzt gibt es ja welche, die keine Symptome haben. Da hat das kaum jemand so genau untersucht. Was ist mit denen nach fünf Tagen oder nach zehn Tagen? Wann genau hört die PCR auf, positiv zu werten? Oder wann kann man das nachweisen? Klar ist, dass in der PCR Positive tendenziell stärkere Symptome haben. Also die, die deutlichere Symptome haben, sind auch tendenziell in der PCR leichter nachweisbar. Ich glaube, hier diese typische Inkubationszeit von fünf Tagen zu nehmen und zu sagen, danach sind die in der Regel nicht mehr positiv, sie kriegen es nicht mehr, wenn sie es nicht haben, wäre mir zu


riskant. Das würde ich einfach nicht riskieren, auf so eine Quarantäne-Zeit von fünf Tagen von 14 runterzugehen.


International wird diskutiert, dass man von den 14 Tagen, die man bisher hatte, auf zehn Tage runtergeht. Das wird eigentlich in vielen Bereichen so gemacht. Es ist auch gut durch Daten gestützt. Es gibt mehrere Studien, die untersucht haben, wann die Leute noch positiv werden, leider nicht mit großen Patientenzahlen. Aber tendenziell ist es so, dass man mal höchstens zehn Prozent übersieht, wenn man von 14 auf zehn Tage runtergeht. Wahrscheinlich wesentlich weniger, sodass ich sagen würde: Sowas kann man machen. Denn das ist eine Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen, persönlichen Freiheiten und medizinischer Sicherheit.


Wo ich auf keinen Fall zustimmen kann: Ich habe den Vorschlag von Christian Drosten auch gelesen ist, dass man die Leute unter Umständen nach fünf Tagen Quarantäne auch ohne testen rauslässt, wenn sie keine Symptome haben. Hier ist es ja nun wirklich so, dass wir eine Erkrankung haben, die häufig – und es zeigt sich in letzter Zeit immer deutlicher vielleicht sogar sehr häufig asymptomatisch verläuft um. Es ist auch so, dass die Menschen, wenn Sie jetzt wissen, ich muss dann länger in Quarantäne bleiben, vielleicht nicht so motiviert sind zu sagen, dass sie gerade mal heute Morgen ein bisschen Kopfschmerzen hatten oder Ähnliches oder ihnen der Hals mal gekratzt hat. Das heißt also, da in Aussicht zu stellen, falls die Kapazitäten nicht ausreichend sind, zu sagen, nach fünf Tagen könnten alle wieder nach Hause, wäre mir zu riskant. Und ich muss auch ehrlich sagen, ich kenne keine Daten dazu. Aber das Thema wird viel unter Kollegen auch diskutiert, nachdem der Vorschlag in der Welt ist. Da fragen sich einige, wo die Daten sind, die, die das begründen.



Camillo Schumann

:


Dazu kommen wir gleich. Er schreibt selbst: „Eine Beendigung der Abklingzeit ohne Test wäre in Krisenzeiten denkbar, denn die Cluster-


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Strategie arbeitet ohnehin mit Restrisiken. Alle Beteiligten müssten akzeptieren, dass man in Krisenzeiten nicht jede Infektion verhindern kann.“ Herr Kekulé, Sie sagen ja auch immer: Wir brauchen Maßnahmen, die vor dem Komma Sinn machen und nicht hinter dem Komma.



Alexander Kekulé:


Ja, natürlich. Wir arbeiten alle mit Restrisiken. Das ist doch ganz klar. Also dieses SmartKonzept, was ich mal im März aufgestellt habe, das impliziert ja auch, dass man statt Lockdown diese fünf Maßnahmen des SmartKonzepts hat und dadurch eine kontrollierte Durchseuchung eines Teils der Bevölkerung in Kauf nimmt. Da muss man eben gut aufpassen, wer da infiziert wird.


So gesehen ist es ein Restrisiko, was man bewusst in Kauf nimmt. Dass die Diskussion an der Stelle noch einmal aufgeführt wird, finde ich sinnvoll. Die Frage ist aber, wen stecken die Leute dann an? Und praktisch gesehen: Wie stelle ich mir das vor? Also woher weiß das Gesundheitsamt, wenn es jetzt nicht testet – die Idee ist ja nicht zu testen, sondern stattdessen die Quarantäne zu machen – woher weiß das Gesundheitsamt eigentlich, wer zu dem Cluster gehört? Denn bisher sagt man ja: Wir haben 15 Minuten enger Kontakt, weniger als 1,5 Meter. Das ist ein Grund für Quarantäne. Das könnte man durchaus mal überdenken. Sie wissen, dass sich dieser 15 Minuten-Regel des Robert-Koch-Instituts ein bisschen skeptisch gegenüberstehe, die auch die Basis ist, übrigens für diese Tracing-App, die in den Handys drinnen ist und dass man da mal drüber nachdenkt, ob das sinnvoll ist? Aber wer ist der Cluster? Muss dann die ganze Schule in Quarantäne gebracht werden, wenn ein Positiver ist oder nur eine Klasse. Aber der Lehrer hat auf jeden Fall Kontakt zu anderen Klassen gehabt. Also wo genau hört der Cluster auf? Bei Tönnies war es ja so: Da haben wir so einen Cluster par excellence gesehen. Ich glaube, den größten in Deutschland, der bisher untersucht wurde. Da gab es initial an einem Arbeitsplatz einen Großteil der Menschen, die infiziert waren und dann im weiteren Umfeld


und plötzlich in der ganzen Firma. Da war eigentlich die ganze Firma ein Cluster in kürzester Zeit. Und das Gesundheitsamt kommt jetzt da rein, hat vielleicht ein, 2 Positive. Woher weiß man, dass das überhaupt ein Cluster war? Und woher weiß man, wo der Cluster aufhört? Daher sehe ich es nicht praktisch umsetzbar. Aber vielleicht muss man es noch diskutieren. Ich sehe praktisch nicht, wie das funktionieren soll und hilfreich sein soll.



Camillo Schumann

:


Auf der anderen Seite: Sie haben es schon angesprochen. Gibt es denn überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage, mit der man dann über eine Verkürzung der Quarantäne nachdenken kann?



Alexander Kekulé:


Ich kenne keine. Es ist so, dass wir im Gegenteil eigentlich eine Situation haben, wo man sagen muss, es gibt definitiv Menschen, die länger als fünf Tage später Symptome entwickeln. Und es kommt eben immer so ein bisschen auch darauf an, mit dem Risiko, was man in Kauf nimmt. Es wäre ja eine gewisse Vereinheitlichung. Wir haben ja – ohne dass die Bundesregierung das kommuniziert hat, was der Bundeskanzlerin persönlich vorgeworfen wurde – eine Änderung der Strategie gemacht: Bei Reiserückkehrern hieß es ja zuerst immer: Ihr müsst 2 Wochen in Quarantäne. Und dann hieß es plötzlich: Der Test alleine reicht. Negativer Test heißt keine Quarantäne. Da hat man dann irgendwann korrigiert und gesagt: Moment mal, da könnte sich auch jemand, wenn er am Flughafen getestet wird, am Tag vorher infiziert haben, also noch in der Inkubationszeit sein. Und dann hat man gesagt: Okay, neuer Plan: fünf Tage nach Einreise müsst ihr den Test machen. Das ist immerhin schon ein bisschen plausibler. Aber diejenigen, die fünf Tage nach Einreise negativ sind, müssen ja nicht mehr in Quarantäne, weil man sagt: Ihr seid jetzt sozusagen freigesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr euch im Urlaub infiziert habt, ist gering genug, dass wir euch rauslassen. Dieses Risiko tragen wir. Es die Population der Menschen, die einfach nur im Urlaub war,


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auch in einem Risikogebiet, ist sowieso nicht so hoch infiziert. Also 2 Prozent waren sie in der Stoßzeit, wo man Menschen hatte, die aus dem West-Balkan, aus der Türkei, zurückkamen. Da hatte man an der bayerischen Grenze bis zu 2 Prozent Infizierte von denen, die man getestet hat.


Jetzt muss man sich vorstellen, wie ist es in einer Situation, wenn ich Kontakt hatte. Also wenn ich unmittelbare Kontaktpersonen bin. Dann ist das, was hier zählt, die sogenannte Secondary Attack-Rate, also die Frage wie viel Prozent der Kontaktpersonen werden angesteckt? Und da gibt es unterschiedliche Schätzungen. Das hängt auch davon ab, wie eng man sich war. Aber die liegt immer so in der Größenordnung von 2 0 Prozent plus X. Das heißt also nicht mehr 2 Prozent, sondern 2 0 Prozent der Menschen aus dem Cluster sind wahrscheinlich infiziert. Bei Tönnies waren es in diesem Kühlraum viel mehr.


Und ob man jetzt bei so einem hohen Risiko, also dem Risiko eines Cluster-Mitglieds – wir wissen, diese Superspreader-Ereignisse sind das Gefährlichste, was wir überhaupt haben bei Covid-19 – also jemandem, der bei einem Super-Spreader-Ereignis dabei war zu sagen: Okay, nach fünf Tagen einen Test und du gehst nach Hause, als wäre er nur im Risikogebiet im Urlaub gewesen, wo er sich vielleicht vernünftig verhalten hat, da vergleicht man Äpfel mit Birnen. Und das muss man wirklich diskutieren, ob man dieses Risiko gerade bei den Superspreader-Ereignissen eingehen will.



Camillo Schumann

:


Um noch einmal auf die Quarantäne zu kommen und die Diskussion um die Verkürzung. Deutschland 14 Tage, EU-weit zehn. Deutschland hat da noch 4 Tage draufgelegt. Frankreich will die Quarantänezeit im Vergleich zu Deutschland sogar halbieren auf nur noch sieben Tage, hat der französische Gesundheitsminister heute vorgeschlagen. Dass an der Quarantänezeit gerüttelt wird, ist relativ klar. Auch das Robert-Koch-Institut soll sich demnächst dazu äußern. Jedenfalls wurde es auch


von der Politik aufgefordert. Wie würde Ihre Empfehlung aussehen?



Alexander Kekulé:


Meine Empfehlung ist ja schon seit Monaten auf zehn Tage zu gehen. Das halte ich für angemessen. Und das wird in Großbritannien auch gerade diskutiert: Zehn Tage oder acht Tage. Und das sind immer die wirtschaftlichen Interessen, die auf der anderen Seite der Waagschale sind. Ich würde da kein Risiko eingehen.


Ich finde, das Problem ist doch ein ganz anderes. Das Problem ist doch: Ein Teil der Menschen macht es einfach nicht mit. Und da ist es egal, ob sie fünf oder acht oder zehn Tage Quarantäne machen. Wissenschaftlich begründet wäre auf jeden Fall zehn Tage in der jetzigen Situation. Und dass einige nicht mitmachen, werden sie die auch nicht damit einfangen, indem sie ihnen sozusagen anbieten: Schau her, jetzt sind es nur noch fünf Tage. Ich glaube, das ist eine grundsätzliche Haltungsfrage.



Camillo Schumann

:


Wir haben die ganze Zeit über Quarantäne gesprochen. Und Sie haben sich für die Verkürzung auf zehn Tage ausgesprochen. Wie sieht es denn mit der Isolierungszeit aus? Soll daran gerüttelt werden?


45:2 9



Alexander Kekulé:


Bei der Isolierung haben wir gute Daten, weil das Patienten sind, die untersucht worden und positiv sind. Und dann macht man das dann regelmäßig, sodass man noch mal guckt, ist das Virus noch da? Hier gibt es etwas, was wichtig ist: Dass wir ja tatsächlich mit der PCR das Virus noch nachweisen, wenn es gar nicht mehr vermehrungsfähig ist. Das sind quasi Trümmer dieses Virus auf der Schleimhaut, wahrscheinlich sind ein Teil der Leute noch PCR-positiv nach 2 Wochen, aber definitiv nicht mehr ansteckend. Da gibt es eine Studie. Die ist die Basis für das, was man seitdem ent-


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scheidet, oder 2 Studien. Die eine ist in der „Nature“ erschienen, schon im Mai. Da haben wir auch schon darüber gesprochen. Das war diese von der Hongkong University und Guangzhou in China, wo man festgestellt hat, wie lange diese Personen infektiös bleiben. Das war die, wo an einer Stelle ein Rechenfehler passiert ist und die Schweizer das dann korrigiert haben. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, wie lange jemand den Virus ausscheidet.


Und es gibt eine zweite große Studie, die schon am 2 2 . Mai in Kanada erschienen ist, aus Manitoba. Da hatte man insgesamt 90 PCRpositive Patienten. Das ist die größte Zahl, glaube ich, die jemals untersucht wurde. Da hat man gecheckt, wie viel von denen haben überhaupt anzüchtbares Virus, also wo kann man aus dem Material das Virus vermehren? Und es war nur bei 2 6 von den 90 vorhanden, also einer relativ kleinen Zahl. Das haben die sich dann genauer angeschaut und festgestellt: Wenn in der PCR dieser Wert, mit dem die PCR gemessen wird, mit dem man feststellt, ob die PCR positiv ist oder nicht, wenn dieser PCR-Wert über 2 4 steigt, das heißt ganz wenig Virus drinnen ist, dann kann man normalerweise kein Virus messen und in dieser Studie nachweisen. Und auch wenn die Zeit zwischen dem Auftreten der Symptome und dem Test größer als acht Tage ist, also neun Tage plus X, auch dann kann man normalerweise kein Virus mehr nachweisen. Die Autoren dieser Studie waren deshalb der Meinung, dass man das noch einmal überprüfen muss, ob man wirklich 14 Tage lang die Menschen in Isolierung halten muss, weil man zwar nach 14 Tage noch in der PCR etwas sieht, aber eben das Virus nicht mehr anzüchten kann. Das heißt, sie sind wohl gar nicht mehr infektiös. Und daraufhin hab die amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC gesagt: Okay, wir senken diese Isolierungszeit von 14 auf zehn Tage.


Da haben wir hier schon mal darüber gesprochen, und vor kurzem hat das Robert-KochInstitut nachgezogen und gesagt: Okay, für die Isolierung gehen wir jetzt auch auf zehn Tage.


Und das ist eigentlich weltweit der Standard, dass man auf zehn runtergegangen ist wegen dieser und ähnlicher Studien.


Ich kenne jetzt definitiv keine andere Studie, die es erlauben würde, die Isolierung auf fünf runterzusetzen. Das müsste begründet werden, aufgrund welcher Datenbasis so eine Empfehlung abgegeben wird.



Camillo Schumann

:


Also halten wir fest, es ist einfach zu merken: Quarantäne zehn Tage, Isolierung zehn Tage. Und das wäre sozusagen der Zeitraum, mit dem man leben könnte.



Alexander Kekulé:


Das ist das, was jetzt nicht nur mein Privatvorschlag ist, sondern wo ich sagen muss, wo international die Kollegen alle mitgehen. Alles, was sportlicher ist, passiert auf Druck von politischen Entscheidungsträgern und kommt nicht aus der Wissenschaft.


Und ich glaube, das ist wichtig, dass wir Wissenschaftler unsere Vorschläge in der Fachwelt diskutieren und nicht über politische Kanäle verwässern, weil es wichtig ist, dass die Wissenschaftler weltweit eine klare Position haben. Und die muss datenbasiert sein. Dass das dann die Politik manchmal etwas anderes macht, ist einfach so. Damit muss man leben. Das tut auch manchmal weh als Forscher. Ich mache seit Jahrzehnten Politikberatung. Aber ich glaube, wir sollten nicht so weit gehen, dass wir in vorauseilendem Gehorsam sozusagen uns Gedanken machen, wie man politisch wissenschaftliche Kompromisse machen könnte.



Camillo Schumann

:


Das lassen wir mal so stehen und kommen damit zu den Hörer-Fragen in dieser Ausgabe. Herr W. hat angerufen:


„Mein Sohn ist 14 Jahre alt und hat Halsschmerzen und Erkältungssymptome, aber kein Fieber. Wir haben ihn heute vorsorglich nicht in die Schule geschickt. Aber ein CoronaTest wurde dort nicht verlangt. Das ist für mich auch okay. Wir werden das weiter beobachten.


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Meine Frage zielt aber da hin: Wie kann es sein, dass trotz der Vorsorgemaßnahmen in der Schule sich Erkältungsviren so stark verbreiten. Oder sind Reno-Viren so viel mehr ansteckender als Corona-Viren? Ich habe dazu im Netz keine guten Informationen gefunden. Für eine Antwort wäre ich dankbar.“


50:41



Alexander Kekulé:


Eine kluge Frage! Ich frage mich das auch, denn seit meine 5-Jährige in der Kita ist, die jetzt auch schon wieder anfängt, Krankheiten nach Hause zu bringen. So viel ansteckender sind die nicht. Vor allem wenn man jetzt konsequent diese Schutzmaßnahmen machen würde. Und wenn sie funktionieren würden, die gegen Covid-19 eingerichtet werden, dann müsste man zumindest eine drastische Abnahme der Fälle auch bei den anderen Erkrankungen sehen. Im Lockdown war das ja tatsächlich so. Da konnte man wirklich zeigen, dass andere Infektionskrankheiten fast auf Null runtergegangen sind. Ich befürchte, dass wir eben im Herbst 2 Effekte sehen werden: Erstens werden wir sehen, wie löchrig das Schutznetz ist, was man in Kitas und Grundschulen aufgespannt hat, daran, dass andere Infektionskrankheiten kommen. Und wir werden immer wieder vor dem Problem dann stehen: Ja, jetzt hat das Kind noch ein bisschen Kratzen im Hals. Aber als nächstes kriegt es vielleicht Fieber und fängt an zu husten. Das kann beim Adenovirus durchaus passieren. Was macht man dann? Dann wäre die Wahl eben: zehn Tage Quarantäne zu machen und zu gucken, ob sich irgendwie Covid-19 ausbrütet. Das würde man kaum feststellen vor dem Hintergrund einer Adenovirus-Infektion zum Beispiel. Oder eben fünf Tage und dann testen. Das halte ich auf jeden Fall für sinnvoll. Oder eben vielleicht noch schneller. Weil die Symptome schon da sind, mache ich sofort einen Schnelltest. Also ganz ohne testen werden wir den Spagat nicht hinbekommen. Sonst sind ganz schnell wieder die Schulen und Kitas leer.



Camillo Schumann

:


Aber was schon interessant ist: Man hat Hygienekonzept, unterschiedliche Eingänge. Da geht man raus, da kommt man rein. Dann werden Cluster gebildet, Gruppen gebildet. Und trotzdem erkälten sich die Kinder und Jugendlichen aber nicht mit Covid, sondern eben mit einer ganz normalen Erkältung. Wie kann das sein?



Alexander Kekulé:


Das ist eben so, weil diese Systeme löchrig sind und vieles davon auch nur Gestik ist. Ich habe den Eindruck, dass gerade wenn wir jetzt hier über Risiken sprechen heute ist durch den Vorstoß von Christian Drosten über die Frage noch einmal gesprochen worden wieviel Risiko nehmen wir als Gesellschaft in Kauf? Da muss man sagen: Dieses ganze Händewaschen und Desinfizieren, dass dieser Teil der Kontaktinfektionen nur einen kleinen Teil der Infektionen ausmacht.


Und wenn ich jetzt noch eins draufsetzen und die Idee von Anthony Fauci, dem bekannten Infektionsmediziner aus den USA mit reinnehmen, der sagt: Es könnte sein, dass es mit der Infektionsdosis zusammenhängt, ob schwere oder leichte Verläufe stattfinden, oder anders gesagt, dass man also nur bei Inhalation einer großen Menge Virus richtig schwer krank wird. In der Regel ist das ganze Händewaschen vielleicht sogar kontraproduktiv, weil ich die leichten Infektionen, die mich nur immunisieren, damit verhindere. Das ist ein Riesenfeld, wo wir in der nächsten Zeit praktische Erfahrungen in den Kindergärten und Schulen sammeln werden.



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 105. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Gerne, bis Donnerstag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:


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mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 05.09.2 02 0 #104: SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


[0:00:03] : MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


[0:00:10] : 

Camillo Schumann



Hält sich das Virus in alten Möbeln?  Warum müssen wir Abstand halten? Fußballer dürfen sich aber umarmen


und gemeinsam jubeln.  Drei oder fünf Tage Inkubationszeit.


Was gilt denn nun?  Und bei welcher Gelegenheit sind die


Coronaviren auf den Menschen übergegangen?


Damit herzlich willkommen zu einem Hörerfragen-Spezial. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr Schesa ist großer Fußballfan. Er hat uns geschrieben: „Fußball wird am Fernseher von sehr vielen Menschen gesehen. Warum aber tun die Sportler etwas, was wir alle nicht tun sollten? Hände reichen, umarmen und nach einem besonders wichtigen Tor übereinander herfallen. Beispiel-gebend ist das ja nun nicht.“


[0:00:58



Alexander Kekulé


Tja, da hat glaube ich, bei dem berühmten Spiel als die Bayern das Triple gewonnen haben. Da hat tatsächlich der Moderator an der Stelle gesagt, die wurden alle vorher getestet. Ich habe mir auch so ein bisschen gedacht, wie ich mich fühle als jemand, der nicht getestet wurde. Oder der, wo jeden Tag Kinder in der Kita übereinander herfallen wie die Fußballer, die aber nicht getestet werden. Das ist ein privilegierter Zustand, weil die Politik der Meinung war, dass Sportler, dass Sport wichtig ist für die Menschen. Insbesondere natürlich die Bundesliga. Weil andere Vereine, die nicht so von den Fernseheinnahmen leben. Die haben ja Riesenprobleme. Da hat man eine Ausnahmeregelung gemacht. Da kann ich nicht viel mehr dazu sagen. Ja, es ist eine Ausnahmeregelung und eine gewisse Privilegierung.


[0:01:51]



Camillo Schumann



Und das sind die Tests die die Grundlage dafür sind, dass die Sportler daheim vor dem Fernseher ein normales Leben führen können. Bei Stichwort Tests. Frau Hafenecker hat angerufen. Sie hört den Potcast schon länger, und ihr ist etwas aufgefallen.


[0:02 :07]


Frau Hafenecker


In fast jeder Folge ist Herr Kekulé davon überzeugt, er teilt seine Überzeugungen mit: Schnelltests, dass die eine gute Lösung wären. Mich würde es total interessieren, was denn dagegen spricht. Es muss ja irgendetwas geben, weswegen diese Tests nicht durchgeführt werden. Was ist also das Gegenargument?


[0:02 :2 8]



Alexander Kekulé


Da kann man nur spekulieren. Erstens ist es natürlich so: Die Ärzte sind gegen die Schnelltests, weil die sagen, so etwas gehört in Ärztehand. Sowas dürfen nur Ärzte machen. Dass man in der Apotheke zum Beispiel sich den Blutdruck messen darf. Das hat ja einen erheblichen Widerstand gegeben. Da haben ganz viele gesagt: Das geht gar nicht. Das darf nur der Arzt machen. Apotheker dürfen keinen Blutdruck messen. Und die nächste Stufe war, dass Apotheker sogar einen Finger pieksen und Zuckertest und so etwas machen dürfen. Noch


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ein paar andere Sachen. Da gab es eine lange Diskussion von den Ärzten, weil die Ärzte ja das Behandlungs-Privileg haben. Nur jemand, der approbiert ist, darf jemanden behandeln. Ein Naturwissenschaftler darf das zum Beispiel nicht. Das ist auch juristisch ganz wichtig in Deutschland, weil unter Umständen so eine Behandlung dann als Körperverletzung ausgelegt wird. Eine Körperverletzung mit Einverständnis des Betroffenen. Das darf eben nur der Arzt machen. Aber nicht jedermann. Das zweite sind die Hersteller der Tests, die diese PCAs im Labor verkaufen. Die verdienen Milliarden daran weltweit. Also richtig, richtig viel Geld. Die wären ja richtig dumm, wenn sie Schnelltests auf den Markt bringen, dann würden die ihr eigenes Geschäftsmodell kaputtmachen. Und dann sind die Politiker da, die stehen so zwischen den Wissenschaftlern. Da gibt es eben einige, zu denen ich offensichtlich gehöre, die schon immer sagen: Wir brauchen die Schnelltests. Und da gibt es aber andere, die sagen: Nein, das mit den Schnelltest das brauchen wir nicht. Und dass es gar nicht so sinnvoll, so viele zu testen. Es gibt aktuell die Diskussion, die so in den Raum gestellt wird seit einigen Wochen, dass man sagt: Man soll doch schwerpunktmäßig sich darauf konzentrieren, Superspreader zu testen, also nur Superspreader-Ereignisse und sonst gar nicht mehr so viel zu testen. Sowas Ähnliches hat Donald Trump in den USA ausgegeben. Auch die CDC, die amerikanische Gesundheitsbehörde, hat kürzlich gesagt: So viel zu testen ist eigentlich gar nicht so gut. Da empfehlen Sie zum Beispiel von positiv Getesteten nicht immer die Kontakt-Personen in Quarantäne zu bringen oder auch zu testen. Also haben die das da so ein bisschen so zurückgefahren. Ihre Strategie hat eine riesen Gegenwelle bekommen. Aber in der Wissenschaft gibt es eben auch Leute, die diskutieren, ob man das sinnvollerweise damit eingrenzen kann oder nicht. Ich kann Ihnen ehrlich gesagt kein überzeugendes Gegenargumenten nennen, weil sonst wäre ich ja davon überzeugt.


[0:04:55]



Camillo Schumann



Aber zumindest die Gruppen-Gemengelage zusammengefasst. Herr Flade aus Berlin hat geschrieben. „Haben Sie eine Erklärung für die


unterirdisch niedrigen Influenza-Erkrankten auf der Südhalbkugel?“


[0:05:06]



Alexander Kekulé


Was die dort an Daten immer haben. Das sind typischerweise Australien, Neuseeland, das ist natürlich Südamerika, Teile Südamerikas. Dort ist es ja so, dass man vorgewarnt war, dass Covid19 im Anrollen ist. Die hatten ja noch vielmehr Vorwarnzeit als die Europäer und Afrikaner. Und natürlich haben die sich da halbwegs geschützt. Da kam deshalb sozusagen als Beifang das Influenza-Virus A. Es hat Schaden genommen, in dem Sinn, dass es sich nicht ausbreiten konnte. Das haben wir in Deutschland auch so ähnlich gesehen. Da gibt es ganz gute Zahlen, das eigentlich die ganz normalen Erkältungskrankheiten jetzt am Schluss der Saison, die wir hier hatten, deutlich zurückgegangen sind, dadurch, dass die Menschen Schutzmaßnahmen wegen Covid19 ergriffen haben. Das ist für mich die Erklärung für die Influenza-Lage auf der Südhalbkugel.


[0:06:03]



Camillo Schumann



Bei uns war so schnell vorbei wie noch nie die Influenzasaison. Diese Dame hat ihre Frage auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen. Es geht um FFP2 -Masken.


[0:06:2 6]


Zuhörerin


Ich dachte, die könnte man 4-mal in den Backofen stecken bei 70°C nach Gebrauch und dann entsorgen. Jetzt höre ich, dass die sensibler sein können. Wie lange kann ich die aufsetzen? Und wie oder überhaupt ob: Wie kann ich sie reinigen?


[0:06:37]



Alexander Kekulé


Also das kommt auf die Masken an. Da gibt es inzwischen ganz, ganz viele verschiedene Produkte, die unterschiedliche Qualität haben. Ich weiß von einem Hersteller, der ein StandardHersteller immer war für KrankenhausMaterial. Zu der Zeit, als man das noch alles First-Class kaufen konnte. Die haben auf ihrer Webseite jetzt ein Protokoll veröffentlicht, wie man ihre Masken reaktivieren kann, also


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mehrmals verwenden kann, speziell für Krankenhauspersonal. Die haben das richtig ausprobiert, wie lange es geht und wie man das genau machen soll. Das müsste man mit jedem Hersteller machen. Und meistens sind es ja heutzutage neue Nebenprodukte, wo man nicht genau weiß, wo sie herkommen. Da müsste man das einzeln machen, weil das wirklich vom Material abhängt. Deshalb kann ich pauschal nicht sagen, wie das funktioniert und wie oft das funktioniert.


[0:07:2 9]



Camillo Schumann



Mit der Reinigung. Das ist ja eine sehr beliebte Frage, die immer wieder gestellt wird.


[0:07:36]



Alexander Kekulé


Die FFP2 -Maske. Da würde ich ehrlich sagen, wenn die dicht ist. Also wenn ich merke, dass beim ganz normalen Atmen die Maske nicht mehr richtig zieht und ich also deutlichen Atem-Widerstand habe. Dann wird es erstens ungesund, weil das für die Lunge nicht so gut ist, gegen starken Widerstand zu atmen. Und zweitens wird es Zeit, die Maske einfach austauschen. Dann würde ich sie wegschmeißen und eine neue kaufen. Inzwischen gibt es ja solche Masken wieder.


[0:08:06]



Camillo Schumann



Frau Mühlenhoff hat eine sehr spezielle Frage. Sie schreibt: „Gibt es Hinweise oder besteht überhaupt die Möglichkeit, dass eine KreuzImmunität von Menschen entwickelt wird durch Kontakt zu tierischen Coronaviren, die nicht als Zoonosen gelten? Könnten diese Viren sich eventuell im menschlichen Körper vermehren, ohne eine Erkrankung auszulösen aber trotzdem eine Immunantwort hervorrufen und vor Covid19 schützen? Mit freundlichen Grüßen, Frau Mühlenhoff.“


[0:08:34]



Alexander Kekulé


Also, das wäre extrem selten der Fall. Wir haben bei vielen Viren, die so im Tierreich vorkommen, die Situation, dass wir bei Tierärzten zum Beispiel oder bei Tierpflegern. Gerade bei Tieren, die gehalten werden, bei Nutztieren.


Da ist es so, dass wir Antikörper sehen, ohne dass das eine bekannte Zoonose wäre. Bei diesen Coronavirus-Erkrankungen im Tierreich. Da gibt es eine ganze Reihe, die zum Beispiel bei Schweinen, bei Rindern auch bei Vögeln meistens, die dort Magen-Darm-Symptome machen, aber durchaus auch mal Atemwegserkrankungen. Speziell bei Vögeln ist das nicht so selten. Wir sehen das ganz, ganz selten bei den Pflegern. Klar kommt das mal vor, wenn Sie jemanden haben, der intensiven Kontakt mit den Tieren hatte. Aber das wird nicht im größeren Stil dazu führen, dass wir irgendeine Art von Immunität in der Bevölkerung entwickelt.


[0:09:2 9]



Camillo Schumann



Aber in der Theorie wäre es möglich?


[0:09:35]



Alexander Kekulé


Ja, rein biologisch ist es so. Ein Virus, das uns nicht infizieren kann. Das wäre ja so ein tierisches Coronavirus. Da gibt es, ich schätze mal 2 00 Arten in der Größenordnung. Und jetzt haben sie so ein tierisches Coronavirus. Und das befällt einen Menschen, wo es keine Chance hat, sich zu vermehren. Dann heißt es ja trotzdem, dass das irgendwo auf der Schleimhaut erstmal landet. Und es wird vom Immunsystem abgeräumt, weil das nicht richtig andocken kann. Weil es nicht richtig in die Zellen reinkommt oder vielleicht sogar, wenn es in die Zelle reinkommt, sofort erkannt und gleich erledigt wird. Und im Ergebnis davon sieht man manchmal irgendeine Art von Immunität. Das könnte rein theoretisch zumindest auf der Schleimhaut so eine lokale, sag ich mal, Kreuzimmunität natürlich schon erzeugen. Wir haben da besondere Antikörper, die auf der Schleimhaut eine Rolle spielen. IGA heißen die. Bei diesen IGA-Antikörpern gibt es auch manchmal Kreuzreaktivität. Das ist überhaupt nicht erforscht. Also das ist reine Spekulation. Ob das in diesem Fall so was gibt ... Mir ist kein Fall von einem Virus bekannt, wo man wirklich weiß, durch eine IGA Kreuzreaktivität, also durch eine reine Schleimhaut-Immunität. Wenn ich das mal so nennen darf. Dass das wirklich vor einem anderen Virus effektiv geschützt ist. Also rein theoretisch wird sowas


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sicherlich erforscht. Ich glaube, dass die Leute das jetzt interessiert. Weil das Thema Viruserkrankungen, die vom Tier auf den Menschen überspringen, davor haben ja einige Wissenschaftler seit Jahrzehnten gewarnt. Das ist natürlich überall als Gefahr erkannt worden. Und deshalb wird es da auch mehr Untersuchungen dazu geben. Aber im Moment kann ich nur sagen: Wir wissen es nicht. Möglich ist es, aber nicht sehr wahrscheinlich.


[0:11:2 6]



Camillo Schumann



Frau Schneider hört diesen Podcast schon sehr, sehr lange. Sie hat eine Frage zu einer Ausgabe, als wir über ein Ferienlager in den USA gesprochen hatten.


Frau Schneider


Da gab es 2 Gruppen. Die jüngere war hauptsächlich infiziert. Zum Zeitpunkt des Abbruchs waren die Kinder erst drei Tage im Ferienlager. Jetzt wollte ich fragen: Wie kann das mit der Inkubationszeit in Übereinstimmung gebracht werden? Dass die Kinder nach drei Tagen infiziert waren. Eigentlich spricht man ja immer von fünf Tagen.


[0:12 :04]



Camillo Schumann



Tja, was stimmt denn nun?


[0:12 :06]



Alexander Kekulé


Man hat das ganz schnell abgebrochen. Aber es war so, dass der erste Fall schon vorher aufgetreten war. Das war in Georgia, dieses berühmte Camp, was so Wellen geschlagen hat, das war bis jetzt einer der ganz spektakulären Fälle. Und zwar war das so: Da ist eine Gruppe von Betreuern zuerst dagewesen. Die waren glaube ich eine Woche lang da. Und dann kamen die Kinder, die eigentlich diejenigen waren, die dieses Ferienlager machen sollten. Und es ist so gewesen, dass man an der Schnittstelle ... Kaum waren die Kinder da, ist der erste Betreuer krank geworden. Das hat von der Inkubationszeit schon gestimmt. Es war keine Inkubationszeit, die kürzer als fünf Tage war.


[0:12 :45]



Camillo Schumann



Okay, also das ist sozusagen an der Definitionen, wie lange die Inkubationszeit dauert. Daran ist erst mal nicht gerüttelt worden?


[0:12 :54]



Alexander Kekulé


Man muss es ja hier vereinfachen so ein bisschen. Wenn man Epidemiologie macht, dann will man das nicht so akademisch machen. Man will praktische Anweisungen fürs Leben haben. Aber akademisch gesehen ist es so: Es gibt Fälle, wo wir vermuten, dass die Inkubationszeit bei 2 Tagen lag. Und es gibt andere Fälle, Extremfälle, wo es sogar bis zu drei Wochen dauerte. Das ist umstritten, weil der einzelnen Fall nie so exakt untersucht wurde, dass man wirklich sagen kann: Ja, das ist jetzt bewiesen. Aber der Verdacht bestand immer, dass die Inkubationszeit bis zu drei Wochen sein kann. Aber nur in extremen Ausnahmen. Darum hat man sich auf diese 14 Tage Quarantäne geeinigt. Inzwischen ist die Tendenz ja die, dass man innerhalb der 14 Tage Quarantäne nach fünf Tagen ein Test macht und dann sagt: Okay, wenn du negativ bist, darfst du wieder raus. Das ist ja schon eine deutliche Lockerung dieser Maßnahmen zu vorher. Und auch wenn jemand krank war, ist es ja so, dass man am Anfang gesagt hat: Er muss mindestens 2 Wochen nach Abklingen der Symptome noch in Quarantäne oder Isolierung bleiben. Und inzwischen hat man das reduziert auf zehn Tage. Also, das heißt also, man lenkt es jetzt ein. Nicht weil es keine Ausnahmen gibt, sondern weil man einfach sagt: Mensch, wenn ich da 95 Prozent der Fälle damit abgreife, dann muss ich nicht alle mit verlängerten Quarantänen und Isolierungsmaßnahmen quälen, wegen der paar, die man dann nicht erwischt.


[0:14:17]



Camillo Schumann



Herr Füllenbach hat geschrieben. Er ist Kinderarzt. „Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr über die normale Berufsbekleidung? Wir sind eine größere Kinderarztpraxis und führen schon seit Anfang April recht intensive Testungen bei Kindern durch. Wir testen zwar inzwischen nicht mehr jeden Schnupfen, haben aber an die 800 Abstriche bei Kindern mit Husten,


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Schnupfen, Fieber durchgeführt. In Testzentren sind die Mitarbeiter immer komplett vermummt. Sie tragen Kittel, Brille, Handschuhe und Haube. Ist das aus Ihrer Sicht zwingend notwendig? Wir arbeiten bei den infektiösen Kindern teilweise auch den ganzen Tag mit FFP2 -Maske und auch hin und wieder mit Brille. Aber ist das Tragen eines Kittels, einer Haube zwingend erforderlich?“


[0:14:58]



Alexander Kekulé


Das ist eine schwierige Frage. Also ich schätze mal, dass das Gesundheitsamt da seine Vorstellungen hat, weil die ja heute in den Bundesländern relativ genau den Arztpraxen sagen, wie sie es zu tun haben. Ganz allgemein kann man sagen, die Schutzkleidung bei solchen ärztlichen Maßnahmen hat den Zweck, vor direktem Tröpfchen-Flug zu schützen. Das heißt, wenn ich dem Kind einen Tupfer in den Rachen oder gar in die Nase schiebe, dann kommt es eben dazu, dass das Kind niest oder hustet oder Ähnliches. Und oder es schreit, was natürlich auch Tröpfchen produziert. Und wenn das alles als Nebel in meine Richtung fliegt, dann will ich natürlich nicht, dass ich das auf der Backe habe, auf der Nase und sonst wo. Sondern dann ist es besser, geschützt zu sein. Das Gleiche gilt für den Kittel. Natürlich könnte man pragmatisch sagen: Bei mir schreien die Kinder normalerweise nicht. In 99 Prozent der Fälle kriege ich das sauber hin. In so einem Fall, würde ich dann als Arzt sagen: Okay, das sieht auch irgendwie besser und netter aus dem Patienten gegenüber, wenn ich da nicht so komplett vermummt wie im EbolaZentrum rumlaufe. Ich hab halt ein normales TShirt an und im Schrank drei oder vier zum Auswechseln. Und wenn mich wirklich mal ein Kind anniese, dann muss ich schnell rausgehen, mir ins Gesicht gründlich waschen, neues TShirt anziehen und komme wieder zurück. Die Variante gibt es durchaus.


[0:16:2 3]



Camillo Schumann



Herr Riedel hat geschrieben: „Wann und bei welcher Gelegenheit sind eigentlich die vier anderen Coronaviren auf den Menschen übergesprungen? Warum verbreitet die sich so langsam, sodass bisher nicht allzu viele Men-


schen mit ihnen in Kontakt gekommen sind? Viele Grüße Herr Riedel.“


[0:16:36]



Alexander Kekulé


Ach die haben sich schnell verbreitet, also diese vier anderen Coronaviren, die bei den Menschen eine Rolle spielen. Vielleicht gibt es übrigens noch mehr. Wahrscheinlich sind die schon seit Jahrtausenden mit dem Menschen irgendwie in Kontakt und haben sich weltweit verbreitet. Also es ist so, dass wir auf allen Kontinenten Antikörper gegen diese Viren nachweisen können. Und jeder von uns hat irgendwann im Leben mit denen mal Kontakt. Das nennen wir halt dann Erkältung. Das ist jetzt nicht so der reine Schnupfen. Wenn man wirklich nur Schnupfen hat, dass sind andere Viren, Renoviren. Aber wenn man so eine kleine Erkältung hat, meistens als Kind oder Kindergärtner oder so was. Dann hat man damit Kontakt. Ja, seit wann sind die bei uns? Das wissen wir nicht genau. Wir wissen, dass die wahrscheinlich am Anfang relativ schwere Erkrankungen gemacht haben. Das ist so die Theorie, die im Moment im Raum steht, dass die mal angefangen haben wie Covid19, aber sich dann nach und nach zu benehmen gelernt haben, weil nur ein Virus, was seinen Wirt halbwegs in Ruhe lässt, natürlich massiv verbreitet wird. Das ist ja viel netter, wenn man so ein Erkältungsvirus ist und zig Millionen Menschen jedes Jahr infizieren kann, als wenn man als Corona-Virus weltweit zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wird und alle laufen mit der Maske rum. Das ist aus Sicht des Virus natürlich dann nicht so erfolgreich.


[0:17:53]



Camillo Schumann



Frau Immler aus dem schönen Allgäu hat angerufen. Und zwar hat sie vor vielen, vielen Jahren Albert Camus gelesen und zwar seinen Klassiker „Die Pest“. Seitdem lässt sie eine Frage nicht mehr los:


[0:18:08]


Frau Immler


Und da war in diesem Buch ein Satz drin, dass die Menschen sich sicher wogen nach eine Zeit.


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Was sie aber nicht wussten, dass in alten Möbeln, zum Beispiel in einem Schreibtisch in der Schublade in einem alten Schrank und so weiter. Dass da diese Überträger dieser Krankheit überleben konnten. Und das hat mich damals total erschreckt. Ich dachte: Das ist ja unglaublich. Ich hab von da an Abstand genommen, irgendwelche alten Möbel zu kaufen. Antiquitäten und so waren für mich damit erledigt. Vielleicht stimmte das gar nicht, was da in diesem Buch stand? Vielleicht war das schriftstellerische Freiheit.


[0:18:44]



Camillo Schumann



Schriftstellerische Freiheit. Frau Immler will natürlich wissen, ob sich Viren und Bakterien in alten Möbeln halten auch über Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte.


[0:18:52 ]



Alexander Kekulé


Jahrhunderte natürlich nicht. Erstens „Die Pest“ von Camus, lese ich übrigens immer in der ersten Vorlesungs-Stunde Mikrobiologie ein Stück daraus vor, weil das doch eine ganz spannende Schilderung ist. Das spielt ja in Nordafrika. Das sind Bakterien. Diese Pestbakterien, die diese Krankheit auslösen, die werden von Ratten und von Flöhen übertragen. Und es ist so, dass insbesondere diese Flöhe eine Weile überlebt haben. Da ist es in der Tat so gewesen. Bei den Pestausbrüchen hat man zum Teil die Ratten eliminiert, aber dann übersehen, dass die Flöhe noch da sind. Daneben können Pesterreger auch eine ganze Weile im Staub überleben, wenn die Ratten da reingepinkelt haben, so dass das bei Camus im Prinzip schon alles richtig ist. Es ist nur so, dass kann man überhaupt nicht auf Covid19 übertragen. Das ist eine ganz andere Situation. Es sind andere Erreger. Es sind Bakterien statt Viren. Und die Bedingungen, wie das übertragen wird, die sind komplett anders. Aber in der Tat, die Pest ist eine Krankheit, die bis heute nicht ausgerottet ist. In Madagaskar haben wir noch Ausbrüche gelegentlich, und da sieht man, dass es in manchen Regionen der Welt nicht einmal gelingt, eine Erkrankung, für die man eigentlich Ratten und Flöhe als Überträger braucht. Dass man nicht einmal so was effektiv auszurotten kann, weil die hygieni-


schen Verhältnisse so schwierig sind. Und da können wir uns glücklich schätzen, dass wir hier in Deutschland solche Probleme schon sehr lange nicht mehr haben.


[0:2 0:2 1]



Camillo Schumann



Aber wie sich so etwas dann auch verfestigt, wenn man so einen Roman liest und Rückschlüsse auf sein Leben schließt. Dann keine keine Antiquitäten mehr kauft und sich dann ganz anders einrichtet. Das ist in dem Fall ein bisschen übertrieben. Frau Immler kann jetzt das nachholen, was sie die letzten Jahrzehnte nicht gemacht hat.


[0:2 0:40]



Alexander Kekulé


Wenn sie wegen ihrer literarischen Begeisterung für Camus ihr Leben lang keine Antiquitäten mehr gekauft hat. Es ist auch so. Diese Pesterreger, die halten sich auch nicht ewig. Ich weiß jetzt nicht ganz genau, wie die Haltbarkeit im Staub ist. Aber Jahre sind es auf jeden Fall nicht.


[0:2 0:59]



Camillo Schumann



Herr Goedert, letzte Frage aus Wasserliesch, hat geschrieben: „Wir haben in diesen CoronaMonaten unsere sozialen Kontakte sehr eingeschränkt, und wenn sie stattfanden, möglichst nur draußen. Auf Grund unseres Ruhestandes sind wir meistens zu Hause im Garten. Einkäufe tätigen wir auf dem Wochenmarkt. Im Supermarkt maximal einmal in der Woche. Kann es sein, dass durch die lange Zeit, in der das eigene Immunsystem weniger Krankheitserregern ausgesetzt war, beziehungsweise nicht mehr trainiert wurde, bei einer Rückkehr zum normalem Austausch mit Krankheitserregern, das Immunsystem anfälliger ist? Dass man später jedem kleinen Schnupfen und so weiter schutzlos ausgeliefert ist? Vielen Dank für die Beantwortung und viele Grüße.“


[0:2 1:37]



Alexander Kekulé


Ja, die Idee ist nicht ganz abwegig. Es ist sicherlich so, dass unser Immunsystem gewöhnt ist, ständig zu trainieren. Die Atemwege haben so, wenn man so will, ihr Spezial-Immunsystem.


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Nirgendwo im Körper ist die Immunantwort so aktiv, so daueraktiv wie auf der Lungenschleimhaut. Übrigens genauso in der Darmschleimhaut, weil wir da extrem viel Kontakt mit Umwelt-Agenzien haben. Nicht nur Infektionserreger, auch Staub und was da so alles kommt. Es kann rein theoretisch sein, dass, wenn man sehr, sehr viele Menschen hat, dass man dann so einen Effekt hat: Dass es so eine Art Rebound gibt, dass die dann kurzzeitig stärker anfällig sind für Infektionskrankheiten. Auszuschließen ist es nicht. Bei Astronauten war es meines Wissens so: Da hat man eine minimale kleine Stichprobe, dass man solche Effekte nicht beobachtet hat. Aber befürchtet wurden die und diskutiert wurden die.


2  [0:2 2 :2 5] : 

Camillo Schumann

 Das war das Kekulés Corona-Kompass Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank! Wir hören uns dann am Dienstag, den 8. September wieder. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass gibt es auf MDRAktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 03.09.2 02 0 #103: Kinder wegen Corona gegen Grippe impfen?



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


[0:00:10]



Camillo Schumann



Donnerstag 3. September 2 02 0.


1. Schreiverbot für Lehrer: Wie sich lautes und leises Sprechen auf die Verbreitung des Virus auswirkt. 2 . In der Diskussion: Wie aussagekräftig ist ein PCR-Test überhaupt?


3. Kinderärzte fordern wegen der besonderen Corona-Situation eine Grippe-Impfung auch für Kinder. Gute Empfehlung? 4. Außerdem: Warum die Bordtoilette im Flugzeug ein Problem sein könnte.


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Fangen wir mal mit der Kanzlerin an.


„Ja, man muss damit rechnen, dass manches in den nächsten Monaten noch schwieriger sein wird als jetzt im Sommer. Wir alle haben ja im Sommer die Freiheiten und den relativen Schutz


vor Aerosolen genossen. Die sind möglich, das ist möglichst durch das Leben draußen. Und in den nächsten Monaten wird es jetzt darauf ankommen, die Infektionszahlen niedrig zu halten, wenn wir uns wieder drinnen aufhalten, an Arbeitsplätzen, in Schulen und in Wohnungen.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel)


Mit dem Blick in den Herbst fordern die Kinderärzte nun eine Grippe-Impfung, auch für Kinder. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in einem Zeitungsinterview gesagt: „... deswegen haben wir diesmal zusätzlichen Grippe-Impfstoff besorgt. Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen will, sollte und kann das tun.“ Die WHO empfiehlt auch eine Grippe Impfung für Kinder ab sechs Monate. Würden Sie sich dieser Empfehlung anschließen?


[0:01:51]



Alexander Kekulé


Das ist ein schwieriges Thema. Wir diskutieren ja seit Jahren die Frage, ob man Kinder impfen soll gegen Influenza, um die Alten zu schützen. Bei den Kindern sterben an der Influenza – wir reden jetzt nicht von Covid-19 –, da sterben wirklich ganz junge Kinder tendenziell, die man eigentlich noch nicht geimpft hat zu dem Zeitpunkt. Sodass, wenn man die Schulkinder zum Beispiel impfen würde, das ist die Diskussion, dann würde man das deshalb machen, um die Personen über 65 aufwärts zu schützen. Das ist so die Idee, weil bei den Alten die Immunität nicht so richtig anschlägt. Diese Impfung funktioniert bei denen sehr, sehr schlecht. Und bei Kindern so mit sechs, sieben Jahren funktioniert das gut, die tauschen sich aber intensiv aus in der Schule, tragen die Krankheit nach Hause, und so ist die Idee: durch Impfung quasi die Alten zu schützen. Einige Länder sagen: Ja, das machen wir. Es gibt in der EU ungefähr fünf, sechs Länder, die das empfehlen, ganz konkret. Aber selbst da ist das ganz unterschiedlich. Die einen impfen die ganz jungen Kinder, die anderen impfen die Schulkinder. Selbst in den baltischen Staaten habe ich das mitbekommen – also Estland, Lettland, Litauen – da ist es so, dass nur Litauen die Kinderimpfung hat, und die anderen 2 haben gesagt, wir machen das nicht. Also die Argumente sind unterschiedlich.


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[0:03:12 ]



Camillo Schumann



Aber warum sollte man jetzt sein Kind grippeschutzimpfen, nur weil es das Coronavirus gibt? Also, wo ist da die Verbindung?



Alexander Kekulé


Die Verbindung ist in dem Fall, das ist so die die Logik, die dahintersteckt, dass man sagt: Wenn jetzt Kinder häufig Grippe kriegen, dann ist es schwer zu unterscheiden von Covid-19 (sofern man keinen Test hat). Und dass man in dieser Situation dann sagt: Je mehr geimpft sind gegen Influenza, desto weniger Vermischung gibt es, desto weniger Verdachtsfälle gibt sozusagen für Covid-19, die dazu führen würden, dass man eine Klasse schließen muss oder Ähnliches. Sodass man sich dann mehr auf Covid-19 fokussieren kann.


Die Gegenargumente sind so, dass wir erstens wissen, dass die Influenza-Impfung auch bei Kindern nicht so perfekt ist. Zum Beispiel ist es so, dass die Impfung mit einem Spray, wo ein Lebendimpfstoff drinnen ist – also ein abgeschwächtes, echtes Influenza-Virus – diese Spray-Impfung, die in den USA viel gemacht wird, ist eigentlich gut. Die wirkt sehr gut bei Kindern. Aber da gibt es Fragezeichen bei dem H1N1. Das ist ein bestimmter, wichtiger SubTyp von den Influenzaviren, ausgerechnet bei dem funktioniert es vielleicht nicht ganz so gut, zumindest sind die Daten da nicht so sauber. Bei den anderen Impfstoffen, die man jetzt spritzen muss, ist es die Frage: Gibt man den Wirkverstärker dazu, Adjuvans ja oder nein? Da ist es so, dass die Adjuvantien doch bei Kindern zum Teil starke Nebenwirkungen haben. Die kriegen dann wirklich einen dicken Arm, und sind ein paar Tage damit außer Gefecht. Und vor allem die Eltern sind dann immer sehr aufgeregt, wenn das passiert. Und wir wissen, dass die Adjuvantien altersabhängig unterschiedlich wirken. Und da ist eben umstritten, ob das bei älteren Kindern überhaupt noch was bringt. Also bei ganz kleinen bringt es wohl was, bei älteren eher nicht, bei Schulkindern. Und da diese Kommission in Berlin, die sich da beim Robert Koch-Institut um so etwas kümmert – die Ständige Impfkommission, die heißt STIKO abgekürzt – und die diskutiert das Thema also gefühlt seit zehn Jahren – ich weiß nicht genau, wie lange und hat sich da noch


nicht dazu entscheiden können, dass das überhaupt was bringt. Aber wenn es natürlich jetzt wirklich nicht wirklich was bringt, dann ist die Frage: Hat es dann auch eine Wirkung auf die Unterscheidung zwischen Covid-19 und Influenza? Ich persönlich bin da ein bisschen zurückhaltend. Also ich finde, man sollte jetzt nicht Dinge, die vor Covid-19 schon ein Fragezeichen hatten, bezüglich der Sinnhaftigkeit, jetzt hektisch aus der Kiste ziehen und sagen jetzt müssen wir das aber unbedingt machen wegen Covid-19. Also für mich ist die Argumentation nicht so zwingend, dass man jetzt hier eine Impfempfehlung aussprechen sollte.


[0:06:05]



Camillo Schumann



Also Wirkung möglicherweise noch ein bisschen fragwürdig? Was ich mich frage: Verkraften das Kinder eigentlich, sie müssten ja dann den Grippe-Impfstoff verarbeiten; und wenn dann noch das SARS-CoV-2 -Virus anklopft, also verkraftet so ein Immunsystem eines kleinen Kindes so was überhaupt?



Alexander Kekulé


Naja, das ist jetzt die Frage nach der Doppelinfektion. Also das ist noch mal ein ganz anderes Thema. Also wir wissen bei Erwachsenen, dass die wenigen Fälle, wo wir wirklich Doppelinfektionen haben, Influenza plus Covid-19. Da gab es extrem schwere Verläufe. Also, da gibt es einzelne Beispiele, wo die Menschen wirklich deutlich schwerer krank waren, als man das sonst bei Covid-19 im Durchschnitt sieht. Man hat es darauf zurückgeführt, dass man gesagt hat, das waren die 2 Viren, die da zusammengearbeitet haben. Da wissen wir überhaupt nicht, was bei Kindern passiert, also bei einer Doppelinfektion. Und jetzt umgekehrt bei der Impfung: Naja, da wäre jetzt eine Influenza-Impfung plus eine Covid-19-Infektion, das wäre zumindest weniger schlimm als eine Doppelinfektion, würde ich sagen. Also wahrscheinlich wird bei Kindern sowieso nicht besonders viel passieren – also bei Schulkindern. Aber ich würde mal sagen im Zweifelsfall ist natürlich bei Kindern Impfung gegen Influenza plus Covid-19-Infektion besser als Doppelinfektion. Das würde man zumindest theoretisch so vermuten.


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Das ist natürlich eine besondere Frage, wenn man sich jetzt überlegen würde, in Deutschland diesen Lebendimpfstoff zu nehmen, der den Charme hat, dass man nicht spritzen muss, weil man den einfach durch die Nase quasi inhaliert. Da ist es so, es ist zwar ein abgeschwächtes Virus, aber natürlich, wenn, wenn jetzt das Kind ausgerechnet nach dieser Impfung Covid-19 bekommt, also eine SARS-CoV-2 Infektion zusätzlich, da weiß keiner wirklich, wie die 2 Viren sich dann zusammen im Körper verhalten: das sozusagen scharfe Coronavirus und das abgeschwächte InfluenzaVirus, ob die dann zusammen Unsinn machen oder nicht. Das müsste man zum Beispiel auch wahrscheinlich vorher erst einmal in einer Studie untersuchen. Weil noch keiner bisher eine Influenza-Impfung vor dem epidemischen Hintergrund mit einer mit einem Coronavirus, also mit einem neuen Coronavirus, überprüft hat. Auch das wäre ein weiteres Fragezeichen. Ich bin sicher, dass die ständige Impfkommission über diese Dinge nachdenkt. Da sitzen Profis drinnen, die seit Jahren nichts anderes machen als sich Gedanken zu diesen Impfstoffen. Ich bin sicher, dass die auch solche Aspekte mit im Kopf haben. Ich würde auf jeden Fall abwarten, was unsere Impfkommission sagt, ohne klares Votum der STIKO würde ich jetzt nicht empfehlen, dass jetzt einzelne Gruppen, auch wenn das jetzt besorgte Kinderärzte sind, da quasi so eine so eine singuläre Forderung verfolgen.



Camillo Schumann



Singulär ist gut. Der Bundesgesundheitsminister hat die Menschen aufgefordert, ihre kleinen Kinder zu impfen.



Alexander Kekulé


Ja, ohne Hintergrund der STIKO. Der normale Weg ist bei uns einfach der, dass die Ständige Impfkommission Empfehlungen gibt. Die werden dann über das Robert Koch-Institut publiziert. Aber ich würde jetzt tendenziell an der Stelle sagen, das sind viele Fragezeichen, die man prüfen muss. Auch die Frage, ob es was bringt, weil, das ist jetzt wirklich so ganz konkret: Jetzt haben sie die Kinder dann geimpft gegen Influenza, und ein Teil von denen kriegt dann keine Influenza. Die Impfung ist nie hundertprozentig, andere kriegen Influenza. Jetzt


haben sie aber viele andere Erkältungsviren, die zirkulieren. Und alle diese Viren zusammen wollen sie eigentlich durch die Distanzierung und möglicherweise Masken in der Schule, sofern die eingeführt werden und Ähnliches, wollen sie verhindern oder zumindest reduzieren. Wie hoch ist der Anteil der echten Influenzaviren, die im Kindesalter eine Verwechslung mit Covid-19 verursachen würden? Das weiß keiner genau.


Die neuen Daten sehen ja so aus, das ist sozusagen neu aus der Druckerpresse, dass wir eine Studie nach der anderen jetzt kriegen, dass im Kindesalter die Covid-19-Infektion aussieht, wie eine ganz normale Erkältung und überhaupt nicht zu unterscheiden ist. Es gibt es aus Korea gerade auch wieder eine Studie, die das Gleiche nochmal sagt. Das heißt also, die Kinder haben eher so eine Art Erkältung, sieht harmlos aus, sieht nicht nach Influenza aus, wenn sie Covid-19 bekommen. Warum muss ich jetzt gegen Influenza impfen und all die anderen Erkältungsviren, gegen die kann ich eh nichts machen. Also bringt es dann sozusagen quantitativ was? Vor dem gesamten Hintergrund müsste man sozusagen eine Abwägung machen, wie viel Prozent der Erkrankungen im Kindesalter würden denn jetzt mit Covid-19 wirklich verwechselt werden? Wenn dann ganz am Schluss eine Expertenkommission – nachdem all diese Dinge auch quantitativ berücksichtigt wurden, die Häufigkeit der Nebenwirkungen und alles –, wenn die dann am Schluss sagen, wir empfehlen die und die Impfungen dem und dem Alter lebend oder tot, mit oder ohne Wirkverstärker, dann würde ich sagen ist der Zeitpunkt gekommen, wo ein Politiker sagen kann, ich unterschreibe das und bin dafür, dass es gemacht wird.



Camillo Schumann



Mit lebend oder tot ist das Virus gemeint, das dann ...



Alexander Kekulé


Klingt dramatisch, ja. Wir nennen das interessanterweise Lebendimpfung, obwohl natürlich jeder Virologe weiß, dass ein Virus in dem Sinne kein lebender Organismus ist. Aber wir sagen da Totimpfstoff und Lebendimpfstoff dazu.


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Camillo Schumann



Ich frage Sie jetzt mal ganz persönlich: Würden Sie Ihre kleine Tochter impfen oder nicht?



Alexander Kekulé


Gegen Influenza zum jetzigen Zeitpunkt nicht, nein. Aber ich habe es sehr einfach, weil meine kleine Tochter tatsächlich eine Erkrankung hat, eine Grunderkrankung hat, warum sie bei Impfungen extrem stark reagiert. Die war er schon einmal fünf Tage mit meiner Frau zusammen auf der Intensivstation deswegen, und deshalb ist bei mir die Antwort schnell gegeben.


[0:11:46]



Camillo Schumann



Okay gut, also was sehr Persönliches in dem Fall, also nicht anwendbar. Die Kinderärzte, weil wir gerade bei denen sind, die fordern außerdem, dass Lehrer im Unterricht eine Maske tragen sollen. Und dazu passt auch sehr gut eine Hörerfrage, nämlich. Frau H. schreibt:


„Wegen der großen Ansteckungsgefahr dürfen Kinder im Musikunterricht nicht mehr singen. In einem ihrer letzten Podcastfolgen haben Sie erklärt, dass diese Ansteckungsgefahr genauso hoch ist, wenn laut gesprochen oder geschrien wird. Meine beiden Kinder besuchen eine Grundschule und erzählen, dass manche Lehrer jeden Tag laut in der Klasse mit den Kindern schimpfen. Die meisten Lehrer tragen im Unterricht keine Maske. Kinder anzuschreien ist eh schon ziemlich fragwürdig, aber zu Zeiten von Corona ist es anscheinend sogar gesundheitsgefährdend. Sollte man in Schulen über ein ‚Schreiverbot‘ nachdenken?“


[0:12 :36]



Alexander Kekulé


Also lassen Sie mal die Kinder abstimmen, die sind bestimmt dafür. Ich würde jetzt die Lehrer verteidigen. Ich glaube, wenn sie so einen ganzen Stall voller, voller wild gewordener Kleinen haben, das geht manchmal nicht, ohne die Stimme zu erheben. Außer sie haben irgendwelche magischen Kräfte.


Es gibt ja diese Studie, die ich da schon zitiert habe, die es von der Universität Bristol gemacht worden in Großbritannien. Die haben etwas Lustiges, ein Experiment gemacht. Die


haben 2 5 Sänger genommen, so richtig Profis, die ihre Stimme kontrollieren können und haben gesagt: Jetzt singt mal ganz leise und dann sozusagen mezzo, und dann forte und fortissimo, in jeder Lautstärke. Und statt singen haben sie dann eben auch Sprechen genommen in den verschiedenen Lautstärken. Das geht mit Profis ganz gut. Die können sich, wenn sie vor allem als Chor aufeinander eingestimmt sind, da ganz gut auf eine Lautstärke einigen. Da hat man die Lautstärke natürlich auch gemessen mit einem entsprechenden Gerät, wie laut das ist und hat dann – nicht direkt die Coronavirus-Produktion, die waren natürlich alle gesund – aber einfach die TröpfchenProduktion gemessen: wie viel Nebel produzieren die? Und das ist genau gleich, ob man singt oder laut spricht. Das heißt also hier, dass die Daten, die wir ja haben von Kirchenchören, dass da besonders Superspreading-Ereignisse auftreten können. Das gilt wohl eins zu eins auch für das laute Sprechen.



Camillo Schumann



Und das würde dann dazu führen, dass man eine Maske tragen sollte, also die Lehrer, wenn sie sich nicht im Zaum halten, dann lieber eine Maske tragen sollten?



Alexander Kekulé


Sie wissen ja, dass meine Antwort sowieso ist, dass man alle testen soll, weil das der geringste Eingriff ist, also sowohl die die Juristen, die ja so ein bisschen überlegen immer – heutzutage sind ja die Gerichte beschäftigt mit diesen Dingen – bei uns, bei den Eingriffen in die Grundrechte der Menschen gilt dann sozusagen das das geringste, das mildeste geeignete Mittel. Man muss das mildeste geeignete Mittel nehmen. Und das mildeste geeignete Mittel ist eindeutig, die Leute regelmäßig zu testen, weil das keine große Einschränkung ist. Das Gleiche sagt der Arzt ja auch, dass er eigentlich in erster Linie den seinen Patiente nicht schaden will. Wir nennen das dann primum nil nocere, so sagt man da schön auf Lateinisch, damit es keiner versteht. Das Wichtigste ist nicht zu schaden. So und mit diesen allgemeinen Regeln ist das natürlich nur ein Behelfskonstrukt zu sagen was machen wir jetzt mit den Masken? Also okay, wenn man jetzt partout nicht testen kann oder will, dann ist es so, dass es


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natürlich sinnvoll ist, wenn der Erwachsene im Raum eine Maske aufhat. Weil das jemand ist, der das kontrollieren kann, der natürlich am meisten spricht von allen hoffentlich im Unterricht. Und da er nicht getestet ist, es könnte es sein, dass der Covid-19-positiv ist und die Infektion weitergibt an alle Kinder. Deshalb wäre es selbstverständlich so, dass man jetzt im Winter, wo man nicht mehr immer nicht mehr effektiv lüften kann, eine Maske aufzieht. Es gibt ja von den Lehrern Hilfeschreie, von denen man in den Medien liest. Und das glaube ich aus meiner kleinen Stichprobe, die ich habe, sofort. Das kam in vielen Bundesländern. Das war jetzt konkret NRW. Aber das gilt für die anderen sicher auch, diese Auflagen mit Mindestabstand, Kohortierung, also Gruppenbildung in der Schule, regelmäßige Stoßlüftung und was es alles gibt, dass diese Auflagen im praktischen Alltag nicht umsetzbar sind. Und das glaube ich sofort. Das kann man sich ja, wenn man den Schulbetrieb in Deutschland ein bisschen kennt – da gab es ja schon vorher ein paar Dinge, die nicht ganz optimal waren – da kann man einfach sagen, das ist doch klar, dass man hier in der Schule das nicht hinkriegt, dass da immer frische Luft drinnen ist und die Leute Abstand haben. Also aus meiner Erinnerung ist es sogar so, wenn ich in die Schule gehe, da gibt es schon einen typischen Mief in der Schule, wenn die ganzen Kinder da sind. Der hat natürlich damit zu tun, dass nicht so gut gelüftet wird. Vor dem Hintergrund ist halt die Maske die zweitbeste Möglichkeit, wenn man nicht testet.


[0:16:44]



Camillo Schumann



Um noch einmal ganz kurz auf diese Studie zurück zu kommen. Was bedeutet das jetzt eigentlich für die Chöre? Bleibt der Status quo?



Alexander Kekulé


Ja, für Chöre ist ganz klar zu sagen, das ist an so vielen Stellen jetzt belegt: Lautes Singen gemeinsam im geschlossenen Raum geht nicht, wenn man nicht sicher ist, dass kein Covid-19Ausscheider im Raum ist. Also wenn da jemand dabei ist, er krank ist oder auch asymptomatisch infiziert ist, dann darf man nicht zusammen singen.


[0:17:10]



Camillo Schumann



Gerade mit Blick auf den Herbst wird sich auch das Problem der Test-Kapazitäten vergrößern. Schon jetzt klagen die Labor, dass mit rund einer Million Tests pro Woche sie langsam ihre Grenzen stoßen. Und in der wissenschaftlichen Diskussion wird auch die Aussagekraft dieser Tests groß diskutiert. Gerade auch ein Artikel der Washington Post wird von vielen ihrer Kollegen auch bei Twitter und Facebook geteilt. Und darin geht es um die sehr unkonkrete Aussagekraft dieses Tests. Die Hörer dieses Podcasts wissen ja, so ein PCR-Test weißt ja nur das Virus selbst nach nicht aber, ob ein Mensch ansteckend ist oder ob ein Infizierter auch krank ist, oder jemals krank werden wird. Die Virusmenge im Körper eines Patienten ist entscheidend, ob er ansteckend ist oder nicht. Wieso spielte das bisher bei der Testung keine Rolle? Können Sie sich das erklären?


[0:18:02 ]



Alexander Kekulé


Wir haben bis jetzt halt in Europa hauptsächlich diese PCRs verwendet. Da ist es so, diese PCR-Methode ist rein technisch gesehen eine quantitative Methode, wo man also die Menge bestimmt. Aber es gibt verschiedene Gründe, warum man das nicht sinnvoll quantitativ auswerten kann, das ist zumindest meine Meinung dazu. Und warum kann man das quantitativ nicht sinnvoll auswerten? Erstens ist es nicht dafür standardisiert, sondern das wird normalerweise so gemacht, dass man sagt ab einer bestimmten Konzentration heißt der Test positiv. Und wenn es drunter ist, dann ist das Ergebnis negativ. Das heißt also, der wird im Grunde genommen nur mit Ja/Nein, also qualitativ ausgewertet. Und diese quantitative Auswertung, die ist nicht standardisiert bei den PCRs. Wir wissen aber trotzdem, wenn wir dann mal richtig sauber quantitativ versuchen, irgendwie das nachzuweisen, wieviel Virus hat jemand wirklich im Rachen, das ist ja relativ schwierig. Da muss man spezielle Tests machen. Es geht mit der Standardmethode nicht. Da muss man genau analysieren, wie viel hat man zum Beispiel auf einem Tupfer drauf. Dann stellt man fest, dass Menschen, die ganz wenig Virus im Rachen haben, wohl auch nicht infektiös sind oder nur im Extremfall, also zu-


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mindest keine Superspreader sein können. Und da ist eben jetzt schon die Frage worauf geht man? Superspreader kann man wohl nur sein, wenn man viel Virus ausscheidet. Wenn Sie jemanden küssen, dann können Sie natürlich fast jeden infizieren, je nachdem, wie lange Sie küssen. Ich glaube, das Robert Koch-Institut spricht er bei engen Kontakten immer von 15 Minuten oder mehr. Ich weiß nicht, ob man das hier jetzt auch übertragen soll, aber auf jeden Fall genügt dann relativ kurzer Zeitraum, um das Virus zu übertragen. Und dazwischen gibt es natürlich auch alle Varianten. Wenn man miteinander spricht und sich relativ nah ist und lange miteinander redet, kann sicherlich auch jemand, der wenig Virus im Rachen hat, jemand anderes anstecken. Oder wenn man aus Versehen das Trinkglas oder einen Löffel tauscht oder so was. Und jetzt ist halt die Diskussion: Gibt es so eine Art untere Schwelle, wo wir die Leute epidemiologisch nicht mehr berücksichtigen müssen, weil sie nur so wenig Virus ausscheiden?


[0:2 0:14]



Camillo Schumann



Ja, und diesen Grenzwert, den gibt es ja schon vom Robert Koch-Institut empfohlen. Und Sie haben ja schon ab und zu im Podcast hier erklärt, wie das Ganze funktioniert. Also was konkret gemacht wird, um das Virus in der PCR-Methode nachzuweisen. Denn es ist ja nicht so, wie viele denken: Man macht so einen Test, dann gibt es eine positive oder eine negative Reaktion und dann hat man das Ergebnis. Das ist ja wesentlich aufwendiger.


[0:2 0:36]



Alexander Kekulé


Das ist ja so eine Art Verstärkerreaktion. Da wird also in Zyklen immer wieder das, was schon da ist, noch mal verdoppelt, verdoppelt, verdoppelt. Deshalb kann man sagen je mehr Zyklen man machen muss, bis man ein positives Ergebnis sieht, desto weniger war am Anfang drinnen. Und deshalb ist diese Zahl der Zyklen etwas, wo man sagt, ab so und so viel Zyklen hören wir dann auf. Und das Robert Koch-Institut oder wie die meisten anderen auch sagen eben, ab 40 Zyklen höre ich auf. Da gilt es dann ab als negativ. Da ist es dann nicht mehr wichtig. Also wenn dann noch was drin


war, gilt es nicht so zu sagen, weil die PCR rein technisch gesehen so empfindlich wäre, dass die schon bei zehn toten Viren, die da irgendwo rumliegen, rein theoretisch positiv werden könnte – irgendwann mal. Und jetzt gibt es Leute, die sagen, wir sollen statt 40 Zyklen eben 35 Zyklen nehmen oder Ähnliches. Ich persönlich halte dann nicht so viel davon: Weil, erstens, wie gesagt, die PCR dafür nicht adaptiert ist. Also die Standardmethoden, die wir machen, sind darauf nicht optimiert, bisher. Und zweitens ist es so wir wissen ja, dass zum Beispiel Kinder – die ja nicht als Treiber der Infektion gelten, das kann man schon sagen, das sind nicht die Hauptmotoren der Infektion – dass die aber trotzdem durchaus schon nach 2 5 Zyklen sind positiv. Das heißt also, so ein Kind, was asymptomatisch oder mit ganz leichten Symptomen Covid-19 hat, springt bei dieser PCR schon bei einer relativ niedrigen Empfindlichkeit an. Und dann ist einfach die Frage, wo sagen sie dann Stopp, an welcher Stelle an gilt es dann nicht mehr? Da haben wir überhaupt keine Daten dafür. Sodass ich glaube, es hat keinen Sinn, eine Methode, die man hat, hier technisch zu begrenzen und zu sagen, wir zählen die dann aber künstlich als negativ. Das ist noch nicht genau genug standardisiert.


[0:2 2 :2 9]



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz, wenn man das hört und wenn man das jetzt einordnet und anwendet auf die Zahl der Neuinfizierten, die man jeden Tag vom Robert Koch-Institut präsentiert bekommt, mit diesem Hintergrund sieht man die jetzt in einem völlig anderen Licht. Also, das würde bedeuten, z.B. 1.300 Neuinfizierte, aber eigentlich sind es dann Infektiöse, vielleicht 2 00. Oder ist das jetzt ein bisschen sehr salopp geschätzt?


[0:2 2 :56]



Alexander Kekulé


Doch, das muss man kann man schon so abstufen. Aber man muss jetzt vorsichtig sein, die sind ja deswegen nicht nichtinfiziert. Das sind natürlich trotzdem Infizierte, auch wenn sie da wenig nachweisen. Wenig heißt: Das Virus ist da! Die Spezifität dieses Tests ist extrem hoch, liegt fast bei 100Prozent. Wenn Sie etwas nachweisen, hat er sich angesteckt.


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Die zweite Frage ist muss ich den in Quarantäne stecken? Das ist ja mehr so die Frage. Das heißt, die Robert Koch-Zahlen sind richtig. Man darf jetzt nicht sagen, das sind Falsch-Positive. Aber die Frage ist, was mach ich mit jemandem, der wenig Virus ausscheidet. Und ich glaube dafür, ich würde das bei niemanden riskieren, wenn der bei so einem Standardtest so grenzwertig war, also nicht so viel Virus hatte, jetzt zu sagen, du hast doch nicht so viel, nur so 80 Prozent vom von Grenzwert, du darfst trotzdem weiter in die Schule oder zur Arbeit. Sie wissen nicht, was mit dem am nächsten Tag ist, ob der dann mehr Virus im Rachen hat. Das kann ja auch hochgehen, je nachdem zu welchem Zeitpunkt der Krankheit Sie ihn erwischen. Sie wissen nicht, ob die Stelle, wo sie den Tupfer gerade hingehalten haben, ob da gerade auf der Schleimhaut besonders viel oder besonders wenig Virus war. Also, da müssten Sie jeden mindestens dreimal an drei verschiedenen Stellen zu verschiedenen Tageszeiten testen. So macht man das übrigens auch bei so Quantifizierungsstudien dann, das wäre aber in der Praxis überhaupt nicht machbar. Und wir wissen auch überhaupt nicht, wie wichtig die Viruskonzentration im Rachen wirklich für diese SuperspreadingEreignisse ist. Es kann sein, dass das mit den Stimmbändern zusammenhängt, wie viel Tröpfchen jemanden produziert und ähnliche Dinge. Das ist nicht so, dass wir jetzt sagen könnten, wenig Virus im in der PCR heißt, der Patient ist nicht gefährlich, der kann weiter in irgendwelche Räume gehen, wo ganz viele andere dabei sind. Da würde ich dringend davon abraten.



Camillo Schumann



Aber beantwortet der Antigen-Schnelltest die Frage besser, ob ein Infizierter auch ansteckend ist?



Alexander Kekulé


Andersherum funktioniert das. Es ist es so, dass wir bei denen, die im Antigen-Schnelltest positiv sind, unter diesen Personen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit natürlich viele, die auch ansteckend wären. Also so rum stimmt es. Das heißt, der Antigen-Schnelltest ist ja einfach unempfindlicher. Und da gibt schon regelrecht eine gewisse Tendenz. In der New


York Times ist darüber eben auch gesprochen worden, dass jetzt seit neuerdings auch in den USA meine Kollegen sagen, es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, so einen Test zu haben, der so ein bisschen halbblind ist, weil wir dann quasi die Eisberge, die Spitzen der Eisberge, die besonders hohen infektiösen Fälle, die fischen wir am ehesten raus. Das heißt also, das ist epidemiologisch ein Argument dafür zu sagen: Ich mache lieber ganz viele Tests, die nicht so qualitativ hochwertig sind, weil die besonders schlimmen möglichen Superspreader, die fische ich da raus. Ganz praktisch gesehen: Sie machen eine PCR, aber 2 Tage später könnte derjenige vielmehr Virus ausscheiden. Wenn Sie jetzt statt einer PCR alle 2 Tage einen Billigtest machen, dann haben Sie natürlich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie den irgendwann an dem Tag erwischen, wo er viel Virus ausscheidet. Und mit dieser Überlegung, dass man sagt viele Tests, die eine geringere Sensitivität haben, sind besser als einmal einen teuren Test machen (und dann auch mit dem Riesenapparat ins Labor schicken, wie lange es dauert, bis das Ergebnis kommt und so weiter). Das ist einfach effektiver als der Labortest. Und das ist ja etwas, das habe ich, glaube ich, jetzt zu genüge schon – ich habe mal nachgeschaut, am 2 9.03. habe ich das zum ersten Mal doch sehr deutlich bei „Zeit online“ geschildert, dass die AntigeneSchnelltests dringend notwendig sind. Ich habe ja damals dafür plädiert, dass wir eine nationale Anstrengung dafür unternehmen. Jetzt seit letztem Monat ist es so, dass in den USA meine Kollegen von Harvard kam – haben wir hier auch schon berichtet – was Ähnliches vorschlagen. Und falls die deutschen Politiker immer noch nicht überzeugt sein sollten, kann man dann auch noch einmal daran erinnern, dass vor ein paar Tagen selbst Donald Trump, der jetzt nicht hier als der innovativste CoronaBekämpfer gilt, der hat 150 Millionen Schnelltests bestellt, die Kosten 5 Dollar das Stück angeblich. Wahrscheinlich wird der Preis noch sinken. Aber 150 Millionen Tests, das ist, glaube ich, doppelt so viel, wie jemals in den USA bisher durchgeführt wurde. Die will er jetzt von einer Firma, Abbott, will er die herstellen lassen und insbesondere zum Schutz der Risikogruppen verwenden. In den USA muss man dazusagen, dieser spezielle Abbott-Test, das ist


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wieder typisch USA, fast hätte ich gesagt typisch Weißes Haus, also dieser Abbott-Test, der ist natürlich jetzt noch nicht so toll überprüft worden. Also ich hätte wahrscheinlich, bevor ich so viele Tests bestelle, den Leuten gesagt, jetzt legt mir mal mehr Daten vor, wie gut der dieser konkrete Test wirklich ist. Aber das Prinzip, dass man mit Antigen-Tests sehr, sehr gut solche Viren nachweisen kann, das ist ja schon lange klar. Und hier geht es eben um Masse und Geschwindigkeit, das zählt mehr als die hohe Qualität.


[0:2 8:11]



Camillo Schumann



Es ist in der breiten Diskussion, und die Diskussionen nimmt ja gerade Fahrt auf. So etwas brauchen wir dann immer so ein bisschen, das sieht man ja bei mehreren Maßnahmen, die wir auch schon hier im Podcast warum haben. Meinen Sie, dass diese Antigene-Schnelltests dann auch für jedermann in der Apotheke jetzt das nächste große Ding sind, was dann auch tatsächlich kommt – dieses Jahr noch?



Alexander Kekulé


Ich würde es mir sehr wünschen, das ist jetzt wahnsinnig schwer, das vorherzusagen. Also als ich für die Masken plädiert habe und eine richtige Grass-Root-Kampagne dafür gemacht habe, hätte ich auch nicht geglaubt, dass es vier Wochen später quasi sogar unter Strafe dann zum Teil steht, wenn man sie nicht anhat. Ich glaube, das ist der Weg, wie wir mit diesem Virus einfach umgehen können. Sicherlich werden dann Leute sagen, ja, jetzt habe ich aber einen Antigen-Schnelltest gemacht, und der war negativ. Und hinterher war ich doch ansteckend. Also solche Einzelfälle wird es geben. Und das ist die Frage, ob wir das jetzt noch bekommen, wenn wir jetzt damit anfangen, bevor die Erkältungssaison losgeht. Das ist natürlich technisch gar nicht so einfach zu lösen das Problem, aber ich glaube, man sollte jetzt wirklich dringend auf die Karte setzen. Ich kann hier vielleicht verraten, dass ich schon vor Monaten tatsächlich auch über die Europäische Kommission und die EU-Präsidentin von der Leyen versucht habe, denen klarzumachen, dass das ein tolles europäisches Projekt wäre. Weil die EU ist ja in dieser ganzen Covid-19Diskussion erstaunlich unscheinbar bisher. Und


ich war damals dringend der Meinung, dass das ein ganz tolles Projekt wäre, wenn man so einen Schnelltest in Europa produzieren würde, gerade weil es eben den Nachschub aus dem Ausland gibt und hier mal zeigen würde, dass auch Brüssel hier die eine oder andere Initiative ergreift. Da besteht ja auch noch die Chance dazu, das jetzt zu machen.



Camillo Schumann



Gibt es denn auch das technische Know-how? Also gibt es denn die Firmen, die das dann auch hier in Europa herstellen könnten? Oder gibt es möglicherweise dann auch schon Anstrengungen?


[0:30:09]



Alexander Kekulé


Wie das geht, ist relativ einfach. Man braucht dafür Firmen, die das können. Wir haben in Deutschland mehrere, die das tatsächlich draufhaben, solche Antigene-Schnelltests zu machen. Da gibt es verschiedene Verfahren, über die wir, glaube ich, schon gesprochen haben. Nur noch einmal als Stichpunkt: Entweder man braucht eine kleine Maschine mit einem Fluoreszenz-Test, der ist sehr gut. Aber man braucht eben eine Maschine oder eben diese kleine Plastik-Kassette, wie ein Schwangerschaftstest, den man selber machen kann. Das ist das, was der Donald Trump jetzt 150 Millionen Mal bestellt hat. Für beides ist das Know-how selbstverständlich da. Die einen Geräte könnte man bestellen von den Herstellern und die anderen könnten wir hier jederzeit produzieren. Der limitierende Faktor ist da interessanterweise, dass man Lamas braucht, weil die Antikörper, mit denen diese Tests beschichtet werden, damit man die Antigene, also die Viruspartikel, im Speichel nachweisen kann, die kommen typischerweise von Lamas heutzutage. Aber selbst das habe ich schon mal recherchiert: Es gibt genug Lama-Herden in Europa, das wir auch autonom wären.



Camillo Schumann



Von Lamas? Warum denn ausgerechnet von Lamas?



Alexander Kekulé


Früher hat man das mit Pferden gemacht, hauptsächlich. Da gab es den Emil von Behring,


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von dem berühmten Behringwerken dann in Marburg, da hat man massenweise Pferde stehen gehabt. Und irgendwann kam jemand drauf, das Lamas eigentlich ganz toll Antikörper produzieren und – ich sage mal pflegeleichter sind als Pferde, also nicht so störrisch wie so manches Pferd – und lassen das eher mit sich geschehen, weil die müssen ja als Herde gehalten werden. Die werden dann immunisiert. Und dem Lama geht es eigentlich gut, außer dass es halt ich weiß nicht, wie oft von Zeit zu Zeit eben Blut spenden muss. Und aus einemLiter Lamablut kann man erstaunlich viele Antikörper machen. Das reicht für eine ganze Menge von Schnelltests.



Camillo Schumann



Gut, dass es noch keiner mit Meerschweinchen probiert hat.



Alexander Kekulé


Das hat natürlich mit der Größe des Tieres zu tun. Das ist klar. Bei Elefanten wäre wahrscheinlich noch mehr Blut drinnen. Aber ich weiß nicht, ob sie so ein Elefant ... Also der Quotient zwischen ökonomischer Frage, Haltung der Tiere und all diese Dinge. Aber die Lamas, die wurden extra zu diesem Zweck für die Antikörperproduktion nach Europa importiert.



Camillo Schumann



Ach so. Und man braucht nur dieses Transportmittel Blut? Dann ist es völlig egal, von welchem Tier?



Alexander Kekulé


Ja, es ist so, dass ganz viele Tiere produzieren Antikörper, natürlich, wenn man sie mit Partikeln von diesem Covid-19 immunisiert. Und das ist technisch nicht so ganz einfach. Dann müssen sie aus dem Tier Blut rausnehmen, also Serum, das ist so die gleiche Idee wie diese Serumtherapie, über die wir ja schon ein paar Mal gesprochen haben. Das kann man mit menschlichem Serum machen. Aber in dem Fall nimmt man sie herum vom Tier und da sind die Antikörper drinnen. Und jetzt besteht die Kunst darin, dass sie von verschiedenen Tieren und auch von verschiedenen Zeitenpunkten, wo sie das abgenommen haben, eigentlich immer die gleiche Qualität herkriegen


müssen. Also das ist nicht so ganz trivial. Darum bin ich auch dafür, dass man das in Europa produziert und nicht importiert irgendwo aus Fernost, weil das wirklich das Problem dabei ist, dass man kontinuierlich gleichbleibende Qualität hat. Dass also die Tests immer die gleiche Empfindlichkeit haben und die Chargen alle gleich gut sind. Aber das können wir in Europa selbstverständlich, das ist gar kein Thema,


[0:33:2 3]



Camillo Schumann



Ich bin mal gespannt, wie viele Schweinezüchter jetzt auf Lama-Zucht umsteigen. Wir sind sehr gespannt. Ein Markt ist da. Herr Kekulé, wir besprechen hier im Podcast ja viele Studien. Das haben wir in dieser Ausgabe schon gemacht. Wir sollten noch über eine sprechen, die im praktischen Alltag dann noch eine Rolle spielen kann: nämlich für alle, die mit dem Flugzeug unterwegs sind. Da weiß man ja, funktionieren alle Luftreinigungssystem optimal und alle haben eine Maske auf, dann ist das Infektionsrisiko recht überschaubar. Man kann schon fast sagen gering, bis zu dem Moment, wo man sich vom Platz erhebt und auf Toilette geht. Da wird es dann so ein bisschen brenzlig, hat jetzt eine Studie ergeben. Warum wird es denn da brenzliche in der Toilette?


[0:34:11]



Alexander Kekulé


Ich liebe so Studien, wo man wirklich so einzelne Infektionsketten wirklich nachgewiesen hat im Detail. Und das ist wieder mal so eine. Und zwar gab es einen Evakuierungsflug am 31.03., also noch im Ende März, wo südkoreanische Bürger evakuiert wurden aus Norditalien. Die hat man also heimgeflogen aus dem Krisengebiet damals, und es waren konkret 310 Passagiere, die aus Mailand nach Seoul geflogen sind – elf Stunden Flug. Die Südkoreaner sind uns da weit voraus gewesen zu dem Zeitpunkt. Die hatten also alles perfekt gemacht. Jeder hat eine FFP2 -Maske auf dem Gesicht gehabt. Die wurden untersucht, bevor sie eingecheckt wurden. Erstens hat mal medizinisch geguckt, ob sie was haben. Zweitens hat man Temperaturkontrolle gemacht. Drittens hat man ein Interview gemacht, also so


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eine klassische Entry Control, Einreisekontrolle, quasi gemacht. Und ganz interessant: Von den 310 durften dann elf nicht mitfliegen, weil die schon beim Check durchgefallen sind. Die mussten in Mailand bleiben. Die anderen, die geflogen sind, da hat man alles gemacht, 2 Meter Abstand und so weiter, und eben die Maske, die ganze Zeit. Nur zu 2 Gelegenheiten haben sie die Masken kurz abgesetzt: erstens zum Essen und zweitens, wenn sie auf die Toilette gegangen sind. Und da ist dann eben passiert, hinterher in Korea ist man genauso sorgfältig weiterhin gewesen, da hat man diese sorgfältig rausgeholt aus einem Flugzeug und sofort 2 Wochen in Quarantäne. In der Quarantäne sind dann tatsächlich mehrere krank geworden – das ist ganz interessant. Am ersten Tag der Quarantäne hat man nochmal Covid-19-Tests gemacht und festgestellt, sechs waren positiv. Das war aber nicht so schlimm, die waren eh in der Isolierung und die hätten ja sowieso die Maske auf und am Ende der Quarantäne ist eine junge Frau, 2 8 Jahre alt, die ist plötzlich am Ende der Quarantäne positiv gewesen, hat zwischendurch Husten bekommen. Das heißt, die hatte sich wirklich während des Fluges angesteckt.



Camillo Schumann



Und zwar auf der Toilette.



Alexander Kekulé


Ja, man hat alles verfolgt, was da als Möglichkeit in Frage gekommen ist. Die hat jetzt nun beim Essen, steht, zumindest in der Studie drin, nicht die Maske abgesetzt. Sie hat also nichts gegessen, die ganzen elf Stunden. Sie sagt, sie hat wirklich nur auf der Toilette kurz die Maske abgenommen. Daraus schließen jetzt diese Leute, okay, die hat sich tatsächlich so infiziert, dass ein anderer Passagier auch die Maske abgesetzt hat. Einer von denen, die da positiv waren. Sechs waren ja asymptomatisch positiv, und derjenige oder diejenige hat jetzt diese eine Passagierin tatsächlich infiziert auf dem kurzen Aufenthalt auf der Toilette. Das ist nicht nur für Fliegende, das Gleiche gilt natürlich für eine Zugtoilette. Das ist genau das Gleiche. Das ist so ein kleiner, geschlossener Raum. Wenn da einer drin sitzt, der mächtig Viren ausscheidet, auch wenn er nicht laut singt, wahrscheinlich, das weiß ich jetzt auch


nicht, was die da so gemacht haben, dann ist das einfach ein gefährlicher Ort.


[0:37:11]



Camillo Schumann



Die Frage ist natürlich hat sie sich angesteckt, über Aerosole oder über Tröpfchen. Also hat sie dann möglicherweise den Wasserhahn angefasst und sich dann ans Gesicht gefasst. Konnte das denn eruiert werden?



Alexander Kekulé


Das weiß man nicht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass es eine Kontaktinfektion war. Weil sich auf so einem Flug, das war ja ein Evakuierungsflug, ich gehe davon aus, dass die sich wirklich gründlich die Hände gewaschen haben, nachdem sie da auf der Toilette waren. Und wenn man rausgeht, die Hände kurz vorher gewaschen hat, ja, das dann müsste halt sozusagen ein Schwein vorher auf der Toilette gewesen sein und sie angesteckt haben. Das glaube ich nicht. Das waren ja Leute, die jetzt ganz selektiv evakuiert wurden. Und die wussten, dass sie in so einem Risiko stecken. Die hatten ja auch die ganze Zeit, diese FFPMasken im Gesicht. Ich gehe davon aus, dass das der geschlossene Raum dort mit den Aerosolen war. Es gab übrigens noch einen anderen Flug, haben sie dann hinter festgestellt, dass ist nicht so genau untersucht worden, aber ein anderer Evakuierungsflug auch von Mailand nach Südkorea. Da ist auch eine Person während des Flugs positiv geworden. Ohne dass man das so genau nachverfolgt hat. Ich finde eine Kleinigkeit noch interessant dabei, und zwar das sind die elf Leute, die nicht mitfliegen durften. Es ist tatsächlich so, dass diese elf dann SARS-CoV-2 -positiv waren: elf von 310. Das heißt also, man hat hier immerhin einen erheblichen Teil rausgezogen und vorher schon identifiziert als krank, durch die ganz normalen Einreisekontrollen. Sechs weitere sind in durch die Lappen gegangen. Das heißt also bin ich das jetzt mal zusammenzähle, dann sind von 17, die da offensichtlich im Flieger gewesen wären, die Covid-19-positiv waren, ohne Symptome zum Teil sind, immerhin elf von 17 identifiziert worden, vor der Abreise – mit ganz normalem Thermoscanner Scanner, plusInterview, plus so eine kleine Untersuchung aber halt, ob sie Husten oder Schnupfen ha-


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ben. Das ist doch ein deutliches Argument, dass solche Einreisekontrollen auch was bringen würden. Natürlich nicht 100 Prozent, aber ich sage mal so, die Hälfte würde man wohl rausfischen.


[0:39:13]



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Hörerfragen und beginnen mit einer Frage dieser Lehrerin aus Niedersachsen:


„Leider habe ich eine Schwerbehinderung. Und ja, ich habe 2 018 2 Krebserkrankungen durchgemacht und könnte jetzt auf Antrag zu Hause im Home-Office arbeiten. Ich würde aber ganz gerne wieder in die Schule gehen, und mit dem derzeitigen Kohortenprinzip ist das für mich sehr schwierig oder sehr riskant. Hat Herr Kekulé, wie wir schwerbehinderte Lehrer in dieses System integrieren kann, wie uns gute Sicherheit gewährleistet werden kann und wir weiterhin unterrichten können? Das würde mich sehr freuen, weil, ich vermisse die Schule und die Schüler sehr. Danke.“



Alexander Kekulé


Erstens natürlich testen. Ich muss es an der Stelle noch einmal sagen. Man könnte natürlich das Lehrerkollegium regelmäßig testen. Wenn man das nicht macht oder nicht kann im Moment – ich glaube, es wäre wichtig, dass man die Lehrer untereinander, die sind ja dann im Lehrerzimmer und haben auch miteinander zu tun, die müssten natürlich, wenn da eine schwerbehinderte Kollegin ist, müssten die natürlich quasi Protokolle entwickeln, wie sie darauf Rücksicht nehmen können. Das heißt also, es müsste klar sein, dass die dann nicht alle zusammen mit ihr sitzen, dass sie, wenn sie zusammen sind, Masken aufhaben und das übliche mit Abstand und Lüftung.


Das Zweite wäre, dass man im Klassenzimmer, tja, das ist natürlich schwierig, weil, Sie können mit einer FFP2 -Maske wahrscheinlich nicht unterrichten. Da können sie im besten Fall so einen einfachen OP-Mundschutz aufsetzen. Ich glaube, eine echte FFP2 -Maske zum Unterrichten, das wird nicht funktionieren. Das versteht auch kein Schüler, was der Lehrer dann genau sagen wollte. Da müsste man sich überlegen, ob man zumindest dafür sorgt, dass das immer


die gleichen Schüler sind, die sie unterrichtet. Dass es da keine große Durchmischung gibt und mit den üblichen Lüftungsprotokollen arbeitet.


Das sind alles, Sie hören es schon so durch, so zweitbeste Lösungen. Es fällt mir dann immer schwer, weil die offensichtlich gute Lösung wäre, regelmäßig alle zu testen. Dann hätte man eine extreme Reduktion des Risikos, dass es zu einem Superspreading-Ereignis kommt. Abgesehen von Superspreading-Ereignissen kann man die meisten Situationen durch Abstand kontrollieren. Das sind nur diese besonderen Situationen, wo jemand ein Aerosol über eine größere Strecke produziert, also mehr als die eineinhalb Meter, auf die man Rücksicht nehmen muss in dem Fall. Und die man natürlich nie ganz ausschließen kann. Am Ende des Tages, ein Restrisiko wird auch diese Hörerin haben. Ich finde es aber durchaus überlegenswert, ob man sagt: Ich nehme jetzt dieses Restrisiko, wenn wirklich alles getan ist, um eine Infektion, soweit es geht, zu verhindern,


[0:41:56]



Camillo Schumann



Von der Schule zur Kita. Herr S. hat gemailt:


„In einer Kita in unserem Ort hat es letzte Woche einen Corona-Fall gegeben. Danach wurden alle Kinder aus der Gruppe getestet. Alle Kinder müssen noch zehn Tage in Quarantäne, obwohl sie negativ getestet worden sind. Gleichzeitig dürfen die Geschwisterkinder, die in einer anderen Gruppe der gleichen Kita sind, weiterhin in die Kita gehen. Was ist denn aus wissenschaftlicher Sicht der Hintergrund, dass die Kinder trotz negativen Tests in Quarantäne müssen? Und wieso dürfen die Geschwisterkinder weiter in die Kita? Das ergibt für mich auf den ersten Blick keinen Sinn. Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Ja, wir haben in Deutschland, übrigens wie überall auf der Welt, viele solche Dinge, die so ein bisschen mit zweierlei Maß gemessen werden, oder dreierlei. Das gibt natürlich keinen Grund, dass das Geschwisterkind sich nicht anstecken könnte. Wogegen die Kontakte Kinder aus der Kitagruppe dann als Risikopersonen eingestuft werden. Das ist schon richtig beobachtet, dass das schwer zu erklären wäre.


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Und es gibt eine Diskrepanz. Das ist aber auch eines der Dinge, die ich ehrlich gesagt, auch nicht so richtig nachvollziehen konnte, dass man, zeitweise muss man sagen, ja, umgeschwenkt ist von der von der grundsätzlichen Ansage, dass man gesagt hat, wenn jemand eine Kontaktpersonen war, Kontaktpersonen sozusagen erster Ordnung, enger Kontakt zu jemandem, der Covid-19 positiv ist, dann muss der 2 Wochen in Quarantäne. So war das ja eigentlich immer. Und dann hat man gesagt irgendwann, okay, man kann die Quarantäne verkürzen, wenn man am 5. Tag, solange ist die Inkubationszeit typischerweise, wenn man am 5. Tag negativ getestet ist, kann man die Quarantäne verkürzen. So weit ist es ja sinnvoll. Aber das ist zum Teil im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rückkehrer aus Risikogebieten dann aufgeweicht worden, dass man gesagt hat, die können den Test machen und hinzu in hinterher sowieso so sozusagen sofort freigesprochen und haben keinen Covid-19. Da müssen wir schon der eine oder andere, der diesen Podcast hört, sich gefragt haben, das kann ja irgendwie nicht ganz schlüssig sein. Das hat man ja jetzt auch geändert. Jetzt ist die Regelung eine andere, dass man sagt fünf Tage Quarantäne zu Hause und dann wird der Test gemacht. Da ist dann die Frage bei den Rückkehrern, ob man die dazu bringt, zuhause zu bleiben. Und aus diesem ganzen Sammelsurium haben sich offensichtlich die Gesundheitsbehörden dort, wo jetzt diese Anordnung in der Kita passiert ist, so eine Art Mischung rausgesucht. Die haben sich von dem einen dies genommen und vom anderen jenen. Das heißt, sie sagen Kinder, die negativ getestet sind, müssen trotzdem noch in Quarantäne. Aber wenn es Geschwisterkinder sind, dann gilt es nicht. Das ist ... ja, das ist schwierig nachzuvollziehen. Ich hoffe, dass es in den nächsten Wochen da eine gewisse Kohärenz geben wird in Deutschland, dass wir uns auf halbwegs eine einheitliche Maßstäbe einschießen und das dann auch in allen Situationen und in allen Bundesländern gleich handhaben.



Camillo Schumann



Was würden Sie mit Herrn S. beipflichten, dass es seiner Meinung nach keinen Sinn ergibt?


Ja, sie merken schon, ich bin da immer vorsichtig, weil ich Angst habe, das als Nächstes das Gesundheitsamt einen Brief schreibt. Aber ja, es ist für mich nicht nachvollziehbar. So, wie er es schildert, ist es nicht nachvollziehbar. Also, das muss man fairerweise sagen.


[0:45:11]



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 103. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL.



Alexander Kekulé


Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Alexander Kekulé


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 01. September 2 02 0 #102 : Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


1 [0:00:03]: MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass. 2  [0:00:11]


Dienstag 1. September 2 02 0. „Corona ist vorbei und kommt auch nicht wieder.“ „Die meisten sind immun“ und „Covid19 ist auch nicht gefährlicher als eine Grippe“; mehrere Aussagen im Faktencheck. Dann wie das frühzeitige Einnehmen von Blutverdünnern bei Covid19 Leben retten kann. Außerdem ein Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen und die Alltagsfrage: Wenn schon Handwerker an der Wohnung, dann nur mit Maske?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé.



Camillo Schumann

:


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Ein kurzer Blick aufs Infektionsgeschehen international und national. Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionsfälle ist er weltweit auf mehr als 2 5 Millionen gestiegen. Allein in den USA wurden fast 6 Millionen Infizierte ver-


zeichnet. Dann folgt Brasilien mit fast 4 Millionen. Einen rasanten Anstieg erlebt derzeit Indien, am Wochenende fast 80.000 Corona Infektionen innerhalb von 2 4-Stunden, der höchste Wert bisher. Wie bewerten Sie das internationale Infektionsgeschehen aktuell?


[0:01:2 8]



Alexander Kekulé:


Da muss man unterscheiden. Wir haben zum einen Länder wie Indien oder wahrscheinlich auch Regionen wie Afrika, wo man es gar nicht genau weiß. Bei ist der Zug schon abgefahren. Die machen eine natürliche Durchseuchung mit. Anders kann man es nicht sagen. Die können sich die Schutzmaßnahmen, die wir treffen, wirtschaftlich nicht leisten. Und es ist dort auch zum großen Teil praktisch gar nicht möglich. Man hat keine Masken, die Menschen wohnen eng zusammen. Die einzige gute Nachricht dabei ist, dass in vielen dieser Länder die Altersstruktur so ist, dass wir ganz wenig schwere Fälle sehen, zumindest verglichen mit Mitteleuropa oder den USA, und man daher hoffen kann, dass das schnell vorbeigeht, dass die schnell eine Grundimmunität erreichen, eine Herdenimmunität, ohne allzu viele Covid19-Tote zu haben.


[0:02 :2 2 ]



Camillo Schumann

:


Kommen wir nach Europa. Bei unseren Nachbarn in Frankreich wird ein exponentielles Wachstum gemeldet. Wie schauen Sie nach Frankreich?


[0:02 :33]



Alexander Kekulé:


Die Gesundheitsbehörde dort hat explizit dieses exponentielle Wachstum jetzt in ihren aktuellen Bericht hineingeschrieben. Das muss man mit großer Sorge sehen. Das ist vergleichbar mit der deutschen Situation. Die hatten zwischendurch eine Phase, wo die Neuinfektionen ganz gut im Griff schienen. Frankreich macht vieles ähnlich wie wir. Sie haben zum Beispiel auch diese 50 Fälle pro 100.000Einwohner-Grenze eingeführt als Alarmgrenze. Vorher haben sie noch eine Art Gelblicht. Das ist bei zehn Fällen pro 100.000 Einwohner. Und es ist so, dass aktuell in der vorletzten Woche von heute aus gesehen sind in 78 Departe-


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ments in Frankreich diese gelbe Schwelle überschritten mit zehn Fällen. Und in 9 Departements hat man diese Alarmschwelle überschritten. Jetzt muss man sagen, so ein Departement ist ziemlich groß, also eins von denen zum Beispiel ist der Großraum Paris, Ile de France. Da gehören viele Departements zusammen, dazu 75 für Paris natürlich, das kennen viele von den Autokennzeichen, und noch eine ganze Reihe weiterer. Und die ganze Cote d'Azur ist betroffen, plus sieben weitere. Aus meiner Sicht ist in Frankreich die Situation so, dass wir es ähnlich haben, wie wir es in Italien schon mal hatten. Das Virus breitet sich landesweit aus, und es ist nicht sinnvoll, jetzt zu sagen, in diesem Departement ist rot, in jenem ist gelb. Sondern von Deutschland aus gesehen muss man sagen: In ganz Frankreich ist die Situation außer Kontrolle im Moment. Und man kann eben daran sehen, was bei uns im Grunde genommen passieren könnte. Nur eine letzte Zahl vielleicht. Aktuell haben die die 34. Kalenderwoche im Bericht, also die vorletzte Woche von heute. Im Vergleich zur Vorwoche von 33. auf die 34. sind die Fälle in Frankreich um 74 Prozent gestiegen, also dreiviertel innerhalb von einer Woche. Das ist dramatisch. Und das werden die auch nicht in den nächsten Wochen in den Griff bekommen.


[0:04:43]



Camillo Schumann

:


Die Urlauber und damit der Blick nach Deutschland sind in Deutschland weitestgehend zurück. Die Schulen sind bis auf Bayern und Baden-Württemberg auch wieder offen. Heute wurden vom Robert-Koch-Institut 1.2 18 Neuinfektionen innerhalb von 2 4-Stunden gemeldet, die meisten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.


Herr Kekulé, das ist der dritte Dienstag in Folge mit über 1.2 00 Neuinfektionen. Weil wir gerade Frankreich hatten: Ist das Glas jetzt bei uns halb voll oder halb leer?


[0:05:14]



Alexander Kekulé:


Gute Frage, wir sind irgendwie auf so einem Steady-State, auf einem kontinuierlichen Zustand eingeschwungen. Wir müssen jetzt mal sehen, wie sich das weiter entwickelt. Die wichtige Frage ist: Haben die Schulöffnungen


jetzt einen Effekt, ja oder nein? Denn alle anderen Menschen in Deutschland halten sich weitgehend an die Sicherheitsmaßnahmen. Man versucht, Abstand einzuhalten. An vielen Arbeitsplätzen werden Masken getragen und man arbeitet schichtweise usw. Das einzige Großexperiment, das wir jetzt im Moment in Deutschland machen ist, das wir die Schüler zusammen in die Klassen setzen ohne Maske, und hoffen, dass es nicht zu einem erneuten Ansteigen der Neuinfektionen kommt. Davon wird es letztlich abhängen in der nächsten Zeit, denn die Großveranstaltungen sind ja schon abgesagt. Das ist in der jetzigen Lage vernünftig. Und auch bei allen anderen Dingen ist man so halbwegs auf der Bremse und will sich das erst einmal ansehen.


[0:06:11]



Camillo Schumann

:


Auf der Positivseite könnte man auch sagen: Von Superspreader-Events ist in den letzten 2 Wochen kaum noch die Rede, oder?


[0:06:2 0]



Alexander Kekulé:


Ich habe den Eindruck, dass die Menschen das verstanden haben. Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen für den Herbst, die man jetzt noch einmal wiederholen darf. Wir müssen proaktiv Superspreader-Events meines Erachtens vorhersehen. Ich glaube, dass es darauf angekommt, in welchen Situationen das ungefähr stattfindet. Ich glaube, dass dort klar ist, dass man nicht hinterher die Tests machen soll und sich dann fokussiert auf die Superspreader-Events, sondern dass man vorher analysieren muss, in welchen Situationen passiert das? Das wird ja jetzt auch derzeit im Arbeitsschutz gemacht. Ich höre auch persönlich von vielen Unternehmen, die wissen wollen, welche Situation müssen wir vermeiden, damit es nicht zu solchen Ausbrüchen kommt. Da sind wir eigentlich eine Stufe schlauer als vor drei Monaten.


Bei diesem sogenannten Smart-Konzept das A hieß immer Aufklärung aber im Grunde genommen ist die Aufklärung der Infektionsereignisse, die epidemiologische Eingrenzung eigentlich weitgehend geschehen. Inzwischen


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wissen wir, wie diese Super-SpreadingEreignisse zustande kommen. Interessanterweise ist es genauso wie beim SARS-Ausbruch 2 003. Da hatte man die gleiche Situation. Und was damals gefährlich war, ist heute auch gefährlich.


[0:07:39]



Camillo Schumann

:


Wenn ich das so heraushöre, dann professionalisiert sich so langsam das Wissen und auch die Maßnahmen gegen das Virus?


[0:07:48]



Alexander Kekulé:


So würde ich das sehen. Am Anfang gab es einzelne, die gesagt haben, das und das sollte man machen. Und wir haben in Deutschland viele verschiedene Einzelmeinungen. Und leider ist es auch so, dass unter den Fachleuten mal der eine dieses sagt und der andere jenes. Bis zum einem gewissen Grad ist das das normales Geschäfte unter Wissenschaftlern. Aber dadurch, dass das öffentlich passiert, gibt es so einen Zickzack-Kurs. Politiker sagen dann immer gerne: Die Faktenlage ändert sich jede Woche. Darum mussten wir mal so mal so entscheiden.“ Das ist natürlich nur eine Sichtweise auf die Dinge. Letztlich ist es so, dass viele Sachen, die frühzeitig relativ klar waren, sich jetzt einfach mehrheitlich durchgesetzt haben. Und dadurch gibt so eine Art Konsolidierung der Maßnahmen. Das finde ich eigentlich ganz gut. Und wenn es jetzt zum Herbst rechtzeitig stattfindet, dann haben wir in Deutschland eigentlich eine gute Chance, den ganz positiven Kurs, den wir bis jetzt hatten, beizubehalten.


[0:08:49]



Camillo Schumann

:


Mit dem angesprochenen Zickzack-Kurs und den Einzelmeinungen wären wir quasi beim nächsten Thema. Fast 10.000 Fragen haben uns bisher in den über hundert Ausgaben dieses Podcasts erreicht. Gerade wenn prominente Politiker oder Wissenschaftler im Fernsehen oder bei YouTube kontroverse Aussagen treffen, dann schreiben wir uns auch viele Podcast-Hörer und wollen eine Einordnung dieser


Aussagen von uns. Uns haben viele Mails zu den Aussagen des AfD-Politikers Björn Höcke erreicht und zu Professor Sucharit Bhakdi. Wir können ja mal mit Björn Höcke beginnen. Im MDR Thüringen-Sommerinterview hat er gesagt, dass Corona vorbei sei und begründet das folgendermaßen:


[0:09:2 9] „Also Zahlen sie ja viele im Umlauf. Und wenn man den Faktencheck macht, dann wird man erkennen, dass wir im Augenblick etwa 100.000 Testungen am Tag in Deutschland haben. 100.000 Testungen. Der Standardtest, der durchgeführt wird, hat eine falsch Positivmeldungen von etwa 2 Prozent. 2 Prozent von100.000 sind 2 .000. Wie sind die Zahlen des RKI im Augenblick? 1.000. Wir haben wahrscheinlich statistisch nur den Ausfluss von positiv falsch getesteten Menschen. Corona ist vorbei.“


[0:09:57]



Camillo Schumann

:


Gehen wir mal kurze der Reihe nach: 100.000 Tests pro Tag. Das stimmt so nicht. Es sind mehr, es sind über 140.000. Und nun die zweite Behauptung: Der Standard-PCR-Test hätte eine falsch-positiv Rate von 2 Prozent, und wir haben wahrscheinlich statistisch nur den Ausfluss von positiv getesteten, falsch positiv getesteten Menschen. Stimmt das?


[0:10:15]



Alexander Kekulé:


Grundsätzlich bin ich immer vorsichtig, Aussagen von Politikern vor allem aus dieser Couleur zu kommentieren. In dem Fall muss man es wohl machen, weil das viel wiedergegeben wurde in der Vergangenheit. Ich höre das oft: Wir haben ja so viele Falsch-Positive. Das stimmt absolut nicht. Positiv-falsch heißt ja, dass der PCR-Test falsch ist. Das heißt ja, dass Covid19 nachgewiesen wurde, wo gar kein Covid19 drinnen war. Diese Falsch-positivenRate, so der technische Ausdruck, also die Spezifität des Tests, liegt in der Größenordnung von 99,8 Prozent ungefähr. Da gibt es verschiedene Zahlen. Die eine Zahl ist die, die der Hersteller eines typischen Tests angibt. Dann


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gibt es Untersuchungen von Leuten, die sich das noch einmal unabhängig angeschaut haben. Die kommen auf 100 Prozent. Die kommen bei dieser Spezifität darauf, dass wirklich kein einziger der getesteten Fälle falsch war. Sicherlich kann man argumentieren, im Labor werden mal Proben verwechselt oder ähnliches oder jemanden macht im Labor und anderen Fehler. Da gibt es durchaus Überlegungen, dass es nie ganz 100 Prozent sein wird, auch bei den positiven. Aber das ist so verschwindend gering, dass man sagen muss: Diesen Fehler haben wir hier nicht. Und die Rechnung von Herrn Höcke ist einfach von den Daten her falsch.



Camillo Schumann

:


Die große Frage, die man sich stellt, ist nun: Diese 2 Prozent geistern ja immer wieder rum. Wie kommt man eigentlich auf diese 2 Prozent?



Alexander Kekulé:


Es ist so, dass es in den USA vor einiger Zeit einen Rückruf eines Tests gab, das ist auch in der Presse gewesen. Becton Dickinson ist einer der vielen großen Hersteller. Die haben mal drei Prozent sogar Falsch-positive gehabt. Und daraufhin hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA einen Rückruf gestartet und eine Warnung gemacht und gesagt: „Da ist eine falsche Charge quasi ausgeliefert worden. Die dürft ihr nicht verwenden.“ Ich vermute, dass daher diese Zahl kommt, dass man das so gerechnet hat. Rein wissenschaftlich gibt es keinen Grund, von 2 Prozent falsch positiven Testungen zu sprechen.


[0:12 :31]



Camillo Schumann

:


Das ist das eine. Zum einen sind die PCR-Tests nahezu hundert Prozent richtig. Auf der anderen Seite muss man ja auch für die Interpretation des Ergebnisses sagen, dass nicht nur das Ergebnis genommen wird, sondern auf viele Parameter geschaut wird.


[0:12 :46]



Alexander Kekulé:


Na gut, wir haben immer den Hintergrund, den


man sich ansehen muss. Das eine ist die Frage: Ist der Test technisch richtig, also wie groß ist seine diagnostische Spezifität? Das meint quasi wenn ich einen Patienten vor mir habe, der wirklich Covid19 hat. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich das bei ihm feststelle? Wir sagen da auch diagnostische Spezifität dazu. Und das andere ist die Frage: Beeinflusst sich das vor dem Hintergrund? Wenn ich einen Hintergrund habe, wo ganz wenig Menschen positiv sind und vor diesem Hintergrund quasi einzelne raussuchen würde, dann ist so, dass der positive Vorhersagewert höher ist als diese 0,02  Prozent Fehler, die in der Technik auftreten. Es ist aber trotzdem weit weg von den 2 Prozent. Sie haben keine falsche Vorhersage in dem Sinn, dass sie bei 2 Prozent oder sowas landen, sondern das ist deutlich drunter. Man kann sagen: Jemand, der Covid19 bei uns positiv getestet wird, der hat in der Regel das Virus auch tatsächlich am Hals. Wo man die Frage stellen muss ist eher andersherum: Wie viele von denen sind wirklich infektiös, wie viele von denen sind epidemiologisch relevant? So herum ist die Frage sinnvoll. Aber an den positiven Testungen zu zweifeln, halte ich nicht für sinnvoll.


[0:14:09]



Camillo Schumann

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Kommen wir zur einer 2 . Aussage des AfDPolitikers Björn Höcke, die nicht nur von ihm geäußert wird, aber bei ihm im MDR Thüringen -Sommerinterview.


[0:14:19] „Wer positiv durch diesen Standardtest getestet worden ist, der von der Charité entwickelt worden ist, der ist ja nicht zwangsläufig krank. Der ist vielleicht mal von einem halben Jahr mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen, vielleicht auch mit einer anderen Art von Coronavirus. Corona ist schon seit vielen Jahren jedes Frühjahr bei dem Grippevirus dabei.“


[0:14:36]



Alexander Kekulé:


Da sind ganz viele Sachen falsch. Also erstens


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muss man sagen: Der Standardtests, der jetzige, ist nicht von der Charité entwickelt worden. Vielmehr ist es so, dass inzwischen viele international übliche Tests vorhanden sind. Die Charité hat damals einen der ersten zur Verfügung gestellt weltweit, als Covid19 losgegangen ist. Zwar auch nicht der 1. weltweit, weil die Chinesen ja schon getestet haben, bevor hier natürlich Informationen rüberkamen. Das ist die Nummer 1.


Die Nummer 2  ist falsch. Denn es geht nicht darum, wer vor einem halben Jahr mal etwas durchgemacht hat. Wir sprechen hier von einer PCR, also von einem Virusnachweis und der Virusnachweis, von einem Rachenabstrich oder vom Nasen-Rachen-Abstrich. Das bedeutet, dass jetzt aktuell das Virus vorhanden ist. Und keiner scheidet das Virus sechs Monate, als ein halbes Jahr lang aus. Also das passt irgendwie nicht zusammen. Das hat er mit dem Antikörpertest verwechselt, mit dem direkt eine Antikörper-Test mit dem InfektiösitätsNachweis.


Womit er natürlich recht hat, ist der positiv Covid19-Test. Wer da positiv ist, muss deswegen erstens nicht infektiös sein. Das ist eine Frage, wo wir wissenschaftlichen ein Fragezeichen haben. Das wissen wir nicht. Genau das wird seit vielen Monaten weltweit diskutiert. Und natürlich ist es so, dass wir wissen, dass die nicht unbedingt krank sind. Also die aktuellen Schätzungen sehen so aus, dass von denen, die infiziert werden, allerhöchstens die Hälfte Symptome haben. Eher ein Drittel oder ein Viertel.


[0:16:14]



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz stand von Anfang an fest: Jemand, der positiv auf das Coronavirus getestet wird, ist nicht gleich ein Fall, hat nicht leicht Symptome und muss ins Krankenhaus. Sondern es ist der einzig und allein erst einmal nur der Virus nachgewiesen worden und nichts anderes. Deswegen ist er die Verbindung: positives Ergebnis = krank nie gemacht worden.


[0:16:35]



Alexander Kekulé:


Fachleute zumindest haben das nicht gemacht.


Kann schon sein, dass es in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Aber was mir das wichtigste Statement ist, ist eigentlich, dass die anderen Coronaviren mitnachgewiesen werden. Das erinnert mich an die Frühzeiten. Wir haben auch mal über die Aussagen von Herrn Wodarg gesprochen, der aus Griechenland YouTubes aufgenommen hat, die viel geklickt wurden. Der hat auch schon gesagt, es sei so, dass diese Covid19-Tests andere Coronaviren nachweisen würden. Da muss man einfach sagen: Da haben wir technisch keinen Hinweis darauf. Das wird immer wieder überprüft. Die Labore müssen regelmäßig sogenannte externe Qualitätskontrollen machen. Da kriegen die so ein paar Röhrchen zugeschickt, wo sie nicht wissen, was drin ist. Und in einigen dieser Röhrchen sind immer andere Coronaviren, damit es ein bisschen schwieriger ist mit drinnen. Und wenn da auffallen würde, dass die Labore andere als diese normalen Coronaviren aus Versehen als Covid19 diagnostizieren, dann würden zumindest in Europa sofort die Alarmglocken läuten. Das heißt also, dieses Gerücht, dass in diesen Tests auch die anderen Coronaviren nachgewiesen werden würden, ist absoluter Unsinn.


[0:17:50]:



Camillo Schumann

:


Die Aussagen von Björn Höcke sind also hier im Faktencheck im Podcast durchgefallen. Kommen wir zu den aktuellen Aussagen eines Kollegen von Ihnen. Dazu haben wir auch viele Zuschriften erhalten. Professor Sucharit Bhakdi, ehemaliger Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Uniklinikum Mainz. Er macht auch Videos bei YouTube. Die werden 100.000-fach geklickt. Am Anfang des Podcasts hatten wir auch schon mal einige Aussagen von ihm besprochen. Aktuell ist ein Video von ihm zu sehen mit dem Titel „Das beste Covid19-Aufklärungsvideo“. Und darin erklärt er unter anderem sehr detailliert eine Tübinger Studie, die Blutproben verglichen hat. Und er kommt, nachdem er diese Studie erklärt hat, zu folgender Schlussfolgerung:


[0:18:36] „Das heißt, wahrscheinlich aufgrund der TCLKreuzimmunität, denn es gibt nichts anderes,


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was das erklären würde, sind bereits ungefähr 85 Prozent der Bevölkerung bereits ausreichend geschützt. Auch das muss man realisieren. Das ist die Herdenimmunität, denn Immunität heißt nicht, nicht infiziert werden. Immunität heißt, gefeit sein gegen die Krankheit, die schwere Erkrankung, das muss man sich wirklich überlegen.“


[0:19:03]



Camillo Schumann

:


Herr Kekulé, Sie kennen die Studie. Haben wir das Ziel Herdenimmunität schon erreicht?



Alexander Kekulé:


Den Herrn Bhakdi kenne ich schon lange, das ist ein geschätzter Kollege, ein sehr kultivierter Mikrobiologe. Nicht alle sind so kultiviert wie er in der Zunft. Deshalb will ich persönlich nichts auf ihn kommen lassen. Ich weiß, dass er besorgt ist. Das einmal vorweg. Das ist fast schon unzulässig, den sozusagen in der gleichen Sendung wie den Herrn Höcke zu besprechen. Er bezieht sich auf eine Studie von Herrn Rammensee aus Tübingen. Rammensee ist einer der Top-Immunologen in Deutschland. Der hat jetzt noch mal detaillierter das nachgewiesen, was wir das eine oder andere Mal schon besprochen haben: dass Menschen, die keinen Kontakt mit Covid19 hatten und die keine Antikörper gegen Covid-19 haben, also gegen Sars-CoV-2  haben, dass die scheinbar trotzdem eine Immunität haben oder eine Teilimmunität haben durch reagierende TZellen. Diese zelluläre Immunität spielt oft eine Rolle bei der Virusabwehr, auch bei der Abwehr von Bakterien. Aber anders als bei Antikörpern, steckt die Erforschung hier noch in den Kinderschuhen, die Methoden, mit denen man das detailliert nachweisen kann. Dabei ist herausgekommen, dass bis zu 80 Prozent der Menschen, die noch nie Kontakt zu Sars-CoV-2  hatten, tatsächlich reagierende kreuzreagierende T-Zellen haben. Der Schluss, den glaube ich ja Bhakti und auch viele andere gemacht haben, ist, dass man dann sagen kann: dann sind 80 Prozent immun und nur 2 0 Prozent empfänglich. Das erklärt vielleicht auch, warum nur so wenige schwerkrank werden. Der Schluss ist aber viel zu kurz. So kurz kann man den Schluss nicht machen. Immunologisch


ist es so bei diesen T-Zellen: Wenn man nachweist, dass die reagieren, diese T-ZellenReaktivität, geschieht das so: Man nimmt einfach die T-Zellen des Patienten, gibt da Bestandteile von Sars-CoV-2 -Virus drauf, also kleine Bausteine des Virus. Die hat man künstlich hergestellt. Dann guckt man, ob diese TZellen wie ein Wachhund anschlagen und bellen. Das merkt daran, dass sie ein in eine Substanz freisetzende Interferon Gama heißt, und das misst man dann einfach. Und wenn es freigesetzt wird, ist die T-Zelle aktiviert.


Für eine echte Immunität braucht man aber viel mehr als das. Da kommt es 1. auf die quantitative Aktivierung an. 2 . gibt es verschiedene Sorten von T-Zellen. Also nur ein Stichwort: Es gibt die sogenannten Killerzellen, die toxischen T-Zellen; und es gibt Helferzellen, die dann wieder etwas zu tun haben, auch mit den Antikörper-Produkt. Es gibt also verschiedene Sorten. Und dann ist auch so, dass jede einzelne TZelle anders ist. Und es kommt immer darauf an habe ich nur eine Sorte, eine ganz spezielle Art von T-Zellen aktiviert, oder ist es eine breite Antwort. Man kann sich das so vorstellen, als wenn in einer Armee nur eine Sorte von Soldaten ist, die alle genau das Gleiche haben, z.B. ein Gewehr mit Bajonett. Und aber um ein Virus zu bekämpfen, braucht man verschiedene Waffengattungen. Da brauchen sie Panzer plus Marine und so weiter. Und diese verschiedenen Arten von T-Zellen, die alle gegen das gleiche Virus gehen, das sieht man nur bei denjenigen, die eine echte Covid19-Infektion durchgemacht haben und nicht bei denen, die wahrscheinlich durch andere zirkulierende Coronaviren so eine Art Reaktivität bekommen haben. Sodass man also keine Abkürzung nehmen kann, dann zu sagen, alle diejenigen, wo die T-Zellen reagieren, sind auch wirklich immun oder auch nur teilimmun gegen Covid19.



Camillo Schumann

:


Das heißt, zu sagen, alle diejenigen, bei denen die T-Zellen reagieren, sind auch wirklich immun oder auch nur teilimmun gegen Covid19, reicht nicht aus, um eine Gesamtaussage darüber zu treffen, ob man dann tatsächlich immun ist.


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Alexander Kekulé:


Das wäre ungefähr so, als wenn Sie analysieren wollen, ob der FC Bayern das nächste Spiel gewinnt. Und sie würden sagen ja, da spielt dieser Fußballer, etwa Manuel Neuer ist im Tor. Deshalb gewinnen die das nächste Spiel. Aber die anderen zehn Spieler auf dem Platz haben sie nicht interessiert, und das ist eben verkürzt. Sie brauchen viele verschiedene Spieler auf dem Platz, die verschiedene Fähigkeiten haben. Ich sehe schon, dass Fußballer-Beispiel kommt bei Ihnen besser an als das militärische. Sie brauchen verschiedene Disziplinen, die zusammenwirken. Und da sind wir bei den TZellen einfach wissenschaftlich noch nicht so weit, dass wir das so gut erklären können.


Das ist ein super interessantes, komplexes Thema. Aber ich würde mal sagen, Herr Bhakti hat einen interessanten Gedanken gehabt: Er hat es nur in seiner Schlussfolgerung etwas zu einfach gemacht.



Camillo Schumann

:


Zur Gretchenfrage: Auf die Frage, wie gefährlich Sars-CoV-2  eigentlich ist, hat Professor Bhakti ebenfalls eine Antwort. Wir hören mal rein:


[0:2 4:13] „Ungefähr 100 bis 150 Menschen über 80 Jahre pro 10.000. Menschen sterben an Atemwegsinfektionen in Deutschland jedes Jahr. Dieses Jahr hat sich Covid19 an 10 beteiligt. Das ist eine Beteiligung, die in der Größenordnung ist wie jedes Grippevirus, wie andere Viren wie Adenoviren und sogar normale Rhinovieren. Das ist der Grund, weswegen wir immer wieder gesagt haben: Covid19 oder Sars-CoV-2  ist nachgewiesenermaßen nicht gefährlicher als eine saisonale Grippe oder als eine mittelschwere Grippe.“


[0:2 4:55]



Camillo Schumann

:


Was ich mich jetzt gefragt habe: Professor Bhakti spricht von diesem Jahr. Aber das ist ja noch nicht vorbei. Der Herbst mit möglicherweise vielen Infizierten und auch mehr Toten, kommt er erst noch. Oder meint er diese Saison? Aber gibt es überhaupt eine Sars-CoV-2  Saison? Wie bewerten Sie diese Aussage?


[0:2 5:10]



Alexander Kekulé:


Das kann ich zeitlich nicht so genau zuordnen. Ich schätze, er hat einfach die Zahlen, die vom Robert-Koch-Institut publiziert sind, genommen.


Insgesamt muss ich sagen: In diesem Video heißt es an einer Stelle, dass die Wahrscheinlichkeit, wenn man unter 65 ist, zu sterben, ist nur 1:2 0.000. Diese ganzen Daten sind epidemiologisch nicht nachvollziehbar. Ich wäre dafür, dass das Robert-Koch-Institut mal vorrechnet und sagt: Schaut mal her, so und so sind die Zahlen. Deshalb stimmt es nicht, was euch andere Leute sagen. Oder sie müssten zumindest andere Zahlen bringen. Aber keiner zählt ja in Deutschland oder sonst wo auf der Welt selber nach. Die Zahlen sind ja immer von den Gesundheitsbehörden. Und wenn man die Zahlen der Gesundheitsbehörden nimmt, etwa die vom RKI, um konkret mal gegenzurechnen, haben wir in Deutschland 2 43.599 offizielle Covid19-Fälle. Das sind im Wesentlichen Leute, die positiv getestet wurden, und 9.302  Tote. Da kommt man auf 3,82  Prozent, sozusagen rohe Sterblichkeitsquote. Ich werde das jetzt nicht Letalität nennen, aber das ist so diese hohe Quote. Die hat natürlich viele Fehler, über die wir schon gesprochen haben.


Das Interessante ist jetzt: Ab 65 gibt das RKI für Deutschland gar keine Zahlen raus. Und ich wüsste auch im Ausland nicht, wo das ab 65 gemacht wird, weil die meisten das in Zehnerschritten machen. Ich muss jetzt sagen ich weiß nicht genau, wie Herr Bhakti da gerechnet hat. Aber wenn wir einfach mal die Zahlen ab 70 anschauen, die sind in Deutschland publiziert -, dann ist es schon interessant und bemerkenswert, dass die über 60-Jährigen zwar nur 15 Prozent der Covid-Fälle sind, aber 85 Prozent der Todesfälle haben. Das ist schon relevant, um dann kommt man, wenn man das einfach teilt, kommt man ungefähr auf 2 1 Prozent Sterblichkeit. Dass es echt krass für die über 70-Jährigen ist, natürlich mit tausend Fragezeichen dran. Das heißt nicht, dass jeder einzelne dieses Risiko hat, sondern dass ist dieser Quotient, der auch fehlerbehaftet ist.


Aber wenn man das Gleiche rechnet für die unter 70, dann wäre die Sterblichkeit 0,7 Prozent. Das sind die deutschen Zahlen. Und das


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passt ziemlich genau zu dem, was überall auf der Welt publiziert wird: Wenn man die ganz Alten rausnimmt, die ein hohes Risiko haben, kommt man auf 0,5 bis 0,7 Prozent Sterblichkeit.


Wenn man jetzt auch noch für Deutschland die Personen, die unter 2 0 sind, rausnimmt, die machen ungefähr zehn Prozent aller Infizierten aus, also eine Menge. Aber die haben ja praktisch nie Todesfälle. Da gab es in Deutschland insgesamt bisher drei gemeldete Todesfälle, übrigens alle mit weiteren Grunderkrankungen. Und wenn man die rausrechnet und nur die 2 0-bis 70-Jährigen anschaut, dann kommt man so auf fast 0,8 Prozent rein rohe Letalitätsquote.


Das heißt also, man ist im Bereich von 0,8 Prozent, also noch deutlich über dem, was Herr Bhakti ausgerechnet hat, und weit über dem, was die normale Influenza macht. Sodass ich jetzt nicht genau weiß, wie er auf diese Zahl kommt.


Dann müsste man eine sehr große Dunkelziffer an unbekannten Infektionen annehmen, um sich das hinzurechnen. Aber diese Dunkelziffer, da können wir schätzen, was wir wollen. Die meisten Leuten Leute sagen, der Faktor ist fünf vielleicht auch zehn. Aber um auf die Zahlen von Herrn Bhakti zu kommen, müssen sie mit einem 100-fachen der Dunkelziffer rechnen.





Camillo Schumann

:


Noch mal ein großes Fragezeichen an die Zahlen. Wo hat Professor Bhakti seine Zahlen her?





Alexander Kekulé:


Es gibt weltweit Leute, die die offiziellen Zahlen in Frage stellen. Der Champion ist John Ioannidis. Er ist ein halb Grieche, halb Amerikaner. Er lehrt in Stanford an einer renommierten Universität und schreibt populärwissenschaftliche Bücher. 




Er publiziert schon seit Monaten in den USA eine Studie nach der anderen, wo er so ähnliche Zahlen wie diese 1:2 0.000 herrechnet. 




Das heißt, sich auf den zu berufen, ist relativ riskant. Aber der hat auch solche Zahlen. Ich nehme an, dass Herr Bhakti bei Ioannidis nachgeguckt hat, wenn er so was schätzt.


Aktuell auf die Gefahr hin, dass die nächste Studie vom Ioannidis auch wieder in den Corona-Kritiker-Kreisen diskutiert werden will, aktuell hat er eine Studie, 


[0:31:45]



Camillo Schumann

:




Jetzt haben wir über Aussagen des Politikers Björn Höcke und ihres Kollegen Professor Bhakti gesprochen. Auch wenn sie darauf hingewiesen haben, dass man die eigentlich nicht


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in einem Atemzug so nennen kann. Aber wir haben ja Hörerfragen beantwortet, beziehungsweise wurden aufgefordert, mal ein bisschen was dazu zu sagen, das Ganze einzuordnen.


Was glauben Sie so grundsätzlich, warum es so einen offenkundigen Widerspruch der einzelnen Meinungen gibt? Hat die Wissenschaft, hat die Politik im Laufe der Pandemie oder am Anfang Fehler gemacht, nicht richtig kommuniziert? Was meinen Sie? Ist es normal?




[0:32 :17]



Alexander Kekulé:


Ja, ja und nein. Vielleicht noch eines zu John Ioannidis zum Abschluss dazu: Es ist so, 




Ja, warum ist das so? Warum wird das so unterschiedlich diskutiert? Wir haben in der Wissenschaft oft Leute, die sagen nein, das stimmt nicht, was ihr da sagt. Auch bei Kongressen kenne ich das, dass es immer irgendeinen gibt, der aufsteht und sagt: Ich glaube das nicht. Und klar, die werden dann zum Teil belächelt. Zum Teil diskutiert man höflich ihre Argumente. Und ich bin ganz sicher, dass einige von denen sich dann durchsetzen und zu einem Paradigmenwechsel in der Wissenschaft beitragen. Denn nur wenn man Leute hat, die mutig sind und sagen: Mainstream, ich glaub euch nicht, dann ändert sich was in der Forschung. Das heißt, dass müssen nicht die Schlechtesten seien die, die am Anfang vielleicht ein bisschen wie Spinner aussehen. Dieser normale Prozess wird in dem Moment schwierig, wenn die Wissenschaft mit runtergelassenen Hosen zuguckt und die ganze Zeit diskutiert. Weil uns ständig Zuschauer bei dem, was wir machen, zuschauen. Das haben wir durch diese Preprint insbesondere also dadurch, dass Veröffentlichungen vorab rausgegeben werden und leider dann auch manche Kollegen einen riesen Pressewirbel mit ihren Preprints machen. Und weil sie wollen, dass diese Daten im politischen Raum diskutiert werden, führt das dazu, dass die Politiker, die verzweifelt auf der Suche nach Argumenten


sind, die Rosinen rauspicken, um ihre eigene Argumentation am besten voranzutreiben. Das heißt, ich glaube, wir haben speziell in Europa den Fehler gemacht, dass die Politik einzelne Wissenschaftsmeinungen immer als Begründung für ihr Handeln genommen hat. Und man hätte sicher besser daran getan, wenn man von Anfang an so ein ganzes Gremium genommen hätte, einen runden Tisch ohne Publikum, aber mit Fachleuten. Meine Erfahrung ist, dass man so zu Lösungen kommt.


Ich würde jemanden wie Herrn Bhakti zum Beispiel an den runden Tisch mit dransetzen. Das tut doch nicht weh, wenn da einer Kontra geben kann, im Gegenteil. Und die anderen prüfen mal, wie solide ihre Argumentation ist. Das muss man aber eben intern machen. Und dann muss die Politik sagen: Okay, wir haben uns das angehört. Und auf dieser Basis treffen wir jetzt eine Entscheidung.


Wenn stattdessen der Bundesgesundheitsminister gestern im Fernsehen wieder gesagt hat: Ja, es ändert sich ständig die Lage, und wir müssen ständig nach der Lage neu entscheiden, dann glaube ich, dass viele Bürger irgendwann nicht mehr mitgenommen werden. Es muss so sein, dass die Menschen wirklich verstehen, welches Ziel die Politik verfolgt und warum sie es macht und auch einen Plan dahinter erkennen.


Das ist für einen Virologen nicht so schwierig. Aber ich glaube damit, dass es wirklich jeder versteht, dafür muss man die Menschen mitnehmen. Und immer, wenn man das nicht macht – hier natürlich auch der Eile der ganzen Situation geschuldet, es muss schnell, schnell gehen. Und wenn man dann vergisst, den Menschen zu erklären, was die Strategie dahinter ist und immer nur sagt: Wir fahren auf Sicht, wir haben keine richtige Strategie. Dann glaube ich, dann springen einem die Leute von der Stange. Und das sind dann die, die man bei solchen Demos wie am Wochenende sieht.


[0:36:10]



Camillo Schumann

:


Soweit also die Einordnung der kritischen Stimmen, der unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkte und wie man das Ganze vielleicht hätte auch ein bisschen besser machen können, möglicherweise dann auch meh-


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rere Meinungen zusammenfassen können hätte, besser miteinander kommunizieren hätte können. Herr Kekulé, dieser Podcast wird auch gehört, weil wir regelmäßig über Studien sprechen. Wir haben gerade eben über Todeszahlen gesprochen. Damit Menschen vor dem Tod gerettet werden können, weiß man auch, dass Blutverdünner eine große Hilfe sein können, weil viele Menschen, die schwere Verläufe haben, ja zu Thrombosen neigen. Und nun haben US-Mediziner nachgewiesen, wie stark sich die Gabe von Blutverdünnern auf die Todesrate auswirkt. Die Hälfte der Todesfälle kann verhindert werden. Das ist doch eine gute Nachricht, oder?


[0:37:01]



Alexander Kekulé:


Ja, das ist eine aktuelle Studie des am 2 6. August erschienen vom Mount Sinai Hospital in New York. Das war nur ein Krankenhaus. Inzwischen gibt es ganz viele, die zu dieser Gruppe gehören. Und die haben von diesen Krankenhäusern zusammengefasst insgesamt 4.389 Patientenakten mit Covid 19-Patienten analysiert. Da ist man als Wissenschaftler fast neidisch, dass die so viele Fälle hatten, natürlich in Anführungszeichen. Das ist ja ein Drama gewesen in New York. Das waren diese schlimmen Monate März und April.


Da haben die von der Mount Sinai Gruppe die Daten analysiert. Da haben viele diese Blutverdünner bekommen, weil man vermutet hat, das könnte was bringen. Vielleicht kennt man Heparin zum Beispiel. Das ist so ein Klassiker. Heparin und ähnliche Substanzen werden in die Bauchdecke gespritzt werden mit einem ganz kleinen Piks jeden Tag einmal bei Leuten, die im Krankenhaus sind. Oder man kann so etwas Ähnliches in höherer Dosierung machen. Dann sprechen wir von der therapeutischen Blutverdünnung, die dann sozusagen vollverdünntes Blut hat, beispielsweise bei Leuten mit Herzklappenfehlern. Das Interessante ist hier, das es eigentlich egal ist, aus welchem Grund und mit welchem Medikament man diese Blutverdünnung macht. Die haben sechs verschiedene Therapie-Schemata miteinander verglichen. Alle bringen einen deutlichen Effekt, wie sie es richtig gesagt haben bei der Überlebens-


chance. 50 Prozent überleben. Da würde sich Remdesivir gerne eine Scheibe abschneiden. Und es ist auch so, dass ein Drittel weniger beatmet werden musste, also maschinell beatmet werden musste. Das zeigt, dass diese Thromben, dieses Verklumpen von Blut bei Covid 19-Erkrankungen einen erheblichen Effekt hat. Und bei den Menschen, die daran sterben, damit zu tun hat, dass sie gestorben sind.



Camillo Schumann

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Dann werden jetzt ganz viele Hörer dieses Podcasts zum Apothekerschränkchen gehen und sich den allgemeinen Blutverdünner aus der Apotheke gleich mal einschmeißen, weil sie denken, dann kann nichts passieren. Das ist aber Quatsch, oder?



Alexander Kekulé:


Das wäre nicht zu empfehlen. Klar, da hat man Aspirin, das gibt man niedrig dosiert, das darf man. Darf man schon. Das ist ein Allerweltsmedikament, das würde ich nicht empfehlen. 1. weil das auch Nebenwirkungen hat. Da sind sogar die Nebenwirkungen aktuell wieder stärker in der Diskussion bei diesem niedrig dosierten Aspirin. Hier wird es völlig reichen, wenn man das zu dem Zeitpunkt gibt, wo die Covid 19-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt, weil diese Blutverdünner schlagartig wirken. Die wirken schnell. Und es ist nicht sinnvoll da ja immer noch wenige Menschen das bekommen wenn sich gesunde prophylaktisch mit behandeln.


Was ich ganz interessant fand, ist: Die haben einen Teil der Patienten, nur 2 6, haben sie in New York eine Sektion analysiert. Und da ist es so, dass elf von 2 6 vorher nicht bemerkte Thrombosen hatten. Das war ein Patient, der gestorben ist an Covid19. Und dann hat man gesehen: Elf von 2 6 hatten vorher klinisch überhaupt nicht bemerkte Verstopfungen der Blutgefäße in der Lunge, im Herz oder sogar im Gehirn gehabt. Das heißt, das scheint ein wichtiges Phänomen zu sein. Und die, die da jetzt verunsichert sind, denen kann man dazu sagen: Das wissen wir schon lange. Nicht nur die Podcast-Hörer wissen das seit Monaten, sondern seit Ende Juni ist es auch in den Empfehlungen der Intensivmediziner in Deutschland.


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Da gibt es so Leitlinien von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Die heißt dann AWMFLeitlinie. Und da steht seit Ende Juni drin, dass man diese Mittel geben soll bei den Intensivpatienten.



Camillo Schumann

:


Aber das Neue ist ja hier, wie viele Menschen man retten kann oder retten konnte?



Alexander Kekulé:


Ja, genau. Aus der Probe aus New York konnte man das so nachweisen. Ich glaube, dass das jetzt gar nicht mehr möglich wäre, es ohne Studie zu machen. Das war März/April, am Anfang, da haben 35 Prozent in der Studie keine Blutverdünner bekommen, auch von den Schwerkranken. Da würde man die Frage stellen, warum, denn im April zum Beispiel war das ja schon ziemlich deutlich, dass diese Thrombose eine Rolle spielen. Warum haben 35 Prozent keine Blutverdünner kriegt? Und die gleiche Frage würde sich jetzt so stark stellen, dass man die Studie nicht mehr machen könnte. Das wäre fast schon ein Kunstfehler, wenn sie nämlich schwerkranken Covid 19-Patienten in Blutverdünner vorenthalten.


[0:41:51]



Camillo Schumann

:


Das ist auch Teil einer Antwort, warum zwar die Zahl der Infektionen nach oben geht, aber die Zahl der schweren Verläufe und die Todesfälle relativ niedrig sind. Wir haben von Professionalisierung des Wissens und der Maßnahmen gesprochen. Das ist es ein Teil davon.


[0:42 :08]



Alexander Kekulé:


Ich glaube, das ist der wichtigste Teil: Dass die intensivmedizinische Behandlung, zum Beispiel die Frage, wann fängt man an, Sauerstoff zu geben, wann fängt man an zu intubieren? Da hat man früher andere Vorstellungen gehabt. Da dachte man, man muss möglichst früh mit der Atmung anfangen, um die Leute zu retten. Heute ist man davon abgekommen, weil man sieht, dass die autoimmune Antwort unter


Umständen stimulieren kann, wenn man da zu viel Sauerstoff ins System bläst. Die Frage, wann gibt man die Blutverdünner, die Frage, zu welchem Zeitpunkt ist es sicher, ist es sinnvoll, eine Immunsuppression zu machen, also eine Unterdrückung des Immunsystems mit Cortison, mit Dexamethason als Beispiel, sind ja auch ganz klar positive Resultate zu dem Thema. Bis zur Frage: Wann ist es sinnvoll, Interferon zu geben? Also ein Medikament, was die frühe Immunantwort anschiebt. Und da weiß man inzwischen schon. Es ist ein bisschen Stochern im Nebel. Aber letztlich weiß man, wenn man früh Interferon gibt, dass es von Vorteil ist, weil am Anfang des Infektionsgeschehens das Virus in der Lage ist, diese angeborene Immunantwort zu unterdrücken. Das kann man unter Umständen, wenn man ganz früh Interferon gibt, ausschalten. Und später ist es dann sinnvoll, Dexamethason zu geben, also die Immunantwort insgesamt zu besänftigen. Wenn die Menschen in diesen Zytokinsturm reinrutschen. Bis hin zu der Frage, wie beatmet man konkret, also diese Bauchlage, über die wir schon mal gesprochen haben. Man bringt offensichtlich das ganze Portfolio zusammen.


Ich würde sagen, es gibt noch keine guten Daten darüber. Aber ich würde sagen, insgesamt wird die Intensivmedizin wahrscheinlich weit mehr als 50 Prozent der Patienten retten. Im Vergleich zum Anfang, wo man noch gar nicht wusste, was man machen soll.


[0:43:49] 

Camillo Schumann

: Das sind die guten Nachrichten. Wir kommen zu den Hörerfragen. Frau G. aus Hamburg hatte angerufen:


„Ich lebe allein und lasse seit einem halben Jahr niemanden mehr in meine Wohnung. Nun kommt der Heizungsmonteur zwecks Wartung. Kann ich von ihm verlangen, dass er eine Maske bei der Arbeit trägt? Er ist 30-45 Minuten in meiner Wohnung. Wenn ich dann alle Fenster während dieser Zeit offen habe, wie lange muss ich dann hinterher noch lüften, bis alle Aerosole aus der Wohnung sind? Und ich habe


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Fliegengitter an allen Fenstern. Behindern die die Lüftung?“


[0:44:30] Die Frau Glüß ist sehr besorgt. Was kann man ihr mit auf den Weg geben?



Alexander Kekulé:


Das sind ja mehrere Fragen. Das eine kann ich nicht beantworten. Ob man den Monteur quasi anweisen kann, eine Maske zu tragen? Ich würde, wenn ich so beunruhigt wäre, ihn einfach bitten, eine Maske zu tragen. Im Zweifelsfall machte er das, wenn man ihm eine frische Maske hinhält und freundlich bittet. Das Zwischenmenschliche sollte eigentlich immer noch funktionieren. Klar ist es rein theoretisch besser und ist vor allem natürlich psychologisch ganz gut, wenn man sich da verunsichert fühlt. Auch das zweite ist sinnvoll. Lüftung ist auf jeden Fall sinnvoll. Man weiß, dass diese Stoßlüftung länger erfolgen müssen, als man so denkt, denn wenn ich einfach nur das Fenster aufmache und draußen ist die Luft kalt, dann gibt es ja gerade im Winter, wenn man geheizt hat, diesen Effekt: Man macht das Fenster auf, und nach 2 Minuten fängt man schon an zu frieren, weil die kalte Luft hineinschwallt. Und dann denkt man jetzt, ist gut gelüftet, das mache ich wieder zu. Das ist ein Irrtum. Das weiß man schon lange, dass man die sogenannte Stoßlüftung länger machen muss. Wirklich so lange, bis eben der ganze Raum einmal das Luftvolumen ausgetauscht hat. Ich sage mal so als Hausnummer: Bei halbwegs vernünftigen Fenstern ist zehn Minuten eine gute Zahl. Klar, wenn, wenn draußen eine steife Brise pfeift, da im Norden Deutschlands, dann wird es wahrscheinlich nach einer Minute schon durchgelüftet sein. Und wenn es absolut windstill ist an einem stickigen Sommertag, dann dauert es vielleicht 15 Minuten. Aber so in der Dimension ist es.


Ich muss jetzt zugeben, bei den Fliegengittern muss ich ehrlich gesagt passen. Da weiß ich nicht genau, welchen Einfluss die haben. Im Zweifelsfall ein bisschen länger lüften, falls kein starker Wind draußen ist. Und insgesamt stelle ich mir noch die Frage: Wenn sie Angst davor hat: Wenn der Heizungsmonteur durch ist, könnte sie natürlich mal einkaufen gehen und


dann auf diese Weise einfach den gefährlichen Ort eine Weile meiden.



Camillo Schumann

:


Und ein bisschen desinfizieren.



Alexander Kekulé:


Nein, das mit dem Desinfizieren finde ich persönlich übertrieben, vor allem wenn er nur an den Heizungen herumschraubt. Etwas anders wäre es, wenn er bei ihrem Küchentisch sitzt und noch was zum Mittagessen kriegt. Dann als Gegenleistung dafür, dass er vorher die Maske getragen hat. Also in so einem Fall würde man desinfizieren. Aber wenn jemand nur als Monteurstätigkeiten macht, ist das nicht nötig.


[0:46:58]



Camillo Schumann

:


Derr Herr T. aus dem wunderschönen Quedlinburg in Sachsen-Anhalt hat geschrieben: „Warum ist das Infektionsgeschehen des neuartigen Coronavirus in den neuen Bundesländern noch immer so sehr viel geringer als in den alten Bundesländern? Ich erinnere mich, dass gesagt wurde, im Laufe der Pandemie werden sich die Zahlen angleichen. Jetzt, wo die Ferienreisewelle dem Ende zugeht, ist der Trend aber immer noch für uns zum Glück sehr eindeutig, für mich inzwischen aber nicht mehr zu erklären. Im Scherz sagen wir auf Arbeit: Wer weiß, womit und wogegen die uns im Osten alles geimpft haben.“


[0:47:2 7]



Alexander Kekulé:


An der Impfung, liegt es, glaube ich, nicht. Im Osten ist zum Teil konsequenter geimpft worden als im Westen. Nein. Ich glaube, dass das ein Zeitfenster-Phänomen ist. Es gibt viele, die es zuerst erwischt. Die erwischt es am schlimmsten. Und die, die schon gesehen haben, wie es jemand anders erwischt hat, haben entweder aktiv durch die Politik oder mehr intuitiv durch die Bürger selbst Schutzmaßnahmen ergriffen.


Und in Deutschland ist es so: Wir haben die Infektionszahlen relativ schnell runtergebracht. Und jetzt ist es für das Virus nicht so einfach,


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wenn alle Abstand halten und viele Masken auf haben, sich vernünftig wieder auszubreiten. Und insofern kommt es im Osten der Republik nicht so richtig an. Ich sage das deshalb so deutlich, weil da schon eine kleine Nachlässigkeit genügen könnte, um in einem der neuen Bundesländer einen richtig massiven Ausbruch zu haben. Und deshalb sollte man es schätzen, das ist jetzt ein Gottesgeschenk, dass wir hier in einer besseren Startposition sind. Das wollen wir aber nicht verschenken.


[0:48:42 ]



Camillo Schumann

:


Herr T. schreibt auch, durch das Pendeln zwischen Osten und Westen scheint wenig Infektionen eingeschleppt zu werden. Das kann er sich nicht so richtig erklären.


[0:48:54]



Alexander Kekulé:


Das hängt eben damit zusammen, dass wir alle insgesamt vorsichtiger sind. Auch wenn da jemand hinund he pendelt. Er geht ja in eine Region, wo es wenig Ausbrüche gibt. Er wird ja nicht in einer Fleischfabrik im Westen zu arbeiten. Wenn jetzt viele Menschen aus den neuen Bundesländern pendeln würden in diese Urlaubshochburgen, wo abends in abgeschlossenen Räumen richtig Disco gefeiert wird und wo diese massiven Ausbrüche stattfinden, dann gäbe es auch Ausbrüche in den neuen Bundesländern. Aber das war ja schon am Anfang so. Die Bayern hat es erwischt, weil die Bayern so gerne in Österreich und in Südtirol Skifahren gehen. Und die Hamburger hat es erwischt, weil die auch erstaunlich viel in diesen Regionen Skifahren gegangen sind. Irgendwie scheint es da eine Affinität zu geben. Aber die Statistik hat eben gesagt, dass es aus den neuen Bundesländern wenig Menschen gab, die dort Urlaub gemacht haben. Die haben die Mitteldeutschen Mittelgebirge eher als Skigebiete. Deshalb glaube ich, dass das von so kleinen Zufällen letztlich abhängt, wo und ob ein Ausbruch stattfindet oder nicht.


[0:50:08]



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe #102 . Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Gerne, bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 9.08.2 02 0 #101: SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



1. Sollten Hunde im Bus eine Maske tragen? 2 . Wie kann man eine kaputte Maske sicher selbst reparieren? 3. Welche Nebenwirkungen eines möglichen Impfstoffs wären denkbar? 4. Und die Wurstfrage mal anders.


Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr L. hat eine Frage zu Hunden.


„Das Amt für Landund Forstwirtschaft in Louisiana hat am Anfang August die Infektion eines Hundes mit SARS-CoV-2  bekannt gegeben. Inwieweit erachten sie daraufhin eine Maskenpflicht für Hunde in öffentlichen Verkehrsmitteln als sinnvoll? Ich freue mich auf Ihre Antwort.“



Alexander Kekulé


Spontan hätte ich jetzt gesagt, nur beim kleinen Hund; beim großen hätte ich Angst, ihm die aufzuziehen.



Camillo Schumann



Das muss ja das Herrchen dann machen. Das müssen ja nicht Sie machen.


[0:01:10]



Alexander Kekulé


Es wäre natürlich total übertrieben, also eine Maske für einen Hund. Ja, es kann sein, dass Hunde auch infektiös sind. Das ist theoretisch nicht auszuschließen. Wir wissen inzwischen, dass SARS-CoV-2  auch Hunde und übrigens auch Katze infizieren kann – im Prinzip. Wir haben aber nicht den geringsten Hinweis, dass das irgendwie im Zusammenhang mit der Pandemie eine Rolle spielt. Deshalb würde ich sagen, sollten wir uns lieber auf die menschlichen Maskenträger konzentrieren, auch auf die, die im Bus die Maske nicht aufhaben, obwohl es vielleicht vorgeschrieben ist und die Hunde erst mal in Ruhe lassen. Die kommen dann, wenn wir die letzten drei Fälle in Deutschland auch noch ausmerzen wollen.


[0:01:50]



Camillo Schumann



Wir wissen ja, dass Singen und vor allem lautes Sprechen und vielleicht sogar rumschreien auch dafür sorgt, dass die Viruskonzentration wesentlich höher ist. Wenn jetzt so ein Hund, da gibt es welche, die gern mal rumbellen, die ganze Zeit kläffen, die könnte man theoretisch mit einer Maske versehen, oder?


[0:02 :12 ]



Alexander Kekulé


Das wird nicht funktionieren, von der Atmung her. Der Hund wird das nicht zulassen, selbst der normale Maulkorb, den nehmen nicht alle Hunde an. Bei so einem richtigen Kläffer, würde ich mal sagen, auf dem Dach vielleicht mitfahren lassen.


[0:02 :2 4]



Camillo Schumann



Frau R. aus Oberösterreich, aus Linz, hat gemailt:


„Könnte man nicht zum Beispiel die Rachenabstriche von zum Beispiel zehn Personen zusammen in ein Röhrchen geben? Das testen und wenn das negativ ist, sind alle zehn negativ. Ist eine positive Anzeige, testet man individuell nach. Das müsste doch die Testerei beschleunigen.“


Frau R. aus Oberösterreich.


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[0:02 :48]



Alexander Kekulé


Das ist eine gute Idee. Leider passiert mir das auch ständig. Ich denke, ich habe was Neues erfunden und gucke in die Literatur und jemand anders hat das schon gemacht. Das ist schon bekannt, das nennt man Pool-Testung. Das haben wir, glaube ich, auch schonmal besprochen. Und das geht auf jeden Fall bei zehn. Es gibt sogar eine Arbeit, die andeutet, dass es Richtung 30 gehen könnte, dass man also bei normalen Routinetests 30 einzelne Proben poolen kann und trotzdem noch in dem Bereich bleibt, dass man ausreichend empfindlich vom Nachweis her ist.


Es ist nicht ganz so ökonomisch, wie man am Anfang gedacht hat. Da gab es eine kleine Euphorie bei diesem Pool-Tests. Es gibt eine andere Schwelle, und zwar ist es so wenn man sich so einen Tupfer so vorstellt, der kommt dann in so ein Röhrchen mit Flüssigkeit, und dann nimmt man ja im Labor im Prinzip nur diese Flüssigkeit, und die wird in so einen Vollautomaten gesteckt. Der zieht die Röhrchen eines nach dem anderen durch und spuckt hinten das Ergebnis aus. Wenn man jetzt poolen will, also zehn zusammenfasst, dann muss sich ein Laborassistent hinsetzen und jedes Röhrchen einzeln aufmachen, mit der Pipette die zusammenpipettieren, dafür sorgen, dass die Tupfer alle gut ausgedrückt werden, das Ganze mischen und dann wieder einen Teil da rausnehmen, und das dann in die Maschine geben. Dann muss man auch noch eine Liste führen, was man gepoolt hat, weil, da ist ein Barcode drauf, den die Maschine automatisch liest. Das muss man irgendwie dann einzeln mit einem Scanner einlesen und irgendwie dokumentieren. Wegen dieser Vorbehandlung ist der Effekt, den man durch das Poolen hat, nicht so toll, wie man sich das vorgestellt hat.


Aber es wird in der Tat billiger, vor allem, weil die Nachweis-Reagenzien immer noch ein teurer Faktor sind. Dadurch hat das Poolen den Vorteil, dass es preisgünstiger wird, sofern man unbedingt diese PCR-Tests machen will.



Camillo Schumann



Was sind so die klassischen Anwendungsgebiete für Pool-Tests bisher?



Alexander Kekulé


Wir machen das zum Beispiel bei Blutbanken, da wird es relativ viel gemacht. Also es wird ja im Blut regelmäßig kontrolliert, natürlich auf Krankheitserreger. Und da muss man sich vorstellen, das sind ja viele, viele tausend Proben, alle möglichen Spender und ganz selten mal einer, der wirklich was hat. Da kann man, je nachdem, was das für einen Test ist, durchaus auch Pool-Tests machen: immer in Bereichen, wo man weiß, dass eigentlich nur ganz selten mal ein Positiver vorkommt. Das ist aber im Labor wichtig, dass man das sehr, sehr genau standardisiert: Weil mit dem Pool-Test, die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Positiven übersieht, die steigt schon, und das muss man dann sehr genau nachrechnen. Das kann man für jeden Test dann einzeln berechnen und ausprobieren. Und wenn man innerhalb der Bereiche bleibt, die da in Ordnung sind, dann ist das eine gute Sache. Bei SARS-CoV-2  haben wir das Stichwort begrenzte Kapazitäten bei den PCR-Maschinen. Da würde uns das PoolTesten unter Umständen etwas helfen, weil hier tatsächlich auch die Reagenzien für die Maschine zum Teil das Problem sind. Da gibt es da einen großen Roboter, der wird von einer Firma wie Roche zum Beispiel produziert und verkauft – es gibt auch andere, die so etwas verkaufen –, und wenn natürlich diese Reagenzien, die man da speziell für diese Maschine braucht, knapp sind, dann kann man durchaus ans Poolen denken, insbesondere dann, wenn man viele Personen hat, die sowieso eigentlich negativ sind und keine Symptome haben.



Camillo Schumann



Also, Frau R. aus Oberösterreich. Sehr gute Idee, wird aber schon gemacht.


Frau S. aus Leipzig hat angerufen und folgende Frage:


„Wir haben FFP2 -Masken bestellt über das Internet, die waren relativ günstig und jetzt wissen wir auch warum: weil nämlich die Bügel, die über die Ohren gehen sollen, abreißen. Nun habe ich angefangen, die mit Nadel und Faden zu befestigen und wollte gerne wissen, ob dadurch die Funktionsfähigkeit, also die Wirksamkeit der Masken beeinträchtigt wird.“


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Hoffentlich sind nicht nur die Bügel das einzige Manko.



Alexander Kekulé


Diese FFP2 -Masken sind, wenn sie im Internet bestellt sind, von der Qualität her extrem unterschiedlich. Und es ist in der Tat so, dass diese Gummibänder, mit denen man die festmacht, die sind tatsächlich häufig das Problem. Auch die von den teuren Firmen, die man so im Krankenhaus verwendet oder verwendet hat, als es noch genug gab, die haben interessanterweise immer ein Verfallsdatum drauf. Und ein Vertreter hat mir mal gesagt, der Hauptgrund, warum da auf so einem Teil, was eigentlich nur aus Vlies besteht, ein Verfallsdatum draufsteht, ist, dass die Gummibänder alt werden und irgendwann reißen. Also das ist tatsächlich eine bekannte Schwachstelle.


Ja, das fest zu nähen, wenn man das mit einer dünnen Nadel macht und dann wirklich nicht lauter Löcher reinpickst, sondern den Faden durch das Loch zieht, wo dann die Nadel durchgegangen ist, ich meine, das kann man verantworten. Sicherlich ist das eine ganz kleine Undichtigkeit. Aber im Vergleich zu dem, was zwischen der Haut und der Maske an Undichtigkeiten entsteht, also diese Beiluft, die man immer hat, wenn man die Maske nicht perfekt anpasst, da würde ich sagen ist das zu verantworten, was da durch die Löcher geht.


[0:07:48]



Camillo Schumann



Herr H. aus Naumburg hat angerufen. Er macht sich große Sorgen um die Nebenwirkung einer möglichen Impfung gegen SARS-CoV-2 , und das Ganze nicht ohne Grund:


„2 009 wurde geimpft gegen die Schweinegrippe. Ich habe mich impfen lassen, und drei Tage später fiel bei mir die Netzhaut. ‚Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.‘ Welche Nebenwirkungen könnte dieser Virus haben? Ist man davor gefeit?“


Also, man könnte es ein bisschen schlecht verstehen, aber Herr H. fehlte offenbar dann die Netzhaut nach der Impfung. Aber mal so ganz grundsätzlich: Mit welchen Risiken müsste man


bei so einer SARS-CoV-2  Impfung rechnen? Kann man das jetzt schon sagen?



Alexander Kekulé


Das ist jetzt schwer zu sagen. Die Schweinegrippe-Impfung von 2 009 war ja umstritten. Sie wissen vielleicht, dass es da eine, sage ich mal auch, öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung zwischen dem Paul-Ehrlich-Institut und mir gab. Weil ich der Meinung war, dass man diesen Impfstoffverstärker, den man da drin hatte, das sogenannte Adjuvans, was deutliche Nebenwirkungen macht, nicht gebraucht hätte. Dass ist damals so ausgegangen, dass dann doch die Einschätzung vom PaulEhrlich-Institut falsch war – retrospektiv ist man da manchmal schlauer. Wir wissen jetzt erstens nicht, ob irgendwie etwas, wie das Fehlen einer Netzhaut, also das eine Netzhautablösung wäre, das ist eine augenärztliche Erkrankung, die manchmal vorkommt. Das habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nie gehört, dass das im Zusammenhang mit einer Impfung aufgetreten ist. Aber vielleicht gibt es das ganz selten, das würde ich jetzt nicht ausschließen. Aber es wäre extrem untypisch. Davor muss man, glaube ich, jetzt mal grundsätzlich selbst bei einem adjuvantierten Impfstoff keine Angst haben. Wir haben bei allen Impfstoffen mehrere Kategorien von Nebenwirkungen. Das eine ist, kann man ja vielleicht als erstes sagen: Manchmal muss man den Impfstoffverstärker dazu machen unter bestimmten Bedingungen. Damals bei der Schweinegrippe 2 009 wäre es nicht notwendig gewesen. Aber wir wissen nicht, ob es jetzt bei dem SARS-CoV-2  notwendig ist. Das kann 2 Gründe haben.


Der eine ist, wenn man einen proteinbasierten Impfstoff hat, wo also ein Eiweiß drin ist, letztlich irgendein inaktiviertes Viruspartikel drin ist oder Teile davon, dann ist es manchmal so, dass insbesondere bei älteren Menschen das nicht stark genug wirkt. Oder man hat einfach von der Produktion her nicht genug von diesem Protein. Dann kann man den Wirkverstärker dazu tun, um mit kleinerer Menge zu impfen. Oder aber um bestimmte Bevölkerungsgruppen, hauptsächlich Ältere, bei denen das Immunsystem auch schon gealtert ist, dann besser zu immunisieren. Das ist nur manchmal notwendig. Ich habe so den Eindruck, bei SARS-CoV-2  wird es nicht nötig sein, weil die


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bisherigen Experimente doch so aussehen, dass die Immunantwort auch bei Älteren ganz gut aussieht. Das ist der eine Grund, warum es Nebenwirkungen geben kann.


Der andere wäre noch schlimmer. Das wäre, wenn man wirklich durch die Impfung Antikörper erzeugt, die eine Verstärkung des Krankheitsverlaufs in manchen Patienten machen. Das ist dann nie bei allen. Aber bei manchen kommt es dann zu so einer überschießenden Immunreaktion. Das ist so eine Verstärkung quasi durch Impfung oder eine Verstärkung durch vorher bestehende Antikörper oder immunisierte Lymphozyten, also weiße Blutkörperchen, die dann verrückt spielen, wenn man so sagen kann. Das wäre ein Fall.


Das ist einer der Gründe, warum man dringend solche Impfungen an vielen, vielen Menschen testen muss. Für eine Bevölkerung wie Deutschland mit über 80 Millionen würde man auf jeden Fall 10.000 oder 8.000 bis 10.000 Tests verlangen, Probanden verlangen, um abzuschätzen, seltene Nebenwirkungen für die Gesamtbevölkerung. Weil man vor so etwas natürlich besonders Angst hat. Das wäre besonders unangenehm.


Und dann gibt es natürlich die häufigen Nebenwirkungen, sogenannten Nebenwirkungen, Impfreaktionen, sagt man eher dazu. Dass an der Einstichstelle das mal dick wird oder dass man sich 2 Tage lang schlapp fühlt oder so was. Das sind aber Sachen, wo Impfärzte jetzt keine kalten Füße kriegen, weil das in der Regel von selber wieder weggeht. Also, wir haben eine breite Palette, und es wird eine interessante Diskussion, weil man natürlich parallel mit der Impfung auch eine Durchsuchung der Bevölkerung haben. Wir wissen auch, dass viele Menschen von vornherein keine schweren Erkrankungen kriegen. Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Monaten weitere Erkenntnisse haben: darüber, wieviel Prozent der Bevölkerung natürlicherweise eine gewisse Immunität gegen SARS-CoV-2  Viren haben. Das wird noch interessant werden, dann alle zu überzeugen, zur Impfung zu gehen. Das das ist in Deutschland nicht immer ganz einfach.


[0:12 :32 ]



Camillo Schumann



Herr A. hat eine Mail geschrieben. Er ist ein wenig verunsichert.


„In Folge 96 war ich ein wenig schockiert über die Aussage von Herrn Kekulé, dass er eine Nanosilber-Maske nicht am Gesicht tragen würde. Schockiert, weil ich diese benutze und jetzt total unglücklich darüber bin. Als ich mich entschieden habe, welche Maske ich tragen soll, habe ich mich dadurch verleiten lassen, was die Stadt ihren Mitarbeitern als Maske ausgehändigt hat. Das waren diese NanosilberMasken. Ich dachte, wenn die Stadt diese sogar zur Nutzung austeilt, das wird doch schon gut sein. Jetzt denke ich leider das Gegenteil. Müsse die Stadt nicht einen Rückruf der Masken anfordern? Viele Grüße.“



Alexander Kekulé


Das ist immer die Gefahr, wenn man so eine konkrete Empfehlung macht. Ich rechne quasi in jeder Sendung mit so was. Also ja, in dem Fall kann ich ein bisschen in Deckung gehen. Es ist so, es gibt eine Bewertung des Bundesamts für Risikobewertungen (BfR). Und die haben ganz konkret gesagt, dass Nanosilber aus ihrer Sicht von den Gesundheitsfolgen nicht ausreichend erforscht ist. Dass das eben in dieser kleinen Partikelgröße in die Zellen eindringen kann, und auf die Weise die Immunantwort schwächen kann, oder weitere Schäden machen kann, die noch nicht absehbar sind. Und dass deshalb dringend davon abgeraten wird. Sodass ich jetzt mal sagen würde, ich schließe mich entspannt einer oberen Bundesbehörde an. Diese Studie, die kann man im Internet sich mal anschauen – Stichwort „Nanosilber und Bundesamt für Risikobewertung“. Die sollte man vielleicht mal der Stadt schicken.



Camillo Schumann



Dann wäre die Frage ja beantwortet, Rückruf der Masken. In dem Fall hätte man dann zumindest eine Grundlage.



Alexander Kekulé


Na, Rückruf ist nochmal so eine andere Stufe. Ja, das ist ja ein Auto, wird zurückgerufen in die Werkstatt, wenn die Bremsen nicht funktionieren. Aber weil der Scheibenwischer klappert, wird man ein Auto nicht zurückrufen. Hier ist es die Frage ja, es wird davon abgeraten, aber auch das jetzt gleich einen Rückruf sozusagen verursacht. Die Masken haben ja eine


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natürliche Haltbarkeit. Irgendwann sind die dann auch hin. Ich würde eher sagen, dass man vielleicht von der Stadt hier die Empfehlung überarbeiten sollte für die nächste Generation, die dann ausgegeben wird.


[0:14:45]



Camillo Schumann



Herr S. hat angerufen, er hat keine „WurstFrage“. Hörer dieses Podcasts, die erinnern sich: Am Anfang kam häufig die Wurst-Frage also, wir haben sie dann so genannt, weil häufig gefragt wurde, wie lange hält sich eigentlich das Virus auf der Wurst, wenn sie von der Fachverkäuferin oder dem Fachverkäufer eingepackt wird? Herr S. hat ein anderes Lebensmittel im Blick.


„Ich mache gerade Urlaub in SchleswigHolstein, und dort hat in den Bäckereien niemand vom Verkaufspersonal eine Maske auf. Es ist auch laut Corona-Verordnung SchleswigHolstein wohl nicht notwendig. Die Verkäuferinnen sind ausgenommen. Sie sind aber den ganzen Tag hinter ihrer Auslage hinter ihren Brötchen und sprechen den ganzen Tag mit Kunden. Und da denke ich doch, dass das ein oder andere Tröpfchen auf der Auslage landet. Meine Frage ist nun: [...]kann ich mich über diese Brötchen anstecken, wenn da entsprechend Material drauffliegt von einer infizierten Verkäuferin? Vielen Dank.“


[0:15:40]



Camillo Schumann



Ja, wir haben lange nicht darüber gesprochen.



Alexander Kekulé


Das Thema hat aber auch eine gewisse Eigendynamik. Also in dem Bäcker, wo ich immer einkaufen gehe, da ist es so, dass die Dame hinter einer Plastikscheibe steht, aber auch keine Maske im Gesicht hat. Also durch die Plastikscheibe natürlich sind direkte Tröpfchen, die beim Kunden landen, mehr oder minder ausgeschlossen, kann man sagen. Aber klar, rein theoretisch könnte so etwas auf der Ware landen. Und rein theoretisch könnte sich das auch mal halten, bis es dann zu Hause ist und bis es verzehrt wird. Und es ist nicht völlig auszuschließen, dass es so zu einer Infektion kommt. Man muss aber sagen auf allen organi-


schen Lebensmitteln, auf allen Lebensmitteln hält sich das Virus nicht besonders lange. Diese rauen Oberflächen, auch von Backwaren, sind für Viren nichts, wo sie jetzt wirklich beständig drauf sind. Und es ist ja auch nicht der typische Infektionsweg, dass wir das Virus über die Magensäure aufnehmen oder Ähnliches. Das ist jetzt kein klassisches Virus, was jetzt übertragen wird durch Verspeisen. Sondern es müsste so sein, dass das Virus von dem Brötchen dann irgendwie beim Essen auf die Schleimhäute gerät und auf diese Weise eine Infektion macht. Sie merken schon, diese Kette von müsste, könnte, sollte ist so lang, dass ich sagen würde, das ist ein Restrisiko, auf das würde ich mich jetzt einlassen. Ich halte das für kein Risiko, was einen Streit mit Verkäufern lohnt.



Camillo Schumann



Also keine Angst beim Bäcker. Frau M. hat angerufen. Sie beobachtet die gestiegenen Fallzahlen gerade mit Blick auf die Reiserückkehrer und den Krankenhausaufenthalten. Und ihre Frage auf unserem Anrufbeantworter ist Folgende:


„Während im März April, Mai ja zum größten Teil erkrankte Menschen getestet wurden, ich denke schon, dass das eine Auswirkung auf Krankenhäuser hat, wie es auch schon festgestellt wurde, dass es zurzeit weniger schwere Verläufe mit Krankenhausaufenthalt gibt. Und ja, mich würde das mal interessieren, ob auch dieses Verhältnis von positiv getesteten Menschen zu wirklich erfassten Erkrankungen festgehalten und bewertet wird.“


[0:18:02 ]



Camillo Schumann



An der Stelle ein kurzer Hinweis: In Ausgabe 96 haben wir ausführlich darüber gesprochen, über schwere Verläufe und HospitalisierungsQuoten et cetera. Aber vielleicht eine ganz kurze Antwort für Frau M.



Alexander Kekulé


Ja, das wird natürlich bewertet. Das ist ganz wichtig, weil es ja immer so Leute gibt, die heißen dann Corona-Kritiker oder überhaupt Skeptiker im weitesten Sinne, die sagen: Ja, ja, ihr habt nur so viele Fälle, weil ihr so viel tes-


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tet. Der amerikanische Präsident hat ja ernsthaft sogar empfohlen, weniger zu testen, damit man weniger Fälle im Land hat. Da gibt es natürlich einen Zusammenhang, und deshalb schauen die Behörden ganz genau drauf – nicht von Anfang an, aber seit einiger Zeit schauen Sie drauf, wie viel wird eigentlich getestet und wie viel Prozent sind davon positiv? Die Positiven-Quote, die schaut man sich an. Die hat schon so ein paar Fragezeichen, weil wir wissen nicht, wie viele Leute da mehrmals hingehen. Es sind ja meistens die völlig gesunden, die beim Testen negativ sind. Die sagen, ich will es nicht wirklich glauben. Eine Woche später haben sie doch wieder schlecht geträumt und gehen wieder zum Testen. Und dann, ein paar Tage später, hustet sie jemand in der Straßenbahn an, dann lassen sie sich noch mal testen. Und diese Leute, die sich mehrmals testen lassen und negativ sind, die verändern natürlich die Positiven-Quote. Das ist ganz klar.


Es wird ja auch gesagt, dass es relativ sinnlos sei, Reiserückkehrer zu testen, weil man da so viele hat, die negativ sind und nur ganz, ganz wenige Positive darunter, und deshalb würde sich nicht lohnen, das zu machen. Das war ja ein Argument, was zum Teil auch von Virologen-Kollegen von mir gekommen ist, deshalb habe ich mal ausgerechnet: Also in Bayern gab es ja mal diese berühmte Zahl, ich meine 40.000 waren das, wo man gesagt hat, das ist unklar da, die haben ihre Testergebnisse nicht bekommen, weil was schiefgegangen ist. Und unter diesen 40.000 waren ungefähr 900 Positive, die dadurch ihr Ergebnis noch nicht hatten. Wenn man das nur mal so als Stichprobe nimmt, das ist natürlich jetzt einfach irgendeine Stichprobe wahrscheinlich von den bayerischen Landesgrenzen gewesen. Dann sind es etwa 2 Prozent, die positiv sind. Und wenn die ganz normalen Untersuchungen, die das Robert Koch-Institut immer wieder bekannt gibt, wenn da die Positiven-Quote bekanntgegeben wird, dann lag die zum Teil bei 0,7 Prozent, manchmal bei 1,5, manchmal auch bei zwei. Aber 2 Prozent ist eigentlich eine relativ hohe Positiven-Quote, verglichen mit dem, was wir so sonst zu produzieren. Das ist deshalb interessant: Weil das Argument, wir sollen nicht an der Grenze testen, die sind alle negativ, mit dem gleichen Argument könnte man


dann alle Tests gleich sein lassen, weil die eben zum Teil noch geringere Positiven-Quoten haben. Also die Antwort ist kurz gesagt, ja, das wird gemacht und wird wild diskutiert, was es für Ergebnisse hat und die Zahlen sind ein gewisser Hinweis darauf, wie das Infektionsgeschehen in Deutschland ist, aber wirklich nicht mehr als ein gewisser Hinweis.


[0:2 0:59]



Camillo Schumann



Und nochmal der Hinweis auf Folge 96. Da haben wir dann ausführlich über den Zusammenhang zwischen Infizierten zahlen und den schweren Verläufen und wie es in den Krankenhäusern aussieht, gesprochen.


Das war Kekulés Corona-Kompass HörerfragenSPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 01. September wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Bis nächste Woche, bis September, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass als Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 7.08.2 02 0 #100: Neues zur Viruslast bei Kindern



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Donnerstag 2 7. August 2 02 0.


1. Kinder infektiöser als Erwachsene? Eine neue und sehr genaue Studie gibt Aufschluss. 2 . Wie gut muss Contact Tracing sein, damit es auch was bringt? 3. Hongkong will die gesamte Bevölkerung durchtesten. Kann das Virus dadurch komplett eliminiert werden? 4. Hoher CO2 -Gehalt = mehr Aerosole?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Es gibt vermutlich kaum ein Thema, das so kontrovers und emotional diskutiert wird, wie das Thema Schulund Kita-Öffnungen und der richtige Umgang in diesen Einrichtungen. In vielen Schulen muss auch Maske getragen werden. Und die Gretchenfrage ist ja, wie infektiös sind Kinder und welche Rolle spielen Sie für das Pandemiegeschehen? Wir haben schon


häufig hier im Podcast darüber gesprochen. Eine neue und sehr detaillierte Studie aus den USA liefert nun Antworten. Was macht diese Studie so besonders im Vergleich zu anderen Studien, die zu diesem Thema ja auch schon durchgeführt worden?



Alexander Kekulé


Wir haben bei diesen ganzen Abnahmen, wenn wir so mit dem Tupfer was abnehmen, immer das Problem, dass wir nicht wissen, wie viel Material an diesem Tupfer dran ist. Der eine hat sehr viele Rotz an so einem Tupfer, wenn er den rauszieht; und bei anderen ist es so, da nimmt der Arzt, oder wer auch immer das macht, von der Rachenmandel nur ein bisschen ab. Und die Viruskonzentrationen werden natürlich immer als Konzentration, also Viruspartikel pro Milliliter angegeben. Und deshalb ist die Standardisierung, wie viel habe ich da am Tupfer, ganz entscheidend, und auch der Vergleich dieser Methoden untereinander. Da leiden sehr, sehr viele Studien darunter, dass sie eigentlich nicht wirklich quantitativ, sondern nur qualitativ ein Ergebnis haben. Und hier hat man jetzt einen Trick gemacht, den ich eigentlich ganz gut finde – es ist nicht die erste Studie –, aber das ist einer, der sich so langsam durchsetzt. Man hat zugleich mit dieser PCR auf ein Gen getestet, auf ein Stück Erbinformation, was nur in menschlichen Zellen vorkommt. Das ist ein Stück, was zu tun hat mit dem Zellkern bei menschlichen Zellen, und es kommt also in diesen Rachenzellen vor. Dadurch kann man, wenn man das auch quantifiziert, feststellen, wie gut der Abstrich war. Also, ist da genug Material drinnen gewesen? Man kann so ungefähr sagen, wieviel das gewesen ist, war man jedes Mal, wenn man einen Abstrich macht, natürlich auch Schleimhautzellen und Ähnliches mit dran hat. Sodass man jetzt so eine Art Referenz mitlaufen lässt. Wenn sie ein Milliliter Blut haben, dann ist es ein Milliliter Blut. Dann kann man daraus Viruspartikel pro Milliliter machen, und so eine Art Standardisierung hat man hier jetzt auch. Zugleich wurden die Tests mit tausend internen Kontrollen gemacht. Man hat jeden Test dreimal wiederholt, die Tests standardisiert, von vornherein die Patienten in die Liste aufgenommen, wo dann auch das Abnahmeverfahren exakt gleich war. Also man wollte es


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hier wirklich wissen. In dem Sinn, dass man gesagt hat, es muss doch möglich sein, auch einen Abstrich wirklich quantitativ sauber zu messen.



Camillo Schumann



Man kann sagen, so gut wurde dieses Thema noch nie behandelt. Oder?



Alexander Kekulé


Das ist jetzt so gefühlt ungefähr die fünfte Studie, die so etwas nachweisen will. Einige davon sind publiziert, andere noch nicht. Und wir haben hier bestimmt drei, glaube ich, schon besprochen. So genau ist es bis jetzt bei keiner gewesen. Das Einzige, was hier noch fehlt, kann man vielleicht sagen als kleine Einschränkung für die, die ganz genau zuhören. Man hat jetzt die PCR-Tests gemacht. Man hat aber nicht ausprobiert, ob das Virus auch anzüchtbar ist. Das ist relativ klar, dass es anzüchtbar ist, weil die hohe Konzentrationen im Rachen hatten. Aber rein formal gesehen wollen die Virologen dann immer noch sehen, dass es nicht nur totes Virus war, was man nachgewiesen hat, sondern dass das in der Zellkultur dann auch Zellen infiziert, also sich wirklich vermehrt.



Camillo Schumann



Also eine sehr, sehr gründliche Studie. Und jetzt natürlich das Allerwichtigste: Wie lautet das Ergebnis?



Alexander Kekulé


Da ist eben dabei rausgekommen, dass tatsächlich die Kinder mindestens genauso viel Viren im Rachen haben wie die Erwachsenen. Also, es ist unter den Kindern quantifiziert worden, die Dosis wirklich, also, wie viel haben die quantitativ. Man hat es mit einer sehr guten Statistik dann durchgerechnet und festgestellt: Es gibt keinen Unterschied zwischen Jungen und Alten, sogar eine leichte Tendenz dazu, dass bei den Jüngeren die Viruskonzentration höher ist. Das heißt also tatsächlich, das, was wir hier immer so diskutiert haben. Ist es jetzt so, dass die Kinder überhaupt das Virus ausscheiden, ja oder nein? Da haben die ganz klar gesagt: Jawohl, die Kinder scheiden das aus, auch wenn sie kaum Symptome haben. Und die Autoren dieser Studie warnen drin-


gend davor, Kinder in die Schule zu schicken unter der Vorstellung, die seien vielleicht nicht infektiös. Und sie empfehlen auf jeden Fall, wenn man sie in die Schule gibt, entweder Masken oder testen.



Camillo Schumann



Was ich interessant fand, ist, man hat es mit den Erwachsenen verglichen, die auch im Krankenhaus gelandet sind und schwere Verläufe hatten. Und da war die Viruslast die gleiche und teilweise sogar noch höher. Das fand ich persönlich ein wenig erschreckend.



Alexander Kekulé


Ja, doch das ist tatsächlich so. Weil bei denen, die symptomatisch sind, also die so richtig das klassische Covid-19 haben, da ist ja typisch dann, dass irgendwann mal so eine Atemnot dazu kommt. Das ist bei Erwachsenen. Da ist es so, dass wir dort wissen, dass die Viruslast höher ist bei Patienten, die stärkere Symptome haben – nicht immer, nicht sicher. Aber es gibt so eine Korrelation, so eine gewisse Tendenz. Übrigens, die mit den stärkeren Symptomen haben dann tendenziell auch höhere Antikörper-Titer hinterher, wenn man mal die Antikörper bestimmt. Das ist so ein klassisches Bild. Das kennen wir auch von anderen Virusinfektionen. Und bei den Kindern ist es jetzt so: Die haben zum Teil eben genauso hohe Konzentration gehabt wie schwere Verläufe, wie bei Erwachsenen. Aber überhaupt nichts oder keine Krankheit, die irgendwie aussieht wie Covid-19. Das sieht aus wie eine ganz normale Erkältung. Das heißt, diese Coronaviren, die hier sind, können offensichtlich beim Kind das gleiche fabrizieren wie alle Coronaviren; also auch diese vier Typen, die zirkulieren und die schon immer Erkältungen machen. Und bei Erwachsenen machen Sie dann relativ häufig diese sehr schweren Verläufe.



Camillo Schumann



Sie sind sozusagen „Virus-Schläfer“, dann die Kinder?



Alexander Kekulé


Die Kinder sind „Virus-Schläfer“. Und das Virus hat so ein Januskopf. Es kann eigentlich 2 Krankheiten machen. Ich wäre schon fast dafür, diese Kinderkrankheit gar nicht Covid-19


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zu nennen, weil die sieht aus wie eine Erkältung. Also, die haben das auch noch einmal ganz genau sich angeschaut. Die haben gesagt, die Kinder haben 50 Prozent Fieber, fast


50 Prozent Husten – also, das bleibt wieder das Klassische, aber mein Gott, das haben sie mit Erkältung auch – bisschen häufiger Halsweh als bei anderen Erkältungen; Muskelschmerzen kommen vor, auch Schnupfen. Und etwas häufiger als sonst ist die Anosmie, also, dass man nichts riecht, das ist bei 2 0 Prozent, einem Fünftel, der Kinder. Aber Mensch, welches Kind, sagt schon, dass es schlecht riecht, wenn die Nase verstopft, oder wenn es sonst krank ist. Das heißt für mich, wenn man so in den Herbst blickt, wenn wir Kinder haben, die mit den klassischen Erkältungssymptomen, wie Fieber, Husten, Schnupfen und so weiter daherkommen, müssen wir damit rechnen, dass ein Teil davon Covid-19 hat. Und bei denen, die hier untersucht wurden, in Boston, da war das tatsächlich so: Ein Drittel aller Schulkinder, die in dieser Zeit, wo das untersucht wurde, mit Erkältungssymptomen aufgelaufen sind. Ein Drittel von denen hatte tatsächlich Covid-19. Das ist für mich eine erschreckende Perspektive, wenn wir hier in den Herbst blicken.



Camillo Schumann



Würden Sie dann bei ihrer Empfehlung bleiben: Kinder-Schnupfen ist dann kein Grund, das Kind daheim zu behalten?



Alexander Kekulé


Ja, das muss man unter diesen Umständen ehrlich gesagt relativieren. Also, wenn man diese Studie sieht, ist es so, dass Kinder tatsächlich eine andere Erkrankung zeigen als Erwachsene. Also etwas, was nicht aussieht wie Covid-19, sondern was aussieht, wie das, was andere Coronaviren fabrizieren. Wir haben natürlich noch keinen Fall gehabt, wo nur ein Schnupfen aufgetreten ist. Das machen dann typischerweise die Rhinoviren. Also man muss sagen, es gibt diese klassischen Schnupfenviren, die machen eigentlich keine schweren Erkrankungen, sondern machen bei Kindern häufig einen reinen Schnupfen, diese Rotznase, ohne irgendetwas anderes. Das sind auch die häufigsten, die sind wesentlich häufiger, mindestens doppelt so häufig, wie die Coronaviren. Solche Erkrankungen kann man vielleicht,


als Arzt auseinanderhalten, von dem, was die Coronaviren machen. Aber ich denke jetzt mal so praktisch an die Eltern: Das Kind rotzt, dann wissen sie ja nicht, ob es dann morgen vielleicht noch Fieber kriegt, oder ob es vielleicht heute Nacht anfängt zu husten oder so ähnlich. Darum glaube ich jetzt, so von der medizinischen Seite stimmt es weiterhin, dass ein isolierter Schnupfen typischerweise nicht zu Covid-19 passt – beim Erwachsenen sowieso nicht, aber wir sind ja jetzt bei den Kindern. Aber ich sehe das von der praktischen Umsetzung her eigentlich nicht als praktikabel an, dass man den Eltern sagt, lasst die Kinder bei Schnupfen in die Kita gehen. Weil das für die Eltern, glaube ich, nicht zu unterscheiden ist, ob das jetzt eine Covid-19-Infektion ist, also eine SARS-CoV-2 -Infektion ist oder ein anderes Coronavirus.


[0:09:37]



Camillo Schumann



Jetzt sind natürlich viele Eltern, die jetzt diesen Podcast hören, verunsichert. Kann man so eine Handreichung geben, also sagen: Kinder mit Schnupfen, wir warten 2 Tage, und wenn keine weiteren Symptome sind, dann kann es gerne wieder in die Kita gehen?


[0:09:51]



Alexander Kekulé


Wenn man jetzt diese Studie ernst nimmt, und das ist bis jetzt die erste, die mal so wirklich klar gezeigt hat, dass die Kinder eigentlich eine andere Krankheit haben; das ist eine andere Krankheit als bei Erwachsenen. Und die sieht eben so aus wie bei Erwachsenen, die klassische Coronavirus-Infektion, die wir nicht bei SARS-CoV-2  sehen. Wenn man das jetzt ernst nimmt, wir wissen nicht, ob das in weiteren Studien bestätigt ist. Dann kann man eigentlich nur sagen es gibt keine andere Möglichkeit, als zu testen. Weil das im Grunde genommen für die Allgemeinbevölkerung heißt: Ich kann es nicht unterscheiden. Und wenn man es nicht unterscheiden kann, dann muss man natürlich den Eltern, die ja nicht ärztlich vorgebildet sind, sagen: Schnupfen ist auch schon ein Grund, das Kind erst mal zu Hause zu lassen. Das heißt also, wir hätten dann die Situation im Herbst, die ich immer befürchtet habe: Wir haben keine Tests, wir haben Kinder mit Rotz-


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nase und Husten und Fieber. Und wir können es uns nicht leisten, dass jeder zu Hause bleibt und dann auch in Quarantäne geht, bis das Testergebnis vorliegt, wer solche kranken Kinder hat – und bei jeder Erkältung. Das wird im Herbst noch eine „interessante“ Phase. Vor allem kommt dann irgendwann auch noch die echte Grippe dazu. Ich glaube, dass wir da auf eine echt schwierige Zeit zusteuern.



Camillo Schumann



Also der Druck wächst, die Schnelltests dann flächendeckend einzuführen, dass die Eltern dann auch was an der Hand haben, dann auch frühmorgens, bzw. abends eine Entscheidung für den nächsten Tag treffen zu können.


[0:11:2 6]



Alexander Kekulé


Ja, aber das wäre jetzt, muss ich auch fairerweise sagen – wir haben jetzt schon August – das wäre eine Herkulesaufgabe, das in der Kürze der jetzt noch zur Verfügung stehenden Zeit hinzukriegen. Man muss ja sehen, dass in den meisten Bundesländern die Schulen schon wieder angefangen haben. Die Eltern wollen auch wieder halbwegs normal arbeiten, weil die ganzen Lockdowns runtergefahren werden. Zugleich haben wir steigende Infektionszahlen mit einem hohen Hintergrundgeschehen. Das heißt, weit im Land verteilte, viele einzelne Infektionen. Man kann gar nicht mehr sagen, wo man sich infiziert hat, kann nicht mehr sagen, das und das Risiko nehme ich sozusagen mit rein in meine Überlegung, sondern man muss im Grunde genommen sagen, jeder, der Erkältungssymptome hat, also jedes Kind, das Erkältungssymptome hat, könnte Covid-19 haben. Und in der Lage müssten wir dringend diese Tests irgendwie beibringen.


[0:12 :2 5]



Camillo Schumann



Aber egal, wer sich wo infiziert, das oberste Gebot lautet ja: Infektionsketten durchbrechen. Die Gesundheitsämter, die haben ja mit Kontakt-Nachverfolgung alle Hände voll zu tun: Contact Tracing Teams befragen tausende Menschen, füllen Listen aus; dann wird mit den Infizierten oder mit möglichen Infizierten Kontakt aufgenommen, es wird viel telefoniert. Aber wie wirkungsvoll ist Contact Tracing wirk-


lich. Also, wie wirkt es sich auf das Pandemiegeschehen aus? Eine Studie aus den USA hat mal verglichen, wie sich der R-Wert verändert, einmal mit und einmal ohne Contact Tracing. Das Ergebnis, finde ich, war relativ ernüchternd. Für Sie auch?


[0:13:04]



Alexander Kekulé


Ja, das fand ich auch ein bisschen deprimierend. Das sind Kollegen aus Stanford gewesen, die haben da auch ziemlich gute Modeler, Leute, die können mit den Computern wirklich spielen wie andere mit dem Jojo. Und die haben das mal durchgerechnet, wie das ist in verschiedenen Szenarien. Und in den USA ist die Riesendiskussion, dass die jetzt den Lockdown haben in einigen Bundesstaaten, und darüber diskutieren, ob man das irgendwie lockern kann. Weil dort ja viel stärker noch als bei uns so der politische Druck ist, dass es so nicht weitergehen kann, dass man die Wirtschaft so abwürgt. Darum haben die letztlich geprüft, kann man mit Test and Trace, also Positive finden und dann die Kontakte nachverfolgen, kann man damit sozusagen Distanzierungsmaßnahmen, Abstandsregeln, Maske und so weiter ersetzen. Und da haben sie festgestellt in ihrem Modell war sie da gerechnet haben. Das ist natürlich eine reine Modellrechnung gewesen, sehr aufwendig. Da haben Sie gesagt: Das wirkt erst dann vernünftig auf den R-Wert, also auf diese Reproduktionszahl, wo man die Gesamtdynamik der Epidemie mit abbildet, das wirkt erst dann, wenn man über 50 Prozent aller Infektionen erwischt. Man muss 50 Prozent und mehr erstens detektieren und dann auch noch erfolgreich nachverfolgen, und dann die positiven Kontakte in Isolation bringen. Nur wenn man da über 50 Prozent liegt, dann kommt man überhaupt auf eine Reduktion dieses R um 10 Prozent. Also wenn man R zum Beispiel von 1,0 auf 0,9 senken will, muss man die Hälfte aller Fälle gefunden haben und nachverfolgt haben, sagen die. Das ist echt deprimierend. Weil, da kommt man schwer hin. Wenn man sich jetzt Deutschland gerade anschaut mit unserer momentanen Situation bezweifle ich, dass wir auch nur ansatzweise in den Bereich von 50 Prozent kommen. Man muss sich ja klarmachen, dass wir in Deutschland durch diese Situation, in der wir


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sind, eine hohe Dunkelziffer haben. Also die ist sicherlich viel höher, als es im März und April war, weil wir Menschen haben, die nicht mehr so richtig mitmachen wollen bei den CoronaMaßnahmen, weil das Geschehen fein verteilter ist, mehr Einzelinfektionen, keine Ausbrüche, die man im Ganzen erwischen kann. Das heißt, wir haben eine hohe Dunkelziffer, jetzt im Moment und eine steigende Zahl von Neuinfektionen. Wir kommen nie und nimmer auf diese 50 Prozent.



Camillo Schumann



Und dieses Mantra „Infektionsketten durchbrechen“, gilt das dann nicht mehr?



Alexander Kekulé


Doch, also ich würde da trotzdem noch eine Lanze dafür brechen. Das ist hier eine zwar viel beachtete, aber eine reine Simulationsarbeit. Und da sind 2 Sachen, die außerhalb dieser Simulation liegen, die wurden da nicht mit berücksichtigt. Das eine ist, wir wissen ja, dass die sogenannten Superspreader eine riesige Rolle spielen. Das heißt also, es gibt einzelne Personen, da kann man mal so grob sagen, einer infiziert so viel, wie 2 0 andere oder so. Also, die schaffen es einfach, wesentlich mehr andere zu infizieren. Das liegt nicht nur an den Menschen selber, sondern wahrscheinlich auch an bestimmten Situationen in geschlossenen Räumen, wenn die Luft steht. Diese Superspreading-Ereignisse, die natürlich diese Epidemie immer einen Sprung voranbringen, die wurden da gar nicht in der Simulation berücksichtigt. Wenn man jetzt beim Contact Tracing, speziell Superspreader natürlich – die erwischt man ja immer leichter, aber aus verschiedenen Gründen: einer ist, wenn einer viele angesteckt hat, dann kann man auch schneller zurückverfolgen –, wenn man solche Ereignisse feststellt oder sogar proaktiv verhindert, dann wäre es noch besser, dann ist das wirksamer, als es hier in der Statistik aussieht. Und das andere, was man nicht mit berücksichtigt hat, ist das Thema Subpopulationen. Also diese Studie hier hat, wie viele andere auch, einfach die Gesamtbevölkerung sozusagen als eine homogene Masse genommen. So ähnlich ist auch dieses R, was das Robert Koch-Institut immer bekanntgibt. Da geht man davon aus, dass die Gesamtbevölkerung eine


Population ist. Und das stimmt aber praktisch nicht. Wir sind ganz viele Subpopulationen, die alten unter sich, die jungen Agilen unter sich und so weiter, auch verschiedene ethnische Gruppen, die gar nicht so stark sich durchmischen. Selbst Schüler und Lehrer treffen sich außerhalb des Klassenzimmers nicht so oft. Und deshalb ist hier die Voraussetzung der sogenannten homogenen Durchmischung nicht gegeben. Und wenn man jetzt das runterrechnen würde, auf bestimmte Risikogruppen, also die per Contact Tracing nachverfolgen würde, die wirklich ein besonders hohes Risikohabenandereanzustecken,dannwäre die Effizienz schon lange vor diesen 50 Prozent gegeben.


[0:17:38]



Camillo Schumann



Contact Tracing machen natürlich die Gesundheitsämter ganz analog, greifen zum Telefonhörer und rufen dann an. Aber über 17 Millionen Menschen haben sich auch die CoronaWarn-App runtergeladen. Das ist ja auch Kontakt-Tracing. Kann man das irgendwie in Einklang bringen?



Alexander Kekulé


Ja, diese Studie hier, die ist eigentlich eine schlechte Nachricht für die App. Weil die App ja genau das macht, dass sie alle über einen Kamm schert. Und die Studie sagt im Grunde genommen, wenn man das macht, dann braucht man so viele Erfolge beim Contact Tracing, dass wir da nicht rankommen werden. Um in dem Bild zu bleiben mit diesen einzelnen Subpopulationen und denen, die agiler sind: Es ist so, diejenigen, die die meisten Kontakte haben und die, „Party-People“ sind, die haben natürlich die meisten Infektionen. Und wenn sie die unter Kontrolle hätten, sei es, dass die immun sind, dann würden sie so eine Art Herdenimmunität auslösen, ohne dass sie die Gesamtbevölkerung immun haben. Oder sei es, dass sie die konsequent nachverfolgen, dann würden sie natürlich sehr, sehr, sehr, sehr effektiv die Epidemie unterbinden. Aber das Problem ist eben, dass genau die natürlich diese App nicht haben und wahrscheinlich, wenn sie positiv sind, das tendenziell auch nicht in die App eingeben, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben: sprich, nicht in Qua-


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rantäne wollen. Das heißt also, dieses Modell sagt letztlich, wenn wir die App genau bei den Leuten hätten, die ein besonders hohes Risiko haben, dann wäre es wirklich gut, dann wäre es toll. Aber das ist natürlich die Frage, ob man die, die sich nicht an die Regeln halten, ob man die überzeugen kann, das Contact Tracing besonders effektiv zuzulassen, entweder mit einer App oder bei Anruf des Gesundheitsamts. Also ich weiß, dass es Regionen in Deutschland gibt, da gehen die Gesundheitsbehörden nicht hin. Da klingeln die nicht an der Tür, außer sie haben vier Polizisten außenrum stehen, die ihnen beiseite stehen. Und in diesen Regionen, da hatten wir schon bei Masern immer Probleme, in diesen Regionen werden sie auch mit dem Contact Tracing, ob sie es mit der App machen oder ohne nicht wirklich weiterkommen.


[0:19:37]



Camillo Schumann



Wir haben den Ausgaben 99 darüber gesprochen, dass sich die Teststrategie in Deutschland ändern wird. Also keine kostenlosen Tests mehr für alle Reisenden und auch keine verpflichtenden Tests mehr für Rückkehrer aus Risikogebieten. Der Grund die Labore, die scheinen an ihrer Belastungsgrenze zu arbeiten, eine ganz andere, Teststrategie scheint Hongkong zu verfolgen. Regierungschefin Carrie Lam hat angekündigt, dass sich “alle Bürger!“ kostenlos testen lassen können. Also alle über 7 Millionen Menschen. Das hört sich sehr ambitioniert an. Herr Kekulé, was könnte das Ziel sein dieser umfangreichen Teststrategie?


[0:2 0:13]



Alexander Kekulé


Man versucht hier offensichtlich das, was wir in der Epidemiologie eine Eliminationsstrategie nennen. Elimination heißt, dass man wirklich alle Fälle, möglichst alle Fälle identifiziert oder auf ein ganz, ganz niedriges Level bringt und dann so wenige hat, dass man sagen kann, die wenigen, die wir haben, die verfolgen wir dann ganz schnell nach. Sodass die Bevölkerung sozusagen sich ein bisschen lockern kann, weil das Virus eigentlich kaum noch da ist. Wir sagen eliminiert. Erradiziert sagen wir übrigens, wenn es weltweit dann weg ist. So etwas macht Neuseeland, zum Beispiel. Da ist es so,


dass die eine echte Eliminationsstrategie fahren. In Hongkong, wer da schon mal war, weiß, dass die Nordgrenze von Hongkong fließend übergeht in Guangdong, eine südchinesischen Provinz, eine der industriell wichtigsten Provinzen, die einerseits Häfen haben, riesige Industrie haben, eine der bevölkerungsreichsten Gegenden dort sind, einige der größten Städte Chinas haben, und dann im Hinterland auch noch Landwirtschaft sehr viel haben – und von dort kommen immer wieder die Viren. Es ist so, dass das SARS-1 aus Guangdong kam und ganz viele andere auch. Wir haben auch Vogelgrippeviren, die dort ihren Ursprung genommen haben. Jetzt die Idee zu haben, dass man Hongkong quasi da abgrenzen könnte, das ist völlig absurd. Das heißt, die machen jetzt sozusagen ihren eigenen Haushalt sauber. Dass ist so, als wenn Sie bei sich zu Hause wirklich putzen, am Schluss mit dem kleinen Taschentuch und noch mit einem Wattestäbchen die Ecken sauber machen in der Wohnung. Sie haben aber zehn Kinder, die ständig reinund rauslaufen und den Dreck bringen. So ähnlich versuchen die in Hongkong jetzt eine maximale Maßnahme. Ich glaube, das wird nicht viel bringen. Und die Frage ist, wann wiederholt man es? Wenn ständig die Grenzen offen sind, müssen sie nach einer Woche alles noch mal machen.


[0:2 2 :03]



Camillo Schumann



Weil Sie Neuseeland als Beispiel angeführt haben. Dort ist es über 100 Tage auch gut gegangen. Da gab es keine Neuinfektionen. Jetzt treten wieder in Neuseeland Infektionen auf. Der Lockdown wurde jetzt erst kürzlich verlängert. Also, es ist ja ein Irrsinn, gegen das Virus so zu kämpfen, dass man es besiegen möchte zu 100 Prozent.


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Alexander Kekulé


Ich glaube, die beste Lösung, auch für Europa, ist immer zu sagen, das mit der Elimination schaffen wir nicht. Da würde man sich verrückt machen. Aber wir können es so weit unterdrücken, dass die Gesundheitsämter nachkommen. Wenn man das schafft, dass man sagt die Initialfälle sind so, dass wir die schnell genug nachverfolgen können, natürlich nicht zu 100


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Prozent, aber in einer Dimension, dass wir nicht wieder in diese exponentielle Wachstumsphase reinrutschen. Das ist sozusagen das Ziel. Das würde man so eine Art Gleichgewichtszustand letztlich nennen zwischen den Nachverfolgungsbehörden, zwischen Testen und Tracen, also Contact Tracing und Testen einerseits und der Virusausbreitung andererseits. Ich glaube, das ist möglich. Aber dazu muss man eben immer die Außengrenzen beachten und gucken, wie viel da so reinkommt. Und in Hongkong, meine ich, die wollen jetzt eine Woche lang ab 01.09. alle durchtesten, haben schon gesagt vielleicht verlängern wir es auf 2 Wochen. Ich fürchte, die werden damit auch nicht viel weiter kommen. Aber man muss sagen, Hongkong ist ja sehr erfolgreich gewesen. Die hatten die letzten Wochen einen starken Anstieg wieder der Neuinfektionen. Was heißt stark, es waren einige Hundert. Im Vergleich zu Deutschland ist das natürlich nicht so viel. Aber sie haben auch weniger Einwohner. Und einige hundert Fälle hatten die zum Teil. Das haben sie aber aktuell wieder im Griff. Das heißt, da ist die Bevölkerung enorm diszipliniert, trotz der politischen Verwerfungen, die es bekanntlich gibt, die haben alle ihre Masken. Die gehen, allerdings muss man sagen, freiwillig überhaupt nicht mehr zum Essen. Ich weiß gar nicht, ob die Restaurants offiziell irgendwelche Auflagen haben, aber de facto geht kaum noch eine raus. Die nehmen Covid-19 extrem ernst, und darum bekommen sie es dort auch immer wieder im Griff.



Camillo Schumann



Das ist auch ein kulturelles Problem, wie man auch damit umgeht – bei uns nie umsetzbar.



Alexander Kekulé


So direkt wird das bei uns nicht funktionieren. Die haben natürlich in Hongkong, genauso wie in Singapur und Taiwan, haben die SARS 2 003 so dermaßen hautnah erlebt, dass die eine ganz andere Bereitschaft haben, sich vor so etwas zu schützen. Es gab Menschen, die haben die letzten 17 Jahre immer Masken im Gesicht gehabt, seit dem Trauma von damals. Hier in Europa muss man die Leute eher überzeugen. Und wir sind es auch eher gewohnt, dass wir mehr persönliche Freiheiten haben. Und deshalb meine ich nach wie vor, wir müs-


sen da eine europäische, eine demokratische Antwort finden, sozusagen eine freiheitliche, individuelle Antwort auf diese Pandemie. Und das heißt eben, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sein Risiko so ein bisschen selbst zu beurteilen. Und Sie ahnen es: Ich finde, jeder Einzelne muss sich testen lassen können.


[0:2 5:06]



Camillo Schumann



Ich habe es schon irgendwie vermisst. Die letzten fünf Minuten haben Sie es nicht erwähnt.


Wir kommen zu den Hörerfragen, Herr Kekulé. Frau S. aus Kassel hat angerufen:


„Ich habe gehört, dass eine hohe CO2 Konzentration, also hohe Kohlendioxidwerte in Innenräumen ein Indikator für zu hohe Aerosolkonzentrationen sein können. Stimmt das, dass sich das entspricht? Und ist das dann ein Grund für die Anschaffung eines CO2 -Messgeräts?“


[0:2 5:39]



Alexander Kekulé


Also privat würde ich mir so etwas nicht anschaffen. Aber es ist tatsächlich so, dass die CO2 -Konzentration ganz allgemein im Arbeitsschutz – in Deutschland haben wir einen sehr ausgefeilten, gründlichen Arbeitsschutz – da wird die CO2 -Konzentration in Räumen als Indikator für die Luftqualität genommen. Das heißt, wenn die Luft steht und stickig ist und viele Leute ausatmen, dann steigt eben das Kohlendioxid. Das ist ja das Gas, was wir ausatmen als Stoffwechselprodukt: Sauerstoff wird eingeatmet, CO2  wird ausgeatmet. Und je mehr Leute da was ausatmen und je weniger die Luft gewechselt wird, desto eher steigt die CO2 -Konzentration. Es gibt tatsächlich schon Vorschläge, das als Indikator für die Covid-19-Infektionsgefahr zu nehmen. Weil man gesagt hat, das ist im Arbeitsschutz sowieso verbreitet. Die Geräte gibt es auch häufig. Und dann lasst uns doch das mal nehmen, um zu messen in Situationen, wo wir nicht ganz sicher sind, ob die Lüftung in Ordnung ist oder nicht. Das ist bisher noch nicht standardisiert. Aber ich finde das einen ganz simplen und guten Ansatz. Ich sage mal, zum Beispiel in Nebenräumen oder in Waschräumen oder Ähnlichem, dass man dort so ein CO2 -Messgerät


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hat, falls die Lüftung nicht funktioniert oder auch mal ausfällt oder Ähnliches. Weil das hat 2 Parameter: Erstens, wie viele Menschen sind drinnen und zweitens wie gut ist der Luftwechsel? Dadurch korreliert es schon ein bisschen.


[0:2 7:04]



Camillo Schumann



Aber trotzdem wäre es ja Pi mal Daumen. Oder gibt es eine Korrelation zwischen CO2 -Gehalt und Aerosole-Bindung, -Konzentration und die muss ja dann auch noch infektiös sein?


[0:2 7:15]



Alexander Kekulé


Naja, das sagt im Grunde genommen nur, ob man eine Risikosituation hat. Das ist ja eine der ganz wichtigen Dinge, die meines Erachtens noch auf der To-do-Liste der Politik sind. Dass man ja inzwischen nicht mehr sagen kann: Wir wissen nicht, in welcher Situation es zu diesen Superspreader-Ereignissen kommt. Da gibt es verschiedene Ansätze. Manche Kollegen sagen, lass uns retrospektiv beim Contact Tracing diese Superspreader insbesondere ins Auge nehmen. Und ich sage, lasst uns proaktiv verhindern, dass das überhaupt passiert, indem wir uns die Situationen anschauen, wie sind viele Leute in engen Räumen zusammen, ohne dass die Luft ausreichend bewegt wird. Und sozusagen als Risikoindikator kann man sagen: Personenzahl × Zeit × Kubikmeter Raum × Luftwechsel pro Stunde, und da irgendeine Formel draus machen. Oder man misst einfach das CO2 . Das ist schon ein gewisser Hinweis darauf, dass da die Luft zu lange gestanden hat, im Sinne eines grundsätzlichen Risikos für Superspreader-Ereignisse. Nicht, dass man wirklich feststellt, ob da Viren drin sein, das zeigt es natürlich nicht.



Camillo Schumann



Gibt es also über einen Daumen so ein so einen Grenzwert dafür, möglicherweise?



Alexander Kekulé


Die gibt es sicher, die weiß ich nicht auswendig. Es ist, so dass die Leute vom Arbeitsschutz da genaue Werte haben, ab welchen Konzentrationen die Luft gut oder schlecht ist. Da kann es Ihnen passieren, wenn sie jetzt zum Beispiel


in der Umkleide haben im Sportverein, wenn da alle Fußballer zurückkommen und sich umziehen, dass der CO2 -Wert eine gewisse Grenze überschreitet. Dann kommt die Gewerbeaufsicht und sagt, ihr müsste aber da einen Ventilator einbauen oder Ähnliches. Aber diese Grenzwerte kenne ich nicht.


[0:2 8:55]



Camillo Schumann



Frau F. hat geschrieben:


„Ich arbeite als Lehrerin an einer Berliner Grundschule und habe vor Corona mit meiner Klasse jeden Schultag mit einem gemeinsamen gesungenen Lied begonnen. Nach der Berliner Hygieneverordnung darf ich das nun nicht mehr tun, zumindest nicht im Klassenraum. Mir und auch den Kindern fehlt aber dieses Ritual. Und deshalb habe ich mir das Vier-Ecken-Singen ausgedacht. Das geht so: Vier Kinder stellen sich jeweils in die vier Ecken des Klassenzimmers, haben somit guten Abstand zu den Mitschülern und trällern mit mir ein Lied. Die anderen Kinder Summen mit oder singen innerlich. Kann ich das so durchführen? Oder ist das aus Ihrer Sicht Quatsch. Über eine Antwort würde ich mich besonders freuen. Viele Grüße.“


[0:2 9:37]



Alexander Kekulé


Also, erstens finde ich das eine ganz entzückende Idee mit den Kindern, die da in der Raumecke stehen und die anderen summen mit. Zweitens ist es virologisch leider nicht zu empfehlen. Weil wir ja wissen, dass beim Singen und beim lauten Sprechen – da gibt es gerade eine aktuelle Studie, die gezeigt hat, es kommt nicht darauf an, ob man spricht oder singt –, es kommt auf die Lautstärke an. Da produzieren einfach manche Menschen ziemlich viel Aerosol, also ganz fein verteilte Wölkchen. Die können auch mehr als diese 1,5 Meter sich ausbreiten. Das ist etwas, was man nicht oft genug sagen kann, weil auch im Arbeitsschutz und zum Teil die Gesundheitsämter immer noch so die Idee haben – das hat ja auch die Politik oft genug gesagt – 1,5 Meter, und dann ist alles in Ordnung. Das gilt eben für geschlossene Räume nicht, wenn wir diese Aerosole haben. Und es besteht die Gefahr, wenn jetzt eins von den vier Kindern wirklich


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einen Superspreader wäre, also zu dem Zeitpunkt gerade besonders viel Virus ausscheidet, dass das sozusagen aus der Ecke den ganzen Raum beschallt und auch mit Viren bestäubt. Im schlimmsten Fall haben sie vier Superspreader da stehen. Dann nahm sie quasi eine effektive Vernebelung von allen Seiten, weil die 1,5 Meter oder 2  Meter eben in dieser Situation nicht gelten. Ob man Superspreader ist, das hängt von ganz vielen Sachen ab. Das Virus kann eine Rolle spielen, ob man gerade eine hohe Konzentration im Rachen hat, in dem Moment. Aber es gibt wohl auch tatsächlich individuelle Unterschiede, wie wir Töne erzeugen. Und der eine hat da einen stärkeren Nebelfaktor mit dabei und der andere sozusagen ein Ende, nicht so feuchte Aussprache. Das ist aber tatsächlich noch nicht so genau erforscht. Man weiß nur, dass es individuelle Unterschiede gibt, und deshalb würde ich davon abraten, nur auf den Abstand zu setzen.


[0:31:18]



Camillo Schumann



Tja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 100, eine ganze Menge, nicht? Da kann man an dieser Stelle ja mal ein Dank aussprechen an alle treuen Podcast-Hörer, die uns von Folge 1 hören – das war am 16. März, da ging es los – und die unzähligen Menschen, die uns angerufen, E-Mails geschrieben oder ihre Frage bei Twitter gepostet haben: Von unserer Seite, herzlichen Dank!


[0:31:41]



Alexander Kekulé


Ja, also ich finde es auch ganz wunderbar, dass so viele Menschen sich für Virologie und Wissenschaft jetzt interessieren. Das ist ja vielleicht ein kleiner Nebeneffekt. Ich muss auch sagen, „Hut ab“. Die Fragen sind zum Teil so differenziert, dass ich sagen muss, das geht schon fast an Studentenniveau ran. Da haben wir wirklich eine gute Hörerschaft.


Und jetzt muss ich Ihnen, Herr Schumann – ich weiß, Sie wollen das nicht hören – ich muss Ihnen auch dafür danken, was die Leute ja nicht so wissen, im Radio ist, dass sie jedes Mal diese Ausgaben hier vorbereiten, dass sie sich überlegen, welche Themen man nehmen könnte, dass Sie die Politik screenen. Ich muss ja nicht besonders viele politische Dinge anse-


hen. Ich gucke mir mehr die wissenschaftlichen Arbeiten an. Deshalb an dieser Stelle trotzdem auch einen Dank an Sie!


[0:32 :2 6]



Camillo Schumann



Vielen Dank. Wir haben eine gute Arbeitsverteilung, würde ich mal sagen. Sehr schön. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Ich wünsche Ihnen alles Gute, bis zum Wochenende.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 30.07.2 02 0 #99: Zweit-Infektionen sind keine Hiobsbotschaft



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag 2 5. August 2 02 0.


1. Ein Forscherteam aus Hongkong hat erstmals eine Zweitinfektion mit SARS-CoV-2  eindeutig nachgewiesen. Warum das keine Hiobsbotschaft ist.


2 . Keine kostenlosen Corona-Tests mehr für Reisende. Und die Testpflicht für Rückkehrer aus Risikogebieten soll auch wegfallen. Macht das Sinn?


3. Und sollte man auch die Augen vor einer Ansteckung schützen?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

 Es gibt wieder eine Menge zu besprechen. Fangen wir mit einer Top-Meldung aus der Wissenschaft an. Es geht um eine erneute Infektion mit SARS-CoV-2 . Also kann jemand, der


die Krankheit durchgemacht hat, sich wieder infizieren. In den letzten Monaten gab es ja immer mal wieder Berichte, wonach Covid-19Patienten nach ein paar Wochen oder Monaten wieder positiv getestet wurden. Die Frage war aber ungeklärt: War es eine Zweitinfektion mit derselben Virusvariante, die für den ersten Ausbruch verantwortlich war, also quasi eine Reaktivierung? Oder war es eine Infektion mit einer neuen Virusvariante, also quasi einer zweiten „Neuinfektion“? Und genau das wurde jetzt nachgewiesen. Ist das so ein wissenschaftlicher Paukenschlag? Was meinen Sie?


[0:01:42 ]



Alexander Kekulé


Ich glaube schon, dass es ein Paukenschlag ist. Bis jetzt war es ja tatsächlich so, dass wir das immer schöngeredet haben, wenn so vier Wochen, acht Wochen nach der Infektion – wir hatten auch schon Fälle, wo es mal drei Monate war, dann plötzlich das Virus wieder positiv war, also der Virusnachweis wieder positiv war. Da hat man immer gesagt, ja, das Virus war die ganze Zeit da. Zwischendurch waren die Nachweise eben negativ. Vielleicht weil sie schlecht gemacht haben oder weil die Konzentration zu gering war. Und jetzt ist aber sehr, sehr eindeutig, dass das eine echte Zweitinfektion ist. Also jemand, der die Krankheit durchgemacht hat, hat nochmal eine Infektion bekommen.


Ich kann vielleicht illustrieren: Gestern, als das in der Hongkong Universität bei einer Pressekonferenz bekanntgegeben wurde, kurz darauf habe ich das dreimal zugeschickt bekommen, von Kollegen aus Südostasien. Und wenn die so aufgeregt sind, dass sie es mir gleich dreimal schicken, drei verschiedene Leute, dann hat es etwas zu bedeuten.



Camillo Schumann



Also, es wird jetzt heftig diskutiert in der Wissenschaft. Was haben die Kollegen in Hongkong genau herausgefunden?



Alexander Kekulé


Ja, das sind die Mikrobiologen an der Hongkong University. Das ganze Paper ist noch nicht offiziell publiziert, aber jemand war schlau und hat da quasi in einem sozialen Medium so ein paar Fotografien veröffentlicht, die jetzt natür-


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lich viral gegangen sind. Was die gemacht haben, ist Folgendes: Da gab es einen Mann, der war 33 Jahre alt, und der hatte schon vor längerer Zeit leichte Covid-19-Symptome. Also war ein leichter Fall von Husten, Halsschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen. Und das Ganze ging aber nach drei Tagen weg. In Hongkong ist es üblich, dass man da, wenn es immer irgendwie geht, im Krankenhaus stationär behandelt wird. Sobald Symptome da sind, empfehlen die die stationäre Behandlung, und hatten hier offensichtlich noch die Kapazitäten. Und deshalb war er dann im Krankenhaus ganze zweieinhalb Wochen. Und das Interessante ist, dass er nach dem wirklich langen Krankenhausaufenthalt – da hat man sicherlich auch ein paar Studien gemacht und ihn deshalb so lange behalten – da war er eben zweimal wirklich negativ im Rachenabstriche, im Nasenabstrich war er negativ. Das heißt also, er hat definitiv kein SARS-CoV-2  mehr ausgeschieden. Und er war auch interessanterweise während des Krankenhausaufenthalts negativ für Antikörper, hat kein IgG gebildet, zumindest während des Krankenhausaufenthalts. Und das ist jetzt eigentlich ein klassischer Fall, wo man sagt: Der Patient ist geheilt, dem geht es gut, der hat nichts weiter. Der hatte wohl auch keine, sag ich mal, so chronischen Probleme. Manche haben ja dann hinterher noch Schwierigkeiten, dass sie Kopfschmerzen noch haben oder immer mal wieder Atemnot, oder so. Das hat er alles nicht. Und dann ist er wirklich lange später, am 15.08., vor zehn Tagen, ist er am Hongkong Airport bei der Einreise gecheckt worden. Das ist dort Standard, so wie es in deutschen Flughäfen zum Teil auch ist. 142  Tage nach der Entlassung. Und da ist er beim Airport durch Zufall – der hat überhaupt keine Symptome, wieder positiv getestet worden.



Camillo Schumann



Er war ja im Urlaub in Spanien und müsste sich wahrscheinlich dort angesteckt haben.



Alexander Kekulé


Ja, der hat sich ziemlich eindeutig da in Spanien was geholt. Das ist vielleicht auch eine Warnung an die deutschen Urlauber, dass das tatsächlich vorkommt und man wirklich komplett symptomlos dann da nichts ahnend anreist. Der wird sich wahrscheinlich auch ge-


dacht haben, was soll das? Ich war da ja über 2 Wochen im Krankenhaus und habe es auskuriert. Ich bin doch immun. Vielleicht hat er sich auch ein bisschen, sag ich mal, unvorsichtiger verhalten. Aber was eben dann das wissenschaftlich interessante ist, ist Folgendes: Von diesem ersten Aufenthalt – weil er eben auch an der Universitätsklinik unter, sage ich mal, maximal wissenschaftlichen Bedingungen untersucht und versorgt wurde – hatte man das Virus, und man konnte die Sequenz des Virus feststellen. Das heißt also, das ist so eine Art Fingerabdruck, dass man wirklich die Erbinformationen des Virus, die auf seinem langen Molekül, auf einer RNA codiert ist, dass man die Punkt für Punkt analysiert. Und daraus kann man ganz exakt sagen, wo das Virus herkommt und was es für einen Stamm ist. Bei diesen Stämmen von Coronaviren oder überhaupt von Viren, da sprechen wir von Kladen. Das ist quasi eine Klade. Und die Klade V, die er beim ersten Mal hatte, die ist eindeutig definiert gewesen. Und das Spannende ist eben jetzt beim zweiten Mal hatte er eine Infektion mit einer anderen Virusklade gehabt, also mit dem anderen Stamm. Das heißt, es ist völlig eindeutig, dass das eine Zweitinfektion war und nicht irgendwie ein Virus, was er noch im Körper hatte, reaktiviert wurde.



Camillo Schumann



Also sozusagen der spanischen Variante beispielsweise.



Alexander Kekulé


Ja, das kann man schon so sagen. Diese bei der Zweitinfektion gefundene Klade G, ist in der Tat in Europa relativ verbreitet. Übrigens auch in den USA ist ja so, dass die Virusverbreitung tatsächlich von Europa in die USA oder zumindest an die Ostküste der USA am Anfang stattgefunden hat. Und diesen Typ hat man da gefunden. Das sind ein paar Besonderheiten genetisch dran. Das ist ja so die Frage: Wieso ist es zu dieser zweiten Infektion gekommen? Der Stamm, der die erste Infektion gemacht hat, den kannte man schon. Da weiß man, dass ein Teil des Virus ausgeschaltet ist, was normalerweise in der Lage ist, das Immunsystem zu unterdrücken, ein Teil des Immunsystems, die sogenannte angeborene Immunantwort unterdrücken kann. Und das ist bei diesem


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Stamm teilweise ausgeschaltet. Es wird vermutet, dass Menschen, die damit eine Infektion haben, tendenziell nicht so schwere Verläufe haben, wie es bei ihm ja auch der Fall war. Und es gibt auch die Vermutung, dass, wenn der Verlauf nicht so schwer war, wenn man eine leichte Infektion hat, das dann die Antikörper schneller wieder verschwinden oder man überhaupt keine große Menge von Antikörpern im Blut entwickelt, also dieses IgG dann nicht nachweisbar ist. Und das passt auch bei diesen Patienten. Da war ja zumindest bei der einen Probe, die man genommen hat – danach gab es leider keine Nachuntersuchungen mehr – hat man das IgG nicht gefunden. Sodass man sagen kann, das war offensichtlich jemand, der so völlig unterm Radar war, der wäre ja beim Antikörpertest negativ gewesen, hätte man gar nicht festgestellt, dass der schon mal eine Infektion hatte, wenn der nicht für zweieinhalb Wochen im Krankenhaus gewesen wäre. Also insgesamt ein sehr interessanter Fall. Leichte Infektion, verleiht offensichtlich einen Schutz, weil er beim zweiten Mal praktisch überhaupt nichts hatte. Der hat das gar nicht gemerkt. Und das Interessante ist, nach der zweiten Infektionen, da hat es dann auch wieder paar Tage gedauert, kam tatsächlich das IgG in einen Bereich, wo man es nachweisen konnte. Also, nach der zweiten Infektion, ganz aktuell, konnte man bei ihm, also jetzt vor fünf Tagen ungefähr, das IgG tatsächlich nachweisen.


[0:08:2 9]



Camillo Schumann



Wenn jetzt einer unterm Radar ist, dann könnten, dass er möglicherweise noch viele sein. Denn, Sie haben es eben beschrieben, die Voraussetzungen da in Hongkong, sind ja ganz andere wie in anderen Ländern. Der wird sozusagen gleich in die Klinik eingeliefert. Da wird dann wahrscheinlich eine Karteikarte angelegt, und da wird dann alles überwacht. Und der Rest ist ja „Kommissar Zufall“, glücklicherweise in dem Fall.


[0:08:48]



Alexander Kekulé


Ich gehe davon aus, dass es die Spitze eines riesigen Eisbergs ist. Die Hong Kong University, das sind ja die, die das SARS-Virus 2 003 entdeckt haben. Damals war der Malik Peiris der


Direktor, jetzt seine Nachfolgerin Susanna Lau ist auch sehr bekannt. Susanna ist immer ganz lustig. Die Hongkong-Chinesen lieben es, europäische Vornamen ihren Kindern zu geben, und das ist aber eine Chinesin. Und das sind wirklich Topleute, kann man sagen. Das ist klar, wenn man jetzt so einen Patienten hat, der also an einem der weltbesten Institute war, da ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man so etwas aufdeckt. Wenn so etwas in Indien passiert, ich sage jetzt mal ganz mutig, oder in Spanien irgendwo in der Provinz oder so, dann merkt es natürlich niemand.



Camillo Schumann



Ja, was heißt das jetzt? Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?



Alexander Kekulé


Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es eine schlechte Nachricht ist, weil die meisten Medien haben ja auch so darauf reagiert, dass sie sagen: Oh weh, Zweitinfektion möglich, werden dann die Impfstoffe überhaupt wirksam sein? Haben wir dann überhaupt eine Chance, jemals diese Viren überhaupt loszuwerden, wenn man sich immer wieder damit infizieren kann, eben mit etwas abgeänderten Varianten? Ich sehe das nicht so pessimistisch, weil eben hier auch das eingetreten ist, was man erwarten musste: Nämlich, dass die Zweitinfektion in dem Fall komplett asymptomatisch verlaufen ist. Wir müssen uns ja immer klarmachen, das ist jetzt ein neues Coronavirus, was beim Menschen Infektionen macht. Am Anfang machen solche Viren – das vermuten wir auch für die vier, die es schon gibt –, machen solche Viren schwerere Erkrankungen, eben so etwas wie das richtige Covid-19-Bild. Wenn die dann eine Weile zirkulieren, dann müssen sie sich genetisch nach und nach an den Menschen anpassen, insbesondere an sein Immunsystem. Wenn das dann Virus immer häufiger auf Menschen trifft, die so eine Teilimmunität haben oder vielleicht richtig immun sind, dann muss das Virus darauf reagieren. Das heißt, es wird quasi genötigt, sich genetisch zu verändern. Und durch diese genetische Veränderung kommt es dann einerseits zu Viren, die meistens ein bisschen ansteckender sind. Das ist dann sozusagen der Trick, mit dem es sich trotzdem noch weiterverbreiten


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kann, trotz einer gewissen verbreiteten Immunität in der Bevölkerung. Aber parallel dazu wird die Wirkung abgeschwächt. Dieser Prozess, wo ich jetzt ganz ehrlich gedacht habe, das dauert mindestens ein Jahr, bis es so weit kommt. Ich meine, ich habe das im Podcast auch mal gesagt, dass ich damit rechnen, dass wir in einem Jahr dann so rezirkulierende Typen haben, wo man zum zweiten Mal Infektionen kriegt. Dieser Prozess geht jetzt wesentlich schneller als vermutet. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen.



Camillo Schumann



War das denn bei anderen SARS-Viren anders?



Alexander Kekulé


Bei anderen Coronaviren hatten wir dann die Situation, bei diesen vier Typen, die schon zirkulieren, dass die wahrscheinlich am Anfang, als die aufgetreten sind, tatsächlich ähnlich schwere Erkrankungen gemacht haben, wie jetzt das Covid-19 oder vielleicht auch, wie SARS von 2 003. Wir haben sogar relativ konkrete Hinweise bei einem dieser vier Typen. Da wissen wir, dass das von einem von einer Fledermaus wohl kam. Und es gibt sogar Menschen, die vermuten – das ist jetzt eine Spekulation, aber man kann das ja an der Stelle vielleicht kolportieren – dass die sogenannte russische Grippe, die ist im 19. Jahrhundert die letzte große Grippe gewesen, vor der Jahrhundertwende, dass die möglicherweise gar nicht von dem Influenza-Virus hervorgerufen wurde. Es gibt Hinweise darauf. Aber das ist eine Spekulation, sage ich mal, die manchen Leuten gefällt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sogar in der dokumentierten Geschichte es schon Epidemien, Pandemien von Coronaviren gab, möglicherweise eins von den vieren, die wir heute so als harmlose Erkältungsviren haben. Das Ganze ist natürlich so eine Geschichte, die man deshalb gerne erzählt, weil das ja in die Zukunft blickend bedeutet, das jetzige Coronavirus wird nicht verschwinden. Es wird in verschiedenen Varianten weiter existieren. Wir werden mehr und mehr immun dagegen. Und es gibt 2 gute Nachrichten. Das Eine ist, dass die Vermutung, dass das Virus sich nach und nach ändert und quasi wir in der Situation sind, dass es so eine Anpassung zwischen Wirt und Virus gibt, die dann auch zu harmloseren


Erkrankungen führt, die ist eigentlich bestätigt, dadurch, dass es solche Zweitinfektionen gibt. Und das Andere ist das, dass das Virus sich so schnell verändert, dass es den gleichen Patienten nochmal infizieren kann, das bedeutet, dass es unter einem erheblichen Selektionsdruck steht. Also so im Darwin’schen Bild kann man sich vorstellen, eine Wasserschildkröte hätte kein Panzer entwickelt, wenn es keine Haie gibt, die gelegentlich versuchen, diese Tiere zu fressen. Und so ist es so, unter dem Druck, dass es nicht weitergeht, ändern sich die Arten. Und hier ist es offensichtlich so, dass es für das Virus schon einen Druck durch bereits immune Personen gibt. Wir wissen nicht, ob das jetzt in Spanien ist oder in Indien oder sonst wo. Aber das Virus entwickelt sich doch relativ schnell in eine Richtung, wo es wahrscheinlich dann ein angepasstes Virus wird.


[0:14:00]



Camillo Schumann



Das ist natürlich für diesen einen Patienten da in Hongkong ein toller Umstand, dass es, dass er es quasi jetzt noch einmal durchgemacht hat und es ihm ja sehr gut geht und er jetzt möglicherweise dann vielleicht sogar für immer dann immun ist. Aber was heißt das denn für die zu schützenden Risikogruppen? Ist er denn weiter infektiös? Weil, wenn er sich permanent ansteckt, sage ich jetzt mal, und infiziert, dann kann er doch die anderen dann auch wieder anstecken. Also, was heißt das für die, die man eigentlich schützen sollte?


[0:14:2 8]



Alexander Kekulé


Das ist eine gute Frage: Das wissen wir tatsächlich nicht. Es ist so, dass die Menschen, die selber immun sind, die kommen immer besser mit diesen Viren klar. Wahrscheinlich kommen ja auch einige jetzt schon ganz gut damit klar, weil sie mit anderen Coronaviren Erfahrungen gemacht haben. Ob jetzt jemand, der also noch nie mit einem Coronavirus Kontakt hatte, also der gar keine Teilimmunität hat, der auch mit dem neuen SARS-CoV-2  oder seinen Varianten keinen Kontakt hatte, und der zusätzliche eine Risikoperson ist, stark übergewichtig zum Beispiel, ob der im Lauf der Zeit durch ein weniger gefährliches, an den Menschen angepasstes Virus wirklich weniger gefährdet ist,


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das kann man jetzt noch nicht sagen. Also die Wahrscheinlichkeit ist hoch, ja. Ich gehe davon aus, dass das früher oder später so ist. Aber man muss ja sagen, auch die normalen Coronaviren, diese vier Typen, die die Erkältungen machen: Da gibt es auch Einzelfälle von Menschen, die dann wirklich daran gestorben sind, und zwar zum Teil sogar ganz einzelne, seltene Berichte, ohne bekannte Vorerkrankungen. Also so was gibt es bei vielen Virusinfektionen. Dass der eine vielleicht aufgrund seiner genetischen Veranlagungen, das Immunsystem ist vielleicht ein bisschen anders, dass der dann ganz anders und viel stärker reagiert und also auch in Lebensgefahr kommt. Aber so insgesamt, ich sage mal mit Blick auf die Gesamtbevölkerung, hätte ich die Hoffnung, dass das Virus vielleicht schneller an Gefährlichkeit abnimmt, als wir bisher befürchtet haben.



Camillo Schumann



Wenn man da jetzt so ein Fazit ziehen würde: ein Fingerzeig für was?



Alexander Kekulé


Also für mich heißt es: Erstens, das Virus verhält sich so wie erwartet. Das beruhigt mich immer. Wenn etwas Unerwartetes passiert, bin ich immer eher nervös. Das heißt, es ist irgendwie dabei, sich anzupassen. Zweitens, wir werden auch dann immun sein, wenn wir gar keine messbaren Antikörper haben. Das sind 2 gute Nachrichten. Vielleicht noch so eine wirklich hundertprozentige Spekulation zum Schluss. Das ist schon fast nicht zitierfähig, aber wenn es so ist, dass das Virus sich so schnell anpasst, schneller, als wir dachten, dann darf man natürlich auch hoffen, dass es offensichtlich häufiger auf immune Menschen trifft und es deshalb macht. Und dass deshalb so der Gesamtverlauf der ersten großen Wellen dieses Virus, die ja wohl noch bis nächsten Sommer geht, wirklich nach hinten begrenzt ist. Also es besteht die Hoffnung, dass das, was wir da jetzt sehen, dass das Virus sich so verändert und schon in der zweiten Variante wiederkehrt, dass das in gewisser Weise der Anfang vom Ende sein könnte von dieser Pandemie, im Sinne einer schweren Erkrankung. Dass dann die leichteren Erkrankungen nach und nach zunehmen und wir immer häufiger davon


hören, dass die Letalitäten möglicherweise sinken. Das ist aber, muss ich noch einmal betonen, eine Spekulation. Aber ein Virologe dafür auch mal ein Bauchgefühl äußern.



Camillo Schumann



Selbstverständlich und so eine Spekulation in Ausgabe 99 ist doch auch was. Also da kann man doch auch nicht meckern. Das hätten wir vor einem halben Jahr auch nicht gedacht.



Alexander Kekulé


Ja, das stimmt. Also ich hätte damit gerechnet, dass das wesentlich länger dauert, bis das Virus so deutliche Subtypen bildet, die dann auch Reinfektionen machen können.


[0:17:46]



Camillo Schumann



Apropos, wesentlich länger dauert: Wir müssen über die Teststrategie von Bund und Ländern sprechen. Da scheint Einigkeit zu herrschen. Die verpflichtenden Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Und die grundsätzlichen kostenlosen Tests für Reisende, die kamen ja kurz vor Ende der Ferien, als schon viele Rückkehrer das Virus wieder ins Land gebracht haben. Damit soll schon wieder Schluss sein. Kostenlose Test für Reisende wird es wohl nicht mehr geben. Die Gesundheitsminister der Länder sind sich da sehr einig. Und Herr Spahn erklärt das folgendermaßen, unser Bundesgesundheitsminister:


„Gleichzeitig sind wir uns einig, dass mit Ende der Rückreisewelle wir die Testkapazitäten stärker wieder nutzen wollen, auch für die sowieso vorhandene Teststrategie, also Pflege, Gesundheitswesen, Krankenhäuser. Und gleichzeitig bei denjenigen, die dann noch aus Risikogebieten zurückkehren.“ (Bundesgesundheitsminister Jens Spahn)


Menschen ein Altenheim testen statt Urlaubsrückkehrer? Gute Idee?



Alexander Kekulé


Na ja, wenn man die Wahl hat, selbstverständlich gute Idee. Es ist ganz klar, die alle allererste Priorität, das wissen Sie, ist aus meiner Sicht ist es der erste Buchstabe des Smart-Konzepts ist der Schutz der Risikogruppen. Da sind wir


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noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Das Robert Koch-Institut berichtet praktisch ständig von neuen Ausbrüchen in Pflegeheimen, auch in Krankenhäusern. Und da muss man schon sagen, jetzt machen wir das schon so lange und haben diese Gruppen immer noch nicht geschützt, obwohl wir inzwischen eigentlich wissen, wie es gehen würde. Das ist ganz klar, dass zum Beispiel das Personal in Altenheimen, in Pflegeheimen aller Art, auch Behindertenpflege-Einrichtungen, dass dieses Personal regelmäßig getestet werden muss, um wirklich alles zu tun, um zu verhindern, dass dort Einschleppungen passieren. Und mit den Tests kann man ja auch den Menschen, die dort wohnen, das Leben wesentlich erleichtern, weil sie dann ihre Angehörigen sehen können ohne Plexiglasscheiben dazwischen und so weiter. Das heißt also, das ist natürlich die erste Priorität. Die Frage, die man natürlich so einem Politiker stellen muss, ist: Es also gut, jetzt hast du das erste nicht erledigt da mit den Pflegeheimen und mit den Krankenhäusern, wie Dir das Robert Koch-Institut, deine eigene obere Bundesbehörde, quasi jede Woche mehrfach vor die Nase hält. Jetzt hast du die Tests im Herbst nicht beschafft, diese Schnelltests, die wir gebraucht hätten, um eben ohne Belastung der PCR-Kapazitäten in den großen Laboren trotzdem die Möglichkeit zu schaffen, große Mengen von Reiserückkehrern zu testen, Kinder bei der Einschulung und so weiter. Jetzt gibt es diese Möglichkeiten nicht. Jetzt wird der Kurs wieder korrigiert, und jetzt sagt man okay, wir haben das schlecht geplant, jetzt wollen wir die Kapazitäten doch wieder für unser Kerngeschäft nutzen. Ja, klar in der jetzigen Lage, vielleicht das einzige, was man machen kann. Aber ich hätte mir gewünscht, dass diese Ansage jetzt zugleich damit verbunden wird, dass man sagt: Wir machen das jetzt endlich, dass wir diese Schnelltests, also Antigen-Schnellteste und Lab-Schnellteste, dass wir das jetzt wirklich auf die Schiene bringen.


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Camillo Schumann



Die geplante Neuausrichtung wird unter anderem damit begründet, dass die Labore in Deutschland inzwischen an ihre Grenzen stießen, sowohl beim Personal als auch bei der


Verfügbarkeit von Materialien. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte:


„Wenn wir wochenlang Volllast fahren in dem Bereich, werden wir Materialund Personalprobleme bekommen. Deshalb müsse man die Teststrategie entsprechend anpassen.“


Pro Woche werden dem Sprecher zufolge rund 875.000 Corona-Tests gemacht, und theoretisch wären 1,2  Millionen Tests pro Woche möglich. Also da ist doch eigentlich noch Luft, oder?



Alexander Kekulé


Da ist noch Luft, ja. Aber es ist so, dass einfach die Laborbetreiber sich beschwert haben, dass es das ist so eine Dynamik, die ist ganz vielschichtig. Am Anfang haben natürlich die Laborärzte „Hier!“ gerufen, weil sie das Geschäft gewittert haben. Das ist klar. Dann kamen die harten Verhandlungen. Sie wissen, am Anfang haben die Tests, zum Teil, wenn sie es privat gemacht haben, unverschämte 2 50 Euro gekostet. Inzwischen, wenn natürlich jemand wie das Bundesland Bayern da verhandelt mit so einem Tester, dann können die, ich kenne den Preis nicht, aber ich schätze mal, nicht mehr als 30 Euro aufrufen für so was. Dadurch ist das Geschäft weniger lukrativ. Sie sind aber dann sozusagen in der Hand des Staates, weil sie eine national wichtige Aufgabe erfüllen. Und jetzt hissen die also die weiße Fahne. Was richtig ist, dass es natürlich da begrenzte Kapazitäten gibt. Das ist aber klar gewesen, schon bevor die Corona-Krise losgegangen ist. Das war von vornherein vollkommen klar, dass man, wenn man die diese PCR-Maschinen, also die Tests, die für wirklich kranke Patienten sind, wo man dann hinterher Medikamente gibt, eine Diagnose stellt, und es also wirklich sicher sein muss das Ergebnis, also Krankenhaus-Standard haben muss, 99 % plus sozusagen bei der bei der Sensitivität, also bei der Nachweisempfindlichkeit. Klar, diese Maschinen, die sollte man als allererstes für mögliche Patienten mit Symptomen haben. Als zweites für solche, die im Krankenhaus arbeiten oder anderweitig im Risikobereich: Altenheime und so weiter. Dann kommt lange nichts. Und dann muss man die Frage stellen, braucht man so ein Hightech-Equipment jetzt wirklich, um die


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ganzen, meistens asymptomatischen, Reiserückkehrer und so weiter prophylaktisch zu testen? Und da wissen Sie, dass ich seit März dringend dafür plädiere, das nicht zu machen. Das ist ja nicht meine private Vorhersage gewesen, dass die Kapazitäten der großen Labore dann schnell überlastet sind, sondern das haben ja viele andere auch gesagt. Und wenn sie sich an die Heinsberg-Leute erinnern, da mein Kollege Streeck, der hat mit einer mit ein paar anderen Leuten zusammen schon damals gesagt, wir brauchen vielmehr Tests: aber er hat nicht gesagt, die müssen alle auf PCR-Basis sein.


[0:2 3:2 5]



Camillo Schumann



Jetzt gibt es noch Uneinigkeit darüber, wann diese Teststrategie verändert werden soll. Manche Ministerpräsidenten sagen zum 01. September, manche zum 15. September. Dann hätten wir so ein Zeitraum von irgendetwas zwischen drei und fünf Wochen, in denen dann die Urlaubsrückkehrer getestet worden. Ist das signifikant dann für das Pandemiegeschehen in Deutschland? Oder hätte man sich die fünf Wochen dann auch sparen können?


[0:2 3:49]



Alexander Kekulé


Doch das war schon wichtig, weil man dadurch einfach erkannt hat, wo es herkommt. Also diese Angabe, dass man sagt, wir wissen jetzt, dass 40 % ungefähr sind, so die Zahlen, die man hört, der neuen Infektionen von Reiserückkehrern kommen. Das wüsste man ja gar nicht, wenn man, wenn man solche Stichproben nicht hätte. Also, daher war das schon richtig. Ich bin auch dringend dafür, weiterhin zu testen. Also aus meiner Sicht ist es so: Wenn man eine vernünftige Strategie zur Bekämpfung dieses Virus, bis der Impfstoff da ist, fahren will, dann muss man im weitesten Sinne Einreisekontrollen haben. Und Einreisekontrollen heißt einfach, es hat keinen Sinn, im Land sozusagen maximalen Aufwand zu betreiben, um alles aufzuräumen, bis hin zu der Frage, dass Kinder Masken im Unterricht tragen müssen und so – was ja auch nicht so toll ist. Und zugleich hat man die Grenzen offen und es kommen ständig neue Infektionen rein. Das leuchtet jedem ein, dass das nicht sinnvoll ist.


Deshalb brauchen wir Einreisekontrollen, und die kann man entweder so machen, dass man die Einreise begrenzt aus bestimmten Regionen. Diese Diskussion: Müssen wir überall in Urlaub hinfahren? Ist das überhaupt notwendig, dass die Menschen jetzt in Europa und zum Teil auch außerhalb Europas ständig über die Grenzen wechseln? Und die zweite Option, die man hat, ist eben: testen bei der Einreie? Viel mehr gibt es nicht.


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Camillo Schumann



Weil schon ganz viele Urlauber die Infektionen wieder ins Land gebracht haben, steigt ja auch die Zahl der Neuinfizierten. Stand heute wurden 1.2 78 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden gemeldet. Am vergangenen Samstag war mit über 2 .009 Fällen erstmals seit April die 2 .000er-Marke gerissen worden. Das wird uns in dieser Woche vermutlich auch wieder drohen. Was also tun? In dieser Woche werden Entscheidungen getroffen. Die Ministerpräsidenten der Länder diskutieren am Donnerstag mit der Kanzlerin über eine Strategie für die kommenden Wochen. Und wie weit man da auseinander liegt, das zeigen diese beiden Aussagen: einmal von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und einmal gleich im Anschluss Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.


„Der Rahmen muss einheitlich sein. Das versteht doch sonst kein Mensch, warum man für Masken völlig unterschiedliche Bußgelder zahlt. Manchmal gar nix und anderen Fällen, wie bei uns, viel, viel mehr. Oder warum manche Feiern und Veranstaltungen in einigen Ländern erlaubt und in anderen nicht erlaubt sind. Wir brauchen jetzt mehr Einheitlichkeit.“ (Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder)


„Wir haben eine sehr unterschiedliche Situation in Deutschland, und wir können in Sachsen nicht die Regeln von Bayern übernehmen. Wir wollen nicht diese Einschränkungen für die Bevölkerung, für die Wirtschaft. Wir haben ein sehr niedriges Infektionsgeschehen. Das haben die Menschen durch ihre Disziplin so ermöglicht. Und deswegen bleiben wir bei den 100 Personen, die bei einer Familienfeier möglich


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sind, und bei den 50 Personen, wenn es eine Betriebsfeier ist.“ (Ministerpräsident Sachsen, Michael Kretschmer)


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Camillo Schumann



Das ist so ein bisschen Westen gegen Osten. Und unterschiedlicher könnte auch das Infektionsgeschehen kaum sein. Der eine will alles vereinheitlichen, der andere will regional für sich entscheiden, weil kaum was los ist. Wie kriegt man da die Kuh vom Eis?



Alexander Kekulé


Also, da kann ich nur empfehlen, was wir seit Jahrzehnten bei unserem Pandemieplänen machen, die wir für Großunternehmen machen. Und da gibt es ein Ampelsystem: rotgelb-grün. Ehrlich gesagt, deshalb, weil ich immer gesagt habe, Manager verstehen es nur, wenn es so einfach ist (schmunzelt) – Entschuldigung an die, die zuhören, Das ist natürlich kleiner Spaß. Aber letztlich muss man von der Behörde her sagen, wir haben mindestens drei Stufen. Rot-gelb-grün finde ich relativ ein eingänglich. Und das ist dann insofern einheitlich das bundesweite, gleiche Regeln gelten, wenn rot ist, und bundesweit die gleichen Regeln gelten, wenn gelb oder grün ist. Und in diesem Schema wäre dann eben Bayern wahrscheinlich gerade auf dunkel-gelb. Und einige Länder im Osten wären noch auf grün oder grün-gelb. Und das müsste man natürlich nicht so machen, dass das jede Firma selber festlegen kann oder jeder Landkreis. Sondern, das müsste man halbwegs vernünftig bundeslandweise machen. Dass also das Bundesland sagt, wo welche Regel gilt. Und das müsste man den Bürgern und auch so kommunizieren. Da muss man eben sagen okay, jetzt hier, in einer bestimmten Region von Thüringen sind wir gerade auf grün und in bestimmten Teilen Bayerns oder in anderen Gegenden in Deutschland, in Hessen haben wir Problemregionen, in NRW natürlich, da sind wir einfach schon auf rot. Und dann gelten andere Regeln. Und wenn es heißt, Maske auf, dann versteh ich jetzt, das ist jetzt natürlich kein virologisches Argument, aber ich verstehe jetzt so als Bürger nicht wirklich, warum das Bußgeld dann unterschiedlich sein muss. Also dass man einmal sagt, ihr müsst keine Maske tragen, ist okay. Aber das


Bußgeld unterschiedlich zu machen, das ist natürlich noch mal so ein Soft Factor, der ja eigentlich so ein bisschen die Sprache zwischen den Zeilen spricht. Wir verbieten euch das liebe Leute, aber wir meinen es nicht so ernst als Regierung. Und ich glaube, in die Position sollte man sich in der Politik nicht begeben, dass man selbst dafür sorgt, dass man nicht mehr ernst genommen wird.


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Camillo Schumann



Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Dieses Ampelsystem rot, gelb, grün gilt dann für Gesamtdeutschland. Und auch die Maßnahmen gelten für Gesamtdeutschland. Nur die Ampel steht eben in den unterschiedlichen Bundesländern denn eben auf unterschiedlichen Farben.



Alexander Kekulé


So ist es, genau so ist es. Sie haben, wenn sie wie Autofahren, noch nicht nur grüne Ampeln vor sich. Das wichtige wäre eben, dass die Kriterien ganz knapp glasklar vereinbart sind. Also, dass man wirklich bessere Kriterien hat als jetzt diese 50 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das war jetzt mal so ein erster Versuch. Aber da gibt es ja durchaus Möglichkeiten, diesen Infektionsdruck, wie wir das dann nennen, also die Infektionswahrscheinlichkeit, regional wirklich besser abzubilden. Weil, aus der Sicht des Betroffenen ist ja das eigentlich das wichtige. Also, wir interessieren uns ja nicht so wirklich, sag ich mal ganz egoistisch wie die Zahlen in Südamerika. Und vielleicht gibt es auch Menschen, die irgendwo in Halle leben und sich nicht so sehr für die Zahlen in München interessieren, weil sie gar nicht vorhaben dahinzufahren, ihre Verwandten von da gerade nicht besuchen. Aber da, wo wir sind, da wollen wir doch eigentlich den Wetterbericht haben. Und so wie der Wetterbericht brauchen wir im Grunde genommen so eine Festlegung, wie das Risiko ist, eine Warnung dazu. falls jemand auf die Idee kommt, das zu machen. Es ist tatsächlich so, man muss da das machen, was das Robert Koch-Institut Nowcasting nennt. Das heißt, man muss aufpassen, dass man nicht die heutigen Infektionszahlen sich anschaut, sondern man muss im Grunde genommen rückwärts rechnen von den vergangenen auf heute


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und von heute ein bisschen in die Zukunft. Also man braucht so tatsächlich so eine Art VirusVorhersage. Ich glaube aber, dass das möglich ist. Die wird nicht perfekt sein, aber so gut wie die Wettervorhersage allemal.



Camillo Schumann



Die ist ja auch nicht perfekt.



Alexander Kekulé


Eben. (lacht)



Camillo Schumann



Kommen wir zu den Hörerfragen. Frau Müller aus Leipzig ist jeden Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, und sie hat folgende Frage:


„Ich fahre täglich mit sowohl der S-Bahn als auch der Straßenbahn. Und dann brauche ich auch noch einen Bus, um auf Arbeit zu kommen. Und hätte ich gern mal einen Tipp von Herrn Kekulé. Und zwar, sollte ich lieber die Sitze, also um mich festzuhalten, die Sitze anfassen, die ja mit Stoff bespannt sind, gerade so die Rückenlehnen und so was. Oder lieber die Griffe, die sind ja glatt. Gäbe das jetzt irgendeinen Vorteil, wenn ich mehr den Stoff anfasse, oder ist das sowieso alles Blödsinn?“


Oder ist das sowieso alles Blödsinn?



Alexander Kekulé


Also, das Wichtigste ist, um das vorwegzunehmen, das man, wenn man die Sitze oder die Griffe oder irgendetwas anderes oder einen anderen Menschen angefasst hat, den man nicht kennt: Dann soll man sich mit den Händen hinterher selbst nicht ins Gesicht fassen und nichts essen, außer man hat zwischendurch die Hände gewaschen. Das ist die ganz einfache Regel. Klar, man kann jetzt sagen auf glatten Oberflächen halten sich die Viren länger, insbesondere wenn es dort in irgendeiner kleinen Schleimspur verpackt ist. Da kann man in manchen Experimenten nachweisen, dass die Viren noch tagelang haltbar sind. Und auf einem Stoff halten sie sich kürzer, weil die diese raue Oberfläche nicht mögen. Umgekehrt ist es so, wenn der Bus dann abends gereinigt und vielleicht sogar desinfiziert wird, dann ist es natürlich so, dass das auf den Stoff-


polstern nicht so wirksam ist wie auf einer glatten Plastikoberfläche. Sodass man jetzt sehr schwer sagen kann, was am nächsten Tag vielleicht noch dranbleibt. Typischerweise, wenn jemand gerade eben auf gut Deutsch seinen Rotz dahin geschmiert hat, dann ist es egal, ob das auf einem Polster oder auf dem an einem Griff ist. Dann wollen sie das definitiv nicht im Gesicht haben. Und deshalb kann ich nur dringend empfehlen, die Hände unter Kontrolle zu halten, wenn man im öffentlichen Bereich war.



Camillo Schumann



Mund-Nasen-Schutz tragen ja die meisten. Aber wie sieht es eigentlich mit den Augen aus? Dieser Herr hat angerufen:


„Um sich vor einer Infektion zu schützen, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine FFP2 -Maske sehr gut geeignet ist. Nun stellt sich die Frage, ursprünglich hieß es, dass man auch die Augen schützen müsse, die Augenschleimhäute. Nun spricht da niemand mehr davon. Ist es nicht immer noch so, dass man auch die Augen schützen sollte, die Augenschleimhäute? Und dann stellt sich die Frage, wie man diesen voll schützen kann?“


Die Augen als Einfallstor für SARS-CoV-2 ?



Alexander Kekulé


Ja, der Zuhörer hat da wirklich gut aufgepasst, dass ist in der Tat so, dass diese Diskussion so ein bisschen abgeflaut ist, weil wir es nicht genau wissen. Also die Situation ist die: Wir wissen definitiv, dass dieses konkrete Virus über die Nasenund Mundschleimhaut aufgenommen werden kann. Und wir wissen, dass andere Coronaviren und tendenziell die allermeisten Viren, die Atemwegsinfektionen machen, auch über die Augen reinkommen können. Bei SARS-CoV-2  ist es meines Wissens aber noch nicht eindeutig bewiesen, dass das ein weiteres Einfallstor für die Infektion sein kann. Aber die Arbeitshypothese steht im Raum. Darum gehen wir alle weiterhin davon aus. Auch die Weltgesundheitsorganisation hat in ihrer ganz aktuellen Empfehlung – die jetzt gerade wieder alle wissenschaftlichen Daten sich angesehen hat – die hat gesagt jawohl, die Augen sollen geschützt werden, zum Beispiel


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durch ein Gesichtsschild oder Ähnliches, weil das ein Einfallstor für die Infektion sein kann. Am Anfang, als auch in diesem Podcast immer empfohlen wurde, die Augen mit zu schützen, wenn man es jetzt hundertprozentig machen will, da haben wir typischerweise an die Infektionen gedacht, die durch Tröpfcheninfektionen beim Sprechen und Husten kommen. Also die, die direkt fliegen. So was fliegt natürlich gerne mal ins Auge. Ob so ein Nebel, der indirekt ist und er eine größere Distanz überschreiten kann, ob da eine echte aerogene Infektion, ob da genug Viruspartikel drin sind, um auch auf der Bindehaut des Auges eine Infektion herbeizuführen, das ist meines Wissens nicht geprüft worden. Aber die Arbeitshypothese heißt einfach: Ja, die Augen, wenn man auf Nummer sicher gehen will, soll man natürlich schützen. Jeder im Krankenhaus macht es, wenn er mit hochinfektiösen Patienten zu tun hat. Also wenn jetzt wirklich ein Covid-19-Patient im Krankenhaus liegt, auf der Intensivstation. Und man muss da zum Beispiel für die Atmung irgendwelche Geräte einstellen oder wechseln, dann wird man selbstverständlich immer auch die Augen schützen. Das wird keiner riskieren, da kleine Tröpfchen in die Augen zu bekommen.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 99, Herr Kekulé. Und heute haben wir doch was Positives oder?



Alexander Kekulé


Eigentlich haben wir heute eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass es die Chance gibt, dass die Immunität steigt, dass das Virus sich schneller als gedacht eigentlich anpasst an den Menschen. Und damit im Grunde genommen der Verlauf, den wir immer gehofft haben, dass es harmloser wird, vielleicht in Sicht ist – rein spekuliert natürlich. Andere positive Nachricht von heute ist, dass Menschen, die keine Antikörper haben, höchstwahrscheinlich trotzdem weitgehend geschützt sind gegen eine Zweitinfektion, wenn sie schon mal infiziert waren. Die schlechte Nachricht kommt für mich so ein bisschen aus dem menschlichen Bereich, dass wir beim Schutz der Altersheime und vor allem bei den Schnelltest nicht weiterkommen und


die Politik jetzt sogar wieder zurückgehen muss beim Testen, weil sie die Vorbereitungen nicht getroffen hat. Da sag ich jetzt mal, das Virus arbeitet wie erwartet. Die Politik könnte noch den einen oder anderen Gang hochschalten, würde ich mal sagen.


[0:36:04]



Camillo Schumann



Mal sehen, was dann am Donnerstag beim Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten rauskommt. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns am Donnerstag wieder, dann schon zur hundertsten Ausgabe.



Alexander Kekulé


Ich freue mich, bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 2 2 .08.2 02 0 #98: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Samstag, 2 2 . August 2 02 0. 1. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr bei einer Tuba? 2 . Dann: Wie sind Viren überhaupt entstanden? 3. Muss man bei Naturbädern und Badeseen etwas beachten? 4. Heißt mehr Tests auch mehr Infizierte. 5. Dann: Eine Hochzeit mit 100 Gästen in einem geschlossenen Raum. Hingehen oder nicht?


Willkommen zu einem Kekulés CoronaKompass Hörerfragen-Spezial. Die Fragen kommen von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiologen Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Dieser Herr aus Hamburg hat angerufen, und am liebsten hätte er sofort eine Antwort bekommen. Warum? Das erzählt er selbst:


"Ich bin am Donnerstag zurückgekommen von einer Schiffsreise. Wir sind mit dem Bus über fünf Stunden von Hamburg nach Düsseldorf gefahren, dann auf einem kleinen Schiff eine Rheintour gemacht. Wieder zurück, wieder mit dem Bus von Düsseldorf nach Hamburg und jetzt hier in Hamburg. Jetzt sitzen wir draußen auf der Terrasse, und die Enkelkinder sind


ungefähr 3 bis 4 Meter von uns entfernt. Und die Eltern sagen jetzt: Nein, nein, ihr könntet euch infiziert haben. Im Bus zum Beispiel, Klimaanlage im Bus, egal. Aber die Enkelkinder, sagen wir, sollen auf Abstand bleiben. Aber selbst da haben die Kinder jetzt Angst. Wir könnten die Enkelkinder anstecken. Der eine davon ist acht. Sie ist fünf. Wir halten die Enkelkinder auf Abstand. Aber nicht mal das dürfen wir: Draußen kurz kommunizieren oder einen Ball werfen. Auch im Abstand von 5 Metern zum Beispiel. Ist das nicht ein wenig übertrieben? Vielen Dank."


[0:01:44]



Camillo Schumann



Ja, da bin ich mal gespannt.



Alexander Kekulé


Aus meiner Sicht ist es übertrieben. Ich finde, wir müssen wirklich ein Augenmaß für solche Alltagsmaßnahmen entwickeln. Das gilt für die Behörden. Das gilt natürlich auch für die Menschen im Privaten. Wenn man sich Gesicht zu Gesicht gegenübersteht und miteinander spricht oder sich vielleicht sogar anschreit, da würde ich sagen, ist im Raum wie im Freien 2  Meter Abstand eine gute Sache. Im Freien würde wahrscheinlich 1,5 Meter reichen oder so. Sofern Sie in eine Richtung schauen und nicht miteinander sprechen, also Rücken an Rücken, würde ich im Freien sagen, können Sie auf 1 Meter runter gehen. Das ist jetzt so die Situation, wenn man aneinander vorbeigeht oder Ähnliches. Aber alles andere wäre völlig übertrieben. Wenn man jetzt Ball spielt mit einem Kind, muss man keine Angst haben, dass über Schmierinfektion, über den Ball, da groß die Infektion stattfindet. Wir waschen uns ja alle relativ häufig die Hände inzwischen und vermeiden, dass wir in die Hände niesen und dann hinterher diesen Ball anfassen. Das macht ja heutzutage keiner mehr. Was ich aber schon auch sagen würde, ist, dass so eine Busfahrt immer ein Risiko ist. Während so einer Busfahrt von Düsseldorf nach Hamburg oder zurück würde ich doch empfehlen, eine FFP2 -Maske zu tragen, solange wie möglich.


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[0:03:06]



Camillo Schumann



Aber in dem Fall übertriebene Vorsicht. Und wenn der Herr aus Hamburg das mit seinen Kindern jetzt ausdiskutieren will, auch vielleicht lautstark, dann sollte er Abstand wahren?



Alexander Kekulé


Ich habe immer so ein bisschen Angst, dass wir in der einen oder anderen Familie mit diesem Podcast auch Zwietracht säen. Auf die Gefahr hin muss ich aber in dem Fall sagen: Ja, es ist wohl übertrieben. Man muss es ja auch so sehen, das macht ja mit Kindern dann auch was, wenn sie ihr Leben lernen, den Opa und die Oma darf ich nicht mehr anfassen. Die sind gefährlich, weil die haben in dem Bus gesessen. Nächstes Mal sitzt das Kind dann selber im Bus. Da muss man ihm erklären, dass es jetzt aber mitfahren muss und das nicht gefährlich ist. Man darf nicht unterschätzen, dass Kinder Gefahren gerne verallgemeinern und nicht so differenzieren können wie Erwachsene. Nach dem Motto: Jetzt ist es gefährlich, jetzt nicht so sehr. Deshalb erzeugt man bei Kindern leichter so ein allgemeines Unwohlgefühl und so eine allgemeine Angststimmung. Vor allem, wenn die Eltern das verbreiten. Dann übernehmen Kinder von ihren Eltern diese Stimmung mehr oder minder ungefiltert. Und ich glaube, da müssen wir in dieser Covid-Krise aufpassen, dass wir keinen Kollateralschaden erzeugen.


[0:04:13]



Camillo Schumann



Birgit aus dem schönen Aachen hat uns geschrieben:


"Wir sitzen zu viert in einem sehr geräumigen Arbeitsraum. Ein Abstand von 1,5 bis 2  Metern wird eingehalten. Masken tragen wir allerdings nur, wenn wir kurzzeitig den Mindestabstand nicht warnen können. Der Raum hat Fenster zu 2 Seiten, wird regelmäßig komplett durchgelüftet. Jetzt, bei den hohen Temperaturen sogar ständig. Bedingt durch die Hitze benutzen nun einige Kollegen gelegentlich Fächer, um sich zwischendurch


abzukühlen. Nun entstand die Frage, ob man mit dem Fächer jemandem anderem seine Viren vor die Nase fächelt. Viele Grüße."



Alexander Kekulé


Also rein theoretisch ist die Antwort leider ja. Das ist tatsächlich möglich. Sowohl mit dem Propeller als auch mit einem Fächer verteilt man natürlich die Viren, die man direkt vor dem Gesicht hat, weiter im Raum. Und rein theoretisch würde man, wenn man das Virus ausatmet und dann wegfächert, natürlich die Wolke ein bisschen vergrößern. Ob das jetzt jemals praktisch eine Rolle spielt. Und da dadurch jetzt mehr Menschen infiziert werden als in einem geschlossenen Raum sowieso, wenn sie miteinander sitzen? Ja, vielleicht gibt es dann, wenn die ganze Pandemie vorbei ist, mal eine Studie, die so etwas zeigt. Ich würde sagen, es ist ein Grenzrisiko an der Stelle. Aber gut sind die Fächer natürlich nicht, weil man in der Tat die Luft besser im Raum verteilt, die man ausatmet.


[0:05:34]



Camillo Schumann



Von den Fächern zu denen angesprochene Propellern bzw. Ventilatoren. Herr Müller hat aus Berlin angerufen. Er hat eine Frage zum Großraumbüro:


"Wenn Mitarbeiter getrennt von einer Glasscheibe im Abstand von 2  Metern sitzen, wäre es dann möglich, so kleine Tischventilatoren zu nutzen, wenn die Fenster immer geöffnet sind? Wäre toll, wenn ich dazu eine Antwort bekommen würde."



Alexander Kekulé


Ja, da kann ich gut in Deckung gehen. Es gibt nämlich da Empfehlungen, die letztlich vom Bundesarbeitsministerium und den nachgeordneten Behörden herausgegeben werden. Da ist es relativ klar, dass Propeller am Arbeitsplatz, also typischerweise solche Tischventilatoren, nur empfohlen werden, wenn das Einzelräume sind. Wenn jemand alleine im Raum sitzt. Sobald es ein Großraumbüro ist, wird ganz klar von diesem Propellern abgeraten. Und da würde ich jetzt


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nichts hinzufügen. Das ist im Prinzip vernünftig.


[0:06:39]



Camillo Schumann



Frau Haupt macht sich große Sorgen. Sie hat gemailt:


"Ich arbeite in einer Werkstatt für geistig behinderte Menschen, die an eine Wohneinrichtung angegliedert ist. Vom 16. März bis 6. Mai lebten unsere zum Teil auch sehr jungen und aktiven Beschäftigten im totalen Lockdown. Sie durften ihre Wohngruppen nicht verlassen et cetera. Sollte sich die Situation wieder verschärfen, fürchte ich, dass dieser Zustand wieder eintreten wird, da die Behinderteneinrichtungen den Altenheimen gleichgestellt werden. Das wäre eine Katastrophe für unsere Leute. Müssen wir so einen heftigen Lockdown wieder befürchten? Vielen Dank."



Camillo Schumann



Ich weiß, es jetzt eine fiese Frage.



Alexander Kekulé


Das ist gemein. Ich habe darüber nicht zu entscheiden. Es ist so, dass die Rahmenbedingungen, die damals zu dem Lockdown geführt haben, könnten möglicherweise noch einmal entstehen. Das ist einfach so, dass die Fallzahlen steigen und wir in einen Bereich kommen, wo man unter anderen Umständen über Lockdowns nachdenken würde. Ich glaube aber, dass die Politik verstanden hat, dass die eigentlich ausgegebene Devise, Beschleunigen und Bremsen, also Lockdown auf, Lockdown zu, dass das nicht funktionieren kann. Man guckt wahrscheinlich nicht so sehr auf die Behinderten, sondern vielmehr auf die Wirtschaft, die dann natürlich stranguliert wird. Ich glaube, das kann insgesamt nicht gehen. Wir brauchen deshalb dringend eine Alternative dazu. Es ist auch möglich, das zu verhindern, dass man noch mal einen Lockdown macht. Wenn er noch einmal stattfinden soll. Und wenn sowohl Behinderte als auch alte Menschen so extrem dann in


ihrer Freiheit eingeschränkt werden, dann gäbe es bein nächsten Mal die Ausrede nicht mehr, dass man sagen kann, wir konnten so schnell nichts anderes machen. Sondern dann müsste man wirklich sagen ist, es ist in Ermangelung von einem guten Alternativplan.


[0:08:2 6]



Camillo Schumann



Frau Hofmann aus Chemnitz hat angerufen. Sie nimmt SARS-CoV-2  mal zum Anlass, eine grundsätzliche Frage zu stellen:


"Ist bekannt, wie lange es schon Viren und Bakterienauf unserer Erde gibt? Wann und wie könnten sie entstanden sein?"



Camillo Schumann



So, bitte jetzt keine Vorlesungen, nur ganz kurz.



Alexander Kekulé


Ich wollte gerade fragen, ob Sie die 1-Stundenoder die 4-Stunden-Version haben wollen?


Es gibt ja verschiedene Ideen, wie überhaupt das Leben entstanden ist. Im naturwissenschaftlichen Bereich geht man davon aus, dass etwas über 4 Milliarden Jahren zum ersten Mal kleine Genabschnitte Stückchen von RNA, also so eine Art Gene angefangen haben, sich selbst zu Replizieren. Daraus sind dann so nach einer halben Milliarden Jahre die ersten Zellen geworden. Aus den ersten Zellen wurden bakterienähnliche Organismen und irgendwann kamen wir dann hervor. Die Viren stammen aus der Zeit, bevor es überhaupt das erste Leben gab. Höchstwahrscheinlich ist es so, dass diese Zeit, bevor dieser erste Einzeller entstanden ist, der der Vorfahr von allem Leben war, dass wahrscheinlich da schon die ersten Viren entstanden sind. Da sagen auch manche Menschen RNA-Welt dazu. Und die Bakterien sind damals die ersten Einzeller gewesen. Wir stammen in gewisser Weise von Bakterien ab. Die Dinosaurier haben es nicht überlebt, der Säbelzahntiger wurde auch ausgerottet. Aber die Bakterien sind seit Anbeginn des Lebens auf der Welt. Und zwar sehr, sehr viele Arten und nach wie vor


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erfolgreich und traktieren uns auch erfolgreich. Das heißt also, beide gibt es schon immer.


[0:10:05]



Camillo Schumann



Mensch. Und das ist einer reichlichen Minute. Sehr schön. Frau Kassner aus Ulm hat uns geschrieben:


"Ende August bin ich auf eine Hochzeit eingeladen. Es werden voraussichtlich um die 100 Personen anwesend sein. Das Ganze wird sich hauptsächlich drinnen abspielen. Ich gehöre zwar nicht zur Risikogruppe, trotzdem habe ich ein ziemlich ungutes Gefühl dorthin zu gehen. Zumal es keine Abstandsund Maskenpflicht gibt. Sollte man Umarmungen anderer ablehnen? Was würden Sie raten beziehungsweise wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie Gast wären?"



Alexander Kekulé


Au weia, ich habe gerade das Gesicht verzogen. Das sieht man zum Glück im Radio nicht. Ich würde da nicht hingehen. Das sage ich mal ganz klar und hart. Also im geschlossenen Raum, viele Leute ohne Maske. Nein. Es gibt gewisse Konzepte, wie man so etwas machen kann, wenn alle vorher in Quarantäne waren. Wenn man wirklich weiß, dass vorher niemand gefährliche Kontakte hatte. Und wenn man unmittelbar vorher testet. Die Idee ist ja immer fünf Tage, sieben Tage gefährliche Kontakte vermeiden und dann unmittelbar vorher testen, dann ist man in einem relativ sicheren Zeitfenster. Absolute Gewissheit gibt es nicht. Wenn man dann zusätzlich noch sagt, Personen mit besonderem Risiko, also die die Großeltern des Brautpaars, die kriegen dann noch eine FFPMaske oder kriegen größeren Abstand. Dann kann man so was irgendwie machen und organisieren im geschlossenen Raum. Aber wenn ich jetzt höre, das alles ist nicht geplant, also ich bin ein vorsichtiger Mensch. Ich würde da nicht hingehen. Aber das ist so eine Typsache. Es gibt ja auch Leute, die erleben viel mehr als Naturwissenschaftler, weil sie sich einfach im Leben mehr getraut haben. Da will ich jetzt niemandem reinreden. Die


Risikoabwägung muss jeder für sich selbst machen.


[0:11:50]



Camillo Schumann



Vielleicht ist die Hochzeit auch bis Ende August sowieso von den Behörden schon verboten. Dann hat die Frau Kassner das Problem nicht, wenn sie nicht hingehen möchte. Dann darf sie gar nicht mehr hingehen. Wir sind gespannt.



Alexander Kekulé


Alle warm anziehen und in den Park gehen.



Camillo Schumann



Genau. Noch eine Alltagsfrage kommt Von Frau Krumphuber. Sie schreibt:


"Ich bin Musikpädagogin und arbeite mit Bläsergruppen in Schulen. Nun sollen zum neuen Schuljahr neue Bläsergruppen starten und die Kinder sollen, um ihr Instrument zu finden, alle Instrumente einmal ausprobieren. Einzig bei der Tuba gibt es ein Problem. Da pro Orchester nur eine Tuba vorhanden ist, müssten dann jede Woche vier bis fünf Kinder hintereinander die Tuba ausprobieren. Das Mundstück aus Metall kann abgenommen und desinfiziert werden. Aber die Atemluft bleibt natürlich auch zu einem gewissen Grad im Instrument. Allerdings atmet man die Luft aus dem Instrument ja auch nicht ein, sondern atmet nur ins Instrument aus. Es kann auch sein, dass etwas Spucke im Instrumente landet. Die Schüler kämen damit aber nicht in Berührung, da das Mundstück ja saubergemacht wird. Halten Sie dieses Ausprobieren der Tuba für ein Risiko, das man nicht eingehen sollte?"



Alexander Kekulé


Wenn da jemand dabei ist und gut aufpasst, dass die wirklich nur reinpusten und nicht ansaugen, dann kann man das sicher machen mit Desinfektion zwischendurch. Das Problem ist, dass Blasinstrumente nicht ganz einfach zu spielen sind. Ich habe auch mal versucht, mit dem Saxofon ein paar Töne rauszubringen. Ich kann mir schon vorstellen, dass so ein Kind beim Einatmen zwischendurch dann doch den


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Mund am Mundstück hat und nicht weggeht. Das müsste man also genau kontrollieren. Weil wenn Sie die Luft aus der Tuba inhalieren und da Speichel drinnen ist von dem, der vorher reingeblasen hat, das wäre ein extrem hohes Risiko. Ich sehe eher diese Inhalationsgefahr. Ich kann vielleicht noch hinzufügen: Viele wissen vielleicht, wie diese Instrumente aussehen, wenn man die eine Weile gespielt hat. Ich habe mal bei so einer Posaune, die jemand anders gespielt hat, da die 2 Teile auseinandergenommen, mit denen man den Ton einstellt. Also diesen Griff. Entschuldigung, ich weiß leider nicht, wie der heißt. Da läuft richtig viel Saft raus hinterher. Die Aussage, dass der Speichel hinterher im Gerät ist, die kann ich nur unterstreichen. Der wird natürlich vaporisiert, während man bläst. Beim Inhalieren würde man sich definitiv infizieren. Also wenn man sicherstellen kann, dass die Kinder wirklich nur reinblasen und nicht ansaugen, dann würde ich sagen, kann man es machen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man das hinkriegt. Das muss der Musiklehrer sagen, der Erfahrung hat, ob Kinder so etwas können.


[0:14:2 9]



Camillo Schumann



Herr Gissmann hat gemailt:


"Ich frage mich schon lange, warum nicht zusätzlich zur absoluten Zahl der positiven Tests auch der Anteil der positiven im Verhältnis zu allen Tests angegeben wird. Damit könnte man doch das Argument, siehe Trump, entkräften, dass es gar keinen Anstieg der Fallzahlen gibt. Sondern dass dieser durch eine erhöhte Testfrequenz nur vorgetäuscht wird. Habe ich da was verpasst? Vielen Dank."



Alexander Kekulé


Ja und nein. In Deutschland wird das angegeben. Das wird gemacht. Die Überlegung ist genau richtig von Herrn Gissmann, dass man hier genau das daraus feststellen kann. Und deshalb werden diese Zahlen veröffentlicht. Ich meine, die sind auch beim Robert Koch-Institut immer einsehbar. In den USA kommt es dadurch, dass das ein Potpourri


von verschiedenen Einrichtungen ist, die da testen. Zum Teil staatliche, zum Teil private. Da werden diese Zahlen großenteils nicht zentral erfasst. Es gibt dort Studien, wo man versucht, die Zahlen rauszukriegen und dann immer wieder auch Ergebnisse hat. Aber so ordentlich wie in Deutschland geht es dort nicht zu. Drum kann der Trump immer behaupten, wer mehr testet, kriegt auch mehr Fälle. Oder durch dauerndes Testen kriegen Sie Covid nicht weg. Und solche Sprüche wie er immer bringt. Da gibt es ja ganze Spruchsammlung im Internet. Aber man kann ganz klar sagen, testen ist eines der wichtigsten Instrumente, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen.


[0:15:55]



Camillo Schumann



Herr Hiergeist hat eine Frage zu einem möglichen Mittel gegen SARS-CoV-2 . Er schreibt:


"Warum ist es so schwierig, einen Wirkstoff zu entwickeln, der das Virus direkt angreift, wenn die Oberflächenmoleküle des Virus bekannt sind und ähnlich wie bei Giftstoffen ein Gegengift zu entwickeln ist? Schlüssel-SchlossPrinzip. Hat die Pharmaindustrie möglicherweise gar kein Interesse?"



Alexander Kekulé


Doch, doch, die haben schon Interesse. Weil so viel Geld wie dafür gibt es sonst nicht. Da haben ganz viele Interesse. Es wird sogar viel Unsinn gemacht, sage ich mal ehrlich. Weil einfach das Geld da ist. Nein, das ist nicht so einfach. So einem Virus ist es zunächst relativ egal, was da auf seiner Oberfläche passiert. Hauptsache, die Erbinformation wird in die Zielzelle irgendwie eingeschleust. Deshalb muss etwas, was an der Virusoberfläche angreift, das Virus erstens unbedingt erwischen, bevor es in die Zelle reingeht. Denn sonst kommt man nicht mehr ran. Dass vermehrt sich in der Wirtszelle. Also bei uns innerhalb einer Lungenzelle, eine Zelle von der Lungenschleimhaut. Zweitens ist es so, dass diese Inaktivierung oder diese Berührung mit der Oberfläche des Virus, die muss extrem stabil sein. Das muss wirklich binden wie Pech


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und Schwefel und sich da festhalten, damit das Virus nicht doch irgendwie auskommt. Weil es so wahnsinnig viele Partikel sind. Wenn Sie sehr viele Partikel haben und nur eine schwache Bindung haben, dann gehen immer ein paar durch. Deshalb braucht man etwas wie ein Antikörper. Die Antikörper machen das, dass sie sich bombenfest an die Oberfläche von Viren binden und auch nicht mehr loslassen. Solche Therapien werden gemacht, dass man mit Antikörpern versucht, Infektionen entweder zu verhindern oder auch Infektionsverlauf die Krankheitssymptome abzuschwächen.


[0:17:40]



Camillo Schumann



Weil Sie eingangs der Antwort gesagt haben, da wird auch viel Schindluder getrieben. Was meinen Sie damit?



Alexander Kekulé


Es gibt ja viele Forschungsbereiche. Die haben irgend so ein kleines Projekt. Wenn jetzt ausgeschrieben wird, wie natürlich weltweit: Wir müssen was gegen Covid-19 finden. Und das Geld liegt auf der Straße dafür, zu Recht. Dann gibt es ganz viele, die sagen: Ja hier, ich habe da eine Idee. Das ist dann irgendeine, die sie schon seit Jahren in der Schublade haben, die noch nie so richtig funktioniert hat. Und jetzt soll es halt gegen Covid-19 wirken. Da werden zum Teil die Mittel großzügiger vergeben, als es sonst der Fall wäre. Weil man erstens nicht so viel Zeit zum Prüfen hat. Zweitens auch gar nicht das Personal, so viele Anträge zu prüfen. Und letztlich auch immer die Hoffnung, dass es eine ungewöhnliche und auf den ersten Blick nicht Erfolg versprechende Idee ist, die dann doch funktionieren könnte.


[0:18:32 ]



Camillo Schumann



Frau Frei hat eine sehr emotionale Mail geschrieben:


"Mein Schwager hat eine Kollegin, die positiv auf Covid-19 getestet wurde. Weil die Mutter im Hospiz liegt und er sie vor ihrem Tod noch besuchen möchte, hat er sich sofort am


Samstag beim Testzentrum gemeldet. Dort wurde er abgewiesen und auf Montag und das örtliche Gesundheitsamt Münster verwiesen. Dort bekam er aber auch noch die Antwort, dass er selbst bei einem negativen Test 14 Tage in Quarantäne müsse, weil die Tests zu ungenau seien. Heißt das, dass man sich das Testen eigentlich sparen könnte? Sind Besuche im Hospiz besonders streng reglementiert? Gibt es keine Lösung in solchen Fällen? Hier geht es immerhin um eine sterbende Verwandte ersten Grades. Viele Grüße, Frau Frei."



Alexander Kekulé


Ja, die Behörden sind halt unsicher. Und es gibt leider von oben da nicht so viele eindeutige Anweisungen, die man wirklich durchdeklinieren kann. Da entscheidet letztlich jedes Gesundheitsamt, was es will oder was es meint, was richtig ist. Man kann ja schon die Frage stellen, wenn jemand sowieso im Sterben liegt, was das dann für eine Rolle spielen soll, falls dann irgendwie mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1000 irgendein Angehöriger vielleicht doch infiziert wäre. Und ob es dann überhaupt bei so einer Begegnung wirklich zur Infektion kommen würde. Das ist einer von vielen, vielen Fällen. Solche Fragen kriegen wir immer wieder, wo man nicht so wirklich nachvollziehen kann, was die Anweisung soll. Ich habe sogar die Befürchtung, dass sich sowas häuft. Und dass das so ein bisschen die Zuversicht der Menschen und das Vertrauen der Menschen in die Behörden einschränken könnte. Also in dem Fall verstehe ich es tatsächlich nicht genau, was da das Problem sein soll.


[0:2 0:18] :



Camillo Schumann



Aber der Zusammenhang zwischen negativen Test und dann noch 14 Tage in Quarantäne ist eigentlich ein Ausschlusskriterium?



Alexander Kekulé


Naja, es ist ja so, entweder habe ich jetzt ein Risiko oder ich habe keins. Man muss das hier schon so kommentieren, dass in Deutschland klammheimlich die Strategie geändert wurde. Es hieß ja immer, nach möglicherweise


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gefährlichem Kontakt muss man 2 Wochen in Quarantäne. Jetzt heißt es: Oder testen. Obwohl natürlich jeder weiß, auch die Behörden wissen das, dass bei diesen Tests von einer Größenordnung von 2 0 Prozent nicht alle erkannt werden aus verschiedenen Gründen. Und es kann sein, dass man ganz kurz vorher sich angesteckt hat, also deshalb erst nach dem Testen positiv wird. Diese 2 Probleme sind bekannt. Trotzdem hat man die Strategie geändert und gesagt: Nein, wir wollen nicht mehr 14 Tage Quarantäne. Der Test reicht als Alternative zum Beispiel bei Urlaubsrückkehrern oder auch bei Krankenhauspersonal macht man es ähnlich. Wenn man das jetzt allgemein mal bekannt geben würde und sagen würde, jawoll, das ist jetzt unsere offizielle Strategie. Dann würde vielleicht auch das örtliche Gesundheitsamt sagen, ja, das ist jetzt die offizielle Linie. Und deshalb können wir diesen Menschen erlauben, seinen sterbenden Angehörigen zu besuchen. Weil da reicht uns dann der Test. Aber es wird eben nicht diese klare Anweisungen gegeben, sondern es gibt eben immer nur Einzelfalllösungen, wo man dann so eine Schlussfolgerung wie die, die ich gerade gemacht habe, so raus extrahieren muss. Da wäre es wahrscheinlich auch hilfreich für die Gesundheitsämter, wenn ganz klar gesagt würde: Test reicht. Aber da muss man dann auch dazu sagen: Test reicht und wir nehmen das Restrisiko in Kauf, was dann im Raum steht.


[0:2 2 :05]



Camillo Schumann



Und um der Frau Frei noch was an die Hand zu geben, FFP2 -Maske auf und die Mutter besuchen, oder?



Alexander Kekulé


Ja, natürlich, das kann man auf jeden Fall empfehlen. Das sollte in dem Fall eine ohne Ausatemventil sein. Aber es ist so, dass ich jetzt Zweifel habe, dass die Behörde da mitmacht. Das ist ja immer das Problem. Die haben dann immer ihre Vorschriften. Das kann man sicher versuchen. Es ist vielleicht jetzt der


naheliegendste Weg, zu sagen: Können wir da nicht eine Lösung finden, wie man diesen Kontakt sicher gestalten kann? Ich nehme an, es geht nicht nur um die Angehörige, sondern überhaupt um den Zutritt zum Krankenhaus oder zum Hospiz. Da wird wahrscheinlich die Regelung sein, dass jemand überhaupt nicht ins Hospiz rein darf unter diesen Umständen. Da müsste man dann eben einen Weg finden, wie man auf dem Weg zum Zimmer der Angehörigen halt Infektionen weitgehend vermeidet. Das ist durchaus möglich durch das Tragen von FFP2 -Masken und sicherstellen, dass man nichts anfasst. Ich darf daran erinnern, dass im ganz normalen Alltag von Krankenhäusern das schon immer vorkam, dass wir Patienten hatten, die mit einer offenen Tuberkulose da waren. Dann machen Sie eine Diagnose, und plötzlich stellen Sie im Röntgen oder in der Labordiagnostik fest, der hat eine offene Lungentuberkulose, eine potenziell tödliche Erkrankung. Da kriegt der Patient dann so einen Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt und wird auf dem kürzesten Weg natürlich in ein Isolierzimmer gefahren. Aber trotzdem musste er ja irgendwie durchs Haus gefahren werden. Und da gibt es Wege, solche Personen, die also möglicherweise infektiös sind, durchs Haus zu bugsieren, ohne dass alle angesteckt werden. So etwas muss man auch haben für Besucher, zum Beispiel in Krankenhäusern, in Altersheimen, in Hospizen. Damit die da rein können zu ihren Angehörigen.



Camillo Schumann



Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Diese Dame aus Bayern geht gerne schwimmen:


"Wir haben hier einen in Wörth an der Isar. Das ist ausgebaut worden. Das war ursprünglich mal naturnäher mit Vogelinsel und Fischen am Ufer. Aber jetzt wird da ein Riesengeschäft gemacht. Das sind die Massen. Die Parkplätze sind ausgebaut worden, das Wasser sieht aus wie umgekippt. Ich bin da nicht mehr rein gegangen, weil ich gesagt habe, es ist einfach unerträglich. Und wenn im Abwasser schon das


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Virus nachweisbar ist, wie ist das dann mit solchen Badeseen, wo sich die Leute in Massen jetzt diesen Sommer aufhalten? Dankeschön."



Alexander Kekulé


Ich bin da optimistisch. Es ist so, dass es keinen Fall gibt, wo irgendwie durch ein offenes Gewässer das Virus übertragen wurde. Diese Viruspartikel sind optimiert auf eine aerogene Übertragung, also sozusagen keine typischerweise übers Wasser übertragenen Erreger. Es gibt ja welche, die übers Wasser gerne übertragen werden. Das ist nicht ihr typisches Metier. Und es ist so, dass auch in so Seen eben massenweise kleine Mikropartikel drinnen sind. Da ist Sand drinnen, da sind irgendwelche biologisch aktive Substanzen drinnen. Je schmutziger der See sozusagen, desto besser. So Moorseen zum Beispiel. Der hat extrem viele kleine Partikel drinnen. Und da bleiben diese Viren hängen und werden inaktiviert. Sodass ich jetzt, bis wir gegenteilige Meldungen von irgendwo vielleicht bekommen, sehr zuversichtlich bin, dass man mit offenen Gewässern nichts übertragen kann.


[0:2 5:2 9]



Camillo Schumann



Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 5. August wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Sie auch, Herr Schumann. Ein schönes Wochenende für Sie.



Camillo Schumann



Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 2 0.08.2 02 0 #97: Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


1 [0:00:03] : Mdr Aktuell Kekulés Corona-Kompass,


2  [0:00:10] : 

Camillo Schumann

 Donnerstag, 2 0. August 2 02 0


17 Millionen Downloads, aber nur 1500 positive Testergebnisse. Macht die Corona-Warn-App epidemiologisch aktuell Sinn?


Schnelltests für jedermann. Wie funktionieren sie? Wo gibt es sie? Was kosten sie?


Außerdem: Sars-CoV-2  nicht direkt bekämpfen, sondern austricksen.


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin ein Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag werfen wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir starten mal mit einem O-Ton, der kommt von Regierungssprecher Steffen Seibert.


3 [0:00:59] : Regierungssprecher Steffen Seibert Es ist das Prinzip der Freiwilligkeit, das von vornherein bei dieser App geherrscht hat. Das ist auch ganz wichtig ist, um Vertrauen in diese App zu generieren. Die Menschen können selber entscheiden, ob sie sie runterladen. Sie können auch selber entscheiden, ob Sie, wenn Sie ein positives Testergebnis erhalten haben, das tun, was aus meiner Sicht verantwortungsvoll wäre: Nämlich dieses positive Testergebnis ins Netz also in die App zu geben, damit andere gewarnt werden können. Aber es ist Ihre Entscheidung.


2  [0:01:2 8] : 

Camillo Schumann

 Tja, offenbar haben sich sehr, sehr viele entschieden, die App herunter zu laden. Aktuell über 17 Millionen. Aber nur rund 1500 Menschen haben bisher ihre positiven Testergebnisse auch hochgeladen und damit auch andere Menschen gewarnt. Aktuell melden rund fünf Prozent der Neuinfizierten ihr Ergebnis der App. Ausgehend von diesen Kennziffern macht die App mit dieser Quote aus epidemiologischer Sicht aktuell Sinn?


4 [0:01:56] : 

Alexander Kekulé Mit Betonung auf aktuell macht es keinen Sinn. Nein, das kann man ganz klar sagen. Das ist ein Prototyp, der wird verbessert. Nach dem Bananen-Prinzip. Grün ausliefern und beim Kunden reifen gelassen. Das ist auch sinnvoll. Ich habe schon ein paar Mal gesagt, ich glaube, das ist eine tolle Sache sowas zu haben. Jeder Epidemiologe träumt davon. Aber ich bezweifle, dass uns das bei dieser Pandemie helfen wird. Das ist kein Votum dafür, die App nicht zu benutzen, sondern dann haben wir sie für die nächste Pandemie oder für das nächste Problem. Grundsätzlich ist diese Idee, Kontakte zu registrieren und elektronisch zu melden, etwas, wovon man nur träumen kann, wenn es um Nachverfolgung von Infektionsketten geht.


5 [0:02 :39] : 

Camillo Schumann

 Und diesen Reifungsprozess, wie Sie es formulieren, den kann man beobachten. Die Zahl der


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Menschen, die ihre positiven Ergebnisse der App melden. Von Kalenderwoche zu Kalenderwoche nimmt die zu. In der Kalenderwoche 31 waren es rund 2 00, Kalenderwoche 32  2 30, in der KW 33 362 . Es kommt jetzt immer ordentlich was drauf. Ab wann wär es denn signifikant und epidemiologisch sinnvoll?


6 [0:03:06] : 

Alexander Kekulé Ja, es gibt ja 2 verschiedene Ansätze. Das eine sind die Zahlen, die am Anfang immer genannt wurden von Kritikern. Dass die gesagt haben: „Damit das was hilft, müssten 60 Prozent der Bevölkerung das benutzen und auch wirklich alle ihre Daten melden.“ Das sehe ich nicht so kritisch. Es wäre schon sinnvoll, wenn diese App tatsächlich in vielen Fällen den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung eine Hilfe wäre. Die Referenz, die wir hier haben, ist doch nach wie vor: wie viele Fälle können wir nachverfolgen in der Weise, dass wir die Infektionsketten wirklich unterbrechen. Wenn das gelingt. Das ist die Idee, die dahinter steht. Solange wir das haben, haben wir die Infektion in Deutschland im Schach. Wir haben keine Eliminierung. Es gibt ja EliminierungsStrategien. Die sehen so aus, dass man versucht, quasi auf null zu kommen. Neuseeland hat so ein Konzept. Wir haben keine Eliminierung, aber sozusagen eine Eliminierung light. Die heißt, wenn immer was auftritt, dann können wir das nachverfolgen und größere Ausbrüche gibt es nicht. So halten wir alles auf dem niedrigen Niveau bis der Impfstoff kommt. Dass ist die Idee. Dafür muss die App einen wirksamen Beitrag leisten. Mit den bisherigen Daten tut sie das noch nicht.


5 [0:04:17] : 

Camillo Schumann

 Jetzt kommt die Kommastellen-Frage. Wirkt sich die App mit allen Parametern eher hinter oder eher vor dem Komma aus?


7 [0:04:2 6] : 

Alexander Kekulé Das können wahrscheinlich wirklich nur die Gesundheitsämter beantworten. Ich würde provokativ in den Raum stellen: Es wirkt sich hinter dem Komma aus. Ich bin aber gerne lernfähig. Dann müssten mal die Leute, die für


die Apps sind, aus der Deckung kommen und erklären, in welchen Fällen jetzt wirklich signifikante Infektionsgeschehen durch diese App entdeckt wurden. Weil es geht letztlich darum, wenn Sie positiv sind und Sie haben vor einer Woche ihren Nachbarn angesteckt. Der ist aber hauptsächlich zuhause geblieben und es hat keine weitere Konsequenz gehabt. Vielleicht ist er auch gesund geblieben und hätte es gar nicht gemerkt. Dann ist es ja etwas, wo sie mit der App oder mit der Nachverfolgung eigentlich keinen großen Vorteil haben. Wenn jetzt ein Gesundheitsamts-Beamterdie gleiche Situation überprüft und dann sagt: „Was hat der Nachbar für einen Beruf?“ Und dann sagen Sie: „Mein Nachbar ist Busschaffner.“ Dann sagt er: „Oh weh, den müssen wir aber ganz genau untersuchen. Aber wenn der positiv ist, das könnte ja ganz fürchterliche Folgen haben.“ Diese Intelligenzleistung bringt die App nicht. Deshalb ist einfach die Frage: Gibt es irgendwelche Situationen, wo man sagt: Mensch, das ist jetzt ein wichtiges Superspreader-Ereigniss oder ein möglicher Ausbruch. Oder jemand, der eine besondere Risikoperson war im Sinne von Verbreitung. Da haben wir das gestoppt, nur weil uns die App den Tipp gegeben hat. Solche Geschichten würde ich gern in der Zeitung lesen oder zumindest von den Fachleuten hören. Mein Eindruck ist, keiner weiß, ob überhaupt es solche Situationen gab. Und die Gesundheitsämter haben durch die App zusätzliche Informationen, die sie nach verfolgen müssen. Sie haben viel zusätzliche Arbeit, weil die Leute anrufen, weil zum Teil auch mit der Übertragung der Infos das nicht so richtig funktioniert. Wenn jemand positiv ist, dann muss vieles telefonisch geklärt werden. Dann ist auch wieder die Frage mit dem Datenschutz, ob das alles in Ordnung ist. Also Mehrarbeit, ja. Aber ob es Ihnen Arbeit gespart hat, das müssen die Behörden mal öffentlich erklären.


5 [0:06:2 2 ] : 

Camillo Schumann

 Vielleicht können sich ja mal einige Betroffene oder aus dem Gesundheitsamt jemand gern anonym bei uns melden. Die E-Mai-Adresse gibt es wie immer am Ende der Sendung. Jetzt hat Herr Seibert auf die Freiwilligkeit noch einmal sehr ab gezielt. Diese App sollen alle


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freiwillig runterladen. Ob man dann Initiative ergreift, dann zu Hause bleibt oder zum Arzt geht und sich selber in Quarantäne begibt et cetera et cetera. Müsste man nicht bei der Übertragung auf die Freiwilligkeit verzichten und den Gesundheitsämtern diese Macht geben, jeden Neuinfizierten dieser App zu melden?


[0:06:59] 

Alexander Kekulé Ich glaube, das würde nicht so viel bringen, weil die, die sich die App heruntergeladen haben, die haben freiwillig gemacht. Das ist ja so ein Open-Source-Projekt, wie das die Computer-Leute nennen. In dem Fall ist tatsächlich so, dass der Code, also die Programmcodes von dieser App veröffentlicht worden sind, damit jeder sieht, dass da kein Datenklau stattfindet. So finde ich die Idee gar nicht so schlecht, zu sagen: Power to the People. Die Leute sollen sich selber kümmern, dass ist unser Projekt ... Ich erinnere mich an unser Projekt für die Masken, was wir damals gestartet haben, als die Behörden nicht mitmachen wollten. Das hat auch am Schluss Erfolg gehabt. Und jetzt sagen die Behörden: Wir geben das den Leuten. Wir wollen, dass die das selber machen. Ich finde es eine ganz gute Idee. Das ist nicht so klassisch politisch. Aber mir gefällt eigentlich dieser Ansatz, weil wir ja auch alle bedroht sind von dieser Erkrankung. Dass man da so ein gemeinsames Gefühl erzeugt und hofft, dass die Leute deshalb was machen. Das finde ich richtig. Die Leute, die dann wirklich sagen: Ich habe zwar die App und jetzt bin ich krank. Aber ich will nicht, dass das irgendwie bekannt wird. Und jetzt meldet er es nicht. Ich weiß gar nicht, ob das so viele sind. Der kleine Anteil, den Sie am Anfang genannt haben. Das liegt wahrscheinlich eher daran, dass die Schnittmenge derer, die positiv getestet wurden in Deutschland, dass die einfach nicht besonders groß ist mit der Schnittmenge derer, die diese App auf dem Smartphone haben. Etwa zehn Prozent werden gemeldet. Jetzt sind wir ja auf jeden Fall deutlich über tausend und ungefähr ein Zehntel. So hoch ist angeblich die Zahl derer, die über die App ihren positiven Status bekannt geben. Ich glaube nicht, dass das heißt, dass 90 Prozent es nicht bekannt geben. Sondern das heißt einfach, dass die Leute, die jetzt


das Risiko eingegangen sind, die jüngeren Leute. Dass die vielleicht zum Teil auch aus anderen Kulturkreisen kommen oder bei uns einfach sagen: Nein, ich mach da nicht mit bei dem ganzen Masken-Quatsch und so weiter. Die laden sich die App nicht runter. Das sind ja die, die im Moment alle positiv werden.


[0:08:59] 

Camillo Schumann

 Gut, aber trotzdem unterm Strich, die App ist auf einem guten Weg. Für den Herbst möglicherweise. Für nächstes Jahr oder für andere Epidemien, die dann kommen.


[0:09:11] 

Alexander Kekulé Das ist ein interessantes Experiment. Man muss das ja in der historisch sehen. Ich erinnere mich, vor ungefähr 2 0 Jahren saßen wir in den USA in einem Raum zusammen und haben mögliche Pandemien simulieren. Das war damals in USA Volkssport, Pandemien zu simulieren. Mann wurde fast jeden Monat zu irgendeiner Simulation eingeladen. Da war immer die Frage: Mensch, wie viele Leute geben das denn weiter? Wie viel Kontakte haben die Menschen überhaupt? Da gab es Rechenmodelle, wo man Geldscheine genommen hat. Wo man überlegt hat, wie oft wird ein Geldschein weitergereicht? Das berühmte Programm damals hieß Where is George? Wo ist George? Von George Washington, weil dessen Kopf auf der amerikanischen Dollar-Note ist. So hat man alle möglichen Simulationen gemacht, um zu gucken, was für Kontakte haben Menschen eigentlich. Was müssen wir für Parameter für die Simulation von Epidemien eingeben? Und für solche Zwecke ist das Gold, was diese App liefert, weil wir tatsächlich da Realdaten kriegen. Ich bin ganz sicher, dass das interessante Ergebnisse liefert. Also ich bin nicht gegen die App.


[0:10:17] 

Camillo Schumann

 Bleiben wir bei weiteren Zahlen und Fakten zu dieser App. Über 80.000 positive Diagnoseschlüssel wurden bisher verbreitet. Allerdings sind in dieser Zahl auch vom Server generierte Fake-Schlüssel integriert. Das Verhältnis liegt da wohl bei vier zu eins. Also rund 2 0.000 echte, positive Diagnoseschlüssel wurden da ge-


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teilt. Dann muss die App mit ihrem Algorithmus ausrechnen, ob es wirklich ein relevanter Kontakt war oder nicht. Also die üblichen Parameter: mehr als zehn Minuten-Kontakt oder der Abstand zum Infizierten war zu gering. Das siebt ja auch noch mal ordentlich. Da bleibt gar nicht mehr viel hängen, oder?


[0:10:54] 

Alexander Kekulé Ja, das sind 2 verschiedene Themen. Das eine ist das mit diesen Schlüsseln. Das ist ja im Internet hämisch kritisiert worden. Das ist eine clevere Lösung, weil man gesagt hat, es könnte ja sein, dass in bestimmten Regionen zumindest ganz wenige positive sind. Jetzt stellen wir uns mal vor, der wäre in einer Stadt wahrscheinlich dann in Ostdeutschland. Da wären nur 2 positive gewesen. Und jetzt hieße es, dass ein schlauer Hacker rückverfolgen kann, wer die 2 waren, wenn die aus einer Region die einzigen waren, die gemeldet haben. Darum generieren diese Apps ständig ein Hintergrundrauschen durch falsche Schlüssel. Damit jemand, der Zugriff auf die Daten hat, nicht Rückschlüsse schließen kann, wer das war. Das ist völlig in Ordnung. Das ist also so eine Art Spuk. Wie sagt man. So eine Art Täuschungsmanöver, mit dem man versucht, die Daten zu schützen. Das andere ist jetzt die Frage, wie gefährlich waren die Kontakte. Das übermittelt die App ja zusammen mit dem Diagnoseschlüssel. Diagnoseschlüssel heißt nichts anderes, als dass man sagt: Ich war positiv. Zusammen mit dieser positiven Meldung übermitteln die immer etwas. Das heißt Transmissions-RisikoLevel, TRL. Das Transmissions-Risiko ist das Übertragungsrisiko-Level. Da gibt's Werte zwischen eins und acht. Acht heißt hohes Risiko, eins geringes Risiko. Und das ist jetzt ganz interessant, sich anzuschauen. Weil das wird tatsächlich zusammengesetzt aus verschiedenen Parametern, die da in der App drin sind. Sie haben es gerade schon gesagt. Das eine ist: Wieviel Tage ist es her, dass diese Exposition, also dieser mögliche Kontakt stattgefunden hat? Das Zweite ist: Wie lange war die Exposition? Also wie lange war der Kontakt mit der Person, die da quasi auch gemeldet wird? Dann ist die Frage: Wie stark wurde das Signal? Da geht es ja um Bluetooth-Signale. Wie stark wurde das abgeschwächt? Wenn die Abschwä-


chung gering ist, war derjenige nah dran. Wenn sie starke Abschwächung haben, war der andere weiter weg. Und der letzte Faktor ist so einer, der für die App spezifisch ist und meines Wissens noch nicht benutzt wird. Daraus werden dann Werte von eins bis acht generiert. Aber das Interessante ist: Wenn jetzt diese Website, die das veröffentlicht, recht hat. Dann ist es so, dass die Hälfte aller vermittelten Kontakte die Stufe eins hatten, also fast ungefährlich waren. Auf der Stufe eins bis acht wurden die Hälfte eingeordnet mit eins, etwa 2 5 Prozent mit acht. Dazwischen gibt es ganz wenig Fälle auf den Stufen 2 bis sieben. Da sagt der Statistiker immer: Da stimmt irgendetwas nicht. Das kann eigentlich nicht sein, dass die eins und die acht so überdominiert sind. Da ist dann irgendetwas am Algorithmus nicht in Ordnung, weil die Verteilung dazwischen scheinbar nicht benutzt wird. Da gibt es scheinbar Gewichtung Richtung eins und acht. 2 5 Prozent waren in der gefährlichen Kategorie. 50 Prozent waren in der Kategorie eins, also fast ungefährlich. Sodass man auch da wieder die Frage stellen muss: Wenn die App zur Hälfte Kontakte meldet, die, die ganz nah an der Schwelle sind zu dem, was man dann keinen Kontakt nennen würde. Bringt es dann wirklich was?


[0:14:07] 

Camillo Schumann

 Genau das ist die große Frage, die sich dann in den kommenden Wochen und Monaten beantworten lässt. Wenn dann auch die Zahl derer steigt, die ihre positiven Ergebnisse hochladen. Wenn man dann vielleicht auf eine gleiche Summe kommt, also die Anzahl der Neuinfizierten, die auch gleichzeitig in der App hochgeladen werden. Dann könnte es interessant werden, oder?


[0:14:2 7] 

Alexander Kekulé Das wird meines Erachtens nie passieren. Das sehe ich nicht, dass wirklich alle Leute, die ins Risiko gegangen sind, die App haben. Es gibt ja durchaus die Hemmung, wenn man sich da outet. Ob es jetzt mit der App ist oder anderweitig. Dass dadurch, dass die Kontaktpersonen gewarnt werden, müssen wir damit rechnen, dass dann auch die Freunde gewarnt


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werden. Man selber weiß ja am besten, mit wem man Kontakt hatte. Und jetzt stelle ich mir vor, ich wollte meinen Freunden eigentlich nicht sagen, dass ich positiv bin. Und jetzt klingelt bei denen überall die App und zwar genau bei meinen Freunden überall. Und die wissen dann relativ schnell, wer der gemeinsame Nenner ist. Wenn ich sozusagen die Verbindungsperson bin. Ich kann mir schon vorstellen, dass jemand, dem das irgendwie peinlich ist, dass er positiv ist. Jemand, der will das aus irgendwelchen Gründen verheimlichen, dass er über die Stränge geschlagen hat oder sonstwas. So jemand will dann auch nicht, dass alle seine Freunde gewarnt werden.



Camillo Schumann



Na gut, das passiert aber auch nur, wenn man sehr wenig Freunde hat. Dann kann man nachvollziehen.



Alexander Kekulé


Diejenigen, mit denen man in der letzten Woche Kontakt hatte, das weiß ich. Klar, da gibt es Leuten, die hatten da 2 00 Kontakte in der letzten Woche. Wissenschaftler tendieren da nicht so sehr dazu.


[0:15:44] 

Camillo Schumann

 Das verstehe ich gut. Machen wir einen Strich unter die Warn-App. Große Resonanz hatte unsere Podcast-Ausgabe 93. Darin hatten wir über die Probleme bei der Übermittlung der Testergebnisse von den bayerischen Autobahnen für die Reiserückkehrer berichtet. In diesem Zusammenhang haben Sie von Schnelltests gesprochen, die vielleicht weniger genau, aber dafür dann schnell ein Ergebnis liefern können. Sie sprachen davon, dass es diese Tests gibt, die in den USA zugelassen, auch schon angewendet werden. Und nun wollten ganz, ganz viele Hörer wissen: Wo gibt es diese Tests? Welche Firmen bieten sie an? Was kosten sie? Und deshalb jetzt mal paar kurze Fragen zum Schnelltest. Grundsätzlich: wir reden hier über Antigen-Schnelltests, Also Tests, die bestimmte Eiweiße bestimmen, die vor dem Ausbrechen der Krankheit nachweisbar sind. Wir reden nicht über Antikörper-Tests.



Alexander Kekulé


Ja, das ist ganz wichtig. Also, es gibt die große Klasse der Antikörpertests. Das kann man sich so merken: Dafür muss man Blut abnehmen und stellt nur fest, ob jemand Kontakt mit dem Virus hatte. Darüber reden wir nicht. Diese Antikörpertests sind sozusagen zur Bekämpfung des akuten Infektionsgeschehens nicht besonders nützlich. Es gibt die Tests, die nachweisen, ob man im Moment ansteckend ist. Das ist ja die Gretchenfrage. Dazu kann man entweder die Erbinformation des Virus feststellen, also die Nukleinsäure, die da drin ist. Das ist eine RNA bei diesem Covid Sars-CoV-2 Virus. Oder man kann die Proteinhülle außen rum, den Viruspartikel nachweisen. Und dafür gibt es Antigentests.


[0:17:14] 

Camillo Schumann

 Und in anderen Ländern, ich habe es schon angesprochen, werden diese AntigenSchnelltest ja auch schon verwendet.


[0:17:2 0] 

Alexander Kekulé Ja, die werden verwendet. In den USA gibt es die. Der erste Test wurde schon vor Monaten in Taiwan entwickelt. Dort wurde er verkauft Da gibt es verschiedene Varianten. Man kann so ganz grob sagen: Es geht ja bei diesem Test darum, dass möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben, festzustellen, ob sie positiv sind. Wir haben gerade so ein bisschen über die Psychologie gesprochen. Was passiert mit jemandem, wenn er registriert ist? Will er das überhaupt? Will er, dass das bekannt wird? Das ist ganz wichtig, den Menschen die Möglichkeit geben, sich selber zu testen, möglichst schnell zu testen. Situationsbedingt ganz schnell zu wissen, was los ist. Dann kann man auch selbst zu entscheiden, was man damit macht. Ich bin fest überzeugt, dass die Menschen im Prinzip vernünftig sind. Wenn sie schwarz auf weiß sehen, dass sie positiv sind, dass sie sich dann auch vernünftig verhalten. Dazu gibt's jetzt praktisch gesehen drei Verfahren. Das eine ist die PCR, die, glaube ich, allgemein bekannt ist. Die wird in dem großen Labor gemacht. Nachteil ist, dass das eine aufwendige Logistik ist und relativ teuer ist. Der Vorteil ist, dass es sehr zuverlässig ist. Das ist


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sozusagen unser Goldstandard. Die hat rein von der Methode her eine Zuverlässigkeit, die irgendwo bei 99 Prozent liegt. Mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit erwischt der Test einen Positiven wirklich als positiv. Da ist aber bei diesem Test wie bei allen anderen immer das Problem. Wie habe ich die Probe abgenommen? Habe ich überhaupt mit diesem Tupfer genug Material von der richtigen Stelle? Hab ich es schnell genug ins Labor gebracht? Das haben alle Tests gemeinsam, dass das ein Problem ist. Aber die PCR ist zuverlässig. Das haben wir ja zum Beispiel in Bayern gesehen, wo anfangs über 40.000 Tests nicht zugeordnet wurden. Bis zuletzt glaube ich, wurde eine Handvoll positiver Personen nicht gefunden werden konnte. Das ist einfach logistisch schwierig. Da muss es ins Labor geschickt werden. Dann muss das ausgewertet werden.


Die zweite Stufe ist, und die finde ich eigentlich auch nicht so schlecht. Die ist, dass man kleine Maschinen dezentral aufstellt. Das wird in den USA jetzt ganz viel gemacht. Da können Sie zum Beispiel testen, wenn Sie eine Party machen. Da können Sie einen Partyservice engagieren. Der kommt mit einer kleinen Testmaschine. Das sind entweder auch PCRMaschinen oder sogenannte Lamp-test, lamp wie Lampe auf Englisch. Lamp steht aber für so ein kompliziertes Verfahren. Es ist also auch eine Methode, die RNA des Virus nachzuweisen hat. Der Vorteil: Die Maschinen sind kleiner und es geht schneller. Dafür ist es etwas ungenauer als die PCR. Solche Maschinen, die kann man sich so vorstellen. Die sind so groß wie ein PC, so ein klassischer oder so. Sie kommen auf den Tisch. Die könnte man zum Beispiel in Apotheken aufstellen. Wir haben in Deutschland an jeder Ecke eine Apotheke. Und wenn da solche Maschinen stehen würden. Dann könnte man da hingehen und sich testen lassen. Oder auch Firmen könnten das benutzen. Oder bei Veranstaltungen wie Bundesliga oder sonst was. Da kann man solche LampMaschinen reinstellen. Die sind schneller und einfacher zu bedienen als die PCR.


Und die dritte Stufe ist der selbst gemachte Test. Dass man Antigen testet und nicht mehr die RNA des Virus. Da gibt es auch wieder verschiedenem Verfahren. Die einen laufen mit so


einer kleinen Maschine, die man sich hinstellen muss. Das liegt daran, dass die Auswertung mit einem Fluoreszenz-Signal ist. Das heißt also, man muss so eine Probe anregen mit einer UV-Lampe und misst dann ein Fluoreszenzlicht. Das geht nur mit einer kleinen Maschine. Das ist kein großer Kasten. Aber das geht nur mit einem Gerät.


Die ganz simplen heißen die Diffusionsteste. Die funktionieren wie ein Schwangerschaftstest. Da hat man so ein kleines Plastikding, wo man die Probe drauf pipettiert und es wird dann blau. Auf der ganzen Strecke von der PCR über Lampe bis über die Fluoreszenz-AntigenTests bis zu den schwangerschaftsähnlichen Testen. Da ist es natürlich so, dass die Sensitivität immer schlechter wird. Das heißt also PCR liegt bei 99 Prozent und die schlechtesten Tests liegen dann so bei 80 Prozent. Trotzdem ist es egal, was ich verwende, wenn es in der Breite in der Masse verwendet wir. Dann ist es immer noch besser als nicht zu testen.



Camillo Schumann



Und in Deutschland setzt man ja nur auf PCR. Können Sie sich erklären, warum es nicht in die Masse geht?



Alexander Kekulé


Das stimmt, das ist ganz klar die Ansage. Es ist auch so, dass von offizieller Seite zumindest, dass von Bundesseite gesagt wird: Wir wollen nur diese Hightech-Tests. Da kann man nur spekulieren oder vielleicht ein paar Fakten nennen. Die Industrie, die diese großen Maschinen herstellt, die bei den Laborzentren zurzeit Zehntausende von diesen PCOS machen. Die verdienen nicht Millionen, sondern Milliarden damit. Es ist so, dass die Laborärzte, die diese Tests machen, zu denen das eingeschickt wird. Die gehören zu den ganz großen Covid19-Profiteuren. Ich darf das so frech sagen. Ich bin selber Laborarzt. Aber in dem Fall muss man es beim Namen nennen. Als Laborarzt verdient man an diesen Tests natürlich viel, auch wenn die früher mal unverschämte Preise von 2 50 Euro aufgerufen haben. Inzwischen, wenn man gut verhandelt als Hotelbetreiber zum Beispiel oder als große Firma, die die Mitarbeiter testen will. Dort wird es ja sehr viel gemacht. Im Gegensatz zum öffentlichen


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Bereich gibt es viele Firmen, die so etwas machen. Die machen Verträge mit Laborärzten. Dann kriegen die vielleicht 35 Euro, 40 Euro pro Test. Wenn man das jetzt verbilligen würde in dem Bereich, wo ich es für sinnvoll hielte. Dass man wirklich nur noch eine Schutzgebühr von eins, 2 Euro hätte. Dann würden natürlich ganz viele, die jetzt sehr viel daran verdienen, nichts mehr daran verdienen. Ein Schurke, der Böses darüber denkt. Ich will jetzt niemanden unterstellen, dass er da seine eigenen Interessen vor die der Allgemeinheit stellt. Aber im Interesse der Allgemeinheit wäre es, einen Test zu haben, den jeder selber macht.


Wir haben ja so etwas schon mal bei den Masken gehabt. Da habe ich dann am Schluss dazu aufgerufen, dass die Leute sich selber Masken nähen, weil es keine offiziellen Masken gab. Da war ich nicht der einzige. Gab's viele, die solche Aufrufe gemacht haben. Beim Test ist es halt einfach so: Den kann sich nicht jeder selber backen. Da müssen wir die Unterstützung des Staates haben. Dass der solche Tests für jedermann, sei es in der Apotheke mit einem kleinen Gerät oder sei es dezentral Zuhause. Dass sowas zur Verfügung gestellt wird.


[0:2 3:47] 

Camillo Schumann

 Die Antigen-Schnelltests für jedermann sind aktuell auch noch ziemlich teuer. Außerdem gibt es nicht so viele Firmen, die sie anbieten. Für private Kunden so gut wie gar nicht. Ich habe mit einer Firma Kontakt aufgenommen, die ihre Schnelltests für jedermann aus Südkorea bezieht und hier in Deutschland vertreibt. Die Box mit 2 0 Tests kostet im Einkauf 581 Euro netto. Da wird es in der Apotheke möglicherweise auch noch ein bisschen teurer werden, also rund 30 Euro pro Schnelltest. Das ist ja auch eine ganze Menge.


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Alexander Kekulé Solche Preise ändern sich mit der Menge. Das ist doch ganz klar, wenn sowas massenweise hergestellt wird. Und in Korea ist es eben so, dass sind die ganz frühen Hersteller, die das exportieren. Es wird um die ganze Welt verfrachtet. Nicht alle dieser Tests sind übrigens gut. Da muss man genau hinschauen, welche


Tests gut sind und welche nicht. Mein Vorschlag war deshalb von Anfang an. Ich habe ich ihn Anfang März mal zu Papier gebracht. Dass man wirklich in Europa dafür Facilitys aufbaut und sagt: Wir stellen diese Tests her in der EU. Wir sehen zu, dass die von der Qualität halbwegs brauchbar ist. Dann ist man auch nicht weiterhin von Importen abhängig. Und dann werden die Preise viel niedriger.



Camillo Schumann



Ist ja kein Hexenwerk?



Alexander Kekulé


Das ist eben das, warum ich das so sage. Wir haben in Deutschland... Gerade im virologischen Testbereich muss man sagen. Da gibt es in Berlin an der Charité Christian Drosten. Das ist einer, der hat sowohl bei dem ersten SarsAusbruch 2 003 als auch jetzt bei dem aktuellen Ausbruch jeweils einen der ersten Tests. Nicht den einzigen, aber einen der ersten Tests hat er weltweit zur Verfügung gestellt. Der hat wirklich in Windeseile ... Der ist ja Coronavirus Spezialist schon lange. Der hat in Windeseile diese Tests auf die Beine gestellt. Das heißt, so etwas können wir im Prinzip. Jetzt ist das Berliner Labor nicht spezialisiert auf Antigentests. Aber da kann ich nur sagen, es gibt ja solche. Teste für Influenza, also für Influenza A und Influenza B. Da können Sie direkt einen Test aus der Schublade nehmen und den machen. Es gibt die für RSV, das ist so ein Virus, was bei Kindern eine Rolle spielt. Es gibt die für Streptokokken. Es gibt ja auch Schwangerschaft und so weiter. Ich weiß gar nicht, wie viele Kisten voll dieser Tests Sie kaufen können. Warum gibt es so einen Test nicht für Sars-CoV-2 ? Das ist technisch machbar weltweit. Sie werden verkauft. Einige haben auch sehr gute Daten, dass diese Werte der Sensitivität und die Spezifität wirklich in dem Bereich sehen, wo man das empfehlen kann. Und ich bin der Meinung, dass wir sowas hier haben sollten, wenn nicht den Do-It-Yourself-Test dann zumindest so ein dezentrales kleines Gerät, was in jeder Apotheke oder Arztpraxis stehen könnte.


[0:2 6:35] 

Camillo Schumann

 Wenn jetzt Apotheken genau so einen einfachen, schnellen Antigen-Test verkaufen, droht


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ihnen eine Strafe bis zu 30.000 Euro. Das wird auch diskutiert in der Branche. Viele aktiv am Markt agierenden Apothekern ... Das ist auch die Antwort des Unternehmens, das ich angeschrieben habe, was diese Schnelltests nach Deutschland importiert. Viele am Markt agierende Apotheker haben die Situation so geregelt, dass sie mit Ärzten kooperieren und mit Gutscheinen arbeiten. Der Kunde geht in die Apotheke, zahlt dort für den Test, bekommt einen Gutschein mit der Zieladresse des Arztes, der diesen dann in der Praxis durchführt den Tests. Ärzte beziehen aktuell verstärkt unsere Antigene-Tests direkt und bieten dies ihren Kunden, ihren Patienten als Igel-Leistung an. Wir empfehlen den Menschen, ihren Arzt diesbezüglich konkret anzusprechen, sofern der Wunsch besteht. Das ist ganz schön umständlich, oder?


[0:2 7:34] 

Alexander Kekulé Wir sind in Deutschland ein Ständestaat. Wir können da auch stolz darauf sein. Das Ständewesen ist weltweit von den Teutonen erfunden worden. Die Stände, die sich noch am härtesten behaupten. Das sind die Ärzte, Apotheker und ähnliches. Vielleicht nur noch von den Fliesenlegern getoppt. Und es ist so, dass ist einfach klar, das ist so. Der Arzt will natürlich nicht, dass jeder daherkommen kann und sich selber testet. Das ist reglementiert. Es ist auch richtig, dass für die Apotheken extrem strenge Auflagen da sind, damit die nicht Quatsch machen und Sachen verkaufen, die möglicherweise für die Patienten schädlich sind. Wenn man sich das anschaut in den USA. Da gehen Sie in so einem großen grocery store irgendwo rein, in so einen Lebensmittelladen. Da gibt es hinten eine Ecke... Da steht Apotheke drüber. Da können Sie sich entweder die Pillen selber nehmen. Bei denen, die verschreibungspflichtig sind, steht jemand. Der drückt Ihnen das in die Hand. Der ist mäßig dafür ausgebildet. Da sind wir in Deutschland wesentlich besser. Aber ich glaube, dass wir in dieser besonderen Situation, wo es ja wirklich um Leben und Tod für viele Menschen geht. Und auch darum geht, in eine wirtschaftliche Situation zu kommen, wo wir mit diesem Virus klarkommen die nächsten Monate. Ich glaube, da müssen wir


diese partikularen Interessen unserer Stände mal hinten anstellen.


[0:2 8:59] 

Camillo Schumann

 Diese Tests muss werden ja auch getestet. Eine Schweizer Organisation macht das. Die Website https://www.finddx.org/ . Was genau macht diese Organisation?


[0:2 9:11] 

Alexander Kekulé Der Finde ist so eine Non-Profit-Organisation. Eine von vielen, die sich schon seit vielen Jahren darum kümmern, dass Tests für ungewöhnliche Erkrankungen entwickelt werden. Wir haben in der ganzen pharmazeutischen Branche ... Da könnte man lange drüber reden. Da haben wir diese Marktverzerrung durch die Industrieländer. Krankheiten, die bei uns wichtig sind. Da wird richtig für geforscht, von Haarausfall bis zu Potenzproblemen. Und Krankheiten, wo die Dritte Welt, wo weniger entwickelten Länder Probleme mit haben. Da rentiert es sich nicht zu forschen, weil niemand da ist, der für die Produkte zahlt. Das ist schon lange erkannt bei den Therapeutika, also bei den Medikamenten. Und da gibt es spezielle Organisationen, die sich kümmern, dass zum Beispiel gegen Flussblindheit Medikamente entwickelt werden oder Impfstoffe entwickelt werden. Und Finde ist das Pendant dazu für die Tests. Die sorgen sich schon lange dafür, dass Tests für seltene Erkrankungen, die auch in den Tropen zum Beispiel brauchbar sind, entwickelt werden. Ich sag mal Beispiel Malaria oder Gelbfieber. Da wollen sie natürlich, dass man dann wirklich in jedem Dorf schnell, schnell gucken kann: Ja oder nein. Dafür sind eben solche Antigen-Schnelltests, die man unterwegs machen kann, ideal. Weil die zum Beispiel auch nicht so temperaturabhängig sind. Da brauchen Sie keinen Kühlschrank mitnehmen und haben nicht groß Abfall mit Chemikalien und so weiter. Gut das Plastikding landet dort natürlich meistens einfach in der Umwelt. Aber um so etwas kümmert sich Finde. Die haben auf ihrer Webseite auch das Angebot, dass jeder, der einen Covid19-Test hat. Man kann das dort hinschicken. Die beurteilen das neutral. Das finde ich eigentlich sehr gut, weil das sonst so ein bisschen jeder selber


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macht. Gerade in der EU ist es ja so, dass die Zertifizierung für solche Medizinprodukte noch selbst gemacht werden kann. Das wird demnächst geändert. Aber es ist so, dass man das dort hinschicken kann. Und dann wird auf seiner Webseite, da gibt es ein interaktives Feld. Da können Sie nachgucken, wie die Sensitivität ist, die Spezifität. Wo man es kriegt, wo der Hersteller ist und all diese Dinge. Die führen das meines Erachtens vernünftig zusammen.


[0:31:2 1] 

Camillo Schumann

 Und um auch unter diesen Themenkomplex noch einen Strich drunter zu ziehen. Also Antigen-Schnelltests haben wir mal ein bisschen durchdekliniert. Viele Hörer dieses Podcasts werden sich jetzt fragen: Mein Gott, jetzt hat er schon die ganze Zeit von einer ominösen Firma gesprochen. Ich möchte in diesem Podcast keine Werbung machen. Googeln Sie einfach mal Antigen-Schnelltests. Sie werden schon fündig werden.


[0:31:41] 

Alexander Kekulé Es gibt meines Wissens fünf, die schon CEzertifiziert sind, die so mobil sind. Und dann gibt es natürlich noch ein paar mehr. Also ich würde jetzt mal sagen: Tests, wo es sich lohnen würde, dass wir die in Europa nachbauen und hier die Massenproduktion starten, gibt es bestimmt drei bis vier, die da in Frage kämen. Und ich würde wahrscheinlich das so ähnlich machen wie beim Impfstoff. Da ist es sinnvoll, mehrere Programme parallel zu machen: Einen Antigen-Fluoreszenz-Test, einen Antigenen-Test, der nur mit der Diffusion arbeitet und vielleicht noch einen Lamp-Test mit einem einfachen Gerät. Da gibt es auch Entwicklungen in Europa. Also es gibt einen LampTest zum Beispiel, der in Wien entwickelt wurde und der auch sehr gut ist. Ich glaube, das wäre sinnvoll da wirklich zu überlegen, ob wir ein Netzwerk von Selbst-Testungen aufsetzen können. Dass die Leute wirklich selber das feststellen können.


Nur noch einmal zum Schluss. Ich bin fest überzeugt, dass selbst der härteste Covid19Leugner. So etwas soll es geben. Wenn der schwarz auf weiß sieht: Ich bin jetzt positiv.


Dass der nicht mehr seine Oma besucht und dass dass der sein Verhalten ändert, weil so ist keiner bei uns, dass der sagt: Ich bin jetzt krank, und jetzt gehe ich gerade raus und stecke alle anderen an. Selbst wenn der sich topgesund fühlt, bleibt er dann er zu Hause und geht abends nicht auf die Party.


[0:33:00] 

Camillo Schumann

 Zum einen kann man natürlich mit Tests eine weitere Infektion verhindern. Aber sicherlich geht der eine oder andere auch durch die Lappen. Dann gibt es ja auch die Möglichkeit, vielleicht über den Umweg das Immunsystem da schon darauf vorzubereiten, dass möglicherweise ein Virus eintritt, was vielleicht verheerende Folgen haben könnte. Welche Möglichkeit gibt es da?


[0:33:2 4] 

Alexander Kekulé Wenn das Immunsystem vorbereitet wird. Das wäre ja die klassische Impfung. Da gibt es 2 Varianten: aktiv und passiv. Die sogenannte aktive Impfung ist das, was jetzt auf der ganzen Welt versucht wird. Putin hat es wohl schon geschafft, sagt er zumindest. Das heißt also, Menschen impfen in dem Sinn, dass das Immunsystem weiß: Hallo, da kommt jetzt gleich was. Passive Impfung wäre, wenn man Serum nimmt von Menschen, die schon die Krankheit durchgemacht haben. Von Menschen, die Antikörper da drinnen haben. Dass man dadurch quasi ganz früh verhindert, dass die Krankheit auftritt. Oder auch Bestandteile von diesem Serum. Das sind die klassischen Methoden, wie wir das Immunsystem normal kennen. Das Immunsystem, denken die meisten Menschen, besteht eigentlich aus Antikörpern, die man gebildet hat bei einer Infektion. Und wenn der gleiche Erreger wiederkommt, dann fangen die Antikörper das weg. Und wer hier zugehört hat, der weiß, da gibt es aber auch noch Zellen. Es gibt eine zelluläre Immunität, die bei Covid19 eine Rolle spielt. Beides ist. aber nur ein kleiner Teil unseres Immunsystems, nämlich der lernende Teil des Immunsystems. Wir nennen das erworbene Immunität oder adaptive Immunität. Das ist was ganz modernes in der Evolution. Das gibt es nur bei Wirbeltieren und höheren Tieren. Aber vorher die schlappen 3,5


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Milliarden Jahre vorher in der Evolution war es so, dass die ganzen Lebewesen das noch nicht hatten. Die hatten etwas, was wir heute angeborene Immunität nennen. Diese angeborene Immunität, die wir früher immer für ein primitives System gehalten haben. Da hat man gedacht, dass ist der Neandertal-Teil des Immunsystems. Aber erstens die allermeisten niederen Lebewesen, die es gibt. Von Insekten über Schnecken und Krebse und so weiter. Die haben nichts anderes. Bakterien sowieso nichts anderes.


Und zweitens ist es so, dass auch die höheren Lebewesen, also Wirbeltiere, dass die beide Systeme parallel haben. Wir haben das mit den Antikörpern, das moderne, entwicklungsgeschichtlich modernere System. Aber wir haben sozusagen auch noch die alte Version des Windows 1.0. Das läuft bei uns auch noch im Hintergrund. Und das hat den Vorteil, das ist sehr, sehr schnell. Das ist ein extrem schnelles Abwehrsystem, dafür aber ziemlich ungenau. Das haben wir von Bakterien geerbt. Und dieses Abwehrsystem, das hat man jetzt rausgekriegt. Das spielt sowohl eine Rolle bei der Entwicklung schwerer Verläufe von Covid19. Es ist auch ein Ziel für therapeutische Ansätze.


[0:35:52 ] 

Camillo Schumann

 Ich wollte gerade sagen, das wirkt sehr schnell. Also die heftige Immunreaktion, die es ausgelöst wird, die den Körper schwächt und am Ende verletzlich macht. Genau das soll verhindert werden, diese schnelle Reaktion des Immunsystems. Wie genau in diesem neuen Therapie–Ansatz?


[0:36:06] 

Alexander Kekulé Dieser Ansatz von vielen wird gerade diskutiert, weil es eine Arbeitsgruppe in Jena, eine Firma in Jena gibt, die Antikörper herstellt. Das ist ein Ansatz von vielen. Aber letztlich ist es so, man kann sich das so vorstellen, dieses einfache Immunsystem. Dieses primitive, angeborene Immunsystem, funktioniert letztlich so, dass die Virus befallene Zelle in dem Moment, wo das Virus da drinnen ist, sofort so eine Art Alarmsignal aussendet und zwar in Form von chemischen Botenstoffen. Soge-


nannte Zytokine. Das sind die ersten chemischen Botenstoffe. Das heißt also: Diese Zellen, die arbeiten nicht wie Nervenzellen mit Kabel, sondern die haben die drahtlose Kommunikation erfunden, aber eben mit chemischen Substanzen. Die alarmieren ihre Umwelt. Dann kommen andere Zellen und produzieren verschiedene weitere Stoffe, die weitere Zytokine, die wieder neue Zellen anlocken, zum Beispiel Fresszellen. Da gibt es im Blut Zellen, die heißen Makrophagen und Granulozyten, Neutrophile Granulozyten. Das sind Fresszellen im Blut, weiße Blutkörperchen. Die werden angelockt und kommen ganz schnell und fangen an, alles zu verspeisen, was irgendwie im Entferntesten aussieht, als wäre es virus-infiziert. Und wenn es gut geht, dann hat man ruckzuck eine Reaktion und das Virus ist so halbwegs im Schach. Es verschwindet wieder. Und ein paar Tage später kommen die Antikörper, damit das Virus, wenn es wieder auftaucht, keine Neuinfektion machen kann. Eigentlich ein ganz gutes Konzept. Aber wir wissen, dass bei Covid19 das insofern außer Kontrolle gerät, als wahrscheinlich dieses Virus am Anfang dieses angeborene Immunsystem teilweise ausschalten kann. Das schafft es also tatsächlich, diese bisschen primitivere Variante, dieses immunologische Fossil, auszuschalten. Dadurch kann das Virus sich am Anfang hemmungslos vermehren. Wenn es dann später zu der Immunreaktion kommt, auf diese inzwischen relativ stark Virusvermehrung. Dann gibt es eben eine zweite Krankheitsphase. In dieser 2 . Krankheitsphase, da werden die Leute dann plötzlich schlagartig krank, weil die angelockten Fresszellen anfangen, wie verrückt eigene Körperzellen kaputtzumachen. Dann schaukeln sich diese Zytokine, diese Signal-Stoffe hoch. Es entsteht das, was wir Zytokinsturm nennen. Da kommt es letztlich zu Blutgerinnungsstörungen. Die Menschen sterben letztlich an dem überreagierenden Immunsystem. Was diese neue Therapie macht, ist, dass sie einen Faktor von dieser Signalübertragung, das ist dazwischen etwas aktiviertes Komplement C5 Was auch immer das ist. Das ist auf dieser Signal-Strecke ein Faktor, der dazwischen eine Rolle spielt. Der wird ganz gezielt ausgeschaltet, sodass sozusagen wie bei der stillen Post in der Signalkette ein Überträger fehlt. Wenn Sie bei dem Kinderspiel Stille Post ein Kind rausnehmen, dann


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kommt hinten gar nix mehr an. Und so ähnlich ist es hier auch. Man inaktiviert ein ZwischenFaktor. Dadurch ist diese Signalkette unterbrochen. Das hat so eine, sage ich mal vorläufige, sehr, sehr vorläufige Studie gezeigt, dass das funktionieren könnte. Vorsicht, da muss man vorsichtig sein, das ist noch kein gutes Resultat. Aber es ist ein Prinzip, was man zumindest weiter verfolgen sollte.


[0:39:32 ] 

Camillo Schumann

 Das ist die Theorie. Das ist sozusagen etwas, was man sich jetzt vorstellen könnte. Sie haben mir gesagt, das ist alles noch nicht peerreviewed, das ist alles noch nicht gegengecheckt. Aber nichtsdestotrotz könnte das Einzug halten in die Therapie?


[0:39:45] 

Alexander Kekulé Ja, man versucht es tatsächlich schon praktisch mit verschiedenen Zytokinen im weitesten Sinne. Wir haben auch schon mal gesprochen über Interleukin-eins und Interleukin-sechs in der Vergangenheit. Da gibt's wirklich Substanzen, die dagegen wirken. Und man versucht den besten Zeitpunkt rauszukriegen. Das ist das Entscheidende. Wann man das therapeutisch einsetzt, weil ganz klar ist, wenn ich das am Anfang der Krankheit mache. Zum Zeitpunkt, wo das Virus sowieso diese angeborene Immunantwort unterdrückt. Dann ist es natürlich schlecht, wenn ich da auch noch mit meinem Interleukin draufkomme oder mit immununterdrückenden Substanzen wie dieses Dexamethason, also Kortison-ähnliche Substanzen. Sondern man muss später, wenn das eigene Immunsystem der Hauptgrund ist, dass der Mensch krank wird. In dem Moment muss man diese Therapeutika einsetzen. Ich glaube, dass wir da dabei sind, Therapien zu entwickeln, die wirklich die Sterblichkeit signifikant senken können, indem wir das Immunsystem beeinflussen, möglichst gezielt und genau zum richtigen Zeitpunkt.


[0:40:49] 

Camillo Schumann

 Wir kommen zu den Hörerfragen. Eine Dame hat uns geschrieben, sie möchte anonym bleiben. „Ich arbeite in einer Zahnklinik und habe


während der Frühschwangerschaft eine FFP2 Maske und ein Visier in der Behandlung getragen, um mich vor dem Sars-CoV-2 -Virus zu schützen. Leider habe ich das Baby in der neunten Schwangerschaftswoche verloren. Sicherlich können andere Gründe ursächlich gewesen sein. Ist es jedoch möglich, dass mit der FFP2 /FFP3-Maske über mehrere Stunden die Sauerstoffversorgung unzureichend ist, während einer Schwangerschaft? Welche ergänzenden oder alternativen Möglichkeiten währen Ihrer Meinung nach sinnvoll, um sich als Zahnärztin zu schützen? Viele Grüße.“


[0:41:2 8] 

Alexander Kekulé Das ist natürlich eine traurige Geschichte. Erst mal. Was hat da eine Rolle gespielt? Die FFP2 Maske sicher nicht. Es ist so: Zwischen Mutter und Kind ist die Sauerstoffversorgung so. Solange das Kind noch im Bauch der Mutter ist, ist die Sauerstoffversorgung so. Dem Kind wird erst dann der Saft abgedreht, wenn die Mutter schon halbtot ist, um es mal auf den Punkt zu bringen. Das heißt also: Das Letzte, was der mütterliche Kreislauf macht, ist, dass er die Sauerstoffversorgung vom Fötus runterreguliert. Das ist hier wirklich so, dass ein leichter Sauerstoffmangel bei der Mutter. Das kennen wir in vielen Situationen, wenn Schwangere Verkehrsunfälle haben und ähnliches. Das wirkt sich auf das Kind erst einmal gar nicht aus. Sondern das kommt erst ganz spät, weil das Kind in der Gebärmutter, weil das ein bevorzugter Ort im Körper ist. So ähnlich wie man weiß, dass bei Sauerstoffmangel das Gehirn relativ spät abgekoppelt wird von der Versorgung und andere periphere Bereiche des Körpers eher. Da muss man sich da insofern keine Sorgen machen. Also an der an der Maske hat es mit Sicherheit nicht gelegen.


[0:42 :38] 

Camillo Schumann

 Trotzdem ist die Angst auch groß. Das ist auch etwas Irrationales. Deswegen die Frage: Welche ergänzenden oder alternativen Möglichkeiten gäbe es?


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[0:42 :47] 

Alexander Kekulé Schwangere sollten sich natürlich auf jeden Fall vor einer Covid19-Infektion schützen. Wir haben keine Hinweise darauf, dass das Kind besonders geschädigt wird. Das ist aber fast schon ein typischer Wissenschaftler-Spruch. Wir haben keine Hinweise darauf. Das liegt auch daran, dass wir so wenige Daten haben. Es gibt ganz wenig verwertbare Daten von Schwangeren, wo man das genauer beobachten konnte. Aber anhand der Daten, die bis jetzt da sind, gibt es keinen Hinweis auf eine Schädigung des ungeborenen Kindes. Das würde ich nicht unterschreiben, dass das so bleibt. Aber ist ja schon mal eine gute Nachricht, dass es nicht fruchtschädigend ist.


Das andere ist. Wir wissen sehr wohl, dass die Krankheitsverläufe bei der Mutter, also bei der Schwangeren, dass die schwerer sind bei Covid19. Also werdende Mütter, möglicherweise auch noch im Wochenbett. Das weiß ich jetzt nicht genau. Die sind stärker gefährdet, und zwar aus 2 Gründen. Erstens ist das Immunsystem der Mutter dadurch, dass sie gerade das Kind im Bauch hat, in so einem besonders regulierten Zustand. Da sind bestimmte Faktoren hochreguliert und andere runterreguliert werden. Da ist es so, dass in dieser Situation es zu dieser überschießenden Immunsuppression, Immunreaktion, über die wir vorhin gesprochen haben, häufiger kommt bei Schwangeren. Das kennt man auch im anderen Zusammenhang. Und das Zweite ist, dass die Blutgerinnung bei werdenden Müttern auch in einem anderen Zustand ist und die eine Neigung zu Thrombosen haben. Das wissen wahrscheinlich die Mütter, dass sie zum Teil Thrombosestrümpfe und so was tragen müssen. Die Thrombose-Neigung ist bei Covid-19 gefährlich, weil das Virus selber auch auf Wegen, die wir nicht genau kennen so eine Thrombose-Neigung macht. Wir wissen, dass so MikroThrombosen in der Lunge, im Herz, in den Nieren vielleicht auch noch in anderen Organen. Dass die tatsächlich ein Teil des Problems bei Covid-19 sind. Da weiß man, dass es bei Schwangeren verstärkt ist. Das heißt, eine Schwangere sollte sich wirklich schützen vor der Infektion, hauptsächlich um ihrer selbst willen. Beim Kind gibt es nicht so viel nicht so


viel Sorge. Da sollte man die üblichen Maßnahmen ergreifen.


[0:45:02 ] 

Camillo Schumann

 Apropos üblichen Maßnahmen. Diese Dame hat angerufen und möchte mit anderen Seniorinnen und Senioren in einem Ferienhaus Urlaub machen. Sie ist sich aber unsicher.


Hörerin


Ist es überhaupt zu verantworten, mit zehn Personen in diesem Haus Urlaub zu verbringen? Und gibt es irgendwelche Ideen, mit welchem Sicherheiten wir hinfahren können? Also zum Beispiel testen? Einmal testen, zweimal testen, vorher testen? Es wäre schön, wenn diese Frage beantwortet werden könnte.


[0:45:37] 

Camillo Schumann

 Das machen wir in aller Kürze.



Alexander Kekulé


Es kommt darauf an, wie diese Senioren sich vorher verhalten haben, wenn die sich relativ konsequent geschützt haben. Und wenn die keine gefährlichen Kontakte in der letzten Zeit hatten. Dann können Sie unter Umständen sagen: Jawohl, da gehen wir einfach hin. Und wir wissen, dass keiner von uns ein Risiko darstellt. Wenn natürlich einer von denen ständig Kontakt mit den Enkeln hatte, die im Kindergarten auf dem Spielplatz oder sonst wo waren und man auf Nummer sicher gehen will. Dann würde ich einfach empfehlen, kurz vor der Abreise den Covid19-Test zu machen. Das ist auch keine 100-prozentige Sicherheit. Aber wenn man dann die letzten fünf Tage vorher keine gefährlichen Kontakte hatte und vor der Abreise den Test macht. Dann ist es als Paket etwas, wo ich sagen würde: Das reicht aus, um zu vermeiden, dass man in diesem Urlaubshaus ständig stressigen Kontakt-Maßnahmen einhalten muss. Dann kann man sich in der Situation im Urlaub etwas entspannen.


[0:46:37] 

Camillo Schumann

 Damit sind wir am Ende von Ausgabe 97. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am


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Samstag wieder zu einem Hörer-Fragen Spezial. Bis dahin.



Alexander Kekulé


Ich danke Ihnen. Bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 18.08.2 02 0 #96: Wir steuern auf ein Lockdown-Szenario zu



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag, 18. August 2 02 0. 1. Wir haben wieder einen Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen. 2 . Dann: Nehmen bei steigenden Infektionszahlen auch die schweren Krankheitsverläufe zu? 3. Außerdem: Corona-Erkältungsviren quasi als Not-Impfung gegen SARS-CoV-2 . Denkbare Lösung? 4. Dann: Wie ein Rechenfehler das KontaktTracing verändern könnte. 5. Und: Amerikanische Wissenschaftler haben ein Nasenspray gegen SARS-CoV-2  entwickelt. Wie funktioniert es? Wir wollen Orientierung geben.


Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wegen der steigenden Zahl an Infektionen machen wir am Dienstag immer so einen kleinen Corona-Lagebericht. 1390 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden


meldet das Robert Koch-Institut heute. Zum Vergleich: Vor einer Woche waren es am Dienstag knapp unter 1000. Und wir wissen: In der ersten Wochenhälfte ist die Zahl der Neuinfektionen wegen des Meldeverzugs der Gesundheitsämter eher niedriger. In der zweiten Wochenhälfte eher höher. Nun stehen wir schon am Anfang der Woche bei fast 1400. Welche Botschaft senden uns diese Zahlen?



Alexander Kekulé


Ja, der Trend ist leider ungebrochen. Wir steuern wieder auf ein sehr aktives Infektionsgeschehen zu. Das ist schon fast ein Euphemismus, eine Beschönigung. Tatsächlich muss man einfach sagen, dass die Infektionen werden wieder exponentiell steigen, wenn wir nicht ganz massiv gegensteuern.



Camillo Schumann



Exponentiell steigen. Ab welchem Moment wäre das wieder der Fall?



Alexander Kekulé


Das ist letztlich dann, wenn die bremsenden Mechanismen, die Kontrollmechanismen, so schwach werden, dass sie nicht verhindern können, dass jede Person, die infiziert ist, statistisch mehr als einen anderen anstecken. Das heißt also, wir haben dann eine Situation, wo einfach die Fallzahlen nicht mehr durch die Gesundheitsbehörden und nicht mehr durch die bereits beschlossenen Maßnahmen, also Maskentragen, Abstand etc. reduziert werden können. So eine Situation hatten wir schon mal, als dann der Lockdown beschlossen wurde. Und ich glaube, man muss ganz klar sagen, wir steuern wieder auf so ein Szenario zu.


[0:02 :39]



Camillo Schumann



Die Zahlen klingen erst mal dramatisch. Aber schaut man sich die Entwicklung in den Bundesländern an, haben wir wieder das Bild, das sich zum Beginn der Epidemie in Deutschland gezeigt hat: Der Westen Deutschlands punktuell zum Teil sehr stark betroffen, während das Virus in Ostdeutschland wieder fast keine Rolle spielt.


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Alexander Kekulé


Ja, das ist so. Das ist sozusagen einerseits eine gute Nachricht für die, wo es nicht so viele Infektionen gibt im Moment. Dort kann das natürlich noch nachziehen, weil wir ja keine Firewall zwischen Ostund Westdeutschland haben, auch keine Mauer mehr. Und es ist so, dass wir im Westen, das ist die Kehrseite der Medaille, entsprechend mehr Fälle haben. Also dass das, was man sozusagen als Durchschnitt für ganz Deutschland betrachtet, das ist ja noch eine Unterschätzung bezüglich Nordrhein Westfalen, Teile von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Das heißt, wir haben hier wirklich ein Problem im Land und müssen da dringend etwas tun. Wir können dem nicht einfach nur zusehen.



Camillo Schumann



Auf Maßnahmen kommen wir gleich. Wenn die Zahlen ansteigen, dann müssten doch auch die schweren Verläufe der Covid19-Krankheit zunehmen. Das ist eine sehr, sehr oft gestellte Frage unserer Hörer hier im Podcast. Aber Ziel aller Eindämmungsmaßnahmen ist es ja nicht, das Virus auszurotten, sondern die Gesundheitsversorgung nicht zu überlasten.



Alexander Kekulé


Nein, das kann man so einfach nicht sagen. Es ist ein Parameter, den man im Auge haben muss. Bei den Eindämmungsmaßnahmen will man die Gesundheitssysteme nicht überlasten, sprich nicht zu viele Menschen auf der Intensivstation. Wenn es dann eine Überlastung gäbe, würde die Sterblichkeit steigen, weil nicht mehr jeder optimal behandelt werden kann. Das ist aber die allerunterste Ebene, die man nicht durchbrechen will. In diese Lage sind wir in Deutschland noch nie gekommen. Das haben wir wirklich gut gemacht, dass die Intensivkapazitäten ja auch enorm aufgerüstet worden. Es gibt da drüben noch andere Ziele, die man hat. Das andere Ziel ist, dass wir keine schlagartige Durchseuchung der Bevölkerung riskieren wollen. Das ist einfach Strategie, dass man nicht gezielt durchseucht. Sondern wir wollen, dass die Ausbreitung der Erkrankung in


einem Bereich bleibt, wo wir mit dem Nachverfolgen der Gesundheitsämter noch eine Chance haben, das zu bremsen. Nur dann ist es ja kontrolliert. In allen anderen Situationen wissen Sie nicht, wer krank wird. Dann können auch Risikopersonen, Ältere krank werden. Und dann haben Sie ganz schnell volle Intensivstationen. Das heißt, man muss diese vorherige Ebene der Kontrolle durch die Gesundheitsämter wirklich sicherstellen. Und da ist der entscheidende Parameter: Welche Möglichkeiten haben die Gesundheitsämter, etwas nachzuvollziehen? Da hat der Bundesgesundheitsminister meines Wissens mal gesagt, so 1000 Fälle in Deutschland verkraften wir. Jetzt sind wir drüber. Das heißt, hier ist wirklich Handlungsbedarf.



Camillo Schumann



Also haben bald die Gesundheitsämter nicht mehr das Heft des Handelns in der Hand.



Alexander Kekulé


Ich glaube, sie haben es jetzt schon nicht mehr in der Hand. Das wird sicher regional unterschiedlich sein. Aber ich gehe davon aus, dass wenn Sie mit Leitern von Gesundheitsämtern sprechen, dass einige zugeben müssen, dass sie nicht mehr alle Fälle nachverfolgen können. Man hat einfach mal früher, diese Zahl so in den Raum gestellt: pro Amt fünf Fälle am Tag. Das war immer so die Idee. Dann hat man das mal fünf Arbeitstage genommen und gesagt, 35 Fälle pro Woche ungefähr kriegt man hin. Hat das dann so politisch aufgerundet auf 50. Das ist diese berühmte Alarmschwelle. 50 pro 100.000 Einwohner. Da sind wir jetzt drüber, wenn man es sich in manchen Regionen ansieht. Und das ist schon sportlich. Weil fünf Fälle heißt ja, die letzten fünf, sechs Tage müssen sie da nachverfolgen. Was hatten die alles für Kontakte? Dann diese Kontakte identifizieren, mit denen wieder sprechen. Das kann man nicht oft genug sagen. Das ist wirklich eine Herkulesaufgabe. Und ich glaube, es ist nicht gut, die Gesundheitsämter hier zu überlasten.


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[0:06:39]



Camillo Schumann



Aktuell haben wir um die 2 0 Landkreise, die keine Corona-Neuinfektionen gemeldet haben. Und wir lagen mal im Juni, ich glaube am 16. Juni bei 159. Mit anderen Worten, da kommt was auf die Gesundheitsämter zunehmend zu.



Alexander Kekulé


Das ist dieser Hintergrundrauschen-Effekt, wie ich das genannt habe, Noise-Effekt. Dass wir jetzt so viele Einzelfälle haben, die nicht mit bekannten Infektionsketten zusammenhängen, eben Initialfälle. Und das ist das, wovor wir schon länger auch in diesem Podcast gewarnt haben. Dass das ein Unterschied ist, ob Sie Einzelfälle haben, wo Sie bei jedem Einzelnen rauskriegen müssen: Was waren das für Kontakte? Oder ob Sie Infektionsketten haben, wo dann einfach noch einer dazu kommt, in irgendeinem Geschehen, was schon bekannt ist. Ich glaube, dass wir gerade diese Verteilung auf die Landkreise, dass viele Landkreise betroffen sind, dass es viele kleinere Geschehnisse sind. Das ist das, was eine neue Situation jetzt für uns ist.



Camillo Schumann



Wir machen diesen Podcast jetzt seit dem 16. März. Und wir haben uns ja schon sehr oft unterhalten. Aber ich höre so ein bisschen raus, Ihre Stimme ist sehr angespannt, oder Sie sind sehr angespannt.



Alexander Kekulé


Ja, das Sehen Sie richtig. Also ich bin jemand, der die Grundeinstellung hat: Wir schaffen das. Und ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass wir in Deutschland weltweit hervorragend aufgestellt sind und die Möglichkeit hätten. Aber Sie wissen ja auch, dass es dieses SmartKonzept gibt mit fünf Punkten. Die müsste man einhalten, um statt der Lockdowns eine Alternative zu haben für den Herbst. Und ich sehe zunehmend die Zeit schwinden, in der man das hätte vorbereiten müssen. Stattdessen steigen jetzt die Fallzahlen, und ich höre aus der Politik ehrlich gesagt keine Alternativen. Es ist ja nicht so, dass dieses eine Konzept, was ich da mal in den Raum gestellt


habe, das einzig mögliche wäre. Aber irgendein Konzept brauchen wir. Und das heißt nicht, zusehen, was passiert und das kommentieren. Sondern das heißt, wir müssen proaktiv verhindern, dass sich mehr Menschen infizieren.


[0:08:50] :



Camillo Schumann



Da kommen wir gleich noch einmal zu der Thematik: steigende Infektionszahlen. Und wie sieht es eigentlich mit den schweren Verläufen aus? Sie haben es ja schon geschildert, dass das Gesundheitssystem weit davon entfernt ist, überlastet zu sein. Ich habe die Deutsche Krankenhausgesellschaft mal gefragt, ob schwere Verläufe zugenommen haben. Die Antwort lautet:


"Als schweren Verlauf würden wir eine Covid19-Erkrankung dann definieren, wenn ein stationärer Aufenthalt zur Behandlung erforderlich ist. Zu erkennen ist, dass sich die Zahl Mitte Juni auf relativ konstantem Niveau um 500 pro Woche eingependelt hat. Diese Zahl bleibt auch seit dem neuerlichen Anstieg der Fallzahlen im Juli im selben Bereich. Ob das so bleibt, müssen wir jetzt engmaschig beobachten."


Dabei wird es vermutlich nicht bleiben, oder?



Alexander Kekulé


Das ist zunächst mal eine gute Nachricht. Das ist aber auch klar, weil man muss gucken, wer ist das, der sich im Moment infiziert? Das sind ja im Wesentlichen jüngere Menschen. Zum Teil welche, die aus dem Urlaub oder aus dem Familienbesuch zurückgekommen sind. Vielleicht auch welche, die hier in Deutschland so ein bisschen über die Stränge geschlagen haben. Das sind zum großen Teil Leute, die das Risiko kennen. Die sagen, das nehme ich in Kauf, weil ich weiß, dass meine Altersgruppe wenig Menschen schwer krank werden. Das ist objektiv richtig. Man kann dem vielleicht sogar etwas Positives abgewinnen, weil man ja sagen muss, viele Immunisierte schützen natürlich als Gruppe auch den Rest der Bevölkerung. Nach der Infektion ist man ja immun, zumindest für eine Zeit lang. Das heißt, wenn die sich


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sozusagen da in den Sturm begeben und sagen, wir wollen alle krank werden, bei uns wird es nicht so schlimm. Dann ist das eine große Gruppe von Immunen. Und wenn die besonders sozial aktiv sind, dann ist das auch eine besserer Schutzwirkung. Natürlich auch für die anderen. Andererseits gibt es eben 2 Faktoren, die da wichtig sind. Das eine ist, wir haben noch keinen zuverlässigen Schutz der Risikogruppen in Deutschland installiert. Das ist das S von diesem Smart-Konzept: Schutz der Risikogruppen. Ich habe gerade in einer "Zeit" gelesen von dem Boris Palmer, Bürgermeister von Tübingen, dass, so wie er das überblickt, keineswegs die Altersheime alle zuverlässig geschützt seien. Ich kenne auch da keine offiziellen Stellungnahmen, dass man in Altersheimen und anderen Situationen, wo Risikopersonen zusammen sind, dass man da wirklich konsequent das Personal zum Beispiel testet regelmäßig. Und das andere ist, dass wir natürlich auch unter denen, die jetzt keine typischen Risiken haben, immer mal wieder auch sehr schwere, zum Teil tödliche Verläufe haben. Wenn jetzt in der Gruppe der NichtRisikopersonen, die Krankheit komplett unkontrolliert durchläuft, dann können auch die zu einem Problem für das Gesundheitswesen werden. Weil sie dann einfach zu viele 2 5bis 40-Jährige auch auf den Intensivstationen haben. Die sterben in der Regel nicht dran. Das kriegt man in Deutschland meistens hin. Aber trotzdem sind die Stationen natürlich voll. Wenn dann jemand aus dem Altersheim kommt, dann müssen wir eben Triage machen wie in Italien. Das heißt, feststellen, wer kriegt die Behandlung und wer kriegt sie nicht.



Camillo Schumann



Auch davon sind wir noch weit entfernt. Die Hospitalisierungsquote, 0,6 Prozent aktuell, die war auch schon wesentlich höher. Was meinen Sie, wie sozusagen die Krankenhäuser aufgestellt sind?



Alexander Kekulé


Ich glaube, wir sind nach wie vor gut aufgestellt. Wo ich die Krankenhäuser kenne,


ist eher die Tendenz, dass der Verwaltungsdirektor gelegentlich mal durchgeht und sagt: "Mensch musst das sein, dass ihr so viele Intensivbetten hier leer stehen habt." Das ist ja auch nicht so einfach unter dem Kostendruck das aufrechtzuerhalten. Ich weiß auch, dass zum Teil schon wieder rückgebaut wurde. Nicht in dem Sinn, dass es irreversibel wäre. Aber man hat zum Teil dann schon wieder gesagt: "Na ja, so viele CovidBetten brauchen wir nicht frei halten." Man ist aber sehr dynamisch und kann flexibel das wieder anpassen. Ich glaube, wir sind da richtig aufgestellt. Wir haben auch mehr Beatmungsgeräte als früher. Aber wir müssen uns natürlich als Gesellschaft, und das ist eine politische Frage, wirklich fragen, wollen wird das denn, dass wir diese Kapazitäten volllaufen lassen? Und dann, was weiß ich, 2 5.000 Beatmungspatienten in Deutschland rumliegen haben. In der Größenordnung ist wohl die Kapazität. Ich wäre eigentlich dafür, dass nicht auszunutzen. Das ist für mich wie so ein Feuerlöscher, der an der Wand hängt. Aber ich möchte es eigentlich darauf ankommen lassen, den auszuprobieren.


[0:13:04] :



Camillo Schumann



Kurz noch eine aktuelle Zahl nachgereicht. Covid19-Fälle, die aktuelle invasiv beatmet werden müssen in Deutschland, Gesamtsumme 135. Da ist noch viel Luft nach oben.



Alexander Kekulé


Da ist viel Luft nach oben. Das finde ich auch richtig, dass man so operiert. Vielleicht noch etwas anderes Optimistisches. Es ist ja nicht ganz auszuschließen, dass wir es wirklich hinkriegen, dass wir eine Immunisierung im Land haben, die jetzt nach und nach stattfindet, langsam. Und dass wir durch den Schutz der Risikogruppen und der alten Menschen tatsächlich die Zahl der Schwerstkranken auf einem ganzen niedrigen Niveau halten. Wir kennen ja diese epidemiologische Situation in Ländern, wo die Bevölkerung sehr jung ist. Wir kennen die


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Zahlen aus Indien zum Beispiel und auch aus anderen Regionen, wo man sehr viele junge Menschen hat, die infiziert werden. Das ist zum Teil erstaunlich. Wenn man das Blut untersucht und schaut, wie viele haben sich da wirklich angesteckt, dann kommt man ja zum Teil auf Raten von 50 Prozent und mehr, die sich infiziert haben. Wenn wir natürlich in Deutschland oder in Europa so einen Effekt hätten, dass es zu einer Immunisierung kommt, ohne dass die gefährdeten Personen betroffen sind. Dann kann das sein, dass wir, sozusagen ohne das zu wollen, relativ gut durch die Krise kommen. Bis jetzt hat noch kein Politiker gesagt: Jawohl, ich gehe dieses Risiko ein und versucht es mal. Und ich kann es auch nicht empfehlen, weil wir nicht wissen, wie das ausgeht. Wir wissen nicht, welche Langzeitschäden die Menschen haben, die scheinbar ohne große Symptome da durchgekommen sind. Und deshalb kann ich nicht empfehlen, sozusagen auf natürlichem Weg die Seuche laufen zu lassen.



Camillo Schumann



Und noch eine Zahl nachgereicht. Die Gesamtzahl der aktuell betreibbaren Intensivbetten sind 30.565. Davon belegt 2 1.700 und frei demnach 8860. Und wen das mal interessiert: Intensivregister.de. Dort sind die täglich aktualisierten Zahlen auch nach Bundesländern, um das sozusagen noch mal zu unterstützen, dass da glücklicherweise noch sehr, sehr viel Luft nach oben ist. Herr Kekulé, die Frage: Wie geht man eigentlich mit dem aktuellen Infektionsgeschehen auch mit Blick auf den Herbst um? Wir hören mal kurz Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu:


"Ich denke nicht, dass es Sinn macht, die Entscheidung wieder zu treffen, zum Beispiel den Einzelhandel zu schließen oder Friseure. Wir sehen mit Alltagsmaske, mit Abstand kann man mit geringem Infektionsrisiko natürlich dort weitermachen. Wir sehen, bei Feierlichkeiten, Veranstaltuneng überträgt es sich sehr, sehr schnell. Und deswegen finde ich, müssen wir mit den Ländern noch mal schauen, was sind die Grenzen? Was sind die


Regelungen für die Größe etwa von Veranstaltung?"


[0:15:59] :



Camillo Schumann



Auch der Marburger Bund, der größte deutsche Ärzteverband, fordert auch von der Politik einheitliche Vorgaben für private Feierlichkeiten. Also Hochzeiten, Taufen, Partys etc. Eine Gästeobergrenze. Wären Sie auch für so eine Gästeobergrenze? Und wo könnte die liegen?



Alexander Kekulé


Das ist schwierig zu sagen. Aus infektiologischer Sicht kommt es extrem auf die Situation an. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich praktikabel ist, weil die Menschen, die jetzt Veranstaltungen machen, wo es zu solchen kleineren Ausbrüchen kommt. Das sind ja Personen, die wissen, wo das Risiko ist. Und sie sagen, wir nehmen das letztlich in Kauf. Ich bezweifele, dass da Hochzeiten dabei sind, wo die Planer sich wirklich gute Gedanken gemacht haben, wo sie fast alles im Freien stattfinden lassen. Wo sie dafür sorgen, dass halbwegs die Mindestabstände eingehalten werden und vielleicht die Menschen auch in vielen Situationen Masken tragen. Oder, das gibt es übrigens in den USA jetzt bei sehr vielen Hochzeiten, wenn man kommt, muss man einen Test mitbringen, ein negatives Testergebnis. Wenn man solche Dinge macht, dann ist es natürlich nicht sinnvoll, die Veranstaltung zu verbieten. Wir haben ja viele Situationen, auch Konzerte zum Beispiel, wo es durchaus sinnvoll sein kann, das zuzulassen unter strengen Auflagen. Das Problem sind diejenigen, die sagen, wir machen es trotzdem. Uns sind die ganzen Auflagen egal. Wir machen hier die Türen zu, die Rollläden runter. Es sieht ja keiner, was wir hier veranstalten. Und ich bezweifle, ob der Bundesgesundheitsminister mit gesetzlichen Regelungen das in den Griff bekommen wird, weil wir ja in bestimmten Teilen der Bevölkerung keine so große Bereitschaft haben, weiterhin sich da dem Virus zu unterwerfen. Und wenn man da mit dem gesetzlichen Hammer kommt, dann führt


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das eher dazu, dass diese Teile noch schwieriger zugänglich wären für Aufklärungskampagnen. Dass sie noch weniger offen agieren und man es dann eben gar nicht mehr mitkriegt. Also zum Beispiel, wenn sich jemand auf einer Hochzeit oder auf irgendeiner Party infiziert hat und weiß, ich habe mich auf der Party von meinem Freund XY infiziert. Jetzt gehe ich zum Testen, dann haben sie mich. Dann fragen sie mich, dann erwischen sie meinen Freund. Dann kommt er vielleicht ins Gefängnis oder muss Strafe zahlen dafür, dass er die Party veranstaltet hat. Das führt dann zu so einer Kriminalisierung, dass die Leute dann auch eine Aversion dagegen haben, sich testen zu lassen. Und ich glaube, wir müssen umgekehrt auf die Verantwortung des Einzelnen setzen.



Camillo Schumann



Also könnte dann möglicherweise auch die Stimmung kippen. Wenn ich so raushöre, dann eher mehr Kontrollen, schärfere Kontrollen und höhere Bußgelder?



Alexander Kekulé


Nein, das glaube ich nicht, dass das viel bringt. Ich würde es eher positiv sagen. Aber das ist jetzt so ein bisschen ein politisches Argument. Stellen Sie sich vor, Sie haben wirklich das Angebot, das sich jeder anonym und individuell überall testen lassen kann. Das ist ja die Forderung, die ich ganz massiv in den Raum gestellt habe. Und was würde das praktisch bedeuten? Das ist natürlich so, wenn jemand sich krank fühlt und auch wenn er sonst nicht so viel von den Covid-Maßnahmen hält, wird er dann wahrscheinlich einen Test machen, bevor er seine Familie infiziert. Wenn dann jemand wirklich ein Ergebnis in der Hand hat und sagt: "Wow, jetzt bin ich hier positiv. Ich bin ansteckend." Ich glaube, dass ganz viele von denen, die sonst so easy going sind, wenn sie sehen, jetzt bin ich wirklich positiv, dass die dann auch ihr Verhalten ändern. Es ist ja nicht so, dass die Leute quasi rücksichtslose Mörder wären oder das billigend in Kauf nehmen. Sondern sie verdrängen einfach die Möglichkeit, krank zu sein. Aber wenn man


ihnen die Chance gibt und das überall möglich wäre, an jeder Ecke festzustellen, habe ich das Virus oder nicht. Dann glaube ich, würde man auch das Verhalten aktiv ändern. Selbst von den radikalsten Covid-Gegnern würde sich die Position ändern, wenn sie ein positives Testergebnis in der Hand halten. So würde ich arbeiten. Das ist das eine. Das andere, was man wirklich machen muss, ist proaktiv Risikosituationen identifizieren. Die Leute müssen wirklich wissen, in welcher Situation ist ein hohes Risiko für eine aerogene Übertragung. Und da ist es ja so, dass nicht einmal die Arbeitgeber das zum Teil wissen, weil die Richtlinien das noch gar nicht aufgenommen haben. Da steht dann drinnen, wenn jemand 1,50 Meter Abstand hat, Plastikwand dazwischen. Die Plastikwand muss mindestens 1,50 Meter hoch sein oder Ähnliches. Und dann ist gut. Tut sozusagen noch so, als gäbe es keine aerogene Übertragung, die natürlich um diese Wand rumgehen kann, wenn keine Lüftung ist und der Raum klein ist. Und da glaube ich, kann man auch sehr viel tun in diesen proaktiven Bereich. Und eben den Menschen ganz individuell die Möglichkeit geben, sich testen zu lassen und dann individuell zu reagieren auf die Gefahr.



Camillo Schumann



Gut, also sozusagen das humanistische Weltbild. Noch mal ein Plädoyer dafür.



Alexander Kekulé


Tja, der Waldorfschüler bricht an dieser Stelle durch. Aber so ist es nun mal.



Camillo Schumann



Herr Kekulé, wir müssen jetzt mal über einen Rechenfehler sprechen. Wissenschaft, die kontrolliert sich ja immer selbst. Der eine Wissenschaftler findet was raus, ein anderer Wissenschaftler prüft das Ganze. Und ein dritter gibt dann auch noch seine Meinung ab. Da kann im Prinzip ja eigentlich nichts schief gehen. Eigentlich. Und bevor wir auf einen aktuellen Rechenfehler kommen, erklären Sie


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uns doch mal ganz kurz, wie so ein PeerReview eigentlich funktioniert.



Alexander Kekulé


Normalerweise ist es so, wenn man eine wissenschaftliche Arbeit publizieren will, dann schickt man die zu einem Journal ein, zu einem wissenschaftlichen Spezialmagazin. Und wenn man glaubt, es ist eine sehr gute Arbeit, schickt man sie zu einem guten Journal und wenn man glaubt, naja, das ist jetzt nicht so spannend, dann zu einem, wo man leichter reinkommt. Und egal wie, die haben ein Verfahren, was eben Peer-Review-Verfahren heißt. Das heißt, Personen, Wissenschaftler, die auf Augenhöhe sind mit demjenigen, der es eingereicht hat, kriegen das anonym zugeschickt. Meistens kennt man sich untereinander. Die müssen dann die Arbeit lesen und sagen, ist sie Wert, publiziert zu werden? Bei diesem Prozess kommt es nach meiner Erfahrung, zumindest bei den guten Journalen, eigentlich immer zu Rückfragen und Verbesserungsvorschlägen. Das heißt, diese Reviewer, die Gutachter sagen dann, das und das sollte man besser machen. Da und da müsst ihr noch was machen, die und die Zahl habt ihr falsch berechnet. Und dann geht der Pingpong ein paar Mal hin und her. Häufig wird es dann am Schluss, wenn es eine gute Arbeit war, natürlich akzeptiert und veröffentlicht. Das ist so eine Art Qualitätssicherungssystem in der Wissenschaft. Ich persönlich finde, dass ist eigentlich ganz gut. Das ist uralt, aber funktioniert nach wie vor gut.


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Camillo Schumann



Aber trotzdem kann es ja immer mal wieder zu einem Lapsus kommen. Zu dem kommen wir jetzt. Und zwar die große Frage, ab wann ist eigentlich ein Infizierter vor Ausbruch der Krankheit auch ansteckend für seine Mitmenschen? Bisher, und so sagt es auch das Robert Koch-Institut, kann ein Infizierter ein bis 2 Tage vor Ausbruch der Krankheit andere anstecken. Aber offenbar ist diese Zeitspanne nicht so ganz richtig. Sie liegt offenbar bei bis zu sechs Tagen. Also sechs Tage vor Beginn der


ersten Symptome ist ein Infizierter ansteckend für andere. Und Grund ist ein Rechenfehler, der bisher niemandem seit dem 15. April aufgefallen ist.



Alexander Kekulé


Ja, unter uns Kollegen, unter den Fachleuten ist das ein kleiner Lacher schon fast. Oder eigentlich auch peinlich. Man darf aber nicht so weit gehen, wie Sie es gerade gemacht haben. Es ist ein Rechenfehler passiert. Ja. Das ist eine Arbeit, die ist damals sehr spektakulär erschienen. Da ist ausgerechnet worden, aufgrund von Daten, die man aus China hatte, wann ist eigentlich statistisch gesehen der Infektionszeitpunkt gewesen vor Ausbruch der Symptome? Da hat man einfach Daten genommen, die schon da waren. Man hat gesagt, wann haben die Patienten ihre ersten Symptome gehabt. Dann wurde so eine Häufigkeitsverteilung ausgerechnet. Also mit der Statistik geguckt, was ist häufig der erste Infektionszeitpunkt vorher, der schon stattgefunden hat. Dabei kam heraus, dass vor Symptombeginn, also ein bis maximal 2 Tage vorher, schon die ersten Infektionen stattgefunden haben können. Und bei dieser reinen Berechnung ist ein reiner Rechenfehler passiert, der ziemlich krass ist. Aber es ist am Ende des Tages nur einen Rechenfehler, der bis jetzt übersehen worden war.



Camillo Schumann



Dieser Rechenfehler ist einem Forscherteam um Sebastian Bonhoeffer, Professor für theoretische Biologie an der ETH Zürich, aufgefallen. Können Sie uns diesen Rechenfehler ganz einfach erklären?



Alexander Kekulé


Hut ab vor dem Herrn Bonhoeffer, dass er das bemerkt hat. Da sind viele, viele andere, die das vorher nicht gesehen haben, auch TopInstitute vom Robert Koch-Institut über die CDC in den USA. Und ganz viele haben auf diese ursprüngliche Arbeit, ihre Empfehlungen gesetzt und haben das niemals so richtig nachgerechnet, wie man eigentlich zu dem Ergebnis kam. Da gibt es eine Software, mit der


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man normalerweise solche Statistiken ganz gut aufarbeiten kann. Es gibt viele Softwares. Aber eine, die ganz berühmt ist, heißt einfach R. Nach dem Buchstaben R, weil die beiden Autoren, die das mal erfunden haben, beide mit R losgingen. Dieses Programm muss man sich so vorstellen, das hat eben so einen richtigen Code innen drinnen. Wenn man irgendwann mal eine Programmiersprache gelernt hat, kennt man solche Programmieranweisungen, die da drinnen stehen. Und irgendwo ist eine Programmzeile drinnen, die ausschließt, dass unendliche Ergebnisse weiter verwendet werden dürfen. Das ist bei Computern relativ häufig, dass man so etwas einbaut. Weil der Computer sonst schachmatt ist, wenn er praktisch mit der Zahl unendlich weiter rechnen muss, dann bricht der Computer häufig zusammen. Das kann jeder mal mit dem Excel-Sheet ausprobieren, was dann passiert. Dann gibt es eben eine Fehlermeldung. Deshalb haben die diese Zeile drinnen gehabt, wo es heißt, wenn das Ergebnis unendlich ist, nimm es bitte raus. Das Problem ist nur, dass bei einem Ereignis, was die Wahrscheinlichkeit null hat, davon dann der Logarithmus minus unendlich ist. Dadurch wurden alle Ereignisse mit der Wahrscheinlichkeit null, und das waren in dem Fall 2 ganz wichtige Datenpunkte, automatisch weggefiltert. Dadurch ist die ganze Rechnung schief gewesen. Und die Kurve, die dabei rauskommt, ist nicht mehr symmetrisch. Das ist wahrscheinlich dem Herrn Bonhoeffer aufgefallen, dass das Ergebnis nicht mehr stimmen kann, weil es eben nicht mehr symmetrisch ist. Und so hat er diesen Fehler gefunden. Man muss auch den Autoren der ursprünglichen Arbeit zugute halten, die haben hier ihre gesamten Daten, komplett einschließlich aller Rechenprogramme, ins Internet gestellt. Von Anfang an. Und es ist selten möglich, dass man so sauber etwas noch einmal nachgerechnet, weil das kaum einer macht, dass er so dermaßen die Hosen runterlässt. Also kann man sich bedanken bei den ursprünglichen Autoren. Die haben das auch schon korrigiert.


Aber tatsächlich bei dieser Rechnung kommt jetzt raus: Man ist nicht 2 Tage vorher, sondern fünf oder vielleicht sogar sechs Tage vorher infektiös.



Camillo Schumann



Das war ein kleiner Ausflug in Mathematik und Codierung von Software für Feinschmecker sozusagen. Aber gut, dass es diesen Feinschmecker da in Zürich gab.



Alexander Kekulé


Ja, ich würde mich gerne dafür interessieren, wie er da drauf gekommen ist. Weil das ist ja wirklich im Code versteckt. Und ich kann mir vorstellen, dass die einfach nur ein bisschen mit diesen Code spielen wollten und gesagt haben, wir rechnen jetzt mal mit der gleichen Datenbasis was anderes aus. Aber das müsste man ihn wirklich mal fragen, wie er darauf kam. Umgekehrt muss man die Frage stellen, warum alle anderen das sozusagen einfach so übernommen haben.


[0:2 7:35]



Camillo Schumann



Aber jetzt die Frage, was bedeutet das ganz praktisch. Bisher gilt jemand als Kontaktperson, wer 2 Tage vor Auftreten der Symptome Kontakt zu einem CoronaInfizierten hatte. In dem Fall muss man sich dann testen lassen. Und diese 2 Tage sind ja auch Grundlage für das Kontakt-Tracing der Gesundheitsämter. Vermuten Sie, dass dieser Zeitraum jetzt vergrößert wird? Das RKI schaut sich diese Studie auch schon an.



Alexander Kekulé


Ich hoffe, dass es nicht vergrößert wird. Das ist jetzt aber meine persönliche Meinung. Wenn Sie fünf Epidemiologen fragen, kriegen Sie wahrscheinlich fünf verschiedene Antworten. Das Entscheidende ist ja, wann glaubt jemand, dass er Symptome hatte zum ersten Mal? Und wenn Sie jemanden im Krankenhaus fragen ... In China sind die Menschen gerade am Anfang schwerstkrank gewesen. Fragt man: Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass es dir schlecht geht? Dann wird er den Zeitpunkt


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nennen, wo er halt ganz übel angefangen hat zu husten oder Ähnliches. Und wirklich so die Sensibilität dafür, wann war eigentlich zum allerersten Mal etwas, wo ich gemerkt habe, da stimmt was nicht? So morgens beim Aufstehen, irgendwie die Gliederschmerzen anders als sonst. Nachmittags plötzlich mal Kopfschmerzen, die nicht weggehen wollten. Kratzen im Hals, diese Dinge, wo so was eben losgeht. Und ich glaube, da ist die individuelle Sensibilität extrem unterschiedlich. Bei diesem Covid19 wird es nicht viel anders sein als bei anderen Erkältungskrankheiten, dass man typischerweise einen Tag, bevor die ersten Symptome losgehen, infektiös ist und nicht schon viele Tage vorher. Man muss sich ja auch im statistischen Mittel klarmachen, die Inkubationszeit ist ja bei fünf Tagen. Also zwischen Ansteckung und Ausbruch der ersten Symptome liegen so fünf Tage im Mittel. Wenn Sie jetzt sagen, der kann schon sechs Tage vorher ansteckend gewesen sein. Das geht ja gar nicht. Das heißt also, wir reden hier von Extremfällen, wo Menschen angesteckt wurden, ganz lange die Symptome nicht bemerkt haben. Und dann ist es vielleicht mal so, dass man sagt, der ist relativ lange bevor es bemerkt hat, schon ansteckend gewesen. Ich werde dringend dafür, für die praktische Nachverfolgung hier nichts zu ändern.


[0:2 9:36]



Camillo Schumann



Mit anderen Worten: Das ist so ein individueller Toleranzspielraum, den man ja sowieso hat. Der eine ist, vielleicht ein bisschen sensibler, und der andere kann vielleicht ein bisschen mehr ab. Und merkt es dann erst ein bisschen später. Die ein, 2 Tage waren ohnehin schon sehr verwässert, oder?



Alexander Kekulé


Die waren verwässert. Ich war da sowieso nicht so glücklich damit, dass manche gesagt haben, das können auch 2 bis drei sein. Der Klassiker ist, einen Tag, bevor die Symptome losgehen, ist man ansteckend. Das sagt jeder Professor in der Vorlesung, wenn es um


Virologie geht. Solche allgemeinen Merksätze würde ich jetzt noch nicht ändern. Vielleicht ist das Covid19 die komplette Ausnahme. Aber es geht ja hier um die praktische Frage, wie man seine Software programmiert. Es gibt allerdings einen Aspekt, den darf man nicht aus dem Auge verlieren. Wir wissen ja hier bei Covid19, dass es diese Fälle gibt. Und das ist gar nicht so selten, dass jemand am Anfang erst mal fast nichts hat. Also die Art von Symptomen, die man vielleicht dann gar nicht meldet. Wo man sagt, das habe ich gar nicht bemerkt, mal ein bisschen Kopfschmerzen. Und dann ist das Immunsystem eigentlich in der ersten Phase dieser Erkrankung oft in der Lage, dass ist die Situation in Schach hält. Dann kommt aber eine zweite Phase, die dann gar nicht mal so sehr mit der Virusvermehrung zu tun hat. Sondern damit, dass das Immunsystem plötzlich aus bestimmten Gründen übermäßig hochfährt, quasi verrückt spielt. Und in dieser zweiten Phase kommt dann die schwere Krankheit. Es geht noch einmal richtig los mit ganz schlimmen Atembeschwerden, Intensivstation und so weiter. Und das darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass es hier diesen zweiphasigen Verlauf manchmal gibt. Wahrscheinlich gar nicht so selten. Das könnte auch mit diesen Zahlen zusammenhängen, dass manche Menschen eben lange vorher infektiös sind, wenn man nur die zweite Phase betrachtet. Die haben dann möglicherweise vorher eine fast asymptomatische erste Phase der Krankheit gehabt. Bei den meisten geht es ja zum Glück weg. Und dann war es das. Aber bei einigen kommt eben nach einer gewissen Zeit dieser zweite Krankheitsverlauf, der es dann schlimmer macht.



Camillo Schumann



Wie man darauf begegnen kann, das werden wir in Ausgabe 97 besprechen. Schon mal ein kleiner Teaser auf die nächste Ausgabe. Herr Kekulé, wir haben sehr viel Zuschriften bekommen, und zwar zur Ausgabe 94. Daran hatten wir über das Rätsel der asymptomatischen Virusträger gesprochen.


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Wir haben unter anderem die Frage erörtert, warum es offenbar so viele Menschen gibt, die das Virus und die damit verbundene Krankheit gar nicht oder sehr wenig spüren. Neben vielen weiteren Faktoren kam er eine kalifornische Studie zu dem Ergebnis, dass alte CoronaErkältungsviren, die die Menschen schon mal durchgemacht haben, für diese fast unerkannte Infizierung sorgen. Und viele Hörer haben uns geschrieben, die das in Ausgabe 94 ausführlich gehört haben. Sie haben gefragt: Wenn nun alte Corona-Erkältungsviren offenbar für milde Verläufe sorgen, wäre es da nicht denkbar, mit genau diesen alten Coronaviren so eine Art Not-Impfstoff herzustellen gegen SARS-CoV-2 ?



Alexander Kekulé


Es ist eine Superidee. Da kann ich ja verraten, dass ein gestandener Biochemiker mit mir diese Frage vor einiger Zeit auch mal diskutiert hat. Der hat auch diese Idee gehabt. Ich wäre da eher dagegen. Und zwar aus folgendem Grund: Auch bei den normalen Erkältungsviren haben wir Menschen, die da schwerstkrank werden. Meistens sind die dann immunologisch nicht so fit gewesen. Die haben immunologische Probleme oder Ähnliches. Aber trotzdem, da gibt es Schwerkranke und auch Tote. Wir wissen ja, dass diese Exzessmortalität, die Überschussmortalität bei Influenza, die wird ja jedes Jahr quasi so als Bilanz der Influenzasaison berechnet. Da sind durchaus auch Tote dabei, die gestorben sind an anderen Viren als Influenzaviren. Das ist nicht genau rausgerechnet. Und ein paar sterben natürlich auch mal an einem normalen Coronavirus. Das ist zwar eine Ausnahme, kommt aber durchaus vor. Und deshalb können wir das nicht riskieren. Das wäre ja quasi ein super gefährlicher Impfstoff. Wenn Leute, die ein persönliches Risiko haben, dann auch die Gefahr haben, daran zu sterben. Ich kann nur erinnern bei Polio, bei dem Kinderlähmungsimpfstoff. Da hat man mal Versuche gemacht und dann aus Versehen bei der Herstellung Fehler gemacht. Dann hatten Kinder Kinderlähmung bekommen davon. So


was geht bei der Impfung gar nicht, weil sie ja praktisch nur gesunde Personen im Auge haben. Das heißt, ein Impfstoff muss wirklich viel, viel sicherer sein, als das so eine absichtliche Immunisierung wäre. Der andere Aspekt ist folgender: Jeder Geimpfte, wenn Sie jetzt die Coronaviren als Impfstoff nehmen, wäre ja infektiös. Das heißt, Sie hätten es gar nicht unter Kontrolle, wie diese Welle losgeht. Dann stecken Sie ganz viele Menschen möglicherweise indirekt noch an. Wo man gesagt hätte, nein, bei dem will man es lieber nicht versuchen.


[0:34:2 6]



Camillo Schumann



Aber in der Theorie denkbar, wenn schon ein Wissenschaftskollege mit dem Gedanken gespielt hat?



Alexander Kekulé


Theoretisch wäre es, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Und wenn wir jetzt hier reden würden vom Ebola-Virus ... Wenn das SARS-CoV-2 -Virus, eine Letalität hätte von 50 Prozent plus X und wir keine Möglichkeit hätten, das zu begrenzen, also sozusagen so gefährlich wie Ebola und so ansteckend wie die Grippe, dann würde ich so was als Ultima Ratio durchaus in Betracht ziehen. Weil man natürlich ein Virus viel schneller herstellen und ausbreiten kann, als das Ganze mit dem Impfstoff möglich ist.



Camillo Schumann



Also wenn man am Abgrund gestanden hätte.



Alexander Kekulé


Wenn wir einen Schritt vor dem Abgrund stehen und die einzige Alternative ist, dass alle zu Hause bleiben müssen, bis der Impfstoff kommt. Dann müsste man sowas diskutieren. Ich hoffe, dass es in meinem Leben die letzte Pandemie war. Aber wir wissen nicht, was in der Zukunft noch kommt. Bei diesen Impfprogrammen, da haben wir schon darüber gesprochen, dass es Impfstoffe gibt, die die ausgehöhlte Viren sozusagen als Vehikel, als Vektor verwenden. Da hat man durchaus in der Vergangenheit überlegt, ob man nicht nur


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ausgehöhlte Viren nimmt, sondern auch Viren nimmt, die noch infektiös sind. Bei dem PolioImpfstoff ist es ja so gewesen. Der wird inzwischen nicht mehr verwendet. Früher hatte man tatsächlich ein Impfvirus, das zwar abgeschwächt war, aber dass im Prinzip noch infektiös war. Also da war sozusagen der Effekt, dass der Geimpfte vielleicht auch sein Geschwisterchen infiziert und das dann auch immunisiert wird. Das war sogar durchaus gewünscht damals.


[0:36:06]



Camillo Schumann



Herr Kekulé, was vielleicht vorübergehend gegen SARS-CoV-2  helfen könnte, ist ein Nasenspray, entwickelt von amerikanischen Wissenschaftlern in San Francisco. Auch ein deutscher Forscher hat seine Hände im Spiel. Der aus Berlin stammende Biochemiker Peter Walter. Dieses Spray funktioniert mit synthetischen Nanokörpern. Können Sie uns kurz erklären, wie genau?



Alexander Kekulé


Das ist toll. Also diese Nanobodys, Nanokörper. Es gibt nichts mehr, was deutsch benannt wird. Die Nanobodys, das ist ein Phänomen gewesen, was vor vielen Jahren entdeckt wurde. Das war so in den 80er-Jahren, Ende der 80er-Jahre vielleicht. Wir wissen ja, wie ein Antikörper funktioniert. Das ist so ein ziemlich großes Molekül. Das hat einen Teil vorne dran, der zum Beispiel ein Virus erkennen kann. Das ist so die Erkennungsstelle. Und dann ist da hinten noch ziemlich viel dabei, damit der Antikörper richtig funktioniert. Das Verhältnis ist so 1:10 vom Volumen her. Ein Zehntel braucht man, um das Virus, das Antigen zu erkennen. Und der Rest ist quasi Transportmedium dafür. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie so ein Lastwagen, wo eben hinten die Anhängerkupplung ist. Und nur die Kupplung braucht man, um den Antikörper festzumachen. An den ganzen Lkw braucht man eigentlich gar nicht dafür. Da hat man durch reinen Zufall ... Das waren Studenten, die das mal an der Uni in Brüssel gemacht haben. Die haben durch Zufall gesagt,


wir untersuchen mal in so einem Praktikum ein Serum von einem Dromedar. Das war da zufällig angeblich noch im Kühlschrank. Sie haben das rausgeholt und einen Test gemacht. Und gemerkt, komisch, diese Dromedare. Die haben nicht nur diese großen Antikörper, sondern die haben auch so kleine Stückchen, die eben wie die Anhängerkupplung von einem Lastwagen quasi ganz alleine darum schwimmt. Da hat man überlegt, ob das vielleicht Abbauprodukte oder Ähnliches sind. Man kam dann tatsächlich drauf, dass nur bei kamelartigen Tieren und interessanterweise bei bestimmten Haien gibt es das tatsächlich, dass diese Mini-Antikörper ein Teil des ganz normalen Immunsystems sind. Also das ist wirklich eine spektakuläre, interessante Entdeckung gewesen. Und die haben natürlich den Riesenvorteil, die kann man massenweise herstellen. Das sind ganz kleine Moleküle, die nicht in irgendwelchen Sprays verkleben. Und die kann man auch künstlicher herstellen.



Camillo Schumann



Und was haben die Kollegen in San Francisco daraus gemacht?



Alexander Kekulé


Was an der Uni San Francisco gemacht wurde, man hat letztlich eine riesige Bibliothek von künstlichen Nanobodys genommen. Das waren 2  Milliarden von diesen Nanobodys. Die hat man natürlich technisch hergestellt in großer Menge. Man hat ausprobiert, ob welche gegen dieses neue SARS-CoV-2 -Virus irgendwie wirken. Da hat man eine kleine Gruppe gefunden, die tatsächlich gegen das S-Protein anheften, also das Spike, dieses kleine Teil, was da so raussteht aus dem Virus. Jedes Spike hat drei Anhaftstellen. Das haben die dann weiter optimiert und gesagt: Dann nehmen wir drei Nanobodys, machen da eine kleine Kette dazwischen. Damit wir alle drei Anhaftstellen blockiere, also alle drei Stellen, wo dieser Spike sich eine Lungenzelle festmachen könnte. Und dann haben sie das Ergebnis noch mal gentechnisch so verändert, dass es noch ein bisschen besser bindet. Von dem ersten, das sie gefunden haben, haben sie die


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Bindungsfähigkeit dieser Nanobodys mehr als 2 00.000-fach verstärkt. Und das Ergebnis ist wirklich spektakulär. Die kleben wie Pech und Schwefel an den Viren dran. Sie hemmen diese SARS-CoV-2  Viren an der Infektion von Zellen in der Zellkultur. Sodass jetzt der Vorschlag ist, dann machen wir jetzt ein Spray draus. Statt einer Atemmaske kann man sich das Spray inhalieren. Und dann kann man ja gerade quasi die Infektion nicht mehr bekommen. Aber wenn so ein Virus eindringen sollte, dann werden sofort die für die Infektion notwendigen Stellen des Virus sehr, sehr effektiv blockiert. Das ist erst mal nur ein Vorschlag. Das gibt es noch nicht auf dem Markt. Natürlich schon weit davon entfernt. Aber die ganze Idee ist natürlich für Biochemiker schon faszinierend. So was löst Begeisterung aus.


[0:40:14]



Camillo Schumann



Ich merke schon. Sie sind auf einmal gut drauf in diesem Podcast heute. Am Anfang ein bisschen so Moll und jetzt wieder Dur. Schön. Kommen wir abschließend zu den Hörerfragen mit Blick auf die Uhr bitte um eine kurze Antwort. Frau Schwarzer aus Leipzig hat eine Frage zu Masken:


"Vor einigen Wochen habe ich mir in der Apotheke, eine Nanosilber FFP2 -Maske gekauft, die bis zu 40-mal waschbar sein soll. Da sie angenehm zu tragen ist, wollte ich eine solche Maske nachkaufen. Dies ist aber nicht mehr möglich, da dieses Produkt wohl aus dem Verkauf genommen worden sein soll. Gibt es gesundheitliche oder andere Bedenken gegen Nanosilber-Masken? Welche Art FFP2 -Masken sind dann empfehlenswert? Welche nicht? Herzliche Grüße."



Alexander Kekulé


Jetzt geht es wieder um Nano. Das heißt einfach, immer nur ganz klein. Nanosilber sind ganz kleine Silberpartikel. Also richtiges Silber, kleiner als ein Zehntausendstel Millimeter. Und da weiß man schon lange, dass Silber, klein oder nicht, Bakterien abtötet. Bei Viren ist es noch nicht so eindeutig. Aber antibakteriell ist


es. Das so ein alter Trick. Die Omis haben schon Silbermünzen in die Milch geworfen, damit die sich länger hält. Aber es ist so: Ja, die schädigen Bakterien, weil das Silber löst sich dann so ein bisschen auf. Sowohl die Partikel selber machen einen Effekt, weil die von den Bakterien aufgenommen werden, als auch das aufgelöste ionisierte Silber, das stört die Enzyme in den Bakterien. Das wirkt antibakteriell. Aber es wirkt eben auch gegen andere Zellen. Wir wissen, dass es Zellen, die für die Wundheilung gebraucht werden, das sie auch gehemmt werden davon. Es kann Immunzellen stören. Und deshalb ist die Empfehlung, nicht unkontrolliert solche Nanosilber Partikel irgendwie in den Körper zu lassen. Bei so einer Maske, die ich vom Gesicht habe, dann inhaliere ich die möglicherweise. Die könnten sich da ablösen. Das würde ich nicht riskieren. Darum sage ich mal in dem Fall eine klare Empfehlung: So was würde ich mir nicht vor den Mund hängen.


[0:42 :39]



Camillo Schumann



Diese Dame aus Erfurt hat angerufen und folgende Frage:


"Das Krankenhauspersonal, wird das auch regelmäßig auf Corona getestet? Das wäre ja dringend notwendig, weil ins Krankenhaus kommen ja kranke und geschwächte Menschen. Viele Leute haben eben auch Angst, ins Krankenhaus zu gehen. Ich weiß jetzt nicht, warum. Das würde mich mal interessieren. Das wäre nett, wenn Sie das mal in einer Ihrer Sendung mit beantworten könnten."



Camillo Schumann



Dazu habe ich die Deutsche Krankenhausgesellschaft angefragt. Die Testverordnung sieht vor, dass medizinisches Personal bei Tätigkeitsbeginn und danach höchstens einmal innerhalb von 2 Wochen auf SARS-CoV-2  getestet werden kann. Die Tests können allerdings nur auf Veranlassung des Gesundheitsamtes durchgeführt werden. Und da es sich hier um Tests bei asymptomatischen Personen handelt, sind diese grundsätzlich erst einmal freiwillig.


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Inwieweit eine verpflichtende Anordnung seitens des Arbeitgebers denkbar wäre, wäre eine juristisch zu klärende Frage.


Herr Kekulé, einmal innerhalb von 2 Wochen getestet. Ist das ein praktikabler Weg?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein praktikabler Weg für solche Teile des Personals, die jetzt nicht regelmäßig Kontakt mit Covid-Patienten haben. Bei Personal von Intensivstationen, wo solche Patienten behandelt werden, müsste man das häufiger machen, mindestens einmal die Woche. Das wird meines Wissens in den Kliniken sehr unterschiedlich gehandhabt. Das war ja am Anfang so, dass das Robert KochInstitut ganz klar gegen solche proaktiven prophylaktischen Tests sich ausgesprochen hat. Und es gab dann die Situation in Aachen zum ersten Mal. Auf einer Kinderintensivstation waren einfach so viele Kontaktpersonen, dass man gesagt hat, wir müssten jetzt die Station zumachen, wenn wir nicht proaktiv testen würden. Das waren die tapferen Schneiderlein, die quasi dem RKI widersprochen haben. Und heute wird dieses sogenannte Aachener Modell von vielen Universitätskliniken angewendet. Dass einfach das Personal regelmäßig auf Covid getestet wird. Natürlich abgestaffelt nach Risiken. Intensivstationen werden häufiger getestet. Ich kann Ihnen jetzt aber wirklich nicht sagen, ob das in allen Krankenhäusern so ist. Und ob sozusagen diese Anfangsregelung, die man hatte, als das Thema gerade hochgekocht ist, ob das bis heute durchgehalten wird oder ob man da inzwischen vielleicht seltener testet. Das weiß ich tatsächlich nicht. Das unterscheidet sich aber von Krankenhaus zu Krankenhaus mit Sicherheit.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 96. Mal ins Blaue gefragt: Haben Sie die gute WohlfühlMeldung zum Schluss?



Alexander Kekulé


Ich finde es schon eine Wohlfühl-Meldung, dass wir sowohl auf der therapeutischen Seite so kleine Schritte nach vorne machen als auch, dass wir, obwohl wir eine Zunahme von Fällen haben, in Deutschland nicht so eine starke Zunahme von Schwerkranken haben. Wir sind also noch in einem Korridor, wo wir das Ganze beherrschen können. Und deshalb gebe ich mal meinen Optimismus nicht auf.



Camillo Schumann



Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Sehr gerne. Bis dahin, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben noch Fragen? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder greifen Sie zum Hörer. Rufen Sie uns einfach an, es kostet nix: 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 15.08.2 02 0 #95: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

 

Alexander Kekulé


[0:00:10]: 

Camillo Schumann



Wie ist man eigentlich auf Sars-CoV-2  aufmerksam geworden?


Kinder mit laufender Nase und Halskratzen dürfen in die Kita. Wie gefährlich ist das für das Betreuungspersonal?


Und: Wie ist das Hygienekonzept der Deutschen Bahn zu bewerten?


Damit herzlich willkommen zu einem Hörerfragen Spezial. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten wie immer von Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo Herr Schumann!



Camillo Schumann



Sabrina aus Berlin hat angerufen. Sie hat keine Frage zu Medikamenten, Impfstoffen oder Singen im Chor. Nein, sie geht mit Ihrer Frage einen großen Schritt zurück.


[0:00:47]: 

Camillo Schumann

 

Alexander Kekulé


Bevor alles anfing. Da fehlt mir ein logischer Faden. Wie ist aufgefallen, dass es das Virus gab und wie wurde der Test gefunden. Bei einer Erkältung wird ja nicht gleich getestet. Wie ist man darauf gekommen?


[0:01:12 ]: 

Camillo Schumann

 Eine schöne Frage von Sabrina aus Berlin.



Alexander Kekulé


Ja, ja, die Frage ist auch gar nicht abwegig, weil es tatsächlich Leute gab, die gesagt haben, das Virus war schon immer da. Nur seit wir testen merken wir es. Das kommt von Seiten der Corona-Leugner.


Das ist tatsächlich so losgegangen, dass man in Wuhan in China, in einer Stadt, die sonst eigentlich nicht so beachtet wird, aber 11 Millionen Einwohner hat, am Jangtse. Da hat man festgestellt, dass sich merkwürdige Lungenerkrankungen gehäuft haben. Also Menschen haben gehustet, wurden schwer krank und relativ viele von denen mussten dann beatmet werden und zwar in verschiedenen Krankenhäusern zugleich. Darauf haben die lokalen Gesundheitsbehörden so eine Art Alarmsystem aktiviert. Das hatte man, weil man immer Angst hat vor neuen Influenzaviren, weil die Angst ist, dass die neue Grippe-Pandemie kommt. Darum hat man so eine Art Überwachungssystem für Atemwegserkrankungen. Das wurde aktiviert von der dortigen lokalen CDC, also von der Gesundheitsbehörde in China. Die haben sich dann die Fälle angeschaut und gesehen, dass die alle sehr ähnlich sind, besonders schwer verlaufen und das eben alle Tests auf andere Viren, insbesondere natürlich Influenzaviren, Grippeviren alle negativ waren. Und ehrlich gesagt, ist mein deutlicher Eindruck, dass man damals auch schon den Eindruck hatte am Anfang, dass das auch von Mensch zu Mensch übertragen wird. Offiziell hieß es ja, dass diese Menschen hätten alle Bezug zu einem Markt dort gehabt. Dann musste man also herausfinden, was es ist. Glücklicherweise, vielleicht zufällig, ist in Wuhan das chinesische Forschungsinstitut schlechthin für Coronaviren. Dort hat man das dann genauer untersucht. Es gibt für Coronaviren Testverfahren, die allgemein feststellen


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können, ob das ein Corona-Virus überhaupt ist. Da gibt es ja ganz viele verschiedene. Aber könnte es in diese ganze Gruppe reinfallen. Diese Tests wurden angewendet. Dann hat man gesehen, da ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Corona-ähnliches Virus. Dann hat man dieses Virus sequenziert, wie wir sagen. Das heißt also, man hat die genetische Sequenz, die Abfolge der Gen-Bausteine untersucht. 30.000 Stück ungefähr sind das. Anhand dieser Sequenz konnte man durch einen Abgleich mit internationalen Datenbanken feststellen: Jawoll, dass ist ein neues Coronavirus, was ganz ähnlich aussieht wie das alte SarsVirus von 2 003. Es hatte irgendwo in der Größenordnung von 80 Prozent Ähnlichkeit. Dann hat man Teile von diesem Virus genommen, wo man weiß, dass die besonders gut für Tests geeignet sind. Man hat Erfahrung damit, was man dann nimmt. So kleine Stückchen, die sind vielleicht 2 0-30 Bausteine lang. Mit diesen kleinen Stückchen hat man ein Testverfahren entwickelt, diese sogenannte PCR macht man dann damit. Dann ist man mit diesem TestVerfahren... Das hat man in Wuhan ruckzuck gehabt, weil da eben auch Topleute sind. Da ist man mit diesem Test-Verfahren wieder ins Krankenhaus gegangen. Man hat alle getestet, die gehustet haben und Bingo: Die meisten waren positiv. So war der erste Corona-Test in der Welt. Dann hat man unmittelbar sofort noch im Januar diese Ergebnisse international publiziert. Daraufhin haben dann andere Labore auf der Welt das nachgebaut. Die amerikanische CDC, ein bekanntes Labor in Hongkong, in Berlin der Christian Drosten, der in Deutschland sehr bekannt ist. Die haben alle diese Sequenz genommen und das nachgebaut, was man in Wuhan gefunden hatte. Mit diesem Test ist auf der ganzen Welt untersucht worden.



Camillo Schumann



Sabrina aus Berlin, das war sie, die kleine Chronologie der Erkennung des Sars-CoV-2  Virus in drei Minuten. Da bleiben keine Frage mehr offen. Herr Martin aus Leipzig hat angerufen.


[0:05:16]: Herr Martin aus Leipzig


Ich bin Schlaganfall-Patient und nutze ein Beatmungsgerät nachts. Schützt mich das Gerät vor Corona?



Alexander Kekulé


Das Gerät schützt weder vor Corona noch ist es als solches ein Risikofaktor, wenn man es richtig bedient. Ich würde mal sagen, wenn jemand ganz isoliert nur eine Schlafapnoe hat und sonst kein Problem, dann ist er deshalb kein Risikopatient. Leider ist es häufig so, dass diese Erkrankung mit anderen Problemen zusammenkommt. Dann müsste man mal sehen, ob unser Hörer an der Stelle vielleicht als Risikopatient einzustufen wäre. Sollte er vielleicht mit seinem Hausarzt mal besprechen. Die kennen die Liste der Erkrankungen, die da eine Rolle spielen.


[0:05:52 ]: 

Camillo Schumann

 Annalena hat eine Mail geschrieben. Ich bin Mutter und Erzieherin, lebe in BadenWürttemberg und habe 2 Fragen bezüglich der neuen Empfehlung der Landesregierung zum Umgang mit erkälteten Kindern in Kitas während der Pandemie. Laut dieser Empfehlung sollen künftig Schnupfen, leichter oder gelegentlicher Husten, Halskratzen und Temperatur bis 37,9 kein Ausschlussgrund in der Kita mehr sein. Dass wir nicht alle Kinder mit laufender Nase zu Hause betreut werden können, leuchtet mir als berufstätige Mutter völlig ein. Aber da inzwischen bekannt ist, dass Kinder bei Covid19 eher leichtere Symptome aufweisen, finde ich die anderen Kriterien schon kritisch. Die meisten Berufsgruppen können sich durch Abstand, Maske, Visier oder Plexiglas schützen. Das ist in Kitas eher unrealistisch. Deshalb wäre es für uns Erzieher und Erzieherinnen der einzige Schutz, dass kränkelnde Kinder zu Hause bleiben. Wie sehen Sie das? Was wären Alternativen? Viele Grüße.


[0:06:44]: 

Alexander Kekulé Also ich bin da durchaus überrascht, dass es da solche Anordnungen gibt. Es hat ja vor kurzem gerade die Bundesfamilienministerin gewagt zu sagen, dass Schnupfen kein Covid19Kriterium sein soll. Sie hat damit dem Robert Koch-Institut widersprochen. Wenn auch Fie-


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ber und Husten nicht mehr auf der Liste sind. Dann sind da viele Fragezeichen dran.


[0:07:09]: 

Camillo Schumann

 Ich hab es kontrolliert. Das stimmt alles, was Annalena da geschrieben hat. Temperatur wirklich erst ab 38 Grad wäre ein Ausschlussgrund in der Kita. Also noch mal die Frage: Wie sehen Sie das? Wie bewerten Sie das also?


[0:07:2 5]: 

Alexander Kekulé So kann man es nicht machen. Es ist so, dass wir viele Kinder haben mit Covid19, die keine Symptome haben, aber auch viele, die Fieber unter 38 Grad haben. Gerade der Husten fehlt oft oder es ist nur leichter Husten. Oder er kommt später im Verlauf. Die haben dann erst mal ein paar Tage erhöhte Temperatur, dann irgendwann mal Husten. Das geht ja stufenweise bei diesen Erkrankungen wie bei den meisten erkältungsähnlichen Erregern. Nur in dieser Anfangsphase sind die Kinder auf jeden Fall infektiös. Deshalb ist es meines Erachtens komplett der falsche Weg. Was man hier letztlich versäumt hat, ist: die Möglichkeit zu schaffen, dass die Kinder getestet werden. Weil spätestens, wenn das Kind auch nur die leichtesten Symptome hat, sollte es meines Erachtens getestet werden. Wenn man das Testergebnis sehr, sehr schnell bekommt, dann weiß man, ob man es isolieren muss oder nicht. Stattdessen zu sagen, wir weichen die Kriterien auf und schicken die in die Kita und warten ab was passiert. Da ist mir ehrlich gesagt, ein bisschen mulmig.


[0:08:2 8]: 

Camillo Schumann

 Wir haben ja in dieser Woche über asymptomatische Virusträger gesprochen. Dieser Herr hat eine sehr interessante Frage zur Teststrategie auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen.


[0:08:38]: Zuhörer Ich habe ein Problem mit der Definition der typischen Symptome, für die man einen Corona-Test bekommt: Fieber, Husten, Kurzatmigkeit. Mit Fieber, Husten bleibt man so-


wieso zu Hause. Wenn aber 70 – 80 Prozent der Personen asymptomatisch sind, dann müsste doch eigentlich das das Hauptsymptom sein, dass man keine Symptome hat. Das heißt, man sollte eigentlich die testen, die sich komplett gesund fühlen, und zwar hauptsächlich die, weil die anderen wissen ja, dass sie krank sind. Was halten Sie davon, kein Symptom als Corona-Hauptsymptom zu definieren?


[0:09:2 0]: 

Alexander Kekulé Ja, das wäre dann sinnvoll, wenn die, die keine Symptome haben, eine kleine Gruppe wären, die man gut abgrenzen kann. Ich weiß nicht, wie viele Menschen gerade in Deutschland symptomatisch rumrennen. Ich sag jetzt mal geschätzt, vielleicht 10.000 oder so. Vielleicht sind es auch 2 0.000. Alle anderen müssten Sie dann durch-testen. Das funktioniert praktisch nicht. Es gibt ja solche Vorschläge, dass man die gesamte Bevölkerung testen soll. In einem kleinen Inselstaat wäre es sogar etwas, was man sich überlegen könnte. Aber für so viele Einwohner wie in Deutschland ist es aus mehreren Gründen nicht praktikabel. Erstens natürlich teuer und aufwändig. Aber zweitens ist es auch so, dass die Tests, wenn man ganz viele Menschen hat, die negativ sind und wenn man nur Nadeln im Heuhaufen sucht. Dann sind ganz wenig positive darunter. Dann wird die Vorhersagekraft dieser Tests, wenn sie dann mal positiv sind, sehr, sehr schlecht. Das heißt, man findet dann einen großen Teil, die nur noch falsch-positive sind und beim Nachtesten beweisen die sich dann als fehlerhaft. Sodass diese ganze Strategie die gesamte Bevölkerung durchzutesten, eigentlich von den meisten Fachleuten abgelehnt wird.


[0:10:31]: 

Camillo Schumann

 Frau Franke aus Wien hat gemailt: „Ich muss Anfang September 1 Seminar mit 2 0 Personen halten. Der Raum ist etwa 80 Quadratmeter groß. Es gibt drei nebeneinander liegende Fenster. Sollten alle im Raum Masken tragen? Wieviel Abstand zwischen den Sesseln muss sein? Der vom Organisator empfohlene Mindestabstand von 1 Meter ist mit Einschränkungen beim Sprechen zu wenig. Der Pausenkaffee ist vermutlich auch gestrichen. Ich bin 64


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und möchte mich und die Teilnehmer natürlich bestmöglich schützen. Falls nicht machbar, dann müssen wir zoomen. Ich wäre äußerst dankbar für eine rasche Antwort. Viele Grüße, Frau Franke.“


[0:11:09]: 

Alexander Kekulé Also, das ist immer schwierig, in einem Einzelfall wirklich Empfehlungen zu geben. Grundsätzlich kann man sagen, wenn drei große offene Fenster sind und man davon ausgeht, dass der Luftwechsel sehr, sehr gut funktioniert. Dass die gesamte Raumluft sich auf jeden Fall 2 0-Mal pro Stunde austauscht in der Größenordnung. Dann ist es so eine ähnliche Situation wie im Freien. Dann würde ich sagen, genügt 1 Meter Abstand solange man sich nicht direkt ins Gesicht spricht. Kommt darauf an, was die dort machen. Wenn die alle nach vorne auf eine Leinwand gucken und nicht miteinander groß kommunizieren, dann wäre das aus meiner Sicht unter diesen Bedingungen in Ordnung. Wenn aber vorgesehen ist, dass die Menschen unmittelbar miteinander sprechen oder möglicherweise der Luftwechsel nicht so in dieser Weise stattfinden kann, dann würde ich schon für das Maskentragen plädieren.


[0:11:58]: 

Camillo Schumann

 Herr Wichmann hatte eine Mail geschrieben. „Ich bin 64 Jahre alt. Bisher wurde im Fitnessstudio meines Vertrauens bei nicht so hohen Außentemperaturen die Luft über eine entsprechende Anlage meines Erachtens gut ausgetauscht. Nun, bei über 30 Grad Außentemperatur will man nur die Klimaanlage verwenden, die ja nur die vorhandene Raumluft umwälzt. Aber ich finde eine Abkühlung auf 19-2 0 Grad zu heftig. Ich bin leicht verunsichert, was einen weiteren Besuch des Studios angeht, zumal dort die Beschränkungen weiter zurückgefahren werden. Macht die Verwendung der Klimaanlage Sinn oder treibt das die CoronaGefährdung nur unnötig nach oben? Viele Grüße.“


[0:12 :36]: 

Alexander Kekulé Wir wissen nicht genau, welchen Einfluss ganz normale Klimaanlagen haben. Es gibt Hinweise darauf, dass eine deutliche Runterkühlung der Raumluft in einem Bereich von zehn Grad. Dass das die Viren konservieren könnte. Das sind aber auch nur Hinweise. Das ist nicht belegt worden. Das war dieser Ausbruch bei Tönnies da. Da sah das so aus, als hätte das eine Rolle gespielt. Aber man hat natürlich nicht den Parallel-Versuch machen können, einmal mit Kühlung und einmal ohne Kühlung. Sodass man nicht genau weiß, ob es nur an der Umwälzanlage lag, ob es an der Nähe der Personen zueinander lag oder ob es tatsächlich auch an der Kühlung lag, dass dort in kurzer Zeit sich viele Menschen auf relativ engem Raum infiziert haben. Bei einem Fitnessstudio würde ich sagen ja. Wenn die Klimaanlage als Ersatz dafür dient, dass neue Frischluft reinkommt. Dann macht sie keinen Sinn, weil die normalen Klimaanlagen vor allem die, die jetzt nicht so besonders teuer gewesen sind bei der Installation. Die wälzen in der Tat nur die Raumluft um, ohne Frischluft zu zuzuführen. Aber es ist auf jeden Fall zu fordern, dass der FrischluftAnteil hoch sein muss. Oder anders gesagt zehn bis 2 0 Luftwechsel pro Stunde braucht man auf jeden Fall, um eine Art Lüftungs-Effekt zu haben. Den bekommt die Klimaanlage normalerweise nicht hin.


[0:13:53]: 

Camillo Schumann

 Herr Gogel hat uns eine Mail geschrieben. Ihn interessiert, warum in Restaurants oder ähnlichen Einrichtungen jede zweite Toilette mit Plastikbeuteln abgeklebt sind. Macht das Sinn?


[0:14:07]: 

Alexander Kekulé Das hab ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt. Es kommt ein bisschen drauf an, wie nah die zusammen sind. Es ist ja normalerweise so, dass die Herren der Schöpfung, wenn sie auf der Toilette sind, am Pissoir sind. Dass sie sich nicht wirklich gegenüberstehen dabei. Sodass man sich schon die Frage stellen kann. Man redet ja auch dann nicht groß miteinander, ob, wenn jetzt alle, also schweigend auf die Wand blicken vor sich, ob da eine große


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Infektionsgefahr besteht? Ich glaube, es gibt auch in Deutschland ... Da hat man ja für alles Maße. Es gibt Mindestmaße, wie weit Pissoirs voneinander angeordnet sein müssen. Ich würde mal sagen, wenn 1 Meter Abstand dazwischen ist und die Menschen nicht sprechen und die auch typischerweise nicht 15 Minuten lang da sind. Das ist die Robert-Koch-Schwelle für die Infektiosität. Dann sehe ich da keine große Infektionsgefahr. Das größere Problem bei solchen Toilettenanlagen ist die stehende Luft im Raum und die Tatsache, dass man dort die Belüftung nicht so einfach hinbekommt.



Camillo Schumann



Manche bleiben da auch länger 15 Minuten am Pissoire.



Alexander Kekulé


Wenn einer am Oktoberfest das eine oder andere Maß getankt hat. Da kann man sich schon vorstellen, dass das dann länger dauert.


[0:15:2 0]: 

Camillo Schumann

 Herr Blach hat angerufen. Herr Blach hat eine Bahncard 100. Er ist also sehr viel mit der Deutschen Bahn unterwegs. Und bevor er seine Frage stellt, versucht er sich mal als Bahnhofs Sprecher.


[0:15:34]: Zuhörer Schön, dass Sie da sind. Mit uns kommen Sie sicher ans Ziel. So lautet zumindest die elektronische Ansprache der Bahn. Allerdings bin ich als Bahncard 100 Besitzer über das Vorgehen der Bahn, ein Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu formen, sehr verwundert. Denn in den Fernverkehrszügen ICE sind alle zur Verfügung stehenden Sitzplätze wieder buchbar. Meine Frage hinsichtlich dessen, dass man Flugzeuge untersucht und analysiert. Da fehlt mir ein Konzept zur Eindämmung von Verbreitung von Viren-Trägern im Fernverkehr. Wie sieht Herr Kekulé das? Wie kann man sich auf Grund der nicht-pharmazeutischen Abstandsregel, die aufgehoben ist, schützen. Meinen besten Dank.


[0:16:2 4]: 

Camillo Schumann

 Herr Blach bemängelt, dass alle Plätze bei der Bahn voll buchbar sind. Ich habe die Pressestelle der Deutschen Bahn kontaktiert und folgende Antwort habe ich erhalten:


[0:16:33]: Zitat Deutsche Bahn Wir achten bereits im Buchungsprozess verstärkt darauf, dass wir unsere Züge möglichst gleichmäßig auslasten und im ganzen Zug ausreichend Sitzplätze ohne Reservierungen vorhalten. Um Kunden bereits beim Buchen die Orientierung zu erleichtern, hat die DB eine neue Auslastungsanzeige eingeführt. Kunden sehen auf bahn.de und in der DB Navigator App, sobald ein Fernverkehrszug zu mehr als 50 Prozent ausgelastet ist. Die Zahl der Reservierungen wird begrenzt. Bei Zügen mit voraussichtlich sehr hoher Auslastung kann der Ticketverkauf zudem ausgesetzt werden. Da unsere Kunden auch die Möglichkeit haben müssen, gemeinsam zu reisen, beispielsweise als Familie, schränken wir die Reservierungsmöglichkeiten von nebeneinander liegenden Sitzplätzen nicht ein. Jeder Kunde hat aber, mit Hilfe der grafischen Sitzplatzreservierung, die Möglichkeit, sich seinen Wunschsitzplatz zu reservieren.


10 [0:17:2 5]: 

Camillo Schumann

 Das heißt also, online sind unter Umständen nicht alle Sitzplätze reservierbar. Durch einsteigende Fahrgäste sind die freien Plätze dann doch wieder belegt und man hockt aufeinander.



Alexander Kekulé


Ich kann ganz praktisch berichten: knallvolle Züge gibt es bei der Bahn. Das ist einfach so. Warum gibt es da kein allgemeines Konzept? Es ist so, dass in der Luftfahrt das Thema Raumluft natürlich hochkam und eine Hochleistung der Ingenieurkunst darstellt. Auch seit Beginn der ganzen Jet-Flugzeuge ein Riesenthema war. Deshalb hat man diese LuftKontrollsysteme im Griff. Da weiß man, welche Luftwechsel da sind, wie häufig die das machen, wie die Luft verteilt wird. Es gibt auch Vorschriften dafür. Bei der Bahn ist es so, da ist


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ja schon fast jeder Waggon anders. Die verschiedenen Generationen der ICEs haben unterschiedliche Lüftungssysteme. Wenn Sie dann im D-Zug umsteigen, ist es wieder komplett anders, sodass man sehr, sehr viel Forschungsarbeit erst mal machen müsste, um festzustellen, wie sind die ganzen Lüftungssysteme. Wir wissen, wo das mal sehr gründlich gemacht wurde. Interessanterweise bei den UBahnen in den USA. Da hat man festgestellt, dass die Belüftung gar nicht so schlecht ist, weil die durch den Tunnel fahren und quasi durch die Fahrt im Tunnel selbst belüftet werden. Ähnliches gibt es aber meines Wissens für fahrende Züge im Freien nicht. Wir können nur schätzen, wie die Belüftungs-Situation ist, wie die Luftwechsel sind. Klar ist, dass jede Art von Klimaanlage immer nur einen relativ kleinen Teil von Frischluft hat. Das ist aber von System zu System unterschiedlich. Deshalb gibt es da keine allgemeinen Richtlinie oder Empfehlungen. Ich glaube, das Hauptproblem ist tatsächlich nicht so sehr die unmittelbare Kontaktinfektion von jemandem, der neben einem sitzt. Das geht jetzt nicht in Richtung der Frage: Soll man die Sitze auslasten oder nicht? Sondern das Problem ist: Wie viele Personen sind pro Kubikmeter Raum zusammen? Und wie oft wird in diesem, in dieser Raum-Einheit die Luft gewechselt? Ich glaube definitiv, dass es bei der Bahn da Situationen gibt, die gefährlich oder bedenklich sind. Das ist ganz klar. Das heißt, die einzig richtige Antwort darauf ist: Wer mit der Bahn fährt und wer sich schützen will, der sollte eine FFP2 -Maske dabei haben. Der sollte die wirklich auf haben die allermeiste Zeit während der Fahrt.


[0:19:51]: 

Camillo Schumann

 Noch einmal auf die Sitzplätze zu kommen. Da müsste doch eigentlich per Ihrer Definition die Hälfte, wenn nicht sogar 2 Drittel der Plätze nicht belegt werden, damit man dann auf dieses Verhältnis von Fahrgast zu Volumen kommt. Oder?


1[0:2 0:06]: 

Alexander Kekulé Ja, das kann man so ganz pauschal leider nicht sagen. Bei Flugzeugen habe ich mich ja dafür ausgesprochen, zwischen den Reisegruppen


immer einen Platz freizulassen. Das haben die Fluggesellschaften aus ökonomischen Gründen abgelehnt. Bei den Flugzeugen ist so, dass die Rahmenbedingungen relativ klar sind. Da kann man das kalkulieren, ob das sinnvoll oder notwendig ist. Bei den Zügen fehlen eben die Rahmendaten. Aber ich sag mal so als Daumenpeilung da wäre das natürlich sinnvoll, auch hier die Züge nicht komplett vollzumachen. Zumal man einfach sagen muss, de facto gibt ist da nun wirklich Züge, die sind auch jetzt in der Corona-Krise komplett überfüllt. Also es gibt ja Situationen, da muss der ICE stehenbleiben, weil irgendein technisches Problem besteht. Alle müssen aussteigen. Dann kommt der D-Zug auf ein anderes Gleis und nimmt die ganzen Leute mit. Da sitzen die Leute dann im wahrsten Sinne des Wortes zum Teil übereinander. Das ist vollkommen klar, dass da die Kapazität, die man epidemiologisch empfehlen würde, in Zeiten, wo eine solche Viruserkrankung grassiert, ganz klar überschritten werden.


[0:2 1:14]: 

Camillo Schumann

 Wenn ich Ihnen so zuhöre und das Problem bei der Deutschen Bahn vor Augen führe, dann kommt man eigentlich zu dem Schluss: Es gibt nicht das Hygienekonzept, mit dem alle geschützt werden.


1[0:2 1:2 5]: 

Alexander Kekulé Das ist genau so. Ich weiß auch nicht, ob man das von der Bahn fordern muss. Da gibt es ja auch wieder Subunternehmer, die zum Teil die Nebenstrecken bedienen. Ob man von all denen fordert, jeden Waggontyp einzeln zu prüfen und die Lüftungstechnik zu überprüfen. Dass daraus dann irgendwelche Ableitungen getroffen werden. Ich glaube, es wäre sinnvoll, insgesamt eine Höchstkapazität festzulegen, die pauschal sein sollte. Letztlich kann man pro Quadratmeter Waggon-Fläche gehen. Man kann sagen: „Das ist die Höchstgrenze, die wir an Belegung zulassen.“ Dass man parallel die Empfehlung ausspricht, dass die Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen, sich hier mit FFP2 -Masken schützen. Das Problem ist ja, dass in der Bahn auch das Tragen normaler Masken, also Mund-Nasen-Schutz, empfohlen wird. Aber es ist nicht so, dass der Schaffner


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rumgeht und das kontrolliert. Viele Menschen halten sich da auch nicht mehr dran. Gerade wenn man isst und trinkt. Da ist ja schon von vornherein auch bei der Empfehlung klar, dass man die Maske abnehmen darf. Wenn man schaut bei so einer längeren Reise, da gibt es aber ganz schön viele Leute, die mehr oder minder durchgehend essen und trinken. Dadurch ist dieses Hygienekonzept als solches noch nicht so perfekt.


[0:2 2 :44]: 

Camillo Schumann

 Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Herr Kekulé vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 18. August wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Sie auch, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:


mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass auch als Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


7






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 11.08.2 02 0
#94: Kekulés Corona-Kompass 





Camillo Schumann

, Moderator
MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle






1 [0:00:03]:


MDR Aktuell: Kekulés Corona-Kompass





Camillo Schumann

:


Donnerstag, 13. August 2 02 0. 


1. Auch Kita-Personal soll getestet werden. Und was ist mit den Kindern? 


2 . Kinder im Falle eines positiven Falles in der Kita von der Familie fernhalten. Diese Anordnung mehrerer Gesundheitsämter sorgt für Aufregung. Übertreiben es die Behörden dann? 


3. Wie infektiös sind Menschen, die an Covid19 erkrankt sind, es aber nicht merken? Und warum gibt es so viele asymptomatische Virusträger? 


4. Und: Was ist von einem Corona-Salzwasser-Gurgel-Test zu halten? 




Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus.




Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.





Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann. 





Camillo Schumann

:


Wir fangen mal mit einer Aussage von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey an.








3 [0:01:06]:


„Wir haben ein großes Ziel, nämlich dass die erneute flächendeckende Schließungen von Kitas und Kindertagespflege unbedingt verhindert werden sollen.“




4 [0:01:16]:



Camillo Schumann

:


Herr Kekulé aber besteht überhaupt die Gefahr einer flächendeckenden Kita-Schließung? 





Alexander Kekulé:


Das hoffe ich mal nicht. Das wäre ja wieder ein neuer Lockdown. Ich glaube, was sie letztlich meint, ist: Sie will verhindern, dass viele Kitas schließen. Flächendeckend hieße ja, dass man es von oben nach unten anordnet. Das ist, glaube ich, im Moment nicht beabsichtigt.





Camillo Schumann

:


Im Moment fährt man ja die Strategie, lokal zu analysieren und dementsprechend an die Konzepte anzupassen, also über mehrere Bundesländer hinweg sozusagen Maßnahmen zu ergreifen. Es steht eigentlich nicht auf dem Plan.




5 [0:01:50]:



Alexander Kekulé:


Nein, das nicht. Und ich finde es auch gut, dass man das lokal differenziert zieht. Es kommt ja auch immer auf die Möglichkeiten an, die man hat. Die eine Kindertagesstätte hat viel Platz und viele Betreuer und kann die Kinder auch gut voneinander trennen und das dem Gesundheitsamt deutlich machen, wie das funktioniert. Und andere sind am Limit und haben nicht so viele Möglichkeiten. Je nach dem, wie man die dann aufgestellt, sind natürlich auch die Maßnahmen, die man im Falle eines positiven Tests ergreifen muss, unterschiedlich.




6 [0:02 :19]:



Camillo Schumann

:


Damit Kita-Schließungen kein Thema werden, hat Bundesfamilienministerin Giffey angeregt, dass sich auch Erzieherinnen und Erzieher testen lassen können.




3 [0:02 :2 7]:


„An dieser Stelle sind die Länder als Arbeitgeber der Erzieherinnen und Erzieher in der Pflicht, dann auch genauso wie für die Lehrerinnen und Lehrer zu ermöglichen, dass eben dieser Aspekt von Arbeitsund Gesundheitsschutz auch realisiert werden kann. Die Tests selber müssen natürlich aus den entsprechenden Landeshaushalten finanziert werden.“




6 [0:02 :46]:


Das war ja ein richtiger Appell der Ministerin. Kommen diese Tests der Erzieherinnen und Erzieher zum derzeitigen Zeitpunkt nicht ein bisschen spät?




7 [0:02 :55]:



Alexander Kekulé:


Naja, gut, es sind ja in vielen Ländern noch Ferien. Und zum Teil machen die Kitas auch Ferien. Ich glaube, wir sind in einer Entwicklung, die wir im perspektivisch im Herbst sehen müssen. Im Moment wird ja vieles damit gelöst, dass man die Fenster aufmacht, dass man die Kinder draußen spielen lässt, dass man zumindest eine Lüftungspausen hat und ähnliches. Wenn es aber dann kalt ist, wird das alles nicht mehr möglich sein. Und dafür müssen wir uns jetzt wappnen. Was ich mich so ein bisschen frage, ist also: Die Erzieher, die Erwachsenen, die wissen ja, wie man sich schützt. Die dürfen sich jetzt also testen lassen, und die Kinder werden da zusammengesteckt und werden nicht getestet. Und wenn sie nach Hause kommen, stecken sie möglicherweise ihre Familien an. Da sehe ich eine gewisse Diskrepanz, ehrlich gesagt.




9 [0:03:44]:



Camillo Schumann

:


Den systematischen Test für Kinder soll es erst geben, wenn es einen Corona-Fall in der Kita gibt. Dann sollen auch Kindererzieherinnen, Erzieher und Eltern getestet werden. 





Alexander Kekulé:


Naja, das ist halt immer die Frage: Geht man proaktiv oder reaktiv vor, sagt man: Uns ist es egal, was die Tests kosten. Wir schaffen billige Schnelltests ran und machen die im Vorhinein, um zu verhindern, dass es Ausbrüche gibt, um zu verhindern, dass Kitas geschlossen werden müssen und die Eltern dann zuhause bleiben müssen und was da alles hinten dranhängt. Oder sagt man nur: Wir machen erst einmal auf, sehen, war passiert und schicken dann alle in Quarantäne. Und die Eltern, die dann vielleicht gerade wieder angefangen haben zu arbeiten, müssen dann auch wieder in Quarantäne gehen oder in Isolierung, je nachdem, ob sie schon getestet wurden. Da bin ich gegen diesen reaktiven Ansatz. Vor allem, weil ja auch einmal die Zeitschiene dabei ist. Reaktiv heißt ja auch: Ich muss erst einmal ein Testergebnis haben. Und Testergebnisse dauern ein paar Tage. Bis ich ein Ergebnis  habe, hat derjenige vielleicht schon andere infiziert und hat sich die Sache weiter ausgebreitet. 




Darum verstehe ich nicht, warum man nicht insgesamt auf die proaktive, sozusagen präventive Strategie umschwenkt. Denn das ist praktisch gesehen eine Wunschvorstellung, die man da in Berlin offensichtlich hat, dass die Kinder in Gruppen wirklich getrennt werden. Klar ist ja, die können die Hygieneregeln nicht einhalten. Das heißt: Ein krankes Kind in der Gruppe heißt ganze Gruppe muss zu Hause bleiben. Aber praktisch gesehen in den Randzeiten in der Kita die Gruppen zusammengelegt, weil nicht mehr so viele Betreuer da sind. Dann gibt es Betreuer, die krank sind. Das ganz große Thema, auf das ich mich im Herbst schon freue ist: Ja, was machen wir mit Kindern, die so leicht krank sind? Ja, wo die Nase läuft oder sonst was? Das ist alles ungelöst bisher. Dann zu sagen, nur die Betreuer werden getestet und die Kinder nicht, ist zu kurz gedacht. 





Camillo Schumann

:


Franziska Giffey hat auch gesagt, die laufende Nase ist kein Kriterium. Also müssen die Kinder dann nicht zwangsläufig zu Hause sein. Das hat sie dann, dass dieser Woche auch noch einmal gesagt.





Alexander Kekulé:


Ui, das sagt sie als Bundesministerin? Da sind die Länder zuständig. Gesundheit ist Ländersache, und da muss ich daran erinnern, dass das Robert Koch-Institut auf dem Standpunkt steht, dass ein normaler Schnupfen beim Kind ein Zeichen für Covid19 sein kann. Da gab es ja eine auch eine öffentliche Diskussion zu dem Thema, wo einige Virologen-Kollegen sich klar auf die Seite des RKI geschlagen haben. Da müsste jetzt das Robert Koch-Institut meines Erachtens mal Stellung beziehen, denn wenn eine Bundesministerin jetzt dem RKI widerspricht, ist das eine Sache, die muss man mal ausdiskutieren muss.





Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, ob es diese Reaktionen gibt. Sie haben es angesprochen: Reaktiv zu reagieren, steigert die Gefahr von Quarantänemaßnahmen. Und wenn es dann so ist, dann sieht es für Kinder ein bisschen traurig aus. Stellen Sie sich ein Kind von 4 Jahre vor, das allein in Quarantäne zu Hause sitzt, allein im Zimmer hockt. Es darf nicht in die Kita, keine Freunde treffen, keine Familienmitglieder. Es muss in seinem Zimmer alleine frühstücken, Mittag essen, Abendbrot ebenfalls. Na ja, wie hört sich das für Sie?




11 [0:07:08]:



Alexander Kekulé:


Es hört sich gruselig an, als wäre es vielleicht so ein hübsches Plastikzelt von Ikea. Da gibt es welche, wo die Kinder gerne drin sitzen. Aber es hört sich abgesehen von dem kleinen Spaß nach Isolationshaft an. Da wäre ich vorsichtig. 




2  [0:07:2 2 ]:



Camillo Schumann

:


Genau über so eine Isolationshaft oder Quarantäne-Anordnung wird heftig diskutiert. Es gibt mehrere dieser Art, unter anderem in der Region Hannover. In der Anordnung, heißt es, und die liegen uns auch alle vor. „Die häusliche Absonderung bedeutet, dass ihr Kind in der Wohnung beziehungsweise dem Haushalt möglichst eine räumliche und zeitliche Trennung zu allen im Haushalt lebenden Personen einhalten soll, indem sie und ihr Kind sich in unterschiedlichen Räumen aufhalten, keine gemeinsamen Tätigkeiten ausführen und insbesondere ihre Mahlzeiten nacheinander oder räumlich getrennt voneinander einnehmen.“ Für den Kinderschutzbund ist das psychische Gewalt. Was ist es für Sie?




5 [0:08:03]:



Alexander Kekulé:


Ich bin jetzt kein Psychologe, aber das erscheint mir doch ein bisschen übertrieben. Ich würde gleich mal fragen: Was ist es mit Kindern, die gestillt werden? Die gibt es ja durchaus auch. Wie man das dann in räumlicher Trennung machen muss. Dann muss man die Milch in Flaschen abfüllen und vielleicht einen Roboter hinstellen. Ich glaube, da hat jemand ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Es gilt ja für die Hörer dieses Podcasts zumindest der Grundsatz: Man soll niemanden umarmen, mit dem man nicht bereit ist, Viren auszutauschen. Und das, glaube ich, gilt in so einer Familie natürlich auch. Man kann sich von dem eigenen Kind anstecken. Und ich meine, dann müssen die Eltern wirklich entscheiden, ob sie dieses Risiko in Kauf nehmen oder nicht. Das machen sie bei anderen Erkrankungen auch. Es ist ja nicht so, dass Covid19 die einzige Krankheit wäre, wo Eltern gefährdet sind, wenn sie sich anstecken. Und ich glaube, das muss man den Eltern überlassen. Ob sie jetzt sagen, das Risiko nehme ich in Kauf oder nicht? Klar ist: Wenn die Eltern ein krankes Kind, also ein Kind in Isolierung haben oder eins in Quarantäne haben in der Wohnung, dass sie dann, solange das Kind möglicherweise ansteckend ist, selber nicht zur Arbeit gehen dürfen und sich mitisolieren müssen. Aber ich glaube, diese gemeinsame Familienisolierung das hat man ja in München bei dem Webasto-Fall auch gemacht ist meines Erachtens die richtige Antwort in so einem Fall.




4 [0:09:2 5]:



Camillo Schumann

:


Sind diese formalen Kriterien, die ja vorgegeben werden vom Robert Koch-Institut, in diesem Fall ein wenig zu streng umgesetzt?




8 [0:09:34]:



Alexander Kekulé:


Die formalen Kriterien sind ja im Fluss. Man muss unterscheiden zwischen Isolierung und Quarantäne. Quarantäne ist, wenn nur ein Kontakt bestanden hat. Da hat man ja bis vor Kurzem gesagt: 14 Tage Quarantäne. Da ist inzwischen eigentlich der Standard inzwischen. Man wartet ein paar Tage, nach Möglichkeit 5 Tage nach dem möglichen Kontakt. Und dann macht man einen Test. Und vielleicht macht man den Test dann noch mal 2 4-Stunden später. Und sind beide Testergebnisse negativ, kann man die Quarantäne nach 5-6 Tagen beenden. Bei der Isolierung sind es Menschen, die positiv getestet wurden. Da hat man früher gesagt: mindestens 2 -3 Wochen. Da ist nach den aktuellen Richtlinien der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC diese Isolationszeit verkürzt worden auf 10 Tage. Und auch da kann am Schluss ein Test helfen. Die Daten sehen eher so aus, als ob die Menschen nach 8 Tagen schon nicht mehr infektiös sind, selbst wenn sie mal positiv getestet wurden. Und in diesem Rahmen kann man das stark verkürzen. Und dann kann man dafür sorgen, dass die Kinder nicht alleine sind, sondern wenige Tage eben mit einem Elternteil vielleicht allein gemeinsam sich isolieren oder in Quarantäne begeben. Und das Ganze abkürzen, indem am Schluss getestet wird. All diese Dinge sind in der Diskussion. Ich nehme auch an, beim Robert Koch-Institut aber noch nicht in die endgültigen Empfehlungen eingeflossen.




4 [0:10:57]:



Camillo Schumann

:


In diesem Fall betrifft dass Kinder, die in einer Kita möglicherweise Kontakt zu einem Kind mit Covid19 hatten oder zu einer anderen Person, die sozusagen nicht selber schon erkrankt sind, sondern nur im Verdacht stehen, Kontakt zu haben. Also ist sozusagen der Unterschied zwischen Quarantäne und Isolation vielleicht ein bisschen eng gegriffen?




12  [0:11:2 0]:



Alexander Kekulé:


Nein, das ist in dem Fall eine Kontaktperson, die nicht positiv ist, das ist dem Fall vom Begriff her eine Quarantäne. Das war ursprünglich mal die Idee, dass man die Leute eben 40 Tage eingesperrt hat, um zu gucken, ob sie krank werden. Das kommt ja noch aus dem Mittelalter. Und heute ist das Ganze etwas moderner, sodass man die Menschen nur noch einige Tage unter Quarantäne hält. Sinnvoll ist hier, 5 Tage nach dem Kontakt zu warten, weil nach 5 Tagen nach dem Kontakt die allermeisten krank  werden, wenn sie sich angesteckt haben. Und wenn dann jemand keine Symptome hat und in der PCR negativ ist. Und man wartet dann noch 48 Stunden, macht einen 2 . Test, dann kann man mit einer epidemiologisch vollkommen hinreichenden Sicherheit sagen, dass man jemanden wieder zurück in die Kita oder zur Arbeit lassen kann. 



Camillo Schumann

:


Aber unterm Strich, ist diese Anordnung streng ausgelegt?





Alexander Kekulé:
Ich glaube nicht, dass das so umgesetzt wird. Da hat irgendjemanden den Amtsschimmel geritten, und da hat er irgendwie 1:1 die Vorschriften abgeschrieben. Solche Sachen sind gefährlich. Da gibt es Beispiele, dass in Baden-Württemberg in Parks das Maskentragen zum Teil angeordnet wurde im Freien. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist, dass eine amerikanische Firma allen Ernstes vorgeschrieben hat, dass Teilnehmer von Zoom-Konferenzen, also von Videokonferenzen, eine Maske zu tragen haben, auch wenn sie allein im Raum sind. Das ist kein Witz. Solche Sachen gibt es, das sind eben die Blüten, die solche Regelungen treiben. Da müssen wir aufpassen, weil wir ein auf Konsens basiertes System haben in Deutschland. Wir haben zwar Anordnungen, aber ob die am Ende des Tages befolgt werden, ist individuell begründet. Und wir müssen diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt und diesen Konsens und das Verständnis für die Maßnahmen aufrechterhalten. Das ist das Wertvollste, was wir haben. Und das können wir kaputt machen, indem wir so übertriebene Maßnahmen anordnen. Eine von diesen geht meines Erachtens in die Richtung der gefährlichen Anordnung ist, dass die Kinder ganz alleine in Isolation oder in Quarantäne sollen.




4 [0:13:35]:



Camillo Schumann

:


Das lassen wir mal so stehen, Herr Kekulé. Wir kommen wir zu einem Themenkomplex asymptomatische Krankheitsverläufe, also Menschen, die das Virus in sich tragen, aber von einer Erkrankung nicht viel mitbekommen, bestenfalls sogar gar nichts. Und 2  große Fragen stellen sich zum einen: Warum gibt es so viele Menschen, die keine Symptome haben? Und die 2 . große Frage: Sind asymptomatische Virusträger genauso oder weniger infektiös wie Menschen, die auch Symptome zeigen und die Krankheit mit allem Drum und Dran durchmachen? Wir haben ja sporadisch immer mal wieder im Podcast drüber gesprochen. Es gibt zumindest neue Erkenntnisse, die die Frage nach dem Warum ein wenig präzisieren?




13 [0:14:15]:



Alexander Kekulé:


Ja, und die Zahl der asymptomatisch Erkrankten landet jetzt ziemlich deutlich bei 40%. Das sind im letzten Monat Juli jetzt gerade die aktuellen Untersuchungen der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC gewesen. 40% von allen Infizierten sind asymptomatisch. Das ist schon ein relativ großer Anteil. Der kann sich auch noch steigen. Ein bisschen ist es auch meine persönliche Fieberkurve bei der ganzen Epidemie. Am Anfang habe ich gehofft, dass 90% asymptomatisch sein würden. Dann gab es zwischendurch Untersuchungen, die wieder in die andere Richtung gehen, dass das nur wenige sind. Jetzt scheinen es doch wieder mehr zu sein.  Je mehr asymptomatisch Infizierte wir haben, desto mehr Menschen immunisieren sich, ohne dass es zu Erkrankungen kommt und ohne dass wir sie impfen müssen. Und das ist natürlich eigentlich zunächst mal eine gute Nachricht. 




Woran das liegt, darüber wird seit Anbeginn dieser ganzen Epidemie gestritten. Das gab es ja auch schon bei dem 1. Sars-Virus. Da gab es auch asymptomatische Verläufe, gar nicht so wenige, wo man sich auch gefragt hat: Wie kann das sein, dass einige so schwerstkrank sind und sterben und andere überhaupt nichts davon spüren? Und ich habe das Gefühl, dass bei dieser Covid-Pandemie diese Grundfrage, die in der gesamten Virologie eine Rolle gespielt hat, der Lösung ein deutliches Stück näher gebracht wird. 





Camillo Schumann

:


Und die Lösung ist scheinbar eine Erkältung, die jeder schon einmal durchgemacht hat?





Alexander Kekulé:


Na, das wissen wir nicht genau. Es gibt tatsächlich jetzt mehrere Diskussionen, wie wieso was sein kann. Das eine, was ganz nahe liegend ist und immer wieder diskutiert wird, ist die Infektionsdosis. Wir wissen, dass Menschen, die viele Viren auf einmal abkriegen, unter Umständen ihr Immunsystem an der Infektionsstelle überfordern und es dadurch zu einer schnellen Verbreitung des Virus im Körper kommt. Also dass es nicht am Anfang lokal begrenzt wird und dadurch die Krankheit schwerer verlaufen kann. Das kennen wir von anderen Virusinfektionen. Und deshalb ist es durchaus möglich, dass das hier bei Covid19 auch so sein könnte. 




In dem Zusammenhang wird dann diskutiert, dass Gesichtsmasken möglicherweise etwas bringen, weil die, wenn man sich überhaupt infiziert, auf jeden Fall die Infektionsdosis verringern. Man hat dann weniger Viren. Und es gibt tatsächlich einige Studien, die sagen, dass Menschen, die sich trotz Gesichtsmaske infiziert haben, dass die leichtere Verläufe hatten. 




Dann gibt es die Idee, dass möglicherweise der Allgemeinzustand eine Rolle spielt. War man vorher krank oder nicht, ist man jung oder alt. Die ganze genetische Frage, vielleicht Blutgruppen, und was wir alles diskutiert haben, bis hin zu anderen Impfungen in der Kindheit zu einer Art Immunschutz verleitet haben. Das wird schon ewig diskutiert, wir hatten ja diese Fälle in Deutschland, wo in Asylbewerberheimen viele Menschen infiziert waren, aber keiner krank wurde, keine Symptome gezeigt hat. Das Gleiche gab es in Griechenland in verschiedenen Migranten-Auffangstationen. So etwas Ähnliches gibt es aber auch in den USA. Man hat in mehreren Bundesstaaten Gefängnisse untersucht mit über 3.2 00 Infizierten. Das ist eine Ansage, so viele Infizierte im Gefängnis in USA. Aber 96%, also fast alle, hatten in den Gefängnissen keine Symptome. Und da könnte man lange drüber reden. Wir haben ja auch kürzlich über Mumbai und Delhi in Indien gesprochenen. Es zeichnet sich ab, dass ein Faktor von vielen ist, dass die Menschen möglicherweise, wenn sie immun sind, vorher Infektionen mit anderen Coronaviren durchgemacht haben. Das ist aber nur eine Möglichkeit von mehreren. Und dafür verdichten sich im Moment die Daten.




4 [0:17:59]:



Camillo Schumann

:


Mit anderen Worten: Die These, dass man schon mal eine Erkältung durchgemacht hat in den vergangenen Jahren, kann nur zuträglich sein, um Sars-CoV-2  besser zu überstehen.





Alexander Kekulé:


Das ist die Überlegung. Das kennen wir übrigens auch von der Influenza. Da ist es auch so wenn sie immer wieder eine Grippe durchgemacht haben und dann die nächste Grippe kriegen, verläuft die nicht mehr so schwer wie die ersten. 




Wir haben vor einiger Zeit über eine Arbeit gesprochen, die von einer Gruppe von einem Institut für Immunologie aus La Jolla erschienen ist. Die haben damals schon gesagt, dass von den Menschen, die Sars-CoV-2  abgekriegt haben, 100% Prozent diese CD4-Zellen, also diese T-Helferzellen haben, die in der Lage sind, später noch das Virus abzuwehren, falls es mal zu einer Infektion kommt nochmal. Das war ein wichtiger Hinweis darauf, dass so eine Impfung eine Chance auf Erfolg hat, obwohl wir wissen, dass diese Antikörper, die man messen kann, das IGG, nach 2 -3 Monaten bei vielen wieder verschwinden. Aber diese zelluläre Antwort, diese weißen Blutzellen, die sich spezialisiert haben auf SARS CoV-2 , die bleiben aber offensichtlich. Und die sind bei denen, die die Krankheit durchgemacht haben, praktisch immer nachweisbar. Und die gleiche Studie aus La Jolla, das ist ein Ort an der Küste in Kalifornien, hat eben damals überraschenderweise gezeigt, dass ungefähr die Hälfte der Menschen, die nicht jemals mit dem Sars-CoV-2 -Virus Kontakt hatten, trotzdem halbwegs immun ist. Und das war natürlich ein bisschen mysteriös. 




Eine ähnliche Studie gab es auch an der Charité in Berlin. Die wurde gemeinsam mit der Technischen Universität gemacht. Und aktuell hat die Gruppe aus La Jolla noch mal nachgelegt. Die haben gesagt: Okay, jetzt wollen wir es genau wissen. Jetzt wollen wir mal nachschauen. Sie ist gerade vor ein paar Tagen in der „Science“ erschienen. Sie sagen: Jetzt wollen wir mal nachschauen, was ist es denn genau, was diese Immunzellen da erkennen, die da an einen Schutz machen vor Sars-CoV-2 , obwohl die Menschen noch nicht mit diesem Virus infiziert waren. Und da haben sie etwas gemacht, was wir Epitope Mapping nennen. Das ist eine Art, eine Landkarte zu erstellen von den Dingen, die die Immunzellen auf dem Virus 


erkennen können. Da kann man feststellen, was „sieht“ das Immunsystem bei dem Virus? Man hat dann festgestellt, dass das, was bei dem Sars-CoV-2  erkannt wird, identisch ist mit dem, was die gleichen Zellen erkennen bei den 4 anderen Coronaviren, die ja schon lange zirkulieren und normale Erkältungen machen. Das heißt also, diejenigen, die Immunzellen haben, die gegen das neue Virus sind, haben diese Immunzellen höchstwahrscheinlich deshalb zumindest bei den Patienten, die untersucht wurden , weil sie früher schon mal ein anderes Coronavirus, also ein normales Erkältungsvirus, „gesehen“ haben. 







Camillo Schumann

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Laut der Studie hat man 142  Merkmale identifiziert. Eine ganz schöne Sysiphus-Arbeit, oder?





Alexander Kekulé:


Das ist nicht so einfach. Aber es eine der interessantesten Teile der Virologie heutzutage, dass man feststellen kann, was „sieht“ eigentlich das Immunsystem auf so einem Virus, was erkennt es da? Was ist sozusagen sein typisches Muster, auf das es anspringt. So wie der Stier angeblich auf das rote Tuch. Wir wissen alle, dass hat mit der Farbe nichts zu tun. Aber so kann man das bei den Viren auch testen. Und dann hat man diese 142  Merkmale. Da kann ich nur sagen, dass es echte Fleißarbeit gewesen. Da hat man diese 142  Merkmale genommen und geguckt bei den Patienten, die immun sind, die Immunität haben gegen Covid19, ohne dass sie das Virus jemals gesehen haben. Woher haben Sie diese Merkmale also? Womit decken sich diese Merkmale? Und dann hat man festgestellt: Das deckt sich mit Erkennungsregionen auf den ganz normalen 4 Coronaviren, die sowieso zirkulieren. 




Und diese Affinität, wie wir sagen, also die Stärke, mit der das Immunsystem auf dieses Merkmal losgeht, ist tatsächlich exakt gleich stark gewesen, sowohl für das neue Virus als auch für diese 4 bekannten Erkältungsviren. Und das sind alles zusammen deutliche Hinweise. Ich will es jetzt noch nicht als endgültigen Beweis sehen. Aber er sind deutliche Hinweise, dass Menschen, die Infektionen mit den normalen Erkältungsviren durchgemacht haben, zumindest eine Zeit lang danach auch eine Teilimmunität gegen Sars-CoV-2  haben. Das könnte vielleicht sogar erklären, warum Kinder seltener krank sind: Weil die ständig solche Erkältungsviren abkriegen und dadurch das Immunsystem noch frisch auf diese anderen Erkältungsviren aktiviert ist. Es könnte durchaus sein, dass das eine Rolle spielt. Aber mit Kindern speziell wurde in der Studie noch nichts untersucht. 





Camillo Schumann

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Ich überlege gerade, was das jetzt für den praktischen Alltag für unsere Podcast-Hörer bedeuten könnte. Da können Sie mal in sich gehen, ob sie, ob sie schon von den 4 Coronaviren heimgesucht wurden.





Alexander Kekulé:


Man darf sich jetzt nicht in Sicherheit wiegen, bloß weil man jedes Jahr so viel krank gewesen ist. Wahrscheinlich kann mir das Virus nichts mehr anhaben. Das können auch andere Viren gewesen sein. Im praktischen Alltag würde ich davor warnen, sich jetzt in Sicherheit zu wiegen, weil man sowieso ständig krank war, dass einem dieses Virus vielleicht nichts mehr tut. 




Aber es hat 2  verschiedene wichtige Implikationen für die Wissenschaft. Die eine ist: Man kann ziemlich klar sagen, dass diese über zell-vermittelte Immunität eine große Rolle spielt bei der bei der Impfstoffentwicklung. Deshalb ist es extrem wichtig, ein Impfstoff zu entwickeln und auch daraufhin zu testen, dass er wirklich diese zell-vermittelte Immunität macht und nicht so sehr diese Antikörper, die wir vorher so stark im Auge hatten. Und das 2 . ist, dass wir einen Test entwickeln könnten, um festzustellen: Ist der eine oder andere jetzt empfänglich für Sars-CoV-2 , ja oder nein? Das würde viel bringen, bevor man den Impfstoff hat. Da kann man dann sagen: Der und der ist sowieso immun? Da müsste man keine Angst haben, dass die sich anstecken oder wenn sie sich anstecken, dass sie schwer erkrankten. 





Camillo Schumann

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Die anschließende Frage sind Menschen, die Covid19 nicht merken oder fast nicht merken, auch weniger infektiös und somit für andere weniger gefährlich? Da kann eine koreanische Studie zumindest einen Hinweis geben. 





Alexander Kekulé:


Ja, da gibt es ja inzwischen ganz viele Untersuchungen, die in verschiedene Richtungen gehen. Ganz grob muss man leider sagen: Bei diesem Virus deutet alles darauf hin, dass auch Menschen, die überhaupt keine Symptome haben, diese asymptomatischen Infizierten, dass auch die hochansteckend sind. Ich bin da nicht so glücklich darüber, weil es eine Ausnahme ist. Bei den allermeisten Virusinfektionen ist es so, dass Menschen, die schwer krank sind, einfach deutlich infektiöser sind. Bei Ebola beispielsweise hat jemand, der schwer krank ist, dem es richtig schlecht geht, auch deutlich mehr Viren ausgeschieden. Und da war ganz klar, dass das diejenigen sind, die die meisten angesteckt haben. 




Es deutet sich aber an, dass es bei diesem Sars-CoV-2 -Virus so eine Art Ausnahme gibt, dass also Menschen, die schwer krank sind, ähnlich viel oder weniger Virus ausscheiden wie Menschen, die keine Symptome haben.




Da gibt es jetzt eine gerade erschienene neue Studie dazu. Aber es gibt relativ viele. In einer Studie vom 6. August 2 02 0, die ist noch ganz frisch, hat eine Arbeitsgruppe aus Südkorea eine neue These publiziert. Die haben 303 Patienten nachuntersucht, die im März in einem Community Treatment Center in so einem Behandlungszentrum, also kein großes Krankenhaus, sondern so ein kleineres Zentrum. Das waren keine schwerkranken Patienten. Die meisten von denen hatten sehr leichte Verläufe und 30% von denen das passt jetzt zu den aktuellen Zahlen ungefähr waren tatsächlich auch asymptomatisch, die hatten überhaupt keine Symptome. Und da hat man 2  Sachen festgestellt: Das eine ist von der Diagnosestellung bis zu dem Zeitpunkt, wo die Patienten wirklich negativ werden, getestet mit der PCR-Methode vergehen ungefähr 17 Tage, egal, ob man Schwerkranke oder leichter Erkrankte hat oder ganz asymptomatische. Dieser Zeitraum scheint relativ konstant zu sein für die PCR +/1 Tag. Das spielt keine große Rolle. Das andere ist: Bei den symptomatischen und bei den asymptomatischen Fällen ist die Viruslast, die man mit der PCR bestimmt, die gleiche gewesen. Das heißt also, die scheiden zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt ungefähr gleich viele Viren aus. 





Camillo Schumann

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Also sind ja jetzt für Risiko-Patienten oder Menschen, die zur Risikogruppe gehören auf einen Schlag alle gefährlich.





Alexander Kekulé:


Ja, das ist ganz wichtig. Wir müssen als Arbeitshypothese davon ausgehen, dass die asymptomatischen Träger oder die Asymptomatischen, die vielleicht später erst krank werden und vorher asymptomatisch sind, das ist ja in dem Fall nicht so wichtig -, also Menschen, die keine Ahnung haben, dass sie das Virus in sich tragen, können infektiös sein. Und so, wie die Zahlen aussehen, müssen sie überraschenderweise ungefähr genauso infektiös sein wie Menschen, die richtig krank sind. 




Man muss allerdings Folgendes dazu sagen: Da gibt es noch eine Parallel-Studie über die ich gleich sprechen möchte. Und zwar ist die von Malik Peiris herausgekommen. Das ist ein wichtiger Mann, der ist, glaub ich, inzwischen um die 70 Jahre alt und war der Entdecker des Sars-Virus, des 1. Sars-Virus von 2 003. Der ist immer noch aktiv an der Universität von Hongkong beschäftigt und hat die „Gretchenfrage“ versucht zu beantworten. Der hat bei 35 Patienten, von denen die meisten leichte Verläufe hatten, geguckt, wie es eigentlich mit dieser PCR-Untersuchung bestellt ist. Korreliert die überhaupt mit der Infektiösität? Denn wir machen ja immer nur so einen Test. Diese PCR sucht ja eigentlich nur danach, ob die Erbinformation des Virus vorhanden ist oder Teile davon. Und ob das Virus insgesamt zu dem Zeitpunkt noch ansteckend ist, ob es sich vermehren kann. Ob der vermehrungsfähige Viruspartikel im Speichel sind, das stellt ja die PCR gar nicht fest. Und dazu hat der Malik Peiris eben gesagt: Jetzt machen wir mal eine Untersuchung und finden heraus, was diese PCR überhaupt für eine Aussagekraft hat. Und ja, es ist so, dass die PCR oft, oder über einen langen Krankheitsverlauf hinweg, tote Viren nachweist,  also Reste von Viren, die nicht mehr infektiös sind. Wenn man das parallel untersucht, dass man einerseits diese PCR macht und andererseits einen Test macht, der guckt, ob das Virus noch anzüchtbar ist, also das Virus in der Zellkultur im Labor. Und schaut man, ob sich das da vermehren kann, stellt man fest, dass diese vermehrungsfähige Zeit nur 8 Tage sind, im Gegensatz zu den etwa 17 


Tagen, die es dauert, bis die PCR negativ wird. Das heißt, der Zeitraum, in dem sich die PCR-Ergebnisse mit Infektiösität decken, ist relativ kurz. Und da kommt es darauf an, wie hoch die Dosis ist. Wenn die PCR perfekt gemacht ist und man feststellt, dass man in der Größenordnung von mehr als 100.000 einzelnen Genomen pro Milliliter nachweist, korreliert es ganz gut mit der Infektiösität. Wenn man aber in der PCR nur einen schwachen positiven Test hat, dann läuft es eben auseinander. Dann weist man letztlich tote Viren nach, die nichts mehr damit zu tun haben, dass der Mensch infektiös ist. Und ich glaube, an der Stelle müssen auch epidemiologisch in die Zukunft blicken und überlegen: Was sagt eigentlich so ein positiver PCR-Test aus? Und wie lange muss man Menschen isolieren, nachdem sie krank geworden sind? 





Camillo Schumann

:


Genau das wäre jetzt meine Frage gewesen. Rückblickend könnte man ja sagen, dass die Hälfte der positiv Getesteten eigentlich überhaupt keine Gefahr mehr darstellt. 





Alexander Kekulé:


Es kommt auf den Zeitpunkt an. Das Blöde ist halt: Da nimmt man etwas ab aus dem Rachen. Und dann ist dann mal mehr Virus drin, mal weniger. Bei Kindern ist es so: Die wehren sich manchmal. Dann gibt der Arzt auf und hat gar nicht so viel Schleim drauf. Selbst bei verschiedenen Regionen der Schleimhaut ist an einigen Stellen mehr Virus vorhanden und an anderen weniger. Und auch im zeitlichen Ablauf der Krankheit gibt es große Unterschiede. Das heißt also: Verschiedene PCR-Proben einfach miteinander zu vergleichen, bringt nicht viel, weil die aus rein technischen und organisatorischen Gründen unterschiedliche Konzentrationen haben. Aber wenn man das perfekt machen würde rein theoretisch: Bei einer Person im Krankheitsverlauf ist es wahrscheinlich so, dass sie nur 2 -3Tage wirklich hochinfektiös und ansteckend ist und isoliert werden müsste. Und den Rest der Zeit hat man positive PCR-Ergebnisse für 3 Wochen. Manchmal hat man das ja auch noch Monate später nachgewiesen. Aber ohne dass es korreliert mit einer Infektiösität, weil die PCR tote Viren nachweist, wo die Erbinformation noch da ist, aber das Virus nicht mehr vermehrungsfähig ist. 





Camillo Schumann

:


Und wenn man die Tests verändert und dementsprechend welche hat, die eben ausschlagen, wenn es dann wirklich wichtig ist?





Alexander Kekulé:


Man könnte das Argument sogar umdrehen und sagen: Das spricht schon fast wieder für die Schnelltests, die eine schlechtere Sensitivität haben, denn die weisen ja Anti-Gen nach. Das Anti-Gen ist das Protein, das Virus hingegen den Partikel selber. Und wenn dieses Virus selber da ist, dann ist es in der Regel auch infektiös. Diesen Fehler, dass die quasi von kaputten Viren nur den Müll finden, wenn ich mal so sagen darf, und dann glauben, dass seien infektiöse Partikel ist der Fehler. Das macht nur die PCR, das ist bei den Schnelltest nicht der Fall. Sodass man vielleicht fragen muss, ob unsere Tests, die wir anwenden, möglicherweise zu empfindlich sind, um das herauszufiltern, was wir eigentlich brauchen. In diesem Zusammenhang kann man diese PCR-Methode auch ein bisschen umgestalten. Das ist jetzt keine Standardmethode, die man kaufen kann. Sondern im Labor kann man das machen, dass man so genannte subgenomische RNA nachweist, also die normale PCR weist quasi nach, ist die Erbinformationen eines Virus vorhanden, ja oder nein? Und es gibt aber kürzere RNA-Stücke, die nennen wir subgenomische Stücke, die treten so ist zumindest die Theorie nur dann auf, wenn sich das Virus aktiv in der Schleimhaut vermehrt. Denn die sind quasi Zwischenprodukte  bei der Virus-Herstellung. Malik Peiris hat in dieser Untersuchung diese subgenomischen RNAs angeguckt. Und da ist er der Meinung, dass diese subgenomischen RNAs gut mit der Frage korrelieren, ob das Virus zu dem Zeitpunkt gerade infektiös ist. Vermehrungsfähig ist. Sodass man perspektivisch überlegen könnte, ob man vielleicht Spezialtests macht, die auch diese subgenomische RNA mit untersucht. Ich muss aber dazu sagen, es gibt andere Kollegen, die sind der Meinung, dass das ein Irrweg ist und dass diese subgenomische RNA nicht wirklich geeignet ist, um die Infektiösität des Virus nachzuweisen. Aber da muss man also noch ein bisschen Forschung betreiben, um zu gucken, ob das was bringt. 





Camillo Schumann

:


Damit sind wir bei den Hörer-Fragen. Herr H. hat angerufen mit folgender Frage:


„Ich habe gesehen, dass mehrere Medien über die Stadt Augsburg berichten. Diese Stadt schickt Proben aus dem Abwasser beziehungsweise aus Toilettenspülung an die TH München, um sie auf Coronaviren überprüfen zu lassen. Meine Frage lautet nun: Könnte man Teststreifen, Flüssigkeiten und so weiter herstellen, damit jeder Bürger sich selbst zu Hause auf Coronaviren untersuchen lassen kann?“




8 [0:34:08]:



Alexander Kekulé:


Die gibt es schon, diese Teststreifen, die werden angeboten. Die Firmen sind verzweifelt, dass sie keiner kauft, weil es keine entsprechende Empfehlung von Bundesseite gibt. Und weil es auch deutlichen Widerstand bei den Ärzten gibt, die Erhebliches verdienen an der PCR-Reaktion. Die Teststreifen gibt es, aber man muss dazu sagen: Falls jetzt die Idee war,  diese Teststreifen ins Abwasser zu halten, das wäre jetzt nicht der richtige Weg. Davon würde ich abraten. Das sind Untersuchungen, die nur epidemiologisch Sinn machen. Da müsste man sich den tatsächlich so einen Tupfer in den Hals bringen, dann hinterher in einer kleinen Flüssigkeit den Tupfer ein bisschen ausdrücken und die Flüssigkeit dann auf so einen Schnelltest rüberbringen, der so ähnlich aussieht wie ein Schwangerschaftstest.




4 [0:34:57]:



Camillo Schumann

:


Ich habe Herrn H. auch so verstanden wie Sie, dass er den Test ins Toilettenwasser halten möchte, um dann das Virus nachzuweisen. Aber wie wir jetzt wissen, sind das Viren, die eigentlich überhaupt keine Rolle mehr spielen.




8 [0:35:09]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so, dass bei diesen Infektionen das ist  auch bei Covid19 so klassischerweise übrigens bei neuen Erregern, die noch nicht so an den Menschen angepasst sind, finden wir die interessanterweise immer im Stuhl. Das haben wir bei den Vogelgrippeviren gesehen. Das haben wir bei dem 2 009er pandemischen Influenza-Virus gesehen. Und auch in den anderen Beispielen, dass wir im Stuhl Reste von diesen Viren finden. Manchmal sind die auch noch ein bisschen infektiös. Aber das sagt letztlich nichts darüber aus, ob der Patient zu dem Zeitpunkt noch in den Atemwegen das Virus ausscheidet. Und darauf kommt es ja nur an.




2  [0:35:43]:



Camillo Schumann

:


Herr und Frau R. hören den Podcast seit Folge 1. Das ist seit dem 16. März. Nun haben sie eine Frage zu einem Erlebnis, das sie hatten. Herr R. schreibt: „Meine Frau wurde erfolgreich an der Uniklinik Augsburg operiert. Im Rahmen der Voruntersuchung wurde auch ein Corona-Test durchgeführt. Dieser lief jedoch ungewöhnlich ab. Sie musste ca. 30 Sekunden mit Salzwasser Gurgel und dann alles in einen Behälter spucken. Das Testergebnis war negativ. Meine Frau war allerdings etwas verunsichert. Zum einen, weil sie und auch ich nach einiger Recherche nichts von dieser Testmethode gefunden haben und sie auch ein Gespräch von 2  Krankenschwestern mitbekommen hat, die die Genauigkeit dieses Tests stark angezweifelt haben. Nun, die Frage: Hat Herr Kekulé schon etwas von dieser Testmethode gehört und kann er etwas über die Qualität des Tests sagen? Viele Grüße.“




12  [0:36:37]:



Alexander Kekulé:


Ja, das ist der berühmte Gurgel-Test, den gibt es tatsächlich. Und der wird auch erprobt. Und es gibt Leute, die schwören Stein und Bein drauf. Ich kenne Kollegen an der Universität in Wien, die schwören Stein und Bein darauf, dass der genauso gut ist wie die anderen mit dem Abstrichtupfer. Das ist noch nicht bewiesen. Das ist ja immer so: Man hat erstmal einen Test, dann muss man das an verschiedenen Patienten ausprobieren, dann muss man gucken, ob diejenigen, die da beim Gurgel-Test vielleicht nicht identifiziert werden, Patienten waren, die vielleicht sowieso nicht infektiös waren. Dann wäre ja die Leistungsfähigkeit dieses Tests vielleicht sogar besser als einer, der zu viele Positive findet. Und all diese Daten sind noch nicht ausgewertet, sodass ich sagen würde: Da waren unsere Hörer Teil eines Experiments, Teil einer kleinen Studie. Und es ist aber auch völlig in Ordnung. Ich würde jetzt nicht ausschließen, dass am Ende des Tages dieser sogenannte Gurgel-Test von der Epidemiologie her genauso gut funktioniert wie der mit dem Abstrich. Es ist ja auch so, dass es ganz viele Untersuchungsämter gibt, die absolut auf diesen Test schwören, wo man den Tupfer durch die Nase einführen muss, was eine unangenehme Sache ist. Und viele andere sagen, nein, das brauchen wir nicht. Ein Rachenabstrich ist genauso gut. Da sind so Glaubenskämpfe unterwegs. Und ich glaube, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten wahrscheinlich bessere Studien haben, die eben den Nasentest, den Rachentest, den Gurgeltest und diese Antigene-Schnelltests dann parallel untersuchen und sagen, was eigentlich epidemiologisch wirklich sinnvoll und notwendig ist. 





Camillo Schumann

:


Und wie läuft dieser Gurgel-Test ab? Klar, man gurgelt, man spuckt das aus und danach? 





Alexander Kekulé:


Das ist ungefähr das Gleiche wie bei der normalen Abstrichtestung. Nur mit dem Unterschied, dass dann aus diesem Salzwasser auch ein Nachweis der Gene des Virus geführt wird. Der Test, den ich jetzt vor Augen habe, ist so, dass man das nicht mit PCR macht, sondern mit einer ähnlichen Methode, die heißt Lamp L. A. M. P. Dass es auch eine Methode, mit der Erbmaterial der Viren nachgewiesen wird, technischen bisschen anders. Aber im Ergebnis führt zum gleichen Resultat, dass man also feststellen kann, ob Virus Erbmaterial in dem Speichel drinnen war. Die Befürworter des Gurgel-Tests sagen: Wir haben hier nicht den Nachteil wie beim Abstrich, dass man beim Abstrich nur eine bestimmte Region erwischt, sondern egal, wo man da im Mund gerade die Viren hat. Wir haben die dann hinterher in der Lösung. Wir sind dafür von der Konzentration her mindestens eine Zehnerpotenz (Faktor 10, vielleicht Faktor 50 oder so) sind wir schlechter. Aber diese Leute sagen: Die Nachweisgenauigkeit dieser Test ist sowieso so hoch, das heißt, die sind so empfindlich, dass es auf die Verdünnung, die man durch das Gurgeln macht, eigentlich gar nicht ankommt, nach. Außerdem hat man beim Gurgeln hinterher relativ viel Speichel mit hinübergenommen. So viel kriegt man auf einen normalen Tupfer gar nicht drauf.




2  [0:39:40]:



Camillo Schumann

:


Also Familie R., Sie wurden da am Klinikum nicht veralbert, sondern sie waren möglicherweise ja Teil eines Experiments. 


Herr Kekulé, vielen Dank für diese Ausgabe.


 


Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wie immer, wie gewohnt zu einem Hörer-Fragen SPEZIAL.


 



Alexander Kekulé:


Gerne, bis dann, Herr Schumann.





Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: 


mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00. 


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.




MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 11.08.2 02 0 #93: Kekulés Corona-Kompass



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


1 [0:00:03] :


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


2  [0:00:10] : Dienstag, 11. August 2 02 0. 1. Wir haben einen Blick aufs aktuelle Infektionsgeschehen. 2 . Wie sind die Tests für Reiserückkehrer angelaufen? 3. Mit Maske und Abstand zum Konzert. In Düsseldorf sollen 13.000 Zuschauer feiern dürfen. 4. Russlands Präsident Putin hat einen CoronaImpfstoff zugelassen. Was weiß man darüber?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin MDR-Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.



Camillo Schumann

:


Ich grüße Sie, Herr Kekule.



Alexander Kekulé:


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Zu Beginn ein kurzer Blick aufs Infektionsgeschehen, Stand heute, 11. August, meldet das Robert-Koch-Institut 966 neue CoronaInfektionen innerhalb eines Tages. Damit nä-


hert sich die Zahl wieder der Marke von tausend Neuinfektionen. Und über tausend hatten wir ja in der vergangenen Woche schon am Donnerstag, Freitag und Samstag. Mit dem Meldeverzug stiegen die Zahlen ja immer in der 2 . Wochenhälfte. Jetzt schon in der 1. Wochenhälfte. Macht Sie das unruhig?


3 [0:01:2 0]:



Alexander Kekulé:


Insgesamt haben wir eine Phase, wo die Infektionen wieder ansteigen. Ob das jetzt ein paar Fälle unter tausend oder über tausend sind, ist letztlich egal. Und man muss sagen, dass wir schon am Dienstag Zahlen haben in diesem Bereich. Das lässt befürchten, dass es am Donnerstag wieder einen deutlichen Anstieg über 1.000 geben wird.


4 [0:01:38]:



Camillo Schumann

:


Was würde das bedeuten? Werden wir dann signifikant über 1.000 kommen ab Mittwoch, Donnerstag, Freitag und so weiter?


3 [0:01:46]:



Alexander Kekulé:


Wir müssen diesen Trend durchbrechen. Einige Tage über 1.000 ist kein Problem. Aber es geht um die Kapazitäten der Gesundheitsämter, die das nachverfolgen. Und klar ist, wenn das einzelne verteilte Fälle sind, also viele Initialfälle, die mit keiner Infektionskette zusammenhängen, die man schon kennt, ist es so, dass die Kapazitäten der Gesundheitsämter bei über 1.000 Fällen am Tag überfordert sein können, zumindest in einigen Ballungsgebieten. Und deshalb können wir uns das einfach nicht leisten


2  [0:02 :17]:



Camillo Schumann

:


Welche Rolle Reiserückkehrer bei diesem Infektionsgeschehen spielen, ist ja eine Frage, die enorm wichtig ist. Fakt ist: Seit Samstag, den 8. August, gilt für Rückkehrer aus Risikogebieten eine Testpflicht an Flughäfen, Bahnhöfen oder Autobahnraststätten. Aber auch alle anderen Urlauber können sich dort kostenlos testen lassen.


Das hat auch Frau W. aus Nordrhein-Westfalen getan. Sie hat sich auf einer Autobahnraststät-


te in Bayern testen lassen und uns ihre Erlebnisse zugemailt. Ich habe das Ganze einsprechen lassen. Und so klingt es: „Also sind wir auf dem Rückweg bei DonautalOst abgefahren und haben dort einen Test vornehmen lassen. Dort musste man 2  Formulare ausfüllen. Eines davon hatte einen QRCode für die Übermittlung an die CoronaWarn-App. Dann folgte der Abstrich. Uns wurde gesagt, dass wir nach 2 4 bis 72  Stunden mit einem Ergebnis rechnen könnten. Die QRCodes haben wir mit unserer Corona-WarnApps eingescannt, und als die 72  Stunden verstrichen waren, hatten wir weder ein Ergebnis in der App noch eine andere Nachricht erhalten. Daher habe ich mich bei unserem örtlichen Gesundheitsamt gemeldet, um zu fragen, ob das Ergebnis eventuell in einer Datenbank ersichtlich sei. Mir wurde mitgeteilt, dass man hier in NRW leider nicht die Daten aus Bayern einsehen könne. Ich habe dann weiter recherchiert und unter anderem einen Zeitungsartikel gefunden. Hier wird berichtet, dass es bei dieser Teststation zu organisatorischen Schwierigkeiten gekommen sei, wodurch die Zuordnung der Tests zu den Patienten nicht funktioniert hat. Heute habe ich die in dem Artikel genannte Hotline des bayerischen Landesamtes kontaktiert. Unsere Ergebnisse waren dort in der Datenbank nicht aufzufinden. So haben wir nach mehr als 1 Woche immer noch kein Testergebnis erhalten. Den CoronaTest haben wir übrigens auf Anraten unseres örtlichen Gesundheitsamt an einer Teststation hier in NRW wiederholt und hoffen, dass wird das Ergebnis des 2 . Tests in den nächsten Tagen mitgeteilt bekommen.“


2  [0:04:11]:



Camillo Schumann

:


Frau Wittmann ist auch nicht allein. Im Netz berichten viele Menschen von denselben Erlebnissen. Wie hört sich das für Sie an?


6 [0:04:18]:



Alexander Kekulé:


Naja, das ist ein enormes logistisches Unterfangen, so viele Menschen mit einem laborbasierten Test zu untersuchen. Man muss sich klarmachen: Da werden Abstriche gemacht am Fließband. Dann darf soll man kleine Fehler machen bei den Zuordnungen, das muss ja


alles beschriftet werden und dann eingeschickt werden. Dann wird es im Labor untersucht. Und dann müssen die Laborergebnisse meitens händisch übertragen werden in Datenbanken. Händisch deshalb, weil das improvisierte Systeme sind, die man schnell zusammengebaut hat. Man muss sich vorstellen, dass das so ein normales Labor ist, was so etwas macht. Ich leite ja selber so ein Laboratorium. Wir haben da elektronische Schnittstellen, die von mehreren Experten eingerichtet werden und die im Detail überprüft werden, dass die keine Fehler machen bei der Übermittlung von Daten, von denen, die sie anfordern. Also Einsendern, zum Beispiel im Krankenhaus, bis am Schluss zum Befund. Und selbst diese krankenhausbasierten Systeme, die aufwendig sind bei der Datenverarbeitung, machen manchmal Fehler. Selbst da kommt es vor, dass Proben verwechselt werden. Es gibt sogar Studien, die sagen, dass im in manchen Situationen bis zu 5% der Proben verwechselt werden. Das heißt, es ist ein riesen logistisches Unterfangen. Und das ist klar, dass das nicht einfach funktioniert, was hier geplant wurde.


2  [0:05:43]:



Camillo Schumann

:


Frau W. hat sich bei uns gemeldet, darüber hinaus noch mehrerer Hörer. Auch im Netz sieht man viel Kritik daran. Es sind Schilderungen von vielen Stichproben. Da scheint doch einiges im Argen zu sein, gerade bei der Übermittlung, wenn die Daten überhaupt nicht übermittelt werden. Und wenn die 72  Stunden abgelaufen sind, braucht man das Testergebnis dann auch nicht mehr.


8 [0:06:07]:



Alexander Kekulé:


Naja, das ist klar, Sie wissen ja, dass ich dringend für Schnelltests plädiere, die man vor Ort machen kann, die nicht so viel kosten würden. Was hier wichtig ist, ist Folgendes: Wir haben letztlich 3 Parameter, die man sich epidemiologisch anschauen muss, falls die Tests funktionieren. Und der 1 Parameter ist die Sensitivität. Das heißt: Wie gut ist der Test? Wie viele Corona-Patienten werden möglicherweise nicht erkannt von dem Test. Das ist ja ein Problem, wenn man Leute hat, die einem durchs Netz gehen. Die 2  anderen Faktoren sind: Wie


schnell bin ich, also der zeitliche Faktor. Weil wir wissen, dass jemand, der ansteckend ist, ein kleines Fenster hat, wo er andere infizieren kann. Und wir wollen den vorher aus dem Verkehr ziehen und nicht erst hinterher, wenn er seine Munition schon verschossen hat. Denn nach ein paar Tagen ist der Patient nicht mehr ansteckend. Und das 3. ist der quantitative Aspekt. Wir hatten über eine Harvard-Studie gesprochen, die besagt: Mehr testen, aber dafür schlampiger ist besser als wenig und dafür aufwendig und teuer. Warum? Weil man mit einer höheren Testfrequenz und höheren Testzahlen epidemiologisch gesehen eher die Chance hat, infektiöse Patienten aus dem Verkehr zu ziehen. Dem kann man unter Umständen auch Qualitätskriterien opfern. Das heißt, alles spricht dafür, einen Schnelltest direkt vor Ort zu machen. Dann können die Leute kurz warten und fahren weiter und Wissen zu dem Zeitpunkt an der Raststätte schon, sind wir positiv oder nicht.


2  [0:07:43]:



Camillo Schumann

:


War das Vorhaben mit PCR-Testung, nämlich alle Reiserückkehrer auf freiwilliger Basis zu testen, und dann auch die die Pflichttests eigentlich eine Mammutaufgabe, die von vornherein zum Scheitern verurteilt waren?


9 [0:07:57]:



Alexander Kekulé:


Gescheitert ist es ja nicht. Es sind ja Einzelfälle. Aber es ist eine Mammutaufgabe, die man meinem Erachten nach nur vorübergehend so einsetzen konnte. Klar, die anderen Tests muss man erst besorgen. Da muss man sich dann auch erst mit den Laboren darüber absprechen. Die verdienen natürlich dann kein Geld mehr. Sie können sich vorstellen, dass die viele Laborärzte gegen solche selbstgemachten Tests sind, wie überhaupt viele Ärzte. Und bis man das Ganze auf den Weg bringt, ist es schon gut gewesen, mal das, was man schon hat, nämlich die laborbasierten PCA-Tests mal zum Einsatz zu bringen. Man muss aber auch immer wissen, wen man da beauftragt. So ein Gesundheitsamt mit ein paar Mitarbeitern sind solche Aufgaben überhaupt nicht gewohnt. Großlabore, die Zehntausende von Tests am Tag machen können, haben ja einen Riesen-


Management-Stab, der solche Sachen macht. Da geht es ja auch um viele Millionen Einnahmen, die die damit generieren. Und da ist eine andere Power dahinter, als wenn man so einen armen Gesundheitsamt, was zufällig an dieser Autobahnraststätte lokalisiert ist, sagt, so, jetzt organisier mal die Tests.


10 [0:09:03]:



Camillo Schumann

:


Weil wir das Beispiel aus Bayern hatten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sind diese Probleme nicht verborgen geblieben. „Wir haben ja jetzt nichts gemacht, wenn jemand ein Kennzeichen aus Wuppertal hat oder aus Castrop-Rauxel oder aus Dresden oder aus Hamburg. Dass wir dann sagen, das kontrollieren wir nicht. Wir bieten kostenlos für alle an. Ein Service für ganz Deutschland. Und dann ist es so, dass es unglaublich in Anspruch genommen wurde. Das muss man sagen. Durch die hohe Inanspruchnahme war es am Anfang auch logistisch nicht ganz einfach. Dann hat das gedauert, bis die Dienstleister, die als Vertragspartner ausgesehen wurden, zum Zuge kamen. Und da haben zwischenzeitlich die Hilfsorganisation mitgeholfen und dann wirklich Großartiges geleistet haben. Ein Dankeschön an sie. Aber es wird in dieser Woche endgültig professionalisiert. Und die entsprechenden Verzögerungen müssen natürlich reduziert und abgestellt werden, ganz klar.“



Camillo Schumann

:


Haben Sie auch die Hoffnung?


12  [0:09:53]:



Alexander Kekulé:


Ich glaube schon, dass man das im Prinzip verbessern kann. Die Frage ist nur, wo man perspektivisch hin will. Und das wird ja nie so sein, dass diese laborbasierten Tests im Durchschnitt schneller als 2 4 Stunden sind. Die reine Methode ist schneller. Das kann man in 1 Stunde bis 90 Minuten erledigen. Aber mit der ganzen Logistik außenherum: zum Labor schicken und das Ergebnis zurück und die Zuordnung, dauert es einfach mindestens 1Tag. Das ist schon die optimistisch. Und ich meine, man muss das ja so sehen. Die Menschen kommen aus der Urlaubsregion zurück. Sie haben häufig mehr als 5Tage dort verbracht. Das heißt, sie


sind möglicherweise infektiös. Deshalb macht man ja diesen Test. Warum soll ich den noch 1Tag lang rumlaufen lassen ohne Ergebnis? Das ist so eine Sache. Ich sehe einfach nicht ein, dass man da diese lange Zeitschiene zur Regel macht. Ich glaube, in Einzelfällen kann es ja sein, dass es an der einen oder anderen Autobahnstationen zufällig direkt daneben ein super Labor gibt oder man vielleicht ein mobiles Labor hinsetzen kann, dass das ähnliche Geschwindigkeiten erzeugt wie ein Schnelltest. In solchen Einzelfällen, glaube ich, kann man dafür plädieren. Aber ganz grundsätzlich als allgemeine Methode ist es zu schwerfällig.


2  [0:11:14]:



Camillo Schumann

:


Sie sagen also, lieber einen möglicherweise ungenaues Verfahren anwenden, dafür hat man schnelleres Ergebnis. Sind denn diese Schnelltests A) zertifiziert und B) stehen die da und müsste dann C) die Politik nur den Schalter umlegen und sagen: Gut, jetzt konzentrieren wir uns darauf?


13 [0:11:2 9]:



Alexander Kekulé:


Es gibt mehrere zertifizierte Tests. Es ist ja so: In Deutschland ist für solche Tests das kann man kritisch sehen gar keine Zulassung erforderlich. Es gibt so ähnliche Tests. Sie sind in den USA ganz offiziell zugelassen von der FDA, Dazu gehört der zuständigen Behörde. In Europa ist das so, dass man so eine Zulassung für sogenannte Medizinprodukte demnächst haben wird. Das ist gesetzlich, glaube ich, schon verabschiedet, ist aber noch nicht in Kraft.


Das heißt, im Moment ist es so, dass ein Hersteller selber feststellen kann: Jawohl, mein Test entspricht den Standards, die in Europa erforderlich sind. Und dann bringt er diesen CE-Stempel darauf an, dass das also europäisch konform ist. Und dann ist es sozusagen selbst zertifiziert. Auf dieser Basis sind unterschiedlich gute Tests im Umlauf. Es gibt aber in der Schweiz eine Institution, die mehr oder minder ehrenamtlich die vorhandenen Tests überprüft. Und da kann man auf der Webseite nachsehen, wie gut die momentan verfügbaren Tests sind. Es ist in der Tat so, dass mehrere definitiv geeignet wären, solche Schnellverfahren zu machen. Wir reden von Menschen,


die keine Symptome haben. Das sind ja proaktive Tests. Sobald sie natürlich Symptome haben und man sozusagen medizinisch ärztlich testet, mit der Frage: muss ich jetzt eine Isolierung vornehmen, muss ich eine Therapie machen, welche Art von Therapie ist erforderlich usw., ist natürlich eine viel höhere Zuverlässigkeit gefordert.



Camillo Schumann

:


Noch einmal die Frage: Sollte jetzt ein Umdenken stattfinden?



Alexander Kekulé:


Ja, ich meine definitiv, dass man umdenken sollte von den laborbasierten Tests hin zu Tests, die im Schnellverfahren selbst gemacht werden können. Und dabei muss man in Kauf nehmen, dass diese Tests weniger sichere Aussagen machen. Das ist aber im epidemiologischen Bereich gar nicht erforderlich.


2  [0:13:2 5]:



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, ob so eine Maßnahme überhaupt Erfolg hat. Jetzt gibt es einen Test der Reiserückkehrer. So bekommt man mehr heraus, wenn man alle Zahlen und Fakten kennt. Interessant wäre zu wissen, wie viele der getesteten Reiserückkehrer, auch die aus Risikogebieten, positiv getestet wurden und wie viele Tests überhaupt gemacht wurden. Genau das wollte ich vom Robert Koch-Institut wissen und bekam folgende Antwort: „Das Robert Koch-Institut hat derzeit keine Erkenntnisse über die Anzahl an Tests bei Reiserückkehrern oder Einreisenden. Sollten wir die Möglichkeit haben, diese Zahlen gesondert zu erheben, würden wir sie zu gegebener Zeit auch veröffentlichen. Das ist aktuell aber nicht der Fall.“ Herr Kekule, wer, wenn nicht das RKI und somit das Gesundheitsministerium in Berlin, müsse doch ein Interesse genau an diesen Zahlen haben?


8 [0:14:11]:



Alexander Kekulé:


Das ist extrem wichtig, weil die ja auch politische Konsequenzen hatten. Zum einen wollen Politiker, auch Landespolitiker, wissen, unter


welchen Rahmenbedingungen sie Entscheidungen treffen, beispielsweise aus welchen Regionen die Tests am verpflichtend sein sollen.


Andererseits meine ich, bei diesen Dingen muss man immer auch den Bevölkerungsaspekt sehen. Die Menschen haben ja verstanden, worum es geht. Die haben verstanden, dass hier hunderte von Milliarden Euro von Wirtschaftsleistung quasi verloren gegangen sind. Die erleben auch, dass ihr Leben von den Schülern über die Kindertagesstätten bis zu den Freizeitbereichen, Kneipen und so weiter, alles massiv eingeschränkt ist. Und wenn man den Eindruck hat, bei so einer wichtigen Sache, die die ganze Welt jetzt bewegt, kann die Bundesrepublik Deutschland als Industrieland nicht einmal die Daten zusammenbringen, wer von wo positiv getestet wurde und wer nicht, dann kann das auch dazu beitragen, dass die Übereinstimmung mit der Politik, die wir in Deutschland sonst eigentlich haben, dahinschwindet.


2  [0:15:14]:



Camillo Schumann

:


Da muss noch nachjustiert werden. Zum einen die Tests, die dann auch übermittelt werden müssen, also die Testergebnisse, und zum anderen die Zusammenführung von Informationen.


Jetzt haben wir, was das Pandemiegeschehen angeht schon ein halbes Jahr Erfahrungen. Aber jetzt hat man eigentlich noch so Probleme, die eher so nach Kinderkrankheiten klingen.


15 [0:15:39]:



Alexander Kekulé:


Wir hatten das Thema mit der Datenübermittlung schon von Anfang an. Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz des Robert-KochInstituts, bei der man sich entschuldigt hat, dass die Johns Hopkins University immer bessere, schnellere, vollständigere Daten hat. Da hat man angekündigt, dass das in wenigen Wochen das Problem erledigt sein wird. Ich bin sicher, dass man beim Robert Koch-Institut, das als Bundesinstitut keinen Einfluss darauf hat, was ihnen geliefert wird, selber darüber nicht glücklich ist. Und der das ist einfach so. Ich erinnere mich an 2 009, an die sogenannte


Schweinegrippe. Da hat der damalige Bundesgesundheitsminister auch schon angekündigt, er will diese zögerliche Datenübermittlung an das RKI verbessern. Jetzt haben wir es einige Jahre später und sind in einer ähnlichen Situation. Ich hoffe, dass wir diesmal die Lektion gelernt haben.


2  [0:16:34]:



Camillo Schumann

:


Genau, das lassen wir mal so stehen. Herr Kekulé, wir müssen in diesem Podcast über Großveranstaltungen sprechen. Groß waren die Hoffnung, die Deutsche Fußball-Liga und auch die Profiklubs zum Saisonstart wieder mit Fans im Stadion spielen zu können. Die Politik hat den Vereinen einen mächtigen Dämpfer verpasst. Bis zum 31. Oktober seien Spiele vor Fans nicht vorstellbar. Aber parallel laufen in Düsseldorf Vorbereitung für ein Großkonzert mit Bryan Adams und Sarah Connor vor nicht weniger als 13.000 Zuschauern. NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann findet das überhaupt nicht gut. Er habe begründete Zweifel an der rechtlichen Grundlage. Die Stadt Düsseldorf zeigte sich sehr überrascht über diese Kritik. Man habe das Konzept untersucht und es auf der Grundlage der geltenden Corona-Schutzverordnung des Landes NRW geplant. Herr Kekulé, offenbar scheint die Politik in Sachen Großveranstaltung ziemlich nervös zu sein. Sind Sie es auch?


8 [0:17:2 9]:



Alexander Kekulé:


Ich bin nicht nervös, weil am Schluss immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Soweit von der Sache her ist es doch so: Im Prinzip kann man Großveranstaltungen mit sehr großem Aufwand durchführen. Das ist ganz klar. Da müsste man eben bestimmte Dinge machen. Wir haben es bei dem DFLKonzept ja schon besprochen, wie ContactTracing für die Personen, die in den Stadien sind, dass man wirklich gefährliche Kontakte auch einzeln hinterher identifizieren kann. Es ist eher die Frage, ob der Datenschutz da am Ende mitmacht. Dann müsste man unter Umständen vorher Tests machen, dass man weiß, ob die Menschen drinnen infektiös sind. Und dann muss man viele logistische Probleme


lösen, bis hin zu der Frage, wie es auf den Toiletten ist und Ähnliches? Das Gleiche gilt auch für so ein Konzert. Auch bei so einem Konzert es ist seine Freiluftveranstaltung ist das Problem im Prinzip lösbar. Die sind ja nicht mehr Betrunkene drinnen als in dem Fußballspiel. Und 13.000 ist jetzt deutlich weniger als die Zahl, die man da aufgerufen hat für Bundesligaspiele. In beiden Fällen gilt aber Folgendes: Das hat ja auch eine psychologische Signalwirkung. Jetzt haben der Bundesgesundheitsminister und die Gesundheitsminister der Länder gesagt, sie wollen diese Fußballspiele nicht hauptsächlich wegen der Signalwirkung angesichts der steigenden Fallzahlen.


Und diese Überlegung gilt natürlich für das Konzert auch. Man muss sich fragen, was denken sich die Menschen, wenn da 13.000 zusammenkommen? Und wenn es noch so sicher war, aber die Fallzahlen steigen?


Da habe ich schon auch die Befürchtung, dass man das Gefühl bekommt, es ist alles wieder normal, alles wieder in Ordnung, wir müssen uns nicht mehr so sehr schützen vor diesem Virus. Und was machen wir, wenn wir im Herbst dann wirklich in eine Katastrophe schlittern?


2  [0:19:16]:



Camillo Schumann

:


Aber man muss man nicht auch ein bisschen Normalität testen oder VorbildcharakterVeranstaltung haben? Das Konzept sieht vor, dass alle Zuschauer schon beim Ticketkauf registriert werden, nur in zeitlichen Abständen ins Stadion gelassen werden. Außerdem gilt beim Konzert Maskenpflicht und Alkoholverbot. Und zwischen den Sitzplätzen gibt es einen Abstand von 1,50 m. Die Veranstalter wollen mit dem Konzert nach eigenen Angaben ein Signal der Hoffnung in die Welt setzen. Aber wäre es das nicht?


13 [0:19:46]:



Alexander Kekulé:


Ja, das glaube ich schon, das ist ein Proof of Principle. Man will beweisen, dass so etwas im Prinzip möglich ist. Ich habe mich jetzt auch nicht gegen das Hygienekonzept ausgesprochen. Ich glaube von Anfang an, dass solche Großveranstaltungen zum jetzigen Zeitpunkt,


wenn man es genau kontrolliert, möglich sind. Aber das ist halt ein sehr großer Aufwand. Und die Frage, ob das politische Signal das richtige ist, will ich nicht beurteilen. Das sind nur diese 2  Seiten in der Waagschale. Ich als Epidemiologe hätte schon Spaß daran, so was mal auszuprobieren. Das ist ja auch ein großes Experiment. Ich möchte jetzt nicht der Politik in die eine oder andere Richtung da eine Empfehlung geben.


2  [0:2 0:2 7]:



Camillo Schumann

:


Hier im Podcast nehmen wir uns regelmäßig auch Schlagzeilen vor, die auf den 1. Blick gut klingen, aber unbedingt eingeordnet werden müssen. Beispiel: Impfstoffe. Die ganze Welt wartet sehnsüchtig auf einen Impfstoff, der die Rückkehr zu einem normalen Leben verspricht. Vielleicht dann auch wieder Großkonzerte und Fußballspiele. Aber noch hat es ja keinen Hersteller über die Ziellinie geschafft. Da sorgt dann diese Überschrift. „Putin lässt fragwürdigen Impfstoff zu. Tochter schon geimpft?“ für Aufsehen. Krankenhausmitarbeiter sollen auch zur Immunisierung eingeladen worden sein. Da scheint ein Impfstoff gefunden worden zu sein. Sagen Sie, was Sie dazu gefunden haben. Viel ist es nicht. Was kann man über diesen Impfstoff sagen?


16 [0:2 1:13]:



Alexander Kekulé:


Ich habe ein bisschen recherchiert, worum es da geht. Bei den russischen Kollegen haben wir in diesem Bereich in Deutschland keine wirklichen Einblicke in das, was die machen. Das ist anders als in Hongkong, wo man unmittelbaren Kontakt hat und anderen Gegenden der Welt. Es ist hier unklar, was die entwickelt haben. Diese Studie, dieser Impfstoff um den es da geht, der heißt Gam Covid-Vac-Lyo. Vac wie Vacin, Lyo von lyophilisiert, also gefriergetrocknet offensichtlich. Und Gam ist das Gamalea-Forschungsinstitut. Das ist ein großes russisches immunologisches Institut, was es schon lange gibt. Dieser Nicolas Gamalea war ein berühmter Immunologe in Russland, ein Schüler von Metschnikow, den vielleicht viele kennen. Und es ist so, dass man nach der offiziellen Studie, die da jetzt publiziert wurde, nur 38 Patienten hatte. Das ist so die Zahl, die so


im Raum stand. Der Impfstoff, den man da verwendet hat, ist ein Vektor-Impfstoff, also einer, der mit einem Virus funktioniert, so ähnlich wie der vom Jenner-Institute in Oxford, über den wir gesprochen haben. Nur dass hier der Vektor wieder ein Adenovirus ist, aber nicht wie bei dem Jenner-Institut, einen Adenovirus, der vom Schimpansen stammt, sondern eine Kombination von 2  menschlichen Adenoviren, die man als Basis für diesen Impfstoff verwendet hat.



Camillo Schumann

:


Das ist ja etwas Neues, oder?



Alexander Kekulé:


Das ist nicht so neu, wie es klingt. Der Schimpansen-Impfstoff ist relativ neu. Aber diese Adenoviren, da gibt es den Adeno 5. Das ist so ein klassischer Erkältungserreger, und der ist einer der Urgesteine der viralen Therapie gewesen. Die Idee, Viren umzuprogrammieren, um damit Krebs zu bekämpfen oder eben auch zu impfen ist schon uralt. Adeno 5 ist einer der ältesten, mit denen das gemacht wurde.


Es steht in der Studie nicht drin, welche Generation von diesem Impfstoff es war. Und das ist aber ein wichtiges Thema, weil wir bei diesem Impfstoffen wissen, dass das am Anfang ziemlich schiefgegangen ist. Das ist ja ein Virus, der auch Erkältungen machen kann. Da baut man einen Teil raus aus dem Virus und stattdessen baut man etwas ein, das dazu führt, dass die befallene Zelle ein Protein produziert, was so ähnlich aussieht wie ein Stück vom Covid19Erreger. Und dadurch kommt es dann zur Immunisierung.


Das Problem ist nur, dass dieses Virus, was man da so ein bisschen ausgehöhlt hat, dass das trotzdem noch eine Teilfunktion behält. Das stimuliert zum Beispiel das Immunsystem, dort den angeborenen Teil der Immunantwort. Und deshalb hat man mit diesen Sektoren am Anfang auch richtige Probleme gehabt, und zwar in dem Sinn, dass die Menschen zum Teil eine Überstimulation des Immunsystems hatten. Zum Teil war es aber auch dann umgekehrt so, dass andere, die mit dem einem ähnlichen natürlichen Virus schon Kontakt hatten, aufgrund dieser Kreuzimmunität sofort den Adeno-Impfstoff eliminiert haben und darauf nicht immunologisch richtig reagiert haben.


Und es gab eben auch so Verstärker-Effekte, insbesondere wenn man da eine 2 . Impfung gemacht hat. Oft muss man ja bei einer Impfung 2 -mal nacheinander impfen, damit die Wirkung richtig da ist. Und bei der 2 . Impfung hat man besonders viele Probleme gesehen.


Wie alle diese Dinge überwunden werden sollen, steht da nicht drin. Man will offensichtlich in diesem Fall die 1. Impfung mit einem Vektor machen, der heißt Adeno 2 6. Der ist nicht ganz so häufig. Da gibt es nicht so häufig Immunität in der Allgemeinbevölkerung. Und dann den 2 . Schuss machen mit einem Adeno 5-Vektor. Ob das jemals in Russland funktioniert hat, ist unklar. Wir haben mit diesen Systemen mit der 1.Generattion und 2 . Generation von Viren keine guten Erfolge gehabt. Es gibt jetzt die 3. Generation, bei der ich aber nicht weiß, ob die Russen das überhaupt haben. Ich bin gespannt, ob es funktioniert und ob es Nebenwirkungen hat, denn die Nebenwirkungen werden natürlich fürchterlich, wenn man da Millionen von Menschen impft und dann feststellt, dass ein erheblicher Teil von denen zum Beispiel immunologische Probleme bekommt.



Camillo Schumann

:


Russlands Präsident Putin sagt auch, dieser Wirkstoff bildet eine beständige Immunität.



Alexander Kekulé:


Wir wissen, dass die IGG-Antikörper, also das, was man misst, wenn man einen Bluttest macht um festzustellen, ob jemand die Infektion durchgemacht hat. Die verschwinden ja nach 2 -3 Monaten, bei dem Sars-CoV-2  nicht immer, aber sehr häufig. Und das ist ein Problem für den Nachweis.


Aber wir wissen ja schon seit einiger Zeit das war auch übrigens bei dem 1.Sars-Virus so ähnlich -, dass es eine T-zelluläre Antwort gibt. Also nicht diese Antikörper, sondern die Immunzellen, die weiße Blutzellen, die sich das einfach gemerkt haben, wie dieses Virus aussieht. Und wenn es dann wiederkommt, können sie auch nach vielen Jahren richtig darauf reagieren. So etwas in der Art ist höchstwahrscheinlich auch mit einem Adeno-Vektor zu erzielen.


Ich würde davon ausgehen, wenn es eine Immunisierung gibt, dass es auch mit diesem


System eine Immunisierung geben wird, das kann schon funktionieren. Ich habe nur noch ein bisschen Bedenken wegen der Nebenwirkungen.


2  [0:2 6:2 7]:



Camillo Schumann

:


Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen, so hat es Putin gesagt. Und die Töchter sind ja noch relativ jung. Da dürfte es mit den Nebenwirkungen auch nicht so toll sein, oder?


17 [0:2 6:38]:



Alexander Kekulé:


Das kann man schwer vorhersagen mit den Nebenwirkungen. Aber es ist klar: Der erinnert sich an den berühmten Sputnik-Schock von 1957, 1 Jahr bevor ich geboren wurde. Aber das ist ja historisch. Damals haben die Russen oder die Sowjets damals noch den Sputnik als 1. Satelliten in den Weltraum geschossen, und die Welt war geschockt. Und da hat er jetzt offensichtlich Spaß dran, an die gute alte Zeit anzuknüpfen. Und jetzt sagt er: Schaut her, wir sind wieder die ersten. Ich glaube, der 1. Mann im Weltraum, Gagarin, war auch aus der Gegend. Das heißt also, daran anzuschließen und setzt deshalb eins drauf mit seiner Tochter. Eine geimpfte Person ist natürlich überhaupt nichts. Und ob die jetzt krank geworden ist, wird niemand erfahren. Man muss aber Folgendes sagen: Mit diesen Adeno-Impfstoffen, also mit den klassischen wie dieser Adeno 5 zum Beispiel, ist ja schon viel versucht worden. Ich erinnere mich an die HIValso AIDSImpfstoffe, die man versucht hat zu machen. Da hat 2 005 bis 2 007 Merck eine riesige Studie gemacht, wo man versucht hat, Immunisierung herbeizuführen, die sogenannte Step-Trails. Damals ist es auch so gewesen, dass man relativ erfolgreich Immunzellen gegen AIDS-Viren generiert hat. Da waren alle begeistert. Und dann hat man aber festgestellt, dass, in einer größeren Studie da wurden ein paar tausend Patienten untersucht von den geimpften Menschen mehr AIDS bekommen haben als von den nicht geimpften. Und zwar deshalb, weil man festgestellt hat, das eine vorherige Infektion mit dem Adeno 5-Vektor oder auch mit dem Original-Virus dazu führt, dass die Empfindlichkeit für AIDS höher ist und das


Immunsystem Aids-Infektionen nicht so leicht abwehren werden kann. Ähnliche Ergebnisse hatte man bei späteren Studien noch mal in Südafrika. Es gibt andere Versuche mit solchen humanen Adeno-Vektoren gegen Tuberkulose, Malaria, Ebola. Sogar gegen die Vogelgrippe hat man es versucht. Und nirgendwo ist bisher was Vernünftiges rausgekommen, sodass das jetzt nicht meine 1. Wahl gewesen wäre. Es wäre jetzt Glück, wenn es in dem Fall einfach mal klappt.


Das will ich nicht ausschließen. Aber Putin hat da im Grunde genommen auf ein System gesetzt, wo wahrscheinlich die Leiter des Impfstoffprojektes am Jenner Institute, die das mit dem Schimpansen-Virus machen, sagen würden, neben dem hätten wir gar nicht erst angefangen.


2  [0:2 9:10]: 

Camillo Schumann

: Okay, wir sind gespannt. Mal sehen, wie dann die Flächenwirkung dieses Impfstoffs ist. Wir halten Sie, lieber Hörer, auf dem Laufenden. In Deutschland werden Impfstoffe vom PaulEhrlich-Institut zugelassen. Dessen Leiter Klaus Cichutek hat nun gesagt, ich gehe derzeit davon aus, dass es Ende 2 02 0 und Anfang nächsten Jahres eine Zulassung geben wird. Vorausgesetzt, die Phase3-Prüfungsdaten sind positiv. Man muss ja sagen: Zulassung bedeutet nicht, dass man sich kurz darauf impfen lassen kann.


13 [0:2 9:38]:



Alexander Kekulé:


Wenn Sie der Eigentümer der Firma sind, dann schon. Zulassung heißt Zulassung. Wenn Sie den Impfstoff haben, dann haben sie ihn. Normalerweise laufen solche Zulassungen stufenweise. In dem Fall ist es fast sicher zu erwarten, weil man ja hier das sehr beschleunigt haben will. Das heißt, man wird wahrscheinlich sagen, um für 80 Millionen Deutsche eine Abschätzung zu bekommen: Wie häufig da Nebenwirkungen auftreten, man wird wahrscheinlich verlangen, dass 10.000 Menschen geimpft sind in einer Phase drei und die lange genug beobachtet wurden. Ich weiß nicht, wie lange die da verlangen werden. Ich würde mal schätzen 6-8 Wochen in der Größenordnung. Und wenn man sagt, gut, bei den allen gab es keine relevanten Nebenwirkun-


gen, und es gab aber eine erkennbare Immunisierung sowohl was die Antikörper betrifft als auch diese T-Zellen , dann wird das PaulEhrlich-Institut den Impfstoff zulassen und normalerweise so eine Liste von Auflagen machen. Dann sagen die dann immer: Diese Daten hätten wir noch gerne eins, zwei, drei, vier, fünf, und das muss man dann sozusagen nach der Zulassung noch liefern. Da kriegt man eine gewisse Frist, um das abzuliefern. Das heißt, die ersten Impfungen laufen quasi im Rahmen von Studien, die aber Nachzulassungsstudien, Phase4-Studien, sind. Bis eine Großproduktion läuft, bis das alles in Röhrchen verpackt ist und dann vor allem die Gesundheitsämter bereit sind, Massenimpfungen zu machen, dauert es eine Weile, sodass ich jetzt vom Zeitplan, den wir hier immer so ein bisschen in den Raum gestellt haben, frühestens April, wahrscheinlich im Juni nächsten Jahres, wenn es gut geht, bis Ende nächsten Jahres, dass das bis Ende nächsten Jahres die Sache halbwegs erledigt ist. Ich glaube, von diesem Zeitplan müssen wir an dieser Stelle keine Korrektur vornehmen.



Camillo Schumann

:


Aber das ist ja auch schon mal eine positive Nachricht, dass sich das eigentlich in den letzten Monaten überhaupt nicht verändert hat.



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so genau. Wenn so ein optimistischer Plan im Grunde genommen nicht korrigiert werden muss, dann ist das eine sehr gute Nachricht. Und ich muss jetzt sagen, ich beobachte genau die Daten der verschiedenen Impfstoff-Entwicklungen, die jetzt gerade laufen, die auch in Phase 3 sind. Es sieht überall so aus, dass diese Coronaviren, auch dieses Sars-CoV-2 , keine Problembären im Reich der Viren sind in dem Sinne, dass sie wahnsinnig schwierig zu impfen wären. Wir haben ja AIDS, wir haben Hepatitis. Wir haben viele Bereiche, wo es so ist, dass der Erreger selber uns ein Schnippchen schlägt. Das ist bei Sars-CoV-2  offensichtlich nicht der Fall. Also sieht alles so aus, als könnte es eine Punktlandung werden, die sozusagen beim 1.Landeanflug gleich gut geht.


19 [0:32 :30]:



Camillo Schumann

:


Wäre ja super, so Herr Kekulé, wir kommen im Potcast noch zu Urlaubserlebnissen. Wir haben unsere Hörer aufgerufen, Erlebnisse aus dem zu erzählen, nämlich wie dort mit dem Virus umgegangen wird. Und Herr R. hat uns geschrieben und hat eine Warnung. Er schreibt:


„Kroatien muss sofort als Risikoland eingestuft werden, damit es nicht zu einem 2 . Ischgl kommt. Vor allem in der Partyhochburg Novalja dürfen junge Menschen feiern, als ob es kein Corona gibt. Die Diskotheken sind bis weit nach Mitternacht geöffnet, Abstand und Hygieneregeln werden komplett außer Acht gelassen. Erste Corona-Heimkehrer, wie mit den neuen Abiturienten aus Donstorf oder den 2  Abiturienten aus Altötting zeigen dies ja auch. Nur, wer lässt sich denn freiwillig testen? Vor allem, welche Partyurlauber? Niemand.“ Und jetzt kommt seine Forderung, Kroatien muss ganz dringend als Risikoland eingestuft werden. Grundsätzlich: Wann wird ein Land ein Risikoland? Da gibt es mehrere Parameter. Finden Sie, dass die Parameter dann auch immer gut geupdatet werden, dass man auch immer rechtzeitig reagieren kann?


2 0 [0:33:38] :



Alexander Kekulé:


Man gibt sich natürlich alle Mühe. Das macht das Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Auswärtigen Amt gewissenhaft. Die Parameter sind ja hauptsächlich Statistiken aus dem Land. Man schaut sich an, wie viele Fälle gibt es da pro Einwohner, und man guckt sich dann als 2 . an, wie gut wird da getestet? Also können die das überhaupt wissen, was sie da behaupten. Und als 3. gibt so einige schwache Bewertung noch mit dabei wie, sind das unsere Freunde oder sagen die uns vielleicht nicht die Wahrheit. Mit diesem Dreigestirn wird letztlich eine Risikobewertung gemacht. Klar, das ist eine Daumenpeilung. Aber ich glaube, dass die nicht so schlecht ist.


Die Frage, die man stellen muss, ist ja eine ganz andere. Ich weiß jetzt nicht, wie die Zahlen in Kroatien sind. Aber was dort passiert, ist ja etwas, was man aus Ischgl eben aus bestimmten Kneipen in Mallorca, aus der Situation am Wörthersee z.T. gesehen hat: Dass einzelne Urlaubergruppen einfach im Urlaub feiern, als gäbe es kein Morgen.


Und da wird man, wenn man die Zahlen des gesamten Landes ermittelt oder auch die gesundheitlichen Bemühungen im gesamten Land betrachtet, nicht viel weiterkommen. Deshalb muss man vielleicht eine andere Stufe da einziehen. Wie verhalten sich denn die Touristen im Ausland? Bei Kroatien ist nun bekannt, dass es ganz viele preisgünstig angebotene Reisen für Abiturienten gibt. Das hat schon Tradition, dass die da in großen Zahlen hinkommen und feiern und dann dort ihre Abitur-Partys veranstalten. Da braucht man ja eigentlich kein Experte zu sein, um zu sagen, dass da ein hohes Risiko für eine Übertragung im Raum steht. Man müsste bei den Urlaubsdestinationen prüfen: Ist dort, von der Art, wie dort Urlaub gemacht wird, ein hohes Risiko, dass viele Menschen zusammen auf engem Raum mit schlechter Lüftung sind. Und wenn man das antizipieren kann. Und da glaube ich, dass Reiseveranstalter und das Auswärtige Amt durchaus des Know-how hätten, das zu machen, dann müsste man vielleicht bei dieser Art von Reisen wirklich von vornherein sagen: Wenn ihr das macht, dann müsst ihr euch testen lassen, wenn ihr zurückkommt.


2  [0:35:50]:



Camillo Schumann

:


Wir kommen zu den Hörer-Fragen. Frau A. aus Bremen hatte angerufen. Sie will im September mit dem Zug von Bremen nach München fahren und hat dazu folgende Frage:


„Die Apotheke hat mir empfohlen, 2  verschiedene FFP2 -Masken zu nehmen, damit ich sie wechseln kann auf der langen Strecke. Aber sehen Sie es als okay an, dass man zwischendurch mal einmal im Speisewagen mit dem eigenen Partner am Tisch sitzt, also nicht mit Fremden etwas isst und was trinkt auf der Strecke, es ist doch so lang. Vielen Dank für Ihre Antwort.“


15 [0:36:2 8]:



Alexander Kekulé:


Ich kann nur sagen also ich selber fahre viel Zug, und ich setze mich nicht in den Speisewagen. Einfach deshalb, weil man da gemütlich isst, kann man nicht die ganze Zeit die Maske im Gesicht lassen. Ich habe tatsächlich im Zug auch eine FFP2 -Maske auf, und ich setze die nur ab, um Wasser zu trinken oder mal zwi-


schendurch eine Brezel zu essen. Jetzt können sie natürlich sagen naja, wenn jemand sein Leben lang mit Viren zu tun hatte, dann ist er vielleicht ein bisschen übervorsichtig. Aber so mache ich das halt einfach. Deshalb kann ich jemanden anders nicht einfach empfehlen, sich in den Speisewagen zu setzen. Sie wissen nicht, wer da sonst noch ist. Wir wissen, dass im Sommer zum Teil sogar die Klimaanlagen nicht so gut funktionieren in den Zügen. Und es ist ja so, dass ein Großteil der Luft rezirkuliert wird in der Bahn. Ich weiß nicht genau, wie viel Prozent beim Flugzeug es sind, etwa 50%, meine ich. Bei der Bahn geht es Richtung 70%, die re-zirkuliert werden. Das heißt, das ist Luft aus dem Raum, die wieder in den Raum geblasen wird. Wenn so ein Zug richtig voll ist, würde ich mich da unwohl fühlen, selbst wenn der, der neben mir im Speisewagen sitzt, vielleicht jemand ist, vor dem ich keine Angst haben muss.


2  [0:37:37]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 93. Heute gibt es mal wieder die positive Nachricht zum Schluss, Herr Keklué: Deutschland ist in der Corona-Pandemie nach Einschätzung vieler Menschen enger zusammengerückt. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage, über die eine große Boulevardzeitung berichtet. Deutschland ist in der Corona-Krise zusammengerückt. Das ist doch was.


13 [0:37:59]:



Alexander Kekulé:


Na, dann hoffe ich mal, dass es auch so bleibt und dass das Virus nicht zum Spaltpilz wird, sondern uns halbwegs vereinigen kann.


2  [0:38:07]:



Camillo Schumann

:


Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé:


Bis dann, Herr Schumann, danke.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:


mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 08.08.2 02 0 #92 : Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass


[0:00:10] 

Camillo Schumann



Was sind Initial-Fälle?  Ist eine schnelle Umarmung ohne


Maske, ohne Gefahr möglich?  Besser die Jüngeren und nicht die Älte-


ren impfen?  Wieso ist man gegen manche Viren le-


benslang immun und gegen manche


nicht? Diese und viele weitere Fragen wollen wir wieder in einem Kekulé Corona-Kompass Spezial beantworten. Die Fragen kamen von Ihnen. Die Antworten von dem Virologen und Epidemiologen, 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Herr S. hat gemailt. Er schreibt: „Ich bin 53 Jahre alt, 1,92  Meter groß. Ich wiege 100 kg und habe Blutgruppe A positiv. Nun kommt meine Frage: Ich bin impfaffin und lasse mich seit circa 15 Jahren jeden Herbst gegen die Grippe impfen. Auch die angebotenen Impfungen gegen die Hühnerund die Schweinegrippe habe ich vornehmen lassen. Ist es möglich, dass ich im Falle einer Infektion durch das SARS CoV2 -Virus nicht so heftig erkranke, da mein Immunsystem durch die vorangegangenen Impfungen schon an ähnliche Coronaviren gewöhnt ist und die Immunantwort früher und besser erfolgt?“



Alexander Kekulé


Typisch wäre das nicht. Wir wissen, dass es Kreuzimmunität gibt, wenn eine ähnliche Impfung stattgefunden hat. Zum Beispiel wenn man lebenslänglich immer wieder diese Influenza-Impfungen gemacht hat. Auch wenn die im Einzelfall oft nicht so gut funktionieren und manchmal in dem Jahr der Impfstoff nicht optimal gewählt wurde. Dann baut man sukzessive eine Immunität gegen andere Arten von Influenzaviren auf. Das könnte theoretisch auch bei einem ganz neuen Influenza-Virus einen gewissen Schutz herleiten. Zumindest, dass man keine so schwere Erkrankung hat. Das ist zumindest theoretisch möglich. Das Gleiche gilt für die Coronaviren. Wenn man im Laufe des Lebens diese Coronaviren gesammelt hat. Da gibt es ja auch welche, die ganz normale Erkältungen machen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass es einen gewissen Schutz gibt gegen Covid19. Es gibt keine Studie dazu. Aber es wäre zumindest nicht völlig unplausibel. So kann man es vielleicht mal formulieren. Aber es gibt keine Impfungen gegen Coronaviren, sodass also der Hörer dadurch, dass er sich gegen andere Viren geimpft hat, wahrscheinlich nicht irgendwie geschützt hat gegen Corona. Das ist leider so, dass man davon in dem Fall nicht ausgehen kann.


[0:02 :2 8] 

Camillo Schumann

 Dieser Herr hat angerufen. Er ist ein bisschen schlecht zu verstehen. Die Frage ist aber interessant.


[0:02 :35] Zuhörer Der Unterschied zwischen Initial-Fällen und Sekundär-Fällen ist nicht so richtig klar. Eine Klarstellung wäre schön. Dankeschön!


[0:02 :44] 

Camillo Schumann

 Der Unterschied zwischen Initialund Sekundär-Fällen?



Alexander Kekulé


Das kann man nicht so gegenüberstellen. Initial-Fälle, das ist ja ein Begriff, den ich da ins


Spiel gebracht habe. Damit sind gemeint solche Fälle, die nicht zu einer bekannten Infektionskette gehören. Das heißt aus Sicht des Gesundheitsamts: Wenn die einen neuen Fall haben, den sie keiner bekannten Infektionskette zuordnen können. Dann ist das ein InitialFall. Und wenn Sie bei Tönnies den Fall Nummer 12 15 haben, dann ist das ein Fall, der eben einem bekannten Infektionsgeschehen zugeordnet ist. In der Literatur benutzt man das, um Wahrscheinlichkeiten auszurechnen, wie gut Behörden hinterherkommen bei der Nachverfolgung. Weil, wenn sie einen Ausbruch in einem bekannten Geschehen haben, in einem Krankenhaus zum Beispiel und dann sagt jemand: Da ist übrigens noch eine Schwester krank. Dann ist es relativ einfach, die auch noch in Quarantäne zu bringen. Oder vielleicht war sie schon vorher in Quarantäne, kommt dann in die Isolierung. Wenn es aber ganz neue Fälle sind, dann ist das eine viel höhere Belastung für das Gesundheitsamt. Und darum habe ich ja dafür plädiert, dass man diese Initial-Fälle als Maßstab nimmt und nicht einfach pauschal die neue Erkrankungen. Dafür ist der Begriff wichtig.



Camillo Schumann



Sekundär-Fälle?



Alexander Kekulé


Wir sagen Sekundär-Fall, wenn ich einen Fall schon kenne. Und dann stelle ich fest, dass eine Kontaktperson krank geworden ist. Das wird ja oft bei der Nachverfolgung gemacht. Die Leute geben an, mit wem Sie Kontakt hatten. Und dann stellt man fest, jemand von denen hat sich infiziert. Das wäre ein Sekundär-Fall. Und dann wird dieser Infizierte natürlich auch wieder sauber interviewt und muss sagen, wo er wiederum in den letzten vier Tagen war. Und wenn man dann noch jemanden findet, dann wäre das ein Tertia-Fall, also dritte Stufe. Das ist sozusagen die Nachverfolgung an primär sekundär und tertier.


[0:04:32 ] 

Camillo Schumann

 Und Patient Zero wäre der Patient, der es überhaupt ins Land gebracht hat. Zum Beispiel in Deutschland die junge Dame aus China.


[0:04:42 ] 

Alexander Kekulé Nein, es kommt immer auf die Ausbruchssituation an. In Deutschland wäre der Patient Zero. -Die Deutschen sagen da Index-Fall dazu. Der Index-Fall ist quasi der, der einen bestimmten Ausbruch, der eine kleine Epidemie verursacht hat. Also diese Chinesin, die bei Webasto in der Nähe von München gearbeitet hat und dort dann eine Reihe von Mitarbeitern angesteckt hat. Das war der Index-Fall dieses Ausbruchs. Aber natürlich nicht der Index-Fall für die ganze deutsche Epidemie, weil wir später ganz viele Einschleppungen insbesondere aus Norditalien hatten. Da gab es theoretisch für jede einzelne Situation wieder einen IndexFall. Dieser berühmte Ausbruch in Gangelt in Nordrhein Westfalen. Da gab es sicher jemanden, der das eingeschleppt hat. Genauso wissen wir bei dem ersten SARS-Ausbruch von 2 003. Da ist sogar höchstwahrscheinlich der Index-Fall für den weltweiten Ausbruch bekannt. Da weiß man, wer in einer Region von China in Guangdong dort es war. Ein Mann glaube ich und sein Sohn. Es waren tatsächlich die 2 allerersten registrierten Fälle dort in der Region. Das ist das ist dann immer der Index-Fall entweder eines bestimmten Ausbruchs oder eines kleineren Geschehens oder auch einer ganzen Pandemie, wenn man den mal zu fassen kriegt. Es gibt auch bei dieser Pandemie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Index-Fall, weil die so wie die Viren aussehen. Da war am Anfang wahrscheinlich eine einzige Übertragung vom Tier auf den Menschen verantwortlich für diese konkrete Pandemie.


[0:06:14] 

Camillo Schumann

 30 Grad im Schatten oder noch heißer wird es die kommenden Tage und diese Dame will ins Freibad gehen.


[0:06:19] Zuhörerin Gibt ist eine Ansteckungs-Gefahr im Wasser, wo die Menschen zugleich schwimmen und eventuell ausspucken oder rein pinkeln? Wie gefährlich ist das Baden mit mehreren anderen in einem öffentlichen Freibad, was ja kein richtiges Fließgewässer ist.


[0:06:43] 

Alexander Kekulé Ich gehe davon aus, dass die Infektionsgefahr in Freibädern übers Wasser minimal ist. Die würde ich vernachlässigen, weil das Virus im Wasser in Freibädern, es ist ja sogar gechlort in der Regel, das Virus hält sich da nicht besonders lange und es wird schlagartig verdünnt. Selbst wenn jemand das auf der Haut hatte oder im Speichel oder sonst wo. Es gibt auch keinen Fall, wo wirklich über so einen indirekten Weg, eine Übertragung stattgefunden hätte. Man kann es natürlich nie ausschließen. Vielleicht ist das am Ende dieser Pandemie so, dass wir weltweit zehn Fälle beschrieben haben, wo man das Schwimmbad bekommen hat. Aber selbst wenn es dieses Risiko gäbe, würde mich das nicht davon abhalten, an einem heißen Tag ins Wasser zu springen.


[0:07:2 6] 

Camillo Schumann

 Herr R. hat uns gemailt. Er macht sich wegen der steigenden Infektionszahlen und auch wegen der Schulöffnung große Sorgen. Deshalb seine Frage: „Sollten wir nicht in vorauseilendem Gehorsam vor Schulbeginn die Chance nutzen, alle Schüler, Lehrer, Hausmeister und so weiter verpflichten zu testen. Das heißt ohne aktuelles Testergebnis kein Schulbesuch?“


[0:07:48] 

Alexander Kekulé Wenn Sie, wenn Sie den Virologen fragen, kriegen sie eine virologische Antwort und keine politische. Und wenn ich das gemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich gesagt: So wir nehmen den Ort XY und machen da erstmal 2 Kindergärten und 2 Schulen auf unter genauer Kontrolle. Und die testen wir alle vorher genau, wie es der Hörer vorgeschlagen hat. Bundesweit das zu machen. Das weiß ich nicht, ob das logistisch irgendwie möglich wäre. Selbst wenn Sie pro Bundesland sagen: Alle müssen am Tag vorher getestet werden. Das gibt einen Ansturm auf die Labore. Das müsste man logistisch schon ganz gut machen. Aber es ist völlig klar, dass in Situationen, wo die Abstände nicht mehr eingehalten werden können und wo Menschen im geschlossenen Raum


keine Masken aufhaben sollen und wo wir einen Hintergrund haben, wo doch immer wieder Infektionen zu erwarten sind. Dass da der Test eine zusätzliche Sicherheit bringt. Keine 100-prozentige. Ich glaube, es ist allen klar. Kann sein, dass man in der Inkubationszeit ist. Kann sein, dass man sich am nächsten Tag erst ansteckt. Aber es ist auf jeden Fall eine erhebliche zusätzliche Sicherheit. Gerade am Ende der Ferien, wo ja viele sich in den Ferien anders verhalten haben, als es hier in Deutschland vorgeschrieben ist.



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen, denn sie hat eine interessante Beobachtung gemacht


[0:09:02 ] Zuhörerin Ich habe eine Beobachtung gemacht im Fernsehen, dass unsere Bundeskanzlerin einen Mund-Nasen-Schutz trug. Aber dieser MundNasen-Schutz bewegte sich wie ein Ballon vor und zurück, vor und zurück. Ich frage mich: Ist da diese Maske noch sicher?


[0:09:2 3] 

Alexander Kekulé Ja, schon. Also dieser normale Mund-NasenSchutz hat nicht den Zweck wie eine Sicherheitsmaßnahme, also FFP-Maske, FFP2  oder FFP3. So einer hat nicht den Zweck, wirklich den Träger halbwegs zuverlässig vor Viren zu schützen. Das macht den Mund-Nasenschutz nur bedingt sicher. Aber kleine Tröpfchen, die beim Ausatmen abgegeben werden, die bleiben eben an der Maske hängen, auch wenn die Luft um die Ecke geleitet und über die Backe rausgeblasen wird. Als Bei-Luft sozusagen. Und auch beim Einatmen. Wenn es so ist, dass in dem Fall die Kanzlerin vielleicht mal tief schnaufen muss, weil sie irgendeine schwere Entscheidung treffen muss. Wenn die dann tief einatmet, kann es schon mal sein, dass sie die Luft seitlich neben einer Maske reinzieht. Da ist nun auch die Frage, wie sollen da Tröpfchen hinkommen? Da müsste quasi im gleichen Moment sie jemand von der Seite intensiv ansprechen, damit sie sozusagen dessen Abluft direkt in die Maske bekommen, sodass ich sage, für den Alltag selbst einer Bundeskanzlerin ist das ein zuverlässigste Instrument, so ein


Mund-Nasen-Schutz. In Extremsituationen, wo man mit Aerosolen rechnen muss. Stichwort Fernbus, Stichwort Zug, Stichwort Flugzeug oder vielleicht Toilette im Fußballstadion. Demnächst, da würde ich dann eher den FFP-2  Schutz empfehlen, weil der in der Tat natürlich sicherer ist als ein einfacher Mund-NasenSchutz.


[0:10:43] 

Camillo Schumann

 Herr W. hat uns geschrieben: „Ich habe eine Frage, die mich schon fast mein ganzes Leben beschäftigt. Woran liegt es eigentlich, dass manche durchgemachte Viruserkrankung eine lebenslange Immunität hinterlassen und manche eben nicht. Viele Grüße.“


Sie haben sich ja als Virologe ein ganzes Leben lang damit beschäftigt. Haben Sie eine Antwort gefunden?



Alexander Kekulé


Es gibt keine endgültige Antwort darauf. Aber ich kann sagen, was so ein bisschen die Idee dabei ist. Das sind 2 Faktoren: Das eine ist das Virus und das andere ist die Immunabwehr. Beim Virus ist es relativ einfach gesagt. Es gibt Viren, die sich nicht besonders stark verändern, die genetisch stabil bleiben. Berühmt ist dafür das Masernvirus zum Beispiel oder auch das Pockenvirus, was ausgerottet wurde. Das sind Viren, die, obwohl sie viele, viele Menschen infiziert haben und weltweite Pandemie ausgelöst haben. Die haben sich genetisch in diesem ganzen Lauf wenig verändert haben. Da waren offensichtlich Faktoren am Spiele, die das Virus gezwungen haben, so zu bleiben, wie es ist, damit es in seiner ökologischen Nische überleben kann. Sozusagen Survival of the fittest nach einem Darwinschen Prinzip.


Dann gibt es andere Viren. Dazu gehören die Coronaviren natürlich, die verändern sich ständig. Da ist es so: die können nach einem Jahr wiederkommen. Fast das gleiche Virus hat seine Oberfläche bisschen verändert und das Immunsystem ist nicht mehr immun dagegen, weil es ein bisschen anders aussieht. Dann macht man die Krankheit noch mal durch. Das ist der virologische Faktor und das andere ist


die Immunantwort des Wirts. Das ist der Grund, warum wir gegen bestimmte Erkrankungen immun sind. Es ist nicht immer genau der gleiche. Wir erleben das als immun. Ja, man sagt: Ich bin immun. Aber warum ist man immun? Warum wird man überhaupt nicht krank? Das ist nicht immer der gleiche Mechanismus. Da gibt's Riesenunterschiede zwischen Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten. Das wäre eine lange Vorlesung. Aber bei den Viren ist das so, dass die Immunantwort sehr stark antikörper-getragen ist, also von den B-Zellen. Die produzieren die Antikörper. Manchmal ist sie auch sehr stark von der zellulären Antwort getragen. Je nachdem welche Zellen im Körper von dem Virus bevorzugt befallen werden. Da sind manchmal Zellen notwendig, um ein Virus, was in einer anderen Zelle drinnen ist, aufzuspüren und zu eliminieren. Und weil es verschiedene Immunantwort-Mechanismen gibt und jeder genetisch unterschiedlich ist, gibt es eben Menschen, bei denen hält die Immunität länger und bei anderen nicht so lange.


[0:13:14] 

Camillo Schumann

 Diese Dame hat einen ganz wichtigen Grund, warum sie angerufen hat. Sie würde gern mal wieder körperliche Nähe spüren. Wenn auch nur ganz kurz.


Zuhörerin


Wenn ich meine Freundin sich in den Arm nehmen in der Wohnung ohne Mundschutz. Das ist eine Sache von vielleicht zehn Sekunden. Können wir uns da anstecken? Und wie ist das, wenn wir Mundschutz tragen. Das wäre meine Frage, ob das in irgendeiner Art und Weise gefährlich ist.


[0:13:42 ] 

Alexander Kekulé Also es gibt da 2 Möglichkeiten, das sicher zu gestalten. Das eine ist, wenn Sie beide sicher sind, dass Sie sich sehr, sehr gewissenhaft verhalten und glauben, dass Sie die Infektionen vermieden haben. Dann können Sie sich so wie in der Familie natürlich umarmen. Wenn Sie da nicht so ganz sicher sind, weil ihre Freundin vielleicht Krankenschwester ist und berufliche Risiken hat und gar nicht anders kann, als gelegentlich mal ein Risiko einzugehen. Dann gibt


es die Variante, dass man bei der Umarmung versucht, die Infektion zu minimieren. Das eine ist, dass man hinterher, wenn es irgendwie geht, sich das Gesicht wäscht. Aber es wäre von Vorteil, wenn man eine Gesicht-zu-Gesicht Berührung hatte. Das andere ist, man muss sich ja nicht direkt gegenseitig anatmen beim Umarmen. Man kann sich ja so umarmen, dass man sich nicht die Atemluft ins Gesicht bläst. Im Extremfall gibt es ja auch Leute, die halten zehn Sekunden die Luft an. Manche Teenager sind ja so aufgeregt, dass sie beim Umarmen immer unwillkürlich die Luft anhalten. Deshalb kann man sich so etwas vorstellen. Also das Gefährliche bei dieser Infektion ist hauptsächlich die Ausatemluft und die Schmierinfektion. Nur dann, wenn man das Virus auf der Haut behält und sich hinterher in die Schleimhäute einreibt. Mit diesem Wissen kann man eine Umarmung so gestalten, dass das sicher ist.


[0:15:02 ] 

Camillo Schumann

 Apropos Luftanhalten. Mir geht es genauso. Reflexartig halte ich die Luft an, wenn ich jemanden im Treppenhaus sehe oder mir jemand entgegenkommt auf dem Bürgersteig. Das mache ich übrigens auch, wenn vor mir jemand raucht auf der Straße. Dann halte ich die Luft an. Ich gehe dann rüber. Genauso mache ich es auch in brenzligen CoronaSituationen. Einfach mal ein Luftanhalten. Ist ja auch eine Variante?


[0:15:2 7] 

Alexander Kekulé Das können wir natürlich im Podcast niemandem empfehlen. Nachher fallen die Leute blau um und wir waren schuld. Nicht jeder ist ja sozusagen Hobbytaucher. Also ich glaube, solche Erlebnisse hat jeder. Der Reflex ist nicht falsch. Das ist ja so, dass man früher ... Die Malaria heißt ja nach Malaria, also schlechte Luft. Und die Menschen haben schon immer bei der Pest im Mittelalter genauso irgendwie die Überzeugung gehabt, dass solche Erkrankungen auch durch schlechte Luft übertragen werden und dass man Frischluft braucht, um sie zu vermeiden. Und wenn man so die Empfehlungen hört, Fenster auf bei Sitzungen und in Schulklassen. Dann merkt man, die haben


damals im Mittelalter nicht so komplett danebengelegen.


[0:16:09] 

Camillo Schumann

 Herr O. hat geschrieben: „Wenn es irgendwann einen Impfstoff geben würde. Warum muss man dann Menschen über 65 Jahre impfen, wenn er bei der Altersklasse vielleicht gar nicht wirkt wie bei den älteren Personen? Das heißt nicht, dass mir Ältere egal sind. Meine Eltern sind 80 und ich hoffe, sie werden 12 0. Über 65 sind nur 19 Prozent der Bevölkerung. Reicht es denn nicht, alle anderen unter 65 zu impfen, um einen Schutz für die Älteren zu haben?“


[0:16:36] 

Alexander Kekulé Na ja, das wäre sozusagen der Plan B, wenn es nicht funktioniert. Bei den Älteren könnte man so eine Art indirekten Herdenschutz für die aufbauen. Das ist ein Teil der Strategie, zum Beispiel bei der Grippe. Bei der GrippeImpfung wissen wir einfach, auch wenn das öffentlich nicht so gerne zugegeben wird. Dass genau bei denen, wo es am wichtigsten wäre, nämlich bei den Älteren über 60 Jahren, der Impfstoff am schlechtesten wirkt. Deshalb ist die Hoffnung, dass der Rest der Bevölkerung halbwegs gut immunisiert ist, damit die Alten das Virus nicht abkriegen.


Aber bei Covid19 ist es doch noch gar nicht gesagt. Ich bin da nicht pessimistisch, was die Wirksamkeit des Impfstoffs betrifft. Der wird natürlich in den Studien erst einmal an jungen, gesunden Menschen getestet. Aber dann in der nächsten Stufe selbstverständlich auch an Älteren. Es ist durchaus möglich, dass der Impfstoff dann so konzipiert ist, dass der auch eine gute Wirksamkeit bei älteren hat. Natürlich ist es so: Das Immunsystem eines älteren Menschen ist schwächer. Es reagiert nicht mehr so gut auf neue Viren und baut dann nicht so gut ne Immunität auf. Das hängt aber sehr, sehr vom Impfstoff ab und vom Einzelfall. Und es würde schon reichen, wenn es eine Teilimmunität ist, die den Krankheitsverlauf deutlich abgemildert. Das würde ja genügend. Dann haben die alten Menschen halt eine Erkältung statt einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Ich wäre in dieser Phase noch nicht pes-


simistisch, dass man so einen Impfstoff dann auch wirklich bekommt.


[0:18:03] 

Camillo Schumann

 Wir haben eine Mail abschließend. Wir haben eine Mail von einer sehr besorgten Mutter erhalten: „Ich habe eine Frage bezüglich des Verhaltens des Aerosols im Alltagsverhalten mit einem hochrisiko-gefährdeten Kind. Das Kind hat eine Lungenkrankheit. Das Kind darf sich nicht anstecken! Drei Ausrufezeichen. Die Eltern sollen von ärztlicher Seite beim Einkaufen FFP2 -Maske tragen. Und jetzt die Frage: Bietet ein Fahrradanhänger für Kinder mit Kinderwagen-Funktion einen Schutz vor Aerosol?


Dann beschreibt sie das. Man kann vorne ein Regenverdeck schließen, der Wagen ist wasserdicht, Luft kommt nur von unten herein und durch einen kleinen Spalt oben. Das würde, wenn das Kind damit zum Einkaufen fahren würde, den Alltag erleichtern. Und auch das Kind hätte in seiner Entwicklung viel davon. Es kann wieder etwas mehr Menschen sehen.“


[0:18:48] 

Alexander Kekulé Grundsätzlich ist es so, dass so ein Kinderwagen-Anhänger keinen perfekten Schutz vor Aerosolen bietet. Auf der anderen Seite darf man das sich ja nicht so vorstellen, dass in so einem Supermarkt das Aerosol im ganzen Laden steht. Sondern es ist nur im Umkreis von einzelnen Personen, die da unter Umständen krank sind. Wenn die gerade gehustet haben oder gesprochen haben, dann muss man sich das als eine kleine Wolke vorstellen. Wenn man also mit so einem Kinderwagen, der geschlossen ist, mehr oder minder da durchgeht und zusätzlich Nähe zu anderen Menschen ein bisschen meidet, vielleicht in der Schlange bisschen Abstand hält. Dann würde ich sagen, ist es trotzdem noch sicher.



Camillo Schumann



Und es gibt ja auch Studien, dass die Infektion in Supermärkten und Geschäften auch relativ gering sind.



Alexander Kekulé


So was kann man immer nicht den Prozent ausdrücken. Sondern das sind einzelne Ereignisse. Wenn da gerade jemand drinnen war bei stehender Luft. Der hat zweimal gehustet und ist Superspreader. Dann steckt er in der Folgezeit mal schnell zehn Leute an. Dieses eine Ereignis müssen Sie halt dann vermeiden, wenn Sie eine Risikoperson sind. Und jemand, der sagt: Nein, das ist nicht so schlimm für mich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das kriege, ist gering. Und wenn ich es kriege, werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krankheit überleben. So jemand kann sagen: Da ziehe ich ein einfacher Mundschutz an. Da brauche ich keine FFP-Maske.


[0:2 0:07] 

Camillo Schumann

 Das war das Kekulé Corona-Kompass Hörerfragen Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag 11. August wieder bis dahin. Bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Sie auch. Ich danke Ihnen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 06.08.2 02 0 #91



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


[0:00:03] 

Camillo Schumann

 MDR Aktuell. Kekulés Corona-Kompass


2  [0:00:10]:


Donnerstag, 6. August 2 02 0, erstmals seit Mai wieder über 1.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4-Stunden. Stehen wir vor einem 2 . Lockdown?


Wieder Fußballfans im Stadion: die DFL und die Klubs wollen mit einem gemeinsamen Konzept die Politik überzeugen. Werden sie das zu diesem Zeitpunkt auch schaffen?


Außerdem, es gibt einen Ort, an dem schon fast Herdenimmunität entstanden ist. Welcher das ist, das erfahren Sie in dieser Ausgabe.


In den USA ist ein mit dem Coronavirus infizierter Hund gestorben. Das Virus und Haustiere eine interessante Studie aus Italien gibt Aufschlüsse. Wir wollen Orientierung geben.


Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei „MDR aktuell“, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Kekule.



Camillo Schumann

:


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Das Wort hat erst einmal Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.


„Unser Robert-Koch-Institut meldet heute zum ersten Mal seit längerem mehr als 1.000 Neuinfektionen binnen 1Tages. Das sind deutlich mehr als in den vergangenen Wochen.“



Camillo Schumann

:


1.045, um genau zu sein. das ist die Zahl des Tages. Das heißt: Erstmals seit Mai gibt es wieder über 1.000 Neuinfektionen innerhalb von 2 4 Stunden. Es war ja zu erwarten. Trotzdem wie bewerten Sie die auch psychologisch wichtige tausender Marke?


5 [0:01:38]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube schon, dass es wichtig ist, weil man sich daran erinnern muss: Als wir den Lockdown noch hatten und darüber diskutiert haben, ob man ihn lockern kann und wann man in lockern kann, da waren die Bayern die allerletzten. Andere Bundesländer haben vorher gelockert. Damals waren wir ja schon unter 1.000. Das heißt also 1.000 Fälle ist eigentlich eine Zahl, die wir in der Spätphase des Lockdowns hatten. Und das muss uns zu bedenken geben, zumal wir jetzt auch nur relativ wenige Ausbrüche haben.


In Bayern gibt es bei Erntehelfern Probleme und in einer Konservenfabrik. Aber insgesamt ist ein relativ hoher Anteil von Infektionen dabei, der keinem konkreten Ausbruch zugeordnet werden kann. Sie erinnern sich an diesen Vorschlag, dass man Initialfälle zählen soll, also solche, die wirklich neu und einzeln aufgetreten sind und nicht einen bekannten Ausbruch zugehören. Und unter dieser Überschrift ist das jetzt eine bedrohliche Situation.



Camillo Schumann

:


Da Sie schon einen Rückblick gemacht haben: Ich gehe mal einen kleinen Schritt zurück. Wir


hatten am 9. März ähnlich viele bestätigte Neuinfektionen, nämlich 1.085. Wir alle wissen, was danach passierte: exponentielles Wachstum. Jetzt tragen wir alle, naja, weitestgehend. Masken halten einigermaßen Abstand. Auf der anderen Seite wiederholt sich die Geschichte ein bisschen zunehmend. Urlauber bringen das Virus nach Deutschland, genau wie Anfang des Jahres. Und aktuell bei den Reiserückkehrern gibt es auch eine sehr hohe Trefferquote. Außerdem gibt es Ausbrüche in größeren Gruppen, genau wie Anfang des Jahres. Stichwort Karneval. Das ist jetzt Tönnies. Sind die Parameter einer 2 . Welle gegeben aus Ihrer Sicht?


5 [0:03:18]:



Alexander Kekulé:


Naja, ich nenne es ja eben ungern 2 . Welle. Es ist so, dass wir hier 2  Effekte haben: Das eine sind eben Ausbrüche, die immer mehr werden. Und wenn Urlauber zurückkommen, dann steht dahinter häufig, dass sie sich infiziert haben in einem Hotspot im Ausland, den wir nicht zu greifen bekommen. Aber wenn die irgendwo auf einer Party in Mallorca oder so ähnlich waren, dann ist das letztlich ein Ausbruch, der nur bei uns nicht registriert wird. Die Ausbrüche sind das eine Phänomen. Das 2 ., was wirklich neu ist, sind diese einzelnen Fälle. Insofern, glaube ich, ist es schon eine andere Situation als am Anfang, weil wir einen Großteil der Bevölkerung haben, die sich weiterhin an diese Schutzmaßnahmen halten. Sodass ich glaube, wenn man jetzt für die Gesamtbevölkerung mal das R berechnen würde, diese berühmte Reproduktionszahl, dann wäre es nicht so, dass durchschnittlich jeder Infizierte eine hohe Zahl Weitere ansteckt, wie es am Anfang war. Da hatten wir an Werte von R bis 3,0. Das heißt, jeder Infizierte hatte statistisch gleich 3 weitere angesteckt. Ich glaube, da sind wir weit weg inzwischen, weil wir uns anders verhalten. Aber es gibt eben bestimmte Situationen und bestimmte Verhaltensweisen, die nach wie vor zu einer Zunahme der Fälle führen. Und das müssen wir jetzt wirklich ganz


gezielt und sehr, sehr konsequent angehen. Sonst stimmt es natürlich, was da zum Teil angedroht wird, das dann die Politik möglicherweise wieder über Lockdowns nachdenkt.


4 [0:04:41]:



Camillo Schumann

:


Das Sie gerade Politik angesprochen haben: Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach von der SPD, sieht sämtliche Parameter für eine 2 . Welle gegeben. Ist das Alarmismus auf höchster Ebene?


5 [0:04:52 ] :



Alexander Kekulé:


Nein, das würde ich überhaupt nicht so sagen. Das ist eine andere Betrachtungsweise. Ich lehne das mit der 2 . Welle ja aus verschiedenen Gründen als Konzept ab. Man kann das deskriptiv so sagen. Aber es ist ja nicht so, dass wir eine Welle haben, die halbwegs gleichmäßig über die Bevölkerung rollt, sondern es sind mehr oder minder einzelne Ausbrüche. Und wir sind jetzt rein epidemiologisch, wenn man das jetzt technisch beschreiben möchte, diese Definition der Wellen, dass kennen wir ja von Influenzapandemien, die früher stattgehabt haben: Wir sind rein definitionsgemäß immer noch in der 1. Welle. Das ist hier nicht die 2 . Welle, weil diese echte, klassische 2 . Welle hätte etwas damit zu tun, dass ein Teil der Bevölkerung immun wird und sich dann danach weitere Menschen noch einmal infizieren. In so einer Situation sind wir hier nicht, sondern wir haben die 1. Welle. Wir stemmen uns gegen die 1. Welle. Wir haben in Deutschland einige Maßnahmen spät, aber dann erfolgreich ergriffen. Und jetzt ist einfach die Frage, indem wir diese Maßnahmen zum Teil ja wieder gelockert haben, ob wir dieses Stemmen, gegen die 1. Welle aufrechterhalten können oder ob sie eben doch noch mal durchbricht.


4 [0:05:58]:



Camillo Schumann

:


2 . Welle oder nicht, das sind ja Begrifflichkeiten. Was dahinter steckt, ist die Angst des exponentiellen Wachstums und dann möglicherweise wieder eines 2 . Lockdowns, was die Wirtschaft nie verkraften würde. Noch mal gefragt, sozusagen die Rahmenbedingungen für exponentielles Wachstum, dass man die Infektionsketten nicht mehr verfolgen kann, dass man es nicht mehr im Griff hat, sind die Parameter gegeben.


5 [0:06:2 7]:



Alexander Kekulé:


Die Gefahr besteht. Aber auch da muss man noch einmal unterscheiden. Ich glaube, so ein richtiges exponentielles Wachstum habe ich umschrieben mit dieser Reproduktionszahl. Dass die einfach hohe Werte annimmt, hängt davon ab, wie die einzelnen sich verhalten, wie viele jeder einzelne Mensch im Durchschnitt ansteckt. Das heißt, das ist der Teil, der an jedem von uns liegt.


Man kann das Problem in 2  Teile aufteilen: Das eine ist das verstreute Phänomen, was ich ja neues Noise nenne, also dieses Hintergrundrauschen, das dadurch entsteht, dass viele einzelne Menschen entweder nicht entdeckt werden, wenn sie infiziert sind, oder bei den Ausbrüchen nicht mit registriert werden, sodass man, wenn das eine Weile läuft, nach und nach verteilte Einzelfälle im ganzen Land haben. Diese verstreuten Fälle, dieses Hintergrundrauschen, kann nur jeder selber bekämpfen, das können die Gesundheitsämter nicht. Die können nicht jeden, der irgendwo so mehr oder minder symptomlos infiziert ist, dann identifizieren. Das ist die Eigenverantwortung, dass die Leute sagen, ich habe Symptome, ich lasse mich testen, oder ich begebe mich freiwillig in eine Heimquarantäne-


Und das andere ist eben die Situation, was die Behörden machen können. da glaube ich, es ist ganz wichtig. Das ist ja jetzt auch schon er-


kannt in der Politik, dass die Behörden sich auf Super-spreading-Ereignisse konzentrieren und diese proaktiv vorher verhindern. Dass man so etwas wie Tönnies gar nicht erst passieren lässt, sondern durch Analyse der Situationen verhindert. Wenn Menschen in geschlossenen Räumen sind, die Luft sich nicht bewegt, dass man solche Situation wirklich vermeidet. Und das ist der Teil, den die Behörden leisten können, dass sie proaktiv tätig sind. Oder wenn dann Ausbrüche tatsächlich Mal stattfinden wie bei den Erntehelfern in Bayern, dass man dann einfach extrem schnell reagieren muss und konsequent reagieren muss.


4 [0:08:18]:



Camillo Schumann

:


Was Behörden machen können: Am Samstag gilt die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Es mussten ein paar Tage ins Land gegangen sein, mussten die Testkapazitäten an den betreffenden Flughäfen überhaupt erst einmal vorhanden sein. Das scheint jetzt der Fall zu sein. Am Samstag ist das. Da ist wieder eine Woche ins Land gegangen.


5 [0:08:41]:



Alexander Kekulé:


Ja, das erinnert mich ein bisschen an die Situation, als wir Schulschluss hatten in BadenWürttemberg und Bayern. Da waren die Ferien zu Ende, die Frühjahrsferien. Es war klar, dass Infizierte aus Norditalien einreisen würden. Da hat man einfach eine Weile gewartet, bis man gesagt hat, jetzt machen wir mal die Schulen zu. Hier ist es so ähnlich, dass es kritisch wird, dass man erkennen muss, dass so eine Pandemie extrem zeitkritisch ist und die Maßnahmen, die man jetzt ergreift, viel schlechter sind, als wenn man das gleiche vor einer Woche gemacht hätte. Oder vor 10 Tagen. Da kommt es wirklich auf Tage und Wochen an. Und ich sehe, dass in mehreren Bundesländern jetzt die Ferien zu Ende gegangen sind und dass vor allem auch beim Landreiseverkehr,


Rückreise aus dem Balkan zum Beispiel, die ganzen Einreisekontrollen mit Tests nicht vorgehalten werden. Und das erinnert mich an die Zeit, als die Flieger aus Teheran kamen und man schon hier so eine Art Lockdown und Ausgangssperren hatte, aber die Flugzeuge aus Teheran nach wie vor nicht kontrolliert worden sind. Ich glaube, das muss konsequenter im Detail funktionieren und vor allem viel schneller. Wir haben es mit einem sehr schnellen Gegner zu tun. Den darf man von seiner Geschwindigkeit her nicht unterschätzen.


7 [0:09:59]:



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen werden. Wir werden im Podcast einen Blick darauf haben. Und deswegen reden wir jetzt noch gar nicht über Lockdowns. Das ist sehr theoretischer Natur. Das machen wir dann vielleicht hoffentlich in einer der kommenden Ausgaben.


5 [0:10:11]:



Alexander Kekulé:


Vielleicht sage ich das eine noch dazu: Der Lockdown ist definitiv vermeidbar. Wenn wir im Herbst wieder Lockdowns haben, dann hat die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Denn es geht darum, auch diese Schnelltests zur Verfügung zu stellen. Bei diesem verteilten Szenario, was wir jetzt haben, mit den vielen Einzelfällen, muss jeder Mensch die Möglichkeit haben, eine Risikobewertung zu machen und sich sofort testen zu lassen. Und ich sehe nicht, wie das bis zum Herbst, wenn wir dann alle die Fenster wieder zumachen müssen, zur Verfügung gestellt wird.


4 [0:10:41]:



Camillo Schumann

:


Kommen wir zu einem weiteren Thema, das angesichts der beunruhigenden Zahl an Neuinfektionen vielleicht ein wenig deplatziert wirkt,


aber vielleicht ja auch seine Berechtigung hat: Es geht um den Lieblingssport der Deutschen, um Fußball.


8 [0:10:52 ]:


„Wir bereiten uns auf alle Möglichkeiten eines Saisonstarts vor. Und der reicht von Spiele ohne Zuschauer, Spiele mit wenigen Zuschauern, Spiele mit einem bisschen mehr Zuschauen.“


4 [0:11:03]:



Camillo Schumann

:


Christian Seifert war das, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga. Am Dienstag, den 4. August, hatten sich DFL und alle Profiklubs auf ein Konzept verständigt, wie man zum Start der neuen Saison, am 18. September, im besten Fall wieder Fans ins Stadion bekommen könnte.


Bevor wir über die Einzelheiten kurz sprechen, was halten Sie von dem Zeitpunkt dieser Diskussion?


9 [0:11:2 2 ]:



Alexander Kekulé:


Ich finde, er hat es ja sehr diplomatisch ausgedrückt. Der Seifert sagt ja, wir bereiten uns auf alle Szenarien vor. Ich glaube, er weiß genau, was er da sagt. Dass es eben auch sein kann, dass die Fallzahlen im Land wieder so ansteigend, dass man diese ganze Diskussion beerdigen muss. Aber es wäre umgekehrt für die Fußballfans auch nicht gut, wenn die Saison beginnt und wir hätten wenige Fälle im Land. Und man fragt sich, wieso gibt es kein Konzept, dass wir jetzt zumindest ein paar Zuschauer ins Stadion lassen? Planen darf man ja immer, wenn man ehrlich dazusagt, dass es nur für einen optimistischen Fall gilt.


4 [0:11:54]:


Auf folgende gemeinsame Maßnahmen hat man sich geeinigt: Zum Beispiel soll es keine Gästefans geben, damit kein großes Reiseaufkommen in Deutschland entsteht. Auf Stehplätze soll verzichtet werden wegen der Enge. Es soll keinen Alkohol geben, und mit personalisierten Tickets soll die Kontaktnachverfolgung möglich sein. Wie hören sich diese groben Beschlüsse da an?


5 [0:12 :17]:



Alexander Kekulé:


Das ist alles richtig. Ich habe das DFL-Konzept im Detail durchgelesen. Das Konzept ist ein Rahmenkonzept, was dann umgesetzt werden muss von den lokalen Clubs und von den Gesundheitsämtern. Keine ganz einfache Aufgabe. Und es sind natürlich noch viele Fragezeichen im Detail offen. Zum Beispiel ist unklar, wann und wo die Maske getragen werden soll.


4 [0:12 :39] :



Camillo Schumann

:


Genauso ist es. Es steht ja nicht eine eindeutige Maskenpflicht im Konzept. Man kann es nur implizit herauslesen. Haben Sie das auch herausgelesen?


5 [0:12 :48]:



Alexander Kekulé:


Nein, ich war mir da nicht so sicher. Es steht da, dass man für Menschen mit Behinderung Sonderregelung schaffen soll. Da würde jetzt ein Jurist möglicherweise herauslesen, dass alle anderen die Maske auf haben müssen.



Camillo Schumann

:


Das habe ich raus gelesen.



Alexander Kekulé:


Damit würden Sie das 1. Staatsexamen vielleicht schon bestehen. Aber man muss praktisch denken. In Restaurants ist es ja zum Beispiel so, dass man in vielen Bundesländern die


Maske aufhaben muss, bis man am Tisch sitzt. Und jetzt wäre es natürlich schon denkbar, dass man im Fußballstadion, dass es nur Sitzplätze geben soll, die Maske auf hat, bis man am Tisch ist oder sie nur abnehmen darf, wenn man zwischendurch was verzehrt, in der Pause vielleicht etwas trinkt oder ähnliches. Das ist eine Sache. Die sollte man schon bundeseinheitlich festlegen, genauso wie die anderen Details, die da offen sind in dem Plan, weil sonst der eine Fan von dem einen Spiel kommt und sagt: Da mussten wir aber gar keine Masken aufhaben und versteht dann gar nicht, warum er beim nächsten Spiel plötzlich die Maske nur abnehmen darf, wenn er seine Limonade trinkt. Das ist regelungsbedürftig.


4 [0:13:55]:



Camillo Schumann

:


Regelungsbedürftig sind die einzelnen Hygienekonzepte, die ganz individuell mit den Gesundheitsbehörden vor Ort abgestimmt werden müssen. Deshalb wird es auch unterschiedliche Konzepte geben. Aber bei der Maske würden Sie jetzt sagen grundsätzlich Maske auf in allen Bundesliga-Stadien?


5 [0:14:11] :


Nein, wenn die da sitzen auf dem Platz und alle in die gleiche Richtung schauen, sehe ich das mit der Maske nicht unbedingt notwendig, da es ja im Freien ist. Die Mindestabstände sollen, so steht es in dem Konzept einfach so prosaisch drinnen, in jeder Situation in sämtlichen Stadionbereichen eingehalten werden. Wenn man das so machen würde,ich bezweifele mal, dass das funktioniert, dass man immer diese 1,5-2 m Abstand hat. Dann braucht man natürlich im Freien keine Maske auf haben. Das ist ganz klar. Da kennen sie meine Position von Anfang an. Und immer wenn Menschen im Freien Masken aufhaben, wo es jetzt nicht ganz dicht gedrängelt ist, halte ich das ehrlich gesagt, für übertrieben.


Ich glaube, was hier bei dem Konzept noch offen ist. Aus meiner Sicht ist das ganze Thema: geschlossene Räume. So ein Fußballstadion besteht ja nicht nur aus dem offenen Bereich, sondern sie haben Sanitäranlagen zum Beispiel. Und wenn nicht jetzt das Konzept Leser, also in jeder Situation den Mindestabstand. Und dann stelle ich mir so eine Toilette im Stadion vor, oder wenn ich das Konzept lese. Es sollen nur Einbahnstraßensystem verfolgt werden. Und dann stelle ich mir die Eingangstür von so einer Toilette vor. Die haben ja nicht 2 Türen, dass man auf der einen Seite rein und auf der anderen Seite wieder raus kann, zumindest nicht in allen Stadien. Und ich glaube, da haben dann die Betreiber noch den Schwarzen Peter bekommen, das im Detail wirklich umzusetzen. Und ich glaube auch, dass es zum Teil nicht funktionieren wird, genauso wie die Nachverfolgung, um das Beispiel noch zu nehmen: Ja, die Tickets sind personalisiert, aber da steht dann der Name vielleicht dessen drauf, der das Ticket gekauft hat für sich und 5 Freunde. Wie will man das registrieren, wer dann noch drinnen war. Und der Hinweis, dass es gut wäre, wenn die Leute die Warn-App dabei haben, geht ein bisschen ins Leere, denn wenn die Warn-App nicht besonders gut funktioniert, wird es im Stadion Nord auch keine zusätzliche Sicherheit geben.


10 [0:16:05]:



Camillo Schumann

:


Und ob tatsächlich wieder vor Publikum im Stadion gespielt werden kann, womöglich auch schon zum Bundesliga-Start am 18. September. Das entscheidet ja die Politik, die Gesundheitsminister der Länder. Die wollen über Großveranstaltung auf einer Konferenz am Montag, den 10. August sprechen. Mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen sind in der Praxis, Großveranstaltungen mit 2 50.000500.000 mit welchem Konzept auch immer aktuell überhaupt zu verantworten?


5 [0:16:32 ]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube schon, wenn das Konzept wirklich sozusagen wasserdicht ist, also 100% sind die das ja nicht. Aber ich kann wirklich nur dafür plädieren, dass man für Großveranstaltungen zusätzlich das Element der Testung braucht. Das fehlt komplett. Die 2  Schwachstellen sind, dass man die Kontakte während des Stadionbesuchs nicht wirklich nachvollziehen kann und dass man aber auch keine Testung hat. Ich glaube, ab einer gewissen Durchseuchung der Bevölkerung, und da kann man meines Erachtens nicht nur die am Ort des Stadions nehmen, das soll gestuft gemacht werden, je nachdem, wie viele Fälle gerade in der letzten Zeit in der Umgebung des Stadions registriert wurden. Ich glaube, dass es kein so guter Parameter ist, sondern dass man sagen muss, wie die Gesamtsituation in Deutschland ist. Da kann man in der Lage, in die wir uns jetzt gerade begeben, das ist ja deutlich erkennbar, da kann man, ohne dass die Menschen vorher getestet werden, Großveranstaltungen nicht machen.



Camillo Schumann

:


Das ist sozusagen der Appell an das Treffen der Gesundheitsminister: ohne Tests keine Großveranstaltung.



Alexander Kekulé:


Ja, das sehe ich tatsächlich so. Da bin ich der Meinung, dass man Schnelltests haben muss. Die können dann preiswert sein. Die haben auch Fehler. Aber wenn Sie 95% der positiven rausziehen, mit den Tests und nur 5% ins Stadion gehen und sie dann zusätzlich die ganzen von der DFL hier vorgesehenen Maßnahmen haben, dann ist man in einem Sicherheitsbereich, wo man sagen kann: Okay, das muten wir der Bevölkerung zu. Und ich würde Menschen, die wissen, dass sie ein besonders hohes Risiko haben, deutlich über 70 sind oder schwere Vorerkrankungen, gerade aktuell gegen Krebs therapiert werden oder ähnliches, raten, Großveranstaltungen zu meiden.


10 [0:18:13]:



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, was die Gesundheitsminister beschließen werden.


Sie haben es ja schon genannt. Das Thema Durchseuchen ist gerade gefallen. Impfstoff oder Herdenimmunität? Diese 2  Möglichkeiten gibt es ja. Und während wir auf einen Impfstoff warten, gibt es einen Ort, der sich darüber vermutlich jetzt nicht so große Gedanken machen muss. Mumbai, 18 Millionen Einwohner, wichtigste Hafenstadt Indiens. Dort hat man möglicherweise die weltweit 1. durchseuchte Bevölkerung, zumindest bei einem speziellen Teil der Bevölkerung festgestellt. Eine Studie zeigt, dass in 3 dicht besiedelten Slums von Mumbai fast 6 von 10 Anwohnern bereits mit dem Coronavirus infiziert gewesen sind, das sind 60%. Und selbst der Autor der Studie, Ullas Cole Tor vom Tata Institut of Research ist im Schweizer Fernsehen sehr erstaunt.


11 [0:18:59]:


„Wir haben eine hohe Zahl erwartet, aber definitiv nicht eine so hohe Zahl. Die 1. Frage ist natürlich der Elefant im Raum. Bedeutet das nun Herdenimmunität? Das ist das Wichtigste. Wir glauben aufgrund dieser Zahlen, dass die Slums schon bald Herdenimmunität erreichen.


12  [0:19:18]:



Camillo Schumann

:


Glauben Sie das auch?



Alexander Kekulé:


Ja, dass man muss. Dazu sagen die Herdenimmunität wird er nicht erst erreicht, wenn jetzt dieses rein mathematische 60-70%Niveau erreicht wird von Menschen, die mit dem Virus Kontakt hatten. Sondern die Herdenimmunität beginnt wesentlich früher. Effekte zeigen sich auf jeden Fall schon ab 40% Durchseuchung. Und es ist wohl auch so, dass es solche Zahlen aus Indien gibt, weil nicht nur


in Mumbai, sondern auch in anderen Städten, etwa in Neu Delhi, ist kürzlich eine Studie gemacht worden. Da sehen wir, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht mehr so stark ansteigt, in gerade in diesen Slam-Bereichen. Das ist deshalb erstaunlich, weil in der letzten Zeit die Testkapazitäten ständig erhöht werden. Die sind ja dabei, das aufzubauen nicht so wie wir das, die das einfach schon fertig in der Garage haben. Und bei aufbauenden Testkapazitäten gibt es eine Abnahme der Rate von Neuinfektionen. Das heißt, da muss ein anderer Faktor sein. Und diese Studie zeigt deutlich, das ist sozusagen das Negative, dass trotz des Lockdowns, der in diesen Slums enorme soziale Verwerfungen zur Folge hatte: Man muss sich vorstellen, die sind seit Ende März im Lockdown, und trotzdem hat sich das Virus so massiv ausgebreitet. Das heißt also, diese ganzen Social Distancing und Ausgangssperren und was es alles gibt, hat nichts gebracht in diesen Regionen. Aber es ist so, dass man abnehmende Fallzahlen hat und dass das schon ein Herdenimmunität-Effekt ist, den wir sehen.



Camillo Schumann

:


Denn die ganzen Maßnahmen haben nicht gegriffen. Das hat er aber auch einen Grund.



Alexander Kekulé:


Da muss man sich nur die Fernsehbilder anschauen. Viele waren vielleicht schon mal im Urlaub in Indien. Das ist selbst in den Regionen, die man nicht Slam nennt, so, dass da viele Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen. Die meisten leben nicht so, dass sie ein Bankkonto haben, mit dem sie notfalls noch 1-2  Monate überleben könnten. Die müssen täglich arbeiten, um sich für den nächsten Tag etwas zu essen besorgen zu können. Und vor diesem Hintergrund ist es so, dass diese Maßnahmen, die der angeordnet wurden, aus Delhi, letztlich nicht gegriffen haben und wahrscheinlich auch gar nicht umgesetzt worden sind in den Slums.


4 [0:2 1:40]:


Statistisch gesehen hat jeder Slum-Bewohner nur 3 qm zur Verfügung, und man wohnt auf engstem Raum mit 4-6 Menschen. Da hat es so ein Virus super einfach.


14 [0:2 1:53]:



Alexander Kekulé:


Das ganze Leben findet völlig anders statt. Das kann man vielleicht noch mit den Favelas in Südamerika vergleichen. Das ist nichts, wo diese Dinge, die wir uns hier so schön am grünen Tisch überlegen, als Social Distancing irgendwie auch nur ansatzweise greifen würden. Es gab in Neu Delhi vor 2 -3 Wochen eine vom indischen CDC, die übrigens dieser indischen nationalen Gesundheitsbehörde so ähnlich wie unser Robert Koch-Institut. Delhi ist ein bisschen kleiner als Mumbai, aber gleiche Größenordnung. Ich glaube, so 17, Millionen Einwohner. Und da war es so, dass man schon so ein Viertel positiv gefunden hat. Aber bei der gesamten Bevölkerung knapp 2 5%. Die DelhiStudie war längst nicht so gut wie die MumbaiStudie jetzt, weil man nicht differenziert hat nach Alter, Geschlecht, wo die Menschen wohnen. Man hat eine mehr oder minder zufällig Probe gezogen. Und diese MumbaiStudie, die jetzt aktuell ist, ist wirklich gut gemacht worden. Das Tatar Institut ist tatsächlich dieser Tatar-Steel, den man vielleicht in Deutschland kennt. Also dieser Riesenkonzern in Indien, eine Jahrhunderte alte Tradition. Diese Familie Tatar hat viele Forschungsinstitute und Universitätsinstitute gestiftet, drum heißt es so. Und die haben gründlich das so gemacht, dass sie eine Zufallsstichprobe genommen haben, wo sie gesagt haben, wir wollen ganz bewusst Bevölkerungsschichten, die mehr Einkommen haben. Und wir wollen pro Haushalt nur 1 Person testen. Das fand ich sehr klug, denn wenn sie in einem Haushalt mehrere testen, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit in einer positiv ist und die anderen auch positiv. Und dann kriegen Sie so eine Cluster Effekte. Die haben die rausgerechnet und haben


auch verschiedene andere statistische Störfaktoren, die man erwarten konnte. Haben die von vornherein durch die Planung ausgeschlossen. Und daher glaube ich, dass das eine belastbare Zahl ist.


7 [0:2 3:53]:



Camillo Schumann

:


Die große Mehrheit hat laut der Studie auch keine oder nur sehr geringe Symptome gezeigt. Und jetzt wird es interessant: Die Sterberate ist laut offiziellen Zahlen auch sehr tief, nämlich ungefähr 1 von 1.000 infizierten Personen ist gestorben. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Bevölkerung von Mumbai sehr jung ist. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ist unter 2 5. Ist das die Erklärung?


14 [0:2 4:13]:



Alexander Kekulé:


Das sieht sehr danach aus. Die Sterblichkeitsrate, die hier von den Studien Leuten angegeben wird und wo die Stadt ganz stolz darauf ist, dass das so ein gutes Ergebnis sei. Die liegt tatsächlich sogar bei 0,05 bis 0,1 Prozent, das heißt: 1 von 2 .000 bis einer von 1.000 sei gestorben, und das ist bezogen auf die Fälle. Das ist also die sogenannte Case Fertility weit. Das ist also bezogen auf die Leute, die Symptome gezeigt haben, die Menschen, die überhaupt nur infiziert waren. Da ist die Sterblichkeitsrate natürlich noch geringer. Diese Zahl ist in zweierlei Hinsicht mit Vorsicht zu genießen.


Das eine ist: Wir wissen nicht, wie viele Tote in diesen Slums tatsächlich gezählt wurden. Natürlich werden Tote immer besser gezählt als Infizierte. Das ist klar, ein Toter ist ein Toter, den Kammern registrieren. Aber es ist natürlich von vielen Fachleuten auch dort in Indien, die das System gut kennen, geäußert worden, dass man dort nicht immer ein Strich bei Corona gemacht hat, wenn der irgendwie ältere Menschen in den Slums gestorben sind. Vielleicht auch aus politischen Gründen. Das


heißt, die Todeszahl ist eine Unterschätzung. Dadurch ist diese Sterblichkeit vielleicht höher, und das andere ist, was man sich vor Augen halten muss. Indien hat 1,3 Milliarden Menschen Bevölkerung. Wenn sie da nur die unterste Kante nehmen würden, einer von 2 .000 stirbt, dann kommen sie schon auf 680.000700.000 Tote. Und das ist schon die optimistischste Annahme. Das heißt, wenn man das jetzt so durchlaufen lässt durch Indien, dann haben Sie in der Größenordnung knapp 1 Million Tote allein in Indien durch dieses Covid19.


16 [0:2 5:54]:



Camillo Schumann

:


Licht und Schatten dieser Mumba-Studie, weil man natürlich, wenn man einen Impfstoff testen will, braucht man ja genau so eine Situation wie in Indien vorherrscht.



Alexander Kekulé:


Ja, das ist so. Das Serum Institute of India, das ist ja der größte Impfstoffhersteller der Welt, hat ja gerade eine milliardenschwere Kooperation gestartet mit AstraZeneca und den JennerInstitute in Oxford, um den Impfstoff, der dort entwickelt wird und der ganz gut aussieht, herzustellen und zu verteilen. Und der berühmte Gründer oder Chef dieses Instituts, der Gründer war sein Vater, hat ja gesagt, die Hälfte aller Impfstoffe bleibt in Indien. Das fand ich ein gutes Statement. Und das wird gerade getestet.


Letzten Mittwoch wurde die Freigabe bekanntgegeben mit kleinen Einschränkungen, dass die ihre Phase II und Phase III starten dürfen mit 1.600 Probanden. Und es ist es in Indien ein guter Platz, um das zu machen. Sonst müssen ja viele nach Brasilien oder Südamerika ausweichen. USA wäre vielleicht auch noch ganz gut in der aktuellen Situation, wo man solche Tests machen kann. Das, was ich mir so ein bisschen überlegt habe, ist, ob der Test, ob der Impfstoff in Indien selbst, die Facilities tatsächlich aufgebaut haben, die Fabriken sind ja schon im Bau. Man hat schon vor längerer Zeit darüber gesprochen, den Startschuss zu geben, dass die Fabriken sogar gebaut werden,


die den Impfstoff herstellen. Ich habe so ein bisschen Zweifel, wenn das jetzt so weitergeht in Indien mit diesen hohen Durchseuchungszahlen, dass der Impfstoff für Indien noch rechtzeitig kommt. Es sieht so aus, als würden sie diese Pandemie sozusagen auf die harte Tour überstehen und relativ schnell eine Herdenimmunität haben. Und wenn ich es mal so sagen darf, brauchen Sie vielleicht Ihre Hälfte des Impfstoffs gar nicht mehr oder nur für die Oberschicht in Delhi und Bombay und andere Städte, weil ein Großteil der Bevölkerung schon auf natürlichem Weg durchimmunisiert ist. Das ist ein bisschen tragisch in der Situation, weil Indien die Absicht hatte, endlich mal nicht nur der Impfstoffhersteller für den Rest der Welt zu sein, sondern was für das eigene Land zu machen. Aber wenn der größte Teil der Bevölkerung den Impfstoff nicht mehr braucht, dann ist das so. Dann war das Schicksal.


10 [0:2 8:15]:



Camillo Schumann

:


Noch ganz kurz nachgefragt: Kann man denn irgendwelche Rückschlüsse aus dieser Studie für Europa für Deutschland ziehen?


14 [0:2 8:2 4]:



Alexander Kekulé:


Man guckt natürlich auf die Zahlen bei uns. Sie wissen ja, in Schweden etwa 7,5%, sehr zur Enttäuschung des schwedischen Gesundheitschefs, der immer hoffte, dass er so eine natürliche Immunität im Land hinkriegt. In New York City ist vor einiger Zeit, wo das Virus fürchterlich wütete, nachdem es wahrscheinlich aus Italien importiert wurde, da war vor einiger Zeit klar gewesen, dass nur ungefähr 14% der Erwachsenen immun sind, aber immerhin 14%, mehr als in Schweden. Und daraus kann man schließen, dass wenn man das Virus einfach so laufen lässt und nichts tut, in kürzester Zeit eine relativ hohe Immunisierung bekommt.


Wenn man das Umrechnen würde auf unsere europäische Bevölkerung, dann sind 2  Faktoren wichtig: Der eine ist, dass wir eine bessere medizinische Versorgung haben, aber auch, dass wir wesentlich mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen haben und ältere Menschen haben. Und wenn man das in die Waagschale wirft, dann kommt eben dabei raus, dass wir es uns nicht leisten können, einfach die Schleusen aufzumachen und zu sagen, wir immunisieren alle durch. Das ist eigentlich keine Option bei uns wegen unserer Bevölkerungsstruktur, obwohl wir bessere Krankenhäuser haben.


17 [0:2 9:43]:



Camillo Schumann

:


Wir müssen noch über Tiere und Corona sprechen, Herr Kekule. In großen Abständen machen wir das hier im Podcast. Anlass diesmal war, dass in den USA Body gestorben ist. Body war ein 7 Jahre alter Schäferhund, er war der 1. Hund, bei dem eine Coronavirus-Infektion in den USA überhaupt bestätigt wurde. Und Body ist jetzt gestorben. Allerdings, und das muss man einschränkend dazusagen, Body ist vermutlich nicht an, sondern eher mit dem Virus gestorben. Er hatte eine Krebserkrankung. Man muss diese große Unterscheidung machen. Also heißt jetzt nicht, wenn ein Tier das Coronavirus bekommt und stirbt, dass sozusagen das Coronavirus ursächlich ist.


14 [0:30:2 6] :



Alexander Kekulé:


Um es zu übertragen auf unsere Zahlen, bei der Übersterblichkeit würde Body mitgezählt werden. Und bei der kausalen Sterblichkeit müsste man halt genauer untersuchen, was da die Ursache war. Natürlich ist das sehr traurig, wenn ein Deutscher Schäferhund in den USA stirbt, sozusagen das 1. deutsche Tier im Ausland, was verstorben ist. Aber ich glaube, die Frage ist doch letztlich: Können Haustiere Menschen infizieren und ist das eine Infekti-


onskette, die wir mit berücksichtigen müssen bei Covid19? Ich glaube, das ist die Frage, die eigentlich interessant wäre.


4 [0:31:03]:



Camillo Schumann

:


Body hat sich ja etwa zur gleichen Zeit wie sein Herrchen infiziert, und man weiß ja jetzt nicht, wer wen infiziert hat und ob das separat passiert ist. Damit wären wir ja quasi schon bei einer aktuellen Studie aus Italien, Haustiere und Corona. Und gerade in Italien war das Virus besonders ab tief und dementsprechend auch viele Haushalte mit Hunden und Katzen betroffen. Dass das Virus vom Menschen auch an Haustiere weitergegeben wird, war relativ schnell klar im Verlauf der Pandemie.


14 [0:31:30]:



Alexander Kekulé:


Ja, wir haben schon immer wieder Einzelfälle gehabt, dass Haustiere positiv getestet wurden. Und das ist jetzt eine aktuelle Studie, die es als Preprint nur erschienen, also als vorläufige Veröffentlichung, noch nicht überprüft von Fachleuten, am 2 3.07. rausgekommen. Italiener und britische Forscher haben das gemacht. Und die haben eben einfach Daten genommen von Tierärzten, die da in der Lombardei und Umgebung in Norditalien bei Routineuntersuchungen Haustiere untersucht haben. Da wird ja manchmal Blut abgenommen und dieses Blut haben die genommen und dann eben getestet. Die haben das technisch gut gemacht, aber nicht etwa einfach nur den menschlichen Test genommen, weil der Antikörpertest, den man da machen muss, also um zu sehen, ob Antikörper gegen das Virus da sind, diese sogenannten IGG Antikörper, über die wir schon gesprochen haben. Da ist es nicht so ganz klar, ob der für Menschen optimierte Test auch bei Tieren so zuverlässig anschlägt, das muss man je nach Spezies anpassen. Und da haben sie also nicht einfach nur den menschlichen IGG Test genommen, son-


dern sie haben wirklich sich die Mühe gemacht, extra einen Neutralisationstest zu machen, also sehr aufwendig im Labor. Sie haben das Virus angezüchtet, das Serum von dem Tier dazugegeben und geguckt, ob das Serum die Virusvermehrung ausbremsen kann. Und deshalb ist dieser Test eigentlich aussagekräftig.



Camillo Schumann

:


Was ich sehr interessant finde es, dass er weit weniger Hunde und Katzen von ihren Herrchen und Frauchen angesteckt wurden, als man hätte annehmen können.



Alexander Kekulé:


Ich weiß nicht, ob die jetzt sozusagen noch einmal nach Schmusekatze und Schmusehund unterschieden haben. So vom Straßenbild, muss man sagen, in Norditalien ist es ja so: Diese Katzen, vor allem aber auch die Hunde, laufen auf der Straße rum, gehören irgendjemanden. Aber man hat nicht den Eindruck, dass die immer nur auf dem Sofa sitzen zum Kuscheln. Die genauen Infektionsketten nachzuverfolgen ist ein wenig schwierig, besonders schwierig, vor allem, wenn die beim Betreten von Hundelokalen keine Karten ausfüllen und Ähnliches. Aber es ist so, dass es eine Korrelation gibt. Und zwar bei Hunden haben sie festgestellt, dass es mehr positiv getestete Hunde in Haushalten gab, wo ein Haushaltsmitglied Covid19 positiv war? Die konkreten Zahlen sind da: von 133 Hunden in Haushalten, wo kein Covid19 Patient war, sind nur 2  positiv gewesen. Keine Ahnung, wo die sich das geholt haben. Vielleicht irgendwann beim Streunen, dann oder von einem anderen Hund oder sie haben beim Nachbarn gefressen. Und von 47 Hunden, die in Haushalten waren, wo Covid 19-Patienten dabei waren, sind 6 positiv gewesen, also ein deutlich höherer Anteil. Und daraus schließen die Autoren, dass es schon irgendwie entweder vom Herrchen zum Tier oder andersrum Übertragungen gegeben haben kann.


Bei den Katzen gab es diese Korrelation nicht. Allerdings muss man dazusagen: Die hatten insgesamt überhaupt nur Serum von 2  Katzen, und beide Werte sind relativ gering. So sind


jetzt bei den Hunden, sagen die Autoren, 3,5 % ungefähr positiv gewesen, bei den Katzen etwas mehr. Das sind aber etwas schwache Zahlen, weil die nur kleine Stichproben hatten. Das waren nicht so viele Fälle.



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz ist es ja ganz schön wenig.



Alexander Kekulé:


Das ist wenig, ja.


Daraus würde ich jetzt schließen, dass der Kontakt zu den Tieren, zumindest bei den Menschen, die dann Covid19 positiv waren, nicht so intensiv dagewesen ist. Ich glaube, das ist natürlich, dass man jetzt von Mensch zu Mensch er eine Infektion bekommt als vom Mensch zum Tier oder andersrum. Mir ist wichtig zu sagen, auch wenn das jetzt so ganz nett ist, sozusagen das mal zu beleuchten. Also, ich sehe überhaupt keinen Hinweis darauf, dass Haustiere relevante Überträger dieser Erkrankung sind. Also das gibt gar keinen Hinweis darauf, dass die Haustiere da eine Rolle spielen.


18 [0:35:19]:



Camillo Schumann

:


Gut, dass Sie es noch mal gesagt haben, sonst hätte ich nachgefragt.


Auch noch mal für alle Tierheime: Am Anfang der Pandemie haben die Menschen ihre Hunde und Katzen abgegeben. Die Tierheime waren voll. Dann war der Lockdown und die Leute haben sich gelangweilt und die Tierheime waren leer. Und wenn die Menschen so etwas jetzt höhen, wissen sie nun, dass sie die Tiere nicht wieder zurückbringen brauchen. Sie können sie jetzt auch behalten. Da passiert jetzt nichts.


14 [0:35:45]:



Alexander Kekulé:


Naja, was man schon sagen kann: Es geht in


Richtung Tierärzte. Wenn es jetzt wirklich so ist, das aus einem Haushalt, wo bekannt ist, dass das das Covid19 aufgetreten ist, ein Tier krank wird. Ich nehme an, dass zeigt dann auch irgendwelche Atemwegssymptome. Das wäre zumindest ungewöhnlich, wenn es nicht so wäre. Und man hat dann ein krankes Haustier aus so einem Haushalt, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, mal auf Covid19 zu testen. Wir wissen ja auch gar nicht, wie diese Weitergabe erfolgt ist. Es können Schmierinfektionen gewesen sein, die gar nicht über die Atemwege passiert sind. Also typischerweise ist es nicht bei jeder Tierart gleich. Und wenn der Mensch eine Tierart ist und der Hund und die Katze, dann ist es nicht gesagt, dass die alle genau auf gleichem Wege des Virus weitergeben.



Camillo Schumann

:


Aus demselben Napf gefressen.



Alexander Kekulé:


Vielleicht aber derselbe Napf. Ich bin ja sowieso dagegen, mit Haustieren zu sehr zu schmusen. Und vielleicht kann man zumindest die eine Einschränkung machen, das das Tier vom Nachbarn, wenn das mal im Garten ist, nicht zu sich aufs Sofa nehmen sollte, weil man nicht weiß, was es sonst noch so macht.


4 [0:36:48]:



Camillo Schumann

:


Gut, das war jetzt die subjektive Meinung von Professor Kekulé.



Alexander Kekulé:


Sehr subjektiv muss ich zugeben.



Alexander Kekulé:


Ja, sehr schön. Wir kommen zu den HörerFragen. An dieser Stelle auch ein kurzer Hinweis an die Hörer dieses Podcasts: Ihre Fragen an uns reißen nicht ab. Im Gegenteil, sie nehmen wieder zu. Wir bemühen uns wirklich sehr. Allerdings kann es natürlich sein, dass es nicht jede Frage ist in die Sendung schafft oder vielleicht zu einem späteren Zeitenpunkt. Das


sei an dieser Stelle noch mal gesagt. Diese Dame hätte gern eine Begriffserklärung.


19 [0:37:16] :


„Meine Frage betrifft den Begriff der 2 . Welle oder 3. oder 4. Welle. Was ist denn genau mit dem Begriff Welle gemeint? Ich kann mir darunter im Grunde nichts Richtiges vorstellen. Gibt es eine wissenschaftliche Definition dieses Begriffes? Wenn ja, wäre ich dankbar, wenn Herr Professor Kekulé uns das mal erläutern würde.“


14 [0:37:39]:



Camillo Schumann

:


Ich glaube, das macht er sehr gerne.



Alexander Kekulé:


Diese Begriffe ändern sich. Das Wort Lockdown, das wir alle benutzen, ist eigentlich aus dem militärischen Bereich und meint nicht das, was wir jetzt als Lockdown bezeichnen, sondern ursprünglich war da auch in der Epidemiologie mal damit gemeint, wenn man wirklich Menschen in einer Region einsperrt, also wie ein Cordon Sanitair. Aber inzwischen sagen alle Lockdown zudem, was wir eigentlich „Ausgangsbeschränkung“ nennen würden. Darum ändern sich die Begriffe. Und bei der Welle ist es so ähnlich. Diese Welle kommt ursprünglich aus der Beobachtung, dass insbesondere Influenza-Pandemien in mehreren Wellen verlaufen. Das sieht man, wenn man Jahre später, wenn alles so mehr oder minder vorbei ist, aufzeichnet, wie viele Menschen sich pro Monat infiziert haben. Dann geht es eben hoch steil, dass gibt so einen Berg geht wieder runter. Und dann ist oft so, dass man 1 Jahr später meistens ist der Abstand so 6-12  Monate zwischen den Wellen kriegt man so eine 2 . Welle, die manchmal größer als die 1. ist und manchmal kleiner, manchmal 1, auch noch mal eine 3. Und weil es eben auf dem Papier dann eben so aussieht wie 2  Buckel, man hätte es eigentlich auch Kamelbuckel statt Welle nennen können. Weil es so aussieht, hat man das einfach Welle genannt.


Jetzt in der Situation, wo wir drinnen sind, kann man so was eigentlich als klassische Definition nicht sagen, weil wir alle in der 1. Welle sind bezüglich der Definition. Was jetzt die Politiker damit meinen und auch viele von meinen Wissenschaftlerkollegen: Wenn Sie, wenn Sie diesen Begriff gebrauchen, dann meinen sie damit einfach, dass die Fallzahlen wieder ansteigen. Ganz allgemein, das Ansteigen der Fallzahlen wird da als Welle bezeichnet. Das ist eine Änderung der Definition, die sich so hier jetzt im Prozess ergeben hat.


4 [0:39:34]:



Camillo Schumann

:


Wir sind gespannt, welches sprachliche Bild sich dann am Ende der Corona-Pandemie durchsetzt. Frau G. hat folgende Frage. Sie scheint auch ziemlich verärgert zu sein. „Warum ist es nicht möglich, dass einmal alle, mit Betonung auf alle, an einem Strang ziehen? Global weltweit zur gleichen Zeit einen circa dreiwöchigen Schatten down Lockdown wie auch immer am besten am 15. August. Danach strenge Maskenpflicht überall, auch auf den Straßen und so weiter. Solange, wie es eben braucht. Könnte man das Virus doch so aushungern, ausrotten, oder sehe ich das falsch? Viele Grüße.“


14 [0:40:11]:



Alexander Kekulé:


Ja, ich glaube, das haben wir hier auch schon mal gesagt, das ist komplett richtig. Ich hatte, der die gleiche Schnapsidee mal auf einem Symposium, wo es um Malaria ging. Da ist es ähnlich. Die Malaria gibt es nur beim Menschen typischerweise. Und diese Mücken, die da rumfliegen, übertragen das von Mensch zu Mensch. Und wenn man es schaffen würde, da gibt es ein Mittel dagegen, alle Menschen, die in diesen ganzen Malariagebieten für 2 -3 Wochen zeitgleich zu behandeln mit einem Medikament, was die Infektionsübertragungen verhindert, wäre die Krankheit ausgerottet, weg. Und genau so ist es hier auch. Das scheitert letztlich daran, dass wir in einer globalisierten


Welt es zwar schaffen, Fußballspiele zeitgleich auf der ganzen Welt für Milliarden von Zuschauern perfekt zu übertragen in allen Sprachen. Aber wir schaffen es nicht, die Medizinsysteme so zu koordinieren. Und vorhin haben wir über die Slums gesprochen. Wenn man sich anschaut, sieht man auch, warum. Das ist jetzt nicht menschliches Versagen, sondern diese Aufgabe wäre übermenschlich. Das ist praktisch nicht möglich, alle Menschen auf der Welt für 2  Wochen lang sozusagen kontaktzureduzieren. Das wäre das, was die Hörerin vorschlägt.


Theoretisch tolle Idee, am Computer würde jeder das so machen. Man würde auf einen Knopf drücken und ein Reset machen. Das ist nicht möglich. Ich hatte so ein Reset ja mal für Deutschland vorgeschlagen, innerhalb der Bundesrepublik, ganz am Anfang, als das losgegangen ist. Mit Grenzen schließen. Das war eine Option, ist damals aber selbst für Deutschland nicht beschlossen worden, obwohl es da jetzt sage ich mal praktisch gesehen, er vielleicht im Bereich des realisierbaren wäre. Aber weltweit gesehen ist so ein Reset, wie man das nennen würde, einfach praktisch nicht umsetzbar.


16 [0:41:52 ]:



Camillo Schumann

:


Frau G, wir können festhalten, mindestens Zusatzqualifikationen, Epidemiologie, oder?



Alexander Kekulé:


Auf jeden Fall. Und ich träume davon, dass so etwas noch gemacht wird. Übrigens gibt es auch Beispiele, denn ich habe leider den Namen gerade vergessen, den bekannten Epidemiologen. Der hat das auf einer Insel mit Malaria mal geschafft. Es war aber nur eine Insel, und da ist es tatsächlich gelungen, das auf einer Insel auszurotten. Das nächste Projekt war da meines Erachtens nach Madagaskar, das ist ja eine ziemlich große Insel mit vielen Einwohnern, und schon da hat es nicht mehr geklappt.


4 [0:42 :2 4]:



Camillo Schumann

:


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 91 schon. Wegen der gerissenen tausender-Marke. Alle Menschen machen sich jetzt so ein bisschen Sorgen und so weiter. Haben Sie vielleicht einen mahnenden oder einen aufmunternden Satz für die Hörer dieses Podcasts?


14 [0:42 :40] :



Alexander Kekulé:


Ich glaube, wir sind jetzt an einer entscheidenden Stelle in dieser Pandemie in Deutschland. Die Stelle ist die, wo die Verantwortung ganz stark von den Behörden auf den einzelnen übergegangen ist, durch die Verteilung der einzelnen Fälle. Und jetzt kommt es wirklich stärker als je zuvor auf das Verhalten jedes Einzelnen an, weil dieses feinkörnige Geschehen nicht mehr von den Behörden nachverfolgt werden kann. Deshalb ist es ein Aufruf, dass man wirklich versucht, sich an die Hygieneregeln zu halten. Und wenn man Symptome hat, sich selbst zu isolieren. Aber auch etwas Optimistisches: Wenn wir das machen, können wir diesen guten Zustand, in dem wir sind, ganz, lange aufrechterhalten. Wir haben also wirklich die Chance, das zu machen. Und ich glaube, diese Chance sollten wir jetzt wirklich nutzen.


4 [0:43:2 6]:



Camillo Schumann

:


Vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen „Spezial“. Bis dahin.



Alexander Kekulé:


Gerne, bis Samstag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.


mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Dienstag, 04.08.2 02 0 #90: Maske auf auch im Unterricht



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


[0:00:03] 

Camillo Schumann

 MDR Aktuell. Kekulés Corona-Kompass


[0:00:10] 

Camillo Schumann

 Dienstag 4. August 2 02 0.


1. Die ersten Schulen öffnen nach den Sommerferien wieder. Welche Rolle kann die Maske dabei spielen?


2 . Passend dazu: Welche neuen Erkenntnisse gibt es zur Infektiosität von Kindern?


3. Und kann und sollte man eine FFP2 Maske 36 Stunden am Stück tragen?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renomierten Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag Herr Schumann.



Camillo Schumann



Für Millionen Kinder, Eltern, Lehrer geht es wieder los. In den ersten Bundesländern startet das neue Schuljahr mit regulärem Unterricht direkt an der Schule. In MecklenburgVorpommern ging es ja schon los. Ab Mittwoch dann in Hamburg und ab nächster Woche Ber-


lin, Brandenburg Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Mit welchem Gefühl beobachten Sie den Start der Schule?


[0:01:17] 

Alexander Kekulé Ja, ich habe da gemischte Gefühle. Einerseits freue ich mich natürlich für die Kinder und auch ein bisschen für die Eltern, dass es endlich wieder losgeht mit etwas Normalität. Zum anderen ist es so, dass die von mir sehr favorisierte Variante, dass man testet, bevor man die Klassen wieder zusammenbringt ... Das ist weitgehend nicht verfolgt worden. Zum Teil gibt es auch keine Masken in den Klassen. Darum ist es ein Experiment. Anders kann man es nicht nennen, und zwar eins, was schiefgehen könnte.


[0:01:49] 

Camillo Schumann

 Die Schulen müssen wieder öffnen. Dieser Appell ging am Montag, den 3. August von einer Pressekonferenz in Dresden aus. Mit dabei Sachsens Kultusminister Christian Piwarz und Professor Doktor Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin des Uniklinikums Leipzig. Anlass waren 2 Studien. Zum Infektionsgeschehen an Schulen in Sachsen und zu psychischen Folgen der Schulschließungen für Kinder und Jugendliche. Zum Infektionsgeschehen hat Professor Kiess Folgendes gesagt:


[0:02 :19] Professor Wieland Kiess In dem ersten Teil dieser Prävalenz-Studie im Mai-Juni in Sachsen waren Kinder kaum Träger von Antikörpern und nicht aktiv infiziert. Wer da über Schulschließungen reden will, den kann ich nicht verstehen.


[0:02 :36] 

Camillo Schumann

 Keine akute Infektion, nur vereinzelt Antikörper. An dieser Studie hatten Grundschüler und Gymnasiasten teilgenommen. Man muss dazu sagen, diese Studie zum Infektionsgeschehen an sächsischen Schulen wurde seit Anfang Juli im Peer-Review-Verfahren eines wissenschaftlichen Magazins durchgeführt. Sie ist also noch nicht wissenschaftlich abgenommen. Aber


diese Studie deckt sich mit anderen Studien zu diesem Thema. Kann man dann so langsam einen Haken an das Thema Infektiosität von Schulkindern machen?


[0:03:00] 

Alexander Kekulé Das ist ja die ganz große Frage. Übrigens weltweit. Das ist nicht nur in Deutschland ein Thema. Da gibt es einerseits die Ausgangsbasis, dass man früher beobachtet hat, dass sowohl bei Influenza, bei der Grippe, als auch bei anderen Atemwegsinfektionen zum Beispiel RSV. Das ist so ein anderes Virus, was bei Kindern häufiger mal vorkommt. Da ist es einfach klar, dass die vor allem in Kindergärten und Schulen verbreitet werden. Deshalb ist man anfangs sehr vorsichtig gewesen, mich auf jeden Fall eingeschlossen kam. Dann gab es erste Untersuchungen, dass möglicherweise Kinder relativ viel Virus im Rachen haben. Das war dann unklar, ob diese Untersuchungen genau so gehalten werden sollen. Und man hat dann parallel untersucht in Schulklassen. Da hat man festgestellt in Sachsen... Es gab es ja schon mal was Ähnliches aus Baden-Württemberg. Dass man gesagt hat: Irgendwie gibt es keine Hinweise darauf, dass die Kinder ein besonderer Motor sind. Rein biologisch und virologisch ist das so. Es gibt kein Hinweis darauf, dass Kinder aus irgendeinem Grund bei diesem Virus weniger ansteckend sein sollten. Das wäre auch relativ schwierig zu erklären. Klar ist, dass Kinder weniger Symptome haben, deshalb vielleicht auch seltener entdeckt werden, wenn sie krank werden. Und klar ist natürlich, dass Kinder in Situationen, wo man vorsichtig ist, wo man weiß, die Seuche ist sozusagen im Land, besser geschützt werden. Die Eltern passen auf ihre Kinder auf. Wir haben keine Daten und auch die aus Sachsen belegen das nicht so, dass sie zeigen würden, dass Kinder weniger stark die Infektion weitergeben würden als Erwachsene. Und nur das wäre ein Grund Entwarnung zu geben.


[0:04:44] 

Camillo Schumann

 Aber die sächsische Staatsregierung inklusive Herr Professor Kiess. Die sagen ja: Keine Infektion, ganz wenig Antikörper. An Schulen wird es so gut wie gar nicht übertragen. Einschrän-


kend muss man natürlich auch dazu sagen, dass das Infektionsgeschehen in Sachsen nicht das größte ist. Und bei 4,4 Millionen Einwohner und nur 2 .600 Getestete. Da ist ein Verhältnis, was sozusagen die Aussagekraft ein wenig verwässert.


[0:05:13] 

Alexander Kekulé Das ist genau das Problem. Wenn man das wissenschaftlich genau anschaut, muss man immer eine Vergleichsgruppe haben. Das ist ja klar. Wenn Sie in einem Bundesland sind wie Sachsen, was glücklicherweise derzeit sehr wenig Fälle hatte. Dann können Sie die Tatsache, dass auch bei Kindern und Lehrern ... Die sind ja gemeinsam in einem großen Pool getestet worden. Da können Sie nicht davon ausgehen, dass bei denen das viel mehr sein sollte. Das wäre ja abwegig. Man muss auch sagen, wenn man sich genauer ansieht, das Geschehen in Sachsen in den 2 Monaten: Mai und Juni. Da waren die Fälle, die die Statistik nach oben getrieben haben. Das waren lokale Ausbrüche. Da gab es konkrete Ausbrüche. Ich meine im Pflegeheim in Krankenhäusern waren das Situationen, wo man Häufungen auf einem bestimmten Ort hatte bei den Infektionen, die man nachgewiesen hat. Sodass man sagen muss, die allgemeine Durchseuchung im Land war einfach extrem gering. Wir haben in Sachsen bis heute ungefähr 5.500 Infektionen überhaupt insgesamt von der gesamten Pandemie bisher. Bei schätzungsweise 4 Millionen Einwohnern. Das ist etwas mehr als 0,1 Prozent. Und wenn Sie sagen: Okay, also ganz, ganz wenig Menschen hatten dort die Infektion. Wenn man das in Clustern, also in Häufungen und Sie haben 0,6 Prozent gefunden, dass sind die Antikörper, das ist die Prävalenz, also die Zahl der Antikörper, die man findet bei den in der aktuellen Studie durchgeführten 2 .338 Proben. Das sagt dann eben nichts, weil man keine Vergleichsgruppe hat. Es kann sein, dass das genauso viel ist wie bei den Erwachsenen außerhalb der Kindergärten. Kann sein, dass es weniger ist. Vielleicht ist es sogar mehr. Das wissen wir nicht.


[0:07:01] 

Camillo Schumann



Aber grundsätzlich ist das Infektionsgeschehen auf einem sehr, sehr niedrigen Level. Und das, was man in der Schule anwenden kann, dass es dort kaum eine Rolle spielt, kann man dann für mehrere Bereiche des täglichen Lebens anwenden. Somit spielt die Schule keine übergeordnete Rolle mehr, oder?


[0:07:17] 

Alexander Kekulé Ja, ich glaube, so rum stimmt die Überlegung. Wo man sagen muss: In Regionen, wo die Infektionszahlen extrem niedrig sind, kann man , solange die so niedrig bleiben, kann man natürlich der Bevölkerung, sag ich mal, kleine Lockerungen erlauben. Das wird ja letztlich auch gemacht. Indem man sagt, die Freibäder sind wieder offen oder Versammlungen mit mehreren Personen sind wieder erlaubt. Das ist ja genau die Konsequenz aus solchen Beobachtungen. Und ich finde es grundsätzlich auch richtig, dass man das inzwischen in Deutschland flexibel und lokal macht, zumindest nach Bundesländern und nicht mehr bundesweit. Das ist sicher sinnvoll, so dass sich Länder wie Sachsen einen Moment lang auch mal locker machen können. Man muss aber zur gleichen Zeit 2 Dinge immer im Auge haben. Das eine ist, dass in Regionen, wo das Virus bisher wenig war, natürlich für den Fall, dass es Ausbrüche gibt, dass dann besonders wenig immune Personen da sind. Und das andere ist, dass Menschen halt Menschen sind. Wenn man denen einmal sagt: Ihr müsst euch nicht so viel Mühe geben mit den Schutzmaßnahmen, die lockern wir hier bisschen. Dann weiß ich nicht genau, wie das funktioniert, wenn man ein paar Wochen später sagt: So, jetzt gilt es aber doch wieder. So eine Art Ampelsystem Rot-gelb-grün könnte man sich vorstellen. Es gibt tatsächlich Länder auf der Erde, die haben so eine Art Corona-Alarm Level definiert und gehen mit den Levels rauf und runter, je nachdem wie die Infektionszahlen sind. Ich weiß nicht genau, ob man in einer Gesellschaft, wo wir ja sowieso leider in einer Situation sind, wo gerade gestritten wird um die Frage, wieviel Maßnahmen brauchen wir gegen Corona und wieviel nicht. Ob man in so einer Situation, das nicht zu kompliziert machen würde und dann für noch mehr gesellschaftliche Spaltung sorgen würde.


[0:09:05] 

Camillo Schumann

 Wie schnell sich das Virus unter Jugendlichen ausbreitet. Um die geht es ja auch. Das würde auch die höheren Klassen betreffen. Das zeigt eine neue Studie aus den USA. Dort wurde das Infektionsgeschehen eines Jugendcamps, eines Jugendlagers ausgewertet mit interessanten Ergebnissen.


[0:09:2 2 ] 

Alexander Kekulé Das ist eine interessante Studie. Ich mag solche Studien, wo Analysen gemacht werden, ganz konkret, wie sich so ein Ausbruch entwickelt hat. So ähnlich wie bei Tönnies. Hier ist es in einem Journal, was die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention rausgeben, erschienen. Das ist sozusagen das Robert Koch-Institut in den USA. Und die haben da gerade am 31.07. die Analyse von einem Ausbruch in einem Pfadfindercamp quasi vorgestellt. Die Amerikaner lieben ja so was. Das war in Georgia. Es ist folgendermaßen abgelaufen. Da waren 12 0 Mitarbeiter. Viele von denen aber auch relativ jung, also jugendliche Mitarbeiter. Und noch 138 Personen, die zusätzlichen zur Ausbildung da waren. Viele von denen auch noch jugendlich. Und 363 Camper, also alles zusammen knapp 600 Personen. Die waren in so einem Camp und ein Teil davon drei Tage zur Vorbereitung. Nach drei Vorbereitungstagen sollte es dann losgehen. Dann kamen die Gäste: 363 Camper. Diese Camper waren im Alter von sechs bis 19 Jahren. Da hat man als Voraussetzung gesagt: Ihr dürft nur kommen, wenn ihr negativen Test mitbringt. Allerdings hat man gesagt: Der Test darf bis zu zwölf Tage alt sein. Da werden sich die Hörer dieses Podcasts sofort fragen: Was ist das für eine komische Anordnung? Aber der durfte nun einmal bis zu zwölf Tage alt sein der Test. Das Interessante ist, sie haben praktisch alle Maßnahmen der CDC eingehalten. Das sind so ähnliche Maßnahmen wie bei uns: Händewaschen, Kontakte vermeiden, Ellbogengruß. Was es alles gibt. Aber ein paar Maßnahmen haben sie weggelassen.



Camillo Schumann



Die 2 wichtigsten vermutlich. Dazu gehörte, dass keine Maske getragen werden musste.



Alexander Kekulé


Wie wir das hier besprechen, haben sie die 2 wichtigsten weggelassen. Erstens Masken mussten die Teilnehmer nicht tragen. Das war empfohlen für die Mitarbeiter. Aber selbst die haben das zum großen Teil nicht eingehalten. Und zweitens musste nicht gelüftet werden. Es gab keine Lüftungs-Protokolle. Das ist ja ganz interessant, wenn man die Entwicklung im Ausland verfolgt. Wir hier in Deutschland sind, glaube ich, sind doch ziemlich weit, dass selbst die Bevölkerung und natürlich alle Fachleute wissen, dass diese Aerosol-Bildung ein wichtiges Thema ist. Dass die Gefahr von Superspreading ein Thema ist und dass man aufpassen muss, dass man in geschlossenen Räumen keine stehende Luft hat, dass man deshalb lüftet. Das weiß jede Lehrerin, jeder Lehrer in der Schule. Im Ausland wird es heftig diskutiert. In den USA ist das ein Riesenthema. Sollen wir die Aerosol-Vermeidung zusätzlich in die Maßnahmen reinnehmen? Jedenfalls wurde dort nicht gelüftet. Die haben zum großen Teil keine Masken aufgehabt. Sie haben täglich intensiv und mehr als intensiv... Die haben da wild gesungen. Und als Amerikaner haben die dann Schlachtrufe gerufen. Sie tanzen zum Teil dazu. Das haben die jeden Tag mehrmals gemacht. Naja, können Sie sich vorstellen, was passiert ist?



Camillo Schumann



Es gab eine Ansteckung, beziehungsweise es gab mehrere Ansteckungen.



Alexander Kekulé


Es haben sich 44 Prozent der Campmitglieder mit Covid-19 infiziert. Es ist höchstwahrscheinlich von einem importiert worden. Das ist leider nicht ganz genau klar. Aber diese sogenannte Attack-Rate, wie wir das dann nennen, also wie viele hat es sozusagen dann erwischt bei der Infektion, die lag bei 44 Prozent. 2 60 von 597 hatten das Virus hinterher. Das ist eine sehr, sehr hohe Zahl, also praktisch sehr konsequent durchimmunisiert haben die sich dort in diesen wenigen Tagen. Das waren ja nur diese drei Tage Vorbereitung. Das Camp


sollte eine Woche dauern, aber es wurde nach drei Tagen abgebrochen, als dann klar war, dass es diese Infektionen gab. Was ich spannend finde, ist die Altersverteilung. Das ist hier genau aufgelistet. Und zwar die meisten Infektionen. 51 Prozent waren in der Altersgruppe zwischen 16 Jahren. Also die Sechs bis Zehnjährigen hatten 51 Prozent. Bei den elf bis 14Jährigen waren 44 Prozent infiziert, also auch fast die Hälfte. Bei den etwas älteren 18 bis 2 1, das waren wahrscheinlich Betreuer. Da waren nur 33 Prozent, also ein Drittel infiziert. Das heißt hier ganz klar: die Jüngsten haben am häufigsten des Virus abgekriegt. In diesem Camp und insgesamt von allen, die infiziert waren, war ein Viertel, 2 5 Prozent, komplett ohne Symptome. Das ist auch interessant. Bei so jungen Leuten war das nicht unerwartet, dass man wahrscheinlich viele symptomlose Überträger auch hatte.


[0:14:05] 

Camillo Schumann

 Das ist ja genau die Altersspanne, die auch die Schulkinder betrifft und wie dann damit umgegangen wird. Dort wurden keine Masken getragen. Es wurde nicht gelüftet. Das wird in Deutschland ja gemacht. An den deutschen Schulen wird gelüftet. Es gehört zum Hygienekonzept mit dazu. Das Zünglein an der Waage ist die Maske. Die Bundesländer reagieren auf diesen Schulstart, wie wir es aus der Pandemie kennen, sehr sehr unterschiedlich. Man kann feststellen, die Maske wird nun auch zum Bild an den Schulen gehören. In MecklenburgVorpommern, Hamburg, Bayern, BadenWürttemberg muss an den Schulen Maske getragen werden. Im Klassenzimmer offenbar nur in NRW. Da soll die Maske sogar im Klassenzimmer getragen werden. Erst einmal grundsätzlich: Die Maske hält Einzug an der Schule. Gute Idee?


[0:14:52 ] 

Alexander Kekulé Ja, das ist auf jeden Fall eine gute Idee. Ich kann da nur noch mal plädieren. Das ist genauso nervig wie früher der Sicherheitsgurt oder der Helm beim Motorradfahren oder Ähnliches. Da müssen wir uns erst einmal daran gewöhnen. Ich blicke in den Herbst. Vor allem, wenn man die Fenster nicht mehr ständig


aufmachen kann. Da ist die Maske ganz offensichtlich, das sagen die Studien weltweit, Masken sind das, was von den einfachen Maßnahmen noch am besten wirkt.


[0:15:17] 

Camillo Schumann

 Aber Maske auch im Unterricht, so wie es NRW einführt. Niedersachsen sagt, das ist völlig unverhältnismäßig. Wie bewerten Sie das?


[0:15:2 8] 

Alexander Kekulé Ja, ich gucke natürlich aus der Virologen-Seite da drauf. Wenn Sie mich als Vater fragen, da habe ich nur eine kleine Stichprobe mit Kindern, die gerade noch an der Schule beziehungsweise in der Kita sind. Das ist für die Kinder natürlich schon ziemlich nervig, wenn die da drin sitzen müssen und eine Maske im Gesicht haben. Andererseits glaube ich schon, dass man Unterricht so machen kann. Wir machen auch in meinem Institut alle Besprechungen mit Maske im Gesicht. Ich glaube, das ist bundesweit in Krankenhäusern absolut üblich. Es ist auch so, dass viele, viele Arbeitsplätze so sind, dass man den ganzen Tag eine Maske tragen muss. In Krankenhäusern sowieso. Da haben praktisch alle den ganzen Tag so eine OP-Maske auf. Aber auch in vielen anderen Bereichen wird das eingeführt. Das finde ich auch sehr sinnvoll. Und so wird man den Schülern das nicht ersparen können, dass sie nuscheln beim Sprechen. Dann müssen sie sich halt melden und mit der Maske im Gesicht was sagen. Oder der Lehrer muss sich überlegen, dass derjenige, der vielleicht aufsteht und was Wichtiges zu erzählen hat, die Maske kurz abnimmt. Da wird man sicher Lösungen finden müssen. Ich finde das allemal besser als die Situation, wenn in Deutschland die Fälle wieder hochgehen würden.


[0:16:44] 

Camillo Schumann

 Aber noch einmal nachgefragt ganz explizit. Sie haben aus der Sicht des Vaters gesprochen, der sicherlich Verständnis dafür hat. Und jetzt noch einmal die Bewertung des Virologen: Maskenpflicht im Unterricht?


[0:16:57] 

Alexander Kekulé Aus meiner Sicht klipp und klar. Wenn wir die Klassen voll haben und wir wissen ja, wie es in deutschen Schulklassen aussieht. Das ist nicht so, dass die alle in Turnhallen unterrichtet werden. Wenn die Klasse voll ist und sie im Herbst die Fenster nicht mehr dauernd aufmachen können, ist die Maske das, was notwendig ist. Die Maske im Unterricht. Dafür würde ich plädieren. So lange, bis wir vielleicht andere Zahlen haben. Es ist möglich, dass sich die Ergebnisse, die wir haben, sich doch in die Richtung entwickeln, dass die, aus welchem Grund auch immer, Kinder und Jugendliche nicht infektiös sind. Ich glaube es nicht, aber man lässt sich ja gerne belehren. Aber ich würde das ganze Experiment, wenn ich es noch einmal so nennen darf, nicht von der Seite anfangen, dass ich quasi ins Risiko gehe und sage: Okay, ich schau mal, was passiert. So sagen das auch viele Politiker dieser Tage. Wenn es schlimmer wird, dann machen wir es eben wieder zu. Aber ich meine, da riskieren sie letztlich Menschenleben und auch, dass das Virus sich weiter ausbreitet. Ich glaube, andersherum wäre es vernünftig: Mit einer sicheren Methode anfangen, vielleicht dann in Einzelfällen unter starker Kontrolle in einzelnen Klassen die Masken dann mal weglassen. Aber dann wirklich als Experiment, was auch wissenschaftlich direkt begleitet wird. Und nur wenn diese Dinge sehr, sehr positiv ausfallen, kann man es dann schrittweise lockern. Wir wissen einfach, dass es massive Ausbrüche in Schulklassen gibt, wenn die Masken weggelassen werden


[0:18:17] 

Camillo Schumann

 In Sachsen. Da soll es keine Maskenpflicht im Unterricht geben. Aber dann vielleicht ja doch irgendwie. Folgendes hat Kultusminister Piwarz auf einer Pressekonferenz am Montag, 3. August gesagt:


[0:18:2 9] Kultusminister Christian Piwarz Dazu gehört für uns, dass wir eine Maskenpflicht generell im Moment nicht als notwendig erachten, aber trotzdem eine MaskenMitführungspflicht im Freistaat Sachsen haben. Jeder, der ein Schulgebäude betritt, muss eine


Maske bei sich führen. Schulen sollen ... Und das haben sie in der letzten Zeit eigenverantwortlich sehr, sehr gut getan. Schulen sollen entscheiden, ob außerhalb der Unterrichtsräume außerhalb der Unterrichtssituation Masken zu tragen sind, beispielsweise auf dem Pausenhof oder im Schulgebäude, wenn man sich also begegnet. Das wird auch weiterhin ganz selbstverständlich zum schulischen Alltag in Sachsen dazugehören, weil wir einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen haben.


[0:19:06] 

Camillo Schumann

 Masken-Mitführungspflicht und jede Schule soll selbst entscheiden. Sie haben sich gerade eben für eine Maskenpflicht auch im Unterricht generell überall ausgesprochen. Sie sagen aber auch, dass man immer regional unterschiedlich reagieren soll. Warum trifft das auf die Maske nicht zu?


[0:19:2 4] 

Alexander Kekulé Naja, das Problem ist ja, dass wir auf jeden Fall immer und überall Superspreader-Ereignisse vermeiden müssen. Und beim Superspreader genügt ein einziger Infizierter. Das kann ein einziges Kind sein, das vielleicht mit den Eltern im Ausland war oder aus anderen Gründen sich irgendwo das Virus geholt hat. Und wenn das in einer Schulklasse dann 2 0 andere infiziert. Dann nützt Ihnen das nichts, dass das Bundesland insgesamt vielleicht sehr, sehr niedrige Fallzahlen hat. Deshalb würde ich hier von der sicheren Seite ausgehen, weil eine Schulklasse mit geschlossenen Fenstern und Kindern, die da die ganze Zeit sitzen, die da vielleicht auch sprechen müssen zwischendurch. Das ist eine Situation, wo man mit solchen Superspreading-Ereignissen rechnen muss.


[0:2 0:10] 

Camillo Schumann

 Maske in der Schule. Das wird, wie gesagt, zum Bild mit dazugehören. Aber es wird in den kommenden Tagen auch richtig heiß in Deutschland. Temperaturen über 30 Grad im Schatten, praller Sonnenschein und jeder weiß: So ein Klassenzimmer. Das heizt sich dann auch gerne mal auf. Und dann noch eine Maske. Da


wird wahrscheinlich der eine oder andere Lehrer sagen: Gut, dann setzt die Maske kurz ab, wenn es dann wirklich zu heiß ist, wenn man vielleicht auch schlecht Luft bekommt. Dass die Maske absetzen in so einer Situation an der Schule, wenn es sehr, sehr heiß ist. Dass das auch mal richtig nach hinten losgehen kann, zeigt das Beispiel einer israelischen Schule. Da ist es ja ziemlich nach hinten losgegangen, oder?


[0:2 0:53] 

Alexander Kekulé Ja, da ist endlich mal schwarz auf weiß publiziert worden, was eigentlich schon länger so per Hörensagen bekannt war. Eine Situation in Israel, wo an einem Tag gesagt wurde: Die Schulen, die Schüler dürfen, weil es so heiß ist, statt hitzefrei eine Zeitlang ohne Masken im Unterricht sein. Da hat man kurz darauf die bekannten Ausbrüche gehabt. Man hat aber nachgesehen, welchen Effekt hatte das Weglassen der Maske in dieser bestimmten Schule? Da war es so, dass 153 Schüler und 2 5 Mitarbeiter dort also eine relativ hohe Zahl tatsächlich Covid19 positiv geworden sind. Die sogenannte Attack-Rate war dort ungefähr bei 13 bis 15 Prozent. Das heißt also, von denen, die hätten infiziert werden können, sind immerhin 13 15 Prozent infiziert worden. Das ist noch kein Superspreader-Ereigniss, weil es dort relativ verteilt war in der Schule. Aber es zeigt relativ eindeutig, dass das Weglassen der Maske eins zu eins zur Folge hat, dass hinterher die Zahl der Infektionen steigt.



Camillo Schumann



Bei einem entsprechenden Umfeld an Fällen.



Alexander Kekulé


Das ist natürlich ein wichtiger Punkt. Das ist eine Situation, wo in Israel, die sowieso das Problem hatten, dass die Fallzahlen angestiegen sind und wahrscheinlich nie so ganz unter Kontrolle waren. Da kann man vielleicht zu Deutschland was sagen, was mir ganz wichtig ist, weil wir im Moment immer diskutieren, geht es wieder hoch irgendwo. Die täglichen Fallzahlen waren zum Teil wieder knapp unter Tausend. Andere Bundesländer sagen: Bei uns ist es ja gar nicht so hoch. Wir sind in einer Phase, wo sich das Bild der einzelnen Infektio-


nen verändert. Es war ja so, dass wir einzelne Ausbrüche hatten und diese Ausbrüche relativ gut erkennbar waren. Wenn Sie irgendwo 2 030 Fälle haben, dann vielleicht auch noch im Krankenhaus oder im Altersheim. Das wird natürlich bemerkt. Das muss man sich so vorstellen, dass parallel immer ein Infektionsgeschehen stattfindet, wo wenige Fälle da sind. Und diese wenigen Fälle werden vielleicht gar nicht bemerkt, weil die Leute niemanden anders angesteckt haben und von selber wieder gesund werden. Oder weil sie vielleicht wenig Symptome haben oder nicht zum Arzt gehen. Sodass man immer eine Situation hat, dass langsam die Zahl der unbemerkten verteilten Fälle... Diese Zahl steigt langsam in so einer Phase der Epidemie, wie wir sind. Und die Zahl der einzelnen großen Ausbrüche, die man relativ schnell identifiziert, die ist plötzlich nicht mehr so wichtig, weil Sie die ja in den Griff bekommen. Das heißt, es entsteht etwas: Ich nenne es Noice-Effekt, ein Hintergrundrauschen. Es entsteht langsam ein zunehmendes Hintergrundrauschen von verteilten Infektionen im Land, die im Einzelnen gar nicht mehr so wahrgenommen werden. Und die sind das Problem, was wir haben. Wir kommen in so einer Phase, wo es im ganzen Land verteilt einzelne Infektionen gibt, die irgendwo sein können, ohne dass ein großer Ausbruch stattfindet, sodass wir von einer generellen Gefährdung ausgehen müssen. Noch nicht so hoch wie in Israel. Aber durch dieses Hintergrundrauschen, was langsam zunimmt, was sind quasi die Fälle, die man bei der Bekämpfung der Ausbrüche nicht gesehen oder nicht erwischt hat. Irgendwas bleibt ja immer übrig, wenn man sauber macht. Und dieses Hintergrundrauschen ist im Moment unser Problem.


[0:2 4:31] 

Camillo Schumann

 Besteht da die Gefahr, dass aus diesem Rauschen, wenn wir das laufen lassen, wir nicht erkennen, dass möglicherweise das der Nährboden für ein exponentielles Wachstum ist?


[0:2 4:44] 

Alexander Kekulé Ja, das ist genau das Problem. Am Anfang hatten wir eingeschleppte Infektionen, einzelne Infektionen, Infektionsketten, die man gefun-


den hat wie Tönnies natürlich und andere, die man nicht gefunden hat. Aber wenn Sie dann plötzlich eine ganz allgemein fast schon normal verteilte Verteilung von diesen Fällen in ganz Deutschland habe. Dann sind die nicht mehr einzufangen. Da hat man dann nur noch die einzige Möglichkeit dagegen vorzugehen, das individuelle Verhalten der Bevölkerung. Das können die Behörden nicht mehr hinkriegen, wenn das nur so einzelne Fälle sind, die irgendwo quasi mal übersehen wurden bei einem Ausbruch oder die Sekundär-Fälle waren, die dann nicht so schlimm verlaufen sind, sonst wären die ja ins Krankenhaus gegangen. Wenn das steigt, dieses Hintergrundrauschen, dann sind Sie wirklich in der Situation, dass Sie das nicht mehr einfangen können. Außer die Menschen selber verhalten sich ganz, ganz konsequent. Ich finde auch deshalb, muss man den Menschen die Möglichkeit in die Hand geben, um es zum hundertsten Mal zu sagen, sich wirklich individuell testen zu können, weil sie dann die Möglichkeit haben, dass jeder ein bisschen auf sich selber aufpasst. Wenn es ganz feinkörnig verteilt ist, das Problem, dann brauchen Sie die individuelle Verantwortung. Das kann man nicht mehr mit den Gesundheitsbehörden regeln.


[0:2 5:56] 

Camillo Schumann

 Individuelle Verantwortung ist das Stichwort, um noch einmal über die Reiserückkehrer zu sprechen. Stichwort verpflichtende Test für Reiserückkehrer. In dieser Woche soll es ja nun losgehen. Wir haben im Podcast ja auch schon mal darüber gesprochen letzte Woche. Eine Frage stand besonders im Mittelpunkt, weil Sie die individuelle Verantwortung angesprochen haben. Wie will man denn Reisende aus Risikogebieten erkennen und dazu bringen, sich auch wirklich testen zu lassen? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat dazu im ARDMorgenmagazin folgendes gesagt:


[0:2 6:2 6] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Zuerst einmal sind natürlich Stichprobentests möglich. Zweitens hat jeder die Pflicht, übrigens auch heute schon, der aus einem Risikogebiet kommt, sich bei seinem Gesundheitsamt am Wohnort zu melden. Und zum Dritten


würde ich mir wünschen, dass die Europäische Union, dass wir gemeinsam in Europa ganz grundsätzlich sagen: Wer aus Drittstaaten, aus Risikogebieten einreist, der muss vor Abreise einen Test machen, der negativ ist.


[0:2 6:50] 

Camillo Schumann

 Also Stichprobe-Pflicht zur Quarantäne. Das wissen wahrscheinlich viele gar nicht. Und dann diese Tests vor Abreise, was wahrscheinlich noch rein theoretischer Natur ist. Aber am Ende wird es doch wahrscheinlich nur eine Stichprobe sein. Reicht das?


[0:2 7:03] 

Alexander Kekulé Erstens ist es so, dass die Menschen, die aus Risikogruppen-Gebieten kommen, schon mal gar keine Informationen in die Hand bekommen, wenn sie einreisen. Das wäre ja sinnvoll, weil viele tatsächlich, glaube ich, gar nicht wissen, dass sie 2 Wochen in Quarantäne müssen und sich beim Gesundheitsamt melden müssen. Das muss man den Leuten ... Das sind ja nicht nur deutschsprachige, die da einreisen. Das muss man denen einmal klipp und klar sagen: Pass mal auf, du musst nach Hause gehen und 2 Wochen lang dir die Brötchen von irgendjemandem bringen lassen. Das ist das Erste. Diese Information wäre er schon mal ganz, ganz wichtig. Das Zweite ist, es sind ja leider nicht nur Personen aus Risikogebieten, die diese Infektionen einschleppen. Mein Eindruck ist, dass das nachlässige Verhalten im Urlaub mindestens eine genauso große Rolle spielt, wenn nicht die größere sogar. Und das sind natürlich Menschen, die haben dann keine Verpflichtung, in Quarantäne zu gehen. Die haben es im Urlaub nicht eingesehen, sich zurückzunehmen. Und warum sollen die dann in Deutschland was machen? Warum sollen die sich in die Schlange stellen am Flughafen, statt direkt nach Hause zu gehen, sich in die Schlange stellen, um sich testen zu lassen. Deshalb glaube ich schon, dass man da noch mehr aufklären muss. Dass man den Leuten, das noch deutlicher machen muss, dass es notwendig ist. Aus Risikogebieten Tests absolut verpflichtend zu machen. Egal, ob die mit dem Flugzeug oder mit dem Bus oder sonst wie kommen. Wir haben ja auch Fälle von Busrei-


sen, wo im Bus es zu SuperspreaderEreignissen gekommen ist. Das heißt, da gibt es ganz, ganz viel zu tun. Die To-do-Liste ist wirklich lang. Ich warne davor zu sagen, das soll mal die EU regeln. Meine Erfahrung: Nicht nur in dieser Krise, aber in dieser ganz deutlich ist, wenn man will, dass ein Problem gar nicht mehr gelöst wird, dann sagt man: Wir warten, bis eine EU-weite Regelung kommt. Da gibt es dann so viele Partialinteressen, die eine Rolle spielen. Bis hin zu dem Problem, dass auch EURegionen de facto ein Risikogebiet sind. Wenn ich an Katalonien denke zum Beispiel. Auch andere Regionen innerhalb der Mitgliedstaaten sind ja Risikogebiete. Was natürlich die jeweiligen Mitgliedstaaten, die auch am Tourismus Interesse haben, nicht gerne hören. Ich würde ungern auf dieser politischen Ebene bewegen. Da passiert gar nichts. Man muss ganz klar sagen, diese Tests sind empfohlen. Diese Tests sind verpflichtend für bestimmte Gruppen. Und das muss man dann aber auch durchsetzen. Der Vorschlag, dass man ausgerechnet für Regionen außerhalb der EU, also in sogenannten Drittstaaten vor Abreise den Test machen soll. Ich persönlich würde einem Test, der in einem nordafrikanischen Staat gemacht wurde oder in einem Land südlich der Sahara oder sonst wo auf der Welt. So einem TestZertifikat würde ich weniger vertrauen als einem Test, der in dem deutschen Labor gemacht wurde. Da bin ich ein bisschen konservativ. Es gibt so viele Länder der Erde, wo Sie für 2 0 Dollar jedes Zeugnis bekommen. Ich würde da nicht sagen, die sollen das vor Ort machen und nur das Zeugnis mitbringen.


[0:30:06] 

Camillo Schumann

 Gut die Test vor Abreise, das hat der Spanier auch gesagt. Das wäre dann quasi der dritte Schritt, der mittelfristig vielleicht irgendwann mal kommt. Aber trotzdem die Pflicht zur Quarantäne. Erstmal das Wissen darüber, dass man das tut. Und dann kann es am Ende nur eine Stichprobe sein. Dass man die Menschen dann verpflichtet: So, du lässt dich mal testen. Aber grundsätzlich wird an die Individualität, das Verantwortungsbewusstsein eines jeden Rückkehrers, egal woher er kommt, appelliert. Geht das gut?


[0:30:36] 

Alexander Kekulé Das weiß ich nicht. Das kann ich so nicht sagen. Ich glaube schon, dass die Menschen in Deutschland ... Ich bin nach wie vor Optimist, dass wir eigentlich sehr vernünftig sind, verglichen mit vielen Ländern der Erde. Und es gibt aber natürlich auch Methoden. Der Zoll ist ja auch erfahren im Einsammeln oder Identifizieren von Leuten, die irgendetwas geschmuggelt haben. Keine Ahnung, wie die das genau erkennen. Aber es geht ja hier um die konkrete Frage: Kommt jemand aus dem Ausland nach Deutschland über die Grenze. Bei einer Flugreise ist es einfach, weil der Abflughafen bekannt ist. Es kommt jemand auf einem anderen Weg nach Deutschland und dann muss er eben direkt gefragt werden: Wo kommen Sie her? Und jemand, der das Poker-Face macht und den Zöllner komplett anlügt. Einer, der sagt: Ich komme aus Österreich. Und dabei ist er von sonst wo eingereist. Solche werden Sie nie richtig erwischen. Aber ich glaube, das ist nur ein kleiner Teil, der absichtlich eine Frage falsch beantwortet. Das Wichtige ist doch, dass jemand da stehen muss, der die Frage stellt. Das ist bis jetzt nicht der Fall. Selbst wenn Sie am Flughafen einreisen aus einer Destination, wo klar ist, dass der Abflugorten Risikogebiet ist. Es ist ja nicht so, dass alle Passagiere an langen Tischen vorbei gehen und einen Rachenabstrich machen müssen. Sondern der wird halt empfohlen. Es wird sozusagen nicht durchgesetzt. Ich glaube, da könnte man schon noch einiges tun, um zumindest das Sieb, sage ich mal, ein bisschen enger zu machen. 100 Prozent werden Sie nicht bekommen. Aber das stört epidemiologisch nicht. Wenn Sie, wenn Sie, wenn Sie bei 90 Prozent effizient landen, dann sind Sie auf jeden Fall hervorragend bezüglich der Bekämpfung der Epidemie.


[0:32 :13] 

Camillo Schumann

 Bin ich ja mal gespannt. Wir kommen an dieser Stelle zu den Hörer-Fragen. Diese Dame hat eine wichtige Frage zur Maske. Diese Maske braucht sie unbedingt.


[0:32 :2 3] Zuhörerin


Patienten auf der Transplantationsliste müssen einmal im Quartal zuvor für Pflichttests ins Krankenhaus. Hier meine Frage: Können Sie sich vorstellen, dass man circa 36 Stunden im Krankenhaus mit FFP-2  Mundschutz ohne Pause aushält. Es ist mir nicht gelungen mir vorzustellen, wie ich als Lungen-Patientinnen das aushalten kann. Ich möchte ganz ehrlich fragen, ob es überhaupt möglich ist oder ob es eigentlich kompletter Wahnsinn ist, weil man das sowieso nicht aushalten würde. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Antwort. Vielen Dank für den Podcast.


[0:32 :55] 

Camillo Schumann

 Das ist ja auch eine Frage, die über Leben und Tod entscheiden.



Alexander Kekulé


Da muss das Krankenhaus natürlich Vorsorge treffen. 36 Stunden. Ich würde das auf keinen Fall versuchen, wenn ich was an der Lunge habe. Und ich kann ja mal von mir selber sagen, ich habe auch so eine FFP-Maske auf, wenn ich zum Beispiel im Flugzeug sitze oder Zug fahre. Und wenn dann der Zug, was in Deutschland leider manchmal vorkommen soll, Verspätung hat. Dann schnauft man ganz schön unter der Maske, gerade jetzt in den Sommermonaten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand durchgehend FFP2 -Masken länger als acht Stunden oder so was trägt, ohne das extrem unangenehm zu finden. Ich glaube auch, dass es am Ende des Tages sogar für die Lunge nicht gesund sein kann. Ich bin kein Pulmologe. Deshalb nein, das würde ich nicht versuchen 36 Stunden. Das Krankenhaus muss dafür sorgen, dass ein Patient, der gefährdet ist und wohl auch offensichtlich zur Risikogruppe gehör. Dass so jemand eben geschützt ist. Der braucht eben einen Raum, wo er sich nicht anstecken kann in der Zeit.


[0:34:03] 

Camillo Schumann

 Dieser Herr hat angerufen und folgende Frage:


[0:34:06] Zuhörer Immer wieder hört man von vielen Leuten, dass sie schon im Dezember oder Januar Prob-


leme hatten mit Erkältungs-Krankheiten, die sich wie Corona angefühlt haben. Ist es definitiv ausgeschlossen, dass sich Menschen infiziert haben vor dem ersten Ausbruch in München? Oder ist es doch möglich, dass schon Leute im Dezember sich hier in Deutschland hätten infizieren können?


[0:34:2 9] 

Camillo Schumann

 Diese Frage bekommen wir übrigens sehr, sehr häufig. Also wie lange ist das Virus schon in Deutschland?


[0:34:35] 

Alexander Kekulé Also in Deutschland ist leider dazu noch nicht so eine richtig gute Studie gemacht worden. Aber es ist klar, dass es in Frankreich Fälle gab, die schon im letzten Jahr waren, also deutlich, bevor der Ausbruch in Italien bekannt wurde. Sodass wir davon ausgehen müssen, wenn diese Zahlen stimmen, wenn diese Untersuchungen stimmen. Das ist natürlich immer so eine Untersuchung. Es kann immer sein, dass dann eine Weile später rauskommt, dass er technischen Fehler gemacht hat. Aber wenn das stimmt, ist es so, dass wir in Europa schon einzelne Infektionen hatten, deutlich bevor die Fälle in München bekannt wurden. Ich gehe eigentlich davon aus, dass insbesondere Leute, die in Norditalien waren oder in Tirol waren, dass die durchaus eine Chance hatten, sich beispielsweise im Januar schon zu infizieren. Ob es schon letztes Jahr Oktober vielleicht möglich war, sich zu infizieren in Europa. Da steht ein Fragezeichen dahinter. Das wird spekuliert. Da gibt es sicherlich demnächst Untersuchungen, die so was prüfen, weil man ja Rückstellproben hat von vielen Menschen, die im Krankenhaus oder beim Arzt waren, in Form von tiefgefrorenem Serum, also Blutbestandteilen irgendwo im Tiefkühler. Und so was kann man rausholen und untersuchen. Das wird mit Sicherheit gemacht. Und ich erwarte von solchen Studien schon ... Ich gehe eigentlich davon aus, dass wir feststellen werden, dass das Virus aus China sich viel früher verbreitet hat, als es offiziell festgestellt wurde. Das liegt sicherlich auch an der Informationspolitik der Behörde in Wuhan ganz am Anfang. Das ist, glaube ich, inzwischen international


akzeptiert, dass die versucht haben, das Problem zu lösen und nicht gleich ihr Problem an die große Glocke gehängt haben. Und in der Zeit sind natürlich auch täglich Tausende von Menschen mit einem Flugzeug aus der Stadt geflogen. Und rein statistisch müssen da ein paar Infizierte dabei gewesen sein.


[0:36:2 9] 

Camillo Schumann

 Wenn diese Rückstellproben aufgetaut und ausgewertet werden. Dann erfahren Sie es hier im Podcast. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 90. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Samstag, 01.08.2 02 0 #89: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Samstag 01.08. 2 02 0.


Mdr Aktuell Kekulés Corona-Kompass


[0:00:10] : 

Camillo Schumann

:


Singen im Chor, tanzen im Verein und Laufen in der Gruppe. Mit welchem Hygienekonzept ist das möglich?


Dann, auf welche Labordaten sollte man bei einer möglichen CoronaInfektion achten?


Außerdem kann man Antikörper künstliche herstellen und ist Achterbahnfahren ein Risiko.


Herzlich willkommen zu einem Kekulés CoronaKompass Hörerfragen Spezial. Die Fragen kommen von Ihnen und die Antworten wie immer vom Virologen und Epidemiologen. 

Alexander Kekulé .


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé:


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann

:


Frau F. aus Halle hat angerufen. Sie sang ja bisher im Chor. Durch Corona wurden die Chorproben aber abgesagt. Mitte August soll


es wieder losgehen. Chorprobe mit Hygienekonzept. Dieses Hygienekonzept sieht Frau F. ein wenig skeptisch.


[0:00:58] : Frau F.:


Es soll dann so sein, dass die Gruppe des Chores nicht mehr als 2 5 Personen sein sollen. Die Abstände von einem zum anderen 1,50 m und von Reihe zu Reihe wohl 2  m. Was ich ein wenig finde: Nach einer Dreiviertelstunde Singen eine Stoßlüftung von 5 Minuten. Das würde ich denken, ist zu wenig. Wir haben noch den Sommer. Da kann man vielleicht draußen singen. Aber es kommt der Herbst. Da wird e wohl nicht mehr möglich sein. Was halten Sie von der Idee? Ich bedanke mich bei Ihnen und bleiben Sie gesund.


[0:01:43] : 

Camillo Schumann

:


Man muss dazu noch ein paar Daten ergänzen. Ich habe Frau F. angerufen. Sie sagte mir, dass sie Chorprobe in einer ehemaligen Turnhalle stattfindet, also in einem sehr großen Raum. Die Chormitglieder sind überwiegend ältere Menschen über 70 Jahre. Frau F. macht sich Gedanken, weil ihr Mann schon im Krankenhaus lag und beatmet wurde. Sie ist also sehr, sehr ängstlich. Können Sie Frau F. die Angst nehmen?


[0:02 :05] : 

Alexander Kekulé:


Aus meiner Sicht sieht es gar nicht so riskant aus dieses Konzept, sofern man diese Stoßlüftung macht und die Abstände einhält. Das ist ja eine Turnhalle, in der das stattfindet. Natürlich man kann sagen, die Lüftung hängt davon ab, wie gut die Luftzirkulation an dem Tag ist. Wenn es komplett windstill sein sollte, ist das vielleicht nicht so effektiv. Solche Sachen kann man vielleicht noch verbessern. Aber ich finde, grundsätzlich ist es ein vernünftiges Konzept. Die Frage ist völlig berechtigt. Was macht man dann, wenn es Richtung Herbst geht? Da ist meine Antwort, glaube ich bekannt: Testen, testen, testen. Gerade wenn das Menschen sind, die im Risikoalter schon sind, ist es aus


meiner Sicht sinnvoll, wenn man die Fenster nicht mehr aufmachen kann. Für solche Tätigkeiten, wo man in einem kleineren Raum zusammen sein muss, dass man tatsächlich die dann an dem Tag, wo diese Probe stattfindet, alle vorher testet.


[0:03:05] : 

Camillo Schumann

:


Frau F., der Test im Herbst und ansonsten schön lüften. Und dann können Sie wieder anfangen, in der Gemeinschaft zu singen. Das ist doch eine gute Nachricht. Aber nicht nur die Chöre waren von der Corona-Krise betroffen, auch Tanzschulen und private Tanzgruppen. Deshalb diese Frage von Frau D.: Ich leite 2 Folklore Tanzgruppen mit zwölf bis 2 5 Teilnehmern. Wir tanzen normalerweise im Kreis oder paarweise mit Händen anfassen. Beim Partnerwechsel. Wir kommen wir uns zwangsläufig recht nahe. Die Tänze sind teilweise auch recht anstrengend. Das Alter der Teilnehmer liegt zwischen 40 und 80 Jahre. Teilweise gehören die Teilnehmer auch Risikogruppen an. Abstand halten und Nasenschutz tragen, ist auf Grund der Natur der Tänze nur schwer möglich. Unter welchen Bedingungen ist eine Wiederaufnahme dieser Tanzgruppen Ihrer Meinung nach denkbar? Viele Grüße Frau D.


[0:03:59] : 

Alexander Kekulé:


Tanzen ist wirklich ein Problem. Vor allem wenn vorgesehen ist, dass die Paare auch noch wechseln zwischendurch. Ich sehe wirklich ganz ehrlich keine andere Möglichkeit, als die Menschen zu testen, bevor sie zu dieser Tanzveranstaltung gehen. Ich würde bei einer normalen Tanzgruppe sagen, wenn die weit genug auseinander sind. Wenn das eine große Halle ist, wo vielleicht auch noch die Fenster offen sind und die Paare als Paare zusammenbleiben. Das heißt also 2 Personen kommen zu dem Kurs, tanzen gemeinsam und gehen wieder nach Hause. In so einer Situation, würde ich sagen, kann man ein allgemeines Hygienekonzept finden. Aber wenn da Partnerwechsel vorgesehen ist und das auch noch Risikopersonen sind. Das ist wirklich eine der schwierigsten Nüsse, die ich auch nicht knacken kann.


Das Einzige, was mir einfällt, ist wirklich kurz vorher zu testen. Aber selbst das wäre natürlich nicht sicher. Bei jemandem, der mitten im Risikoalter ist, würde ich auch nicht das Restrisiko eingehen, was durch einen falschnegativen Test entstehen könnte.


[0:05:08] : 

Camillo Schumann

:


Kann es sein, dass bestimmte Hobbys, die man vielleicht Jahrzehnte gepflegt hat ... In Anbetracht der Corona-Krise sind die vielleicht grundlegend zu überdenken. Müssen wir uns vielleicht ein anderes Hobby suchen? Wir haben ja schon sehr häufig über solche Hobbys gesprochen haben: Chöre, Tanzveranstaltungen oder Tanzgruppen. Dass man da vielleicht Umdenken muss, so grundsätzlich?


[0:05:34] : 

Alexander Kekulé:


Das ist natürlich kein virologischer Rat. Aber ich kann nur sagen, man muss sich darauf einstellen, dass das Problem uns noch eine Weile erhalten bleibt. Und man soll sich, wenn ich das mal so plakativ sagen darf, von der Pandemie nicht den Spaß total verderben lassen. Bevor ich jede Woche jammere, dass mein Tanzkurs ausfällt. Da ist das genau, was Sie sagen, die richtige Konsequenz. Dann muss es halt mal was anderes sein. Ich glaube, da gibt es viele Möglichkeiten, dass man zumindest vorübergehend ein anderes Hobby wahrnimmt. Ich glaube, wir alle müssen in dieser Zeit flexibel sein und versuchen, die Dinge, die noch gehen, irgendwie zu machen und uns darüber zu freuen. Viel mehr Alternativen bleiben eigentlich nicht. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel mit dem Tanzkurs. Wenn ich über 70 bin und dann einen Tanzkurs mit Partnerwechsel. Wenn es meine Mutter wäre, würde ich sagen: Nein, such dir etwas anderes. Aber suche auch was anderes. Nicht einfach zuhause sitzen bleiben. Dann wäre der Kollateralschaden ja auch enorm.


[0:06:39] : 

Camillo Schumann

:


Chöre hatten wir, Tanzgruppen. Was durch Corona weggefallen ist, sind auch ein Marathons. Dazu hat uns Herr Z. folgende Frage gemailt: Sehen Sie zum Herbst bei den Volksläufen Möglichkeiten, Hygienekonzepte aufzulockern. Es geht nicht um große Veranstaltungen wie Städtemarathons, sondern eher um kleine Veranstaltungen mit bis zu 500 Läufern ohne viel Zuschauer. Man könnte ja darüber nachdenken, den Start im Minuten-Rhythmus mit jeweils zehn Teilnehmern durchzuführen. Im Ziel ist der Aufenthalt nur mit Abstandsregeln möglich. Wäre das eine Idee? Viele Grüße.


[0:07:12 ] : 

Alexander Kekulé:


Bei allen Veranstaltungen, die man im Freien durchführen kann, sehe ich Lösungsmöglichkeiten. Da kann man Hygienekonzepte machen. Es ist ja zum Teil so, dass die Hauptgefahr die ist, dass Zuschauer untereinander sich zu eng kommen oder dass im Nachgang zu den Veranstaltungen irgendwelche Partys stattfinden. Aber das reine Bewegen im Freien. Da sehe ich eigentlich kein Problem. Das ist ja auch kein Mannschaftssport, wo man irgendwie unbedingt Kontakt mit den anderen haben muss. Deshalb würde ich sagen, so etwas wie ein Marathon ist selbstverständlich im Prinzip realisierbar. Ich glaube das Gesundheitsamt hat da so ein paar Ideen, wie man das praktisch machen kann.


[0:07:51] : 

Camillo Schumann

:


Herr T. hat uns geschrieben: Die Positivrate der Corona-Tests betrug laut Robert Koch-Institut in der 2 7. und 2 8. Kalenderwoche nur noch 0,6 Prozent. Da der PCR-Test eine Fehlerquote hat. Ist es möglich, dass bei 0,6 Prozent Positivrate eine große Zahl der Fälle falsch-positiv sind. Kleiner Einschub: Dies hat er auch Bundesgesundheitsminister Spahn zu bedenken gegeben. Hören wir kurz rein.


[0:08:2 0] : Bundesgesundheitsminister Spahn:


Weil die Tests ja nicht 100 Prozent genau sind, sondern wir auch eine kleine Fehlerquote ha-


ben. Wenn insgesamt das Infektionsgeschehen immer weiter runter geht und Sie gleichzeitig das Testen auf Millionen ausweiten, dann haben Sie auf einmal viel mehr falsch-positive als tatsächlich Positive.


[0:08:38] : 

Camillo Schumann

:


Also nun die Frage von einer T.: Wie hoch ist beim aktuellen PCR-Test die falsch-positiv Fehlerquote beim derzeitigen Testniveau?


[0:08:45] : 

Alexander Kekulé:


Das kann ich als Zahl nicht beantworten. Das ist das Thema, was wir schon oft besprochen haben mit dem sogenannten positiven und negativen Vorhersagewert eines Tests. Da kommt es darauf an, wie hoch die Hintergrund-Belastung ist. Also wie häufig ist sozusagen das Ereignis, was ich suche. Wenn rein technisch der Test eine gute Sensitivität und eine gute Spezifität hat, dann ist es von Vorteil. Aber es hängt immer davon ab, ob dass ein häufiges Ereignis ist, was ich suche oder ein seltenes Ereignis. Das kommt einem vielleicht statistisch erst mal ein bisschen merkwürdig vor. Aber wenn man es genauer durchdenkt, ist es richtig. Der Bundesgesundheitsminister hat es gerade richtig beschrieben. Es ist tatsächlich so, wenn wir immer mehr testen. Das wäre natürlich von Vorteil. Wenn wir immer weniger Fälle haben, dann suchen wir die Nadel im Heuhaufen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man falsch-positiv testet, plötzlich deutlich höher als sonst. Die PCR-Reaktion ist aber insgesamt eine sehr, sehr gute Methode. Wo die falsch-positiven Tests oder die falsch-positive Vorhersage, ich würde schätzen, selbst wenn Sie sehr wenig Fälle haben, unter 2 Prozent liegt. Also in einem sehr geringen Bereich. Das kommt vor. Kann man darüber nachdenken, so einen Test dann zu wiederholen. Das ist durchaus eine Variante. Aber ich glaube, dass die Labore, die so etwas machen. Diese positiven und negativen Vorhersage-Werte. Die sind ja Standard. Das weiß jeder, der so einen Facharzt hinter sich gebracht hat. Das wird schon berücksichtigt. Also wenn man merkt, man kommt in einem Be-


reich, wo die Aussage nicht mehr ausreichend also valide ist, also nicht mehr stimmt. Dann wird man solche Tests wiederholen oder mit anderen Methoden noch einmal wiederholen.


[0:10:32 ] : 

Camillo Schumann

:


Wir liegen jetzt bei einer halben Million Tests pro Woche. Wir haben auf der einen Seite eine halbe Million Tests pro Woche. Auf der anderen Seite haben wir steigende Fallzahlen. Und wenn man sich die Anzahl der Tests pro Woche anschaut, dann steigen die auch. Gibt es da eine Korrelation?


[0:10:50] : 

Alexander Kekulé:


Wir wollen ja auch mehr finden. Wir wollen ja tatsächlich möglichst alle Fälle identifizieren, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Man darf schon jetzt nicht irgendwie nur blind auf die Fallzahlen starren. Sondern man muss das in Korrelation zu der Test-Aktivität setzen und vor allem gucken, ob das Initial-Fälle waren oder ob das Fälle waren, die innerhalb bekannter Infektionsketten noch einmal aufgetreten sind. Man kann allerdings auch nicht schönreden, falls es darauf hinausläuft: Sollte diese Zunahme der letzten Tage, die wir gesehen haben, dass die nur mit den mehr Tests zusammenhängen würde. Das ist definitiv nicht der Fall. Also wir testen nicht so viel mehr, dass wir nur deshalb diese zusätzlichen positiven Fälle identifiziert haben.


[0:11:34] : 

Camillo Schumann

:


Herr P. hat eine Mail geschrieben: Zu Beginn einer Erkältung, die dann auch die Bronchien beeinträchtigt. Ich benutze dann gern einen handelsüblichen Vernebler. Bei dieser FeuchtInhalation wird mittels eines Dysonoder Membran-Verneblers aus einer flüssigen Wirkstoff-Lösung zum Beispiel EMSA-Salz, ein inhalierbarer Wirkstoff, Dampf-Aerosole, hergestellt. Mir hilft diese niedrigschwellige Maßnahme sehr gut. Covid19 siedelt sich ja zuerst im Rachen an. Könnte diese Inhalation dazu führen, dass Viren verstärkt in die Lunge ge-


langen, dass Aerosol sozusagen als Taxi benutzt.


[0:12 :09] : 

Alexander Kekulé:


Das ist eine gute Frage. Das wissen wir tatsächlich nicht. Da würde ich sagen, ich würde das nicht absolut ausschließen, weil es tatsächlich so ist, dass die Ausbreitung des Virus in die tieferen Atemwege nachteilig für den Patienten ist. Vor allem, wenn sie früh im Krankheitsverlauf stattfindet. Es ist bei den meisten respiratorischen Viren, also die die Atemwege befallen, dass sie in wenigen Tagen vom Immunsystem eliminiert werden. Wenn man in dieser Zeit, wo das Immunsystem sozusagen noch nicht fertig damit ist, künstlich das Virus auch noch in die Lunge runterbringt. Dann ist es rein theoretisch möglich, das kann man sich vorstellen, dass dadurch der Krankheitsverlauf verschlimmert wird. Es gibt aber kein einziges Experiment, was irgendwie in diese Richtung einen Hinweis liefern würde. Das ist eine rein theoretische Überlegung. Ja, würde ich nicht völlig ausschließen.


[0:13:03] : 

Camillo Schumann

:


War also ein richtiger Gedanke. Und sollte Herr P. diesen Inhalator, diesen Vernebler mal zur Seite legen und nicht benutzen?


[0:13:15] : 

Alexander Kekulé:


Das würde ich nicht sagen. Dazu müsste er erst einmal Covid19 positiv sein. Da müsste er erst mal das Covid19-Virus im Rachen haben und die Situation haben, dass das Virus gerade nur im Rachen ist, aber die Lunge noch nicht erwischt hat. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist so gering, dass der Vorteil, den man dadurch hat, dass man die Inhalation macht, die Nachteile nicht überwiegen würde. Wenn ihm das gut tut. Und es gibt ja auch andere Lungenerkrankungen, Und in dieser Richtung von Vorteil ist, dann würde ich damit auf keinen Fall aufhören.


[0:13:48] : 

Camillo Schumann

:


Nicht nur das Coronavirus ist in der Welt unterwegs. Auch andere Viren zum Beispiel das Mers Virus. Auf der arabischen Halbinsel gab es ein paar Fälle, in Europa gab es sehr vereinzelte Fälle. Diese Dame hat uns angerufen und hat folgende Frage:


[0:14:01] :


Anruferin Frau Schopf:


Wir waren im Oman und da gab es die Möglichkeit eine kombinierte Impfung zu machen mit dem Sars-CoV-2 . Wie gefährlich ist der Mers-Virus. Gibt es da schon einen Impfstoff und kann man sich leicht damit anstecken oder weniger leicht mit diesem Mers?


[0:14:2 0] : 

Camillo Schumann

:


Fragen zum Mers-Virus übrigens. Ich habe Frau S., die da angerufen hat, noch mal angerufen. Und sie sagte mir, dass sie im November 2 019 im Oman war, also kurz vor der CoronaPandemie. Aktuell gibt es ja für den Oman Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Also die Fragen zum Mers-Virus.


[0:14:37] : 

Alexander Kekulé:


Da könnte man noch einmal 2 Stunden reden. Vielleicht machen wir mal eine Sondersendung dazu. Es ist eine der 2 Geschwister von Sars-CoV-2 . Da gibt es dieses ursprüngliche SARS-Virus aus 2 003 und eben Mers. Und dieses Mers hat den wichtigsten Unterschied zum einen, dass es tödlicher ist als Sars-CoV-2 . Also wir haben sozusagen Glück gehabt, dass wir ein relativ schwach letales Virus haben. Die Sterblichkeit bei Mers ist deutlich höher und hat den Vorteil dafür, dass es nicht so stark infektiös ist. Das wird hauptsächlich vom Tier, von Dromedaren auf den Menschen übertragen. Meistens sind es dann primär Tierpfleger und ähnliche, die das bekommen. Es gab dann mehrere Ausbrüche. Einer der schlimmsten Satelliten-Ausbrüche war in Südkorea, wo tatsächlich eine große Zahl von Menschen gestorben ist, auch weil man es zu spät festge-


stellt hat, worum es sich handelt. Ich würde mal sagen der Impfstoff, um den es ging, der jetzt für Sars-CoV-2 , also dieses Covid19 verursachende Virus, entwickelt wird. Der wird nicht gezielt gegen Mers funktionieren. Andererseits sind die Viren sich nicht so unähnlich, sodass ich mir vorstellen könnte, wenn großflächig geimpft wird auf der arabischen Halbinsel. Je nach dem, welcher Impfstoff bei Sars-CoV-2  das Rennen macht. Dass es eine gewisse KreuzImmunität gegen Mers auch gibt. Das ist durchaus möglich.


Kann man nicht wirklich vorhersagen, weil wir nicht genau wissen, welches Virus welcher Impfstoff am Schluss Verwendung findet. Gezielt diese sehr seltene Erkrankung ... Mers ist extrem selten und nur in bestimmten Regionen der Erde. Diese sehr seltene Erkrankung gezielt damit rein zu nehmen, so im Sinne einer Kombinationsimpfung. Das wird man nicht machen. Das würde auf die Geschwindigkeit gehen. Wir wollen den Impfstoff so schnell wie möglich.



Camillo Schumann

:


Frau S., wollte wissen, ob es explizit eine Impfung geben wird gegen das Mers-Virus.



Alexander Kekulé:


Ja, es gibt eine Impfung für Tiere. Man kann tatsächlich Tiere impfen. Dromedare. Ich weiß gar nicht, ob der Impfstoff schon zugelassen ist, muss ich ehrlich sagen. Aber der funktioniert im Prinzip. Das ist ganz interessant. Ich war mal unten auf der arabischen Halbinsel und habe mit verschiedenen Tierärzten gesprochen und auch mit Leuten, die sich mit diesem Thema Mers beschäftigen. Das ist ganz interessant, dass das bei den Arabern nicht so beliebt ist, die Kamele zu impfen, weil die als Rennkamele zum großen Teil gehalten werden. Das ist der ganze Stolz des Besitzers, wenn so ein Kamel das Rennen gewinnt.


Die haben Angst, dass die Tiere durch die Impfung irgendwie schlapp werden und beim Rennen nicht mehr so schnell sind. Also solche Diskussionen haben wir dort unten geführt. Sieht man, unter welchen anderen Gesichtspunkten solche Krankheiten dann bei Tieren betrachtet werden.


[0:17:2 9] : 

Camillo Schumann

:


Herr U. aus München hat uns eine Frage gemailt: Wir wissen, dass Sars-CoV-2  infizierte Personen neutralisierende Antikörper bilden und dass diese aus dem Blut gefiltert und anderen Erkrankten verabreicht werden können. Wieso, und jetzt kommt seine Frage, ist es im 2 1. Jahrhundert nicht möglich, diese Antikörper zu analysieren und synthetisch in großer Menge herzustellen? Fehlt uns dazu biochemisches Wissen oder Produktionsanlagen? Oder sind die neutralisierenden Antikörper bei jedem Menschen notwendigerweise verschieden? Viele Grüße.


[0:18:04] : 

Alexander Kekulé:


Die Antikörper sind eine Mischung. Wir nennen die polyklonal im Gegensatz zu monoklonal, wo das nur eine Sorte wäre. Polyklonale Antikörper herzustellen, also eine ganze Mischung, wo man nicht genau weiß, welcher Anteil davon wirklich genau den besten Effekt hat. Das ist nicht ganz einfach.


Monoklonale Antikörper kann man herstellen. Da ist schon ein Nobelpreis für die Entdeckung dieses Verfahrens vergeben worden. Ich glaube 1980 an George Köhler und Sesam Milstein. Es ist so, dass diese monoklonalen ... Ja, das funktioniert. Aber da ist immer die Gefahr, dass der eine Antikörper wirklich den Nagel auf den Kopf trifft, sprich das Virus wird komplett eliminiert und neutralisiert, da ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, da geht man bei dieser antiviralen Therapie. Das wäre so eine Art Serumtherapie, wo man Antiserum oder eben Antikörper gegen das Virus gibt. Wo man auf die Mischung achtet, nach dem Motto irgendeiner funktioniert dann schon. Diese Mischung ist am leichtesten zu gewinnen. Einfach aus Patienten, die wieder gesund geworden sind, diese sogenannten Rekonvaleszenten-Seren. Aus denen gewinnt man das. Das wird ja auch gemacht, diese Serumtherapie. Die ersten Experimente sehen ganz erfolgversprechend aus bei Covid19.


[0:19:2 7] : 

Camillo Schumann

:


In Ausgabe 82  haben wir über künstliche Intelligenz gesprochen, wie sie in Großbritannien bei der Diagnostik im Krankenhaus hilft. Diese Dame hat das gehört und will nun offenbar auch Labordaten auswerten. Folgendes hat sie auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen


[0:19:42 ] : Anruferin:


Könnten Sie doch noch mal erklären, welche Laborwerte relevant sind und auch noch mehr sagen über die Konstellation. Ich denke, das interessiert uns alles sehr. Wir bekommen ja auch von unseren Hausärzten immer die Labordaten mit. Vielleicht könnten Sie erklären, welche Rolle Kalzium, Gerinnungsfaktoren, Entzündungsfaktoren spielen. Geht es da zum Beispiel um den CRP, der allgemein bekannt ist oder um die Blutsenkung und so weiter. Vielen Dank. Wiederhören.


[0:2 0:15] : 

Alexander Kekulé:


Diese Studie hat ja sehr, sehr viele Werte mit berücksichtigt. Ich glaube zu erinnern, dass es einige Hundert Werte waren. Die hat absichtlich nicht weiter unterschieden. Das war sozusagen das Muster der gesamten Laborwerte, was der Computer jeweils interpretiert hat. Das kann man sich so vorstellen, dass der wirklich fast wie mit einer Videokamera so eine Art Mustererkennung gemacht hat am Gesamtbild. Ich würde dringend davon abraten, Zuhause, sage ich mal, dieses Kaffeesatz-Lesen mit den eigenen Laborwerten zu machen. Das macht einen nur verrückt. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist in dem Zusammenhang, weil wir ja für Covid19 einen ganz einfachen Test haben. Der steht zur Verfügung im Verdachtsfall. Den würde ich in diesem Fall machen. Das war eine Studie, die grundsätzlich versucht hat, solche künstliche Intelligenz anzuwenden auf die Auswertung von Labordaten. Ich glaube, ich habe, als wir die besprochen haben, auch schon dazu gesagt, dass ich persönlich immer so ein bisschen skeptisch bin bei solchen Verfahren. Ich will, dass der Arzt


selbst die Entscheidung trifft und nicht irgendein Computer. Und noch mehr würde ich davon abraten, dass sich Laien den Kopf zerbrechen, ob das Procalcitonin oder irgendein anderer Wert, der in ihrem Laborbericht steht, ein Hinweis darauf sein könnte, dass Sie vielleicht Sars-CoV-2  abgekriegt haben. Dann lieber, wenn man den Verdacht hat, dass so was vorliegt, wirklich ein Covid19-Test machen.


[0:2 1:48] : 

Camillo Schumann

:


Marie hat uns gemailt: Wie bewertet Herr Professor Kekulé die Situation in Freizeitparks? Insbesondere bei Achterbahnen. Genügt eine Stoffmaske bzw. Mund-Nasen-Schutz oder empfehlen Sie eine FFP2 -Maske? Wie sehen Sie das?


[0:2 2 :02 ] : 

Alexander Kekulé:


In der Achterbahn? Da ist die gefährliche Situation beim Einsteigen. Das kann sich jeder selber vorstellen. Vor allem um die vorderen Plätze gibt es nach meiner Erfahrung Gedränge. Da wird man eben hoffen, dass die Menschen noch nicht vorher im Bierzelt waren und zu betrunken sind. Dass die da halbwegs diszipliniert sich anstellen. Sonst während der Fahrt sehe ich da gar kein Problem. Ich würde mir, nachdem ich die Griffe und alles angefasst habe, vielleicht nicht ins Gesicht fassen. Oder vorher die Hände waschen oder desinfizieren. Vielleicht ist bei so einer Art Veranstaltung, wo es Achterbahnen gibt, es sowieso keine schlechte Idee, ein kleines Fläschchen Desinfektionsmittel mitzunehmen, weil es nicht überall Waschbecken gibt. Aber sonst ist das reine Fahren mit der Achterbahn ungefährlich.



Camillo Schumann

:


Der Mund-Nasen-Schutz müsste eigentlich auch nicht getragen werden.



Alexander Kekulé:


Ich würde den eher ausziehen. Da hätte ich Angst, dass er mir vor die Augen rutscht und ich dann die fünf Euro umsonst bezahlt habe.


[0:2 2 :58]



Camillo Schumann

 :


Das war „Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial“. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 4. August wieder. Bis dahin bleiben Sie schön gesund.



Alexander Kekulé:


Sie auch. Ich danke Ihnen, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Donnerstag, 30.07.2 02 0 #88: Die Komplexität der Todes-Zahlen



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Donnerstag, 30. Juli 2 02 0.


1. Wie viele Menschen sterben wirklich an Covid-19? Auswertungen aus Italien geben einen Hinweis. 2 . Dann: Hunde können Corona-Infektionen riechen. Wie sicher ist die Corona-Spürnase?


3. Was läuft eigentlich in Brasilien schief? 4. Weitere Themen: Welche neuen Therapieansätze gibt es? Und ob möglicherweise Gin Tonic gegen das Coronavirus hilft?



Camillo Schumann



Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir wollen zum Anfang mal über die Gretchenfrage schlechthin sprechen: Wie gefährlich ist Covid-19 wirklich? Anlass ist eine ziemlich interessante Studie aus Italien, auf die wollen wir gleich mal eingehen. Aber mal grundsätzlich: Ob und wie sich SARS-CoV-2  auf die Sterblichkeit in Deutschland auswirkt? Es wird ja immer gesagt, das kann man erst nach dem Ende der Pandemie abschließend bewerten. Warum eigentlich?


[0:01:2 3]



Alexander Kekulé


Da gibt es viele Gründe. Das eine ist, dass die Mortalität natürlich immer hinterher schleppt. Und klar, die Menschen werden erst krank, und dann sterben sie. Und die Zuordnung, welche Menschen jetzt wirklich an einer Infektionskrankheit gestorben sind, das ist gar nicht so einfach. Da gibt es diese berühmte Unterscheidung: ob man an der Infektionskrankheit oder mit der Infektionskrankheit gestorben ist. Und deshalb ist es in der Regel so, dass auch Versicherungen, zum Beispiel, wenn sie die Sterblichkeit einer Epidemie hinterher berechnen wollen – die warten immer, bis alles zusammen ist und alle Daten wirklich auf dem Tisch liegen.



Camillo Schumann



Und warum das alles so komplex ist, das wollen wir jetzt in den folgenden Minuten mal so ein bisschen auseinandernehmen, um Zahlen auch besser bewerten zu können. In Deutschland sind bisher an oder mit Covid-19 über 9.000 Menschen gestorben laut Robert KochInstitut ein. Sie hatten ja Anfang März so ein Worst-Case-Szenario von rund 40.000 Toten prognostiziert. Das ist ja nicht eingetreten. Kann man denn erahnen, warum nicht?



Alexander Kekulé


Na ja, das Worst-Case-Szenario bezog sich auf diese 2 Jahre, von denen wir immer gesprochen haben, in denen man hoffen würde, dass die Pandemie dann auf die eine oder andere Art zu Ende ist. Von der Größenordnung her, das war ja, was ich damals vorgestellt habe, die Gegenrechnung zu dem, was von offizieller Seite kam. Da wurde ja wurden ja Zahlen genannt, die auf bis zu einer halben Million Toten schließen lassen. Und dem habe ich das Gegenüber gesetzt. Ich gehe davon aus, dass wir hoffentlich nicht in diesen Worst-Case-Bereich kommen. Ich würde aber auch sagen, dass es zu früh ist, jetzt zu sagen wir haben das Ziel schon erreicht, weil, wir wissen nicht, was in den nächsten eineinhalb Jahren noch passiert.


[0:03:13]



Camillo Schumann



Man muss ja bei Zahlen immer dazusagen, von welchen Zahlen man eigentlich spricht. Zum Beispiel bei Influenza-Toten gibt es ja die laborbestätigten Todesfälle. Und es gibt die sogenannte Exzessmortalität, also die theoretische Entwicklung der Sterblichkeit in einem bestimmten Betrachtungszeitraum. Konkretes Beispiel: In der besonders starken Influenza Saison 2 017/2 018 gab es 1.665 an das RKI gemeldete laborbestätigte Influenza-Todesfälle in Deutschland. Die mit Influenza assoziierte Sterblichkeit in dieser Saison lag bei 2 5.000. Können Sie diesen gewaltigen Unterschied erklären?



Alexander Kekulé


Ja, bei der Influenza ist es ja so, dass seine Krankheit mit der haben wir uns seit vielen Jahrzehnten, fast hätte ich gesagt, abgefunden, zumindest mal eingerichtet. Und es gibt ja auch viele Erkrankungen, die so ähnlich sind. Wenn im Winter die Erkältungen grassieren, weiß man ja nicht immer, ob es die echte Influenza war. Es hat, weil wir ja auch kein richtig gutes Influenza-Medikament haben, was jetzt wirklich die Krankheit massiv beeinflussen würde, hat sich es eigentlich nicht eingebürgert, jeden der hustet im Winter dann auch auf Influenzaviren zu testen. Sondern das macht man so stichprobenartig, speziell natürlich, wenn Menschen sehr schwer krank werden und ins Krankenhaus müssen. Deshalb ist die Zahl der getesteten Fälle relativ klein, also der durch Labortests bestätigten Fälle relativ klein. Aber die Vermutung, dass viele Menschen an Influenza gestorben sind, ist natürlich trotzdem da. Und dann rechnet man eben diese Exzessmortalität, auf Deutsch würde man sagen Übersterblichkeit, die rechnet man raus, indem man sagt:


Okay, von diesem bis zu jenem Zeitpunkt gab es eine Influenza-Aktivität. Da werden einfach die Meldungen dann tatsächlich der bestätigten Fälle genommen. Und auch die Zunahme der influenzaartigen Symptome in den Arztpraxen. Da hat das Robert Koch-Institut bundesweit so Arztpraxen, die da in einem Netzwerk zuarbeiten. Und es funktioniert seit vielen Jahren eigentlich sehr gut, dass man dann sieht. die Influenza-Aktivität nimmt zu in einer bestimmten Woche. Und dann gibt es bestimmte Definitionen, wenn man sagt, jetzt ist sie vor-


bei. Und in dieser Zeit in dieser InfluenzaWelle, in dieser Grippewelle, da guckt man einfach, wie viele Menschen sind da mehr gestorben als rein statistisch gesehen sonst in diesen Monaten hätten sterben sollen. Es gibt noch ein paar mathematische Korrekturen, die man dann macht. Und am Ende sagt man okay, da sind also so und so viele Menschen zu viel gestorben, als erwartet wäre. Und die schiebt man einfach der Influenza dann in die Schuhe.


[0:05:44]



Camillo Schumann



Aber warum braucht man eigentlich diesen theoretischen Wert, wenn man ja die laborbestätigten Todesfälle hat? Also warum hat man diese 2 Rechnungen?


[0:05:52 ]



Alexander Kekulé


Naja, dann müssten sie ja dann alle laborbestätigten Fälle, die müssten sie dann wirklich alle testen. Das könnte man schon machen. Rein theoretisch könnte man sagen, Influenza wird eine meldepflichtige Erkrankung. Da müsste quasi jeder Arzt, der einen Influenza-Verdacht hat, müsste das melden. Dann müssten quasi zwangsweise dann auch Tests durchgeführt werden. Und dann könnte man relativ genau sagen, wer hat jetzt eine Influenza gehabt und wer nicht? Klar, die Tests machen auch Fehler. Aber die, die Zahlen werden dann wesentlich anders. Und eher so ähnlich, wie jetzt bei dem Covid-19. Das ist in der Praxis wahnsinnig aufwendig. Man muss sich klarmachen, diesen 2 5.000 Exzess-Toten – es ist ein bisschen umstritten, ob das dann wirklich alles echte Influenza-Tote waren – aber das ist tatsächlich die offizielle Zahl für diese Saison damals. Denen standen über 10 Millionen Infizierte gegenüber. Also, mehr als 10 Millionen Menschen waren infiziert. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, die müsste man alle testen, plus die, die nicht infiziert waren, und dass das wäre sozusagen zu viel Aufwand für diese Erkrankung. Und das macht man einfach nicht. Bei Covid-19 machen was jetzt versuchen wir es jetzt, weil wir ja da ein anderes Ziel haben. Wir wollen ja Covid-19 nicht so wie die Influenza einfach über uns ergehen lassen, sondern das Ziel ist jetzt schon, die Krankheit bzw. die Epidemie so weit zu runterzudrücken, dass das


kontrolliert werden kann, dass die einzelnen Ausbrüche unter Kontrolle gebracht werden. Und dazu müssen sie alle testen.


[0:07:19]



Camillo Schumann



Dass ist jetzt genau die Frage. Ist denn die grundsätzliche Erhebung der Covid-19 Toten anders als bei der Erhebung der InfluenzaToten?


[0:07:2 8]



Alexander Kekulé


Ja, völlig anders. Also bei Covid-19 in Deutschland sagen wir eben, es gilt jeder als Covid-19 Toter, der Covid-19 nachgewiesen hatte und eben dann an einer dazu passenden Erkrankung gestorben ist. Ja, wenn es einen Autounfall war, wird man denn nicht als Covid-19 Toten registrieren. Aber alles, was mit Lunge zu tun hat oder Erkrankungen, die dazu passen würden. Da ist dann natürlich umstritten, ob jetzt jemand, der zum Beispiel sowieso schon schwerst lungenkrank war und den am Schluss dann, quasi, kurz bevor er vielleicht ohnehin gestorben wäre, dann auch noch dieses Virus ereilt hat. Ob das dann ein echter Covid19-Toter ist, aber ich glaube, diese Diskussion, die ist mehr so theoretisch, weil das Grenzfälle sind, die jetzt in Deutschland auch nicht so viel ausmachen – quantitativ. Unterm Strich ist es so: Jemand, der einen positiven Test hat und stirbt, der ist eben ein Covid-19 Toter. Und das wird eben hier nicht über diese Exzessmortalität bestimmt.


[0:08:2 6]



Camillo Schumann



Und die Todeszahl der italienischen Studie, die setzt sich aus drei Merkmalen zusammen: 1) Menschen, die direkt an Covid-19 gestorben sind, 2 ) dann Menschen, die an Vorerkrankungen gestorben sind, die durch Covid-19 verschlimmert wurden, 3) und dann sind Menschen an Krankheiten gestorben, auch an anderen Krankheiten gestorben, die wegen der Überlastung der Krankenhäuser verspätet behandelt wurden. Alles Menschen, die direkt oder indirekt an den Folgen der Pandemie gestorben sind, obwohl die letzteren das Virus ja nie in sich hatten.


[0:08:58]



Alexander Kekulé


Ja, das ist eben das Wesen der Exzessmortalität. Also, die hat man hier zum ersten Mal bestimmt. Das ist eine ganz interessante Studie. In der Lombardei hatten die natürlich sehr, sehr viele Fälle in kurzer Zeit. Und da haben sie einfach mal retrospektiv die Sterblichkeit in der Region verglichen und haben gesagt, bis Anfang April war das dort vergleichbar mit den Jahren 2 015 bis 2 019, also wie in den Vorjahren letztlich. Dann hat man gesagt: wir schauen ganz, ganz gezielt nur auf den Monat März bis Mitte, oder 04. April oder so. Nur diese Zeit, wo das besonders schlimm dort gewütet hat, nur dieses eine Fenster anschauen,, im Vergleich zu den Vorjahren. Und für die ganze Region haben sie festgestellt, dass die Mortalität um über 100% gestiegen ist. Das heißt, es gab doppelt so viele Tote wie sonst. Das ist schon enorm. Also, die hatten über 40.000 Tote, und davon ist er dann logischerweise etwa die Hälfte auf Covid-19 indirekt oder direkt zurückzuführen. Und in der Lombardei, die besonders schlimm getroffen war, war es sogar 173 Prozent. Und das sind natürlich schon sehr, sehr bedenkliche Zahlen. Man muss schon sagen das ist ja letztlich für den Toten dann egal, ob er daran gestorben ist, dass das Virus indirekt getötet hat, oder dass das Virus der letzte Tropfen war, der sozusagen das Fass zum Überlaufen gebracht hat, weil er ohnehin schon eine Grundkrankheit hatte. Aber mit der hätte er vielleicht noch ein paar Jahre leben können. Oder ob eine wichtige Operation nicht stattfinden konnte und er deshalb gestorben ist. Als Folge der Pandemie sind dort 1,7 Mal so viele Menschen gestorben wie sonst in diesem kurzen Zeitraum. Das ist schon eine bedrückende Zahl, und ich bin sicher, dass das in Brasilien zum Beispiel genauso aussehen wird.



Camillo Schumann



Die Daten aus rund 1.700 Städten wurden dazu ausgewertet. Also das ist, sage ich mal, eine valide Grundlage. Oder?


[0:11:01]



Alexander Kekulé


Ich glaube schon. Ich meine, diese ganzen Mortalitätsstudien sind natürlich immer inso-


fern fehlerbehaftet, als man in der Situation, wo man jetzt anfängt, das genauer nachzuprüfen – also, wir wissen, es ist Pandemie, und die diese Studie wird gemacht, und die Menschen fangen an, die Daten zu sammeln – da hat man natürlich dann auch immer so einen höheren Fokus auf diese Arten von Erkrankungen. Also wenn man nach etwas gezielt sucht, findet man immer mehr, als wenn man nicht so speziell daran denkt. Und ich bin ziemlich sicher, dass in den Regionen in der Lombardei, wo eben dann dieser Ausbruch war, da ist natürlich auch besonders gründlich dann registriert worden, was sich auch auf die Zahlen auswirken kann. Aber abgesehen von diesen Fehlern, die es immer gibt bei solchen Beobachtungsstudien, also, wenn, wenn man die Zahlen, die sowieso schon da sind, quasi analysiert. Abgesehen von diesen Fehlern, die es immer gibt, glaube ich, ist das ein deutlicher Hinweis, dass der Gesamtschaden durch Covid-19, durch die Pandemie, eben noch lange nicht im repräsentiert ist, wenn man sich jetzt wirklich nur die gemeldeten und mit Labortest assoziierten Toten ansieht.



Camillo Schumann



Und deswegen sozusagen abwarten, damit man dann zum Schluss einen Strich darunterziehen kann, oder?


[0:12 :12 ]



Alexander Kekulé


Also das ist das, was man dann machen wird. Also man wird am Schluss – in Norditalien ist das jetzt einmal richtig durchgelaufen, darum war das der richtige Zeitpunkt für so eine Studie –, wenn es dann einen abgeschlossenen Zeitraum gibt, wo man das ganz gut überblickt, dann ist der richtige Zeitpunkt auch so etwas wie eine Exzessmortalität mal zu berechnen. In Deutschland zum Beispiel wird es dann immer gemacht, wenn die Grippesaison wirklich zu Ende ist. Da setzt man sich dann hin und rechnet das aus. Und ein paar Wochen später kommen dann immer die Zahlen. Das hat man auch in Westafrika bei der Ebola-Epidemie genauso gemacht, dass die die offiziellen Zahlen der Toten, die sind ganz zuletzt erst berechnet worden.


[0:12 :50]



Camillo Schumann



Nochmal kurz zur Lombardei. Vor allem die Sterblichkeit bei Männern und älteren Menschen hat stark da zugenommen. Während es bei den Frauen dieser Region zu einem Anstieg der Mortalitätsrate von 85% kam, nahm die bei den Männern um 12 6% zu. Und in der Altersgruppe 65 bis 64 kam es in ganz Italien zu einer Zunahme der Mortalität von über 110 %, 111%, um genau zu sein. Ist das sozusagen jetzt, ich sage mal, der schwierigen, auch klinischen Situation in Italien geschuldet und nicht anwendbar auf Deutschland? Also, dass wir sozusagen unsere Zahlen dementsprechend auch anpassen müssten?


[0:13:2 9]



Alexander Kekulé


Also wir müssen unsere Zahlen der ersten Mal nicht anpassen. Ich bin sicher, dass wir in Deutschland auch unerkannte Todesfälle haben. Was heißt unerkannt? Die sind nicht assoziiert zu der Erkrankung bis jetzt. Und es kommt eben sehr darauf an. Es ist ja bekannt, dass in Belgien zum Beispiel die pro Kopf Sterblichkeit besonders hoch ist. Aber dort ist eben auch so, dass man von vornherein gesagt hat, dass auch Verdachtsfälle, die irgendwie assoziiert sein könnte mit Covid-19, dann als Covid19 Tote gezählt werden. Und ich glaube nicht, dass wir in Deutschland da eine riesengroße Dunkelziffer haben, sondern unser Gesundheitssystem ist anders. Wir haben, glaube ich, hier nicht die Situation, dass es viele Menschen gibt, die gestorben sind, weil sie suboptimal behandelt wurden. Das muss man ganz klar sagen: In der Lombardei, das hat sich inzwischen herausgestellt. Da gab es ja relativ früh die Anweisung, dass ältere Menschen, die schwer krank sind, von den Krankenhäusern angeblich sogar von den Intensivstationen zum Teil, dann in die Altersheime verlegt wurden. Und da kann man sich ja vorstellen, was passiert. Erstens kommt es zu Sekundärausbrüchen in den Altersheimen. Und zweitens ist klar, dass das ein Todesurteil ist, wenn jemand aus dem Krankenhaus als alter Mensch ins Altersheim verlegt wird. Solche Dinge haben wir in Deutschland nicht ansatzweise stattgefunden oder wären geplant gewesen. Und ich


glaube auch in Italien, dass man sich heute darüber klar, dass das keine gute Idee war.


[0:14:59]



Camillo Schumann



Also unterschiedlicher Umgang mit der Krankheit in den einzelnen Ländern. Dann auch eine unterschiedliche statistische Erhebung. Unterm Strich kann man ja sagen, dass man die einzelnen Sterblichkeitsraten untereinander auch überhaupt nicht vergleichen kann?


[0:15:15]



Alexander Kekulé


Ja, man muss vor allem aufpassen mit dem, was man manchmal dann sieht. In der Presse, manchmal, da werden die Zahlen der gemeldeten Toten geteilt durch die Zahl der gemeldeten oder registrierten Fälle. Und man gibt es dann quasi als Sterblichkeit an. Also, da gibt es ja ganz viele Gründe, warum das nicht sinnvoll ist. Das ist nur so ein ungefährer Hinweis auf das Geschehen. Aber da gibt es viele, viele Faktoren, die das beeinflussen. Und man darf auf keinen Fall da zu der Spekulation verfallen, dass der Stamm der Covid-19 in Deutschland verbreitet weniger gefährlich wäre als der in Nachbarländern, wo dieser Quotient von Toten zu registrierten Fällen besonders höher ist als bei uns.


[0:15:55]



Camillo Schumann



Die Frage ist ja warum macht man das? Warum gibt es nicht eine Statistik für alle vergleichbar? Dann auch Stichwort „EuroMoMo“? Das ist ja schön, es wird gemeldet, aber nicht jeder meldet, und die Berechnungsgrundlage ist auch eine unterschiedliche. Also wünschten Sie sich da nicht ein bisschen mehr Vernetzung und grundlegendes Bewerten?


[0:16:16]



Alexander Kekulé


Naja, Wissenschaftler wünschen sich immer die perfekten Daten zum Auswerten. Auf der anderen Seite, wenn man das mal so mitkriegt, wo es dann wirklich hapert: Das geht ja schonmal so los, dass ganz viele Länder gerade in der Phase, wo besonders viele Fälle aufgetreten waren, mit der Kapazität mit der Testkapazität überfordert waren. Dieses Phänomen hatten wir in Deutschland nach meiner Beur-


teilung nicht, obwohl man das auch erst am Schluss wirklich genau feststellen wird. Aber, wenn die Testkapazität überfordert ist, dann kriegen sie automatisch eine Riesendunkelziffer erstmal, und denen können Sie dann nicht sagen. Ihr müsst es aber perfekt berichten, damit das in unsere europaweite StandardStatistik hineinpasst. Und dann gibt es natürlich auch die Tendenz, in manchen Regionen, zu sagen naja, wer so viel testet, der kriegt auch viele Werte. Dann werden wir wieder angeschwärzt. Das hat manchmal politische Komponenten. Und natürlich, ganz wichtig in Deutschland jetzt, die neue Entwicklung, die jetzt endlich angesetzt hat, dass wir ja auch anfangen, in großem Stil proaktiv zu testen, sprich Reiserückkehrer und was es alles gibt. Also Leute testen, die absolut keinen Hinweis auf Covid-19 haben. Oder auch bei so epidemiologischen Ausbruch-Untersuchungen, wenn dann Tausende von Kontaktpersonen getestet werden, aber nur ganz wenige positiv sind. All das verwässert natürlich das Resultat in der Weise, dass man dann nicht einfach die Zahl der Infizierten, die man gefunden hat, ins Verhältnis setzen darf mit den Toten. Und das müsste dann alles einheitlich gehandhabt werden. Und da sehe ich jetzt während dieser Pandemie in Europa überhaupt kein Weg. Wenn man Deutschland, Italien, Frankreich hätte, könnte man noch über Amtshilfe reden. Das war ja das, was ich ganz am Anfang der Pandemie mal vorgeschlagen hatte, dass Deutschland seinen Nachbarländern hier auch hilft. Aber das können sie nicht für ganz Europa machen. Das ist undenkbar.



Camillo Schumann



Das wäre zumindest so eine To-Do-Liste, wenn wir alles hinter uns haben, dass man vielleicht auf vergleichbare Statistiken kommt.


[0:18:2 3]



Alexander Kekulé


Ja ich auch methodisch vergleichbar wird. Das ist natürlich was, wo wir alle lernen, da kann man ja niemandem einen Vorwurf machen. Ich erinnere mich an die Seuchenausbrüche in Afrika, als die ersten Ebolaund ähnlichen Ausbrüche waren. Da war das Hauptproblem, dass man überhaupt nicht diagnostizieren konnte vor Ort. Man hat, dass man hat einfach


nur klinisch die Diagnose gestellt, so ähnlich wie in Wuhan, wo die am Anfang auch keine Tests hatten, bei Covid-19. Man hat in Afrika einfach gesagt, der ist krank, und der ist nicht krank, und quasi Fieber als Indikation da genommen, als Kriterium genommen. Und heute ist es so, dass wir mobile Laboratorien haben, unter anderem von so einer europäischen Gemeinschaftsaktion. Deutschland ist da ganz wesentlich auch beteiligt dran. Diese mobilen Labore, die werden dann ruckzuck da in den Ausbruchsgebieten aufgebaut. Und man kriegt also dann auch für exotische Erreger sehr schnell die Diagnostik. Global gesehen werden wir da schon besser und arbeiten und sozusagen voran. Aber jetzt sind wir mitten in einer Pandemie, auf die wir so eher mäßig vorbereitet waren. Und da wäre das jetzt Zukunftsmusik zu sagen, alle müssten nach einheitlichen Standards diagnostizieren und die Daten weitergeben.


[0:19:34]



Camillo Schumann



Aber, weil Sie ja eine schier endlose To-DoListe haben, die Sie regelmäßig ergänzen. Das wäre aber zumindest einen Punkt zum Ergänzen dann auf dieser Liste.



Alexander Kekulé


Es ist gerade auf den gelben Zettel gekommen.



Camillo Schumann



Das wollte ich doch hören. Sterblichkeit ist ein großes Thema auch in Brasilien. Brasilien gilt als Negativbeispiel im Umgang mit der Corona-Pandemie. Inzwischen haben sich mehr als 2 ,4 Millionen Menschen infiziert, mehr als 87.000 sind an oder mit dem Virus gestorben. Wir haben es ja gerade so ein bisschen durchdefiniert. Mehrere brasilianische Gewerkschaften haben den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angerufen, Ermittlungen gegen Präsident Bolsonaro einzuleiten. Sie werfen ihm wegen seiner Politik in der Corona-Krise Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Und quasi indirekte Unterstützung bekommen die Gewerkschaften von einer Studie. Denn die kennzeichnet, wie sich das Virus in Brasilien ausgebreitet hat und was alles schiefgelaufen ist. Ganz interessant.


[0:2 0:30]



Alexander Kekulé


Ja, die Studie ist jetzt gerade ganz neu im „Science“, einem unserer besten Journale erschienen und ist sehr umfangreich. Und ich bin ganz sicher, dass Bolsonaro nicht glücklich sein wird darüber. Das zeigt sehr deutlich, dass man am Anfang sehr hohe Reproduktionszahlen hatte in Brasilien. In der Anfangsphase hätte man einiges machen können, weil nämlich die Ausbreitung erst in den einzelnen Bundesländern war. Brasilien hat ja auch so Bundesländer, die aber viel, viel größer sind als bei uns. Diese Bundesländer sind so, dass meistens sehr viel innerhalb dieser Länder stattfindet. Das heißt also, es gibt nicht so viele Menschen, die ständig über die Landesgrenzen wechseln. Und deshalb war das am Anfang so, dass die Ausbrüche tatsächlich innerhalb dieser Bundesländer geblieben sind. Die Studie hat dann, ganz interessant, anhand genetischer Informationen über diese Viren, die dort zirkulieren, gezeigt, dass da mindestens 100 Mal das Virus ins Land eingeschleppt wurde am Anfang. Also über 100 Einschleppungen ins Land, die allermeisten davon, auf jeden Fall drei Viertel aus Europa. Und da muss man natürlich auch sagen Mensch, das Virus ist in Asien ausgebrochen. Dann hat sie es erst in Asien ausgebreitet. Dann ist es nach Europa gekommen. Wir haben da noch relativ überrascht getan, zumindest unsere Politiker. Dann kam diese schlimme Sache in Italien. Und die ganze Zeit hat ja Südamerika Zeit gehabt zu warten, sozusagen zugeschaut. Und dann so viele Einschleppungen und drei Viertel aus Europa, und die Komfortsituation, dass das nun wirklich nicht auf dem Landweg geht. Das hätte man wirklich durch frühzeitige Maßnahmen, zumindest hier, dieses berühmte flatten the curve, also man hätte bewirken können, dass die Einschleppungen massiv reduziert werden, und man in Brasilien vielmehr Zeit hat, sich vorzubereiten. Beziehungsweise, ich halte sogar für nicht ausgeschlossen, wenn man jetzt für Südamerika eine ganz konsequente Abschottungsstrategie gefahren hätte von Anfang an. Dass man die Zeit sozusagen bis zum Impfstoff, bis der dann irgendwann mal kommt, wenn er schnell kommt, dass man die vielleicht sozusagen dann in Deckung ausgehalten hätte dort, ohne dass es zu diesem Ausbruch kommt. Und


das wird Bolsonaro natürlich jetzt zu Recht vorgeworfen.



Camillo Schumann



Steile Hypothese, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Naja, das ist tatsächlich, sodass man ja nach Brasilien eigentlich nur mit dem Flugzeug kommt. Und das ist die Frage, ob man Südamerika rein theoretisch nicht doch deutlich länger hätte schützen können vor Importen, als es hier geschehen ist. Das war so eine ähnliche Situation wie in Deutschland, dass man am Anfang auf jeden Fall die Situation dort unterschätzt hat. Man hat die Gefahr unterschätzt. Den Zeitpunkt, wo man die Chance gehabt hätte, die Importe zu stoppen, den hat man verpasst. Da gibt es Beispiele, wo das ganz gut funktioniert hat. Wenn Sie jetzt an manche afrikanische Staaten denken, die also keine so guten Gesundheitssysteme haben, die haben sehr frühzeitig zugemacht und haben dadurch zumindest mal Zeit gekauft. Also klar, kann man nicht sagen durch ewiges Zumachen oder durch Zumachen der Grenzen oder durch Kontrolle der Einreisenden kann man die Krankheit langfristig raushalten. Das ist nicht möglich, weil es ist natürlich immer einzelne Fälle gibt, die ins Land kommen. Und dann braucht man im Hinterland eine zweite Stufe, wo man Infektionen gründlich detektieren und dann auch in Isolation bringen kann. Aber man kann durch solche Maßnahmen durchaus den Verlauf in der Anfangsphase abbremsen.



Camillo Schumann



Also zu spät reagiert. Aber, was er auch Aussage dieser Studie ist zu inkonsequent dann im Verlauf.



Alexander Kekulé


Ja, im Verlauf war es dann so. Das ist ganz interessant, da zeigt die Studie, die analysiert dann auch, wie ist eigentlich dann die Ausbreitung zwischen den Bundesländern in Brasilien gewesen. Und da wurden dann ja die Flüge massiv runtergefahren. Da gab es dann auch Maßnahmen. Die Leute wollten dann auch nicht mehr fliegen. Es gab einen wesentlich kleineren Anteil von Menschen, die von Bundesland zu Bundesland geflogen sind, aber der Anteil


der Infektionen sozusagen pro Personen, die geflogen ist, ist massiv gestiegen. Das heißt also, man hat hier weniger Leute fliegen lassen. Aber da waren dann mehr Infizierte drinnen. Das ist klar, wenn Sie natürlich, was weiß ich, in Rio oder São Paulo sehr viele Fälle haben, in den großen Städten, und von dort fliegen die Menschen einfach dann in eine andere Stadt. Und es gibt überhaupt keine Kontrollen des Flugverkehrs. Dann wird die Krankheit natürlich weiter verbreitet. Und da war die zweite Chance zu kontrollieren, dass man zumindest dann im Land von den Ballungszentren, die des aus Europa bekommen haben, die Weiterverbreitung vermieden hätte. Weil natürlich außerhalb der großen Städte die gesundheitliche Versorgung schlechter ist. Aber auch das hat man nicht wahrgenommen. Und dadurch ist Brasilien jetzt in dieser wirklich desolaten Situation.



Camillo Schumann



Und welche Prognose geben sie für Brasilien ab?



Alexander Kekulé


Ich habe da selber jetzt keine Privatprognose. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich glaube, alle Impfstoff-Tests, die ich kenne, die offiziell sind, mindestens einen Teil ihrer Tests in Brasilien machen. Weil ja die Impfstoffhersteller in der Situation sind, dass sie nur in einem Land, wo das Risiko, für die Menschen infiziert zu werden, wirklich vorhanden ist, und möglichst groß sein soll – so zynisch das klingt – nur dort können sie ja sinnvoll die Schutzwirkung überprüfen. Und darum machen die alle ihre Tests dort oder die meisten zumindest, alle, die ich kenne. Und was heißt das? Das heißt, die Fachleute sind der Meinung, dass es dort in dieser Weise ganz schlimm weitergeht.


[0:2 6:2 3]



Camillo Schumann



Apropos Impfstoffe. Einer, der keinen mehr braucht, ist Brasiliens Präsident Bolsonaro. Er wurde vor ein paar Wochen her positiv getestet, soll die Krankheit auch durchgemacht haben, wie er selbst schrieb: mit mildem Verlauf. Nun hat er die häusliche Isolation verlassen, denn weitere Tests waren negativ. Wir werden immer mal wieder hier im Podcast einen Blick


auf Brasilien während der Pandemie haben. Und Tests ist genau das Stichwort. 50 CoronaTests für 50 Dollar. Das amerikanische Start-up E2 5Bio hat ein solches Testkit entwickelt, wartet jetzt auf einen großen Abnehmer. Entweder man gibt Geld aus. Wer einen Hund hat, kann seinen Bello auf das Virus abrichten. Hunde können nämlich das Corona Virus mit einer ziemlich hohen Trefferquote erschnüffeln. Das hat eine Studie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ergeben. Herr Kekulé, welche Variante würden Sie bevorzugen? 50 Tests für 50 Dollar oder den Hundetest? Lassen Sie mich raten, der Hund ist es nicht.


[0:2 7:30]



Alexander Kekulé


(Lacht)Also, ich bin definitiv für die 50 Tests für 50 Dollar. Sie erinnern sich, dass ich immer gesagt habe, das muss ein Test sein, der einen Euro kostet und ein Dollar ist ja, wenn ich das richtig sehe, sogar noch besser als ein Euro. Und ich weiß, dass es da mehrere Initiativen gibt, die in diese Richtung gegangen sind. Und diese Tests sind ja im Prinzip ganz simpel und in verschiedenen Regionen verfügbar. Ich hoffe sehr, dass wir auch in Europa, selbst wenn jetzt dieser dringende Appell, den ich da ja gestartet habe, bis jetzt noch nicht so richtig aufgenommen wurde. Dass wir aber trotzdem im Europa, bis die Welle im Herbst kommt, dann einen Test, den jeder selber machen kann, zur Verfügung haben. Das würde unser Leben schon erheblich vereinfachen.


[0:2 8:12 ]



Camillo Schumann



Aber Stichwort ist natürlich Genauigkeit. Da ist der Hund, wenn ich das so richtig einschätze, ein bisschen genauer als diese Selbsttests für zu Hause.


[0:2 8:2 0]



Alexander Kekulé


Also, der ist in der gleichen Größenordnung, sagt zumindest diese Publikation. Das kommt immer ein bisschen darauf an, was man alles mit hineinnimmt. Rein von der Sensitivität und der Spezifität. Also Sensitivität heißt, zum Beispiel, hundert Menschen, die positiv sind, wieviel davon entdecke ich denn tatsächlich? Und bei dieser Sensitivität liegt dieser Hunde-Test, der gemacht wurde bei 83%. Und da sind also


die Schnelltests natürlich schon besser. Die sind schon in der Regel im Bereich von 90% Plus.


[0:2 8:53]



Camillo Schumann



Na ja, aber so viel ist da jetzt auch nicht mehr Spielraum. Jedenfalls ist die ist sie es, die Spürnase des Hundes überraschenderweise gar nicht so schlecht oder vielleicht gar nicht so überraschenderweise, denn bei anderen Krankheiten schlägt so ein Hund auch an.


[0:2 9:07]



Alexander Kekulé


Ja, man weiß, dass eine ganze Reihe von Krankheiten nicht nur Rauschgifte beim Zoll, sondern auch wirklich Krankheiten durch 100 detektiert werden können. Keiner weiß genau, woran das liegt. Aber offensichtlich ist es so, dass die Menschen, wenn sie krank sind, ihre Körperausdünstungen verändern. Ehrlich gesagt, als Arzt merkt man auch, dass bei bestimmten Erkrankungen, wenn man ins Patientenzimmer morgens reinkommt, es wirklich anders riecht als bei jemandem, der eine andere Krankheit hat oder vielleicht ganz gesund ist. Da hat man natürlich dann auch eine zu kleine Stichprobe, das merkt man auch nur gelegentlich. Und daher hat sich das nicht so richtig zur Diagnostik durchgesetzt. Aber Diabetes – um den kleinen Schwank zu erzählen – die Zuckerkrankheit ist ja früher tatsächlich durch einen kräftigen Schluck Harn vom Patienten diagnostiziert worden. Da hat man wirklich probiert, ob süß schmeckt und wenn der Urin süß war, dann hatte der Mensch den süßen Durchfluss, also Diabetes.


[0:30:05]



Camillo Schumann



Der Hund hat natürlich den großen Vorteil, dass er zum Beispiel bei einem Fußballspiel beispielsweise relativ schnell, ich sage mal, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen aussortieren kann. Oder bei so einem bei so einem Test das dauert dann eine Weile. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, die Schnelltests sind auch nicht so langsam. Also so 2 0 Minuten, würde ich mal sagen, kann man sicherlich noch ein bisschen beschleuni-


gen. Aber der Hund ist rein theoretisch schneller. Ich bin nur nicht sicher, also diese Studie, die der gemacht wurde, muss man vielleicht erzählen, dass das war unter anderem mit der Medizinischen Hochschule in Hannover und mit Kollegen aus Hamburg. Da hat man einfach mal acht Hunde genommen, und diese acht Hunde eine Woche lang trainiert und denen dann Proben gegeben, das waren gar nicht so wenig, insgesamt über 1.000 Proben, wo ein Teil eben aus dem Krankenhaus stammte, von Patienten, die relativ schwer erkrankt waren an Covid-19. Und da haben die Hunde doch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit also 94 % der Fälle die richtige Diagnose abgegeben – entweder richtig Covid-19 diagnostiziert oder zu Recht festgestellt, dass derjenige nicht krank war. Die 94% beziehen sich auf die insgesamt richtigen Tests, also entweder richtigpositiv oder richtig-negativ. Und in die Richtung falsch-positiv und falsch-negativ hat es ungefähr gleich oft ausgeschlagen. Also der Hund macht auch mal einen Fehler. Und was wir eben wissen von diesen ganzen Verfahren, das ist ja auch bei der Rauschgiftsuche zum Beispiel ein Standard, dass Hunde da eingesetzt werden. Die Schwankungen sind einfach enormes und Hund ist auch nur ein Mensch. Ja, und dann hat er einen guten Tag und einen schlechten Tag. Und es gibt einfach Tage, wo diese Hunde einfach, das weiß jeder Hundeführer, einen schlechten Tag haben. Dann können sie das nicht verwenden, was der Ihnen anzeigt. Und es ist auch nicht klar, warum der bei manchen Patienten das nicht erkannt hat. Es kann gut sein, dass es zum Beispiel an der Krankheitsphase liegt. Das waren ja alles besonders schwer kranke Patienten. Und man muss sich ja in Erinnerung rufen, dass unser Covid-19 Problem, der heißt, dass wir die Menschen, die keine Symptome haben, entweder weil sie insgesamt asymptomatisch sind oder weil sie noch keine Symptome haben, diese Menschen, die sind die Gefahr, hauptsächlich. Und die würde man natürlich gerne detektieren. Darüber sagt diese Studie, die ich jetzt eher so ein bisschen mit einem lachenden Auge sehe, die sagt darüber eigentlich gar nichts aus, ob die Hunde das können.



Camillo Schumann



Da kann die kann die Spürnase nach dieser Studie zumindest erst mal nicht weiterhelfen?



Alexander Kekulé


Nein, also an der Stelle, glaube ich, kann die Spürnase nicht helfen. Ich plädiere auch dafür, dass jetzt nicht so ernst zu nehmen. Ich gehe davon aus, das war so eine Art – wir nennen das dann Proof of Principle, das ist einfach interessant, mal zu zeigen, dass im Prinzip Hunde so was auch können. Es gibt ganz viele Fehlerquellen. Um eine rauszufischen: Das ist so, dass die Proben, die wurden natürlich anonymisiert, und wahrscheinlich hat man auch sichergestellt, dass der Hund nicht lesen kann, was auf dem Spiel steht. Und das ist so, dass aber diese Proben natürlich aus Krankenhäusern stammten, die positiven. Und die negativen Proben stammten von Menschen, die negativ getestet waren, aber dann logischerweise eben nicht im Krankenhaus waren. Und jetzt kann man natürlich alle möglichen Hypothesen aufstellen. Jemand, der so schwer krank ist, dass er in der Klinik ist, der wird natürlich therapiert. Das heißt, wir wissen überhaupt nicht, welche Therapien da stattgefunden haben und ob vielleicht das eine oder andere Medikamente verabreicht wurde, dazu geführt hat, dass der Hund in der Lage war, die Probe zu erschnüffeln. Und ich muss ehrlich sagen, früher, als ich mal so im Krankenhaus so richtig auf der Intensivstation gearbeitet habe und von morgens bis abends da zu tun hatte. Und wenn ich dann nach Hause kam, dann haben meine Mitbewohner sofort gerochen, wo ich herkomme. Weil Krankenhaus riecht einfach nach Krankenhaus. Und um zu vermeiden, dass der Hund sozusagen einen krankenhausspezifischen Geruch aufnimmt, haben die Macher der Studie gesagt er hat, dafür haben wir 2 verschiedene Krankenhäuser einfach genommen – positive Proben aus 2 verschiedenen Krankenhäusern. Dem muss man natürlich jetzt schon die Gegen-Hypothese aufstellen, dass alle Krankenhäuser irgendwie ähnlich riechen. Und daher ist jetzt die Frage: Würde ein Hund eine Probe von jemandem, der noch nie im Krankenhaus waren, der nicht therapiert wird, würde der Hund das auch erkennen? Und darüber können die natürlich keine Aussage machen. Und deshalb haben die Macher der


Studie des auch tausend mal geschrieben, dass das nur so eine nette Idee war, diese mal ausprobieren wollten. Und das nicht so gemeint ist, dass man ab morgen mit Hunden Covid-19 diagnostizieren soll.


[0:34:38]



Camillo Schumann



Dann lieber die 50 Tests für 50 Dollar. Weil Sie schon das Krankenhaus und die Therapie angesprochen haben: Wir werfen einen schnellen Blick zu Therapiemöglichkeiten. Das machen wir ja ab und zu hier im Podcast. Häufig wirken sich Medikamente auf leichte Verläufe ganz gut aus, was man ja so bewerten kann. Nun scheint ein Medikament auch Patienten mit sehr schweren Verläufen ihnen zu helfen beziehungsweise etwas positiv zu beeinflussen. Stichwort Prednisolon. Was kann man dazu sagen?


[0:35:07]



Alexander Kekulé


Prednisolon, muss man sagen, ist ja wieder ein Cortisonpräparat. Und wir wissen ja im Prinzip, dass Cortisonpräparate, die das Immunsystem in Schach halten, dass die in bestimmten Verlaufsformen von Covid-19 und in bestimmten Phasen dann auch wirklich einen ganz deutlichen Effekt haben. Das ist bei Dexamethason, einem anderen Cortisonpräparat, eindeutig schon gezeigt worden. Und das ist eigentlich, sage ich mal, nicht so ganz Abwegiges oder Neues. Das darf man sich jetzt nicht so vorstellen, als wäre da ein ganz neues Medikament gegen das Virus entdeckt worden. Sondern wir wissen einfach, dass ein Teil von Menschen, die solche schweren viralen Infekte haben – das gibt es bei Influenza auch manchmal – dass die mit einer einem überschießenden Immunsystem reagieren, mit einer überschießenden Immunreaktion. Im schlimmsten Fall gibt es etwas, was wir Zytokinsturm nennen. Also das wirklich diese Überträgerstoffe im Blut, die die Signalstoffe des Immunsystems sind, diese Zytokine, dass die völlig verrücktspielen. Die eine Sorte ist leergepowered, also da gibt es dann nicht mehr genug. Die andere Sorte ist ständig auf 180 Prozent aktiviert. Und dann kommt eben die Immunantwort durcheinander, und das muss man dann in den Griff bekommen, indem man ein Immunsuppressivum


gibt, also ein Medikament, was das Immunsystem einfach mal pauschal unterdrückt. Und der beliebteste Hammer, mit dem man da draufhauen kann, sind also Cortisonpräparate. Und das hat man hier eben jetzt mal mit einem anderen gemacht, nämlich Prednisolon. Das ist ein Präparat, was heute ein anderes Cortison ist. Das gibt man typischerweise so als Stoßtherapie. Vielleicht kennt das der eine oder andere, der mal einen Hörsturz hatte. Da war das eine Zeitlang eine Idee, dass man Menschen mit Hörsturz ein, 2 Tage mit hoher Dosis von Cortisonpräparaten – da hat man auch Prednisolon manchmal genommen – behandelt, und hat festgestellt, dass das manchmal besser wird. Also unterm Strich war das bei den Hörsturz-Therapien so ein bisschen umstrittene am Schluss. Und hier hat man das gleiche versucht. Man hat über drei Tage jeden Tag so eine Stoßtherapie gemacht. Und dann wieder Schluss. Also anders als diese DauerCortison-Therapie, die manche Allergiker haben oder auch ältere Menschen, wenn sie rheumatische Erkrankungen haben. Wirklich nur drei Tage und fertig. Und diese Stoßtherapie hat tatsächlich bei einem signifikanten Anteil der Patienten zu einer Verbesserung des Verlaufs auch hinsichtlich der Sterblichkeit geführt. Und das heißt, es ist ziemlich klar, dass uns diese Therapieform was bringt bei dieser Art von Patienten.



Camillo Schumann



Jetzt ist das ja eine Studie aus Spanien. Sind das dann Informationen, die dann schnell abgerufen werden, direkt im Krankenhaus, zum Beispiel in Deutschland oder anderswo, umgesetzt werden?


[0:37:47]



Alexander Kekulé


Ich glaube schon. Das hatte ich vorhin vergessen zu sagen, ganz wichtig natürlich, das ist ein Preprint mal wieder, also eine vorab veröffentlichte Studie. Wo auch groß draufsteht, das ist ein Preprint ist, muss man dazu sagen. Aber diese Preprints werden ja deshalb veröffentlicht, damit die Kollegen die Möglichkeit haben, die Daten früh anzuschauen. Und ich glaube schon, dass man das berücksichtigt. Das war natürlich den Intensivmedizinern klar. Ob sie jetzt das Prednisolon nehmen oder ein an-


deres immunsuppressives Medikament. Es gibt auch welche, die ein bisschen spezifischer, also selektiver wirken. Das spielt dann nicht so eine große Rolle. Das wird selbstverständlich bei diesen Patienten probiert. Und meines Erachtens war das ganz von Anfang an bei Covid-19 so, dass man natürlich diese Interleukine und anderen Zytokine, also diese Faktoren, die sozusagen die Alarmsignale des Immunsystems wiedergeben, die hat man analysiert und bei den Patienten, wo man festgestellt hat, dass das Immunsystem überaktiviert ist, da hat man natürlich von Anfang an solche immunsuppressiven Therapien gemacht. Das würde ein Intensivmediziner auch schon ganz ohne Studie machen, weil das einfach naheliegend ist.


[0:39:02 ]



Camillo Schumann



Weil wir gerade bei Medikamenten sind, kommen wir zu den Hörerfragen. Diese junge Dame aus Berlin hat angerufen und folgenden sehr interessanten Gedanken geäußert:


„Chloroquin ist ja eigentlich eine ChininVerbindung. Jetzt wollte ich fragen, wenn man jetzt chininhaltige Brause immer trinkt oder Magenbitter, da ist auch Chinin drin – vielleicht sind alle die, die da so locker durchgekommen sind, ohne Symptome, vielleicht trinken die immer Magenbitter oder chininhaltige Brause. Das wäre ganz wichtig, weil man sich vielleicht mit chininhaltiger Brause vielleicht retten könnte.“


Also, Gin Tonic hilft gegen Corona?



Alexander Kekulé


Ja, ich weiß gar nicht, ob das aktuelle Tonic noch Chinin tatsächlich enthält. Klar, das haben die Briten ja erfunden, die ja große Kolonialherrscher waren. Und es war klar, dass man in den Tropen da immer mal Fieber bekommen hat – verschiedenste Art, im schlimmsten Fall Malaria. Und darum haben die diese chininhaltigen Getränke gehabt. Weil die wussten, dass das diese fieberhaften Erkrankungen bisschen positiv beeinflussen kann. Wir sind natürlich heute muss man sagen, da medikamentös schon viele, viele Schritte weiter. Darum wäre es jetzt nicht so naheliegend, sage ich mal so eine relativ schwach wirkende Substanz, die dann auch in hoher Dosis Nebenwirkungen


hat, die da noch mal loszulassen. Also, wir haben da bessere Sachen in der Kiste inzwischen. Darum müssen wir nicht auf die chininhaltige Brause und Gin Tonic zurückgreifen.



Camillo Schumann



Aber der theoretische Gedanke ist zumindest kreativ.



Alexander Kekulé


Der Gedanke ist kreativ und ist historisch auch eben nicht falsch. Es ist historisch tatsächlich so, zumindest sagt man das so. Historiker, die sich besser auskennen, mögen jetzt anrufen. Aber sozusagen auf dem Niveau eines Mediziners, der die Geschichte der Medizin natürlich nur oberflächliche ja kennt, ist es so, dass immer gesagt wird, die Briten haben diese Getränke erfunden wegen der Tropenkrankheiten.


[0:40:59]



Camillo Schumann



Herr A. hat gemailt:


„Es ist immer nur von den bösen Viren die Rede. Ich denke aber, diese Wesen oder wie immer man sie bezeichnen will, gibt es doch nicht zufällig. Mich interessiert, haben Viren in der Natur auch einen Nutzen oder Zweck? Viele Grüße aus dem Süden, Herr A.“



Alexander Kekulé


Also, da kann ich nur sagen das stößt bei mir eine offene Tür ein. Ich finde die Viren auch nicht böse. Ich finde die natürlich super interessant. Das ist ja klar. Aber Viren haben ja auch eine enorme Ästhetik. Also, selbst wenn man da im Mikrokosmos sich anschaut, was das für symmetrische Strukturen sind, was mit welcher Einfachheit, die im Grunde genommen es schaffen, sehr komplexe Aufgaben zu verrichten – das ist schon erstaunlich. Und man muss sich klarmachen, dass das Reich der Viren ja völlig unabhängig von den Tieren, von den Pflanzen und den anderen Reichen, die wir kennen ist. Das heißt also, wir sind hier in einem Bereich, wo das überhaupt nicht um Gut und Böse geht. Die wollen, wenn sie überhaupt was wollen, wollen Sie sich eigentlich nur selbst vermehren? Fortpflanzen ausbreiten – wer will das nicht? Es ist so gesehen noch nicht böse. Und die die besten Viren sind ja die, die eigentlich gar nicht krank machen. Weil, wenn


der Wirt nicht schwer krank wird, sondern noch möglichst lange lebt und das Virus weiter verbreitet, dann ist es ja im Sinne des der ursprünglichen Idee für das Virus von Vorteil.



Camillo Schumann



Ich will jetzt nicht in die Lobhudelei mit einsteigen, was die Viren angeht, aber ich habe gelesen, dass 90 Prozent der für den Menschen tödlichen Viren zoonotischen Hintergrund haben, also vom Tier kommen. Also das ist doch schon so ein bisschen das böse Virus.



Alexander Kekulé


Naja, oder der böse Mensch, der irgendwie die Tiere aus dem Urwald gezerrt und geschlachtet hat. Sonst wäre das Virus dageblieben, wo es war. Also, das ist fast immer so, dass diese Zoonosen, also dieses Überspringen vom Tier auf den Menschen, dass das mit ganz konkreten menschlichen Verhalten zu tun hat. Und meistens ist es so, dass dann ein Virus plötzlich beim Menschen unterwegs ist, das vorher eben nicht die Menschen befallen hat und dass deshalb an diesen neuen wird noch nicht angepasst ist. Bei Covid-19 sehen wir das exemplarisch. Es ist ja gerade gezeigt worden, dass zum Beispiel das Virus tatsächlich auch die Nieren befällt. Das ist eine ganz aktuelle Studie. Früher war immer die Frage, sehen wir das Virus in der Niere, also dieses SARS-CoV-2 , sehen wir das neue Niere nur deshalb, weil das Blut des dahin gespült hat? Oder ist das wirklich eine echte Infektion? Und Letzteres scheint jetzt der Fall zu sein. Dass ein Virus, die Lunge befällt, die Nieren, befällt weitere Organe, dann die inneren Schichten, der der Gefäße befallen kann. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das noch kein Zielorgan im Menschen hat. Und da würde ich mal sagen, das Virus sucht sich jetzt erst mal so seinen Weg, sich mit den Menschen zu arrangieren. Und wenn wir nichts dagegen machen, dann wird es in einigen Jahren so sein, dass wir nun weiteres Coronavirus haben, was keine besonders schlimme Krankheit verursacht und wahrscheinlich dann auch etwas selektiver im Menschen nur einzelne Organe befällt.



Camillo Schumann



Herr Kekulé, damit sind wir am Ende von Ausgabe 88. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen-Spezial.



Alexander Kekulé


Da freue ich mich drauf bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Dienstag, 2 8.07.2 02 0 #87: Es droht der Kontrollverlust



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag, 2 8.07.2 02 0. 1. Stehen wir vor einer zweiten Welle? Das Robert-Koch-Institut warnt eindringlich. 2 . Dann: Verpflichtende Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Wie groß ist der Nutzen dieser Maßnahme? 3. Außerdem: Wie gefährlich sind Aerosole wirklich? 2 Harvard-Forscher haben die bisherigen Studienergebnisse neu bewertet. 4. Außerdem: Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Tönnies-Studie. 5. Und: Ihre Corona-Urlaubserlebnisse.


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Fangen wir mit eindringlichen Worten an: Die kommen vom Präsidenten des Robert KochInstituts, Lothar Wiehler.


„Diese Entwicklung ist wirklich sehr beunruhigend. Wir sehen viele kleine Ausbrüche, die an verschiedenen Orten gleichzeitig auftreten. Und wir sehen, dass diese Ausbrüche häufiger werden. Wir müssen jetzt verhindern, dass das


Virus sich wieder rasant ausbreitet. Dass es sich unkontrolliert ausbreitet.“


Und Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat gesagt, die zweite Welle, die hätte schon längst begonnen. Herr Kekulé, sind wir schon mittendrin und haben es nur nicht mitbekommen?



Alexander Kekulé


Diese Wellen werden erst hinterher definiert. Das ist quasi der Blick, den man hat auf die gesamten Zahlen. Dann sieht es ebenso aus, wie eine Welle. Im Detail sind das typischerweise einzelne kleine Ausbrüche. Und solange man diese Ausbrüche noch einzeln irgendwie identifizieren kann und in der Lage ist, diese Ausbrüche einzeln unter Kontrolle zu bringen, würde ich noch nicht von einer Welle sprechen. Aber es besteht natürlich die Gefahr, dass sich das Infektionsgeschehen so in der Fläche verbreitet, dass die Gesundheitsämter nicht mehr hinterherkommen. Wir hatten hier schon ein paarmal über das Konzept der Initialfälle gesprochen. Dass es also viele Fälle gibt, die neu auftreten und nicht mit bekannten Infektionsketten zusammenhängen. Und dann wäre das so eine Art zweite Welle. Zumindest von der Wirkung her kann sie dann einen umhauen wie eine Welle.



Camillo Schumann



Aber wir sind noch in der Situation, wo die Gesundheitsämter das unter Kontrolle haben?



Alexander Kekulé


Ich gehe davon aus, zumindest nachdem, was das Robert-Koch-Institut und das Bundesgesundheitsministerium immer gesagt haben. Es ist ja da so, dass die lokalen Kapazitäten bisher nirgendwo überfordert seien. Man muss natürlich sehen, ob das, was quasi vermutet wurde an Kapazität, was man sich vorgenommen hat, ob das tatsächlich auch in der Praxis dann besteht. Oder mit anderen Worten: es wurde ihr die Grenze von 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern als Alarmgrenze genommen, weil man der Meinung war, dass das die Gesundheitsämter das nachverfolgen können. Jetzt muss man sehen, wenn es mehr vereinzelte Fälle sind, Familienfeste oder Ähnliches, ob die Gesundheitsämter da wirklich hinterherkommen.


Falls ja, weil die Grenze richtig gesetzt, falls nein, muss man sie eventuell erniedrigen.



Camillo Schumann



Schauen wir uns die Zahlen an. Sie schwanken enorm: Am 19. Juli: 2 00 Neuinfektionen, einen Tag drauf 52 9.


Am 2 3. Juli: 569 Neuinfektionen und einen Tag drauf 815. Jetzt wird es interessant. Am 2 5. Juli wurden 781 Neuinfektionen gemeldet, einen Tag drauf 305.


Am 2 7. Juli waren es 340, und heute, am 2 8. Juli, 633. Also enorme Schwankungen, aber mit einer klaren Tendenz, oder?



Alexander Kekulé


Naja, das sind die typischen Schwankungen, die wir eigentlich immer sehen im Verlauf der Woche. Deshalb hat das Robert-Koch-Institut ja zu Recht den siebentägigen Mittelwert gebildet. Weil aus Gründen, die nach wie vor unbefriedigend sind und nicht abgestellt werden konnten, die Meldungen an den Wochenenden nicht richtig funktionieren. Deshalb gibt es immer so einen Nachholeffekt am Montag, und am Dienstag und Mittwoch. Insgesamt, unabhängig von diesen Tagesschwankungen, muss man sagen: Man sieht auch bei dem gemittelten Wert über die sieben Tage einen langsamen Wert nach oben. Und der passt leider so gut zu den Beobachtungen, die wir sonst machen. Nämlich, dass die Hygieneregeln nicht mehr so richtig eingehalten werden. Deshalb gebe ich dem Lothar Wiehler Recht, das ist ein sehr alarmierendes Zeichen.



Camillo Schumann



Weil Sie es gerade ansprechen, die Leiterin des Krisenzentrums des Robert Koch-Instituts, Dr. Ute Rexroth, die hat heute mal geschildert, wo und wie sich die Menschen aktuell anstecken.


„Es kann überall sein. Was wir mitkriegen, was uns berichtet wird, sind Familienfeiern, Hochzeiten, Treffen mit Freunden, das sind aber auch Ausbrüche am Arbeitsplatz, in Gemeinschaftsunterkünften und in Gemeinschaftseinrichtungen. Da sind leider auch Pflegeeinrichtungen, das sind Altenheime und Einrichtungen


des Gesundheitswesens, wo wir natürlich besonders viel Sorge haben, wenn es Einrichtung des Gesundheitswesens betrifft. Es sind natürlich auch Reiserückkehrer wieder mehr dabei. Es gibt mehr Fälle, die im Ausland exponiert waren. Aber der weitaus größte Teil hat sich tatsächlich in Deutschland angesteckt. Es gilt jetzt, diese Ausbreitung, diese Übertragungen in Deutschland weiter konsequent einzugrenzen.“


Herr Kekulé, dass hört sich so an, als ob die Menschen keine Lust auf Corona haben. Wie gefährlich ist die Situation? Sind wir schon so an einem Kipppunkt?



Alexander Kekulé


Ich würde schon sagen, wir steuern auf diesen befürchteten Punkt zu. Man muss bei den Angaben 2 Sachen auseinanderhalten. Das eine sind wirklich die Ausbrüche in Altersheimen, die angesprochen worden und auch in Krankenhäusern. Muss man klar sagen, nach so vielen Monaten der Krise, wir haben gerade sechs Monate hinter uns, ist es nicht mehr entschuldbar, dass man Personen, die ein besonderes Risiko haben oder Krankenhäuser, wo man wirklich weiß, dass das eine gefährliche Situation ist, dass man das dort nicht professionell in den Griff bekommen hat. Da kann man wirklich sagen, da sind die Länder gefragt, endlich abzusichern, dass die Altersheime und Krankenhäuser sicher sind. Man kann es jetzt auch nicht mehr auf die Masken schieben, die sind ja jetzt da.


Der weit größere Brocken ist das Verhalten der Menschen selber. Es gibt auch Hinweise darauf, an den Flughäfen, wo bisher schon bei der Einreise getestet wurde, dass tatsächlich von den Getesteten, tendenziell, wenn sie positiv waren die meist nicht aus den sogenannten Risikoländern kamen bisher. Das kann viele Gründe haben. Das deutet eventuell darauf hin, dass Urlauber sich im Urlaub unvorsichtig verhalten. Das gleiche sehen wir ja auch hier bei den Menschen im Land. Das ist ziemlich deutlich eine Verhaltensänderung, vielleicht auch eine Einstellungsänderung diesem Problem gegenüber, die wir beobachten.



Camillo Schumann



Eine Verhaltensänderung mit dramatischen Ausmaßen, möglicherweise?



Alexander Kekulé


Ich befürchte tatsächlich, wenn wir das psychologisch nicht in den Griff bekommen, wenn ich das so sagen darf, dass wir dann die Kontrolle verlieren. Ich kann es nur noch einmal sagen, wir haben hier in Deutschland etwas erarbeitet, wofür uns die halbe Welt beneidet. Wenn man jetzt zusehen würde, wie das wieder kaputt gemacht wird, weil die Menschen unvorsichtig werden, dann wäre das sehr schade. Ich habe auch den Eindruck, dass das ein kleiner Teil der Bevölkerung ist, die in einer gewissen Weise die Trotzphase übergegangen sind und das Problem nicht mehr wahrhaben wollen. Weil natürlich der Lockdown den Menschen enorme Dinge abverlangt hat. Ich glaube, es ist hier auch notwendig, das sehen wir bei Infektionskrankheiten übrigens häufig, wenn wir die kontrollieren müssen. Es ist hier notwendig, ganz gezielte Angebote zu machen für bestimmte Teile der Bevölkerung. Dort die Aufklärung zu verbessern, wo vielleicht auch die Kenntnisse nicht so weit fortgeschritten sind.



Camillo Schumann



Apropos gezielte Maßnahmen. Eine Maßnahme von vielen um möglicherweise die zweite Welle zu verhindern sind die verpflichtenden Coronatests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Wir haben es eben angesprochen, Reisende aus diesen Risikogebieten können an Flughäfen, Bahnhöfen oder auch Autobahnen verpflichtet werden, sich testen zu lassen.


Wir hören Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kurz dazu:


„Wir wollen sicherstellen, dass nicht aus diesen Ländern dieses Virus zurück nach Deutschland getragen wird, wo wir doch unter großen Mühen es gerade erst unter Kontrolle gebracht haben.“


Jetzt hat Frau Rexroth vom RKI ja gesagt, die Urlauber sind schon zurück und die ersten Ausbrüche sind schon zu verzeichnen. Kommt diese Maßnahme überhaupt noch rechtzeitig?



Alexander Kekulé


Ich würde mal sagen, ob sie rechtzeitig gekommen ist, wird man erst in ein bis 2 Monaten sehen, wenn die Ferien zu Ende sind. Für die Bundesländer, die jetzt gerade erst die Ferien begonnen haben im Süden, kommt sie noch rechtzeitig. Für die Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, wo die Ferien gerade zu Ende gehen, würde ich sagen, es ist reichlich spät. Aber wir wissen nicht genau, wie hoch der Anteil der Infektionen ist, die wirklich aus Risikogebieten eingeschleppt werden. Da hängen viele Dinge mit dran. Das Eine ist, was definiert das Robert-Koch-Institut überhaupt als Risikogebiet und was nicht? Und die andere Frage ist, ob die Menschen, die hier aus Risikogebieten zurückkommen, wenn sie sich nicht haben testen lassen bisher, ob sie ja dann die vorgeschriebene Quarantäne von 14 Tagen eingehalten haben. Da darf man getrost ein Fragezeichen dahinter machen.



Camillo Schumann



Lothar Wiehler, Chef des Robert Koch-Instituts hat heute noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass nicht das Robert-Koch-Institut die Risikogebiete bestimmt, sondern das Auswärtige Amt in Absprache mit dem Innenministerium und dem Gesundheitsministerien. Und das wird dann jeden Tag aufs Neue getan.



Alexander Kekulé


Also das ist interessant, natürlich ist in die nächsten Runden, außer dir haben jetzt etwas geändert, soweit ich das früher am Rande miterleben durfte, sind in solchen Runden immer die Leute vom RKI beteiligt. Weil natürlich das Auswärtige Amt und die oberen Behörden keine Chance haben, das medizinisch selbst zu beurteilen. Die Lagebeurteilung funktioniert ja letztlich so: Man sagt, erstens, wie hoch ist die Fallzahl dort? Das sind einfach die gemeldeten Zahlen aus dem Ausland. Zweitens gibt es einen Art Qualitätscheck. Wie gut, glauben wir, ist dort die Kontrolle. Wie gut werden die Fälle überhaupt berechtigt? Und drittens: Wie sind die sonstigen Hygienemaßnahmen, die gesundheitlichen Maßnahmen?


Das finde ich interessant, dass sich der Herr Wiehler da distanziert vom Auswärtigen Amt und vom Innenministerium. Dann müsste man


vielleicht noch immer nachfragen, wer das genau gemeint hat.



Camillo Schumann



Diese Lageeinschätzung wird jeden Tag gemacht und das können auch Länder oder Regionen in Europa sein, die plötzlich zum Risikogebiet werden. Am Ende muss die Information, wenn man sich festgelegt hat, auch an die Tester an den Flughäfen und Bahnhöfen ja auch irgendwie kommuniziert werden. Da kann ich mir vorstellen, der bleibt auch eine Information mal hängen. Jetzt gibt es auch keine Blaupause für so eine Aktion. Und dass Urlauber auch zurückkehren, das war auch schon vor der Urlaubssaison, vor Wochen, bekannt. Und einige Risikoländer sind schon seit Wochen Risikoländer. Hat die Politik da nicht zu spät gehandelt?



Alexander Kekulé


Ich habe ja schon im Februar ein Konzept vorgelegt, wo ja klipp und klar drauf stand, dass man, sobald man die Lage unter Kontrolle hat, also einzelne Fälle nachverfolgen kann, und einzelne Infektionsketten nachverfolgen kann, dass sich Phase 2 dieser Epidemie genannt habe, dass man auch zugleich ganz massiv die Außengrenzen kontrollieren muss. Warum das erst jetzt auf der Todo-Liste steht, und vor allem, die Menschen nur sehr unvollständig getestet werden bei der Einreise, das kann ich nicht wirklich beurteilen. Die Kapazitäten hätten wir auf jeden Fall in Deutschland. Und ich glaube, in die Zukunft blickend, ist klar, wenn Sie im Badezimmer den Boden trockengewischt haben, weil vorher das Wasser übergelaufen ist, hat es keinen Sinn, den Wasserhahn offen zu lassen. Dann sind sie gleich wieder am Anfang zurück. Und so ähnlich ist es hier, wenn wir immer wieder Neuinfektionen von außen eingeschleppt bekommen, dann bekommen wir die Lage selbstverständlich nicht in den Griff. Und deshalb ist jetzt wichtig, egal ob es rechtzeitig ist oder nicht, das mit absolutem Druck zu machen, und dafür zu sorgen, dass die Menschen getestet werden, sofern sie sich in Risikogebieten befinden. Und natürlich, das ist eine wichtige Sache, egal wer das definiert, die Risikogebiet müssen großzügig und frei von politischen Erwägungen ausgewiesen werden.



Camillo Schumann



Was meinen Sie mit: frei von politischen Erwägungen?



Alexander Kekulé


Naja, wir haben natürlich die Situation, es gibt Regionen in Spanien zum Beispiel, wo ziemlich klar ist, dass dort der Infektionsdruck, wie wir das nennen würden, die Gefahr sich zu infizieren, ziemlich hoch ist. Da gäbe es gute Gründe, das zum Risikogebiet zu erklären, wie es auch das vereinte Königreich für Spanien gemacht hat.


Das ist aber nun ein EU-Land, ein befreundetes, was gerade erst wieder anfängt, vom Tourismus halbwegs Einnahmen zu erzielen, sodass ich ziemlich sicher bin, dass da auch ökonomische und politische Erwägungen in der Waagschale liegen. Das Gleiche gilt für osteuropäische Mitgliedstaaten der EU, wo man einfach natürlich weiß, dass dort die Kontrolle und die Zahl der Testungen eigentlich nicht repräsentativ sind. Aber es ist eben ein EULand. Und da gibt es eben dann EU-weite Beschlüsse. Und ich bin eigentlich der Meinung, dass muss man unabhängig davon machen. Die Viren interessieren sich nicht für solche politischen Strukturen.



Camillo Schumann



Das Auswärtige Amt in Meldungen von heute, rät zum Beispiel wegen Corona nun von Reisen nach Katalonien ab. Also ist, das der Schritt in die richtige Richtung?



Alexander Kekulé


Ja, das Auswärtige Amt hat da das richtig gemacht. Ich bin ganz sicher, dass das sofort böse Briefe aus Barcelona gibt. Aber das muss man dann einfach in Kauf nehmen. Am Ende des Tages geht es ja um die Sicherheit von allen. Die Spanier haben ja auch nichts davon, wenn im Musterknaben-Deutschland dann das Virus wieder ausbricht. Und ich glaube, es wäre wirklich gut, wenn das auch wirklich in dieser, sage ich mal, Feinkörnigkeit weitergemacht wird, dass man wirklich sagt, diese Region ist riskant, und jene Region ist riskant. Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass das auch so schnell schwankt, und man mit der Beurteilung solange hinterher ist, weil man ja die ganze


Weile braucht, bis man dann mitkriegt, wo die Ausbrüche wirklich sind. Nicht alle Länder melden das ja so in kürzester Zeit. Dass man da auf jeden Fall lieber großzügig sein sollte. Ich erinnere mich noch einmal an die Anfangszeit, es ist gerade sechs Monate her. Darum darf man vielleicht zurückblicken, kurz. Es ist ja so, dass am Anfang ein Kardinalfehler gemacht wurde. Egal, ob das jetzt das RKI war oder das Auswärtige Amt, dass man in Norditalien wirklich zuerst dörferweise die Risikogebiete definiert hat. Und dann so in der Salami-Technik, in der umgekehrten Salami-Technik, das sozusagen vergrößert hat. Dadurch sind ganz viele Menschen nichtsahnend eingereist. Am Ende der Ferien sind die Kinder wieder in die Schule gegangen und so weiter. Diesen Fehler, dass man die Risikogebiete sozusagen zu spät und zu klein definiert, den darf man jetzt nicht noch einmal machen.



Camillo Schumann



Aber das bestdefinierte Risikogebiet bringt nix, wenn dann die Testung hier zwar schön klingen, aber vielleicht gar nicht so richtig praktisch umgesetzt werden können. Weil, ganz praktisch, sind es ja Stichproben. Die Rückkehrer sollen mit so einem Rachenabstrich, einem PCR-Test getestet werden, ist auch ein sehr aufwendiger Test, der auch Personal bindet, Zeit kostet. Und wenn dann ein Rückkehrer aus so einem definierten Risikogebiet getestet wird, laufen zehn andere am Testzelt vorbei. Also was bringt das?



Alexander Kekulé


Naja, die Vorschrift ist ja, das sollen ja jetzt verpflichtende Tests sein. Und verpflichtendes verstehe ich jetzt schon so, dass das heißt, dass im Prinzip alle getestet werden, die da kommen. Es ist nur so, dass selbstverständlich diese Tests ja auch Fehler machen, wenn man den Abstrich nicht richtig macht. Nicht so richtig viel erwischt vom Speichel da drinnen oder aber auch rein technisch gesehen ist es so während der Inkubationszeit so vier, fünf Tage, ist der Test die meiste Zeit negativ, und man könnte aber am letzten Tag schon ansteckend sein. Aus diesen Überlegungen, sage ich jetzt mal so als Hausnummer, muss man damit rechnen, dass einem 2 0-2 5 % der Infizierten bei diesen Testungen tatsächlich durch die


Lappen gehen. Das finde ich aber jetzt epidemiologisch nicht so wahnsinnig schlimm. Weil, es werden ja immer noch nur wenige Menschen infiziert sein von denen, die der einreisen. Und wenn man da umgekehrt 75-80 % abfangen kann, dann ist dieser Test eine vernünftige Sache.



Camillo Schumann



Weil sie gerade verpflichtende Tests so interpretieren, dass die Menschen sich dann ganz treu zum Testzelt begeben, die Hand heben und sagen ja, ich war im Risikogebiet, bitte testen Sie mich. Glauben Sie das wirklich? Also ich habe das so verstanden, dass man auf die Menschen zugeht und sagt: Wo kommen Sie her? Da und da, bitteschön, dann werden Sie jetzt getestet, und Sie können sich nicht dagegen wehren. Also das ist sozusagen Holund Bringschuld. Also glauben Sie wirklich daran?



Alexander Kekulé


Naja, das ist eine multidisziplinäre Frage, die Sie da stellen. Und das ist auch ganz wichtig, dass man da nicht nur einen Epidemiologen und Virologen fragt, sondern auch Leute, die sich jetzt mit polizeilichen Maßnahmen auskennen. Und aber von meiner Sicht ist es so, es wäre wünschenswert, dass alle getestet werden und die anderen, die nicht aus Risikogebieten kommen, wirklich ein komfortables Angebot bekommen, wo sie sehr schnell sich testen lassen können, ohne nach dem Urlaub dann viele Stunden am Flughafen zu verbringen oder bei der Einreise irgendwo gestoppt zu werden. Ob man das jetzt umsetzen kann, also ob die Leute die Wahrheit sagen, und wenn sie wissen ich muss mich jetzt eigentlich testen lassen, oder die Variante gibt es ja auch: wirklich definitiv 2 Wochen in Quarantäne. Jetzt gehen. Wenn alle Menschen ehrlich wären und würde das funktionieren. Aber ich will da so ein bisschen den Schwarzen Peter an die Grenzschutzbehörden abgeben. Die haben ja Übung mit so was. Die haben auch irgendwie ein Auge dafür, wer was schmuggelt und Ähnliches. Und die müssen halt jetzt ein Auge dafür entwickeln oder irgendwelche Algorithmen entwickeln, mit denen sie feststellen können, ob jemand möglicherweise aus dem Risikogebiet kommt, aber das nicht zugibt.



Camillo Schumann



Wer das Virus nach Deutschland schmuggelt.



Alexander Kekulé


Reinschmuggelt, Virus-Schmuggler.



Camillo Schumann



Sie haben es ja schon gesagt, ein Test ist irgendwie auch kein Test. Wenn der Test negativ ist, heißt das ja nicht, dass jemand nicht das Virus in sich trägt. Der kann ja trotzdem Tag später infektiös sein. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bunds, plädiert deshalb für eine Kombination aus Tests und Quarantäne. Hier bei MDR aktuell, wir hören mal kurz rein:


„Insofern ist eine optimale Strategie sicherlich Menschen zu testen, die dann in einer fünfbis maximal siebentägige Quarantäne, häusliche Quarantäne zu empfehlen und dann einen weiteren, einen zweiten Test zu machen. Dann ist die Sicherheit schon fast 100 %.“


Bisher können die Rückkehrer ja mit einem Test die Quarantäne umgehen. Also Test statt Quarantäne. Aber wäre eine Kombination nicht die Lösung?



Alexander Kekulé


Naja, klar, das haben wir hier öfters besprochen. Die Hörer des Podcasts wissen das, klar wäre das optimal. Uns ist ja auch so, dass das offizielle Angebot so ähnlich lautet. Man darf sich dann tatsächlich noch einmal testen lassen, ich glaube fünf Tage später. Aber das ist natürlich die graue Theorie, und das sinnvolle, das Gute daran ist, dass man quasi die Quarantäne auf fünf Tage verkürzt, statt jetzt wirklich 14 Tage Quarantäne zu machen. Ja, das wäre optimal. Aber ich wäre ja schon froh, wenn die einfache Variante funktioniert. Weil, die einfache Variante heißt letztlich, dass die Politik jetzt ein Stück weniger rigide ist, weil eigentlich war die Vorstellung, alle müssen 14 Tage in Quarantäne. Und jetzt sagt man okay, ihr könnt euch stattdessen testen lassen. Und natürlich wissen die Menschen, die das anordnen, auch, dass dadurch eine Lücke entsteht: nämlich von den Wenigen. Das sind ja zum Glück nicht so viele, die dann falsch negativ getestet wurden. Ich glaube, diese Lücke in Kauf zu nehmen, dafür, dass die Menschen


wirklich sagen okay, so ein Test, das mach ich doch gerne. Das ist doch immer noch besser als 2 Wochen zuhause bleiben. Ich glaube, diese politische, psychologische Überlegungen ist richtig, weil ja viele auch, das muss man sich klarmachen, nicht die finanziellen Mittel haben, dann zu Hause, nachdem sie aus dem Urlaub oder vom Familienbesuch im Ausland zurückgekommen sind, dann zu sagen, jetzt arbeite ich mal 2 Wochen nicht, sondern begebe mich in häusliche Quarantäne. Ich glaube, das ist es leichter, den Menschen die Brücke zu bauen und zu sagen: Okay, testen reicht auch, wissend, dass da eine Lücke entsteht.



Camillo Schumann



Um sozusagen jetzt nochmal einen Strich drunter zu ziehen. Sie sagen ja immer, man sollte epidemiologisch sinnvolle Maßnahmen umsetzen und nicht Maßnahmen, die so die Nachkommastelle betreffen. Also ist das so eine Maßnahme, die sozusagen vor der Kommastelle was tut oder nach der Kommastelle?



Alexander Kekulé


Das ist am heutigen Tag eine sehr gute Frage. Wenn Sie mich letzte Woche gefragt hätten, hätte ich ganz klar gesagt ja, das ist eine sinnvolle Maßnahme. Jetzt muss man natürlich Folgendes sagen: Die Zahlen, die das Robert Koch-Institut heute präsentiert hat, und auch die Erklärung, die dazu abgegeben wurde, sagt ja ganz klar, der Schwerpunkt ist auf Infektionen im Land, auf Fehlern, die wir hier zu Hause machen. Vielleicht auch dann auf Fehlern, die Urlauber selber durch ihr Verhalten untereinander im Urlaub machen. So Stichwort Mallorca oder Wörthersee oder so was. Und da muss man dann natürlich schon die Frage stellen wenn wir uns alle so unvernünftig daheim Verhalten und das Virus im Land ist und sich sowieso relativ unkontrolliert deshalb ausbreitet, dann ist natürlich wieder die Situation, dass das Augenmerk auf die importierten Infektionen nicht mehr so schlimm ist, weil man dann ja von der Phase II in diese Phase III schon wieder Rutschen zu droht, wo die Epidemie sich exponentiell dann wieder ausbreitet. Da kann man natürlich in der Tat sagen, wenn es bei uns so zugeht, wie in Spanien oder in Katalonien, um es mal plakativ zu sagen,


dann brauchen wir die Einreisenden aus Katalonien auch nicht besonders ins Auge zu nehmen.



Camillo Schumann



Gut, da sind wir gespannt, wir beide und natürlich Millionen Menschen hier in Deutschland, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln werden.


Wir kommen zum nächsten Thema. Die Ausbreitung des Virus verhindern ist ja sozusagen das Gebot der Stunde. Vor allem geschlossene Räume mit mehreren Personen sind besonders gefährliche Orte, Stichwort Aerosol-Übertragung, also die Übertragung durch winzige Partikel im Atemnebel. Über 2 40 Wissenschaftler, die hatten erst kürzlich die Weltgesundheitsorganisation aufgefordert, das Thema Aerosole wesentlich ernster zu nehmen. Nun haben Forscher der Harvard Medical School mal alle Studien, die es zum Thema Aerosole gibt, analysiert, neu bewertet. Und sie sagen, dass es Aerosole gibt, ist unbestritten. Sie sagen aber, das bloße Vorhandensein von viraler RNA in der Luft beweist noch keine Übertragung. Und ob es zu einer Übertragung kommt, das hängt von ganz vielen Faktoren ab: die Größe des Viruspartikel, wieviel ausgeschieden werden, wie stark das Immunsystem das Virus abwehrt etc. Was halten Sie von dieser grundsätzlichen neuen Bewertung?



Alexander Kekulé


Ich habe die Bewertung gesehen. Das sind Kollegen von der Harvard Medical School, interessanterweise dort Epidemiologen und Spezialisten für öffentliche Gesundheit. Das ist ein sehr guter allgemeiner Überblick über die Probleme, die wir haben. Aber letztlich steht da das gleiche drin, was, glaube ich, viele Deutsche inzwischen schon wissen. Nämlich, dass wir aufgrund der bisherigen Daten hauptsächlich diese die, die den Verdacht haben, dass diese Tröpfchen eine Rolle spielen. Tröpfcheninfektion, face-to-face unter 2 Meter. Und dass es aber offensichtlich einzelne seltene Superspreader-Ereignisse gibt, wo diese Aerosole eine Rolle spielen. Und das Verhältnis von beiden ist eben unklar. Aber die Besonderheit dieses SARS-CoV-2  Virus ist eben, dass im Gegensatz zum Beispiel zu den Masern, die ja


ganz stark über Aerosole übertragen werden, die Hinweise auf die aerogene Übertragung, also echt über meterweite Entfernungen, die gibt es eigentlich nur in relativ wenigen Situationen. Interessant ist ja, da diese sogenannte „secondary attack rate“, also die zweite Angriffsrate. Ich weiß gar nicht, wie man das auf Deutsch sagt. Und zwar wissen wir, dass Menschen, die im gleichen Haushalt leben, in manchen Studien ja nur zu 10 % ihre Mitbewohner angesteckt haben. 10-15 %, in Heinsberg hatten wir solche Zahlen von 15 %. In anderen Studien geht es rauf bis 40 %, je nachdem, wie der Haushalt auch war. Wenn man zusammen beim Abendessen ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man den anderen von einem Essen ansteckt, bei 7 % nach einer Studie, und beim Einkauf ist es unter 1 %. Also den Verkäufer, zum Beispiel. Das heißt also, wir wissen, dass dieses Virus in so ganz normalen Situationen, wo offensichtlich jetzt diese Aerosole, diese feinen Partikel, die sich im Raum weiter übertragen, keine so große Rolle spielen. Dass immer dann eigentlich das Virus gar nicht so infektiös ist. Das ist ja der Grund, warum wir es eigentlich ganz gut unter Kontrolle bringen können.



Camillo Schumann



Aber die Frage ist ja, warum man vor Chorproben warnt, vor Feiern in geschlossenen Räumen warnt, weil die Wissenschaftler sagen ja, auch und Sie haben es schon angesprochen: Die Reproduktionszahl von 2 -3 sei angesichts der großen Anzahl von Interaktionen Menschenmengen, persönlichen Kontakten, die die Menschen innerhalb einer Woche haben, recht klein. Und sie sagen auch, entweder sei die Virusmenge, die zu Infektionen führt, viel größer, oder Aerosole spielen eben nicht die entscheidende Rolle bei der Übertragung.



Alexander Kekulé


Ja, man muss hier unterscheiden, wie dieses „R“ sozusagen, diese Reproduktionszahl, auf was sich die bezieht. Wenn man das „R“ insgesamt von der von einer Bevölkerung sich ansieht wie in Deutschland, wo wir am Anfang Werte um 3 hatten, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass insgesamt auf die Gesamtbevölkerung bezogen, diese aerogene Übertragung keine große Rolle spielen kann.


Sonst wäre es viel höher. Bei Masern, wo wir wissen, dass diese luftgetragene, aerogene Übertragung wichtig ist, liegt irgendwo im Bereich von, ich weiß nicht, 18 oder so was. Also, diese Maximalgeschwindigkeit R0 heißt die dann am Anfang. Und das andere ist, dass aber ein einzelner Ausbruch jetzt bei der berühmten Chorprobe, das in dieser Ausbruchssituation, das „R“ natürlich in einem höheren Bereich liegen kann. Also, dass jetzt also eine aerogene Situation stattfindet bei einer Chorprobe, und man weiß, ein Sänger hat mit hoher Wahrscheinlichkeit 2 0 andere angesteckt in einem Ereignis, dann ist eben „R“ in diesem bestimmten Ereignis gleich 2 0. Also das mittelt sich nur weg, wenn sie die Gesamtbevölkerung anschauen, sodass das kein Widerspruch ist. Wir haben einerseits auf die Gesamtbevölkerung diese kontrollierbaren, bisher bei uns ja auch gut kontrollierten Ereignisse mit relativ geringer Infektiosität, nur face-to-face. Und wir haben andererseits einige Situationen, wo diese hochinfektiösen Aerosole entstehen, wo eben tatsächlich dann ein Mensch viele anstecken kann. Das Interessante ist, dass wir wirklich wissen, dass auch diese aerogene Übertragung durch Masken verhindert werden kann, weitgehend. Und das ist eine ganz wichtige Information.



Camillo Schumann



Zur Maske kommen wir gleich noch einmal abschließend dazu. Das würde sich ja dann auch mit den Aussagen decken, die das RKI heute getätigt hat, der Bewertung von Frau Rexroth, dass es eben in ganz Deutschland diese Übertragungen sind, große Familienfeiern, Hochzeiten etc. Es würde sich ja sozusagen auch decken, oder?



Alexander Kekulé


Ich kenne jetzt die Daten vom RKI nicht. Und das, soweit ich weiß, werden die auch leider nicht so ganz vollständig immer übermittelt von den Bundesländern und von den einzelnen Behörden. Aber es ist genau, wie Sie sagen: Es geht einfach dahin, dass tatsächlich in den geschlossenen Räumen die Großveranstaltungen das Thema sind. Ich glaube, dass RKI würde uns sofort warnen, wenn diese Grundhypothese, die wir hier in Deutschland haben – die übrigens im Ausland nicht überall so eindeutig


ist – aber bei uns ist er die Arbeitshypothese, dass wir sagen, im Freien passiert tendenziell eher nichts. Ich sage es mal so salopp. Und wenn es so wäre, dass man sagt, da ist bei einer Veranstaltung im Park irgendwo, von Leuten, die nebeneinander gegrillt haben, plötzlich über 1,50 m das Virus in großer Menge verteilt worden und hat zu einem Ausbruch geführt, dann würde uns, dass das RKI, glaube ich, sofort sagen. Oder andersherum gesagt: Ich gehe davon aus, dass alle größeren Ausbrüche, die wir jetzt haben, in den letzten Wochen wirklich in geschlossenen Räumen stattgefunden haben. Und wir deshalb die Arbeitshypothese halten können, dass wir vor allem diese Superspreader-Ereignisse in geschlossenen Räumen vermeiden müssen.



Camillo Schumann



Und damit wären wir schon beim nächsten Thema. Forscher der Technischen Hochschule Mittelhessen haben getestet und sehr eindrucksvoll grafisch dargestellt, wie sich Aerosole in geschlossenen Räumen so verteilen. Sie haben da so ein einmaliges Niesen simuliert, und wie sich der Nebel dann im Raum verteilt und auch wieder Nebel am besten abgewehrt werden kann. Und das Fazit: Dieser Nebel verbreitet sich extrem schnell, und deshalb sei es unbedingt empfehlenswert, in geschlossenen Räumen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Also heißt das jetzt die Maske auch im Büro tragen?



Alexander Kekulé


In meinem Institut ist es so, dass eigentlich von einer ganz frühen Phase dieser Epidemie die Mitarbeiter, wenn sie zu mehreren in einem Raum sind, immer einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen. Und ich gehe davon aus, dass viele Chefs, auch wenn sie nicht gerade Mikrobiologen sind, ähnliche Anweisungen gegeben haben. Ich bin ganz sicher, wenn die Fließbandmitarbeiter bei Tönnies alle Masken im Gesicht gehabt hätten bei der Arbeit, dass es dann nicht zu diesem Ausbruch gekommen wäre. Und das hat diese ganz interessante Simulation dort von der Technischen Hochschule in Gießen wirklich gezeigt. Es gibt schon ähnliche Studien natürlich, ähnliche Simulationen, die auch so aussahen. Ich frage mich dann manchmal immer, ob die Menschen jetzt noch


unbefangen zusehen, wenn jemand anders niest. Ja, da sagt man ja normalerweise Gesundheit. Wahrscheinlich ist dann die neue Antwort: „Raus hier!“, oder Ähnliches. Weil, wenn man diese Studien kennt und weiß, wie viele Meter sich das dann verbreiten kann, ist es ja schon ein bisschen beunruhigend. Ich fand an der Studie ganz interessant: Die haben das dann simuliert, aber auch mit einem mit einem Laserbeugungs-Gerät, einem Lasergranulometer heißt das, haben die das auch verifiziert, also diese Simulation nochmal überprüft. Und am schlimmsten war der Ventilator im Raum. Das kann ich jetzt im Sommer sagen. Also ein Ventilator im Büro, das geht gar nicht nach der Studie, weil, der verbläst wirklich das Ausgenießte dann im ganzen Zimmer.



Camillo Schumann



Okay, also mit anderen Worten. Der Virologe und Epidemiologe 

Alexander Kekulé empfiehlt das Maskentragen im Büro?



Alexander Kekulé


Definitiv. Also ich kann nur sagen, wenn Menschen im Büro sind und im Herbst das Fenster nicht mehr aufmachen können und vor allem natürlich nicht so viel Platz haben. Es gibt ja so Luxusbüros, wo auf einem großen Raum 2 bis drei Leute sitzen. Aber wenn sie eng zusammensitzen und das Fenster zumachen müssen, wenn es demnächst kälter wird, dann würde ich die Maske dort tragen.



Camillo Schumann



Ich habe die Macht. Ich kann jetzt entscheiden, ob ich diese Aussage drin lasse hier im Podcast oder rausschneide.



Alexander Kekulé


Selbstverständlich, wenn Sie keine Maske tragen wollen, dann schneiden Sie es raus.



Camillo Schumann



Ist es Ihre Empfehlung? Ich lasse es drin. Wir müssen auch, Sie haben es schon angesprochen, noch über ein Thema sprechen, das Deutschland wochenlang in Atem gehalten hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Der massive Coronavirus-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies in Rheda-Wiedenbrück in NordrheinWestfalen. Es ist nun klar, wie sich das Virus so


stark ausbreiten konnte. Und es gibt eine abschließende Studie dazu und auch eine kleine Überraschung. Denn die Unterkünfte osteuropäischen Arbeiter, die waren es nicht.



Alexander Kekulé


Ja, das ist also wirklich interessant. Also diese Studie, die begeistert richtig. Deshalb muss man noch einmal sagen, das ist wohl unter Federführung vom Helmholtz-Institut in Braunschweig gemacht worden. Das Pette-Institut in Hamburg und Eppendorf in Hamburg und die Hygiene in Bonn waren beteiligt. Die haben das also wirklich gründlich aufs Korn genommen, und das liest sich für einen Epidemiologen wie ein Krimi. Also das ist besser als jeder Tatort am Sonntagabend. Die Geschichte, die wir ja alle nur so indirekt aus den Medien mitbekommen haben, lief letztlich so: Es gab 2 Fabriken, um dies dagegen die 30 Kilometer auseinander waren. Und es war eben so, dass man einen Kontakt hatte von Mitarbeitern der einen Fabrik – wo schon klar war, dass ein Ausbruch stattgefunden hat – mit Mitarbeitern der anderen Fabrik. Und das Interessante hier war: Das waren insgesamt vier Leute, also 2 plus zwei, die sich getroffen haben an so einem T0, an so einem Tag, an dem es losging. Und man hat dann hinterher das Virus sogar genetisch so genau analysiert, dass man einen Verdacht hat, welcher von den beiden das gewesen sein muss anhand der genetischen Information des Virus. Und dann war es eben so, dass die festgestellt haben, später sie hatten Kontakt mit jemandem, der positiv war, haben das auch brav gemeldet, wurden dann selber auch gleich getestet drei Tage später, nach diesem Kontakt. Und dann hat man aber gesagt ja, der Kontakt war so kurz, ihr könnt weiter zur Arbeit gehen. Und das war natürlich der große Fehler. Das war ein kurzer, angeblich kurzer Kontakt. Die 2 wurden zur Arbeit geschickt, während der Test noch lief, und als dann am vierten Tag zurückkam, dass sie positiv sind, wurden sie in Isolierung geschickt. Aber dann nahmen eben die Ereignisse ihren Lauf. Am achten Tag wurde die ganze Frühschicht von über 140 Leuten getestet. Da waren dann 18 positiv, später nochmal nachgetestet: weitere elf. Und ab dem 19. Tag, also fast drei Wochen jetzt schon nach diesem ursprünglichen Einschleppen, haben Sie dann


gesagt jetzt müssen wir mal Umfragen machen, wer mit wem sonst noch Kontakt hatte und so. Und haben ein sogenanntes risikobasierte Screening gemacht. Und da wurden dann über 110 Positive rausgezogen. Und erst nach einem Monat, ab dem 31. Tag, haben Sie gesagt: Oh, das ist jetzt aber ein schlimmer Ausbruch. Jetzt testen wir mal alle. Und dann kam das raus, was wir alle wissen, dass 1.413 laut dieser Studie von etwas über 6.000 Mitarbeitern positiv waren. Also man sieht richtig mit Schmerzen die Punkte, wo man das hätte verhindern können vorher. Und wo die Dinge stufenweise leider unterschätzt wurden, mit der Folge, dass wirklich mit hoher Wahrscheinlichkeit bewiesen ist, dass hier nicht aus bestimmten technischen Gründen – da gibt es noch ein paar Fragezeichen – aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das wirklich eingetragen worden von einer Person und dann schrittweise in diesem anderen Betrieb losgegangen.



Camillo Schumann



Also eine Person sorgt dafür, dass am Ende 1.500 positiv getestet worden. Aber entscheidend ist er jetzt auch, wo die Übertragung stattgefunden hat, da wurde auch ein bestimmter Ort ausgemacht.



Alexander Kekulé


Ja, und das hat man, das war eben diese berühmte Frühschicht. 147 Leute waren in der Frühschicht im nicht alle zusammen. Also, die hatten verschiedene Positionen, wo sie gearbeitet haben, natürlich auch abwechselnd. Und das muss man sich als ein langes Fließband vorstellen, wo die Rinder zerteilt wurden. Und wahrscheinlich am Schluss das dann in diese kleinen Packungen abgegeben wurden. Das weiß ich nicht. Aber 32  Meter lang, 8,5 Meter breit war der Raum. Und dann ist quasi dann dieses Fließband durchgelaufen, und jeder hatte eine bestimmte Position. Und der ganze Raum war gekühlt, natürlich auf 10°C. Und die haben dann was ganz Interessantes gemacht. Die haben gesagt, wer stand denn wo von den Leuten, die infiziert wurden? Und wo standen die ihm Verhältnis zu diesem allerersten Indexpatienten, der das da reingeschleppt hat? Und da haben sie wirklich quasi das zweidimensional aufgezeichnet und gesagt, wie viele Meter nach links, rechts, und wie viele Meter


nach vorne, hinten. Und dann kam raus, dass also ganz klar das Risiko von denen im Umkreis von acht Meter waren eindeutig weit erhöht war. Also statistisch eindeutig signifikant. Und diese starke Korrelation eines Infektionsrisikos mit der Position am Fließband dessen, der das offensichtlich eingeschleppt hat – das ist einmalig, dass man so genau quasi gezeigt hat, dass das wirklich in dieser Distanz in diesem Raum stattgefunden haben muss. Das gleiche haben sie natürlich dann auch epidemiologisch durchgerechnet für die Wohnungen, wo die zusammen waren, die Behausungen, und auch durchgerechnet für die Busse mit denen, die dann zur Arbeit gebracht wurden. Und da gab es keine solche Korrelation. Man muss noch so ein bisschen da einen Wermutstropfen reinschütten. Man weiß natürlich nicht, weil die Personen selber nicht wirklich befragt wurden, ob jetzt vielleicht die Leute, die da im Kreis von acht Meter zusammenstehen, sich irgendwie aus anderen Gründen auch vielleicht besser kennen oder miteinander sonst zu tun haben, oder zusammen vielleicht auch dann in die Pause gehen oder solche sozialen Faktoren. Also eine Infektion außerhalb dieses Raums ist nicht hundertprozentig auszuschließen. Aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutet das darauf hin, dass wir hier wirklich über acht Meter Entfernung Infektionen kriegen. Das ist übrigens nicht der erste Hinweis darauf. Es gibt auch ältere Studien aus China, wo Ähnliches auch bis acht Meter, bzw. 2 7 Fuß nachgewiesen wurde.



Camillo Schumann



Natürlich jetzt die große Frage: Ansteckung mit oder ohne Maske?



Alexander Kekulé


Aus der Arbeit ist das nicht zu entnehmen. Ich gehe einfach davon aus, dass die dort keine Masken aufhatten. Ob es auch vorgeschrieben war, weiß ich natürlich nicht. Aber ich halte es für ausgeschlossen, dass sich so eine klare Infektionskette abzeichnet, wenn die alle Masken und natürlich dann vernünftig aufgehabt haben. Man kann natürlich etwas anderes daraus ableiten. Man kann daraus ableiten, dass bei bestimmten Arbeiten, insbesondere unter gekühlten Bedingungen – es ist nicht sicher, aber es ist gut möglich, dass das auch


mit der Kühlung zusammenhängt, auch mit diesen Ventilatoren, die die Luft da im Raum verblasen haben –, dass man bei solchen Arbeiten wahrscheinlich FFP2 -Masken bräuchte. Das ist natürlich fürchterlich, weil das körperlich anstrengend ist. Und das hält niemand lange durch mit seiner Maske, wenn er körperlich anstrengend arbeiten muss.



Camillo Schumann



Soweit also die Einschätzungen zur TönniesStudie. Sehr interessante Ergebnisse. Da werden wir bestimmt ab und zumal, wenn es mal wieder so ein Thema ist, darauf Bezug nehmen.


Wir kommen zu den Urlaubserlebnissen unserer Hörer. In Ausgabe 84 haben wir unsere Hörer aufgefordert, uns mal zu schreiben, welche Beobachtung sie im Urlaub in Sachen Hygieneregeln so gemacht haben. Also wie in den Urlaubsländern mit der Corona-Situation umgegangen wird. Herr F. war in Griechenland. Im Flugzeug, hatt er eine FFP2 -Maske getragen. In der Clubanlage gab es eine Maskenpflicht am Buffet. Es wurde extrem viel Wert auf Desinfektionsmaßnahmen gelegt: Strandliegen, Sportgeräte et cetera. Und jetzt kommt es. Es gipfelte darin, dass Schwimmwesten nur mit Unterzieh-T-Shirt getragen werden durften, damit sie keinen direkten Körperkontakt hatten. Also das ist ja vielleicht auf der einen Seite ganz gut, auf der anderen Seite, bisschen übertrieben. Wie bewerten Sie es?



Alexander Kekulé


Also das mit dem Unterzieh-T-Shirts ist natürlich Unsinn. Wenn man im Meer ist, dann spült sich so was weg. Die einzige Situation, wo ich mir vorstellen könnte, wo eine gründliche Desinfektion sinnvoll ist zum Beispiel bei Tauchgeräten und Schnorcheln, die man wirklich in den Mund nimmt. Aber sonst finde ich das ehrlich gesagt, etwas übergründlich.



Camillo Schumann



Vom ganzen Gegenteil, berichtet Familie G. Sie war in Tschechien und ziemlich geschockt, wie dort in Marienbad mit dem Coronavirus umgegangen wurde.


„Es gab keinerlei Schutzvorrichtungen. Ein winziges Desinfektionsfläschchen haben wir erst am dritten Tag unseres Aufenthalts entdecken können. Niemand hielt sich an Abstandsregeln. Nirgends gab es ein Hinweis auf eventuell Corona-Maßnahmen. Man bediente sich am Frühstücksbuffet selbst. Wer hustet, hat das in die Hand getan. Maske tragen war keine Pflicht. Selbst das Personal in der Küche trug keinen Mundschutz, und für das Tragen unserer Masken wurden wir belächelt und verächtlich angesehen. So nach dem Motto: In Tschechien bräuchte man das nicht, da gibt es kein Corona mehr.“


Und ich habe mal geguckt. Tschechien meldet den höchsten Anstieg an Corona-Infektionen seit knapp einem Monat. Deshalb sind auch an der Grenze zu Sachsen das Tragen einer Maske in Gesundheitsund Sozialeinrichtungen, so wie der Besuch von Apotheken dann auch verpflichtend. Wie bewerten Sie jetzt, wie dort damit umgegangen wird?



Alexander Kekulé


Insgesamt, das kann man jetzt nicht speziell an Tschechien festmachen, haben wir immer die Situation, dass wir, dass so ein bisschen rein in die Kartoffeln raus aus den Kartoffeln ist. Tschechien hatte am Anfang sehr strenge Maßnahmen verhängt, die Einreise gestoppt und dadurch das Land eigentlich ganz gut geschützt – wenn man das so sagen darf – vor der ersten Welle. Jetzt sind die Grenzen wieder offen. Die Touristen kommen, und man nimmt es dort nicht ernst. Und das ist vielleicht ganz interessant zu beobachten, dass natürlich die Länder, die am wenigsten Erfahrungen mit sowas haben, die das bisher nicht ernst genommen haben, weil das Virus einfach nicht groß vorhanden war, dass die dann die größten Fehler machen, wenn das Virus doch kommt. Es gibt sogar eine gewisse Parallele zu dem, was wir in Europa gemacht haben. Wir erinnern uns, dass in Taiwan zum Beispiel oder in Singapur, in Südkorea – weil man das dort besser kannte von SARS, damals 2 003 – relativ schnell die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden. Aber die Europäer haben sich da am Anfang nicht so richtig eingesehen, warum sie das tun sollen. Und ich befürchte, dass so was eben auch, wie das den Tschechen geht, könn-


te das auch Bundesländern gehen, die sehr wenig Fälle haben. Man darf da nicht nachlässig sein, sondern man muss davon ausgehen, dass die Menschen, die noch nicht geübt sind im Umgang mit dem Virus, dass die auch besonders gefährdet sind.



Camillo Schumann



Und wenn auch Sie Urlaubserlebnisse haben, dann rufen Sie uns doch an 0800 3002 2 00. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese junge Dame hat angerufen. Sie macht sich Gedanken um die geringe Wirksamkeit von Impfstoffen bei älteren Menschen. Deshalb hat sie folgende Frage:


„Wenn aber viele junge Menschen geimpft wären und bei ihnen die Immunität zuverlässig ist, wären doch die älteren Menschen durch den Herdenschutz sicher, oder? Danke für die Antwort.“



Alexander Kekulé


Ja, das Herdenschutzkonzept ist ganz klar eins, was man im Auge hat, sozusagen als Notfallvariante. Es wird selbstverständlich versucht, Impfstoffe zu entwickeln, die auch bei älteren Menschen wirken. Es gibt ein paar Tricks, mit denen man die dann verstärken kann. Eventuell. Aber falls es nicht so richtig gelingen sollte, falls also die Wirksamkeit bei älteren Menschen schwach bleibt, dann bleibt noch der Herdenschutz. Das ist ganz klar, dass es eine schon, die wir haben. Man könnte rein theoretisch sogar durch reinen Herdenschutz so ein Virus eliminieren in der Bevölkerung.



Camillo Schumann



Frau M. aus Dresden hat uns geschrieben: Sicher werden viele Enkel in den Ferien ihre Großeltern besuchen beziehungsweise von ihnen betreut. Also, Ferien bei den Großeltern. Worauf ist zu achten? So zwei, drei Tipps hätte die Frau M. gern.



Alexander Kekulé


Aus meiner Sicht ist in der jetzigen Phase – wir sind ja noch immer in einer Situation, wo das Virus in Deutschland, ich würde nicht sagen unter Kontrolle ist, aber doch sehr niedrig gehalten wird – wenn die Kinder bisher keine Risikokontakte hatten und es im ganzen Um-


feld keinen Verdacht auf CoronavirusInfektionen gibt, dann kann man, meines Erachtens, das Risiko eingehen, dass die die Großeltern besuchen. Und natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, wenn jetzt wirklich was eingeschleppt wurde, unbemerkt, dann könnten die Kinder auch die Großeltern anstecken. Wenn noch genug Zeit vorher ist, ist natürlich immer die Möglichkeit, bevor die Kinder dorthin fahren, mal einen Test zu machen. Die sind in einigen Bundesländern leider kostenpflichtig. Wenn man in bestimmten Bundesländern ist, kosten sie nix. Aber ich glaube, das wäre so eine typische Situation. Also ich persönlich würde wahrscheinlich den Test machen, so oder so, weil ich das nicht riskieren würde, meine eigenen Großeltern in oder meiner eigenen Eltern dann ins Risiko zu bringen.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 87. Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Bis dann, Herr Schumann. Danke.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Samstag, 2 5.07.2 02 0 #86: Lebenslange Immunität eher unwahrscheinlich



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Samstag 2 5. Juli 2 02 0.



Camillo Schumann



Tötet Kernseife auf der Maske das Virus ab? Sollten Unterrichtsräume ohne Lüftung vorerst geschlossen werden? Ist ausgespuckter Rachenschleim ein Risiko?


Herzlich willkommen zu einem „Hörerfragen SPEZIAL“. Die Fragen rund ums Corona-Virus kommen von Ihnen. Und die Antworten wie immer von Virologen und Epidemiologen.



Alexander Kekulé, ich grüße Sie.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir wollen so viele Fragen wie möglich schaffen. Frau D. hat geschrieben: „Ich bin 74 Jahre alt und durch COPD leider ein Risiko-Mensch. Für Anfang August haben wir eine Tagesfahrt mit einem Reisebus innerhalb Sachsens Richtung Pillnitz gebucht. Der Bus ist ziemlich neu, und der Reiseveranstalter sagt, der Bus hat eine moderne Lüftung. Die Fahrt wurde schon verschoben, der Termin war im Frühjahr. Kann ich die Fahrt wagen?“ Corona-Fälle sind ja zurzeit nicht bekannt, und der Aufenthalt im Bus ist nicht so lange in Folge der kürzeren Fahrtstrecke. Vielleicht habe ich Glück und meine Frage wird beantwortet. Freundliche Grüße.“ Kann sie fahren?



Alexander Kekulé


Ich würde die Fahrt antreten mit 74 Jahren. Mit Verlaub, ich würde eine FFP2 -Maske aufsetzen. Gerade wenn die Fahrt nicht solange ist. Kann man es doch machen. Ich bin da einfach vorsichtig in geschlossenen Bussen. Wahrscheinlich wird es so sein, dass nur einer von mehr als tausend Bussen jemals einen richtigen Ausbruch haben wird. In Deutschland vielleicht überhaupt nie. Aber ich will nicht, dass einer unserer Hörer in diesem einen Bus gesessen hat. Und deshalb würde ich sagen: Setzen Sie die FFP2 -Maske auf und setzten Sie sie nur ab, wenn sie Wasser trinken wollen. Und am Zielort kann man ja dann wieder frische Luft schnappen.


1 [0:01:42 ]:



Camillo Schumann



Prima und an der Elbe können Sie dann auch noch eine Dampferfahrt machen. Da sind Sie dann auch an der frischen Luft. Viel Spaß. Herr H. aus Berlin hat angerufen. Er hatte eine Idee für eine weitere Möglichkeit, sich testen zu lassen: „Ich würde gerne wissen, warum man einen Test auf Antikörper nicht auch mit ausgeatmeter Luft machen kann. Also mit einer hustenartigen Ausatmung. Dann können die Zellen, die ausgeatmet werden, getestet werden, ob sie infiziert sind oder nicht. Oder ob Antikörper da sind oder nicht. Dankeschön, tschüss.“


3 [0:02 :19]:



Camillo Schumann



Einfach mal ein Husten-Test machen. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Da müsste doch eigentlich genug Viruslast mit drin sein, oder?



Alexander Kekulé


Ich glaube, dass das interessanterweise im Prinzip technisch möglich ist. Weil wir Viren auf jeden Fall in der ausgeatmeten Luft haben. Weil die Viren ja auf den Schleimhäuten sitzen. Und weil es hauptsächlich auf diese Viren ankommt bei der Infektion anderer Menschen. Es ist also rein theoretisch aus meiner Sicht technisch möglich, so etwas zu machen, wo man einfach nur mal kurz reinbläst. Und hinterher weiß man, ob man positiv ist oder negativ. Dummerweise gibt es das noch nicht. Ich wür-


de da wahrscheinlich meinen Freund Leonard McCoy fragen. Kennen Sie den noch? Das ist „Raumschiff Enterprise“. Der hatte immer so schöne Hightech-Gimex‘. Der hieß Pille auf dem Raumschiff. Und der hat immer irgendwelche super Hightech-Sachen gehabt und hat auf die Medizin unserer Zeit geschimpft. Ich kann mich an eine Folge erinnern, wo er gejammert hat, dass früher in der Chirurgie die Menschen noch primitiv mit Nadel und Faden zusammengenäht wurden. Aber er hätte das sicher nicht rechtzeitig entwickeln für diese Pandemie.


1 [0:03:35]:



Camillo Schumann



Aber Pille lebt in Israel, denn dort wurde ein einminütiger Corona-Atemtest erfunden. Wie so ein Atemalkoholtest. Man pustet da rein. Da ist ein Chip drin und der sagt einem dann, ob man jetzt positiv ist oder nicht. Ich habe ihn daher einen Link geschickt. Was halten Sie davon?


5 [0:03:54]:



Alexander Kekulé


Dazu haben sie schon meine Antwort gehört. Ich glaube nicht, dass das zuverlässig funktioniert. Wir können so etwas sicherlich entwickeln. Und das ist auch interessant. Es gibt tatsächlich Methoden. „Lab on a chip“ sagen wir dazu. Das sind chemische Reaktionen, die letztlich auf so einem kleinen Mikrochip ablaufen, Die untersuchen solche Sachen. Es ist nur so, dass die Nachweisgrenze, die man bräuchte, um das wirklich in der Atemluft nachzuweisen, im Bereich einiger weniger Viren liegen würde. Diese Nachweisgrenze können die bisherigen Systeme alle nicht erreichen, sodass ich nicht glaube, dass das israelische System, was da im Internet geschildert wird, funktioniert. Das ist eigentlich eine Designund Technikstudie. Aber ich würde nicht davon ausgehen, dass das funktioniert und so zuverlässig ist, dass man das empfehlen kann.


1 [0:04:50]:



Camillo Schumann



Frau F. aus Baden-Württemberg hat eine konkrete Frage zur Situation an ihrer Schule. „Die Fachräume Bio, Chemie, Physik haben keine Fenster. Es gibt eine Belüftungsanlage, die


aber nicht richtig funktioniert, und von der auch keiner weiß, welche Leistungen sie noch erbringen kann und die auch nicht reguliert werden kann. Wie schätzen Sie das Risiko einer Ansteckung über Aerosole für Lehrer und Schüler in diesen Räumlichkeiten ein? Sollte oder darf dort überhaupt noch Unterricht stattfinden? Herzlichen Dank und viele Grüße.“


6 [0:05:2 0]:



Alexander Kekulé


Das ist schwierig. Das ist wieder die berühmte Einzelfallentscheidung. Ich bin sicher, dass die Gesundheitsbehörden vor Ort sich das anschauen, wenn man da mal nachfragt und da eine vernünftige Entscheidung treffen. So wie sich das anhört, würde ich aus der Ferne dazu sagen. Wahrscheinlich ist es nicht sinnvoll, dass da Personen mit besonders hohem Risiko drin sind. Und wahrscheinlich ist es sinnvoll, dass auf jeden Fall die Schüler Mund-Nasen-Schutz tragen während sie in solchen Räumen sind. Vor allem wenn es eben nicht möglich ist zu lüften, vor allem zwischen den verschiedenen Klassen, die in diesem Raum unterrichtet werden. Und man will ja auch nicht immer in so einem Saal dann die Luft aus der Vorbereitung haben, wo nebenan die rauchende Schwefelsäure steht und ähnliches. Daher ist das schon ein besonders schwieriger Fall. Ich würde sagen: Mund-Nasen-Schutz, mindestens!


1 [0:06:09]:



Camillo Schumann



Urlaubszeit. Viele Menschen bleiben dieses Jahr in Deutschland. Viele machen vielleicht in einer Ferienwohnung Urlaub. Aber selbst davor schrecken manche zurück, wie diese Dame aus Schleswig Holstein auf unserem Anrufbeantworter folgendermaßen schildert:


7 [0:06:2 2 ] : Freunde von mir Ferienwohnung wollen nicht in ihre Ferienwohnung fahren, weil sie den Fahrstuhl benutzen müssten. Ist das wirklich eine Gefahr? Dankeschön.“



Alexander Kekulé


Aus meiner Sicht ist die der Fahrstuhl in einer Ferienwohnung in der Regel weniger gefährlich als in einem Hochhaus. Zum Beispiel einfach, weil sie weniger Personen haben, die so was


benutzen. Ich nehme noch an, es ist eine Wohnung in einem Haus, wo nicht viele Mieter wohnen. Und zweitens ist es so, dass da weniger Personen, aber auch eine seltenere Benutzung eine Rolle spielen. Bei einem Fahrstuhl, der ständig benutzt wird von vier bis sechs verschiedenen Leuten, und man immer, wenn man einsteigt, gerade einen benutzten Fahrstuhl vorfindet, ist das gefährlich. In einer Ferienwohnung, würde ich da sagen, gibt es eigentlich keinen Grund zur Sorge vor dem Fahrstuhl. Wer auf Nummer sicher gehen will, nimmt sich auch da wieder die FFP2 -Maske mit und zieht die bei der Fahrstuhlfahrt auf. Ich persönlich würde das für übertrieben halten. Man sollte vermeiden, dass mehrere Parteien gemeinsam den Fahrstuhl benutzen. Aber ich glaube, das ist inzwischen weltweit angekommen. dass das keine gute Idee ist.


1 [0:07:32 ]:



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen und eine Frage zu einem kreativen Test: „Wenn es doch Luftfilter gibt, die Viren herausfiltern können, könnte man diese Luftfilter auch dazu heranziehen, dass sie die Luft auf Coronavirus überprüfen, sodass man beispielsweise feststellen kann: In diesem Flugzeug muss jemand gewesen sei, der diese Viren von sich gegeben hat.“


5 [0:07:59]:



Alexander Kekulé


Ja, das ist im Prinzip möglich. So ähnlich wird es auch tatsächlich gemacht. Luftfilter in Krankenhäusern oder auch in Produktionsanlagen, die absolut steril sein müssen, werden tatsächlich auf diese Weise getestet, dass man da das Filter herausnimmt und diese oder Bakterien mal untersucht ist. Das ist extrem aufwendig, im Flugzeug an diese Filter heranzukommen. Das ist gar nicht so einfach. Und das Problem ist: Man darf sich so einen Filter nicht als etwas komplett Sauberes vorstellen, sondern gerade diese Hochleistungsfilter haben zwar vorher so eine Stufe, wo angeblich dann die Staubpartikel abgefangen werden. Aber letztlich sehen die, wenn man sich die so praktisch vorstellen kann, so ähnlich aus wie ein Beutel aus dem Staubsauger. Also mit richtig viel Dreck dran, wenn die ausgewechselt werden. Das ist ganz normal. Das ist jetzt kein Hygienefehler. Aber


aus so einem Gemischt die Viren rauszuholen und festzustellen, ob da welche drin sind, ist relativ anspruchsvoll. Das ist möglich. Aber ich würde sagen, dies bei jedem Flug zu machen, wäre wirklich übertrieben.


1 [0:09:02 ]:



Camillo Schumann



Herr F. aus Moers macht sich Gedanken und will auf eigene Faust etwas unternehmen. Er schreibt: „Der Schulbeginn meines 6-Jährigen rückt näher, und meine Tochter hat das DownSyndrom und geht bald wieder in die integrative Kita. Ich habe die Vermutung, dass es kein offizielles Testprotokoll an den Einrichtungen meiner Stadt Moers gibt. Ich würde mir wöchentliche Kohorten-Tests per Speichelprobe wünschen, um die Kinder, die Lehrer, Erzieher und die Angehörigen etwas zu schützen. Ich habe beim entsprechenden Gesundheitsamt nachgefragt, aber bisher keine Antwort bekommen. Ich überlegen nun, ob es möglich ist, ein solches Testprotokoll privat zu organisieren und zu finanzieren. Leider fehlt mir diesbezüglich der Ansatz zum Beispiel Kontaktinformationen zu entsprechenden Laboren etc. Auch bin ich unsicher, ob eine solch privat organisierte Aktion überhaupt durchführbar ist.“


Also, Herr Kekulé, Corona-Tests auf eigene Faust?


2  [0:09:58]:



Alexander Kekulé


Das ist eine sehr gute Idee, zeigt aber auch ein bisschen, wie verzweifelt die Menschen sind. Ich kann da ja berichten, dass das nicht die erste Anfrage dieser Art ist. Das ist naheliegend, dass sich Eltern da zusammentun. Und wenn der Staat das nicht macht, dann sagen die, wir machen das jetzt selber. Umso verständlicher, wenn es sich um eine Integrationskindertagesstätte handelt, wo auch Menschen mit Behinderung aufgenommen werden. Das Problem ist mehrstufig.


Das eine, was ich erlebt habe, ist, dass man mit dem Vorschlag nicht nur überall Begeisterung bei den anderen Eltern erntet. Es ist nicht so, dass dann alle sagen: Jawohl, super, macht das mal. Wir freuen uns. Wenn unser Kind da mitmacht, dann gibt es einzelne, die sagen: Nö, will ich nicht.


Zweitens ist es so, dass man ja auch an die Betreuer denken muss, die oft nicht getestet werden in solchen Einrichtungen. Und die sagen: Wieso sollen jetzt nur in dieser einen Gruppe, wo vielleicht ein Elternteil besonders engagiert ist, getestet werden und alle anderen nicht? Wir haben doch insgesamt ein Hygienekonzept mit dem Gesundheitsamt überlegt: Wie wir das machen, wie wir die Gruppen trennen, wie wir das Essen gestalten, wie wir alle Nase lang die Hände waschen usw. Wieso soll jetzt das zusätzlich eine Rolle spielen? Und was sagen dann die anderen, wenn nur eine Gruppe plötzlich getestet wird und die anderen nicht.


Und das Gesundheitsamt sagt: Ja, der PoolTest ist ja noch gar nicht nachgewiesen, dass der, wenn er negativ ist, wirklich zuverlässig für alle anderen auch gilt, weil man ja einen Verdünnungseffekt hat. Und wer soll das außerdem durchführen? Wer hat die Abnahme gemacht, dass das ordnungsgemäß gemacht worden ist? Mann stößt da auf eine Reihe von Widerständen, die ich selber schrecklich finde, sage ich offen. Und das gilt auch für Bayern, wo eigentlich der Ministerpräsident gesagt hat: Jeder kann sich jederzeit und immer gratis testen lassen. Da ist noch viel zu tun an der Stelle. Und ich kann nur da appellieren, vielleicht mit einem Arzt, der bereit ist, diese Tests zu machen, zu versuchen. Gerade bei Menschen, die die Distanz-Gebote nicht richtig einhalten können, ist es auf jeden Fall sinnvoll, stattdessen mit der Testung zu arbeiten. Aber es ist so bei Integrationskindertagesstätten gibt es dazu keine Empfehlung.


11 [0:12 :2 0]:



Camillo Schumann



Weil sie gerade Bayern angesprochen haben: Was sind da so ihre Erfahrung?


2  [0:12 :2 6]:



Alexander Kekulé


Was ich gerade geschildert habe, bezieht sich auf 2 Beispiele, die ich kenne. Das eine ist aus Sachsen-Anhalt und das andere aus Bayern. Und das war deckungsgleich. In beiden Situationen war es so, dass die Initiative eines Elternteils nicht dazu geführt hat, dass getestet wurde.


12  [0:12 :43]:



Camillo Schumann



Aber es ist jetzt nicht am Veto des Gesundheitsamtes oder der Behörden gescheitert? Oder doch?



Alexander Kekulé


Nein, in Bayern ist es so gewesen, dass die anderen Eltern das nicht wollten. Das war eine Schule, die von der Tendenz her anthroposophische Züge hat. Da hat ein Teil der Eltern und auch ein Teil der Betreuer gesagt: Nein, das wollen wir nicht.


In Sachsen-Anhalt.ist es daran gescheitert, dass ein Berater dieser Kindertagesstätte gesagt hat, das würde er nur empfehlen, ich weiß gar nicht mehr, ob es das Gesundheitsamt war: Ja, aber nur wenn es keine Pool-Tests sind, sondern jeder einzelnen getestet wird. Und da waren dann die Kosten, die dafür aufgerufen wurden, so hoch, dass es an denen gescheitert ist.


1 [0:13:2 9]:



Camillo Schumann



Herr F. aus Moers, sie merken, dass es in der Theorie eine gute Idee ist, es aber möglicherweise in der praktischen Umsetzung scheitern kann. Aber vielleicht können sie ja die anderen Eltern motivieren. Wir sind gespannt. Melden sich doch bitte bei uns, ob es geklappt hat.


10 [0:13:43]:



Alexander Kekulé


Ich glaube, bis zum Herbst müssen wir so etwas haben, weil wir dann so viele Fälle von einfachen Atemwegsinfektionen in den Kitas haben werden, dass wir sonst ständig die Kinder aus den Kitas nehmen müssen. Das ist unvorstellbar, dass wir jeden, der hustet, da rausnehmen, die Eltern dann zuhause bleiben müssen. Oder die Großeltern ranmüssen als Betreuung, die Risikopersonen sind. Deshalb glaube ich, dass wir ums Testen nicht drum herum kommen. Aber mal sehen, es sind ja noch ein paar Monate hin.


1 [0:14:09]:



Camillo Schumann



Bei der nächsten Frage vorab eine kleine Warnung: Es wird etwas unappetitlich. Eine Dame hat angerufen. Sie beschreibt eine Situation


und stellt anschließend ihre Frage: „Ich beobachte mindestens 2 -mal die Woche ein Verhalten, das ich sehr unhygienisch und gefährlich finde,


was ich aber noch nie thematisiert gefunden habe – vor oder in Corona-Zeiten: Dass Leute Schleim auf den Boden spucken. Rachenschleim. Ich habe auch schon mit Menschen, die das machen, gesprochen. Die sagen, das muss sein für die Gesundheit. Könnte man das nicht mal thematisieren,


dass das Ausspucken von Rachenschleim ein Ansteckungs-Risiko ist?“


Tja, das waren jetzt eine Frage und eine Behauptung zugleich. Aber die gebe ich gerne weiter.



Alexander Kekulé


Das ist einfach ein kulturelles Thema, ob man so etwas machen darf oder nicht. In Asien gibt es diese schönen Schilder in manchen Städten, wo ein Verbot draufsteht. Ich habe das in Singapur gesehen. Da steht darauf: Wenn Sie an der roten Ampel stehen, steht “Don‘t, spit“. Also sie sollen nicht auf den Boden spucken. Wenn sie dabei von der Polizei erwischt werden, kann das richtig teuer werden. Da ist es explizit verboten, auf den Boden zu spucken. Nun muss man sagen, bevor das verboten wurde in asiatischen Ländern, es gesellschaftlich toleriert war. Das war ein übliches Verhalten. Es wurde dann radikal verboten im Zusammenhang mit Sars. 2 003 nach meiner Erinnerung wurde das dann in vielen Ländern verboten.


Ich muss sagen: Rein epidemiologisch, wenn es darum geht, diese Pandemie zu bekämpfen, ist es nicht relevant. Das ist rein theoretisch. Wenn einer in den Schleim reintritt und hinterher seine Schuhe anfasst und sich dann an die Nase fasst, kann man sich alles Mögliche vorstellen. Das kann Ihnen aber auch mit Hundekot passieren und mit irgendwelchen anderen Erkrankungen.


Man muss einfach davon ausgehen, dass der Boden draußen immer potenziell infektiös ist, nicht nur für Sars-CoV-2 . Und darum zieht man ja vernünftigerweise, wenn man heimkommt, seine Schuhe irgendwie im Eingangsbereich aus und wäscht sich schön die Hände hinterher, wie wir das hier schon ein paar Mal gebe-


tet haben. Ich glaube, da ist man eher auf der sicheren Seite, als wenn man so ein einzelnes Verhalten kontaminationsfrei halten will, so ein einzelnes Verschmutzungsverhalten sozusagen sanktioniert.



Camillo Schumann



Hat die Dame jetzt ein gutes Argument: Kekulé hat gesagt, man darf nicht mehr spucken?



Alexander Kekulé


Wüssten wir, dass durch dieses Spucken die Krankheit massiv verbreitet würde, müsste man darüber reden. Aber es geht ja hier um Spucken im Freien. Daher sage ich: Bevor wir anfangen, uns an der Stelle zu überoptimieren, sollten wir uns auf das fokussieren, was gerade wichtig ist.



Camillo Schumann



Kommen wir zum Thema Masken. Herr M. aus Stuttgart hat angerufen: „Meine Frage bezieht sich auf die Folge vom letzten Montag. Dort habe ich sie zusammenfasst so verstanden, dass sie den klassischen OP-Mundschutz für sicherer als eine Stoffmaske halten, weil er enger anliegt. Aber wenn die Maske enger anliegt, sind dann die Stoffmasken in der Regel nicht deutlich dicker und weniger durchlässiger als eine Papier-OP-Maske? Oder täusche ich mich da?“


2  [0:17:32 ]:



Alexander Kekulé


Wir haben über den Nylonstrumpf gesprochen. Das war vielleicht ein Missverständnis. Wenn über der Maske auch immer der Nylonstrumpf drübergezogen ist, um ein enges Anliegen zu bewerkstelligen, dann hat diese Studie, die wir da besprochen haben, gezeigt, dass das dann eine deutlich bessere Schutzwirkung gibt. Oder andersherum gesagt: Es kommt hauptsächlich auf die Dichtigkeit an und nicht so sehr auf die Qualität des Stoffes. Bei der Stoffqualität ist es so, dass die selbstgemachten Masken, die Stoffmasken, ganz unterschiedlich sind. Manche sind tatsächlich so: Wenn man da mehrere Lagen zusammen macht, dass das dann als Schutz gegen Viruspartikel oder virushaltige Partikel wirklich gut ist. Die können sogar so gut werden wie wir eine FFP2 -Maske, je nachdem, was sie da alles mit reinpacken. Aber da


steigt eben dann immer auch der Atemwiderstand dadurch. Und dadurch, dass der Atemwiderstand steigt, werden kleine Undichtigkeiten an der Seite dann zum Verhängnis, weil sich dann der Druck seinen Ausweg dort sucht, wo der Widerstand am geringsten ist. Und an der Stelle pfeift es dann raus oder rein aus der Maske. Deshalb bin ich dagegen, dass zu überoptimieren und jetzt da dreischichtige Masken zu machen. Sondern am besten nimmt man einfache Baumwolle, die halbwegs dicht ist. Und das kann man natürlich mit einer selbst hergestellten Maske bewerkstelligen. Wer dazu zu faul ist, kann sich einfach die normalen OP-Mundschutz-Masken kaufen. Das ist eher so eine Frage, ob das Design von einer OPartigen Maske einen mehr anspricht oder nicht?


1 [0:19:10]:



Camillo Schumann



Apropos OP-Mundschutz: Was man auch häufig sieht, ist, dass einmal die blaue und einmal die weiße Seite nach außen getragen wird. Offenbar hat sich noch nicht herumgesprochen, welche Seite eigentlich die richtige ist.


12  [0:19:2 2 ]:



Alexander Kekulé


Manchmal setze ich die tatsächlich auch falsch auf, oder ich bin dabei, sie falsch aufzusetzen. Bei vielen Masken ist es so, dass die eine Seite ganz leicht hellblau ist und die andere Seite eben weiß. da muss man schon in gutem Licht hingucken, welche Seite jetzt die richtige ist. Die blaue Seite gehört nach außen. Das liegt daran, dass dieser Clip, der über der Nase umgebogen wird, außen sein soll, weil sonst Menschen mit einer empfindlichen Nase irgendeine Scheuerstelle kriegen würden. Aber von der Schutzwirkung macht es keinen Unterschied.


1 [0:19:55]:



Camillo Schumann



Frau Vogel hat eine spannende Frage zu selbstgenähten Masken, um deren Wirkung noch einmal zu verbessern. Sie schreibt: „Könnte man nun die Schutzwirkung noch erhöhen, wenn man den Außenstoff mit fester Kernseife einreibt? Durch das Atmen wird die Maske ja leicht feucht, und diese Feuchtigkeit verbindet sich mit der Seife. Hat dies dann den


ähnlichen Effekt wie das Händewaschen und könnte diese Maßnahme die Viren ab töten?“


2  [0:2 0:18]:



Alexander Kekulé


Eine Art Desinfektionsschicht außen darauf würde ich nicht machen. Dann atmen Sie ja auch ständig durch die Seifenflüssigkeit durch und irgendwelche Tröpfchen kommen im Zweifelsfall doch noch mal rein. Außerdem ist es so: Eine feuchte Maske will man sowieso nicht mehr anhaben. Sobald die Maske feucht ist, tritt der Effekt ein, dass man in diese Feuchtigkeit hineinatmet. Dort sind dann die Viren drinnen. In der Flüssigkeit können sich Viren wie in einer Lösung relativ gut bewegen und kommen dann deshalb nach außen und durchdringend quasi die Schutzschicht. Und wenn man dann beim nächsten Mal ausatmet, dann bläst man die Feuchtigkeit von der Außenseite weg von sich und erzeugt so eine Art MiniNebel vor sich, wo dann die Viren drinnen sind, sodass eine feuchte Maske schon aus rein theoretischen Gründen nicht mehr richtig schützen kann. Der Atemwegswiderstand steigt auch durch die Feuchtigkeit, sodass es unangenehmer wird zu atmen oder man eben mehr Beiluft kriegt, weil die Luft dann links und rechts vorbeigeht. Das heißt, wenn die Maske feucht ist, lieber trocknen lassen oder wegschmeißen und keine Kernseife auf die Maske. Das würde ich nicht machen.



Camillo Schumann



Aber in der Theorie ist es ein richtiger Gedanke, oder?



Alexander Kekulé


Für die die Idee, die Luft zu desinfizieren, ja, aber man muss halt immer überlegen, wo wollen wir hier überhaupt hin? Wir wollen ja einfach, dass Millionen von Menschen statistisch gesehen seltener des Virus ausscheiden und speziell diese Superspreading-Ereignisses seltener werden. Und da reicht uns schon eine Reduktion der Infektionswahrscheinlichkeit von 1:100 oder 1:1000. Das reicht völlig. Und ob Sie da mit der mit der Kernseife irgendwo am Ende noch an der letzten Nachkommastelle etwas verbessern oder nicht, das ist epidemiologisch nicht wichtig, macht die Sache nur kompliziert. Außerdem glaube ich, dass dann


alle neidisch sind, wenn sie eine selbstgebastelte Spezialmaske haben, die dann noch eine Desinfektionsschicht obendrauf hat.


1 [0:2 2 :17]:



Camillo Schumann



Das war das „Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL“. Vielen Dank, Herr Kekulé.


Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 8. Juli, wieder. Bis dahin bleiben Sie gesund.



Alexander Kekulé


Ich danke Ihnen, Herr Schumann. Bis dann, das ist ja schon fast schon August. Bis dahin, kaum zu glauben.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“






Donnerstag, 2 3.07.2 02 0 #85: Lebenslange Immunität eher unwahrscheinlich



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Donnerstag 2 3. Juli 2 02 0.


1. Die ersten Covid 19-Patienten in China entwickeln noch immer starke Antikörper. Gute Nachrichten auch für uns? 2 . Außerdem: Afrika vor der schlimmsten Phase der Pandemie? Was kann der Kontinent von Madagaskar lernen?


3. Außerdem: Halsspray und Gurgeln gegen das Virus. Bringt das wirklich was?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Werfen wir zu Beginn einen Blick an den Ort, an dem mutmaßlich alles begann – nach Wuhan. Von dort wurden rund 50.000 Infektionen und knapp 4.000 Tote gemeldet. Seit Monaten werden aus der zentralchinesischen Stadt keine aktiven Infektionsträger mehr gemeldet. Im Juni wurden bei zweiwöchigen Massentests – wir hatten ja auch schon mal


darüber gesprochen –, von fast 10 Millionen Bürgern nur noch 300 asymptomatische Infektionen mit dem Erreger entdeckt. Das zumindest hat die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua vermeldet. Mal so unterm Strich: Was sagt uns das?



Alexander Kekulé


Wenn Wuhan jetzt dicht wäre und man keine Einreise und Ausreise hätte und weiterhin regelmäßig oder gelegentlich mal kontrollieren würde, dann würde ich sagen ist dort die Krankheit unter Kontrolle. Also man kann eine Epidemie tatsächlich unter Kontrolle bringen, indem man einen Teil der Bevölkerung komplett vom Rest abschneidet. Sowas haben wir schon in der Geschichte auf Inseln beobachtet. Nur ist Wuhan natürlich keine Insel, sodass man sehen muss, wie jetzt die Einschleppung weitere Infektionen verhindert wird.


[0:02 :00]



Camillo Schumann



Aber grundsätzlich, dass man es geschafft hat, 300 asymptomatische Infektionen, also Menschen, die nicht mal selber gemerkt haben, dass sie infiziert sind. Was sagt das für die Ausbreitung an sich und auch für die Veränderung des Virus, Mutationen, möglicherweise aus?


[0:02 :18]



Alexander Kekulé


Ich glaube nicht, dass wir das für die Theorie einer Mutation brauchen. Sondern das ist das, was hier eben das Besondere an diesem SARSCoV-2  ist. Es war eigentlich von Anfang an relativ deutlich, dass man es im Prinzip kontrollieren kann. Es ist im Prinzip möglich, durch die Maßnahmen, die wir ergreifen, durch Abstandsregeln, durch Maskentragen und diese Dinge und natürlich durch Herausfischen von Menschen, die dann doch positiv sind und Isolierung und Quarantäne, ist es möglich, tatsächlich diese Krankheit zu kontrollieren? Das ist eine andere Situation als wir, die bei einer höher infektiösen Krankheit hätten. Also wenn wir jetzt eine Krankheit hätten wie die Masern, die Windpocken oder wahrscheinlich auch die Influenza, wenn keiner von uns immun dagegen wäre, dann hätten wir die Situation, dass das praktisch unmöglich ist, dass man sagen kann, wir können hier nur das ma-


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chen, was immer flatten the curve genannt wurde, also verhindern, dass die Welle zu schnell auf einmal kommt. Aber so oder so kommt sie. Und wie die Hörer dieses Podcasts wissen, habe ich immer dafür plädiert, dass man daran glaubt, dass man diese Sache unter Kontrolle bringen kann. Dass z.B. Einreisekontrollen sinnvoll sind. Dass es sinnvoll ist, regelmäßig Tests zu machen. Und in Wuhan ist vorgeführt worden, dass das möglich ist, obwohl die wirklich aus der schlimmsten, extremsten Situation von allen gestartet sind. Weil die erstens, im Umland zumindest, medizinisch nicht gut ausgestattet sind. Zweitens ganz am Anfang den Test noch nicht hatten und ja noch gar nicht wussten, was passiert. Die sind ja kalt erwischt worden.


Ich glaube, das soll uns alle anspornen, dass es möglich ist. Genau das chinesische Konzept 1:1 zu kopieren, wie manche westlichen Regierungen das versuchen oder versucht haben, halte ich nicht für gut. Weil ich glaube, dass wir vielmehr vom Virus inzwischen verstehen. Wir müssen nicht so mit dem Hammer draufhauen.



Camillo Schumann



Deutschland im Vergleich zu Wuhan. Da müssten wir es doch eigentlich auch unter Kontrolle haben bei ein paar Hundert Neuinfektionen, wo wir es auch genau wissen. Dann die Orte, an denen es gar keine Neuinfektionen gibt, fast überall. Also eigentlich haben wir uns doch auch unter Kontrolle oder nicht?


[0:04:2 5]



Alexander Kekulé


Naja, das mit der Kontrolle ist ein relativer Begriff. Also ich unterscheidet da immer gerne so Pandemie-Phasen. Das haben wir vor langer Zeit mal entwickelt für Influenza. Das gilt aber hier im Grunde genommen auch. Und die erste Phase ist immer die, wo man nur Fälle im Ausland hat und durch Einreisekontrollen wirklich verhindern kann, dass es reinkommt. Also eine echte Prävention machen kann. In diese Phase ist Wuhan im Grunde genommen zurückgekommen, und hat es geschafft. Wir sind in Deutschland in der 2 . Phase. Da ist es so, dass man nicht nur importierte Fälle hat. Sondern auch Fälle im Land, sogenannte autochthone Fälle, die hier im Land stattfinden, die man aber durch eine sehr aufmerksame Vigilanz,


also durch Kontrolle aller Verdächtigen Infektionen, durch regelmäßige Verdachtskontrollen bei bestimmten Risikopersonen, zum Beispiel Leuten die in der Fleischindustrie arbeiten, und eben durch durch Social Distancing, sind wir in der Lage, das auf so einem niedrigen Niveau zu halten. Dass es so eine Art Kontrolle ist. Wir können dann Ausbrüche, jedenfalls größerer Art, wirklich verhindern in Deutschland. Wir müssen nur schnell sehen, dass wir die glimmenden Zigaretten, das ist ja immer das Bild, austreten, bevor es zum Flächenbrand kommt. Ich finde, wir sind in Deutschland im Moment in einer komfortablen Situation. Wenn wir die durchhalten, bis der Impfstoff kommt, dann haben wir das vorbildlich gemacht.


[0:05:52 ]



Camillo Schumann



„Art Kontrolle“ haben sie jetzt gesagt. Gern hätte ich natürlich gehört von ihnen: Wir haben es unter Kontrolle.



Alexander Kekulé


Naja, unter Kontrolle heißt für mich, dass ich wirklich verhindern kann, dass sich sicher sein kann, dass das irgendwo aufflammt, ohne dass ich es merke. Und da muss ich sagen, gibt es mehrere Schwachstellen. Erstens halten sich nicht alle an die Social-Distancing-Regeln. Es ist so, dass ich auch das Gefühl habe, dass die Bereitschaft, da mitzumachen, jetzt gerade in den letzten Wochen so ein bisschen gesunken ist, auch in Deutschland. Und das andere ist, dass wir viel zu wenig testen. Dass unser prophylaktisches Testen, was zum Glück inzwischen auch empfohlen wird, das Netz ist noch viel zu grobmaschig. Wir müssen viel feinmaschiger, wirklich immer dann, wenn Risikosituationen sind, proaktiv testen. Auch ohne, dass irgendwelche Symptome da sind. Und da können wir noch relativ viel tun. Also, das Netz, mit dem wir sozusagen aufpassen, dass im Land nicht irgendwie einzelne Fälle plötzlich auftreten und kleine Ausbrüche machen, dieses Netz ist mir noch zu grob, um von Kontrolle zu sprechen.


[0:07:00]



Camillo Schumann



Bleiben wir bei Wuhan, was ja so eine Art Blaupause ist für die Ausbreitung des Corona-


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virus. In der Fachzeitschrift „Nature“ wurde jetzt eine Untersuchung veröffentlicht, wonach während des Corona-Ausbruchs in Wuhan ein Großteil der Fälle unentdeckt blieb. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in der akuten Phase zwischen dem 01. Januar und dem 08. März bis zu 87 % der Infektionen unter dem Radar geblieben sein könnten. Das deckt sich auch mit anderen internationalen Studien, die zu so einem ähnlichen Ergebnis kommen. War das dann möglicherweise bei uns auch so ist das nicht immer so, ist das sehr überraschend? Wie bewerten Sie das?


[0:07:41]



Alexander Kekulé


Es ist so eine epidemiologische Arbeit gerade letzte Woche rausgekommen. Die Definition ist, dass man gesagt hat, unentdeckt könnte sein, dass das asymptomatische Fälle waren. Also das, was wir immer befürchten, dass Menschen ansteckend sind und gar keine Symptome haben. Da sind aber auch die dabei, die leicht symptomatisch waren und nicht zum Arzt gegangen sind, nicht untersucht wurden. Da muss man sich natürlich in die Anfangsphase in Wuhan zurückversetzen. Das ist ja gemacht worden, das ist eine statistische Auswertung, eine epidemiologische Auswertung, für die Zeit zwischen 01. Januar und 08. März gewesen. Interessanterweise ab 01. Januar, weil China ja nicht zugibt, dass es vorher schon Fälle gab. Aber, jedenfalls in diesem Zeitraum – das tut jetzt der Qualität der Studien kein Nachteil – ist es so, dass man den brutalen Lockdown hatte. Diese Situation, dass die Menschen mit einer unklaren Erkrankung dann ins Krankenhaus kamen, wo das Personal zum Teil infiziert war, und man wirklich Angst davor hatte, durch die Sicherheitsmaßnahmen, die dann ergriffen werden, wenn man positiv ist, eigentlich erst richtig in Gefahr gebracht zu werden. Sodass ich davon ausgehe, dass die Tendenz da groß war, dass Menschen, die nur leichte Symptome hatten und nicht unbedingt ein Arzt brauchten, mal lieber zuhause geblieben sind. Und deshalb ist wahrscheinlich diese Zahl mit 87 % Unentdeckten so hoch.



Camillo Schumann



Aber könnte das bei uns auch so gewesen sein?



Alexander Kekulé


Ich glaube, bei uns haben die Menschen weniger Angst vor staatlichen Eingriffen. Also die Mehrheit ist doch eher so in Deutschland, dass, wenn sie ein bisschen Kratzen im Hals haben, dass sie sofort hier sagen, ich will ein Arzt sehen. Und ich glaube nicht, dass man so eine Angst davor hat, dass das Gesundheitsamt einen dann wegsperrt oder Ähnliches. Das hindert vielleicht in bestimmten Bevölkerungsgruppen, die jetzt aus anderen Gründen auch keine hohe Affinität zu staatlichen Autoritäten haben, oder die vielleicht einen unklaren Aufenthaltsstatus haben, wo man dann Angst hat, dass dann die Polizei kommt oder Ähnliches, da kann ich mir das schon vorstellen. Aber so der Normalbürger, glaube ich, wenn der krank ist und man sagt ihm, du sollst dich dann melden und testen lassen, das macht er schon.


[0:09:54]



Camillo Schumann



Aber so grundsätzlich, wenn man zum Beispiel einen asymptomatischen Verlauf hat. Oder man hat nur so ein leichtes Halskratzen, was Sie ja eben gesagt haben – ich meine, da lebt eine ganze Branche davon. dass man in die Apotheke geht. Dann tut man das ja eben nicht, dass man zum Arzt geht oder geschweige denn, sich krankschreiben lässt beispielsweise.



Alexander Kekulé


Ja, da waren in Deutschland klar die Aufrufe, wenn man irgendwelche Symptome hat, die so ähnlich wie Covid-19 aussehen, dass man das immer untersuchen lassen soll und dem nach gehen soll und auf jeden Fall sich zumindest in Quarantäne begibt dann. Notfalls in häusliche Privatquarantäne. Ich glaube, dieses Grundgefühl müssen wir behalten: Dass ein Verdacht auf eine Erkältungskrankheit, wenn es jetzt nicht nur so ein ganz trivialer, simpler Schnupfen ist, sondern alles, was Richtung stärkere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens geht, Halsschmerzen, starke Kopfschmerzen, wenn das ein bisschen anhält, dass man immer die Möglichkeit im Auge hat, dass das auch Covid19 sein könnte. Und sich testen lässt. Ich glaube schon, dass die Leute das machen. Ich glaube nicht, dass die dann in der Apotheke laufen und nur eine Pastille nehmen und sagen, ich


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gehe weiter zur Arbeit damit. In Wuhan ist es aus verschiedenen Gründen am Anfang wahrscheinlich anders gewesen. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland auch nur ansatzweise so viele unentdeckte Fälle haben. Wir hätten, wenn es so wäre, ja auch eine viel höhere Zahl bei den Durchseuchungsstudien. Wir machen ja schon erste Studien, wo Antikörper bestimmt werden, wo man feststellen kann, ob sich jemand vielleicht unbemerkt oder nur mit leichten Symptomen infiziert hat. Und da sieht es in Deutschland ja, leider kann man fast sagen, so aus, als würden wir er so bei 5 % immunen Menschen liegen, wahrscheinlich darunter. Das wäre nicht so, wenn wir so wahnsinnig viele unentdeckte Fälle gehabt hätten.


[0:11:34]



Camillo Schumann



A propos Immunität, eine weitere, interessante und erfreuliche Meldung kommt aus Wuhan. 32 7 Covid-19-Patienten der ersten Stunde, so will ich sie mal nennen, die wurden untersucht. Und das Ergebnis bei mehr als 80 % der Patienten seien sechs Monate nach ihrer Erkrankung noch biologisch aktive Antikörper nachgewiesen worden, die fähig seien, das Virus unschädlich zu machen. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, ich habe auch nur diese kurze Nachricht bekommen. Das hat der Kollege Dietmar in Essen zusammen mit dem Labor in Wuhan gemacht. Da gibt es eine Kooperation. Da kenne ich jetzt auch nur diese Überschrift. Ich nehme mir einfach mal an, dass diese biologischen, aktiven Antikörper, dass damit gemeint ist, dass das in einem Neutralisationstests geprüft wurde. Wenn der positiv ist, wenn man sieht, dass ein Antikörper, die wirklich das Virus neutralisieren, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass die auch schützen – also vor einer Zweitinfektion schützen würden. Aber kein Beweis natürlich. Wir haben es ja beim letzten Mal besprochen, dass bei der Impfstoffentwicklung die Briten deshalb gleich drei oder vier Neutralisationstests parallel verwendet haben, um ganz sicher zu sein, dass das irgendwie korreliert mit dem echten Immunschutz. Man kann hier jetzt nicht komplett Entwarnung geben. Auf der anderen Seite, ich


gehe einfach davon aus, dass dieses Covid-19 oder das SARS-CoV-2 -Virus: Warum soll das anders sein als die ganzen anderen Viren, die wir kennen. Und im Prinzip ist es einfach so, wenn unser Immunsystem einen Virus mal erlebt hat, live und in Farbe sozusagen, und sich dagegen gewehrt hat, dann produziert es Antikörper dagegen. Und dann ist die Zweitinfektion mit genau dem gleichen Virus im schlimmsten Fall eine leichte Erkrankung. Meistens merkt man gar nichts mehr davon. Also, das wäre höchst ungewöhnlich, wenn ein immun-gesunder Mensch bei einer Zweitinfektion quasi nochmal lebensgefährlich erkranken kann. Und darum sage ich immer: Lass uns die Pferde da nicht scheu machen. Diese Antikörpertests, die sind eben auch nur ein SurrogatTest für die wirkliche Immunreaktion. Und das, was jetzt hier aktuell als Vorausmeldungen bekanntgegeben wurde, ist ja ganz optimistisch, wenn es dann alles stimmt. Die Daten muss man sich natürlich anschauen.



Camillo Schumann



Genau die Ergebnisse, die sollen in den nächsten Tagen einem Fachmagazin zur Begutachtung vorgelegt werden. Wie das immer so gemacht wird. Aber ich bin grundsätzlich ein bisschen verwirrt nach dieser Vorabmeldung. Antikörper-Studien bei uns. Wir haben ja auch letzte Woche darüber gesprochen kommt zu dem Schluss die Zahl der Antikörper sinkt, und zwar sehr, sehr schnell. Bei den Chinesen bleibt sie über ein halbes Jahr nach wie vor auch sehr, sehr stark. Auch so, dass es das Virus bekämpfen kann. Reagieren die Asiaten anders als die Deutschen? Sind die Deutschen ein bisschen zurückhaltender, also das Immunsystem der Deutschen? Erklären Sie es uns.


[0:14:2 6]



Alexander Kekulé


Das ist eher die Frage, wie die Schlagzeilen formuliert werden. Ich glaube, die Asiaten reagieren da ganz ähnlich wie die Deutschen. Zumindest an dieser Stelle gibt es jetzt keinen typischen Unterschied. Ja, klar ist, aus der jetzigen Studienlage folgendes. Dieser klassische ELISA-Test, mit dem wir IgG nachweisen, mit dem wir die klassischen nach Antikörper nachweisen, um festzustellen hast du eine Infektion durchgemacht vor längerer Zeit, ja oder nein.


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Das sind die Tests, die überall gemacht werden. Zum Beispiel bei der berühmten Heinsberg-Studie. Die jetzt vom Robert Koch-Institut durchgeführt werden, bundesweit, um zu sehen, ob Immunität besteht. Die bei dieser bayrischen Erhebung gemacht werden, um zu sehen, haben die Menschen schon Kontakt mit diesem Virus gehabt. Diese Antikörper, die verschwinden offensichtlich irgendwann. Das hängt aber auch daran, wie der Test designt ist. Je nach Testverfahren misst man ein bisschen andere IgG-Antikörper. Der Test, der meistens verwendet wird dafür in Deutschland, das kann man ja sagen, von der Firma Euroimmun, einer der eigentlich am häufigsten verwendete. Der hat halt eine bestimmte Empfindlichkeit. Und wenn die unterschritten wird, dann wird der Test plötzlich negativ. Oder man kann fast nichts mehr messen. Das heißt aber nicht, dass der Mensch deswegen nicht mehr immun gegen das Virus ist. Sondern es heißt nur, dass dieser typische IgG-Test nach ein paar Monaten ganz schwach nur noch positiv ist oder sogar ins Negative rutscht. Das hat viele Konsequenzen für die epidemiologischen Studien, weil man dann sagen muss: Wenn ich sechs Monate später jemand teste zum Beispiel, dann heißt das noch lange nicht, dass der vor sechs Monaten nicht vielleicht doch Covid19 hatte. Das hat aber für mich jetzt nicht automatisch die Konsequenz, dass wir befürchten müssen, dass das Immunsystem in seiner gesamten Komplexität, also die T-Zellen, die BZellen, die anderen Antikörper, die sogenannten Gedächtniszellen, was da alles eine Rolle spielt, dass die alle miteinander sozusagen vergessen haben, wie man sich gegen dieses Virus wehrt.


[0:16:2 1]



Camillo Schumann



Aber so grundsätzlich, wenn Sie sagen, das Testverfahren müsse man sich dann genau anschauen – das Design des Testverfahrens. Aber davon hängt ja sehr, sehr viel ab. Auch politische Entscheidungen, wie man mit einer Pandemie umgeht und auch, was man danach macht. Müsste es nicht dann so einen Einheitstest auf der ganzen Welt geben, dass man eine so, so eine Grundlage hat und das dann auch vergleichen kann?


[0:16:45]



Alexander Kekulé


Ja, gut, das ist ein ganz guter Hinweis. Es ist tatsächlich so, dass es Versuche gibt, das, nicht als Einheitsfest, aber untereinander zu kalibrieren. Das Problem ist nur: Diese Tests sind ja nicht nur quantitativ unterschiedlich, sondern sie messen, auch wenn ich mal so sagen darf, verschiedene Aspekte des Virus. Das ist so, als wenn Sie wissen wollen, wie viele Hunde im Hinterhof sind. Und dann gibt es die eine Methode: Sie zählen nur das linke Ohr und die andere, Sie zählen nur die rechten Ohren, Sie zählen nur den Schwanz, oder sie messen, wie viel die Hunde gefressen haben. Und da gibt es verschiedene Verfahren, das festzustellen. Und je nachdem, wie sie das machen, kann man auch unterschiedlich feststellen wie diese, in welcher Menge diese Antikörper da sind. Und es ist eigentlich gut, dass wir die unterschiedlichen Verfahren parallel haben, weil wir ja noch in so einem experimentellen Bereich sind, wo häufig der eine Test dann unklare Resultate liefert. Und dann ist man froh, dass man noch einen anderen in der Kiste hat. Den holt man dann aus dem Kühlschrank und probiert den auch noch aus. Also daher, wer jetzt so ein Einheitstest nicht so liebt, der hätte immer das Problem, dass dann vielleicht weltweites immer das Falsche gemessen wird. Und dann läuft man schneller in die Sackgasse.



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz man würde sich ja dann auf den besten einigen.



Alexander Kekulé


Das wissen wir noch nicht, welcher der Beste ist.



Camillo Schumann



Aber meinen Sie nicht ...



Alexander Kekulé


Es gibt noch nicht einen, wo man sagt, der ist absolut Turbo, den müssen wir nehmen. Die haben all das Problem. Und klar, es gibt bei anderen Erkrankungen, wenn Sie jetzt Masern nehmen, zum Beispiel und die IgG-Antikörper gegen Masern. Da gibt es Menschen, die haben in der frühen Kindheit mal die Masern durchgemacht oder sind nur geimpft worden,


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was weniger starke Antikörperreaktionen in der Regel bewirkt. Und da können sie bei alten Leuten die Antikörper zum Teil noch nachweisen, mit einem ganz simplen Test, der überall verfügbar ist. Also das ist einfach so, diese Tests werden weiterentwickelt, und da darf man auch nicht ungeduldig sein. Vielleicht wird es irgendwann eine geben, der für SARS-CoV-2  perfekt dieses IgG immer und lebenslang nachweisen kann. Vielleicht ist es aber auch wirklich so, dass es keine IgG-Sorte geben kann, also Immunglobulin-G-Sorte geben kann bei diesem Virus, die wirklich lebenslänglich bleibt. Das kann durchaus sein, dass das immer wieder verschwindet. Weil, wir wissen ja, daran kann man noch einmal erinnern, dass diese Coronaviren ja als Erkältungsviren tatsächlich immer wieder neue Erkältungen machen können. Man kann ja jeden Winter immer mal wieder was kriegen. Und es scheint schon so zu sein, dass sie jetzt so eine lebenslange Immunität gegen eine Coronavirus-Sorte, v.a. wenn das Virus sich dann genetisch im Lauf der Zeit ein bisschen verändert. Das ist wahrscheinlich eher die Ausnahme.


[0:19:2 3]



Camillo Schumann



Wir sind gespannt, Herr Kekulé, wir wollen mal nach Afrika schauen. Eigentlich hatte der Kontinent ja den schlimmsten Befürchtungen bisher trotzen können. Sehr viele Staaten, die hatten sehr früh das öffentliche Leben eingefroren, Infektionsketten verfolgt. Doch es wird wieder gelockert, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und auf dem Kontinent sind aktuell über 500.000 Infektionen nachgewiesen worden. Südafrika hatte an einem Tag mehr als 10.000 neue Fälle registriert. Das Land gilt als einer der aktuellen Brennpunkte der Pandemie, und sie hatten zu Beginn der Corona-Krise auch schlimme Befürchtung, was den afrikanischen Kontinent angeht, geäußert. Oder?


[0:2 0:05]



Alexander Kekulé


Ja, also für Afrika gibt es eigentlich kein Schutzkonzept. Das kann man ganz klar sagen. Weil, Sie können Lockdowns in den afrikanischen Staaten nicht so komfortabel machen wie in Deutschland. Das sieht man ja schon in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass das


einfach wirtschaftlich nicht durchzuhalten ist, wenn man jetzt ein größeres Land hat oder mehrere große Länder hat und die nicht einfach wahnsinnig viel Geld auf der Kante haben oder sich ganz einfach Kredite holen können. Das trifft ja dort alles nicht zu. Und für die Menschen dort wird nicht einfach so das Gehalt weiter gezahl, sondern ganz viele sind Tagelöhner und müssen ganz kurzfristig Geld verdienen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass man eine rein von der Epidemiologie so Dinge wie Social Distancing, das ist leicht gesagt, wenn viele auf engem Raum wohnen. Von der medizinischen Versorgung: Unser Konzept, dass wir sagen, wir wollen, dass die Intensivstationen immer bereit sind und man niemanden abweisen muss, weil es zu wenig Betten gibt. Auch das können Sie dort vergessen. Also eigentlich ist alles, was wir hier so entwickeln in unserer Komfortzone, um uns mit dem Virus auseinanderzusetzen – das meiste ist in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara jedenfalls nicht umsetzbar. Und deshalb ist einfach die große Frage: Werden denen die 2 Faktoren, die sie haben, auf ihrer Seite, nämlich: Erstens, dass das Klima eigentlich Erkältungsvirus nicht begünstigt, Atemwegsinfektion nicht begünstigt. Und der zweite Faktor, dass die Bevölkerung insgesamt zu deutlich jünger ist als bei uns. Und alte Menschen werden ja schwerer krank bei Covid-19. Diese 2 Faktoren, Klima und Altersverteilung, werden die Afrika helfen? Dass sie bei einer leider wahrscheinlich nicht letztlich aufzuhaltenden Durchseuchung, dass sie da halbwegs glimpflich, wenn man so sagen darf, mit einem blauen Auge davonkommen.


[0:2 1:51]



Camillo Schumann



Und es gibt eine aktuelle Studie, wie in Madagaskar auf das Virus reagiert wurde und wie der Umgang dort ja schon fast modellhaft für Afrika stehen könnte.


[0:2 2 :01]



Alexander Kekulé


Das hat mich insgesamt, ehrlich gesagt, überrascht. Also, ich habe ja im Zusammenhang mit Tropenmedizin häufig Kontakt zu afrikanischen Staaten gehabt. Ich habe mir das viel schlimmer vorgestellt. Aber die afrikanischen Staa-


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ten, Madagaskar ist ein Beispiel. Aber auch in Kenia ist es zum Beispiel vorbildlich. Die haben wirklich die Warnung der Weltgesundheitsorganisation, die ja ganz dramatisch war, ernst genommen und dichtgemacht. Die haben in erster Linie einfach die Grenzen dicht gemacht. Da die ja, wenn man so sagen darf, weiter hinten waren im Zeitverlauf – zuerst war es China, dann andere asiatische Bereiche, dann Staaten von Norditalien, Europa und die USA – da war Afrika relativ weit hinten, und die haben einfach zugemacht. Und das hat dazu geführt, dass dort tatsächlich vorbildlich wenig Fälle aufgetreten sind. Klar hängt es damit zusammen, dass die kaum testen. In vielen Bereichen haben die gar keine Tests. Aber auch da, wo kleine Stichproben gemacht werden und man das Gefühl hat, die sind halbwegs repräsentativ, sieht es so aus, als hätten die deutlich weniger Fälle. Und diese Studie in Madagaskar, hat versucht rauszufinden: Woran liegt es eigentlich? Dass, wenn man jetzt Südafrika mal ausnimmt, Sie haben es gerade gesagt, die haben also zum Teil 10.000 Fälle da an einem Tag gehabt. Wenn man die rausnimmt, woran liegt es eigentlich, dass die anderen Staaten bis jetzt noch nicht so eine Katastrophe verzeichnen? Also vor allem nicht so viele Todesfälle, daran würde man es ja letztlich bemerken.


[0:2 3:2 7]



Camillo Schumann



Ganz kurz, nur als Beispiel: Madagaskar, Stand 2 0. Juli 7.049 Infizierte 59 Todesfälle, zum Vergleich 2 6 Millionen Einwohner einfach mal so ein paar Zahlen zu haben.



Alexander Kekulé


Das ist eben eine winzige Zahl, wenn das stimmt. Klar ist da ein Erfassungsfehler dabei. Diese Studie hat eben dann gesagt, wir untersuchen jetzt mal, liegt es an der späten Einschleppung des Virus, dass man rechtzeitig genug tätig geworden ist? Liegt es daran, dass die Fälle zu wenig nachgewiesen werden? Natürlich in den meisten afrikanischen Staaten, in Madagaskar auch. Und liegt es vielleicht aber auch daran, dass aus welchen Gründen auch immer, könnte klimatisch sein, könnte das Verhalten der Menschen sein, die Krankheit dort sich nicht so schnell verbreitet? Also, dass dieses R0 dort einfach niedriger ist, als in ande-


ren Ländern? Oder liegt es tatsächlich an den Interventionen, also an den Maßnahmen, die man ergriffen hat, dass man gesagt hat: Abstandsgebot, Masken tragen und Ähnliches. Da ist letztlich rausgekommen bei dieser Untersuchung, das ist ein internationales Team gewesen, viele französische Arbeitsgruppen, weil Madagaskar traditionell Französisch ist. Ich meine, es gibt auch ein Ableger vom PasteurInstitut in Antananarivo in der Hauptstadt. Und da ist es so, dass die dort das untersucht haben und gesagt haben: Es kann an jeder Kombination dieser genannten vier Faktoren gelegen haben: die späte Einführung, die schlechte Detektion, epidemiologische Faktoren oder der Eingriff der Politik. Es kann jede Kombination gewesen sein. Die Studie konnte mit jeder beliebigen Konfiguration Kombination das so modellieren, dass das rauskommt, was die momentane Krankheitsausbreitung ist. Und deshalb sagen sie Vorsicht bei Lockerungen. Wenn man jetzt plötzlich alles wieder lockern würde, dann ist die Gefahr gegeben, dass man bis zu 30 % Infizierte da kriegt. Das heißt also bei knapp 30 Millionen Einwohnern hat man dann um die 10 Millionen Infizierte, und das Zweite ist, dass sie sagen, bis zu 50.000. Tote könnte es geben, wenn man jetzt einfach alles wieder lockert. Das konnte man für diese Insel, die auch eben abgeschlossen wurde, ganz gut modellieren. Und wenn das auf Afrika übertragen wird, dann heißt es, es ist ein Riesenproblem, weil die anderen Staaten, Madagaskar ganz genauso, die können im Grunde genommen jetzt nicht diese lockdown-artigen Maßnahmen bis zum Sankt Nimmerleinstag aushalten. Die können das nicht machen, bis der Impfstoff da ist. Die müssen jetzt lockern, sonst bricht die Wirtschaft zusammen. Da zeichnet diese Studie eigentlich ein kritisches Bild.


[0:2 6:17]



Camillo Schumann



Und das ist genau der Punkt, weil immer mehr Länder auf dem afrikanischen Kontinent sich auch entscheiden, ihren Luftverkehr, ihren kommerziellen Luftverkehr wieder zu öffnen. Die Wirtschaft liegt am Boden und hält das auch gar nicht mehr länger aus. Also hier wird dann ganz knallhart entschieden, Wirtschaft von Menschenleben. Und die Menschen können gar nicht anders entscheiden, oder?


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Alexander Kekulé


Ich glaube, die können nicht anders. Ich sehe es gar nicht so: Wirtschaft vor Menschenleben. Weil in diesen Ländern noch stärker als bei uns – bei uns kann man das indirekt natürlich auch nachweisen – da gilt einfach, wer kein Geld hat, stirbt. Ich übertreibe jetzt natürlich ein bisschen. Aber da ist eine starke wirtschaftliche Not gleichbedeutend mit Verlust von Menschenleben. Und dadurch ist es wirklich die Frage, auf welche Weise, welchen Tod willst du dir aussuchen? Willst du, dass Menschen sterben an Covid-19, oder willst du, dass sie zum Beispiel an Hunger sterben, weil sie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, sich zu ernähren und Ähnliches? Oder willst du, dass sie an anderen Krankheiten sterben, weil das Geld für die Gesundheitssysteme nicht mehr da ist? All das ist dort wirklich die ganz existenzielle Sache. Und deshalb wäre es aus meiner Sicht sehr, sehr wichtig zu sehen, ob die Faktoren Klima und Altersverteilung dort möglicherweise bewirken könnten, dass die Krankheit in bestimmten Staaten oder zumindest einigen Regionen Afrikas möglicherweise, wenn die langsam über das Land geht und man weniger radikale Maßnahmen als einen Lockdown einführt, ob die dann in der Bilanz weniger Schaden anrichtet, als wenn man diesen totalen Lockdown verhängt. Das ist jetzt kein Plädoyer dafür, das zu machen. Aber ich glaube, wenn man diese Option, die wir hier in Europa haben – und die die Amerikaner hätten, aber darüber diskutieren, ob sie das machen, nämlich sich konsequent gegen das Virus erst einmal zu wehren – wenn man diese Option nicht hat, dann muss man natürlich andere Möglichkeiten prüfen.



Camillo Schumann



Ganz kurz noch gefragt: Sie haben einen guten Draht zum afrikanischen Kontinent, zu den Menschen dort. Wie ist dann die Zusammenarbeit auch, was Unterstützung mit Tests, wissenschaftlicher Expertise etc. angeht?


[0:2 8:2 8]



Alexander Kekulé


Das sind immer so Einzelkontakte. Und das ist selbst in einzelnen Ländern so, wenn Sie mit dem einen sprechen, dann sind das ganz vernünftigen Menschen, die sofort sagen, ja, da


arbeiten wir zusammen, da machen wir was. Und andere sagen, das kommt nicht in die Tüte. Ich mache das mit jemand anderem, der gibt mir Geld dafür, dass ich mit ihm zusammenarbeite. Das ist in der Entwicklungshilfe wohlgemerkt gar nicht unüblich. Also ich glaube, dass die meisten Länder erkannt haben, dort, dass die Testsysteme brauchen. Und glücklicherweise ist es so, dass die internationalen Hilfsorganisationen und auch die Hersteller von solchen Testsystemen immer eine gewisse Quote auch an die weniger entwickelten Länder schicken. Das heißt, die kriegen dort schon Gerätschaften und Tests. Es ist nicht so, dass es dort sozusagen völlig rudimentär zugeht, weil eben die Lieferungen quotiert werden. Und das finde ich auch sehr vernünftig, dass die Hersteller da mit machen, dass sie nicht alles an die reichen Länder schicken. Was dann in dem Land passiert, das wäre mal was für eine investigative Reportage des Mitteldeutschen Rundfunks. Ich bin ziemlich sicher, dass die Mitglieder der Familien, die da was zu sagen haben in solchen Ländern, wenn sie krank sind oder wenn Sie getestet werden wollen, eher Zugang zu diesen Tests haben, als die, die es dringend brauchen.


[0:2 9:48]



Camillo Schumann



Herr Kekulé, wir kommen zu den Hörerfragen. Viele Fragen zu Impfstoffen sind gekommen. Dieser Herr zum Beispiel_


„Meines Wissens wird an Impfstoffen geforscht, der Generation 1 und der Generation 2 . Generation 1 sind doch Impfstoffe, mit denen, wenn ich sie bekomme, gegen die Krankheit immun bin, aber selbst noch infektiös. Der Typ 2 , der nicht sterilisierende Impfstoff schützt ja vor beidem. Wenn der überwiegende Anteil der Forschungslabore an Typ 1 aufgrund der Dringlichkeit forscht, würde das doch bedeuten, dass der Pandemie-Verlauf sprich hinsichtlich der Herdenimmunität in weite Ferne rückt. Vielleicht ist Herr Kekulé so nett und sortiert das Ganze einmal. Lieben, lieben Dank.“


Ja, gerne. Ist diese Schlussfolgerung richtig?


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Alexander Kekulé


Naja, zuerst einmal, das muss jetzt ganz ehrlich sagen, diese Typ 1 und Typ 2 , so wie das gerade gemacht wurde, das kenne ich nicht. Das kann aber jetzt an mir liegen, dass ich da vielleicht irgendeine Terminologie, ältere Terminologie vielleicht nicht so kenne. Bei der aktiven Immunisierung. Das ist die Impfung, von der wir hier immer sprechen, auf die wir warten. Da ist der wird der Körper aktiv, und das heißt, da bringt man den Körper dazu, dass er Antikörper und zelluläre Immunantwort gegen ein Virus entwickelt. Und falls er dann wirklich mal mit diesem Virus infiziert wird, dann wird der Patient gar nicht krank oder nicht so schwer krank. Das nennt man aktive Immunisierung, weil der Körper da selber Antikörper fabrizieren muss. Und die zweite Variante wäre eine passive Immunisierung. Da spritzt man direkt den Antikörper. Man kann ja von einem anderen Menschen, der die Krankheit durchgemacht hat, kann man ja die Antikörper aus dem Serum holen. Und die kann man dann als Medikament verwenden und jemanden quasi schützen. Das wird zum Beispiel gemacht, wenn man Tollwutimpfung macht nach einem Hundebiss oder so was, oder Tetanus-Impfung, da gibt es passiv und aktiv. Diese passive Immunisierung, wo man also direkt den Antikörper spritzte, hat der der Hörer schon recht, die würde schneller wirken und sofort wirken. Und die würde wahrscheinlich auch einen therapeutischen Effekt haben. Das wird ja auch ausprobiert in dem Sinn, dass jemand, der schon krank ist, damit noch die Krankheit, die Entwicklung der Krankheit abbiegen kann, dass die verbessert wird, dass er nicht so schwer krank wird. Der Nachteil ist, dass hält nur solange, wie diese Antikörper, die man da spritzt, dann im Blut sind. Die werden langsam abgebaut. Nach einer Weile sind die dann einfach weg. Ich weiß es nicht, es kann einen Monat dauern oder zwei. Irgendwann sind sie dann weg, und dann müsste man immer wieder neu immunisieren. Und das ist aus anderen Gründen ungesund. Und deshalb denkt man hier natürlich grundsätzlich an eine aktive Impfung bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Das heißt also, wir wollen da wirklich nur so kleine Partikel von Virus dem Menschen spritzen, wo sie dann selber dagegen Antikörper produzieren. Dann produzieren sie dann Gedächtniszellen.


Und wenn alles gut läuft, ist man dann sogar sein Leben lang oder zumindest sehr lange immun. Und für die Durchbrechung einer solchen Pandemie würde es ja durchaus reichen, wenn die ganze Menschheit sechs Monate lang immun ist. Wenn alle zugleich immun sind, würde es eigentlich 2 bis drei Wochen reichen. Aber das kriegt man natürlich nicht hin. Aber ein Impfstoff, der sag ich mal sechs bis neun Monate lang halbwegs zuverlässig schützt, würde reichen, um die Pandemie zu durchbrechen. Und deshalb machen wir das eben mit der aktiven Impfung und nicht mit der passiven, was der Hörer hier gerade vorgeschlagen hat.



Camillo Schumann



Bleiben wir beim Impfstoff. Die Frage dieses Hörers geht in eine ähnliche Richtung.


„Damals bei der Schweinegrippe gab es auch einen Impfstoff. Allerdings gab es nicht einen, sondern zwei. Der eine war mit einem Wirkverstärker, der andere war ohne Wirkverstärker. Was macht da den Unterschied? Und warum hat man dann den Impfstoff für eine Bevölkerungsgruppe und den anderen Impfstoff für die andere Bevölkerungsgruppe verwendet? Gab es da irgendeinen Grund? Wäre es dann bei dem Coronavirus oder bei dem CoronaImpfstoff das Gleiche? Das würde mich sehr stark interessieren.“


[0:33:56]



Alexander Kekulé


Das ist deshalb spektakulär gewesen, weil damals ja für die, die sich noch erinnern, da gab es eine Auseinandersetzung zwischen mir und dem Paul-Ehrlich-Institut der Regierung und dem Robert Koch-Institut. Weil ich gesagt habe, ein nicht-adjuvantierter, ein nicht wirkverstärkter Impfstoff ist ausreichend. Man braucht diese Kanone nicht von dem adjuvantierten Impfstoff. Und das war also eine monatelange Diskussion, wo auch durchaus von der anderen Seite mit Dreck beworfen wurde, das darf ich jetzt schon so sagen. Und am Ende war es eben so, dass der Impfstoff, den ich nicht empfohlen habe, der adjuvantierte, in sehr großer Menge bestellt wurde. Die Bevölkerung wollte den nicht, weil die Symptome ja nicht so schwer waren. Und wie vorhergesagt wurde


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der eben nicht angenommen, wurde nicht gebraucht. Er hat Nebenwirkungen gehabt und wurde dann in Magdeburg, also im unmittelbaren Sendegebiet, wurde der dann verbrannt, der Impfstoff. Das ist eine traurige Geschichte gewesen. Und da hat der Hörer recht. So was will man nicht wiederholen.



Camillo Schumann



16 Millionen Impfdosen waren es übrigens.



Alexander Kekulé


Ja gut, Sie haben es noch einmal recherchiert. Und das ist natürlich so, da könnte man jetzt Bücher darüber schreiben. Da wurde auch schon sehr viel darüber geschrieben. Da gab es eben den sogenannten Regierungsimpfstoff, so wurde der immer gemeinerweise genannt. Weil, die USA haben es so gemacht, wie ich das hier empfohlen hatte und übrigens die Schutzkommission bei Bundesinnenminister das auch empfohlen hatte. Und bei denen lief alles super, und die haben eben einen nicht wirkverstärkten Impfstoff gegen die Schweinegrippe genommen. Und dann kam raus, dass die Bundesregierung für Beamte sich einen nicht wirkverstärkten selber auch noch bestellt hatte.


Da war natürlich der Ärger groß. Also hier ist man in einer anderen Situation. Also beim Wirkverstärker kommen wir nur dann an, wenn wir feststellen, dass wir zum Beispiel zu wenig Protein haben, zu wenig Antigen haben. Bei einem klassischen Impfstoff, wenn da zu wenig Antigen da ist, also, wenn man zu wenig produziert kriegt, dann kann man Antigen sparen. Also das eigentliche Oberflächenprotein dieses Virus, was man da spritzt, um das Immunsystem anzuschubsen. Da kann man einfach dann ein Fünftel nehmen, ungefähr. Und stattdessen so ein Wirkverstärker mit reinmachen. Das ist etwas, was einfach eine relativ starke lokale Immunreaktion herbeiführt. So Stoffe, die wirklich eine Entzündung absichtlich provozieren, weil dann die Immunantwort stärker wird und man dann mit einer kleinen Menge von Proteinen die gleiche Schutzwirkung hinkriegt. So weit sind wir bei diesem Covid-19 noch gar nicht. Kann sein, dass es dazu kommt, dass man das macht? Entweder weil die reine, die Immunisierungs-Wirkung dieses Antigens alleine nicht stark genug ist, dass man deshalb verstärken


muss. Oder weil man nicht genug produziert bekommt. Das sind, so die 2 Hauptgründe. Wobei man sagen muss, diese Wirkverstärker sind echt schwierig herzustellen, die sind auch patentiert. Und die, die da wirklich gut sind, es gibt ein, 2 Firmen, die haben da sehr gute Wirkverstärker. Die kann man auch nicht so in großer Menge einfach über Nacht produzieren. Und dass das andere ist: Wir haben ja jetzt sehr erfolgreich diese ganz neuen Verfahren, wo also DNA verwendet wird, oder RNA verwendet wird, oder auch genetisch veränderte Viren verwendet werden, als Impfstoff. In solchen Situationen gibt man natürlich keinen Wirkverstärker, erst mal dazu, weil da muss ja erst mal, das Antigen produziert werden, also das Protein produziert werden, was das Immunsystem stimuliert. Und da ist es zumindest meines Wissens nicht üblich, da gleich einen Wirkverstärker mit reinzugeben, also lange Rede, kurzer Sinn als lässt sich lässt sich die Situation von 2 009 von der Schweinegrippe nicht auf SARS-CoV-2  übertragen. Und ich rechne nicht damit, dass wir bei diesen modernen, „Hightech-Impfstoffen“, sofern einer von denen das Rennen macht, überhaupt einen Wirkverstärker brauchen. Und wenn überhaupt, dann brauchen wir Wirkverstärker bei den klassischen protein-basierten Impfstoffen. Und da wäre für mich der wahrscheinlichste Grund, das für alte Leute einzusetzen, die sonst keine richtige Immunsystemantwort haben. Oder wenn die Nachschubsituation so schlecht ist, dass man das einfach braucht, weil man nicht genug hat. Da würde ich aber erst mal entspannt abwarten. Ich glaube, in die Lage kommen wir noch nicht.


[0:38:08]



Camillo Schumann



Herr S. hat uns eine Mail geschrieben und einen Link gleich mit dazu. Und er schreibt:


„... es soll mit Erfolg unter anderem an einem Spray geforscht werden, das sekundenschnell Coronaviren im Rachen unschädlich macht. Viele Grüße.“


Spray gegen das Coronavirus. Sie haben sich den Link angeschaut. Gibt ja auch noch was zum Gurgeln gegen das Virus. Was halten Sie davon?


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Alexander Kekulé


Es ist ganz klar, dass wir Desinfektionsmittel haben, die auch auf der Schleimhaut wirken. Und hier ist eins dieser klassischen Desinfektionsmittel, die so jodhaltig sind und im Krankenhaus verwendet wurden, mal getestet wurden. Und ja, die töten auch auf der Schleimhaut Viren ab. Das ist ja klar, sonst würden sie ja nicht richtig funktionieren, sonst wären sie für so etwas gar nicht zugelassen. Und das konkrete Desinfektionsmittel hier, das ist dieses braune Zeug, was man so aus dem Krankenhaus kennt, wenn man da irgendwie operiert werden soll oder Ähnliches. Was übrigens ganz gruselig schmeckt, wenn man das zum Gurgeln verwendet. Aber es gibt Leute, die das machen. Ja, das wirkt natürlich gut gegen Viren. Das ist eins der wirklich guten antiviralen Mittel. Es ist auch zugelassen vom Robert Koch-Institut dafür. Und es hat gegen andere Coronaviren auch gegen diese gefährlicheren, also das alte SARS-Virus und das sogenannte MERS-Virus. Dagegen hat es auch schon gewirkt. Deshalb wäre es jetzt extrem ungewöhnlich gewesen, wenn jetzt ausgerechnet das SARS-CoV-2  nicht anspricht. Auf dieses Desinfektionsmittel. Die Frage ist nur: Das eine ist, man tötet momentan die Viren im Rachen ab. Das kann man damit sicherlich machen. Was passiert dann? Das Desinfektionsmittel bleibt ja nicht ewig auf der Schleimhaut des verschwindet im Lauf der Zeit. Entweder, weil man es runterschluckt, wegspült oder weil es sich anderweitig irgendwie verdünnisiert. Und dann haben sie natürlich die Zellen immer noch in der Schleimhaut, die Virus befallen sind. Und die produzieren ja munter weiter Viren, sodass sie dann, sobald das Mittel nicht mehr wirkt – ich sage mal, eine Stunde später oder so – haben Sie dann die Situation wie vorher. Dann ist das Virus wieder da, sodass ich nicht wüsste, was das Ganze bringen soll. Außer Sie wollen jetzt gleich jemanden küssen. Und kurz vorher machen Sie das Spray, legen überhaupt keinen Wert auf den Geschmack und sagen gut, dieser eine Kuss ... Da könnte man darüber diskutieren.


[0:40:2 2 ]



Camillo Schumann



Das war es wert. Oder wissen Sie, wie das dann riecht? Also man ist dann vielleicht nicht mehr


infektiös, aber man riecht aus dem Mund. Dass ist ja dann auch Quatsch.



Alexander Kekulé


Also dieses Mittel riecht, das weiß ich aus meiner Zeit im Krankenhaus in der Chirurgie, das riecht doch ziemlich stark. Also wenn man abends nach Hause kommt, hat man durchaus noch das Gefühl, manchmal diesen Jodgeruch in der Nase zu haben. Wie man aus dem Mund riecht, wenn man gegurgelt hat? Das habe ich noch nicht ausprobiert. Aber es bringt mich auf was.



Camillo Schumann



Damit sind wir am Ende von Ausgabe 85. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen-Spezial.



Alexander Kekulé


Bis dann, Herr Schumann, tschüss.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARDAudiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Dienstag, 2 1.07.2 02 0 #84: Britischer Impfstoff hat die Nase vorn



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Dienstag, 2 1. Juli 2 02 0. Wir haben wieder viel vor in dieser Ausgabe. 1. Durchbruch bei der Impfstoff-Suche? Großes Fragezeichen. Es gibt da vielversprechende Meldungen aus China und Großbritannien. 2 . Dann, welche Rolle Gene für den Verlauf und Schwere der Covid-19-Erkrankung spielen wird uns beschäftigen. Außerdem Schwangere und Covid-19. Wie das SARS-CoV-2 -Virus zum Ungeborenen gelangen kann. 3. Dann: Null Coronaviren in 2 5 Sekunden. Was bringen eigentlich UVC-Lampen an Flughäfen und Büros? 4. Und: Sollten sich Kreuzfahrtpassagiere vor Reiseantritt testen lassen?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.


Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Guten Tag, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wer den Podcast schon länger hört, weiß es gibt am Ende ab und zu so eine positive Nachricht. Also die positive Nachricht zum Schluss. In dieser Ausgabe fangen wir aber mal mit einer positiven Nachricht an. Und um


ehrlich zu sein, gibt es sogar mehrere positive Nachrichten. Und ich bin mir nicht so richtig sicher, welche davon höher zu bewerten ist. Es gibt die gute Nachricht bei der ImpfstoffSuche. Und die andere gute Nachricht: USPräsident Trump wirbt jetzt ganz offiziell für das Tragen von Masken. Was meinen Sie, Herr Kekulé, welche positive Meldung ist jetzt höher zu bewerten?


[0:01:45]



Alexander Kekulé


Ja, also ich würde fast sagen, obwohl man es nicht glaubt, die Meldung von Donald Trump. Weil das einfach einen unmittelbaren Effekt haben dürfte. Diejenigen, die die Masken ablehnen oder immer noch ablehnen, die machen das ja, weil auch ihre Führer das ablehnen. Und da kann man jetzt hoffen, dass das viele umschwenken in Amerika. Das Problem ist immer, wenn man zuerst sagt, Masken sind schlecht – und diese Kommunikation hatten wir in Deutschland auch – und dann plötzlich sich ändert und sagt, jetzt will ich sie aber doch empfehlen, so wie Donald Trump das jetzt macht. Da ist immer die Frage, ob man das Volk dabei mitnimmt oder ob da nicht alle, einige sagen: „Naja, ich mag keine Masken. Und bis vor Kurzem hieß es ja, die taugen auch nichts.“


[0:02 :2 5]



Camillo Schumann



Ich mache es mal konkret, was Donald Trump getwittert hat:


"Wir sind vereint in unseren Bemühungen, das unsichtbare China-Virus zu besiegen." "Und viele Menschen sagen, dass es patriotisch ist, eine Gesichtsmaske zu tragen, wenn man keine soziale Distanz wahren kann."


Im Tweet postet Trump dann ein Foto, das ihn mit seiner Maske mit aufgesticktem Präsidentensiegel zeigt, dazu: „Niemand ist patriotischer als ich. Euer Lieblingspräsident.“


[0:02 :50]



Alexander Kekulé


Ich glaube, der hat sich einfach dann letztlich von seinen Beratern breitschlagen lassen. Natürlich denkt er auch an die Wahlen in den USA. Und eine Schlacht, die nicht mehr zu


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gewinnen ist, da wechselt man gerne mal auf die Gegenseite über. Man muss sagen, das ist jetzt nicht nur Donald Trump. Wir hatten ja die Diskussion ganz massiv in Deutschland auch, selbst unter einigen Fachleuten. Und in Frankreich ist es gerade so, dass die Masken wieder eingeführt wurden. Jetzt müssen in den Geschäften wieder Masken getragen werden. Ich glaube, wenn wir in der Welt rumgucken, gibt es eigentlich kein Argument dafür, dass wir in Deutschland jetzt hier die Zügel lockerlassen.


[0:03:2 7]



Camillo Schumann



Österreich ist er dann das nächste Beispiel. Da soll heute dann wieder die Maskenpflicht beschlossen werden. Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung dieses Podcasts ist es noch nicht passiert. Deswegen reden wir jetzt im Konjunktiv. Aber es ist doch schon interessant zu beobachten, das gerade in den USA Diskussionen, die vorher in Asien waren, dann nach Europa kam, dann zeitversetzt auch dort stattfinden. Warum wird denn nicht zeitgleich diskutiert? Also warum hat man nicht den gleichen oder denselben aktuellen Wissensstand? Und ist man dann eigentlich auf Augenhöhe? Warum ist das so zeitversetzt? Können Sie sich das erklären?



Alexander Kekulé


Das ist eine generelle Frage, die sich wahrscheinlich viele Menschen zurzeit stellen auf der ganzen Welt. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Wenn Wissenschaftler sagen, sie sind für Masken. Also, wenn jetzt jemand – Sie wissen, ich habe da früher mal eine Aktion gestartet richtig – sich massiv für die Masken einsetzen, dann macht er das, das muss man ehrlicherweise sagen, auch so eher aus einem Bauchgefühl heraus. Also, es ist ja nicht so, dass ich jetzt Belege in der Hand hatte, die das Robert Koch-Institut oder die WHO nicht hatten. Sondern es ist einfach die Frage, wie bewertet man die die Belege und welche Risiko-Abwertung macht man? Und das ist etwas sehr Individuelles. Bei den Masken war klar, dass auf jeden Fall diese Tröpfchen nicht durchgehen. Das ist klar, das kann man physikalisch ganz abstrakt belegen, dass Tröpfchen an so einem Stoff hängen bleiben.


Und zweitens gab es mehrere Studien, die gezeigt haben, dass unterschiedlich stark der Träger einer Maske geschützt werden kann vor Infektionen. Da hat man bei Influenza ganz viele Untersuchungen schon früher gemacht und hat eben festgestellt: Im Vergleich zu den echten FFP-Masken sind diese normalen Stoffmasken vom Schutz her eher lausig. Da gab es dann Zahlen, es hilft nur zu 10 %, hauptsächlich wegen der Luft, die außen vorbeigeht. Andere Studien haben so Richtung 30-50 % gedeutet. Aber im Vergleich zu den FFP2 -Masken war immer klar, so etwas kann kann man einem Krankenhauspersonal nicht empfehlen. Und jetzt muss man eben den Transfer machen. Jetzt muss man sagen: Okay, das sind die Daten. Aber was braucht man in einer epidemiologischen Situation, wo es auch darum geht, dass Maskenträger, falls Sie krank sind, andere schützen? Da haben eben einige Fachleute, zu denen ich damals gehört habe, gesagt: Die Daten reichen mir für die Empfehlung, weil in dieser speziellen Fragestellung ist das sinnvoll. Und andere haben gesagt: Nein, ich will da erst mehr Untersuchungen dazu sehen, bevor ich eine Empfehlung abgebe. Und vorher sind die Masken nicht sinnvoll, weil ja auch die Befürchtung bestand, dass die Menschen dann die Abstandsgebote nicht mehr einhalten. Auch diese Beurteilung, was die Menschen dann machen: Halten sie wirklich die Abstandsgebote nicht mehr ein, sobald sie eine Maske im Gesicht haben? Oder ist der Effekt, dass man sich, wenn man eine Maske im Gesicht hat, natürlich seltener ins Gesicht fasst und dass man immer daran erinnert wird? Ist das wirklich ein Effekt, der zum Social Distancing und zur Sicherheit beiträgt? Das sind sehr spekulative Dinge. Dass das entscheidet man so ein bisschen aus dem Bauch, so wie ein wie ein praktischer Arzt entscheidet. Verschreibe ich jetzt lieber eine Massage oder eine Fangopackung?


[0:06:30]



Camillo Schumann



Aber nichtsdestotrotz hat sich ja diese Empfehlung ja dann auch im Laufe der Pandemie ja verstetigt. Und deswegen fragt man sich ja dann noch mehr, warum die USA dann zu spät reagiert haben.


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Alexander Kekulé


Ja, bei den USA ist es schon besonders eklatant, weil wir während dieser Pandemie diese ganzen Hausaufgaben gemacht haben. Er wurde sowohl epidemiologisch bewiesen, dass die Masken was bringen. Wir haben auch weitere physikalische Untersuchungen dazu gemacht. Da haben wir ja zum großen Teil darüber berichtet. Die Datenlage ist inzwischen, wenn man jetzt nicht ein totaler Skeptiker ist, eigentlich eindeutig. Und es ist ja auch so, dass in den USA bis jetzt eigentlich das Weiße Haus sehr isoliert war mit seiner Position. Sowohl die Gouverneure der Bundesstaaten, als auch die ganzen Fachinstitute des Landes, die weltweit führend sind, haben sich klar dann für die Masken ausgesprochen. Und deshalb ist es jetzt so eine Art Nachzügler bei dem Erkenntnisgewinn, wenn Donald Trump jetzt auch sagt, er ist auch dafür.


[0:07:2 7]



Camillo Schumann



Um da jetzt noch mal ein Strich drunter zu ziehen. Diese Empfehlung, wenn sie denn auch vom Volk umgesetzt wird, könnte sich dann signifikant auf das Infektionsgeschehen oder auch auf die Todeszahlen dann auswirken?



Alexander Kekulé


Meines Erachtens ja, weil wir ja auch in den USA jetzt beginnend, in Europa sind wir viel weiter, die Situation haben, dass das Social Distancing im Prinzip schon funktioniert. Die Menschen haben es ja mehrheitlich verstanden, worum es geht. Und in dieser Situation, wo so diese normalen Infektionen durch Umarmung, durch Hände geben und ins Gesicht fassen und so weiter, weniger Gewicht haben, geht es eigentlich primär um die Superspreading-Ereignisse. Also, dass einzelne in irgendwelchen ungünstigen Situationen im geschlossenen Raum, bei schlechter Belüftung, viele anstecken. Da kann es sein, dass einer mal 100-2 00 Menschen auf einmal ansteckt. Wir haben Beispiele, wo so ein Verdacht besteht. Und so eine Situation ist natürlich durch Maskentragen weitgehend verhinderbar. Weil, wenn der eine Maske im Gesicht hat, wird er sicher nicht mehr so viele Menschen anstecken. Und das, da das ja


seltene Ereignisse sind, ist natürlich mit so einer allgemeinen Prophylaxe – das können Masken sein, das kann auch eine Testung sein – ist einfach die Wahrscheinlichkeit, dass es zu diesem seltenen Ereignis dann kommt, deutlich geringer. Und dadurch ist das ein ganz, ganz effektives Mittel, was, meines Erachtens, eine der Säulen ist, um uns die Zeit bis zum Impfstoff zu versüßen oder zu ermöglichen.



Camillo Schumann



Gut, dann kommen wir zur nächsten positiven Meldung, wie angekündigt. „The Lancet“ eine wissenschaftliche Fachzeitschrift hat gleich 2 Ergebnisse von 2 Impfstoffstudien veröffentlicht. Eine von einer britischen Forschergruppe, die andere von chinesischen Wissenschaftlern. Und darüber wird in der Welt diskutiert, auch in diesem Podcast. Und beide Forschergruppen arbeiten an ähnlichen Impfstoffkandidaten. Und beide haben vielversprechende Ergebnisse erzielt. So ein bisschen der Reihe nach. Über diese Impfstoffkandidaten haben wir ab und zu hier im Podcast gesprochen, noch mal kurz zusammengefasst, welche sind das?


[0:09:32 ]



Alexander Kekulé


Ja hier speziell geht es um die Kandidaten, wo man Viren benützt, als Vektor, wie wir sagen, quasi als Vehikel. Und in dem Fall sogenannte Adenoviren. Das sind eigentlich Viren, die Erkältungen machen. Und die werden so modifiziert, dass sie zum einen natürlich nicht mehr schlimm krank machen und zum anderen Proteine, Oberflächenmoleküle, von diesem SARS-CoV-2  enthalten. Und wenn man damit dann Menschen impft, dann wird also dieses SARS-CoV-2  quasi hergestellt. Also dieses Protein, das Oberflächenprotein davon. Das sind diese Spikes, die man unter dem Mikroskop auch sieht. Und das stimuliert dann das Immunsystem. Das ist eine Methode, die also sehr elegant ist, die im Tierversuch auch schon oft funktioniert hat. Es ist aber so, dass das eine experimentelle Methode ist, also ein neues Verfahren, wo es viele, viele gute Daten dazu gibt, aber noch keinen Impfstoff, der wirklich breit angewendet wird.


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Camillo Schumann



Und das Besondere ist, dass das Mittel der Oxford Universität gleich 2 Antworten des Immunsystems auslöst. Es fördert sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern, als auch von T-Zellen. Beide sind für die Immunabwehr enorm wichtig. Also hat der Impfstoffkandidat aus Großbritannien jetzt die Nase vorn?


[0:10:52 ]



Alexander Kekulé


Das kann man so nicht sagen. Es ist so, dass wir immer eine Immunantwort ist, ja immer so, dass sie besteht aus mehreren Zellen. Das sind im Wesentlichen die weißen Blutzellen. Und da gibt es diese T-Zellen, die stimulieren andere Zellen. Es gibt wiederum verschiedene Sorten von T-Zellen. Und es gibt die B-Zellen. Das sind die, die die Antikörper produzieren. Hier ist nachgewiesen worden, dass die T-Zellen aktiviert werden durch den Impfstoff. Eine solche Aktivierung, das kann man sich so vorstellen, dass man quasi von dem Patienten den man geimpft hat, die T-Zellen im Labor hat, also eine Blutprobe hat. Und dann stimuliert man die mit dem Antigen, also mit dem Virus. Man tut quasi so, als würde die T-Zelle einen Virus sehen. Und in dem Moment fangen die, wenn die schon vorher aktiviert wurden oder von wenn die Impfung funktioniert hat, fangen die an, so Überträgerstoffe herzustellen, die andere Zellen wieder alarmieren. In dem Fall das sogenannte Interferon Gamma. Und dann misst man einfach, wieviel Interferon Gama kommt aus der T-Zelle heraus, wenn ich sie mit diesem Virus Ersatz stimuliere. Und wenn das sehr viel ist, dann kann man sagen, jawohl, diese Zelle ist vorher gegen dieses Virus quasi aktiviert worden, die weiß, wie das Virus aussieht. Die ist sozusagen geimpft dagegen. Das heißt aber noch nicht wirklich, dass der Patient dann am Schluss immunologisch geschützt ist vor der Impfung, sondern das ist nur ein Hinweis darauf. Und das Experiment ist nicht so ungewöhnlich. Das macht man überall. Das haben die Chinesen auch gemacht, die haben auch solche T-Zellen-Stimulation-Assays gemacht.



Camillo Schumann



Also sind beide gleichauf?



Alexander Kekulé


Ja, die Daten sind ein bisschen unterschiedlich. Weil erstens die britische Studie aufwendiger ist. Die hat wesentlich mehr Assays gemacht, um zu testen, ob der Immunschutz wirklich da ist. Und zweitens hatten sie mehr Patienten. Bei der britischen Studie, die ja dort von dem Jenner-Institute Oxford-Universität gemacht wird – die Gretchenfrage ist immer: Ich sehe irgendeine Stimulation im Labor. Kann ich das übertragen auf die Situation beim Menschen? Da haben, meines Erachtens, die Briten die Nase vorn, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Das heißt noch nicht, dass sie das Rennen gewonnen haben. Und zwar aus folgendem Grund: Der Ansatz, den die dort nehmen, das ist ja so ein Schimpansen-Adenovirus, was ursprünglich mal vom Schimpansen kommt. Da hat das Labor, das Labor dort vom Adrian Hill und von Sarah Gilbert, die haben ähnliche Untersuchungen schon gemacht. Da hatten Sie mal einen Impfstoff gegen Ebola? Da hatten sie eine gegen MERS, gegen das Middle Eastern Respiratory Syndrome Virus also, was so ähnlich wieder wie SARSund wie jetzt SARS-CoV-2  ist. Und das war in diesen anderen Experimenten eigentlich immer erfolgsversprechend. Und konkret hat man hier folgende Daten: Man weiß, dass dieser konkrete Impfstoff, dass der tatsächlich auch in Makaken, also in Labor-Affen, quasi einen Schutz bietet. Und man weiß, dass dieser Schutz, der korreliert unmittelbar. Also der echte Schutz vor einer Infektion, vor einer Neuinfektion. Challenge Experiment sagt man dazu. Das hat man bis jetzt nur mit Affen natürlich gemacht. Aber immer, wenn das funktioniert hat, in einem Experiment wo das funktioniert hat, da war ein ganz bestimmter Virus-Neutralisationstest positiv. Bei einem bestimmten Neutralisationstest im Labor, das hat korreliert mit dem Schutz bei dem Affen. Das ist interessanterweise, darum erzähle ich das so ausführlich, ein Test, der in Deutschland gemacht wird. Den hat der Stephan Becker in Marburg gemacht. Er ist dort der Leiter der Virologie. Und die haben da natürlich ein Hochsicherheitslabor. Das ist in Marburg an der Virologie Tradition. Die haben so einen speziellen Neutralisations-Assay, den nennen die direkt Marburg-Virus-Neutralisations-


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Assay. Und der korrelierte eben bei den Affen mit dem echten Immunschutz, also mit dem Schutz, den die Affen haben, wenn später das echte Virus als Provokation benutzt wird, also eine Ansteckungsversuch gemacht wird. Und dieser Test ist jetzt auch wieder hoch gegangen, bei dem Kandidaten, wo man jetzt den Impfstoff ausprobiert hat. Und das ist eigentlich ein deutlicher Hinweis darauf, dass das, was man hier im Labor sieht, dann später auch wirklich mit einem Immunschutz bei den Menschen korrelieren sollte.


[0:15:11]



Camillo Schumann



Aber wir sind sozusagen im Klein-Klein der Impfstoff-Sucher, und da sind ja sozusagen schon solche Kleinigkeiten von außen betrachtet, ja schon Meilensteine. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist ein bisschen Kaffeesatzlesen, solange sie kein Challenge-Experiment machen. Natürlich könnte man sagen, so ganz normal früher in China vor langer, langer Zeit, als die ersten Pockenimpfstoffe dort entwickelt wurden, da hätte man einfach ein paar Soldaten genommen und die versuchsweise geimpft und dann mit dem Virus konfrontiert. Um zu schauen, ob sie krank werden. Weil wir das nicht machen, müssen wir irgendwelche Surrogatmarker, wie wir das nennen, finden. Und ich finde, dass das sehr optimistisch ist, soweit. Und die Frage, die wir nicht beantwortet haben bis jetzt, ist, ob das bei älteren Menschen tatsächlich immer noch gut funktioniert. Also ob wir da einen Impfschutz hinkriegen. Weil die ja ein schwächeres Immunsystem haben. Und auf die kommt es bei SARS-CoV-2  besonders an. Wir wissen aber, dass diese Schimpansen-Adenovirus-Vaccine, also das ganze Prinzip, dass das eigentlich bei älteren Menschen ganz gut funktioniert. Da gibt es ältere Daten dazu, wo man das mal gemacht hat. Das heißt, ich bin da ganz optimistisch, dass wir hier auf einem auf einem sehr, sehr guten Weg sind. Es wird ja mit AstraZeneca, einem riesigen Pharmakonzern, zusammen entwickelt. Und ich bin da ganz optimistisch, dass ein Impfstoff dabei rauskommt, der zumindest funktioniert.


[0:16:44]



Camillo Schumann



Interessant ist ja das Thema Nebenwirkungen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Da wurde Meningitis-Impfstoff verwendet. Da verursachte die SARS-CoV-2 -Impfung häufiger geringfügige Nebenwirkungen. Da kann man Paracetamol nehmen. Da wurden dann diese Nebenwirkung reduziert, und am häufigsten wurde über Kopfschmerzen und Müdigkeit berichtet. Das ist eigentlich noch verkraftbar. Oder wie schätzen Sie das ein?



Alexander Kekulé


Ja, doch, das ist die Achillessehne dieses ganzen Konzepts, muss man sagen. Zum einen, weil wir wissen, dass diese AdenovektorImpfstoffe häufiger Nebenwirkungen machen. Darum schauen wir da ganz genau drauf. Also sozusagen bei der Wirksamkeit kann man noch nicht ganz ein Haken dahinter machen, aber optimistisch sein. Aber bei den Nebenwirkungen – ja, da ist es eben so, dass die überhaupt die diejenigen, die sozusagen die Kontrolle waren, dass die denen nicht einfach Placebo, also irgendwie Wasser, gegeben haben, sondern einen anderen Impfstoff. Und auch noch einen Meningokokken-Impfstoff, wo man weiß, dass der auch nicht so wenig Nebenwirkungen hat. Also ein Hirnhautentzündungsimpfstoff. Das deutet natürlich schon darauf hin, dass die selbst befürchtet haben, dass, wenn sie das gegen Null sozusagen testen, das dann die Nebenwirkungen quantitativ relativ stark aussehen. Und selbst im Vergleich zu diesem anderen Impfstoff ist es doch schon deutlich mehr gewesen. Bei dem Versuchsimpfstoff, bei dem SARS-CoV-2  Impfstoff, da wird es immer Leute geben, die sagen: Mir tut der Arm weh. Oder die sagen: Ich fühle mich schlapp. Das ist normal, das wird ja auch subjektiv abgefragt. Und da würde ich mir erst mal keine Sorgen machen. Was wir hier aber beobachten, sind doch relativ häufig sogenannte systemische Nebenwirkungen. Also nicht so besonders an der Einstichstelle, sondern dass der Patient insgesamt zum Beispiel Kopfschmerzen kriegt. Langanhaltende Kopfschmerzen für eine Zeit oder auch so fieberartiges Gefühl, ohne wirklich Fieber zu haben. So ähnlich wie Schüttelfrost und generalisierte


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Muskelschmerzen, sodass sich das nach der Impfung eigentlich anfühlt, wie eine beginnende Virusinfektion. Und das sind genau die Sachen, die eben bei diesen AdenovirusImpfstoffen gelegentlich auftreten. Da muss man sehr genau hinschauen, ob das nicht, wenn jetzt mehr als diese in diesem Fall 1.000 Patienten da untersucht wurden, beziehungsweise nur die Hälfte davon, ungefähr 540 haben den Impfstoff gekriegt. wenn es jetzt mehr ist, ob dann die Nebenwirkungen nicht zunehmen und ob die in einen Bereich gehen, wo die Menschen dann sagen nehmen es mir so schlecht geht dann, dann will ich das eigentlich nicht. Wir haben einen zugelassenen Impfstoff – da wurde auch diese Diskussion in Deutschland rauf und runter geführt, wenn sie sich erinnern an die Windpocken-Impfung – und das ist ein Impfstoff, der ist zugelassen, der hat wahrscheinlich auch relativ viele Nebenwirkungen. Zumindest die aktuellen Daten sehen noch so aus. Da gibt es aber eine Diskussion, ob man das jetzt machen soll oder nicht. Und die Kinderärzte diskutieren darüber. Und wenn wir so eine Diskussion wegen der Nebenwirkungen dann hinterher haben, bei den bei dem SARS-CoV-2 , dass wir die Pandemie nicht bekämpfen können, weil die Leute sagen: Nein, den nehme ich nicht. Dann wird es natürlich ein Problem.


[0:19:55]



Camillo Schumann



Aber so grundsätzlich: Man kennt das ja auch von der von der Grippeschutzimpfung. Wer die verabreicht bekommt, das erste Mal klagt er dann danach auch über möglicherweise Fieber oder ihm geht es nicht so richtig gut, und schildert genau das, dass er das Gefühl hat, sich gerade infiziert zu haben. Das gehört auch irgendwie schon fast mit dazu. Oder?



Alexander Kekulé


Also das genau. Aber die Frage ist eben, wie oft ist es, und wie stark ist es. Das ist ein gutes Beispiel. Also die Influenza-Impfung, die Grippeschutzimpfung ist eine der sichersten mit den geringsten Nebenwirkungen. Die hat die kleinste lokale und systemische Reaktogenität, wie wir sagen. Also der Körper reagiert noch am wenigsten. Und wenn Sie das


so als Basislinie nehmen, dann kann man sagen, dass dieser Impfstoff, wie er da in Oxford gerade entwickelt wird, deutlich mehr Nebenwirkungen hat. Zumindest was diese Zwischenauswertung erstmal betrifft. Man muss aber dazu sagen, die Dosis ist noch nicht ganz klar. Also hier wurde, weil man das in einer Zeit gemacht hat, wo man eine große Zahl von Patienten in Großbritannien hatte und die Krankheit ganz schlimm getobt hatte auf der Insel, hat man von vornherein für dieses Protokoll hier eine relativ hohe Dosis genommen. Da hat man von vornherein 100 Milliarden Impfstoffe verimpft. Das ist relativ viel. Und mit dieser Dosis hat man einen sehr guten Effekt gesehen. Also, wenn man das zweimal gibt, war bis zu 100 % der Probanden waren dann hinterher geschützt, zumindest, was das Laborexperiment aussieht, scheinbar geschützt gegen Covid-19. Vielleicht kann man mit dieser Dosis noch ein bisschen runter gehen. Das ist eine Möglichkeit, das wird man jetzt als nächstes sehen. Diese Nebenwirkungen sind wohl ziemlich deutlich dosisabhängig gewesen, auch in diesem Experiment. Und ja, das wäre eine Chance, die man hat. Aber ich glaube, am Ende des Tages wird das Thema Nebenwirkungen: Man muss sich vorstellen, wir wollen ja wirklich Millionen, Milliarden von Menschen damit impfen. Und wenn sie Nebenwirkungen haben, die dann in Anführungszeichen nur 1:10.000 auftreten, aber dann Todesfolge haben könnten durch eine Überreaktion des Immunsystems, zum Beispiel, dann ist der Impfstoff eigentlich nicht brauchbar für diese Anwendung. Und deshalb ist das Ganze viel schwieriger als nur zu zeigen, dass im Neutralisationstests der Titer hochgeht.


[0:2 2 :17]



Camillo Schumann



Also 500 Personen waren es dort, und Sie haben es ja gesagt: Für Milliarden Menschen muss dieser Impfstoff produziert werden und die Nebenwirkungen auf ein Minimum reduzieren. Aber wie individuell Menschen auf das Virus oder möglicherweise einen Impfstoff reagieren, zeigt eine neue Studie aus den USA. Diese Studie teilt die Menschen, grob gesagt, in drei Immuno-Typen ein. Und dieser Typ entscheidet dann darüber, wie die Krankheit


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verlaufen wird und wie schwer sie verlaufen wird. Also spielen die Gene dann gewaltiges Wörtchen mit, oder?



Alexander Kekulé


Ja, also mich begeistert diese Studie. Aber das ist natürlich ein bisschen akademisch. Ich verstehe jeden, der dann sagt, die Details sind ihm dazu fein.



Camillo Schumann



Dann machen Sie es so, dass wir es alle verstehen.



Alexander Kekulé


In „Science“, einem unserer Top-Journale ist das letzte Woche erschienen. Die haben als 12 5 Patienten genommen und zwar solche, die relativ starke immunologische Reaktion gezeigt haben. So etwas Ähnliches wie ein Zytokinsturm, in diese Richtung, die eben deutlich reagiert haben. Und haben die dann untersucht, was machen die B-Zellen, also diese Zellen, die Antikörper produzieren? Und was machen verschiedene Sorten von TZellen? Das sind auch weiße Blutzellen, Lymphozyten. Die kann man aber wieder weiter unterscheiden, so die ganz einfache erste Stufe der Unterscheidung sind die T4Zellen. Das sind Helferzellen, die das Immunsystem stimulieren. Und die T8-Zellen, das sind Suppressor-Zellen, die das Immunsystem eher dämpfen. Und da haben die das durch einen Riesencomputer laufen lassen und mit einem ganz tollen Verfahren analysiert, welche Zellen aktiviert wurden. Und das Ganze mit den Laborwerten der Patienten korrelieren. Dann finden die eben diese drei Gruppen. Und die eine Gruppe, die am ehesten schwere Symptome hat, die zeigt eben, dass eine ganz starke Reaktion dieser T4, dieser T-Helferzellen da ist. Und dass die T8Zellen, also diese T-Suppressor-Zellen auch superstark aktiviert sind, so stark, dass sie wahrscheinlich erschöpft sind. Also dass man quasi eine Überstimulation hat. Dass diese Zellen, die normalerweise der zweite Zügel sind, der das Bremsen soll das Ganze, dass die irgendwie ausgepowert und aufgebraucht sind. Das ist der eine Typ, der besonders schlimm reagiert.


Und dann gibt es einen anderen Typ, der so ganz normal reagiert. Das unwahrscheinlich die Menschen, für die das so etwas wie eine normale Erkältung ist oder so. Bei denen ist die Aktivität dieser Suppressor-Zellen, also der Zellen, die das Immunsystem bisschen dämpfen, deutlich höher als die Aktivität der Aktivator-Zellen, also diese T4-Helferzellen. Und da sieht man jetzt plötzlich, aha, wenn diese aktivierenden Zellen zu stark sind, dann läuft es aus dem Ruder. Und wenn die anderen Zellen, diese Unterdrücker-Zellen, BremserZellen, stärker sind, dann ist das Ganze im Lot. Und die dritte Gruppe ist ganz interessant. Die hat überhaupt keine messbare Aktivierung gehabt von diesem ganzen T-Zellen-System. Und da ist natürlich der Verdacht im Raum, dass das Leute sein könnten, die gar keine Symptome zeigen. Die also dann Virusausscheider sind, ohne dass man es merkt. Und das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Anknüpfungspunkt, dass wir vielleicht demnächst solche Risikogruppen durch genetische Tests auseinanderhalten können.


[0:2 5:2 6]



Camillo Schumann



Genetische Tests, das wäre sozusagen die eine Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann. Aber müssten diese Erkenntnisse nicht auch in die Forschung nach einem wirkungsvollen Impfstoff einbezogen werden?



Alexander Kekulé


Das muss man natürlich. Ja, das ist ganz wichtig. Man muss natürlich, sobald man dann quasi genetische Unterschiede in der Bevölkerung feststellt – und die gibt es ja im Immunsystem massenweise. Das Immunsystem hat eine viel größere Bandbreite von Unterschieden. Da wären wir alle extrem unterschiedliche. Man würde gar nicht erkennen, dass wir zur gleichen Spezies gehören auf den ersten Blick. Und das muss man natürlich. Wenn man das auseinanderhalten kann, muss man das berücksichtigen bei der Wirksamkeit von Impfstoffen. Nicht, dass man irgendwelche Gruppen mit bestimmten genetischen Eigenschaften übersieht bei der Testung. Und die haben dann entweder keinen Immunschutz oder größere Nebenwirkungen.


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[0:2 6:16]



Camillo Schumann



Besonders eine Risikogruppe setze große Hoffnungen auf einen Impfstoff. Das sind ältere Menschen. Sie haben es ja schon angesprochen. Aber gerade bei den älteren Menschen sind die Zellen möglicherweise schon quasi dauerentzündet, dass ein Impfstoff möglicherweise gar nicht vertragen wird. Oder?



Alexander Kekulé


Ja, das ist das ist eine ganz interessante, ich nenne es immer noch eine Theorie. Ich glaube, die Leute, die diese Theorie erforschen, die werden jetzt schimpfen und sagen: Nein, das ist aber bewiesen. Das dieses Konzept vom sogenannten Inflammaging, heißt es auf Englisch. Das ist also inflammation heißt Entzündungen, und aging heißt altern. Und Inflammaging heißt, dass quasi im Alter so eine Basis-Entzündungsaktivität langsam zunimmt. Wir sehen es tatsächlich bei bestimmten Untersuchungen der kleinen Gefäße, dass die immer so eine Art Dauerentzündung an der Oberfläche haben im Alter. Und die wird zum Beispiel mit Arteriosklerose in Zusammenhang gebracht. Aber wie das genau ist und ob das genauso ist wie diese Verfechter der Theorie sich das so vorstellen, da ist noch ein Fragezeichen dahinter. Jetzt gibt es sozusagen dann 2 Aspekte, wenn man den Impfstoff bei alten Menschen anschaut. Der eine ist, dass wir diese Dauerentzündung haben. Und da wird vermutet, dass durch diese Dauerentzündung die Wirksamkeit von Impfstoffen nachlässt. Weil die einfach, das kann man sich so simpel vorstellen, da ist das Immunsystem sowieso schon ständig aktiviert, und dadurch schafft es der Impfstoff nicht, zusätzlich dann noch eine Aktivierung herbeizuführen, was nötig ist, damit man immun wird. Und die andere Richtung, die man aber auch im Auge haben muss, ist, dass die Immunzellen auch altern. So wie jede andere Zelle im Körper auch. Im Alter sehen wir schlechter und hören schlechter. Und auch unser Immunsystem wird schwächer. Und das führt dazu, dass man grundsätzlich auf Impfungen aus einem anderen Grund schlechter reagiert, einfach aufgrund einer


gewissen Erschöpfung des Immunsystems. Und jetzt müssen wir mal sehen, welcher Faktor da eine Rolle spielt. Also ich glaube, dass dieses Covid-19 für die ganze Impfstoffentwicklung und für das Verständnis von altersabhängigen Wirkungen bei Impfstoffen einen enormen Schritt nach vorne machen wird. Vielleicht verstehen wir sogar hinterher die ganze Influenza-Impfung, die uns ja immer noch plagt, besser. Es gibt so ein Projekt, wo ganz viele Nebeneffekte bei rauskommen, die insgesamt der Gesundheit der Menschen helfen können.


[0:2 8:41]



Camillo Schumann



Insgesamt gibt es ja 2 0 so aussichtsreiche Impfstoffkandidaten. Und die Bundesregierung hat ordentlich Geld in die Hand genommen. 750 Millionen Euro für ein Sonderprogramm zur Impfstoffentwicklung. Das Wirtschaftsministerium beteiligt sich zum Beispiel an CureVac mit 300 Millionen Euro. Auf EU-Ebene gibt es ja auch noch Impfstoffinitiative. Mit 2 30 Millionen Euro ist die Bundesregierung da dabei. So in ihren Augen, Herr Kekulé, tut die Bundesregierung das Richtige und genug, damit schnell viele Menschen geimpft werden?



Alexander Kekulé


Das ist eine schwierige Frage, weil wir nicht wissen, welches Pferd gewinnen wird am Schluss. Die Bundesregierung setzt hier auf deutsche Pferde erstmal und hofft, dass die das Rennen machen werden. Es wäre sicher eine falsche Entscheidung zu sagen naja, international gibt so viel Konkurrenz, da müssen wir jetzt nicht auch noch was machen, weil wir vielleicht sowieso nicht unter den Top drei landen werden. Ich glaube, dass es auf jeden Fall, auch wenn möglicherweise in einer der vielen anderen Kandidaten zuerst sozusagen durch die Ziellinie geht, und auf dieser Basis dann die Impfstoffe weltweit hergestellt werden, dann gibt es ja 2 wichtige Effekte. Das eine ist, dass es sicherlich nicht nur einen Impfstoff geben wird am Ende des Tages, sondern mehrere, die in Konkurrenz produziert werden. Da wird es dann vielleicht einen sehr guten und eine nicht ganz so guten geben. Aber es geht ja auch um Verfügbarkeit


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von diesen Impfstoffen. Deshalb ist es sicherlich sinnvoll, auch wenn man dann vielleicht den als dritten produzierten Impfstoff unterstützt hat, dass man da mit im Rennen ist. Der zweite Aspekt ist, dass die Bundesregierung natürlich dadurch, dass sie hier investiert und das Europa mitmacht, dadurch sichert man sich ja letztlich den Zugang zu den Impfstoffen, wenn sie dann da sind. Weil, da wird sicherlich ein Verteilungswettkampf geben, und dass man da sich beteiligt hat, auch mit sehr viel Geld. Da ist es auf jeden Fall ein gutes Argument. Und schließlich darf man nicht aus den Augen verlieren, dass es natürlich die europäische und deutsche Forschung einen enormen Schritt nach vorne bringt. Und das ist dann auf jeden Fall gut investiertes Geld. Man muss im Einzelfall gucken, dass man nicht aus Versehen Firmen fördert, also nur quasi innerhalb der Mauern einer bestimmten Firma das Geld des das Geld ausgibt, die quasi an der Börse und am Markt alleine keine Überlebenschancen hätten. Aber ich hoffe sehr, dass das Wirtschaftsministerium diese Frage geprüft hat und dass das das Geld zum großen Teil wirklich in die Forschung geht und nicht in strukturelle Dinge, die mit den Firmen dann zu tun haben.


[0:31:17]



Camillo Schumann



Wir müssen noch über eine Schlagzeile sprechen, über die vermutlich viele Tausende werdende Mütter gestoßen sind in den vergangenen Tagen und jetzt möglicherweise auch sehr verunsichert sind. Die Schlagzeile lautet: „Schwangere können Ungeborenes wohl im Mutterleib mit Coronavirus anstecken“. Also welche werdende Mutter macht sich nach so einer Schlagzeile keine Gedanken? Wir müssen deshalb mal kurz drüber reden, weil es ja auch ein Einzelfall war und die Umstände, die dazu geführt haben, ja auch betrachtet werden müssen. Aber mal so grundsätzlich, Herr Kekulé, was denken Sie, wenn Sie solche Überschrift lesen?



Alexander Kekulé


Ja, ich bin da vorsichtig, weil ich gehe, wie glaube ich die meisten Kinderärzte und Frauenärzte, einfach vom klinischen Bild aus. Und wir haben ja viele Beispiele, wo


Neugeborene infiziert wurden, wo kleinste Kinder infiziert wurden. Und es sieht so aus, als wäre das SARS-CoV-2  kein Virus, was jetzt insbesondere bei Kindern oder Schwangeren besonders gefährlich ist. Das sind zumindest bisher die Daten. Es kann natürlich sein, wenn man dann eine größere Zahl hat, dass sich das noch einmal ändert. Aber im Moment ist es nicht der Fokus, wo wir Angst haben müssen. Ja, und jetzt ist hier diese eine Studie aus Frankreich, die ist gerade veröffentlicht worden. Da hat man ein Neugeborenes gehabt, dass also positiv war auf SARS-CoV-2 . Das Kind wurde dann auch auf der Intensivstation behandelt, unter Sicherheitsbedingungen, dass es niemanden ansteckt.


[0:32 :44]



Camillo Schumann



In dem ganz konkreten Einzelfall aus Frankreich dort spielte, das sagen die Ärzte – bisher sei nicht sicher gewesen, ob Neugeborene, bei denen das Coronavirus nachgewiesen wurde, entweder bei der Geburt oder bereits im Mutterleib angesteckt wurden – und das sei nun klarer.



Alexander Kekulé


Hier hat man eben die Plazenta, den Mutterkuchen, genauer untersucht. Man hat wirklich festgestellt, dass nicht nur in dem Blutsystem des Kindes, sondern auch in den Zellen, die quasi auf der Seite des Kindes sind in der Plazenta. In der Plazenta gibt es quasi so eine Schranke zwischen mütterlichem und kindlichem Blutkreislauf. Und da hat man gezeigt, dass die Virusvermehrung auch stattgefunden hat, zumindest in der einen Arbeit ist das gezeigt worden, wenn es stimmt. Auf der Seite, die zum Kind gehört, zum Fötus gehört vor der Geburt. Und das ist natürlich schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass zumindest in den letzten Wochen der Schwangerschaft, vorher wahrscheinlich nicht, das Virus auf das Kind übergehen kann und dann auch im Kind sich vermehren kann. Wobei wir eben noch gar nicht wissen, ob das irgendwelche krankmachenden Konsequenzen hat.


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[0:33:49]



Camillo Schumann



Genau Sie haben es ja gerade eben gesagt, es war relativ spät zum Zeitpunkt der Schwangerschaft, und die Rahmenbedingungen waren auch sehr individuell. Und es ist ein Einzelfall. Also das ist sozusagen etwas, was man jetzt nicht anwenden kann und repräsentativ schon gar nicht. Und werdende Mütter müssen sich jetzt keine Gedanken machen.



Alexander Kekulé


Also zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Es ist ja so, dass werdende Mütter sowieso immer vorsichtiger sind, als, sage ich mal, die Durchschnittsbevölkerung, aus anderen Gründen. Und das mit gutem Grund dann. Man kann vielleicht folgendes zur Beruhigung sagen: Also alle Viren, von denen wir wissen, dass sie in der Schwangerschaft Schäden machen, also so typische Schäden beim ungeborenen Kind. Alle diese Viren machen Infektionen früh in der Schwangerschaft und dann typischerweise in der Weise, dass, wenn Organe noch entwickelt werden, dass sie da in dieser Entwicklung Störungen machen. Ob ein Virus, was dann spät in Schwangerschaft ein Kind infiziert irgendeinen Effekt hat, ist eigentlich gar nicht zu vermuten. Weil das gleiche Kind ist. Ja, wenn Sie so wollen, eine Minute nach der Geburt, dann eben kein Fötus mehr, sondern draußen ein eigener Mensch. Und da wissen wir ja, dass kleinste Kinder bei der Infektion durch dieses Virus natürlich geschädigt werden können, wie alle anderen auch. Aber dass diese Schäden einfach extrem selten sind. Sodass man sagen kann, ein Kind kurz vor der Geburt, ist eigentlich wahrscheinlich so ähnlich wie ein Kind kurz nach der Geburt. Und das heißt im Moment, kein Grund für Alarmismus.


[0:35:16]



Camillo Schumann



Wir kommen zu den Hörerfragen. Frau M. aus Magdeburg hat uns geschrieben:


„Ich sehe ständig Menschen, die ihren MundNasen-Schutz nicht über die Nase ziehen. Warum ist es eigentlich so wichtig, dass der Mund-Nasen-Schutz auch über die Nase


gezogen wird? Ist der Mundschutz wirklich wirkungslos, wenn die Nase frei bleibt?“



Alexander Kekulé


Das Wichtigste ist natürlich in Deutschland, dass das so vorgeschrieben ist. Mund und Nase müssen bedeckt sein. Medizinisch gesehen, ja jemand, der keine Schnupfen hat und der durch den Mund ausatmet. Also ich habe solche Geschichten schon gehört, dass Leute sagen: „Ja, ich atmete durch die Nase ein und durch Mund aus. Und das hilft mir, weil, wenn ich quasi arbeiten muss und keine Luft kriege durch diesen Mundschutz und durch die Nase einatmen kann, das ist für mich angenehmer.“ Wenn jemand das atemtechnisch draufhat, wird es natürlich schwierig zu erklären, warum der dann seine Umwelt gefährdet. Er würde höchstens natürlich selber, wenn ein Superspreader nebenan steht, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, von dem mal eine Viruswolke einzuatmen. Und durch die Nase kann man sich natürlich infizieren. Aber andersrum, wenn jemand hochinfektiös wäre und nur durch die Nase einund ausatmen würde, dann würde natürlich auch aus der Nase wahrscheinlich ein Teil des Virus abgeatmet. Ob das dann so viel ist, wie aus einem Mund, also, ich würde raten, eher weniger. Und zwar aus dem Grund, weil wir wissen, dass wenn wir Menschen schreien oder singen, das dann höchstwahrscheinlich besonders viele Viren abgegeben werden. Das kriegt man irgendwie durch die Nase nicht hin. Und der Weg ist auch so um die Ecke durch die Nase raus, sodass ich sagen würde ja, die Virusausscheidung wird wahrscheinlich reduziert, wenn man nur durch die Nase atmet und einen Mundschutz hat. Das ist dann so eine Sache. Also ich als Gesetzgeber würde auch sagen: Mund und Nase bedecken. Als nächstes rutscht das Ding dann aufs Kinn runter. Dann sagt jemand, naja, im Zweifelsfall, wenn ich es brauche, ziehe ich es schnell wieder hoch. Beim Ausatmen ziehe ich es immer hoch. Keine Ahnung, was dann als Nächstes kommt. Diese Dinge müssen ja auch irgendwie kontrollierbar sein. Und deshalb bin ich eigentlich dagegen, jetzt die Feinheiten so auseinanderzunehmen.


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[0:37:2 7]



Camillo Schumann



Okay, ich glaube, die die Antwort und was Sie sagen wollen, ist angekommen.


Herr Kekulé, ein Schiffsarzt hat uns geschrieben. Er möchte seinen Namen nicht nennen. Er schreibt:


„Ich arbeite im Bord-Hospital eines Kreuzfahrtschiffs. Nachdem alle Kreuzfahrten ausgesetzt wurden und nur noch die Crew an Bord verblieb, sollen nun bald wieder die ersten Fahrten mit Passagieren starten. Alle Reedereien haben neue Hygienekonzepte entwickelt, die beispielsweise beinhalten, dass vor dem Aufstieg die Temperatur gemessen wird, dass die Passagiere einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen müssen, dass es Abstandsregelung, vermehrte Desinfektion und eine Maskenempfehlung gibt. Wir Schiffsärzte und -ärztinnen sind uns aber weitgehend einig, dass dennoch ein wichtiger Faktor fehlt. Nämlich eine verpflichtende PCRTestung für alle Passagiere, die vor dem Aufstieg nicht älter als 48 Stunden sein darf. Damit bestünde zwar immer noch ein Restrisiko, aber es würde doch stark gemindert. Für die Crew ist ein solcher Test verpflichtend. Außerdem wird eine zweiwöchige Quarantäne an Bord verlangt von der Crew.“


Und jetzt die Frage.


„Wir Ärzte und Ärztinnen sorgen uns deshalb um die Gesundheit unserer Crew und halten es für unverantwortlich, den PCR-Test nicht zu verlangen. Allerdings haben die Hafenbehörden und das RKI die nicht Notwendigkeit des Tests abgenickt. Was halten Sie davon? Ganz kurz: Ich habe das RKI angefragt, ob diese PCR-Tests nicht verpflichtend empfohlen werden? Und die Antwort war, man wolle sich dazu nicht äußern.“


So jetzt ihre Antwort.


[0:38:56]



Alexander Kekulé


Naja, das RKI ist da vorsichtig, weil die sagen, zum Einzelfall äußern wir uns lieber nicht. Weil wir da nicht genau wissen, wie die Details sind. So ähnlich geht es mir natürlich auch. Über diesen einzelnen konkreten Fall kann ich nichts


sagen. Weil das kommt sehr darauf an, was für Hygienekonzepte man dann hat und Ähnliches. Man kann aber grundsätzlich sagen: Ein Kreuzfahrtschiff ist ein absoluter Hochrisikobereich, das wissen wir von konkreten Ausbrüchen. Das kann man auch theoretisch sagen. Das ist nicht ganz so schlimm, wie vielleicht eine Zerlege-Halle von der Fleischverarbeitung. Aber es geht in so eine Richtung. Das heißt also wir haben einen Hochrisikobereich. Wir haben Menschen, die da lange Zeit zusammen sind und dann auch fernab der medizinischen Versorgung betreut werden müssen. Ich bin der Meinung, dass man bei solchen Bereichen wirklich als letztes die Zügel lockern sollte, sondern dort erst mal anfangen sollte mit einem Sicherheitskonzept, was, wenn ich mal so sagen darf, mit Gürtel und Hosenträger arbeitet. Deshalb bin ich der Meinung, dass es sinnvoll ist, auf Kreuzfahrtschiffen wirklich die Menschen einmal zu testen, bevor sie an Bord gehen, so wie es mit der Crew ja auch gemacht wird.



Camillo Schumann



Und ganz kurz nach nachgefragt. Wenn die Passagiere dann an Bord sind, dann auch noch mal regelmäßig testen oder kann man, wenn man so einen Anfangstest hat, darauf dann verzichten?



Alexander Kekulé


Das kommt ein bisschen darauf an, wie lange die an Bord sind. Und was die dann machen. Wenn es so ist, dass man einmal einschifft und die die Personen sind dann im Prinzip alle gemeinsam, sage ich mal, eine Woche unterwegs und verlassen nach einer Woche wieder das Schiff, dann ist es meines Erachtens unkritisch. Wenn man natürlich so eine längere klassische Kreuzfahrt hat, wo dann nach vier Tagen noch Leute zusteigen, nach einer Woche noch einmal Leute zusteigen, wo Landurlaub zwischendurch ist, wo man auch das Schiff verlassen kann, paar Tage in der Stadt bleiben kann und mit dem nächsten weiterfährt und Ähnliches: Dann ist es durchaus sinnvoll, das zu wiederholen. Ich würde sagen, so einmal die Woche vielleicht, die Tests zu wiederholen. Klar ist es so, dass diese Tests keine hundertprozentige Sicherheit bieten, aus verschiedenen Gründen. Das eine wird ja auch


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immer gesagt, es könnte ja jemand gerade in der Inkubationsphase sein. Und in der Phase, wo der Test noch nicht positiv ist. Also wird negativ getestet. Am Tag ist er positiv. Das Argument ist auch vorgebracht worden, als ich immer plädiert habe für die Einreisekontrollen, die inzwischen ja zum Glück eingeführt werden. Der ist dann immer gesagt worden: Ja, das Argument zählt für mich nicht, weil es ist ja so, wenn Sie einen Teil der Menschen nicht erwischen, dann haben wir hier in der Situation einfach einen von 100 Infizierten oder so, die Ihnen durch die Lappen gehen. Das ist immer noch viel besser, als alle durchzulassen, die infiziert sind. Und deshalb glaube ich, dass man in so einer Kreuzfahrtsituation keine Sicherheit schafft. Man muss trotzdem die Abstandsregeln und so weiter beachten. Aber dass man die Sicherheit deutlich erhöhen kann, indem man die Person, bevor sie an Bord geht, getestet hat.


[0:41:54]



Camillo Schumann



Das zu den Kreuzfahrtschiffen. Diese Dame hat angerufen und eine sehr konkrete Frage zu UVC-Lampen.


„UVC-Lampen sollen in Flughäfen, Boutiquen, Supermärkten usw. die Verbreitung des Virus vermeiden. Ich bin da sehr skeptisch und würde gerne Ihre Einschätzung haben, vielen Dank.“


Ja, diese Dame ist skeptisch. Sie auch?



Alexander Kekulé


Ja, also, so grundsätzlich funktioniert das nicht. Da wird viel Geld gemacht oder das versucht, im Moment. Das Problem bei diesen ganzen Lampen ist oder Inaktivierungssystemen ist immer das Gleiche. Sie haben ein System, wenn sie da Luft durchleiten mit Viren drin, und diese Luft direkt an einer, zum Beispiel UVC Röhre vorbeigeht, also an einer Leuchtstoffröhre, die einen starken Anteil von ultraviolettem Licht hat, was natürlich Viren abtöten kann. Ja, dann haben sie in der Luft, die dort behandelt wurde, vielleicht 99,9 % der Viren abgetötet. Aber wenn jetzt nur 0,1 %der Raumluft dadurch geleitet wurden, dann ist das ein Effekt, der eigentlich nichts bringt. Sodass das ganze Problem immer das Gleiche


ist: gleichmäßig den ganzen Raum sozusagen immer wieder an diesem Inaktivierungsgerät vorbeizuleiten. Und da können Sie sich den Kopf zerbrechen. Das ist wahnsinnig schwierig. Das wird für OPs ja versucht, genau mit solchen Techniken. Da müssen Sie wirklich sehr, sehr viel Geld in die Klimatechnik investieren. Damit das eine gleichmäßige Verdrängungslüftung gibt, wo am Ende des Tages das die frisch zugeführte Luft immer an der UV-Lampe vorbeigeht. Also ich, ich glaube, das ist so für den Alltag, wo man Menschen hat, die sich bewegen und die dadurch natürlich auch die Luft verquirlen ständig, und wo man natürlich die Räumlichkeiten nicht mit wahnsinnig viel Geld mit Lüftungstechnik ausstatten kann. Ich glaube, für den Alltag ist so was ungeeignet.


[0:43:44]



Camillo Schumann



Dann hat Herr C. uns gemailt und geschildert, wie er sich vor dem Virus schützt. Wenn er Durchgangsverkehr hat, also ihm sozusagen jemand entgegenkommt und er keine Maske auf hat, hält er einfach die Luft an. Bringt das was, die Luft anzuhalten?



Alexander Kekulé


Ja, also ja, wenn sie in dem engen Treppenhaus sind und Ihnen kommt jemand hustend die Treppe entgegen und Sie können nicht ausweichen. Dann würde ich versuchen, dem nicht ins Gesicht zu sehen, aus kürzerem Abstand. Jetzt sage ich mal ganz ehrlich, Luftanhalten ist eine naheliegende Idee. Das sollte man aber dann auch ein paar Schritte länger machen. Weil der ja wahrscheinlich schon einen längeren Weg zurückgelegt hat in diesem Treppenhaus. Und so ein paar Sekunden halten sich die Viren dann schon in der Luft. Also, wer länger die Luft anhalten kann, viel geübt hat beim Apnoetauchen ist da klar im Vorteil.



Camillo Schumann



Also Luftanhalten und dann nicht vergessen, wieder zu atmen. Herr Kekulé, wir sind am Ende von Ausgabe 84. An dieser Stelle mal der Hinweis an alle Hörer dieses Podcasts, die gerade im Urlaub sind. Egal, wo sie unterwegs sind: Schreiben Sie uns doch mal, wie an ihrem


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Urlaubsort Hotel etc. mit diesen Abstandsund Hygieneregeln umgegangen wird, auf welche vielleicht kreative Lösung Sie in Ihrem Urlaub gestoßen sind, oder vielleicht wo, was richtig schiefläuft. Schreiben Sie uns. Das würden wir gerne mal besprechen hier im Podcast.


Herr Kekulé, vielen Dank. Wir haben uns dann am Donnerstag wieder.



Alexander Kekulé


Danke Ihnen, bis dann, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2  00.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Samstag, 18.07.2 02 0 #83 Hörerfragen-SPEZIAL



Camillo Schumann

, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



Camillo Schumann



Samstag 18. Juli 2 02 0. 1. Welche Bedeutung hat die Spezifität bei sinkenden Fallzahlen und was ist das? 2 . Machen Masken vielleicht krank? 3. Viele Fragen zu Aerosolen, Büros, Zahnarztbesuchen, etc.


Mein Name ist 

Camillo Schumann

. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Die kompetenten Antworten kommen vom renommierten Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.



Camillo Schumann



Wir beginnen mit Frau F.: Sie hat uns gemailt und will wissen: „Ist eine Neuinfektion 2 -3 Tage nach dem Infiziert-Werden schon im Test nachweisbar?


[0:01:53]



Alexander Kekulé


Typischerweise nicht, nein. Wir gehen davon aus, dass der Test in der Regel am Tag vor dem Ausbruch der Symptome positiv wird. Der typische Tag, an dem die Symptome ausbrechen, ist der 5. Tag. Das kann sicherlich schwanken. Es gibt einzelne Fälle, wo schon am 2 .-3. Tag Symptome auftraten. Und man weiß, dass es in Extremfällen auch 14 Tage gedauert hat. Oder noch länger in Einzelfällen. Aber typisch wäre,


dass der Test am 4. Tag positiv wird und man am 5. Tag Symptome hat.


[0:02 :16]



Camillo Schumann



Herr A. hat folgende Frage per Mail gestellt: Es geht um den schönsten Tag im Leben. „Unsere mit 100 Gästen geplante Hochzeit haben wir im Mai coronabedingt absagen müssen. Und nun zunächst auf Ende Oktober verschoben. In NRW, wo die Feier stattfinden soll, sind zzt. private Veranstaltungen mit bis zu 50 Gästen erlaubt. Mal angenommen, die Grenze wird bis Oktober auf 100 Teilnehmer erhöht. Würden Sie uns raten, eine Feier in diesem großen Rahmen stattfinden zu lassen? Falls ja, welche Schutzmaßnahmen sollten wir beachten? Viele Grüße.


[0:02 :01]



Alexander Kekulé


Wenn es im Sommer ist und man viel im Freien stattfinden lassen kann und wenn es keine Bereiche gibt, wo sich die Leute wahnsinnig knubbeln ... Es ist immer das Problem bei Hochzeiten. Man muss in Kauf nehmen, dass Menschen miteinander tanzen, die sich vorher nicht kannten und sich dabei infizieren. Als Veranstalter kann man den Gästen empfehlen, sich testen zu lassen. In Bayern kann man das angeblich umsonst machen. Oder man sagt, man schützt die älteren Menschen besonders. Man nimmt sie raus, damit sie nicht so viel Kontakt zu den anderen haben. Man wird sich für so eine Veranstaltung, so, wie für öffentliche Veranstaltungen, ein Hygienekonzept überlegen müssen. Wenn man das macht, glaube ich, kann man das durchaus durchführen.


[0:03:05]



Camillo Schumann



Jetzt ist die Hochzeit Ende Oktober. Ist es nicht gerade ein goldener Herbst, wird die Veranstaltung in geschlossenen Räumen stattfinden. Bei 100 Personen, Sie sprachen über die älteren Gäste, sollte man die abends separieren? Oder eher nach Hause schicken?


[0:03:2 2 ]



Alexander Kekulé


Also, das ist jetzt echt schwierig. Wir wissen ja noch nicht, wie dann das Infektionsgeschehen


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drumherum ist. Wenn das wirklich im geschlossenen Raum stattfindet und keine Riesen-Halle ist ... Bei 100 Leuten ist es netter, wenn man nicht einen zu großen Raum hat. Da muss man ganz klar sagen, da kann ein SuperSpreader so eine Hochzeit zu einem nachhaltig negativen Erlebnis machen. Wie groß die Gefahr in der Region dann ist, wo die Veranstaltung stattfindet und wie groß das Risiko durch die Gäste ist, kommt darauf an, wer da alles kommt. Also, wenn man internationale Freunde hat, die aus der ganzen Welt einreisen, oder aus ganz Deutschland zusammenkommen; das ist ja häufig bei Hochzeiten der Fall. So hat man viele Risikogebiete dabei. Großstädte sind eher gefährdet als das Land. Wenn aber nur Leute von 2 Nachbardörfern in der Provinz feiern, mit Angehörigen aus der Gegend, dann ist das Risiko deutlich niedriger. In dieser Dimension muss man sich das Risiko überlegen. Man muss sich überlegen, ob man das machen will oder nicht. Keiner weiß, wie bis dahin die Situation ist. Zzt. haben wir in Deutschland ein paar hundert registrierte Fälle pro Tag. Das ist wirklich wenig und auf dem Niveau wäre es vielleicht etwas übertrieben, eine Hochzeit abzusagen. Aber wir wissen nicht, wie das bis Ende Oktober aussieht.


[0:04:51]



Camillo Schumann



So, eine besorgte Lehrerin hat uns angerufen. Herr Kekulé, hören Sie genau hin. Sie erzählt nämlich eine kleine Geschichte.


[0:04:58]


Anruferin


Ja, Grüß Gott, ich bin Lehrerin und wollte mich erkundigen. Bei uns an der Schule wurde bei einem Vater einer Schülerin ein positiver Corona-Test gemacht. Und diese Schülerin befand sich dann, bzw. befindet sich, 2 Wochen in Quarantäne und alle Mitschüler und andere Lehrer, die mit ihr Kontakt hatten, auch. Jetzt gab es Prüfungen, und das Gesundheitsamt hat ihr erlaubt, dass sie mit 2 Meter Abstand an den Prüfungen teilnehmen kann. Weil bei ihr 2 Tests negativ waren. Allerdings ist sie nach wie vor mit ihren auf Vater in der Familie. Ich finde das verantwortungslos, ich wäre sehr dankbar über


eine konkrete Info, insbesondere, wie das Gesundheitsamt das zulassen kann.


[0:05:48]



Camillo Schumann



Finden Sie das auch verantwortungslos, wie das Gesundheitsamt da entschieden hat?


[0:05:52 ]



Alexander Kekulé


Wenn sie vorher getestet wurde und das negativ war, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert unmittelbar vor der Prüfung wieder positiv geworden ist, nicht sehr hoch. Und jemand, der kein Virus ausscheidet, kann auch niemand anders anstecken.


[0:06:05]



Camillo Schumann



Und der Vater: es sind ein paar Wochen ins Land gegangen. Da dürfte der Vater doch eigentlich auch über einen Berg sein und in der Familie eigentlich die Infektion, respektive Krankheit, auch überstanden worden sein. Oder?


[0:06:16]



Alexander Kekulé


Also, davon muss man erst mal ausgehen. Ich gehe davon aus, dass das Gesundheitsamt hier schon dafür gesorgt hat, dass zum Beispiel der Test richtig gemacht wird. Klar, man muss sagen, wenn so ein Abstrich schlampig gemacht wird und man da nicht so viel Material drauf hat, kann es schon mal passieren, dass der falsch-negativ ist. Aber die wird ja dann auch nicht mit ihrem durchgemachten Covid19 direkt Gesicht zu Gesicht mit den anderen Prüflingen sitzen. Man kann ja ein bisschen Abstand halten. Also ich halte das durchaus für verantwortbar, wenn da die Tests gemacht wurden.


[0:06:49]



Camillo Schumann



2 Meter Abstand, das hat die Lehrerin ja gerade eben geschildert. Da dürfte ja dann alles auf der sicheren Seite sein. Frau G. fragt sich, ob Masken krank machen könnten. Sie schreibt, eine Supermarktverkäuferin hat ihr heute ihr Leid geklagt. Durch die dauernden Masken habe sie eine schlimme Nebenhöhlenentzündung bekommen. War


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richtig krank. Ihr HNO-Arzt habe auch gemeint, über viele Stunden mit der Maske atme man die eigenen Keime wieder ein. Und die ausgeatmete Luft. Und man schadet sich mehr, als sich zu nutzen. Sehen Sie das auch so?


[0:07:2 4]



Alexander Kekulé


Nein, man schadet sich nicht mehr, als man sich nützt, weil die Maske insgesamt ja vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung schützen soll. Also, der Grund, die Indikation, wie wir sagen würden, ist natürlich da. Man muss aber andererseits überlegen, was kann man machen, damit die Nebenwirkungen von solchen Masken, die bei manchen Leuten einfach vorhanden sind, damit die möglichst wenig werden. Und dazu gehört auf jeden Fall, dass man eine Maske, die irgendwie langsam alt und gammlig wird, nicht mehr benutzt. Austauscht, oder wenn sie waschbar ist, wäscht und das regelmäßig macht. Weil man eben natürlich verhindern muss, dass sich da Bakterien darauf sammeln, die man ständig wieder einatmet.


[0:08:03]



Camillo Schumann



Herr oder Frau P. hat geschrieben: „Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, Chorsingen bleibt problematisch. Aber könnten Sie sich vorstellen, dass eine Chorprobe, indoor, mit Abstand und Lüftung gefahrlos möglich wäre? Wenn, und jetzt kommt es, alle Mitglieder eine FFP3-Maske mit Ventil tragen würden? Ich habe das einmal ausprobiert, und der Klang der Stimme ist deutlich besser als mit Mund-Nasen-Schutz oder FFP2 -Maske ohne Ventil. Wenn das möglich wäre, wie häufig könnte so eine Maske benutzt werden?“ Also, singen mit FFP3-Maske?


[0:10:47]



Alexander Kekulé


Also, das habe ich noch nicht ausprobiert. Also, Saxofon spielen geht definitiv nicht. Aber ja, jetzt mal angenommen, dass das mit dem Singen Sinn macht. Das hätte ich nicht erwartet. Dann würde man natürlich sagen: Dadurch, dass alle so eine Maske aufhaben ... Selbst wenn es ein Ausatmungs-Ventil gibt, ist


die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Aerosol produziert, was die anderen einatmen, extrem gering. Man kann den Abstand zusätzlich einhalten. Vielleicht wäre das tatsächlich ein Weg, die Chorproben zu retten. Klingt vielleicht ein bisschen wie mit dem Schalldämpfer im Gesicht oder Ähnliches. Aber warum nicht? Da würde ich mich sogar dafür interessieren, wie das Ergebnis ist. Jetzt nicht virologisch. Da glaube ich, es ist derjenige auf der sicheren Seite, wie es klingt. Vielleicht kann man mal ein Tonbandgerät mitlaufen lassen, heutzutage zeichnet ja jedes Smartphone schon Ton auf. Einmal mit und einmal ohne Maske. Das würde mich wirklich interessieren, ob man das allgemein empfehlen kann.


[0:09:38]



Camillo Schumann



Also, Herr oder Frau P., schmeißen Sie mal das Handy an bei der nächsten Chorprobe und schicken Sie uns mal ein Audio-Beispiel, wie es dann klingt, einmal mit und einmal ohne FFP3Maske. Wir sind sehr, sehr gespannt. Und werden das im Podcast dann mal aufführen.


Frau M. ist 67 Jahre alt, chronisch herzkrank. Sie meidet Veranstaltungen oder Gasthausbesuche, und sie geht nur mit FFP3Maske und zusätzliche Arbeitsschutz-Brille in Einkaufsläden. Auch, wenn in unserem Landkreis Nordhausen-Nordthüringen seit Wochen null Neuinfektionen sind, schreibt sie. Wie oft darf ich eine FFP2 /3-Maske tragen? Ab wann ist sie zu alt?


[0:10:19]



Alexander Kekulé


Ich finde, das wichtigste Kriterium ist, wenn man merkt, dass es beim Atmen einen stärkeren Atemwiderstand gibt. Das merkt man dann richtig, dass es so schwerfällig ist, schwergängig wird, weil ja das Filtermaterial ganz natürlicherweise langsam mit Staub und irgendwelchen Ausscheidungen zu ist. Und sobald man merkt, dass das anstrengender wird zu atmen, würde ich sie auswechseln. Nicht nur, weil da natürlich auch Schmutz drin ist, sondern weil es schlecht für die Lunge ist, ständig gegen den Widerstand an zu atmen.


3


[0:10:48]



Camillo Schumann



Sie schreibt außerdem: „Halten Sie die zusätzliche Schutzbrille für unnötig oder sinnvoll für Hochrisikopartien?


[0:10:56]



Alexander Kekulé


Ich glaube, die Schutzbrille ist vor allem wichtig in einer Situation, wo man mit vielen gefährlichen Ausscheidern zu tun hat. Sprich im Krankenhaus. Sie mag auch mal in einer Situation sinnvoll sein, wo man es beispielsweise im Altersheim oder in einer ähnlichen Situation mit Risikopatienten zu tun hat. Die bei bestimmten Prozeduren geschützt werden sollen. Ich glaube, im Alltag jetzt inzwischen ... Früher hätte ich gesagt, doppelt hält besser. Aber jetzt im Moment haben wir so wenig Fälle in Deutschland, dass ich glaube, dass man in der normalen Situation die Schutzbrille nicht braucht. Es gibt aber natürlich Situationen, wo man einen engen Kontakt, auch Face-to-Face, nicht vermeiden kann. Ich denke da immer an das Einsteigen und Aussteigen im Flugzeug und auch Gedränge im Zug. Bevor man sich hinsetzt. Da werden die Menschen ja zum Teil immer unvorsichtiger. Und wenn man weiß, dass die anderen so unvorsichtig sind und man damit rechnen muss, dass einen jemand aus nächster Nähe anspricht und einem ins Gesicht spricht, der muss ja gar nicht husten oder Ähnliches. Dann ist es natürlich, zusätzlich eine Brille aufzuhaben, eine weitere Sicherheit.


[0:12 :08]



Camillo Schumann



Der User L. hat unter #fragkekule bei Twitter folgende Frage gestellt: „Bei sehr geringen Fallzahlen spielt die Spezifität von Tests eine immer größere Rolle und verursachte einen Großteil der positiven Tests. Und das, obwohl diese Leute eigentlich Covid19-negativ sind. Wie wird diesem Problem begegnet? Vielleicht erst mal eine kurze Erklärung zu Spezifität/Sensitivität bei Tests?


[0:12 :32 ]



Alexander Kekulé


Naja, die Spezifität heißt, ob der Test das erkennt, was er erkennen soll. Also, unter


Laborbedingungen nimmt man dann ein paar positive und negative Proben und guckt, wie oft werden die positiven erkannt. Und wie oft gibt es welche, die als positiv erkannt werden? Aber falsch-positiv sind. Also, je weniger falschpositive man hat, desto höher ist die Spezifität. Der Test ist dann sozusagen spezifisch für das, was er nachweisen will. Und der andere Parameter, der immer eine Rolle spielt, bei diesen Tests ist die Sensitivität. Das heißt das Umgekehrte. Wie oft erkennt er einen Positiven nicht? Wie viel Positive gehen dem Test durch die Lappen? Wie sensibel ist er sozusagen, wie sensitiv ist er? Beide Werte sind ein wichtiger Labor-Hinweis darauf, was ein Test so leistet. Aber in der praktischen Situation hängt es davon ab, wie die Hintergrund-Aktivität ist. Also, wie viele Positive habe ich überhaupt in meiner Gruppe, die ich da untersuche. Da sprechen wir dann vom positiven Vorhersagewert oder vom negativen Vorhersagewert. Der positive Vorhersagewert wäre die Situation, wo wir sagen, wie wahrscheinlich ist es, dass einer, der mehr im Test positiv ist, also der positiv angezeigt wird, dann tatsächlich auch positiv ist. Aus einer bestimmten Stichprobe, in einer bestimmten Situation. Und da kommt es natürlich auf die auf die Hintergrund-Aktivität an. Das weiß aber jedes Labor. Diese Faktoren, positiver Vorhersagewert und negativer Vorhersagewert, das wird jedes Mal mitberücksichtigt. Wir wissen, dass in einer Situation, wo ganz viele Menschen krank sind, man die Testergebnisse unter Umständen anders beurteilen muss, als in einer Situation, wo man nur ganz, ganz wenige Positive in einem Riesen-Hintergrund von Negativen hat. Aber das wissen die Labore. Das berücksichtigen sie bei ihren Auswertungen.


[0:14:2 7]



Camillo Schumann



Und das ist ja genau das, was der User meint. Dass es immer weniger Fallzahlen sind und somit der Anteil der positiven Tests, ins Verhältnis gesetzt, mehr wird. Und wie diesem Problem begegnet wird.


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[0:14:40]



Alexander Kekulé


Also, dem kann man nicht begegnen. Dann bräuchte man eine andere Spezifität und eine andere Sensitivität der Tests. Und die sind, wenn ich mal so sagen darf, hardware-mäßig. Die Tests als solche sind evaluiert im Labor und haben so ihre Grenzen. Da gibt es unterschiedliche Qualität. Und man kann grundsätzlich sagen, dass wenigerleistungsfähige Tests in einer Situation, wo man nur ganz wenige Nadeln aus dem Heuhaufen fischen will, natürlich oft Fehler machen. Und sehr gute Tests, diese PCR, die wir anwenden, machen auch bei ganz seltenen Diagnosen kaum Fehler. Aber das spielt bei uns in diesem Bereich noch keine Rolle. Weil wir ja fast immer die PCR nehmen, die ja eigentlich fast Goldstandard sind bei der Diagnostik von Covid19. Das würde dann eine Rolle spielen, wenn wir umschwenken würden auf Do-ityourself-Schnelltests. Diese AntigenSchnelltests, für die ich ja immer Werbung mache, dass man die zu Hause macht. Die sind nur dann zuverlässig, wenn man einen relativ hohen Hintergrund hat. Also, wenn relativ häufig diese Infektionen vorkommen. Wenn man eine ganz seltene Krankheit nachweisen will, dann ist so ein Antigen-Schnelltest, der häufig auch mal falsch ist, nicht der richtige. Aber wir sind ja hier in der pandemischen Situation. Und deshalb kommt es da im Moment noch nicht so sehr darauf an.


[0:16:01]



Camillo Schumann



Diese sportliche Dame hat uns angerufen.


[0:16:04]


Anruferin


Ich habe eine Frage. Ich schwimme jeden Tag im Freibad. Ich bin 70 und Risikopatientin. Aber sehr fit. Ich schwimme ein paar tausend Meter. Ich habe ein Problem mit der Warmdusche. In dem kleinen, geschlossenen Raum dürfen nur 2 Personen gleichzeitig duschen. Es gibt aber keine Lüftung, es ist ein geschlossener Raum. Ohne Fenster. Man kann nicht lüften. Wie ist das mit den Aerosolen? Ist das für mich gefährlich? Das würde mich total interessieren, ich habe die Frage schon öfter gestellt. Ich


weiß, ich bin nicht die einzige. Aber leider habe ich noch keine Antwort bekommen.


[0:16:53]



Camillo Schumann



Aber heute ist der Tag, an dem Sie Ihre Antwort bekommen.


[0:16:58]



Alexander Kekulé


Ja, es ist so, dass in einer Duschkabine tatsächlich die Dusche, wenn die dann eine Weile läuft, diese Aerosole auch aus der Luft rauswäscht. Das sind ja im Wesentlichen auch kleine Tröpfchen, die herumfliegen. Und egal, ob das jetzt ein echtes Aerosol, also, Nebel ist, oder ob das kleine Tröpfchen sind, die im Prinzip zu Boden fallen würden. Beides wird durch die Dusche nach einer gewissen Zeit rausgewaschen. Jetzt kommt es natürlich auf die Größe der Kabine an. Darauf, wie lange die Dusche gelaufen ist und wie lange es her ist, dass der letzte Infizierte da drin war. Und wie viel Virus derjenige jeweils ausgeschieden hat. Aber ich würde mal davon ausgehen, wenn es der vorletzte war, oder der letzte Benutzer, vielleicht länger als zehn Minuten niemand in der Kabine war. Und die Dusche ja mehr oder minder die ganze Zeit läuft in so einem Schwimmbad. Dann gehe ich davon aus, da sind die Aerosole weg. Oder mit anderen Worten, die einzige Chance, sich anzustecken, wäre wahrscheinlich, wenn direkt derjenige, der sie vorher benutzt hat, positiv war. Und große Mengen Viren ausgeschieden hat, in dem Moment vielleicht noch unter der Dusche gesungen hat. Also, das ist nicht sehr wahrscheinlich.


[0:18:04]



Camillo Schumann



Herr A. hat eine Fensterbaufirma, macht sich Sorgen. In unserem Unternehmen arbeiten 18 Mitarbeiter im Büro. Wir haben die für uns machbaren Hygienemaßnahmen umgesetzt. Insbesondere achten wir auf Abstand. Sorgen macht mir der kommende Herbst. In dieser Jahreszeit sinkt die relative Luftfeuchte in den Büros auf weniger als 30%. Ich weiß, dass allgemein nicht gut für die Schleimhäute ist. Hilft es, wenn wir die Büroräume mit


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Luftbefeuchtern ausstatten, die natürlich keine Virenund Bakterienschleudern sein dürfen? Worauf ist zu achten?


[0:18:35]



Alexander Kekulé


Sehr gute Frage. Das haben sich Virologen seit vielen Jahren auch gefragt. Und es gibt viele Untersuchungen dazu, ohne sauberes Ergebnis. Rein theoretisch ist es so, dass die trockene Luft in den geschlossenen Räumen im Winter ein Faktor ist für die Weiterverbreitung von Atemwegserkrankungen ist. Das gilt nicht nur für Covid19, sondern auch für viele andere. Bei Influenza ist das natürlich untersucht worden, allgemeinen Erkältungen. Und da gab es schon oft die Idee, was wäre denn, wenn wir die Luftfeuchtigkeit einfach erhöhen, indem wir da so einen Vernebler reinstellen? Einen Luftbefeuchter reinstellen. Es gibt keine Studie, die belegt hat, dass dann die Infektionswahrscheinlichkeit sinkt. Obwohl es rein theoretisch so sein sollte. Da kann man durchaus noch Experimente machen. Ich glaube, ganz grundsätzlich ist die Überlegung, zu sagen, trockene Luft schadet meiner Schleimhaut und führt unter Umständen dazu, dass ich häufiger Erkältungen habe, egal, ob es Covid19 oder etwas anderes ist ... Diese Überlegung ist eigentlich schon ein Grund dafür zu sorgen, dass die Luftfeuchtigkeit in einem angenehmen Bereich ist. Also, ich würde sagen, über 40% relativ sollte sie auf jeden Fall sein, auch im Winter. Und wenn das deutlich darunter ist, dann ist meines Erachtens das durchaus überlegenswert. Ob man da nicht Luftbefeuchter reinstellt. Bei denen man das hat, das hat der Hörer hier richtig gesagt: Die muss man natürlich entsprechend warten und aufpassen, dass das keine Bakterienschleuder oder Pilzschleuder wird. Aber, wenn man das Ding richtig bedient, dann ist es, glaube ich, sinnvoll, Luftbefeuchter zu haben.


[0:2 0:08]



Camillo Schumann



Diese Dame hat angerufen, sie muss mal wieder zum Zahnarzt, traut sich aber nicht.


[0:2 0:13]


Anruferin


Ich bin 67 Jahre und habe ziemliche Angst, zum Zahnarzt zu gehen. Weil das ja hautnah ist. Wie gefährlich ist das für mich als Patientin? Dankeschön, auf Wiederhören.


[0:2 0:2 6]



Camillo Schumann



Der Klassiker eigentlich, die Zahnarztfrage.


[0:2 0:2 8]



Alexander Kekulé


Na, die Zahnarztfrage. Erstens bin ich dafür, das Praxispersonal regelmäßig untersucht werden muss. Danke für die Frage, kann ich der an der Stelle noch einmal sagen. Wir machen das ja auch in den Krankenhäusern. Es ist so, dass in vielen Kliniken inzwischen das Personal in regelmäßigen Abständen untersucht wird. Einfach, weil die ständig engen Kontakt zu den Patienten haben. Und das ist ja total naheliegend. Aber davon abgesehen ist es natürlich auch so, dass das Zahnarztpersonal ja schon vor Covid19 ganz viel Erfahrung hatte mit Infektionskrankheiten. Da gibt es ja ganz viele Dinge, die in einer Zahnarztpraxis eine sehr, sehr große Rolle spielen, auch in der Ausbildung. Wir machen ja so eine Ausbildung in Halle zum Beispiel auch für die Zahnmedizinstudenten. Da machen wir die mikrobiologische Ausbildung und die lernen wirklich ganz genau, wie man Hepatitis, wie man andere Infektionen aller Art verhindern kann und vermeiden kann, dass das weitergegeben wird in der Praxis. Und da ist jetzt Covid19 nicht so eine große Ausnahme. Das heißt, das Praxispersonal hat ja Mundschutz auf, hat einen Handschuh an, wenn es im Mund tätig ist. Und natürlich werden diese ganzen Instrumente akribisch desinfiziert und zum Teil sogar sterilisiert, die man da benutzt. Und deshalb gehe ich davon aus, dass eine gutgeführte Praxis, die ja alle wissen, dass dieses Problem im Raum steht, hier keine Infektion verursacht.


[0:2 1:48]



Camillo Schumann



Also gehen Sie zum Zahnarzt. Nicht, dass es noch schlimmer wird.


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Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Herr F. schrieb uns: „Ich spiele leidenschaftlich gern Tennis und der Handshake nach dem Spiel gehört für mich einfach zu einem guten Match dazu. Ich finde es unbedenklich, den Handshake durchzuführen. Zumal wir an jedem Platz Desinfektionsmittel stehen haben und uns danach sofort die Hände desinfizieren. Wie ist Ihre Meinung?“


[0:2 2 :12 ]



Alexander Kekulé


Ja, also. Ganz ehrlich gesagt, ja, ich finde das auch. Da haben Sie mich sozusagen erwischt. Ich will jetzt nicht die offiziellen Empfehlungen hier irgendwie infrage stellen. Aber es ist natürlich so, wenn man sich die Hand geben würde: Wir kennen alle die berühmte Situation, wo die Bundeskanzlerin ihrem Innenminister nicht mehr die Hand geben wollte. Bei einer Kabinettssitzung also, wenn die sich die Hand gegeben hätten und gleich danach desinfiziert hätten, dann wäre alles in Ordnung. Man kann auch Händewaschen. Desinfizieren muss man nicht. Aber das sollte man dann schon diszipliniert machen. Das heißt also, keine Schlampereien an der Stelle einführen, sondern wirklich, wenn man sich die Hand gegeben hat, nicht ins Gesicht fassen, nichts essen, sondern als nächstes, bevor man sich selbst ins Gesicht fasst oder was isst, wirklich die Hände waschen.


[0:2 3:01]



Camillo Schumann



Das war Kekulés Corona-Kompass HörerfragenSPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 2 1. Juli wieder. Bleiben Sie gesund.


[0:2 3:11]



Alexander Kekulé


Sie auch, Herr Schumann. Schönes Wochenende.


[0:2 3:11]



Camillo Schumann



Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns


unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 3002 2  00. Vielleicht wurde Ihre Frage schon beantwortet. Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass finden Sie als Podcast auf mdr-aktuell.de, in der ARD-Audiothek, auf Youtube und überall, wo es Podcastst gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Mittwoch 03. Juni.


Tim Deisinger (Moderator)


Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:


Zoff im Virologen-Olymp. Was ist dran an der Bild-Kritik an Christian Drosten? Ist das eine gezielte Medienkampagne, sekundiert von anderen Wissenschaftlern? Darf einer Konzepte für die PandemieBekämpfung machen, der selbst nicht mehr an Viren forscht.


Dann: Alle machen sich frei von Masken, viele zumindest frei von allen Abstandsregeln. Trotzdem gehen die Corona-Fallzahlen nach unten. Haben wir es vielleicht doch bald überstanden?


Und Trumps Kritik an der Weltgesundheitsorganisation. Hat er Recht. Ist die WHO eine Marionette Chinas, die die Pandemie aber hätte verhindern müssen und können?


Wir wollen helfen, aktuelle Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus zu verstehen und einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen.


Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir ein, wie immer beim renommierten Virologen und Epidemiologen 

Alexander Kekulé.


Guten Tag, Herr Kekulé!



Alexander Kekulé


Hallo, Herr Deisinger!


Tim Deisinger


Zum großen Virologen-Streit, wenn er denn überhaupt einer ist, kommen wir im Verlauf des Podcasts. Aber wir müssen vielleicht erst einmal über das Wetter reden. Und das, was es mit den Menschen derzeit macht, da sie ja täglich mit dem Virus umgehen müssen. Und mit all den Einschränkungen, die damit verbunden sind. Und die Menschen, die auch umgehen müssen, damit, dass viele sich nicht mehr an die Beschränkungen halten, bzw., dass immer weiter gelockert wird. Dass eigentlich alles fast schon so ist wie vor Corona-Zeiten. Nehmen wir mal das, was derzeit los ist, also, was man draußen am besten beobachten kann. Man steht da wieder in Gruppen zusammen. Abstand ist das Gebot, das viele nicht mehr kennen. Wenn Sie das so sehen, Herr Kekulé: Wird Ihnen da ein bisschen mulmig.


3 [0:01:58] :



Alexander Kekulé


Ehrlich gesagt ja. Also ich war gerade in Berlin und habe da so erlebt wie da so das Leben ist. Das geht ja schonmal so los, dass man in vielen Gebäuden die Masken gar nicht mehr aufhaben muss. Ich glaube, in den Cafés ist sowieso die Maskenpflicht abgeschafft, auch in geschlossenen Räumen. Und ich mache mir also nicht so sehr Sorgen für draußen. Es ist ja, ich glaube inzwischen relativ deutlich, dass aus meiner Sicht man draußen kaum Infektionsgefahr hat. Da muss man sich wirklich direkt ins Gesicht sprechen aus kurzem Abstand, damit das eine Rolle spielt oder mal so eine seltene Schmierinfektion abbekommen. Aber in geschlossenen Räumen ist es natürlich so: Wenn da das Gleiche passiert, wie das, was wir auf der Straße sehen, dann ist das ein Risiko, dass es einfach lokale, einzelne Ausbrüche wieder gibt. Und auch das Risiko, dass die Behörden dann natürlich so etwas Ähnliches wie einen kleinen Lockdown wieder neu verfügen.


2  [0:02 :52 ] :


[Moderator] Aber Sie haben schon mehrfach das menschliche Verhalten mit dem der Tiere verglichen. Ist eine Seuche in der Herde oder in der Rotte unterwegs, dann separieren sich die Tiere, vergrößern den Abstand. Menschen würden das möglicherweise genauso machen, war ihre Aussage. Da muss man doch aber auch zugestehen, dass, wenn sie spüren, dass das Virus nicht mehr umgeht, dass sie dann doch wieder zum normalen Alltag zurückkehren wollen.


3 [0:03:19] :



Alexander Kekulé


(Lachen) Also den Vergleich mit Tieren darf man natürlich nicht überbewerten. Ich hoffe nur eben, dass die Menschen auch so einen kleinen Instinkt haben, möchte ich mal sagen. Und ja, klar, der Instinkt funktioniert natürlich unmittelbar. Also das ist bei uns Menschen immer so ein gewisses Problem, dass abstrakte Gefahren für uns schwerer nachvollziehbar sind. Wenn direkt neben Ihnen ein Holzbrett umfällt, dann macht es Krach, und Sie springen auf die Seite. Und wahrscheinlich stehen Ihnen die Haare noch ein paar Sekunden zu Berge, obwohl das nichts Gefährliches war. Wenn in einem Kilometer Abstand es ganz leise „Peng“ macht, könnte es sein, dass jemand mit dem Gewehr auf Sie geschossen hat. Da erschrecken Sie überhaupt nicht. Und das ist einfach der Mensch, der ist einfach so konstruiert. Eine Gefahr, die dann auch durch die anderen ... Da gibt es ja diese Versicherung durch die Gruppe. Man versucht Gefahren auch immer in den Gesichtern und Reaktionen der anderen einzuschätzen. Das machen Kinder ganz stark, aber auch Erwachsene natürlich ein bisschen. Und wenn dann alle zusammen so in diesen Entspannungsmodus übergehen, dann kann es schon sein, dass es ganz schwer ist, ein zweites Mal, wenn ich so sagen darf, für die Fachleute zu vermitteln: Falls es zu neuen Ausbrüchen kommt, dass man sich wieder zusammenreißen muss.


Tim Deisinger


Ist das wirklich so schwer? Denken Sie nicht, dass, wenn es dann wiederkommen sollte, dass die Menschen sich wieder freiwillig beschränken würden?


6 [0:04:42 ] :



Alexander Kekulé


Ähm, ich glaube nicht in der gleichen Weise, ganz ehrlich gesagt. Aber das ist nicht so mein Spezialgebiet, muss ich sagen. Ich bin ja kein Soziologe. Ich blicke da mit Interesse über den Zaun in dieses Arbeitsgebiet. Wenn man mit genau der gleichen Story zweimal kommt, ist halt das Problem. Wie jetzt diese irre Diskussion: War das alles nötig oder nicht. Das Ganze ist emotional so aufgeschaukelt. Und ich glaube, dieses sehr große Vertrauen in die Regierung, was die Deutschen hatten, und das ist weltweit beobachtet worden, dass sie gesagt haben, wir machen das jetzt alle mit. Was auch umgekehrt Vertrauen in die Bürger, im Grunde genommen, beinhaltet hat. Weil die Regierung in Deutschland hat letztlich gesagt, wir machen einen Lockdown, aber eigentlich diesen „Lockdown light“. Da hatten wir ja auch schon ein paar Mal darüber gesprochen, dass das kein so richtiger Lockdown in Deutschland war. Und trotzdem hat es gut funktioniert. Ich weiß nicht, ob das ein zweites Mal diese Solidarität geben wird von beiden Seiten. Da bin ich nicht sicher,


2  [0:05:44] :


Tim Deisinger


Wenn man auf die Fallzahlen schaut. Es sind ja immer weniger Neuinfektionen, das hatten sie auch so vermutet. Woran liegt es denn nun wirklich? Also an den Temperaturen, die die Viren vielleicht kaputtmachen? Daran, dass die Menschen mehr im Freien sind und nicht virusbelastete Aerosole irgendwo in Räumen einatmen?


7 [0:06:04] :



Alexander Kekulé


Also ich glaube ja, das beides. Es sind die Temperaturen. Es ist das Verhalten der Menschen. Und die 2 ganz entscheidenden Faktoren sind für mich, dass wir erkannt haben, dass wir in geschlossenen Räumen im Prinzip Masken tragen sollen, müssen, wenn es erforderlich ist. Solche einzelnen Ausbrüche, um die geht es hier in dieser jetzigen Phase der Pandemie. Da geht es nicht mehr darum, dass wir so eine regelrechte Welle im ganzen Land haben, sondern es geht um einzelne Ausbrüche, die hochflammen, wie jetzt gerade in einer Schule in Göttingen. Solche Situationen kann man am besten vermeiden, indem man verhindert, dass in geschlossenen Räumen mit wenig Windbewegung viele Menschen zusammen sind und dann auch noch möglicherweise ohne Gesichtsschutz, Mundund Nasenschutz. Diese ganz bestimmte Situation, die kommt, glaube ich, schon seltener vor. Da gab es den Fall in Frankfurt mit der Kirche und ähnliche Situationen gibt es überall auf der Welt. Aus USA gibt es auch ständig solche Berichte, wo Leute eben im Raum zusammen waren und diese sogenannten Super-Spreading-Events dann eingetreten sind. Aber ich glaube, dieses Eine haben die Menschen schon verstanden. Und das andere ist, das wäre ja viele große Ausbrüche hatten in Altersheimen, in anderen Heimen und im Krankenhaus. Am Anfang waren wir sehr viele Menschen, auch vom medizinischen Personal betroffen, auch in Deutschland. Und das sind natürlich alles Infektionsquellen, die abgestellt wurden – im Altersheim noch nicht so ganz perfekt. Aber in den Krankenhäusern haben wir es, würde ich sagen, im Griff.


2  [0:07:33] :


Tim Deisinger


Stichwort: Aerosole. Ist man auf aktuell auf dem Stand, dass diese Übertragungswege vielleicht die entscheidenden sind? Das zeigt ja auch eine neue Veröffentlichung dazu. Zumindest, was ich da so überblicksmäßig gelesen habe.


8 [0:07:48] :



Alexander Kekulé


Ja, da haben Sie recht. Also entscheidend? Ja, das wird in der Presse zum Teil so berichtet. Das kann man nicht sagen. Da hat sich eigentlich aus meiner Sicht zumindest die Datenlage nicht geändert oder die Erkenntnisse nicht groß geändert. Es war schon immer klar, dass ein Teil dieser Infektionen über Aerosole übertragen wird. Und das war die allgemeine Annahme, dass das ein sehr kleiner Teil ist im Vergleich zu den zu den Tröpfcheninfektionen, die einen direkten Kontakt benötigen. Jetzt muss man aber sehen, in welcher Phase man ist. Wenn man anfängt, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und wenn man diese direkte Tröpfcheninfektion – ich sag mal „face-to-face“, also man spuckt sich, ohne es zu merken, gegenseitig an – wenn man das jetzt durch das Verhalten der Menschen, durch die Gesichtsmasken und die Abstandsregeln, die praktisch weltweit bekannt sind, weitgehend abgestellt hat und jeder von uns sich so verhält, dann bleibt als Risiko noch diese AerosolAusbreitung, die nämlich weiter als diese 2 Meter geht. Deshalb ist die jetzt in der Phase, wo wir sozusagen den letzten Rest eliminieren wollen von diesem Ausbruch in Deutschland ist das extrem wichtig. Das mit den Aerosolen war bei der exponentiellen Phase nicht wichtig. In den USA wird es ja diskutiert, ob es überhaupt eine Rolle spielt. Da ist das ein riesiger Glaubenskrieg. Weil die alle immer noch sagen, in geschlossenen Räumen, wenn wir da unsere „Six Feet“ Abstand halten, also knapp 2 Meter Abstand halten, ist alles in Butter. Und da haben die die Virologen ein Riesenproblem des der Bevölkerung zu erklären, dass das nicht reicht. Aber ich glaube, in Deutschland haben es die Leute schon verstanden, dass es eben darauf ankommt. Aber das ist eine andere Phase. Darum kann man nicht sagen, die Rahmenbedingungen sind meines Erachtens unverändert. Das ist für mich jetzt nichts Neues.


2  [0:09:35] : [Moderator] Ich habe in der Zusammenfassung dieser Veröffentlichung auch gelesen, dass vermutet wird, dass die Größe der Aerosoltröpfchen entscheidend sein könnte für die Schwere der Erkrankung. Kann das sein?


9 [0:09:47] :



Alexander Kekulé


Naja, das ist so eine alte Theorie. Ich bin da, ehrlich gesagt, unentschlossen, wie man das interpretieren soll. Es ist ja so, dass wir bei SARS-1, also diesem SARS-Virus von 2 003. Da hatten wir die Situation, dass der Rezeptor, wo dieses Virus andockt, also wo das Virus in den Körper hineinkommt, dieser Rezeptor, der ist tief in der Lunge bei SARS-1. Und deshalb brauchte man relativ feine Partikel, wir sagen immer so unter fünf Mikrometer Durchmesser – und Mikrometer ist ein Millionstel Meter oder ein Tausendstel Millimeter – also unter fünf Mikrometer Durchmesser, sollen diese Tröpfchen, bzw. diese Partikel sein, damit sie tief in die Lunge gehen. Deshalb war es damals so, dass die kleinen Partikel gefährlicher waren. Jetzt, auf dieser Basis, könnte man sagen, dass heute vielleicht auch kleine Partikel eine Rolle spielen, weil sie tiefer in die Lunge kommen. Andererseits wissen wir, dass bei diesen neuen Virus SARS-CoV-2  relativ eindeutig das Virus schon in den oberen Atemwegen andocken kann: zum Beispiel im Rachen, aber auch in der Nase ist ein Thema hier. Deshalb bin ich jetzt unentschlossen, ob man da sagen kann, diese ganz feinen Partikel sind genauso wieder besonders gefährlich. Da würde ich sagen, ist die Datenlage noch unklar.


Tim Deisinger


Aber das hieße, wenn die größeren Tröpfchen entscheidend sind, dann sind Masken ja umso wichtiger. Weil die werden von den Masken wahrscheinlich besser zurückgehalten als die kleineren. Oder?


10 [0:11:10] :



Alexander Kekulé


Ja, genau. Diese Tröpfchengröße spielt genau an der Stelle wiederum eine Rolle. Es gibt gerade eine ganz neue Arbeit, die ist vor ein paar Tagen in „The Lancet“ erschienen. Das ist eines der wirklichen Top-Journale, die wir haben. Und die hat es noch einmal bestätigt. Es ist so: Wenn Sie eine Maske im Gesicht haben, dann schützen Sie andere Angst davor, dass die diese Tröpfchen abkriegen. Und zwar zu einem gewissen Grad beides, sowohl die großen als auch die kleinen. Weil durch so ein Vlies, was man vor Mund und Nase hat, fliegen eben auch keine kleinen Tröpfchen raus, insofern das Vlies nicht gerade nass geworden ist. Das heißt also, andere schützen sie auch vor den kleinen Tröpfchen. Aber sich selber schützen Sie mit so einer Maske nur, wenn ich so sagen darf, vor den großen Tröpfchen, die auf dem direkten Weg übertragen werden, also, die sozusagen gespuckt werden. Was bedeutet das, je mehr es in der aktuellen Entwicklung auch drauf ankommt, diese etwas selteneren Ereignisse zu verhindern, wo ein Mensch ganz viele über so eine Tröpfchenwolke, also über ein echtes Aerosol, ansteckt? Je mehr es in diese Phase geht, desto wichtiger werden diese Tröpfchen, die an der Maske vorbeigehen, wenn Sie sie einatmen. Weil dieser ganz feine Nebel, der geht beim Einatmen links und rechts vorbei an der Maske. Vor dem können Sie sich nicht schützen. Und diese Studie, die fand ich also ganz interessant. Die hat das relativ deutlich gezeigt. Die hat verglichen, was der Abstand macht, also an das normale Distancing, so 2 Meter Abstand oder einen Meter Abstand. Und was Gesichtsmasken für eine Auswirkungen haben und es wurden die unterschiedlichen Sorten verglichen, und sogar, was ein Augenschutz vielleicht noch zusätzlich bringen kann. Da haben die über 2 0.000 Publikationen zu dem Thema analysiert, in einer sogenannten Metaanalyse. Die haben selber keine Studie gemacht, sondern haben andere Studien quasi ausgewertet. Da haben sie 44 rausgesucht von diesen über 2 0.000 und haben rausgekriegt: Wenn man eine Maske im Gesicht hat, egal ob das eine FFP-Maske ist oder irgendeine Maske, irgendeine andere, dann kann man das Risiko, sich anzustecken von etwas über 17 Prozent auf drei Prozent reduzieren. Ich lasse mal die Zahlen hinterm Komma weg. Und das gilt eben in einigen Studien, auch für diese Aerosole. Bei den Aerosolen ist es aber so, dass gezeigt wurde, dass diese N95-Masken, so heißen die in Amerika, bei uns FFP-Masken, dass die da wirksamer sind. Und das heißt sozusagen umgekehrt: Wenn man mit einer FFP-Maske tatsächlich sich besser schützt als mit einem Mund-Nasen-Schutz, dann spielen diese Aerosole offensichtlich eine Rolle. Weil der normale Mund-Nasen-Schutz diese direkt anfliegenden Tröpfchen ja auch abhalten würde.


Und das andere, was sie getestet haben, ist dieser Augenschutz. Da haben sie gesagt wenn man was vor den Augen hat, das hat mich ein bisschen überrascht, kann man die Gefährdung von etwa 16 Prozent auf 5,5 Prozent reduzieren, also auf ein Drittel ungefähr. Das muss man dazusagen: Das ist wahrscheinlich – ich habe das nicht ganz genau analysiert – dem geschuldet, dass die auch viel Krankenhauspersonal untersucht haben. Und Krankenhauspersonal kriegt natürlich relativ viel auch mal in die Augen, wenn die Patienten irgendwie intubiert werden, also einen Schlauch in die Lunge kriegen und Ähnliches. Ich glaube, für den Alltag kann man das nicht so sagen, dass man deswegen immer eine Brille tragen muss.


Aber das hat mich natürlich gefreut. Es war ja immer schon eine Empfehlung, die wir gegeben haben, dass, wenn man sich zusätzlich schützen will, vielleicht eine Brille aufsetzt.


Und das Letzte ist, das sie gesagt haben: Abstand! Da ist auch ganz klar gezeigt worden, das Distancing bringt was. Und sie haben auch gezeigt: 2 Meter besser ist als ein Meter. Selbst das konnte in dieser Studie gezeigt werden.


Aber insgesamt muss man sagen: Die Fachleute nennen so etwas „educated guess“, also ein Bauchgefühl eines Fachmanns. Und diese „educated guesses“, was da sinnvoll ist und die wir alle schon hatten, die wurden im Grunde genommen durch diese Studie bestätigt. Aber im Ergebnis heißt es, wir müssen jetzt auch diese Aerosole tatsächlich ins Auge fassen. Und darüber nachdenken, was wir machen, wenn Leute in geschlossenen Räumen sind. Ich glaube die Konsequenz, die man ziehen kann, ist: Jemand, der eine Risikopersonen ist, also über 70 auf jeden Fall und auch die anderen klaren Risikopersonen, die sollten, wenn sie wirklich im Flugzeug sitzen oder in anderen geschlossenen Räumen bzw. unbedingt mit anderen Menschen enger zusammen sein müssen, die sollten definitiv eine FFP2 -Maske aufsetzen und nicht einen normalen Mund-Nasen-Schutz.


2  [0:15:55] :


Tim Deisinger


Okay, machen wir einen Haken dran. Nächstes Thema: Donald Trump, US-Präsident, der sein Land nun sozusagen bei der Weltgesundheitsorganisation, der WHO, abgemeldet hat. Kritik hatte er schon länger geäußert, die WHO sei quasi China gesteuert, sie hätte die Pandemie verhindern können. Hat sie aber nicht. Ist das alles aus der Luft gegriffen?


9 [0:16:2 1] :



Alexander Kekulé


Also, man muss schon sagen, Tedros, der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation ist am Anfang schon sehr diplomatisch mit China umgegangen. Der hat die mit Samthandschuhen angefasst. Ich weiß aber auch nicht, was er hätte anders machen können. Es ist einfach so, dass nach den internationalen Regularien, die da zuständig sind, die heißen International Health Regulations. Da ist einfach das Land, was betroffen ist, immer mit am Tisch, auch wenn es darum geht – und das ist die Kritik von Donald Trump gewesen – diesen internationalen Gesundheitsnotfall auszurufen. Da saßen in dem Meeting, die Ergebnisse sind jetzt so in den letzten Tagen und Wochen nach und nach dann durchgesickert, natürlich die Chinesen mit drinnen. Das ist so. Die haben aber eine Delegation geschickt, die aus politisch motivierten Menschen bestand. Und die haben, das sagen jetzt alle Beteiligten, von denen ich gehört habe, die haben ziemlich eindeutig gesagt: Wir wollen keinen internationalen Notfall. Und sie haben das begründet mit Daten, die ganz offensichtlich im Nachhinein falsch waren. Also die haben falsche Daten vorgelegt und haben versucht zu argumentieren, dass dieser internationale Notfall nicht ausgerufen wird. Jetzt hat Trump, und andere haben der WHO vorgeworfen, dass sie in dieses Komitee Leute reingesetzt haben, die jetzt nicht unbedingt superqualifizierte dafür waren, das im Einzelnen zu beurteilen. Und ich muss ehrlich sagen, man hätte sicherlich ein paar China-kritischere Leute reinsetzen können. Oder ein paar Leute, die vielleicht mit mehr mit früheren Pandemien Erfahrungen hatten. Wie das dem geschuldet war, weiß man im Einzelnen nicht. Aber klar, da sind Sachen am Anfang nicht so optimal gelaufen. Ich


weiß aber nicht, was der hätte anders machen sollen. Weil, wenn jetzt sich die WHO von China da distanziert und auf den Tisch gehauen hätte, öffentlich, dann hätten die halt gar keine Informationen mehr rausgerückt. Und das war eigentlich der Worst Case, den Tedros verhindern muss.


2  [0:18:2 3] :


Tim Deisinger


Aber wenn da politisch diskutiert wird und politische Vorstellungen eine Rolle spielen – wir hatten auch in Folge 2 5 schon ein bisschen ausführliche drüber gesprochen – wie kann denn die WHO dann Krisenmanager sein? Oder ist das gar nicht ihre Aufgabe?


11 [0:18:40] :



Alexander Kekulé


Das wäre sie, und das ist ja die Diskussion bei jeder Krise. Das hatten wir ja bei Ebola und vorher auch bei der Schweinegrippe 2 009. Es gibt ja Leute, die sagen, dass man deshalb die WHO nicht wirklich in dieser Art, wie sie ist, reformieren kann. Die Diskussion gab es schon mehrfach. Und weil letztlich die WHO auf Mittel von den Mitgliedstaaten angewiesen ist, weil sie nur Empfehlungen geben kann und weil große, starke Staaten wie eben zum Beispiel China einfach machen, was sie wollen. Das wäre ganz genauso, wie ein Ausbruch in den Vereinigten Staaten von Amerika wäre. Dann würde sich kein US-Präsident aus Genf irgendwelche Vorschriften machen lassen. Deshalb gibt es Leute, die sagen, wir brauchen da ein anderes Modell dafür. Und in dieses Horn tutet natürlich jetzt Donald Trump. Ich bin überhaupt kein Trump-Freund, das ist klar. Aber man muss schon sagen, was die US-Regierung so ungefähr für die WHO zahlt, ist, glaube ich, so eine halbe Milliarde US-Dollar. So in der Größenordnung liegt es. Die haben bei vielen Bereichen einen wichtigen Teil des Budgets bisher bezahlt, also zum Beispiel bei dem Polio-Programm, also die weltweiten Impfungen gegen Kinderlähmung, da war es ungefähr ein Viertel. Bei Tuberkulose, Malaria, bei internationalen Notfällen, überall da haben die USA immer so 2 0-2 5 Prozent eigentlich bezahlt von den Kosten. Aber jetzt sagt er, wir nehmen dieses Geld zurück, und wir setzen jetzt quasi das Fünffache davon. Insgesamt mindestens das Fünffache, also 3 Milliarden US-Dollar für dieses sogenannte Global Health Security and Diplomacy Act Program. Das ist also quasi das, was er alternativ als amerikanisches Notfallprogramm aufsetzen will. Das soll 3 Milliarden US-Dollar kosten. Und die letzten Tage gab es neue Gerüchte, dass er ein weiteres Programm mit noch einmal 2 ,5 Milliarden Dollar nur für Pandemieabwehr aufsetzen will. Also, wobei man sagen muss, das zweite Programm wäre nicht nur international, sondern national und international, für beides. Aber das sind natürlich riesige Summen, die viel höher sind als das, was die USA jemals für die WHO gezahlt hat. Und man könnte natürlich schon fragen, ob das dann aus Sicht der USA, ob das dann vielleicht effizienter ist. Dann kann Trump sagen, hier und da schicken wir jetzt unsere Leute hin und macht mal, und wir helfen denen jetzt ad-hoc.


2  [0:2 1:01] :


Tim Deisinger


Sie haben ja auch in der schon genannten Folge 2 5 formuliert, wenn ich es recht weiß, dass Deutschland die Weltgesundheitsorganisation eigentlich gar nicht wirklich braucht. Also das eher für Staaten sein sollte, die weniger leistungsstark sind. So kann man sich ja auch wirklich fragen, also ob die USA die WHO nötig haben, ob wir die brauchen.


12  [0:2 1:2 2 ] :



Alexander Kekulé


Die USA brauchen sie nicht, und aber das ist eben auch die Gefahr hier. Wir in Europa brauchen sie in dem Sinn auch nicht. Das muss man ehrlicherweise sagen. Aber es ist ja so: Es gibt die großen Seuchen, und die großen Probleme gesundheitlich sind ja in den armen Ländern. Und auch, dass das aus China jetzt gekommen ist mit diesem SARS-CoV-2 , zeigt im Grunde genommen, dass sozusagen gesundheitlich schlechter strukturierte Regionen hier das Problem sind. Und China ist jetzt ganz gut aufgestellt, um sich da zu wehren. Aber stellen Sie sich vor, so etwas kommt mal aus Afrika. Oder


eben Polio und ähnliche Probleme, die wir noch haben. Das Problem ist, in diesen Ländern haben zum großen Teil die Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich keine Freunde. Das sind häufig muslimische Länder. Das sind häufig Länder, die sich zurückgesetzt fühlen, auch zu Recht, von den industrialisierten Ländern. Und da haben die USA zum Teil keine Freunde und vor allem keine Beziehungen. Also die gesamten Impfkampagnen und so, die werden unter Koordination der WHO aufgesetzt. Zwar mit Leuten aus den USA, aber Koordinator und Verbindung ist immer die WHO. Und das ist eben ein wahnsinnig sensibles Geschäft. Und darum ist die WHO ja so vorsichtig mit ihren Mitgliedsstaaten, da die Diplomatie so zu machen, dass man die Leute nicht vorführt. Dass man ihnen hilft, dass sie diese Kampagnen zulassen und Ähnliches, dass sie manchmal auch die Kampagnen schützen. Und all das haben die Amerikaner nicht. Das heißt, sie können jetzt nicht einfach irgendwo reinmarschieren und sagen: „Hallo Leute, wir impfen jetzt mal eure Kinder alle durch“. Das würde aus verschiedensten Gründen nicht funktionieren. Sodass eben ein eigenes Programm der USA zwar für Trump den Vorteil hätte, dass er das politisch nutzen kann, weil er ja da eine Gegenleistung fordern kann. Das ist so ähnlich wie China international in der letzten Zeit auch auftritt. Aber diese bilateralen Ansätze im Gegensatz zu den multilateralen, wie man es dann diplomatisch nennen würde, die haben eben immer den Nachteil, dass sie von den anderen Leuten auch angenommen werden müssen. Und ich glaube, dass das nicht funktionieren wird. Ich glaube, dass ganz viele dieser Programme jetzt auf der Strecke bleiben, weil einfach de facto es nicht umgesetzt werden kann von den Amerikanern.


2  [0:2 3:2 9] :


Tim Deisinger


Wenn wir den Kreis immer noch ein bisschen weiter ziehen. Es gibt ja auch andere Einrichtungen, ähnlich der Weltgesundheitsorganisation oder die in diesem Zusammenhang auch immer wieder in Frage gestellt werden, die kritisiert werden. Auch hier in Deutschland ist beispielsweise immer wieder von einer Behörde die Rede, von der man ja zumindest vom Namen her hätte die Ahnung haben können, dass sie aktiv an der Epidemiebekämpfung mitwirkt, das BBK, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das tut aber offenbar nichts. Verstehe ich den Ansatz dieses Amtes falsch?


11 [0:2 4:11] :



Alexander Kekulé


Nein, das Amt heißt eben interessanterweise Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Da muss ein bisschen auf die Geschichte zurückgehen. Es ist so, dass ich ja lange in der Schutzkommission war. Das ist eine Kommission, die genau zu diesem Thema Bevölkerungsschutz die Bundesregierung beraten hat. Und wir haben immer gefordert, dass es so ein Amt unbedingt geben muss. Hintergrund war, dass es vorher ein Bundesamt für Zivilschutz gab. Jetzt ist es so von den technischen Ausdrücken her: Der Zivilschutz meint, wenn man die Bevölkerung schützt im Verteidigungsfall, also Krieg. Und das ist Bundessache in Deutschland. Und Katastrophenschutz meint, wenn man die Bevölkerung eben von Katastrophen schützt, und das ist eben immer Ländersache gewesen. Und jetzt war damals unter Otto Schily, der mal Innenminister war, es eben so, dass dieses Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe aufgesetzt wurde. Weil man nach dem 11. September, nach den Anschlägen in New York eben erkannt hat und auch nach den Milzbrand-Anschlägen, die dann passiert sind, hat man erkannt: Wir müssen da in Deutschland was haben, was funktioniert. Man hat das quasi als Nachfolgebehörde des früheren Zivilschutzes aufgestellt. Das Amt hat aber immer noch das Problem, dass es eine Bundesbehörde ist, was ebenso lange nicht im Krieg ist, die Länder nur beraten darf bei Katastrophenschutz. Und dazu ist aber auch immer Voraussetzung, dass es überhaupt eine Katastrophe ist. Und außer Bayern hat meines Wissens kein Bundesland den Katastrophen-Status ausgerufen. Und damit ist das BBK einfach rein formal nicht zuständig. Das ist, wenn man so will, ein kleiner Strickfehler im föderalen System auf der einen Seite. Und zwar dadurch, dass man – und das hat Schily auch versucht zu ändern bei der sogenannten Zweiten Föderalismusreform, aber ist damit nicht durchgekommen – dass eben die Länder beim Katastrophenschutz absolut nichts abgeben wollten. Obwohl es klar ist, dass viele Katastrophen


landesübergreifend sind. Das hängt immer damit zusammen, wer verantwortlich ist für etwas, kriegt ja auch das Geld dafür. Und darum ging es dann letztlich.


Und das andere Problem an der Stelle jetzt bei der aktuellen Pandemie ist, wir haben ja auch die Zuständigkeit des Gesundheitsressorts. Da ist es so, dass bekanntlich Spahn jetzt als Bundesgesundheitsminister gerade durchgesetzt hat, dass über das Infektionsschutzgesetz doch ein paar mehr Kompetenzen beim Bund jetzt ankommen. Vielleicht gibt es da auch noch eine weitere Auflage zu dem Thema. Aber letztlich ist es auch da so: Gesundheit ist Ländersache. Und das heißt auch hier kam der Bund immer nur sozusagen Empfehlungen machen. Und bei einer Seuche ist jetzt primär erst mal das Gesundheitsministerium zuständig und nicht das Ressort Innen. Und das BBK ist dem Innenministerium unterstellt. Das heißt also, das ist in doppelter Hinsicht sozusagen im Windschatten. Das ist föderal nicht zuständig und von der Ressortaufteilung nicht zuständig.


2  [0:2 6:59] :


Tim Deisinger


Aber man hat gesehen, das Amt hat auch große Ressourcen. Ich habe mal gelesen, die haben vor, weiß gar nicht, über zehn Jahren mal ein großes Szenario durchgespielt, das der aktuellen Realität ja ziemlich nahekommt. Es ging damals um eine schwere Grippe-Epidemie. Daraufhin hat man Pläne arbeitet, Pläne erarbeitet. Nur heute weiß man von diesen Plänen, sie hat letztlich keiner umgesetzt. Weiß man denn auch genau, warum sie nicht umgesetzt worden sind? Ich habe jetzt ein bisschen rausgehört, die Länder sind jetzt schuld,


14 [0:2 7:31] :



Alexander Kekulé


Ja, rein formal sind natürlich die Länder schuld. Das ist halt so, wenn es im Gesetz so steht. Aber klar, die Schutzkommission hat ja diese Pandemievorbereitungen mit angeregt und war auch unmittelbar beteiligt. Da gab es tausend Übungen und Papiere, was wir da gemacht haben, rauf und runter. Und es ist so, dass letztlich im Ergebnis da steht: Ihr müsst für den Pandemiefall Beatmungsgeräte einlagern. Ihr müsst Atemmasken einlagern und noch eine lange Liste von weiteren Medikamenten und so weiter, die dann gebraucht werden, bis hin zu Antibiotika, die jetzt zum Teil auch knapp waren. Und es steht drin: Ihr müsst euch darauf einstellen, dass eben Verteilungskämpfe weltweit entstehen. Weil das ein globales Problem ist, wo man viele Probleme haben kann, und wer kriegt was zuerst? Das ist, glaube ich, hinlänglich bekannt, dass diese Dinge nicht umgesetzt wurden. Klar kann man jetzt dem BBK vorwerfen: Wieso habt ihr da das sozusagen in Berlin, das Gesundheitsministerium nicht, wenn ich mal so sagen darf, in den Hintern getreten? Das muss man so sehen, in dem Krisenstab, der da vorgesehen war – und auch das ist ein Konzept, was die Schutzkommission ursprünglich mal empfohlen hat – in diesem Krisenstab ist das so: Da sitzen Vertreter des Innenministeriums drin. Aber ich habe gelesen, dass aus dem BBK eigentlich gar kein ständiger Vertreter da drinnen war. Man könnte jetzt sagen, wenn es die Zuständigkeit des Bundes ist, dann hätte der Gesundheitsminister empfehlen müssen, dass die Länder ganz früh in der Pandemie mal ihre eingelagerten Masken und so weiter kontrollieren. Dann hätte es sicherlich am Anfang nicht die ganzen Infektionen bei medizinischem Personal bei uns gegeben. Wir sind aber letztlich unterm Strich mit dem blauen Auge davongekommen. Und ich befürchte, dass diese ganze Diskussion Föderalismusreform, die dahinter steht, dass die auch nach dieser Pandemie kein Stück weiter kommt. Das ist ja zweimal versucht worden. Und wir haben halt ein System, wo die Länder sehr viel Macht haben. Es gibt große Länder, Beispiel Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Die haben das eigentlich nicht nötig, sich aus Berlin beraten zu lassen. Und es gibt andere, die brauchen das dringend. Also in gewisser Weise spiegelt sich so ein bisschen die Situation der WHO bei uns dann auch im föderalen System noch mal wider,


15 [0:2 9:47] :


Tim Deisinger


Und klingt so ein bisschen, als ob Sie denken ist, die Gelegenheit, dieses Amt zu stärken, ihm neue Kompetenzen zu übertragen, ist eigentlich auch schon wieder vorbei. Oder?


17 [0:2 9:58] :



Alexander Kekulé


Das wird nicht funktionieren. Wenn es so gewesen wäre, dass das BBK irgendwas hat, wo man sagt, das braucht man jetzt sofort, dann hätte man sicher gesagt, wieso kam das nicht an den Mann? Aber die hatten die Masken auch nicht im Keller. Und wir haben halt hier letztlich ein Problem, wo die Katastrophe eigentlich immer erst dann passiert, wenn die Sekundärschäden hoch sind. Also zum Beispiel, wenn Leute anfangen, Apotheken zu plündern, wenn Funkmasten vom Handysystem nicht mehr funktionieren, wenn Stromversorgung ausfällt, weil so viele Menschen im Kraftwerk krank sind. Das ist der Moment, wo es BBK sozusagen kommt und das Innenministerium. In dieser Ebene, wo wir so eine klassische Katastrophensituation haben, sind wir ja mit Covid-19 nicht gekommen. Und wir werden da auch nicht reinschlittern. Sodass das eigentlich schon in Ordnung ist, dass jetzt erst mal das Gesundheitsressort weiterhin die Federführung hat.


16 [0:30:52 ] :


Tim Deisinger


Und damit komme eigentlich schon zum nächsten Thema. So ein Amt hätte ja im Vorfeld auch schon dafür sorgen können, dass man ja sämtliche Virologen und Epidemiologen des Landes mal an einen Tisch holt und deren Kompetenz da abgreift, wo sie am stärksten ist. Also, ich sage jetzt mal ganz naiv, Herr Drosten wäre dann für die Frage zuständig: Wie geht es denn dem Virus? Herr Streeck kümmert sich darum, den Epidemieverlauf zu analysieren. Und Sie dann logischerweise um die Frage also: Welche Gegenmaßnahmen ergreifen wir. Stattdessen scheint es, haben wir jetzt einen medial befeuerten Zank zwischen den Professoren.


19 [0:31:31] :



Alexander Kekulé


Naja, also ich habe natürlich – das ist, glaube ich, bekannt – das Robert Koch-Institut schon öfters mal kritisiert und auch angemahnt oder geschimpft, warum bestimmte Sachen nicht schnell genug erfolgt sind. Da muss man sich jetzt über Gegenwehr, wenn ich mal so sagen darf, vom RKI und seiner Berater eigentlich nicht wundern. Das ist einfach so, Aus meiner Sicht muss man immer unterscheiden zwischen der fachlichen Diskussion, die finde ich, muss man führen, und die muss auch die Öffentlichkeit kennen, weil es ja Argumente in die eine und die andere Richtung gibt. Und man muss unterscheiden zu einer persönlichen Ebene. Da muss man ein bisschen aufpassen, dass das nicht abrutscht.


2  [0:32 :07] :


Tim Deisinger


Ist aber scheinbar ein bisschen abgerutscht. Da wurde er nicht nur Herr Drosten letzte Woche in „Die Welt“ und jetzt von der „Bild“-Zeitung angegriffen. Sie kennt das ja in Bezug auf sich selbst mittlerweile auch. Selbst Jan Böhmermann meldet sich zu Wort. Der macht es zugegebenermaßen nicht ganz unsympathisch. Aber er zieht es natürlich auch auf eine persönliche Ebene. Vielleicht können wir ja ganz kurz mal reinhören, auch mal rüber winken in den „Fest & Flauschig“ Podcast. Da werden sie nämlich zum Musical-Star.


1 [0:32 :47] :


Aus „Fest & Flauschig“ Podcast [Aerosol – das Musical (Titelsong: "

Alexander Kekulé") – in Anlehnung an das Musical „König der Löwen“] Auszug Liedtext: Nur eines findet Kekulé zum Kotzen. Dr. Christian Drosten, von der Virologie Charité.



Alexander Kekulé.


2 0 [0:33:10] :


Tim Deisinger


Geben Sie es zu, Sie haben nach ein paar Sekunden schon mitgesungen oder?



Alexander Kekulé


Mitgesungen nicht. Also den Text, da sage ich jetzt nichts dazu. Aber es ist ehrlich gesagt so: Wir waren vor einiger Zeit mal im Phantasialand, da in der Nähe von Aachen ist das. Und da gibt es einen Song in einem dieser Fahrgeschäfte, der ganz ähnlich klingt. Und meine Kinder singen das tatsächlich mit und finden das lustig. Also ja, persönlich kann ich das ganz gut aushalten. Das finde ich, gehört irgendwie dazu. Ja, wenn man sich öffentlich äußert, muss man auch mal sich den Kopf waschen lassen. Das ist schon in Ordnung.


Von der Sache her ist es natürlich so: Wissenschaftler sind jetzt in dieser schwierigen Phase, ob das jetzt der Christian Drosten ist oder ich, oder früher hat er auch mal der Streeck was abgekriegt. Wir brauchen ein öffentliches Vertrauen, weil sonst funktioniert diese Steuerung nicht. Die Politik braucht irgendeine Referenz. Und die Öffentlichkeit braucht auch irgendwie Leute, denen sie glaubt letztlich, bei diesen ganzen Maßnahmen. Darum machen der Christian Drosten und ich diese Podcasts. Und es gibt noch ein paar weitere, muss man eigentlich auch noch sagen, die so etwas machen. Und die Gefahr ist ... Oder was man darf, glaube ich, sehr viel Spaß machen und das auch gern im Musical machen. Ich bin gespannt auf die weiteren Strophen. Aber man darf nicht so weit gehen, dass die Wissenschaftler an Glaubwürdigkeit verlieren. Ich glaube, wenn man sich ein bisschen das spaßig macht, ist es okay. Wenn man es lächerlich machen würde, das sehe ich jetzt beim Böhmermann hier nicht, dann wäre die Schwelle überschritten. Wo ich ein bisschen Angst hätte, dass man denkt, Wissenschaftler sind so etwas wie Fußballstars. Die werden ja auch mal gelegentlich von der „Bild“-Zeitung durch den Kakao gezogen. Oder irgendwelche anderen Leute. Das ist hier natürlich schon anders. Weil wir ja alle, sage ich mal 70 Stunden die Woche mindestens arbeiten wie die Schweine, um hier irgendwie dieses Problem so ein bisschen in Griff zu kriegen von verschiedenen Seiten. Und wir müssen das, glaube ich, auch so kommunizieren, dass das letztlich im Ergebnis eine ernste Frage ist. Und das Problem ist ja diese Debatte, welche Maßnahmen jetzt notwendig sind und welche nicht. Die ist ja wahnsinnig aufgeheizt. Das geht hin bis zu politischen Verschiebungen, zur AfD in einigen Bereichen. Die Leute demonstrieren auf der Straße, Demonstrationen werden andererseits verboten, wegen der Abstandsgebote und, und, und. Also, das ist eine richtig schwierige Diskussion, politisch, sozialpsychologisch auch. Da hätte ich Angst, wenn so die ernste Ebene dauerhaft verlassen wird. Also für so ein kleines Spässchen am Rande finde ich das in Ordnung.


2  [0:35:59] :


Tim Deisinger


Auslöser der aktuellen Debatte jetzt war ja ihr Beitrag im Tagesspiegel. Dort haben Sie geschrieben, Drostens Kinderstudie, die habe fachliche Fehler. Und Drosten wiederum hat dann darauf wiederum ziemlich angefasst reagiert bei Twitter.


2 2  [0:36:15] :



Alexander Kekulé


Ja, das war natürlich ein bisschen unter der Gürtellinie, das muss man ganz klar sagen, dass er da so persönlich geworden ist. Ich glaube, da hat er sich spontan über die Überschrift geärgert, die bekanntlich nicht von mir war. Man darf das nicht auf eine persönliche Ebene ziehen. Da gehört das nicht hin. Und ich bin ganz sicher, dass ihm das auch danach klar war. Aber das ist halt das Problem bei Twitter. Man feuert das ab, und dann ist es irgendwie draußen. Ich habe auch aus dem Grund ein bisschen ganz bewusst nicht bei Twitter geantwortet. Erstens, weil ich das Medium nicht so richtig beherrsche. Und, vor allem, ich schreibe meine Twitternachrichten am Computer. Also, ich kann es


gar nicht so schnell. Und zweitens, ich finde, da darf man nicht Öl ins Feuer eines Nebenschauplatzes gießen, weil dann kocht das hoch. Dann schreibt die „Bild“-Zeitung, die das ja alles mit Freude beobachtet, wieder den nächsten Kommentar. Und darum ist es, glaube ich, gut so. Ich will, dass an der Stelle auch inhaltlich, also von der persönlichen Ebene, überhaupt nicht kommentieren.


2  [0:37:11] :


Tim Deisinger


Und Christian Drosten, wenn wir da noch bleiben, hat sich auch selbst mehrfach darüber beschwert, wenn er persönlich angegriffen wurde.


2 3 [0:37:18] :



Alexander Kekulé


Ja, und da hat er recht. Das war diese Diskussion mit der „Bild“-Zeitung und vielleicht auch vorher mit der „Welt“, die da die Beratungen der Bundesregierung durch RKI und Co. kritisiert haben. Da hat er völlig Recht, wenn er sagt, dass persönliche Angriffe irgendwie gar nicht gehen in diesem Zusammenhang. Die sind ein altbewährtes Mittel, um von der sachlichen Ebene abzuwenden, abzulenken. Also immer, wenn man sachlich nicht weiterkommt, haut man persönlich rum. Und leider hat es die Presse auch so ein bisschen dann aufgegriffen. Die hat dann aus meinem „Tagesspiegel“-Artikel, wo ich ja relativ konkret auf Fragezeichen in der Studie eingegangen bin, nur die Überschrift genommen. Nach dem Motto: Jetzt keilen sich die 2 Virologen. Da ist jetzt sozusagen das, was ich eigentlich transportieren wollte, komplett untergegangen. Also so ist das, wenn man auf die persönliche Ebene springt.


2  [0:38:09] :


Tim Deisinger


Es gab aber auch sachliche Kritik an Ihrem Artikel. Da wurde insbesondere kritisiert, Sie hätten Drosten aufgefordert, diese Studie zurückzuziehen.


2 4 [0:38:19] :



Alexander Kekulé


Das wäre ein berechtigter Kritikpunkt. Ich finde, das geht gar nicht, dass ein Fachmann den anderen zu irgendetwas auffordert. Wir sind ja beide Erwachsene, sage ich mal so. Übrigens gibt es auch Freiheit von Forschung und Lehre. Ja, also jeder darf also forschen und lehren und veröffentlichen, wie er das meint. Nein, das war ein Versehen bei der Redigatur, das kann man nur klar sagen. Das habe ich allerdings bei Twitter tatsächlich dann irgendwann mal richtiggestellt. Es war ein Versehen bei der Überarbeitung durch die Redaktion. Die haben da einen Satz, den ich geschrieben hatte, verschönert, sage ich mal, grammatikalisch. Und dabei so umformuliert, dass es so klang, als wollte ich diese Forderung stellen. Ich hatte das tatsächlich auf die Vergangenheit und analytisch bezogen. Und war und bin nach wie vor der Meinung, dass es wahrscheinlich geschickt gewesen wäre – aber das muss jeder selber machen – hier die Aussage ein bisschen zu modifizieren und nicht zu warten, bis die „Bild“ quasi in die Bütt kommt. Aber das war bezogen auf die Vergangenheit. Also das hat nichts damit zu tun, dass ich ihm etwas vorschreiben will.


16 [0:39:2 0] :


Tim Deisinger


Ich muss aber trotzdem noch mal nachfragen. Also, war es denn wirklich notwendig, Drostens Studie noch mal zu kritisieren, nachdem die „Bild“-Zeitung das ja bereits zur Genüge getan hatte?


2 5 [0:39:33] :



Alexander Kekulé


Ja, das habe ich mir tatsächlich selber auch überlegt, ob man da noch mal was machen soll. Es gab im Grunde genommen 2 Gründe, warum das aus meiner Sicht notwendig war. Auch wenn es ein bisschen Schnee von gestern ist. Der eine ist, dass es tatsächlich Sachen gab, die ich ergänzen konnte.


Es ist ja so, dass ich einige virologische Argumente noch gebracht habe. Und vorher waren nur so die Kritiken der Statistiker im Raum gestanden. Da gab es ja eine ganze Reihe von Kollegen, die gesagt haben, dass die Arbeit statistisch nicht gut ist. Und ich habe dann schon so rausgehört, dass die Reaktion war, vielleicht auch durch den Druck der „Bild“-Zeitung: Ja, die Statistik ist so ist vielleicht nicht so gut, aber das Ergebnis ist trotzdem 1:1 haltbar. Und an der Stelle musste man einfach was sagen, weil natürlich diese Diskussion einfach so einen irren politischen Impact hat. Die Menschen sind wahnsinnig verunsichert, ob die Schulen geöffnet werden sollen oder nicht. Das ist ein internationales Problem. Die ganze Welt schaut auf diese Ergebnisse, und das wurde in der New York Times in der Financial Times überall zitiert. Und da meine ich, wenn sich dann herausstellt, dass die Daten sowohl von den virologischen Originaldaten als auch von der statistischen Auswertung genau diese Aussage um die es da ging, nämlich das Kinder und Erwachsene gleichviel Viruskonzentration im Hals haben und deshalb – so ist es ja im Podcast gesagt worden – wahrscheinlich genauso infektiös sind. Wenn diese Aussage eben nicht mehr ganz genau so zu halten ist, dann finde ich, muss man auch wissenschaftlich sagen, okay, wir gehen dann noch mal in die in die Labore und in die Schreibstuben und überarbeiten das noch mal. Das war öffentlich eben nicht geschehen. Und drum herum glaube ich, ist die Diskussion auch so hochgekocht. Man muss, glaube ich, diese wissenschaftliche, saubere Arbeitsweise, die müssen wir alle einfach einhalten in jeder Situation.


16 [0:41:2 3] :


Tim Deisinger


Ich will „wissenschaftlich saubere Arbeitsweise“ noch mal kurz aufgreifen. Sie haben da ja auch ziemlich um die Ohren gekriegt. Als Beispiel einen Autor der FAZ, Michael Hanfeld, ist dort Leiter des Medienressorts. Der hat geschrieben, dass Sie, ich zitiere: „nicht einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten des Wissenschaftsdiskurses vertraut sind“. Weil Drostens Studie halt ein Preprint sei, und so etwas könne man gar nicht zurückziehen. Da haben Sie auch wieder etwas dazugelernt. Nach einem langen Wissenschaftsleben erfahren Sie von Herrn Hanfeld endlich, was ein Preprint ist. Aber ganz im Ernst. Ich es schon ein bisschen abenteuerlich zu behaupten, also, Sie wüssten um solche Gepflogenheiten nicht, Herr Professor Kekulé. Oder haben Sie, ich weiß nicht, wieviel sind es, für Ihre drei Doktorarbeiten Ghostwriter gehabt? Ernste Frage noch: Hat Hanfeld Sie um eine Stellungnahme gebeten vorher?


2 6 [0:42 :14] :



Alexander Kekulé


Lassen Sie uns das auf dieser inhaltlichen Ebene besprechen. Nein, ganz klar, weder Herr Hanfeld noch irgendjemand anders hat da gefragt. Und der Herr Hanfeld hat sich, glaube ich, erstens drüber aufgeregt, dass ich diese angebliche Forderung gestellt hätte – habe ich ja nicht. Also damit könnte man es jetzt einfach mal kurz wegwischen. Es ist auf der anderen Seite einfach die Frage, was ist überhaupt ein Preprint? Und da glaube ich, würde ich das glatt an der Stelle vielleicht noch einmal erklären wollen, wenn Sie meinen.


Tim Deisinger


Nur zu.



Alexander Kekulé


Ein Preprint, ist ja nicht, wie das früher mal war, eine Arbeit, die man für Kollegen schreibt, so nach dem Motto ich schick euch das mal, und dann sagte er mir, ob es gut oder schlecht war. Und dann reiche ich es ein. Also diese Funktion hat das mal gehabt, aber ist in den offiziellen Statements der ganzen Fachjournale nicht mehr vorhanden. Sondern heute geht es darum auf einen sogenannten Preprint-Server, das ist sind ganz bestimmte dedizierte Einrichtungen im Internet, das hochzuladen, um die Öffentlichkeit, auch die Fachöffentlichkeit natürlich in dem Fall, speziell darüber zu informieren, das etwas ganz Wichtiges jetzt rausgekommen ist, was man eben schon, bevor es gedruckt wird, lesen soll. Oder bevor es in den Journalen veröffentlicht wird, lesen soll. Das wird viel diskutiert, schon seit vielen Wochen, ob das bei Covid-19 nicht überhand genommen hat, weil wir


alle nur noch von den Preprint-Servern lesen. Und im Grunde genommen diese Kontrolle, die sonst bei den Veröffentlichungen ist, durch so ein Gremium, wie Reviewer, das mache ich auch oft für irgendwelche Zeitungen, also, wo die Fachleute das dann quasi prüfen, bevor es veröffentlicht wird. Das findet eben nicht mehr statt zum Teil. Und deshalb ist bei allen Preprint-Servern immer und überall eben dieser fette rote Hinweis drüber: Achtung, dies ist ein Preprint, bitte nicht für politische Entscheidungen verwenden. Bitte bei Zitaten in der Presse dazu schreiben, dass es eine unvollständige Arbeit war. Und wenn sie sich das Ausdrucken, was wir natürlich alle machen, weil wir natürlich von diesen Informationen leben, auch in diesem Podcast, übrigens. Wenn Sie das Ausdrucken, dann steht auf jeder ausgedruckten Seite darüber: Achtung, Preprint. Und eine Sache muss man einfach sachlich jetzt dem Herrn Hanfeld zurückspielen. Jawohl, man kann ein Preprint zurückziehen. Auf jedem Preprint-Server müssen Sie nur so ein Formular ausfüllen, dann ziehen die das zurück. Und es ist auch gar nicht mal so selten, dass Leute das machen. Natürlich kann man einen Preprint zurückziehen, sogar löschen könnte man es.


16 [0:44:43] :


Tim Deisinger


Wenn es denn eine ist. Ich will nochmal auf die Drosten-Sache zurückkommen. Der hat ja seine Studie über eine Twitter-Nachricht veröffentlicht, Ende April. Die hat einen Link gehabt zu einer PDFDatei. Und wenn ich das erst recht verstanden habe, nachdem was Sie gerade erklärt haben, war das gar kein Preprint.


19 [0:45:02 ] :



Alexander Kekulé


Also Christian hat es so erklärt. Also er hat gesagt, nachdem die „Bild“ ja über ihn hergezogen ist, hat er gesagt, das war ein Preprint. Jetzt sag ich mal, das ist ein Thema zwischen ihm und der „Bild“Zeitung, und deshalb möchte ich da gar nichts mehr zu sagen.


16 [0:45:17] :


Tim Deisinger


Okay. Es gibt ja weitere Entwicklungen. Gestern Abend hat Christian Drosten die neue Version seines Papers veröffentlicht, diesmal mit einem deutlichen Hinweis, dass es sich um einen Preprint handelt. Er hatte immer betont, am Ergebnis der seine Studie werde sich durch die Überarbeitung nichts ändern. Was steht denn da nun drin?


2 7 [0:45:38] :



Alexander Kekulé


Wenn man das jetzt liest, also ich finde es sehr gut. Ich finde die neue Arbeit sehr gut. Also ich bin ganz sicher, dass sie nicht so viele Kritik von anderen bekommen wird, wie die erste. Und es wird ganz konkret auch auf die virologischen Probleme eingegangen, die ich im „Tagesspiegel“ auch erwähnt hatte. Ganz konkret ist es so, dass diese Tests, das muss man da sagen, mit verschiedenen Systemen gemacht wurden, die, so wie es vorher war, eben nicht in einen Topf geworfen werden konnten. Das ist jetzt sauber voneinander getrennt und es gibt auch interessante neue Ergebnisse. Ich habe jetzt nicht alles im Detail gelesen, aber beim schnellen Überfliegen heute. Deshalb finde ich das schon mal super, dass das auch aufgegriffen wurde. Und es wurde die Kritik der sogenannten Statistiker aufgegriffen, die gesagt haben, man kann die Daten nicht so auswerten, wie das da gemacht wurde. Das wurde 1:1 umgesetzt. Darum ist es jetzt, finde ich so, wie es jetzt auf den ersten Blick sehe, handwerklich sehr gut geworden. Man muss allerdings auch sagen, es kommt was anderes heraus, als bei der ersten Studie. Bei der ersten war es so, dass gesagt wurde: Kinder und Erwachsene haben gleich hohe Viruskonzentrationen und daraus schließen wir, dass wahrscheinlich – oder möglicherweise, heißt es in der Studie – „wahrscheinlich“ wurde dann noch einmal von Herrn Drosten ergänzt, dass wahrscheinlich oder möglicherweise eben die gleich infektiös sind, tatsächlich. Das ist ja politisch ein wahnsinnig wichtiger Fakt. Und jetzt heißt es: Wir schließen, dass ein erheblicher Anteil der Infizierten in allen Altersgruppen genug Virus-Material im Hals hat, um


infektiös zu sein. Das heißt ja nur, dass in allen Altersgruppen erhebliche Anteile von Infizierten rumlaufen. Aber nicht, dass es eben gleich ist. Und das ist wissenschaftlich natürlich ein Riesenunterschied, weil wir ja bei den Erwachsenen relativ genau wissen, wie infektiöse sie sind. Und deshalb wäre das natürlich eine ziemlich schlimme Aussage, wenn wir wüssten, die Kinder sind, obwohl sie gar keine Symptome haben, genauso infektiös. Wenn man jetzt sagt, die Kinder sind auch infektiös, aber wir wissen nicht, ob es genauso schlimm ist. Dann ist das natürlich für die ganze politische Debatte ein wesentlich weicheres Urteil eines Fachmanns. Und das heißt dann auch deshalb nicht mehr, wir glauben, dass entweder wahrscheinlich oder möglicherweise die gleich infektiös sind. Sondern hier ist es jetzt umgekehrt formuliert. Hier heißt es jetzt: Wir haben keinen Hinweis darauf, dass es Unterschiede gibt. Das ist aber wissenschaftlich was anderes. Keinen Hinweis zu haben, dass es Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen gibt, oder zu sagen, es ist gleich. Von daher finde ich das eigentlich sehr diplomatisch und gut gelöst. Weil dadurch, sage ich mal auch, die politischen Entscheidungsträger so ein bisschen sagen können: Okay, wir können das hart bewerten oder weich bewerten. Es geht dann vielleicht darauf hinaus, dass insgesamt für die Gesamtbevölkerung das Risiko vielleicht da ist, aber nicht so hoch wie bei Erwachsenen. Oder man kann es so bewerten, dass man sagt nein, wir sind jetzt supervorsichtig und machen alles zu oder öffnen die Kitas und Grundschulen nicht. Das heißt, dadurch ist jetzt dieses vorherige, doch relativ deutliche politische Statement so ein bisschen relativiert. Und das finde ich eigentlich klug und freue mich sehr, dass die Arbeit dann jetzt, finde ich jetzt eigentlich, zu einem sehr seriösen und guten Ende gefunden hat. Das kann man seriös aus den Daten schließen. Und für mich persönlich ist die fachliche Auseinandersetzung damit jetzt erledigt. Also jetzt kann man sagen ich hoffe sehr, dass die „Bild“-Zeitung jetzt nicht noch einmal nachtritt an der Stelle.


16 [0:49:10] :


Tim Deisinger


Vielleicht können wir den großen Streit dann auch erledigen. Deswegen will ich kurz noch mal nachfragen, auch wenn es wie rumhacken klingt. Christian Drosten hatte Ihnen auf Twitter unter anderem auch entgegnet, dass man sie ja gar nicht kritisieren könnte. Sie müssten dazu erst mal was publizieren. Ich habe mal geschaut. Klar haben sie publiziert, auch was die Virenforschung betrifft, zum Beispiel zum Hepatitis-B-Virus. Aber das ist ja nun schon eine ganze Weile her. Insofern könnte man mutmaßen, so unrecht hat Herr Drosten da vielleicht doch nicht. Oder?


2 5 [0:49:46] :



Alexander Kekulé


Also, er hat natürlich völlig recht, dass ich kein Forscher bin, kein Grundlagenforscher, auf jeden Fall. Ich leite ein großes Institut, was drei Abteilungen hat, und eine davon ist die Virologie, was er in Berlin macht. Und das sind super Oberärzte, die sich kümmern. Und wir haben in Halle natürlich relativ wenig Personal. Wir hätten auch gar nicht die Räumlichkeiten, jetzt so eine richtig tolle Forschung zu machen. Und es ist so, dass man aber hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf. Der eine ist eben ein Grundlagenforscher, da misst sich einfach der Output der Arbeit wirklich an den Publikationen und Fachzeitschriften. Und was ich seit vielen Jahrzehnten inzwischen eigentlich mache, ist eigentlich die Beschäftigung mit Pandemieplanung und Seuchenabwehr. Wir machen in Halle natürlich auch Covid-19-Diagnostik, und gar nicht mal so wenig. Es ist aber auf der anderen Seite auch so. Muss man ehrlich sagen wir haben in Halle ganz wenig positive Fälle und schon gleich gar keine Kinder. Das kommt bei uns fast nicht vor. Und deshalb hätten wir nicht ansatzweise die Möglichkeit, so eine tolle Studie zu machen wie die, die da jetzt aus Berlin gekommen ist.


16 [0:50:51] :


Tim Deisinger


Wir reden ja gar nicht so oft über ihr Leben. Also würden sie nicht, möglicherweise auch gerne im Labor stehen? Vielleicht haben Sie mal so Entscheidungen gehabt, die sie für sich treffen mussten. Sie waren einmal ich glaube, Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Sie hätten und da ja auch


weitermachen können. Hat sie das nicht gereizt? Sie hätten ja vielleicht mal einen Nobelpreis bekommen können. Oder Ähnliches.


18 [0:51:2 0] :



Alexander Kekulé


(Lachen) Meine Mutter hätte sich gefreut. Ganz ehrlich gesagt, das muss ja jeder für sein Leben selber wissen. Wenn Sie so einen Grundlagenforscher sind, dann stehen Sie im Labor letztlich von morgens bis abends. Sie kümmern sich um jedes kleine Detail. Wieviel Lösungen sie wo zusammen pipettieren. Der eine Doktorand hat wieder ein Experiment gemacht, das nicht geklappt hat. Da müssen Sie überlegen, ob man das jetzt mit fünf Volt mehr oder weniger bei der Elektrophorese fahren soll oder ob man irgendein Puffer verändert. Das ist ein bisschen eine Typsache. Ob sie jetzt ein Arbeitsgebiet haben wollen, wo sie sich vertikal sozusagen maximal darauf konzentrieren. Oder ob sie, und das hat mich dann einfach, nachdem ich das ja viele Jahre gemacht hatte, mehr interessiert, die Frage stellen: So Krankheiten, die haben ja nicht nur den Auslöser zur Ursache. Also nicht nur das Virus verursacht eine Krankheit oder auch gerade eine Epidemie, sondern da ist ja immer ganz viel anderes dabei. Der Mensch selber hilft ja den Viren. Das sind ja soziale Probleme, die da eine Rolle spielen. Bei der Bekämpfung des Virus, das erleben wir jetzt alle, spielen ganz viele Fragen eine Rolle, die sozusagen außerhalb des Spezialgebiets der Virologie oder sogar dieses einen Virus`, auf das man sich ja dann letztlich konzentrieren muss als Forscher. Ich sag mal zum Beispiel ja, wenn wir jetzt diskutieren über Flugzeuge. Da müssen Sie sich ein bisschen auskennen mit der Klimatechnik in Flugzeugen. Und müssen Sie wissen, wie diese Filteranlagen funktionieren? Dann müssen Sie wissen, wie die Prozesse im internationalen Reiseverkehr und die IATA-Bestimmung der einschlägigen Fluggesellschaft sind und solche Sachen. Und das fand ich dann eigentlich spannender zu sagen was ist das auf der Metaebene, also auf der übergeordneten Ebene? Was gibt es da für Zusammenhänge, die da die da wichtig sind, um so eine Krankheit effektiv zu bekämpfen? Also, wenn Sie einen Impfstoff haben, ist natürlich geil, dann können sie können Sie sagen, der Fall ist erledigt. Aber das ist nicht die Regel. Letztlich ist es so, dass ich dann irgendwann gesehen habe, dass diese Dinge, die da außerhalb des Virus selber sind, dass die mindestens genauso wichtig sind wie sozusagen die die vertikale Forschung, sozusagen die Metaebene, die anderen Bereiche mit reinzunehmen. Und dann fand ich das auch interessanter, in die Krisengebiete zu reisen und da zu analysieren und zu helfen, warum es zu Ausbrüchen kommt und warum man immer wieder so unfähig ist, sich dagegen zu wehren. Das passt ja auch dazu, dass ich eben lange in der Schutzkommission war und früher Notarzt. Und darum werden diese Ergebnisse dann letztlich nicht in wissenschaftlichen Journalen natürlich publiziert, sondern weil es angewandte Wissenschaft ist, wird das eben er in Gutachten oder irgendwelchen praktischen Konzept für Auftraggeber publiziert. Tim Deisinger Zum Beispiel?



Alexander Kekulé


Naja, also, wir haben zum Beispiel bei Ebola, das ist, glaube ich, auch viel in den Medien gestanden. Da hatte ich mit „Ärzte ohne Grenzen“ zusammen bei dem Ausbruch 2 014 ein großes Konzept gemacht, wie man da in Westafrika tatsächlich helfen kann, diese Epidemie dort möglichst schnell einzudämmen. Das war, dann muss man auch sagen, tatsächlich das Konzept, was, was dort funktioniert hat. Ex post werden diese Sachen ja dann immer analysiert. Oder auch bei der Schutzkommission. Das ist, glaube ich, auch relativ bekannt, 2 009, diese Diskussion um den Impfstoff, wo wir von der Schutzkommission. Aber da war ich natürlich wesentlich daran beteiligt, empfohlen haben, dass man einen anderen Impfstoff verwendet und auch erklärt haben, wie man den bestellen muss und so weiter, als der, der von der Bundesregierung gewünscht war. Und das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, weil natürlich auch da es zu Auseinandersetzungen mit dem Robert Koch-Institut gekommen ist. Die sahen das damals anders. Ex post war es so, dass der von der Bundesregierung bestellte Impfstoff verbrannt werden musste, und man alles sozusagen dann in den Ofen geschickt hat, hinterher. Aber natürlich ist das so, dass aus solchen Auseinandersetzungen,


kann man ja ganz offen, sagen man sich nicht nur Freunde machen in solchen Ämtern. Und gerade deshalb – jetzt schätze ich Jan Böhmermann als jemanden ein, der selber relativ kritisch ist – finde ich, so sollte er sich eigentlich freuen, wenn da so einen Kritiker noch da ist. Meine Befürchtung ist, wenn man sieht, wie es jemanden geht, das RKI ein paarmal kritisiert hat, und zwar nicht nur bei Covid-19, sondern auch schon früher, dass ich dann gar keiner mehr aus der Deckung traut von meinen Kollegen. Die Leute, die an der Drosten-Arbeit Kritiken geschrieben haben, waren übrigens fast ausschließlich aus dem Ausland. Also, ich finde, so darf es dann nicht sein. Sondern, ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man jeden leben lässt mit seiner Disziplin.


Tim Deisinger


Aber wenn ich das höre, ich höre, was sie machen und auch höre, was Herr Drosten macht, könnte man doch eigentlich sagen, Mensch, sie beide könnten sich doch zum Dreamteam ergänzen, um uns möglicherweise vor einer zweiten Welle zu bewahren. Bekommen Sie das hin bis dahin?



Alexander Kekulé


Ich glaube schon. Es ist so, ich habe gestern über eine Stunde mit ihm telefoniert. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass da irgendwie persönliche oder auch inhaltliche Diskrepanzen da sind. Das sind ja immer nur Nuancen, wie man sich unterscheidet. Wissenschaftler haben so die Eigenschaft, dass sie leider innerhalb von drei Minuten immer zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Das ist für so Leute wie die „Bild“-Zeitung oder auch für Fernsehshows wahnsinnig langweilig. Wir haben ja beide eigentlich die eine interessante Situation. Also, wenn ich das mal so von innen sagen darf. Es ist ja so. Er hat ja nun wirklich, als er auf Coronaviren sich spezialisiert hat, vor vielen Jahren, ein relativ exotisches Gebiet sich ausgesucht, was in Deutschland kaum jemand anders gemacht hat, auch in Europa sonst nicht so beliebt war. Ich glaube, dass es für ihn keine Überraschung, dass er jetzt dann gleich nachdem er da in Berlin eingezogen ist und alles startklar hatte. Jetzt kommt eine Pandemie. Das ist ja sowieso ganz selten und dann auch noch mit Corona, wo alle mit Influenza gerechnet haben. Ich glaube, das ist einfach eine interessante Entwicklung oder eine überraschende Entwicklung. Und klar ist der Mann dafür. Bei mir ist es so. Ich muss sagen, ich habe mein Leben lang mich mit eben mit der anderen Seite mit der praktischen Seite angewendet befasst. So ein bisschen wie der Arzt, der die Medikamente anwendet, aber nicht selbst erfunden hat. Und wenn Sie dann quasi ihr Leben lang somit Pandemie und Seuchenabwehr zu tun hatten. Und dann kommt, noch bevor ich in Ruhestand gehe, eine wahrhaftige Pandemie daher. Das ist für mich auch so eine interessante Situation. Und ich glaube, wir beide so haben da gute Chancen und zu ergänzen. Und ich glaube, das wird auch funktionieren,


Tim Deisinger


Wir sind jetzt schon sehr lang geworden. Aber ich glaube, das war wichtig, diesen Streit mal ein bisschen intensiver zu beleuchten. Wir wollen dennoch am Ende noch ein paar Hörerfragen beantworten, wie das üblich ist bei uns im Podcast.


Fangen wir mal mit einer Hörerin aus Berlin an.


Hörerin aus Berlin


Und zwar wird ja immer wieder gesagt, dass Studien zu Kindern und Schulen und Kitas nicht möglich sein, weil die Kitas und Schulen eben zu sind. Es gibt aber in Schweden durchaus die Möglichkeit zu schauen, wie sich dort die Virusverbreitung über Schulen und Kitas gestaltet. Wieso gibt es aus Schweden dazu bisher keine Studien?



Alexander Kekulé


Ja, wir haben offensichtlich superintelligente Hörer. Also das ist eine Frage, die genau richtig ist. Es gibt aus Schweden dazu Verlautbarungen, keine Studien, dass es tatsächlich so. Und das ist ja der Grund, warum das so wichtig ist, was in Berlin gemacht wird und auch weltweit beobachtet wird. Es gibt keine Studien dazu. Aber es gibt aus Schweden die Verlautbarung, dass dadurch, dass die Kinder


weiterhin das Virus austauschen konnten, dass dadurch das Virus getragen wurde in die Altersheime, wo es ja in Schweden zu diesen hohen Todesziffern gekommen ist. Das hat man dort verpasst, dass man einfach erst mal die Risikogruppen schützt. Aber diese Behauptung, die da überall von Fachleuten auch in den Medien aufgestellt wird, für die gibt es tatsächlich keine Studie. Also die gehen davon aus, dass es so ist. Aber die haben keinen Beweis dafür.


Tim Deisinger


Hubert S. hat uns geschrieben. Er hat eine Mail geschickt. 63 Jahre. Nach eigener Aussage kein Risikopatient. Ich zitiere: „Für Ende Juno habe ich einen OP-Termin im Rahmen einer Tagesklinik für eine Leistenbruch-OP. Lese gerade die Meldungen über eine im Lancet veröffentlichte Studie, wonach das Sterberisiko nach OPs bei Corona-Infizierten in den ersten 30 Tagen nach der OP bei 2 3,8 Prozent liegt. Normalerweise aber unter einem Prozent. Der Leistenbruch verursacht keine permanenten Beschwerden, äußert sich halt nach sportlichen Belastungen, müsste halt mal gemacht werden. Würden Sie dazu raten, die OP gegebenenfalls ins nächste Jahr zu verschieben?



Alexander Kekulé


Also erstens würde ich die diese hohe Prozentzahl mal anzweifeln. Ich kenne jetzt diese Studie nicht, wo das, wo das dringestanden hat. Das müsste man noch mal nachlesen. Das kommt ja schon sehr auf die Art der Operation an. Das kann man so pauschal sicher nicht sagen. Das Zweite ist, wenn das Krankenhaus in Ordnung ist. Und wir sind da in Deutschland inzwischen super aufgestellt, ich gehe davon aus, dass wir hier kaum noch infiziertes Personal haben. Alles andere wäre ja wirklich schlimm nach so vielen Monaten. Dann gehe ich davon aus, dass, wenn man im Krankenhaus in einer chirurgischen Abteilung ist, dass man sich da keinem erhöhten Risiko aussetzen, mit Corona infiziert zu werden. Wir haben so wenig Fälle im Land. Das kann man in der jetzigen Situation wirklich riskieren.


Tim Deisinger


Wir haben noch eine moralische Frage einer Hörerin.


Hörerin


Wenn Leute die Regeln nicht einhalten, sollte man das dann zur Anzeige bringen? Auch wenn die Leute einem nahe stehen? Oder sollte man lieber diese Leute meiden?



Alexander Kekulé


Also ich würde wahrscheinlich keines von beiden machen. Aber das ist jetzt eine sehr individuelle Frage. Also aus Sicht des Epidemiologen ist es ja so: Wenn sich 2 Drittel, 67 Prozent, an die Regel halten und das konsequent und das mit einem R0=3, also in der Maximalgeschwindigkeit der Ausbreitung in diesem Bereich, dann würden sie ja schon die Sache unter Kontrolle bringen. Das heißt also, irgendwie so ein paar einzelne, die da unbelehrbar sind, denen hinterherzurennen, das würde ich jetzt persönlich aus virologischer oder epidemiologischer Sicht nicht machen. Man muss ja auf der anderen Seite immer sehen. Die Gefahr ist, dass hier das Virus auch zum Spalt-Virus wird. In dem Sinn, dass es unsere Gesellschaft spaltet, in 2 Gruppen oder drei Gruppen oder verschiedene Lager. Und deshalb meine ich, wenn man jetzt Anzeigen macht oder die Leute dann nicht mehr sieht oder sagt mit euch spiele ich aber nicht mehr und so ein und eure Kinder dürfen auch nicht mehr mit meinen spielen. Also ich weiß nicht, ob das dann insgesamt nicht die Voraussetzungen für die Konfrontation mit diesem Virus, der noch länger dauern wird, schlechter macht. Für uns als Gesellschaft insgesamt. Davon ausnehmen würde ich ganz klar bekannte Risikogruppen. Also wenn ich jetzt natürlich 70 plus bin oder wirklich eine schwere Grunderkrankung habe, dann würde ich mir schon überlegen, ob ich mich mit Leuten ohne Schutz treffe. Heißt konkret ohne FFP-Maske, von denen ich weiß, dass sie sich überhaupt nicht an diese Regeln halten. Das kann man auch so rum sagen. Aber ich glaube, mit denen 2 Leitplanken kommt man ganz gut durch die Krise.


Tim Deisinger


Okay. Und dann haben wir zum Schluss noch die Frage eine Hörerin. Sie ist, ich sag mal, Oma hat einen Enkel, Elias, der ist sieben Jahre alt. Der weiß viel über Corona und klärt auch seine Oma auf. Singen sei nicht erlaubt, aber er hat dazu noch eine Nachfrage.


Hörerin


Er weiß, dass das Gleiche passiert bei lautem Schimpfen. Da breitet sich das Virus genauso schnell aus. Und er möchte wissen, warum wird nur vor gemeinsamen Singen gewarnt, nicht aber vor lautem Schimpfen? Und er meint, dass die Welt wesentlich besser würde, wenn man die Leute auch davor warnen würde.



Alexander Kekulé


Super. Also, das finde ich wahnsinnig. Der ist ja wahnsinnig clever, der Bursche. Wahrscheinlich wollte er da noch sagen, und jetzt will ich, dass mich keiner mehr schimpft wegen, egal wegen was. Das kann ich Ihnen eigentlich nicht kommentieren? Ja, lautes Schimpfen ist aus verschiedenen Gründen vielleicht gar nicht so gut. Also, es tut immer gut, der schimpft. Das hat man ja heute, glaube ich, auch tatsächlich zum Thema in gewisser Weise. Und jetzt ist es so, dass uns natürlich insgesamt laut er schimpfende Dinge nicht voran bringt. Und da hat der Bursche völlig recht.


Tim Deisinger


Dann sind wir damit heute wieder durch. Das war's. Vielen Dank, Herr Kekulé. Und bis morgen, sag ich mal im Namen von Carmillo Schumann. Der ist dann morgen wieder hier.



Alexander Kekulé


Dann anke auch Ihnen, Herr Deisinger. Bis dann.


Tim Deisinger


Wenn Sie Fragen haben, dann schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de Oder rufen Sie uns an unter 0800 32 2 00. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #FragKekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und natürlich auf mdraktuell.de






Stichwortverzeichnis mit Notizen


CT (CYCLE TRESHOLD) oder Amplifikations-Zyklen (Amplifikationszyklen)


Post-lockdown SARS-CoV-2  nucleic acid screening in nearly ten million residents of Wuhan, China, Nature Communications 11 (Nov. 2 02 0)




Supplementary 


Table 1. Median age-stratified Ct value of the samples of asymptomatic cases 




Age (years)        


    


Ct value_ ORF


Median (IQR)


 Ct value_ N


Median (IQR)


 6-17


34.69(4.98) = 2 9.7 ... 39.67


34.77(4.95)


18-44


35.63(4.67)


34.47(4.68)


45-64


34.63(5.65)


34.00(4.39)


65+


35.2 8(5.36)


34.85(4.05)


Notes: 


IQR, interquartile range; 


ORF, open reading frame; 


N, nucleocapsid protein




CT-Wert


Der CT-Wert wird liefert einen Hinweis auf die Viruslast. Das kann, muss jedoch nichts über die Kontagiosität aussagen. Gerade ab zehn oder mehr Tagen nach Symptombeginn gibt es Hinweise, dass der CT-Wert isoliert nur noch wenig über die Kontagiosität aussagt."


[0:13:2 0]





Alexander Kekulé:


Das kann man nicht ganz so sagen. Der CT-Wert sagt einfach aus, wie viele Viruspartikel da drinnen waren in der Probe. Wobei diese Viruspartikel nicht unbedingt vermehrungsfähig gewesen sein müssen. Diese PCR weißt quasi auch abgestorbene Viren, also nicht mehr vermehrungsfähige Viren, nach. Weil sie weist nur das Genom nach, nur diese RNA des Virus. Trotzdem gibt es natürlich eine Korrelation. Wenn das Virus sich im Rachen nicht mehr vermehrt, dann nehmen auch diese abgestorbenen Viren deutlich ab. Das ist klar. Es wird ständig durch den Speichel und auf andere Weise da gereinigt. Die Immunzellen sind ständig unterwegs auf den Schleimhäuten und räumen alles weg, was man nicht mehr braucht. Deshalb verschwinden abgestorbene Viruspartikel nach einer Weile, wenn also nicht ständig weiter nachproduziert wird. Sodass man sagen kann, so ein CT-Wert 2 5 ist ein Beispiel, wo es eindeutig so ist da muss auf der Schleimhaut eine Virusproduktion stattfinden. Weil so viel Müll liegt nicht rum bei uns im Rachen. Das wäre nicht möglich. Klar, wenn man einen CT-Wert hat, der zwischen 2 8 und 30 liegt, da fängt die Diskussion an. Da kommt es auch darauf an, wie der Test gemacht wurde. Wie viel war auf dem Tupfer drauf? Wie gründlich wurde der abgenommen? Und ja, da gibt es einzelne Patienten, die haben Covid durchgemacht. Die sind längst wieder gesund und putzmunter. Und deren Quarantäne wird ständig verlängert, weil sie am Ende der Quarantäne so ungeschickt waren, einen Test zu machen. Dieser Test ist eine Möglichkeit, die Quarantäne zu verkürzen. Aber wenn man ihn gemacht hat und dann Fett positiv war in der PCR, dann sagt das Gesundheitsamt, noch mal zehn Tage oder 14 Tage. Je nachdem.




Unterm Strich ist es so, die CT-Werte korrelieren schon mit der Infektiosität. Davon gehen wir aus. Wo die Grenze ist, wissen wir nicht. Da entfachen sicher viele Diskussionen, ob das jetzt bei 2 8 oder bei 30 liegt oder was auch immer. Da kann ich auch nichts dazu beitragen, weil das wirklich in jedem Labor ein bisschen anders festgestellt wird.








Und bei der PCR ist es ja so, dass das Genom des Virus, das Erbgut des Virus, in einem chemischen Verfahren verdoppelt wird. Dann hat man ja vier, und wenn man das noch einmal verdoppelt, hat man acht und dann 16, 32 , 64, und wenn man es zehnmal macht 1.02 4 und so weiter. Das heißt also, man vermehrt in sehr großer Zahl dieses Genom des Virus. Und irgendwann sagt das Nachweisverfahren, Bing, da ist ein Virus da oder auch gar nicht. Und man kann – so empfindlich ist die Methode unter experimentellen Bedingungen, jetzt nicht mit der Routinediagnostik – ein einzelnes Genom nachweisen. Das ist so unglaublich empfindlich, dass man ein einziges Virus nachweisen könnte. Das findet bei der Routinediagnostik nicht so statt. 




  • Und deshalb sagt man, okay, ab wann gilt es denn als positiv? Und da ist so eine Grenze eingebaut. Wir nennen das Cutoff, also da, wo abgeschnitten wird. Meistens liegt der Cutoff für die Verfahren – das wird in jedem Labor je nach Methode separat bestimmt –, aber der liegt meistens in der Größenordnung zwischen 33 und 35 CT. Das heißt also 2 hoch 33 hätte man sozusagen vermehrt bei der ganzen Sache. 

  • Das ist eine Empfindlichkeit, die dann über die Infektiösität nicht unbedingt was aussagt. Die sagt etwas darüber aus, dass das Virus da ist. 

  • Die PCR ist extrem spezifisch, wie wir sagen. Die irrt sich also nicht bei dem, was sie nachweist. Wenn die positiv ist, dann ist das Virus da, oder zumindest sein Genom. Das kann auch ein totes Virus, also ein nicht vermehrungsfähiges Virus sein. 

  • Aber die sagt jetzt nichts darüber aus, ob genug Viruspartikel da sind, um effizient eine Ansteckung zu machen. Und da sagen wir seit einiger Zeit den diagnostischen Laboren, ab einem Wert von 30 ungefähr – das ist weitgehend anerkannt – gilt der Patient nicht mehr als infektiös. 

  • Ich habe das auch schon gesehen, dass Gesundheitsämter dann gesagt haben CT war über 30. Ja, das ist jemand, der offensichtlich die Infektion durchgemacht hat und noch so ein paar Viren oder Virusgenome übrig hat im Speichel. Aber der gilt uns jetzt nicht mehr als infektiös. Der darf sich wieder ganz normal verhalten. – Da unterscheiden sich übrigens die Gesundheitsämter. Es gibt auch andere, die sagen, nein, wenn irgendetwas nachweisbar ist in der PCR, muss derjenige in Quarantäne bzw. in die Isolierung definitionsgemäß. Und das ist eine kleine Schwierigkeit. Und die sogenannten Corona-Kritiker haben das aufgespießt. Die sagen – und an der Stelle ist das Argument nicht ganz falsch Wenn einer ein CT von 30 hat, wieso muss er jetzt in Isolation für zehn Tage?

Und es gibt ja skurrile Fälle. Da gibt es Menschen, die sind so neugierig, dass die nach zehn Tagen, wenn sie von der Isolierungsanordnung vom Gesundheitsamt bekommen haben, dann sagen sie nicht, okay, der Spuk ist vorbei, ich gehe wieder raus zum Einkaufen. Nein, dann lassen sie noch einmal einen Test machen, oder der Arzt war neugierig und macht noch mal ein Test. Und dann sieht man, ups, die PCR ist immer noch positiv. Da können Sie noch einmal zehn Tage Quarantäne machen. Und sie kriegen auch von einigen Gesundheitsämtern dann die Quarantäneanordnung. Und Sie werden es nicht glauben: Es gibt Fälle, wo dann Leute nach sechs und acht Wochen völlig verzweifelt sind, weil sie irgendwie noch Spuren von Virusgenomen im Speichel haben. Das geht bei denen halt dann einfach nicht so schnell weg wie bei anderen. Und da gibt es sture Gesundheitsämter in Deutschland, die sagen, okay, Quarantäne, noch mal zehn Tage, noch mal zehn Tage. Das ist Futter für die Corona-Kritiker. Und deshalb sind die Virologen, die sich mit dem Thema intensiver beschäftigen, sich einig, dass man irgendwo bei 30, manche sagen sogar schon bei 2 9, 2 8 sagen muss, das ist jemand, der hat wohl Covid19 durchgemacht. Der gilt aber für uns nicht mehr als infektiös.




[0:12 :54]:



Camillo Schumann

:


Dann verstehe ich nicht, warum man das nicht bundesweit einheitlich gemacht hat, bspw. 30 und fertig für alle Gesundheitsämter. Warum es solche individuellen Lösungen gibt, das kann ich als Außenstehender nicht nachvollziehen.




[0:13:10]:



Alexander Kekulé:


Es gibt 


  • verschiedene Verfahren, mit denen man das nachweist, 

  • verschiedene Maschinen, 

  • verschiedene Hersteller. 


Und bei jedem ist der CT-Wert etwas anders. Und wenn man es ganz genau nimmt, ist es sogar so, dass jedes Labor für sich das auch noch einmal austariert, damit der Cutoff sauber ist, wo man sagt, okay, da ist es bei uns positiv, da ist es negativ. 




Und dann gibt es da noch einen Bereich dazwischen. Den nennen wir eben nicht genau feststellbar. 


  • Jetzt gibt es Labore, die sagen, bei nicht feststellbar bitte noch mal eine Probe einschicken. Das finde ich eigentlich das Vernünftigste. 

  • Es gibt aber andere Labore, die schreiben dann auf dem Befund drauf, schwach positiv, wenn es grenzwertig ist. Was soll jetzt jemanden im Gesundheitsamt, so ein armer Amtsarzt, mit der Info machen: schwach, positiv? 

  • Und Sie haben völlig recht, da wäre eigentlich die Gesellschaft für Virologie gefragt, das ist unsere Fachgesellschaft, die sich auch um solche diagnostischen Standardisierungen kümmert, eine Empfehlung abzugeben, ab welchem CT, bei welchem Gerät und bei welchem Hersteller man noch von einer Infektiösität ausgehen kann. 

  • Aber wir kennen die öffentliche Diskussion zwischen den Fachleuten. Die sind unterschiedlicher Meinung. Bis jetzt habe ich noch nicht festgestellt, dass irgendjemand so mutig war und gesagt hat, okay, CT gleich 2 8, darüber ist Schluss. Und darunter gilt der Patient nicht mehr als infektiös? Da hat dann jeder ein bisschen Angst. Dass er zur Verantwortung gezogen wird, wenn es doch mal eine Ansteckung gab.

[0:14:38]:



Camillo Schumann

:


Aber nichtsdestotrotz: von Anfang an war ja klar, dass ein positiver PCR-Test sogar als Fall definiert wurde laut WHO und Robert-KochInstitut. Da geht man ja sogar noch einen Schritt weiter. Da ist man ja förmlich schon krank in Anführungszeichen, obwohl man das ja überhaupt nicht ist.


4




[0:14:55]:



Alexander Kekulé:


Jetzt sprechen sie etwas an, was beim Epidemiologen zu einem Zwei-Stunden-Vortrag führen könnte. 




Sie haben völlig recht: 


  • Die Falldefinition erfolgt in Ermangelung anderer sauberer Kriterien. 

  • Sie wissen, klinisch sieht es aus wie eine Influenza. 

  • Was soll man machen? Man kann ja nicht sagen: Fieber plus Husten plus Kopfschmerz ist gleich Covid. 

  • Deshalb gibt die Falldefinition über die PCR, man hat einfach nichts Besseres. Und dadurch kommt eben dieser PCR extrem viel Gewicht zu. 

    • Wobei man aber sagen muss: Mit der Falldefinition habe ich nicht so viele Probleme, denn da ist jeder, der positiv ist, in der PCR. Der hat ja Kontakt mit dem Virus gehabt. Anders kann das nicht sein. 

    • Und da ist es sozusagen für die medizinische Diagnostik und Therapie, wie man weiter vorgeht, schon gut, das über die PCR zu machen. 

Die Chinesen haben am Anfang, weil sie nicht genug Tests hatten, klinische Kriterien zu Rate gezogen, oder auch geröntgt. Das war also wesentlich schwächer. Und selbst die Falldefinition, die mancher jetzt anbieten, sogar Hunde zu verwenden für die Diagnostik, ist viel schwächer als die PCR. 




Aber man muss eben sauber unterscheiden – und da liegt der Hase im Pfeffer – 


  • zwischen den Fragen, die die Ärzte haben, die jemanden therapieren wollen – da ist die PCR richtig –

  • und den Epidemiologen, die eigentlich nur für die Gesamtbevölkerung diese Infektion eindämmen wollen. 

Und da wäre es schon sinnvoll, wenn man sich einigen würde auf einen CT-Wert, wo man nicht mehr als infektiös .








Amplifikationszyklen CT



Alexander Kekulé


Man kann bei sowas natürlich schon ein bisschen Kaffeesatz lesen machen. Aber dazu müsste ich jetzt ganz genau wissen, an welchem Datum was gewesen ist und wie der Kontakt untereinander war. Weil die CT-Werte, die steigen ja an. Also wenn ich jetzt ... Rein theoretisch ... Der Idealfall ist: Ich werde infiziert und am Tag fünf, das ist sozusagen der typische Tag dafür, bekomme ich Symptome. Merke irgendetwas. Kratzen im Hals oder so was. Und dann ist man typischerweise an diesem ersten Tag und vielleicht noch einen halben Tag vorher am stärksten ansteckend. Das ist ja das Gemeine hier, dass das Maximum der Ansteckungsfähigkeit, Also auch der kleinste CT-Wert heißt dann die höchste Viruskonzentration im Hals. Das hat man ganz am Beginn und vielleicht noch kurz vor Beginn der Symptome. Und wenn man das bei der ganzen Familie hat, vielleicht über verschiedene Tage. Dann kann man das schon übereinander legen und überlegen, wer wahrscheinlich der erste war. So ganz perfekt ist es natürlich nicht vergleichbar. Aber man kann so eine Daumenpeilung machen. Aber ohne Datum und ohne genau zu wissen, wer mit wem Kontakt hatte, ist es von hier aus nicht möglich.





Camillo Schumann



Vielleicht noch ein, 2 Worte zum CT-Wert. Wer das so noch nie gehört hat.





Alexander Kekulé


[0:06:47]



Camillo Schumann



Zumindest ist das ein Indiz. Und jeder, der sein Testergebnis hat, kann einmal auf diesen Wert schauen und dann selber für sich einschätzen, wie gefährlich in Anführungszeichen die Aussagekraft dieses Tests wirklich ist?


[0:06:59]





Alexander Kekulé


Ich glaube schon, dass man das bisschen nachvollziehen kann. Weil das wissen übrigens die Gesundheitsbehörden auch nicht. Genau das ist so, was vielleicht eine ganz interessante Umfrage wäre, die man starten könnte. Weil die Menschen wissen zum Teil ganz genau, wo sie sich infiziert haben. Die haben oft eine ganz konkrete Vorstellung. Ich treffe natürlich sehr oft Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben oder gerade durchmachen. Und ich frage immer: „Wo haben Sie sich angesteckt?“ Weil mich das einfach interessiert, ob man das weiß. Und die meisten sagen: „Entweder da oder da.“ Die haben relativ konkrete Vorstellungen, wo es wohl gewesen sein sollte. Und wenn man das natürlich jetzt rein theoretisch mit dem CT-Wert irgendwie korrelieren könnte. Also der Einzelfall, sagt gar nichts. Aber wenn Sie tausend Werte hätten, 





Camillo Schumann



Gibt es denn so ein System hat, wo man eindeutig sagen kann, ab diesem Wert ist man infektiös?





Alexander Kekulé



Kinder: Kekule vs. Lauterbach



Kompass #2 01


Camillo Schumann

: ...Ihr Kollege Karl Lauterbach hat der Rheinischen Post gesagt: In Großbritannien sind bereits viele Kinder mit Covid in der Klinik. Die Ständige Impfkommission argumentiert, dass Covid für Kinder harmlos sei. Für die Delta-Variante gilt dies seiner Ansicht nach aber nicht. Stimmt das denn? Also geben das die Daten her, dass viele Kinder in Großbritannien in der Klinik liegen und das Delta das Ganze noch verschlimmern können?


Zahl der Kinder in Kliniken weiter gering

Stand: 2 9.06.2 02 1 14:35 Uhr


Die Äußerung von SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach, wonach viele Kinder in Großbritannien im Krankenhaus seien, hat für neue Diskussionen gesorgt. Doch die Datenbasis dafür fehlt.

Von Patrick Gensing, Redaktion ARD-faktenfinder


Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat die Ständige Impfkommission (Stiko) aufgefordert, ihre eingeschränkte Empfehlung für Corona-Impfungen von Kindern zu überdenken. Die Stiko argumentiere, dass Covid-19 für Kinder harmlos sei, sagte Lauterbach am Montag der "Rheinischen Post". "Für die Delta-Variante gilt dies meiner Ansicht nach aber nicht", betonte er. In Großbritannien würden bereits viele Kinder mit Covid-19 in Krankenhäusern behandelt.


Daten zeigen keine stark steigenden Zahlen 

Daten zeigen, dass die Zahl der Corona-Infektionen in Großbritannien zwar tatsächlich steigt die der infizierten Kinder und Jugendlichen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, aber gering bleibt. Dies gilt sowohl für England als auch Schottland und andere Teile des Vereinigten Königreichs. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärte Lauterbach dazu, er habe sich bei seiner Aussage auf einen Minister aus Schottland bezogen, der von mehr Kindern in Krankenhäusern berichtet, dies später aber wieder relativiert habe. Tatsächlich zeigten die Zahlen aus Großbritannien keine deutlichen Steigerungen, sagte Lauterbach. Er verwies allerdings auf Erkenntnisse zu "Long Covid" bei Kindern und Daten aus den USA sowie Indien, die schwerere Verläufe bei Kindern und Jugendlichen anzeigten. Daher bleibe er bei seiner Einschätzung, Impfungen seien wichtig und notwendig, um Kinder und Jugendliche vor der Delta-Variante zu schützen und das Infektionsgeschehen einzudämmen.




Alexander Kekulé

Also erstens stimmt alles, was Karl Lauterbach sagt. Zweitens kann ich das aber nicht nachvollziehen. Sie hatten mir vorher das Zitat geschickt und ich habe mal versucht zu recherchieren. 


Kompass #190

Nun hat sich ihr Kollege Karl Lauterbach in der Sendung Markus Lanz auch für die Impfung von Schülerinnen und Schülern ausgesprochen. Und als Begründung hat er eine einfache Rechnung aufgemacht. Wir hören nochmal zusammen rein:


„Die Kinder gehen wieder in die reguläre Schule, sind aber nicht geimpft. Dann werden wir mit den Varianten – wahrscheinlich auch die ähnliche Variante im Vordergrund – werden wir riesige Ausbrüche in den Schulen sehen. Und da ich das verhindern möchte, da ich also einfach verhindern möchte, dass wir im Herbst nochmal in eine Situation kommen, wo dann entweder Quarantäne, Schule schließen und so weiter und so fort. Oder Wechselunterricht und so weiter. Und da wäre ich bereit, zu sagen – also Ross und Reiter nennen – die 2 Wochen schieb ich diejenigen, die keine Priorisierung haben, aber Erwachsene sind, die schiebe ich nach hinten, schiebe die Kinder dazwischen.“


Erst einmal: Würden Sie sich dieser Einschätzung anschließen, dass ungeimpfte Kinder für Massenausbrüche sorgen und damit für Schulschließungen im Herbst verantwortlich sein werden?



Alexander Kekulé


Erstens gibt es die Gefahr, dass – oder wie er sagt, dann wird es, er sagt ja nicht, es gibt die Gefahr, sondern er macht da so einen Automatismus draus: Es wird riesige Ausbrüche geben, wenn die Kinder nicht geimpft sind. 

Antwort: Nein, das wird nicht so sein. Und zwar, weil da ist ja noch die Frage dazwischen: Was machen wir eigentlich, wenn es Fälle in der Schule gibt? Und müssen wir dann die Schule schließen? Auch da kann man sagen: Das ist kein Automatismus. Sondern Nummer eins ist die Frage: Wird es überhaupt viele Fälle in der Schule geben? Wie das Zitat von der ECDC vorhin von der Europäischen Seuchenbehörde ja gezeigt hat: Die Mehrheit der Fachleute ist eigentlich der Meinung, dass bei Kindern die Infektionsgefahr und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sozusagen Motor sind für eine Weiterverbreitung der Pandemie, nicht so groß ist wie bei älteren. Keiner weiß genau, wo die Grenze ist.



Also, ich würde schon sagen, Jugendliche in der Schule sind ein Risikofaktor. Aber Kinder und Kita-Kinder, von da ist ja – anders als wir das von Influenza immer gesehen haben und von anderen Krankheiten – jetzt nirgendwo wirklich die Pandemie ausgegangen, in keinem Land der Erde. Und das kann man erstmal so konstatieren. Übrigens, als kleiner Nebeneinwurf: Es gab ja mal diese Diskussion, Christian Drosten hat mal eine Studie gemacht, wo er, ich glaube, auch missverstanden wurde und wo er verglichen hat, wieviele Viren eigentlich im Rachen von Kindern sind, also in den Abstrichen, die da gemacht wurden an der Charité. Und hat gesagt, am Anfang ist das ungefähr gleich und da wurde dann immer so die Schlussfolgerung gezogen: Kinder sind genauso infektiös wie Erwachsene. Und jetzt muss man sagen, also, diese Studie ist ja gerade zusammen mit anderen Daten veröffentlicht worden und da ist herausgekommen, dass nun definitiv – zumindest bei den Daten, die da erhoben wurden – Kinder statistisch gesehen weniger Viren in der Probe hatten als Erwachsene. Warum auch immer, kann gelegen haben an der Art des Abstrichs oder sonst was. Aber Kinder hatten weniger Viren, sogar in dieser Studie, die ja in Deutschland viel diskutiert wurde. Und jetzt muss man sagen, also, da wir ja nun wirklich keinen klaren Hinweis darauf haben, dass es dann massive Ausbrüche gibt – schon epidemiologisch, finde ich, darf man diese Prognose nicht einfach so eins zu eins stellen. Wenn es dann dazu käme, kann ja sein, der Rest der Bevölkerung ist vielleicht geimpft, nur noch die armen Kinder sitzen in der Schule zusammen. Ich glaube, wie gesagt, dass das Berufsumfeld gefährlicher ist. Aber nehmen wir mal an, es wäre so, dass die Kinder dann sozusagen die Pandemietreiber wären. Es ist ja immer noch die Frage: Was machen wir? Und da, glaube ich, haben sich ja die Maßnahmen Schnelltests, Gruppenbildung in der Schule und ähnliches ja sehr bewährt. Und ich plädiere ganz massiv dafür, das in der Schule jetzt schon vorzubereiten, sodass wir im Herbst diese Sachen dann wirklich am Start haben und nicht wieder dastehen wie letztes Jahr. Weil, wenn die Schule losgeht, wird es natürlich dann wieder kühler. Und wenn dann wieder keine Luftreinigungsgeräte da sind, wenn dann irgendwie die Tests nicht verfügbar sind und keiner weiß, wer die machen soll und so weiter, dann gibt es dafür wirklich absolut keine Entschuldigung. Und selbst wenn der Impfstoff – der ja jetzt für 12 bis 15-Jährige zugelassen ist – selbst wenn es so wäre, dass der dann auf Empfehlung der STIKO angewendet werden sollte, dann würde das eben nur die Jugendlichen, 12   bis 15, betreffen. Also, nur ganz wenige Kinder im engeren Sinne. Und die Jüngeren wären sowieso weiterhin vulnerabel empfänglich. Und da bräuchte man dann sowieso diese Schutzkonzepte. Deshalb glaube ich nicht, dass man da so schwarz-weiß malen darf, bei allem Respekt vor Herrn Lauterbach. Aber es ist nicht so, dass wir sagen: Wenn wir die jetzt nicht impfen, dann kommt also hier die große Katastrophe. 

  1. Sondern erstens ist die Frage: Kommt sie überhaupt? 
  2. Zweitens: Wenn es dann Fälle gibt, können wir die nicht anderweitig auch kontrollieren? Und da sage ich: Ja. 
  3. Und drittens, das ist vielleicht nochmal ganz wichtig: Jetzt nehmen wir mal an, wir hätten dann so eine Inzidenz, die sich tatsächlich weiterhin bei 30, 40, vielleicht sogar 50 bewegt. Und wir wüssten, ein erheblicher Teil davon ist auf Ausbruchsgeschehen in Schulen zurückzuführen. Das ist jetzt rein theoretisch. Dann ist ja immer noch die Frage: Ist das überhaupt mit einer hohen Sterblichkeit korreliert? 

Weil, wenn es wirklich so sein sollte, dass wir die Risikogruppen bis dahin im Griff haben – wo ich ja absolut für plädiere und warum ich das auch für prioritär halte und dafür auch keine Impfstoffe hergeben will an die Jüngeren. Dann können wir uns das auch leisten, dass wir mit einer Inzidenz von 50 da sind. Dann müssen wir deswegen doch nicht die Schulen schließen.


38:01



Camillo Schumann



Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf: Mit anderen Worten braucht man dann auch die Tests nicht mehr. Dann ist es halt so.



Alexander Kekulé


Doch, die Tests braucht man schon. Es ist es ganz wichtig, dass man ein unkontrolliertes Geschehen verhindert. Also, unkontrolliertes Geschehen heißt ja, dass sich das sozusagen in den Schulen dann ausbreitet. Ohne, dass man es merkt. Ohne, dass man es verhindert. Und dann irgendwie um drei Banden die Schüler


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und Kinder – natürlich auch solche Leute irgendwann infiziert, die immer noch ein hohes Risiko haben und an Covid sterben. Also, das müssen wir verhindern. Aber das können wir natürlich nie im Einzelfall verhindern. Aber insgesamt für die Gesellschaft als Risiko müssen wir das minimieren. Und dafür ist die Teststrategie ganz extrem wichtig. Das wollte ich jetzt überhaupt nicht falsch verstanden haben. Diese Instrumente müssen wir dann eben gerade am Start haben im Herbst. Und da kommen wir überhaupt nicht drum herum an der Stelle.


38:52 



Camillo Schumann



Ich glaube, so wie ich ihn verstanden habe, dass, wenn die Kinder wieder zurückkommen – ein paar sind geimpft und ein paar eben nicht – und wenn dann einer positiv ist, muss dann wieder die ganze Klasse, dann vielleicht in der Nachbarklasse wieder einer und – eins, zwei, drei – ist man dabei, eine Schule zu schließen. Ich glaube, das Szenario möchte er nicht.



Alexander Kekulé


In Herrn Lauterbachs Szenario wären ja alle geimpft als Alternative. Ich halte das für absolut unrealistisch. Sondern Sie werden immer, ich sage jetzt mal eine Hausnummer, die Hälfte der Klasse oder 2 0, 30 Prozent haben, die nicht geimpft sind. Und sobald Sie das haben, kommen Sie eben um testen, test and trace, nicht drum herum. Und deshalb sollte man sich darauf, glaube ich, einstellen.


39:31



Camillo Schumann



Wir denken das jetzt mal weiter. Wir testen jetzt weiter im Herbst an den Schulen. Dann wird es aber möglicherweise so sein: Wir haben eine signifikante Zahl an Schülern, die geimpft sind, die muss man ja dann nicht mehr testen, sondern wir testen dann wirklich nur noch die ungeimpften, was ja auch einer gewissen Stigmatisierung gleichkommt. Schüler können grausam sein oder Kinder können grausam sein. Und da müssen sie dann ins Separee, erstmal einen Test machen und dann dürfen sie zurück. Ist jetzt auch, finde ich jetzt, kann man machen, das ist faktisch absolut richtig. Nur für den praktikablen Alltag finde ich das jetzt ein bisschen schwierig.



Alexander Kekulé


Man muss sich dann halt eine Teststrategie überlegen, das ist ganz klar. Das wird letztlich auf GGG hinauslaufen, wie jetzt ja auch. Geimpft, genesen oder getestet. Ob man das dann jeden Tag machen muss in einer Situation, wo die Inzidenz niedrig ist, ist die Frage. Also, meine Hoffnung wäre, dass – wir werden natürlich im Herbst wieder eine Welle kriegen, aber wir werden jetzt vielleicht nicht so eine Inzidenz bekommen, dass wir jeden Tag jedes Kind da testen müssen. Dann werden einige geimpft sein, vielleicht auch einige schon genesen sein. Und dann wird man halt so eine Mischsituation haben, wo man einfach versucht, Ausbrüche möglichst früh zu entdecken. Ganz wichtig wird sein, das kann man jetzt schon sagen, wenn wir im Herbst den Podcast weitermachen, wird das das ceterum censeo sein: Es wird so sein, dass wir wirklich Kinder, die Erkältungssymptome haben, zuhause lassen müssen. Ja, das ist ja so eine Unsitte, die es sowieso vorher gab. Und ich hoffe, dass die mal vorbei ist mit Covid. Also, wer Symptome hat und hustet oder Fieber hat, der muss einfach zuhause bleiben. Auch im Herbst noch. Vielleicht noch ein Faktor, der meines Erachtens wichtig ist: Herr Lauterbach hat ja letztes Jahr diesen Vorschlag gemacht, wo ich ihm schon mal widersprochen habe – ungern, aber widersprechen musste. Zusammen mit Christian Drosten hat er ja vorgeschlagen, dass man eine Cluster-Strategie in der Schule macht, die so aussieht: Wenn in einer Klasse jemand positiv ist, wird nicht weiter getestet und stattdessen die ganze Klasse fünf Tage nach Hause geschickt. Fünf Tage. Und nach fünf Tagen kommen alle wieder zurück, egal, ob sie positiv waren oder negativ. Meines Erachtens – und das ist ja zum Teil so umgesetzt worden – ist das ein Faktor gewesen, warum wir so hohe Fallzahlen im Herbst in der Schule hatten. Ich weiß auch, dass die Gesundheitsämter die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, weil sie dadurch natürlich überhaupt keine Chance mehr hatten, was nachzuverfolgen. Ich würde dringend dafür plädieren – ich weiß jetzt nicht, ob er diese Variante auch noch im Kopf hatte – also, das dürfen wir im Herbst natürlich nicht noch einmal diskutieren oder machen. Also, wenn wir positive Fälle haben, müssen wir die sorgfältig nachverfolgen und nicht


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einfach sagen: Nach fünf Tagen kann hier keiner mehr ansteckend sein. Deshalb glaube ich, wenn wir da ein bisschen klügere Strategien haben als beim letzten Mal, müssen wir nicht alle Kinder impfen. Klar, wünschenswert, schön wäre das schon. Ich meine, die Welt, wo alle geimpft sind und man sagt: Na lass das Virus doch kommen, wir leben weiter wie vorher. Das ist natürlich irgendwie ein Traumzustand. Aber ich würde einfach für ein bisschen Geduld plädieren und sagen: Das wird wahrscheinlich dann der Schulanfang im Jahr 2 02 2  sein, wo wir in so einer Situation sind, weil wir bis dahin genauer Bescheid wissen, wie das mit den Impfstoffen ist. Wir werden insgesamt so eine Art Herdenimmunität in der Gesellschaft haben. Zumindest eine Situation haben, dass durch die Infektionen, die weiterhin stattfinden, die Sterblichkeit nicht groß hochgeht. Und da kann ich mir dann schon vorstellen, dass man dann sagt: Okay, wir haben so viel geimpft, auf die paar Ungeimpften und nicht Genesenen kommt es jetzt nicht an. Aber für diesen Herbst sehe ich das einfach auf der Zeitachse noch nicht.